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[Forge] Vermi erklärt Gamism

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Lord Verminaard:
Edit: Auf speziellen Wunsch eines einzelnen Kopfgeldjägers entstand dieser Thread vor seiner Zeit. Jetzt wird er langsam in den nötigen Kontext eingebettet. Bitte lest und versteht unbedingt, bevor ihr hier weiterlest, diese Threads:

Vermi erklärt das Big Model
Vermi erklärt GNS

Und jetzt an die Arbeit:

Was ist Gamism?

Folgende zwei Komponenten gamistischen Spiels sollte man erkennen:

Step On Up
Was ist „Step On Up“? Leonie hat mal „Leute wollen Beute“ dazu gesagt. XP sammeln. Den eigenen Charakter verbessern. All das ist falsch. Step On Up hat damit zunächst mal nichts zu tun. Step On Up ist das, was zwischen den Spielern passiert. Es befindet sich auf der Ebene „Social Contract“. Es geht dabei um Leistung, Risiko und Belohnung. All diese Dinge können von Runde zu Runde völlig unterschiedlich sein, wobei diejenige Komponente, die am häufigsten fehlt (und damit zum Fehlen von Gamism führt) Risiko ist.

Beispiele für Leistung: Gelungener Einsatz des Systems, Erschaffen cooler Spielinhalte, Triumph über andere Spieler. Es muss nicht zwingend jede dieser Sachen vertreten sein. Insbesondere die Intensität des Wettbewerbs auf der Spielerebene kann variieren. Ggf. versuchen alle Spieler sich ständig zu übertrumpfen, doch es ist genauso Gamism, wenn sie alle zusammenarbeiten, um „Leistung“ zu erbringen.

Beispiele für Risiko: Charakter tot, magische Gegenstände weg, Charakter steht doof da, Spieler steht doof da.

Beispiele für Belohnung: Anhäufung von Spielressourcen (Verbesserung des Charakters, magische Gegenstände etc.), „Siegpunkte“, Anerkennung der anderen Spieler.

Zusammenfassend: „Step On Up“ als definierendes Merkmal von Gamism ist eine Sache zwischen den Spielern. Dabei geht es um Leistung, Risiko und Belohnung/Anerkennung.

Challenge (Herausforderung)
Herausforderung ist das In-Game-Spiegelbild von Step On Up. Es ist auf der Ebene „Exploration“ angesiedelt und meint Spielsituationen (im Sinne von Exploration: Situation), in denen für den Charakter etwas auf dem Spiel steht. Hierhin gehören Dinge wie „adversity“, „quest“ usw. Herausforderung kann durch den Spielleiter / das offizielle Szenario, aber ebenso gut auch durch die Mitspieler geschaffen werden.

Zu beachten ist, dass Wettbewerb zwischen den Spielern und Wettbewerb zwischen den Charakteren zwei verschiedene Dinge sind, und keine davon Voraussetzung füreinander oder für gamistisches Spiel ist.

Pole des gamistischen Spiels

Davon ausgehend, gibt es wesentlich mehr Spielarten des Gamism als bloß Dungeoncrawl und Powergaming. Hier ein paar wesentliche Pole:

Hard Core vs. High Exploration
Der Hard-Core-Gamist konzentriert sich ganz auf Step On Up und hat wenig Interesse an Challenge. Er benutzt Regeln oder bricht sie, er setzt sich mit fairen oder unfairen Mitteln durch, aber ihm geht es vor allem darum, sich als Spieler zu beweisen. Die Exploration und damit das eigentliche „Rollenspiel“ wird dabei manchmal fast bis zur völligen Abwesenheit verdrängt. Echte Powergamer und Rules Lawyers gehören in diese Ecke. Viele Leute verwechseln Hard Core Gamism mit Gamism im Allgemeinen.

Der High Exploration Gamist interessiert sich mehr für Challenge, also die herausfordernde In-Game-Situation. Er ist recht kompatibel mit manchen Simulationisten, weil auch er sich für Exploration im Detail interessiert. Am Liebsten hat er es, wenn die Herausforderungen sich „von ganz allein“ aus dem gemeinsamen Vorstellungsraum ergeben.

Wettbewerb vs. Kooperation
Sowohl auf der Ebene der Spieler als auch der Ebene der Charaktere kann gamistisches Spiel von starkem Wettbewerb oder großer Kooperation geprägt sein. Gleiches gilt für das Verhältnis von Spielern zu SL.

Gamble vs. Crunch
„Gamble“ bedeutet, dass die Spieler viel riskieren bei ungewissem Ausgang. „Crunch“ bedeutet, dass sie viele Parameter beurteilen und anhand dieser Parameter eine Entscheidung treffen, die objektiv als effektiv oder nicht effektiv bewertet werden kann. Damit verknüpft, aber nicht identisch, ist die Rolle, die Zufallselemente spielen.

Beispiel für Gamble: Statt zu fliehen, setze ich alles auf eine Karte, bleibe stehen und versuche einen Zauber, den ich mit einer Chance von 60% schaffe. Gelingt er, werde ich den Tag retten. Misslingt er, wird mein Charakter getötet oder gefangen genommen.

Beispiel für Crunch: Ich kombiniere Ausrüstungsgegenstand, Zauber und Kampf-Sonderfertigkeit zu einer hyper-effektiven Kampf-Kombo. Ich studiere den Bodenplan sorgfältig und wähle den perfekten Ort für den Hinterhalt.

Fazit

Gamism ist wesentlich vielschichtiger als die meisten glauben. Seine Überschneidungen mit Sim sind nicht immer einfach zu erkennen und nicht immer unproblematisch, vor allem deshalb, weil Gam stärker ist als Sim. Ein Gam-Spieler, der sein Ding in einer Sim-Runde abzieht, kommt damit durch. Ein Sim-Spieler, der sein Ding in einer Gam-Runde abzuziehen versucht, geht unter.

Man erkennt Gam („Step On Up“) am Vorhandensein von Leistung, Risiko und Belohnung/Anerkennung auf der Spielerebene. Einfach gesagt: Beim Gamism gibt es, in der einen oder anderen Form, Gewinner und Verlierer.

Klar soweit?

Euer Vermi :)

Zur Vertiefung:
Gamism: Step On Up von Ron Edwards.
Mein Spielbericht von einer gamistischen Spielrunde.

Hr. Rabe:
Kewl, Danke Vermi.

Und damit ist endlich auch bewiesen, das Wushu ein Hardcore-Gam-System ist  >;D , denn dort dreht sich ja das gesammte System um 'Step On Up', eben auf erzählerischer Ebene.

Gruß,
raVen

Boba Fett:
Uh wow, das dreht zwar etwas mein bisheriges Weltbild, wirft es aber nicht über den Haufen.
Ich muss meine Begriffsvorstellung nur erweitern, nicht komplett umkrempeln.
Aber erstmal 100.000 mal Danke!

Gruß

Frank

der leider grad wenig zeit hat

Joerg.D:
Gute Beschreibung :-)

1of3:
Fürs Big Modell: www.rpg-info.de/Big_Model

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