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[SoA 1. Akt] Tot & begraben - Fr., 16.09.1927

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Der Läuterer:
BERLIN IM HERBST
Freitag, 16. Sept. 1927


Die Tropfen fallen senkrecht vom Himmel und schlagen wie winzigste Kometen auf den Asphalt. Der Himmel ist bedeckt. Wolkenverhangen. Die Sonne scheint verschwunden. Lediglich graue Schleier. Unklare, verschwommene Konturen. Alles diesig und dunstig.

Bereits seit den Morgenstunden regnet es kontinuierlich. In unterschiedlichsten Stärken.
Pfützen. Überall und allgegenwärtig. Kleine Spiegel auf schmutzigem Asphalt. Sie fangen den Regen auf und zeichnen auf ihrer Oberfläche Ringe aus den Tropfen, die auftreffen und vergehen.

Die Menschen hetzen die Strassen entlang und trachten mit ihren schnellen Schritten dem Regen zu entgehen - vergeblich.

Die Tristesse dieser Tage frisst sich wie Säure in die Gehirne der Leute. Sie eilen dahin. Trübsinnig. Schwermütig. Mit gesenkten Köpfen und geschlossenen Mänteln. Die Krägen hochgeschlagen. Alles grau in grau. Niemand nimmt den anderen wahr. Die Auslagen in den Schaufenstern bleiben unbeachtet.

Regenschirm-Herden, wartend an den Bordsteinen auf die Lücke zw. den vorbeifahrenden, schwarzen Automobilen. Stumm wie Pilze unter den Linden und doch scheinbar verweht wie das Laub der kahler werdenden Bäume.

Der Läuterer:
FRIEDHOF WANNSEE

Die Gruben auf den Friedhöfen sind immer gleich.
Löcher für die Kadaver der Menschen. Ob einst geliebt, gehasst oder ignoriert ist ohne jeden Wert. Gleich gross. Gleich tief.

Kein Unbeteiligter weiss, ob es die Ruhestätte eines alten Mannes oder eines jungen Mädchens sein wird.

Zwei Drittel aller Freunde und Verwandten, so sagt man, entscheiden sich dem Wetter entsprechend dafür oder dagegen, einem Begräbnis beizuwohnen. Somit ist auch die Gruppe bei dieser Beisetzung überschaubar.

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Der Läuterer:
FRIEDHOF WANNSEE

Die Menschen würdigen andere Menschen weit weniger, als sie es vorgeben zu tun oder es sich auch nur eingestehen würden. Die Liebe dieser Menschen zu Gott lässt sich darin messen, wie sehr sie seine Geschöpfe und ihren Nächsten achten. Und so manch ein Toter ist bereits vergessen, noch bevor sein Körper im Grabe liegt.

Viele sind zur Beisetzung von Eisensteins nicht erschienen - trotz aller Berühmtheit des Physikers.

Oft geben die Menschen auch lediglich Mitgefühl vor, empfinden aber nichts. Vielleicht aus Gleichgültigkeit. Vielleicht aus Selbstschutz. Jeder hat mit eigenen Problemen zu kämpfen. Jeder hat seine Sorgen und Nöte. Und das Wetter tut ein Übriges.

Und manche Menschen gehen lediglich zu Begräbnissen, um sich am Leiden anderer zu weiden. Ein Genuss. Eine Art sich lebendig zu fühlen. Ein Hauch von Unsterblichkeit.

Von den Kindern des Professors ist nur sein ältester Sohn anwesend. Sein jüngerer Sohn und seine Tochter glänzen durch Abwesenheit.

Der Läuterer:
FRIEDHOF WANNSEE

Es gibt auch jene, die unter Koimetrophobie leiden, Gräber und Friedhöfe meiden wie der Teufel das Weihwasser. Fürchten sie die Endlichkeit? Oder den Verlust? Vielleicht fürchten sie die Nähe des Todes, weil sie einfach mehr wissen, als andere, normale Menschen.

Alle Friedhöfe haben ihre alten Bereiche. Bemooste Gräber. Verwilderter Bewuchs. Verwitterter Stein. Hier hausen jene, die den Gräbern zu entsteigen vermögen, um Rache an den Lebenden zu nehmen. Legenden um Geister und Untote, die sich an den Lebenden laben. Ihnen das Leben heraus saugen. Nichts als Legenden. Aberglaube. Gespensterfurcht. Sinnestäuschungen. Hirngespinste. Wahn.

Von Eisensteins kaltes, totes Fleisch wird in die nasse Erde hinabgelassen, lediglich durch Holzbretter und Leinen von Würmern und Larven getrennt.

Der Läuterer:
FRIEDHOF WANNSEE

Es regnet noch immer. Grosse Tropfen fallen vom Himmel.
Schwarze Regenschirme verbergen die Gesichter und Oberkörper der Menschen am Grab.

Das noch immer satte Grün des Laubes von Pappeln und Weiden entlang der Gräber-Strasse glitzert silbrig.

Man kann den Regen hier förmlich riechen. Ein Geruch von Erde, Pflanzensäften und Ozon.

Der Regen platscht energisch in Pfützen und auf aufgeweichte, schlammig-weiche Erde.

Vor dem gähnenden offenen Schlund des Grabes von Prof. von Eisenstein haben sich Freunde und Familie versammelt. Doch es sind lediglich neun Personen.

Des Professors Frau Elfi.
Dessen Bruder Hieronymus, im Rollstuhl, der die Trauerrede hält.
Dahinter ein junger Mann, der den Rollstuhl hält.
Des Professors Sohn Leonhardt.
Die Haushälterin des Professors.
Dazu noch vier Honoratioren.
Darunter die Professoren Roth und Haverkamp der Fakultäten Physik und Biologie der Humboldt-Universität Berlin.

Am Ende der Trauerrede wendet sich der Blick von Pastor Hieronymus von Eisenstein ins Rund. "Vielen. Dank meine. Herrschaften dass sie meinem. Bruder die letzte. Ehre erwiesen haben. Danke."

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