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Morgens um 7 Uhr in der S-Bahn

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Chiarina:
Ich hatte gerade eine Idee für ein kleines spielleiterloses Erzählrollenspiel. Hier ein erster, skeletthafter Entwurf:

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Morgens um 7 Uhr in der S-Bahn

Es gibt vorgefertigte Charaktere (für Fortgeschrittene ist auch eine Charaktererschaffung denkbar). Gut wäre eine nicht zu kleine Spielergruppe, ca. 6 Leute scheinen mir geeignet.

Es handelt sich um Charaktere, die alltäglich jeden Morgen S-Bahn fahren und dabei anderen Mitreisenden begegnen. Auf den Charakterbögen werden die Passagiere kurz vorgestellt (sowohl äußerlich wie innerlich). Es findet sich eine Angabe über ihr Ticket, warum sie sich in der S-Bahn befinden und womit sie sich bei Bahnfahrten normalerweise die Zeit vertreiben. Auf dem Charakterbogen findet sich außerdem eine Idee für ein außergewöhnliches Verhalten. Zu guter Letzt finden sich noch zwei oder drei Sätze, die beschreiben, was mit dem Charakter nach seiner Fahrt geschieht, wenn in der S-Bahn nichts Außergewöhnliches vorgefallen ist.

Nur mal so als Beispiel ins Blaue hinein geschrieben: Kathrin Pfingst, 33 Jahre, Monatskarte, schwarze Lederjacke, stark geschminkt, unzufrieden mit ihrer Arbeit, Single, aber frisch verliebt. Kathrin ist auf dem Weg zur Arbeit, sie ist Fachverkäuferin in einem Möbelhaus, klickert in der S-Bahn normalerweise auf ihrem Smartphone herum und macht damit kleine Spielchen. Kathrin kann Langeweile nur schlecht aushalten. Außergewöhnliches Verhalten: Wenn Kathrins Akku leer ist, versucht sie mit ihrem Sitznachbarn ein Gespräch über ihren langweiligen Job oder ihren neuen Freund anzufangen. Schlussszene ohne außergewöhnliche Ereignisse: "Kathrin zieht sich ihre Arbeitskleidung an, frischt ihre Schminke auf und seufzt tief. Dann setzt sie ihr Verkäuferinnenlächeln auf und betritt die Wohnzimmerabteilung."

Das Spiel beginnt mit einem kleinen Opener, in dem die Spieler ihre Charaktere kurz vorstellen. Vielleicht gibt es einen kleinen Plan des Abteils mit zwei, drei oder vier Viererabteilen. Die Spieler zeigen an, welchen Platz die Charaktere nehmen. Sitzt schon jemand dort, schildert derjenige seine Reaktion. Eventuell schließt sich eine kleine frei gestaltete Szene an.

Wenn alle Charaktere Platz genommen haben, wird bestimmt, welche der Anwesenden sich außergewöhnlich verhalten (evt. geheim). Das soll keine Gonzo-Nummer werden, deshalb reicht es für meine Begriffe, wenn zwei Charaktere ausgewählt werden.

Nun beginnt der Hauptteil des Spiels. Das Geschehen im Abteil wird ausgespielt. Wann die ausgewählten Charaktere mit ihrem außergewöhnlichen Verhalten beginnen, bleibt ihren Spielern überlassen. Außerdem gibt´s vielleicht noch Zufallskarten, durch die Kontrolleure ins Spiel kommen, sich ein außerplanmäßiger Halt ereignet oder vom S-Bahnfahrer seltsame Durchsagen durch die Sprechanlage getätigt werden. Das Spiel funktioniert, wenn das außergewöhnliche Verhalten der Ausgewählten bei den Mitreisenden ähnlich außergewöhnliche Reaktionen verursacht.

Als Epilog ist jeder Spieler reihum aufgefordert, zu erzählen, wie es mit dem Charakter nach der S-Bahn Fahrt weiter geht. Dafür soll er den Standardschluss des Charakters so umformen, dass dadurch die Ereignisse in der S-Bahn reflektiert werden. Im besten Fall wird klar, dass sich der Alltag des Charakters durch seine Erlebnisse in der S-Bahn ein wenig verändert hat.

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Kommentare?

Mondsänger:
Hey,

Das Ganze klingt für mich eher nach einem Improtheateransatz als nach einem Rollenspiel. Klar sind die Grenzen da mitunter fließend, aber es tendiert schon sehr in eine Richtung. Würde mir so ein Konzept als Spieler vorgeschlagen, würde ich als erstes nachfragen "Warum sollte das für mich interessant sein?" Wenn das außergewöhnliche Verhalten im ansprechen des Nachbarn besteht, ist das noch kein echter Gamechanger.  Zugespitzt formuliert: Warum soll ich in meiner Freizeit am Abend meinen täglichen Morgenablauf reenacten? Wo ist mein Gewinn?

Aus der Perspektive des Entwicklers würde ich dazu raten das Ziel des Spiels schärfer herauszuarbeiten und deutlicher zu machen, wieso dieses Spiel ein echtes Erlebnis bereit hält, denn der Pitch (erneut zur Verdeutlichung überspitzt) "Ihr seid normale Dudes in der S-Bahn, deren Telefonakku eventuell leer geht un die ihre Mitreisenden anquatschen müssen", klingt doch eher lahm. 

Ucalegon:

--- Zitat von: Chiarina am 25.05.2017 | 20:34 ---Das Spiel funktioniert, wenn das außergewöhnliche Verhalten der Ausgewählten bei den Mitreisenden ähnlich außergewöhnliche Reaktionen verursacht.

--- Ende Zitat ---

Wie macht das Spiel das?


--- Zitat von: Chiarina am 25.05.2017 | 20:34 ---Als Epilog ist jeder Spieler reihum aufgefordert, zu erzählen, wie es mit dem Charakter nach der S-Bahn Fahrt weiter geht. Dafür soll er den Standardschluss des Charakters so umformen, dass dadurch die Ereignisse in der S-Bahn reflektiert werden. Im besten Fall wird klar, dass sich der Alltag des Charakters durch seine Erlebnisse in der S-Bahn ein wenig verändert hat.

--- Ende Zitat ---

Gefällt mir. Für mich passt die Mechanik mit Reflektion/Veränderung allerdings mehr zu einem Roadmovie-Ende, also einer längeren Reise, die selbst eben nicht zum Alltag gehört wie die 7 Uhr S-Bahn.

Chiarina:
Ein paar Antworten und neue Fragen:

Zuallererst: Ich lege hier keinen Wert auf Diskussionen über Begriffe. Wer der Meinung ist, das hier ist kein Rollenspiel, sondern eine Improtheaterübung, darf das gern so nennen.


--- Zitat von: Mondsänger ---Warum soll ich in meiner Freizeit am Abend meinen täglichen Morgenablauf reenacten?
--- Ende Zitat ---
Erstmal ist es nicht dein Morgenablauf. Du schlüpfst in die Rolle eines fiktiven Charakters. Dann ist es kein Reenactment, denn was geschieht, stellt ja gerade das Durchbrechen der täglichen Routine dar. Dieses Durchbrechen mag subtil und wenig spektakulär sein, aber ich denke, es ist vorhanden. Frage dich einfach selbst, wie lang es her ist, dass dir ein völlig Fremder in der S-Bahn von seinem langweiligen Job oder seiner neuen Liebe erzählt hat.

Was ist denn ein "Gamechanger"? Ich kenne den Begriff nicht.


--- Zitat von: Ucalegon ---
--- Zitat von: Chiarina ---Das Spiel funktioniert, wenn das außergewöhnliche Verhalten der Ausgewählten bei den Mitreisenden ähnlich außergewöhnliche Reaktionen verursacht.
--- Ende Zitat ---
Wie macht das Spiel das?
--- Ende Zitat ---

Vielen Dank für diese gute Frage - vielleicht ist genau das der Knackpunkt des Spiels. Ich würde das gern ausprobieren. Erste Idee: Vielleicht sollte es eine entsprechende Anweisung für die außergewöhnlichen Verhalten geben. Etwa so:

Dein außergewöhnliches Verhalten verlangt nach einer Reaktion der anderen Passagiere. Diese Reaktion kann ganz unterschiedlich aussehen und dir gefallen oder missfallen. Wichtig ist, dass sie überhaupt erfolgt. Gib dich also erst zufrieden, wenn dein außergewöhnliches Verhalten eine oder mehrere Reaktionen hervorgerufen hat.

Vielleicht braucht es auch einen anderen Mechanismus. Ich muss darüber nachdenken.


--- Zitat von: Ucalegon ---Für mich passt die Mechanik mit Reflektion/Veränderung allerdings mehr zu einem Roadmovie-Ende, also einer längeren Reise, die selbst eben nicht zum Alltag gehört wie die 7 Uhr S-Bahn.
--- Ende Zitat ---

Ein wichtiger Aspekt des Spiels besteht in gewisser Weise darin, zu erkennen, dass es nicht viel braucht um die alltägliche Fahrt um 7 Uhr in der S-Bahn zu einem kleinen Roadmovie zu machen - leider bekommen das die meisten Passagiere normalerweise gar nicht mit, sodass die Chance verstreicht. Das Spiel wirft einfach einen Blick auf die Frage "Was wäre, wenn ich heute morgen in der S-Bahn die übliche Reserviertheit und Zurückhaltung fallenlasse?" Travis sagt in "Paris, Texas": "Even the trip to the grocery store was kind of an adventure." Dafür braucht es eine besondere Einstellung zur Umwelt, und um diese Einstellung geht es hier.

Buddz:
Geil, kennst du das hier?
https://www.youtube.com/watch?v=7WnN3ZAwT9Y

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