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[DitV]Hilfe, ich kann kein Dogs!
wjassula:
So, wir haben in der Teamspeak-Runde mit Fredi, Al´rik und Gastspieler Transmission King (als Ersatz für "Ich kann an keinem Termin außer diesem und da kann ich diese Woche auch nicht, bäh!" - Caynreth) Dogs in the Vineyard gespielt. Es war furchtbar langweilig. Nachdem Fredi und ich uns nach der Runde noch ein bisschen angespuckt und an den Haaren gezogen haben (Kissenschlacht folgt auf dem Berlin-Treffen), hab ich mal überlegt, woran es liegt.
Town war dieses: Es steht keine Kirche da, weil die Bewohner lieber Medikamente kaufen, für kranke Kinder. Schuld ist eine Heilerfrau. Wir hin zu der Ollen und gesagt: Lass Medikamente, kauf Kirche. Sie: Nö. Wir: Menno, mach doch mal nicht, na gut, wir kommen wieder. (Beiseite): Die ist bestimmt ne Hexe! Alle Kinder auf Teufelsmale untersucht, bingo, alle voll mit Leberflecken in Dämonenform. Wir Bewohner zusammengerufen und gesagt: Tötet Hexe. Bewohner: Zöger, zauder. Wir: Erschießen Zögerer&Zauderer. Bewohner: Zünden Hexenhütte an. Hexe: Kommt raus und schimpft. Fanatisierter Bewohner: Erschießt Hexe. Keine Abenteuerpunkte.
So. Meine Ansicht war ja: Hä, wieso. Ich bin ein von Kindheit an gehirngewaschener Mormone, der seine sexuellen Spannungen durch Glaubenseifer kompensiert. Wie soll ich mich denn da sonst verhalten? Ja, hieß es dann, moser moser, du darft ja gar nicht den Charakter spielen, es geht ja um deine Enscheidung als Spieler, das sind doch voll die moralischen Konflikte, und wenn du denen immer ausweichst, dann bist du wohl innerlich unreif und quälst auch kleine Tiere.
Dagegen setzt der überlegene Verstand (meiner) zweierlei:
1. In dem Spiel wird man ständig mechanisch belohnt, wenn seine Ansichten mit Gewalt durchsetzt. Boni gibt´s für Draufhauen und Schießen und für Traits einsetzen, die zum Charakter gehören. Genau das hab ich gemacht. Theoretisch nimmt man ja Fallout aka "innerliche Seelenqualen", wenn man was Böses (also was Mormonen für Gut halten) macht. Spielte aber bei uns keine Rolle, da kriegte man halt blutig Nasen oder so.
Irgendwie hing nach dem Spiel so unausgesprochen die Erwartung in der Luft, dass ich als "reifer Spieler" ja irgendwie hätte voll geschockt sein müssen von dem Bösen, das mein Tschar tat, und der Verlockung der Würfelboni gerade hätte widerstehen müssen, so nach dem Motto: Die Welt ist schlecht, aber das macht mich krank und ich widerstehe der Versuchung, die die Regeln mit bieten. Naja. Abgesehen davon, dass ich das für ein Spiel, das allem Anschein nach Religion irgendwie kritisch gegenübersteht, eine ziemlich tranige protestantische Moral finde - wie doof ist das denn? Ich dachte, Vince Baker ist der tolle Oberdesigner, bei dem die Rules mattern, das es nur so kracht. Aber das ist doch, als würde man D&D spielen und dürfte dann nix umbringen mit seinem Megaschlachtenhammerhalborkkrieger. Funktioniert aber nicht.
Vince Baker: Hähä, bist du doof. Haste die Regeln befolgt, du armer gehirngeschädigter Untermensch. Ja, merkste selber jetzt, dass du dadurch voll böse wirst, ne? Wenn die Regeln sagen, spring ausm Fenster, denn machste das auch, ne? Denk mal über dein Verhältnis zu Autorität nach, mein Lieber! Das ist nämlich voll der Kommentar darauf, wie Rollenspieler immer alles an die Regeln deligieren. Ich hab´s übrigens durchschaut, wollt ich nur mal so sagen.
Ich (in Vincent Bakers Fantasie): Schauder! Graus! So hab ich das ja noch nie betrachtet! Dieses Spiel hat mir die Augen geöffnet! Ich kann nie wieder DSA spielen, ich muss erstmal mein Verhältnis zu Religion und allen Wertvorstellungen überdenken! Danke, Bruder!
Vince Baker: Ja, nee, macht ja nix, ne? Gern geschehen. Ich bin halt schlauer als die meisten, kann ich nix für, sind die Gene. Nicht Gott. Die Gene.
Ja, Pustekuchen.
Ich (in der Realität) Gähn.
Gähn ist dabei kurz für: Mann Vincent, mit dem gleichen Argument könnte man auch FATAL als tolles Regeldesign anpreisen. Und überhaupt, deine moralische Überheblichkeit kannst du dir an den Hut stecken. Abgesehen davon, dass es schon ziemlich armselig wäre, wenn ich mich von Rollenspielen erziehen lassen müsste, haben sich andere Menschen nicht erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter von ihrer religiösen Herkunft befreit. Wäre doch gut, wenn wir nicht alle deine Traumata durchleben müssten, hm?
Womit wir bei Punkt zwei wären. Also, Punkt zwei:
In diesem Spiel gibt es für mich überhaupt keine moralische Entscheidung zu fällen. Nehmen wir mal an, ich stelle mich als Spieler sozusagen hinter diesen Charakter und erlebe so voll die Spannung zwischen dieser fiktiven Welt und meinen eigenen Maßstäben. Oki.
Spielleiter: Gut, ihr verlasst die Mormonenausbildungsstätte und...
Ich: Sobald die Ausbildungsstätte außer Sicht ist, reite ich immer weiter nach Osten, bis ich im zivilisierten Amerika ankomme. Ich verkaufe mein Pferd und meine Bibel, streiche das Konzept "Sünde" aus meinem Kopf und beschäftige mich mit Wichtigerem. Irgendwas, egal was.
Wenn wir ganz ehrlich sind, gibt es in diesem Spiel überhaupt keine Entscheidung zu fällen, und schon gar keine irgendwie tiefsinnige oder erschütternde. Ist doch klar, was man hier als Spieler "erkennen" soll und was mit dem Tschar passieren kann. Mich wundert am allermeisten, wie es dieses Spiel geschafft hat, sich als irgendwie herausfordernd und tiefsinnig zu verkaufen. Das hat die kitschige Moral eines Michael Ende-Buchs: Religion böse, Autorität (Regeln!) böse, Spaß böse, Nachdenken und mit dem Herzen sehen doppelplusgut! Kann man auch gleich was spielen, wo man überrascht wird, während ein Computer das Dogs-Spielen übernimmt:
10 TSCHAR BLEIBT RELIGIÖS ODER LÄSST RELIGION HINTER SICH
20 GOTO 10
So, und jetzt hoffe ich, dass alles, was da oben steht, Bullshit ist, und mit mal jemand erklärt, wie das Spiel richtig geht. Ich hab das falsch verstanden, oder? Wie geht das denn jetzt eigentlich?
Ein:
Schön mal eine ehrliche Meinung zum Spiel zu hören. ;)
wjassula:
Jaja, ok. Aber ich meine das bei allem Sarkasmus schon ernst: Wie funktioniert es denn nun richtig? Tipps, bitte. Muss ich da was anders machen? Haben wir da irgendwelche Regeln nicht beachtet? Ich will dem Spiel ernsthaft noch eine Chance geben, bin also für Augenöffner dankbar.
Settembrini:
Das Beste, was jeh dazu in diesem Forum geschrieben wurde.
EDIT: Waren die Teufelsmale da, weil ihr sie vermutet habt, oder waren die wirklich vorgesehen? Gibt ja da verschiedene Lesarten, wie man das leitet.
Joe Dizzy:
--- Zitat von: Jasper am 9.06.2008 | 10:30 ---Ja, hieß es dann, moser moser, du darft ja gar nicht den Charakter spielen, es geht ja um deine Enscheidung als Spieler, das sind doch voll die moralischen Konflikte, und wenn du denen immer ausweichst, dann bist du wohl innerlich unreif und quälst auch kleine Tiere.
--- Ende Zitat ---
Unsinn. Man spielt seinen Charakter, so wie man es für angemessen hält und bis er zu weit geht. Erst wenn man die Trennung zwischen "der Charakter würde X tun" und "der Spieler findet X aber so richtig scheiße" erreicht, tritt der moralische Konflikt auf.
--- Zitat von: Jasper am 9.06.2008 | 10:30 ---In dem Spiel wird man ständig mechanisch belohnt, wenn seine Ansichten mit Gewalt durchsetzt. Boni gibt´s für Draufhauen und Schießen und für Traits einsetzen, die zum Charakter gehören. Genau das hab ich gemacht. Theoretisch nimmt man ja Fallout aka "innerliche Seelenqualen", wenn man was Böses (also was Mormonen für Gut halten) macht. Spielte aber bei uns keine Rolle, da kriegte man halt blutig Nasen oder so.
--- Ende Zitat ---
Nun gut. Wer für die Story spielen will, dem sollte die Story schon wichtig sein. Sonst knödelt das ganze eher so vor sich hin. :P
Aber mal im Ernst. Eine der wichtigsten Regeln bei DitV ist wie ich finde, dass die Raises etwas sind, was der Gegenüber nicht einfach so ignorieren/wegstecken kann. Darin versteckt ist die Idee, dass man genug Mitgefühl mit den Charakteren und der Situation hat, um halt nicht alles zu akzeptieren, so lange es Erfolge bringt. Damit das überhaupt passieren kann, muss man - wie bei einem Film - in das ganze "emotional investiert" sein. (Wobei ich das "muss" nur auf die rein regeldesign-ebene beziehe. Da steckt keine moralische Forderung hinter oder so.)
--- Zitat von: Jasper am 9.06.2008 | 10:30 ---Vince Baker: Hähä, bist du doof. Haste die Regeln befolgt, du armer gehirngeschädigter Untermensch. Ja, merkste selber jetzt, dass du dadurch voll böse wirst, ne? Wenn die Regeln sagen, spring ausm Fenster, denn machste das auch, ne? Denk mal über dein Verhältnis zu Autorität nach, mein Lieber! Das ist nämlich voll der Kommentar darauf, wie Rollenspieler immer alles an die Regeln deligieren. Ich hab´s übrigens durchschaut, wollt ich nur mal so sagen.
--- Ende Zitat ---
Ich sage das ohne jegliche Ironie, aber ich finde es wirklich spannend, wie verschiedene Leute den Kern des Spiels bzw. die Wirkung der Regeln anders deuten. Unter diesem Gesichtspunkt hätte ich das ganze nämlich gar nicht gesehen. Eher als ein Rollenspiel, in dem die Geschichte dermassen mit (zum Teil nicht unterhaltsamer) Gewalt durchzogen ist, dass man damit differenzierter umgeht.
Aber ich bin nicht der Meinung, dass man durch das Spiel etwas "lernen" soll. Man erspielt halt eine Geschichte, in der Gewalt (oder halt Religion, jeder was ihm gefällt) etwas komplexer als in anderen Rollenspielen benutzt wird. Ich sehe den Unterschied in etwa vergleichbar mit dem zwischen einem geilen Actionfilm und einem Drama über Großstadtgewalt. Es liefert halt ein anderes Spielerlebnis, das sich vor allem in der Story unterscheidet.
Man "reift" nicht am Spiel. Man spielt nur ein Spiel, dessen Story andere Schwerpunkte setzt. Das ist nur deshalb so ein tolles Design, weil es diese Art von Story unterstützt. Es ist nicht deshalb ein tolles Design, weil der Designer damit irgendeine plumpe Moralvorstellung auf irgendwelche Spieler drängt. Vor allem weil der moralische Rahmen doch eh nur von den Spielern in der Gruppe gemacht wird, die Ursprünge dafür in den Regeln zu suchen, kann ich nicht nachempfinden.
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