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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Es war jetzt eine Zeit her, dass Neire das letzte Mal etwas von Bargh, Zussa, Lyrismar und Halbohr gehört hatte. Zuletzt war Lyrismar Schwefelschimmer plötzlich und wie aus dem Nichts erschienen. Der Diener Jiarliraes mit der kohlenschwarz-verbrannten Haut und dem schmalen, länglichen und völlig haarlosen Kopf hatte ihm vier der Sphären aus dem dunkel-schimmernden Glasstahl übergeben. Nur kurz hatte Lyrismar über die Erstürmung des Tempels Glammringsfaust berichtet. Der Gesandte aus dem fernen Reich von Flamme und Düsternis hatte zudem nach den jüngsten Entwicklungen im Tempel des Jensehers gefragt, bevor er wieder in die Hallen des Nachtzwergengottes zurückgekehrt war. Neire hatte die geraubten Strukturen aus Ne’ilurum untersucht, aus deren kristallischen Öffnungen noch ein schwacher Schimmer von Lichtmagie drang. Er hatte festgestellt, dass die Sphären noch intakt und für das Weltentor brauchbar waren. Er hatte daraufhin einige schlaflose Nächte damit verbracht die Sphären in ihren Verankerungen anzubinden, um damit das Weltentor wieder vollständig in Gang zu setzten. Nach einigen erfolglosen Versuchen war er sich der Funktionsweise der Lichtinstrumente immer sicherer geworden. Sie schienen einen Teil derer Energien anzuzapfen, welche das dreiundzwanzigjährige Wiederkehren des Linnerzährns in die Ne’ilurum-Adern des Unterberges verbracht hatten. Neire hatte seine Erkenntnisse notizenhaft auf Papyrus niedergeschrieben und betrachtete jetzt sein Werk von teils wirren Runenzeichnungen. Er wusste, dass die Energiesphären magische Kräfte aufnehmen und für eine Zeit speichern konnten. Der Magiefluss, den diese Instrumente speicherten, war anscheinend für verschiedene Zwecke verwendbar. Er hatte Mechanismen entdeckt, die die Magie in Untergruppen von Kräften aufteilte, um sie dann nach anderen Mustern wieder zusammenzufügen. Geschah dies in richtiger Weise, konnten die unendlich-dimensionalen Gebilde von Raum und Zeit, so zusammengesetzt werden, dass neue Verbindungen und Brücken entstanden. Neire hatte sich dazu entschlossen den Vorgang als Umkehrung derer Gesetze einzustufen, die die Welt um ihn herum steuerten. Er war sich sicher, dass, sollte die Maschine in richtiger, noch unbekannter Weise benutzt werden, auch die Grenzen zu den Reichen der Götter überbrückbar sowie vielleicht die Zeit selbst umkehrbar sein würden. Er war voll von unbändiger Neugier und urtümlicher Freude, vielleicht eine Entdeckung gemacht zu haben, die einst die Schöpfung der starr-gesetzlichen Ebenen widerrufen könne. Sollte er der Prophet der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes sein, der die verhassten Reiche jener Götter in ein Urmeer aus Chaos wandelte? Er verharrte einen Moment und betrachtete sein Spiegelbild im glasigen Schimmer des dunklen Metalls. Sein Antlitz hatte an Ausstrahlung gewonnen, seitdem er dem Ringgeist seine drei Wünsche geäußert hatte. Er ahnte und wusste, dass noch etwas fehlte in seinen Forschungen. Er war gerade dabei das Weltentor auf einen Fokus zu setzen. Die Kristallsphären mussten dafür in eine bestimmte Neigungs- und Drehwinkel gesetzt werden, um das Tor auf einen Punkt einer fernen Welt zu richten. Die Verdunklung der Kristallgitter, die über Mechanismen in den Sphären selbst bestimmbar war, entschied dann mit den Neigungen und Drehungen über die auszuwählende Welt. Die Möglichkeiten schienen schier unendlich zu sein. Er hatte eine lange Zeit damit verbracht verschiedene Kombinationen auszuprobieren. Der Vorgang war dem ähnlich, den er mit seinen Dietrichen vollführte, wenn er ein Schloss öffnen wollte. Allerdings waren es hier nicht mechanische Kraftpunkte und Drehrichtungen, mit denen er das Schloss bewegen wollte. Das Gebilde des Weltentors musste auf einer imaginären Ebene der Erkenntnis einrasten, um den Mechanismus der Umkehrung zu aktivieren. Zu dieser imaginären Ebene musste sich zudem die Weltliche einfügen, um bestimmte, wiederkehrende Zyklen aus dem Chaos zu schöpfen. Neire hatte bereits eine Kombination entdeckt. Jetzt forschte er an einer neuen Konstellation, die ihm den Weg zu einem anderen Ort dieser Welt öffnen sollte. Das Tor begann zu flimmern und er konnte sehen, wie sich die geisterhaft-durchsichtige Spiegelscheibe bildete, die sich begann über dem Boden zu drehen. Sollte er die Kombination finden, die das Portal öffnete, musste er schnell sein. Er hatte zwar einige nachtzwergische Söldner befehligt nahe dem Weltentor zu wachen, doch sollte etwas das Portal durchdringen, wäre er für eine Zeit allein der Gefahr ausgesetzt. Sicherer fühlte er sich, wenn er den Raum verlassen und die Türe mit dem schweren Rad von außen verriegeln würde. Neire konzentrierte sich, um den Lichtpegel der letzten Sphären zu justieren. Er lauschte dem summenden Geräusch. Er fühlte den Kraftfluss der Magie des Unterberges. Er spürte das Ne’ilurum der Irrlingsspitze, das unsägliche Mächte speicherte. Doch da war auch etwas Anderes. Ein Geräusch das wie… ja es waren, es mussten Schritte sein. Schnell, als wenn jemand laufen würde. Sie hallten durch ein Gewölbe und sie kamen näher. Neire zögerte, dann ahnte er Herkunft des Geräuschs. Aus dem Tunnel hörte er plötzlich ein Rufen in der Sprache der Nachtzwerge. „Wo ist er, wo ist der Prophet? Wo ist Neire von Nebelheim?“

Neire war Granrig Hellengrub durch die Tunnel gefolgt. Er hatte keine weitere Zeit damit verloren das Weltentor zu öffnen. Im Gegenteil. Kurz bevor er den Raum verlassen hatte, hatte er eine der Kristallsphären in eine neutrale Stellung bewegt, in welcher der Kraftfluss der Magien unterbrochen war. Jetzt eilte er mit dem Baumeister durch die alten Gänge des elfischen Komplexes. Der Nachtzwerg, der den Bau des Tunnels nach Wiesenbrück verantworte, ging voran. Nur wenn Neire mit ihm sprach, drehte er sich um und antwortete ihm. Er hatte Neire bereits berichtet, dass etwas im Tunnel vorgefallen war; dass sie etwas entdeckt hätten und dass sie in ein Höhlensystem hineingebrochen waren. „Und ihr sagtet, ihr habt noch keinen Schritt durch die Öffnung getan? Ihr habt nicht nachgesehen, was dahinter war?“ Granrig drehte sich wieder um zu Neire, als er ihm antwortete. Der Nachtzwerg hatte langes schwarzes, gelocktes Haar und ein, für einen Zwerg, schmales Gesicht. In der Dunkelheit funkelten seine grauen Augen. Granrig besaß keinen Bart und war gekleidet in seine Schuppenrüstung aus geölten Stahlplatten, in der Form kleiner Schilde. Auf seinem Haupt und seiner Rüstung haftete noch der Steinstaub des Tunnelbaus. Sein kleines Schild hatte der Nachtzwerg an seiner linken Schulter befestigt, seine militärische Picke trug er im Gürtel. „Wir haben den Tunnel sofort gesichert. Ich sagte euch doch bereits, mein Prophet. Ich habe mich an die Erfahrung meines Volkes gehalten und dem jungen Feuerriesen Theredal das Kommando übergeben. Er und Gelundara wachen dort über die Orks, die für die Steinarbeiten eingeteilt waren.“ Neire dachte an die jungen Feuerriesen, die sich beim Dienst im Tunnelbau abwechselten. Er hatte bereits öfters mit Theredal gesprochen, der für einen Feuerriesen relativ intelligent war. Theredal konnte lesen und schreiben und hatte sogar Interesse an Jiarlirae gezeigt. Die junge Feuerriesin Gelundara kannte Neire nicht so gut. Er wusste, dass sie für eine Feuerriesin stark und groß gewachsen war. Auch hatte er von ihrem aufbrausenden Charakter gehört. Sie hatten mittlerweile den einstigen Forschungskomplex der Grauelfen verlassen und schritten durch die Höhlen, in denen die Orks hausten. Die Kaverne war natürlichen Ursprunges und nicht erleuchtet. Zwischen Tropfsteinen, die an einigen Stellen, die Verbindung zwischen Boden und Decke hergestellt hatten, flackerte jedoch der Schein von Feuer. Der Gestank von Müll, verrottetem Fleisch und Fäkalien erfüllte die Höhle. Zudem war das Schreien von Orkkindern zu hören. Sie verließen die Kavernen der Orks und gelangten durch einen Gang zur Halle der unterirdischen Spalte. Der Tunnel, der sie dorthin führte war bereits verbreitert worden. Die Riesen hatten den Stein an vielen Stellen abgeschlagen und den Gang auf eine Breite von mindestens drei Schritten sowie eine Höhe von vier bis fünf Schritten erweitert. Jetzt lag der Tunnel hinter ihnen und sie blickten auf die schwarzmetallische Konstruktion, die den an dieser Stelle verbreiterten Abgrund überspannte. Die Höhle wurde bereits von zwei Feuerkäfern erhellt, deren Licht aus den eisernen Käfigen drang, die dort von der Decke hingen. Zwei grimmige Feuerriesen, der eine gehüllt in ein Kettenhemd, der andere in einen Schienenpanzer, hielten dort Wache. Sie wurden unterstützt von acht Orks, die für die Wache sowie den Betrieb der beweglichen Plattform vorgesehen waren. Neben dem Transport der Tunnelgräber bewegten sie hauptsächlich den Abraum des Tunnels hinauf. Die Orks sahen zwar erschöpft aus, waren aber längst wieder zu Kräften gekommen, nachdem sie sie damals aus den Kerkern des Nomrus befreit hatten. Vernarbtes Gewebe war jedoch an den Stellen zu erkennen, an denen ihre Haut nicht von Schuppen- und Lederpanzern bedeckt war. Granrigs Stimme dröhnte durch die Halle, die im rötlichen Schimmer der Feuerkäfer lag. „All der Götterheil Jiarlirae! Gribtus, Ulfur. Macht die Plattform bereit. Der Prophet ist mit mir und wir müssen hinab.“ Beide Feuerriesen schienen die Kommandos in der gemeinen Zunge zu verstehen und murmelten kurze Beleidigungen gegen den Nachtzwerg. Gribtus, der kleinere der beiden Riesen, drehte seine gedrungene Gestalt in Richtung der Orks und donnerte den Befehl. „Auf das Rad, worauf wartet ihr noch, verfluchte Bastarde. Der Prophet ist hier und muss hinab in den Tunnel.“ Neire betrachtete den Feuerriesen. Gribtus‘ lange rot-blonde Haare quollen unter seinen Helm hervor. Er besaß einen kurzen, ausgefransten rot-braunen Bart. „Schaut sie an, wie langsam sie klettern, Prophet! Wir sollten vielleicht ab und an einen in den Schacht hinabwerfen, so dass sie das hinaufklettern lernen, hahahaha…“ Gribtus hatte Neire in der Sprache der Feuerriesen geantwortet und hielt sich jetzt den Bauch. Neire grinste zwar, aber der ältere, größere Feuerriese Ulfur zog eine missmutige Miene. „Wie sollten sie das überleben, dort hinab. Wollt ihr dann selber auf das Rad steigen Gribtus? Nicht lustig, nicht lustig.“ Gribtus‘ Lachen wurde weniger, als er den fettleibigen Ulfur betrachte. Ulfurs Gesicht war dreckig und ungepflegt, wie auch seine Rüstung. Strähniges Haar war größtenteils unter seinem Helm verborgen und bernsteinfarbene Augen musterten seinen Kameraden. Beide Feuerriesen hatten aschgraue Haut. Bevor Gribtus etwas erwidern konnte, antwortete Neire. „Lernen sie nicht, müssten sie gezüchtigt werden. Doch wir brauchen sie lebend. Tod im Schacht nützen sie uns nichts.“ Beide Feuerriesen nickten zustimmend und beobachteten sie. Neire und Granrig waren bereits auf die Plattform gestiegen, die an vier Seilen hing. Gribtus murmelte zwar noch etwas, doch Neire konnte die Worte nicht verstehen. Dann senkte sich der Aufzug in die Tiefe. Das Knirschen von Kettengliedern war zu hören, als die Orks sich auf der Trittrolle bewegten. Die Plattform schaukelte bedrohlich, als es durch den Steinschacht hinabging. An den Wänden funkelten die Spuren des Ne’ilurumerzes in matten, dunklen Glastönen. Als sie ein Stück hinabgelitten waren und die Geräusche der Ketten leiser wurden, sprach Granrig zu Neire. „Prophet, sie gehorchen zwar der Königin und achten euch, doch sie tun alles um sich meinen Anweisungen zu widersetzen. Es gefällt mir nicht. Wir kommen nicht schnell genug voran. Und wer weiß, wann sie ihre Gelegenheit sehen mich mit einem Felsbrocken zu erschlagen. Ich habe keine Angst, doch ich habe ein ungutes Gefühl.“ Neire strich sich die Locken zurück, die mittlerweile von Steinstaub bedeckt waren. Der Luft des Schachtes war wie von einem feinen Nebel durchzogen, den man auf der Zunge schmecken konnte – der zwischen den Zähnen knirschte. Er nickte, als er antwortete. „Ich verstehe Granrig. Sie erinnern sich an Umbari, den Diener König Isenbuks. Er verriet einst seinen König und zahlte den Preis dafür. Vielleicht sehen sie Umbari, wenn sie mit euch reden.“ Granrig schüttelte den Kopf und wollte gerade antworten, da unterbrach Neire ihn. „Ihr werdet unsere heilige Sache nicht verraten, Granrig. Ich sehe die Zukunft in Flamme und Düsternis und ich sehe euch dort. Ich werde mit Königin Hulda sprechen müssen. Ihr gehorchen die Feuerriesen und sie werden ihr nicht widersprechen.“ Granrig nickte, als sie weiter in die Tiefe sanken. „Habt Dank, mein Prophet.“ Schon bald kam die Plattform zu einem Halt. Sie waren am Fuß der Spalte angelangt, die nur im Bereich des Schachtes verbreitert worden war. Spinnweben und Gebeine füllten den Grund der natürlichen Felsöffnung aus. Sie drehten sich jedoch zu dem Tunnel, der durch den Stein der Irrlingsspitze hinfort führte. Der Gang war fast fünf Schritt breit und ebenso hoch. Er führte durch die ewige Dunkelheit, mit einer leichten Abwärtsneigung. Für eine lange Zeit knirschten ihre Schritte über die Steine, die noch hier und dort lagen. Je weiter sie kamen, desto weniger wurden die Erzspuren des Ne’ilurums. Schließlich konnte Neire die kältere Luft spüren, die durch den Tunnel drang. Ein Höhlengeruch, wie von Wasser und Erde kam ihnen entgegen. Dann hörten sie die Stimmen und sahen Umrisse nebelhaft im flackernden Fackellicht. Zwei riesenhafte Gestalten, von muskulöser, leicht gedrungener Gestalt. Sie hielten ihre Köpfe geduckt, wohl bedacht nicht an die Decke zu stoßen. Ihren Gesichtern war ihre Jugendlichkeit anzusehen, die im Kontrast zu ihren großen Körpern stand. Beide Riesen waren umringt von fast zwei Dutzend orkischer Arbeiter, die auf Abraum saßen oder lagerten. Die heranwachsenden Riesen drehten sich zu ihnen, als sie die Schritte im Tunnel hörten. Je näher sie kamen, desto besser war der Dunst von Steinstaub zu durchblicken. Gerätschaften und Loren standen im Gang, Werkzeuge waren an die Wände gelehnt. Neire konnte hinter den Gestalten ein Loch in der Felswand des Tunnels erkennen – dorthin, wo sie den Gang gruben. Ein Raunen von grunzenden und gutturalen Stimmen war zu hören, das die beiden heranwachsenden Riesen mit einem scharfen Zischen unterbanden. Hervor trat Theredal, der, von Steinstaub bedeckt, nur einen Lendenschurz trug. Er war schlank und drahtig für einen Feuerriesen und trotz seines jugendlichen Alters bereits fünf Schritt groß. Ein kindliches Gesicht kennzeichnete ihn, ohne Bartwuchs und umrahmt von langen, fettigen schwarzen Haaren. Er beugte sich zu Neire hinab und begrüßte ihn: „Allheil Jiarlirae! Ihr seid endlich gekommen, Prophet. Wieso mussten wir so lange warten hier?“ Neire nickte ihm zu und zog seinen Tarnumhang zurück. „Granrig suchte mich im Tempel auf und erzählte mir von eurem Fund. So tretet zu Seite und lasst mich sehen, was ihr entdeckt habt.“ Theredal trat zur Seite, doch da war Gelundara, die jetzt den Gang versperrte. Sie war jünger als Theredal, aber bereits genauso groß wie er. Auch sie war in Unterkleidung gehüllt und von Steinstaub bedeckt. An einigen Stellen hatte getrockneter Schweiß lange Bahnen in den Staub ihrer schwarz-grauen Haut gezogen. Sie war muskulöser als Theredal und korpulent. Ihre rötlichen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. „Ach was, er hat uns warten lassen, dieser kleine Bastard. Wieso sollte er anders als Umbari sein? Wieso sollten wir ihn nicht hier und jetzt zerquetschen und den Orks zum Fraß vorwerfen?“ Ihre rötlich schimmernden Augen funkelten hasserfüllt in ihrem rundlichen Gesicht, als sie sprach. Neire richtete sich auf und trat ihr einen Schritt entgegen. Er durfte keine Schwäche zeigen. Obwohl er innerlich vor Furcht zitterte, klang seine Stimme entschieden. Neire würde die Kraft der Linsen des Jensehers einsetzen, sollte sie ihm widersprechen. „Ich bin Neire von Nebelheim. Ich bin der Prophet, dem eure Königin Hulda vertraut, der euch hierhin geführt hat und euch einst vor dem Verrat Umbaris und eurem Verderben bewahrte. Ihr müsst eurer Königin gehorchen. Sie hat euch aufgetragen diesen Gang zu graben, unter Granrigs Kommando.“ Neire sah, dass Gelundara ein beleidigtes Gesicht zog. Er fuhr weiter fort. „Solltet ihr euch weigern, werde ich mit Königin Hulda sprechen. Ihr solltet ihre Strafe fürchten.“ Gelundara schien zu grübeln. Sie konnte die Worte wohl nicht ganz fassen, nickte aber und trat zurück. Neire bewegte sich näher zu den beiden jungen Riesen und den orkischen Arbeitern. Er blickte in Richtung des Lochs in der Höhlenwand, aus dem ihm klare, kalte Luft entgegenströmte. Theredal und Gelundara wichen zur Seite und wiesen ihm den Weg. Er hörte das schweinische Grunzen einiger Orks, die ihn bewundernd anschauten und ihre Köpfe vor ihm beugten. Die Öffnung war drei Schritt hoch und gerade breit genug für ihn durchzusteigen. Neire überlegte einen Augenblick, ob er allein hindurchsteigen oder die beiden Riesen mit ihm nehmen sollte. Das Fackellicht des Tunnels drang nicht weit in die Dunkelheit dahinter. Er hörte ein Rauschen, wie von Wasser und sah den Schimmer bleicher fluoreszierender Pflanzen. Dahinter schien es hinabzugehen, in die Tiefe. „Theredal, Gelundara, verbreitert die Öffnung. Wir werden zu dritt hinabsteigen. Granrig wird mit den Arbeitern hierbleiben.“ Er trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die beiden jungen Riesen ihr Werk vollbrachten.

Steine waren polternd in die Tiefe gefallen. Der Nachhall hatte eine größere Höhle erahnen lassen. Theredal und Gelundara hatten ihre Werkzeuge mit Gewalt und Geschick eingesetzt und das Felsgestein hinfort geschlagen. Als das Loch breit genug für die beiden Riesen war, hatten sich Theredal sowie Gelundara bewaffnet und eine Fackel aufgenommen. Dann waren sie hinabgestiegen. Neire war ihnen gefolgt. Sie hatten den Tunnel offenbar in die Felswand einer Höhle getrieben, die knappe vier Schritt unter ihnen aufragte. Im Licht der Fackeln hatte sich Neire der Blick auf nässlich schimmernde Felswände eröffnet. Der Boden war von einer Schicht Erde bedeckt gewesen, auf der Flechten und matt-weißlich fluoreszierende Pilze wuchsen. Sie hatten begonnen die Höhle zu erkunden und einen klaren unterirdischen See gefunden. Am Ufer des Sees hatten sich Bänke aus dunklem Sand gebildet, die teils von Flechten überwachsen waren. Neire hatte mittlerweile die Fackel von Theredal übernommen, der einen riesigen Zweihänder trug. Die jungen Riesen standen neben ihm und betrachteten das glitzernde, klare Wasser. Beide fröstelten in der kalten Luft, zeigten aber eine furchtlose Entschlossenheit. Gelundara trug die Fackel in ihrer linken sowie ein übergroßes Langschwert in ihrer rechten Hand. Neire deutete wortlos in eine Richtung und sie begannen dem Ufer zu folgen. Sie schritten schweigsam am Strand des Sees entlang. Zwei Lichtkegel, verloren in der Dunkelheit. Dann fanden sie den unterirdischen Fluss, der den See nährte. Entgegen des reißenden Wassers schritten sie und erkundschafteten zwei höher liegende Höhlen, die von einem Pilzwald bewachsen waren. Bis auf das beständige Rauschen des Wassers hörten sie keine Geräusche. Nicht einmal Insekten waren hier zu finden. Am Ende der zweiten Höhle stießen sie auf einen Wasserfall, der durch den Strom eines engen Tunnels genährt wurde. In dem kleinen See am Fuße des Wasserfalls konnten sie bleiche Fische sehen, die in dem klaren Wasser schwammen. Sie durchsuchten die Höhle und begaben sich dann wieder auf den Rückweg, um den Strom des Wassers zu folgen. Nach einiger Zeit kehrten sie zurück in die Höhle mit dem See und schritten am Ufer entlang. Auch hier schlossen sich mehrere kleinere und größere Kavernen an, die mit bleichen Pilzen bewachsen waren. Die Höhlen waren frei von Tieren, die nicht im Wasser lebten. Die letzte Höhle war fast vollständig von einem See ausgefüllt, dessen Wasserstand niedriger als die ihn umgebenen Felskanten lag. Das Wasser war klar und tief und sie konnten nicht sehen, wohin der unterirdische Strom floss. Das Fackellicht war zu schwach, um in weitere Tiefen vorzudringen. Neire hatte jedoch genug gesehen. Die Höhlen schienen unbewohnt und ohne weitere Gefahren. Sie mussten Granrig Bericht erstatten. Er würde den weiteren Bau des Tunnels planen.

Jenseher:
Neire ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle hinabsinken, den ihm Königin Hulda gewiesen hatte. Er nahm einen Schluck des von gelblichem Schaum bedeckten Dunkelbraans, welches ihm Hulda angeboten hatte. Er genoss den starken, bitteren Geschmack und die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Neire musterte die Königin kurz, ließ seinen Blick dann aber durch das Gemach schweifen. Pechfackeln brannten an den Wänden und warfen lange flackernde Schatten. Der Boden war mit kostbaren Fellen ausgelegt und gestickte Teppiche schmückten die Wände. Dort waren die Runen von Jiarlirae zu sehen sowie Feuerriesen, die in glorreichen Schlachtenszenen dargestellt wurden. Teils stammten die Wandteppiche noch aus den Mitbringseln König Dunrok Isenbuks. Das Empfangsgemach beinhaltete zudem Bänke und Stühle, die dem Thron aus Ne’ilurum zugewandt waren. Dort saß Königin Hulda. Zwei hohe eiserne Türen führten in anliegende Räume. Große Schatztruhen waren um die Erhöhung des Thrones aufgestellt. Die Wirkung des Dunkelbraans setzte augenblicklich ein und Neire genoss die Wärme und die flackernden Schatten des Gemachs. Er blickte Königin Hulda an, schwelgte jedoch in Gedanken an die vergangenen Monate, die seit dem Aufbruch von Bargh, Zussa, Halbohr und Lyrismar vergangen waren. Im Tempel des Jensehers hatte sich seitdem einiges verändert. Neire hatte bereits vor einiger Zeit seine Forschungen am Weltenportal abgeschlossen. Die ursprüngliche Macht des magischen Tores hatte er vollständig wiederhergestellt. Zudem war er sicher in der Bedienung des Mechanismus geworden, der das Weltenportal steuerte. Aber auch in anderen Bereichen hatte sich der Tempel verändert. Sie hatten den Ausbau der Höhlen weiter vorangetrieben. Granrig Hellengrub hatte die Arbeiten geplant und beaufsichtigt. Neire erinnerte sich an seinen letzten Rundgang durch die unterirdischen Hallen. Die Düsterheitpilze hatten sich dank des ausgeklügelten Bewässerungssystems und der beständigen Zufuhr von Fäkalien und totem Fleisch ausgebreitet. Sie hatten Riesen und Orks angewiesen ihre Geschäfte in Bettpfannen zu sammeln und sie dann in die Höhlen zu bringen. Neire erinnerte sich an das purpurne Glühen der nässlich schimmernden Höhlen. Hier und dort hatte er die zerteilten Überreste von Körpern gesehen, die bereits von den Pilzen überwuchert wurden. Wann immer einer der Orks starb - was alle paar Tage einmal vorkam, wenn ein Riese in einem Wutanfall einen erschlug – hatten sie den Leichnam zerlegt und ihn zur Anreicherung des Nährbodens unter den Pilzen verteilt. Die Höhlen hatten eine morbide Schönheit. Sie waren voll von vergänglichem Gestank, doch von einem überweltlichen, purpurnen Lichtglimmer. Aber nicht nur der Anbau der Düsterheitpilze war vorrangeschritten. Nahe den Lagern der Orks hatte Granrig eine Ne’ilurum Mine erschlossen, in der sie das wertvolle Erz abbauten. Auch der zweite zwergische Berater, Heergren Nuregrum, der von Halbohr angeheuert wurde, war nicht untätig gewesen. Der Nachtzwerg in den Diensten des Tempels des Jensehers hatte eine Schmiede und einen Hochofen aufgebaut, die sich nahe den Gemächern von Königin Hulda befanden. Dann hatte er mit der Ausbildung der Feuerriesen Vargur und Gryvik begonnen. Vargur kannte Neire gut, hatte doch der erwachsene aber sehr junge Feuerriese die Gruppe von Frauen und Kindern in die entfernten Höhlen abseits des Krieges geführt. Über ihn munkelte man, dass er von König Isenbuk und einer Feuerriesin gezeugt wurde, die bei seiner Geburt starb. Gryvik hingegen war ein heranwachsender Feuerriese, mit schneller Auffassungsgabe und guten kämpferischen Fähigkeiten. Er war von Heergren als zweiter Diener an der Esse ausgewählt worden. Zusammen hatten Heergren, Vargur und Gryvik begonnen Stahl aus Ne’ilurumerz sowie Waffen und Werkzeuge herzustellen. Sie hatten Kohlelieferungen aus Unterirrling erhalten und zudem einige Orks zum Dienst abkommandiert. Neire hätte seine Gedanken so weiter schweifen lassen können. Er dachte gerade an ihre Erfolge in der Zucht der Feuerkäfer, als er von der Stimme Königin Huldas aus den Gedanken gerissen wurde. Er verdränge die Erinnerungen an die Bruthöhle der glühenden Rieseninsekten und blickte Hulda in die Augen. Die Königin hatte ihre beiden Beine verschränkt und betrachtete ihn wohlwollend von ihrem Thron. Ihre grau-dunkle Haut hing von ihrem Körper und Gesicht in Falten hinab und wurde größtenteils von wertvollen Wildlederfällen überdeckt. Die beiden dunklen, schweinsartigen Augen betrachteten Neire bewundernd aus ihrem Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht. Neire ließ sich nicht abschrecken von ihrer Hässlichkeit, von ihren abstehenden, rot-verfilzten Haaren und den Geschwüren, die ihre Wangen bedeckten. Er dachte zurück an ihre gemeinsamen Gespräche. Immer seltener hatte er die Linsen des Jensehers eingesetzt und über die vergangenen Monate hatte die Königin ihn auch ohne seine Bezauberungsmagie als ihren engsten Freund akzeptiert. Er hatte sie zudem von seiner Herrin, der Schwertherrscherin, der Göttin von Flamme und Düsternis überzeugen können. Auch Huldas untergebene Feuerriesen hatten sich der neuen Schutzpatronin zugewendet und ihn, Neire von Nebelheim, als ihren Propheten akzeptiert, wenngleich sie ihre Befehle nur von der Königin empfingen. Die Königin zeigte ihre fauligen Zähne, als sie ihn anlächelte und sprach.

Königin Hulda: „Neire, mein lieber Freund. Wie lange ist es her, dass wir zuletzt redeten? Waren es zwei oder drei Wochen? Sagt, was gibt es Neues zu berichten. Habt ihr etwas von euren Freunden gehört, aus Urrungfaust?“
Neire von Nebelheim: „Es ist zu lange her, meine verehrte Königin. Seitdem ist viel geschehen, nur eure Schönheit bleibt unverändert bestehen. Nachdem mir Lyrismar Schwefelschimmer die Sphären für das Weltenportal brachte, habe ich nichts von Meister Halbohr, Bargh und Zussa gehört. Doch ich habe sie in meinen Visionen gesehen. Sie kämpfen für Jiarlirae in diesem Augenblick. Ich bin mir sicher, sie werden siegreich sein.“
Die Königin kneift ihre Schweinsaugen zusammen und lächelt, geschmeichelt durch Neires Worte. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Kupferbecher und bringt ein tiefes Rülpsen hervor.
Königin Hulda: „Ihr müsst mir unbedingt erzählen… was habt ihr in euren Visionen gesehen?“
Neire von Nebelheim: „Ich kann es euch nicht nur erzählen, Königin. Ich kann euch die Visionen zeigen. Doch ich habe heute ein dringendes Anliegen, das leider nicht warten kann.“
Sorgenfalten zeigen sich auf Neires Stirn, als er sie eindringlich und mit großen, nachtblauen Augen anschaut. Das Lächeln in Huldas Gesicht erstirbt und ihre dunklen Augen funkeln erbost.
Königin Hulda: „Ist es wieder die junge Gelundara, die für euren Unmut sorgt? Sagt es nur und ich werde sie selbst züchtigen.“
Neire von Nebelheim: „Nein meine Königin, es geht nicht um Gelundara. Ich komme von einer Unterredung mit Granrig Hellengrub. Er sagt, dass wir bald den Durchbruch nach Wiesenbrück haben werden. Es sind Dinge vorzubereiten, bevor wir das Dorf erreichen. Ich plane ein Fest zu Ehren von Jiarlirae in den inneren Hallen des Tempels.“
Königin Hulda: „Das sind hervorragende Neuigkeiten Neire. Wie lange habe ich darauf gewartet und die Bücher studiert. Die Fertigstellung des Tunnels bedeutet das Ende meines Wartens. Ich hatte euch bereits erzählt, dass die Riesen anfangen zu reden. Die Frauen haben sich alle einen neuen Mann gewählt, doch sie schauen auf ihre Königin und reden über mich im Verborgenen.“
Neire von Nebelheim: „Ihr habt Recht Königin Hulda. Ihr sollt nicht länger warten und ich habe versprochen euch auf der Suche nach eurem neuen Gemahl zu helfen. Aber ihr seid die Königin. Das Gerede habt ihr nicht zu erdulden. Ergreift sie und bestraft sie, statuiert ein Exempel, um ihnen zu zeigen, dass ihr mit eiserner Hand regiert.“
Erst nickt Hulda grimmig, doch dann schüttelt sie ihren Kopf.
Königin Hulda: „Ihr sprecht die Wahrheit, doch dies war nie mein Weg. Sehet Neire, dafür war stets König Dunrok Isenbuk zuständig. Er regierte mit eiserner Hand, nach meinem Willen. Ich formte ihn nach meinem Begehr und er folgte mir, für das Wohl unseres Volkes. Nur wurde er fett, träge und hässlich. Er war nicht mehr schön, wie einst, als ich ihn heiratete.“
Neire von Nebelheim: „So soll es wieder sein, wenn ihr euren neuen Herrscher gefunden habt. Jung und stark soll er sein, wie ihr ihn euch gewünscht hattet. Und nach eurem Willen formbar. Eure Schläue, meine Königin, steht eurer Schönheit um nichts nach. Euer Volk und Jiarlirae braucht euch. Sagt Königin Hulda, haben eure Nachforschungen bereits Früchte getragen?“
Königin Hulda: „Ja, habt Dank Neire. Ihr habt recht, nur ich habe die notwendige Weitsicht meine Riesen zu führen. Doch dazu brauche ich meinen Gemahl. Die Bücher, die ihr mir aus Urrungfaust beschafft habt, haben eine Erinnerung in mir hervorgerufen. Es ward geschrieben von der alten Eisenfeste Sverundwiel, die einst den Strom des Feuers gebar. Errichtet wurde sie von der Rasse der Nachtzwergen, auf der Grenze von Schatten und Licht. König Dunrok Isenbuk erzählte von einem jungen Jarl, genannt Eldenbarrer. Er wurde einst bekannt als Träger der Flamme von Thiangjord, eines schwarzen Schwertes, das im Feuer des alten, gleichnamigen Lindwurms geboren wurde. Eldenbarrer sammelte Riesen um sich und eroberte die Eisenfeste Sverundwiel. Ich erinnerte mich, dass Dunrok damals Boten schicken wollte, auf dass sich Eldenbarrer unserem Kampf anschließen solle. Doch wir warteten auf das Gold der schwarzen Elfen und so kam der Austausch nie zustande.“
Neire hört aufmerksam zu, erhebt sich und verbeugt seinen Kopf.
Neire von Nebelheim: „Eine weise Wahl, Königin. Auch ich habe von der alten Eisenfeste Sverundwiel gehört. Ich werde mit den Vorbereitungen beginnen und wir werden aufbrechen, wenn die Zeit reif ist. Ihr habt euch Jiarlirae zugewendet. Ihr Reich ist ein ewiges, aus Flamme und Düsternis. Unter ihrem Zeichen werdet ihr euren neuen König gewinnen. Er wird euer Volk durch eure verborgene Stimme zu neuem Heldentum führen. Die alten Runen deuten euer Schicksal, sie sprechen von Ruhm und Ehre.“

Neire verließ die Gemächer der Königin der Feuerriesen. Er musste mit den Vorbereitungen anfangen und durfte keine weitere Zeit verlieren. Sie mussten das Fest feiern, um die Gunst Jiarliraes zu erhalten. Erst dann konnten sie nach Wiesenbrück vordringen. Er lächelte, als er an das Bergdorf am reißenden Strom Fireldra dachte. Es würde ihr Zugang in das Reich der Oberwelt werden. Ein Ort der Verbindung beider Welten. In seinen Gedanken formte sich bereits ein neuer Name für Wiesenbrück.

Jenseher:
Das Kohlefeuer glühte hell in der Feuerschale aus Ne’ilurum. Die Flammen vereinzelter Scheite getrockneter Riesenpilze brannten im gelblichen Licht, das lange Schatten warf. Trotz der Helligkeit schien es, als würde der alte Stein der hohen Halle des inneren Tempels das Licht schlucken, je weiter es kam. Die Randbereiche der zum Festsaal geschmückten Kammer waren daher mit Wandfackeln erhellt, die viel kleinere Lichtkegel bildeten, als sie es eigentlich sollten. Ein Stimmengewirr erfüllte das Gewölbe, in das zwei große, sich gegenüberliegende Gänge hineinführten. Die Luft war wohlig-warm und erfüllt von Feuer-, Alkohol- und Schweißgeruch. Paare von Augen schattenhafter Gestalten waren in der Dunkelheit zu erkennen. Die größten Kreaturen waren die Feuerriesen, die mit einer Höhe von bis zu sieben Schritten fast die Decke des Gemachs erreichen. Zwischen den Riesen, die sich teils auf Decken und Felle niedergelassen hatten, waren kleinere Kreaturen zu sehen. Sie waren menschengroß und muskulös, mit wulstigen Augenbrauen, fliehender Stirn sowie einem Unterbiss, aus dem wildschweinartige Hauer aufragten. Vereinzelt waren zudem Nachtzwerge zu erkennen, deren bleiche Haut mit Venengeflechten durchzogen war und deren Augen bläulich im Feuerschein blitzen. Die Menge war chaotisch, teilweise bewaffnet und euphorisch. Grollende wie grölende Stimmen, Brüllschreie und unflätige Rülpslaute durchzogen das Gewölbe. Ein Bereich nahe dem Feuer war mit wertvolleren Fellen ausgelegt. Dort war ein Thron aus Holz zu erkennen, auf dem Königin Hulda saß. Neben dem Thron standen einige Stühle. Hier hatten sich die beiden Nachtzwerge und engsten Berater von Meister Halbohr, Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub, niedergelassen. Zudem saß dort Neire von Nebelheim mitsamt seinem engsten Zirkel des Tempels - Daera Düsterung und Mordin von Noresfyring. Daera Düsterung saß zur Linken von Neire und war in dunkle, leichte Seidengewänder gehüllt. Sie trug einen roten Umhang. Schwarzes, langes, lockiges Haar fiel von ihrem schönen, symmetrischen Gesicht und umhüllte die weiße Haut ihrer weiblichen Kurven. Sie betrachtete die Menge und sprach angeregt lächelnd mit Mordin und Neire. Zur rechten Seite von Neire saß Mordin von Noresfyring. Mordin war groß gewachsen, scheinbar um die 30 Jahre alt und von athletischer Statur. Die Haut seines Gesichtes glänzte wie frischer Schnee in der Dunkelheit und wurde eingerahmt von rotblonden langen Locken. Grünliche Augen blitzten intelligent in seinem adeligen Antlitz. Neire von Nebelheim hielt einen kostbaren Silberkrug in der Hand und trug seine silberne Krone mit dem großen glitzernden Diamanten, der auf seiner hohen Stirn zu sehen war. Die Krone drückte seine gold-blonden Locken, die mittlerweile über seine Schultern fielen, an seinen Kopf. Dort war sein schönes Gesicht zu erkennen. Die weiße makellose Haut, die großen blauen Augen, die gerade Nase und die hohen Wangenknochen. Der Jüngling war vor kurzem sechzehn Jahre alt geworden und gekleidet in seine kostbare, dunkle Magierrobe. Im schwarzen Samt des Kleidungsstücks blitzten leuchtende silberne Sterne eines fernen Nachthimmels. Dunkle Stellen zogen sich wie Tentakel über Brust und Beinkleider. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug seinen roten Nebelheimer Umhang mit den goldenen Chaosrunen. An beiden seiner Hände blitzten kostbare Ringe.

Neire betrachtete abwechselnd Daera und Mordin, von denen er wusste, dass sie seit langem ein Liebespaar waren. Sie hatten ihn sogar einst eingeladen an ihrem Liebesakt teilzuhaben, doch Neire hatte abgelehnt. Zuviel hatte er zu tun und außerdem fürchtete er sich vor Daera. In seiner kurzen Zeit, in der Lyrismar Schwefelschimmer im Tempel des Jensehers verweilt hatte, hatte er ihn vor Daera gewarnt. Jetzt lächelte Daera sie beide an, sprach dann aber zu Mordin. Neire betrachtete bewundernd ihre okkulten Tätowierungen und genoss ihr Parfüm, das nach Weihrauch und brennenden Gewürzen roch. „Mordin, erzählt doch nochmals eure Geschichte, wie ihr mich einst fandet und wie wir uns das erste Mal liebten.“ Mordins Lächeln kam nicht schnell und wirkte auf Neire etwas gezwungen. Dennoch antwortete er, nachdem er etwas Wein aus seinem Kristallglas getrunken hatte. „Hatte ich sie euch nicht schon einmal erzählt, mein Prophet? Es kommt mir so vor als hätte ich sie bereits jedem erzählt.“ Neire bemerkte, dass Daera ihr Lächeln verzog und für einen Augenblick raubtierhafte Fangzähne in ihrem Mund zu sehen waren. „Wir haben die Zeit Mordin und ich habe die Geschichte noch nicht gehört. War es dort, wo ihr einst aufgewachsen seid? Im Reich unserer Herrin?“ Mordin nickte und als Neire zu Daera blickte, lächelte sie. Ihre Fangzähne waren verschwunden. Ein orkisches Sklavenmädchen schenkte ihnen Wein nach und Mordin begann zu erzählen.

„Es war vor langer, langer Zeit. Vielleicht vor 23 Jahrzehnten? Ich lebte im Schloss meiner Mutter, dem Sitz der Familie Noresfyring. Meine Mutter war und ist Liv, VII. von Noresfyring und sie herrscht von Schloss Schattenflamme. Sie ist Liv, die Hexenkönigin, genannt auch die oberste Schattenflamme. Ich aber hatte eine schwere Kindheit. Doch das soll eine Geschichte für einen anderen Tag sein, mein Prophet. Als ich älter war, durfte ich an den wilden Blutjagden teilnehmen und so fing alles an. Ich liebte den brennenden Schattenwald, mit all seinen Gefahren und den fremden Kreaturen. Ihr müsset wissen, mein Prophet. Schloss Schattenflamme und der brennende Schattenwald liegen auf der fernen Ebene Molgor, im ewigen Reich unserer Herrin Jiarlirae. Als Abkömmling der Noresfyrings war es mein heiliges Recht und meine Pflicht den brennenden Schattenwald zu durchstreifen. Ich tat es mit meinen Gespielinnen, den Konkubinen des Chaos. Sie waren glorreiche Geschöpfe, voll von brennender Gier, zerstörerischer Lust und aufopferungsvollem Hass. Ihre Namen waren Ida, Ylvi und Lyke und sie waren, wie meine Familie selbst, aus alten adeligen Geschlechtern der Blutmark. Geschlechtern, die seit jeher den Schwertherrschern, den alten Chaosgöttern gedient hatten.“

Mordin beugte sich zu Neire und der junge Priester konnte die übermenschliche Hitze spüren, die von Mordin ausging und jeden normalen Menschen verbrannt hätte. Ein Leuchten war in seinen grünlichen Augen zu sehen, als Mordin von den drei Konkubinen des Chaos sprach. Nur das Zischen von Daera brachte Mordins Geschichte ins Stocken. Er hielt für Augenblick inne und der Schimmer in seinen Augen verschwand. Dann fuhr Mordin fort.

„Es war am dreizehnten Tag unseres Streifzuges durch den brennenden Schattenwald, als wir auf die Ruinen der alten Stadt Hagatorm stießen. Ich hatte von der Geschichte der Stadt bereits gehört. Die Herrscher des Waldes hatten im Zentrum von Hagatorm einst die dunkle Pyramide errichtet, um das silberne Feuer des Mondlichtes auf eine ferne Welt hinab zu bringen. Doch wir waren nicht an den Geheimnissen von Hagatorm interessiert, nicht an dem alten Fluch der Stadt. Wir suchten die Lichtung des brennenden Schattenwaldes, den verwunschenen Ort Gladenlys. Wir schritten durch das vergangene Reich und sahen den alten Silberfluch. Die Bäume schrien, denn ihre Wurzeln brannten im Feuer des flüssigen Mondlichtes. Doch da war kein Mond, kein Himmel im Reiche Molgor. Das Feuer ist überall in Molgor und der Himmel selbst ist der brennende Schattenwald. Dann kamen wir an den weinenden See und wir sahen, was aus Gladenlys geworden war. Die Tränen aus Mondlicht waren zu brennendem Quecksilber gewandelt. Wir legten unsere Kleider ab und nahmen ein Bad in den silbernen Fluten. Nur dort im See, nur in den blubbernden Fluten, im Quecksilbernebel, hörten wir ihre Schreie. Wir sahen die Insel und die brennende Esche. Wir schwammen näher und erfreuten uns an ihren Schreien. Es waren die Kinder der brennenden Esche, die dort gefangen waren. Silberne Mondfeen aus der einstigen Welt von Hagatorm. Sie waren die Wurzeln der Esche, wie die Wurzeln der Esche sie waren. Ihre Flügel waren durchsichtig und trugen das Feuer; sie schwirrten beständig, als ob sie ihre Schreie vervielfältigen wollten. Wir gingen näher auf sie zu, die Konkubinen des Chaos und ich. Wir waren fasziniert von ihrer Schönheit, dem Schmerz ihrer in die Ewigkeit gestreckten Vergänglichkeit. Ich wollte nach ihren Flügeln, nach den Wurzeln greifen. Doch die Wurzeln begannen sich zu bewegen und dann stand sie dort. Ich trug damals bereits mein Breitschwert aus Graustahl, geschmiedet von der hohen Inquisition der Blutmark und seit langem in unserem Familienbesitz. Doch ich hatte die Waffe nicht bei mir, war wie meine Konkubinen völlig nackt. Das Wesen aus den Wurzeln kam zu mir und sie sprach. Sie sagte, sie wäre Daera Düsterung, die erste Frau, seit dem Anbeginn der Zeit. Das erste Weib, das aus dem Urchaos geboren ward. Ich war gefangen in ihrem Blick, ihren violetten Augen und in ihren von Quecksilberflammen verzehrten schwarzen Locken. Sie fragte mich wer ich sei, was ich an diesem Ort verloren hätte. Ich sagte, ich bin Mordin von Noresfyring, Sohn der Hexenkönigin, der obersten Schattenflamme. Ich sagte, ich hätte keine Furcht vor ihren schwarzen Lippen, ihren lebenden Tätowierungen und ihren dunklen Krallen. Sie lächelte und fasste mich bei meiner Männlichkeit. Sie zog mich hinein in die brennenden Wurzeln, welche die silbernen Mondfeen waren. Und sie waren um uns herum während wir uns liebten. Da waren die Schreie der auf ewig gequälten Kreaturen und ihre Flügel, die uns sanft berührten. Es war dieser Schmerz, der zärtliche Flügelschlag, der mich dort wie rötlicher Samt umschloss. Die Hitze wollte mich verschlingen, die Feuchte der Flammen anreichern und mich verwelken lassen. Ich spürte ihren Mund und ihre Klauen. In größter Ekstase begann ich die Flügel der silbernen Mondfeen auszureißen. Ihr Klagegesang schwoll zu einem Höhepunkt heran, dann ward der Fluch gebrochen. Daera Düsterung ward befreit von ihrer Aufgabe. Ich war nicht verwelkt, nicht dahingerafft in ihrer Liebkosung. Wir sammelten die ausgerissenen silbernen Flügel und verließen diesen verfluchten Ort. Wie vereinbart brachte ich die Flügel meiner Mutter, die sie für ihre schwarze Kunst benötigte. Doch ab jetzt waren es Daera Düsterung, meine Konkubinen des Chaos und ich, die den brennenden Schattenwald von Molgor durchstreiften.“

Jenseher:
Neire hatte während der Geschichte an Mordins Lippen gehangen. Er hatte sich jede einzelne Szene vorstellen können. Er war fasziniert vom Reich seiner Herrin, von der Urgewalt des Chaos, die dort herrschte. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als einst in dieses Reich zu reisen, um die Welt seiner Göttin selbst zu erleben. Er schaute Mordin und Daera mit bewunderndem Blick an, während er sprach. „Es ist eine solche liebliche Geschichte Mordin. Habt Dank! Ich dachte, ich wäre selbst dort gewesen, als ihr sie erzähltet. Ihr müsset versprechen, mir den brennenden Schattenwald einst zu zeigen, Mordin. Vielleicht reisen wir zusammen mit Daera dorthin?“ Mordin nickte zögerlich, doch Daera blickte Neire begeistert an. „Natürlich werden wir einst dorthin reisen, mein Kind der Flamme.“ Neire lächelte Daera an. Vielleicht sollte die Zeit einst kommen. Nur die Göttin selbst wusste, welche Zukunft auf ihn warten würde. Neire begann sich aufzurichten. Er musste jetzt das Fest eröffnen. Er wusste, dass es den Glanz der Feiern im inneren Auge von Nebelheim nicht erreichen würde, doch die Zusammenkunft hier sollte niemand jemals vergessen. Als Neire seinen Becher erhob und in die Menge der Gestalten blickte, konnte er keine Reaktion sehen. Erst als sich Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub erhoben und mit ihren Waffen auf ihre Schilde klopften, richteten sich die Blicke auf sie und die Stimmen begannen langsam abzuebben. Dann war da nur noch das Knistern der Flammen zu hören und Neire fing an zu sprechen. Seine ersten Worte klangen nervös und leise, zunehmend wurde er aber sicherer. „Horcht her, die ihr hier versammelt seid. Anhänger und Gefolgsleute unserer hohen Herrin, der Schwertherrscherin, der Dame des abyssalen Chaos, der größten unter allen Göttern: Jiarlirae. Wir weihen diesen neuen Tempel in ihrem Namen. Es ist der Tempel des Jensehers, ihr Heiligtum. Wir tun es in Anwesenheit der mächtigen und schönen Königin der Feuerriesen Hulda von Isenbuk. Königin Hulda, alle die ihr folgen und die Anhänger des Tempels des Jensehers huldigen Jiarlirae mit dem Blut eines Kampfes. Schafft die Feuerschale zur Seite und sehet Gruschuk, den Grausamen, aus der Rasse der Hügelriesen.“ Jubelschreie waren zu hören, als Gruschuk sich aufrichtete und zur Feuerschale hervortrat. Mehrere orkische Sklaven begannen bereits die große Glutschüssel zur Seite zu ziehen. Sie benutzten hierfür die Widerhaken der großen Bratspieße. Gruschuk drehte sich im Licht des Feuerscheines, stellte seine Muskeln zur Schau und hob seinen riesenhaften Streitkolben beidhändig über den Kopf. Der junge Hügelriese hatte ein menschliches Vergleichsalter von etwa 14 Jahren erreicht und an einigen Körperstellen bereits Fett angesetzt. Er war fast drei Schritt groß, besaß krauses, schwarzes Haar, das an einigen Stellen schon dünner wurde und ein abgeschnittenes rechtes Ohr. Sein Brüllen erfüllte die Halle, jedoch fingen einige Feuerriesen an zu lachen und spotten. Neire bemerkte die Unsicherheit bei Gruschuk, als der junge Hügelriese in die Gesichter der älteren Feuerriesen schaute. Neire trat jetzt näher zur Mitte und führte seine Rede fort. „Gegen Gruschuk, den Grausamen, kämpfen drei ausgewählte Krieger der Orks. Tretet hervor Oruk, Gornakh und Utnakh und kämpft für den Ruhm Jiarliraes.“ Das Grölen kam jetzt hauptsächlich von den vielen Orks, die zwischen den Riesen saßen. Es traten drei Krieger hervor, von denen zwei Kurzschwerter und einer eine einköpfige Schlachtenaxt trug. Sie waren muskulös, doch lange nicht die stärksten Exemplare im Tempel des Jensehers. Sie trugen, wie auch Gruschuk, Teile von Rüstungen, mit denen sie verschiedene Stellen ihrer Körper geschützt hatten. Als der Jubel verhallte, begann Neire seine Rede fortzusetzen. Die Kontrahenten hatten sich bereits begonnen zu mustern und sich zirkelnd zu bewegen. „Kampf ist Leben, Kampf ist Tod. Kampf ist Chaos und dieser hier ist ein Kampf des Chaos auf Leben und Tod. Die Seelen derer, die heute hier fallen werden, werden in das Reich unserer Herrin eingehen. Sehet also eurer Zukunft glorreich entgegen. Es gibt keine Regeln… nur wer lebend diese Mitte verlässt, soll an diesem Tag mit uns feiern.“ Neire streckte seinen Becher der Menge entgegen, die die Kontrahenten grölend anfeuerte. Gruschuk warf ihm einen letzten Blick zu bevor er sich den Kämpfenden zuwendete. Neire konnte das Wort Freund erahnen, das Gruschuk lautlos über die Lippen ging. Er nickte dem jungen Riesen lächelnd zu.

Er hatte nicht alle Worte verstanden, die sein Freund Neire gesagt hatte. Die Sätze waren so lang, so kompliziert gewesen und einige Worte waren ihm unbekannt. Auch wenn Gruschuk nicht alles hatte deuten können, so hatte er doch die Ankündigung seines Namens gehört: Gruschuk, der Grausame. Er verstand die Bedeutung und lächelte, als er an die Worte seines Freundes Neire dachte. Das höhnende Lachen der Feuerriesen hatte bereits wieder vergessen. Gruschuk zog die Augen zusammen und blickte in Richtung seiner drei Widersacher. Er wollte sie töten und dann zertrampeln. Er wollte den Ruhm des Kampfes für sich. Ja, er würde ihnen keine Gnade zeigen. Er hasste Orks über alles. Sie hatten ihn schließlich gequält, nachdem sein Freund Neire die Feste von Nomrus befreit hatte. Und was waren sie?… sie waren vorher Nomrus‘ Sklaven gewesen. Im düsteren Licht, im Gegröle der Menge, musterte Gruschuk seine Gegner. Ihnen lief wie ihm der Schweiß vom Körper. Gruschuk verlor keine weitere Zeit. Er knirsche mit seinen Zähnen, dann fing er an zu Brüllen und schlug auf den Ork ein, der rechts von ihm stand. Die drei Orks hatten ihn schon umzingelt und er hatte den Kontrahenten mit dem Kurzschwert vor ihm gemustert. Der Ork mit der Schlachtenaxt hatte seinen Angriff nicht erwartet. Gruschuk führte den Streitkolben von links nach rechts in eine Aufwärtsbewegung und traf den Ork im Bauch. Durch die Gewalt wurde die Kreatur zur Seite geschleudert und seine Bauchdecke zerfetzt. Gruschuk sah das Blut aufspritzen und einen Leichnam zu Boden fallen. Seine Wut verstärkte sich. Er blickte jetzt wieder nach vorn auf den Angreifer mit dem Kurzschwert. Angst war in den Augen des Wesens zu sehen, das er um mehrere Köpfe überragte. Doch der Ork mit den verheilten Narben von Peitschenhieben ließ sein Schwert nach vorn schnellen. Gruschuk spürte den Schmerz nicht, als das Kurzschwert in sein Bein stach. Er sah sein eigenes Blut auf der Klinge des Angreifers. Auch spürte er nicht, dass der Ork hinter ihm angriff. In seinem Wutrausch hatte er ihn fast vergessen. Nur als die Klinge gegen seinen Panzer rammte, sagte ihm sein Instinkt, dass dort etwas war, hinter ihm. Gruschuk drängte auf den Ork vor ihm zu, der zurückwich und ein weiteres Mal nach ihm stach. Jetzt hob er den Schienenpanzer des Unterarms und der Schlag prallte harmlos ab. Doch etwas biss sich in seinen Rücken und der Schmerz war groß. Gruschuks Wut explodierte, er fuhr herum, um das zu zertrampeln was dort war. Es war der dritte dieser verhassten Kreaturen, der sich hinter ihm versteckt hielt. Gruschuk rammte seinen Streitkolben in die Brust des Angreifers. Er hörte das Knacken von Rippen und sah den Ork Blut spuken. Dann brach die Kreatur vor ihm zusammen. Doch stach etwas in seinen Rücken, den er unvorsichtig, seinen Gegner missachtend, gedreht hatte. Gruschuk wendete sich abermals um und holte mit seinem Streitkolben aus. Er sah, dass der letzte Ork mit seinem Kurzschwert nach ihm stach. Im gleichen Augenblick. Doch Gruschuk war schneller. Sein riesiger Streitkolben rammte gegen den Kopf der kleineren Kreatur und der junge Hügelriese hörte das Knacken des schweinischen Schädels. Der Ork taumelte tot zu Boden und sein Angriff ging ins Leere. Gruschuk blickte sich um. Er war voll von einer wutentbrannten Gier, einem unersättlichen Gewalthunger. Er spürte nicht die blutenden Schnitte an seinem Körper, hörte nicht die grölenden Jubelschreie der Menge. Er wollte töten, er wollte mehr. Er schritt zu einer Leiche, die er zerschlagen hatte und trampelte mit einem Bein auf den Brustkorb. Blut spritzte auf, als Rippen wie Streichhölzer knackten. Gruschuk stellte sich auf den Ork, dann nahm er dessen Arm und begann zu reißen. Sehnen und Haut wurden zerfetzt, als der blutende Hügelriese den orkischen Arm ausriss. Gruschuk warf das Stück Fleisch in die Menge und brüllte: „Gruschuk siegen, Gruschuk grausam.“ Dann nahm er sich einen weiteren Arm und noch einen und dann einen Kopf. Wieder und wieder brüllte er seinen Namen in Richtung der Feuerriesen. Erst als er die rötlich glühenden Augen in dem von gold-blonden Locken eingerahmten Gesicht sah, den funkelten Diamanten auf der Stirn des Jünglings, hielt Gruschuk ein. Er lauschte den Worten, die sein Freund Neire sprach. Sie wirkten besänftigend auf ihn und lobten seinen Ruhm. Wieder verstand er nicht alle Worte, konnte deren Sinn aber erkennen. „Sehet Anhänger von Jiarlirae. Gruschuk, der Grausame, war siegreich. Er verschonte seine Gegner nicht. Sie haben tapfer gekämpft und ihre Seelen werden in das Reich unserer Göttin eingehen, geheiligt sei ihr Name. Bringt dem Sieger den Kelch, auf dass das Fest beginnen kann.“ Gruschuk brüllte nachdem der Prophet die Worte zur Menge gesprochen hatte. Er hob seinen Streitkolben. Blut und Schweiß tropften ihm in die Augen, die anfingen zu brennen, als er sie rieb. Verschwommen sah er drei orkische Frauen auf ihn zukommen. Sie trugen einen großen silbernen Kelch mit schäumendem Bier. „Trinkt Gruschuk, trinkt Anhänger von Jiarlirae. Heute feiern wir mit Gruschuk, dem Grausamen.“ Gruschuk stieß wieder sein Brüllen aus und nahm den Kelch. Er kostete das Bier, trank gierig. Den ganzen Kelch konnte er nicht in einem Zug trinken, also setzte er ab und ließ ein tiefes Rülpsen von sich. Als er die Augen wieder öffnete sah er, dass die Farben der Fackeln intensiver waren und lange Fäden zogen, wenn er seinen Blick schweifen ließ. Gruschuk spürte eine innere Wärme in ihm aufsteigen. Es konnte nicht nur die Wirkung von Bier sein, doch Gruschuk war viel zu einfältig, dies zu begreifen. Plötzlich war da Neire, der seine Hand nahm und ihn durch die Mitte der Halle führte. Gruschuk hörte die Rufe und die Gesänge der Kreaturen, von denen er glaubte sie würden ihn feiern. Schließlich kamen sie zu einem Fell auf dem seine beiden Gefährten Kulde und Gulgra saßen. Die beiden Hügelriesen waren Geschwister und hatten, wie er, das rechte Ohr verloren. Gruschuk schwankte zwar immer noch, sah aber mittlerweile nicht mehr so verschwommen. Er nickte Gulgra zu und blickte in ihr dickliches, rundes Gesicht, das etwas debil aussah, für ihn aber wunderschön war. Er betrachtete lüstern ihren Körper. Gulgra und er waren schon seit längerer Zeit ein Paar und ihr dicker Bauch deutete an, dass sie sein Kind trug. Für die Feierlichkeiten hatte sie sich ihre beiden geflochtenen Zöpfe mit Knochen verziert. Gulgra war nicht dick, aber ihre bereits zuvor gewaltigen Brüste waren noch größer geworden. Ihr Gesicht und ihr Körper waren geziert von den Narben unzähliger Schnittverletzungen, die ihr von den Orks zugefügt wurden. Doch Gruschuk mochte ihre Narben. Während Gruschuk Gulgra betrachtete, spürte er das warme Gefühl in seiner Lendengegend, als seine Erregung stieg. Jetzt zog Neire ihn zu sich hinab und flüsterte ihm ins Ohr. „Gruschuk, der Sieger nimmt sich was er will. Sie gehört euch und sie ist bereit für euch.“ Gruschuk nickte und folgte den Worten seines Freundes. Er ließ den Streitkolben fallen und riss sich das Fell von seinen Lenden. Er hörte nicht mehr das Lachen der Feuerriesen, sah nicht mehr die Witze und Anspielungen, die sie über die Größe seiner voll ausgebildeten Männlichkeit machten. Er stürzte nach vorn… keuchend und von Schweiß und Blut bedeckt. Es war die Ektase des Kampfes, des Rausches und der Lust, die in ihm tobte. Er bemerkte nicht, dass Gulgra sich dümmlich und ängstlich umblickte, sich ihm anfänglich verwehrte. Als er in sie eindrang, begann er tief und stupide an zu grunzen. Sein Denken setzte vollständig aus, als er in rhythmische Bewegungen verfiel. Er spürte nicht, dass seine Wunden aufrissen, sah nicht sein frisches Blut, das Gulgra besudelte. Gruschuk war reduziert auf die Begattung von Gulgra, bestand nur noch aus seiner Männlichkeit. Gulgra fing jetzt an zu Stöhnen, in einem helleren, heiseren Ton, doch Gruschuk bemerkte es nicht. Um die Liebenden hatte sich eine Traube von Gaffern gebildet. Hunderte Augenpaare von Orks, Feuerriesen und Nachtzwergen glotzten auf das Geschehen. Anfeuerungsrufe waren von Feuerriesen zu hören, ihre Frauen rollten nur mit den Augen, konnten aber nicht ihre neugierigen Blicke abwenden. Im Höhepunkt explodierte die Welt von Farben um Gruschuk. Die Lust überkam ihn im unerreichten Rausch. Sein Liebesmuskel verkrampfte ein letztes Mal und die Welle seiner Gefühle rollte unkontrollierbar davon. Dann wurde es dunkel um ihn. Wie ein nasser Sack brach der junge Hügelriese Gruschuk ohnmächtig über Gulgra zusammen.

Jenseher:
Der erfahrene Feldwebel schlug seinen gewaltigen Ne’ilurum-Hammer gegen die Felswand. Wieder und wieder. Fuldir keuchte und Schweiß lief an seinem riesigen Körper hinab, an dem hier und dort Fettpolster zu sehen waren. Das Fackellicht, das die Diener Jiarliraes hinter ihm trugen, reichte kaum zu ihm heran, so dicht war der Steinstaub. Fuldir blickte sich nicht um und wechselte die Führungshand. Dann schlug er wieder gegen den Stein. Er ächzte und seine Muskeln schmerzten. Doch er gab nicht auf, er durfte nicht aufgeben. Zwei, drei, vier Schläge, er zählte nicht mit. Dann war das Geräusch anders und er verlor fast das Gleichgewicht. Lichtstrahlen drangen vor ihm durch ein Loch und er spürte den Zug kalter Luft. Es roch nach Schnee. Fuldir lachte laut und blickte sich um. Sie alle sahen im Fackellicht sein von alten Kriegsnarben gezeichnetes Gesicht. Die einst eingeschlagene, jetzt schiefe Nase und seine abgebrochenen Zähne. Der Feuerriese mit der kohlenschwarzen Haut und dem kahlen Schädel drehte sich wieder um und schlug zu. Schneller und hastiger. Große Steinbrocken brachen hinaus und das Loch war bald großer als der Oberkörper eines erwachsenen Menschen. Fuldir drehte sich um und trat zurück. Er verbeugte sich vor den Anwesenden, vor dem Prophet des Tempels des Jensehers und seiner Königin Hulda Isenbuk. Dann sprach er. Er unterdrückte sein Keuchen so gut es ging. „Meine Königin, Prophet Jiarliraes, der Weg ist frei. Sehet das Licht, vernehmet die kalte Luft.“ Seine Königin nickte ihm lächelnd zu und der Prophet trat jetzt näher. Das Kind der Flamme kam Fuldir klein und zerbrechlich vor, im Vergleich zu seiner Größe. Doch er hatte bereits von den Kräften Neires gehört, der den heiligen Segen der alten Chaosgöttin Jiarlirae haben sollte. Seine Königin Hulda Isenbuk glaubte jedenfalls fest daran. Neire nickte ihm zu, lächelte und hustete im Staub. Dann sprach der Jüngling, der in seine von Sternen glitzernde Roben und einen Tarnumhang gekleidet war, in der Sprache von Fuldirs Vorvätern: „Hab Dank Fuldir, heute ist ein großer Tag, im Namen von Jiarlirae. Ihr alle habt große Arbeit geleistet. Lasst mich sehen, was auf der anderen Seite liegt und wartet hier.“ Dann schritt der Jüngling an ihm vorbei und bückte sich durch das Loch, durch das mittlerweile Schneeflocken rieselten. Hinter ihm herrschte ein gespanntes Flüstern. Nach kurzer Zeit tauchte das Gesicht von Neire wieder auf. Er strich sich die gold-blonden Locken zurück und sprach feierlich. „Wahrlich, ein besonderer Tag ist heute und wir werden unserer Göttin huldigen. Doch mein besonderer Dank gilt Granrig Hellengrub, der diesen Tunnel plante. Seine Berechnungen waren richtig. Vergrößert das Loch und kommt hinaus, auf dass ihr diesen Anblick ersehen könnt.“ Dann verschwand der Jüngling wieder durch die Öffnung. Bevor die ersten Orksklaven durch die Öffnung huschten, bellte Fuldir barsche Befehle. Er wies sie zum Arbeiten an. Die Sklaven und die jüngeren Feuerriesen. Seiner Königin sollte die Ehre zu Teil werden, dem Propheten zu folgen. Dann würde auch Fuldir hindurchschreiten. Er hatte diesen Tag herbeigesehnt, hatte die Höhlen fast nicht mehr ertragen. Jetzt stand er vor dem Tor zur oberen Welt. Seine Königin hatte ihm erzählt von den Plänen, die der Prophet hatte. Seine Aufgabe als Krieger erwartete ihn. Er wollte dienen und er wollte kämpfen. Er hatte den Krieg und die Gewalt so schmerzlich vermisst.

Als Neire durch die Öffnung getreten war, hatte sein Herz laut und schnell geklopft. Er hatte sich diesen Tag so lange herbeigesehnt. Kurz glitten seine Gedanken in die Vergangenheit. Wie lange hatten sie an diesem Tunnel gebaut? Er wusste es nicht genau. Vielleicht fünf, vielleicht sechs Monate? Das Licht blendete ihn zuerst, dann gewöhnten sich seine Augen langsam an die Helligkeit der Winterwelt. Neire blickte in ein schneebedecktes Tal, über dem bleierne Wolken hingen. Die aufsteigenden Bergflanken verschwanden in der grauen Unterkante des bedeckten Himmels. Gipfel zu den Seiten des Tals konnte er nur erahnen. Ein leichter Schneefall rieselte hinab und begrenzte die Sicht. Trotzdem konnte er hinabblicken auf die weiß bedeckten Dächer von Häusern, die dort auf dem Talboden standen. Er bemerkte zudem das Band eines Flusses, der dunkel und frei von Schnee eine Bahn um die andere Seite des Dorfes zog. Dies musste Wiesenbrück sein, denn er erkannte die Brücke über die Firedra wieder. Zudem sah er das Gasthaus zum alten Nussbaum in der Mitte des Dorfes, wo die jetzt laublose Krone aus dem Dach aufragte. Neire betrachtete seine Umgebung, während er hinter sich das Klingen von Hämmern und Spitzhacken hörte. Immer wieder brachen Felsbrocken hinaus, als sich das Loch vergrößerte. Neire trat durch den knirschenden Schnee zur Seite. Die Öffnung des Tunnels war in der aufsteigenden Bergwand über Wiesenbrück entstanden. Von hier aus konnte man das Dorf gut überblicken. Über dem Tunnel wurde das Gelände steiler und die schneebedeckten Tannen spärlicher. Vor der Wolkendecke konnte man hier und dort schroffe Felsen aufragen sehen. Neire grübelte, als er sich umblickte. Er fing an sich auszumalen, was sie hier verändern würden. Nach einiger Zeit hörte das Hämmern auf und die Königin bückte sich durch die Öffnung, die jetzt größer geworden war. Ihre schweinischen Augen blinzelten in ihrem rattenhaft-spitzen Gesicht. Dann fing Hulda an zu lächeln, strich ihre verfilzten, roten Haare zurück und zeigte ihre fauligen Zähne. Sie fröstelte, obwohl sie sich einige kostbare Felle übergeworfen hatte. „Es ist schön Neire, aber so kalt. Ihr habt nicht zu viel versprochen. Was wollen wir tun? Wollen wir hinab gehen und diese Menschlein zerquetschen?“ Hulda lachte, als sie den Satz beendete. Weitere Feuerriesen drängten hinaus und gaben überraschte Rufe von sich. Der junge Riese Redebald schritt auf eine Tanne zu und sagte erstaunt. „Schaut her, ein weißer Baum.“ Dann begann er die Tanne zu schütteln, so dass er plötzlich von Schnee bedeckt wurde. Als er verdutzt zurücksprang und sich prustend schüttelte, war das Gelächter groß und Redebald verzog beleidigt sein Gesicht. Neire drehte sich zu den Erschienenen und sprach: „Wählt Wachen aus, die den neuen Tunnel beschützen. Wir werden nach Wiesenbrück gehen und uns die Stadt nehmen. Sie gehört ab diesem Tag unserer Göttin Jiarlirae und soll zu ihrer Ehre neu benannt werden.“ Die Feuerriesen und einige Orks hoben jubelnd ihre Waffen. Dann wählte Fuldir die Feuerriesen aus, die ehrenhaft ihre Pflicht der Wacht am Tunnel entgegennahmen. Sie brachen umgehend auf und stiegen durch den verschneiten Wald hinab. Sie schritten hinab nach Wiesenbrück mit grimmigen, entschlossenen Mienen und gezogenen Waffen.

~

„Sind es alle Bewohner, seid ihr euch sicher Eirold? Bedenkt eure Worte gut, denn ich toleriere kein falsches Wissen und erst recht keine Lügen.“ Neire blickte dem Dorfvorsteher Eirold Mittelberg in die Augen. Er selbst war etwas größer als der schlanke Mann mit dem Pferdeschwanz, den er auf etwa 60 Winter schätzte. Schneeflocken legten sich immer wieder auf das dünne graue Haar, unter dem Neire die Kopfhaut von Eirold sehen konnte. Angst war dem Dorfvorsteher anzusehen, der mit seinen stahlblauen Augen hastig die Riesen musterte, die die Menge mit gezogenen Waffen bedrohten. Sie waren hier auf dem kleinen Platz vor dem Gasthaus Zum alten Nussbaum zusammengekommen – Männer, Frauen und Kinder. Vielleicht an die vierzig bis fünfzig Familien, die in Wiesenbrück lebten. Neire erinnerte sich zurück an die Geschichte, die ihm einst Zussa erzählt hatte. Die Geschichte der Totenfeier im Gasthaus. Der anschließend durchzechten Nacht von Bargh mit seinen beiden Gespielinnen. Er hatte auch die Jäger nicht vergessen, von denen Bargh einen am nächsten Morgen niedergemacht hatte. „Ja, soweit ich es sehe… es sind alle, Prophet. Bis auf einige Jäger, die sich auch in den Wintermonaten in die Berge wagen… ich weiß nicht wann sie zurückkommen, sie haben dort ihre Jagdhütten.“ Die Stimme des alten Mannes zitterte, als er sprach. Neire spürte, dass er die Wahrheit sagte. Jedenfalls glaubte er es. Er ließ ab von Eirold und drehte sich zur Menge, zu der er trat. „Bürger von Wiesenbrück. Wir sind hier zusammengekommen an einem großen Tag. Es ist der heutige Tag, an dem ich, Neire von Nebelheim, aus den Tiefen der Erde hervorgetreten bin. Ich habe die Flamme aus der Dunkelheit geholt, die Flamme, die auf ewig mit den Schatten vereinigt sein wird. Es ist das Feuer und die Düsternis, die durch mich sprechen, die Worte meiner Herrin, der Schwertherrscherin Jiarlirae. Ich bin ihr Prophet und ich bringe euch Ruhm, Reichtum und eine glorreiche Zukunft.“ Neire hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Menge, die begann zu tuscheln. Rauch stieg aus den Kaminen uriger Häuser und der Schneefall hielt an. Die Feuerriesen überragten den Platz wie Kolosse. Einige waren größer als die verzierten Giebel der Häuser. „Bürger von Wiesenbrück. Heute bin ich gekommen als Kind der Flamme, als Reisender in einem Meer unendlicher Wege und Möglichkeiten. Ich frage euch, wollt ihr mich begleiten auf meinem tausendjährigen Gang durch diese schwindende Welt, auf der ihre Flamme uns zu den Geheimnissen ihrer Schatten führt. Wollt ihr mich begleiten und euch Jiarlirae widmen, mit all eurem Streben und all eurem Sehnen? Schließt euch mir an und wir werden gemeinsam beten. Die Wahl jedoch ist eure. Tretet jetzt hervor, wenn ihr zweifelt an ihr, deren geheiligter Name Jiarlirae ist.“ Kein Jubeln war zu hören, nur das Schreien einiger Kinder. Zu groß war die Angst der einfachen Menschen. Neire fragte sich, wieso sie ihm nicht zujubelten. Wieso sie den Ruhm der Göttin nicht freudig empfingen, sich nicht mit all ihren Herzen ihr zuwendeten. Als eine Windböe den Schnee von den Dächern pfiff, hörte Neire die Stimme von Eirold hinter sich. Er drehte sich langsam um und sah, dass der Dorfvorsteher niedergekniet war und auf den Boden blickte. „Seht, Bürger von Wiesenbrück. Er ist mit den Riesen des Feuers gekommen und sie haben uns nicht getötet, noch haben sie uns ausgeraubt. Sie gehorchen ihm, dem Kind der Flamme. Es muss diese wahre Macht sein, die ihm seine Göttin gibt. Ich, Eirold Mittelberg, erkenne sie an. Seine Göttin soll die meine sein. Ich werde ihr treu dienen und ihr, Bürger von Wiesenbrück, solltet es mir nachmachen. Heil Jiarlirae!“ Neire lächelte Eirold zu, obwohl der ältere Mann noch seinen Kopf gesenkt hatte. Einige Bürger traten nun hervor, senkten die Knie und wiederholten die Heilsbekundungen. Neire frohlockte innerlich, bis die heisere Stimme einer Frau die Luft zerschnitt. „Ich werde mein Knie nicht beugen, bei den alten Göttern, bei Torm, dem Wächter und Walldung, dem Einäugigen. Es war diese Göttin, die mir meinen Jungen genommen hat, meinen Siguard.“ Ein Raunen ging durch die Menge, als die Frau, die sichtlich betrunken war, stolperte. Sie hatte ein eingefallenes Gesicht, ergraute lange Haare und glasige Augen. Hinter ihr war ein dürrer Mann erschienen, der ihr aufhalf. „Schweigt, Runa!“ Rief Eirold und fuhr erklärend fort: „Siguard ist tot und er hat bereits Unheil über eure Familie Einhand gebracht. Lasset die Toten ruhen, Weib!“ Jetzt sah Neire, dass Eirold auf die beiden zugehen wollte, um sich einzumischen. Er hob seine Hand und Eirold verstummte. „Lasst sie reden Eirold. Lasst sie ihr Anliegen vorbringen… Sagt Runa, glaubt ihr nicht an IHRE Macht? Misstraut ihr dem Kind der Flamme, dem Propheten Jiarliraes?“ Runa wurde jetzt von dem Mann gestützt, der ihr gefolgt war. Er war nicht wesentlich jünger als sie. „Eure Göttin hat genug Unheil über meinen Sohn gebracht. Nein, ich glaube nicht an ihre Macht und werde mein Knie nicht beugen.“ Neire sah, dass auch der Mann mit dem Ansatz einer Glatze nickte. „Seid ihr auch ihrer Meinung? Wie ist euer Name.“ Der Mann wollte zurücktreten in die Menge, doch Runa blickte ihn vorwurfsvoll an. „Osbart ist mein Name, mein Herr. Der Osbart Einhand, der sein Knie nicht beugen will.“ Neire schritt jetzt in die Mitte der Menge und blickte sich um. Es schneite noch immer und die Feuerriesen wurden unruhig. Einige zitterten bereits vor Kälte. „Es wird ein Gottesurteil geben. Wir werden sehen, auf wessen Seite die Macht steht. Wer den Segen Jiarliraes hat.“

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