Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielleiterthemen
Das Gefühl einer offenen, weiten Welt (Open World) transportieren
Jiba:
@Zufallstabellen:
Okay, letztlich habe ich das absichtlich etwas überspitzt formuliert. Natürlich reduziert eine Tabelle, die im Vorfeld über lange Recherche erstellt wurde, den Grad an "Bauchgefühligkeit" am Spieltisch. Mir ist nur wichtig, dass wir uns klar machen: Sie reduziert. Sie hebt nicht auf. So wie hier zum Teil argumentiert wird, könnte man auf die Idee kommen, es gäbe eigentlich nur die zwei Extreme "Plotgesteuert und willkürlich, also nicht offen" und "Zufallsgesteuert, also offen".
Das ist halt nur Blödsinn. Am Spieltisch werden ständig vonseiten des SL willkürliche Bewertungen und Entscheidungen vorgenommen. Einfach weil er die Welt gestaltet. Wir können uns vornehmen, diese Willkür zu reduzieren. Wir können sie demokratisieren, indem jeder am Tisch mitentscheidet. Wir können sie an Regeln und Gesetzmäßigkeiten binden. Aber ganz raus aus dem Rollenspiel kriegst du sie nicht. Letztlich kann Rollenspiel immer nur die Illusion von Offenheit bieten.
--- Zitat --- Entscheidend ist, dass dadurch Muster gebildet werden, die ein Wiedererkennen ermöglichen, zugleich aber auch ein zufälliges Element vorhanden ist und damit etwaige Motive des SL in dem Moment der Auswahl reduziert werden.
--- Ende Zitat ---
Aber inwiefern erzeugt denn ein Gefühl von Musterhaftigkeit ein Gefühl von Weltoffenheit?
Dass es ein Gefühl von Weltkonsistenz erzeugt, da gehe ich mit, das kann ich mir vorstellen. Aber erkennbare Muster allein machen ja eine Welt nicht offen.
(Und diese Muster müssen auch erstmal erkannt werden können... das ist beim Tabellenwürfeln hinterm Schirm schwierig, wenn die SCs nicht andauernd im selben Gebiet rumlatschen, wo immer dieselbe Tabelle benutzt wird; und wenn man es vor dem Schirm macht, dann denken die Spieler "Aha, Tabelle, also gibt es hier wohl ein Muster"... eine ziemlich metagamige Veranstaltung also... oder aber sie denken "Aha, Tabelle, also hat sich die SL keine Gedanken gemacht, was uns hier erwartet... scheint ja nicht sehr konsistent zu sein, diese Welt."; natürlich können uns Spieler begegnen, die so denken.)
Letztlich gehört noch viel mehr dazu: Ein Gefühl von Agency z.B. Ich kann hier etwas tun. Mir widerfahren nicht einfach Zufallsereignisse, sondern diese Welt ist schillernd und facettenreich. Zufallstabellen sind halt auch endlich: Es kann nur passieren, was da drin steht. In im vollen Sinne des Wortes offenen Welten passieren aber nunmal auch Dinge, die nicht in einer Tabelle stehen. Da improvisiert die Welt um die Spieler herum anhand ihrer Regeln, Dynamiken, sozialen Netzwerke und der Ideen, die die Spieler reinwerfen oder der Entwicklungen, die sie grade geil oder spannend fänden.
Und da haben wir noch nichts über die Details und persönlichen Geschichten gesagt, die in dieser Welt stattfinden. Nichts über die Musik, die wir aus dem Off einspielen können. Nichts über die Worte, die die SL verwendet, um bestimmte NSCs, Orte und Situationen zu beschreiben und wie sie dabei klingt. Nichts darüber wie Emotionen vermittelt werden und sich am Tisch abspielen, zwischen SCs und NSCs zum Beispiel. Ohne ein bisschen Farbe sieht auch das solideste Modell einfach öde aus.
--- Zitat ---Ich gehe da aber natürlich auch von mir und meinen Erfahrungen aus. Welten, in denen die SL alles bestimmt haben und die Welt sich immer nur in Relation zum Plot bildete, hatte ich nie als offen empfunden. Das konnte stimmig, stimmungsvoll und ein tolles Rollenspielerlebnis sein, aber eine offene, weite Welt? Für mich nicht.
--- Ende Zitat ---
Und das ist entscheidend: Für dich nicht. Für andere vielleicht schon. Eine offene Welt kann nämlich genauso wie in "Minecraft" sein: Ich baue was mir einfällt, grade wenn es mir einfällt. Und alle am Tisch bauen mit.
Und die Frage muss erlaubt sein: Woran erkennst du denn, wann sich eine Welt nur in Relation zum Plot bildet? Und woran erkennst du, was Plot ist und was nicht? Steht ja in der Regel nicht dran.
Listen sind übrigens ein gutes Improvisationstool, gehe ich absolut mit – die sind nämlich auch nicht so geschlossen wie Tabellen.
Insofern noch abschließend an den Ghoul:
Im Gegensatz zu deiner Meinung zu meiner Meinung, halte ich deine Meinung nicht für grundlegend falsch. Ich halte deine Werkzeuge halt einfach nur für eine Möglichkeit des Rollenspiels, eine Praktik die in bestimmten Hobbykontexten für bestimmte Spielertypen funktioniert und für andere eben nicht. Bei mir erzeugt eine Zufallstabelle für sich selbst kein Gefühl einer offenen Welt. Da braucht man schon mehr, vor allem den zwischenmenschlichen Aspekt. Ich muss das Gefühl haben, dass diese Leute, die in der Welt leben lebendig sind. Das stellt sich bei mir vor allem dann ein, wenn diese Leute gut dargestellt werden. Und wenn die SL und meine Mitspieler mit ihren Beschreibungen Bilder malen können. Dann habe ich das Gefühl: Ja, ich lebe in einer offenen Welt, die nicht nur Kulisse ist.
takti der blonde?:
@Jiba
Hast du denn schon mal eine AD&D Kampagne o.ä. gespielt? Ich frage, weil ich diesen Abschnitt nicht ganz nachvollziehen kann:
"(Und diese Muster müssen auch erstmal erkannt werden können... das ist beim Tabellenwürfeln hinterm Schirm schwierig, wenn die SCs nicht andauernd im selben Gebiet rumlatschen, wo immer dieselbe Tabelle benutzt wird; und wenn man es vor dem Schirm macht, dann denken die Spieler "Aha, Tabelle, also gibt es hier wohl ein Muster"... eine ziemlich metagamige Veranstaltung also... oder aber sie denken "Aha, Tabelle, also hat sich die SL keine Gedanken gemacht, was uns hier erwartet... scheint ja nicht sehr konsistent zu sein, diese Welt."; natürlich können uns Spieler begegnen, die so denken.)"
Die Tabelle ist ja wie gesagt vor allem eine Abstraktionshilfe für die Spielleitung. Die Spieler können sich natürlich dem auch als "Tabelle" nähern, aber die Idee beim Rollozock ist doch, sie stellen Fragen aus der Perspektive der Figuren "an die Spielwelt" und versuchen Antworten zu finden. Z.B. Warum auf einmal überall Orks sind. Oder warum es auf einmal so wenig Orks gibt.
Jiba:
--- Zitat ---die Idee beim Rollozock ist doch, sie stellen Fragen aus der Perspektive der Figuren "an die Spielwelt" und versuchen Antworten zu finden.
--- Ende Zitat ---
Hast du schon mal eine Monsterhearts-Staffel gespielt? ;)
Tatsächlich ist das eine Idee beim Rollozock, aber gar nicht unbedingt die zentrale. Denn möglicherweise ist deine Figur so gestaltet, dass sie die Antwort auf diese Frage gar nicht interessiert. Oder sie gar nicht wüsste, dass sich diese Frage überhaupt stellt.
Und natürlich macht die Verwendung einer Tabelle (wie bei jeder Mechanik am Spieltisch) einen Eindruck auf die Spieler als Spieler. Wie gespielt wird und was für Mechaniken oder Praktiken angewendet werden hat natürlich einen Einfluss darauf, wie ich das Spiel verstehe. Wenn wer eine Hexkarte auspackt, dann stelle ich mich auf ein anderes Spielgefühl ein, als wenn einer einen Jengaturm vor mir aufbaut.
takti der blonde?:
--- Zitat von: Jiba am 11.09.2020 | 13:24 ---Hast du schon mal eine Monsterhearts-Staffel gespielt? ;)
--- Ende Zitat ---
Nö, aber ich vermute mal, dass die meisten "Themen" des Spiels bereits in der einen oder anderen Kampagne aufgetaucht sind. ;)
Magst du meine Frage trotzdem beantworten? Ist kein "gotcha".
--- Zitat ---Tatsächlich ist das eine Idee beim Rollozock, aber gar nicht unbedingt die zentrale. Denn möglicherweise ist deine Figur so gestaltet, dass sie die Antwort auf diese Frage gar nicht interessiert. Oder sie gar nicht wüsste, dass sich diese Frage überhaupt stellt.
--- Ende Zitat ---
Die konkreten "Fragen" hängen von dem konkreten Spiel (EDIT: "Spiel" als Praxis, nicht "Spiel" im Sinne von "Produkt") ab. Vielleicht ist die Frage ja auch "Wie komme ich am schnellsten in die Kiste mit meinem Schwarm?"
--- Zitat ---Und natürlich macht die Verwendung einer Tabelle (wie bei jeder Mechanik am Spieltisch) einen Eindruck auf die Spieler als Spieler. Wie gespielt wird und was für Mechaniken oder Praktiken angewendet werden hat natürlich einen Einfluss darauf, wie ich das Spiel verstehe. Wenn wer eine Hexkarte auspackt, dann stelle ich mich auf ein anderes Spielgefühl ein, als wenn einer einen Jengaturm vor mir aufbaut.
--- Ende Zitat ---
Jengaturm und Begegnungstabelle können doch problemlos Teil derselben Kampagne sein. Rollozock lässt sich nicht auf Mechaniken reduzieren, das ist doch der Witz. Deshalb führen die zum Teil identischen Mechniken zu unterschiedlichen Spielen und Zocks.
Crimson King:
--- Zitat von: hassran am 11.09.2020 | 13:14 ---@Jiba
Hast du denn schon mal eine AD&D Kampagne o.ä. gespielt? Ich frage, weil ich diesen Abschnitt nicht ganz nachvollziehen kann:
"(Und diese Muster müssen auch erstmal erkannt werden können... das ist beim Tabellenwürfeln hinterm Schirm schwierig, wenn die SCs nicht andauernd im selben Gebiet rumlatschen, wo immer dieselbe Tabelle benutzt wird; und wenn man es vor dem Schirm macht, dann denken die Spieler "Aha, Tabelle, also gibt es hier wohl ein Muster"... eine ziemlich metagamige Veranstaltung also... oder aber sie denken "Aha, Tabelle, also hat sich die SL keine Gedanken gemacht, was uns hier erwartet... scheint ja nicht sehr konsistent zu sein, diese Welt."; natürlich können uns Spieler begegnen, die so denken.)"
Die Tabelle ist ja wie gesagt vor allem eine Abstraktionshilfe für die Spielleitung. Die Spieler können sich natürlich dem auch als "Tabelle" nähern, aber die Idee beim Rollozock ist doch, sie stellen Fragen aus der Perspektive der Figuren "an die Spielwelt" und versuchen Antworten zu finden. Z.B. Warum auf einmal überall Orks sind. Oder warum es auf einmal so wenig Orks gibt.
--- Ende Zitat ---
Jibas Punkt an der Stelle ist, dass man die Zufallstabelle oft genug frequentieren muss, um überhaupt eine Aussage über die Häufigkeit von Orks treffen zu können. An der Stelle fehlt zumindest mir tatsächlich die Praxiserfahrung. Ich habe echt wenig Vorstellung davon, wie oft eine spezifische Zufallstabelle üblicherweise frequentiert wird und welchen Geltungsrahmen sie hat.
Aus meiner Praxis heraus würde ich in einer Gegend, in der Orks häufig sind, halt eine potenziell interessante Begegnung entwerfen, die sich mit dem Thema Orks beschäftigt und später, wenn aufgrund weiterer Ereignisse weniger Orks da sind, eine andere potenziell interessante Begegnung, die dieser Änderung Rechnung trägt, oder auch mal keine. Wenn ich das vorab mache, habe ich direkt die Möglichkeit, da einen Haufen Details reinzupacken, die mir eine Zufallstabelle nicht bzw. nur dann liefert, wenn ich die Details für die möglichen Zufallsergebnisse vorab entwerfe. Vor demjenigen, der das macht, ziehe ich meinen Hut. Ich habe zwei Kinder und einen Vollzeitjob und kann das von daher nicht leisten.
Navigation
[0] Themen-Index
[#] Nächste Seite
[*] Vorherige Sete
Zur normalen Ansicht wechseln