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Werden Indy-Regelsysteme überhaupt "korrekt" gespielt? (s. Erklärung)

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Radulf St. Germain:
Es gibt Systeme wie DnD (vor allem 3e), da wurde am Tisch und in Foren über kleinste Details der Regeln diskutiert. Es gibt Leute, die waren echte Experten, ich erinnere mich an einen Post, in dem jemand alle(!) Statblocks des Monster Manuals verbessert(!) hat, weil sogar WotC bei kleinen Details wie Skillboni etwas handgewedelt hat.

Sowas kann man gut finden oder nicht. Mir war es irgendwann zu viel aber ich empfinde es trotzdem als legitimen Teil des Hobbies. Mittlerweile bin ich bei regelleichteren Systemen und komme zu meiner Observation und damit zu Frage.

Bei kleineren Systemen (die oft eher regelleicht daher kommen), stelle ich manchmal fest, dass Leute Dinge gut oder schlecht finden, bei denen ich zu anderen Schlussfolgerungen komme. Es gibt Systeme die finde ich unspielbar, andere finden sie toll und flüssig. Es gibt Mechaniken die finde ich toll, andere bemängeln aber das Fehlen einer Lösung für das entsprechende Problem.

Bislang habe ich das als Geschmacksfragen verstanden aber mittlerweile frage ich mich, ob es nicht daran liegt, dass manche Systeme von Ihren Käufern gerade ein bis zweimal gespielt werden und dann vielleicht auch Teile des Buchs nie gelesen wurden und mit "Hintergrundwissen" des Käufers gefüllt wurden. Das ist völlig OK für mich (vor allem wenn mich das Setting mehr interessiert als neue Regeldetails), aber ich finde einfach die Frage interessant und wollte wissen, ob auch andere den Eindruck haben.

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Damit es konkreter wird, vielleicht ein paar Beispiele:

Bei vielen PbtA Systemem die ich gespielt habe, hatte ich das Gefühl, ich bekomme eine "Best of" aus verschiedenen Systemen. Ein gutes Beispiel ist World-Wide-Wrestling. Ich habe nur Blicke in das Buch geworfen, aber mir scheint es dort PvP-Regeln und komplexe Wrestling Moves zu geben. Am Tisch geht es oft nur darum, dass man beschreibt wie man mit fetziger Musik in die Arena einläuft und den anderen Ringer dissed. Als jemand der sich kaum mit Wrestling auskennt ist das auch gut so. Aber das eigentliche Spiel spielt man dann nicht.

Passion de las Passiones - ich glaube in diesem System (das übrigens sehr geile Mechanismen hat) steckt mehr als was ich gesehen habe. Ich könnte mit meiner aktuellen Erfahrung gar nicht sagen, ob ich es gut oder schlecht finde.

Dungeon World - ein System, das ich als einziges PbtA-System gut durchgelesen habe. Es scheint in einigen Punkten vom "typischen" PbtA abzuweichen, ich glaube viele Spieler kennen PbtA, haben ein paar Kernregeln gelesen und spielen dann halt mit dem allgemeinen Wissen zu PbtA.

Cowboy Bebop - habe ich (als Spieler) einmal gespielt aber mir schien es so als hätte der SL viel seltsames Regelwerk weggelassen.

Wie gesagt - nichts gegen Hausregeln. nichts gegen System-Hopping. Meine Frage ist aus rein akademischem Interesse.  :)
 

Megavolt:
Ein sehr inspirierender Gedankengang.   :d

Es gibt definitiv eine Art Rezeptions-Skala, und wenn auf dieser nicht ein gewisser Mindestwert erreicht wird - sagen wir mal eine Mindestmenge an Lesern oder ein Mindestmaß an Kommunikation - , dann sind die Texte einfach nur sehr mangelhaft erfasst.

Sowas fühlt sich immer irgendwie schade an, aber die Texte sind gleichzeitig auch anschlussfähiger und freier. Mein Beispiel wäre hier das "Landhaus-DSA der mittleren 80er", bei dem jeder ein Autodidakt war und normalerweise exakt ein (1) Rezipient die Texte gelesen hat und sie sich zusammenreimen musste (maximal gemeinschaftlich die Spielgruppe (1W6)) im Gegesatz zum "dsa4forum-DSA" oder zum "Alveransforen-DSA", wo die Leute ihre dekandenlang gewachsenen Gedanken aneinander geschärft und definiert haben.

Im einen Fall macht man mit dem Text, was man selbst will, im anderen Fall macht man, was andere wollen. Die Vor- und Nachteile der beiden Varianten sind ja offensichtlich. Das eine ist individueller und passgenauer, das andere ist reichhaltiger und vollständiger. Das eine ist eigenbrötlerischer, das andere ist verstiegener. Und so weiter.

Sachlich "korrektes Spiel" ist in meinen Augen vielleicht eine falsche Kategorie, denn das gibt es nicht. Das sind immer hermeneutische Zirkel, also Kreisbewegungen zwischen Texten und Lesern (bei denen sich vor allem die Anzahl und die Taumeligkeit der Kreiselungen unterscheiden).

Oder anders gesagt: Niemand versteht je einen Text zur Gänze, alle Rollenspiele werden falsch gespielt.  ~;D

Yney:
Eine interessante Fragestellung.
Ich finde Megavolt bringt das schön auf den Punkt.

Egal wie sehr man sich bemüht, die eigenen Regelideen (ich versuche es mal hier aus Sicht einer Indie-Schreiberin) in kleine schwarze Zeichen auf weißem Papier fest zu zurren. Da werden immer Missverständnisse entstehen bzw. eine Stufe weiter geht jemandem das, was er oder sie zu verstehen glaubt, gehörig gegen den Strich. Andererseits ist es doch schön, dass da immer Interpretationsspielraum bleibt. Sonst wäre alles per Computer simulierbar. Und so viel Spaß manche solche Umsetzungen machen: Am Tisch mit Freunden ist es eine andere Sache.

Da ich mein eigenes System spiele vielleicht noch eine weitere kleine Anmerkung: Ich selbst spiele es auch nicht in jedem Aspekt so, wie ich es aufgeschrieben habe. Oder umgekehrt: Ich kremple das Druckwerk nicht „schon wieder“ um, nur weil ich irgendeine Kleinigkeit im Alltag dann doch anders handhabe.

Was ich mich dabei Frage: Wie sehr mag einer der Schreiber von D&D, DSA oder einem anderen großen System schmunzeln, wenn er manche knallharte Regeldiskussion in einem Forum wie hier verfolgt?

Hotzenplot:
Ich kann zumindest für mich beantworten, dass es mir ähnlich so gegangen ist, wie Radulf es beschrieben hat:

"Ah, übermorgen schnell ein OneShot mit Indygame XY leiten - dann ziehe ich mir das schnell mal rein." Sowas in der Art kommt bei mir öfter vor. Zuletzt zum Beispiel auch mit dem Test von Eat the Reich. Ich hatte in der Vorbereitung insgesamt vielleicht zwischen 3 und 4 Stunden Zeit. Beim Test ist mir schon aufgefallen, dass ich das ein oder andere Detail vergessen/übersehen habe.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es bei regelleichten Systemen nicht so gravierend ist, wenn jemand oder mehrere am Tisch keine große System Mastery haben. Spontane Änderungen sind oft leichter und die Folgen für das System/die Runde sind besser absehbar.

Ob deshalb im Umkehrschluss Nicht-Indies "korrekter" gespielt werden, wage ich zu bezweifeln. Ich sage ja immer: Nur Chuck Norris spielt DSA 4.1 mit Reiterkampfregeln. ^^

nobody@home:
Ich würde vielleicht sagen, daß es in regelleichten Systemen gerade besagter Leichtigkeit wegen von vornherein weniger "Korrektheit" gibt. Da habe ich dann einfach schon per Definition nicht so viel an Regel-Klein-Klein, das unbedingt in allen Einzelheiten akribisch beachtet und eingehalten werden will, damit das Spiel bitteschön genau nach ISO-Norm rund laufen kann, und entsprechend sind dann gewissermaßen auch die Ansprüche niedriger.

Entsprechend vermute ich denn auch, daß es wohl eher die Schreiber solcher Systeme sind, die über hitzige Regeldiskussionen schmunzeln, während die der "großen" Namen mit den komplexen Regeln ihrerseits mehr zu einer gewissen Verbissenheit im Detail neigen mögen -- na ja, entweder das, oder sie verwenden einen guten Teil ihrer "eigenen" Regeln privat sowieso nicht, was sie dann aber ohnehin durch die Hintertür wieder ein Stück näher an die erstere Kategorie bringen würde. ;)

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