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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise

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Bei meinen Bestrebungen, die Hausregeln für mein anderes Werewolf-Projekt (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,128863.msg135237385.html#msg135237385) weiter zu playtesten, ist gerade dieser Spielbericht hier entstanden. Der ist jetzt quasi ein Nebenprodukt für dieselbe Kampagnenwelt, und gefällt mir für sich genommen auch ziemlich gut! Während die andere Story in der Wikinger-Ära spielt, nimmt diese Geschichte hier den Faden wieder auf in der modernen Ära. Ich stelle das einfach mal mit hier rein, mal gucken, was da draus wird! 'Wyldreise' nenne ich diese Chronik mal (nach einer Story von früher, die ich mit meiner damaligen Spielergruppe angefangen hatte, wo es auch um die halbe, wylde Welt gehen sollte)!

Die Grundideen und Hausregeln sind weitestgehend dieselben wie bei dem anderen Werewolf-Spielbericht (für die Garou ist mit anderen Worten vieles gleich gelieben seit der legendären Zeit der Wikinger!).

Diese Bücher hier sind hauptsächlich am Start für den Setting-Hintergrund und als Ideengeber:


Werewolf: The Apocalypse Revised Edition, und Ironsworn RPG.


Hausregeln
Wir spielen nach den Regeln von Werewolf: The Apocalypse, dritte Edition. Aber die oWoD-Regeln, so elegant sie auch sind, laden ein, mit ihnen ein bißchen herumzutüfteln. Es kommen also folgende Hausregeln zum Einsatz:

Brutale Resultate: Ich bin kein Fan der fünften Edition von W:tA, aber habe die Regeln für Brutale Rage aufgeschnappt und finde sie bestechend. Hier will ich sie mal in leicht abgewandelter Form playtesten: Werwölfe können permanente Rage-Werte von 1-10 haben wie im Regelwerk der dritten Edition erklärt. Ihre temporären Rage-Punkte ersetzen jedoch als andersfarbige Würfel ihre regulären Würfel bei all ihren Fertigkeits-Würfen (bis in Höhe des jeweiligen Würfelpools)! Hierfür werden rote Würfel verwendet. Diese roten Rage-Würfel funktionieren wie normale Würfel, außer bei Einser-Paschen. Alle Einser-Pasche bei roten Rage-Würfeln sind Brutale Resultate. Sollte der Charakter eine destruktive Aktion versuchen, z.B. Kampf, zählt ein Einser-Pasch (zwei rote Rage-Würfel oder mehr zeigen eine eins) als drei zusätzliche Erfolge, anstatt jeweils Erfolge abzuziehen! Sollte der Charakter allerdings gerade etwas nicht-destruktives versuchen, scheitert der Wurf durch ein Brutales Resultat automatisch komplett, und er wird ungewollt Schaden anrichten, tierhaft agieren (knurren, zähnefletschen, wittern), und dadurch seine Deckung auffliegen lassen, auf möglicherweise spektakuläre Weise. Dies kostet einen temporären Weisheit-Punkt, wenn es von Sterblichen beobachtet wird (wird aber wahrscheinlich natürlich dafür einen weiteren temporären Rage-Punkt einbringen).
Diese Regel kommt nur bei Fertigkeits-Würfen zum Einsatz, nicht bei anderen Würfen (wie Schaden, Absorbieren, Hintergründe, Gnosis, Willenskraft, etc.).
Obwohl rote Rage-Würfel mitgerollt werden bei solchen regulären Würfen, zählen diese nicht als Rage-Würfe! Charaktere können daher nicht in Raserei verfallen dadurch. Rage-Würfe werden nur gemacht wie vom Grundregelwerk (Revised Edition) beschrieben.

Extra-Wundlevel: Garou in Crinos-Form bekommen hier ein zusätzliches Wundlevel (mit -0). Diese Wundkapazität gilt, so lange der Charakter in Crinos-Form ist.

Erfahrungspunkte: Charaktere bekommen nach jeder Session, an der sie beteiligt waren, EXP wie im Grundregelwerk beschrieben. Nach Abschluss von Moves (wie Undertake a Journey) bekommen sie einen zusätzlichen EXP. Nach Abschluss von Questen bekommen sie ebenfalls zusätzliche EXP, und zwar in Höhe der gewählten Schwierigkeitsstufe der jeweiligen Queste (Unannehmlich = 2, Gefährlich = 3, Formidabel = 4, Extrem = 5, Episch = 6).
Charaktere dürfen in dieser Chronik auch Punkte in Hintergründen für EXP kaufen (basierend auf der Regel im Tribebook: Bone Gnawers Revised); Hintergründe kosten ihr derzeitigen Punktwert x2, um sie um ein Level zu erweitern, und je drei EXP, um das erste Level darin zu erhalten. Manche Hintergründe kommen wie üblich gratis ins Spiel, als Belohnung für die Taten der SCs.

Heilkunde: Blutsgeschwister und andere Sterbliche können nach Verwundungen mit der Medizin-Fertigkeit zusammengeflickt werden binnen einer Stunde. Die Schwierigkeit für Intelligenz+Medizin ist dabei sechs, plus der Wert des derzeitigen Wundabzugs des Verwundeten. Ein Erfolg senkt eine Wundstufe, mehrere Erfolge senken zwei. Dies geht bei Schlagschaden und Tödlichem Schaden (nicht aber bei Verheerendem Schaden).

Moves: Wo inhaltlich passend machen Charaktere in dieser Chronik Moves aus dem Ironsworn-Regelwerk, allen voran sind die Mechaniken der Eide nützlich (der Move namens Swear an Iron Vow, und die Moves die damit zusammenhängen), sowie für Reisen (der Move namens Undertake a Journey, und die damit zusammenhängenden Moves). Statt einen Eigenschafts-Wurf nach Ironsworn-Regeln zu machen (W6+Boni), machen die SCs hier natürlich Fertigkeits-Würfe wie im regulären Werewolf-Regelwerk beschrieben für den jeweiligen Move. Ein einzelner SC muss eine passenden Fertigkeit würfeln; dies darf normalerweise aber auch ein Teamwork-Wurf sein. Die Anzahl der erzielten Erfolge wird verwendet, um sie mit den Challenge Dice zu vergleichen.

Rage-Würfe und Raserei: Die Regeln für Rage und Raserei gelten wie in der dritten Edition beschrieben. Bei nicht gelungenen Rage-Würfen werden allerdings alle Würfel abgelegt, die Einser zeigen. Bei gelungenen Rage-Würfen generieren alle Zehner-Resultate dem Charakter einen weiteren Rage-Punkt (bis in Höhe seines Festwerts, wie üblich). In Berserker-Raserei erhält ein Charakter zusätzlich zu Beginn jeder Runde einen Rage-Punkt, und muss zu Beginn jeder Kampfrunde mindestens eine Rage-Aktion kaufen.
Um die temporären Rage-Punkte von Charakteren darzustellen, verwende ich (statt Kreuzchen auf den Charakterbögen zu machen) rote Rage-Würfel.

Schadenswürfe: Überschüssige Erfolge beim Trefferwurf sind normalerweise laut Regelwerk Bonus-Schadenswürfel für den darauffolgenden Schadenswurf. Das führt in meiner Erfahrung mit dem Regelsystem leider oft zu der absurden Situation, dass ein offensichtlich meisterlicher Angriff mit sehr vielen Erfolgen dennoch zu einem sehr schlechten Schadenswurf führt (die dann womöglich auch noch alle absorbiert werden). Das scheint mir seit langem bereits etwas frustrierend, und außerdem narrativ schwer erklärbar. Die Hausregel, die ich hier playtesten möchte, ist die folgende: Alle Erfolge beim Angriffswurf nach dem ersten (der benötigt wird, um überhaupt zu treffen), werden beiseite gelegt. Diese werden beim Schadenswurf nicht mehr mitgewürfelt — sie gelten bereits als Erfolge für diesen Schadenswurf!

Spezialisierungen: Die Regel aus der vierten Edition soll hier gelten, nach der Zehner nicht neu gewürfelt werden, sondern als gleich zwei Erfolge zählen, wann immer bei einem Wurf eine Spezialisierung zum Tragen kommt.

Willenskraft: Wie im Grundregelwerk beschrieben darf normalerweise ein Punkt Willenskraft ausgegeben werden, bevor ein Wurf gemacht wird, um im Voraus einen zusätzlichen Erfolg zu generieren. In dieser Chronik können außerdem zusätzlich nach einem Wurf für zwei Punkte Willenskraft so viele Resultate neu gewürfelt werden wie der Spieler möchte. Einser dürfen auf diese Weise allerdings nicht neu gerollt werden. Nach einem Patzer (Einser, aber keine Erfolge) besteht diese Option gar nicht, der Wurf muss ein Misserfolg oder Erfolg sein dafür.

Setting-Anpassungen
Um die Modern-Fantasy-Elemente des Settings noch ein wenig zurückzuschrauben, gibt’s in dieser Chronik als einzige Änderungen die Folgenden:

Gaben und Riten: Gaben und Riten funktionieren wie üblich, aber die Gaben Persuasion, Mother's Touch, und Grandmother's Touch sind mir etwas ‚zu bequem‘ für SCs, und außerdem auch nicht besonders Werwolf-mäßig. Die lasse ich weg. Ersatzweise dürfen Charaktere Gaben aus der vierten Edition von W:TA bekommen (‚W20‘), da sind ein paar schöne dabei (wie City Running). Der Ritus der Talisman-Zueignung schließlich soll in dieser Story nicht allumfassend funktionieren, und Zugeeignete Gegenstände werden auch nicht in Wolfsform zu praktischen, magischen Tattoos oder so ein Quatsch. Alles was Zugeeignet sein soll, muss also an der jeweiligen Gestalt zu befestigen sein, Klamotten und Waffengurte verändern höchstens minimal ihre Weite dadurch dass sie rituell dem Träger Zugeeignet sind, und können mit in die Umbra genommen werden.

Metis: Es gibt keine Metis (wie in den Nachfolge-Settings Werewolf: The Forsaken und Werewolf 5. Edition), und damit auch kein Litanei-Gesetz diesbezüglich.

Stammes-Totems: Zwei Stämme bekommen statt ihren eigentlichen Stammes-Totems welche verpasst, die mir naheliegender erscheinen: Die Schwarzen Furien bekommen (statt dem holden Pegasus) jemand anderen aus ihrer altgriechischen Mythologie, nämlich schlicht die Furien, eine Reihe aus Rachegeistern, welche vielleicht ursprünglich die ersten Vorfahrinnen dieses Stammes waren. Die Stillen Streicher bekommen (statt Eule) Anubis, der sich auch in die Mythologie der alten Ägypter verirrt hat, aber ursprünglich einer der Begründer des Stammes ist.


Ich bin wie sonst stubenhocker-mäßig drauf, also ist das Ganze ein Solo-Play-Projekt. Ich würfel' also introvertiert vor mich hin und schreibe mit dem Tablet nebenher alles mit. Ich mache das wie bei meinen Solo-Kampagnen bei beispielsweise Deadlands, Ghostbusters, und Fading Suns.

Im Spielbericht sind Textpassagen, wo's um die Solo-Play-Spielmechaniken geht, kursiv geschrieben, um das besser vom restlichen Text trennen zu können.
Abstraktere Spielbegriffe aus Ironsworn lass' ich Englisch, die werden immer in kursiv angegeben, um sie vom Rest des Textes abzuheben.

Abgesehen davon gilt, liebe Leute: Werewolf ist ein Grusel-Rollenspiel und es geht in der World of Darkness entsprechend zur Sache! Also nicht erschrecken, wenn derbe Sprache verwendet wird oder auch mal jemandem der Kopf abgebissen wird oder so! (Ich sag' ja nur!)


Startcharakter
Diesmal entwickele ich zu Spielbeginn nur einen einzelnen Charakter (statt sechs auf einmal wie in der Wikinger-Chronik), und dessen unterstützende NSCs. Ich fange vor dem Ersten Wandel an, unsere Heldin weiß also noch nicht, dass sie das Werwolf-Blut hat und ihr Erbe sich demnächst auf spektakuläre Weise manifestieren wird. Ich erschaffe sie trotzdem wie einen normalen Garou auf dem ersten Rang, lasse aber Ansehen, Rang und Gaben bisher weg. Die Regeln für Rage und Regeneration werden sporadisch schon mal verwendet, denn das Erwachen steht unmittelbar bevor.




J. Zoe Matherson
Alter: 18; Stamm: -; Vorzeichen: Ahroun (Vollmond); Blut: Garou; Aufzucht: Homid
Attribute: Geschick 3, Konstitution 3, Stärke 2, Charisma 4 (Enthusiasmus), Erscheinungsbild 4 (80er-Style), Manipulation 2, Geistesschärfe 3, Intelligenz 2, Wahrnehmung 2
Fertigkeiten: Athletik 2, Aufmerksamkeit 3, Ausdruck 1, Einschüchtern 1, Empathie 2, Handgemenge 2, Straßenwissen 1, Überzeugen 1, Ur-Instinkt 1; Auftritt 1, Etikette 1, Fahren 1, Handwerk 2, Heimlichkeit 3, Überleben 1; Computer 1, Gesetz 1, Nachforschung 1, Wissenschaft 1, Zurechtfinden 1.
Hintergründe: Blutsgeschwister (Kylah Kirby) 1, Reinblütig 3, Ressourcen 1, Vorfahren 4.
Gnosis: 3
Rage: 5
Willenskraft: 4
Gaben: -
Ausrüstung: Portemonnaie, Smartphone, Schlüssel und Chipkarten für Videothek, Armband mit gravierten Knöchelchen, von Großvaters einstiger Weltreise


Laut den Regeln in Ironsworn, die ich ja unterstützend hier teilweise verwenden will, muss ein Charakter auch zu Spielbeginn einen Eid schwören. In Zoes Fall ist das natürlich kein pathetischer Wikinger-Schwur, wie in meiner anderen Chronik, sondern ein tief empfundenes, halbbewußtes Sehnen, das eins ihrer Lebensziele werden wird. Ich definiere das so:

Queste (Formidabel): Die letzte Reise ihres mysteriösen Großvaters nachvollziehen, und herausfinden, wer er war und was ihn zu dieser Reise gebracht hat.

Sobald Zoe in Kontakt mit ihrem Stamm steht, wird diese Recherche schlagartig leichter werden, denn Großvater war natürlich zeitlebens ein Garou. (Dies ist dann später vielleicht der Anlass für die namensgebende Wyldreise!) Bis dahin muss Zoe ziemlich in die Röhre gucken, denn für die Menschen ist das Leben ihres Großvaters weitgehend unbekannt. Ihre Eltern haben sich jahrelang daran versucht, es aufzudecken, und sind nicht weit gekommen. Vorerst hat unsere Protagonistin aber ganz andere Probleme ...

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Nach der Schule hat Zoe heute wieder Spätschicht im Videoverleih. Der große, behäbige Mister Lennings ist heute auch in seinem Laden, und Kylah und Mitch. Mitch will eigentlich hier weg, er braucht nur Zoes Schulheft, um die Hausaufgaben abzuschreiben, und er guckt bedröppelt, während er abwartet, dass sich endlich jemand Zeit für ihn nimmt.

Soundtrack: Men Without Hats, I Like
https://www.youtube.com/watch?v=-YHBQyj5geg

Zoe hat diese eine Playlist wieder angeschmissen, die den Videoverleih mit 80er- und 90er-Mucke beschallt, jetzt gerade läuft I Like. Sie wippt glücklich mit dem Kopf mit im Takt, während sie am Computer sitzt.
„Am besten wird hier nicht die ganze Nacht über diese komische Mucke gespielt!“, sagt Mister Lennings vorwurfsvoll, während er einen Stapel oller DVDs aus einem Karton hebt und auf den Tresen vor sich knallt.
„I Like!“, sagt Zoe mit einem Grinsen.
„Das is' mir scheißegal, ob Ihr Kids das gut findet, die Kunden müssen das gut finden, wenn hier welche reinkommen! Das ist doch Trash.“
„Nein, der Song heißt I Like. Der ist von den Men Without Hats!“
„Das ist mir egal, Mädchen. Kann ja sein, dass Eure Generation das nochmal wieder gut findet. Aber das is' Scheiße, das is' doch total aus der Zeit gefallen“, und Lennings beginnt seine neuen Gebraucht-DVDs durchzusehen, „Die Leute kommen ja hier rein und glauben, das is' hier ein reiner Nostalgietrip-Laden!“
Zoe schaut schweigend vom Computer auf und mustert durch ihr dickes Pony hindurch ihren Chef bei seinem Sortieren. Er selber sieht aus wie aus der Zeit gefallen. Aber das darf man ihm nicht sagen.
„Demokratische Abstimmung, okay? Was findest Du, was wir spielen sollen, Kylah?“, fragt Zoe die blässliche Punk-Göre, die wie meistens auf der anderen Seite des Verleihtresens herumhängt.



Kylah, die unsichere Punk-Göre von derselben Schule


Unschlüssig antwortet die, „Ich hätte hier auch eine Playlist mit Rise Against. Können wir auch anmachen.“
Zoe schüttelt die blonden Zottelhaare, „Nee, die machen mich aggressiv!“
Kylah macht unwillkürlich eine Halsbewegung, als wolle sie ein kleines Stück von Zoe zurückweichen, und sagt nichts.
„… Dass Ihr mir nicht die ganze Nacht diese Trash-Mucke spielt, ja?“, legt derweil Lennings nach, an seiner Tresenbucht weiter hinten, „Der letzte Videoverleih der Stadt ist das hier, und wenn man da rein geht, schallt einem auch noch so Retro-Mucke entgegen, oder was? Geht gar nicht. Da glaubt die Kundschaft ja, wir nehmen hier Drogen oder so. Ich bin in einer Stunde weg, dann seid Ihr hier in charge, bis dahin läuft hier was anderes, okay?“
Plötzlich ist Zoe ärgerlich, sie weiß selber nicht, warum. Sie zieht ein biestiges Gesicht und beißt sich auf die Unterlippe. Stur hackt sie weiter Bestandszahlen in die Tastatur.
„… Was ist denn jetzt mit Geografie? … Äh? Könnte ich mal Dein Heft haben?“, sagt Mitch kleinlaut in die Stille.



Mitch, aus Zoes Schulklasse


„Klar! Sobald wir drei hier fertig sind!“, knurrt Zoe, und baut einen Stapel Verleih-VHS-Kassetten auf ihrem Tresen auf, auch vor Mitchs Nase.
„Wir …? Ich, äh, ich arbeite hier doch gar nicht …!“
„Die sind alle letztlich zurück gekommen. Alle Hüllen aufmachen, und gucken, ob die auch zurückgespult sind!“, und Zoe beginnt mit routinierten Handgriffen.
„Ich arbeite hier auch nicht …“, murrt Kylah, aber wie üblich macht sie trotzdem mit.
„‚Zurückgespult’? Ey, Mädels … ich kann mich hier nicht stundenlang aufhalten. Ich muss doch in 'ner Stunde zu Hause sein, und online sein! Ich bin doch verabredet.“
Zoe guckt Mitch an, und sagt scherzhaft, mit einem kleinen Kopfschütteln, „Ich fress' Dich!“
Mitch macht große Augen, und Kylah schaut auch von ihren Kassettenhüllen auf. Irgendwas hat die beiden verstört, vielleicht etwas in Zoes Blick.
„Was guckt Ihr denn so?“, fragt sie, „Los, los! Je eher der Stapel hier durchgecheckt ist, desto eher kriegst Du mein Geo-Heft, Mitch, und kannst nach Hause! … Das Band muss auf der linken Seite sein bei einer VHS-Kassette, dann ist es richtig gespult.“
„Keine Ahnung, was das soll … kommt doch eh keiner in den Laden hier …“, nölt Mitch leise, aber defätistisch beginnt er ebenfalls, Videobänder durchzusehen.
„Kannst ja auch einfach nach Hause gehen! Musst uns ja nicht hinterher dackeln!“, rügt ihn Kylah.
„Ja, nee Du, ich brauch' doch die Hausaufgabe! Ich krieg' Geo einfach nicht in meinen Schädel! Wenn ich nicht von Zoe abschreibe, ist Alarm!“
„Und die demokratische Abstimmung?“, nimmt Zoe ihren Faden wieder auf, als wäre nichts gewesen, „Wofür stimmst Du, Mitch?“
„Hä?“, fragt er hilflos.
„Was für Musik!“
„Ach so!“, beeilt er sich zu sagen, „Ist mir egal! Ich hör keine Musik! Ich will ja auch überhaupt nicht die ganze Nacht hier rumsumpfen. Ihr Mädels müsst irgendwie verrückt sein, dass Ihr das macht.“
„Job ist Job“, sagt Zoe schulterzuckend, während sie eine der Videokassetten auf den Nicht-Zurückgespult-Stapel wirft.
„Na ja, äh, für Dich …!“, sagt Mitch.
„Und ich, ich bin nur Verstärkung für später“, sagt Kylah, „Was glaubst Du, was im Verlauf der Nacht hier manchmal für Hackfressen reinkommen?“
„Hier kommt überhaupt wer vorbei?“, fragt Mitch ungläubig, und sieht sich um, wie zur Kontrolle. Es stimmt, außer einem einzelnen Typen mit Baseballcap in der Porno-Ecke ist die riesige, schummerig beleuchtete Videothek derzeit leer.
„Wenn hier Asoziale reinkommen, will ich, dass Ihr diesmal die Polizei ruft, und zwar zackig!“, sagt Mister Lennings, während er ein weiteres Postpaket an den drei Schülern vorbei trägt.
„Brauchen wir nicht. Gucken Sie mal, ich hab' das Arsenal hinterm Tresen erweitert!“, grinst Zoe, und holt einen Polizei-Schlagstock hervor.
Lennings zögert, und mustert mit hochgezogenen Brauen das schwarze Plastik, dann aber muffelt er, „Na, prügeln kannst Du Dich auf Eurem Schulhof!“, er klingt wenig beeindruckt.
„Da braucht sich niemand zu prügeln“, sagt Zoe forsch, „Wer auch immer gerade Tresenschicht hat, braucht damit nur zu drohen. Das beeindruckt genug!“
„Du hast hier einen Schlagstock?!“, fragt Mitch, und macht wieder große Augen.
Kylah lacht, „Ja, und außerdem drei Dosen Pfefferspray, einen Alarmgeber, und eine Seenot-Signalleuchte! Die hab' nämlich ich für sie aufgetrieben, die Signalleuchte.“
„Alles nur, um Penner loszuwerden?!“, fragt Mitch.
„Und Besoffene, und Kleinkriminelle!“, sagt Zoe.
„Und Steine-Schmeißer“, ergänzt Kylah, „wie die vor drei Wochen!“
„Das ist hier immerhin Detroit, und Delray ist nicht weit weg!“, erinnert Zoe, teilnahmslos, „wir sind die kriminellste Stadt der USA, hab' ich grade gelesen.“
Mitch schaut sie befremdet an. Sie scheint keine Angst zu haben, oder sich sonderlich an dem ganzen zu stören. Mitch wird ein bisschen nachdenklich. Ein paar Schulkameraden haben ihm mal erzählt, Zoe sei als Kind ständig in Schulhof-Schlägereien verwickelt gewesen; sogar die Jungs hätten damals Angst vor ihr gehabt. Aber das hat er bisher nicht geglaubt, denn nüchtern betrachtet sieht sie aus, als könnten diese Geschichten gar nicht stimmen, oder zumindest, als lägen sie wirklich lange zurück. Und doch, irgendwas an ihr ist manchmal etwas unheimlich. Trotz dem freundlichen, aufgeschlossenen Gesicht.
„Ich kapier‘ nicht mal so richtig, warum der Laden sich überhaupt noch trägt“, sagt Mitch tonlos, während er Videobänder überprüft.
„Du meinst, weil keiner mehr Filme ausleihen geht?“, sagt Mister Lennings, der wieder am Tresen vorbei schlurft, einen lebensgroßen Pappaufsteller des Predator unter dem Arm, „ich finanziere mich auch hauptsächlich über die Popcorn-Maschine, das Schnapsregal, und die Eistruhe! Ja, ja …! Versuch' das alles mal als Download zu kriegen, wenn Filmnacht ist!“
Mitch guckt Mister Lennings an, als hätte der nicht so ganz alle Tassen im Schrank.
„Hier, zum Abschreiben“, erklingt Zoes Stimme plötzlich von der anderen Seite her neben Mitch, und sie hält ihm ihr Schulheft hin.
Er erschrickt, sagt eifrig „Danke!“, und greift danach.
„Aber dafür lässt Du mich nächste Woche Mathe abschreiben. Und Chemie! Fairer Deal?“
„Ja, ja. … Halt, Moment! Dafür hab' ich doch jetzt schon eine halbe Ewigkeit alte Videobänder überprüft! Was denn noch alles?“
„Ja, stimmt. Aber Mathe muss ich trotzdem von Dir abschreiben, Mitch. Meine Noten gehen gerade maximal in den Keller!“
„Das ist deswegen, weil Ihr Euch hier die Nächte um die Ohren schlagt!“, vermutet Mitch, während seine kleinen dicken Hände das Schulheft in seinen Rucksack packen.
„Ich kann eh nachts nicht schlafen“, tut Zoe ab, „da kann ich auch arbeiten gehen in der Zeit.“
„Dafür gibt’s aber auch so Seelenklempner und so“, sagt Mitch, „und so Pillen und so.“
„Igitt, Pillen! Mach's mal gut, Mitch! Bis morgen in der Schule.“

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Als der Mitschüler abgerauscht ist, geht kurz darauf auch Mister Lennings. Die beiden Mädchen verabschieden ihn draußen, weil Kylah bei der Gelegenheit eine rauchen will. Sie frösteln in der Novemberkälte und sehen Lennings Karre von dem weiten, menschenleeren Parkplatz wegfahren, er fährt im Slalom zwischen den vielen anderen Autos hindurch Richtung Autobahnzubringer. Mindestens ein halbes Dutzend Autos parkt hier immer, die haben auch keine Nummernschilder mehr, die einstigen Besitzer müssen die hier abgestellt haben im Glauben, dass der große Betonklotz der Videothek leersteht, und sie die Kosten für die Verschrottung sparen können. Kylah ist auf einen Stapel aus kaputten Spanplatten, Motorteilen, und Computergehäusen geklettert, um in Richtung des Autobahnzubringers zu gucken, Mister Lennings Schlusslichtern hinterher, die gerade in der gelben Nachtbeleuchtung dort oben verschwinden. Kylah sieht meistens aus, als hätte sie Muffensausen, aus dem einen Grund oder dem anderen.
Als würde sie das Gewicht der Welt mittragen müssen, denkt Zoe, und fühlt Mitleid.
„Ich wünschte, wir hätten auch ein Auto“, sagt Kylah halblaut, und hustet von ihrem Zigarettenrauch.
„Wozu?“
„Um morgens um zwei hier wegzukommen! Das würde uns jedes Mal eine halbe Stunde sparen, wenn wir nicht mit dem scheiß Nachtbus fahren müssten. Hab' ich neulich mal durchgerechnet.“
„Ich sag' ja immer, Du brauchst nicht immer bis Schichtende hier mit mir abzuwarten“, sagt Zoe schulterzuckend, „nebenan sind doch Dave und Carrey von der Tanke, die arbeiten die ganze Nacht über, die kann ich immer dazu rufen, wenn ich mit wem nicht fertig werden sollte.“
Kylah unterdrückt ein weiteres Husten, und schüttelt stur den Kopf, „Nee nee, das ist schon in Ordnung so. Ich lass' Dich hier nicht hängen.“
Zoe lächelt Kylah an. Sie hat sich mittlerweile zusammengereimt, dass ihre Mitschülerin ihre Gesellschaft und die Videothek in Wirklichkeit deswegen vorzieht, weil bei ihr zuhause die Heizung nicht läuft. In Lennings' Schuppen mag es noch so öde sein, aber immerhin ist es schön warm. Zoe traut sich aber nicht, das Gespräch darauf zu bringen, so gut kennt sie die Mitschülerin eigentlich noch nicht, und sie geht stark davon aus, dass Kylah ihre Armut peinlich ist. Sie spricht jedenfalls nur selten davon, wie es bei ihr zuhause so ist.
„Schau' mal, da kommt der Kartoffelmann“, sagt sie, während sie auf ihrem Sperrmüll-Stapel steht.
Der Kartoffelmann ist tatsächlich im Anmarsch über den weiten Parkplatz, eigentlich hat der einen richtigen Namen, Mister Holston, aber ausgehend von seiner Körperform haben die Mädchen ihm hinter seinem Rücken diesen Spitznamen verpasst. Der Kartoffelmann kommt jedenfalls fast jeden Abend kurz vor Primetime vorbei, von Donnerstags bis Sonntags. Er gehört zu der Stammkundschaft, die bisher dafür sorgt, dass Mister Lennings nicht pleite geht.
Der kleine, dicke Mann lacht meckernd, als er an den beiden draußen stehenden Mädchen vorbei geht, und sagt, „Rauchen ist aber ungesund! Eine junge Dame aus der Bürgerschaft Detroits sollte über Luftverschmutzung Bescheid wissen!“
„Hauen Sie mir bloss ab mit Ihrer Bürgerschaft!“, sagt Kylah, so ruppig sie kann, „die stecken Sie sich besser, äh, sonstwohin, Ihre Bürgerschaft.“
Der Kartoffelmann lacht erneut, und geht durch die Automatiktüren in die fast leere Videothek. Dieser Umgangston ist zwischen den beiden seit Wochen normal, sie amüsieren sich beide darüber, wie bei einer stillschweigenden Übereinkunft, sich gegenseitig anzupflaumen.
Drinnen im Laden läuft mittlerweile ein anderer Track der Playlist, The Stakeout von Harold Faltermeyer.

Soundtrack (entsprechend)
https://www.youtube.com/watch?v=srBAo9ZgBKo

„Welches Genre soll es heute Abend denn sein, Mister Holston?“, schleimt Zoe fröhlich, als sie dem Kartoffelmann nachgeht.
„Bloss keine Empfehlungen von Dir, Missy“, muffelt dieser, und umrundet die Pappaufsteller vom Predator und von Captain Picard, „Du kommst immer nur mit Deinen Gruselfilmen und Psychothrillern.“
„Ich kann halt nicht davon lassen!“
„Die reinsten Teenager-Allüren“, sagt er abfällig.
„Also vielleicht heute Abend was Leichtes? Wir haben vorhin einen Batzen Comedy-DVDs reinbekommen!“
Der Kartoffelmann verzieht überheblich die Miene, „Pah, DVDs. Blueray, mein Arsch. Ich finde, dieser Laden sollte nichts vermieten, das nicht auf Videoband ist.“

An dieser Stelle würde ein wenig Dramatik ganz gut passen, wir befragen vielleicht mal das Orakel. Dieses sagt, Create Weapon. Nanu, und dass in unserer friedlichen Videothek? Aber es wurde ja bereits angedeutet, dass der Gewerbepark hier von allen möglichen Krawallbrüdern heimgesucht wird. Jemand scheint eine improvisierte Waffe zu suchen, um sich gegen solche Aggressoren zu verteidigen!

Zoe will gerade den Kartoffelmann weiter beraten, da rennt eine Gestalt in einem Trenchcoat durch die Automatiktüren nach drinnen, wirft fast ein Kartoffelchips-Regal um, und grabscht sich dann einen der Feuerlöscher, erhebt ihn als stumpfe Hiebwaffe in Richtung der Glastüren! Kylah schreit heiser auf, Zoe und der Kartoffelmann fahren herum, der Typ mit Basecap in der Porno-Ecke kauert sich zusammen, um Deckung zu nehmen.
Der Kerl mit Trenchcoat will mit dem Feuerlöscher aber gar nicht hier drin randalieren, er scheint einen Angriff vom Parkplatz her zu erwarten! Sein Atem geht rasselnd, er scheint ganz außer sich zu sein! Dort heult auch ein Automotor, und Bewegungen sind im gelben Straßenlaternenlicht zu sehen!

Aber mit was für Aggressoren haben wir es zu tun? Ui, da fallen mir gleich eine ganze Menge ein, immerhin ist dies die World of Darkness! Ich lasse das Orakel entscheiden: Trader who wants to prove worthiness, das klingt vielversprechend. Was immer die Handelsgeschäfte sind, denen diese Gestalten nachgehen, Gebrauchtwagen oder ähnlich mondäne Dinge werden es jedenfalls nicht sein!

Die Automatiktüren öffnen sich erneut, und drei in Lederkluften gekleidete Typen kommen herein. Der Kerl mit der Einbrechermütze und dem Trenchcoat hebt den schweren Feuerlöscher noch etwas, und keucht ihnen entgegen, „Macht bloss keine Dummheiten, Jungs! Hier drin sind Zeugen, und überall Kameras!“
Die drei halten inne, angesichts des erhobenen Feuerlöschers.



„Wir können es auch einfach hinter uns bringen, Lousy Five Bucks. Komm' mit raus auf den Parkplatz. Wir nehmen nur eine Niere! Dann bist Du uns los!“
„Wir machen das ja nicht, weil wir was gegen Dich haben. Wir müssen halt eben nur abliefern! Du verstehst!“, ergänzt ein anderer.
Sie kommen vorsichtig näher, einer hält ein gebogenes Schlachtermesser in der Hand. Der Trenchcoat weicht mit gefletschten Zähnen zurück, bereit, mit dem Feuerlöscher zuzuschlagen.



Zoe starrt die Kerle fassungslos an. Eine Eskalation scheint unmittelbar bevor zu stehen!
„Raus, alle verlassen den Laden!“, drängt sie halblaut, und läuft zur Seitentür, die normalerweise abgeschlossen bleibt.
Zumindest der Kartoffelmann und das Basecap reagieren prompt, mit eingezogenen Köpfen folgen sie Zoe. Diese fummelt den richtigen Schlüssel aus ihrem Schlüsselbund, verliert ihn vor Nervosität, sammelt ihn fluchend wieder auf, öffnet die Seitentür. Die Kunden rennen raus in die Novembernacht.
„Kylah!“, ruft Zoe zitterig.
Da sieht sie die Punkerin zwischen den Regalen auftauchen, sie ist kreidebleich.
„Mach' schon, alle raus!“, zischt Zoe, sie will diesmal wirklich die Cops anrufen.

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Irgendwas scheppert ganz gewaltig hinter ihnen, ein Regal wird umgerissen.
Widerwillig lässt sich Kylah nach draußen bugsieren. Zoe folgt ihr, versucht, die 110 zu wählen (911 in den USA), aber hat einen solchen Blackout, dass ihr die simple Zahlenfolge nicht einfällt!

Ganz in der Nähe läuft ein Automotor, sie riecht Abgas.
Zoe drückt Mister Holston ihr Telefon in die Hand, und sagt, „Rufen Sie die Polizei!“, dann rennt sie hinaus in die Dunkelheit des Parkplatzes, auf den Abgasgeruch zu. Kylah schreit ihr irgendwas nach.
Zoe wirft sich hinter eins der Schrottautos und späht: Tatsächlich haben die drei Finsterlinge mit dem Tranchiermesser einen ihrer Spießgesellen zurückgelassen, Nummer vier, der Motor des Fluchtwagens läuft noch abfahrbereit!
„So nicht, ich kriege Euch am Arsch!“, flüstert Zoe, und versucht, die Autonummer zu entziffern, „Ihr entkommt mir nicht!“

Ihr Herz hämmert, sie fühlt sich ganz und gar komisch. Sie würfelt Wahrnehmung+Aufmerksamkeit, um das Kennzeichnen zu entziffern, und hat einen Erfolg.

Dabei sieht sie den Fahrer, der sitzt gar nicht am Steuer, sondern steht hier neben dem Auto rum, schaut aufgeregt zum Eingang des Betongebäudes! Halb mit dem Rücken zu ihr …
Ein Instinkt bemächtigt sich Zoe, und sie springt aus ihrer Deckung auf, um den Fahrer von hinten zu tackeln!

Runde 1: Sie würfelt jedoch schlecht, und verfehlt ihn, rempelt den Kerl nur an und prallt gegen die Flanke von dessen Fluchtwagen! Der Typ wirbelt herum, verpasst ihr einen schnellen Kinnhaken, der fünf Schaden macht, von denen sie aber satte drei absorbiert! Kurz sieht sie Sterne.

Runde 2: Mit gefletschten Zähnen versucht Zoe das Ganze nochmal, der Schmerz von ihrem Kiefer und ihrer Schläfe verleiht ihr plötzlich ungeahnte Kräfte. Obwohl sie noch nicht Erwacht ist, verwende ich schon mal die Regel für Brutale Resultate, und bei diesem Wurf fällt eine Doppeleins bei den roten Rage-Würfeln! Da dies eine Kampfhandlung ist, addiert der Einser-Pasch drei Erfolge, das macht dann sechs! Ohne Kontrolle über ihre eigenen Bewegungen zu haben, schnellt Zoe auf den Fremden zu, in reinem Affekt, packt ihn, und kullert mit ihm die abgeschrägte Böschung hinab, in den eiskalten Schlamm des Abwassergrabens am Rande des Geländes!

Eisern hat sie ihre Beute im Klammergriff, gluckert ihn unter, wann immer er sich verzweifelt zu befreien versucht. Sieht die Schlagader an seinem Hals pulsieren, unter dem Kragen seiner Motorradjacke, ganz deutlich, und einen Moment lang ist es um sie her scheinbar taghell. Nur ein gezielter Biss, und die Beute hört auf zu zappeln …!
Scheinwerfer blenden sie in dem Moment, oben, von der Kante der Betonböschung.
„Zoe! Da ist sie!“, hört man Kylahs entsetzte Stimme.
Von Schlamm bedeckt sieht sie hinauf zu den Neuankömmlingen, ihre Augen verengen sich in deren Scheinwerferlicht, und sie fletscht zornig ihre Zähne (die sich viel zu groß und viel zu massig anfühlen in ihrem Mund).
„Rauskommen aus dem Graben! Sofort!“, ruft einer der Cops.

Die Orakelwürfel entscheiden, was mit den drei schurkischen Handelsmännern oben geschehen ist:

Die drei aus der Videothek sind unverrichteter Dinge getürmt. Zu Fuß natürlich, denn der Fluchtwagen-Fahrer war ja außer Gefecht! Dieser wird jetzt von den Cops festgenommen. Die bibbernde Zoe ist plötzlich wieder ganz sie selbst, als sie ebenfalls rausgekrochen ist aus dem Schlamm, und lässt alle Fragen der Polizisten über sich ergehen.
„… Verstehe ich das richtig, gehören Sie denn hier zu einem Sicherheitsdienst, Miss?“, hakt der eine nach.
„Nee, ich bin Tresenkraft! Ich bin die, die unsere Leihvideos scannt!“
„Ja, was wollten Sie denn dann hier draußen?!“
„Ursprünglich nur denen ihre Autonummer! Und dann hat es mich irgendwie gepackt …“, krächzt sie hilflos.
Kylah steht neben der schlammigen Mitschülerin, und sieht so aus, als wolle sie ihr die Hand halten, ganz teilnahmsvoll, und wie immer ängstlich.
„… Das war Lousy Five Bucks …“, sagt Kylah leise zu sich selbst, als die Polizei schließlich abfährt.


Zoe muss nun doch rüber zur Tanke nebenan, und Dave und Carrey um Hilfe bitten. Sie muss nämlich dringend deren Dusche benutzen, nach ihrem Abstecher in den Graben!

Schließlich hocken Zoe und Kylah wieder am Tresen in der Videothek, Zoe mit nassen Haaren und in ollen Wechselklamotten, die das Tankwart-Ehepaar ihr geliehen haben. Sie drückt sich ein Coolpack gegen die Gesichtshälfte, die mittlerweile geschwollen ist und sich rötlich und bläulich gefärbt hat.
„… Und was ist jetzt mit diesem Typen passiert, der unseren Feuerlöscher hatte?“, will Zoe schließlich wissen, „Wie hast Du den genannt … Lousy Five Bucks?“

Die Orakelwürfel müssen entscheiden, was daraus geworden ist! Entsprechend sagt Kylah:

„Der hat eine Messerwunde abbekommen, haben die Cops vorhin gesagt … die haben ihn mitgenommen. Wahrscheinlich erstmal in ein Krankenhaus.“
„Wie war gleich sein Name?“, bohrt Zoe nach.
„Weiß ich doch nicht! Irgendein Penner vermutlich!“, lügt Kylah schnell.
Zoe bemerkt die Ausflucht durchaus, aber ist etwas zu runter mit den Nerven, um weiter zu fragen … zumindest jetzt.


Um halb zwei Uhr früh machen sie den Laden dicht, und gehen fröstelnd zur Bushaltestelle beim Autobahnzubringer. Beide sehen sich paranoid um, als sie den leeren Parkplatz überqueren. Kylah sieht Zoe mehrmals von der Seite an, und scheint etwas sagen oder fragen zu wollen, aber sie wagt es nicht, und schweigt.

Nebeneinander sitzen sie im warmen Nachtbus, der unter den zahllosen Fabrikschloten und glitzernden Hochhäusern Detroits hinweg rumpelt. Ein schwer beschreibliches Triumphgefühl beginnt dabei, sich in Zoe auszubreiten, als habe sie heute erstmals einen Sprung vom Elfmeterbrett im Schwimmbad gewagt, oder sowas. Gedankenverloren betastet sie mit der Zungenspitze ihre Eckzähne, die fühlen sich komisch an. Und der Innenraum des Busses stinkt ungewöhnlich intensiv, findet sie. Fast, als wäre ihr Geruchssinn schärfer als sonst.

Schalter:


Am nächsten Tag ist Zoe mal wieder unausgeschlafen in der Schule, und alle möglichen Leute wollen wissen, was mit ihrem Gesicht passiert ist, die Schläfe ist immer noch ordentlich geschwollen von dem Kinnhaken gestern.
„… Würde wahrscheinlich ziemlich weh tun … wenn ich die Prügelei nicht gewonnen hätte!“, kommentiert Zoe nonchalant ihre Blessur.
Überhaupt fühlt sie sich unverwüstlich; die beginnende Erkältung, die sie beim Zubettgehen gestern befürchtet hatte, nach ihrem unfreiwilligen Herumplantschen im nassen Schlamm, ist bereits wieder völlig verschwunden! Auch der Schlafentzug macht ihr nichts aus.

Was geschieht als nächstes? Die Orakelwürfel sagen, Hide Fame. Interessant, aber um Zoes eigenen Ruhm (als die heroische Straßenkämpferin vom Videotheks-Parkplatz) geht’s dabei wahrscheinlich nicht, da passieren im Detroit der World of Darkness jeden Tag noch ganz andere Dinge …! Also wer ist es, der hier an der Schule seinen Ruhm zu verstecken versucht? Hier sagen uns die Orakelwürfel Leader who wants to Find a Home. Das passt hervorragend mit dem zusammen, was ich mir zu Kylah zurechtgelegt habe. Also dann:

Am Ende dieses Schultags läuft Kylah wieder Zoe über den Weg. Ihre Klasse hat offensichtlich gerade Schulschluss, und die Sechzehnjährigen wuseln durcheinander auf ihrem Weg nach draußen.
„Zoe!“, sagt die Punkerin, und sieht erschrocken aus, wie meistens, „Wie geht’s Deinem Gesicht?“
„Halb so schlimm, siehste ja. Erinnert mich daran, dass ich vielleicht mal wieder einen Selbstverteidigungs-Kurs machen sollte irgendwo!“, grinst sie. Dann schaut sie ernst, und macht eine kleine Kopfbewegung zu einer dunklen Ecke des Gangs, „Lass' uns kurz nochmal reden, ja?“

Sie würfelt drei Erfolge bei Charisma+Überzeugen, und obwohl es Kylah sichtlich widerstrebt, senkt sie gehorsam den Kopf und folgt ihrer Freundin.

„Wer war das gestern?“, raunt Zoe.
„Wer?!“
„Lousy Five Bucks! Ist das irgend so eine Art Ghetto-Spitzname?“
„I-ich kannte den doch auch nicht!“
„Quatsch, Kylah! Ich seh' Dir das an der Nasenspitze an!“
Die Punk-Göre schweigt ratlos.
Zoe macht weiter, „Hör' mal, der ist beinahe abgestochen worden gestern in unserem Laden! … Ich meine, mich zu erinnern, dass einer von den Kerlen gesagt hat, die wollten sich eine Niere von dem holen! Das ist doch entsetzlich, das ist ja wie in einem von unseren Gruselfilmen!“
„Aber ich hab' doch auch nichts mit dem allen zu tun, ebensowenig wie Du!“, jammert Kylah leise, und sieht sich immer wieder zu ihren Klassenkameraden um.
„Wir müssen dem irgendwie helfen. Wie heißt der wirklich, und in welchem Krankenhaus liegt der?“
„Weiß ich nicht!“
„Kylah. Du lügst!“, zischt Zoe ungeduldig.
Ihre Freundin sieht sich hektisch erneut um. Zoe folgt ihrem Blick diesmal, und sieht einen Typen in ihrem Alter, der seinerseits zu ihnen rüber schaut, auch der wirkt irgendwie nervös. Er trägt schlabberige Second-Hand-Klamotten.
„Hast Du’s wohl eilig?“, fragt Zoe genervt.
„Das da hinten ist Simon. Ich muss mich noch da drum kümmern, dass der heute was zum Übernachten findet.“
Zoe und Simon sehen sich in die Augen, der Junge wirkt hier fehl am Platz auf dem wimmeligen Gang. Er hat auch überhaupt keine Schulsachen dabei.



Simon


„Ich hab' den noch nie gesehen in Deiner Klasse. Geht der überhaupt auf diese Schule?“
„Nee, der ist raus aus dem Schulsystem. Der ist nur hergekommen, um mich zu treffen. Weil ich was zum Pennen für den finden muss, sage ich doch.“
„Ich kapier‘ das alles nicht, Kylah. Das sind alles Leute, die nicht zu Deiner Familie gehören. Was für eine Crowd ist das, mit der Du da abhängst?“
„Niemand! Hal-lo? Ich hänge ja wohl mit Dir ab, fast die ganze Zeit! Simon ist nur ein Bekannter, und über Lousy Five Bucks weiß ich nichts!“

Zoe lässt die zappelige Kylah also wieder laufen. Sie sieht ihr und Simon nach. Jasmine und Ellen aus Zoes Klasse schließen zu ihr auf, und verwickeln sie in ein Gespräch. Zoe kann aber nur halb zuhören, sie fühlt plötzlich einen unwiderstehlichen Impuls, entschuldigt sich bei den anderen beiden, und läuft nach draußen. Am Ausgang des Schulgeländes holt sie zu Kylah und Simon auf.
Mit Wahrnehmung+Aufmerksamkeit hört sie noch, was die beiden gerade miteinander reden:
„… Du kannst nicht einfach in die Schule kommen, die machen voll Stress, wenn sie schulfremde Personen im Gebäude finden!“
„Wir haben grade andere Probleme, Kylah!“, sagt Simon gedämpft, „Ich hab' mich um meine Leute zu kümmern! Das ist wichtiger als alles andere!“
„Ja, ja. Nur, dass die Menschen-Regeln für Dich nicht mehr gelten, heißt aber nicht, dass die mir auch egal sein können! Ich kann richtig Schwierigkeiten kriegen wegen sowas!“
„Hey Ihr beiden!“, tönt Zoe fröhlich, als sie die beiden Redenden endgültig einholt.
Die wirbeln erschrocken herum, in Simons Gesicht blitzt plötzlich etwas Arglistiges auf, so sehr, dass Zoe davor zurückschreckt. Seine Augen funkeln einen Moment ganz seltsam.
„Zoe …!“, haucht Kylah.
„Guckt doch nicht so böse! Ich wollte nur mal hallo sagen!“, sagt Zoe schnell, „Und mal gucken, mit was für Jungs meine kleine Kylah so rumläuft! Hi, ich bin Zoe Matherson!“
Simon hat ziemlich dichte Augenbrauen, und dunkel umschattete Augen, das war Zoe bisher gar nicht an ihm aufgefallen. Er sieht kurz so aus, als würde er die Fremde anknurren wollen. Dann aber sagt er, überraschend höflich, „Ich bin Simon. Kylah hat mir schon von Dir erzählt. Dir hat man ja ganz schön eine verpasst!“
„Ja, aber ich hab' den dafür im Schlamm untergegluckert. War der Kampf der Giganten, hätteste mal sehen sollen. … Du bist also nicht aus Detroit?“
„Nee, ich bin ein Couch Surfer. Ich reise grade rum in ganz Michigan.“

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, aber es klingt triftig genug. Zoes Wahrnehmung+Empathie-Wurf ist auch nicht hoch genug um daran zu zweifeln.

„Äh, na gut. Dann beeilt Euch mal! Kylah, ich ruf' Dich nachher an, wenn ich auch Schulschluss habe. Ich will wirklich den Typen da im Krankenhaus besuchen. So viele kommen da gar nicht in Frage, wo die Cops den hingebracht haben könnten. Bist Du dabei?“
„Äh, ja, klar.“
„Prima! Bis dahin ist bestimmt irgendwas für Simon gefunden, nicht wahr! Da gibt’s übrigens auch Telefon-Apps für, so für Couchsurfing-Gelegenheiten, das muss nicht immer alles Kylah machen, die hat auch noch andere Sachen zu tun in ihrem Leben!“
„Ja, ja“, sagt Simon, „Tschüss, neh?“
„Wenn alle Stricke reißen, kann er übrigens auf dem Bettvorleger bei meiner Mom pennen, die hat ja ihren Samariter-Komplex.“
Zoe und Simon wechseln noch einmal einen vorsichtigen Blick. Irgendwie ist er ihr gar nicht so unsympathisch, sein Gesicht kommt ihr sogar vage bekannt vor, aber sie kommt nicht darauf, von wo. Etwa irgendein Internet-Jung-Promi, der in Detroit auf Durchreise ist, als Couch-Surfer? Schnell machen die beiden sich davon, und Zoe geht in die Schule zurück.


Finden sie aber an diesem Abend Lousy Five Bucks? Die Orakelwürfel sagen, nein.

Zoe erreicht einen mageren Erfolg bei Charisma+Nachforschung, und fragt hartnäckig in beiden der naheliegenden Krankenhäuser herum.
„… Was glauben denn Sie, wieviele Obdachlose mit Stichwunden wir von der Polizei hier abgeliefert bekommen, jede Woche?“, poltert eine mexikanische Krankenschwester, „Da ist ihrer aber weiß Gott nicht der einzige! Da müssen Sie schon früher aufstehen, Schätzchen!“

Schließlich erfahren die beiden immerhin, dass ein Kerl auf den die Beschreibung passt, mit Schnauzbart und schwarzer Wollmütze, mittlerweile wieder entlassen wurde, nachdem seine Stichwunde genäht wurde. Wohin er ist, weiß aber keiner, und bei abgerissenen Gestalten wie dem ist das Krankenhauspersonal auch froh, wenn sie die wieder los sind. Einen bürgerlichen Namen verrät man den Mädchen nicht.

Als sie aus dem Krankenhaus rauskommen, ist es schon schwarze Nacht. Zoe mustert Kylah von der Seite.
„Siehst ja ganz schön erleichtert aus! Bist Du froh, dass er außer Gefahr ist?“
„Hä? Ja klar, bin ja kein Unmensch! … Und hör' auf, da drauf rumzuhacken, Zoe. Ich weiß auch nicht mehr über den als Du!“

Drei Erfolge bei Geistesschärfe+Empathie sagen Zoe jedoch deutlich, oh doch!

„Warum willst Du nicht über den sprechen? Du hast Dich letzte Nacht verplappert. Du hast den Lousy Five Bucks genannt, und ich glaube, so haben die drei Mistkerle gestern Nacht ihn auch angesprochen.“
„Das ist einer aus meiner Nachbarschaft, okay? Ich kenne wirklich nur den Spitznamen von dem. Weiß nicht mal, wo genau der wohnt, wenn der nicht wirklich obdachlos ist. Was weiß ich denn!“
Ja, was weißt Du denn, das ist hier die Frage, denkt Zoe, und wirft Kylah einen eindringlichen Seitenblick zu, während sie zur Bushaltestelle gehen.

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