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[Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Timberwere:
Autsch. Au, war das böse. Und dabei ist kein einziges Wort über Geralds Entdämonisierung gefallen.
Wir waren pünktlich zu dem Treffen im Irish Pub, dieser McCoy – zumindest nehme ich an, dass er das war; er stellte sich nicht vor – kam ein paar Minuten später. Nicht viel später, aber gerade so viel, um zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Ein fitter alter Mann in den späten 70ern oder frühen 80ern vielleicht, mit schütteren grauweißen Haaren, Stoppelbart, Farmerkleidung und einem Akzent aus dem Mittleren Westen. Er hatte einen schwarzen Stab bei sich, aus Ebenholz oder sowas in der Art: ein Magierstab, wie Vanessa Gruber und Kirsten Lassiter ihn auch gehabt hatten, nur dass deren Stäbe aus hellerfarbigem Holz gemacht waren. Er machte einen ziemlich griesgrämigen und auch ziemlich zähen, knallharten Eindruck.
Wir sagten freundlich hallo; er würdigte uns keiner Begrüßung. Er setzte sich nicht einmal hin. Statt dessen starrte er uns nur böse an und verkündete mit eiskalter Stimme, wenn er noch einmal mitbekäme, dass wir schlecht über Warden Declan geredet hätten, dann werde der hören, was wir gesagt hätten, und dann werde der handeln. Habe er sich klar ausgedrückt?
Kristallklar, das konnte man nicht anders sagen.
Dann wandte McCoy sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen . Alex wollte ihm noch die Liste mit Declans Lehrlingen mitgeben, aber der Magier winkte nur ab. Die wolle er gar nicht haben. Nicht von so kleinen Praktizierern, die den Ruf der Wardens in den Schlamm zögen. Sprach's und verschwand. ¡Tío, que pelmazo!
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Der Tag des Duells.
Eigentlich dürfte nichts passieren. Gerald ist sicher in Schottland, und wenn der Herausforderer nicht auftaucht, müssen die Champions nicht ran. Aber ich habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Anabel Raith hat es mit ihrem kleinen Spielchen schon geschafft, Raith Manor wieder in Trümmer legen zu lassen, und ich würde mich überhaupt nicht wundern, wenn sie noch irgendwelche Fiesheiten in Petto hätte. Aber wenigstens hat Totilas in der Zwischenzeit mit fast allen Raiths aus Miami reden können und sie überzeugt, dass die Dinge so weiterlaufen werden wie bisher, wenn sich demnächst an der Spitze eine Veränderung einstellen sollte.
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Sie hatte tatsächlich Fiesheiten in Petto. Erstaunlicherweise wurde es nur doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet, denn Totilas hatte ja gute Vorarbeit geleistet und reagierte, als es hart auf hart kam, einfach schneller als sie. Aber der Reihe nach.
Am neu organisierten Ort des Duells – eine alte, leere, entwidmete Kirche, damit auch der Red Court Abgesandte schicken konnte – wartete alles gespannt auf Gerald. Cherie ist leider keine sonderlich gute Schauspielerin, der konnte man ansehen, dass sie nicht überrascht war, aber vielleicht kam mir das auch nur so vor, weil ich selbst ja bescheid wusste und ein besonderes Auge darauf hatte. Der vereinbarte Zeitpunkt kam, aber kein Gerald tauchte auf. „Ha!“ triumphierte Anabel keine fünf Minuten nach Verstreichen des Termins, „ich habe gewonnen!“
„Ich habe das Recht des ersten Kampfes“, erklärte Marshall Raith erstaunlich souverän, „und ich sage, wir warten noch eine Stunde!“
Also warteten wir noch eine Stunde. Als Gerald dann immer noch nicht erschienen war, ergriff Anabel sofort wieder das Wort. „Aber jetzt habe ich gewonnen. Also: Alle Raiths ins Biltmore Hotel!“
„Ins Hotel Marbella“, entgegnete Totilas fest. „Ich spreche für Haus Raith in Miami, und ich sage: Hotel Marbella!“
Anabel schnaubte verächtlich. „Wer im White Court verbleiben möchte, der kommt ins Biltmore Hotel.“ Und mit diesen Worten rauschte sie aus dem Saal.
Die versammelten Raiths waren drauf und dran, ihr zu folgen, aber jetzt fuhr Totilas das schwere Geschütz auf. „Haaaalt!“ donnerte er und brachte mit einigen wohlgesetzten, aufmunternden Worten tatsächlich die meisten seiner Leute ins Marbella, auch wenn einige wenige tatsächlich dort dann durch Abwesenheit glänzten. Die waren wohl doch lieber ins Biltmore zu Anabel gegangen.
Von unterwegs, noch ehe wir ins Marbella kamen, rief Totilas bei Lara Raith, der Tochter des Weißen Königs, an.
„Ist der Weiße König abgesetzt?“ fragte er brüsk.
Eine Sekunde lang klang seine Cousine geschockt. „Was redest du da?“
„Anabel behauptet, sie entscheide, wer im White Court sein dürfe und wer nicht. Ist das so?“
„Ich bin sicher, das ist gedeckt“, kam Laras Stimme aus dem Lautsprecher, jetzt wieder ruhig und gefasst. „Hat sie gewonnen?“
„Durch Geralds Abwesenheit, ja.“ Und dann schuf Totilas kurzerhand Fakten. „Die Geschäfte hier in Miami habe ich übernommen.“
„Ach?“ machte Lara spitz, aber unser White Court-Kumpel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ja“, erwiderte er, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, und seine Cousine gab den spitzen Tonfall auf, gratulierte Totilas herzlich und warm zu seinem Erfolg. Sie ist eine Raith, die Wärme war nicht echt, soviel war klar, und sie wird ihren Cousin fallenlassen, sobald sie dafür den ersten Anlass sieht, aber zumindest für den Moment stand, steht, sie hinter Totilas als Anführer der Raiths von Miami.
Im Hotel Marbella dann hielt Totilas eine Rede. Eine flammende, aufmunternde Rede, in der er wiederholte, was er seinen Leuten in den ganzen Einzelgesprächen zuvor auch schon gesagt hatte. Dass Anabel die Dinge grundlegend umwälzen würde, wenn sie hier an die Macht käme. Dass er selbst die Dinge so fortführen würde, wie Gerald das immer getan hatte. Dass die Raiths von Miami so weitermachen könnten wie bisher. Dass alles unter Kontrolle sei. Und vor allem, dass er die Geschäfte in Geralds Sinne fortführen werde. Das wirkte.
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13. November
Ha. Anabel Raith ist aus Miami abberufen worden. Von den Leuten, die ihr ins Biltmore gefolgt sind, haben zwei Miami ebenfalls verlassen; vermutlich haben die Anabel begleitet. Zwei andere 'Abtrünnige', die bei Anabel im Biltmore waren, sind noch in der Stadt. Totilas meinte, er wolle sie im Auge behalten, aber ihnen ansonsten keinen Ärger machen, falls sie das auch nicht tun. Vernünftige Einstellung, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten. Falls sie doch noch zum Problem werden sollten, kann er sie immer noch zurechtstutzen.
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15. November
¿Que demonios? Ich habe eben gerade nochmal die Einträge der letzten Tage durchgelesen, und eines ist seltsam. Ich schreibe da ein paarmal von 'Mordor-Ents' und 'schwarzen Baumgestalten', die wir in Schottland an dem See gesehen haben wollen. Und hier ist das Seltsame: Ich habe keine, keinerlei, Erinnerung an diese Gestalten. Ich habe null Ahnung, was ich da beschrieben habe und warum. Wir waren in Schottland, klar, da war das Ritual, Geralds Dämon wurde aus ihm herausgezogen und in den See getrieben, der See brodelte, und Edward und Alex hatten das Gefühl, darin sei etwas aufgewacht, etwas Ungemütliches, Unfreundliches, Gefährliches, und deswegen haben wir zugesehen, dass wir möglichst schnell Land gewannen. Ich sehe die Szene noch ganz genau vor mir, und da sind keine schwarzen Gestalten!
Das ist nicht mal wie bei manchen Träumen, die ich vor Jahren, ach was, Jahrzehnten, mal hatte und die ich aufgeschrieben habe. Ich habe sie inzwischen komplett vergessen, aber wenn ich die entsprechenden Tagebucheinträge nochmal lese, dann kommen einzelne Bilder, manchmal auch zusammenhängende Szenen, aus diesen Träumen wieder zum Vorschein. Nicht so wie echte Erinnerungen, aber etwas. Und hier ist das eben komplett anders. Aber warum zum Geier sollte ich sowas aufschreiben, wenn es nicht da war? Und wenn es da war, warum zum Geier erinnere ich mich nicht daran? Also so gar nicht?
Ich wiederhole mich, aber: Was? Zum? Geier?
Bad Horse:
Ja, sehr schön. Danke. :)
Generell noch mal vielen Dank fürs Mitschreiben, Timber. Ich benutze die Diarys ziemlich intensiv bei der Vorbereitung! :)
Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Intermezzo
18. November
Ich habe den Jungs die Einträge zu den Mordor-Ents gezeigt. Sie waren ebenso verwirrt wie ich, weil sich auch keiner von den anderen an unheimliche schwarze Baumgestalten erinnern konnte, und natürlich kamen wir ins Diskutieren. Ob ich mir das Ganze nur eingebildet habe. Ob ich es vielleicht nur geträumt habe. Oder ob da jemand tatsächlich an unserem Gedächtnis herumgespielt hat. Totilas hatte die geniale Idee, mal Richard und Gerald zu kontaktieren, ob die irgendwas von Mordor-Ents wissen. Immerhin waren sie am See auch dabei.
George, den ich nachts mal dazu fragte, erklärte, dass ich durchaus von solchen schwarzen Gestalten geträumt hätte, ja, aber dass er die nicht angerührt habe, die hätten 'nicht lecker' ausgesehen. Und so, wie mein kleiner Traumfresser-Freund sich bei den Worten 'nicht lecker' schüttelte, glaube ich, er meinte mit dem Ausdruck nicht 'Junk Food statt Gourmetmenü', sondern eher 'Giftcocktail'.
Wir waren uns alle einig, dass wir in dieser Sache den Ball ganz, ganz flach halten müssen. Wenn wirklich jemand an unserem Gedächtnis herumgeschraubt hat, dann sind die Mordor-Ents, falls es sie gibt, ein richtig heißes Eisen. Der einzige, dem wir genug vertrauen, um es ihm gegenüber anzusprechen, ist Jack White Eagle. Den wollen wir mal zu dem Thema befragen.
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Zurück aus der Kommune. Jack hat unsere Bitte um Stillschweigen sehr ernst genommen und uns nicht nur einen ruhigen Ort zum Reden gesucht, sondern sogar einen Ritualkreis um uns herumgezogen, damit auch wirklich niemand lauschen kann. In dem Kreis las ich meine Aufzeichnungen noch einmal vor und beschrieb noch einmal, was es damit auf sich hatte, woraufhin Jack erklärte, er habe eine Vision von den Viechern gehabt: sie seien extrem gefährlich und überhaupt nichts Gutes. Wegen dieser Vision sei Jack überhaupt erst von South Dakota nach Miami gekommen, denn er habe das Gefühl, wegen dieser Viecher müsse er dringend hier sein. Oh. Ob er meine, dass sie aus Schottland herkommen würden? Sie seien schon hier, erklärte er daraufhin grimmig. Mehr wollte er uns darüber aber erst einmal nicht sagen, denn wir seien – ich zitiere – „zwar nett, aber ungestüm“. Aber wenn 'es' denn käme, wenn er etwas erfahre, das wichtig sei, dann würden wir es zuerst erfahren, versprach Jack, oder zumindest mit zuerst.
Alles klar. Und bis dahin halten wir uns in dieser Beziehung komplett bedeckt.
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27. November
Gerald und Richard haben sich gemeldet. Es hat ein paar Tage gedauert, aber jetzt haben wir von beiden die Bestätigung: Sie wissen beide noch von den Mordor-Ents am See. Demonios. Es hat wirklich jemand an unserem Gedächtnis herumgespielt. Ich meine, das hatten wir uns ja schon gedacht, aber diese Bestätigung ist schon nochmal... hossa. Sagte ich schon, dass ich es hasse, wenn jemand in meinem Kopf herumschraubt?
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01. Dezember
Mierda. Bei all dem Stress, der in letzter Zeit los war, habe ich es komplett vernachlässigt, aber irgendwann muss ich Pan Ersatz für seine desertierten Ritter gefunden haben, denn alleine werden Sir Anders, die Satyre und ich nicht gegen Winter bestehen können, wenn es das nächste Mal rund geht. Es stellt sich nur die Frage, werde ich überhaupt irgendwo Sidhe-Ritter finden, die a) frei sind für einen neuen Einsatzort und b) bereit sind, an Pans unkonventionellen Satyrshof zu kommen? Das könnte schwierig werden, befürchte ich. Aber Pan hatte ja nach der Sache mit den Sommerhaaren noch einen anderen Gedanken. Vielleicht lassen sich ja wirklich einige der Einherjaren aus Heorot dazu überreden, an den Sommerhof zu kommen? Immerhin sind es (okay, bis auf Asleif) ja kultivierte Einherjar, die nicht jede freie Minute mit Saufen und Köpfeeinschlagen verbringen. Vielleicht kann man die für Pans Palast interessieren? Einen Versuch wäre es wert. Ich muss nur bald los, damit noch genug Zeit für andere Optionen ist, falls diese fehlschlägt.
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06. Dezember
Ich vermelde: Einherjar in Miami! Okay, in Pans Palast, sprich im Nevernever, das an Miami angrenzt. Es erforderte gar nicht so viel Überredung, sie zur Unterstützung zu gewinnen. Dreizehn neue Streiter hat Pan jetzt insgesamt, Sigthor nicht gerechnet. Der kam zwar auch mit, aber ich habe das Gefühl, der wird nicht lange bleiben, sondern sich hier nur eine Weile umsehen und dann wieder weiterziehen. Asleif ist auch mitgekommen; dem war es in Heorot wohl zu kultiviert, und er hofft hier auf mehr Action. Na, für zwei Gelegenheiten im Jahr konnte ich ihm Action versprechen, aber da müssen wir sehen, ob und inwieweit ihn das hier hält.
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09. Dezember
Es war ja so klar. Pan war neugierig und ist im vollen Bewusstsein dessen, was passieren wird, mit Sigthor in seinen Privatgemächern verschwunden. Ich bin schwer begeistert, denn dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten, wer dann so in ca. einem Dreivierteljahr – wobei, wie lange dauern eigentlich Schwangerschaften bei Satyren bzw. Naturgottheiten? – das Kindermädchen wird spielen dürfen. Pan findet das Ganze fürchterlich lustig und macht schon Pläne.
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10. Dezember
Wie zu erwarten war, ist Sigthor wieder aufgebrochen. Oh, wo ich gerade Sigthor erwähne: Sein Feuerkind mit Loki hat jetzt auch einen Namen. Sindri sollen wir sie nennen. Das klingt ziemlich hübsch, wenn ihr mich fragt. Und sehr passend für ein Feuerwesen. Als eine Sarah oder Laurie hätte ich sie mir jedenfalls nicht vorstellen können. Sindri lernt langsam, ihre Feuerstelle zu verlassen und menschliche – oder zumindest humanoide – Gestalt anzunehmen, was auch eine sehr spannende Entwicklung ist. Ich bin mal gespannt, was für Unfug sie damit anstellt. Übernatürlicher Feuer-Teenager. Yay.
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22. Februar
Heute ist etwas ziemlich Schräges passiert. Edward, der sich ohnehin nicht auf dem Höhepunkt seiner Stimmungskurve befindet, weil gerade Vollmond ist, bekam Wind von einem Haus, in dem angeblich ein Poltergeist umging. Er fuhr hin und nahm uns mit – seine Kollegen haben sich inzwischen daran gewöhnt, und seit Edward Lieutenant ist, kann er sich die zivilen Berater noch viel problemloser leisten.
In dem Haus flogen im Wohnzimmer wie in einem Miniaturwirbelsturm jedenfalls jede Menge Dinge herum. Im Obergeschoss lag auf dem Bett in einem Teenagerzimmer dessen Bewohnerin, eben ein Mädchen im Teenageralter, in einer Trance. Totilas knockte sie aus, aber daraufhin wurde der Minitornado im Wohnzimmer nur noch schlimmer. Da gingen inzwischen wirklich Dinge zu Bruch. Das konnte so nicht weitergehen, also versuchte ich es einmal damit, dem Mädchen den Anblick einer friedlichen, sommerliche Blumenwiese vor ihr inneres Auge zu projizieren. Nicht ihren Geist zu manipulieren, wie das ja strengstens verboten ist und was mir angesichts meiner eigenen Erfahrungen auch im Leben nicht einfallen würde, sondern ihr einfach das Bild zu zeigen. Die friedliche Szene schien das Mädchen auch tatsächlich etwas zu beruhigen, denn die Gegenstände flogen jetzt langsamer im Wohnzimmer herum, trudelnder. Ich fühlte mich an tanzende Schmetterlinge erinnert, auch wenn die meisten Sachen natürlich viel zu groß und schwer für Schmetterlinge waren.
Mit Ammoniakreiniger als Riechsalzersatz bekamen wir das Mädchen schließlich aufgeweckt, was den Spuk ganz enden ließ, und kontaktierten Ximena, die versprach, sich um das junge Talent zu kümmern.
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7. Mai
Roberto erzählt ja gelegentlich mal Geschichten aus seiner Bótanica, und wir haben da ja selbst auch schon Dinge miterlebt. Es hat sich unter den Santerios im Viertel schon länger herumgesprochen, dass Roberto doch kein so oberflächlicher Scheinheiliger ist, wie die Leute das immer gedacht hatten, und gelegentlich kaufen sie nicht nur bei ihm ein, sondern fragen ihn als Vertrauten seiner Schutzheiligen Orisha (mierda, es fällt mir immer noch schwer, dieses Wort in den Mund Stift zu nehmen) um Rat und Hilfe.
Jedenfalls hatte er heute drei Kundinnen: eine junge Frau mit ihrer Mutter und Großmutter. Die Mutter hatte anscheinend die Tochter in die Botánica geschleift und die Großmutter hatte sich angeschlossen. Die drei Damen wollten einen Rat bzw. eine Vorhersage wegen eines Mannes für die Tochter. Die Mutter bevorzugte Juan, aber den hielt die Tochter für unglaublich langweilig. Sie selbst schwärmte für Ernaldo, aber der war wegen Handelns mit Marihuana und diversen Diebstählen gerade im Gefängnis. Die Großmutter hingegen fand beide Männer nicht geeignet, deswegen war sie wohl sehr glücklich mit Robertos Urteil, der riet, Maria solle sich nicht sofort entscheiden, sondern sich Zeit lassen. Sie werde es wissen, wenn der Moment gekommen sei.
Unser Roberto. Wird auf seine alten Tage noch zum Salomo.
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5. August
Pan wird immer unleidlicher. Die Schwangerschaft sagt ihm doch nicht so zu. All die Hormone, oh weh. Und wie entbindet man bei einem männlichen Feenwesen überhaupt ein Kind? Nicht auf natürlichem Wege, soviel ist schon mal klar. Pan hat Spencer Declan kontaktiert, der meinte, es gebe magische Möglichkeiten. Dann wird der Warden wohl die Hebamme spielen dürfen. Ich lasse den Arsch ja eigentlich nur ungern in die Nähe meines Herzogs. Aber besser er als ich. Sowas gehört nicht zur Jobbeschreibung des Ersten Ritters. Ich darf Declan eben nicht aus den Augen lassen.
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13. September
Das Kind ist da! Declan hat seinen Job ausnahmsweise mal einwandfrei gemacht (er wurde ja auch gut genug dafür bezahlt), und es gab keinerlei Schwierigkeiten. Pan wollte seine Tochter unbedingt nach Edward und mir benennen, also heißt die Kleine Edwina Ricarda. Tío, ist die niedlich. Und das sage ich, der, Babies grundsätzlich meistens eher hässlich findet. Klar liebt man sie, aber wirklich hübsch sind direkt nach der Geburt doch die wenigsten, wenn man ehrlich ist. Edwina Ricarda weist jedenfalls schon mal keine Spur von Hörnern und Bocksfüßen auf, zum Glück. Ob und inwieweit sie irgendwann Nymphenzüge entwickelt, werden wir dann wohl in einigen Jahren sehen.
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19. September
Aua. Das hat wehgetan. Also nicht mir, gracias a Dios, aber Totilas und Edward hat es ziemlich gebeutelt. Zum Glück heilen die beiden schnell.
Aber der Reihe nach.
Totilas hat da doch von Gerald diese, ähm, Geschäfte geerbt. (Das ist auch so was, an das ich mich nur schwer gewöhne.) Jedenfalls haben die Raiths auch gehörige Anteile an Miamis Filmbusiness. Und es sind Raiths. Was für ein Filmbusiness wird das wohl sein? Kleiner Hinweis: Der Hauptdarsteller firmiert unter 'Ricardo Longdong'.
(Ja hahaha. Cue jokes.)
Wie dem auch sei, Totilas wurde alarmiert, weil es auf dem Filmgelände einen heftigen Schusswechsel gab. Ein paar Ganger waren auf dem Gelände eingedrungen und hatten begonnen, wild um sich zu feuern. Cast und Crew waren in Sicherheit gesprungen und begonnen, aus der Deckung heraus das Feuer zu erwidern, und einer hatte den panischen Anruf an Totilas abgesetzt.
Als wir ankamen, war der Schusswechsel noch in vollem Gange. Totilas fackelte nicht lange, stürmte hinein und schaltete gleich zwei der Angreifer aus, wurde selbst aber dabei ziemlich angeknackst und ausgeknockt. Edward stürmte hinterher und schickte zwei weitere Gangmitglieder schlafen, wurde dabei aber ebenfalls außer Gefecht gesetzt. Roberto und ich, die wir ja etwas langsamer auf den Beinen sind als unsere übernatürlichen Freunde, hatten so schnell gar nicht reagieren können. Jetzt ließ ich meinen patentierten Sonnenlichtzauber auf die restlichen beiden Typen los, der ihnen zwar nicht schadete, weil sie Menschen waren, keine Vampire, der sie aber immerhin blendete, was es Roberto und mir erlaubte, sie auch noch festzusetzen.
Als wir sie befragten, sagte der eine was davon, dass sie angeheuert worden seien, um auf diesem speziellen Filmset Ärger zu machen. Totilas meinte auch schon, er könne sich da ein paar Parteien denken, denen an sowas gelegen sein könnte. Unschön jedenfalls, dass, wer auch immer es ist, das an einer Filmcrew auslässt, auch wenn es eine Pornofilmcrew ist und mit den Raiths im Zusammenhang steht.
Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Small Favor 1
16. Oktober
Oho. Robertos Bruder Carlos ist frei. Aber klar, er hatte ja keine zehn Jahre bekommen wie Enrique, und von den sechs Jahren, zu denen er verurteilt war, haben sie ihm zwei wegen guter Führung erlassen. Roberto hat ihn abgeholt, und als er sich hinterher mit uns traf, hatte er beunruhigende Dinge zu berichten.
Mitte November soll doch dieser Supermond sein: der Vollmond, der so nah an die Erde herankommt wie seit 70 Jahren nicht. Und Carlos macht sich große Sorgen um Enrique und die drei anderen Koyanthropen, die noch im Gefängnis sind, weil sie dort natürlich auf engstem Raum zusammenhocken und sich bei einem Supermond vermutlich noch viel schlechter unter Kontrolle hätten als bei einem normalen Vollmond ohnehin schon. Carlos hat ernsthaft Angst, dass sie dort drin austicken und jemanden umbringen könnten, sagte Roberto.
Edward hat auch schon gemerkt, dass der Supermond seine Schatten vorauswirft. Er ist noch gereizter als sonst und hat eine noch kürzere Lunte. Er hat sich auch schon darüber informiert, was so ein Supermond in magischer Hinsicht bedeutet, und eines ist sicher: Das ist mal richtig gefährlich. Mierda.
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17. Oktober
Ich war bei Oliver im Laden und habe ein bisschen nachgeforscht. Beim letzten Supermond vor 70 Jahren sind die Verbrechensrate und die Anzahl der Gewaltdelikte massiv nach oben geschossen. Wobei ich für diese Info natürlich nicht zu Oliver in den Laden musste, die war im Internet frei verfügbar. Aber was ich im Behind the Cover fand, war die Information, dass dieser Kanal, diese Verbindung zu ihrem Wutdämon – oder was auch immer es genau ist, was die Lykanthropen bei Vollmond so ausrasten lässt – beim letzten Supermond einen ganzen Monat lang offen blieb, sich nach dem vorigen Vollmond gar nicht erst richtig schloss. Oh oh. Dios, ayudame! o, mejor dicho, ayuda Edward. Wenn das wirklich so ist, dann wird das kein Spaß. Aber Edward hat ja schon gesagt, er merkt einen Unterschied. Das wird wohl auch diesmal wirklich so sein. Mierda.
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Wieder zuhause. Wir haben überlegt, was wir machen können, um Enrique und den anderen im Gefängnis zu helfen, aber so eine richtig zündende Idee hatten wir noch nicht. Es wäre sicherlich nicht schlecht, wenn die vier während des Vollmonds nicht zu vielen Leuten zusammengepfercht wären, aber Einzelhaft für alle vier zu arrangieren, wäre so gut wie unmöglich. Dazu müssten sie so viel Ärger machen, dass sie in Einzelhaft gesperrt werden, und das entsprechend abzupassen, gerade genug für Einzelhaft, aber nicht so viel, dass sie austicken und wen umbringen, und das während des Supermonds? Das wäre viel zu riskant. Das würde nicht gutgehen. Beruhigungsmittel könnte man auch nicht mit der gebotenen Sicherheit einschleusen, oder besser: Für Beruhigungsmittel müsste man den Gefängnisarzt dazu bringen, dass er sie verschreibt, und dazu bräuchte es einen validen Grund. Und „Ihre Insassen sind Kojanthropen, Herr Doktor“ wäre mit ziemlicher Sicherheit keiner. In Quarantäne packen, weil sie eine ansteckende Krankheit haben? Auch kein guter Plan. Denn erstens müsste auch die vom Gefängnisarzt diagnostiziert werden, und selbst wenn es etwas zu diagnostizieren gäbe, weil man sie irgendwie damit infiziert bekäme, hieße das immer noch, dass sie dann krank wären: krank und geschwächt und mit potentiell noch weniger Kontrolle als ohnehin schon, und das auf der Quarantänestation mit eventuellen anderen Kranken und Geschwächten, also Beute? Keine gute Idee, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten. Die vier entführen, um sie über die Zeit des Vollmonds irgendwo sicher unterzubringen? Jahaaaa. Y una leche. Das wäre eine schwerwiegende Straftat, und was, wenn der Vollmond vorbei ist? Die vier einfach wieder im Gefängnis abliefern? Sie für den Rest ihres Lebens untertauchen lassen? Ich wiederhole mich, aber: Y una leche. Aber irgendwie beruhigt werden müssen sie da drin, da geht kein Weg daran vorbei.
Da wir uns bei der Diskussion irgendwann nur noch im Kreis drehten, beschlossen wir, mit James Vanguard zu reden. Immerhin ist er, von Edward mal abgesehen, unser Kontakt in Sachen Lykanthropie.
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Vanguard erklärte sich bereit, uns zu treffen, was angesichts der derzeitig herrschenden Nervosität gar nicht so selbstverständlich war. Tatsächlich war die Stimmung zwischen Edward und ihm noch angespannter als sonst, aber beide konnten sich beherrschen. Vanguard erklärte, dass Enrique und die anderen Kojanthropen seien, keine Lykanthropen, mache es etwas schwierig für ihn, Vorhersagen abzugeben, weil er mit denen immer noch nicht so viel Erfahrung bzw. Berührungspunkte habe, auch wenn ihre Erschaffung (was für ein Wort, aber genau das war es ja nun mal) ja nun schon einige Jahre her ist. Aber was er uns sagen konnte, war folgendes:
Kojanthropen sind schneller als Lykanthropen, aber ihre Stärke trotzdem nicht zu unterschätzen. Und sie verhalten sich weniger wölfisch als Lykanthropen, bilden keine so stark miteinander verbundenen Rudel. Aber obwohl ihr Rudelverband nicht so fest sei, könnten vier Mitglieder einander vermutlich schon helfen, einander gegenseitig Stabilität geben. Und Ginseng-Tee. Ginseng-Tee helfe enorm.
Ich glaube, ich muss mal wieder meinen Bruder im Gefängnis besuchen gehen. Ich war ja auch tatsächlich schon eine ganze Weile nicht mehr dort, Schande über mich.
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18. Oktober
Ja. Jahaaaaa. Das hätte ich mir ja fast denken können. Enrique war ziemlich aggressiv drauf, Stichwort: Traust du mir etwa nicht zu, dass ich selbst auf mich aufpassen kann, hältst du mich etwa für eine Pussy, weißt du mal wieder alles besser, rah rah rah. Jahaaaaa, Enrique, du bist mein Bruder, und ich liebe dich, aber du bist auch echt anstrengend, weißt du das? Ich will doch nur nicht, dass du in noch größere Schwierigkeiten kommst, ¡carajo!.
Naja. Der Besuch war also etwas anstrengend, gelinde gesagt, aber nachdem wir den ganzen Spaß mit „ja, Enrique, ich weiß, was du bist, und ja, Enrique, ich glaube an den ganzen übernatürlichen Scheiß, wir können also offen reden“ hinter uns hatten, habe ich dann doch irgendwie in Enriques Schädel reinbekommen, dass seine Leute und er unbedingt auf Sandsäcke boxen müssen statt auf ihre Mitgefangenen und dass sie einander wieder runterziehen sollen, falls einer von ihnen auszurasten droht. Mehr konnte ich in dem Moment dann auch nicht tun, leider.
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19. Oktober
Ha, aber Edward hatte vorhin eine Idee! Eine richtig, richtig gute Idee. Hilary Elfenbein und ihr spezieller White Court-Hunger! Ein Aggressionsbewältigungsprogramm unter den Insassen, das wäre es doch! Totilas rief gleich bei Hilary an, und das Ende vom Lied war, dass es zwar nicht leicht wird, aber das sich hoffentlich etwas machen lässt. Ms. Elfenbein wird ein Projekt zur Aggressionsbewältigung unter Gefängnisinsassen planen und ich werde meine Kontakte ins Bürgemeisteramt spielen lassen, damit sie ihr Projekt dann auch in der Everglades Correctional Facility umsetzen kann.
Derzeit ist der Plan, dass erst irgendwann eine Vor-Sichtung der Kandidaten für die Studie stattfinden soll, bei der natürlich dann unter anderem Enrique und seine Leute dafür ausgewählt werden, und dass die eigentliche Behandlung dann während des Supermondes selbst passiert. Nicht ideal, aber besser bekommen wir das nicht hin, glaube ich. Drückt bloß die Daumen, dass das klappt, Römer und Patrioten.
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20. Oktober
Mit Selva Elder haben wir auch geredet. Sie war allerdings nicht sehr begeistert, uns in der Way Station zu sehen – irgendwie passieren zu oft unschöne Dinge, wenn wir dort sind – und hielt sich entsprechend bedeckt. Sie wollte nicht sagen, ob von ihren Leuten jemand als Wächter im Gefängnis Dienst tut, aber sie meinte immerhin, wenn sie etwas hört, sagt sie bescheid.
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24. Oktober
Oho? Jack White Eagle möchte uns treffen. Er hat uns eben alle kontaktiert und uns zu einem Treffen ins Dora's gebeten. Ob es irgendwas mit der Sache zu tun hat, über die er letztes Jahr nicht sprechen wollte?
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Hatte es nicht. Oder nur sehr, sehr indirekt. Indirekt insofern, als dass Jack uns bei der Gelegenheit – und bei vielen anderen Gelegenheiten vorher auch schon – geholfen hat und wir uns jetzt endlich mal revanchieren können. Also vielleicht. Hoffentlich. Zumindest werden wir es versuchen.
Die Sache ist folgende: Es geht um Feen, denen Jack selbst bereits zweimal einen Gefallen getan hat. Beim dritten Mal wären sie ihm verpflichtet, und jemand anderem etwas schulden, das ist etwas, das keine Fee so gut ertragen kann, also kann Jack ihnen kein weiteres Mal helfen.
Die Feen um die es geht, sind Heinzelmännchen, also Brownies deutscher Herkunft gewissermaßen. Wenn sie jemanden mögen, kommen sie nachts und räumen bei dem auf, weil sie einfach gerne putzen und saubermachen, aber man darf sie dabei nicht beobachten wollen, sonst sind sie weg und kommen nie wieder. Sie wohnen tatsächlich ganz offen im deutschen Viertel der Stadt, sagte Jack, und betreiben dort deutsche Restaurants und Bäckereien und dergleichen. Und einer von ihnen sei wegen seines Karpfenteichs von Winterfeen unter Druck gesetzt worden, sie wollten aber wie gesagt auf gar keinen Fall Hilfe von White Eagle annehmen, weil das sonst der dritte Gefallen wäre, den er ihnen täte. Johannes Bonifer heißt der Bürgermeister der kleinen Feengemeinschaft, sagte Jack noch.
Na gut. Jack White Eagle kann ihnen also nicht helfen, aber wir. Ich meine, sie sind zwar streng genommen Wyldfae und gehören nicht zum Sommer, aber es sind Feen, und Winter hatte seine Finger im Spiel. Das kann sich der Ritter des Sommerherzogs dieser Stadt ja mal ansehen gehen. Ich habe schon ewig keinen guten Karpfen mehr gegessen.
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Ich vermelde: Der Karpfen war ganz ausgezeichnet. Das Problem der Heinzelmännchen... nicht so. Aber mal sehen, ob wir nicht vielleicht trotzdem was tun können.
Das deutsche Viertel besteht aus ein paar Straßen, wo Tafeln mit deutschen Namen unter die amerikanischen Straßenschilder gehängt wurden. Das entspricht nicht gerade der städtischen Beschilderungsordnung, glaube ich, aber bisher scheint das niemanden gestört zu haben, oder die Schilder würden da nicht mehr hängen. Jedenfalls sah die ganze Gegend auch sehr danach aus, wie man sich einen deutschen Straßenzug in einem kleinen Städtchen so vorstellt: Die Häuser waren tatsächlich aus Stein gebaut, nicht aus Holz, und auch von der Form und Größe her eher deutsch als amerikanisch. Das Ganze wirkte auch nicht zuckrig-kitschig – okay, ein klein bisschen vielleicht, aber nicht sehr. Ziemlich viele Märchenmotive waren zu sehen, zum Beispiel eine 'König-Drosselbart-Straße' und ein Restaurant 'zur Krone'. Unser eigenes Ziel, dessen Namen Jack White Eagle uns genannt hatte, war das Restaurant 'zum Hirsch': klassisch deutsch anmutend, mit klassischen deutschen Gerichten auf der Speisekarte. Die Kellnerin eine hübsche junge Frau mit blonden Schneckenzöpfen und in einem Dirndl, das ihre kurvigen Formen ziemlich ideal zur Geltung brachte.
Wir würden gerne mit Bürgermeister Bonifer sprechen, erklärte ich. „Ah, Bonny“, meinte die Kellnerin, und „ja, ich habe schon von euch gehört. Ihr seid die schönen Männer, oder?“ Grrrrr. „Ihr seid nett, habe ich gehört“, fuhr sie dann fort. Na wenigstens etwas. „Um was geht es denn?“ „Stichwort Karpfen“, sagte Roberto, und das zeigte Wirkung. Das Mädchen verschwand sofort.
Es dauerte eine Weile, aber dann kam ein kleiner, rundlicher Mann hereingewuselt. Für seine Fortbewegungsweise kann ich kein anderes Wort verwenden. Er kam gleich zu uns an den Tisch, strahlte uns an und fühlte sich ganz furchtbar geehrt, dass wir ihn aufsuchten. Auch er hatte von uns schon gehört, oder besser von mir. Oder noch besser von Pans neuem ersten Ritter.
Als ich ihn darauf ansprach, dass ich gehört hätte, es gebe hier Probleme, wollte er erst abwiegeln, weil er unter keinen Umständen einen Gefallen annehmen wollte, aber ich erklärte, als Ritter sei es doch meine Pflicht, für Ordnung zu sorgen. Aber sie seien doch nur Wyldfae, nicht dem Sommer angeschlossen, erwiderte Bonifer. Egal, erklärte ich, es sei mir zu Ohren gekommen, dass der Ärger mit dem Winterhof bestehe, also sähe ich es als meine Aufgabe an, da ausgleichend einzuschreiten. Von diesem Argument ließ Bonifer sich überzeugen, und außerdem habe er ja schon gehört, dass Pans derzeitiger Ritter sehr ehrenhaft sei und sich gegen Unrecht auf allen Seiten wende. Tío. Ich wäre fast rot geworden bei dem Gebauchpinsel. Aber okay, stimmt schon, ich versuche es zumindest.
Jedenfalls lenkte ich ihn dann vorsichtig darauf, dass er doch mal erzählen solle, was überhaupt los sei.
Mr Bonifer – Bonny – überschlug sich etwas bei seiner Darstellung, und wir mussten ein bisschen nachhaken, aber schließlich kam folgendes heraus:
Ein Teil des zum Restaurant gehörigen Karpfenteichs ist eingefroren. Als Gustav (wer auch immer Gustav sein mag) das Eis wegbrach, kroch ein Tier auf seine Hand, die daraufhin ganz blau wurde. Das Tier war ein Frostegel, und die Frostegel gehörten Mr. Dahl, einem Svartalf. Der habe erklärt, die Heinzelmännchen dürften seinetwegen ihre Karpfen weiterhin in seinem Egelteich halten, und als die Heinzelmännchen protestierten, das sei ihr Karpfenteich, nicht Dahls Egelteich, legte der Svartalf Dokumente hervor, aus denen hervorging, dass der Teich jetzt ihm gehörte. Und Liesel habe sich auch schon verkühlt, als sie einen Karpfen herausziehen wollte!
Dahl komme einmal im Monat, immer zur Mitte des Monats, vorbei und hole einige Frostegel aus dem Teich. Die Egel vermehrten sich ziemlich schnell, sagte Bonny, und die Kälte tue den Karpfen gar nicht gut!
Erst einmal tranken wir Kaffee aus hauchdünnem Meißner Porzellan, dann sahen wir uns diesen Karpfenteich einmal an. Der war auf den zweiten Blick größer als auf den ersten, weil er sich auch ins Nevernever erstreckte, und im Nevernever stand er in einer idyllischen Landschaft an einer ebenso idyllischen Windmühle. An einer Stelle allerdings war der See völlig zugefroren, und die Bäume, die auf dieser Seite des Gewässers standen, waren von Rauhreif bedeckt.
Ja, es ist November und für Miami-Verhältnisse relativ frisch in der Stadt, aber zufrierende Gewässer sind in Miami auch für November nicht unbedingt normal. Als es in Miami das letzte Mal geschneit hat, war ich noch nicht mal geboren.
Im Nevernever sei das Wetter zwar etwas „klassischer“ winterlich, aber auch hier im Nevernever friere der See normalerweise erst Ende Dezember oder im Januar zu, erfuhren wir. Die Windmühle gehöre den Heinzelmännchen, erfuhren wir ebenfalls, die bräuchten sie ja für ihr Mehl zum Brotbacken.
Wir erkundigten uns noch ein bisschen ausführlicher über die Umstände. Die Gruppe lebt schon seit mehreren Generationen hier, aber es gibt keinerlei Dokumente, die belegen können, dass sie eingewandert sind oder offiziell hier wohnen. Als sie ins Land kamen, siedelten sie einfach auf dem Gelände und rissen die unbewohnten Bruchbuden ab, die stattdessen bis dahin dort standen. Sie bauten ihre Häuser und fingen an zu leben, und niemand wollte je etwas von ihnen wissen. Steuern zahlten sie auch, sagte Bonny. Einen Gefallen wollte er noch immer auf gar keinen Fall akzeptieren, aber wenn wir ihnen helfen würden, das Problem zu lösen, dürften wir 300 Jahre lang hier umsonst Karpfen essen, so viel und so oft wir wollten. Das war doch ein Handel, auf den wir uns gerne einließen.
Totilas machte den Vorschlag, doch einfach einen zweiten Teich zu graben und die Karpfen umzusiedeln, aber davon wollte Bonny nichts wissen. „Aber das hier ist doch unser Teich“, stammelte er entgeistert, „und außerdem geht das doch gar nicht, da ist doch überall Wiese!“
Tío. Feen. Dann werden wir wohl keinen neuen Teich graben.
Totilas griff in das Wasser und holte einen dieser Frostegel heraus. Von der Berührung wurde seine Hand blau und eiskalt, und er spürte darin nichts mehr, sagte er. Der Egel zog ihm Blut ab und veränderte selbst auch die Farbe: Er wurde silbrig und auf einmal erstaunlich... das ist ein so völlig falsches Wort in Bezug auf einen Blutegel, aber ich kann es tatsächlich nicht anders beschreiben, attraktiv. Was nur wieder einmal zeigte, wie stark Raith-Blut ist, wenn es sich sogar auf einen hässlichen Wurm auswirkt.
Mr Dahl hatte Bürgermeister Bonifer seine Karte gegeben. Sie war in exklusivem, elegantem Design gehalten und trug die Aufschrift „Dahl. Antiquitäten und Kunsthandwerk“ neben einer Adresse nahe der Lincoln Street und einer Telefonnummer.
Ebenso exkusiv und vornehm war auch sein Antiquariat, das wir als nächstes aufsuchten, und sein Besitzer hager und mit markantem Gesicht in tadellosem Maßanzug. Er begrüßte uns, mich vor allem, mit kühler Höflichkeit, was mich nicht weiter wunderte, denn ich selbst hielt es ja bei meiner Begrüßung nicht anders. Immerhin gehören Svartalfar zu Winter. Entsprechend vorsichtig brachte ich das Thema auf den Karpfenteich.
Er habe das Gelände mit dem Teich im August von der Stadt erworben, sagte Dahl. „Interessant“, kommentierte ich. „Das fand ich auch“, erwiderte Dahl. Ach? Sieh an? Sagen, ob er den Kauf selbst angestoßen habe oder ob er von jemandem dazu angeregt worden sei, wollte er aber nicht. Überhaupt wollte er nicht mehr zu der Sache sagen, denn was gehe es uns an?
Der Fall sei mir zu Ohren gekommen, erwiderte ich, und ich wolle mich vergewissern, dass alles seine Richtigkeit damit habe. „Ah, ein nobles Unterfangen“, entgegnete Dahl mit nur dem geringsten Hauch von Spott und bot mir dann einen Schreibtisch an, der einmal einem Schriftsteller gehört habe und der angeblich die Kreativität beflügele. Ich sagte, ich werde es mir überlegen; auch wenn er keinerlei magische Eigenschaften haben sollte, ist der Tisch ziemlich hübsch, aber eigentlich bin ich versorgt, und eigentlich passt er vom Stil nicht so ganz in mein Arbeitszimmer. Roberto äußerte sich sich ähnlich höflich und ähnlich ausweichend bezüglich eines Original-Ikea-Schranks von 1977, von dem insgesamt nur fünf Exemplare existierten, und dann waren der Formalitäten Genüge getan, und wir zogen weiter ins Katasteramt.
Timberwere:
Das Katasteramt wiederum war ein Griff in das sprichwörtliche Waschbecken. Also, nein, wir fanden schon heraus, was wir suchten. Es war nur nicht das, was wir hören wollten. Das gesamte Viertel gehört der Stadt, bis auf ein kleines Stück, bei dem ein gewisser Egil Bafursson eingetragen ist. Das dürfte dann wohl Dahls echter Name sein, da er für einen notariellen Kaufvertrag vermutlich kein Alias angegeben hätte. Es war auch alles rechtmäßig, soweit wir feststellen konnten, keine Lücke weit und breit. Die Stadt war bereit, das Land zu verkaufen, Dahl erwarb es, bezahlte es, es gehört ihm, da gibt es nichts daran zu rütteln.
Wir mutmaßten, dass es den Svartalf vermutlich selbst überrascht haben könnte, dass das Gelände zum Verkauf stand, und dass er dann kurzerhand zuschlug. Aber auch das ändert nichts daran, dass ihm der Teich tatsächlich gehört und zusteht. Mierda.
Natürlich fingen wir an zu überlegen, was wir tun könnten. Den See austrocknen? Das würde den Karpfen darin ebensowenig gefallen wie den Frostegeln. Einen neuen Teich graben und die Karpfen umsiedeln? Das hatte Bürgermeister Bonifer ja schon vehement abgelehnt. Das Wasser künstlich erwärmen? Das ginge vielleicht, wäre aber sehr aufwendig. Und da der magische Teil des Sees sich im Nevernever befindet, wäre da mit technischen Lösungen nicht so viel geholfen. Ich könnte mir zwar vorstellen, tatsächlich genug Sommermagie zusammenzubekommen, um sie in den Teich zu leiten und ihn damit aufwärmen zu können, aber das wäre erstens ziemlich aufwendig und zweitens nur kurzfristig. Um sowas auf Dauer am Laufen zu halten, hätte ich im Leben nicht die Kraft, ganz abgesehen davon, dass ich auch noch ein paar andere Dinge zu tun habe, als für den Rest meines Lebens an einem Karpfenteich zu stehen und ihn auf Temperatur zu halten, herzlichen Dank.
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25. Oktober
Wir hatten noch eine andere Idee. Könnte man vielleicht etwas mit dem Niesbrauchsrecht der Heinzelmännchen erreichen, die ja immerhin schon seit Generationen hier leben? Zu diesem Thema befragten wir heute Marshall Raith, der ist immerhin Anwalt und muss es wissen. Aber leider hatte auch Marshall keine positive Auskunft für uns. Das wäre schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, denn sie sind ja noch nicht einmal legal hier im Land, wie sich herausstellte, als wir nachfragten. Als sie nach Amerika kamen, hatte keiner von ihnen die schlaue Idee, sich bei den mundanen Behörden anzumelden, also sind sie illegale Einwanderer und haben keine Geburtsurkunden und nichts.
Das einzige, was uns sonst noch einfiel, war, Dahl nahezulegen, einen anderen See für seine Egelzucht zu verwenden und ihm den Karpfenteich abzukaufen. Dazu müssen wir nur von ihm wissen, was er gerne dafür hätte. Das behagt mir zwar gar nicht, weil der Kerl ein Vertreter des Winters ist, aber egal. Das ist doch nur wieder der Sommermantel, der da aus mir spricht. Da muss ich drüberstehen, ¡demonios!
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So, wir haben einen Termin mit Senor Dahl vereinbart. Morgen, heute war der Herr nicht mehr verfügbar. Ein sehr geschäftiger Geschäftsmann eben. Haha. Hat es nicht nötig. Grrrr. Aus, Alcazar, das ist immer noch Sommer, der da spricht.
Eines ist aber wichtig, das dürfen wir auf gar keinen Fall vergessen: Die Heinzelmännchen müssen schnellstmöglich der Stadt den Rest des Landes abkaufen, damit sowas nicht demnächst gleich wieder passiert. Die Situation lädt ja geradezu dazu ein. Dazu brauchen sie aber Geburtsurkunden, damit sie sich legal im Land aufhalten und legal das Land kaufen können. Okay. George ist der Beauftragte des Wyld, seit Sergeant Book auf der Insel ist. Dann muss George, den die Wyld den „grauen Herrn“ nennen, als offizieller Wyld-Beauftragter zu mir kommen, dann kann ich zu Vin Raith gehen, der kann die Dokumente beschaffen, damit gehe ich wieder zu George, der gibt sie den Heinzelmännchen, damit die damit das Land kaufen gehen können, und niemand hat irgendwem einen Gefallen getan, weil alles ganz hochoffiziell war. Ha.
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Wir waren gerade auf dem Rückweg von unserem Termin bei Marshall Raith, da bekam Edward einen Anruf von seinem Partner – ehemaligen Partner, genauer gesagt, jetzt Untergebenen – Henry, der sagte, in einem Walmart in der Nähe gäbe es ein Problem: ein Kunde sei durchgedreht. Er habe an der Kasse gestanden, dann sei er plötzlich ausgerastet, habe seinen Einkaufswagen herumgeworfen wie ein verdammter Marvel-Superschurke (Henrys Worte, nicht meine) und sei dann abgehauen, renne noch da draußen rum, und Edward möge sich doch bitte darum kümmern!
Da keine Zeit war, um Autos zu wechseln und so weiter, fuhren wir mit zu dem Walmart. Ein paar uniformierte Polizisten nahmen gerade Aussagen auf, und zwischen zwei anderen war ein Nerdgespräch im Gange: Es fielen die Begriffe 'Hulk', 'Luke Cage' und 'Jessica Jones'.
Aber von diesen Scherzchen mal abgesehen, war die Stimmung unter den Zeugen und Passanten ziemlich gereizt: Auch bei den ganz normalen Bürgern warf der Supermond schon ganz schön seine Schatten voraus.
Der Einkaufswagen, mit dem der Täter um sich geworfen hatte, war noch da, und Edward nahm dort den Geruch des Mannes auf und wollte ihm folgen.
Sagte ich schon, dass die Stimmung gereizt war? Ein paar Umstehende machten blöde Sprüche wegen Edwards Schnüffelns, und er fuhr zu ihnen herum und wäre beinahe auf die Spottenden los. Ich schaffte es irgendwie, ihn davon zu überzeugen, dass die Sache wichtiger war, und zog ihn mit mir, während Totilas den Spott der Leute auf sich zog, damit wir ungestört wegkamen.
Edward folgte der Spur des Mannes bis in eine Gasse, wo der gerade auf eine Mülltonne einprügelte. Und wir kannten den Typen: Es war einer der Kojanthropen, die damals von Michael Fable betreut wurden, nachdem Ernesto Sanchez sie geschaffen hatte. Außerdem hockte in der Gasse auch noch ein Obdachloser, zusammengekauert und voller Angst.
Als Edward den Kojanthropen sah, knurrte er auf. „Lasst mich das machen.“
Er ging einige Schritte auf den Wütenden zu. „Unterlassen Sie das. Sir. Bitte.“
Der Mann fuhr mit glühenden Augen zu Edward herum. „Lass mich in Ruhe.“ Bäm – seine Faust fuhr wieder in die Mülltonne und hinterließ eine tiefe Delle. „Sonst“ – bäm – „geht's wem dreckig.“
„Das kann ich auch“, konterte Edward und verpasste der Tonne eine eigene Delle. „Und ich bin bei der Polizei.“
Der Typ knurrte wild auf und griff Edward an, und die beiden machten es unter sich aus. Glücklicherweise wurde niemand sonst in die Sache hineingezogen, und am Ende, nachdem sie einander die Mülltonne um die Ohren gehauen hatten, war der Kojanthrop ohnmächtig und hatte einen gebrochenen Arm, und Edward eine lange Schramme und diverse blaue Flecken. Aber immerhin waren beide noch am Leben.
Während ich Edward verarztete, leistete Totilas dem ohnmächtigen Kojanthropen erste Hilfe, ehe wir einen Krankenwagen für ihn riefen und er, inklusive Warnung bezüglich seiner Gewalttätigkeit und der Notwendigkeit eines Beruhigungsmittels, der Polizei übergeben wurde.
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26. Oktober
Hui. Heute nacht war die dünne Mondsichel schon um einiges größer zu sehen als üblicherweise. Ich glaube, da dürfen wir uns noch auf einiges gefasst machen.
Der Kojanthrop von gestern wurde heute dem Haftrichter vorgeführt, blieb aber nicht lange in Gewahrsam: Dr. Fable stellte Kaution für ihn. All die neuen Kojanthropen – also alle außer Enrique und seinen Kumpels im Gefängnis – sind ja bei ihm in Therapie.
Nachher steht auch der Termin bei Mr. Dahl an. Grrrrrr. Durchatmen, Alcazár. Professionell bleiben. Das ist der Mantel, der aus dir spricht. Bleib du selbst.
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Na, das ging doch erstaunlich gut.
Dahl empfing mich wieder mit kühler Höflichkeit, was mir aber gerade recht war, denn dasselbe Verhalten wollte ich auch an den Tag legen. Er bat mich in sein Büro, das in hellem und modernem skandinavischen Stil möbliert war. Und heute war Dahl tatsächlich bereit, ein paar mehr Worte über das Geschäft mit dem Teich zu verlieren.
Colin Mendoza habe ihm zu dem Teich geraten, und von ihm habe er überhaupt erfahren, dass das Land der Stadt gehöre und erworben werden könne. Ach. Colin. Sieh an. Hat der kleine cabrón von meinem Vorgänger seine Finger auch noch in anderen Töpfen als nur im Diebstahl von Lebenswasser.
Aus, Alcazár. Du hast den kleinen cabrón zu verantworten, das weißt du. Ja, weiß ich, ¡carajo!
Dahl musste mir meine Abneigung gegen Colin angesehen haben, denn er erklärte, er habe sich mit meinem Vorgänger immer gut verstanden. Für einen vom Sommer jedenfalls, war der unausgesprochene Zusatz.
Ich hätte bisher kein größeres Problem mit Winter gehabt, führte ich aus.
Oh, er hoffe, das werde in seinem Fall auch so sein, erwiderte Dahl. Aber ich sei nicht sonderlich gut auf Señor Mendoza zu sprechen, oder?
Er habe sich nicht ehrenhaft verhalten, knurrte ich. Oh, nickte Dahl, das sei natürlich nicht gut für einen Ritter.
Jedenfalls. der Svartalf sagte, er sei bereit, den Teich gegen einen anderen auszutauschen, seine Frostegel umzusiedeln, wenn wir dafür bereit wären, ihm bei einem Problem zu helfen. Vor einer Weile hätten sich Selkies auf Elliot Key angesiedelt, und die müssten weg da.
„Das kann ich Ihnen nicht versprechen, aber ich werde mit den Selkies reden“, erklärte ich.
„Also kommen wir nicht ins Geschäft?“ fragte Dahl. Ähm. Wie kam er denn jetzt darauf?
„Wenn die Selkies umziehen, dann kommen wir natürlich ins Geschäft“, stellte ich klar. „Wenn ich sie nicht davon überzeugen kann, umzuziehen, dann nicht.“
„Also ziehe ich meine Egel erst um, wenn die Selkies weg sind?“
Ich wiederhole mich, aber: ähm.
„Natürlich, nur so ist es doch fair.“
Jetzt schien Dahl überrascht. Jedenfalls sah er so aus, als er den Handel mit einem Handschlag besiegeln wollte. Er hatte kalte Hände, sehr kalte Hände, oder zumindest kam es mir in meiner Eigenschaft als Vertreter des Sommers so vor. Aber ich glaube, meine eigenen Hände müssen Dahl auch sehr warm vorgekommen sein.
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Okay. Edward hat mit Suki Sasamoto über Elliot Key und Dahls Anliegen gesprochen. Wie es scheint, braucht der Schwarzalb die Insel, damit seine Schiffe dort anlegen und er seine Schmuggelgeschäfte betreiben kann – ich will es gar nicht genau wissen, solange es 'nur' Schmuggelgeschäfte sind und er nicht den ewigen Winter nach Miami bringen will. Svartalfar seien tückisch, ergänzte Suki, und dieser spezielle Svartalf habe schon versucht, die Selkies von Elliot Key zu vertreiben. Sie könnten vielleicht in die Everglades ziehen, irgendwohin an deren Rand, wo es Salzwasser gebe und keine Fischernetze, ein Ort, wo sie nicht gesehen würden. Nicht gesehen zu werden, sei wichtig, da viele Selkies oftmals ohne ihre Häute unterwegs seien, und nicht alle kämen mit Menschenkleidung klar. Jedenfalls, die Glades gingen vielleicht, aber andererseits gebe es zu viele Krokodile dort, und Krokodile fressen Selkies.
Also gut. Dann müssen wir wohl nochmal mit Selva Elder reden, ob sich da etwas machen lässt.
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In der Way Station war wieder mal einiges los, als wir ankamen. Natürlich war Selva Elder selbst anwesend, aber auch Cherie Raith, dieser Sarkos, von dem wir immer noch nicht genau wissen, ob er jetzt ein Black Court-Vampir oder ein Ghul oder etwas ganz anderes ist, außerdem Angel Ortega, der so aussah, als habe er hier eine neue Anstellung als Aufpasser gefunden, und Hans Vandermeer. Der Fliegende Holländer war betrunken und redete auf Cherie ein, die ihm gerade entgegenschleuderte, er solle ihr nicht auf die Nerven gehen.
Als Vandermeer Edward zu Gesicht bekam, fing er an, über den herzuziehen und ihn bei Cherie schlechtzumachen. „Er ist aber besser im Bett“, konterte sie trocken, woraufhin Vandermeer zu Edward herumfuhr. „Lass die Finger von ihr!“
Edward blieb erstaunlich ruhig dafür, dass der Supermond bevorstand. Er klang fast milde. „Wer die Finger an sie legt, entscheidet immer noch sie selbst.“
Cherie grinste den blonden Holländer kurz an. „Siehst du, und genau deswegen ist er besser im Bett als du.“
Und so ging es weiter. Vandermeer und Edward feindeten sich noch ein bisschen länger an, bis Selva Elder schließlich einschritt, wenn sie sich prügeln wollten, sollten sie das draußen tun. Nicht in ihrem Laden, der sei immerhin neutraler Boden. „Lass ihn leben“, ermahnte ich Edward noch. Der wirkte inzwischen richtig auf Hundertachzig, und froh, sich abreagieren zu können, aber er nickte. Draußen vor der Way Station prügelten die beiden sich tatsächlich, was damit endete, dass Edward seinen Gegner ins brackige Wasser warf, dann aber doch darauf achtete, dass der andere ungefressen wieder herauskam.
Hinterher trugen wir Selva unser eigentliches Anliegen vor. Sie erklärte, sie wolle die Selkies nicht in den Glades haben, weil es hier zu gefährlich für sie sei. Es gebe aber eine Insel draußen beim Cayo Huracán, die ziemlich ideal für ihre Zwecke sein dürfte. Tanit sollte das wissen, die Insel liege in ihrem Bereich.
Alles in allem war Selva aber ziemlich genervt von uns. „Darf ich jetzt vielleicht weitermachen? Ich habe ein Gumbo zu kochen.“
Klar durfte sie. Auf immer verscherzen wollten wir es uns ja mit ihr auch nicht. Deswegen, und weil wir hungrig waren, bestellten wir uns jeder eine Portion. Falls ihr mal richtig leckeres Gumbo essen wollt, Römer und Patrioten, geht in die Way Station.
Während des Essens beratschlagten wir, wie wir am besten an Tanit rankämen. Direkt zu ihr zu gehen, wäre unhöflich, aber wozu habe ich Kontakt zu Yahaira Montero. Ritter zu Ritterin, das gäbe dem Ganzen gleich nochmal einen semiformellen Anstrich, der in diesem Fall vielleicht gar nicht schaden kann.
Dann aßen wir in Ruhe auf und tranken noch einen Kaffee hinterher, und ich hab den Kram hier aufgeschrieben. Aber jetzt geht’s zurück.
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27. Oktober
Au. AU. Au, verdammt. Kopfschmerzen. Kann mich immer noch kaum konzentrieren. Und ich dachte, eine Nacht Schlafen würde vielleicht helfen.
Okay, ich bin ja selbst schuld, aber in dem Moment ging es nicht anders, oder zumindest wusste ich mir in dem Moment keinen anderen Ausweg.
Auf dem Rückweg nach Miami klingelte Edwards Handy schon wieder. Diesmal war Salvador Herero in der Leitung, der seinem Chef mitteilte, dass schon wieder jemand ausgetickt sei, auf einer Straßenkreuzung diesmal. Natürlich fuhren wir hin.
Auf der besagten Straßenkreuzung stand ein Mann, oder zumindest eine Gestalt, denn sie wirkte nur noch entfernt menschlich. Der Mann war angeschwollen vor Muskeln und trug tierhafte Gesichtszüge, machte auch tierhafte Geräusche. Hier stimmte der blöde Witz vom Hulk, den die Cops gestern gemacht hatten, tatsächlich. Mit einem Ächzen, das nur wenig nach Anstrengung klang, viel mehr nach unbändiger Wut, stemmte er ein Auto hoch und zerriss es in der Luft. Ich wiederhole das nochmal. Ein Mann stemmte mit bloßen Händen ein Auto hoch und zerriss es.
Als er uns sah, kam der Kerl auf uns zugestampft. Trotz seiner Masse war er erschreckend schnell auf den Beinen, und wir hatten Glück, dass wir ein Stück von der Kreuzung entfernt waren und der Mann ein gewisses Stück zurücklegen musste. Roberto stellte sich breitbeinig hin und verspottete den Typen, der sich daraufhin in dessen Richtung drehte. Totilas wollte ihn auch ablenken, aber der Kerl war derart auf Roberto fixiert, dass Totilas' Rufe keinerlei Wirkung zeigten. Ich dachte, ich versuche es mal mit meinem patentierten Sonnenlichtzauber und blende ihn, aber ein Hulk ist nunmal kein Vampir, und so wurde es zwar hell um den Typen herum, aber das störte ihn nicht groß. Ich vermute mal, er orientierte sich ohnehin nicht sonderlich stark über die Augen in dem Moment.
Edward versetzte seinem Gegner einen kräftigen Hieb, aber das schien den Hulk auch nicht sonderlich zu beeindrucken; die Beule, die er von Totilas kassierte, genausowenig. Er war immer noch derart auf sein erstes Ziel konzentriert, dass er die beiden Treffer ignorierte und stattdessen nach Roberto schlug. Weil der allerdings geschickt auswich, wurde er nicht getroffen, hatte sich aber gegenüber dem Hulk in eine ungünstige Position gebracht. Der nächste Schlag würde ihn mit ziemlicher Sicherheit treffen, und zwar gewaltig.
Ich bin nun keine große Leuchte im Nahkampf, das ist kein Geheimnis, auch wenn ich dank des Unterrichts bei Eileen im Umgang mit Jade schon deutliche Fortschritte gemacht habe. Mich diesem Koloss also jetzt mit meiner Feenklinge in den Weg zu stellen, würde es auch nicht bringen. Der Kerl würde gleich Roberto zu Klump schlagen, und soweit durfte es nicht kommen. Es war mit Sicherheit keine meiner schlaueren Ideen, aber die einzige Möglichkeit, die ich in dem Moment sah, um ihn aufzuhalten, wo mein patentiertes Sonnenlicht schon nicht funktioniert hatte, waren Ranken. Schöne, feste, sommerliche Ranken, um den Kerl festzuhalten. Soweit so gut. Der Zauber klappte wie geplant, und die Ranken sprossen aus der Erde. Nur war der Hulk eben extrem stark, also mussten die Ranken auch richtig, richtig solide sein. Und um sie eben so richtig, richtig solide zu machen, steckte ich mehr Kraft hinein, als ich es mir leisten konnte.
Die Strafe folge auf dem Fuße: Ich konnte richtiggehend spüren, wie ich mich mit dem Wirken des Spruchs überanstrengte, und im selben Moment begann mein Kopf so heftig zu schmerzen, als würde er im nächsten Moment platzen, während mir ein Blutfaden aus der Nase lief. Ich wiederhole mich, aber: au. Au, verdammt.
Memo an mich: Du bist kein echter Magier, Alcazár. Du hast jetzt diese Sommerkräfte, ja, aber leichtsinnig solltest du deswegen nicht werden.
Der Hulk war aber jedenfalls von den Ranken gefesselt, oder zumindest so stark behindert, dass er nicht an Roberto herankam. Edward aber kam an ihn heran. Und jetzt hielt er sich nicht mehr zurück. So schwer es mir fällt, das zu schreiben: Diesen Gegner prügelte Edward tot. Richtig tot. Und sogar, als der Kerl schon tot war, stand Edward noch mit geballten Fäusten über ihm und sah aus, als wolle er ihn gleich in tausend Fetzen reißen.
Irgendwann kamen auch Suki Sasamoto und Salvador Herero dazu, um zu helfen. Beide hatten schon vorher im Kampf gegen den Hulk kräftig einstecken müssen: So war Sukis Arm gebrochen, und Herero blutete aus mehreren Wunden. Suki, ganz die Japanerin, entschuldigte sich verlegen, während Herero bei Henry Smith anrief, damit der den Vorfall hinerklären sollte. „Das wird aber schwer zu erklären“, unkte Totilas. Na mal sehen. Spin Doctoring ist immerhin Henrys Spezialität.
Ich tat ansonsten gestern abend jedenfalls nicht mehr viel, außer ein paar Kopfschmerztabletten einzuwerfen und mich ins Bett zu packen, sobald Alejandra auch schlief. Und ich hatte eigentlich gehofft, die würden über Nacht wirken. Aber Fehlanzeige. Mierda.
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