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proaktives Rollenspiel - nur ein neuer Begriff für eine alte Thematik?(Sandbox)
Yney:
--- Zitat von: Murphy am 5.09.2024 | 08:28 ---Ich habe lieber Geschichten, die in der Welt geschehen und auf die die SC reagieren können. Da wir ihre Geschichte erzählen, sind sie automatisch Mittelpunkt davon. Aber, dass sich die Welt so anpassen muss, damit die Geschichte möglichst egozentrisch wird, verstehe ich nicht. Weder als SL, noch als Spieler.
Und ja, ich schicke auch keine Gruppe von Piraten auf eine One-shot-Wüstenexpedition, aber es gibt Geschichten zu erleben und als welcher Charakter du da hineinstolperst ist tatsächlich Zufall (wie im Leben) und nicht so wichtig. Du löst die Probleme mit den Fähigkeiten, die dir gegeben sind. Wie auch sonst?
--- Ende Zitat ---
Das bringt es auch für meine Spielweise wunderbar auf den Punkt. Die Welt ist da und natürlich überlege ich mir Ansätze, die den Spielern einen Einstieg in eine Geschichte bieten könnten, ich zimmere diese aber nicht auf die Fähigkeiten eines Spielers hin. Meine Erfahrung lehrt mich: Die Ansatzpunkte da mit ihrem Möglichkeiten zurecht zu kommen, finden die Spieler ganz von alleine. Das beinhaltet natürlich immer auch, dass sie ein Problem eben nicht lösen oder sich einer Situation nicht stellen. Ein Beispiel dazu:
Eine relativ neue Gruppe suchte Nachts Schutz vor dem Regen in einer teils verfallenen herrschaftlichen Villa. Da geschahen dann so manche leise aber doch gruselige Dinge. Ein Spieler meinte dann: „Also ich weiß ja, dass du da wohl eine Geschichte versteckt hast. Aber mein Charakter würde jetzt am liebsten einfach nur davonrennen." Darauf meinte ich: „Spiel ihn, wie du das willst.“ Und er: „Waaaaaaaaahhh!“ und die anderen hinterher. Wir haben herzlich gelacht (und damit die gruselige Anspannung aufgelöst) und die Spieler hatten sich ein Stück weiter in ihre Figuren eingefühlt – ein schöner Spieltag.
Denn im Sinne von Boba Fett ist eine neue Spielfigur vielleicht in ihren Daten klar angelegt, aber der Charakter ist deshalb noch lange nicht fertig. Ich tendiere darum auch dazu zu Beginn nicht all zu viel an Dingen zu Letzterem festzulegen. Der Spieler hat eine Vorstellung, aber die kann und wird sich im Verlauf des Spiels ändern. Gerade das ist doch eine ungemein spannende Geschichte.
Ob das nun „neu“ proaktiv ist oder „alt“ eine Sandkastenvariante, traue ich mich nicht festzulegen.
Tudor the Traveller:
--- Zitat von: Namo am 6.08.2024 | 09:22 ---Kurz vorm Urlaub wird mein Kopf scheinbar
Im Kern ist der Ansatz eigentlich der, dass sich alles um die Charaktere und ihre Ziele dreht. Die Spieler definieren hierbei (kurz-, mittel- und langfristige) Ziele ihrer Charaktere und darum dreht sich dann eigentlich die ganze Runde. Der SL wiederum hat die Aufgabe Hindernisse zu den Zielen zu bauen bzw. letzten Endes die Abenteuer hierzu zu gestalten. D.h. ein wenig liegt die Arbeit insofern bei den Spielern, als dass sie quasi vorgeben, was sie als nächstes spielen/angehen möchten und der SL kann sich dann daran machen und das Szenario ausarbeiten oder eben improvisieren.
--- Ende Zitat ---
Wenn das die Kernaussage dieser Herangehensweise ist, habe ich meine Zweifel, dass das in der Praxis gut funktioniert.
Für ein längerfristige Spiel benötigt jede Gruppe ein verbindendes Element. Das liefert für die Gruppen, die ich kennengelernt habe, meistens der Plot. Weil die SC da mal mehr mal weniger zufällig mit konfrontiert sind als diejenigen, die das Problem lösen müssen. Und dafür sind die in der Regel aufeinander angewiesen.
Wir kennen dabei alle diese Diskussionen, wie jetzt Paula Paladin ausgerechnet mit einem Dieb und einem Barbar durch die Gegend ziehen sollte. Die imo häufigste Lösung ist dabei, dass sie anfangs eben im gleichen Boot sitzen und sich zusammen raufen müssen. Danach kennt man sich und es läuft eigentlich ganz gut, also macht man weiter, man hat ja eh nichts besseres vor. Oder die Kampagne lässt einen gar nicht aus dem Boot raus.
Wenn jetzt individuelle Charakterziele die Handlung treiben, braucht es ein solches verbindendes Element. D.h. imo, dass es ein übergeordnetes gemeinsames Ziel oder eine andere Verbindung geben muss (z.B. ein Versprechengegenseitiger Unterstützung). Anderenfalls wüsste ich nicht, warum die Gruppe der SC zusammen bleiben sollte. Und da bin ich skeptisch, dass sich so ein verbindendes Element nicht schnell konstruiert anfühlt.
--- Zitat von: Issi am 5.09.2024 | 07:08 ---1. Um wen soll sich das Ganze denn sonst drehen, wenn nicht um die SC?
Das jetzt als besonders spektakulär zu hypen, kann ich mir nur so erklären, dass es da draußen noch immer genug Spielleiter gibt, (die sich in ihre Abenteuer verlieben), und für die die Figuren ihrer Spieler austauschbar sind.
Das muss auch gar kein böser Wille sein, schließlich funktionieren viele Kaufabenteuer genau so.
Das Abenteuer steht, die Figuren sind austauschbar.
--- Ende Zitat ---
M.E. sind in den allermeisten Geschichten die Figuren ziemlich austauschbar. Nimm mal den Herrn der Ringe. Weder für Frodo noch irgendwen sonst stehen persönliche Ziele im Vordergrund. Klar, ein paar Dinge wären mit anderen Figuren nicht möglich, z.B. die Sache mit Aragorn und Gondor. Aber die wesentliche Handlung wäre imo auch mit anderen Figuren sehr ähnlich.
nobody@home:
Daß eine Gruppe von Charakteren, die längerfristig zusammen gespielt werden wollen, besser auch ein paar gemeinsame Gruppenziele haben sollte, ist mMn einigermaßen trivial. Das läßt sich aber mit Spielern, die auf gemeinsames Spiel mit genau diesen fiktiven Typen Wert legen, normalerweise (klopf auf Holz) auch recht einfach arrangieren.
Das bringt mich auf zwei Punkte, um die es meinem Verständnis nach beim "proaktiven" Spiel per Voreinstellung gerade nicht gehen sollte:
1.) Triviale Erfüllung von Charakterwünschen. Abgesehen davon, daß das Charaktere und Spieler in einen Topf wirft, dann kräftig umrührt und dabei geflissentlich ignoriert, daß Spieler und Charakter ja von vornherein schon durchaus unterschiedliche Ziele haben können, lebt "Abenteuer" ja gerade von den Problemen, mit denen es so ein Protagonist zu tun bekommt, während er andere Absichten verfolgt.
2.) Zuschanzen von möglichst viel Spotlight an Rampensäue oder SL-Favoriten. Das ist eine Falle, in die ich als SL im Prinzip tappen kann, wenn ich einen zu starken Tunnelblick speziell auf die Interessen einzelner Spieler entwickle und darüber aus dem Auge verliere, daß der Rest der Gruppe ja auch noch mit am Tisch sitzt. Es ist aber schon einigermaßen wichtig, daß die Spielgruppe (SL eingeschlossen) als Ganzes ein paar gemeinsame Vorstellungen davon hat, wo die Reise hingehen soll.
Dabei kann "Warten wir mal ab, mit was für einem Abenteuer die SL uns als nächstes bewirft" als gelegentliche Spielerstimmung absolut ganz unproblematisch sein. Schwierig wird das proaktive Spiel aber dann, wenn entweder die Spieler über eine zunehmende Zahl an Sitzungen nie etwas anderes wollen oder aber die SL nie etwas anderes zuläßt.
Namo:
--- Zitat von: Murphy am 5.09.2024 | 08:28 ---Diese «neue» Art des Rollenspiels geht weiter als die Sandbox, da sie nicht nur offen ist (im Stile von: hier Sandkasten, gehe hin, wo du willst und tue, was du willst). Sie sagt sogar: Du willst einen Drachen zähmen? Dann ist da natürlich ein Drache. Was für ein Drache soll es denn sein? Are you happy, yet? Oder du willst ein mächtiges Artefakt wiederfinden? Selbstverständlich kannst du das Höhlensystem erkunden und am Ende den magischen Kristall finden. Bei mir ist es dann aber so: In der Zwischenzeit trägt leider niemand den Ring nach Mordor und die Welt geht unter.
--- Ende Zitat ---
Nein, ganz so ist das ja eben gerade nicht aufgebaut. So wie ich es verstanden habe - und ich muss das Buch eben auch nochmal lesen - ist die Idee ja geteilt und dennoch verwoben mit einer etwaigen Kampagnenhandlung. Als extrem verkürztes Beispiel zu deinem Beispiel um es etwas verständlicher zu machen:
Das Ziel des Charakters ist einen Drachen zu zähmen. Das wäre das Endziel - darauf arbeitet der Charakter also hin. Das würde er dann also mit Stufe 15 oder 20 z.B. erhalten. Auf dem Weg dorthin muss er aber erstmal genügend Zwischenziele erreichen bzw. dann auch definieren.
Also z.B. Wo finde ich eigentlich einen Drachen? Wie mache ich das überhaupt etc.? Das heißt der vom Spieler definierte Zwischenschritt 1 könnte sein, dass er erstmal Bibliotheken/Gelehrte oder ähnliches mit Hinweisen zu der Thematik besucht.
Jetzt findet er einen Hinweis, dass Bibliothek XY angeblich ein Buch darüber hat. Er kommt dort an und sie ist niedergebrannt von Orklplünderern whatever. Er erfährt, dass der Gelehrte XY wohl von den Orks verschleppt wurde und das Wissen aller Bücher im Kopf hat. Er versucht ihn zu retten und findet heraus, dass es den "bösen" Schurken Z gibt, der das Land erobern möchte und dazu selbst einen Drachen beherrschen möchte, da dieser die ultimative Waffe ist. So verwebt sich dann der Hintergrund des Charakters mit dem eigentlichen Kampagnenhintergrund.
Ähnlich werden dann die Geschichten der anderen Charaktere verwoben. Als Beispiel wurde im Buch z.B. genannt - ein Charakter hat ein altes Familienartefakt von dem aber keiner weiß was es genau ist und wie es funktioniert. Aber es ist voller Magie und der Charakter möchte in einer Bibliothek etc. etwas hierzu heraus finden und so hat auch er Interresse daran den entführten Gelehrten zu finden (im Buch ging es im Beispiel konkret um den einen Ring und Frodo. Im Rollenspiel wäre es viel mehr darum gegangen heraus zu finden was denn dieses Artefakt ist und was es kann. Und das als Endziel für den Charakter).
Ich kann das natürlich nicht ganz so darstellen wie im Buch. Dort hat sich das halt auch einfach viel organischer gelesen wie man das umsetzen und leben kann. Eben nicht unbedingt nach Charaktersandbox wie es sich hier ein wenig liest, sondern dennoch auch mit einer Kampagne/Geschichte bei der auch der SL Spaß hat. Denn der soll imho ja schon auch seinen Spaß haben und nicht nur Unterhalter der Spieler sein.
Und es geht nicht darum den Spielern alles ihre Allmachtsfantasien und Wünsche zu erfüllen. Sie sollen etwas dafür tun. Der Weg definiert sie auch weiter als Charaktere.
--- Zitat von: unicum am 5.09.2024 | 09:38 ---Ich denke bei dieser Art zu spielen ist es noch wichtiger als bei anderen Spielarten das die Gruppe einfach passt.
--- Ende Zitat ---
Das sehe ich auch als unbedingt wichtig an. Denn zwangsweise wird ja der ein oder andere Charakter an bestimmten Abend ein vermehrtes Spotlight haben bzw. es muss auch die Notwendigkeit geben, sich mal einem Charakter anzuschließen als Gruppe und ihn zu unterstützen bei seiner Queste. Das muss dann von den Spielern her aber eben auch den Charakteren her passen.
Namo:
--- Zitat von: Sphinx am 5.09.2024 | 09:16 ---
Tja wenn ich nicht schon mal so geleitet hätte und es schlechter funktioniert hat als "klassisch" zu Leiten. Ich bin allerdings sicher das es gut funktionieren kann Proaktiv zu spielen. Nur sind meine Spieler nicht dafür geeignet bzw. wollen nicht ihre Komfortzone verlassen. Zwar haben deren Charaktere zwar Ziele, aber sie versuchen sie irgendwie nicht richtig zu verfolgen.
Als ich meine ersten Gehversuche als DM hinter mir hatte, hab ich eine neue Gruppe gestartet. Die hatte ich von Anfang an Proaktiv geleitet, hat auch ganz gut funktioniert. Nur irgendwann haben die Spieler die Lust an ihrer eigenen Story verloren und wir haben gemeinschaftlich neu Angefangen, ein vorgefertigtes lineares AB zu spielen. Wo die allgemeine Meinung war das es so schöner ist zu Spielen.
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Ich Plane aber für vermutlich nächstes Jahr eine dritte Runde aufzubauen. Dort will ich die PF2 Königsmacher Kampagne Leiten. Die kann man als Sandbox mit Checkpoints auslegen und bietet sehr viel Platz für Proaktives Rollenspiel mit einem Mantel einer vorgegebenen Story. Ich hoffe das ich dort das beste aus beiden Welten Kombinieren kann. Dort werde ich dann auch entsprechende Sorgfalt bei der Spielerauswahl walten lassen. Damit ich Spieler habe, die eben Spaß dran haben ihren Charakter Proaktiv zu spielen. Bin sehr gespannt wie das Experiment ausgeht.
--- Ende Zitat ---
Das kann ich sehr gut nachvollziehen und mache ähnliche Feststellungen auch schon bei meiner Gruppe. So sind das nur drei Spieler - was der Sache natürlich enorm hilft - aber jeder komplett unterschiedlich. Tatsächlich schätze ich die z.B. so ein, dass die auf Sandboxspiel überhaupt keinen Bock haben, da ihnen etwas definierendes fehlen würde. Die mögen eine durchgängige Handlung. In die sie zwar selbst eingreifen und Dinge bewegen können, aber sie mögen die durchgängige Story. D.h. letzten Endes hätten die mit railroading Szenen auch wenig Probleme so lange sie gut sind. So lange es auch in der Charakterwelt irgendwie logisch erscheint, haben sie auch für sich keine Probleme damit, als Gruppe gemeinsam ein Ziel zu verfolgen, auch wenn es vielleicht Charaterplots gäbe die eigentlich wichtiger wären.
Ich hatte es an anderer Stelle schon geschrieben - zwei Charaktere sind jetzt mehr mit ihrem Hintergrund miteinander verwoben und ihre Spieler finden das ziemlich gut und folgen der Story nun. Der dritte im Bunde hätte eigentlich auch seine eigenen Themen, spielt seinen Charakter aber umgekehrt auch so aus dass es passt. Von der Hintergrundgeschichte spielt er einen Elben und dieses Volk ist in meinem Setting extrem selten und eigentlich auch nicht gerne gesehen von der menschlichen Bevölkerung. So ist es für seinen Charakter so, dass er für sich Freunde in den beiden anderen Charakteren gefunden hat und seine Ziele erstmal den Zielen seiner Freunde unterordnet. Und das wirkt stimmig und macht Spaß.
Am Ende versuche ich aber genau das zu machen, was du als nächstes angehen möchtest. Sämtliche Charakterziele sind verwoben mit dem großen Hintergrund der Kampagne, so dass noch eine "übergeordnete" Haupthandlung existiert, die "neutral" ist und als gemeinsames Partyziel betrachtet werden kann ohne dass es explizit um den Hintergrund des einzelnen Charakters geht. Denn nur rein Charakterhintergründe auszuspielen halte ich ab einem gewissen Punkt dann auch wieder für schwierig bzw. nicht ganz so spannend. Wobei das Buch hier in die Richtung viel klarer ist und eben nicht trennt und sagt dass es nur um die Charakterhintergründe geht. Es soll eben auch um eine gemeinsame Geschichte gehen, denn sonst wird es z.B. schwierig alle betreffende und berührende Antagonisten zu schaffen.
Zumindest dürfte das in meiner Runde so sein. Ich bin gespannt wie in die Richtung die nächsten Sitzungen laufen werden. Gerade die übernächste Sitzung wird z.B. sehr stark in Richtung proaktives Rollenspiel gehen und ich bin gespannt wie es werden wird und die Spieler darauf reagieren werden.
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