Autor Thema: Erster Tanelorn-Kurzgeschichtenwettbewerb (Orga: Flying Games)  (Gelesen 13788 mal)

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Offline Blechpirat

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #50 am: 26.03.2015 | 16:25 »
Mir hat sie gut gefallen...

Offline Anastylos

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #51 am: 26.03.2015 | 17:10 »
Und ich habe mich schon gefragt wo der Mord bleibt. Gefällt mir gut, besonders diese passiv aggressiven Vorwürfe :d

Noir

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #52 am: 26.03.2015 | 17:40 »
Dann häng ich mich auch mal dran:

Nur noch einen Drink

“Die Vernichtung des Seins beginnt mit dem ersten Glas.” hatte meine Mutter immer gesagt. Kein
Wunder. Ihr Vater hatte oft zur Flasche gegriffen und dann bewiesen, dass Menschen zu
grauenvollen Taten fähig sind. Hätte ich geahnt, dass ich eines Tages selbst das sein würde, was
meine Mutter immer von mir fernhalten wollte ... ich glaube ich hätte dem Ganzen schon vor
Jahren ein Ende gesetzt. Aber das habe ich nicht und so sitze ich hier in unserer kleinen 2-Zimmer
Wohnung und starre auf dein Foto. Du hast mich verlassen. Endgültig. Sagtest, ich hätte den Bogen
überspannt. Hätte den Boden unter den Füßen verloren. Wäre einfach nicht mehr ich selbst.
Ich greife nach der Flasche Whisky und schenke mir großzügig nach. Die goldene Flüssigkeit
ergießt sich in mein Glas und verströmt einen beißenden Geruch. Ich atme ein. Atme aus. Und atme
ein. Und wieder aus. Es ist kein guter Whisky. Ein Heap's Best. Ich kann mich noch daran erinnern,
wie du mir dieses Zeug geschenkt hast. Vor Zwei Jahren. Hast auf den Preis gedeutet und gesagt,
dass diese Brühe zwar nicht teuer aber dafür ekelhaft wäre. Und dann haben wir gelacht. Schallend.
Ich habe dich geküsst und dir gesagt, dass ich dich liebe.
Zwei Jahre stand der Heap's Best nun im Schrank und erinnerte uns an diesen Abend. Und jetzt, da
du weg bist, hat er einfach keine Bedeutung mehr für mich. Ich leere das Glas in einem Zug,
während ich wie gebannt auf das Etikett der Flasche starre. Zorn. Ich greife zu, hole aus und werfe
die Flasche an die Wand. Das Glas zerbricht und der Rest des Fusels verteilt sich klatschend auf
dem Küchenboden. Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und weine.
Das geborstene Glas am Boden – ein Spiegel meiner Seele. Wieso konnte ich es nicht stoppen?
Wieso konnte ich mich nicht zurückhalten? Verdammter Alkohol. Es hilft nichts. Du bist
weg. Wirst nicht wiederkommen.
Ich rücke meinen Stuhl etwas nach hinten und stehe auf. Ich muss hier weg. Kann hier nicht mehr
bleiben. Brauche Abstand.
Ich greife nach meinem Mantel, zögere kurz und lass ihn dann doch an der Garderobe hängen. Die
Kälte wird mir gut tun. Dumpfe Schritte ertönen, als ich über den alten Teppich im Flur gehe und
den Schlüssel aus dem Kasten nehme. Ich öffne die Wohnungstür, schreite hinaus ins Treppenhaus
und werfe sie zurück ins Schloß.

Ich verlasse das Haus und kalter Wind trifft auf meine schweißnasse Stirn. Ein Gänsehautschauer
überzieht meinen Rücken. Es tut gut. Auf den Straßen ist viel los. Autos kommen aus Richtung
Main-Street. Die St.-Michael-Avenue ist die schnellste Verbindung zum Trans-Canada-Highway,
seitdem er 1970 fertiggestellt worden war.
Seltsam. Einige Augenblicke war ich völlig gefangen in den Erinnerungen. Mein Vater, der mich zu
den Feierlichkeiten in Saint John mitnahm und mir erklärte, dass Slater Bay nun endlich einen
wirtschaftlichen Aufschwung erleben würde. Meine Mutter, die zu Hause mit Kaffee und Kuchen
auf uns wartete. Und dann du. Ein Riss in den warmen Erinnerungen, durch den die eiseskälte der
Realität eindringt und mich zurückbringt. Zurück ins Hier und Jetzt. In die Gegenwart, in der du
mich verlassen hast, weil ich vergessen habe, was du mir bedeutest. Ich höre das Geschirr bersten.
Deine laute Stimme, die mich beschimpft und mir Vorwürfe macht. Vorwürfe, die vermutlich voll
und ganz gerechtfertigt waren.
Ich folge der St.-Michael-Avenue und treffe Marcy. Sie fragt mich, wie es uns geht. Ich sage ihr,
dass es aus ist. Sie entschuldigt sich und fragt, ob ich etwas trinken möchte. Ja. Ich möchte etwas
trinken. Aber nicht mit ihr. Ich schüttele den Kopf und lasse Marcy hinter mir.
An der Ecke kehre ich in Liams Pub ein und setze mich an die Theke. Man kennt mich hier. Ohne
eine Frage zu stellen, wird mir ein Guinness serviert. Liam selbst steht am Zapfhahn. Er begrüßt
mich mit einem Kopfnicken und bemerkt sofort, dass ich nicht reden will. Ich nippe an dem Glas
und der kräftige Geschmack katapultiert mich sofort wieder in die Vergangenheit.

Liams Pub. Hier hab ich dich kennengelernt. Weißt du noch? Als dieser verdammte Dreckskerl dich den ganzen
Abend angebaggert und dir dann in einem unachtsamen Moment die Geldbörse geklaut hat. Du hast
geweint. Warst verzweifelt. Ich habe mich zu dir gesetzt und dich gefragt ob alles in Ordnung sei.
Und du hast mir alles erzählt. Es war, als hätten wir uns schon immer gekannt. Wir haben die ganze
Nacht geredet und die Erinnerung an diesen verfluchten Penner verschwamm mit jedem Drink
etwas mehr. Ich habe deine Rechnung bezahlt. Und seine. Und meine. Dann bist du gegangen und
hast mir zum Abschied dieses zauberhafte Lächeln geschenkt, dass ich so sehr an dir liebte.
Zuhause habe ich deine Telefonnummer in meiner Jackentasche gefunden. Hast sie mir zugesteckt,
ohne dass ich es mitbekommen habe. Ich kam in die Küche und ...

Plötzlich öffnet jemand die Tür des Pubs und bestellt lautstark billigen Schnaps. Hinter ihm zwei
Frauen, denen er nun erzählt, was er da feines bestellt hat. Will sie wohl beeindrucken. Er beginnt
sich lautstark zu beschweren, als Liam um etwas Ruhe bittet. Lautstark. Du hast mich heute auch
angeschrien. Ich bin dir durch die ganze Wohnung gefolgt. In der Küche hast du dir einen Teller
gegriffen und nach mir geworfen. Flog genau gegen den Türrahmen und zersprang in tausende
Teile. Und dann bist du gegangen.
“Wir schließen.”, höre ich Liam sagen und blicke auf sechs leere Pints direkt vor mir. Habe ich
mich nicht eben erst gesetzt? Ich zahle und verlasse den Pub. Es wird Zeit zurückzugehen. Zurück
in die leere Wohnung.
Der Weg wirkt unendlich lang. Vielleicht laufe ich langsamer. Möchte die Wohnung nicht erreichen.
Möchte die Gewissheit, dass alles tatsächlich geschehen ist, vor mir herschieben. Dann stehe ich
wieder vor der Wohnungstür. Bin ich überhaupt durch das Treppenhaus gegangen? Ich weiß es
nicht. Kann mich nicht erinnern. Zitternd versuche ich den Schlüssel in das Schloss zu stecken,
doch ich schaffe es nicht. Muss die Augen schließen. Ich atme tief ein. Atme aus. Und ein. Und aus.
Und versuche erneut das Schloss zu entriegeln. Ein lautes Klacken ertönt und beweist mir, dass ich
es dieses mal geschafft habe. Ich trete in den Flur. Dumpfe Schritte. Ich hänge den Schlüssel in den
Kasten und drehe mich zur Küche. Dort, wo alles endete. Ich rieche den Whisky. Und auch etwas
anderes. Ein penetranter Geruch. Stechend. Metallisch. Süßlich. Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich
betätige den Schalter und sofort flutet kaltes Licht den Raum. Muss meine Augen
zusammenkneifen.
Sofort höre ich es wieder. Dein Schreien. Deine Angst. Dein Versuch zu fliehen. Der Wurf mit dem
Porzellan. Nichts hielt mich auf. Du hast mich verlassen. Doch nicht für immer. Die Waffe liegt
noch immer auf dem Tisch. Ich folge dir.

Offline Anastylos

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #53 am: 26.03.2015 | 19:59 »
6847 Zeichen. Eigentlich ist die Geschichte fertig, aber ich bin nicht zufrieden. Es ist einfach nicht ganz rund. Ich glaube ich muss mehr schreiben damit ich es kürzen kann. Ich habe ja noch Zeit.

El God

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #54 am: 26.03.2015 | 20:57 »
Wenn der Spiegel fällt

Ich bin ein böser Mann, deswegen muss ich immer meine Tabletten nehmen. Das hat mir mein Arzt gesagt. Meine Frau aber sagt, dass ich, wenn ich sie nehme, nicht ich selbst bin. Dass sie mich verändern. Dass sie das nicht mag.
Das hat sie nun davon, dass ich auf sie gehört habe. Wenn ich meine Tabletten nicht nehme, dann kommen die Stimmen zurück. Mal flüsternd, nagend. Dann laut tobend. Drängend. Schmeichelnd. Immer fordernd. Die meisten Dinge, die sie wollen, sind kein Problem, denn ich wasche mir ohnehin so oft wie möglich die Hände. „Nochmal!“, kreischt es dann in meinem Kopf. Und ich gehorche – es ist einfacher so.
„Das reicht nicht!“, tobt es. Und ich gehorche – wie immer. Irgendwann verstummen die Stimmen, haben genug von diesem Spiel und lassen mich gewähren.
Dieses Mal haben sie etwas anderes von mir gefordert. Ich habe ihnen lange widerstanden, aber irgendwann war ich so zerrüttet, dass ich einfach gehorchen musste. Ich will kein böser Mann sein. Ich will gut sein. Gute Kinder gehorchen.

Endlich schwimme ich aus dem Abgrund des Schlafes nach oben, komme mit erstaunlicher Klarheit zu mir und befinde mich in genau der Situation, der zu entgehen ich gehofft hatte. Sie haben mich gekriegt! Ich zerre an den Fixiergurten, die beide Hände und einen Fuß mit weichem Filz gepolstert aber dennoch unnachgiebig umschließen und weiß ohnehin – keine Chance, ich habe es zu oft erlebt. Natürlich mache ich trotzdem weiter, alte Gewohnheiten sind nur schwer abzulegen.
Irgendwann wacht von meinem Zerren und Winden der Typ im Nachbarbett auf. Na großartig, denke ich, während ich zum ersten Mal den Raum realisiere und mich umschaue. Dreibettzimmer. Voll belegt. Nummer zwei flitzt die Tür hinaus, sagt wahrscheinlich dem Pfleger Bescheid. Nummer drei pennt fleißig weiter. Und stinkt. Oh Gott, wie der stinkt. Garantiert ein Säufer, der erst mal den ganzen Dreck ausschwitzt, den seine Leber gespeichert hat. Mann, wie ich Säufer hasse.
„Guten Tag, Herr *******“, begrüßt mich ein Mann in weißem Kittel. Er hat sich zur Verstärkung direkt noch einen bulligen Pfleger mitgenommen, der in der Tür steht und mich blöde anglotzt. „Wissen sie denn, wo sie sich hier befinden?“
„Inner Klapse?“, nuschele ich, äußerst unbefriedigt über meine verwaschene Aussprache. Ich bin doch total klar im Kopf, warum gehorcht mir meine Zunge dann nur so schleppend?
„Genau. Wissen sie auch noch, wie sie hier her gekommen sind?“
„Nä.“
„Die Polizei musste sie gestern hier abliefern, sie haben versucht einen Beamten anzugreifen. Erinnern sie sich?“
Langsam tröpfelt tatsächlich so etwas wie Erinnerung in meinen Schädel. Aber Beamte? Okay, das ergibt einen gewissen Sinn, wenn man bedenkt, was ich vorher getan habe.
Meine Frau, meine liebe Frau. Meine Frau habe ich umgebracht. Ich wollte es eigentlich nicht. Aber die Stimmen. Die Stimmen haben mir gesagt, dass sie sterben muss. Und wenn ich es nicht tue, wäre etwas ganz furchtbar schlimmes geschehen.

Ich bin mit ihr am Strand, unser erster gemeinsamer Urlaub. Ostsee. Nach Sonnenuntergang. Es war zu kalt zum Baden, aber noch warm genug, um durch den Sand zu laufen und anderen verliebten Irrsinn zu begehen.

Ich habe die Hände an ihrer Kehle. Das Bewusstsein hat sie schon längst verloren, aber ich weiß, dass ich weiter zudrücken muss, immer weiter, immer weiter. „Weiter! Hör nicht auf! Sie ist noch warm!“, hetzen die Stimmen. So verbringe ich sicherlich zwei Stunden damit, eine Leiche zu strangulieren.

Ihre wunderbare Wärme, als sie ihren Kopf an meine nackte Brust legt, an jenem Abend nach Sonnenuntergang. Der Geruch ihres Haars, das feine Prickeln ihrer Finger auf meinen Schultern. Das sanfte Gewicht auf meinem Körper, das ich ein Leben lang zu tragen bereit gewesen wäre.

Irgendwann lasse ich los, was gar nicht so einfach ist, weil meine Finger total verkrampft und gefühllos sind. Sie liegt da. Ist nur noch Fleisch, nur noch eine gefühllose, bedeutungslose Puppe. Man wird mich erwischen. Ich muss dafür büßen. „Du musst dafür büßen! Du musst dafür…“, aber ich bin diesmal sogar schneller als die wütenden Stimmen, die mindestens genauso bestürzt darüber sind, dass ich ihnen gehorche, wie ich selbst. „Dafür muss ich sterben.“, antworte ich ihnen.

Der Arzt drängt sich wieder in den Vordergrund. „Die Beamten haben einen Notarzt gerufen und sie hier einweisen lassen. Offenbar haben sie zwei Polizisten angegriffen und dabei gerufen, dass sie sie erschießen sollen. Wollten sie gestern wirklich sterben?“
„Ja. Die Stimmen…“
„Die Stimmen sind wieder da? Herr *******, sie wissen doch, dass sie ihre Medikamente regelmäßig einnehmen müssen. Erst wenn sie einen bestimmten Medikamentenspiegel im Blut aufgebaut haben, lassen die Symptome nach.“
„Ja, ich weiß. Aber ich bin nicht ich selbst, wenn ich das Zeug nehme.“
„Also haben sie die Tabletten abgesetzt?“
„Ja.“

Ein Nachmittag im Café. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Sommerkleid und sonst nichts. Wirklich gar nichts. Ich habe eine so harte Erektion, dass sie schon schmerzt, während sie mir über ihre Tasse hinweg immer weitere Schlüpfrigkeiten zuwispert, die Geilheit langsam in mein Ohr träufelt. Sie hat mich vollkommen in der Hand, ich bin ihr hörig, bin gefügig. Und als wir endlich bei ihr zu Hause sind, schaffen wir es gar nicht bis zum Schlafzimmer, sondern fallen noch im Flur übereinander her.

Jetzt weiß ich wieder, warum ich zu den Polizisten gegangen bin. Ich musste der Sache doch ein Ende machen. „Suicide by cop“ nennt man das. Funktioniert natürlich nicht. Hätte ich mir auch denken können, naja, hinterher ist man immer schlauer. Aber ich kann mir nun alles zusammenreimen: Nachdem ich meine Frau getötet hatte, war jedes Weiterleben sinnlos geworden. Und ehe ich irgendwo im Knast verrotte, verschwinde ich mit einem letzten ordentlichen Tusch. Ein Knall. Vorzugsweise direkt in den Kopf.

„Herr *******, können sie mir noch zuhören?“
„Ja.“
„Sie kennen das weitere Vorgehen ja schon. Sie bleiben jetzt eine Weile bei uns und werden wieder medikamentös eingestellt. Wenn es ihnen dann besser geht, werden sie entlassen.“
„Hmm, ja.“
Offenbar weiß niemand etwas von der Leiche. Habe ich sie entsorgt? Versteckt? Komm schon, Gehirn! Ich brauche Erinnerungen!
„Sie sind ja jetzt noch fixiert, Herr *******, aber ich denke, wir können ihnen gestatten, die Schlaufe an einer Hand zu lösen, damit sie es etwas bequemer haben. Kann ich mich darauf verlassen, dass sie keinen Unsinn anstellen?“
„Ja, ich mach nix dummes.“
Der Pfleger tappt mürrisch zu mir und fummelt dann an meinem linken Handgelenk herum, bis sich die Filzschlaufe löst und ich meine Hand frei bewegen kann. Demonstrativ langsam bewege ich den Arm und versuche ein wenig Gefühl hineinzubekommen.
Und während er mit dem Arzt hinausgeht, fragt ihn dieser: „Letzte Nacht hat er aber nichts von seiner Frau erzählt, oder?“
„Nein.“
Siedend heiß schießt es mir in den Schädel: Natürlich! Suizidgefahr. Ha. Und nachher komme ich in den Knast. Die sagen mir nur nichts, damit ich nicht völlig ausraste.
Der Arzt fährt fort: „Das ist ein gutes Zeichen…“
Ein gutes Zeichen? Was? Ich habe sie ermordet! Denkt ihr, das wüsste ich nicht mehr?
„…Armer Kerl. Die übliche Karriere. Paranoide Psychose, therapieresistent, Drehtür-Effekt. Das letzte Mal war er davon überzeugt, dass sie noch lebt, obwohl sie schon jahrelang tot ist. Krebs, habe ich gehört…“

El God

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #55 am: 26.03.2015 | 21:45 »
Fazit: Bin ganz zufrieden. Habe insgesamt 1,5 h gebraucht und den Text dann auch ganz bewusst abgeschlossen. Die Vorgaben waren dabei erstaunlich hilfreich, weil ich um sie herum ein Gerüst konstruieren konnte, an dem ich mich dann einfach abgearbeitet habe.

Bin positiv überrascht.

Offline Bad Horse

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #56 am: 26.03.2015 | 22:08 »
"Mein Bester, Euer Hut ist ein Mord an jeglicher Ästhetik!" Mit diesen Worten sprang ich behende auf die Reling und wich dem wütenden Hieb von deMognacs Degen aus.

"Bleib stehen, du alberner Spiegelfechter!", brüllte er empört. "Du wirst nie Kapitän der Goldenen Liebe werden!" Wieder hieb er nach mir. Er führte seinen Degen wie eine Streitaxt, aber das hatte ich ihm im vergangenen Gefecht schon an den Kopf geworfen.

"Warum sollte ich, mein Bester? Gib einfach zu, dass du mir mit deinen kleinen Zwergenbeinchen nicht das Wasser reichen kannst!"

"Pah", machte er nur und krabbelte ungeschickt nach mir auf die Reling. Etwas unsicher stand er da und brachte seinen Degen in Position. "Ich bin der rechtmäßige Nachfolger von Miguel Sangrado, und das weißt du auch, Etiennette! Niemals hätte er einem Elfenweib die Goldene Liebe überlassen!"

"Weib?" Ich hob eine spöttische Augenbraue. "Und was hätte er wohl gesagt, wenn er gesehen hätte, wie der große... äh, na ja, wie der 'verwegene' deMognac von diesem Weib hier verprügelt wird?" Ich machte einen einhändigen Handüberschlag rückwärts. Zumindest versuchte ich es... tatsächlich purzelte ich unglücklich von der Reling und hätte fast den Handspiegel meiner Schwester, der dort noch lag, zerbrochen.

"Hähä", macht deMognac. "Deine Bewegungen, meine Liebe, sind ein Mord an der Fechtkunst!" Dann fuchtelte er noch eine Schleife mit seinem Degen. Vermutlich dachte er, das wäre ein legitimer Schlag.

Lässig stand ich wieder auf, griff mir den Spiegel mit der linken und meinen Degen mit der rechten Hand. Dann drehte ich mich schnell, hielt den Spiegel zur Sonne und blendete ihn mit dem Aufblitzen eines Strahls. Während er noch um sein Gleichgewicht kämpfte, hieb ich ihm mit dem Degen gegen sein Knie, sodass er den Halt verlor und ebenfalls stürzte.

Er versuchte, sich aufzurappeln, aber da spürte er schon die Spitze meines Degens an seinem Kinn.

"Gib auf, deMognac", sagte ich mit breitem Lächeln. "Schwör mir die Treue, und du kannst mein Erster Maat sein!"

Unwillig knirschte er mit den Zähnen, aber als ich meinen Degen gegen seine Haut schob, sagte er widerwillig: "Ich schwöre dir, Etiennette deBlaise, Kapitänin der Goldenen Liebe, die Treue, jetzt und für immer dar, im Namen Jesu und des Teufels."

"Hah", rief ich freudig aus. "Sehr gut, sehr gut... jetzt können wir endlich die Schwarze Barke überfallen... und die schändlichen Wilden von Xopotec unterwerfen... und den Escamandriern einen Haufen Gold stehlen..."

Aus der Ferne hörte ich lautes Rufen. Die Abendsonne stand tief, die Zeit war gekommen.

"Also gut", sagte ich zu deMognac, "meine Mutter ruft, ich muss zum Abendessen... aber morgen treffen wir uns wieder und fahren auf Abenteuer!"

So. Nur kurz mal was ganz anderes.  ;)
« Letzte Änderung: 26.03.2015 | 22:09 von Bad Horse »
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity.

Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?

Offline Conan der Barbier

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #57 am: 26.03.2015 | 22:19 »
Zitat
"Also gut", sagte ich zu deMognac, "meine Mutter ruft, ich muss zum Abendessen... aber morgen treffen wir uns wieder und fahren auf Abenteuer!"

Bislang finde ich eure Geschichten eigentlich alle recht nett. Aber bei diesem letzten Satz musste ich tatsächlich meine Mundwinkel vornehm ein wenig anheben  ;D  Motiviert mich aus irgendeinem Grund, mal wieder etwas von Changeling inspiriertes zu leiten...
Furztrocken!

Mein neuer Favorit der Reihe "Freud im Rollenspiel": "Nur ein toter Zombie ist ein guter Zombie!" - "...wart mal. ALLE Zombies sind tot..."

Online Sashael

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #58 am: 27.03.2015 | 05:24 »
So. Nur kurz mal was ganz anderes.  ;)
Sehr großartig!  ;D :d
"Ja natürlich ist das Realitätsflucht. Was soll daran schlecht sein? Haben Sie sich die Realität in letzter Zeit mal angesehen? Sie ist grauenhaft!"


Leitet Itras By mit Battlemap. ;D

Offline Turning Wheel

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #59 am: 27.03.2015 | 06:20 »
Oh Leute, wie cool! Und schnell auch!
Ich bin voll begeistert von euren Geschichten.
Und überrascht bin ich auch von der üppigen Verwendung der drei vorgegebenen Konzepte.
Da sind schon ein paar schöne Sachen dabei.

Konkretes Feedback von mir gibt es aber erst am 1. April. :)
Vielleicht finden sich ja noch ein paar weitere Machwerke ein.

edit: Man kann auch zwei Stories schreiben. Warum nicht?

Offline Niniane

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #60 am: 27.03.2015 | 07:33 »
Ich probiers auch mal die Tage, vielleicht fällt mir was ein
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Offline Blechpirat

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #61 am: 27.03.2015 | 11:03 »
Mann seid ihr gut. Respekt!

Offline Hollaus

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #62 am: 27.03.2015 | 11:05 »

El God

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #63 am: 28.03.2015 | 14:42 »
*PUSH*

Es ist Wochenende! Jetzt findet ihr sicher 1-2 Stunden :)

Offline Anastylos

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #64 am: 28.03.2015 | 15:24 »
Gibt es am Ende auch ein ausführliches Feedback? Das würde ich mir für meine Geschichte wünschen. Es passt immer noch nicht so wie ich das will :'(

El God

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #65 am: 28.03.2015 | 15:31 »
Ich bemühe mich hinterher auf alle Fälle :)

Offline Anastylos

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #66 am: 28.03.2015 | 15:41 »
So jetzt lasse ich den Text so wie er ist sonst rege ich mich nur auf >:(

Seelenspiegel

Zwei Dinge sind de Spiegel der menschlichen Seele: Die Liebe und der Mord. Ich muss mich in beiderlei Hinsicht schuldig bekennen. Noch liegt der Nebel über dem Hafenviertel. Noch vor dem Mittag würden die letzten Schwaden verschwunden sein, doch zusammen mit der hektischen Betriebsamkeit würden sie meine Flucht erleichtern.
Ich hatte die Rose immer noch in der Hand, die ich aus ihren bleichen Händen genommen hatte. Ein Stachel hatte sich mir in die Hand gebohrt und ich hatte es noch nicht einmal gemerkt. Ich würde ja gerne behaupten die Angst erwischt zu werden und der Fokus auf die Flucht hätten mich daran gehindert den Schmerz zu spüren, doch es war die Liebe. Ich denke es wird Zeit in diesen Spiegel zu schauen und zu sehen wie meine Seele aussieht.
Ich war nicht auffällig. Die meisten Leute vergasen mein Gesicht kaum dass sie es gesehen hatten. Ich war erst vor zwei Wochen als Gärtner in die Dienste des Grafen von Lemdau getreten. Wie ich schon sagte war an mir nichts auffällig.Das kann man von ihr nicht sagen. Marie von Lemdau war die Frau des Grafen und eine wahre Schönheit. Ich bin kein Poet, daher überlasse ich es der Fantasie ein passendes Bild der goldgelockten Schönheit zu entwerfen.

Es war von Anfang an klar das die Beziehung nicht halten konnte. Doch die Frucht schmeckt umso süßer je verbotener sie ist. Das wirft kein gutes Licht auf mich und vielleicht auch auf sie, doch wer behauptet er hätte in der gleichen Situation anders gehandelt lügt. Die Liebe trifft uns alle unverhofft und unser Umgang mit ihr verrät viel über uns. Manchmal denke ich: zu viel.
Ich war also als Gärtner angestellt worden und irrte am ersten Tag durch Irrgärten aus Fluren, Türen und Treppen wie ich jetzt durch die dreckigen Gassen des Hafenviertels eile. Ich zügele meinen Schritt. Wer rennt ist verdächtig. Die Rose habe ich in einer Mantelinnentasche verstaut. Ich bringe es nicht übers Herz sie wegzuwerfen. Warum ich sie mitgenommen habe kann ich nicht sagen.
Es kann nicht mehr weit sein bis zum Meer. Ich muss ein Schiff suchen und einfach weg. Zum Glück habe ich nicht viel Gepäck, ich habe bei meiner Flucht also nicht viel zurückgelassen. Bis auf die Wechselkleidung. Nicht allein wäre das für die Überfahrt praktisch, Kleidung ohne Blut wäre in jedem Fall bedeutend unauffälliger. Ich schleiche mich durch die Gassen. Irgendjemand muss doch Wäsche hängen haben die man stehlen kann.
Bisher spiegelt der Mord vor allem meine Planlosigkeit und die Liebe meine Willensschwäche. Ich hätte mich nie in Marie verlieben dürfen. Doch es kam über mich wie ein Blitz. Ich hätte einem Lakai begegnen können, einem Gärtner oder einem anderen Diener als ich durch das Haus führte. Stattdessen begegnete ich ihr. Es ziemt sich für eine Gräfin nicht einem einfachen Gärtner durch das Anwesen zu führen und mit ihm zu plaudern. Marie war das egal und sie setzte ihren Kopf immer durch. Das fiel mir von Anfang an auf, diese Selbstverständlichkeit mit der sie alles tat, sodass niemand es wagte ihr zu widersprechen. Sie war gebildet und hatte einen scharfen Verstand. Sie fragte mich aus über mich, meine Familie meine Heimat. Ich erzählte ihr alles so wie ich es mir zurecht gelegt hatte. Ich habe ein gutes Gedächtnis und brachte es fertig alles widerspruchsfrei zu wiederholen und sie zu korrigieren wenn sie absichtlich etwas falsch wiedergab. Dennoch traute sie mir nicht. Vielleicht machte mich das für sie interessant. Sie war neugierig und wollte wissen was meine wirkliche Vergangenheit war und ich tat mein bestes genau das vor ihr zu verheimlichen.
Sie fragte mich auch über Botanik aus, ein Thema zu dem sie einige Bücher gelesen hatte, glücklicherweise nicht mehr als ich, so dass ich alle ihre Fragen beantworten konnte. Wie ein Inquisitor stellte sie mir rhetorische Fallstricke und wie ein scheues Wild wich ich ihnen aus.
Wenn sie am Ende noch misstrauisch war zeigte sie es nicht.
Inzwischen habe ich einen frischen Satz halbwegs passende Kleidung gefunden und bin bereit mit dem nächstbesten Schiff abzuhauen. Die Glocken klingen. Mein Mord scheint aufgeflogen zu sein. Jetzt muss ich schnell sein, bevor der Hafen abgesperrt sind. Ich bin voller Kraft bemüht nicht zu rennen. Ich gehe langsam, so schwer mir das auch fällt und schaue mich um. Auf den Handelsschiffen ist eine rege Betriebsamkeit. Die Händler fürchten um ihren Gewinn wenn sie für unbestimmte Zeit im Hafen festgehalten werden. Andere werden aus den Informationen Profit schlagen wollen. Eine Patrouille der Stadtwache marschiert am Kai entlang. Mir sträuben sich die Nackenhaare und ein kalter Schauer rennt mir den Rücken hinab.
Haben sie mich erkannt? Wissen sie was ich getan habe? Es kann eigentlich nicht sein, doch der
Zweifel nagt an mir.

Am ersten Abend lag ein Brief in meinem Zimmer, rosa mit Schleife und Parfüm. Eine Rose stand in einer Vase daneben. Wie man sich das so vorstellt. Ich erkannte Anspielungen auf mehrere Gedichte und Theaterstücke. Sie testete mich. Würde ich die Anspielungen verstehen wäre ich nicht der einfache Gärtner als der ich mich ausgab. Ich konnte dieses Spiel nur verlieren. Sie spielte es schon länger als ich und sie war besser darin. Ich beschloss nicht darauf einzugehen. Das ging auch zwei Tage gut.
Die Patrouille ist an mir vorbeigegangen, wie es zu vermuten war. Ich bin am Hafen, ich bin bald aus der Stadt draußen. Ich muss nur noch ein passendes Schiff finden.
Ich hätte die Einladung zum Tee ausschlagen sollen, doch ich tat es nicht. Sie war die Spinne, ich die Fliege, daran lies sie keinen Zweifel. Zuerst sprachen wir nur über Belanglosigkeiten, doch nach und nach schaffte ich es ihr einige Informationen zu entlocken.
Sie war unglücklich mit der Ehe, sie war intelligent und hatte Ambitionen, der Graf selbst war weder intelligent noch hatte er Ambitionen. Wir diskutierten über Theater, Philosophie und Politik. Ich hätte nicht darauf eingehen dürfen, doch es gab zu wenig Menschen mit denen man darüber diskutieren konnte. Es gab einfach zu wenig kultivierte Menschen auf dieser Welt. Doch das war nur eine Ausrede, ich hätte genauso gerne einfach nur dagesessen und sie angehimmelt, ich war ihr hemmungslos verfallen.
Ich war für sie nur ein Spielzeug, dessen sie sich entledigen würde, vermutlich bald. Ich bilde mir ein dass sie etwas für mich empfand. Doch ich weiß dass das vermutlich nicht stimmt. Dennoch beging sie einen Fehler. Sie gab mir den Schlüssel für ihre privaten Räume.
Doch es sollte noch zwei Wochen dauern bis ich den Mut fand das zu tun das ich von Anfang an hätte tun sollen.
Wenn die Liebe der Spiegel meiner Seele ist, dann bin ich naiv, neugierig, sentimental. Der Mord hingegen...
Heute morgen brachte ich es zu Ende auf die für mich einzig mögliche Variante. Ich hatte das Messer, ich hatte den Schlüssel.
Ich frage auf dem nächstbesten Schiff nach wohin es fährt. Sie fahren zur Schatteninsel, was ihre Hektik erklärt. Der Hafen dort war bekannt das dort alles verkauft wurden was überall sonst verboten waren. Das Schmugglerparadies stand unter dem Schutz des Ordens der schwarzen Schlange. Ein gefährlicher Ort, ich hätte nicht gedacht so schnell zurückzukehren.
Meine Arbeit hier war getan, der Graf war tot, Marie würde mich suchen lassen, doch das war nichts neues für mich. Vielleicht hätte ich sie töten sollen, doch ich hatte nur die Rose aus ihren vor Angst bleichen, zitternden Händen genommen und war gegangen.
Ich hole mein Amulett hervor, dass mich als Assassinen ausweist und besteige das Schiff.

Offline Hollaus

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #67 am: 29.03.2015 | 16:44 »
So, geschafft. Ich bin wirklich froh, mal wieder was getan zu haben. :)

Die heiße Luft flimmerte am Horizont. Eigentlich sollte um diese Zeit niemand im Freien sein. Und doch bewegten sich vor mir tausende und abertausende Gestalten im Sand. Vereinzelt hörte man Lieder, die im Takt zu Trommeln und Peitschenhieben gesungen wurden.
„Eure Majestät?“, drang eine Stimme von der Seite an mein Ohr und riss mich sogleich aus meinen Gedanken. Langsam drehte ich den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dort stand der Hellenike. Der Geschichtenschreiber aus dem fernen Land war über die letzte Zeit hinweg ein fester Bestandteil des Hofstaates geworden. Ein guter Gesprächspartner, mit dem man anregende Dialoge haben konnte. Wenn auch manchmal mit aufmüpfigen Gedanken, für die jeder andere sofort Sobeks Kindern zum Fraß vorgeworfen wäre.
"Ja. Warum stört ihr mich?", antwortete ich mit er eisien Miene, die ich in der Öffentlichkeit stets zu tragen pflegte.
"Die Arbeiter. Sie können nicht mehr. Ra's Antlitz erstrahlt zu hell. Sie sind geschwächt, haben zu wenig Wasser und Korn. Ihr solltet ihnen in eurer unermesslichen Güte einige Tage ein Pause gönnen."
"Nein. Der Bau muss zum festgelegten Zeitpunkt fertig sein. Die Vorbereitungen für die Zeremonie sind bereits getroffen. Es wird keine Abweichung von meinen Anweisungen geben.", erwiderte ich und richtete meinen Blick wider auf die Baustelle. Dennoch konnte ich das Antlitz des Helleniken in meinem Handspiegel sehen. Der Ärger stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er wusste nicht, was hier vor sich ging und daher konnte er es auch nicht verstehen.
Wieder setzte er an in dem Versuch, mich umstimmen zu können:"Eure Hoheit. Wenn ihr das Tempo mit dem ihr den Bau vorantreibt, nicht verlangsamt, werden bald Hunderte, wenn nicht tausende eurer Untertanen als Futter für die Geier im Sand liegen. Das Volk wird sich fragen, wozu ihr es in größten Hitze des Jahres leiden läßt. Das kommt einem Mord an den Massen gleich! Das Grabmal eures Vaters würde so zum Grabmal eures Volkes werden."
Ich schnitt ihm das Wort ab:"Hütet eure Zunge, Hellenike! Oder ihr werdet bald am eigenen Leib erfahren, wie es ist, sich in Liebe zu seinem König aufzuopfern. Euch ist überhaupt nicht bewusst, worum es hier eigentlich geht."
Mir tat es selbst im Herzen weh, derartige Worte gegen den Helleniken richten zu müssen. Es gab bei Hof nur wenige echte Freundschaften. Diese war eine davon. Und trotzdem war er ein Fremder. Er kannte die Geschichte meines Volkes nicht ausreichend, wusste nicht um die vielen Dinge zwischen uns und unseren Göttern.
Ich war es plötzlich leid, hier sitzen zu müssen.
"Kommt. Ich möchte einen Spaziergang durch die Baustelle machen.", sagte ich und erhob mich aus meinem Stuhl und drehte mich in Richtung Ausgang.
"Wozu? Um eurem Volk zu zeigen, dass ihr genau darauf achtet, ob auch wirklich  gearbeitet wird?", kam sein gehässiger Versuch, mich wieder an meine offensichtliche Kaltherzigkeit zu erinnern.
Ich blieb stehen und hob die Hand in der sich mein Handspiegel befand. Ich blickte hinein und dadurch ihm direkt in die Augen. "Nein, um ihnen zu zeigen, dass sich auch ihr Herrscher nicht davor scheut, unter diesen Umständen auf der Baustelle zu sein."

So schritten wir nun zwischen Gerüsten und Gräben hindurch. Vorbei an riesigen Kalksteinblöcken, die auf Holzstämmen über Rampen auf Sand gezogen wurden. Dazwischen immer wieder kleinere und größere Gruppen von Arbeitern. Auf einem Zuweg versuchten drei Knaben, ein mit Werkzeug beladenes Muli zum Weitergehen zu bewegen. Als sie unseren Zug erkannten, versuchten sie es noch energischer. Das war Liebe zum Herrscher. Wenn man bereit war, das eigene Haus- und Lastentier dafür zu opfern, obwohl es der einzige Besitz ist, den man hat.

Auf einer kleinen Anhöhe machten wir schließlich Halt. Man konnte von hier den Weg von den Tempelanlagen der Totenstadt zum Grabmal gut überblicken. Vom Eingang des Grabes zog der Weg sich in einer geraden Linie bis vor die Tore des schwarzen Tempels. Die Seiten des Weges waren mit hohen, glattpolierten Mauern versehen. Oben an den Mauern waren abermals Wege angelegt. Der schwarze Tempel bildete den Torweg zur Tempelstadt, die ebenfalls von Mauern umgeben war. Meine Vorfahren hatten diese Anlagen in den vergangenen Dynastien Stück für Stück erschaffen und immer wieder erweitert. Sie waren ein Stein gewordenes Zeichen unserer Herrschaft über dieses Land, aber auch ein Zeichen unserer Verpflichtung und Liebe gegenüber unserem eigenen Volk. Das aber konnte der Hellenike nicht verstehen. Wie sollte er auch?

Weit hinter der Totenstadt konnte man die Hauptstadt erahnen, aber nicht sehen. Sie war eine halbe Tagesreise von der Totenstadt, den Tempeln und den Grabmälern entfernt. Ich freute mich schon wieder darauf, dort zu sein. Der Hellenike hatte offenbar wieder etwas Kampfgeist gewonnen, denn er wollte nun weiter mit mir diskutieren.
"Eure Majestät?"
"Ja, was liegt euch noch am Herzen?"
"Nichts Neues, Herr. Ich kann nur immer noch nicht verstehen, welcher Grund so dringend sein soll, dass ihr euer Volk für das Grabmal eures Vaters derart ausbluten lässt. Er ist tot. Und egal ob seine Beisetzung diesen Mond, oder erst nächsten stattfindet, ihr werdet der neue Herrscher dieses Landes sein. Wozu also diese Eile?"
Ich bedeutete den Leibwächtern und Fächerträgern zu warten. Dann ging ich bedächtigen Schrittes aus ihrer Hörweite. Der Hellenike ging neben mir her.
"Nun hört, warum es eilig ist. In der Jahren der ersten Dynastie, zu der Zeit als der erste König unseres Geschlechts zu Grabe getragen wurde, offenbarte sich der Fluch, der mit dem von den Göttern gegebenen Recht zu herrschen einher geht. Ausser unserer Familie wissen dies nur die stummen Priester. Und es hat einen guten Grund, warum sie nicht sprechen können, glaubt mir. Damals in der ersten Vollmondnacht nach dem Tod des Königs geschah es. Seine Konkubinen und alle Frauen die jemals mit seinem Samen in Berührung kamen, verwandelten sich. Gleichsam erwachte der tote König wieder zum Leben. Wobei Leben der falsche Ausdruck ist. Sie alle, der kürzlich verstorbene König und seine Konkubinen verwandelten sich in grässliche, vom Wahnsinn getriebene Scheusale und wandelten umher und waren hungrig. Hungrig auf Menschefleisch. Einezelne abgelegene Dörfer und Siedlungen wurden von dem wandelnden toten König und seinem Gefolge heimgesucht und die Bewohner bei lebendigem Leib gegessen. Ein jeder, der von ihnen gebissen wurde, verwandelte sich ebenfalls.
Erst eine Truppe von Mönchen vermochte dem Albtraum Einhalt zu gebieten. Seit dem gibt es die stummen Priester. Sie haben sich geschworen, das Volk vor den hungrigen Toten zu schützen. Sie kümmern sich um die Einbalsamierungstechniken, um es den Wiederauferstandenen, denn ein jeder König erhebt sich erneut, so schwer wie möglich zu machen. Sie ersannen das Ritual, dass verlangt, alle Konkubinen nach dem Tod ihres Herrschers zu töten. Sie überlegen sich, wie man die Gräber und die Tempel so gestalten kann, dass es dem Volk nicht in den Sinn kommt, dass es sich dabei um Gefägnisse für die Scheusale und Abwehranlagen handelt. Und gleichsam unterstützen sie meine Familie, da sie wissen, dass nur wir die Geschicke des Landes und des Volkes auf diese Weise lenken können, sodass wir keine Kriege führen müssen und niemand Hunger leiden braucht."
Ich blieb stehen und blickte ihm direkt in die Augen. Der Schrecken über meinen Bericht stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er ließ sich auf ein Knie fallen und senkte den Kopf.
"Verzeiht, Majästet. Hätte ich nur früher davon gewusst, dann ...", setzte er an.
Im Handspiegel konnte ich sehen, wie sich ein schmales Lächeln auf meinem Gesicht breit machte. Ich gluckste.
"Lasst es gut sein. Es gibt nichts zu bereuen, mein Freund. Ra's Antlitz hat meine Gedanken beflügelt und ich habe euch soeben einen Bären aufgebunden. Ich will den alten Tyrannen einfach nur unter der Erde haben. Je früher, desto besser!"

El God

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #68 am: 29.03.2015 | 18:06 »
Sehr cool! Ich bin von der Resonanz wirklich erstaunt :)

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #69 am: 29.03.2015 | 21:09 »
Okay, okay, ich gebe zu, ich hatte Unrecht. Das macht Spass so. :)

Eine hab ich noch:

Was der Spiegel sieht

In dem Zimmer steht ein Spiegel. Es ist ein alter Spiegel, der silberne Rand verziert mit Schnörkeln, Ranken und Symbolen. Einst muss ein Künstler lange Stunden daran gearbeitet haben. Die spiegelnde Fläche ist blank poliert, und was auch geschieht - sie erblindet nie. Auch der Rahmen beschlägt nie, wird nie schwarz, bleibt immer gleich.

In diesem Spiegel lebt eine Seele, und das ist es, was sie sieht:

Ein junges Paar, das in die Wohnung zieht. Eine kleine, dunkelhaarige Frau mit einem lieben, gutmütigen Lächeln. Ein kräftiger Mann mit kurzen Haaren und hellen blauen Augen. Ihre Freude darüber, ein eigenes Heim zu haben. Ein Zuhause. Er umarmt sie, hebt sie hoch, und sie lacht in seinen Armen.

Ein Streit. Sie ist unglücklich wegen etwas, das er getan hat, aber er lacht sie nur aus. Sie bittet ihn um etwas, und er schaut erst hilflos drein, aber dann wütend. Seine Worte sind schneidend. Sie flieht weinend aus dem Zimmer, und er wartet einen schuldbewussten Moment, bevor er ihr folgt.

Der Tag, an dem er sie das erste Mal schlägt. Eine Kurzschlußhandlung, eine Ohrfeige. Er ist selbst entsetzt und nimmt sie in die Arme, um sie zu trösten.

Mehr Streit. Ihr Lächeln wird schmaler. Er schlägt sie wieder. Sie packt die Koffer und will gehen, aber er fällt auf die Knie, weint, spricht von Liebe. Sie zögert. Verzeiht ihm "das letzte Mal".

Es ist nicht das letzte Mal.

Sie hat ihre Koffer gepackt. Sie will gehen, als er hereinkommt. Er packt sie, wütend, schleudert sie zu Boden. Sie schreit ihn an. Er schlägt sie, blindwütig. Sein Gesicht ist eine verzerrte Fratze.
Dann hat sie ein Messer in der Hand. Bedroht ihn. Sie will nicht bleiben. Er stürzt sich auf sie, würgt sie. So viel stärker als die kleine Frau. So viel Hass und Zorn in seinen Augen, als er sie ermordet.

Das Messer in seiner Seite bemerkt er erst danach. Das rote Blut auf seiner Haut. Er taumelt, stürzt  zu Boden. Sein Mund formt hilflose Wort, seine Hand greift hilfesuchend nach ihr.

Seine Seele verlässt seinen Körper, ein düsterer Schemen. Über der toten Frau schwebt eine hellere Gestalt, die vor Zorn flackert wie eine Flamme. Sie kommt auf ihn zu. Er flieht. Doch er ist nur ein Schemen, und sie jagt ihn. Jagt ihn durch das Zimmer, bis hinein in den Spiegel. Hinein in den Spiegel, wo seine Seele Zuflucht findet.

Jetzt lebt seine Seele in dem Spiegel, und das ist es, was sie sieht:

Ein junges Paar, das in die Wohnung zieht. Eine kleine, dunkelhaarige Frau mit einem lieben, gutmütigen Lächeln. Ein kräftiger Mann mit kurzen Haaren und hellen blauen Augen. Ihre Freude darüber, ein eigenes Heim zu haben. Ein Zuhause....
« Letzte Änderung: 29.03.2015 | 21:12 von Bad Horse »
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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #70 am: 29.03.2015 | 22:29 »
Nagut, hab auch noch was zusammengezimmert.

Einen Mörder fangen

Als ich auf das regennasse Pflaster prallte und im Fenster über mir das bleiche Gesicht von Michael „Baby Mike“ Stanton auftauchte, wusste ich, dass ich ein Problem habe.

Ich hatte den meistgesuchten Mörder Londons gefunden und obwohl man meinen könnte, ein Privatdetektiv wäre froh über einen solchen Erfolg, hielt sich meine Freude in erschreckend engen Grenzen. Baby Mike hatte den Verstand eines vierjährigen Kindes. Leider steckte dieses Kind in einer sieben Fuß großen muskelbepackten Kampfmaschine und dummerweise war dieses Kind alles andere als wohlerzogen und hatte regelmäßige Wutanfälle. Was bei echten Kindern ein Ärgernis darstellte, verwandelte sich bei Baby Mike in einen Alptraum.

Seine Schwester Lily war die Einzige, die ihren Bruder zuverlässig beruhigen konnte. Nun, zumindest bis er ihr das Gesicht auf den Rücken gedreht hatte. Die Zeitungen waren voll davon. Er, das groteske Monster mit seiner unbedingten Liebe zu seiner Schwester. Sie, eine lebensfrohe junge Dame, die als Kindermädchen für Lord Warwick arbeitete. Der Bankiersohn Preston Levitt verfiel ihr auf einer Gartenparty Lord Warwicks und machte ihr einen Antrag. Mike wurde eifersüchtig und tötete seine Schwester aus Wut darüber, dass sie ihn verlassen wollte. So schrieben es die Zeitungen. Ich konnte darüber nur lachen.

Ich rappelte mich auf und stolperte durch das nächtliche London. Ein keckernder Gargoyle flappte aufgeregt mit den Flügeln, als ich unter ihm die Straße entlangstürzte. Hinter mir donnerte es, als Baby Mike aus dem Fenster sprang und auf den Kopfsteinen landete. Ich hatte nicht viel Zeit. Meine Hand zog wie von selbst den schweren Armeerevolver mit den sechs Elementarkammern. Vier winzige Ifrit und ein Aquos. Die Feuerteufelchen würden Baby Mike zu Asche verbrennen und ich hatte nach meinen Ermittlungen das Gefühl, dass das eine Entwicklung war, die ich unbedingt vermeiden musste. Ein freudloses Lachen verließ meine Lippen. So wie es jetzt aussah, konnte ich schnell in die Situation geraten, wo dies meine letzte Chance aufs Überleben sein mochte. Meine Gedanken rasten.

Ich erblickte meine beste Möglichkeit und meinen größten Alptraum. „Dr. Pirassis Spiegelkabinett“ prangte in großen Buchstaben über der Eingangstür. Ich hasse Spiegel!
Ein Schuss mit einem Ifrit schmolz das Schloss und ich stürmte in die Dunkelheit des Kabinetts. Hinter mir hörte ich die wummernden Schritte Baby Mikes durch die Straßen hämmern. Nur noch ein paar Augenblicke, und er würde hier sein. Ich stürmte in das verfluchte Spiegellabyrinth, meine Konterfeis zu allen Seiten. Verdammt, sah ich wirklich so schlecht aus? Dann kam Baby Mike. Nur wenige Momente später schlichen wir beide vorsichtig durch die glitzernden Reihen, sahen uns durch mannigfaltige Reflexionen und versuchten, ich verzweifelt und er wütend, den echten Gegner von den Spiegelungen zu unterscheiden.

Ich musste hinter ihn kommen. Dann hätte ich die Chance, seinen verdammten Hinterkopf mit dem Aquos zu treffen und ihn hoffentlich bewußtlos zu schießen. Aber zwischen den Spiegeln war es schwierig genug, den Weg zu finden, geschweige denn vernünftig zu manövrieren. Es sei denn …

Es half nichts. Ich musste tun, wovor ich solche Angst hatte, sonst würde ein mörderisches Monster entkommen. Ich atmete tief durch … und benutzte den Zweiten Blick.
Die Spiegelbilder verschwanden. An ihre Stelle trat der ewig heulende tiefschwarze Limbo. Baby Mikes Aura leuchtete hinter einer Wand aus Türen zum größten Alptraum meines Lebens hervor.

Nur sechs Menschen in ganz Europa hatten den wahren Zweiten Blick. Zwei davon saßen in dick gepolsterten Gummizellen und wir anderen vier wussten genau, wieso. Wenn die feinen Herren Magier in den Houses of Parliament wirklich sehen könnten, womit sie täglich herumspielten, würden sie des Nachts auch nicht mehr ruhig in ihren Daunenkissen schlummern.

Ich schaute mich um und versuchte, in der Hierwelt einen Weg in Mikes Rücken zu finden. Der Bastard bewegte sich schnell durch die Reihen der Spiegel und mir rannte die Zeit davon! Keine Chance. Ich musste es tun. Ich trat an eines der Fenster zum Limbo und schaute hindurch. Die Spiegel standen schon solange in diesem Raum, dass sich einige von ihnen aufeinander eingestellt hatten. Ich presste mein Gesicht an das Glas und versuchte, einen passenden Ausgang zu finden.

Dort! Etwas zu weit zur Seite für meinen Geschmack, aber wie es aussah, im Moment meine einzige Möglichkeit. Ich tastete das Glas ab, versuchte die typische Stelle zu finden. In diesem Moment hörte ich hinter mir das Brüllen. Mike hatte mich gefunden und stürmte wie ein wütender Stier auf mich zu. Meine Finger fanden den limbischen Spalt und ich öffnete die Passage. Ein kurzer energischer Sprung und ich schwebte durch die Schwärze. Baby Mike prallte gegen den Spiegel und als ich mich umdrehte, sah ich seine verwirrte Miene. Weiter glitt ich durch das Nichts auf mein Ziel zu. Ich konzentrierte mich mit aller Kraft auf den Ausgang, heftete meine Augen auf den Rücken von Mike, der nur wenige Meter von meinem Ziel entfernt immer noch den Spiegel untersuchte, in dem ich verschwunden war. Der Ausgang. Nur der Ausgang. Nur noch zehn Fuß. Nicht ins Dunkel schauen, sieh auf den Ausgang! Sieben Fuß. Achte auf das Licht der Hierwelt! Sieh nicht woanders hin! Drei Fuß. Ich streckte meine Hand aus, sah von dieser Seite aus den Spalt im Spiegel so viel besser. Meine Finger berührten das eisige Glas, doch sie landeten nicht im Spalt. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung. Nicht hinsehen! Ich tastete die Scheibe ab. Irgendetwas schien sich mir zu nähern. Nicht! Hinsehen! Mein Daumen fand den Riss, meine Finger schoben sich dazwischen und öffneten den Spiegel. Nur ein kleiner Kontrollblick auf meine Hand … und ich starrte auf einen stachelbewehrten Tentakel mit dutzenden echsenartigen Augen, der direkt unter mir durch den Limbo glitt. Die Lähmung ergriff von mir Besitz. Ich hatte die Hand im Riss, musste nur noch hindurch und konnte mich kaum bewegen. Mein Blick konnte nicht von den gefühllosen Augen lassen, die mich fixierten und in meinem Kopf machte sich eine Dumpfheit breit, die jeden eigenen Gedanken zu ersticken drohte. Ich stoppte und meine Hand wurde schlaff. Tief in mir brüllte ich auf, als sich meine Finger langsam aus dem Spiegel lösten, doch mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Und dann sah ich in den Augen das, was ich so fürchtete: Liebe, bedingungslose alles verzehrende Liebe. Diese Wesen liebten uns. Unsere Wärme, unsere Emotionen. Sie liebten uns so sehr, dass nichts ausser der totalen Vereinnahmung ihren Liebeshunger stillen konnte. Es würde mich umarmen, mich herzen, mich schließlich in sich aufnehmen, weil es sein Liebe auf keine andere Art zeigen konnte. Auf eine sehr wörtliche Weise hatten sie uns zum Fressen gern. Doch nicht, um einen körperlichen Hunger zu stillen, sondern um das Loch in ihrer Seele zu füllen. Und wenn ich vergangen wäre, würde es sich wieder nach Liebe verzehren.

Ein allzu menschliches Brüllen riss mich aus meiner Trance. Baby Mike schlug wütend gegen den Spiegel, in dem ich verschwunden war. Das Donnern kam durch den Limbo. Ich hörte es von vorn und von hinter mir und ich riss meinen Blick von den Augen des Tentakels los. Meine Finger krümmten sich und ich öffnete den Spiegel endgültig. Ich riss mich in die Hierwelt, hob meinen Revolver und feuerte den Aquos auf Mikes riesigen Schädel. Als mein Körper den Limbo verlies, spürte ich eine so unendliche Trauer, dass ich beinahe in Tränen ausbrach. Und ich wusste, dies war nicht meine Trauer.

Baby Mike lag bewußtlos vor mir und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ich würde einen Mörder vor den Richter bringen.
Der Marionettendämon war immer noch an Mikes lebenden Körper gebunden, seine Beschwörerleine leuchtete in meinem Zweiten Blick und sie würde mich zu dem wahren Täter hinter dem Mord an Lily Stanton führen.
"Ja natürlich ist das Realitätsflucht. Was soll daran schlecht sein? Haben Sie sich die Realität in letzter Zeit mal angesehen? Sie ist grauenhaft!"


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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #71 am: 29.03.2015 | 22:39 »
Sehr cool!  :D
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #72 am: 29.03.2015 | 22:56 »
Gefällt mir sehr gut, könnte ich mir als Rollenspiel vorstellen. Jeder hat einen Revolver mit sechs Schuss magischer Munition nach Wahl, danach ist Sense. ;D

Vielleicht bekomme ich noch eine zweite Geschichte hin. Kann man am Mittwoch auch noch schreiben?

Offline Turning Wheel

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #73 am: 30.03.2015 | 05:37 »
Ich akzeptiere bis Mittwoch 23:59:59 Uhr.
Nein Quatsch, wenn es etwas später kommt, ist auch noch gut. Hau in die Tasten! ;)

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Re: Kurzgeschichtenwettbewerb
« Antwort #74 am: 30.03.2015 | 18:34 »
Jetzt musste ich doch noch was niederschreiben. Etwas kürzer, die 5000 werden nur mit Leerzeichen überschritten.  ;D

Ich

Sie hatte den Sessel von ihrer Oma geerbt. Es ist ein riesiger schwarzer Sessel aus schwarzem Leder. Er ist schwer und ich habe einige Mühe, ihn vor den großen Standspiegel zu schieben. Der Spiegel ist ebenfalls von ihr. Sie kaufte ihn als Ankleidespiegel. Sie hat einfach nicht das richtige Verhältnis zu ihrem Körper. Sie kauft einen  so großen Spiegel und nutzt ihn nur, um den Sitz ihrer Klamotten zu überprüfen.

Auf den Beistelltisch stelle ich die Weinflasche und das Glas, direkt neben die Pistole. Ich schenke mir ein Glas Wein ein und setze mich in den Sessel. Im Spiegel sehe ich meinen Körper und ich bewundere meine Makellosigkeit. Nicht ein Haar zuviel, nicht eines zu wenig. Keine hässlichen Male, keine Narben, keine lächerlichen Sommersprossen, keine Pickel, Mitesser oder sonstige Schandflecke, die andere Menschen so achtlos übersehen. Ich nippe an meinem Wein und schaue mich über das Glas hinweg an. Ein Lächeln umspielt meine vollen geschwungenen Lippen.
 
Dann denke ich an sie und ihre nassen, schmatzenden Küsse und meine Augen werden schmal. Wie sie sich an mir vergeht, meinen Körper betatscht, begrapscht, begrabbelt und mir immer und immer wieder etwas von „Liebe“ ins Ohr atmet. Sie achtet nicht auf ihren Körper, pflegt sich nur auf das Nötigste. Andere Männer sehen nicht ihre Makel. Immer wieder beglückwünschen mich irgendwelche Deppen zu meiner Partnerin, so „sexy“, so „bildschön“. Wir hatten Sex in der letzten Nacht. Sie presste sich an meinen Körper, ihr Schweiß lief an mir herab. Ekelhaft. Nur mein Zorn über ihre Unverschämtheit hielt mich aufrecht. Ich bemerkte einen neuen Leberfleck auf ihrem Rücken. Es werden immer mehr. Meine Gedanken schweifen ab, mein Blick gleitet zur Pistole. Heute werde ich mich von ihr befreien.

Sie betrachtet mich als ihr Eigentum, fasst mich an, wenn sie es will, nimmt sich, was ihr nicht zusteht. Sie wird immer älter. Letzte Woche bemerkte ich eine Falte in ihrem Augenwinkel. Ich habe keine Falten. Noch nicht.

Die Tragik dieser Unvermeidlichkeit versetzt mich wieder in diese Trauer. Eines Tages werde ich alt sein. Schlaff, faltig, fleckig … hässlich. Und Menschen werden mich auch dann betatschen, begrapschen. Ich sehe meine Zukunft und sie gefällt mir nicht. Zu alt und hilflos muss ich sie über mich ergehen lassen. Ärzte. Pfleger. Krankenschwestern. Ich kann mir ihre Blicke vorstellen, wie sie meinen verschandelten Körper angewidert anblicken und dennoch haben sie keine Ahnung, die die Berührung ihrer Hände mich mehr ekelt als mein schlaffes Fleisch sie selbst.

Ich schaue auf die Pistole und weiß, dass ich nicht genügend Kugeln haben werde für alle. Aber heute reicht eine einzige.
Ich war gedankenverloren und ich erwache aus meinen Tagalpträumen. Mein Blick trifft sich im Spiegel. Ich lächle mich an und dann kann ich einfach nicht anders und winke mir zu. Mein Spiegelbild winkt ebenfalls und ich verliere mich in der Überlegung, wer wem zuwinkt und wer zurückwinkt. Ich grinse meinem Ebenbild zu und erhalte dieses wunderschöne spitzbübische Grinsen zurück.

Ist dies nicht Perfektion? Ist dies nicht wahre Vollkommenheit? Eine Aktion, die ihre eigene Reaktion ist? Im perfekten Gleichklang? Ausgeübt von einer wunderschönen, vollkommenen Person?

Der Wein berauscht mich, hebt meine Stimmung. Ich gleite mit meiner Hand über meinen Körper, genieße die zarte Glätte meiner Haut und sehe mir im Spiegel zu. Wie kann ich mich nicht lieben, wenn ich so wundervoll bin? Wie kann ich mir nicht verfallen?

Und wenn ich doch keine Chance habe, mich nicht zu lieben, wie kann man von mir erwarten, dass ich nicht versuche zu beschützen, was ich liebe? Macht man einer Mutter einen Vorwurf, wenn sie einen Hund erschlägt, der ihr Kind angreift? Verurteilt man einen Künstler, der einen Vandalen verprügelt, der seine Schöpfung zerstören will?
Jeder Mensch will beschützen, was er liebt. Ich streiche mit den Fingern über die Pistole. Ich verlange nur mein Recht.

Ich höre Schritte im Treppenhaus. Ihre Schritte. Gleich wird sie die Wohnung betreten, mich suchen, mich finden, ihre Arme um mich schlingen, mir ihren feucht-warmen Atem in den Nacken blasen und mir etwas von „Liebe“ erzählen. Sie hat keinen Schimmer von Liebe, von diesem reinen Gefühl des Glückes, das seine Wärme durch den ganzen Körper fluten lässt, sobald das Auge auf das geliebte Objekt fällt. So wie in diesem Augenblick, als ich mich wieder in der riesigen Fläche des Standspiegels beobachten kann.

Der Wein wärmt und wird mir helfen, gleich das zu tun, was ich endlich tun muss. Ich muss meinen Körper beschützen, mich vor ihrer Gewalt in Sicherheit bringen.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss und ich höre ihre Stimme, wie ruft: „Schatz? Ich bin zu Hause!“

Welche Idiotie, natürlich ist sie das. Ich greife nach der Pistole. Diese Schmach endet hier und heute. Ich nehme einen großen Schluck Wein in den Mund und lasse ihn hin und her rollen, genieße sein harmonisches Aroma. Ihre Schritte nähern sich dem Zimmer.

Niemals wieder wird sie mich betatschen, meinen perfekten Körper schänden und etwas von „Liebe“ faseln!

Nicht sie und auch sonst niemand!

Und ich setze mir die Pistole unters Kinn …
"Ja natürlich ist das Realitätsflucht. Was soll daran schlecht sein? Haben Sie sich die Realität in letzter Zeit mal angesehen? Sie ist grauenhaft!"


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