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Rumpels dumme Fragen zur OSR

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Der Nârr:
Zu kreativeren Spielen (Komparativ!) würde ich etwa das originale Traveller, The Pool, Dogs in the Vineyard, Fudge oder Cortex+ zählen. Das ist aber schwierig, weil das sehr subjektiv ist. Ich kann mich ja auch nicht davor schützen, Spiele oder Ideen für kreativ zu halten, obwohl die anderswo schon vorgekommen sind. Für mich gehören dazu eben Spiele, die versuchen, die Dinge mal anders anzugehen. Und wie gesagt, ich beziehe mich hier *nur auf das Regelwerk* im Sinne der Spielanleitung, nicht auf Layout (das auch künstlerisch und sehr kreativ sein kann, vgl. etwa Vornheim, wo das Layout noch das beste am Buch ist) oder Setting (wo es denke ich anerkannt ist, dass viele Settings nicht sonderlich kreativ sind, die nennt man dann z.B. trocken, einfallslos, dröge, kitchen sink, Vanilla, Abklatsch).

Aber wie gesagt bestreite ich nicht, dass auch in den anderen 99% Spielen Kreativität steckt. Ich finde nur, dass das nicht der hauptsächliche Fokus ist. Darum ist mir ein Retroklon nicht rundheraus weniger wert als irgendein anderes Spiel. Eines meiner Lieblingsspiele ist Arcane Codex, das im Allgemeinen als zusammengeschustertes, zusammengeklautes Flickwerk ohne eigene Ideen gilt. Ich könnte auch zig Spiele herausgreifen, über die ich viel tolles zu erzählen hätte, auch was die neu und anders angehen und mit Worten wie "da muss man erstmal drauf kommen". Aber das bezieht sich dann fast nie auf ganze Regelwerke, sondern fast immer nur auf einzelne Elemente und Mechanismen. Initiative ist ein schönes Beispiel. Da gibt es eine wirklich große Vielfalt und sehr viele Systeme versuchen da, das Rad neu zu erfinden. Es gibt wie auch immer abgeleitete Werte, Ini-Werte können fest sein oder beprobt werden, es gibt Systeme mit Spielkarten-Ini und Systeme, in denen einfach der SL abhängig von den Handlungen entscheidet, wer dran ist, es gibt Systeme mit Punkten pro Handlung oder Aktionen, es gibt Systeme die in Runden arbeiten oder die fortlaufend arbeiten... Bei der Ini ist echt viel los, da gibt es mehr Abwechslung (nicht unbedingt Innovation) als beim Charakterbau, will mir scheinen. In einem älteren Runequest oder BRP - fragt mich nicht welches, da müsste ich erst recherchieren - gab es z.B. eine Ini, die ich wirklich schön kreativ und funktional an. Dabei finde ich sie natürlich kreativer, weil ich nur die Eleganz dieser Regel sehe und was sie leistet (im Unterschied zu vielen deutlich komplexeren Regeln), aber tatsächlich kann ich gar nicht beurteilen, wie kreativ das ist und ob da nicht auch einfach ein intensiver Prozess des Regeltestens und Revidierens hinter steckt bis man diese Lösung gefunden hat. Als ich dann z.B. Splittermond gelesen hatte dachte ich bei der Ini "Hm, irgendwie wie damals bei RQ, nur komplizierter". Da beurteile ich dann die kreative Leistung natürlich geringer, obwohl da vielleicht - ich weiß es nicht - ein individuell sehr kreativer Prozess hinter steckte.

Und wie gesagt finde ich es nicht weniger kreativ und nicht weniger wertvoll und schätzenswert, sich unter den Bedingungen der OSR einem Problem zu widmen und eine Lösung zu erarbeiten (ein Regelwerk zu schreiben), als es ohne diese Fesseln zu tun. Es kann einen sogar zu höchster Kreativität bringen, ein Problem mit begrenzten Hilfsmitteln lösen zu müssen. Mir kann niemand sagen, dass etwa Whitehack weniger kreativ sein soll als ein beliebiges Attribute-Fertigkeiten-Vorteile-Spielsystem, ob es aktive oder passive Parade hat und 1996 erschienen ist oder erst 2023 erscheinen wird.

Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, dass man neuerdings jedes Rollenspiel oder eine Mehrheit für überaus kreativ halten soll. Das entwertet doch total die Leistung der Autoren, die sich wirklich von der Masse abheben und es entwertet die nötige Arbeitskraft, der Fleiß, die Tüftelei und Rechnerei und das Revidieren und Umschreiben und Testen und Knobeln, bis man die beste Lösung gefunden hat und das zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Das betrachte ich als harte Arbeit. Und es ist auch irgendwie utopisch, denn wenn man sich Rezensionen von Spielen anschaut wird da durchaus auch mal fehlendes Einfallsreichtum angeprangert. Diese Rezensenten verachten doch deswegen nicht die Autoren. Bei Leuten die Autoren verachten denke ich eher an die Nackter-Stahl-Hasser, die sich etwa über Doomstone ausgelassen haben als wäre das der letzte Dreck oder an die Zak S.-Hasser, die persönliche Feldzüge gegen den Anarchisten führen. Und wenn ein Spiel handwerklich nicht gut gemacht ist, wird das ja auch angeprangert. Äh, siehe Doomstone.


--- Zitat von: Rorschachhamster am 15.03.2017 | 09:35 ---Ich antworte mal selbst: Nein, natürlich nicht. Aber die Diskussion ist doch eh irgendwie blödsinnig, weil es ja keinen einzigen 100% Retroklon gibt und geben kann. OSRIC, LL habe beide kleine Änderungen drin. Und allein durch das Umformulieren von Regeln, die im Original nicht 100%ig eindeutig waren, entsteht da ja schon eine Deutung durch den Ersteller. Ich glaube du unterschätzt die Arbeit an solchen Kleinigkeiten. Und dann noch allein der Umfang. Gerade bei Osric reden wir hier ja nicht von einem kleinen Heft.
Ich sag jetzt mal bewußt provokativ: Kreativität ist einen Dreck wert, wenn keiner die Drecksarbeit macht...  ;) (Nicht zu ernst nehmen, bitte!)
--- Ende Zitat ---
+1

Wulfhelm:

--- Zitat von: Rorschachhamster am 15.03.2017 | 09:35 ---Hmmm, aber du reduzierst das reproduzieren ja auf die Regeln. Also Regeln haben für dich eine höhere Wertigkeit als Layout, Repräsentation, Textformulierung?
--- Ende Zitat ---
Sie haben für mich in der Tat eine höhere Wertigkeit. Ein Spiel, dessen Regeln mir nicht gefallen, aber das toll geschrieben und gestaltet ist, ist für mich weniger interessant als ein Spiel, dessen Regeln super sind, das aber amateurhaft geschrieben und gestaltet ist.

Aber das ist ja nicht der Punkt, da ich nicht sage "Rollenspiele sind sowieso zu 99% ganz unten am Ende der Skala der Lesbarkeit anzusiedeln, und der qualitative Unterschied zwischen dieser oder jener Schreibe ist völlig egal". Wenn mir jemand einen Retroklon zeigt, der so richtig toll geschrieben und aufgemacht ist, dann sage ich gerne: Toll geschrieben und aufgemacht.


--- Zitat ---weil es ja keinen einzigen 100% Retroklon gibt und geben kann.
--- Ende Zitat ---
Änderungen, die nur dazu dienen, das Copyright auszutricksen und die ein nicht-voll-D&D-Nerd im Blindtest nicht bemerken würde, sind kein Design. Wer es für relevantes Regeldesign hält, ob der Thief in der ersten Stufe nun eine Chance von 85% auf Climb Walls hat oder von 80% (Blindtest: Welches ist AD&D 1e und welches ist OSRIC?  >;D), der kann das gerne tun, aber mit dem kann ich nicht über Rollenspielregeln reden.

Selbst solche Dinge, die mir von Retroklon-Anhängern schon als bahnbrechend verkauft wurden, entlocken mir nur ein Kopfschütteln. Sowas in der Art (semi-fiktives Beispiel):
Retrokloner: "Es basiert auf Moldvay, aber... nun haltet euch an euren Stühlen fest... mit AUFSTEIGENDER RÜSTUNGSKLASSE!"
Andere Retrokloner: "*Gasp*!"
Ich: "... wüss?"

Der Nârr:
Ja, was du da zuletzt beschreibst ist genau das, was auch außerhalb der OSR stattfindet, etwa häufig bei Editionswechseln.

Als Beispiel der Wechsel von Earthdawn 1 zu Earthdawn 2 zu Earthdawn Classic. Die Änderungen sind mit der Lupe zu suchen. Da werden Charakterfähigkeiten rumgeschoben und hier und da ne Kleinigkeit geändert, aber es wird natürlich niemals das System auf den Kopf gestellt. Die größte Revolution zu EDC-Zeiten kursierte nur als PDF, ich glaube Advanced Discipline Mechanics hieß es. Aber selbst das ist eine Änderung gewesen, so gravierend sie war, die einem in der OSR auch typischerweise begegnet.

Ich möchte wetten, dass der Laie auch in Fate teils die Änderungen nur bemerkt, wenn man drauf aufmerksam gemacht wird. Die Fans des Spiels werden einem aber womöglich sehr enthusiastisch erzählen können, wie gravierend die Änderungen sind und dass man damit doch ein ganz anderes Spielgefühl habe. Genau das gleiche wie in der OSR.

Verkauft werden müssen diese neuen Editionen natürlich jeweils als das Nonplusultra. Beim Kunden muss ja der Wunsch zum Wechseln erzeugt werden. Dieses Marketing ist in der OSR natürlich geringer, da steht eben oft mehr im Vordergrund, eine Zielgruppe zu spezifizieren. "Das hier ist besonders für Scifi-Sandboxer" (SWN), "wir kombinieren mit erzählerischen Ansätzen" (BTW), "in diesem OSR Spiel steht die Kooperation groß geschrieben" (Whitehack), "ich bin ganz weird" (LotFP) usw.

@Wulfhelm
Welche OSR-Spiele findest du denn gut, OSR im weiteren Sinne (also auch solche, die nicht D&D-Derivate sind)?

Wulfhelm:

--- Zitat von: Der Narr am 15.03.2017 | 11:02 ---Ja, was du da zuletzt beschreibst ist genau das, was auch außerhalb der OSR stattfindet, etwa häufig bei Editionswechseln.
--- Ende Zitat ---
Bei allen Spielen, bei denen ein Editionswechsel nur das beinhaltet - was bei den meisten Spielen im Gegensatz zu dem, was Du zu glauben scheinst, nicht der Fall ist - würde ich das als genau so unkreativ sehen.
Wenn jemand DSA5 als "DSA 4.2" veralbert, dann ist das eine bewusste Übertreibung... aber derjenige dürfte sich, wenn er beides kennt, darüber klar sein, dass die gleiche Beziehung wie zwischen D&D und LL ist.

Ich finde von den Designansätzen her oder aus Erfahrung gut: WRM. D&D 5e (trotz Kinken.) Microlite 20.  Dungeonslayers (wobei das eher eine freundliche Parodie ist, genau wie...) Hackmaster. Und einen Hybridklon, der richtig weit zurückgeht: Spellcraft & Swordplay. Oh, und beinahe vergessen: M&M.

Rorschachhamster:

--- Zitat von: Wulfhelm am 15.03.2017 | 10:47 ---Sie haben für mich in der Tat eine höhere Wertigkeit. Ein Spiel, dessen Regeln mir nicht gefallen, aber das toll geschrieben und gestaltet ist, ist für mich weniger interessant als ein Spiel, dessen Regeln super sind, das aber amateurhaft geschrieben und gestaltet ist.

--- Ende Zitat ---
Da muß ich dir jetzt vollkommen und zu 100% zustimmen.  ;D Im Gegenteil, ich hab ja schon gesagt, das amateurhaft und gestaltet vollkommen A-Ok für mich ist.

--- Zitat ---...

Änderungen, die nur dazu dienen, das Copyright auszutricksen und die ein nicht-voll-D&D-Nerd im Blindtest nicht bemerken würde, sind kein Design. Wer es für relevantes Regeldesign hält, ob der Thief in der ersten Stufe nun eine Chance von 85% auf Climb Walls hat oder von 80% (Blindtest: Welches ist AD&D 1e und welches ist OSRIC?  >;D), der kann das gerne tun, aber mit dem kann ich nicht über Rollenspielregeln reden.

Selbst solche Dinge, die mir von Retroklon-Anhängern schon als bahnbrechend verkauft wurden, entlocken mir nur ein Kopfschütteln. Sowas in der Art (semi-fiktives Beispiel):
Retrokloner: "Es basiert auf Moldvay, aber... nun haltet euch an euren Stühlen fest... mit AUFSTEIGENDER RÜSTUNGSKLASSE!"
Andere Retrokloner: "*Gasp*!"
Ich: "... wüss?"

--- Ende Zitat ---
LoL, da würde ich aber auch blöd gucken...  ;)
Übrigens: Aus dem Kopf würde ich sagen 85% ist AD&D, bin aber unsicher weil ich in letzter Zeit viel mit Mentzer und LL beschäftigt habe, und gerade da insbesondere mit den Diebesfähigkeiten... Eigentlich würde 80% mehr Sinn machen, wegen der potentiellen Geschicklichkeits- und Volksboni. Andererseits gibt es da ja auch Mali...  :P Verdammt, ich weiß es nicht mehr...  ;)

Aber die Copyrighttrickserei war ja nun mal eine Notwendigkeit, wenn man das Regelsystem, das man Emulieren wollte, neu zugänglich machen wollte. Und darum geht es ja. Das ist natürlich unwichtig, wenn es einzig allein um schnieke Regeln geht. Aber absolut nicht, wenn man das so halt spielen will, wie es dümüls war, zumindest größtenteils....  :)

Wobei ich an Regelmechanismen aus den Retroklonen heraus wesentlich interessantere Sachen für mich entdeckt habe, als zum Beispiel aus Dungeonslayers, und das gerade auch aus dem Vergleich mit dem Original. Gut, aber ich bin definitiv ein D&D-Nerd.  :o

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