Autor Thema: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")  (Gelesen 49767 mal)

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Offline Timberwere

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Ricardos Tagebuch: Dead Beat 4

Ich bin so müde. Aber es ist geschafft. Der Día de los Muertos ist vorüber, die Tore wieder versperrt.
Und, ob wir das jetzt gut finden mögen oder nicht, Camerone Raith hat Edward Leedskalnins Platz eingenommen, ein und für alle Mal. Und der Lette selbst... ist verschwunden. Aber damit hatten wir nichts zu tun. Nicht direkt, jedenfalls.

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Nächster Tag. Ich musste erst einmal ausschlafen. Jetzt krakelt meine Schrift auch nicht mehr über die Zeilen hinweg, und ich kann endlich wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen.
Also.

Wir standen ja vor der Entscheidung, ob wir Camerone Raith wirklich an das Coral Castle binden, sie wirklich in diese Machtposition bringen wollten. Aber es fiel uns keine bessere Lösung ein, so sehr wir auch nachgrübelten, also entschieden wir uns nach einigem Hin und Her und nicht gerade leichten Herzens dafür.
Dabei gab es zwei Optionen: entweder mit Camerones Einverständnis oder gegen ihren Willen, sie also entweder überzeugen oder sie gewissermaßen an den Ort fesseln. Ersteres würde ihr in der Position mehr Macht verschaffen, letzteres deutlich schwieriger werden. Also mehr Diskussionen. Mehr Bauchgrimmen. Letzten Endes beschlossen wir dann, Camerone die "sanfte" Version anzubieten und zu sehen, was sie dazu sagen würde.

So oder so war wieder einmal ein Ritual vonnöten. Die Komponenten für "Sehen" und "Hören" stellten mit einer rosaroten Brille (bzw. einer Sadomaso-Maske für die unfreiwillige Option) und dem Klang des zufallenden Schlosses des Coral Castle kein Problem dar. Den Rest mussten wir aber mehr oder weniger mühevoll beschaffen.

Ich bekam dabei die Kategorie "Schmecken" ab, was von einem Kuchen in Form des Coral Castle abgedeckt werden sollte. Eigentlich soweit kein Problem, geht man halt in eine Bäckerei, bestellt den Kuchen und gut. Wenn, ja wenn nicht zum selben Zeitpunkt eine mehr als zickige Hochzeitsgesellschaft ebenfalls ihren Hochzeitskuchen hätte abholen wollen und beinahe alles in die Hose gegangen wäre.
Da trafen nämlich die Schwester des Bräutigams sowie dessen bester Freund auf den Vater der Braut und deren beste Freundin, und unterschiedlicher hätten die Welten nicht sein können. Der Vater hemdsärmeliger Arbeitertyp, die Schwester arrogante Yuppie-Zicke, wie sie im Buche steht, eine nicht ausgesprochene, aber zwischen den Zeilen überdeutlich lesbare Affäre zwischen irgendwem, und mein Kuchen musste drunter leiden.

Das Ende vom Lied: Die Hochzeitsgesellschaft sollte eigentlich hochkant rausfliegen, aber die Yuppie-Zicke weigerte sich und drang in die Küche vor, woraufhin der Koch ein Messer zog, und die Yuppie-Zicke gar eine Pistole. Ich versuchte zu vermitteln – und wurde gleich mit verhaftet, als die Polizei anrückte, die inzwischen von der Besitzerin gerufen worden war. Mich ließ man dann relativ schnell wieder laufen, und meinen Kuchen bekam ich auch, aber es dauerte alles länger, als es hätte dauern sollen.

Die anderen hatten es aber auch nicht unbedingt leichter, nach dem, was sie so erzählten. Roberto zum Beispiel wollte für die Kategorie „Riechen“ ein Parfum mit der Wirkung eines Liebestranks besorgen. Er selbst hatte die benötigten Zutaten aber gerade nicht vorrätig, also musste er sie kaufen. Und wo, Römer und Patrioten? Genau, in Angel Ortegas neuer Bótanica. Und wir wissen ja alle, wie grün Roberto und Angel sich gemeinhin so sind.

Seit Angel über die Sache mit der Yansa-Maske bei den Orunmila in Ungnade gefallen ist, scheint es aber ein etwas besseres Auskommen mit ihm zu sein. Oder vielleicht lag es daran, dass Roberto ihm helfen konnte, ein kleines Problem mit Angels Cousin zu lösen. Der hatte nämlich ohne Angels Wissen Drogen in der neuen Bótanica versteckt und wollte diese nun mit seiner Freundin zusammen ebenso unbemerkt wieder abholen, was zu allerhand Verwicklungen führte.

Alex durfte für den Bereich „Anfassen“ indessen ins Nevernever reisen, denn dort kamen die Steine her, aus denen das Coral Castle gebaut wurde. Dummerweise war in dem Steinbruch gerade ein Trupp Gnome und Goblins zugange, denen ein komischer, fantasy-technischer Apparat durchgedreht war und nun zu explodieren drohte. Alex gelang es gerade so, sich das Stück Stein zu schnappen und abzuhauen, ehe das Unvermeidliche geschah. Aber ernsthaft: Gnome, Goblins und Fantasy-Ingenieurskunst? Sind wir hier bei World of Warcraft oder wie?

Totilas' Aufgabe war dagegen beinahe völlig mundan. Und das, obwohl er zur Halloween-Party seiner Familie musste, zu der kleinen Ersatz-Soiree auf der Ranch draußen. Für die „Seele“ des Rituals benötigten wir nämlich Camerones Ehering, und den hatte Geralds Schwester Cécile in Verwahrung. Totilas bekam seine Großtante auch dazu, ihm den Ring zu überlassen, aber nicht bevor er Zeuge einer Szene wurde, in der Lara Raiths mehr als naive, herzkranke Sekretärin eigentlich hoffte, sie könnte von ihrer Krankheit geheilt werden, wenn sie auch zu einem White Court gemacht würde. Offensichtlich hatte Lara höchstselbst der jungen Frau diesen Bären aufgebunden, denn inzwischen weiß ja selbst ich, dass das bei den weißen Vampiren nicht so funktioniert. Ein etwas abgehalfterter Privatdetektiv aus der Familie Elfenbein und ein weiterer Raith namens Marshall waren auch mit von der Partie, und irgendwie endete die Sache wohl darin, dass der Detektiv Cécile daran hinderte, sich das Mädchen einzuverleiben und dann mit ihr in den sprichwörtlichen Sonnenuntergang ritt. Ob sie nun eine Heilung finden oder einfach nur die ihr verbleibenden letzten Monate genießen kann, weiß dabei leider keiner. Und auch nicht, was dieser Marshall Raith eigentlich genau in Miami sollte.

Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

Es gelang den beiden SI-Cops, die drei Jugendlichen ohne die Statue aus dem Museum zu bugsieren, dafür aber mit der Kette für Edward, frei nach dem Motto: Ich erzähle nicht, was du hier gemacht hast, wenn du nicht erzählst, was ich hier gemacht habe. Dass einer der jungen Leute allerdings nach Einnahme eines von Mrs. Parsens (bzw. Antoines) Produkten Gegenstände sprechen hören kann, so dass er glaubte, die Statue flehe ihn an, sie nach Afrika zurückzubringen, war für Edward in mehr als einer Hinsicht ziemlich beunruhigend.

Aber damit konnten wir uns jetzt nicht beschäftigen. Über den ganzen Besorgungen war der Diá de los Muertos schon ziemlich weit fortgeschritten, und wir hatten nur noch bis Mitternacht Zeit, wenn wir das Ritual mit Camerone durchziehen wollten, ganz zu schweigen davon, dass gegen Ende der 24 Stunden wohl der größte Ansturm an feindseligem Geisterzeugs zu erwarten war.

Zurück am Coral Castle war der Lette weit und breit nichts mehr zu entdecken. Camerone Raith hingegen war nicht zu übersehen, da sie immer noch in vollem Generalsmodus die Geister koordinierte. Sie erklärte sich bereit, sich freiwillig an das Castle binden zu lassen, was Edward das Ritual um einiges erleichtern würde. Auch nach Leedskalnin fragten wir, aber da war Camerones Antwort nur, dass der fort sei und man ihn vermutlich nie wieder sehen werde, jetzt wo Cicerón mit ihm fertig sei. Linares hatte den Letten ja derart in die Mangel genommen, weil er aus herausbekommen wollte, was genau da in den Sümpfen los sei; so viel hatten wir hören können. Ob Leedskalnin allerdings durchhielt, oder ob er gegen Ende hin doch brach und es verriet, dass wissen wir nicht; das konnte oder wollte auch Camerone uns nicht sagen. Aber jedenfalls war das Verschwinden des Letten eine weitere Motivation für uns, das Ritual mit Totilas' Urgroßmutter durchzuziehen, denn die Position unbesetzt zu lassen, wäre fatal. Aber dennoch hatte, und habe, ich ein mehr als schlechtes Gefühl bei der Sache.

Aber es war ja nun nicht zu ändern. Es musste nun einmal getan werden, die Entscheidung war gefallen, und es erschien uns allen, auch mir, trotz meiner Bedenken, als das potentiell kleinere Übel.

Trotz der „sanften“ Version war das Ritual noch immer verdammt schwierig, und langwierig dazu. Edward bereitete alles vor, zog seinen Ritualkreis und rief Camerone hinein, dann begann er. Dummerweise hatten die freiwerdenden Energien nicht nur den gewünschten Effekt, sondern sie zogen auch die anderen Geister der Umgebung magisch, haha, an. Und da Edward sich auf seine Zauberei konzentrieren musste und nicht unterbrochen werden durfte, mussten wir anderen diese Geister von ihm fernhalten.

Anfangs ging das eigentlich ziemlich gut. Ich stellte fest, dass wir uns durch das Verschwimmen der Grenzen wieder einmal halb im Nevernever befanden, weit genug jedenfalls, dass George meinen Ruf hören und uns zu Hilfe kommen konnte. Mit den ersten fünf Geistern wurden wir also ziemlich problemlos fertig: Alex erledigte zwei davon, Roberto und Totilas ebenfalls zwei und George und ich einen.

Aber dann wurde ein einzelner Geist Richtung Ritualkreis gezogen, viel größer als die anderen, völlig verbrannt und in Flammen stehend – und Santa Madre Maria ist meine Zeugin, als ich diesen Feuergeist sah, erstarrte ich einen Moment lang. Die anderen gingen sofort auf ihn los, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Mit einem Mal war es mir, als stünde ich selbst wieder in Flammen, und es gelang mir nicht, auch nur einen Schritt auf den Feuergeist zuzugehen.

Während ich mich hektisch nach irgendetwas umsah, mit dem ich vielleicht aus der Ferne etwas gegen den Geist ausrichten könnte, bemerkte ich statt dessen etliche Schlangen, oder besser die Geister von Schlangen, die bösartig zischelnd auf den Ritualkreis zugewuselt kamen. Die anderen hatten diese neue Bedrohung noch nicht gesehen, also trat ich Schlangen tot, wich ihren vermutlich giftigen Bissen aus und hielt sie von den anderen fern, bis die den Feuergeist erledigten hatten. Um die restlichen Schlangengeister kümmerten wir uns dann gemeinsam.

Inzwischen war Edward mit seinem Ritual beinahe fertig. Aber es wurden immer mehr Geister, die sich dem Kreis näherten, und irgendwann würden wir nicht mehr gegen alle ankommen. Da hatte irgendjemand – Edward selbst? Roberto? – die geniale Idee, dass die Energie der Geister zusätzlichen Brennstoff für das Ritual abgeben könnte, wenn wir sie kontrolliert in den Kreis befördern würden, und es deswegen schneller beendet werden könnte. Gesagt, getan: Alex als Abgesandter Elegguas schubste die Geister, die sich in Reichweite befanden (mit der Ausnahme von George, natürlich, wobei der ja auch kein Geist ist, sondern ein Wyldfae) mit einer ziemlichen Anstrengung in den Kreis. Irgendwer rannte los und warf das Tor des Coral Castle mit einem lauten, metallischen „Klonk“ ins Schloss, gerade als Edward die letzten Worte des Rituals intonierte. Und dann war es geschafft, war Camerone Raith die neue Hüterin des Castle.

Und es war kaum zu früh, denn um Punkt Mitternacht begann der letzte große, heftige Ansturm der Geister. Richtig, richtig heftig, um genau zu sein. Und warum dieser Ansturm so heftig war, das verstanden wir, als wir Jack, den bösen Jack, im Hintergrund bemerkten, von wo aus er mit breitem Grinsen die Angreifer aufstachelte. Totilas stellte sich daraufhin in Imponierposition - ganz subtil, nicht übertrieben, aber mit der deutlichen Körpersprache "mich schüchterst du nicht ein". Das wiederum quittierte Jack ihm gegenüber mit der "ich sehe dich"-Geste: zeigte erst auf die eigenen Augen, dann auf Totilas.

Wie gesagt, der Angriff war heftig, aber dank Camerones neuer Macht konnte er schließlich doch zurückgeschlagen werden, und die Tore zur Geisterwelt schlossen sich wieder. Uns ging es dabei noch vergleichsweise gut, aber die Santo Shango, die hier ja den ganzen Tag lang ausgehalten hatten, waren ziemlich angeschlagen. Cicerón Linares brach vor Erschöpfung zusammen, als Shango ihn verließ, aber er schien keine lebensgefährlichen Wunden zu haben. Ilyana Elder hingegen sah übel aus, als sie nicht mehr von Yansa geritten wurde; bei der jungen Frau war allerhöchste Eile geboten. Von Totilas wollten die Ganger sich nicht helfen lassen, obgleich dieser es anbot - ein vielleicht nicht ganz unberechtigtes Misstrauen, wenn man bedenkt, dass Totilas' Augen trotz seiner üblichen eisernen Kontrolle leicht silbrig zu glänzen begonnen hatten und er ein abwesendes Gesicht machte, als diskutiere er mit einer inneren Stimme. Vermutlich tat er nämlich genau das, und sein Dämon wollte ihn dazu bringen, Ilyanas Leiden zu beenden oder sowas in der Art.

Edward hingegen hatte zuhause einen Heiltrank vorbereitet, den er Ilyana jetzt einflößte, und das half der jungen Frau über das Schlimmste hinweg. Ärztliche Behandlung benötigte sie natürlich nach wie vor, aber sie schwebte wenigstens nicht mehr in direkter Lebensgefahr.
Zum Dank revanchierte Cicerón sich mit einer Warnung. Spencer Declan sei in der Lage, die Gesetze der Magie ungestraft zu brechen, und wir sollten uns vorsehen. Mehr war dazu aber nicht aus ihm herauszubringen; er habe schon zu viel gesagt, und auch das nur, weil wir Ilyana geholfen hätten.
Linares wirkte übrigens sehr nachdenklich; offensichtlich hat er aus dem Letten wohl doch herausbekommen, was er wissen wollte.

Naja, dann tauchten plötzlich die Coral Guardians bei uns auf und machten Totilas unmissverständlich klar, dass der Kampf vorbei und er hier nicht länger geduldet sei.  Also sind wir heimgefahren, ich habe die obigen paar Worte hingekrakelt und mich erst einmal ins Bett gepackt. Und alles weitere, vor allem, wie das jetzt mit Ms. Geister-Raith in ihrer neuen Position wird, müssen wir sehen. Ich habe ja immer noch ein schlechtes Gefühl bei der Sache, aber jetzt ist das Kind im Brunnen.

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Jack White Eagle hatte heute auch eine Warnung, diese speziell für Edward und Ximena: Er empfehle beiden sehr eindringlich, den Ball flach zu halten, da früher schon Praktizierer, die in der Stadt zu viel Talent bewiesen hätten, nach einer Weile einfach verschwunden seien. Und Jack glaube nicht, dass die alle nach Australien ausgewandert seien, sondern dass Declan etwas damit zu tun habe.
Oder besser, er empfahl es Totilas zur entsprechenden Weitergabe. Ximena habe er auch schon warnen wollen, sagte Jack, aber die sei dafür nicht sonderlich empfänglich gewesen. Ich kann mir schon vorstellen, wie das ungefähr war: Ximena ist von ihren eigenen Fähigkeiten ja durchaus überzeugt und sieht sich als Declan mindestens ebenbürtig. Totilas gab Jacks Warnung an beide Empfänger weiter, ob er damit bei Ximena allerdings viel erreichte, das bleibt noch dahingestellt.

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Eben war Edward bei mir. Ich hatte ja schon länger den Eindruck, dass ihm etwas auf der Seele lastet, und zwar nicht nur das Ende seiner Beziehung zu Cherie. Heute endlich machte Edward den Mund auf. Dass er Gewissensbisse hat. Dass er sich korrupt fühlt und nicht weiß, wie lange er den Job beim SID noch machen kann. Die ständige, mehr oder weniger notgedrungene Zusammenarbeit mit Cicerón Linares, mit Gerald Raith. Seine Mutter, die Drogen verkauft, auch wenn diese (momentan zumindest) noch nicht illegal sind. Seine Ex-Freundin Cherie, die Auftragsmörderin, für die er noch immer etwas empfindet und von der er gar nicht wissen will, was sie genau tut, damit er nicht in die Verlegenheit kommt, sie jagen zu müssen. Er sei einfach zu nah dran an den Gesetzesbrechern. Ich konnte nicht viel tun, außer ihm ein offenes Ohr zu leihen und ihn sich all diese Dinge von der Seele reden zu lassen. Und ihm vehement zu erklären, dass ich ihn nicht für ein Monster halte. Außerdem habe ich ihm empfohlen, tatsächlich einmal mit Lieutenant Book zu reden. Ja, der alte Cop knurrt und bellt und brüllt herum, aber er ist nicht umsonst der Leiter des SID. Wenn er aufgund all dieser Tatsachen Edward aus der Truppe wirft oder Internal Affairs auf ihn ansetzt, dann ist das so. Aber Edward kann diese ganze Last nicht länger alleine mit sich herumschleppen. So oder so muss er Book informieren, finde ich. Und vielleicht stellt sich ja dann sogar heraus, dass sein Vorgesetzter all diese Dinge akzeptieren kann.

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Oh, übrigens. Cicerón erwähnte doch, dass Spencer Declan anscheinend die Gesetze der Magie brechen kann, ohne dass es für ihn irgendwelche Konsequenzen hat. Diese Bemerkung machte uns nachdenklich, weil wir bislang eigentlich gar nicht so viel über die Gesetze der Magie wissen, noch darüber, wie man sie eigentlich bricht. Sicher, Leute, die die Gesetze brechen, werden Warlocks genannt, das wissen wir ja spätestens seit der Sache mit den Bucas. Und während dieser Sache hatte Feu Buca ja magisch auf Mrs. Salcedo eingewirkt, um deren Meinung zu beeinflussen, was eines der verbotenen Dinge ist, ebenso wie jemand anderen umzubringen. Aber was sind die übrigen Gesetze? Wieviele gibt es insgesamt? Wie bricht man diese, und was passiert dann? Offensichtlich wird man von den Wardens gejagt, siehe wieder die Bucas. Aber gelten Warlocks für den White Council überhaupt noch als Menschen oder schon als reine Monster? Anscheinend verändert es einen ja wohl auch wirklich selbst innerlich, wenn man diese Gesetze bricht. Wie also kann Warden Declan diese Veränderungen vermeiden? Oder bricht er die Gesetze einfach, und es verändert ihn durchaus, aber niemand merkt es, weil er als Warden eigentlich selbst die Bösen jagen müsste und auch vorgibt, das zu tun?

Jedenfalls, das waren alles Fragen, über die wir nicht genug wussten und wo uns auch die Kontakte fehlten, um jemanden dazu befragen zu können. Jack White Eagle weiß zwar einiges, aber seine Magie ist eine ganz andere als die des White Council; im Detail konnte er uns da nicht weiterhelfen. Und Spencer Declan werden wir zu diesem Thema ganz sicher nicht befragen. Andere Vollmagier und Ratsmitglieder kennen wir nicht. Also kamen wir auf die schlaue Idee, doch einfach mal zu recherchieren.

Der einzige Treffer, der bei der Internetrecherche herauskam, war ein gewisser Harry Dresden, niedergelassener Magier in Chicago. Seltsam eigentlich, dass da jemand so damit hausieren geht, aber andererseits stand in dem Eintrag etwas von "paranormale Ermittlungen - keine Kindergeburtstage", also war es vielleicht doch kein Scharlatan. So oder so war es im Moment unser einziger Hinweis, also rief Edward kurzerhand bei dem Mann an.
Aber, puh. Das war kein sonderlich erfolgreiches Telefonat, Römer und Patrioten. Die beiden waren sich auf Anhieb völlig unsympathisch, und das Gespräch endete mit aufgeknalltem Telefonhörer und ohne Informationszugewinn. Okay, vielleicht hätte Edward nicht gleich als Erstes mit der Frage herausplatzen sollen, wie man die Gesetze der Magie bricht. Und sich seinem Ärger über die zu hohen Magier-Steuern Luft zu machen, half der Konversation auch nicht gerade weiter. Aber hätte dieser Dresden Edward so sarkastisch-ungläubig abkanzeln müssen? Mierda. Müssen wir halt versuchen, uns die Informationen irgendwie auf anderem Wege zu beschaffen. Nur wie, ist die Frage. Das sieht momentan wie gesagt eher mau aus. Mierda.
« Letzte Änderung: 6.01.2015 | 17:15 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Bad Horse

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Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

Der Neffe hatte sehr wohl afrikanische Wurzeln - ein Elternteil schwarz, einer kubanisch. Das geht schon. :)

Der O-Ton des Gesprächs Edward / Harry war ungefähr so:
Harry: "Ja, Dresden hier."
Edward: "Hallo, sind Sie ein voll ausgebildeter Magier?"
Harry: "Wie bitte? Was wollen Sie eigentlich?"
Edward: "Ich bin vom Miami Police Department..."
Harry: "Dann reden Sie doch mit dem SI hier in Chicago."
Edward: "Nee, ich brauch schon einen Magier... ich würde gern mal mit Ihnen darüber reden, wie man die Gesetze der Magie bricht."
Harry: "Wollen Sie mich verarschen?"
Edward: "...äh, nein. Und finden Sie nicht, dass die Steuern ein bisschen hoch sind?"
Harry: "Danke, ich kann mich allein veralbern." *legt auf*
« Letzte Änderung: 6.01.2015 | 18:16 von Bad Horse »
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

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Offline Edward Fu

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Kommentar Edward: "So ein Arschloch!"
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Offline Timberwere

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Ricardos Tagebuch: Vignette 1

15. November

Ich weiß gar nicht, ob ich es schon erwähnt habe. Aber Sheila hat zum Filmstart von Indian Summer eine Lesetour geplant. Einmal die Westküste hinunter, und zwar so getimed, dass die Tour genau zur Premiere in Los Angeles endet. Oder danach vielleicht auch noch nach San Diego weitergeht, aber die Premiere in L.A. soll auf jeden Fall mit dabei sein. So oder so finde ich das eine ausgezeichnete Idee, denn das wird sicherlich mal eine nette Abwechslung. Nur schade, dass ich Alejandra nicht mitnehmen kann; so eine Reise ist aber leider nun mal nichts für eine kleines Mädchen.
Sheilas Planung und Vorbereitungen laufen jedenfalls schon länger auf vollen Touren, und ich freue mich ziemlich.

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19. Januar

Heute kam Sheila nochmal mit einem anderen Vorschlag an: Sie kennt da jemanden, eine Mäzenin nämlich, und die wiederum kennt eine Zeichnerin, und diese soll, weil die Mäzenin so ein großer Fan meiner Bücher ist, eine illustrierte Version von Indian Summer anfertigen, die dann in einer kleinen, hochwertigen Sonderausgabe herauskommen könnte.

Interessanter Gedanke! Keiner, über den ich bisher von selbst gestolpert wäre, aber genau für solche Ideen ist Sheila ja meine Agentin. Edward schlug sofort eine Graphic Novel vor, als er von der Sache hörte, und dafür war ich wiederum dann gleich Feuer und Flamme. Vielleicht kann Sheila das ihrem Kontakt auch noch verkaufen.

Und wie es der Zufall (oder Sheilas geschicktes Händchen) so will, hält diese Mäzenin kurz vor dem Filmstart ein Künstlerwochenende in ihrer Lodge am Crater Lake, Oregon ab. Dorthin bin ich eingeladen, um die Dame und die Zeichnerin kennenzulernen, damit sie mich kennenlernen – und vielleicht auch, so unangenehm mir das sein mag, weil mein Name der Veranstaltung tatsächlich ein klein wenig mehr Prestige verschafft. O Madre mia, ayudame. Wie das klingt. Aber wenigstens wird es nicht allein mein Name sein, der für das Prestige sorgt: ein paar andere publizierte Genre-Autoren, wie z.B. Michael Stackpole, sind wohl auch eingeladen.

Und wir Gäste dürfen Partner und/oder Freunde mitbringen. "The more the merrier" war Sheilas die Gastgeberin zitierende Aussage. Also habe ich die Jungs gefragt, ist ja klar. Dee natürlich auch, aber die kann leider nicht aus der Stadt weg. Entweder das, oder sie möchte nicht in eine Situation geraten, wo sie als meine Freundin verstanden werden könnte. Wobei ich natürlich hoffe, dass ersteres der Grund ist.
Die Jungs haben jedenfalls alle Zeit, oder nehmen sie sich. Finde ich super.

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26. Februar

Nächste Woche geht es los! Wir haben übrigens beschlossen, nicht zu fliegen. Denn die Westküste runter müssten wir ohnehin in einem Tourbus fahren, und Alex' Berufsehre verbietet es ihm, für diesen Zweck ein Mietmobil auch nur im Entferntesten in Betracht zu ziehen. Und überdies ist sein letztes Langzeit-Bastelprojekt, ein älteres Vehikel, das er mit seiner üblichen Sorgfalt und Liebe zum Detail restauriert und zu einem Wohnbus aus- und umgebaut hat, zufällig gerade vor kurzem fertig geworden. Ich glaube, Alex wäre persönlich beleidigt gewesen und nicht mitgekommen, wenn wir das nicht genutzt hätten.

Das bedeutet zwar, dass wir zusätzlich zu der eigentlichen Buchtour eine weitere Woche unterwegs sein werden, immerhin reden wir von über 3.200 Meilen, aber den Luftweg gäbe es auch nicht als Direktflug. Und außerdem ist Edward sich nicht sicher, wie das mit seinen zunehmenden Technik-Problemen in einem Flugzeug aussähe. Wenn dessen Elektronik hoch über dem Erdboden ausfiele, na herzlichen Dank. Dann doch lieber der Bus.

Diese Postkarte vom Crater Lake ist mir übrigens gerade vor ein paar Tagen untergekommen. Die klebe ich doch direkt hier ein, das steigert die Vorfreude gleich noch ein bisschen mehr.



Mann. Ich bin doch tatsächlich schon aufgeregt.

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6. März

Morgen ist es soweit! Urlaub!

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7. März. Tifton, Georgia

Nach einem tränenreichen Abschied von 'Jandra, der ich bei der Abschiedsumarmung zum zigsten Mal erklären musste, dass wir im Sommer natürlich zusammen in Urlaub fahren und dass sie dann natürlich auch mitkommen darf, aber dass das hier Arbeit sei und sie daran garantiert keinen Spaß hätte, was mir den Aufbruch zugegebenermaßen etwas erschwerte, sind wir den ganzen Tag gefahren. Knapp 500 Meilen waren das. Jetzt sind wir für die Nacht in einem RV-Park direkt an der I75 untergekommen. Ich bin ziemlich erledigt; wir saßen zwar bis auf die Pausen nur im Bus, aber die Stimmung war schon nach ein paar Stunden ziemlich gereizt. Vor allem zwischen Edward und Roberto, aber auch wir übrigen blieben davon nicht ganz unbeeinflusst.
Das Georgia Museum of Agriculture and Historical Village, das es laut Broschüre an der Rezeption hier in Tifton geben soll, hätte mich zwar eigentlich interessiert, hat aber wohl bereits geschlossen. Und außerdem wäre ich ohnehin zu platt, um noch in einem historischen Dorf herumzulaufen. Ich glaube, ich haue mich jetzt in meine Koje und gut.

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8. März. Nashville, Tennessee

Kein RV-Park diesmal, oh nein. In der Stadt der Musik, im Athen des Südens, gebe ich mir a) ein Hotelzimmer und b) einen langen Spaziergang durch die Stadt. Ich brauche etwas Abstand. Heute flog Robertos Schminkkoffer in hohem Bogen aus dem Fenster, zu Robertos großem - und lautem - Entsetzen, und als wir endlich gedreht hatten und wieder an die Stelle kamen, waren natürlich zig Autos darüber gefahren. Roberto geht heute abend nicht in der Stadt spazieren. Der geht seine neue Kulturtasche ausstatten.

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9. März. Odessa, Missouri

Langer, langer Tag. Deutlich über 500 Meilen heute. Blöd, dass Odessa so ein winziges Kaff ist; so sind wir wieder in einem RV-Park gelandet. Für einen RV-Park ziemlich teuer, und einiges reparaturbedürftig, aber sauber. Und immerhin haben sie kostenloses - und schnelles! - WLAN. Ich bin dann mal ein bisschen surfen.

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10. März. Sutherland, Nebraska

Schrieb ich gestern, Odessa sei ein Kaff? Hey, das hatte 5.000 Einwohner! Sutherland, Nebraska, ist ein Kaff. Das hat gerade mal 1.500. Aber immerhin einen RV-Park. Und ganz in der Nähe auch einen Stausee, der mit der Sutherland Reservoir State Recreation Area auch einen Naturpark darstellt. Edward hat schon gesagt, heute schläft er im Freien. Ich bin beinahe geneigt, es ihm gleichzutun. Oder zumindest gleich noch einen langen, langen Spaziergang zum Abreagieren zu machen. Nach der Mittagspause haben wir heute Edward vergessen, weil der irgendwo noch Dampf abließ, und es erst nach ein paar Kilometern gemerkt, als es im Bus so still war. Roberto hatte es gemerkt, aber nichts gesagt, der Arsch. Wobei er meinte, ein paar Minuten später hätte er sich schon auch gemeldet, er wolle nur Edward Gelegenheit geben, sich noch ein bisschen länger abzureagieren. Ha ha.

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11. März. Rawlins, Wyoming

Heute nur 350 Meilen gefahren. Ging nicht mehr. Haben mittendrin angehalten und Edward für eine Weile rausgeworfen, weil es einfach zu viel war. Später dann haben wir Roberto rausgeworfen. Und nachmittags haben wir dann beide rausgeworfen. Danach haben sie sich nur noch finster angebrütet, was beinahe schlimmer war als ihr ewiges Gezicke. Nur 350 Meilen, aber der Tag zog sich endlos. Mir ist egal, dass Rawlins eine Kleinstadt ist, ein Hotel gibt es hier. Oder ein Motel. Ganz gleich. Raus hier!

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12. März. Elko, Nevada

Über 500 Meilen heute, als Ausgleich für gestern. Immerhin müssen wir es bis morgen nach Oregon schaffen! Jetzt sind wir in Elko, Nevada, einer Stadt von immerhin 20.000 Seelen. Auf Shoshoni heißt der Ort Natakkoa, also 'Felsen, die aufeinander aufgehäuft sind'. Ob uns das zu denken geben müsste? Aber das "Hilton Gardens"-Hotel ist eine nette Überraschung. Ich glaube, ich werde gleich nochmal den hoteleigenen Pool aufsuchen, zur Entspannung. Wobei es heute direkt ging: Anfangs schwiegen Roberto und Edward einander noch giftig an, aber irgendwann fingen sie dann damit an, abwechselnd bei Alex vorne zu sitzen, und ab da wurde es richtig angenehm, und ich konnte mich endlich auf mein Videospiel konzentrieren.

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13. März. Crater Lake National Park, Oregon

Angekommen!

Es war wieder eine relativ lange Fahrt, weil wir vorgestern doch einiges verloren haben, aber mit der gestrigen Aufteilung ging es zumindest in Sachen Stimmung im Bus doch auch heute wieder ganz gut. Und in Oregon wurde die Landschaft natürlich auch zunehmend malerischer. Die letzten Meilen bis zum See hoch zogen sich dann nochmal etwas, aber irgendwann waren wir endlich da.

Die Lodge unserer Gastgeberin liegt ein Stück abseits vom Kraterrand – genau genommen sind es mehrere Lodges: ein Hauptgebäude und einige kleineren Hütten für die Gäste. Eine davon haben wir für uns, ein rustikal eingerichtetes, aber gemütliches Blockhäuschen mit zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmer, wo es auch eine Schlafcouch gibt, Küchenzeile und Bad. Edward und ich teilen uns eines der Zimmer; wie die anderen sich geeinigt haben, bin ich gerade gar nicht sicher. Ich schreibe das nur eben schnell, während ich darauf warte, das wir gesammelt zum Haupthaus rübergehen, um die Gastgeberin und die übrigen Wochenendgäste zu treffen.

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Unsere Gastgeberin heißt Margo und ist sehr nett. Mitte, Ende Fünfzig herum, würde ich sagen, elegant und weltgewandt, mit einer tadellosen Haltung, die nicht einmal dadurch beeinträchtigt wird, dass sie hinkt. Das sei durch einen Segelunfall vor einigen Jahren geschehen, erzählte sie.
Uns eingerechnet, hat Margo für das Wochenende ca. 30 Personen eingeladen, die meisten davon auf die eine oder andere Art mit dem Schreiben von speculative fiction beschäftigt oder davon begeistert. Michael Stackpole ist tatsächlich auch hier, wie Sheila mir schon angekündigt hatte, außerdem Kirsty McGregor und dieser indianisch-stämmige Thriller-Autor Barry Jackson. Und gleich bei unserer Ankunft begrüßte uns draußen auf dem Vorplatz vor der Lodge eine Gruppe von 5 jungen Leuten. Diese sind Freunde, Rollenspieler und LARPer und arbeiten gemeinsam an einem Roman. Also nicht etwa an einem Episodenroman à la Sanctuary oder Wild Cards, wo eine Geschichte in durchaus unterschiedlichen Stilen aus ganz unterschiedlichen Charakterperspektiven erzählt wird, sondern an einem Roman aus einem Guss und aus einer Sicht und in einem durchgängigen Stil. Hossa. Ambitioniert, das. Ich wünsche ihnen von Herzen viel Erfolg bei dem Unterfangen, aber ich weiß auch, dass sowas verdammt schwierig ist.

Einer der jungen Leute, Jeff, hat übrigens einen Hund. Ein kleines, zottiges Schoßhündchen Marke Fußabtreter, ein Highland Terrier oder sowas vielleicht?, der erstaunlicherweise Edward zu mögen scheint. Jedenfalls streicht er ständig schwanzwedelnd um unseren Freund herum. Die zwei anderen, größeren Hunde, die wohl anscheinend zur Lodge gehören oder so, mögen Edward hingegen gar nicht. Knurren ihn an und halten sich sorgfältig von ihm fern. Fand ich amüsant, wie der kleine Kläffer völlig furchtlos mit Edward spielt, während seine großen Artgenossen feige den Schwanz einziehen.

Die junge Zeichnerin, die Margo für die Illustration von Indian Summer gewinnen möchte, heißt Elena. Auch sie scheint nett zu sein, ist aber un-glaub-lich schüchtern. Gerade mir gegenüber bekam sie gar kein Wort heraus, und auch allen anderen gegenüber stammelt sie mehr, als sie zu reden vermag. Dabei wirkt sie wie gesagt sehr nett, und man möchte sie am liebsten in den Arm nehmen und ihr versichern, dass sie keine Angst zu haben braucht, dass alles gut werden wird. Aber das geht natürlich nicht, das würde alles nur noch schlimmer machen. Also habe ich beschlossen, einfach freundlich mit ihr umzugehen und ihre Schüchternheit so gut es geht zu ignorieren, ohne ihr auf die Nerven zu fallen. Mal sehen, ob es klappt. Ihre Zeichnungen sind aber jedenfalls allererste Sahne, und ich würde mich sehr freuen, wenn sie tatsächlich die Illustration des Buches übernehmen würde.

Ansonsten ist neben diversen Fans und Anhang noch eine Deutsche namens Vanessa anwesend. Sie wirkt nicht schüchtern, aber unpässlich, als erhole sie sich gerade von einer längeren, schweren Krankheit. Ziemlich nervös, schreckhaft... und uns gegenüber mehr als reserviert. Der misstrauische, geradezu hasserfüllte Blick, den sie Totilas bei der Vorstellung zuwarf, machte deutlich, dass sie den Namen "Raith" sofort erkannt hat.

So, die Frischmachpause nach dem Abendessen ist vorüber; wir wollen uns alle zum geselligen Kennenlernabend drüben im Hauptgebäude treffen. Je nachdem, wie lange das geht, schreibe ich vielleicht hinterher noch was, sonst eben morgen oder so.

---

Bin noch wach genug, um einen schnellen Eintrag zu machen. Der Abend war – von Vanessa Grubers abschätzig-verachtend-misstrauischen Blicken mal abgesehen – eigentlich ziemlich nett. Nur Colby – einer der fünf jungen Leute aus dem Autorenkollektiv - hat etwas zu viel getrunken und sich dann an Elena, die Zeichnerin, herangemacht. Diese war viel zu schüchtern, um ihn rundheraus abzubügeln, aber sie wurde ihn dennoch irgendwie los, einfach durch ihr Erröten und Wegdrehen. Später beobachtete ich sie dann dabei, wie sie wild auf ihrem Zeichenblock herumkritzelte.
Das Bild bekam ich dann zufällig zu sehen – und musste herzlich lachen, denn es war zum Schießen. Es war eine Karikatur, in der ein wunderbar getroffener und eindeutig zu erkennender Colby eine Stehlampe anschmachtete.

Später am Abend passierte dann noch etwas Komisches, und zwar nämlich haargenau das, was Elena gezeichnet hatte. Colby, noch etwas betrunkener als zuvor, merkte schon gar nicht mehr, was er da tat, als er vor der Stehlampe auf die Knie sank und ihr ein Kompliment machte. Seltsam nur... ich glaube, Colby hat die Zeichnung gar nicht gesehen... Elena hat nämlich darauf geachtet, dass ihr Motiv die Karikatur nicht zu Gesicht bekam. Vermutlich wäre ihr das anders zu peinlich gewesen oder so.

Naja. Jetzt aber erstmal schlafen. Nacht und so!
« Letzte Änderung: 27.07.2017 | 22:46 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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Okay, das ist seltsam. Als Margo eben zum Frühstück kam, hinkte sie nicht – im Gegenteil, sie hüpfte beinahe wie ein kleines Mädchen, und ein Strahlen lag auf ihrem Gesicht. Ihr Bein sei über Nacht geheilt, es tue überhaupt nicht mehr weh. Totilas, der zwar kein Arzt, aber Physiotherapeut ist, mahnte zur Vorsicht und bot an, das Bein einmal zu untersuchen. Zum Glück, denn es stellte sich heraus, dass Margos Bein anscheinend gar nicht wirklich geheilt ist, sondern einfach nur nicht mehr wehtut. Sie hat sich jetzt erst einmal nach Klamath Falls zum Arzt fahren lassen.

Die Sache passt aber irgendwie zu einer anderen Seltsamkeit, die mir vorhin aufgefallen ist. Im Flur der Hauptlodge steht eine kleine Statue. Kein besonders wertvolles Kunstwerk, glaube ich, aber ganz hübsch, deswegen habe ich sie gestern nachmittag ein bisschen betrachtet. Und dabei festgestellt, dass die Skulptur kaputt war: ein Arm war abgebrochen. Später dann, als wir zum Abendessen hineingingen, hatte jemand die Statue repariert. Vorhin aber sah ich auf dem Weg zum Frühstück, dass der Arm wieder abgebrochen war. Okay, sagt ihr, da wurde das Ding halt nachmittags geflickt, aber nicht sonderlich gut, da ist der Arm eben wieder abgefallen. Mag sein... aber gestern abend habe ich mir die fragliche Stelle mal angesehen, und da sah die Statue eigentlich völlig intakt aus.

Ob hier jemand Magie wirkt? Dass magische Effekte angeblich ja immer nur bis Sonnenauf- oder Untergang halten, würde dafür sprechen, dass jemand die Statue im Flur mit Magie repariert hat, dies aber nicht von Dauer sein konnte... Nur warum? Warum etwas flicken, das von vorneherein nicht permanent sein würde? Hmm... Was, wenn derjenige gar nicht wusste, dass die Magie nicht anhält? Wenn er oder sie dachte, etwas Gutes zu tun, ohne Näheres darüber zu wissen, und bei Margos Bein genauso? Hmmm. Das werden wir wohl im Auge behalten müssen.

---

Natürlich haben wir darüber gesprochen. Ganz unmagisch ist der Crater Lake wohl nicht: ein größeres Gewässer, aber in sich abgeschlossen, ohne jeden Ab- und Zustrom, also kein „fließendes Wasser“ in dem Sinne, der Magie behindert. Und vermutlich heißt die Insel darin nicht umsonst „Wizard Island“. Wobei das nicht einmal eine Insel ist, habe ich mir sagen lassen, sondern ein zweiter Berg innerhalb des Kraters, der vor zehntausenden von Jahren entstand.

Diese angebliche magische Aura des Ortes wollen auch die fünf jungen Autoren nutzen, haben sie erzählt. Die ihnen eigene "magische Aura" öffnen, ihr magisches Potential erschließen, irgendwie sowas. Da haben bei uns natürlich gleich alle Warnglocken geklingelt, und Edward und Roberto haben angeboten mitzumachen – offiziell um zu helfen und zu unterstützen, aber natürlich auch und vor allem, um ein Auge darauf zu haben, dass da nichts schiefgeht und die jungen Leutchen nicht Dinge wecken, die sie besser ungeweckt lassen sollten.

Vanessa Gruber, die Deutsche, war an der Aktion auch sichtlich interessiert, aber Colby und die anderen meinten, sieben Personen sei, weil die magische Zahl, einfach ideal, und eine achte Teilnehmerin wäre eher kontraproduktiv. Und da Roberto und Edward sich zu erst gemeldet hatten, muss Gruber zurückstecken.

Das Ritual soll wohl irgendwann heute abend oder heute nacht stattfinden. Vorher jedoch wollen Alex, Roberto und Edward schon mal auf die Insel rüber und sich diese ansehen. Totilas möchte währenddessen mit der Deutschen reden, und ich habe angeboten, ihn zu begleiten. So giftig, wie die ihn angestarrt hat, ist es vielleicht besser, wenn eine neutrale Person bei dem Gespräch anwesend ist.

---

Puh. Das war... schwierig. Miss Gruber hat überhaupt nicht gut auf Totilas reagiert. Am Rande eines hysterischen Anfalls, wohl eher. Wobei sie anfangs noch eisern beherrscht und eisig kühl reagierte und völlig selbstverständlich davon ausging, dass wir anderen vier Totilas' Futtervieh seien. Es benötigte einiges an Anstrengung, um Miss Gruber – die übrigens Österreicherin ist, keine Deutsche, wie sich herausstellte – davon zu überzeugen, dass dem eben nicht so ist, sondern dass wir, vollkommen un-be-vampirt, aus freien Stücken hier sind und sich Totilas sogar eher in meiner Begleitung befindet als anders herum.

Wie dem auch sei, irgendwann hatte ich Vanessa dann soweit, dass sie mir das halbwegs abnahm. Da wollte sie dann wissen, warum Edward und Roberto sich dem magischen Ritual auf Wizard Island anschließen wollten, wenn nicht auf Totilas' Befehl hin und um weiteres Futter für ihn zu beschaffen? Sie selbst sei ja eigentlich zur Genesung hier am Crater Lake, aber als Magierin und Angehörige des White Council sei es doch ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass weniger Begabte wie unsere fünf jungen Autorenfreunde keinen Unsinn mit der Magie anstellten. Ich erklärte ihr, dass Edward und Roberto lediglich dabei sein wollen, um auf die jungen Leute aufzupassen, nicht aus irgendwelchen niederen Motiven.

Totilas warf ein, dass es doch besser wäre, wenn wir alle zusammenarbeiten würden statt gegeneinander. Das war aber dummerweise in diesem Moment genau das Falsche – denn nun bekam Vanessa den Zusammenbruch, gegen den sie sich zuvor so eisern beherrscht hatte.  Sie stammelte irgendwas von "seinen Leuten" und "Salzburg"  und "da verlässt man sich mal" und "in den Rücken fallen", ehe sie völlig aufgelöst davonstürzte.

Nicht gut. Aber ich glaube, ich sollte sie jetzt erst mal in Ruhe lassen. Und Totilas am besten in nächster Zeit so bald gar nicht mehr mit ihr reden. Denn wir reimten uns ihre Reaktion – und ihre sichtliche Angeschlagenheit und Rekonvaleszenz – so zusammen, dass sie wohl direkt vom jüngsten Verrat des White Court am White Council im Krieg gegen den Red Court betroffen gewesen sein muss, als die weißen Vampire sich mit den roten zusammentaten und ihren angeblichen Verbündten, den Magiern, eben aufs Übelste in den Rücken fielen. Kein Wunder, dass die Arme auf den Namen "Raith" und alles, was damit zu tun hat, so allergisch reagiert…

Ich glaube, ich gehe jetzt erst mal einen längeren Spaziergang machen oder gleich halbwegs richtig wandern. Die Natur hier ist jedenfalls atemberaubend schön, und ganz unterschiedliche Tiere soll man auch beobachten können.

---

Die Jungs sind von der Insel zurück. Und wie erwartet, ist Wizard Island magisch. Also wirklich stark magisch und mächtig und so. Die drei waren gar nicht so lange drüben, aber sie haben in der kurzen Zeit zwei Ritualplätze gefunden: einen sehr offensichtlichen und schon ziemlich verbrauchten, aber auch einen versteckteren, reineren, anscheinend nur sehr wenig genutzten. Die jungen Leute werden Roberto und Edward natürlich zu dem offenen Platz lotsen. Da wir ja ohnehin nicht so wirklich wollen, dass das Ritual so richtig mächtig und in vollem Umfang klappen soll, ist ein verbrauchter, ausgelutschter Ritualplatz dafür eigentlich genau das Richtige. Wenn wir allerdings in die Verlegenheit kommen sollten, etwas Eigenes zu veranstalten, wäre der versteckte, weniger benutzte Ort natürlich besser geeignet.

Oh, meine Spazier-Wanderung (richtige Wanderausrüstung habe ich ja nicht dabei) war übrigens richtig schön. Ich habe unterschiedliche Vögel gesehen, darunter sogar einen Adler in der Ferne (glaube ich, kann es aber nicht beschwören), unzählige Streifenhörnchen, Kaninchen und zwei Rehe. Bären oder Wölfe sind mir keine begegnet, worüber ich auch recht froh bin, ehrlich gesagt.

---

Eben hat Edward nochmal mit Miss Gruber geredet, wohlweislich ohne Totilas oder meine Begleitung. Wir hatten ja von unserer katastrophalen Begegnung mit der Österreicherin erzählt und erwähnt, dass sie im White Council sitzt, und so hielt Edward das für eine gute Gelegenheit, endlich mal ein wenig mehr über den Rat der Magier zu erfahren. Von Vanessa hörte Edward, dass der White Council nur sogenannte "Vollmagier" aufnimmt, also solche mit viel magischem Talent in mehr als einem Bereich. Solange unser Freund also "nur" Ritualmagie beherrscht, wird er weder in den White Council aufgenommen noch von dessen Angehörigen für voll genommen werden.

Kurz erwähnte Edward wohl auch sein Telefonat vom letzten Herbst mit diesem unsympathischen Magier aus Chicago, aber Vanessa kannte ihn nicht. Auch meinte Vanessa, darauf angesprochen, in Österreich und Europa sei es nicht üblich, dass geringere Praktizierer Steuern an den White Council zu zahlen haben, aber eigentlich sei das gar keine schlechte Idee, über die man vielleicht nachdenken solle. Immerhin müsse man den Krieg gegen den Red Court ja finanzieren.
Hmpf. Auch eine Einstellung. Aber hey, Vanessa hat selbst zugegeben, dass sie bis vor kurzem eigentlich auch die typische arrogante Einstellung des durchschnittlichen White Council-Magiers gehabt habe und erst die traumatisierenden Kriegserlebnisse kürzlich sie eines Besseren belehrt hätten. Irgendwie scheint sie ja doch ganz nett zu sein, wenn man sie lässt.
« Letzte Änderung: 27.07.2017 | 22:48 von Timberwere »
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Ricardos Tagebuch: Vignette 2

Zurück von der Insel. Oh Mann.

Roberto und Edward haben ja die fünf jungen Autoren zu ihrem Ritual begleitet und sie natürlich zu dem offensichtlichen, verbrauchten Ort geführt. Alex und ich fuhren in einem zweiten Boot hinterher und gingen auf Wizard Island ebenfalls an Land, um die Dinge im Auge behalten zu können. Auch Ms. Gruber ließ sich das nicht nehmen – sie folgte in einiger Entfernung auf einer Art, hm, wie nenne ich das, magischen Wasserskiern.
Am Ritualplatz konnten wir sehen, wie die anderen erst einmal eine Weile diskutierten, bis sie sich schließlich einigten und das Ritual begannen.

Ich kenne mich inzwischen genug mit solchen Sachen aus, um auch aus der Ferne zu erkennen, wann der Hokuspokus beendet war und die Wirkung einsetzte... und die war, obgleich keine nach außen ersichtliche Magie passierte, ziemlich heftig. Die Ritual-Handlung endete, die jungen Leute sahen sich stirnrunzelnd um, weil eben nichts Offensichtliches geschehen war – und dann schrie Edie plötzlich auf und rannte mit schreckerfülltem Gesicht davon, Leyla riss die Augen auf und zog sich schleunigst von der Lichtung zurück, und auch drei jungen Männer wirkten verstört. Jeff, der Besitzer des kleinen Hundes, der Edward so ins Herz geschlossen hat, brach an Ort und Stelle schreiend zusammen.

Natürlich eilten Alex und ich hin, als die Sache so aus dem Ruder lief, aber es war Ms. Gruber, die das Ganze beendete.  Sie hatte schon vorher mit ihrer Magie unheimliche Wolken am Himmel erscheinen lassen; nun ließ sie es regnen, und das fließende Wasser unterbrach, was auch immer da am Laufen war, höchst effizient.

Alex fand Leyla in ihrem Versteck, und ich schnappte mir Edie, ehe sie noch stolperte und von einem Felsen fiel oder sowas. Dann versuchte ich sie zu beruhigen, so gut es ging – das arme Mädchen stand völlig unter Schock und klammerte sich an mich und wollte sich erst gar nicht beruhigen. Sie stammelte unzusammenhängend von den schrecklichen Dingen, die sie plötzlich gesehen habe: Edward habe ausgesehen wie eine wilde Bestie, und ihre Freunde hätten auch ganz seltsam gewirkt. Danny habe ausgesehen wie ein Baum, Jeff sei verwundet und blutüberströmt gewesen, und Colbys Gesicht sei ganz verzerrt gewesen, mit einem riesigen Maul in einem kleinen, verkniffenen Gesicht.

Für mich klang das schwer danach, was Roberto von seinen Erfahrungen mit der „Sight“ im Laufe der Zeit so erzählt hat, aber davon sagte ich Edie natürlich nichts, und irgendwann beruhigte sie sich ein wenig und begann, das Gesehene mit Drogen zu rationalisieren. Dennoch war sie weiterhin noch ziemlich verstört und blieb schutzsuchend in meiner Nähe. Beim Abendessen setzte sie sich dann auch neben mich – was Elena gar nicht gefiel, so schien es mir; zumindest deutete ich ihre verstohlenen Blicke so.

Leyla hingegen war beim Abendessen schon wieder ganz die alte, hatte sich erstaunlich schnell von dem Schock erholt. Jeff war mit seinem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus gebracht worden, und Danny redete seitdem nur noch davon, ein Baum zu sein. Der stand barfuß draußen und wollte sich mit der Erde verwurzeln, bis wir ihn zum Abendessen hereinholten.

Während wir draußen unterwegs waren, ist noch etwas Seltsames passiert. Kirsty McGregor hat sich den Arm gebrochen, konnte aber gar nicht mehr sagen, wann genau und unter welchen Umständen. Und auch von den anderen wusste es niemand. Höchst eigenartig.

Oh, und beim Abendessen betrachtete Roberto Elena durch die „Sight“. Auf dieser Ebene gesehen, hatte sie gemalte Augen und war mit ihrem Block und ihrem Zeichenstift verbunden. Unter ihrer Haut lief schwarze Tinte entlang wie Blut in ihren Adern, und ihr Malblock wirkte sehr real, während Elena selbst blass erschien. Sehr beunruhigend. Und irgendwie genau das, was wir befürchtet hatten: Sie steht unter dem Einfluss ihres Malblocks.

Es war übrigens tatsächlich die „Sight“, was bei dem Ritual auf der Insel geschehen war, bekräftigten Roberto und Edward: Man hatte noch herumdiskutiert, wie genau man das Ritual durchführen wolle, und sich schließlich auf die vermeintlich harmloseste Variante geeinigt: etwas, das das „magische Potential“ der Teilnehmer öffnen würde. Dass sich das natürlich in der „Sight“ niederschlagen könnte, daran hatten weder Edward noch Roberto gedacht.

Vanessa Gruber war entsprechend angesäuert. „Ich dachte, ihr geht mit, damit eben nichts passiert? Damit das Ritual fehlschlägt?“ Aber auch auf diese Idee war keiner von uns gekommen, wir hatten immer nur daran gedacht, das Ganze so harmlos zu halten wie möglich. Seufz.

Naja, jetzt ist es leider nicht mehr zu ändern, es ist spät, und es war ein langer Tag. Gute Nacht!

---

15. März. 08:25 Uhr.

Ooookay. Das muss ich jetzt vor dem Frühstück kurz aufschreiben, so viel Zeit muss sein.

Ich habe komisches Zeug geträumt, und dann war George in meinem Traum, und der erzählte mir, Edward habe soeben Roberto umgebracht. Davon wachte ich auf und ging natürlich sofort nachsehen, aber – dem Himmel sei Dank! – alles war in Ordnung. In Robertos Zimmer war alles ruhig, und auch Edward schlief ein wenig unruhig, aber fest. Puh.

Aber ich bin wie gerädert. Ich sehe aus dem Fenster, und draußen ist es neblig. Brrrrr. Passt.

---

Beim Frühstück habe ich den anderen natürlich davon erzählt, und es stellte sich heraus, dass alle so seltsam geträumt hatten. Totilas muss sehr unruhig geschlafen haben, denn er sah ebenso fertig aus, wie ich mich fühle, und er erklärte, er werde jetzt in die Stadt fahren. Obwohl er es nicht aussprach, klang das für mich so, als habe er sich mit seinem Dämon auseinandergesetzt und wolle nun in die Stadt, um sich zu ernähren. Ich glaube, Genaueres will ich gar nicht wissen.

Roberto sah im Traum die gemalten Augen von Elena, und Edward träumte von Roberto, den unheimlichen Wolken, die Ms. Gruber tags zuvor herbeigezaubert hatte, und von der Badewanne mit Erde, in die wir Danny gesetzt hatten, als er meinte, er sei ein Baum. Nur dass im Traum Roberto in der Badewanne lag und Edward ihn gerade erschlagen hatte und er jetzt rief: „Verdammt, Roberto, kompostier' endlich!“

Danke, George. Du bist ein Traumfresser, da sollte man doch meinen, dass du inzwischen so langsam gelernt hast, dass Träume nicht unbedingt immer mit der Realität übereinstimmen. Aber nein, erstmal den guten alten Cardo mit solchen Schocknachrichten aufscheuchen...

Wir saßen noch beim Frühstück, da heulte draußen ein Wolf. Nur dass es kein echter Wolf war, wie Edward erkannte – was Jeffs Hund Snowball allerdings nicht daran hinderte, zurückzuheulen. Was wiederum Edward veranlasste, den kleinen Hund darauf hinzuweisen und dieser, Edwards amüsiertem Gesichtsausdruck zufolge, tatsächlich irgendetwas antwortete. Ich bin jedesmal wieder baff, wenn Edward mit Hunden redet. Langsam müsste ich mich doch eigentlich daran gewöhnt haben.

Kaum jemand hatte so richtig gut geschlafen, stellte sich heraus. Leyla war müde, Colby schlief wohl noch, und auch Edie war nicht im Speisesaal, und Danny saß wieder in seinem Terrakotta-Topf.
Leyla kam zu uns und sprach Edward auf das Wolfsheulen an – sie hatte ihn in der „Sight“ ja als Wolf gesehen –, doch er erklärte ihr trocken, dass er und seine, nennen wir es „Artgenossen“, auch wenn das das falsche Wort ist, nicht auf Geheul angewiesen seien, weil sie Telefone besäßen. Außer, er habe mal wieder ein Telefon kaputtgemacht, setzte er noch hinzu.

Leyla macht sich allerdings große Sorgen um Edie. In ihrem Zimmer ist sie nämlich nicht, und den ganzen Morgen hat sie noch niemand gesehen. Nicht dass es sie ist, die da heult, und das ein Zeichen dafür ist, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Edward und ich gehen jetzt nach ihr suchen.

---

Santísimo padre en el cielo, socorre. Wir haben Edie gefunden. Zu spät.

Wir begannen unsere Suche im Wald, von wo das falsche Wolfsgeheul gekommen war. Edie fanden wir dort nicht, aber dafür an ein seltsames Gebilde aus Holz: ein langer Stamm, beinahe wie ein Mast, in den Boden gesteckt, dekoriert mit Stöcken und Blättern. Das Ganze wirkte, vor allem im Nebel, ziemlich unheimlich und als solle es für ein Ritual dienen, aber Edward stellte fest, dass keine magische Energie dahinter steckte.

Wir gingen weiter, kamen über den Nebel hinaus, der über den Kraterrand und den See gezogen war. Von hier oben hatten wir wieder eine Sicht auf den See, und dort schien es so, als läge da ein Segelschiff im Nebel vor Anker. Ein Segelschiff? Hier? Ah, das war natürlich das „Phantom Ship“, eine Insel, die an eben jener Stelle im See zu finden ist, wo ich das Segel zu sehen geglaubt hatte.

Der falsche Wolf heulte wieder, und ich rief laut nach Edie, erhielt aber keine Reaktion. Ein Stück weiter fanden wir wieder so ein Ast-Blätter-Gebilde, und hier konnte Edward einen Geruch aufnehmen: den von Maggie und Hattie, zwei älteren Damen und Freundinnen unserer Gastgeberin Margo, die ebenfalls das Wochenende auf der Lodge verbringen. Viel hatten wir mit ihnen bisher nicht zu tun, da sie tagsüber immer wandern gehen und entsprechend selten anwesend sind.

Aber dass Edward erwähnte, er könne hier den Geruch der beiden Damen wittern, brachte mich auf eine Idee. Wenn wir schon Edwards gute Nase zur Verfügung haben, konnte er doch damit auch nach Edie suchen!

Allerdings nicht ohne Vorbereitung, dazu wäre die Witterung vermutlich zu schwach. Also gingen wir zurück zur Lodge, wo Edward ein kleines Ritual wirkte, um seinen Geruchssinn zu schärfen. Dort bemerkten wir dann auch, dass sich Leute mit Gewehren in den Wald aufmachten, die den „Wolf“ jagen gehen wollten. Es hatte wenig Sinn, denen zu sagen, dass es kein echter Wolf war, denn die waren schon ein gutes Stück den Weg hinunter, aber das brachte uns dazu, uns Warnwesten aus dem Auto zu holen, damit man uns nicht aus Versehen für Wild hielt.

Während Edward und ich auf der Suche nach Edie waren, wollte Roberto sich übrigens Elenas Bilder ansehen, unauffällig natürlich, aber das klappte leider nicht. Maggie und Hattie haben noch einen jungen Mann dabei, einen Verwandten. Sohn? Neffe? Schwiegerson? Irgendwie sowas. Ich glaube, eine von beiden sagte bei der Vorstellung vorgestern etwas von „Stiefschwiegersohn“, wie auch immer das funktioniert.
Jedenfalls, dieser Typ bemerkte Roberto dabei, wie er Elenas Mappe durchblättern wollte, und stellte ihn zur Rede. Soviel dazu.

Nun also wirkte Edward sein Geruchsverstärkerritual, wobei der kleine Hund Snowball lustigerweise ständig um ihn herumwuselte und das, noch lustigerweise, Edward überhaupt nicht störte. Trotz, oder wegen, der Ablenkung gelang das Unterfangen, und Edward sagte, er habe Edies Geruch fest in der Nase.

Wir, oder besser Edward, folgte der Witterung, die schließlich hinunter zum See führte. Hier, abseits vom Pfad, bemerkte dann auch ich Spuren: die Abdrücke von bloßen Füßen. Da wurde die vage Sorge um Edie zum ersten Mal zu einem richtig, richtig schlechten Gefühl.

Und dann, am Ufer angekommen, sahen wir sie: Edie trieb ausgebreitet im See, von ihrem Haar umweht wie von einer Wolke. Malerisch. Zu malerisch. Wir stürzten uns sofort ins Wasser, holten sie ans Ufer, begannen mit Beatmung, aber es war zu spät. Wir konnten sie nicht mehr retten. Edies Leichnam sah ruhig aus, ernst und gefasst, wie eine Lady in einer mittelalterlichen Ballade. Oder in einem Gemälde.

Natürlich wurde sofort die Polizei verständigt. Alles stand unter Schock – stehen noch, um ehrlich zu sein. Jeder wurde verhört, natürlich. Und alle spekulierten, was denn wohl da geschehen sein mochte. Ein Unfall, dass Edie spazieren gegangen und am Abhang gestürzt war, immerhin gibt es da überall sehr steile Stellen? Selbstmord vielleicht, als Nachwirkung des Rituals, dass Edie das nicht verkraften konnte, was sie am Abend zuvor in der „Sight“ gesehen hatte?

Wobei diese letztere Überlegung nur unsere eigene war, bzw. wir diese Theorie nur mit Vanessa Gruber besprachen. Die hatte ja gestern noch mit Edie gesprochen, aber diese hatte alles verleugnet, was irgendwie nach Magie und Übernatürlichem klang, hatte das alles auf einen Drogentrip geschoben, und zwar sehr vehement, ebenso wie der Vorfall den anderen Gästen als fehlgeschlagenes Drogenexperiment verkauft worden war. Und so war ein verbleibender Drogeneinfluss tatsächlich auch für die Polizei und die übrigen Lodge-Besucher die wahrscheinlichste Todesursache. Mit diesem Urteil zogen die Beamten dann auch erst einmal wieder ab. Colby nahmen sie allerdings mit, da der, noch vom Ritual verstört, sich so seltsam benahm. Immerhin scheint der Vorfall Danny aus seiner „Ich bin ein Baum“-Phase gerissen zu haben, was nur ein schwacher Trost ist, aber wenigstens etwas. Ich bin selbst auch noch ziemlich aufgerüttelt, deswegen habe ich mich zum Schreiben zurückgezogen. Vielleicht beruhigt mich das ein bisschen.

---

Eben hat Roberto uns alle – bis auf Totilas, der noch unterwegs ist – zusammengetrommelt, mit einer üblen Nachricht.

Maggie und Hattie, Margos ältere Freundinnen, kamen von ihrer Wanderung zurück, gerade als die Polizei uns alle vernahm.
Und Roberto hatte plötzlich einen Einfall, eine Art Intuition, die ihn dazu brachte, sich die beiden rüstigen alten Damen einmal in der „Sight“ anzusehen. Wir waren ja dabei, und für uns sah es in dem Moment so aus, als lege Hattie ihm tröstend die Hand auf den Arm. Aber für Roberto, in der „Sight“, waren es Klauen, die nach ihm griffen, und die alten Damen Hexen, Baba Yagas, wie Roberto sagte.

Von diesem neuen, erschreckenden Wissen ausgehend, untersuchten wir die Baumgebilde im Wald noch einmal, und Alex stellte fest, dass tatsächlich die beiden Rentnerinnen die Dinger aufgestellt hatten. Auch waren sie es wohl, die das Wolfsgeheul imitierten, vermutlich, um eine gruselige Stimmung zu verbreiten.

Oh Mann. Sollten die beiden etwas mit Edies Tod zu tun haben? Oder doch Elena? Immerhin vermuten wir ja schon seit gestern, dass sie irgendwie die Dinge, die sie zeichnet, wahr werden lassen kann. Wie schwer wäre es ihr gewesen, ein Bild von Edie tot im See zu malen, das dann irgendwie in Erfüllung gegangen ist? Und sie sah nicht sehr glücklich aus, dass ich gestern Abend nach dem Ritual so viel Zeit mit Edie verbrachte, um sie nach ihrem Schock zu beruhigen...
Aber – ¡Dios no lo quiera! – wenn es Elena war, weiß sie dann, was sie tut? Sie steht ja selbst auch bereits unter dem Einfluss ihres Malblocks...

Ich muss mit Elena reden. Vielleicht kann ich etwas herausfinden. Oder wenigstens mir ihre Bilder mal ansehen. Wir hatten ja ausgemacht, dass sie mir ihre Entwürfe für Indian Summer zeigen will, also wird es noch nicht einmal auffallen, wenn ich das Thema auf ihre Zeichnungen bringe. Roberto will den Aufpasser spielen – sprich, er geht unabhängig von mir in den Salon, um dort zu lesen, und für Elena und mich ist das auch der natürliche Ort, um sich ihre Bilder anzusehen. Ich hoffe ja, Robertos Vorsicht ist unnötig. Aber selbst wenn ich bisweilen ein bisschen naiv sein mag: So naiv, dass ich sein Angebot ablehnen würde, bin ich nicht.

---

Ich habe die Bilder gesehen. Und ja, Elena kann unglaublich gut zeichnen. Aber es war irgendwie schon ein bisschen beunruhigend, dass auf allen Bildern Eric Albarn so aussah wie ich. Während ich so durch die Zeichnungen blätterte – ihren Malblock hatte Elena natürlich auch dabei, sie scheint ja nirgendwo ohne den hinzugehen, aber den gab sie nicht aus der Hand, sondern zeigte mir nur ihre Mappe – kam ich auf einmal an einige Blätter, von denen Elena anscheinend gar nicht mehr gewusst hatte, dass sie ebenfalls in der Mappe lagen. Es waren Zeichnungen von Eric Albarn, also von mir im Prinzip, und von dem Schauspieler Orlando Bloom, genauer gesagt, von dem von ihm im Herrn der Ringe gespielten Charakter Legolas. Und die beiden Charaktere auf den Bildern ... ähm. Bei von Fans geschriebenen Kurzgeschichten nennt man das wohl "Slash-Fiction", dann muss das hier "Slash-Art" gewesen sein.

Madre de Dios, es war ja sogar mir ein bisschen peinlich, diese höchst privaten Bilder gesehen zu haben. Aber Elena erst! Als sie merkte, was ich mir da ansah, quiekte sie wie ein Teenager, lief blutrot an und rannte davon. Die Mappe vergaß sie in ihrer Bestürzung.

Es hätte keinen Sinn gehabt, ihr in diesem Moment nachzulaufen, glaube ich, und ich wollte ja ohnehin in den Zeichnungen nach einem Anhaltspunkt suchen. Also habe ich mir den Rest der Mappe auch noch angesehen. Irgendwelche Motive, die mit dem zu tun hatten, was Edie geschehen ist, habe ich nicht gesehen, was für die Theorie spricht, dass Elena – wenn sie diejenige ist – diese Zeichnungen nur in ihrem Malblock hat.

Aber etwas anderes habe ich gesehen. Unter den Entwürfen für Indian Summer war auch ein Bild vom Showdown in der Westernstadt. Und die Zeichnung war haargenau eine Abbildung des Filmsets vom letzten Frühjahr. Nun war das Filmset ja relativ genau nach dem Buch erstellt worden, aber es waren einige Elemente im Buch nicht explizit beschrieben, die aber beim Dreh zu sehen waren, und auch die hatte Elena auf ihrer Zeichnung verewigt. Allen voran das Totem, hinter dem die Bucas her waren, und dessen Aussehen ich im Buch nie genau ausformuliert hatte. Aber Elena hatte genau das Totem aus dem Film gezeichnet, und davon konnte sie nichts wissen. Mierda.

Während ich Roberto noch davon erzählte und ihm die Zeichnung vom Filmset zeigte, kamen Hattie und Maggie herein und brachten selbstgebackenen Apfelkuchen. „Zum Trost nach dem tragischen Vorfall“, wie sie sagten. In unserem Wissen um die beiden nahmen wir uns zwar ein Stück, taten aber nur so, als würden wir davon essen, und nahmen den Rest „für später“ mit. Alle anderen jedoch schlugen mit Begeisterung zu, und die beiden alten Damen wirkten glücklich, dass ihr Kuchen solchen Anklang fand.

Sobald wir konnten, zogen Roberto und ich uns zurück, um die anderen zu suchen und ihnen Bericht zu erstatten. Alex hatte inzwischen aus Robertos Aftershave einen Brandbeschleuniger gebastelt, als „Plan B“, falls Elenas Malblock schnell Feuer fangen müsse. Den Feuerlöscher hatte er auch gleich aus dem Bus geholt und bereit gemacht. Sicher ist sicher.

Roberto und Edward untersuchten den Kuchen, allerdings nicht über Robertos „Sight“, sondern per magisch-chemischer Analyse. Der Kuchen ist nicht giftig, stellten sie fest, aber er macht den Essenden empfänglicher für Einflüsterungen und Beeinflussung aller Art.

Über diesen Fund, und über die Tatsache, dass die beiden Rentnerinnen Hexen sind, informierten wir umgehend Ms. Gruber. Vanessa reinigte sich magisch von dem Kuchen und beteiligte sich dann an unserem Rätselraten. Planen die Hexen etwa ein Ritual auf Wizard Island? Weiß Elena, was sie tut, oder steht sie unter dem Einfluss der beiden alten Damen, oder ihres Malblocks, oder beider? Wir wissen es nicht, wir können es nur vermuten.

Irgendwann kam dann auch Margo zurück aus der Stadt, wo sie ja beim Arzt gewesen war, und wurde über die neuesten Entwicklungen informiert. Über Edies Tod war sie natürlich völlig geschockt. Ich sprach kurz mit ihr, fragte sie nach ihrer Beziehung zu Maggie und Hattie. Die beiden hätten ihr die Lodge empfohlen, sagte sie. Und „Die sind echt lieb.“ Aber wie sie das sagte, klang heruntergeleiert. Auswendig gelernt. Ein Automatismus.

Das Abendessen kochte übrigens Alex, ein Chili con Carne – oder, in seinen Worten, ein Chili con Durchfall. Wir selbst haben natürlich nichts davon gegessen, sondern wieder nur getan, als ob, aber so hoffen wir, den magischen Apfelkuchen aus den anderen herauszubekommen. Nicht dass die Hexen in der Nacht die ganze Belegschaft auf Wizard Island locken wollen.

Totilas ist noch nicht wieder da, aber wenn der bis Eugene gefahren sein sollte statt nur bis Klamath Falls, ist das auch kein Wunder.
« Letzte Änderung: 27.03.2015 | 18:24 von Timberwere »
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16. März, morgens.

Ich habe schon wieder so seltsam geträumt. Diesmal war George, der kleine burro, nicht involviert, stattdessen hatte ich das Gefühl, irgendetwas greift nach mir. Muss wohl eine Folge der Ereignisse gestern und der ganzen Gruselstimmung hier sein. Erstmal frühstücken gehen und einen Kaffee trinken, dann wird es bestimmt besser.

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BOAH!!!

Dieser elende Besserwisser! Das geht mir so auf die Nerven! Ernsthaft jetzt!

Nicht mal in Ruhe sein Frühstück essen kann man. Ich wollte doch nichts weiter als einfach nur meinen Kaffee trinken. Aber nein, Roberto muss ankommen, mit diesem bescheuerten näselnden und überheblichen Tonfall, den er immer draufhat, wenn er denkt, er weiß alles, und wir anderen sind kleine Hosenscheißer: „Und was machen wir jeeeetzt?“ Mit diesem oberlehrerhaften Frageton am Ende, als wisse er es natürlich schon ganz genau, wolle es aber von seinen minderbemittelten Schülern nochmal hören. Boah, dieser bescheuerte sabelotodo!

Und als ich mich wehrte, hauten Alex und Edward natürlich voll in dieselbe Kerbe. Na klasse. Gerade von Edward hätte ich das nicht gedacht. Aber der war heute morgen eh so grummelig, noch viel grummeliger als sonst. Gah! Das hab ich grad noch gebraucht. ¡De verdad, eso me pone los nervios de punta!

Ich brauche jetzt erstmal frische Luft. GAH!

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Ich habe einen Spaziergang gemacht. Mit Elena. Dass die anderen so bescheuert drauf sind, muss mich ja nicht daran hindern, der Sache weiter nachzugehen und versuchen, mehr über sie und ihre magischen Zeichenkünste herauszufinden.

Wobei es eher Zufall war, ich habe sie nicht absichtlich gesucht. Aber sie saß da auf einem Felsen und zeichnete, und da habe ich die Gelegenheit genutzt und bin zu ihr hin. Dummerweise konnte ich nicht sehen, was genau sie da malte, aber bei einem Spaziergang, dachte ich, würde sich ja vielleicht die Gelegenheit ergeben, etwas aus ihr rauszubekommen.

Der Spaziergang war eigentlich ziemlich nett. Wir unterhielten uns über alles Mögliche: über die Lesereise diese und nächste Woche, über die Gegend hier, die Wanderung, die ich gestern unternommen habe, die Tiere, die ich dabei sah. Elena meinte, es solle hier einen Adler geben, und ich antwortete, ich hätte aus der Ferne einen großen Vogel gesehen, aber ich wisse nicht, ob es der Adler gewesen sei oder etwas anderes.

Da fragte sie mich, ob ich den Adler gerne aus der Nähe sehen würde, und ich meinte, klar, das wäre schon toll. Da lächelte sie mich an und setzte sich auf einen Baumstumpf, holte ihren Malblock heraus und fing an zu zeichnen. Und diesmal konnte ich ihr über die Schulter sehen, was sie da machte: Mit schnellen, geschickten Strichen erweckte sie den See zum Leben, den Weg, ihre sitzende Gestalt auf dem Baumstumpf und meine stehende daneben – und dann zeichnete sie im Himmel über uns einen Adler hin, der majestätisch über dem See in unsere Richtung schwebte.

Und kaum hatte sie den letzten Strich gesetzt, hörten wir ein heiseres Kreischen, und aus der Ferne kam der Adler herangeflogen, kreiste mehrmals über unseren Köpfen, dass man ihn richtig gut sehen konnte. Da hatte ich also meinen Beweis: Elena kann Dinge wahr-zeichnen.

Ich fragte sie dazu ein paar Sachen, vorsichtig, um sie nicht zu alarmieren, aber dass sie das konnte, war ja nun offensichtlich. Elena meinte, sie könne das schon eine Weile, und sie würde das irgendwie in sich spüren.
Ich wollte sie noch detaillierter dazu befragen, aber das klappte nicht. Denn ich hatte gerade die nächste Frage auf der Zunge, da hörten wir Stimmen, und auf dem Weg erschienen... wer sonst als die Jungs.

Boah, nerv! Ausgerechnet! Gerade, wo ich Elena soweit hatte, dass sie ein bisschen am Auftauen war und mal den Mund aufmachte! Schlechter hätte deren Timing echt nicht sein können, und wenn sie es darauf angelegt hätten! Und überhaupt, wie hatten die uns hier gefunden? Hatten die mich etwa verfolgt?! Was fällt denen ein!

Roberto bekam diesen komischen Blick, den er immer hat, wenn er seine „Sight“ aufmacht. Und mit diesem Blick sah er mich an. Betrachtete der mich etwa in der „Sight“?! Wollte der etwa irgendwelche Geheimnisse über mich herausfinden oder was? Das wurde ja immer besser!

Elena hatte natürlich sofort dichtgemacht und bekam keinen Ton mehr heraus. Also wimmelte ich die Jungs schleunigst ab – meine Meinung sagte ich ihnen dabei auch gleich mit – und zog mit Elena weiter. Mann, was war ich erleichtert, als die anderen endlich außer Sicht waren!

Ich wollte das Gespräch wieder auf Elenas Zeichenkünste bringen, aber der Moment war vorüber. Mierda.
Statt dessen schaute sie über den See, kein Nebel heute, und machte eine Bemerkung wegen des unglaublich blauen Wassers – ein Ablenkungsmanöver, ganz klar.

Während wir so den See betrachteten, sahen wir Danny, der in einem Ruderboot zum Phantom Ship unterwegs war, dieser anderen Insel im See. Elena lächelte mich an und meinte, dort sei es total spannend, und ob wir nicht auch hin wollten. Warum nicht – dorthin würden die anderen mir wenigstens nicht nachkommen!

Ja denkste. Auf dem Weg zum Anlegesteg, wo das zweite Boot vertäut war, sahen wir prompt die Jungs ebenfalls in dieselbe Richtung stiefeln. Können die mich nicht mal eine Minute in Ruhe lassen?! Ich beschleunigte meine Schritte, Elena tat es mir gleich, und so kamen wir vor den Nervensägen am Boot an. Hah. Wenn sie partout auch auf den See hinaus wollten, sollten sie doch schwimmen! Aber sie drehten ab, als sie sahen, dass wir das Boot zuerst erreichten. Ich wiederhole mich, aber: Hah.

Als wir am Phantom Ship anlegten, lag Dannys Boot bereits in einer der kleinen Buchten. Wir jedoch fuhren einmal um  das Inselchen herum auf die andere Seite, wo es einen besseren Landeplatz gab, wie Elena sagte. Während wir um die Spitze ruderten, sahen wir, dass die Jungs sich irgendwo ein drittes Boot besorgt haben mussten – es sah verdächtig nach einem Gummiboot aus. Mann, ernsthaft jetzt!? Wollen die mir jetzt wirklich auf Schritt und Tritt auf der Pelle hängen? Langsam macht mich das echt wütend.

Aber von dem anderen Landeplatz aus waren weder das Gummiboot noch Dannys Jolle zu sehen, und Elena führte mich auf einem kleinen Pfad die Felsen hoch, wo wir eine perfekte Aussicht über den See hatten, ohne von irgendwem gestört zu werden. Elena setzte sich auf einen abgeflachten Felsen und klopfte mit der flachen Hand auf den Stein neben sich, seufzte zufrieden. Ich jedoch hatte irgendwie ein richtig ungutes Gefühl bei der Sache, als würden sich all meine Nackenhaare aufstellen oder so.

Elena merkte das. Sie lächelte mich an und meinte, ich solle mich für die Insel öffnen, das sei eine tolle Erfahrung, die ihr echt geholfen habe. Aber... nein. Nein, danke. Ich tat, was ich konnte, um mich gegen jegliche Art geistiger Öffnung zu wehren, auch wenn Elena mit einem „entspann dich doch, alles ist gut!“ anfing, mir die Schultern und die Schläfen zu massieren. Irgendwas gefiel mir an der Insel ganz und gar nicht.

Als Elena erkannte, dass ihre Massage nichts brachte, schlug sie vor, mir doch ein Bild aus dieser Perspektive zu zeichnen, ein Bild vom See mit dem Phantom Ship darauf, damit ich einen anderen Eindruck davon bekäme. Aber nein, auch das wollte ich nicht, denn ich wusste ja jetzt, dass Elena Dinge herbeizeichnen kann, die dann wahr werden, und ich hatte den übermächtigen Drang, das auf keinen Fall zuzulassen, mein ungutes Gefühl von der Insel nicht zu verlieren.

Glücklicherweise gelang es mir, sie umzustimmen und vorzuschlagen, dass sie doch besser diese eine Szene aus dem Buch zeichnen solle, über die wir uns vorgestern abend noch unterhalten hatten. Dazu sollten wir aber besser von der Insel runter, erklärte ich, denn hier auf dem Felsen zu sitzen zum Zeichnen sei doch arg unbequem. Und puh, was war ich erleichtert, als wir das Phantom Ship verließen und zum Ufer zurückruderten.

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BOAH!!! Das schlägt wirklich und wahrhaftig dem Fass den Boden aus. Was bin ich wütend!!!

Eben war Margo bei mir. Sie hatte einen ganz seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht, als sie zu mir kam und mich ansprach. Und dann meinte sie, meine Freunde wollten mich auf die Insel lotsen, und sie hätten sie eigentlich gebeten, nichts zu sagen, aber immerhin sei ja ich ihr Gast und die anderen nur meine Begleiter, und deswegen sei es nur fair, mir die Wahrheit zu sagen.

Einen Moment lang starrte ich sie nur an, wort- und verständnislos. Was hatten diese payasos jetzt wieder vor?

Also holte Margo etwas weiter aus. Roberto war zu ihr gekommen und hatte etwas von einem „Zwist mit unserem Freund“ gesagt (Zwist? Hah, dass ich nicht lache! Die benehmen sich schon den ganzen Tag vollkommen unmöglich! Soll man da etwa nicht aus der Haut fahren?) und dass Margo ihn doch bitte unter einem Vorwand auf Wizard Island bringen solle zwecks Versöhnung.

Margo – die bei Robertos Worten davon ausging, dass dieser Edward meinte – ging zu dem und bat ihn, ihr zu helfen, weil sie auf der Insel ein Abschieds-Grillfest veranstalten wolle und jemanden brauche, der mit ihr zusammen die Sachen hinbringe. Edward habe sie daraufhin gebeten, auch mich zu dem Grillfest mitzubringen, ich „sei so seltsam drauf“. Hah.

Sie verabredeten sich dann für den frühen Abend, um die Sachen für das „Grillfest“ hinüberzurudern, aber kurze Zeit später kam Roberto nochmal zu Margo und erklärte ihr, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe, dass ich es sei, der das Problem darstelle. HAH!

Und das war dann eben der Moment, in dem Margo zu mir kam und mir alles erzählte. Sie fragte auch, ob sie die Jungs ausladen solle, denn, wie gesagt, immerhin sei ich der Gast hier, und wenn meine Freunde mir Schwierigkeiten machten, könne sie ohne weiteres von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und sie der Lodge verweisen.

Einen Moment lang war ich auch echt in Versuchung, von dem Angebot Gebrauch zu machen, aber, so schwer es mir fiel, schüttelte ich dann doch den Kopf. Es war ja nur noch für heute, dachte ich, morgen früh ist die Abreise, und so lange würde ich denen einfach aus dem Weg gehen.

Aber ich bat Margo, mir einen Mietwagen zu besorgen. Kommt nicht infrage, dass ich morgen mit den anderen im Bus fahre. Und ich fragte, ob ich vielleicht für die letzte Nacht in eine andere Hütte umziehen könne, da ich auf gar keinen Fall noch eine weitere Nacht mit diesen Deppen unter einem Dach verbringen will. Vielleicht lassen mich Leyla und Danny zu sich. In deren Blockhaus ist ja jetzt Platz.

Margo sagte, sie werde alles einrichten, und zog wieder ab. Ich hingegen ging in unsere Hütte, um meine Sachen zu holen – und stellte fest, dass mein Tagebuch weg ist, ebenso wie die Mappe mit Elenas Zeichnungen! Diese Mistkerle haben mein Tagebuch gestohlen!! Dazu haben sie kein Recht!! Ich bin so wütend!!! Das hier schreibe ich jetzt gerade auf loses Papier, ich musste es einfach loswerden. Aber BOAH!! Wie können sie es wagen!!! Und ich dachte wirklich mal, das seien meine Freunde!

Ich gehe jetzt und hole mir mein Tagebuch wieder.

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O madre mia. Was für eine verfahrene mierda.

Bei meiner Suche fand ich zunächst nur Roberto, den ich voller gerechtem Zorn anschrie, wo mein Tagebuch und Elenas Mappe seien. Er jedoch, was mich nur noch viel mehr auf die Palme brachte, blieb ganz ruhig und meinte, ich solle halt mitkommen, dann würde ich meine Sachen wiederbekommen.

Ich kochte förmlich vor Wut, folgte ihm aber zum Boot, und wir ruderten zum Wizard Island hinüber, wo ich gar nicht groß wartete, sondern aufgebracht den Pfad hinaufstapfte, Roberto dicht hinter mir.

Edward und Alex waren an dem versteckten, unverbrauchten Ritualplatz, den die drei bei ihrem ersten Besuch auf der Insel entdeckt hatten. Irgendwie wunderte es mich gar nicht, dass sie da irgendein Ritual vorbereiteten. Sie hatten einen Kreis gezogen, und darin lagen, das sah ich auf den ersten Blick, neben ein paar anderen Sachen mein Tagebuch und Elenas Zeichenmappe.

Ich stürmte natürlich sofort auf meine Sachen zu – da lag noch ein Foto von uns allen, stellte ich im Näherkommen fest, außerdem ein Donut. Und in dem Moment, als ich den Kreis betrat, fing Roberto an zu singen – da erkannte ich noch nicht, was es war; erst vorhin fiel mir dann wieder ein, woher ich das Stück kenne. Es war die Titelmelodie der Zeichentrickserie „My Little Pony – Friendship is Magic“, die Alejandra so gerne sieht. Alex hatte ein Feuerzeug in der Hand und verbrannte sich gerade den Unterarm, und auch Edward war gerade dabei, sich selbst einen Schnitt zu versetzen, während er seine magische Ritualformel sprach. Was zum...?

Und dann, plötzlich, war es, als mache es 'Plopp' in meinem Kopf, so ähnlich, wie wenn einem im Flugzeug die Ohren verstopfen und man schlucken muss und erst dann plötzlich wieder alles hört. Und ich erkannte, dass meine Abneigung gegen die Jungs künstlich herbeigeführt worden war, dass Elena irgendwas mit mir gemacht hatte, um mir diesen Hass auf meine Freunde einzupflanzen.

Die drei erzählten mir, dass ihnen irgendwann im Laufe des Vormittags der Verdacht gekommen sei, dass Elena mich beeinflusst haben könne. Daraufhin hatten sie dann zunächst mit Vanessa geredet und der Elenas Aussehen in der „Sight“ beschrieben, was diese zu großer Sorge veranlasste, dann gingen sie mich suchen. Als wir während des Spaziergangs aufeinandertrafen, hat Roberto mich tatsächlich in der „Sight“ betrachtet und festgestellt, dass ich ein Stirnband aus Dornen trug, das irgendwie mit einem Bild der Jungs verbunden war, dass Elenas Hände klauenartig nach mir griffen und ihr Stift an mir klebte, ja schon beinahe in mir steckte. Daraufhin planten sie dann eben das Ritual, um mich von der Beeinflussung zu befreien.

Das Fiese ist nur... obwohl ich jetzt weiß, dass die Abneigung künstlich ist, ist sie nicht verschwunden. Ich sehe die Jungs an und verspüre noch immer nichts als Widerwillen und Antipathie, und das einzige, was ich tun kann, ist mit meinem Verstand dagegen anzukämpfen, weil ich weiß, dass es nicht echt ist.

Mit dem Phantom Ship stimmt tatsächlich etwas nicht, erzählten die Jungs noch. Alex hat gespürt, dass die Grenze zum Nevernever dort dünner ist und etwas dahinter lauert, das nicht gut ist. Als sei ein schlafendes Monster gerade dabei, sich zu regen, als sei etwas Böses gerade am Erwachen. Und die Düsternis, die Edward gestern gespürt hat, kam, kommt, von dort.

Alex gab mir noch seinen Brandbeschleuniger für den Fall, dass Elenas Block schnell brennen müsse. Der gegenüber darf ich mir natürlich nichts anmerken lassen; sie muss denken, dass ich weiterhin voll unter ihrem Einfluss stehe, sonst kommt sie noch auf die Idee, etwas Neues, Schlimmeres, für mich zu zeichnen.

Wieder an Land habe mich erst einmal abgesetzt, und zwar tatsächlich in Leylas und Dannys Hütte. Und auch den Mietwagen werde ich nicht abbestellen. Denn wie gesagt, die Antipathie gegenüber den Jungs ist noch immer vorhanden, obwohl ich weiß, dass sie nicht echt ist, und ich muss denen jetzt einfach eine Weile aus dem Weg gehen.

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Eben beim Abendessen habe ich mich zu Kirsty McGregor und Michael Stackpole gesetzt und hatte endlich mal die Gelegenheit, ein bisschen ausführlicher mit denen zu reden. Das war fein, das hätte ich während des Wochenendes mal schon viel eher machen sollen.

Das Seltsame war nur: Kirstys Arm war wieder völlig in Ordnung, und sie hatte auch keinerlei Erinnerung daran, dass etwas damit nicht gestimmt hatte. Muy curioso.

Ich gab dann Barry noch ein Autogramm für dessen Frau und Tochter, und Edward ließ sich zu meiner Überraschung ein Autogramm von Kirsty McGregor geben. Erst dann fiel mir ein, dass Edward bei der ersten Erwähnung ihres Namens in der Vorbereitung auf diese Reise mal gesagt hatte, den Namen kenne er, Cherie lese ihre Bücher recht gerne. Ob er mit dem Autogramm versuchen will, Cherie zurückzugewinnen?
Außerdem sah ich von weitem, wie Edward und Vanessa jeder etwas aufschrieben und die Zettel dann austauschten. Adressen? Telefonnummern? Die Warden zum Kontakt zu haben, kann sicherlich nicht schaden.

Elena war nicht so glücklich darüber, dass ich mich anderen Leuten widmete als ihr selbst, aber sie sagte nichts deswegen. Und ich hütete mich, ihr zu zeigen, dass sich etwas geändert hat; ich ging den Jungs weiterhin nach Kräften aus dem Weg. Was mir, wie bereits erwähnt, nicht sonderlich schwer fiel.

Den Abend werde ich wohl einfach mit Kirsty und Mike im Salon verbringen und Autorengespräche führen.

Da! Eben kamen Maggie und Hattie zu Elena und redeten mir ihr. Sie sahen verstohlen zu mir hinüber und tätschelten ihr die Hand, und dann gingen alle drei.

Warte, Alcazár, warte... gib ihnen einen kleinen Vorsprung und dann hinterher!
« Letzte Änderung: 29.03.2015 | 01:30 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Oh Mann. Wo anfangen. Am besten einfach der Reihe nach; vielleicht... vielleicht hilft das, die Gedanken etwas klar zu bekommen. Aber ich glaube nicht so recht daran.

Ich folgte den drei Hexen bis zur Lodge der beiden alten Damen. (Die Jungs hatten mir übrigens auf der Insel noch erzählt, dass sich Vanessa Gruber die beiden Rentnerinnen in der „Sight“ angesehen und als echte Warlocks identifiziert hat, die definitiv etwas planten.) Aus der Hütte kam deren Stiefschwiegersohn – dessen Namen ich nie erfahren habe, glaube ich – und gingen in Richtung See.

Die anderen, die Vanessa suchen gegangen waren, als die drei Hexen den Salon verließen, hatten diese inzwischen gefunden, denn auf dem Weg zum See stießen sie zu mir, und wir verfolgten die drei weiter. Erst waren wir relativ unauffällig, aber je näher wir dem See kamen, um so unruhiger wurde Ms. Gruber. „Wir sollten sie keinesfalls auf die Insel lassen“, erklärte sie und hob ihren mit Muscheln besetzten Magierstab.

Dass Vanessa sich auf Wassermagie spezialisiert hat, das war uns ja schon vorher aufgefallen, und auch jetzt wirkte sie wieder einen entsprechenden Zauber: Mit einer Wasserhose zerstörte sie das Boot.

Als die beiden alten Damen sahen, dass ihr Transportmittel unbrauchbar geworden war, fauchten sie wütend auf und fletschten die Zähne, und wir konnten sehen, dass es ganz eigenartige, tierhafte Reißzähne waren.

Elena riss ihren Malblock hoch und begann im Stehen zu zeichnen. Wir durften keinesfalls zulassen, dass das, was sie da malte, Wirklichkeit wurde, also übergoss ich den Block schnell mit dem Brandbeschleuniger, den Alex mir gegeben hatte, und Roberto, direkt neben mir, zündete die Seiten an.

Indessen rannte der Schwiegersohn zu Vanessa, wurde aber von dieser verletzt. Auch Edward stürmte zu dem großen Kerl hin, zog ihn von Vanessa weg und begann, ihn zu verprügeln.

Die beiden alten Hexen lachten böse und pusteten irgendetwas in Vanessas Richtung, ein gelbes Pulver, das die Magierin einhüllte. Sie schrie laut auf vor Schmerzen: Offensichtlich hatte der Staub eine giftige oder ätzende Wirkung. Alex fackelte nicht lange, sondern warf sie in den See, um das Pulver von ihr abzuwaschen. Dann sprang er hinterher, um Vanessa aus der Gefahrenzone zu bringen, denn aus eigener Kraft bewegte die Österreicherin sich nicht.

Elena warf ihren brennenden Zeichenblock nach mir, ich konnte aber gerade noch beiseite springen, so dass der Block mich nur streifte und ich kein Feuer fing. Roberto, der näher bei Elena war als ich, nahm sie in den Schwitzkasten und machte den beiden älteren Hexen gegenüber Drohgebärden, als wolle er Elena töten. Dies veranlasste Hattie, eine Puppe herauszuziehen, die Roberto vage ähnelte, während ihre Schwester der Puppe den Arm brach. In diesem Moment schrie Roberto auf und hielt sich den Arm – offensichtlich war da irgendein, wie hat Ximena das mal genannt, Sympathie-Zauber zwischen Puppe und Mensch am Werk. Die Gelegenheit nutzte Elena, um ihren Stift in Roberto zu bohren.

Ich hatte noch immer die Flasche mit dem leicht brennbaren Aftershave in der Hand, und ein bisschen was war noch darin, also sprühte ich diesen Rest Maggie ins Gesicht. Die schrie auf und rieb sich die Augen, aber davon schien die Flüssigkeit ihr nur tiefer in die Augen zu geraten, denn sie fauchte, und ihre Augen tränten, und sie tastete blind umher.
Ihre Schwester Hattie stürmte auf mich zu und griff mit ihren Krallen nach mir, aber es gelang mir, ihren Arm hart zur Seite zu schlagen – deutlich härter, als ich das wohl unter anderen Umständen getan hätte.

Edward und der Stiefschwiegersohn prügelten sich noch immer, waren inzwischen beide zu Boden gegangen und rollten da ringend herum, bis Edward schließlich die Oberhand gewann und den Kerl mit einem gezielten Schlag ins Reich der Träume schickte. Roberto hingegen, gebrochener Arm oder nicht, legte den unverletzten Arm um Elena und küsste sie hingebungsvoll.

Inzwischen hatte Alex Vanessa Gruber aus dem Wasser gezogen und sie irgendwo außer Reichweite hingelegt. Jetzt kam er zu uns zurück und griff in das Kampfgeschehen ein, indem er die noch immer blind herumtastende Maggie ergriff, ihr das Feuerzeug an den Kopf hielt und ein lautes „HALT!“ in Richtung ihrer Schwester rief. Hattie allerdings war nicht sonderlich beeindruckt von der Drohgebärde, sondern fauchte wütend und schien einen Zauber vorzubereiten.

Ich warf die jetzt leere Aftershave-Flasche nach der Hexe, um sie abzulenken. Das gab Edward die Gelegenheit, zu Hattie hinzukommen und ihr die Faust in die Rippen zu rammen. Mit einem Schmerzenskrächzer ging die Hexe zu Boden und begann zu röcheln.

Roberto küsste Elena noch immer. Die war völlig überfordert von der Situation, wand sich ein wenig in Robertos Armen; doch eigentlich gefiel ihr der Kuss, soviel war offensichtlich, denn inzwischen erwiderte sie diesen leidenschaftlich.

Maggie rief etwas. Fremdartige, gutturale Worte: ein Zauber. Ihre Stimme wurde tiefer, und ihre Haut schien sich zu verschieben. Sie hob die Arme gen Himmel, wie einladend, und dann ging ein Ruck durch sie, und sie lachte und war nicht mehr sie selbst, sondern wir sahen uns dem Dämon gegenüber, den sie gerufen und der von ihr Besitz ergriffen hatte.

Alex fackelte nicht lange, sondern aktivierte sein Feuerzeug, das er Maggie ja noch immer an den Kopf hielt. Und weil die Hexe das Brandbeschleuniger-Aftershave im Gesicht hatte, fing sie umgehend Feuer. Alex ließ sein Feuerzeug sinken und machte die Handbewegungen, die ich inzwischen damit assoziiere, dass er ein Tor ins Nevernever öffnen will.

Der Dämon indessen kümmerte sich gar nicht darum, dass er brannte, sondern ging mit seinen flammenden Fäusten auf Edward los, der aber ausweichen konnte. Dass Edward nicht da war, wo der Dämon ihn vermutete, schien diesen zu verwirren, und ich versuchte, ihn zu verspotten, um ihn noch weiter abzulenken – nur so verwirrt war er dann leider doch nicht, dass er sich davon hätte ablenken lassen.

Edward versetze dem Dämon Hieb um Hieb, aber ich war mir nicht sicher, ob er damit überhaupt etwas ausrichtete.
Während der Dämon aber mit Edward beschäftigt war, gelang es Alex, sein Tor zu öffnen, und er zwang den Dämon hindurch.
Nur den Dämon, wohlgemerkt. Seine sterbliche Hülle, die Hexe Maggie, fiel leblos zu Boden.

Roberto hatte inzwischen Elena den Stift weggenommen, den diese, völlig gebannt von seinem Kuss, nur noch locker in der Hand hielt. Noch immer küsste er sie. Und dann...

Que Dios tenga misericordia.

Dann hob Roberto den Zeichenstift, den er Elena eben weggenommen hatte, und rammte ihr diesen in den Hals. Elenas Augen weiteten sich, dann sackte sie in seinen Armen zusammen.

Und dann war es vorbei. Da lagen die drei toten Frauen – Roberto hatte Elena sanft, beinahe ehrfürchtig, zu Boden gleiten lassen, und es war nicht zu übersehen, dass sie tot war. Maggie hatte es nicht überlebt, dass der Dämon sie verließ, und auch Hattie war nicht mehr am Leben: Anscheinend war Edwards Hieb so heftig gewesen, dass eine gebrochene Rippe die Lunge der Hexe durchbohrt hatte.

Vanessa Gruber, schwer verletzt, lag reglos, wo Alex sie hingebracht hatte. Der Stiefschwiegersohn war verschwunden. Da, wo er zu Boden gegangen war, lagen nur noch seine Kleider und einige Stöcke. Als hätten die Hexen ein Konstrukt herbeigezaubert und animiert.

Alex bugsierte die drei Leichen durch das Tor ins Nevernever. Und ich? Ich konnte Roberto nur anstarren. Wie konnte er das tun? Ja, Elena hatte mich beeinflusst, aber sie stand doch selbst unter dem Einfluss ihres Malblocks, das hatte Roberto selbst in der „Sight“ gesehen. Vielleicht hätte es doch eine Möglichkeit gegeben, Elena von diesem Einfluss zu befreien und sie zu retten...

Ich weiß nicht mehr, ob ich Roberto anschrie oder so schockiert war, dass ich ruhig sprach. Meine Erinnerungen an den Moment sind vage. Aber ob laut oder leise, ich konfrontierte ihn mit seiner Tat, machte ihm Vorwürfe. Roberto sah mich nur an, murmelte kühl etwas von wegen „Es ging nicht anders, es gab keine Rettung für sie“ und „Du bist zu weich, Cardo.“

Ich musste da weg. Die ganze von Elena mir gegen die Jungs eingepflanzte Antipathie kochte wieder hoch, und diesmal gelang es mir nicht, mit meinem Kopf dagegen anzugehen. Auf die Idee kam ich nicht einmal. Ich konnte nur eines denken: weg hier.

Also hob ich Vanessa hoch und trug sie zur Lodge. Innerlich war ich wie gelähmt, vor den Kopf geschlagen. Wie ein Automat rief ich die Nummer des Notrufs an, bat um einen Rettungshubschrauber. Wie ein Automat sagte ich zu Margo und den Gästen, die aufgeregt angelaufen kamen, etwas von einer Fehlfunktion des Bootes, von einem explodierten Motor, von ausgetretener und versprühter Batteriesäure, die Vanessa verätzt habe. Dieselbe Erklärung für die Rettungssanitäter, die einige Zeit später eintrafen.

Aber sie konnten Vanessa nicht mit dem Hubschrauber ausfliegen. Sie wollten sie an ein Beatmungsgerät anschließen und in einer Röhre transportieren, und das ging nicht im Helikopter.
Alex war, nicht ganz so schwer wie Vanessa, aber ebenfalls von dem Pulver der Hexen verätzt worden und musste ebenfalls ins Krankenhaus. Ebenso Roberto mit seinem gebrochenen Arm. Also brachte man die beiden durch die Luft weg, während Vanessa über den Landweg weggebracht wurde. Nach Portland wollten sie sie wohl bringen, entnahm ich dem Gespräch. „Komisch, dass sie mit diesen Verletzungen überhaupt noch am Leben ist“, hörte ich außerdem einen der Rettungssanitäter sagen. Ich machte ihn nicht darauf aufmerksam, dass Magier anscheinend häufiger über besondere Heilkräfte verfügen. Wie hätte ich das auch erklären sollen? Besser, die Ärzte glauben an ein Wunder.

Edward packte eilig Vanessas Sachen zusammen und fuhr dann damit hinter dem Krankenwagen her.
Normalerweise wäre ich vermutlich auch mitgefahren, aber nicht so. Nicht da. Ich stand immer noch ein wenig unter Schock, glaube ich, als ich die Leute in der Lodge zu beruhigen versuchte.

Roberto kam abends noch wieder. Sein Arm war anscheinend gar nicht wirklich gebrochen gewesen; die Hexen hatten ihm wohl nur die Illusion davon untergejubelt. Aber ich ging ihm aus dem Weg, ich wollte nicht mit ihm reden, ihn nicht sehen.

Natürlich wurden auch die beiden alten Damen und ihr Schwiegersohn irgendwann vermisst, ebenso Elena. Suchaktion. Polizei. Weitere Befragungen. Glück insofern, als die Beamten das Ganze in Zusammenhang mit dem explodierten Boot brachten und von einem tragischen Unfall ausgingen.

Totilas kam aus Eugene zurück, und es war seltsam, aber auf ihn erstreckte sich meine Antipathie nicht. Wobei, gar nicht so seltsam, denn er war ja nicht da gewesen, als Elena den Zauber auf mich wirkte, also war er davon auch nicht betroffen. Er wollte mit mir reden, aber ich habe so gut wie keine Erinnerung mehr daran, was er eigentlich sagte.

Ich habe auch kaum mehr Erinnerungen an den Rest des Abends. Irgendwann fiel ich ins Bett, in dem freien Zimmer in Dannys und Lilas Hütte. Und am nächsten Tag blieb ich nicht mehr lange, sondern brach, als der von Margo für mich georderte Mietwagen angeliefert wurde, ziemlich bald auf. Die meisten Gäste taten das nach dem gestrigen Schock, glaube ich.

Das Autofahren tat mir gut. Ich fuhr langsam, beinahe wie in Trance, aber doch aufmerksam genug, um keinen Unfall zu bauen, und dass ich mich auf die Straße konzentrieren musste, war gerade die richtige Ablenkung. Die Fahrt nach Portland dauerte fünf Stunden, so dass es auch schon wieder auf den Abend zuging, als ich ankam. Zum Glück fand ich das Hotel ohne Probleme: hurra für moderne Navigationsgeräte.

Im Auto habe ich meinen iPod an das Radio gehängt und habe ihn, nach Interpreten sortiert, einfach ab irgendwo mittendrin laufen lassen. Und irgendwann kam dann das erste Album von Mumford & Sons. Ich weiß, dass diese Songs eigentlich ganz andere Dinge zum Thema haben, völlig anders zu interpretieren sind, aber etliche Zeilen daraus sprangen mir förmlich entgegen. Zeilen, die mir vorkamen, als handelten sie von mir, oder als spreche der Sänger mich direkt an.

Cold is the water
It freezes your already cold mind
And death is at your doorstep

And it will steal your innocence

But it will not steal your substance

But you are not alone in this

You are not alone in this

As brothers we will stand
and we'll hold your hand

Hold your hand


Mierda. Wie Hohn klang das.

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Ich habe mich gezwungen, eine Kleinigkeit zu essen, aber Hunger habe ich keinen. Wenn ich gewusst hätte, in welches Krankenhaus sie Ms. Gruber gebracht haben, hätte ich sie vermutlich besucht, aber ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Und Alex wird da auch sein. Den sollte ich wohl ebenfalls besuchen, aber ... ich kann nicht. Nicht, solange dieser Zauber anhält.

Vielleicht mache ich noch einen Spaziergang. Vielleicht aber auch nicht. Das Hotelzimmer ist ziemlich bequem; ich glaube, ich gehe einfach ins Bett. Habe bei Dee angerufen, aber es geht niemand dran. Zuhause in Miami ist es ja auch schon drei Stunden später, das ist mir aber auch eben erst eingefallen. Ich hoffe, sie war einfach nicht da. Es wäre mir peinlich, wenn ich sie aufgeweckt hätte.

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18. März. Vancouver, Kanada.

Zurück im Hotel. Die erste Lesung lief eigentlich recht gut, muss ich sagen. Zumindest war der Tag gut für die Ablenkung: die Fahrt zum Flughafen, Abgeben des Mietwagens, der Flug nach Vancouver, die Sicherheitsmaßnahmen beim Einchecken, die Einreiseformalitäten in Kanada. Taxifahrt zum Hotel, Vorbereiten auf die Lesung.

Der Raum war recht gut gefüllt, die kanadischen Zuhörer aufmerksam und höflich. Und tatsächlich schienen die meisten zumindest Indian Summer gelesen zu haben, und etliche sogar die ganze Reihe. Natürlich gab es Fragen wegen des Films und wegen des Todesfalls am Set letztes Jahr, aber darin habe ich ja inzwischen Übung und konnte ganz routiniert über Roselyn Sanchez' tragischen Unfall sprechen. Ich bin nur froh, dass offensichtlich noch keinerlei Gerüchte über die Vorfälle am Crater Lake an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Denn das wäre absolutes Gift: erst Roselyn Sanchez' Tod beim Filmdreh, jetzt der Todesfall einer jungen Autorin und das Verschwinden dreier – vierer! – weiterer Personen, alles in meiner Gegenwart... die Medien würden sich die Lefzen lecken danach. Ich bete, dass diese Verbindungen nie der Presse zugespielt werden...

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19. März. Seattle, Washington.

Kein Flug diesmal, sondern mit dem Auto gefahren. Ist ja kein langer Weg. Und ich hatte, wie gestern auch schon, noch immer den ganzen Tag diese Song-Texte im Kopf.
Die Lesung selbst war sehr erfreulich – Seattle scheint ein kleines Dorado für Genre-Liebhaber zu sein.

Nur... eben habe ich bei Dee angerufen – heute früher, habe an die Zeitverschiebung gedacht – aber das war ein ganz seltsames Telefonat. Ich hatte so ein dringendes Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, und ich habe ihr alles erzählt, aber ihre Reaktion war... eigenartig. Beinahe steif. Sie meinte, nach dem, was sie von Warlocks wisse, seien die ziemlich rettungslos verloren, und wie es denn Roberto gehe? Wie der mit dem Trauma fertig werde? Und dass sie wohl mal nach ihm sehen gehen müsse.

Nicht das, was ich mir von dem Gespräch mit Dee erhofft hatte. Eindeutig nicht.

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20. März. Zurück in Portland.

Selbes Spiel wie gestern. Mit dem Auto nach Portland, Lesung diesmal direkt hier im Hotel. Ebenso genre-affines Publikum.

Ich habe lange über Dees Aussage nachgedacht. Dass es für Roberto ein Trauma sei. Sie hat recht, natürlich hat sie recht, das konnte ich nur vor lauter Abneigung nicht sehen.

Ich muss ihn anrufen, heute noch, so schwer es mir fällt, weil Elenas Zauber noch immer auf mir liegt.

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Keiner zuhause. Vielleicht besser so. Ich habe ständig Robertos Vorwurf im Ohr, seine herablassende Stimme. „Du bist zu weich, Cardo.“ Bin ich das? Vielleicht bin ich das tatsächlich.

Spare me your judgements and spare me your dreams
Cause recently mine have been tearing my seams
I sit alone in this winter clarity which clouds my mind


Sei ehrlich, Alcazár. Es ist nicht herablassend. Das kommt dir in deinem momentanen Zustand nur so vor. Wenn du rational darüber nachdenkst, wirst du zugeben, dass es nicht herablassend ist.

Naja. Ein bisschen vielleicht.

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21. März. San Francisco, Kalifornien.

Die Hotelzimmer beginnen sich zu gleichen. Die Tagesabläufe auch. Heute war es wieder mal ein Flug.
Die Lesung war gut, der Raum etwas kleiner, weniger Leute, aber interessiert.

Habe wieder versucht, bei Roberto anzurufen, aber es geht niemand dran. Mit Dee hätte ich auch gerne gesprochen, aber auch sie ist nicht zuhause. Verdammt.

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22. März. Immer noch San Francisco.

Heute mal weder Reise noch Lesung. Einfach nur ein Tag zur freien Verfügung. Also auch weniger Ablenkung. Mierda. Ich habe mir die Stadt angesehen. War, weil Sonntag, in der Messe. Hatte immer noch erschreckend viel Zeit und erschreckend viele Gedanken im Kopf, also ein Museum. Comic-Kunst oder Walt Disney? So viel Zeit, es wurden beide.

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Ich habe Roberto erreicht. Und, tío, war das ein ungemütliches Telefonat.
Vorher hatte ich mit Macht meinen Kopf arbeiten lassen. Mir wieder und wieder und wieder vorgesagt, dass meine Antipathie Roberto gegenüber nicht echt ist. Auch wenn er bisweilen nervt: Er ist mein Freund.

Aber am Telefon war es dann trotzdem unendlich schwer, nicht wieder ausfällig gegen ihn zu werden. Ich entschuldigte mich für meine Vorwürfe an der Lodge, gab zu, dass ich ein Idiot gewesen sei, bat ihn um Verzeihung. Erklärte, dass ich schon die Tage angerufen, aber ihn nicht erreicht hätte.

Roberto klang kühl, unbeteiligt. Schon gut, meinte er leichthin, und nein, er sei nicht zuhause gewesen. Dee hätte ihm da zwei Clubs empfohlen, die sie sich angesehen hätten.

Ähm. Da war es aus mit meiner ganzen so sorgfältig vorbereiteten Kopfarbeit. Es gelang mir, Roberto nicht anzublaffen, immerhin ist es Dees Sache, mit wem sie ausgeht, und sie und ich haben nie wirklich ausgesprochen, was es denn nun eigentlich ist, was wir haben. Oder nicht haben. Aber ich legte sehr schnell und sehr kurz angebunden auf.

A white blank page and a swelling rage...

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23. März. Los Angeles, Kalifornien.

Flug. Lesung. Hotel. Eigentlich muss ich gar nichts mehr groß dazu schreiben. Nur dass hier in L.A. die Fragen wegen der Premiere morgen natürlich noch viel mehr auf den Film konzentriert waren als bisher schon. Wenig Fragen zu Roselyn Sanchez, dem Himmel sei Dank, mehr auf den Film allgemein bezogen.
Ich hoffe, die Kritiken fallen positiv aus.

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24. März. Los Angeles.

Puh. Das war... anstrengend.
Der Film ist gut geworden, kein Zweifel, spannend und alles – aber für mich kam beim Sehen doch alles wieder hoch.

Habe bei Dee angerufen, aber wieder niemanden erreicht.
Ich wünschte, ich könnte Edward davon erzählen. Mit Edward darüber reden. Oder mit Alex. Sogar mit Roberto. Mit Totilas könnte ich reden, aber der war nicht da. Ich will meine Freunde zurück, verdammt.

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25. März. San Diego, Kalifornien.

Der letzte Abend. Die letzte Lesung. War gut. Viele Studenten, und ein paar Besucher ließen durchklingen, dass sie gestern in L.A. bei der Premiere waren.

Ich bin froh, dass es vorbei ist. Morgen geht es nachhause. Ich vermisse Alejandra und Yolanda. Und ja, ich vermisse Dee. Ich will sie in die Arme nehmen, aber ich weiß, das würde sie ablehnen. Denken, ich klammere. Und die Jungs. Cólera, ich vermisse die Jungs.

But you are not alone in this

You are not alone in this

As brothers we will stand
and we'll hold your hand

Hold your hand


Padre en el cielo, ich bitte dich. Nimm diese Feindseligkeit von mir...
« Letzte Änderung: 31.03.2015 | 17:27 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Bad Horse

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Armer Cardo.

Das ist aber ein wirklich schönes Beispiel dafür, warum es so ein schwerwiegender Verstoß gegen die Laws of Magic ist, wenn man Leuten im Kopf herumschraubt (an die Leser: Cardo hat in dem Fall tatsächlich nicht nur einen Aspekt abgekriegt, sondern einen geistigen Angriff - die Feindseligkeit gegenüber seinen Freunden war eine Konsequenz, deswegen geht die auch nicht so einfach weg).

Für Edward und Roberto: Elenas Malblock war ihr Fokus. Das war kein magisches Dings, das sie kontrolliert hat. Natürlich könnt ihr die Verbindung interpretieren, wie ihr wollt, aber da ihr selbst Practitioner seid, wisst ihr auf jeden Fall, wie so ein Fokus funktioniert.  :)
« Letzte Änderung: 1.04.2015 | 21:14 von Bad Horse »
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Offline Timberwere

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Für Edward und Roberto: Elenas Malblock war ihr Fokus. Das war kein magisches Dings, das sie kontrolliert hat. Natürlich könnt ihr die Verbindung interpretieren, wie ihr wollt, aber da ihr selbst Practitioner seid, wisst ihr auf jeden Fall, wie so ein Fokus funktioniert.  :)

Cardo war ja bei Robertos zweiter, ausführlicher Beobachtung Elenas nicht dabei, erfuhr also nichts von deren Ergebnissen, und auch von Vanessa Grubers Analyse des Gesehenen bekam er nichts mit. Deswegen stellt es sich für ihn momentan noch so dar, als sei Elena von ihrem Malblock beeinflusst gewesen. Ich denke mal, sobald er sich von Elenas Bezauberei erholt hat, werden die anderen ihm vielleicht diese neuen Erkenntnisse im Nachhinein auch noch erzählen. :)
Zitat von: Dark_Tigger
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Offline Timberwere

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Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 1

03. Mai

Padre en el cielo, ich danke dir. Ich danke dir! Es ist vorbei, die letzten Nachwirkungen abgeebbt. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie erleichtert ich bin.

Jack White Eagle und Ximena hatten mir nach meiner Rückkehr schon Mut gemacht und erklärt, dank des Rituals, das die Jungs abgezogen haben, müssten die Effekte des Fluchs irgendwann verschwinden, aber trotzdem. Es in der Theorie zu hören, schön und gut, aber die leise Angst, dass es eben nicht weggehen würde, blieb doch.

Und ich kann auch kaum meine Dankbarkeit darüber ausdrücken, dass Totilas nicht von dem Fluch betroffen war. Er bildete meinen Rettungsanker, meine Verbindung zu den Jungs, sorgte dafür, dass ich mir nicht ganz so verloren vorkam. Das werde ich ihm nie vergessen, aber ich bin unaussprechlich froh, dass die Dinge jetzt wieder zum Normalzustand zurückgefunden haben.

Ein bisschen seltsam war es natürlich dennoch, die Jungs zum ersten Mal wieder zu treffen, peinlich berührt und besorgt, dass wieder alles hochkochen könnte... aber nein. Es ist wirklich und wahrhaftig vorüber. Danke!

Edward hat sich inzwischen von Cherie getrennt. Das heißt... die Beziehung beendet hatte sie ja schon vor längerer Zeit, aber nun hat Edward ebenfalls einen Schlussstrich gezogen. Er führte ein kleines Ritual durch, um für sich von Cherie loszukommen, und er gab ihr das Buch wieder, das noch bei ihm gelegen hatte und das er in der Lodge von Kirsty McGregor hatte signieren lassen, darin die Halskette, die sie ihm einmal geschenkt hatte, als Buchzeichen.

Puh. Sich mit Magie von seiner Ex-Freundin loszusagen, ist natürlich harter Tobak... aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht tatsächlich so besser für ihn ist. Darüber reden wollte er noch nicht so recht, und ich werde ihn sicher nicht drängen, aber vielleicht hat er ja doch noch irgendwann das Bedürfnis.

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[es folgen diverse Einträge privater Natur, über Dates mit Dee, Unternehmungen mit Alejandra und der Familie, Treffen mit den Jungs etc.]

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19. Juli

Edward hat von Miss Gruber gehört. Man hat sie aus dem Krankenhaus entlassen, und sie ist wieder soweit beieinander, will jetzt aber erst einmal einen längeren Rekonvaleszenz-Urlaub irgendwo machen, wo sie nicht schon wieder in seltsame Vorgänge hineingezogen wird.

Am Crater Lake hatten sich die Jungs übrigens, als ich unter Elenas Einfluss stand und mich von ihnen fernhielt, etwas genauer mit Miss Gruber über die Gesetze der Magie und die Auswirkungen dessen, was geschieht, wenn man sie bricht, unterhalten können.
Wenn ich Edward richtig verstanden habe, erklärte Vanessa es folgendermaßen: Die Seelen aller Menschen sind gewissermaßen in einem großen, magischen Netz miteinander verbunden. Und wenn man jemanden mit Magie tötet, dann reißt man dessen Seele aus dem Netz heraus und seine eigene gleich mit. Deswegen ist es Vanessa zufolge auch relativ gleichgültig, ob dieser Mord bewusst oder unbewusst geschieht, die eigene Seele ist damit – zumindest zu einem Stück – aus dem Netz entfernt, was es immer leichter macht, weitere Morde zu begehen.

Edward brachte das Gespräch dann noch darauf, ob es denn einen Weg gäbe, die Gesetze der Magie ungestraft zu brechen – er hielt seine Frage allerdings allgemein und sprach nur von „Gerüchten“, ohne Spencer Declan namentlich zu erwähnen – aber Vanessa kenne niemanden, der dazu in der Lage sei, sagte sie.

Mit Lila, Danny und Jeff, unseren drei jungen Autorenfreunden vom Crater Lake, sind wir übrigens weiterhin in Verbindung, gelegentlich jedenfalls. Eigentlich waren sie nach dem Tod der armen Edie ja zu viert, aber Colby hat das Öffnen seiner Sight an jenem Abend wohl gar nicht vertragen. Er verneine strikt, dass es das Übernatürliche gebe, und studiere jetzt Jura oder so etwas, und den Kontakt zu den anderen habe er so gut wie vollständig abgebrochen, erzählte Lila. Jeff hingegen verleugne das Übernatürliche zwar nicht, sei aber seit den Geschehnissen auf der Insel irgendwie deprimiert. Und Danny habe sich wieder gefangen. Er sei zwar immer noch überzeugt, dass Baumgeister zu seinen Vorfahren zählen, wolle aber wenigstens nicht mehr ständig in einem Blumenbeet stehen. Na immerhin.

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[über mehrere Monate verteilt folgen hier weitere regelmäßige Einträge mit privatem Inhalt]

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28. Februar

Spring Break. Oha. Meine eigene Studienzeit ist ja schon eine Weile vorbei, aber Yolanda sagte, sie wolle heute Abend mit ihren Kommilitonen auf eine Party am Strand gehen. Ich hoffe, sie ist vorsichtig, aber sie kann ja auf sich aufpassen. Ich selbst habe nichts groß geplant – sollte ich etwa langsam alt werden? Heh, ich hoffe doch nicht. Aber auf Besäufnisse am Strand kann ich gut verzichten, Dee klang auch nicht in der Stimmung danach, sich in den Spring Break-Wahnsinn stürzen zu wollen, und andere Mädels will ich gar nicht kennenlernen. Zumal der Spring Break doch sowieso nur eine Ausrede für sinnlose One-Night-Stands ist.

Dee war generell nicht nach Treffen heute abend, nicht mal für Kino oder essen gehen. Na dann. Mache ich mir eben einen gemütlichen Abend zuhause. Vielleicht komme ich ja ein wenig mit dem neuen Roman voran. Lustigerweise habe ich für den noch keinen Titel, auch wenn die ersten Kapitel, zumindest in der ersten Version, schon stehen, und ich eine recht solide Idee für den Handlungsbogen habe. Aber das kommt schon noch, denke ich.

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Nachdem Alejandra im Bett war, produzierte ich tatsächlich den größten Teil eines weiteren Kapitels, ehe das Telefon klingelte. Edward. Seine Polizeikollegen hatten sich eben bei ihm gemeldet, und es gab ein Problem. Beim Spring Break. Und gar nicht lange darauf, ich hatte gerade Mrs. Carver von nebenan zum kurzfristigen Babysitten gewinnen können, meldete sich mein Handy erneut. Diesmal war es Roberto, der gerade einen Anruf von Lila bekommen hatte. (Die hatte sich vor ein paar Tagen schon mal bei uns gemeldet, weil sie mit ihren Kumpels zum Spring Break nach Miami kommt. Treffen wollen wir uns auf jeden Fall, haben nur bislang keinen genauen Termin ausgemacht.) Es gebe ein Problem. Am South Beach. War ja klar.

Wir trafen uns an einem der großen Parkplätze am South Beach, wo wir auf den ersten Blick sehen konnten, dass am Strand das völlige Chaos ausgebrochen war. Etliche der Partygänger schienen völlig ausgerastet zu sein und schlugen mit Fäusten, Bierflaschen und sonstigen Gegenständen, die sie gerade zu fassen bekamen, aufeinander und auf die panische Menge ein. Ein Mädchen mit wildem Haar und noch wilderen Augen hatte sich einen Sonnenschirm geschnappt und prügelte damit auf die Umstehenden ein, ein junger Mann trat planlos um sich, während ein anderer die Hände um den Hals seines Gegenübers hatte und ihn heftig würgte, bis man ihn mit Gewalt von seinem Opfer trennte, und selbst dann hörte er nicht auf zu kratzen und um sich zu schlagen.

Irgendwo in dem Chaos fanden wir Lila und Danny unversehrt, aber aufgelöst, denn Jeff war einer von denjenigen gewesen, die derart durchgedreht waren. Man hatte ihn soeben ins Krankenhaus abtransportiert. Überhaupt waren überall Sanitäter und Polizeikräfte zur Stelle, die versuchten, die Betroffenen unter Kontrolle zu bringen und Ruhe zu schaffen. Große Eile schien geboten, denn so ziemlich jede Bahre, die ich sehen konnte, wurde im Laufschritt hoch zu den wartenden Krankenwagen getragen.

Lila und Danny sammelten Jeffs Hund Snowball ein, der oben bei den Autos an einer Parkuhr angebunden war, und folgten Jeff dann ins Krankenhaus. Wir hingegen beschlossen, der Spur der ausbrechenden Gewalt zu folgen, denn diese schien sich allmählich den Strand entlang nach Süden zu ziehen.

An einer Stelle, wo alles noch ruhig schien, hielten wir an. Und mussten tatsächlich nicht lange warten, bis ein junger Asiate, der sich eben noch im Gespräch mit seinem Date befand, urplötzlich sein Glas in der Hand zerdrückte und anfing, wild um sich zu schlagen. Das Mädchen, mit dem er da gestanden hatte, schrie auf und rannte davon, während wir uns auf ihn warfen, um ihn aufzuhalten.

Der junge Mann fühlte sich fiebrig-heiß an, und sein Kopf war hochrot. Wir hatten alle Mühe voll zu tun, um ihn niederzuringen, und im Verlauf des Kampfes schlug ich ihm derart auf die Nase, dass diese zu bluten begann. Edward, nicht faul, fing etwas von dem Blut auf, während wir den Jungen mit Mühe festhielten. Ebenso unvermittelt, wie er ausgeflippt war, sackte er dann plötzlich auch wieder zusammen. Einige Zuckungen, dann lag er still, und uns war klar: Er war tot. Auch die Sanitäter, die gleich darauf angerannt kamen, weil sich in diesem Teil des Strandes noch etliche weitere Vorfälle dieser Art ereignet hatten und die Helfer sich jetzt auf diesen Bereich konzentrierten, konnten nichts mehr für den Jungen tun.

Während die Leiche weggetragen wurde, ging ich Yolanda suchen. Es war gar nicht so leicht, sie in dem ganzen Aufruhr zu finden, denn zu den Durchgedrehten und den Rettungshelfern kam jetzt ein immer größeres Aufgebot an Polizisten, die neben ihren Versuchen, die Betroffenen unter Kontrolle zu bringen, auch Umstehende verhafteten bzw. zur Befragung mitnahmen. Ich hatte Yolanda eben gefunden und zu meiner Erleichterung festgestellt, dass ihr nichts zugestoßen war, als sie bemerkte, wie einer ihrer Freunde ebenfalls von der Polizei mitgenommen werden sollte. Da dieser Freund schwarz war, schritt Yolanda mit einer schneidenden Bemerkung von wegen Repressalien gegenüber der farbigen Bevölkerung ein – und wurde prompt ebenfalls zur Befragung aufs Revier gebracht.

Dagegen tun konnte ich erst einmal nichts, aber ich war auch froh, dass meine Schwester damit aus der direkten Gefahrenzone kam. Inzwischen war unter den Polizeikräften die Parole ausgegeben worden, dass der Strand von Zivilisten zu räumen war, und dabei halfen wir dann, sobald Edward seinen Kollegen gegenüber unsere Gegenwart erklärt, um nicht zu sagen verteidigt, hatte.

Während wir noch da am Strand versuchten, ein wenig Ordnung ins Chaos zu bringen, bemerkte Roberto seine beiden ganz speziellen Freunde, Sir Kieran und Edelia Calderón, die, offensichtlich noch immer ein Paar, das Treiben aus einiger Entfernung stirnrunzelnd beobachteten. Edward hingegen sah Antoine, der gerade dabei war, sich unauffällig vom Ort des Geschehens abzusetzen. Edward rief bei ihm an, aber Antoine drückte das Gespräch unbeantwortet weg. Daraufhin versuchte Roberto es von seinem Handy aus ebenfalls, und diesmal wurde tatsächlich abgehoben – aber es war ein Fremder am Apparat, nicht der Fae. Alex ging den Jungen suchen und nahm ihm das Handy wieder ab – oder genauer, das Handy ließ er ihm zwar, löschte aber alle Daten und entfernte die Karte daraus.

Als die Aufräumarbeiten dann soweit beendet waren, riefen wir bei Lila an. Es dauerte eine Weile, bis sie ans Telefon ging, und als sie es tat, klang ihre Stimme erstickt und verweint. Jeff hatte es nicht geschafft, war im Krankenhaus gestorben.
Roberto bot Lila sofort an, dass sie bei ihm übernachten könne, was diese dankbar annahm. Jeffs Hund Snowball hingegen kam für die Nacht bei Edward unter. Der kann sich ja mit Hunden verständigen – was heute Abend und unter diesen Umständen sicherlich nicht sonderlich angenehm für ihn ist.

Oh, und heute Abend ist noch etwas Seltsames passiert. Nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was da sonst so abging, aber trotzdem. Am Strand waren auch Edwards Kollegen, Salvador Herero und Suki Sasamoto, anwesend. Sie sahen sich die Tatorte an, halfen Leuten aus dem Wasser. Und irgendwann murmelte Herero geistesabwesend etwas von wegen „Irgendwas an der Sache riecht fishy.“ Woraufhin Suki Sasamoto ihren Partner anfuhr, was das denn bitte heißen solle. „Na komisch halt“, erklärte Salvador. Was Suki aber nicht besänftigte. „Fische riechen nicht komisch!“ Hmmm. Sollte Herero da etwa einen wunden Punkt getroffen haben? Edward schnupperte und stellte unter den ganzen Menschendüften wie Shampoo, Duschgel und Deodorant tatsächlich einen leichten Geruch nach Fisch fest. Ob die gute Detective Sasamoto etwa eine Nixe ist? Oder eine Halbnixe oder so etwas?

---

Mierda. La cabezonería de mi hermana! Ich bin heute morgen gleich zu Yolanda, wollte mich natürlich vergewissern, dass sie gut nachhause gekommen war. Aber ganz offensichtlich war sie noch gar nicht zuhause gewesen. Ich fuhr also zum Polizeirevier am South Beach, wo ich mit ein wenig Freundlichkeit erreichte, dass Yolanda gleich befragt werden würde, anstatt erst als Letzte drangenommen zu werden, weil die Beamten dank ihres Geredes von Repressalien auf stur geschaltet hatten.

Meine Schwester jedoch war völlig indigniert, dass Leute im Anzug (Hemd und Hose, bitte, ich renne doch an einem ganz normalen Tag nicht im Anzug rum!) und mit einem bekannten Gesicht nur die Promi-Karte ausspielen müssten, um eine Vorzugsbehandlung zu kassieren. Also nein, sie würde sich als Letzte befragen lassen, wie jede andere normale Bürgerin auch, und sie würde auf ihren Kumpel warten, vielen herzlichen Dank. Und damit setzte sie sich demonstrativ wieder auf die Bank, verschränkte die Arme und beachtete mich nicht weiter. Woraufhin ich nichts weiter machen konnte, als zu verschwinden. Na dann fahre ich jetzt eben zu den Jungs. Mal hören, wie es denen heute vormittag so ergangen ist.

---

Auf der Polizeistation war, wie nicht anders zu erwarten, nach der ganzen Aufregung gestern die Hölle los gewesen: Sergeant Book wütend, und zwar richtig wütend, aufgebrachter, als Edward ihn je gesehen hat, sagte er. Der alte Polizist schimpfte lautstark auf Pan und schickte Edward dann los, herauszufinden, was da vor sich gehe.

Im Intranet der Polizei werden bei wichtigen Fällen so genannte „Datenräume“ eingerichtet, gesonderte Bereiche, in denen die ermittelnden Beamten alle Informationen über den jeweiligen Fall zusammentragen können. Auch für die Ereignisse der gestrigen Nacht ist ein solcher Datenraum eingerichtet worden, sagte Edward, aber da der Fall derzeit nicht beim SID, sondern beim Drogendezernat liegt, hat Edward zunächst keinen Zugang darauf. Den wollte sein Partner für ihn beantragen; Henry ist immerhin sehr effizient in diesen administrativen Dingen, wie wir alle wissen.

Statt dessen fuhr Edward heim und untersuchte das Blut des durchgedrehten Studenten. Er stellte fest, dass der junge Asiate betrunken gewesen war und etwas Scharfes gegessen hatte, außerdem ließ sich eine Droge in dem Blut nachweisen (welche genau, das konnte Edward mit seinen Mitteln allerdings nicht sagen). Und es gab da irgendeine magische Komponente, die Edward aber auch nicht näher bestimmen konnte.

Roberto hatte inzwischen auch Danny einen Schlafplatz bei sich angeboten, solange er und Lila in der Stadt sind, und sich mit den beiden auch nochmal eingehender über die Ereignisse des vorigen Abends unterhalten, genauer gesagt über Jeff. Der hatte ja letztes Jahr auf Wizard Island einen Nervenzusammenbruch erlitten und war anschließend in Therapie gekommen. Diese Therapie hatte er aber abgebrochen, die unterschiedlichsten Drogen ausprobiert, aber nichts schien wirklich zu helfen. Über den Nervenzusammenbruch an sich war er zwar hinweg, aber er wirkte niedergeschlagen, und nichts konnte ihn aufmuntern. Über seine Erlebnisse, über das, was er auf der Insel mit seiner Sight gesehen hatte, redete er nicht, und es kam Lila und Danny so vor, als könne er nicht darüber reden, als gebe es irgendeine Magie, die ihn daran hindere.
Jeffs Kindheit muss wohl sehr schwer gewesen sein, mit Kinderheim, Pflegefamilie, dergleichen, aber auch darauf konnte oder wollte er nie näher eingehen.

Nach Miami waren die drei Freunde nicht nur wegen des Spring Break gekommen, sondern auch, weil sie hier in der Stadt mit einem Magier in Kontakt gewesen seien, den sie vielleicht hatten treffen wollen. Der sei aber jetzt nicht in der Stadt, sondern abgetaucht, weil er Ärger habe, aber er habe einen Ort erwähnt, einen Buchladen. Richard sei sein Name gewesen.

Oha. Richard? Richard Raith etwa? Genau der. Und das war nun ein Name, mit dem in diesem Zusammenhang keiner von uns gerechnet hatte. Aber gut, gerade nicht zu ändern, denn erstens haben wir derzeit andere Dinge um die Ohren, und zweitens ist Totilas' Vater ohnehin im Moment untergetaucht und wird nicht ohne Weiteres zu finden sein. Aber das ist definitiv eine Information, die wir keinesfalls aus den Augen verlieren sollten.

So auf den neuesten Stand gebracht, fuhren wir zum South Beach, weil Alex nachsehen wollte, ob der Junge vielleicht einen Geist hinterlassen hatte. Und das hatte er tatsächlich. Er – Mike war sein Name – konnte erst gar nicht recht verstehen, dass er tot sein sollte, und als die Tatsache dann zu ihm durchdrang, war er natürlich erst einmal fassungslos. Aber er sprach bereitwillig mit uns.

Ja, er hatte eine Droge genommen, die er von einer jungen Frau mit brauner Haut und leuchtend grünen Augen erhalten hatte: rötliche Kristalle, die man in einer Pfeife rauchte. Und kurze Zeit darauf sei er unglaublich wütend geworden. Mehr wusste er nicht mehr.

Alex ließ Mikes Geist in seinen Körper, damit der Junge eine letzte SMS an seine Familie schreiben konnte, dann öffnete er dem Jungen ein Portal, damit der Geist hindurchgehen und Ruhe finden konnte.

Wo wir aber schon mal am Strand waren, bot es sich an, als nächstes Pan und seinem Hof einen Besuch abzustatten, wo  Roberto in seiner Rolle als Titanias Richter von den versammelten Sommerfeen sofort Platz gemacht bekam. Da fällt mir ein: Unser Roberto hat einen neuen Mantel – auf der Rückfahrt vom Crater Lake letztes Jahr hat er den aus San Francisco mitgebracht. Dieser Mantel muss wohl früher mal Valentino Liberace gehört haben, und anscheinend hat er tatsächlich magische Eigenschaften, denn er wechselt das Aussehen je nach Anlass. Und egal, wie schrill und bunt das Ding auch jeweils gerade sein mag (sprich sehr, in den meisten Fällen), er wirkt immer genau dem jeweiligen Anlass angemessen. Auch diesmal in Pans Palast. Ich kann gar nicht beschreiben, wie, aber der Mantel war golden und mit Pailletten besetzt und wirkte dennoch sehr würdevoll und richterlich.

Zuerst trafen wir auf Sir Anders, der uns, bzw. Roberto, gleich fragte, ob wir denn auch an dem Turnier teilnehmen würden. Was für ein Turnier, wollten wir natürlich gleich wissen. Tjosten auf Surfboards, war Sir Anders’ wenig amüsierte Antwort. Diese glorreiche Idee habe Colin Pan in den Kopf gesetzt, und der Sommerherzog habe diesen Vorschlag seines ersten Ritters sofort begeistert aufgenommen.

Nachdem Roberto erklärt hatte, dass er nicht die Absicht habe, sich auf ein Surfboard zu stellen und darauf mit Lanzen herumzufuchteln, fragten wir Sir Anders nach den Drogen, die am letzten Abend am Strand in Umlauf gebracht worden waren. Der wusste aber nur von Antoine als einzigem, der für den Sommerhof Drogen in den Umlauf bringe – und dieselbe Antwort erhielten wir auch von Sir Kieran und Pan selbst, als wir mit denen sprachen. Die hohen Sidhe wie Kieran und Anders mögen Pan und seine Ausschweifungen nicht sonderlich, war aus ihren Aussagen herauszuhören, aber wirklich weiterhelfen konnten sie uns nicht. Nur dass es wohl einen Zwist zwischen Pan und Antoine gegeben habe, erwähnten sie nebenbei. Auch Pan blieb herzlich gelassen, zog sich vollkommen auf den Standpunkt zurück, dass Roberto als Titanias Richter das schon alles klären werde, und empfahl uns, Antoine zu finden. Als wir den Sommerherzog auf den Streit mit Antoine ansprachen, meinte er nur, er habe Antoine angewiesen, ihm zu sagen, wo er sein „Zeug“ her beziehe, aber der habe sich geweigert.
« Letzte Änderung: 3.06.2015 | 21:06 von Timberwere »
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Offline Timberwere

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Nachdem in Pans Palast fürs Erste nichts groß weiter herauszufinden war, wollten wir – sprich Alex – mit Jeffs Geist reden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser hier zurückgeblieben war, war laut Alex nämlich ziemlich groß. Im Krankenhaus fanden wir ihn nicht, dafür aber am Strand (hätten wir uns ja eigentlich denken können). Dort war nach den gestrigen Ereignissen übrigens nicht nur Jeff zu finden, sondern anscheinend jeder einzelne an den Folgen dieser seltsamen Drogen gestorbene Geist. Wobei – von den ca. 60 Toten waren etliche schon weitergegangen, aber ein Teil der Geister war noch am Strand anwesend.

Als Alex Jeff fand und ansprach, wusste der schon, dass er tot war. Auch er hatte diese roten Kristalle geraucht, wie alle Geister hier. Dann sei ihm plötzlich richtig heiß geworden, und eine unbändige Wut habe ihn überkommen. ‚Scarlet’ habe das Zeug geheißen, sagte Jeff. Die Droge habe er von einem Typen mit Hörnern bekommen – die Hörner habe aber außer ihm keiner sehen können. Insgesamt hätten etwa drei bis fünf Leute das Scarlet verteilt, Männer und Frauen.

Mehr konnte Jeff uns über die Vorfälle des gestrigen Abends auch nicht erzählen, aber wir befragten ihn noch zu dem, was Lila und Danny uns berichtet hatten, zu seinen Depressionen in Reaktion auf die Ereignisse am Crater Lake. Jeff erzählte, er habe Lücken, Dinge, die ihm irgendwie fehlen würden. Und bei dem Ritual auf Wizard Island sei ihm das zum ersten Mal aufgefallen, habe er durch die Sight gesehen und gespürt, dass ihm etwas fehle. Nein mehr noch, dass man ihm etwas genommen habe, dass er aber nicht sagen könne, was genau. Die Löcher, die er auf Wizard Island an sich gesehen hatte (und die auch Alex jetzt an seinem Geist erkennen konnte), hätten zu seinem Nervenzusammenbruch geführt. Die Therapie habe er dann allerdings abgebrochen, weil die Ärzte ihm ohnehin nicht geglaubt hätten, wenn er versucht hätte, die Wahrheit zu sagen – was er aber auch gar nicht konnte. Irgendein Zwang hinderte ihn daran.

Alex bot Jeff an, ihn auf die nächste Ebene weiterzuschicken, doch der Junge lehnte ab. Er wolle hier bleiben, zumindest für’s Erste, denn er habe das Gefühl, da sei noch etwas unerledigt. Und vielleicht ist dieses Fehlende, dieses Unerledigte, ja auch der Anker, der ihn hier hält.

Nachdem wir unser Gespräch mit Jeff beendet hatten, ging Alex auch mit den anderen Geistern reden. Das machte er aber alleine, ohne uns – er meinte, er wolle versuchen, so viele wie möglich von ihnen weiterzuschicken, und das würde für uns vermutlich eher nicht so interessant.

Außerdem erklärte Edward, dass seine eigene magische Analyse von Mikes Blut noch Fragen offen gelassen hätte, die das Polizeilabor, wo das Blut des Jungen ja auch untersucht worden war, vielleicht beantworten konnte. Wir übrigen fuhren also mit Edward zum Revier und hatten uns eigentlich schon auf eine längere Wartezeit gefasst gemacht – aber so lang dauerte es gar nicht, bis unser Kumpel wieder herauskam. Oder besser: Zuerst kam Sergeant Book mit rotem Gesicht aus dem Gebäude gestürmt, stapfte zu einem Auto, knallte die Fahrertür beim Einsteigen so vehement zu, dass das ganze Fahrzeug vibrierte, und fuhr davon. Es folgten Suki Sasamoto und Salvador Herero, langsamer und sichtlich amüsiert, mit Edward, der zu uns herüberkam, während seine beiden Kollegen in einen anderen Wagen stiegen.

„Zu Pan!“, knurrte Edward, ehe er uns unterwegs erzählte, was sich im Revier abgespielt hatte.
Bis ins Labor war er gar nicht gekommen, weil Sergeant Book ihn abgefangen und nach seinen bisherigen Ermittlungsergebnissen befragt hatte. Als Edward den Drogenverteiler erwähnte, bei dem es sich angesichts der von Jeff erwähnten Hörner wohl um einen von Pans Satyren gehandelt haben muss, schaltete Book in den Hulk-Modus. Er lief rot an und brüllte los, dass er es Pan lange genug habe durchgehen lassen, aber dass es jetzt reiche! Und dann stürmte er zu seinem Auto, wie wir das ja gesehen hatten.

Suki und Salvador grinsten sich währenddessen an und machten Anstalten, dem Sergeant zu folgen, um das Spektakel nicht zu verpassen; anscheinend kennen sie ihn schon etwas länger. Und sie sagten Edward etwas, das dieser, in all seinen Jahren Arbeit für das SID, bislang noch nicht erfahren hatte: Dass Book nämlich ein Kobold sei. Und wenn den erst einmal etwas aufscheuche, dann werde es „lustig“.

Am Strand angekommen, stießen wir auf Alex, der anscheinend gerade eben Anstalten hatte machen wollen, bei uns anzurufen. Er hatte den Übergang von etlichen der Geister auf die Art und Weise beschleunigt, indem er sie in seinen Körper ließ, damit sie wenigstens ein letztes Bier trinken konnten, ehe sie gingen. Und wie gesagt, es waren eine Menge Geister da am Strand. Mit anderen Worten, Römer und Patrioten, unser Alex war sturzbetrunken – ein Zustand, den wir an unserem sonst so beherrschten Freund wohl auch so bald nicht mehr erleben werden.

Sergeant Book stapfte währenddessen unbeirrbar weiter, wir hinterher. Je näher er dem Palast kam, umso lauter wurden seine Schritte, umso mehr vibrierte der Boden unter seinen Füßen, und als wir ins Nevernever hinübergewechselt waren, wandelte sich auch Books Aussehen tatsächlich zu dem eines Kobolds.

Der alte Polizist konfrontierte Pan aufs Heftigste. Es sei seine Aufgabe, die Stadt zu beschützen, aber das, was Pan täte, sei das genaue Gegenteil davon – 60 Menschen tot! Der Sommerherzog hingegen tat auch jetzt wieder genau das, was er schon bei unserem ersten Besuch getan hatte: Er zog sich Book gegenüber komplett auf „seinen Richter“ zurück, der den Fall für ihn untersuche und lösen werde. Und es bereitete Roberto sichtliches Vergnügen, dagegenzuhalten. „Nicht dein Richter. Titanias.“

So oder so jedenfalls versprach Pan dem Sergeant, dass das Hohe Gericht sich mit dem Fall befassen werde: je ein Richter aus dem Sommer- und dem Winterhof sowie einer für die Wyldfae. Und erst, nachdem Pan zugesagt hatte, dass dieses Hohe Gericht sich in drei Tagen zusammenfinden werde, war Book einigermaßen – ich will nicht sagen besänftigt oder zufriedengestellt, aber er stapfte davon, ohne dass es zu Gewalttätigkeiten kam.

Edward hingegen rutschte eine Bemerkung heraus. Ich meine, angesichts von Edwards Temperament ist eine bloße Bemerkung ja eigentlich der Gipfel an Zurückhaltung. Aber diese hatte es in sich. Edward verglich Pan nämlich mit Jeffs Spitz. Nur dass Pan nicht wusste, dass ein Hund gemeint war, als Edward „Snowball“ sagte. Der Fae hörte nur „Schnee“ – und war auf den Tod beleidigt. Ihn, einen Herzog des Sommers, zu vergleichen mit dem Inbegriff des Winters?!

Entrüstet stellte Pan Edward vor die Wahl. Entweder er würde sich nie wieder vor ihm blicken lassen – oder er nähme an dem Turnier teil, von dem wir schon gehört hatten. Na toll. Edward hat zwar keinerlei Ahnung vom Surfen, aber wenn er sich nicht jeden Weg in Pans Palast verbauen will, dann wird er wohl oder übel zumindest einen Versuch machen müssen.

Sasamoto und Herero waren mit ihrem Sergeant wieder abgezogen, aber wir wollten die Bewohner von Pans Palast noch ein wenig genauer zu diesem ‚Scarlet’ befragen, jetzt wo wir wussten, dass wohl ein Satyr unter den Verteilern gewesen war. Dummerweise nur wollte niemand etwas gesehen haben. Die verschiedenen Drogen stünden einfach so allen hier zur freien Verfügung, und diejenigen Drogen, die zum Verteilen gedacht seien, stünden auch einfach so da, und die Verteiler nähmen sie dann mit.

Im Gegensatz zu unserem Besuch am Vormittag, bekamen wir diesmal Ritter Colin zu fassen, der wusste aber auch nichts. Sagte er jedenfalls. Und wir redeten nochmal mit Sir Anders und Sir Kieran, die wussten nur immer noch nicht mehr als zuvor. Sie wiederholten nur noch einmal, dass sie nicht viel von den satyrhaften Ausschweifungen am Hofe hielten, und fügten hinzu, dass sie selbst auch keine Drogen nähmen. Und wo die immer herkämen, das könnten sie nicht sagen, denn die hohen Sidhe kümmerten sich nicht um das, was die Dienerschaft tue. Aber übergeordnet sei Pan selbst dafür verantwortlich, dass immer genug Wein und Gespielinnen und Drogen da seien.

Also fragten wir Pan. Wo kämen die Drogen denn her? Die seien halt da. Also erscheinen sie einfach aus der Luft? Nein, die Diener tragen sie rein. Woher? Keine Ahnung. Wo Diener eben Sachen herholen.

Na gut. Dann eben zu den Dienern. Wo holten sie die Sachen her? Aus dem Vorratsraum. Und wer sorge dafür, dass der immer gefüllt sei? Na die Herrschaften. Der Herzog.

Ungefähr so muss sich ein Hamster im Laufrad fühlen. Wir also nochmal zu Pan. Wer hält den Vorratsraum gefüllt? Verständnisloses Gesicht seitens des Herzogs. „Es ist Sommer!“
Aaaah. Als ob das eine aussagekräftige Antwort wäre. Andererseits... Es sind Feen. Vermutlich ist das sogar tatsächlich eine aussagekräftige Antwort.

Als nächstes gingen wir die Satyre befragen, die auf dem Strand die Drogen verteilten. Aber auch die wussten nichts Genaues. Das Zeug sei einfach da gewesen.
Dann fiel mir aber ein, dass da nicht nur Satyre gewesen waren, sondern dass Mike, der asiatische Student, auch von einem braunen Mädchen mit leuchtend grünen Augen gesprochen hatte. Also fragte ich die Satyre nach denen, und ja, sie sei auch eine der Palastbewohnerinnen. Grinsend und zwinkernd schickten sie das Mädchen zu uns.

Sie war eine Nymphe, und es war gar nicht so leicht, sie dazu zu bekommen, dass sie mir zwischen all dem Gekichere und den Avancen, die sie uns machte, auch Antworten auf meine Fragen gab. Aber ich bekam heraus, dass die Schale mit den roten Kristallen ganz normal neben den anderen Substanzen gestanden hatte, als wären sie von einem der üblichen Lieferanten angebracht worden. Wer liefere denn Pans Hof alles Drogen, war meine nächste Frage daraufhin. Antoine, die Raiths, Orféa Baez und Ciceron Linares, kam die Antwort des Mädchens. Ich stellte ihr noch weitere Fragen, die sie auch alle bereitwillig, wenngleich mit Umschweifen, beantwortete, aber wirklich Neues ergab das alles nicht.

Wir ließen uns von ihr dann den erwähnten Vorratsraum zeigen, wo in einer Schale noch ein letzter Rest von dem Scarlet lag. Eigentlich wollte sie erst nichts davon herausrücken, tat es aber dann doch.

Und dann... dann lächelte die Nymphe mich an und meinte „So... und jetzt die Gegenleistung“ – und ich schwöre beim Allmächtigen, erst in diesem Moment wurde mir klar, was für einen kapitalen Fehler ich gerade gemacht hatte.
Eine Fee. Eine Nymphe. Die mir gerade mit der Beantwortung meiner Fragen einen Gefallen getan hatte, oder zumindest legte sie das so aus, daran ließ sie keinen Zweifel. Ich versuchte, mich darauf herauszureden, dass sie mir ja nicht weitergeholfen habe, mir keine Informationen gegeben hätte, die ich nicht ohne sie auch schon gehabt hätte. Aber nein. Sie hatte mir geholfen und wollte nun ihren Lohn – und außerdem hätte sie mir ja das Scarlet gegeben!

Wenn ich ging... würde ich bei dieser Fee in der Schuld stehen. Und so wenig ich im allgemeinen vielleicht auch wissen mag, dass ich nicht bei einer Fee in der Schuld stehen möchte, das weiß inzwischen sogar ich. Und schon gar nicht bei einer Sommerfee, die sich, auf diese Art von mir zurückgewiesen, vielleicht mit Lady Fire zusammentun könnte oder ähnliches...

Ich blieb. Dios, perdona me, ich blieb. Ich versuchte zwar mit all meiner Kraft, es bei ein paar Küssen zu belassen, aber... Tío, sie war eine Nymphe. Wunderschön und warm und anschmiegsam und voller Lebenslust. Und ich, bei all meinem Wollen, zu schwach. Es blieb nicht bei den Küssen.

Die Jungs waren natürlich vorausgegangen, und nachdem das Mädchen – O Dios, ich weiß nicht einmal ihren Namen – sich kichernd verabschiedet hatte, verließ ich den Palast ebenfalls. Oder besser, ich wollte den Palast verlassen, aber vor der Kammer traf ich auf George. Er sah mich mit schiefgelegtem Kopf an, seine Haltung eine Mischung aus mitfühlend und neugierig.

„Eine komische Sache ist das“, fing er unvermittelt an, „aber euch Menschen muss sie gefallen, denn du machst sie im Traum auch immer. Nur mit jemand anders.“
Ich konnte spüren, wie ich verlegen wurde – oder noch verlegener, genauer gesagt. Aber naja, dass George meine Träume sieht und kennt, das ist ja nichts Neues.
„Diese Träume hast du öfter“, fuhr George fort. „Wie die Feuerträume.“
Bei der Erwähnung von ‚Feuer’ schüttelte es mich, und ich gab ihm die Erlaubnis, jegliches Feuer, das in meinen Träumen auftauchte, aufzufressen. Wobei er das ja ohnehin schon tut, das weiß ich auch.
„Diese Sache hast du letztens im Traum auch wieder gemacht“, sagte George dann, „mit Lady Fire.“

Was z...!?! Da war er wieder, der Comic-Cardo mit der heruntergeklappten Kinnlade. Ich musste hörbar nach Luft schnappen, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Da weiß ich gar nichts von.“
Und George sah mich nur an, mitfühlend und freundschaftlich, und nickte. „Ich weiß.“

Was. Zum. Geier?
« Letzte Änderung: 3.06.2015 | 21:10 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Draußen am Strand traf ich wieder auf die Jungs. Glücklicherweise gab es keine Zeit für irgendwelche peinlich berührten Momente, denn sie waren schwer beschäftigt. Und zwar redeten die Jungs gerade mit niemand anderem als mit Hans Vandermeer, dem Mann, dem wir damals auf der Vernissage begegnet sind und von dem wir glauben, dass er der Fliegende Holländer sein könnte. Der stand neben einem abgebrannten, noch ein wenig rauchendem Strandkorb und erzählte etwas von einer Frau, die ihm das Ding unter dem Hintern angezündet hätte. Beschreiben konnte er sie nicht, da er erst einmal nur versuchte, die Flammen zu löschen und nicht weiter auf die Frau achtete. Hmm. Wen kennen wir denn in dieser Richtung. Christine Wick? Lady Fire, Himmel steh uns bei? Oder vielleicht Ximena? Nur zur Sicherheit fragten wir Vandermeer, wo er derzeit wohne, und er nannte uns das Hotel Fontainebleau.

Anschließend erzählte Vandermeer uns noch von einer Frau, die er dringend suche, weil sie etwas von ihm habe, ein Schmuckstück, das er unbedingt zurück brauche. Die Frau, die er beschrieb, klang nach Cherie oder nach einem südländischen Typ wie Cherie. Und da fällt mir ein, genau dasselbe hatte er doch damals auch schon zu Roberto gesagt, als sie einander zum ersten Mal begegneten. Dort in der Galerie war der Holländer ja geradezu damit herausgeplatzt, dass ihm das Amulett abhanden gekommen sei, und es täte ihm so unendlich leid. Damals hatte er Roberto für einen Avatar Titanias gehalten, also hat dieses Amulett wohl irgendetwas mit ihr zu tun. Interessant...

Interessant, aber fürs Erste nicht unser Hauptproblem. Mit der Probe von dem Scarlet fuhren wir zu Edward, weil der das Zeug in seinem Labor untersuchen wollte. (Seiner Lykanthropen-Küche. Ohne ‚h’. Und fragt nicht, Römer und Patrioten, was das unterwegs für blöde Sprüche in Sachen ‚Lykanthropen-Küce’ gab.)
Bei der Analyse stellte sich dann jedenfalls heraus, dass die Substanz eigentlich eine normal chemische Droge war, auf die dann aber anschließend Sommermagie aufgeflanscht wurde.

Oh, richtig. Vor der Untersuchung rief Roberto noch bei Ximena an und fragte seine Cousine rundheraus, ob sie diejenige gewesen sei, die Vandermeers Strandkorb angezündet habe. Sie war es nicht, sagte sie. Aber sie klang fasziniert von dem Holländer und ließ sich von Roberto alles erzählen, was der so über den Mann weiß.

Nach der Laborarbeit trennten wir uns. Edward wollte nochmal aufs Revier, um sich über die neuesten Erkenntnisse seiner Kollegen im Fall Scarlet zu informieren. Wir anderen hingegen taten das, was uns in Pans Palast so ziemlich jeder geraten hatte: Es wurde Zeit, mit Antoine zu reden. Also fuhren wir zum Haus von Mrs. Parsen, da wir ja wussten, dass Antoine in letzter Zeit so gut wie dort wohnte.

Das Haus war leer, als wir dort ankamen, und durch das Fenster sah es so aus, als habe da jemand in aller Eile gepackt. Illegal oder nicht, wir brauchten Hinweise, also öffnete Alex – inzwischen nicht mehr ganz so betrunken – fachmännisch und ohne Spuren zu hinterlassen das Schloss an der Hintertür. Drinnen fanden wir nicht viel, aber immerhin einen ganz entscheidenden Hinweis: einige Fotos von Antoine und Marie vor einem Boot, das an einer Marina in den Keys vertäut lag. Diese Fotos steckten wir ein und hatten das Haus eben wieder verlassen, als ein Auto vorfuhr.

Zwei Leute stiegen aus, in Anzug bzw. Hose und Jackett. Polizisten. Die Frau stellte sich als Detective Martinez aus dem Drogendezernat vor; der Name ihres Kollegen ist mir gerade entfallen. Die beiden waren höchst interessiert daran, was wir hier taten, und glücklicherweise gelang es uns, es so aussehen zu lassen, als seien wir gerade erst gekommen und hätten geklingelt, aber niemanden angetroffen. Roberto konnte den beiden Detectives dann noch glaubhaft versichern (jedenfalls hoffe ich, dass sie es glaubten!), dass Mrs Parsen eine Kundin seiner Botanica sei und er mit ihr eine Bestellung habe besprechen wollen.

Nachdem die Polizisten uns hatten gehen lassen, sammelten wir Edward ein, der inzwischen ebenfalls Bekanntschaft mit Detective Martinez hatte schließen dürfen. Auf dem Weg zur Marina erzählte er uns, dass Henry ihm das Passwort für den Datenraum zum Scarlet-Fall beschafft hatte. Die dort gesammelten Unterlagen deuteten darauf hin, dass das Drogendezernat ein großes Interesse an Mrs. Parsen und ihrem Freund hegt – sogar eine kleine Sonderkommission ist für Antoines Substanzen gegründet worden. Detective Martinez bat Edward um ein Gespräch, bei dem die Polizistin ihn ziemlich detailliert zu seiner Mutter ausfragte, vor allem dazu, warum diese in letzter Zeit so unglaublich jung wirke. Edward lavierte ziemlich ungeschickt – und auffällig – herum, weil er nicht lügen, aber auch nicht die Wahrheit sagen wollte. Kein Wunder, dass Detective Martinez dadurch nur misstrauisch wurde... und mit ihrem Kollgen sofort zu Maries neuer Adresse fuhr, sobald Edward ihr die genannt hatte.

Die „Flying Pooka“ lag in der Marina vor Anker, aber das Boot war leer. Daraufhin rief Edward bei seiner Mutter an und bat um ein Treffen. Marie nannte das Boot als Treffpunkt und schien etwas konsterniert, als Edward erklärte, ja, da seien wir schon.

Einige Zeit später kamen Mrs. Parsen und Antoine, verstohlen und vermummt mit Hoodie und Hut, auf das Boot zu. Das Gespräch verlief etwas gehetzt, weil unsere Gegenüber offensichtlich mindestens mal vor der Polizei, aber genauso auch vor irgendwelchen anderen Gegnern, in Deckung gehen wollten. Aber einiges fanden wir doch heraus.
Antoine war es nicht, sagte er, und er wisse auch nicht, wer es gewesen sei. Als wir ihn danach fragten, wer außer ihm denn noch Drogen liefere, nannte er dieselben Parteien, von denen wir in Pans Palast auch schon gehört hatten. Und nein, sein Zeug sei alles komplett legal. Falls es verboten werden sollte, würde er damit aufhören und statt dessen etwas anderes herstellen, das dann eben wieder legal sei.

Toll. Nicht das, was wir hören wollten, aber wenigstens klang es nach der Wahrheit. Wir verabschiedeten uns also von den beiden und machten uns wieder auf den Weg in die Stadt, während Antoine und Marie in ihrem Boot wegfuhren.

Unterwegs erzählte Roberto uns noch, dass er im Palast den Eindruck gehabt habe, Ritter Colin lüge ihn an. Immerhin ist der ein Mensch und kann lügen. Und er mag Pan nicht. Was also, wenn ihm ein anderer Herzog lieber wäre und er versuchen möchte, Pan abzusetzen, wenn er schon den Job des Ritters fürs Erste behalten muss?

Und auf dem Weg in die Stadt sahen wir, als wir gerade über einer der Brücken in den Keys fuhren, draußen auf dem Meer ein Segelschiff kreuzen. Ein richtig altes. Hans Vandermeers Titania, vielleicht?
Wir riefen im Hotel Fontainebleau an und ließen uns mit Vandermeers Zimmer verbinden, um festzustellen, ob der Holländer dort war. Das war er... aber Ximena ging an sein Telefon. Oh-hoh.
Sobald sie den Hörer an den Mann weitergereicht hatte, fertigte Vandermeer uns ziemlich kurz angebunden ab. Nein, er wisse nicht, wer jetzt sein Schiff steuere, der Erste Maat vermutlich. Und nein, es interessiere ihn auch gar nicht, er habe anderes im Kopf. Ein Kichern von Ximena aus dem Hintergrund. Na klasse.

Jedenfalls war es das erst einmal für heute. Was für ein Tag! Aber ich kann nicht schlafen. Natürlich nicht, wie auch. Es gehen mir viel zu viele Dinge im Kopf herum. Ich dachte, dieser Tagebucheintrag würde helfen, aber er hat all die Gedanken nur noch weiter aufgewirbelt.

Ich glaube, ich schreibe Dee einen Brief. Anrufen kann ich um die Zeit nicht, aber Schlaf werde ich auch keinen finden, solange ich das vor mir her schiebe.

---

02:00 Uhr.

Keine Chance. Ich finde die Worte nicht. Zerknülle Blatt um Blatt.

---

04:17 Uhr

Telefon. Was zum...

---

04:20 Uhr

Edward war’s. Gerald Raith hat eben bei ihm angerufen. Irgendwas im Hotel Fontainbleau. Wir treffen uns dort. Schlafen kann ich ohnehin nicht, und die Blätter in meinem Papierkorb sind auch nicht weniger geworden.

---

Es war ein Missverständnis. Ein Missverständnis. Hah.

Der Hoteldirektor war schrecklich aufgeregt und wollte die Polizei, zumindest offizielle Vertreter der Polizei, möglichst außen vor halten. Das passte natürlich auch Gerald Raith perfekt in den Kram, da der samt Gefolge ja bereits aus seinem letzten Langzeitlogis geflogen ist und sicherlich kein Interesse daran hatte, von einem weiteren Fünfsterne-Hotel auf die Rote Liste gesetzt zu werden. (Wann ist das Raithsche Anwesen eigentlich endlich mal soweit fertig, dass der Tross sein Hotelleben wieder aufgeben kann?)

Jedenfalls war das der Grund für Geralds Anruf bei Edward gewesen. Es waren Schüsse gefallen, Magie war geflogen, und Edward sollte – wir sollten – das Ganze jetzt möglichst ruhig lösen. Der Ärger kam (und warum wundert mich das jetzt nicht?) aus dem Zimmer des geschätzten Gastes Hans Vandermeer. Genauer gesagt, man hatte den Ärger getrennt.

Ximena saß in Hans' Zimmer; die andere Streitpartei – Cherie, wie sich herausstellte – war in einen der von den Raiths angemieteten Räume gebracht worden. Wir beschlossen, die beiden getrennt voneinander zu befragen, und da Edward bei dem Gedanken, Cherie gegenüberzutreten, ein wenig unbehaglich aussah, gingen er und Roberto zu Ximena, während Alex und ich (Totilas war irgendwie nicht zu erreichen gewesen) mit Cherie redeten.

Edwards Ex erzählte uns, dass sie tatsächlich nachts Hans' Zimmer betreten habe. Cólera. Im vorigen Absatz ist es mir gar nicht aufgefallen, aber plötzlich springen mir die albernsten Hans Zimmer-Assoziationen im Kopf herum. Die Titelmelodie zu „The Rock“ zum Beispiel.) Sie habe mit dem Holländer reden wollen, weil sie gehört habe, dass der sie suche, und sie wollte wissen, warum. Daraufhin sei ihr ein Feuerball entgegen geflogen, und sie sei dem Feuerball ausgewichen und habe sich mit einem Pistolenschuss zur Wehr gesetzt. Ein Feuerball! Ein Angriff! Natürlich habe sie geschossen!

Ich hakte dann mal vorsichtig nach, warum sie sich denn mitten in der Nacht in das Hotelzimmer eines Fremden geschlichen habe, anstatt es tagsüber zu versuchen oder wenigstens anzuklopfen? Darauf wusste Cherie nicht so richtig etwas zu antworten, nur dass sie… naja, halt sichergehen wollte, Hans auch anzutreffen. Und dass sie gar nicht groß über eine Alternative nachgedacht hatte. Das sagte sie zwar nicht wörtlich, aber so kam es definitiv rüber.

Roberto und Edward erfuhren währenddessen von Ximena, dass da mitten in der Nacht eine schwarzgekleidete Frau im Ninjamodus und mit einem Messer bewaffnet in das Zimmer eingedrungen sei. Eine Ninja! Mit einem Messer! Ja natürlich habe sie sich verteidigt! Und „verteidigen“ heiße bei ihr in so einem Moment der Überraschung eben nun mal „Feuerball“. Und überhaupt, die Ninja-Tussi habe ja sofort auf sie gefeuert!

Langer Rede kurzer Sinn? Es war ein Missverständnis. Wir brachten die beiden dazu, dass sie einander grummelnd und widerstrebend die Hand schüttelten und sich darauf einigten, dass es ein Missverständnis gewesen sei, ehe wir dem Hoteldirektor Bescheid sagen gingen.

Von Hans Vandermeer war übrigens weit und breit nichts zu sehen. Der hatte sich offensichtlich sofort in dem Moment abgesetzt, als der Ärger losging.

Wir erzählten Cherie dann noch, warum der Holländer sie sucht, dieses Schmuckstücks wegen nämlich. Cherie wusste natürlich sofort, welches Schmuckstück gemeint war, erklärte aber, die Kette habe Vandermeer ihr geschenkt, zumindest habe sie das so verstanden. Tja, dem sei aber laut Vandermeer nicht so, erwiderten wir, und er habe wegen ihres Verlustes relativ verzweifelt geklungen. Das möge ja alles sein, konterte Cherie, aber sie habe die Kette nicht mehr. Sie habe das Amulett Ocean geschenkt, weil es vor böser Magie schützen solle und Ocean jeden Schutz dieser Art brauche, den sie nur kriegen könne.

Das war dann der Moment, wo Edward das Amulett wiedererkannte. Und wir anderen ebenfalls, denn auch wir hatten es auch schon mal gesehen. Das war die Kette mit den großen Holzperlen und dem goldenen Anhänger mit Schiffsmotiv, die Edward Ocean abgenommen und in seinem Labor in einen Schutzkreis gesteckt hatte, ehe Ocean sich mit Ciélo nach Kuba absetzte.
Diese Kette war das also. Auch interessant.


Nachdem sich dann alles beruhigt soweit hatte, wollten wir eigentlich alle wieder heimfahren. Aber vorher nahm ich noch Edward beiseite und erzählte ihm alles. Dass das mit der Nymphe einer der größten, wenn nicht der größte, Fehler meines Lebens war. Dass ich mich schuldig fühle. Dass ich die Nacht über kein Auge zugetan habe. Dass ich versucht habe, Dee zu schreiben, aber dass die Briefe alle irgendwie falsch klangen, überhaupt nicht das ausdrückten, was ich sagen wollte.

Edward hörte sich das alles geduldig an und sagte dann etwas, auf das ich eigentlich auch von selbst hätte kommen können. „Du könntest versuchen, es zu verheimlichen oder zu vergessen, so tun, als sei es nicht geschehen. Aber das wird nicht klappen. Denn die Sache nagt an dir, und sie wird dir keine Ruhe lassen. Rede mit Dee, denn du wirst keine Ruhe finden, solange du nicht mit ihr redest.“

Und natürlich hat er recht. Ich mag ein Schreiberling sein, aber in diesem Falle wären geschriebene Worte das denkbar Falsche. Ich muss es ihr in Worten sagen, muss ihr dabei gegenübersitzen und ihr in die Augen sehen, so schwierig das auch werden wird. Ich muss mit Dee reden. So bald wie nur möglich.
« Letzte Änderung: 3.06.2015 | 22:10 von Timberwere »
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Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 2

Geschlafen habe ich nicht mehr. Nur gewartet und gegen 10 Uhr bei Dee angerufen. Zuerst ging sie nicht ans Telefon, aber ein paar Minuten später rief sie dann zurück. Nach dem „Hallo“, noch ehe ich meine Bitte nach einem Treffen vorbringen konnte, meinte Dee schon „wir müssen reden“. Und dann verabredeten wir uns für mittags im Dora's.

Mierda. Sie muss schon von der Sache mit der Nymphe erfahren haben. Verdammt, verdammt, verdammt, und dabei wollte ich doch, dass sie es von mir hört. Verdammt.

---

12:35 Uhr

O... kay. Das... puh.

Schluck Kaffee.

Dee war pünktlich. Überpünktlich beinahe, und nervös. Ich wollte eigentlich mit meinem Geständnis herausrücken, aber Dee bat mich, erst sie erzählen zu lassen, was sie auf dem Herzen habe, dann könne ich ihr sagen, was ich ihr sagen wolle. Okay...

Und dann gestand sie mir, sie habe letzte Nacht mit Roberto geschlafen. Es tue ihr leid, ich sei wohl nicht derjenige, mit dem sie über die Sache mit Ruiz wegkommen könne, auch wenn sie das lange gedacht habe.

Und es stimmt ja. Ich habe gewartet, wollte sie absichtlich nie bedrängen, das Ganze von ihr ausgehen lassen, wenn sie eben über die Sache weggewesen wäre. Ja, meinte Dee, irgendwie habe sich das so eingeschliffen, und... Sie tat sich ebenso schwer mit den Worten wie ich auch. Es tat ihr leid, das konnte ich sehen.

Ich gestand ihr dann auch die Sache mit der Nymphe. Und Dee gab mir einen Kuss auf die Wange und ging.

Und jetzt sitze ich hier und... Puh.

---

12:55

Dora hat mir unaufgefordert Kaffee nachgeschenkt und noch einen Donut gebracht. Sie hat mir wohl angesehen, dass das gerade ein Schlussmach-Gespräch (oder eher ein gar-nicht-richtig-angefangen-Gespräch) war. Eben habe ich mich zusammengerissen und bei Edward angerufen. Er scheint heute morgen mit Alex surfen geübt zu haben, wie es klang. Jedenfalls kommt er jetzt her.

---

Totilas und Alex kamen vor Edward ins Dora's. Diesmal allerdings hätte ich mir gewünscht, Edward wäre als erster angekommen. Dann hätte ich nämlich ausführlicher mit ihm reden können als nur die kurze Darstellung der Sachlage, die ich den Jungs ablieferte. Roberto tauchte dann nämlich kurze Zeit später auch schon auf. Und das war vielleicht seltsam, Römer und Patrioten. Wobei ich Roberto noch nicht mal einen Vorwurf machen kann. Aber leichter machte das die Sache trotzdem nicht. Die Jungs taten ihr Bestes, um Roberto und mich abzulenken, indem sie das Gespräch auf die Fakten lenkten, die wir in dem Fall bereits gesammelt haben.

Tatsache war: Wir wussten noch viel zu wenig über dieses Hohe Gericht, das Book da eingefordert hat. Also fuhren wir als nächstes zu Hurricane, weil der uns vielleicht sagen könnte, wer der Richter des Winters sein wird. Dort angekommen, gingen die drei anderen voraus, während ich draußen endlich etwas ausführlicher mit Edward redete.

Dass jeder Hof, oder jede Abteilung, der Fae je einen Richter stellt, wussten wir ja schon. Außerdem konnte Hurricane den Jungs aber noch folgendes sagen: Neben den drei Richtern gibt es noch einen Ankläger, immer vom Winter gestellt, und einen Verteidiger, immer vom Sommer. Wenn das Gericht einmal einberufen ist, hat jeder das Recht, dem Ankläger einen Beschwerdepunkt vorzutragen. So kann es vorkommen, dass mehr als ein Fall besprochen wird und dass solche Gerichtsverfahren sich relativ lange hinziehen.

Dass Roberto der Richter des Sommers ist, wussten wir ja bereits. Die Richterin des Winters ist eine gewisse Catalina Snow, die wohl morgen im Laufe des Tages noch in die Stadt gereist kommt. Während diese beiden ihr Amt langfristig bekleiden, wird der Richter des Wyld immer vom ranghöchsten Wyldfae bestimmt, der sich jeweils gerade an dem Ort befindet, wo das Gericht einberufen wird. Und der ranghöchste Wyldfae hier in Miami ist wohl gerade Samuel Book.
Der Ankläger ist Hurricane selbst, und den Verteidiger gibt – war ja so klar – unser Freund Colin. Das Verfahren würde auch stattfinden, wenn der Angeklagte nicht anwesend sei, sagte Hurricane, wobei es für den Angeklagten sehr schlecht aussehe, wenn er nicht zum Gerichtstermin erscheine. So gut wie ein Schuldeingeständnis sei das.

Roberto fuhr zu Pans Palast, um mit Colin zu reden, während Edward im SID Bericht erstatten ging. Hinterher trafen wir uns wieder. Colin habe in bezug auf seine Rolle als Verteidiger nicht sonderlich motiviert geklungen, sagte Roberto. Was nicht dazu beitrug, den Jungen irgendwie unverdächtiger aussehen zu lassen.

Edward hingegen wurde – wie wir das fast schon vermutet hatten – von seinem Chef zum Richter des Wyld ernannt. Eine andere Wahl hätte der Sergeant wohl auch kaum gehabt: Falls Edward abgelehnt hätte, hätte das Los auf Henry fallen müssen. Suki Sasamoto und Salvador Herero wären jedenfalls ausgeschieden, weil die Richter jeweils Menschen sein müssen, die beiden SIDler aber Changelings sind – Kinder eines menschlichen Elternteils und eines, oder einer, Fae.

Wir hatten ja noch das Scarlet, das wir von der Nymphe bekommen hatten. Das verfolgte Edward über einen Verbindungszauber zurück zum Rest davon. Wobei das nicht unbedingt das tatsächliche mit Sommermagie aufgepeppte Scarlet sein musste, räumte Edward ein. Falls von dem nichts mehr übrig wäre, dann würde die Magie sich an das Nächstbeste hängen, und das wäre dann der auf rein chemischen Wege hergestellte Grundstoff. Diese chemische Droge an sich ist bei der Polizei übrigens anscheinend noch nicht bekannt, das muss wohl ein neues, Meth-ähnliches Zeug sein.

Die magische Spur führte uns jedenfalls direkt zum „Whispers“, einer in den übernatürlichen Kreisen als Treffpunkt des Red Court bekannte Bar. Wir gingen nicht hinein, aber Roberto rief bei seiner Bekannten Lucia an. Die wusste nichts von Colin oder einer Verbindung zum Sommerhof der Fae, aber sie erwähnte einen Priester, der in letzter Zeit öfter mal in der Bar gewesen und auch unbeschadet wieder herausgekommen sei. Und den Namen des Priesters kannten wir sogar. Es war niemand anderes als Father Donovan Reilly, den wir bei der Sache mit Ciélo und Ocean kennengelernt hatten und bei dem ich anschließend zur Beichte gegangen war.

Das war interessant genug, dass wir den guten Pater mal aufsuchen gingen. Wir fanden ihn in dem Seelsorgerzelt am Strand, das die Gemeinde dort aufgebaut hat.
Auf unsere Fragen erklärte Father Donovan, ja, er wisse um das Übernatürliche, und ja, er wisse um den Red Court. In der Bar sei er gewesen, weil die menschlichen Diener der Vampire seine Hilfe benötigten. Er sei dabei, für die Leute eine Art Seelsorge aufzubauen.
Als wir ihn nach Colin fragten, erklärte der Pater, den kenne er auch, der komme öfter mal zur Beichte hier ins Zelt.

Weil Edward noch immer Hurricanes Worte im Ohr hatte, dass das Nichterscheinen des Angeklagten wie ein Schuldeingeständnis sei, rief er bei seiner Mutter an, um sie und Antoine zur Rückkehr zu bewegen. Doch Marie ging nicht ans Telefon. Es klingelte nicht einmal; es war sofort die Mailbox dran.

Danach trennten wir uns. Edward sagte, er wolle sich einen Trank brauen, mit dem er besser surfen könne, und Alex wollte ihm ein Surfbrett besorgen. Und ich habe auch noch zu tun. Wir haben ja immer noch, und immer stärker, den Verdacht, dass Colin in der Sache mit drinhängt. Wenn dem so ist, dann habe ich morgen vielleicht die Gelegenheit, ihn zum Zucken zu bringen... wenn ich es nur richtig anstelle.

---

Der Tag des Turniers. Oh Mann. Tjosten auf Surfboards.

Es war so ziemlich jeder anwesend, der im Dunstkreis der Feenhöfe irgendwie Rang und Namen hat. Pan selbst natürlich. Colin als sein Ritter. Die anderen hohen Sidhe des Sommerhofs, wie Sir Anders und Sir Kieran – letzterer zusammen mit Edelia Calderón. Hans Vandermeer. Father Donovan, überraschenderweise. Hurricane und die frisch angekommene Richterin Catalina Snow als Vertreter des Winters. Suki Sasamoto als Rettungsschwimmerin für die tjostenden Streiter, Salvador Herero. Lady Fire, el señor nos socorre, und Christine Wick.

Außerdem hing an meinem Arm plötzlich kichernd eine Nymphe. Die Nymphe. Sie strahlte mich an und fragte, ob ich nicht vielleicht wieder irgendwelche Hilfe von ihr wolle. Haha. Aber diesmal dachte ich an meine Manieren und fragte sie, wie ich sie denn nennen solle, und erhielt zur Antwort „Saltanda“.

Ich versuchte, mich so schnell wie möglich von Saltanda loszueisen, und unterhielt mich stattdessen kurz mit Father Donovan. Der bewegte sich erstaunlich souverän unter all den Feen; offensichtlich weiß er nicht nur über das Übernatürliche bescheid, sondern ist durchaus involviert. Jedenfalls wusste er, dass der Siegespreis ein goldenes Füllhorn sein würde, das immer genau das zum Essen oder Trinken enthielte, das man sich in dem Moment gerade wünschte. Auch dass dieses Frühlingsturnier anscheinend schon eine lange Tradition hat, nur dass es wohl bislang immer zu Pferd ausgetragen worden sei. Ich fragte ihn noch, wie er mit dem Übernatürlichen in Kontakt gekommen sei. Doch darüber wollte der Pater sichtlich nicht reden. Es sei „eine lange Geschichte“, und seinem Ton war anzumerken, dass er damit nicht meinte, diese mal bei einem guten Bier ausbreiten zu wollen.

Bei der Tjosterei schlug Edward, seinem selbstgebrauten Trank und dem von Alex besorgten und getunten Surfboard sei Dank, sich gar nicht schlecht. Er gewann ziemlich souverän gegen Sir Anders, unterlag dann aber denkbar knapp sowohl gegen Colin als auch gegen Hurricane (der unseren Edward ebenfalls nochmals gefordert hatte. „Ein Schneeball hat mehr Würde als Pan!“). Den Gesamtsieg trug Colin davon, der sich im Finale gegen Hurricane durchsetzte. Die beiden schienen sich übrigens recht gut zu verstehen und planten für die nächsten Tage irgendwann einen gemeinsamen Surfausflug im Cayo Huracán. Pan überreichte seinem Ritter das Füllhorn, und Colin feierte seinen Sieg prompt, indem er sich gnadenlos betrank.

Im Zuge dessen gratulierte ich Colin zu seinem Sieg und brachte ihn im dann folgenden Gespräch dann tatsächlich dazu, ertappt auszusehen. Er hängt in der Sache mit drin, da bin ich mir jetzt sicher, auch wenn er keinen ganz und gar glücklichen Eindruck damit machte.

Später sah ich dann, dass Lady Fire sehr ernsthaft mit Colin und Hurricane sprach. Beide wirkten respektvoll und der Feuerfee gegenüber durchaus positiv eingestellt. Überhaupt sprach Lady Fire mit den meisten Feenrittern vor Ort: sehr huldvoll und verständnisinnig, reines Balsam für die gedemütigten Seelen der Sidhe. Plant die Lady etwa einen Putsch und nimmt Pans Untergebene – die ja, wie wir von Sir Anders und Sir Kieran wissen, ohnehin nicht sonderlich gut auf die satyrhaften Umtriebe des Sommerherzogs zu sprechen sind – bereits jetzt für sich ein?

Edward wurde von Pan höchstselbst auch zu seinem guten Abschneiden im Turnier gratuliert. Und dann gab der Sommerherzog Edward unvermittelt einen Kuss. „Und? Findest du jetzt immer noch, dass ich kalt bin wie ein Schneeball?“, fragte er dann. Und Edward – war Edward. „Ich hatte schon bessere Küsse“, erwiderte er trocken. Was Pan – er ist immerhin ein Satyr! – natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Er warf nun seinen nicht unbeträchtlichen Satyr-Charme an und küsste Edward erneut. Lang. Hingebungsvoll. Grinste ihn hinterher breit an. „Und jetzt?“ Edward atmete schwer, hatte sich aber unter Kontrolle. „Besser“, schnaufte er. „Wenn du eine Frau wärst...“ „Das lässt sich arrangieren“, schoss Pan zurück, schnippte mit den Fingern, und ein paar Sekunden später hing eine Nymphe an Edwards Arm. „Es ist das Frühlingsfest. Es muss gefeiert werden“, erklärte Pan, und Edward schien nach dem Kuss, den er da gerade bekommen hatte, nicht geneigt zu widersprechen. Ohne weitere Worte verschwand er für eine Weile mit der Nymphe.

Christine Wick war auf der Suche nach Hans Vandermeer. Totilas bemerkte ihren suchenden Blick und ging den Holländer warnen. Der wich Christine auf Totilas' Hinweis hin aus, aber seinem Gesicht war eine gewisse Faszination anzusehen, als ob er die Feuerkünstlerin trotzdem gerne gesprochen hätte. Roberto hingegen ging direkt auf Christine zu und sprach sie darauf an, ob sie jemanden suche und ob er helfen könne. „Nein“, spuckte Lady Fires Assistentin zurück, „von euch Typen will ich keine Hilfe!“ Roberto zuckte mit den Schultern. „Na gut, dann gehe ich eben zu Hans Vandermeer.“ Das ließ Christine stutzen. „Hans Vandermeer? Was, wo, wie?“ „Da drüben“, antwortete Roberto ruhig und ging tatsächlich gleich zu dem Holländer hin.

Christine zögerte noch einen Moment, machte sich dann aber auch auf in Richtung Vandermeer. Ehe sie aber bei ihm ankam, sah sie den Holländer am Arm einer jungen Studentin hängen. Ihr Gesicht nahm einen beleidigten Ausdruck an, und sie wandte sich ab. Dann drehte sie sich noch einmal um, voller... Erwartung? Hoffnung? Auch Vandermeer sah auf, sah sie kommen und sich wegdrehen, und er verzog das Gesicht, löste sich von der Studentin. Doch Christine hatte sich schon wieder abgewandt, und ihre Blicke verpassten sich.

Der Holländer fragte Roberto nach Christines Nummer, die Roberto ihm auch gab. Das gab der Studentin Anlass zum Beleidigtsein, und das wiederum brachte Hans gegen Roberto auf, dass der mit dem ganzen Thema überhaupt bei ihm aufgeschlagen war. Aber die Nummern waren ausgetauscht.

Als nächstes sprach Totilas den Holländer nochmals an, wegen der Halskette, die Vandermeer suchte. Aber unser White Court-Freund tanzte im Gespräch derart um den heißen Brei herum, dass es Edward – der inzwischen vom Frühlingsfest-Feiern zurück war – reichte. Er kam dazu und sprach Klartext. Ja, er kenne die Frau, die Vandermeer suche. Und ja, er, Edward, habe die Kette, um die es gehe, in seinem Besitz. Er schloss ein Geschäft mit dem Holländer ab: Vandermeer sagt ihm, wenn ihm am Feenhof etwas auffällt, dafür wird Edward die Kette an Titanias Richter Roberto weitergeben.

Außerdem schubste Edward Vandermeer noch ein wenig in Christines Richtung, indem er beinahe beiläufig einwarf, dass man die wahre Liebe irgendwie immer erst erkenne, wenn es zu spät sei. Daraufhin fluchte Hans vehement los und stapfte davon, noch immer laut schimpfend. Und natürlich... Wenn er der Fliegende Holländer ist, wie wir ja vermuten, dann ist es sein Fluch, die Meere besegeln zu müssen, bis er seine wahre Liebe gefunden hat. Und wenn Christine diese wahre Liebe ist... dann können die beiden nicht zusammenkommen, weil Christine ja Lady Fire verschworen ist. Mierda. Da sieht man seine eigenen Beziehungsprobleme irgendwie gleich in einem anderen Licht.

Edelia Calderón und Sir Kieran sprachen indessen mit Hurricane. Was sie sagten, war aus der Entfernung nicht zu verstehen, aber die beiden sahen nach dem Gespräch aus wie die sprichwörtliche Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat.

Mit Catalina Snow sprachen wir auch. Die Richterin des Winters kommt aus Calgary und hat indianische Wurzeln. Sie wirkte erst kühl, taute aber, als das Thema auf Eishockey zu sprechen kam, merklich auf.

Als die Feier dann langsam immer mehr in ein reines Gelage überging, machten wir uns aus dem Staub. Denn immerhin wollte Alex ja noch einmal mit Jeff sprechen. Den fand er allerdings erst nach einigem Suchen – oder besser, Jeff fand Alex. Denn Jeff war zunächst nirgendwo zu sehen, und erst, als wir ein wenig verloren außerhalb des Nevernever am Strand herumstanden, tauchte der Junge plötzlich auf. Er wirkte sehr nervös auf Alex, hatte sich versteckt. Alex ließ ihn in sich, wie er das immer so macht, und nahm ihn mit, sehr zu Jeffs Erleichterung.

Dass Jeffs Geist jetzt zumindest kurzfristig in Alex war, erlaubte es auch uns anderen, ganz direkt mit ihm zu sprechen. Er war so nervös gewesen, weil zwei beängstigte Gestalten an den Strand gekommen waren, vor denen er sich lieber versteckt hatte – niemand anderes als Joseph Adlene und „Jack“, soviel wurde sehr schnell klar. Adlene habe Jack an einer Kette geführt, aber eigentlich, sagte Jeff, habe es genau andersherum ausgesehen. Und Adlene habe auch keinen sonderlich gesunden Eindruck gemacht. Die beiden hätten nicht so gewirkt, als seien sie zufällig an den Strand gekommen, sondern sie schienen etwas zu erwarten, das dann aber nicht da war. Beide hätten sie daraufhin ziemlich enttäuscht und vor allem wütend ausgesehen.

Hatte Adlene etwa die ganzen Geister der Getöteten einsammeln und versklaven wollen? Nur dass keiner mehr da gewesen war, weil Alex ja alle bis auf Jeff weitergeschickt hatte? Und wenn Adlene gezielt an den Strand gekommen war, um die Geister einzusammeln, hängt er etwa in der ganzen Sache mit drin? Tío. Was für ein erschreckender Gedanke.

Jeff hatte aber noch mehr zu erzählen. Ich weiß gar nicht mehr, wer das Thema aufbrachte, aber die Sprache kam auf Father Donovan, und Jeff meinte, der Priester mache ihn nervös, sei ihm unheimlich. Er erklärte auch, er glaube den Priester von irgendwo her zu kennen, aber er konnte beim besten Willen nicht sagen, woher.

Bei Jeffs Worten kam Totilas der Gedanke, bei Father Donovan könne es sich um den Mittelsmann zwischen Colin und dem Red Court handeln, der Pans erstem Ritter das unbehandelte Scarlet aus dem „Whispers“-Club beschafft haben könnte. Immerhin hat der Pater nachweislich mit beiden Seiten zu tun. Der Gedanke gefällt mir zwar ganz und gar nicht, weil der gute Father mir eigentlich sehr sympathisch ist, aber ausschließen lässt sich die Theorie natürlich nicht, solange wir nicht Näheres über ihn wissen. Gut, Roberto könnte ihn sich mit der Sight anschauen, aber das Risiko ist ihm viel zu groß, falls sich hinter der Fassade des Priesters doch ein Dämon verbergen sollte oder ähnliches.

Als Jeff uns soweit alles erzählt hatte, verabschiedete er sich noch von Snowball. Zu diesem Zweck ließ Edward ihn mit Alex' Hilfe kurzfristig in sich, da Edward ja mit Hunden sprechen kann und sich somit auch Jeff mit seinem Hund würde verständigen können. Es war ein trauriger, sehr rührender Moment, als Snowball verstand, dass Jeff nicht wiederkommen würde, dass ihm dasselbe widerfahren sei wie der Katze der Nachbarin und dem Eichhörnchen damals. Und dann bat Jeff Edward, dass er sich doch in Zukunft um Snowball kümmern möge. Eigentlich wären ja Lila oder Danny die näherliegende Option, aber Lila hat eine Hundehaarallergie, und da sich zwischen den beiden gerade etwas anbahnt, fällt dann wohl auch Danny aus. Ergo blieb Edward, und natürlich sagte er zu. Grummelnd zwar, aber er sagte zu. Und so ist unser Edward jetzt auf den Hund gekommen...

Das hinderte uns aber alles nicht daran, erst einmal weiter planen zu müssen. Denn morgen findet die Verhandlung statt, und Antoine sollte wirklich, wirklich, wirklich anwesend sein. Aber Mrs. Parsen war nicht an ihr Handy gegangen, hatte auch auf Edwards Spruch auf ihrem Anrufbeantworter bislang nicht zurückgerufen. Aber, fiel uns ein, konnte Edward seine Mutter aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnisses nicht auf magischem Wege finden? Das war natürlich eine Möglichkeit – aber das Ritual, das Edward zu dem Zweck durchführte, sagte ihm erst einmal auch nicht mehr, als dass seine Mutter sich im Nevernever befand. Mierda. Was natürlich auch erklärte, warum sie nicht zurückgerufen hatte. Wenn sie schon die ganze Zeit im Nevernever war, hatte sie den Anruf gar nicht bekommen können.

Jedenfalls... die Gerichtsverhandlung beginnt morgen um 12 Uhr mittags. Das ist zu knapp, um ins Nevernever zu gehen, Marie und Antoine zu suchen und garantiert rechtzeitig zurück zu sein. Dann lieber erst pünktlich um Mittag zur Verhandlung erscheinen, anhören, was vorgetragen wird, und dann den Prozess vertagen, damit wir auf die Suche gehen können. Das ist laut Statuten nämlich anscheinend möglich.

So, alles aufgeschrieben. Schlafen gehen. Wenn ich denn kann. Ha.
« Letzte Änderung: 31.07.2015 | 10:14 von Timberwere »
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Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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So sehen also Feen-Gerichte aus.

Roberto in seinem Liberace-Mantel, der, dem Anlass gemäß, wie ein Talar aussah... wie ein glitzernder, mit Pailetten besetzter Talar, wohlgemerkt. Dazu eine weißgepuderte Perücke à la britischen Richtern, die ebenfalls irgendwie zu glitzern schien.
Edward ebenfalls in einem Talar, aber einem alten, abgetragenen, der nicht sonderlich viel hermachte. Seine Perücke war auch schon etwas abgewetzt und glitzerte definitiv nicht.
Catalina Snow in einem langen, braunen Mantel und einem Cowboyhut.
Hurricane im Anzug, Colin – als wahrer Vertreter des Sommers – im Hawaii-Hemd.

Was für eine Mischung.

Auch diverse Zuschauer waren anwesend, darunter Pan, Tanith, einige Ritter, Lady Fire, Sergeant Book und – zu unserer nicht geringen Überraschung – auch George. Der thronte in seiner graugewandeten Menschengestalt neben dem Sergeant, und wir setzten uns zu den beiden.

Hurricane als Ankläger trug die Beschwerden vor. „Störung des Festfriedens“ war der Vorwurf, der Antoine für die Vorfälle am Strand gemacht wurde. Und dann kam noch eine zweite Anklage: gegen Sergeant Book, weil die Insel der Jugend entweiht worden sei.

Damit hatte offensichtlich niemand gerechnet – niemand außer Edelia Calderón und Sir Kieran jedenfalls. Während wildes Getuschel auf den Besucherbänken ausbrach und Sergeant Book sich hektisch zu George umdrehte und diesem eine Frage zuzischte, sahen die Santería und der Sommerfae wieder genauso zufrieden aus wie am Tag zuvor, als sie Hurricane diese Anklage wohl vorgetragen haben mussten.

George und Sergeant Book waren heftig am Diskutieren. Der alte Polizist wollte von unserem Traumfresser-Freund wissen, ob jemand über die Träume zur Insel der Jugend gelangt sein könnte, aber das verneinte George vehement. Das wüsste er!

Da ich neben George saß, fragte ich ihn leise, was es mit diesen Traumwegen auf sich habe, über die man auf die Insel der Jugend gelangen könne. Er erklärte mir ebenso leise, dass die Insel nur von einem Schiff erreicht werden könne, das rückwärts gegen den Wind kreuze. Und das gehe eben eigentlich nur im Traum. Im Traum... oder mit einem magischen Schiff vielleicht, das seit mehreren hundert Jahren dazu verflucht ist, ohne Rast und Ruhe über die Meere zu segeln?
Hat vielleicht Joseph Adlene auf seiner frenetischen Suche nach dem Jungbrunnen einen Handel mit dem Fliegenden Holländer abgeschlossen, weil er diesen auf der Insel der Jugend vermutet?
Wobei Hans Vandermeer selbst ja seit etlichen Monaten an Land ist – seit Roberto es ihm an dem Tag in der Galerie erlaubt hat, um genau zu sein. Aber seine Mannschaft ist ja noch an Bord. Vielleicht gab es einen Handel mit denen?

Oben am Richtertisch wurde inzwischen beschlossen, den Prozess zu unterbrechen und in drei Tagen wieder aufzunehmen. Edward und Roberto hätten zwar auch alleine die Mehrheit gehabt, aber Catalina Snow stimmte ebenfalls dafür. Sie denkt nämlich ebenfalls, dass hier etwas mehr als faul ist, dass Antoine wohl ans Messer geliefert werden soll, sagte sie den beiden.

Roberto und Edward kamen von ihrem Podest herunter, und ehe wir zu Sergeant Book hinübergingen, wechselten wir erst einmal einige Worte untereinander.
Lady Fire will ja ziemlich offensichtlich Pan absetzen. Und tatsächlich ist der gute Pan alles andere als ein idealer Sommerherzog. Das war er damals schon nicht, als Titania uns die Entscheidung überließ. Dummerweise aber ist Lady Fire noch immer genausowenig eine Option wie damals.
Sir Kieran wäre als Nachfolger Pans deutlich besser geeignet als Lady Fire – und er kann wenigstens nur Roberto nicht leiden, während Lady Fire uns, bis auf Alex, alle hasst. Wobei sie Alex sogar mag, oder wenigstens in seiner Schuld steht, weil er sie damals vor den Bucas gerettet hat.

Noch eine wichtige Frage drängte sich uns in dem Moment förmlich auf. Antoine wollte Pan nicht sagen, wo seine Drogenkräuter herkommen. Und das, obwohl der Sommerherzog es ihm befohlen hatte. Er hat seinem Feudalherren widerstanden, also muss ihm das Versprechen, das er gegeben hatte, sehr wichtig gewesen sein. Also wo kommt das Zeug her?

Und auch Sergeant Book muss übrigens ein ziemlich hochrangiger Wyldfae sein, wo wir schon mal dabei sind, wenn er sich so offen gegen Pan stellen und das Hohe Gericht einfordern konnte.

Aber das waren alles erst einmal nur Gedankenspiele. Wir brauchten mehr Informationen. Gemeinsam mit Catalina setzten wir uns also mit Sergeant Book und George zusammen, um mit den beiden noch einmal genauer über die Insel der Jugend und diesen so plötzlich aufgetauchten Vorwurf zu sprechen.

Dabei erfuhren wir folgendes: Die Insel der Jugend stabilisert das Nevernever, und davon soll eigentlich niemand wissen. Auch dass sich der Jungbrunnen dort befindet, ist eine Information, die eigentlich niemand bekommen soll. Wer darf denn auf die Insel? Eigenlich jeder, der dorthin findet. Aber man darf eben nichts von dort wegnehmen, und Menschen dürfen nur einmal in 99 Jahren aus dem Brunnen trinken, weil er sonst zu sehr geschwächt würde.

Etwa in diesem Moment, oder vielleicht auch schon kurz vorher, flog plötzlich ein Gedanke im Raum herum – ich weiß nicht einmal, wer von uns ihn aussprach: „Sag mal, Edward, wie ist deine Mutter eigentlich so jung geworden?“

Wir hatten immer vage gedacht, das liege irgendwie an Antoines Feenmagie, oder an Antoines Drogen, aber was, wenn Mrs. Parsen an den Jungbrunnen geraten war? Wenn schon jemand anderes in den letzten 99 Jahren daraus getrunken hätte, dann wäre das ein Grund für die von Sir Kieran und Ms. Calderón angeklagte Entweihung...
Und tatsächlich konnten Sergeant Book und George uns bestätigen, dass der Brunnen zuletzt in den 1930ern von einem Menschen genutzt worden sei. Mierda..

Und noch eine andere Idee stand plötzlich im Raum, mindestens ebenso besorgniserregend: Adlene. Ehe wir unsere Masche mit dem Verjüngungsritual durchzogen, war er geradezu besessen davon, den Jungbrunnen zu finden. Tió, als wir Adlene zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, war das in dieser Galerie, in dieser Ausstellung über maritime Kunst. Und wer war da noch, umringt von einem Rudel hübscher Frauen? Niemand anderes als Hans Vandermeer, dem just zu dieser Gelegenheit Roberto in Titanias Namen die Erlaubnis gab, an Land zu bleiben, und der sich über diese Erlaubnis so unendlich gefreut hatte.

Was, wenn Adlene gewusst hatte, dass eine Ausstellung über Schiffe, an dem einen Tag, an dem er an Land gehen durfte, natürlich eine starke Anziehungskraft auf den Fliegenden Holländer ausüben würde? Was, wenn der Nekromant gehofft hatte, Vandermeer dort zu begegnen – oder gar ein Treffen mit ihm ausgemacht hatte – eben in der Absicht, von ihm auf die Insel der Jugend mitgenommen zu werden?

Danach mussten wir Hans fragen. Aber zuerst fragten wir George, ob er uns zu der Insel bringen könne. Ja, erklärte mein kleiner Wyldfae-Freund, das könne er, aber wir müssten versprechen, von dort nichts wegzunehmen.

Hans wiederum, als wir ihn gefunden hatten, konnte sich an Adlene erinnern. Der habe ihn angesprochen, Hans habe ihn aber weggeschickt und darauf bestanden, er wisse nicht, wovon der Mann rede. Immerhin sei das den Kerl nichts angegangen. Ob Adlene daraufhin seinen ersten Maat kontaktiert habe, wusste Hans nicht, denn er sei ja nach dem Besuch der Ausstellung nicht mehr auf die Titania zurückgekehrt.

Aber, ja, das Schiff komme regelmäßig in der Nähe des Piers vorbei. Es lege natürlich nie an, aber man könne hinrudern. Wann es denn das nächste Mal vorbeifahre, konnte Hans uns allerdings aus dem Kopf nicht sagen. Er verschwand und kam eine Stunde später mit einer alten, vielbenutzten Seekarte zurück, rechnete mit der Kompass-App auf seinem Handy eine Weile daran herum und erklärte schließlich, dass die Titania morgen früh zwischen 03:54 und 03:57 vor der Küste liegen werde.

Seinen ersten Maat zu kontaktieren, weigerte der Holländer sich aber vehement – und überhaupt sei das Schiff vermutlich gerade im Nevernever unterwegs, da Fritz eine Fehde mit diesem Piraten habe, Miguel de Sangrado.
Der Name ließ mich blinzeln. Miguel de Sangrado? Irgendein Glöckchen klingelte da, aber ich konnte nicht genau sagen, woher mir der Name bekannt vorkam.

Lange darüber nachdenken konnte ich aber nicht, denn die anderen fragten Hans schon weiter aus. Was für ein Typ dieser erste Maat so sei, und was Hans uns über ihn erzählen könne. Fritz von Wille heiße er, und er sei ein beständiger Typ. Kein Trinker. Teufel und Dämonen seien ihm egal; er würde mit jedem einen Handel abschließen, wenn die Bezahlung stimme. Also auch Adlene, war die unterschwellige Aussage. Mierda.

Wie es überhaupt zu dem Fluch gekommen sei, dem Hans unterliege, wollten wir noch wissen. Er habe einen Handel mit Titania geschlossen, erzählte der Holländer, und er habe gegen den Handel verstoßen. Es hatte irgendwas mit seinem Versuch zu tun, das Kap Horn umsegeln zu wollen, aber so ganz schlau wurde ich aus seinen Angaben nicht. Aber Hans ging auch nicht groß ins Detail, um ehrlich zu sein.

Die Kette, die er so dringend wiederhaben will, hat jedenfalls nichts mit dem Fluch zu tun, sondern die hatte Hans von Titania zur Aufbewahrung erhalten, weil die Feenkönigin der Ansicht war, auf seinem Schiff sei sie sicher. Und ja, Cherie hatte sich an Bord des Schiffes aufgehalten, als sie die Kette an sich brachte. Denn vor dem Treffen mit Roberto in der Galerie hatte Hans ja jeweils nur einen Tag in 100 Jahren an Land gekonnt, und nein, so lang sei der Verlust der Kette noch nicht her.

Apropos Frauen an Bord: Jetzt, wo wir Hans greifbar hatten, fragten wir ihn nach unserer Theorie bezüglich Marie Parsen. Ja, bestätigte der Holländer: Vor einigen Jahren, als er noch an Bord war, habe die Titania mal einen Pooka und eine Menschenfrau mitgenommen, auf eine „romantische Kreuzfahrt“ für die Freundin des Fae. Und ja, da hätten sie auch vor der Insel der Jugend geankert. Die Crew hätte zwar nicht von Bord gekonnt, aber das Pärchen sei an Land gegangen. Und als sie wiedergekommen seien, hätte die Frau deutlich jünger ausgesehen.

Mierda. Dann ist Antoine zwar unschuldig, was die Störung des Festfriedens betrifft, aber dafür trifft ihn die Schuld in dem deutlich schlimmeren Anklagepunkt. Cólera!

Nur... etliche Jahre lang wusste keiner von dem Vergehen, nicht einmal Sergeant Book, der Verantwortliche, der von der Anklage völlig überrumpelt wurde. Also wie zum Geier haben Sir Kieran und Ms. Calderón davon erfahren?
Das ist eine Frage, die wir keinesfalls aus dem Auge verlieren sollten, auch wenn wir sie momentan nicht beantworten können.

Zurück im Precinct teilte Edward seinem Vorgesetzten mit, dass das Schiff des Fliegenden Holländers in der Lage ist, zur Insel der Jugend zu gelangen. Der Sergeant bedauerte zwar, dass dessen Kapitän derzeit nicht an Bord sei, aber dann müsse man halt mit dem ersten Offizier reden. Zu diesem Zweck schickte er Suki Sasamoto los, die ja als halbe Nixe leicht zu dem Schiff hinkommt. Suki gab sich ein wenig spitz: Ob die Titania versenkt werden solle, ja, nein? Nein, natürlich nicht, war unsere indignierte Antwort. „Püh, ihr entscheidet sowas ja öfter mal aus der hohlen Hand heraus“, schoss Suki zurück und schien fast ein wenig enttäuscht, als wir nochmals mit Nachdruck bekräftigten, dass das Schiff nicht versenkt werden würde. Dann zog sie los.

George erklärte sich währenddessen bereit, uns durch das Nevernever zu der Insel der Jugend zu führen, falls dies nötig werden sollte, sprich, falls sich herausstellen sollte, dass Marie sich dort befände. Edward und ich kennen ja beide seinen Wahren Namen und können ihn im Zweifelsfall rufen.

Nächste Station: Unser alter Raddampfer in den Everglades. Alex brachte uns samt Schiff ins Nevernever, wo Edward erneut sein Ritual abzog, um seine Mutter zu finden. Unterstützt wurde er dabei von Roberto, dessen Liberace-Mantel hier seltsamerweise wie ein Ballkleid aussah. Beinahe wäre der Zauber missglückt, weil unser Freund in dem Aufzug einfach zu schräg aussah und Edward kopfschüttelnd immer wieder zu ihm hinüberschielte, aber dann riss er sich doch zusammen und beendete den Spruch erfolgreich.

Seit er die Fährte aufgenommen hat – für Edwards Sinne ein schwacher Geruch nach seiner Mutter, der über das Wasser wabert und gar nicht so leicht zu verfolgen ist, weil er bisweilen einfach wegweht – gibt es für uns andere (bis auf Alex, der steuert) nicht sonderlich viel zu tun. Also habe ich mich samt Tagebuch an Deck gesetzt und die Ereignisse des Tages aufgeschrieben. Aber jetzt bin ich erst mal soweit auf dem Laufenden, also gehe ich jetzt zu den anderen.

---

Mierda. So kommen wir nicht weiter. Wir tuckerten weiterhin gemächlich durch das Nevernever, als irgendwann ein graugewandeter Schiffsjunge an Bord auftauchte. George. Er wollte uns zeigen, wie man rückwärts gegen den Wind kreuzt, aber das geht mit einem Schaufelraddampfer nun mal nicht, dazu braucht es Segel. Also müssen wir wohl doch auf die Traumpfade zurückgreifen. Hurra.

---

Wir liegen vor Anker. Alex kannte da einen sicheren Ort, eine idyllische Insel mit einer geschützten Bucht. Die Tiere der Feenwelt halten sich von unserem Schiff fern, weil so viel Eisen daran ist.
Das heißt, wir werden uns jetzt hier schlafen legen und hoffen, dass George uns aus unseren unterschiedlichen Träumen einsammeln kann. Und dann schauen wir mal, ob wir zu dieser ominösen Insel der Jugend hinkommen. Gute Nacht... oder so.
« Letzte Änderung: 31.07.2015 | 10:20 von Timberwere »
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Als wir – ich hätte beinahe gesagt „aufwachten“, aber das genaue Gegenteil ist ja der Fall – als George uns also im Traum alle zusammengebracht hatte, fanden wir uns in einer grauen Segelyacht wieder, die, weil kleiner, einfacher zu handhaben war als ein ausgewachsenes Schiff.

Ehe George uns zu der Insel führte, mussten wir ihm versprechen, nichts von dort mitzunehmen – nicht einmal Antoine und Marie, solange diese nicht von selbst die Insel verließen. Wir gaben alle unser Wort, aber das von Totilas genügte unserem Wyldfae-Freund nicht. Denn Totilas hat ja schon einmal einer Fee gegenüber einen Eid nicht gehalten – und dieser Wortbruch ist ihm anscheinend heute noch anzusehen. George war unerbittlich, und erst, als ich für Totilas bürgte, lenkte er ein.

Von der Fahrt selbst weiß ich gar nicht mehr so viel. Wie so oft bei einem Traum, sind nur noch einzelne Fetzen und unzusammenhängende Bilder übrig. Wir fuhren in unserem grauen Boot über das graue Meer. Ein Zirkus tauchte auf, an dem wir vorbeifuhren. Die Wellen wirkten überscharf, nicht richtig real. Die Segel unserer Yacht falteten sich auf einmal ineinander wie bei einem Escherbild. George nahm einen Spiegel und spiegelte den Wind in die Segel. Kurze Zeit lang standen drei Vollmonde am Himmel, wurden aber – zum Glück für Edward – sehr schnell zu Sicheln.

Und ich stellte mit einem Mal fest, dass mein Arm verbrannt war. Keinerlei Hinweis darauf oder Erinnerung daran, wie das geschehen war, Traumlokik eben. Aber Traumlogik hin oder her, weh tat das verdammte Ding trotzdem. Au. Aber irgendwie fühlte es sich auch richtig an. Nein! Tat es nicht!. Cólera. George, der irgendwie auch einen rußgeschwärzten, angekokelten Eindruck machte, erklärte jedenfalls, er habe das Feuer ausgemacht. Puh. Danke dir, kleiner Kumpel.

Irgendwann tauchte am Horizont eine Insel auf, und George, im Gegensatz zu mir nicht mehr verrußt, setzte in einer kleinen Bucht den Anker. Dann produzierte er von irgendwoher eine Thermoskanne mit Kaffee: immerhin müssten wir auf der Insel ja wach sein. George selbst werde mit dem Boot vor der Insel bleiben; sobald wir zurück wollten, müssten wir nur wieder einschlafen.

Tatsächlich ließ das starke Gebräu uns aufwachen: Das seltsame graue Meer war verschwunden, George und die Yacht ebenfalls, und wir standen am Ufer einer Karibikinsel, laut, lebendig, leuchtend. Kreischende Papageien, lianenbehängte Bäume, farbenfrohe Blüten, strahlender Sonnenschein und warme, freundliche Schatten.

Sagte ich „lebendig“? Alles hier lebte. Keine abgestorbenen Äste an den Bäumen, von völlig toten Bäumen ganz zu schweigen. Die Büsche trugen keine verwelkten Blüten, und es war kein Tierkadaver in Sicht. Für die meisten von uns – für mich jedenfalls – war es abgesehen davon eine ganz normale, exotische Karibikinsel, aber als Alex sich umsah, stellte er fest, dass er höchstens die Hälfte der Pflanzen hier kannte.

So oder so, es war einfach idyllisch, der perfekte Ort für einen entspannten Urlaub. Überhaupt waren wir alle – mit einer Ausnahme – herrlich entspannt. Mein Arm tat nicht mehr so weh, und es war einfach unmöglich, sich an diesem Ort nicht rundum gut zu fühlen. Die eine Ausnahme war Roberto, der Titanias Kette trägt, seit Edward sie ihm wiedergegeben hat, weil ihm das auf die Schnelle als der sicherste Ort dafür erschien. Die Kette jedenfalls, oder ihr Gefühl davon um Robertos Hals, war nicht entspannt. Sie gehöre einfach nicht hierher, erklärte unser Freund, als wir ihn auf seine offensichtliche Anspannung ansprachen. Es sei kein unangenehmes Gefühl, aber in der Kette verspüre er ein Gefühl von Ernsthaftigkeit, das nicht zu der restlichen relaxten Stimmung hier passen wolle. Auch warf die Kette an seinem Hals härtere Schatten als die weichen Schatten, die sonst hier überall zu sehen waren.

Während wir uns so unseren Weg über die Insel suchten, hörten wir irgendwann Säbelgeklirre in einiger Entfernung. Im Näherkommen sahen wir dann, dass auf einem waagrecht gewachsenen Baumstamm eine junge Frau in Seemannskleidung – Marie Parsen – sich ein Duell mit einem in ein Piratenkostüm gewandeten Kerl lieferte. Es war kein Training, kein Schaukampf, sondern bitterer Ernst, soviel stand sofort fest – aber trotzdem hatte das Ganze irgendwie ein... wie sage ich das... hollywoodartiges Gepräge. Hin und her wogte das Gefecht, bis Marie eine Liane packte und den Mann vor die Brust trat, so dass dieser zu Boden fiel. Der Pirat rief etwas von „Das wirst du bereuen!“ und rannte davon, während Marie ihm ein triumphierendes „HAHA!“ hinterherwarf.

Erst dann, als sie von ihrem Baumstamm herunterkletterte, bemerkte Marie uns, zu ihrer sichtlichen Überraschung. „Edward, was machst du denn hier?“
Edward erklärte, dass wir auf der Suche nach Antoine seien, aber den hätten die Piraten gefangengenommen, erwiderte Marie. „Wir werden ihn schon raushauen“, fügte sie dann noch, ziemlich nonchalant und gleichzeitig völlig überzeugt, hinzu.
Das war dann der Moment, wo Edward seiner Mutter klarmachte, dass Antoine vor richtigen Problemen stand.
„Ach, wegen der Verhandlung“, antwortete diese, noch immer ganz locker. „Ja, da kam so ein Sturmvogel deswegen. Der müsste demnächst wieder auftauchen; er weiß, wo Antoine ist.“
Der Sturmvogel, stellte sich heraus, hatte Antoine die Vorladung zur Gerichtsverhandlung gebracht, aber sich nicht näher dazu geäußert. Marie ging also davon aus, dass es sich dabei um die Sache mit den Drogen handele. Das sei noch das Harmlosere, hielt Edward dagegen.

Natürlich fragten wir Marie weiter aus. So erfuhren wir, dass sie auf der Kreuzfahrt mit der Titania tatsächlich, wie wir ja schon erfahren hatten, hier vor Anker gegangen waren. Bei der Erkundung der Insel hatten die beiden sich getrennt: Während Antoine nach Kräutern suchte, war Marie über einen Brunnen gestolpert und hatte daraus getrunken, einfach weil sie durstig war, nicht weil sie gewusst hatte, um was es sich da handelte.
Antoine habe dann diese Kräuter gefunden, die für seine Zwecke geradezu ideal geeignet waren, habe aber der Insel versprechen müssen, niemandem zu sagen, wo er sie her habe.

Die Insel sei einsam, erklärte Mrs. Parsen noch, ihr sei langweilig. Es sei ja nie jemand da. Naja, wobei, jetzt wären die Piraten da. Die seien ihnen gefolgt, Miguel de Sangrado habe da diese Fehde mit Fritz von Wille. Wie die Piraten denn überhaupt zu der Insel hatten gelangen können, wollten wir wissen. Oh, Sangrado habe inzwischen herausgefunden, wie man rückwärts gegen den Wind kreuze.

Cólera y mierda. Weiß denn inzwischen jeder, wie das funktioniert?
„Na ihr wisst es doch auch“, konterte Marie leichthin, als Edward genau dieser Kommentar (allerdings ohne die spanische Einlassung und deutlich grummeliger) herausrutschte.
„Wir haben Experten gefragt“, knurrte Edward.
„Vielleicht hat Sangrado auch einen Experten gefragt?“, lächelte seine Mutter.

Irgendwie nahm Mrs. Parsen die ganze Sache ziemlich leicht. Nur eines brachte sie in Rage. Da sei diese Piratenbraut, oder Opernsängerin, oder beides, Sangrados Tochter oder so, Esmeralda mit Namen, die ein Auge auf Antoine geworfen habe. Maries Augen blitzten gefährlich, als sie das sagte, also lenkten wir ab, indem wir sie nach dem Mann fragten, der derzeit das Kommando über die Titania innehat. Der erste Maat sei sehr nett, sagte Marie überzeugt: ganz anders als der Kapitän, dieser Arsch.

Das war der Moment, in dem der bereits erwähnte Sturmvogel zurückkam. Er schüttelte indigniert die Federn, als er feststellte, das zwei der drei Richter den weiten Weg zurückgelegt hatten. Dann könne das Gericht ja jetzt hier zusammenkommen. Nein? Schade aber auch.

Wo Antoine sei, wollten wir von dem Vogel wissen. Im Lager der Piraten, antwortete der, dort werde er von dieser Frau besungen. Na dann solle er uns doch bitte den Weg dorthin zeigen, forderten wir ihn auf. Das tat der Vogel, aber während er langsam vorausflog, hörte man ihn schimpfen: „Sommerfeen. Wyldfae. Menschen. Es ist doch immer dasselbe.“

Der Vogel sei ständig am Zetern, vertraute Mrs. Parsen uns an. Ganz wie Edward. Marie grinste ihren Sohn an, als sie das sagte. Aber Edward könne man mit Kuchen ruhigstellen – den Vogel vielleicht auch? Aber hier gab es keinen Kuchen – höchstens Kräuter. Und nein, Kräuter würde der Vogel definitiv nicht bekommen, erklärten wir bestimmt –  immerhin hatten wir versprochen, nichts von der Insel mitzunehmen.
„Och, die Insel hätte sicherlich nichts dagegen“, befand Marie.

Hmmmm. Unser Versprechen konnten wir natürlich nicht brechen. Aber wenn die Insel eine Persönlichkeit hatte und Marie und Antoine mit ihr gesprochen hatten, dann konnten wir auch mit ihr reden. Und vielleicht konnten wir sie – ihren Avatar, um genau zu sein – mitnehmen zur Gerichtsverhandlung, damit sie dort ihre Aussage machen und Antoine entlasten könnte?

Aber erst einmal mussten wir Antoine befreien. Also auf zum Lager der Piraten.
Schon von weitem hörten wir einen Chor aus Männerstimmen, die ein Seemannslied sangen, darüber ein klarer Opernsopran. Im Näherkommen sahen wir dann auch die Szenerie dazu: Ein Lagerfeuer am Strand, neben dem die singenden Piraten – sechs an der Zahl - standen. Ein großer Felsen, an den Antoine gefesselt war, einen trotzigen Ausdruck im Gesicht, während eine schwarzhaarige Frau in einem grünen Kleid vor ihm stand und ihn ansang. Am Strand lag ein Ruderboot, mit dem die Piraten offensichtlich an Land gekommen waren, auf das im Moment aber niemand achtete.

Uns hatte auch noch niemand bemerkt. Alex nickte mit dem Kinn zu dem Boot hin und machte sich dann in diese Richtung auf. Edward hingegen... von Edward kam plötzlich ein lautes „Arr! Auf sie!“
Das ließ uns alle stutzen, und als wir erstaunt zu ihm hinsahen, war seine Kleidung mit einem Mal piratenartiger geworden: ein weißes Rüschenhemd mit V-Ausschnitt, eine schwarze Pluderhose, schwarze Stiefel und ein roter Schärpengürtel.

Ehe wir ihn aufhalten konnten, war Edward schon mit festen Schritten zu der dunkelhaarigen Piratin geeilt, hatte sie umfasst und küsste sie leidenschaftlich. Deren Männer waren überrascht, aber nicht so überrascht, dass sie nicht alle ihre Säbel gezogen hätten. Und auch die Frau selbst war nicht so überrascht, dass sie Edward nicht eine schallende Ohrfeige gegeben hätte.

Edward lächelte die junge Dame an, und er klang wie der charmanteste Mantel-und-Degen-Held, den Hollywood je gesehen hat. „Mein Name ist Edward, und ich will Euch singen hören, schöne Lady!“
Totilas warf eine Herausforderung in den Raum: dass Esmeralda gar nicht singen könne, denn wenn sie es könnte, dann würde sie es jetzt schon tun.

Dieses ganze Gerede von Musik, und von einer singenden Dame... Da stand eine alte Gitarre an einen der Sitzsteine gelehnt, und mit einem Mal überkam mich der unbändige Drang, Esmeraldas Gesang zu begleiten oder am besten gleich dem Paar zum Tanz aufzuspielen. Es war völlig selbstverständlich, dass ich das tat, denn ich war Joaquin el guitarero, und das da drüben war meine Gitarre!

Also zögerte ich nicht lange, schnappte mir das Instrument und spielte auf, eine feurige spanische Melodie in vollendeter Perfektion – und das, wo ich doch eigentlich gar keine Gitarre spielen kann. Aber in dem Moment war ich ja auch felsenfest davon überzeugt, Joaquin zu sein und nicht Ricardo. Und Edward und Esmeralda begannen tatsächlich, zu meiner Musik zu tanzen.

Roberto zog sein Handy heraus, das hier im Nevernever natürlich keinen Empfang hatte. Aber es funktionierte immerhin soweit, dass er Musik damit abspielen konnte... einen aufdringlichen und so gar nicht zur Szenerie passenden Hip Hop-Beat.
Daraufhin ging Esmeralda singend auf Roberto los, und auch Edward stürmte zu ihm hin, riss ihm das Handy aus der Hand und zertrat es mit einem Knurren von wegen „Ich will die Dame ungestört singen hören!“

Die anderen nutzten diese Ablenkung, um zu dem Ruderboot zu gelangen. Señorita Sangrado bekam davon zwar nichts mit, ihre Gefolgsleute aber sehr wohl, und so gingen die sechs Männer auf die Gruppe am Boot los. Wieder wirkte der Kampf ernsthaft, aber doch auch irgendwie hollywoodesk. So schien einer der Piraten beispielsweise unter Rückenschmerzen zu leiden, und im Kampf gab Totilas dem Kerl einen Tritt. Daraufhin ging dieser erst zu Boden, richtete sich dann aber mit einem seligen Lächeln und einem „sie sind weg!“ wieder auf – und ließ unseren White Court-Kumpel ab dem Moment in Ruhe.

Während unsere Freunde sich am Boot mit den Piraten prügelten, diskutierten Edward und ich mit Señorita Esmeralda. Edward schien ihr besser zu gefallen als Antoine, zumal dessen Herz ja auch vergeben war, wie die junge Dame dann einsehen musste, aber nun wollte sie den Sommerfae töten, weil er zur Crew des verhassten Fritz von Wille gehöre. Nein, versicherten wir ihr, Antoine sei lediglich ein Passagier auf dessen Schiff. Aha, ein Passagier?, triumphierte die Piratin, dann habe er Geld, und das müsse man ihm abnehmen! Aber auch das konnten wir ihr ausreden, unter anderem deswegen, weil Edward sie schließlich noch galant nach Miami einlud, ehe die Piraten und ihre Anführerin in ihrem Boot wegruderten.

Edwards Verhalten ließ mich wieder blinzeln. Was war da nur in meinen Freund gefahren?
Hmpf. Vermutlich so ziemlich dasselbe, was auch in mich gefahren war, stellte ich fest. Und da fiel mir auch wieder ein, woher der Name „Miguel de Sangrado“ mir so bekannt vorgekommen war. Vorletztes Jahr, während des Filmdrehs und der Sache mit den Bucas, hatte ich doch diesen kinoreifen Traum aus der Sicht eines guitarero namens Joaquin, der mit seinen Freunden ein wildes Mantel-und-Degen-Abenteuer erlebte. Und in diesem Traum kamen auch ein alter Pirat namens Miguel de Sangrado und seine Tochter Esmeralda vor... Tío. Das versteh einer.

In dem ganzen Chaos hatten Antoine und Marie sich abgesetzt. Aber dank des Sturmvogels, der sich missmutig zeternd auf einem Ast in der Nähe niedergelassen und das Schauspiel beobachtet hatte, fiel es uns nicht schwer, ihre Spur wieder aufzunehmen.
Wir fanden die beiden ein Stück entfernt. Als er Antoine erblickte, keifte der Vogel sofort los, der Fae habe eine Vorladung erhalten und habe sich gefälligst bei Gericht einzufinden. In dieselbe Richtung argumentierten wir auch, allerdings nicht ganz so lautstark. Und vor allem wollten wir wissen, was Antoine selbst zu der ganzen Sache zu sagen habe.
Bezüglich der ersten Anklage, der Sache mit den Drogen, erklärte Antoine, sei er unschuldig, damit habe er nichts zu tun. Und was den zweiten Vorwurf beträfe, den mit der Entweihung der Insel: Da habe diese ausdrücklich erklärt, dass es ihr nichts ausmache.

Das mussten wir schon von der Insel selbst hören. Aber wir wollten ja ohnehin mit ihr reden. Zuerst aber befragten wir Antoine noch etwas ausführlicher zu dem Vorfall mit dem Scarlet. Der Fae sei an dem Abend in Pans Palast gewesen, sagte er, habe das Zeug sogar noch im Vorratsraum herumstehen sehen. Colin habe ihn mehrmals in den Vorratsraum geschickt, um Dinge für ihn zu holen, Antoine sei aber nicht auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, warum Colin nicht selbst gehe.

Beim ersten dieser Botengänge habe das Scarlet bereits dort im Raum gestanden. Er hätte sich wohl besser darum kümmern sollen, um was es sich bei diesem ihm unbekannten Zeug handelte und wie es dort hingekommen war, gab Antoine zu, aber Colin habe ihn so sehr herumgescheucht, dass er gar nicht zum Nachdenken gekommen sei.
Als dann am Strand reihenweise die Leute durchdrehten und es Tote gab, sei Antoine abgehauen, denn es sei ihm klar gewesen, dass sie die Sache ihm anhängen würden.
„Dann solltest du dir vielleicht einen anderen Job suchen“, knurrte Edward, aber darauf sprang Antoine nicht so wirklich an. Es gebe ja nichts, was er sonst könne. Hmpf.

Na gut. Dann war es jetzt also an der Zeit, mit der Insel zu reden. Das tue man am besten in deren Herzen, sagte Marie. Aber wir dürften keinesfalls aus dem Brunnen trinken. Nein, natürlich nicht, das war uns doch ohnehin klar, und das hatten wir ja auch schon George versprochen.

Das Zentrum der Insel war ein idyllischer Platz, umringt von Bäumen und Blüten und von der Sonne betrahlt. In dessen Mitte ein kleiner, sanft plätschernder Brunnen. Antoine klopfte daran, und kurze Zeit später erschien eine humanoide, etwa kindsgroße Gestalt. Ein Baumwesen, und da wir ja alle den Film Guardians of the Galaxy gesehen haben, kam uns sofort irgendwie der Gedanke an Groot. Nur viel kindlicher im Wesen, wie sich dann herausstellte. Und mit deutlich größerem Wortschatz.

Das Wesen begrüßte uns freundlich, vor allem Antoine, denn dass es Antoine mochte, war nicht zu übersehen. Aber es freute sich riesig über die Gesellschaft: neue Gesichter, neue Menschen, hier in der Einsamkeit!
Irgendwie ergab es sich, dass ich größtenteils das Wort führte, also fragte ich zuerst, wie wir das Wesen denn nennen sollten. „Jugend“, kam die Antwort. Also gut.

Wie sich herausstellte, hatte Jugend tatsächlich kein Problem damit, dass Leute zu ihr kamen, ganz im Gegenteil. Jede Unterbrechung der Einsamkeit war mehr als willkommen. Und es hatte Jugend auch tatsächlich nicht gestört, dass Antoine die Kräuter auf der Insel gepflückt, noch dass Marie aus seinem Brunnen getrunken hatte. Der perfekte Entlastungszeuge für den zweiten Anklagepunkt also!

Dummerweise jedoch erklärte Jugend, es könne seine Insel nicht verlassen. Mierda. Aber gut, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg. Ob es ein Problem damit gebe, dass für eine Gerichtsverhandlung weitere Personen die Insel beträten? Aber mitnichten, freute sich Jugend, mehr Leute!!
Also baten wir den Sturmvogel, alle Teilnehmer zu informieren, dass der Ort des Hohen Gerichts nach hier verlegt werde; der vorher festgelegte Zeitpunkt bleibe unverändert.
Etwas grummelig, aber bereitwillig, zog der Vogel ab.

Uns fiel indessen ein, dass wir hier auf der Insel ja nichts würden essen können, ohne unser Wort zu brechen – es sei denn, wir wären uns sicher, dass wirklich alles, was wir hier zu uns nähmen, hier auch wieder ausgeschieden würde. Und genau das können wir eben nicht garantieren. Aber mit Maries und Antoines Boot können wir ja auf eine der Nachbarinseln, oder vielleicht gibt es ja auch an Bord der Titania etwas zu essen.

Alex will indessen meine die Gitarre reparieren, die unter der Rangelei am Strand etwas gelitten hat. Meine Erinnerungen sind unklar, aber habe ich die nicht irgendwann einem der Piraten über den Kopf gezogen? Oder Roberto, weil sein Handyklingelton so an meinen Nerven zerrte?

Hier sind wir jedenfalls jetzt. Gut zwei Tage haben wir noch, bis das Gericht hier abgehalten wird, und wir müssen uns die Zeit bis dahin irgendwie vertreiben – ohne unser Wort zu brechen, versteht sich. Vielleicht sollten wir einfach grundsätzlich auf eine der anderen Inseln wechseln, aber Jugend, das arme Ding, freut sich so über Gesellschaft, die will ich ihm nicht entziehen.

Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob überhaupt alle maßgeblichen Teilnehmer am Gericht einen Weg haben, auf die Insel zu kommen. Aber hey, es sind Feen. Die werden schon einen Weg finden. Wenn sie dann da sind, müssen wir sie nur sehr genau im Auge behalten, vor allem Colin. Ich traue dem keinen Millimeter weit, und ich will nicht, dass der einen Weg findet, die Insel für seine Zwecke zu nutzen.

Roberto tigert übrigens mit zunehmend schlechter Laune hier am Strand entlang. Ich fragte ihn, was denn los sei – aber das hätte ich mal besser gelassen. Denn er meinte etwas von „Drei Tage... und Dee ist nicht hier. Und ich kann sie auch nicht erreichen und ihr sagen, was los ist!“
Au. Und ich hatte mir solche Mühe gegeben, nicht an Dee zu denken. Mierda.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
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Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 3

Römer und Patrioten, das Nevernever ist ja noch seltsamer, als ich dachte. Aber hey, George ist involviert. Also sollte ich mich eigentlich nicht wundern, dass komische Dinge mit Träumen passieren. Und es hätte schlimmer sein können, wenn ich ehrlich bin. Auch wenn ich heute eine Seite an George gesehen habe, die mir gar nicht gefällt.

Wir haben ja versprochen, nichts von der Insel wegzunehmen, was bedeutet, auch keine Früchte zu pflücken oder aus Bächen zu trinken oder andere Stolperfallen dieser Art. Deswegen beschlossen wir, zu der anderen Insel hinüberzurudern, die wir ein Stück entfernt sehen konnten. Im Näherrudern erkannten wir, dass über dem Ufer der Insel, mit schweren Treibankern befestigt, ein Luftschiff schwebte. Und ich kannte dieses Schiff. Es war die Vaca des Nueves, die Wolkenkuh, die damals in meinem verrückten Traum ebenfalls vorgekommen war. Unwillkürlich entfuhr mir ein „Oh oh“, was natürlich die Jungs umgehend zu der Frage „Wem gehört das Schiff?“ veranlasste. Da rutschte mir doch glatt ein „Mir!“ heraus, ehe ich mit „Naja, indirekt jedenfalls“ gegenzusteuern versuchte. Das war natürlich der Moment, in dem ich von meinem damaligen Traum berichten musste, den ich ja aus der Egoperspektive dieses Joaquin erlebt hatte. Ich konnte die Handlung nur grob zusammenfassen, denn schon wurden wir von der Wolkenkuh mit einem fröhlichen „Ahoi da unten!“ begrüßt und an Bord eingeladen.

Die Gestalt, die uns an Bord holen ließ, erkannte ich aus meinem Traum als Francine, die Gnomin und Joaquins Liebste. Sie war ziemlich überrascht, dass ich nicht Joaquin war, denn aus der Ferne habe sie mich für ihren Gemahl gehalten. Aber bei aller Ähnlichkeit, Joaquin trage einen Bart, und ob wir Zwillingsbrüder seien? Wirklich heilfroh, dass das Verwechslungsspielchen nicht bis ins letzte Extrem ging, redete ich mich mit einem gemurmelten „so was in der Art“ heraus.

Joaquin sei nicht hier, klärte Francine mich auf: Er sei auf der Suche nach Esmeralda, die sich wegen dessen Erforschung seiner minotaurischen Wurzeln mit Maurice gestritten habe und danach beleidigt abgezogen sei.
Aber zum Essen lud die kleine Gnomin uns ein, wo wir schon einmal hier waren. Es gab Kaninchen in Biersauce, serviert von einer Köchin, an die ich mich vage erinnern konnte, ebenso wie an die seltsamen „Kuckuck“-Rufe, die gelegentlich durch das Schiff schallten.

Es waren aber nicht nur die „Kuckuck“-Rufe, die massiv seltsam waren, sondern die ganze Situation. Ich schlief doch nicht – George hatte uns zwar im Traum hierhergesegelt, dann aber aufgeweckt –, also warum begegnete ich den Gestalten aus meinem damaligen Traum jetzt hier in wachem Zustand? Selbst wenn das hier das Nevernever war?

George. George würde mir vielleicht mehr sagen können. Also zog ich mich in eine stille Ecke in einer Kammer der „Wolkenkuh“ zurück und rief nach meinem kleinen Traumfresser-Freund. George erschien prompt, begrüßte mich fröhlich und sah sich dann ganz begeistert – und gierig – nach dem ganzen Futter hier um. „Sooooo lecker!“ Wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte, dann hätte George vermutlich hier und jetzt angefangen, das Schiff aufzufressen. So aber einigten wir uns auf einen Besen samt zugehörigem Putzeimer, der vergessen in einer Ecke herumstand und den der kleine Oneirophage genüsslich aufschlabberte, während ich ihm Fragen stellte.

Ja, ich war definitiv wach, erklärte George. Und nein, er wisse nicht, wer diesen speziellen Traum gerade träume, es könnten eine Menge Leute sein. Mein eigener Traum war es jedenfalls auch schon deshalb nicht, weil ich gar nicht merkte, wie George den Eimer und den Besen fraß. Gut, bei etwas so Kleinem hätte es mit ziemlicher Sicherheit nicht wehgetan, anders als bei der Spieluhr damals (brrrr!), aber ich merkte es überhaupt nicht.

Wir waren gerade noch am Reden, als ein Schiffsjunge in die Kammer kam – bei meinem Glück sollte er das Deck schrubben und wollte den Eimer und den Besen holen –, George erblickte, große Augen machte, sich bekreuzigte, etwas von „Dämon“ murmelte und wieder hinausstürzte.

Ehe ich George dazu bringen konnte, sich sicherheitshalber besser rar zu machen, öffnete sich die Tür zu der Kammer erneut, und Mlle. Francine kam herein. Sie zeigte dieselbe Reaktion auf George wie der Schiffsjunge, und nichts, was ich tun oder sagen konnte, half: Wir wurden unverzüglich von der „Wolkenkuh“ komplimentiert.

Und es stimmt schon irgendwie. In dem Moment sah mein kleiner Freund auch für mich, ehrlich gesagt, ziemlich gruselig aus, mit seiner schattenhaften Form, den spitzen, gefletschten Zähnen und dem gierigen Blick. Ich gebe zu, einen Traumfresser auf ein nachgewiesener- oder zumindest vermutetermaßen aus Traumstoff bestehendes Schiff mit einer nachgewiesener- oder zumindest vermutetermaßen aus Traumstoff bestehenden Mannschaft zu holen, war nicht gerade die schlaueste Idee, die ich je hatte.

Unten auf der Insel sammelten wir dann, wie geplant, Nahrungsmittel. Eines davon war ein großes Chamäleon, das sprechen konnte, wie sich herausstellte, und dessen „ich schmecke ganz schlecht, ehrlich!“ tatsächlich eine wirksame Abschreckung für uns darstellte. Nach dieser Begegnung hielten wir uns dann doch lieber an Früchte.

Als wir von der Insel wegruderten, sahen wir, dass die „Vaca des Nueves“, die weiterhin an ihrem Ankerplatz schwebte, Gesellschaft bekam. Eine im Vergleich zu dem behäbigen Handelsluftschiff definitiv mitlitärische Galeone kam in Sicht, während uns von der „Wolkenkuh“ aus ein kleines Beiboot hinterherflog. Offensichtlich wollte Mlle. Francine sehen, wo wir herkamen, und uns vermutlich auch im Auge behalten. Mit uns reden wollten sie offensichtlich nicht, denn sie hielten schön ihren Abstand.

Beim Anlegen an der Insel der Jugend sahen wir ein drittes Schiff: das Piratenschiff, zu dem Esmeralda de Sangrado und ihre Leute sich zuvor zurückgezogen hatten. Jetzt nahm es Kurs auf die „Vaca des Nueves“ auf der anderen Insel drüben. Das Militärschiff war nicht mehr zu sehen; es hatte sich anscheinend versteckt, um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben, denn plötzlich kam es aus einer Bucht geflogen und feuerte auf den Piraten. Sangrados Schiff drehte sofort ab, woraufhin das Militärschiff die Verfolgung aufnahm und beide schon bald aus unserem Gesichtsfeld verschwunden waren.

Zurück auf der Insel ergingen wir uns in diversen Theorien über den Traum. Mich bewusstlos zu schlagen, würde wohl nicht sonderlich viel helfen – ganz abgesehen davon, dass ich mich ganz entschieden dagegen verwahrte. Aber wenn nicht ich derjenige war, der diesen Traum gerade träumte, wer konnte dann davon wissen? Naja, alle, die vielleicht mein Tagebuch gelesen haben könnten, grübelte ich. Also, auch wenn es natürlich eigentlich höchst privat ist und ich nicht hoffe, dass jemand darin herumschnüffelt, theoretisch Yolanda, Alejandra, die Putzfrau, meine Nachbarin Mrs Carver sowie deren Tochter, die auch gelegentlich auf Jandra aufpasst.

Dann bekamen wir wieder andere Besucher: Ein weiteres Wolkenschiff warf über der Insel der Jugend seinen Anker. Es handelte sich um eine Gruppe von Personen, die ich auch schon aus meinem Traum kannte: Dottore Carlotta Rapaccini und ihre Truppe von Forschern waren ganz begeistert von dem neu entdeckten Archipel. Im Schlepptau hatte die elfische Wissenschaftlerin auch einen Priester, Pater Antoninus. Der wiederum wollte nicht so dringend forschen, aber unbedingt Jugend zum Christentum bekehren, sobald er den ersten Blick auf das Baumkind geworfen hatte. Es war Totilas, dem es gelang, den guten Pater davon abzubringen, indem er dem Priester glaubhaft machte, dass wir auf einer geheimen Mission des Vatikans hier seien und dass es dieser Mission schade, wenn er jetzt hier missioniere.

Dottore Rapaccini wurden wir los, indem wir ihr wahrheitsgemäß von dem sprechenden Chamäleon auf der anderen Insel erzählten. Diese wissenschaftliche Sensation wollte die Dame sich nicht entgehen lassen, und so zog die Gruppe wieder ab.

Irgendwann tauchten auch die Militärgaleone und das Piratenschiff wieder auf, erstere noch immer unerbittlich an der Verfolgung. Ebenfalls am Horizont erschien ein Segelschiff, das sich sehr schnell als der Fliegende Holländer herausstellte. Mit einem Gatling-Gewehr aus dem Bürgerkrieg – weiß der Himmel, wie sie an die gekommen sind, aber immerhin ist der Holländer schon sehr lange auf diesen Meeren unterwegs – feuerte das Segelschiff auf die fliegende Galeone und traf deren Ballons, woraufhin das Militärschiff langsam an Höhe verlor und es so aussah, als werde es bald  auf der Insel niedergehen.

Wir ruderten indessen zum Fliegenden Holländer hinüber – es war höchste Zeit, dass wir mal mit diesem ersten Maat sprachen!
Nachdem wir uns versichert hatten, dass unser bloßes Anbordgehen nicht bedeuten würde, dass wir unter denselben Fluch fallen würden wie die Mannschaft – und nein, anheuern lassen wollte sich keiner von uns, herzlichen Dank – trafen wir an Bord Suki Sasamoto, die uns bestätigte, dass der ganze Gerichtstross morgen hier einfallen wird.

Fritz von Wille selbst stellte sich als durchaus umgänglicher junger Mann heraus. Joseph Adlene kenne er nicht, sagte er: Der Nekromant habe ihn bislang nicht kontaktiert. Bezüglich Miguel de Sangrado begann der erste Maat des Holländers erst durchaus freimütig zu erzählen: Die Fehde mit dem Piraten bestehe bereits, seit er wisse, was Sangrado sei. Was er denn sei, wollte ich wissen. Aber in diesem Moment warf von Wille einen Blick auf Roberto und schien in diesem Moment zu erkennen, wer – oder besser, was – dieser war, und im Beisein von Titanias Richter war kein weiteres Wort aus ihm herauszubekommen. Also ruderten wir wieder zurück zur Insel, ohne Suki Sasamoto allerdings. Die sagte, sie wolle zurück nach Miami und dem Chef bescheid geben, dass es uns gut geht.

Die Anklage hatte ja etwas von „Schwächunng der Insel“ gesagt. Aber wann hat diese Schwächung genau begonnen? Und gibt es sie wirklich, oder war die ganze Anklage nur ein sorgfältig eingefädeltes, aber falsches Spiel von Sir Kieran und Edelia Calderón?
Um das herauszufinden, wirkte Edward ein entsprechendes Ritual, während Alex seine eigenen Fähigkeiten einsetzte. Beide bekamen dasselbe heraus: Es gibt tatsächlich eine Schwächung, und die stärkste Spitze geschah vor ziemlich genau fünf Jahren, gefolgt von kleineren Ausschlägen zwischendrin.

Mierda. Das vor fünf Jahren war dann wohl Maries Trinken aus der Quelle der Jugend, und bei den kleineren Ausschlägen muss es sich dann wohl um die Gelegenheiten handeln, zu denen Antoine hier Kräuter gepflückt hat.
Aber die Idee zu einem Experiment kam uns – Roberto, um genau zu sein. Wenn Mrs Parsen eine Verbindung zu der Insel hat, besteht diese dann auch weiterhin, wenn Marie sich von der Insel entfernt? Um das zu testen, ruderten wir  hinaus und ein Stück von der Insel weg. Dabei stellten wir fest, dass die Verbindung auch dort draußen noch zu spüren ist – aber gut, das war ja auch keine sonderlich weite Entfernung.

Viel interessanter war, dass wir von dort draußen ein Beiboot des Militärschiffs entdeckten, das an einer anderen Stelle der Insel angelegt hatte. Natürlich ruderten wir schleunigst hin, um mit den Leuten zu reden.
Die Matrosen hatten gerade ein Feuer entzündet und waren dabei, Früchte zu pflücken.
Glücklicherweise war der Kapitän ein echter spanischer Edelmann, wie man ihn sich gemeinhin so vorstellt, und so gelang es uns, ihn zu überzeugen, dass die Insel hier eine Energie besitze, der er schade, wenn er hier Obst pflücken ließe, und so machten auch er und seine Leute sich auf zu der nächsten Insel.

Inzwischen ist es Abend geworden, und so haben wir – selbstverständlich unter Einhaltung unseres Versprechens – selbst ein Lager aufgeschlagen. Nach dem Abendessen (natürlich aus Mitgebrachtem) habe ich dann alles aufgeschrieben, was heute so passiert ist, und jetzt ist es ziemlich spät geworden. Schlafenszeit. Mal sehen, ob ich George nochmal erwischen kann. Im Traum ist es vielleicht etwas besser als auf der „Wolkenkuh“.

---

Gähn. Guten Morgen. Einmal strecken, bitte.
Ich habe George heute Nacht nochmal getroffen und etwas eingehender befragt. Er konnte mir sagen, dass dieser Ort, diese Traumwelt, wo Spanien „Escamandrien“ heißt und Frankreich „Chartreuse“, nichts Vergängliches ist und nichts, was ich alleine erträumt habe, sondern eine permanente Welt namens „Faurelia“, die immer existiert und in die sich theoretisch jeder hineinträumen kann.

Wie genau man dorthin kommt, das wusste George nicht. Das hätten die Traumfresser noch nicht herausgefunden. Und da war es wieder, dieser bedrohliche Unterton mit den vielen scharfen Zähnen, denn unter dem Gesagten klang unmissverständlich heraus, dass die Traumfresser den Weg nach Faurelia nur allzu gerne finden würden. Denn eben weil diese Traumwelt permanent ist, schmeckt sie offensichtlich besonders lecker und ist besonders verlockend für die Oneirophagen. Natürlich... damals bei der Sache mit Ruiz waren die permanenten Welten, zu denen Antoines Drogen den Träumern Zugang verschafften, ja auch besonders nahrhaft für George und seine Genossen.

Na gut. Mal sehen, was der Tag heute bringt. Wir müssen auf jeden Fall nochmal mit Jugend reden, und später kommt ja auch das Hohe Gericht hier an.
« Letzte Änderung: 10.10.2015 | 22:33 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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Zitat von: ErikErikson
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Aaah! Antoine, dieser verantwortungslose Fae, hat Jugend Poker beigebracht! Ich meine, wenn ich es recht betrachte, ist das keine so große Katastrophe, aber Jugend ist ein Kind, verdammt noch mal! Und dem würde ich ebenso wenig jetzt schon ein Glücksspiel beibringen wie Alejandra! Sie spielten zwar nicht um Geld oder sonst eine Wertsache, sondern nur um Kieselsteine, aber trotzdem. Seufz.

In Sachen Verfahrensplanung und einer möglichen Verteidigung für Antoine haben wir uns vorhin zwar lange und eingehend unterhalten, aber mit keinem echten Ergebnis. Oder zumindest mit keinen großartig neuen Erkenntnissen. Wir werden wohl tatsächlich einfach sehen müssen, wie es läuft. Von Colin als Verteidiger erwarten wir uns, wie schon das eine oder andere Mal erwähnt, nicht sonderlich viel. Andererseits werden wir uns, wenn das Verfahren einmal begonnen hat, schwerlich in den Beweisvortrag einmischen können. Und Roberto und Edward als Richter könnten natürlich theoretisch völlig willkürlich und nach Nasenfaktor urteilen, aber ein derart deutliches Missachten der vorgelegten Punkte hätte auch wieder ganz eigene Konsequenzen, die keiner von uns eingehen möchte.

Dass die Schwächung der Insel tatsächlich besteht und nicht einfach nur erfunden wurde, ist natürlich ein weiterer extrem ungünstiger Faktor. Denn das wiederum heißt, dass...

Da ruft wer.
Es sind Schiffe in Sicht!

---

Nur ein paar schnelle Worte, während ich hier am Strand stehe und das Spektakel beobachte. Denn ein Spektakel ist es. Um die ganzen Teilnehmer herzubringen, brauchte es mehr als den Fliegenden Holländer. Der hatte noch weitere Schiffe im Schlepptau, und es kam wirklich jeder. Pan. Seine Ritter. Seine Satyre. Überhaupt fast sein ganzer Hofstaat, hatte ich den Eindruck. Lady Fire in einem eigenen kleinen Boot, das anscheinend entweder aus einem feuerfesten Material bestehen oder sonst irgendwie daran gehindert werden musste, in ihrer Gegenwart in Flammen aufzugehen. Sergeant Book. Eine ganze Schar von Wyldfae. Catalina Snow, auf ihre kühle Weise amüsiert, inmitten des Trubels. Jetzt sind sie gerade dabei, die Schiffe zu entladen und ein Lager einzurichten.

Dass wir so viele Leute hergerufen haben, kommt mir inzwischen vor wie Han-Solo-Klasse, Kategorie II. Mindestens.

---

Oh Mann. Mir fallen die Augen zu. Aber ich bin noch viel zu aufgekratzt. War das eine Feier. Eine echte Pansfeier. Da drüben sind auch noch diverse Unverwüstliche am Tanzen, aber ich habe genug.

Die Vorbereitungen hatten Pans Leute ja schon den ganzen Nachmittag lang betrieben, Vorräte von den Schiffen geschleppt und was nicht alles. Mit Einbruch der Dunkelheit rief dann eine Flöte zum Tanz, unwiderstehlich, und das rauschende Fest begann.

Vorher allerdings gab es eine... unschöne Konfrontation mit Lady Fire. Natürlich mit Lady Fire. Wann lerne ich es endlich?!

Wir sahen, wie Pan etwas zu Colin sagte, der daraufhin zu Lady Fire stapfte und dieser augenscheinlich Pans Worte weitergab. Lady Fire explodierte förmlich, schrie etwas, stürmte davon – und zündete einen Baum an. Marie wollte ihr nach, aber die Sommerfae schien so aufgebracht, und ich hatte ja irgendwie immer noch die Hoffnung, doch noch vermitteln zu können. Diesen verdammten Streit endlich irgendwie aus der Welt räumen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich mir dabei dachte. Im Nachhinein wirkt es so unglaublich dämlich. Aber ich hatte das Gefühl, ich muss selbst mit ihr reden.

Ich ging ihr also hinterher und sprach sie ganz vorsichtig an.

--

Während er hinüberging, wuchs er, und so stand er in seiner wahren Gestalt, die des Satyrs, vor der Lady und herrschte diese an: „Jetzt reicht es. Das ist das zweite Mal, dass du das Gastrecht verletzt hast. Im Namen deiner Schuld bei mir: Verschwinde!
Bei diesen Worten schrie Lady Fire auf, wurde zu einem Kometen und schoss davon.

Pan wiederum zuckte die Schultern und klatschte in die Hände. Es war Zeit für die Feier!
Und wie oben schon gesagt: Es wurde ein rauschendes Fest. Aber schrieb ich oben „unwiderstehlich“? Für mich und die meisten war es das zwar, aber so ganz alle ließen sich dann doch nicht mitreißen. Hurricane und Catalina Snow waren als Vertreter des Winters von Natur aus immun gegen das Sommertreiben, und Alex zog los, um den Brunnen zu bewachen, sobald sich die ersten Anzeichen für eine Feier bemerkbar machten.

Und Totilas? Dessen Dämon wurde von Pan ruhiggestellt, und zwar mit einem einzigen Fingeschippen. „Du hältst dich heute abend mal zurück, ist das klar?“, sagte der Herzog des Sommerhofs in befehlendem Tonfall, und ab dem Moment war der Dämon mucksmäuschenstill und völlig zahm. Woraufhin Totilas zwar mitfeierte, ich aber dennoch bemerkte, wie er immer wieder zu Colin hinübersah und diesen im Auge behielt.

Edward hingegen legte sich mit Pan an, und das konnte nicht gutgehen. Der Satyrherrscher brachte nämlich Jugend das Weintrinken bei. Das brachte mich noch mehr auf die Palme als Antoines Pokerlektionen am Morgen, und auch Edward schien das ganz und gar nicht gut zu finden, also schritten wir ein. Auf meinen Protest jedoch wurde Pan sarkastisch. „Ach, du bist jetzt also Experte für Feenkinder? Fein! Ich werde sie dir alle schicken!“ Da ich mir lebhaft vorstellen konnte, dass der Sommerherzog diese Drohung tatsächlich ernst machen würde, lenkte ich seufzend ein. Feige, ich weiß. Aber ich wollte wirklich nicht riskieren, dass eine Armee von kleinen Feen vor meiner Tür steht, wenn ich nachhause komme. Auch wenn Jandra das vermutlich spaßig fände.

Jedenfalls, Edward. Der riskierte auch nach Pans angesäuerter Reaktion weiter eine große Klappe, konnte den Mund einfach nicht halten. Woraufhin Pan wieder den Befehlston annahm, den er auch schon Lady Fire gegenüber an den Tag gelegt hatte. „Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass du dich mir widersetzt – langsam reicht es!“
Mit seinen Hörnern gab er Edward daraufhin einen Kopfstoß, der diesen im wahrsten Sinne des Wortes panisch davonrennen ließ. Ich versuchte, ihm zu folgen, aber es gelang mir nicht, Edward einzuholen – und beruhigen hätte ich ihn in dem Moment sowieso garantiert auch nicht können. Unser Lykanthropenfreund stürzte sich ins Wasser und kraulte, völlig außer sich, auf die andere Insel zu.

Ab dem Moment gab es keine größeren Störungen mehr, sondern es wurde gefeiert. Ich selbst ließ mich zwar mitreißen, achtete aber darauf, unser Versprechen nicht zu brechen – und es wurden ja ohnehin die mitgebrachten Vorräte ausgeschenkt. Es gab auch keine weiteren Nymphen-Episoden. Nicht, dass Saltanda, die ebenfalls hier ist, es nicht kichernd angeboten hätte. Aber auch wenn es jetzt zu spät ist – diesen Fehler werde ich nicht nochmal begehen, herzlichen Dank.

Im Verlauf des Abends konnte ich dann nochmal ganz kurz mit Pan sprechen: Ich fragte ihn, ob ich wissen dürfe, was Colin zu ihr gesagt habe, dass Lady Fire so ausgerastet sei. Und was es mit der von Pan erwähnten zweiten Verletzung des Gastrechts auf sich habe.

Klar, erklärte der Sommerherzog: Er habe Colin geschickt, um Lady Fire daran zu erinnern, dass sie in seiner Schuld stehe. Die erste Verletzung des Gastrechts sei damals in seinem Palast geschehen, als Lady Fire uns aus dem Verlies befreit habe. Diese Verletzung habe er ihr damals ungestraft durchgehen lassen, weswegen sie in seiner Schuld stehe.

Mierda y colera! Nach allem, was ich gelernt habe, gibt es nichts, was Feen so sehr hassen, wie in jemandes Schuld zu stehen... und natürlich macht Lady Fire uns – mich! – dafür verantwortlich, dass diese Schuld jetzt auf ihr lastet. Oh, padre en el cielo, steh mir bei.

Die Feuer des Festes machen es hell genug, dass ich das alles schreiben konnte, aber über dem Meer ist es stockfinster. Stockfinster bis auf die Sterne am Himmel – und bis auf die andere Insel, die lichterloh brennt. Oh ciélo, jetzt wissen wir, wohin Lady Fire geschossen ist.

---

Guten Morgen. Oder Mittag. Oder was auch immer. Ich fühle mich etwas zeitlos. Edward ist gerade zurückgekommen. Die Vaca des Nueves und die Militärgaleone hatten sich gestern abend noch von der brennenden Insel zurückgezogen und dabei Edward eingesammelt. Dessen Panik ist inzwischen abgeklungen, so dass er seine Richterfunktion nachher wird ausüben können.

Alex war auch da, um zu sagen, dass es am Brunnen die Nacht über ruhig geblieben ist. Allerdings hat er auch erzählt, dass der Wasserstrahl aus dem Brunnen weniger geworden ist. Die Anwesenheit der vielen Leute schwächt die Insel also weiter. Mierda.
Alex hat sich hier etwas ausgeruht, ehe er wieder losgezogen ist. Während der Verhandlung will er nämlich auch wieder Wache am Brunnen schieben – sicher ist sicher. Aber es geht gleich los – später mehr!

---

Kurze Notizen, während ich hier sitze und der Verhandlung zuhöre; ich hoffe, ich komme später zum Ausformulieren, falls nötig.

Der erste Anklagepunkt, um den es gerade geht, betrifft Antoine und die Störung des Festfriedens durch die Drogen.
Antoine als Beschuldigter ist an Sir Anders gefesselt worden, der darüber ebenso unglücklich aussieht wie Antoine selbst.
Colin verteidigt eigentlich gar nicht so schlecht: Er bringt ziemlich gute Argumente für eine Intrige seitens des Red Court, basierend auf unserer Rückverfolgung der Substanz zu dieser Kneipe.
Antoine war gerade im Zeugenstand und hat erklärt, er habe nichts mit dem Red Court zu schaffen, habe er noch nie gehabt.
Jetzt hat Colin ruft diverse Zeugen aufgerufen, die Antoines Nicht-Verwicklung mit dem Red Court bestätigen.

Erstes Urteil: Antoine ist der Störung des Festfriedens für nicht schuldig befunden worden!

---

Jetzt ist der zweite Anklagepunkt an der Reihe: gegen Sergeant Book wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht über die Insel.

Hurricane hat soeben als Ankläger dargelegt, dass die Lage eindeutig festliege.
Colin hat daraufhin dagegengehalten, dass den Richter exakt dasselbe Vorgehen an den Tag gelegt hätten, dass diese also nicht unvoreingenommen seien und dass folglich ein Verfahrensfehler vorliege.
Autsch. Aber wo er recht hat...
Und eigentlich ist das gar keine so schlechte Strategie.

Jetzt ruft Colin einen Zeugen nach dem anderen auf, die er alle befragt, ob sie eine Schwächung der Insel festgestellt hätten. Alle antworten sie mit „Nein“. „Dann kann es ja so schlimm nicht sein“, wiederholt Colin, „wenn sogar die Richter es für verantwortbar hielten, das ganze Gericht hierher zu beordern und eine eventuelle Schwächung der Insel in Kauf zu nehmen.“

Verdammt, wo ist Jugend? Ich kann den Kleinen nirgendwo sehen… Sollte der nicht hier sein? Immerhin geht es um ihn!

---

Heh. Jetzt hat man mich auch in den Zeugenstand gerufen; mein suchendes Umsehen und murmelndes Fragen nach Jugend ist anscheinend nicht unbemerkt geblieben.
Colin fragte mich ebenfalls, ob mir eine Schwächung der Insel aufgefallen sein – was ich glücklicherweise wahrheitsgemäß mit „nein“ beantworten konnte... immerhin waren es Edward und Alex, die mit ihren Experimenten die Schwächung festgestellt haben, nicht ich. Außerdem gelang es mir, Jugend ebenso ins Spiel zu bringen wie die Tatsache, dass der Avatar der Insel nicht hier ist.
Alles sah sich um, aber der Kleine war nirgends zu entdecken, und niemand schien es zu wissen. Also wurde die Verhandlung vertagt, bis Jugend gefunden ist, damit dieser wichtige Zeuge auch befragt werden kann.

Wenn ich mich so umsehe, ist bis auf Sir Anders, der immer noch an Antoine gefesselt ist – wobei sie den jetzt nach dessen Freispruch gerade losmachen – nur Sir Kieran bei der Verhandlung. Wo sind denn Pans andere Ritter alle? Das scheint irgendwie auch niemand zu wissen.
Waren die gestern abend eigentlich bei der Feier? Ich glaube fast nicht, wenn ich mir das so überlege… Wie jetzt… Sommer richtet ein Fest aus, und die Ritter des Sommers nehmen nicht teil?

Ich habe Sir Kieran eben darauf angesprochen, aber er meinte, das Fest sei nicht für die Ritter gedacht gewesen, und sie hätten kein Interesse daran gehabt. Pan kam auch dazu und schickte Sir Kieran los, die anderen Ritter einzusammeln, die sollten auch an der Verhandlung teilnehmen.  Sir Kieran salutierte und zog los. Totilas ist ihm in einiger Entfernung unauffällig nach – gut so!

So, in der Nähe des Verhandlungsplatzes ist Jugend schon mal nicht. Dann muss ich jetzt wohl oder übel den Rest der Insel abs

Was ist das? Hornklänge!
Zitat von: Dark_Tigger
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Es war das Kriegshorn des Sommers, das da geblasen worden war. So sagte jedenfalls Pan, völlig erstaunt, und wollte Colin losschicken, um nachzusehen, was da los war. Aber Colin war nirgends zu sehen. Sir Kieran ebensowenig, denn den hatte der Sommerherzog ja schon zuvor auf die Suche nach den anderen Rittern geschickt.

Was ich da noch nicht wusste, aber später erzählt bekam, war, dass Totilas, der Kieran gefolgt war, den Ritter dabei beobachtete, wie er im Wald mit Sir Anders sprach. Dieser hatte eine ziemlich unglückliche Miene aufgesetzt, und es fielen die Worte „noch nicht“. Totilas beobachtete die beiden weiter, und irgendwann stießen Edward und Roberto zu ihm.

Das war so ungefähr der Moment, in dem die beiden Fae mit den anderen Sommerrittern zusammentrafen und einer von ihnen das Kriegshorn des Sommers blies. Das war das Angriffssignal, mit dem ein heftiger Kampf zwischen den Sommerrittern und den Wyldfae ausbrach.

Ich selbst hatte mich ja gerade auf die Suche nach Jugend machen wollen, als das Horn ertönt war. Ich wusste zwar nicht genau, was das bedeutete, aber etwas Gutes konnte es nicht sein, also war es nur um so dringender, dass ich Jugend fand. Und das tat ich – auf einer kleinen Lichtung tief im Wald, die völlig offensichtlich als Ritualplatz diente. Inmitten eines Kreises aus hoch aufloderndem Feuer befanden sich das Baumkind, Marie Parsen, Sir Kierans Freundin Edelia Calderón... und Lady Fire. War ja klar. Außerhalb des Kreises hielten zwei Satyre Wache.

Edelia Calderón und Lady Fire waren dabei, irgendeine Santería- und Feen-Magie durchzuführen, soviel stand auf den ersten Blick fest. Weder Jugend noch Marie sahen so aus, als könnten oder dürften sie sich bewegen. Edelia wirkte hochkonzentriert. Schweißperlen standen ihr ebenso auf der Stirn wie Mrs. Parsen, und Flammen umzüngelten Lady Fire. Jugend sah irgendwie größer aus, älter, und an seiner Borke waren Blätter und Blüten gesprossen. Was auch immer sie da machten, sah ziemlich... rabiat aus, als würden der Natur mit Gewalt etwas entreißen, was so eigentlich nicht sein sollte.

Ich musste das Ritual irgendwie unterbinden. Aber durch den Flammenkreis würde ich nicht kommen, keine Chance, und die zwei Satyre sahen auch nicht so aus, als würden sie das zulassen. Die standen immerhin nicht umsonst da Wache.

Die beiden wurde ich aber wenigstens los, indem ich ihnen glaubhaft machen konnte, dass der Hornklang, den sie vorhin gehört hatten, das Kriegshorn des Sommers gewesen sei, und das Pan sie dringend brauche. Daraufhin zogen die Satyre ab, was an meinem eigentlichen Problem, dem Unterbrechen des Rituals nämlich, aber dummerweise nichts änderte. Ich versuchte es mit einem in den Ritualkreis geworfenen Stein, um Edelia abzulenken und hoffentlich zu unterbrechen, aber ich traf sie nicht, und sie wirkte auch so konzentriert, dass selbst ein Treffer sie vermutlich nicht aus der Fassung gebracht hätte.

Das brachte so nichts. Ich hatte keine Ahnung, ob sie in den nächsten Minuten damit fertig werden würde oder nicht, aber das Risiko musste ich eingehen. Alleine konnte ich hier nichts ausrichten, und irgendwie wirkte das Ganze auf mich so, als wären sie hier noch eine Weile beschäftigt, also rannte ich los, um die anderen zu suchen.

Meine drei Freunde hatten derweil dem Kampf zwischen Sommer und Wyld nicht lange zugesehen, sondern sehr bald selbst in die Auseinandersetzung eingegriffen. Totilas und Edward, indem sie kräftig auf Seiten des Wyld mitmischten, während Roberto, als Vertreter des Sommers und vor allem in seiner Funktion als Richter, Sir Anders zur Rede stellte, was um alles in der Welt hier los sei. Sir Anders wirkte noch immer mit der Gesamtsituation eher unzufrieden, gab aber seinem Richter bereitwillig (wenngleich etwas ungeduldig) Auskunft. Lady Fire führe mit Hilfe der Santería-Magierin ein Sommer-Ritual durch, um die Insel der Jugend ein für alle Mal an den Sommer zu binden. Die Verantwortung für etwas so Wichtiges gehöre in die Hände des Sommers, nicht des fahrlässigen Wyld. Das habe Books Versagen beim Schutz der Insel ja gezeigt. Die Idee dafür sei von Sir Kieran ausgegangen, der die übrigen Ritter von der Wichtigkeit des Plans überzeugt habe.

Auch wenn Sir Anders vielleicht mit dem Plan nicht hundertprozentig glücklich war, seinen Kampfgefährten beispringen wollte er doch allemal, und so stürzte er sich wieder in den Kampf, sobald Roberto ihn entließ. Es gab Verletzte - auch Tote, fürchte ich - auf beiden Seiten, aber letztendlich gingen die Wyld erfolgreich aus der Auseinandersetzung hervor.

Etwa zu dem Zeitpunkt stieß ich wieder zu den Jungs. Ich berichtete in aller Eile, was ich auf dem Ritualplatz gesehen hatte, die drei erzählten mir, was hier abgegangen war, und wir beschlossen, dass wir Alex brauchten. Also zogen wir gemeinsam zum Zentrum der Insel - wo wir unseren Freund reglos und in einer Art Trance gefangen vorfanden. Die beiden anderen Wächter des Brunnens, unser Trollfreund Bob sowie eine Seehexe, die Sergeant Book vor Beginn der Verhandlung hierher abkommandiert hatte, sahen genauso aus. Nur mühsam konnten wir Alex und die beiden Wyldfae aus ihrer Trance befreien. Colin sei es gewesen, berichtete Alex, sobald er wieder sprechen konnte. Der sei auf die Lichtung gekommen und habe kurz gestutzt. Dann habe er mit einem Achselzucken gesagt: "Schade, dich mochte ich irgendwie" und irgendwas gezaubert, woraufhin Alex sich nicht mehr bewegen konnte. Sehen und hören, was um ihn herum vorging, konnte er aber noch, und so bekam er mit, wie Colin zwei große Kanister mit dem Wasser des Lebens füllte und dann pfeifend wieder verschwand.

Das Ritual, Kierans Machenschaften und Colins Verrat, das war alles zu groß für uns, irgendwie. Davon die anderen Anwesenden erfahren, und zwar schleunigst!

Doch als wir am Strand ankamen, sahen wir, dass wir noch ganz, ganz andere Probleme hatten. Da kamen nämlich gerade drei Schiffe auf die Insel zugesegelt. Noch waren sie nicht sonderlich nah, aber nah genug, dass wir sehen konnten, dass Joseph Adlene im Bug des vordersten Schiffes stand... und dass er eine ganze Armee von Toten bei sich hatte...
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Ich würd gern wissen, wie's weiter geht! *zappel*


Gut, eigentlich weiß ich, wie es weiter geht, aber ich will es verdammt noch mal aus Cardos Perspektive hören!
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Ich bin ja schon dran. :)
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Sorry, aber ich hab grad sooo Lust, das zu lesen.  ^-^
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Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 4

Oder genauer gesagt, Joseph Adlene stand im Heck des vordersten Schiffes. Die segelten nämlich rückwärts. Wie man es ja muss, um überhaupt zur Insel des Sommers gelangen zu können. Links von ihm stand der Dämon Jack (brrrrrr!), rechts von ihm... wie beschreibe ich das. Eine Gestalt. Soviel ist unbestritten. Weiblich, auch das war mir irgendwie klar, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das wusste. Ihr Äußeres war nämlich ständig im Wandel begriffen, ein wenig wie die Ober-Oneirophaga damals, aber doch wieder ganz anders. Waren da Arme? Und wieviele waren es? Ein Gesicht? Oder eine leere, schwarze Fläche?

Pan sah irritiert auf das Meer hinaus. „Was ist das jetzt schon wieder?“

Ich hatte eben den Mund geöffnet, um ihm zu erklären, was das jetzt schon wieder war, und vor allem, um die ganze Bande auf den Ernst der Situation aufmerksam zu machen, da brüllte Totilas los. „Wir brauchen Verstärkung! Attacke!“

Die Satyre, die auf dem Festplatz um uns herumstanden, brauchten keine zweite Aufforderung. Sofort rasten sie los – dummerweise völlig planlos und unkoordiniert. Ich pfiff gellend auf zwei Fingern und schrie „STOP!“, so laut ich konnte, während auch Pan bereits „Stop!“ rief.
Die Satyre hielten an, und Pan drehte sich wütend zu unserem White Court-Kumpel. Ob der vorhabe, ihn um das Amt als Sommerherzog herauszufordern? Nein? Was sollte das dann eben?!
Totilas machte einen Rückzieher, das sei bei weitem nicht seine Absicht gewesen, während ich nun doch noch dazu kam, Pan in Sachen Exkremente und Ventilator auf den neuesten Stand zu bringen. Dass der Typ auf dem Schiff nämlich an den Jungbrunnen wolle. Und außerdem, dass seine Sommerritter mit den Wyld einen Kampf begonnen hätten, dass Lady Fire gerade ein Ritual durchziehe, um die Insel der Jugend an sich zu binden und dass Colin die Insel massiv verletzt habe, indem er Wasser aus dem Brunnen stahl.

Catalina Snow schien von den Neuigkeiten tatsächlich so etwas wie amüsiert. „Die werden sich wundern“, sagte sie zu Edward und Roberto. „Wenn das Hohe Gericht gestört wird, dann bekommen wir Richter in dem Moment gewisse Fähigkeiten übertragen. Das wird spaßig.“ Sie grinste, und tatsächlich konnte man beinahe sehen, wie ein Ruck durch Edward und Roberto ging, als diese von neuer Macht des Sommers bzw. des Wyld durchflossen wurden.

Pan wiederum wirkte mehr genervt denn verärgert, Marke: 'was denn noch alles?' Wegen seines Verrats enthob er Colin seines Amtes als Ritter, und mit der Aussprache dieser Absetzung erschien mit einem Mal das Schwert des Sommerherzogs in dessen Hand. Es wirkte matt, die Klinge angelaufen. Da hatte Colins Verrat offensichtlich ganz physische Auswirkungen auf die Waffe gehabt. Ich frage mich nur, warum das Schwert nicht auch automatisch in Pans Hand materialisierte, als er damals den cabrón seines Amtes enthoben hatte. Vielleicht, weil Ruiz damals nicht per se offen gegen Pan gehandelt hatte, sondern zwar seine eigene Agenda verfolgte, ihm dies aber nach den Feengesetzen noch nicht als Verrat ausgelegt werden konnte. Oder warum auch immer. Versteh einer die Feen-Regeln.

Pan sah sich um. „Ohne Ersten Ritter wird das hier schwer.“ Sein Blick wanderte von Fee zu Fee, über die Richter, über Totilas, den White Court, über Alex, von Eleggua gezeichnet – und blieb auf mir hängen. Es war kein anderer unmagischer Mensch da, verdammt.
Es. War. Kein. Anderer. Unmagischer. Mensch. Da.
Und vor uns Adlene und Jack und diese komische schattenhafte Gestalt und Lady Fires Ritual und die rebellierenden Ritter und Colin. Das Wort „mierda“ trifft nicht einmal ansatzweise, was mir in dem Moment durch den Kopf ging. Aaaaaaaah!

„Nimmst du das Schwert an?“, fragte Pan, und, Padre en el cielo, perdoname, ich sagte ja. Der Sommerherzog überreichte mir die Klinge mit der Bemerkung "die Formalitäten machen wir später" – und wieder spürte ich, wie diese fremdartige Kraft, die Feenmagie des Sommers, in mich hineinströmte. Sobald ich es in der Hand hatte, veränderte das Schwert auch sein Aussehen: Nicht nur war es jetzt nicht mehr matt angelaufen und etwas schmaler in der Form als zuvor, sondern es hatte auch einen grünlich-goldenen Schimmer.

Ich wog die Waffe prüfend in der Hand. Ich habe zwar keinerlei Ahnung von Schwertern, aber sie fühlte sich leicht und perfekt ausgewogen an. Und in meiner neuen Funktion kam ich jetzt doch noch dazu, die – haha – anfeuernde Rede zu halten, die ich eigentlich vorher schon hatte halten wollen.

Wobei, Rede ist das falsche Wort. Ich fand einfach, es war in diesem Moment völlig egal, ob Sommer, Winter oder Wyld, gegen diesen Gegner mussten wir alle zusammenhalten – und das sagte ich auch so. Es schien als Kampfruf sogar einigermaßen zu funktionieren, denn Pan nickte zustimmend, rief etwas von „Los!“, und der ganze Haufen setzte sich Richtung Strand in Bewegung.

Die Schiffe waren indessen nahe genug herangekommen, dass Adlene, seine zwei dämonischen Begleiter und seine Armee von Geistern an Land hatten gehen können. Nun kam es zwischen dem Sommerherzog und dem Nekromanten zu einem höhnischen Schlagabtausch, in dem Adlene Pan aufforderte, ihn zum Brunnen durchzulassen, dann müsse hier niemand zu Schaden kommen. Natürlich lehnte Pan das ab, woraufhin Adlene beinahe milde den Kopf schüttelte. „Nein? Das habe ich mir gedacht. Auf sie!“
Und damit stürmten die Untoten in einem Sog auf die wartenden Kräfte des Sommers und des Wyld los.

Adlene und die Dämonin zogen sich hinter die Masse der Kämpfenden zurück und machten Anstalten, sich abzusetzen. Jack war erstaunlicherweise gar nicht mehr zu sehen, aber ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, wann der Dämon verschwunden war.

Die Frage war, ob wir Adlene durch das Gedränge folgen oder uns lieber in Richtung Brunnen auf die Lauer legen sollten, um den Nekromanten dort abzufangen. Roberto und Alex taten genau letzteres, aber Edward und Totilas stürzten sich ins Getümmel. Ich überlegte kurz, dass ich vermutlich bei Roberto und Alex besser aufgehoben wäre, aber ich konnte Edward doch nicht im Stich lassen – und außerdem überkam mich plötzlich das starke Gefühl, ich könne vor allem meinen Herzog nicht im Stich lassen. Hoboy.

Unten am Strand standen uns einige Untote im Weg, mit denen wir uns herumschlagen mussten, während Adlene sich absetzte. Totilas hatte seinen Gegner sehr schnell beseitigt und konnte so dicht hinter Adlene bleiben, während Edward und ich es mit unseren Gegnern deutlich schwerer hatten.

Oder genauer gesagt, Edward hatte es schwerer. Denn ich merkte sehr schnell, dass ich mit meinem schimmernden neuen Schwert so gar nicht umgehen konnte – oder jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Aber es war ja das Schwert des Sommers, und wofür steht Sommer? Genau.

Ich überließ meinen Gegner also erst einmal Edward, während ich mich auf dieses neue Gefühl in mir konzentrierte, versuchte, die Magie meines neuen Amtes hervorzurufen. Und erstaunlicherweise gelang es: Ich habe keinerlei Ahnung, wie, aber mit einem Mal erstrahlte die Klinge in gleißend hellem Licht, dem Licht der Sonne am wärmsten Tag des Jahres, und während das Edward und mich überhaupt nicht störte – hatte ich das so geplant? Offensichtlich... entweder das, oder die Magie hatte für mich erkannt, wer Freund und wer Feind war – lenkte es die beiden Zombies genug ab, dass wir schließlich doch mit ihnen fertig wurden.

Zu diesem Zeitpunkt waren Totilas und die beiden von ihm Verfolgten nicht mehr zu sehen. Seltsam – hatte unser Teil des Kampfes wirklich so lange gedauert? Oder hatte Adlene (oder die Dämonin?) irgendwelche Magie eingesetzt, um schneller wegzukommen? Irgendwas hatte ich mal über eine ähnliche Gestalt gelesen, fiel mir da wieder ein. Es war bei der Recherche gewesen, und ich war dabei auf einer dieser grellbunten und abstrusen Verschwörungswebseiten gelandet, bei denen man nie weiß, ob man nun lachen oder weinen soll. Ich hatte dieses Surferlebnis sehr schnell wieder  verdrängt... bis jetzt. Denn jetzt fiel mir ein, dass ich da etwas von einer „Lady of the Tangled Ways“ gelesen hatte – einem Geisterwesen oder einem Dämon oder etwas in der Art, das so ähnlich beschrieben worden war, wie ich das hier gerade gesehen hatte, und das Wege aller Art finden und öffnen kann. Ein bisschen wie Alex, wenn ich mir das so überlege, nur... böse.

Wir waren nicht so dicht an ihr dran wie Totilas, deswegen bekamen wir das volle Ausmaß davon nicht mit, aber wir konnten hören, wie die Dämonin in unserem Geist zu sprechen versuchte. Wir konnten nicht genau ausmachen, was sie sagte, aber es war beinahe verständlich... und wir wussten genau, wir wollten gar nicht verstehen, was sie da sagte. Irgendwie war uns klar, dass das für unsere geistige Gesundheit gar nicht gut wäre. Ich will auch gar nicht wissen, wie stark Totilas in der Nähe, in der sich zu der Gestalt befand, ihren geistigen Angriffen ausgesetzt war. Glücklicherweise hat der durch seinen eigenen Dämon ja ziemlich viel Erfahrung darin, solchen Einflüsterungen zu widerstehen.

Jedenfalls dauerte es eine Weile, bis Edward und ich Totilas eingeholt hatten. Adlene und die Herrin der Verschlungenen (oder Verschlingenden?) Wege hatten sich tatsächlich immer weiter auf den Brunnen zubewegt, und als wir sie eingeholt hatten, trafen wir dort auch auf Alex und Roberto. Die beiden hatten, während wir mit Kämpfen beschäftigt waren, den Zugang zum Brunnen mit Fallen vermint. Und die Taktik hatte gewirkt: Als wir angerannt kamen, hing Joseph Adlene kopfüber in einem Fallstrick an einem Baum. Dummerweise nur war er gerade dabei, sich schon wieder aufzurichten und sich an dem Seil nach oben auf den Ast zu ziehen, an dem das Seil befestigt war. Der alte Mann sah alles andere als gesund aus und seine Bewegungen alles andere als natürlich – augenscheinlich hatte er soeben einen jüngeren, sportlicheren Geist in sich hineingerufen, der die Turnübung für ihn ausführte. Ob diese unnatürlichen Anstrengungen so gut für den Nekromanten waren, wage ich zu bezweifeln, denn sein dunkles Gesicht hatte einen gräulichen Ton angenommen, und er wirkte ziemlich mitgenommen. Offensichtlich hatte unser White Court ihm bereits schwer zugesetzt, ehe er in die Falle geraten war.

Aber sagte ich eben, Alex und Roberto hätten die Fallen ausgelegt? Auf mich wirkte es so, als hätte Alex die Arbeit alleine vollbracht. Nicht, weil er der handwerklich Begabte von uns ist, sondern weil Roberto ziemlich abwesend wirkte. Er stand einfach da und blickte nach innen, schien in einem ernsthaften Konflikt mit sich selbst gefangen – oder vielleicht genauer: mit einem Konflikt, der in ihm tobte. Nichts so nach außen hin Drastisches und Sichtbares, aber vielleicht ein klein wenig wie diese Szenen in Peter Jacksons Herr der Ringe, wo die zwei Persönlichkeiten von Gollum miteinander streiten. Nur dass es hier nicht die zwei Persönlichkeiten von Roberto waren, sondern die beiden Mächte, die Anspruch auf ihn erhoben: seine Santería-Orisha, Oshun, und Königin Titania des Sommers.

Roberto war also fürs Erste nicht in der Lage, in die Situation einzugreifen. Ich selbst verschaffte mir auch erstmal einen raschen Überblick über die Lage. Aber Edward war schnell – und unberechenbar – wie immer. Er sprang auf die Lady der Verschlingenden Wege los, und mit seinem magisch aufgeladenen Handschuh gelang es ihm tatsächlich, die
Dämonin zu verletzen. Richtig schwer zu verletzen. Mit einem lauten Kampfschrei riss unser Freund ihr einfach einen Arm ab.

Das Problem war nur: Schwerwiegend, wie die Verletzung war, schien sie die Dämonin dennoch gar nicht groß zu beeinträchtigen. Und das viel größere Problem war: Jetzt hatte Edward sie ernsthaft, ernsthaft wütend gemacht.

Einen Moment lang schien die Lady gar nicht zu verstehen, was ihr da geschehen war. Sie stand still und schien die neuen Eindrücke zu verarbeiten, ehe sie sich niederbeugte und den Arm aufhob, ihn durch die wabernden Schatten irgendwie wieder an sich befestigte. Durch ihre wabernden Schatten, ihre sich ständig wandelnde Gestalt, konnten wir dennoch sehen, wie ihre Augen sich glühend in Edward bohrten und sie ihn sich ganz genau einprägte. Er hatte sie wütend gemacht, er hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt, und wo sie bislang nur in amüsierter Spielstimmung gewesen war, ging sie jetzt in den ungezügelten Hulk-Modus. Um sie herum begann sich Dunkelheit zu sammeln, schien die Realität zu verschwimmen – das konnte nicht gut gehen.

Ich brüllte „Weg hier!“ und schnappte Edward am Arm, während Totilas den noch immer in seinem inneren Zwiespalt befindlichen Roberto mit sich zog und Alex den alten Nekromanten beinahe trug. Der ließ das eine Weile mit sich machen, ehe er einen weiteren Geist in sich rief und nun wieder in der Lage war, selbständig zu rennen – zumindest kurzfristig. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass sich die Überanstrengung, die geistige ebenso wie die körperliche, später bemerkbar machen würde.

Am Strand rief Adlene laut nach seinem Kumpan Jack. „Wo bist du, verdammt? Komm' und hilf mir gefälligst!“
Wir hätten uns nicht beschwert, wenn der Dämon nicht aufgetaucht wäre, aber natürlich tat er es doch, langsam schlendernd und mit einem arroganten Grinsen im Gesicht. „Na, was sagt ihr? Lasst ihr uns in Ruhe? Dann nehme ich euch die Lady ab, und ihr könnt in Ruhe euren Kram erledigen.“

Und, santísima Madre, es ging nicht anders. Dieser Lady waren wir nicht gewachsen, keiner von uns. Und hinten im Wald war noch immer Lady Fire dabei, dieses Ritual durchzuführen... Mehr als nur wiederwillig ließen wir Adlene und seine beiden Dämonen ziehen, während wir selbst uns schleunigst auf den Weg machten.

Wir waren nicht zu spät: Auf der Lichtung war das Ritual immer noch im Gange. Aber es war knapp, verdammt knapp – sogar ich konnte erkennen, dass Lady Fire und Edelia Calderón kurz vor dessen Abschluss stehen mussten. Jugend, den Marie Parsen noch immer in den Armen hielt, sah inzwischen sehr, sehr schwach aus, als halte ihn kaum noch etwas am Leben. Er war wieder kleiner geworden und wirkte deutlich gealtert. Ganz offensichtlich zog Lady Fire mit dem Ritual die Lebenskraft des Insel-Avatars in sich selbst hinein.

Es war nicht genug Zeit, als dass Edward in Ruhe ein Gegenritual hätte vorbereiten können. Es musste schnell gehen, und ziemlich improvisiert, und alleine würde er es nicht schaffen. Roberto war noch immer mit sich selbst am Hadern, aber Alex stellte sich zur Verfügung, damit Edward die Kraft, die ihm wegen der Störung des Hohen Gerichts vom Wyld her zugeflossen war, durch ihn hindurch in Jugend weiterleiten konnte, um das Baumkind wieder zu stärken.

Und ich? Mit dieser neuen Rittermagie, die ich in mir hatte, konnte ich das Wirken von Lady Fires Teil des Rituals regelrecht spüren, wie ein Kribbeln in der Luft oder das beinahe unhörbare Summen einer Überlandleitung.
Ich wusste – nein, ich hatte eine instinktive Ahnung davon – was sie tat und wie sie es tat, auch wenn ich es in Worten niemals hätte erklären können, und ebenso instinktiv wusste ich, wie ich ihr Tun unterbrechen konnte. Wenn ich es denn konnte. Denn wie gesagt, Zeit hatten wir keine mehr, und ein vergleichsweise einfacher Zauber wie das Rufen des Sonnenlichts vorhin am Strand würde hier nicht ausreichen.

Ich richtete meinen Sinn also wieder nach innen, suchte die Magie in mir, rief sie nach oben und sammelte sie. Und sammelte sie. Ich sammelte so viel davon, wie ich nur irgendwie konnte, und dann, in exakt dem Moment, als Lady Fire ihr Ritual beendete und die Hand hob, um den letzten Rest von Jugends Essenz in einem letzten, großen Schwung in sich hineinzuziehen, im selben Moment wie Edward seine Wyld-Kraft durch Alex in Jugend hineinleitete, ließ ich die Magie auf einen Schlag aus mir hinaus und auf Lady Fire zufließen, wo die Macht des  Sommers einen Schild um sie bildete, eine Barriere, an der die von ihr gesogene Essenz abprallte – und mangels Erreichbarkeit des eigentlich vorgesehenen Ziels unkontrolliert explodierte.

Die Schockwelle warf uns nach hinten. Das Feuer, mit dem der Ritualkreis gezogen worden war, loderte wild hoch. Lady Fire schrie auf wie eine wütende Furie und verschwand. Marie Parson kam, Jugend noch immer eng an sich gedrückt, aus dem Kreis gestolpert. Beide waren ein wenig angesengt, schienen aber keine schlimmen Verbrennungen zu haben, dem Himmel sei Dank, und Jugend sah auch schon wieder etwas besser aus.

Und mir dröhnte der Kopf. Dios, hatte ich Kopfschmerzen. Vermutlich hätte ich für den zweiten von mir in meinem Leben jemals gewirkten Zauber nicht gleich den Leistungssport-Level auffahren sollen, und das war jetzt das magische Äquivalent von einem Muskelkater, der sich gewaschen hatte. Aua. Aber was hätte ich denn machen sollen. Anders hätten wir das Ritual nicht gestoppt bekommen. Aber trotzdem. Au. Au au au.

Wir schafften es alle irgendwie wieder zurück zum Strand. Von den drei Schiffen, mit denen Adlene hier angekommen war, war eines abgebrannt und lag als Wrack im flachen Wasser; von den anderen beiden war nichts mehr zu sehen. Auch vom ehemaligen Ersten Ritter war keine Spur mehr zu finden, aber man sagte uns, der Colin sei dabei gesehen worden, wie er mit dem Nekromanten und dessen zwei Dämonen eines der Schiffe bestiegen habe und weggesegelt sei.

Die Kämpfer aller Seiten – Sommer wie Winter wie Wyld – waren dabei, ihre Verwundeten zu versorgen und ihre Toten – denn auch davon hatte es einige gegeben, aber niemand, den wir näher kannten – zu bergen. Jetzt, wo wieder Ruhe eingekehrt war, schickte Pan seine Ritter, allen voran Sir Kieran als den treibenden Kopf hinter dem Putschversuch, allesamt in die Verbannung. Oder besser, er hätte sie allesamt verbannt, wenn ich nicht für Sir Anders ein gutes Wort eingelegt hätte. Der arme Kerl wirkte so beschämt – und er war ja wirklich nicht glücklich mit Kierans Plan gewesen – dass ich es einfach nicht über mich brachte, ihn ohne wenigstens den Versuch eines Eingreifens ziehen zu lassen.

Tatsächlich ließ Pan ziemlich problemlos mit sich reden, und die Dankbarkeit mir gegenüber stand dem armen Anders förmlich ins Gesicht geschrieben.
Was Lady Fire hingegen betraf, hatte der Sommerherzog die Faxen endgültig dicke. Jugend gegen dessen Willen zu dem Ritual zu zwingen, war nun ihr drittes Vergehen gewesen, und jetzt erklärte Pan sie hochoffiziell zur Brecherin des Gastrechts.

Roberto war inzwischen wieder beieinander – der Krieg in seinem Kopf war offensichtlich zu Gunsten Oshuns und zu Lasten Titanias ausgegangen. Er trat zu Pan und erklärte dem Herzog, er könne nicht länger der Richter des Sommers sein. Mit diesen Worten zog er auch die Kette vom Hals, die er zum Zeichen seines Amtes bis dahin getragen hatte – und tatsächlich sah deren Anhänger nun aus wie billiger Talmi, vollkommen unecht.

Damit gab es nur zwei amtierende Richter, also konnte auch die Verhandlung nicht fortgesetzt werden. Sie wurde vertagt, bis die Sommerkönigin einen neuen Richter ernannt hätte, und dann war es Zeit, endlich von der Insel zu verschwinden. Nur Marie und Antoine wollten fürs Erste hierbleiben, um sich um Jugend zu kümmern, bis der Avatar wieder genesen wäre.

Dummerweise war das mit der Heimkehr aber gar nicht so einfach. Die fliegenden Schiffe der Faurelier waren nämlich inzwischen alle verschwunden – und der Fliegende Holländer gleich mit. Von dem war weit und breit nichts mehr zu sehen, was den Rückweg für den ganzen Haufen etwas... sagen wir kuschelig gestaltete, weil sich alle Besucher für den Rückweg auf deutlich weniger Schiffen zusammendrängen mussten. Uns kümmerte das glücklicherweise relativ wenig, da in der Bucht auf der Rückseite der Insel ja noch immer George auf uns wartete, der uns über die Traumstraßen zurück zu unserem Raddampfer brachte.
« Letzte Änderung: 2.11.2015 | 17:59 von Timberwere »
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