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[Brainstorming] Gamismus ohne Progression: Alternative Belohnungen

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Quaint:
Ich finde, es kann sich auch lohnen, darüber nachzudenken, was man überhaupt alles als Belohnung geben kann.

- sicherlich gibt es die Möglichkeit, XP zu geben, die dann irgendwie zu gesteigerten Charakterfähigkeiten führen
- daneben gibt es Loot, der einfach als Geldwert oder durch seine Nützlichkeit eine Belohnung darstellt
- dann gibt es natürlich das Gefühl etwas geschafft zu haben - wenn man als Spieler meint, ein Kampf sei schwer, dann ist man froh oder stolz, wenn man ihn gut bewältigt hat; das gilt natürlich doppelt, wenn man dafür auch eine eigene Leistung erbracht hat (etwa klug taktiert, mal im Gegensatz zum reinen Würfelglück)
- evtl. Befriedigung, weil man seine persönlichen Ziele umsetzen kann; da kann ja reichen von einem bösen NSC, den man richtig hassen gelernt hat, und man freut sich, wenn man ihn endlich erledigt/hinter Gitter gebracht hat bis hin zu: juhu, ich habe das Herz meiner Lieblingsdame erobert o.ä.
- es gibt sicherlich auch Belohnungen, die nicht so sehr Werte steigern, sondern einfach die Art des Spiels und den Hintergrund beeinflussen; sei das ein Vagabund, der eine gute Anstellung findet oder der Abenteurer, der einen Adelstitel mit Burg und Länderein bekommt oder ein Magier, dem sich ein wissbegieriger Lehrling anschließt
- dann gibt es sicher auch Belohnungen, die einem mehr Möglichkeit zu glänzen einräumen, oder mehr Möglichkeiten sich in die Geschichte einzubringen (etwa Schicksals- oder Gummipunkte, mit denen man typischerweise Pech abwenden kann, aber eben manchmal auch Fakten einbringen kann oder mal einen NSC reinwerfen) die gehen natürlich eher an den Spieler denn an den Charakter, aber eine Belohnung sind sie dennoch
- evtl. als Alternative zu reinen XP gibt es auch die Möglichkeit den Charakter zu wandeln um erlebte Ereignisse widerzuspiegeln; also beispielsweise war der Charakter im Krieg, dann gibt man ihm vielleicht eine Kriegsverletzung oder ein Trauma, und holt von den Punkten z.B. mehr Kampffertigkeiten o.ä.

Vielleicht hilft das ja ein bißchen. Ich persönlich würde Progression aber gar nicht missen wollen, gerade und insbesondere bei gamistischem Spiel.

YY:

--- Zitat von: Flamebeard am 31.03.2018 | 01:25 ---Was aber funktionieren könnte: Animiere die gamistischen Spieler dazu, sich anderen Arten des Rollenspiels zu öffnen, in dem du statt reiner Progression für absolvierte Hindernisse Vorteile gewährst (die aber wiederum mit Verpflichtungen verbunden sein können). 

--- Ende Zitat ---

Das geht dann wieder in die eingangs genannte Richtung spielweltinterne Belohnung abseits des Charakters.
Kann klappen und sollte mMn noch viel besser klappen, als es das i.d.R. tut.

Will heißen, mir wäre es oft sehr viel lieber, wenn es bei diesen Dingen hieße: easy come, easy go.
Aber da kommt wieder so eine Eigenart vieler Spieler - die verteidigen einmal erhaltenen Kram mit Zähnen und Klauen bzw. stimmen das große Klagegeheul an, wenn das wieder verloren geht.
Das hat in manchen Systemen ja durchaus seine Berechtigung, weil Charaktere da ohne den levelangemessenen Kram schlicht nutz- und hilflos sind (und offizielle Abenteuer mit "die SCs sind gefangen und ihr Zeug ist weg"-Einstieg damit ein enormer Fehlgriff des Autors sind).
Aber wenn man das dann instinktiv auf alle anderen Systeme überträgt, wo das eben nicht so ist...find ich manchmal schon ziemlich anstrengend.

Feuersänger:
Wie schwierig dieses Unterfangen überhaupt ist, kann man so ansatzweise extrapolieren, wenn man sich die Langzeitmotivation bei Systemen anschaut, die einen _Teil_ der Progression entfernen wollen. Ich denke da beispielsweise an Conan D20, welches zwar auf D&D 3.5 basiert, aber - mechanisch recht sauber - auf Low Magic umgeschrieben und vor allem der gesamte Ausrüstungsfokus entfernt wurde.
Das war nun erstmal ganz cool und erfrischend, aber im Spiel stellte sich alsbald Ernüchterung ein. Nicht zuletzt, weil es ja im Genre Sword & Sorcery eben _nicht_ um die Rettung der Welt und Gut vs Böse geht, sondern um Glücksritter in einer "grauen" Welt. Will heißen, die Motivation der Charaktere ist eigentlich (wenn man vorlagentreu spielt) lange Zeit immer nur "Schätze ranschaffen". Der _Spieler_ jedoch hat von diesen Schätzen rein gar nichts, weil es (jenseits eines Grundstocks rein weltlicher Ausrüstung) NICHTS spielrelevantes gibt, was man von diesen Schätzen kaufen könnte.

Also wohlgemerkt: die Levelstruktur ist dabei immer noch sehr D&D-esque; es gibt 20 Stufen, und auf jeder Stufe verbessern sich diese und jene Spielwerte. Das sorgt schon für einen gewissen Verjüngungseffekt. Aber irgendwann wird es halt dröge, weil am Ende des Abenteuers Kassensturz gemacht wird, jeder erhält seinen Anteil von 18174 Silbermünzen, und dann wird der ganze warme Regen zwischen den Sitzungen von den Charakteren versoffen, damit sie beim nächsten Treffen wieder arm wie die Tempelmäuse sind. Das ödet irgendwann an.

Wenn DA jetzt auch noch die Levelprogression wegfiele -- na dann guten Abend, da wäre wirklich schnell die Luft raus.

Bei anderen Genres mag das etwas besser klappen, aber auf Anhieb fällt mir da nur epische High Fantasy ein, in denen es eben um hochgesteckte Ziele wie die Rettung der Welt vor dem BBEG geht -- aber das wiederum läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass nur dann auf eine Progression verzichtet werden kann, wenn die Helden von Anfang an derartige Badasses sind, dass sie nicht mehr leveln _müssen_.

Was für Szenarien könnte ich mir noch vorstellen? Hm, bei Shadowrun fängt man ja schon auf ziemlich hohem Kompetenzniveau an (jdf bei den Eds die ich gespielt habe); da könnte ich mir in der Tat vorstellen, dass allein das Ansammeln der berühmten Million für den permanenten Oberschichtlebensstil schon genügend Motivation sein kann, um auf Upgrades zu verzichten. Da dient also der Kontostand schlicht als Gradmesser, wie man dem Spielziel schon ist.

Unterm Strich tu ich mich etwas schwer, mir Rahmenbedingungen auszudenken, dass mir ein Rollenspiel ohne Character Advancement längere Zeit Spaß machen würde.

Quaint:
Was halt eher geht, ist, wenn man von klassischem Gamismus weggeht. Bei Call of Cthulhu etwa gibt es normalerweise keine großartige Charakterprogression bzw. nur ein bissle, und hypertolle Ausrüstung mit Megaboni ist auch, sagen wir mal, ungewöhnlich, und oftmals ist es sogar so, dass die Charaktere sich quasi abnutzen, also durch Geistesstörungen, Verstümmelungen, eskalierende Probleme mit den Behörden usw. immer problematischer werden, und man manchmal ganz froh ist, wenn man mit einem frischen, unbeschädigten Charakter neu durchstarten kann. Und trotzdem wird das oft gespielt, und auch oft genug in Kampagnen. Ich würde es aber nicht unbedingt dem Gamismus zurechnen.

YY:

--- Zitat von: Feuersänger am 31.03.2018 | 02:09 ---aber das wiederum läuft im Endeffekt darauf hinaus, dass nur dann auf eine Progression verzichtet werden kann, wenn die Helden von Anfang an derartige Badasses sind, dass sie nicht mehr leveln _müssen_.

--- Ende Zitat ---

Das ist ja genau das sweet spot-Konzept auf die Spitze getrieben.
Man wählt - analog zur Vorbereitung eines one-shot - das Powerlevel und die Rahmenbedingungen, die Charaktere werden entsprechend erstellt, alles passt zusammen und so wird dann gespielt.
Auf welchem Level das jeweils stattfindet, ist ja egal, solange klar ist, dass man den eingangs gesteckten Rahmen sowieso nicht verlassen wird (was ich generell für sehr heilsam halte).

Grad bei Konversionen und sonstigem Universalsystemgebastel habe ich das schon öfter so gemacht.
Nüchtern betrachtet hätte man da jegliche Progression weglassen können, weil sich über die X Sitzungen, die wir damit in der Praxis gespielt haben, unterm Strich kaum was getan hat (was vor Allem an den genutzten Systemen lag).

In der Praxis wollten die Spieler dann (natürlich) doch die üblichen Progressionsregeln drin haben - und wenn das eh nicht viel ausmacht, denke ich mir als SL: Warum nicht? Schadet ja nicht.
 
Das sieht höchstwahrscheinlich deutlich anders aus, wenn man Systeme verwendet, die üblicherweise eine steile Progression vorsehen und die Spieler die dann auch ein Stück weit erwarten.
Und die Kernfrage ist (wie immer): was versteht man unter langfristig und wie lang soll dieser spezielle Kreisel sich drehen?


--- Zitat von: Feuersänger am 31.03.2018 | 02:09 ---Was für Szenarien könnte ich mir noch vorstellen? Hm, bei Shadowrun fängt man ja schon auf ziemlich hohem Kompetenzniveau an (jdf bei den Eds die ich gespielt habe); da könnte ich mir in der Tat vorstellen, dass allein das Ansammeln der berühmten Million für den permanenten Oberschichtlebensstil schon genügend Motivation sein kann, um auf Upgrades zu verzichten. Da dient also der Kontostand schlicht als Gradmesser, wie man dem Spielziel schon ist.

--- Ende Zitat ---

Vielleicht, wenn das ordentlich aufgebaut und durchstrukturiert wäre.
Aber so sind entweder die Million und die Upgrades unendlich fern oder der Weg dahin nicht weit. Und wenn man das Ziel verschiebt, müssen die Schritte da hin wieder so groß sein, dass viele Upgrades keinen großen Unterschied machen, aber man sich gerade die dicken Sachen dann doch klemmt, um dem ominösen Spielziel näher zu kommen. Und Spaßquellen gegeneinander abwägen müssen ist keine gute Grundlage.
Davon abgesehen, dass der SL da beliebig die Daumenschrauben zudrehen kann, weil nichts belastbar festgelegt ist.

Sprich: Als komplett darauf ausgerichtete Roguelike-Variante aufgezogen mit Charakteren, die sterben wie die Fliegen und andererseits einem relativ erreichbaren Ziel - könnte funktionieren. Dafür stellt SR dann aber im Grunde jenseits des Settings gar nichts in fertig nutzbarer Form bereit und das wäre letztlich eine ziemlich spezielle Spielform.
Im Auslieferungszustand sehe ich das eher nicht rund laufen.


Randbemerkung:
Interessanterweise habe ich am Ehesten bei hartwurstigem by-the-book-Traveller die Erfahrung gemacht, dass die Spieler auch mit dem materiellen Aspekt anders umgehen, wenn sie mal verinnerlicht haben, dass es keine Charakterprogression gibt (oder jedenfalls so gut wie keine).
Dann ist es auf einmal in Ordnung, dass man da mal gewinnt, mal verliert und alles an Krempel natürlich in irgendeiner Weise zur Disposition steht.

Der Regelfall ist es aber, dass der Fokus auf die verbliebenen Belohnungs- und Progressionsaspekte um so stärker wird, wenn andere Teile wegfallen.
Da muss man schon im Vorfeld überdeutlich machen, dass materielles Gelump überhaupt nicht als Belohnungsmechanismus gedacht ist.

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