Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Allgemein

Abenteurervereinigungen (Gilden) in Fantasywelten

(1/16) > >>

First Orko:
Ausgehend von der dieser Nebendiskussion im DCC-Thema habe ich überlegt, ob und wenn ja, in welcher Form sich Abenteuer in einer DnD-like-Fantasywelt(*) organisieren könnten. Dieser Beitragsfaden soll zum Ideenaustausch und Ausformulierung von möglichen Strukturen dienen - eine Diskussion über Sinn und Unsinn möge  bitte woanders stattfinden.

Ich selbst musste sofort an Handwerksschächte denken!
Zur Einordnung, wer es nicht kennt: Handwerksschächte sind teilweise jahrhundertalte Vereinigungen klassischer Handwerkberufe wie Maurer, Tischler, Steinmetze, Dachdecker usw. die aus den Handwerkerkolonnen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen sind und mit sehr traditionellen Strukturen und Ritualen bis heute bestehen. Sinn dieser Vereinigung waren zum Einen die Abgrenzung und Schutz vor Kriminellen, zum Anderen das Sichern des Ansehens als Wanderende gegenüber Einheimischen. Beides hat ziemlich gut funktioniert: Die Gesellens auf Wanderschaft, erkennbar an der mesit schwarzer Arbeitskleidung ("Kluft") mit auffäligen Hut wie Zylinder oder Schlapphut, Bündel und Gehstock, haben sicher die Meisten schonmal gesehen und wer mit ihnen zu tun hatte wird wissen, dass es sich durchweg um freundliche, gesellige, weltoffene Menschen handelt, von denen keine Bedrohung ausgeht.

Ich habe durch die Familie ein bisschen Einblick in die Kultur bekommen und eine gewisse Faszination dafür und erkenne darin sehr viele Elemente und Strukturen, die ich als sehr passend für eine (oder mehrere!) Abenteurergilden empfinde:


* Wanderschaft
Zentraler Pfeiler der Schächte ist die Tradition der Wanderjahre oder "Tippelei": Nach dem Abschluss der Ausbildung zum Gesellen kann man auf Wanderschaft gehen und darf sich 3 Jahre und 1 Tag nicht näher als 50km (mein ich) seinem Heimatort nähern. In der Zeit soll man bei möglichst vielen Betrieben "vorsprechen" (sich formell und entsprechende Rituale einhaltend vorstellen und um temporäre Anstellung bitten) und dadurch breitgefächerte Erfahrung auf dem Fachgebiet sammeln und gleichzeitig weit herum kommen und dadurch die eigene Persönlichkeit festigen. Viele Wandergesell·innen reisen dabei um die Welt und verbringen einige Zeit ihrer Wanderschaft im Ausland.
Fürs Rollenspiel:
Die umherziehende Abenteurergruppe ist ja faktisch schon gesetzt. Der Unterschied ist, dass es nicht zum Erwerb von Fähigkeiten in einem späteren, gesetzten Berufsleben dient sondern als tatsächliche, zentrale Einkommensquelle. Wobei natürlich die Frage zu stellen ist, ob nicht doch ein Ruhestand irgendwann angestrebt werden soll oder ob  mit einem gewissen Alter und Erfahrung eine Risikominimierung auch ein Ziel sein kann und man ausreichend Reputation hat, um sich zum Beispiel als Leibwache von reichen Händlern, Hauptleute von Stadtwachen usw. ein wesentlich sicheres Einkommen zu verdienen nachdem man sein sauer verdientes Gold in eine kleine Stadtvilla investiert hat.


* Struktur
Da habe ich am Wenigsten Einblick (bin ja selbst kein Handwerker) aber soweit mir bekannt gibt es eine Mischung aus klarer Hierarchie durch eine Dachorganisation mit zentralen Sitz wo meist altgediente Meister·innen ihres Fachs zum Beispiel über Aufnahme von neuen Mitgliedern bestimmen sowie ein Gericht stellen und eine Art lose Verbindung von Meister·innen, die selbst Teil der Organisation sind aber keinerlei Amt innehaben sondern nur in ihren Betrieben Platz für die Wandergesell·innen bieten. Diese losen Verbindungen reichen dabei tatsächlich bis ins Ausland, das wissen, wer einen dort anstellt wird imho über Mundpropaganda und ich glaube auch entsprechende Kataloge (online) weitergeben.
Fürs Rollenspiel:
Heutzutage dürfte Internet die wichtigste Kommunikation sein (Zur Info: Wandergesell·innen dürfen kein Handy haben, aber bei Unterkünften oder in Internetcafes das Internet nutzen), in der Spieltwelt würde das über Mund-zu-Mund, Brieftauben, Briefe und ggf. Zauber ablaufen. Wenn es aber im 19. Jahrhundert schon funktioniert hat sehe ich nicht, warum sich entsprechende Strukturen in einer Fäntelalter Welt nicht bilden und halten könnten.
Hier wäre auch ein Platz für altgediente Abenteuer, die noch am Leben sind und ihr Wissen an die Jungen weitergeben und sich dafür einsetzen, Gildenabenteurer von Mörderhobos abzugrenzen und sogar Letztere zur Rechenschaft zu ziehen: Bei lokalen Herrschern Webung zu machen, diese Banden als vogelfrei zu diffamieren und aktiv Jagd auf sie zu machen.


* Voraussetzungen
Wer auf Wanderschaft gehen will muss ein paar Voraussetzungen mitbringen. Neben der abgeschlossenen Ausbildung und Mindestalter sind noch zentral: Keine Vorstrafen, keine Schulden. Darüber hinaus macht man eine Probezeit bei einem·r erfahrenen Wandergesell·in und wird charakterlich geprüft, was letztlich nur dafür sorgen soll, dass sich niemand auf Wanderschaft begiebt, der in den ersten Wochen merkt "Das ist nix für mich".
Fürs Rollenspiel:
Vorstrafenfrei fände ich sehr passend. Was Schulden angeht ist das wohl in Welten, wo das Kreditwesen nicht sehr ausgeprägt ist, eher zweitrangig. Vielleicht eher sowas wie "Keine Vepflichtungen" was sowas sein könnte wie Hoferbe bei Bauern oder gar Adelige, die ihrer Verantwortung entfliehen wollen. Das bietet dann sogar Stoff für interessante Konflikte, wenn man einen SC spielt, der genau das unterschlägt und Angst hat, dass es rauskommt.


* Rituale
Handwerksschächte sind voller Traditionen und Rituale (s.o.: Vorsprechen), von denen Einige sogar in unser Umgangssprache Einzug gefunden haben wie "Schlitzohr": einem in Ungnade gefallenen Wandergesellen wird der Ohrring rausgerissen, dadurch wird das Ohr zum "Schlitzohr". Diese unterscheiden sich auch von Schacht zu Schacht.
Fürs Rollenspiel:
Fragen für typische Abenteurerrituale deiner Gilde: Wie wird die Beute aufgeteilt? Welche Klassen sind erlaubt? Wie wird ein Neuer aufgenommen? Wie schlägt man richtig, zunftgerecht ein Lager auf? uvm. Hier ist viel Raum für spanndende, spielrelevante Ausgestaltung! Der Sinn von Ritualen ergibt ist dabei das Weitergeben von sicher erprobten Wissen - was aber auch ebenso in Frage gestellt werden kann!


* Uniform
Bei der Kluft ist so ziemlich alles genau definiert, vom Stenz (dem Geh- und Schlagstock) bis zur Art, wie die Knöpfe angebracht sind. Gewisse Freiheite hat man beim Stil und Schnitt, dazu gibt es optische Erkennungszeichen der Schächte, die Ehrbarkeit.
Fürs Rollenspiel:
Abenteuer sind wohl dadurch am Klarsten vom Gemeinvolk zu unterscheiden weil sie in buntester Kombination von Schutzkleidung gerüstet sind und meist eine gewisse Auswahl von Waffen mit sich herumtragen. In manchen Systemen gibt es sowas wie "Abenteurerausrüstung" und Dinge wie der 10-Foot-Pole (heißt vielleicht im Slang auch "Tenfooter" oder so) sind ja tatsächlich zum Meme geworden. Denkbar wäre aber, dass man mit Stolz ein Abzeichen der Gild trägt und als Gruppe sogar eine Art "Gruppenabzeichen", Knochen vom ersten erlegten Drachen oder sowas. Vielleicht ist sogar der Tenfooter verziehrt und aufwändig gearbeitet als wichtige Insignie der Gruppe bzw. des SC als Gildenmitglied?


* Anzahl
Laut aktuellen Zahlen gibt es wohl zwischen 500-700 aktiven Wandergesell·innen in Deutschland. Das ist tatsächlich relativ wenig gemessen an der Menge aller Handwerker·innen. Die Zahl schwankt wohl in den letzten Jahrzehnten, einerseits weil zum Beispiel der Frauenanteil höher wird, andererseits aber Weltlage und Gesellschaftsklima einen großen Einfluss auf die Bereitschaft haben.
Fürs Rollenspiel:
In einer klassischen Fantasywelt müsstem man vermutlich eher auf die Blütezeit schauen als Handwerker einen viel größeren Anteil der Bevölkerung hatten. Vermutlich wird man sich da im vierstelligen Bereich bewegen, was aber immer noch heißt, dass man nicht in jeder kleinen ein Gildenhaus findet, vermutlich sogar eher nur in den paar Großstädten eines Reiches. Durch die Konzentration wenige Gildenhäuser, die dann aber von den meisten Abenteurer wenigstens einmal in ihrem Leben besucht werden, gibt es trotzdem einen regen, mündlichen Austausch und Informationsteilung, so dass man darüber auch einzelne Abenteuer lokalisieren kann ("Frag mal Jurik, der war grad vor zwei Wochen hier und war doch direkt in den ersten Dungeon mit Koohnos unterwegs, der weiß bestimmt wo der grad steckt") - sie dann zu finden, wird aber einige Zeit dauern, je nach Verfügbarkeit magischer Unterstützung.
Dazu kommt, dass Abenteurer ein per se extrem tödlicher Beruf ist, was sich in sehr schwankenden Zahlen und einem gewissen Überhang an neuen, unerfahrenen Mitgliedern niederschlagen dürfte.


Ihr seht also: Es gibt viele Parallelen und die Existenz von Abenteuergilden kann eine Bereicherung für die Spielwelt bringen, birgt Spielpotential und muss (aufgrund der geringen Zahlen) nicht unbedingt die ganze Ökonomie in Frage stellen.

Meinung, Ideen, Kritik? Discuss!
Oder habt ihr andere Ideen, wie ihr sowas umgesetzt habt oder sehen wollt?


(*): "DnD-like" sei eine Welt, wenn Folgendes gegeben ist: Es gibt Orte ("Dungeons") die von lose kooperativen Kleingruppen entdeckt und erforscht werden, um darin enhaltende Rssourcen zu entnehmen. Die Gruppen arbeiten geduldet von Obrigkeiten und es findet ein sozialer sowie Ressourcenaustausch mit Siedlungen im näheren und weiteren Umkreis statt. Die Gruppen haben in der Regel keinen festen Wohnort und verbringen signifikante Zeit mit Überlandreisen.
Grundsätzlich können auch andere Genres also "DnD-like" im gemeinten Sinne sein.


Boba Fett:
Ganz nebenbei angemerkt: Die Schächte heissen oft auch Zunft / Zünfte.
"Wanderschaft" nennt man "auf der Walz".
Auch wenn ein Handwerksbetrieb keine Stelle für einen Handwerker auf der Walz hat, bekommt man meistens für 1-2 Nächte freie Kost & Logis, auch wenn kein Zunfthaus in der Nähe ist.
Nicht selten vermitteln die Betriebe dann auch, in dem sie in der Nähe herumfragen und einen guten Tipp geben.
In einigen Zünften soll es "Zinken" geben, das sind Zeichen, die an Mauern oder dergleichen in der Nähe des Zunfthauses angebracht werden, um auf die lokale Situation hinzuweisen.

Ansonsten: https://www.zunft.de/magazin/auf-der-walz

felixs:
Die Diskussion ging ja teilweise aufgrund eines Einwurfs von mir los.

Ich teile die Vorstellung, dass in "DnD-ähnlichen Welten" eine Abenteurervereinigung Sinn ergeben könnte. Das ist einer der Gründe, warum ich solche Welten nicht mag, bzw. umformen würde.

Ist eine Frage ästhetischer Präferenzen. Ich stimme zu, dass es das Spiel vereinfacht, wenn man einen zentralen Anlaufpunkt hat, an dem Aufträge für Abenteurer quasi gewerbsmäßig vergeben werden und an dem man Leute trifft, Ausrüstung bekommt, etc. Ich stimme auch zu, dass das als Konsequenz einer entsprechend aufgebauten Welt nicht unplausibel sein muss.
Allein, ich finde entsprechende, nach gamistischen Prinzipien aufgebaute Welten schon vom Konzept her nicht reizvoll. Mir gefallen die Setzungen nicht.

Zanji123:

--- Zitat von: felixs am  2.09.2025 | 12:56 ---Die Diskussion ging ja teilweise aufgrund eines Einwurfs von mir los.

Ich teile die Vorstellung, dass in "DnD-ähnlichen Welten" eine Abenteurervereinigung Sinn ergeben könnte. Das ist einer der Gründe, warum ich solche Welten nicht mag, bzw. umformen würde.

Ist eine Frage ästhetischer Präferenzen. Ich stimme zu, dass es das Spiel vereinfacht, wenn man einen zentralen Anlaufpunkt hat, an dem Aufträge für Abenteurer quasi gewerbsmäßig vergeben werden und an dem man Leute trifft, Ausrüstung bekommt, etc. Ich stimme auch zu, dass das als Konsequenz einer entsprechend aufgebauten Welt nicht unplausibel sein muss.
Allein, ich finde entsprechende, nach gamistischen Prinzipien aufgebaute Welten schon vom Konzept her nicht reizvoll. Mir gefallen die Setzungen nicht.

--- Ende Zitat ---

also... Abenteurergilden = gamistisch
Magiergilde = is voll okay weil die würden sich definitiv zusammentun
Kriegergilde = aaah auch voll ok

First Orko:

--- Zitat von: felixs am  2.09.2025 | 12:56 ---Allein, ich finde entsprechende, nach gamistischen Prinzipien aufgebaute Welten schon vom Konzept her nicht reizvoll. Mir gefallen die Setzungen nicht.

--- Ende Zitat ---

Witzigerweise geht mir das auch so  ;D Ich mag "Dungeons clearen" weil sie da sind auch nicht. Aber genau deshalb finde ich es reizvoll zu überlegen, was aus so einer in erster Linie mal eher unplausiblen Setzung "Es gibt Dungeons. Leute plündern die." herauskommt, wenn man es mal weiter durchdenkt.
Ich stelle mir so vor, wir würden mit der Setzung spielen und komme an eine bewohnte Ruine, erforschen die und stellen fest "Näää, zu hart da wohnte ja ein [Übliches Viech]! Aber ich hab da von nem alten Abenteurer gehört, der ist Experte für [Übles Viech], lass mal die Gilde fragen und den ranholen!" und dann ist der Plot erstmal, den Typ zu finden.
Das wäre so der Stil unserer Grimdwild-Runde - deshalb mag ich die ja auch so 8)

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln