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[Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Timberwere:
Später. Gefüttert, getränkt, Hausaufgaben angeschaut. Kaffeebecher neben mir. Keine Ausreden mehr, Alcazár.
Während wir mit unseren jeweiligen Gegnern beschäftigt gewesen waren, hatten Lady Fire und Lord Frost allmählich aufgedreht, und als wir jetzt Zeit hatten, hinzusehen, fiel uns erst so richtig auf, wie sehr. Sie beharkten einander immer stärker, und das tat der Insel überhaupt nicht gut. Von der Hitze ihrer Feuerwalzen verglaste der Sand, und von der Kälte seiner Eiswellen knackte der Boden. Wenn das so weiterginge, bliebe von der Insel nichts, rein gar nichts, mehr übrig, das als Anker dienen könnte. Wir mussten die beiden von der Insel herunterholen, irgendwie. Nur wie?
Während des Kampfes hatte Lady Fire sich vom direkten Ufer weg und auf die Klippen ein Stückchen landeinwärts zubewegt. Jetzt machte sie Anstalten, dort hinaufzusteigen – und zwar nicht etwa kletternd die Felsen hoch, wie man das erwarten würde. Nein, wir reden von Lady Fire: Sie erhitzte einfach die Luft unter sich und schwebte auf diesem Polster nach oben.
Totilas warf seine übermenschliche Schnelligkeit an, um vor der Lady oben auf der Klippe zu sein, und dank Supermond war Edward nur knapp hinter ihm. So, wie sie sich oben positionierten, wollten sie Lady Fire von der Insel bugsieren, also rief ich von unten einen Sommerwind, der von der Insel weg in Richtung Meer wehte und den Totilas und Edward nutzen konnten, als die Lady oben ankam und die beiden sie mit einem kräftigen Tritt seitens Totilas und einem mächtigen Fausthieb seines Edwards gen Ufer trieben. Tatsächlich landete die Lady zwischen Lord Frost und dem Meer, und im weiteren Verlauf des Kampfes gewann Lord Frost immer mehr die Oberhand. Die Lady bewegte sich in einem Rückzugsmanöver seitwärts am Ufer entlang – denn vor sich der Winterfae, hinter sich das Meer, das konnte ihr beides nicht gefallen, und es wurde mehr als deutlich, dass sie nicht bereit war, das Wasser zu betreten.
Vanguard rief irgendwas von wegen, es sei keine Zeit mehr, und eilte mit Edward und Totilas los in Richtung Ritualplatz. Ich hingegen war immer noch der festen Überzeugung, dass die beiden Kämpfer von der Insel herunter mussten, also folgte ich stattdessen den beiden Fae. Sie mussten von der Insel runter, und... Und vielleicht gab es ja doch noch eine Chance. Einen allerletzten Versuch musste ich wagen. „Ich wollte doch das alles nie!“ rief ich ihr zu. „Können wir das nicht doch noch irgendwie klären?“ Kurz hielt Lady Fire inne und drehte sich zu mir. „Du hast mir das Herz gebrochen!“
Und dann...
Mierda. Ich brauche noch einen Kaffee, glaube ich. Oder einen Schnaps. Egal, dass es Nachmittag ist. Gleich wieder da.
Auf, Alcazár. Führt ja kein Weg daran vorbei.
„Du hast mir das Herz gebrochen“, rief Lady Fire und starrte mich dabei wutentbrannt an. Und dann...
„Technisch gesehen war ich das“, sagte Lord Frost ungerührt und…
...und durchbohrte sie mit einer Eislanze.
Lady Fire brach zusammen. Ich rannte zu ihr, fiel neben ihr auf die Knie. Unter der braunen Haut war sie bleich geworden, trüb die Flammen ihrer Augen. Die Eislanze in ihrer Brust war ein entsetzlicher, unendlich falscher Fremdkörper. „Es tut mir so leid“, stammelte ich, „das wollte ich alles nicht...“ „Ich hätte das alles nicht tun können, wenn du mir nichts bedeuten würdest“, wisperte Lady Fire. „Aber...“ - meine Stimme war auch nicht lauter als ihre - „warum?“ “Du hast mir das Herz gebrochen, und dann bin ich meinen Weg gegangen, und jetzt sind wir beide hier…” Ich bekam kein Wort heraus, fasste nur nach ihrer Hand. “Erzähl mir eine Geschichte…” Ich hielt ihre Hand fester, und meine Stimme war so erstickt, man sie kaum verstehen konnte. Aber doch laut genug. Laut genug für sie und für mich. “Es war einmal… eine wunderschöne Feenlady…”
Ich weiß nicht, wie lange ich dort neben ihr im Sand kniete, sie in den Armen hielt und mit Tränen in den Augen meine Geschichte für sie spann. Ich saß auch weiter da und hielt sie fest, als das Leben schon längst aus ihr entwichen war. Hielt sie fest, bis ihr Körper irgendwann in meinen Armen zu Asche zerfiel.
Auch nachdem Lady Fire nicht mehr war, saß ich noch lange reglos dort. Lord Frost hatte sich zurückgezogen, schon ganz am Anfang, gleich nach dem tödlichen Schlag. Aber das hatte ich kaum registriert.
Ich habe auch keinerlei Erinnerungen mehr daran, was ich ihr eigentlich erzählt habe. Das will ich auch gar nicht. Diese Geschichte war für Lady Fire, und für Lady Fire allein, und dass die Worte mit ihr vergangen sind, das fühlt sich seltsam passend an.
Irgendwann, ich weiß nicht, wieviel später, rappelte ich mich auf und stolperte los, um die anderen zu suchen. Am Landeplatz der Schiffe stieß ich auf Edward und seine Mutter, die gleichzeitig völlig erschöpft, verwirrt und aufgedreht wirkte. Und täuschte ich mich, oder zuckten Flammen in Marie Parsens Augen? Tatsächlich täuschte ich mich nicht. Mit Lady Fires Tod war das Amt der Lady auf den nächsten passenden weiblichen Menschen übergegangen, und das war Marie. Ihre so plötzlich erworbenen neuen Fähigkeiten überwältigten und überforderten Mrs. Parsen vollkommen, und sie musste sie herauslassen, und zwar gleich, aber eben nicht hier, nicht auf der Insel der Jugend. Also wollte Edward seine Mutter auf die nächstgelegene Insel bringen, auf die von Alex so treffend benannte “Kollateralschadeninsel”, wo Lady Fire - die vorige Lady Fire, meine Lady Fire - beim letzten Mal auch schon größere Teile des Bewuchses in Brand gesteckt hatte - damit sie dort in Ruhe ihren Ausbruch haben konnte.
Am Ufer sah Mrs. Parsen ganz erstaunt auf das Meer hinaus und zischte etwas davon, dass das Wasser ihr auf einmal so unsympathisch sei. Ein Schiff entfernte sich gerade; an Deck stand Lord Frost und winkte seiner neuen Konkurrentin ganz leger zu - offensichtlich gibt es eine gewisse Zeit der Ruhepause oder Waffenstillstand oder wie man es nennen will nach einem Wechsel des Lords oder der Lady. Aber er war Marie jedenfalls auch auf Anhieb unsympathisch, was sie wunderte, weil sie den Mann ja noch nie im Leben gesehen hatte. Also verbrachten wir die Überfahrt zur Kollateralschadeninsel damit, ihr so gut wie möglich ein bisschen was über ihre neuen Umstände zu erklären. Dank ihrer Beziehung zu Antoine und ihrem Wissen um das Übernatürliche war es weniger ein Problem, sie dazu zu bringen, dass sie es glaubte - aber überwältigend war das Wissen um die Tatsache, dass sie nun eine mächtige Sommerfee ist, die sich einen ewigen Kampf mit ihrem Gegenpart von Winter liefern muss und irgendwann von ihm umgebracht werden wird, wenn sie ihm nicht zuvorkommt, natürlich dennoch.
Während Mrs. Parsen im Inneren der Kollateralschadeninsel versuchte, mit ihren neuen Kräften klarzukommen, erzählte Edward mir, was am Ritualplatz geschehen war. Bei ihrer Ankunft hatten Alex und Roberto dort Sergeant Book brennend und in einer Feuersäule schwebend vorgefunden; Marie, Antoine und Jugend (der sehr kindlich und schwach aussah) lagen gefesselt am Boden. Zwei von Vanguards Leuten waren bei einem in die Erde gebrannten Bannkreis dabei, Dinge für das Ritual zurechtzulegen. Obgleich die Lykanthropen nicht bereit waren, ihre Gefangenen freizugeben, konnten die Jungs sich mit ihnen doch friedlich einigen, und gemeinsam bereiteten sie das Ritual weiter vor. Als Edward, Totilas und Vanguard dann dazukamen, untersuchte Edward erst einmal den Aufbau des Rituals, ob Lady Fire vielleicht eine geheime Agenda eingebaut hatte. Das hatte sie tatsächlich: Der Zauber würde zwar tun, was er tun sollte, und zwar das Biest unter Kontrolle bringen, aber diese Kontrolle sollte auf Lady Fire übergehen, nicht auf James Vanguard. Die Veränderungen am Ritualaufbau konnte Edward aber immerhin nutzen, um Vanguard bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Allerdings brauchte er Roberto dazu, der ihm, wie bei dem Ritual am Lochan Dubh nan Geodh für Gerald, seelisch-magischen Beistand leistete. Als das Biest im Kreis - und zwar durch Alex hindurch, der gewissermaßen als lebendes Portal diente - erschien, erhielt Vanguard denselben seelisch-magischen Beistand von Edward, wie der ihn von Roberto bekam, wodurch er trotz aller Lykanthropenwut seinen menschlichen Intellekt weiterhin nutzen konnte und das Biest somit besiegte. Totilas fing indessen Sergeant Book ab, der mit Lady Fires Tod aus seiner Feuersäule freikam und der ansonsten ohne weitere Umstände auf den gerade kämpfenden Vanguard losgegangen wäre.
Tatsächlich siegte Vanguard und konnte den Zorngeist des Wolfs unter seine Kontrolle zwingen. Sein Erfolg blieb nicht unbemerkt - das wilde Freudengeheul seines Rudels hatte ich sogar in meiner Betäubung unten am Strand undeutlich mitbekommen.
Totilas bekam auch heraus - Edward sagte nicht, wie, aber wenn Totilas auf diese Weise einfach so über eine Information verfügt, dann meistens, weil er sie von seinem Dämon bekommen hat, das weiß Edward ebenso gut wie ich -, dass ein Outsider-Dämon, und zwar die Lady der Verschlungenen Wege, die Begleiterin von Luftballon-Jack, die beim letzten Mal auch auf der Insel war, sich wieder dort aufhielt, und zwar am Jungbrunnen selbst. Das war der Moment, als die Jungs sich trennten und Edward seine Mutter zum Strand brachte, nachdem sie die Gefangenen befreit hatten, während die anderen zum Jungbrunnen gingen. Das heißt, das, was jetzt kommt, habe ich hinterher von den Jungs erzählt bekommen.
Am Brunnen stellte Alex fest, dass irgendwie falsch anmutendes Wasser aus einem, hm, ich nenne es mal Netherriss (ja, ich habe zu viel Arcanos gespielt, dass mir diese Assoziation kommt) floss, der so geschickt im herabbplätschernden normalen Wasser versteckt war, dass man ihn ohne Alex’ besonderes Talent in dieser Richtung wohl kaum hätte bemerken können. Auf der Ummauerung des Brunnens stand für jeden ein Teller mit Kuchen - den rührte aber natürlich niemand an. Während Totilas das falsche Wasser auffing und Alex den Netherriss verschloss, nutzte Roberto einen seiner beiden Schleiertränke, um sich damit einmal umzuschauen. Und tatsächlich konnte er auf diese Weise die Lady der Verschlungenen Wege sehen, die sich im Gebüsch versteckt hatte. Als sie erkannte, dass sie bemerkt worden war, grinste sie Roberto zu und machte eine fragende Geste in Richtung der Kuchenteller. Da niemand reagierte, nahm sie die Kuchenstücke und schob sie sich samt Tellern in den Mund, ließ ein Stück aber draußen, um es Roberto gesondert hinzuhalten. Der schlug ihre Hand weg, und der Kuchen klatschte auf die Erde - wobei er für die anderen mitten aus dem Nichts erschien, weil die ja von der Lady nichts sehen konnten. Nur für Roberto zu erkennen, grinste diese noch einmal und verschwand dann spurlos.
Sowohl das falsche Wasser als auch der zu Boden gefallene Kuchen gingen an Sergeant Book zum Entsorgen. Jugend und seine Insel waren - sind - sehr geschwächt. Book meinte, sie würden sich vielleicht regenerieren, wenn die nächsten 100 Jahre niemand, aber auch wirklich niemand außer ihrem Hüter, die Insel betrete. Aber falls die menschliche Magie irgendetwas hergebe, was beim Stärken der Insel helfen könne, nur zu.
Book war zunehmend gereizt wegen des Wutmondes. Um dessen Wirkung etwas abzuschwächen, wirkte er einen Zauber, der Wolken vor den Mond rief und ein lokal begrenztes Gewitter auslöste.
Diese Verdunkelung des Himmels und das Gewitter drüben über der Insel der Jugend sahen wir auf der Kollateralschadeninsel natürlich auch, während wir darauf warteten, dass Edwards Mutter sich austobte. “Irgendwie romantisch, diese Gewitterstimmung da drüben”, meinte Edward versonnen, aber ‘romantisch’ war das allerletzte Wort auf Erden, das ich in diesem Moment hören wollte. Ich antwortete nicht, sondern grübelte weiter, und so warteten wir schweigend, bis Marie zu uns zurückkehrte.
Wieder zurück auf der Insel der Jugend stellten wir fest, dass George in der Zwischenzeit die Kämpfer des Winters schon wieder nach Hause gebracht hatte. Der Ritter ohne das Eidbrecher-Zeichen, den ich besiegt hatte, war von Hurricane in Gewahrsam genommen und ebenfalls abtransportiert worden. Es lag auch nur noch eines der beiden Feuerschiffe vor Anker; das andere hatten wohl die überlebenden Eidbrecher-Sidhe genommen, Sir Kieran eingeschlossen. Colins Ventilator-Motorboot, das von dieser seltsamen, unguten Magie angetrieben wurde, war ebenfalls verschwunden – das hätten wir uns ja denken können, dass der sich absetzen würde.
Weil Marie Parsen und ihre Feuerwichtel den übriggebliebenen Sommersegler nahmen wollten, brachte George die Vanguard-Leute und uns zurück nach Miami, und auch die reuigen Ritter schlossen sich uns an.
Auf dem Rückweg bat ich George außerdem, er solle in Zukunft die Lady Fire-Träume nicht mehr komplett auffressen. Ja, es mögen Alpträume gewesen sein, und ja, eigentlich war und bin ich meinem kleinen Traumfresserkumpel ja auch dankbar, dass er sie mir die ganze Zeit über erspart hat, aber... Aber. Irgendwie bin ich es ihr und ihrem Andenken schuldig, die Träume ab jetzt zu nehmen, wie sie kommen, und nicht den billigen Ausweg über George zu wählen.
Unsere Wunden waren glücklicherweise alle nicht lebensbedrohlich. Zum Teil hatte es uns schon ziemlich gebeutelt, aber gracias a Dios ging es bei uns allen einigermaßen.
Wie gestern vor dem Schlafengehen schon kurz geschrieben, kamen wir irgendwann mitten in der Nacht wieder in Miami an. Es war tatsächlich der 16. November, hier draußen in unserer Welt waren also einige Tage vergangen, während es im Nevernever nur ungefähr einer gewesen war. Aber wie vorhin auch schon kurz geschrieben, ist damit wenigstens der Supermond vorbei.
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17. November
Heute haben wir hin- und herüberlegt, welche Buße Sir Aiden und Sir Fingal, die beiden reumütigen Ritter, wohl tun könnten, damit sie es verdienen, wieder an Pans Hof aufgenommen zu werden.
Wie ich es erwartet hatte, war Pan durchaus damit einverstanden, sie wieder in seine Gegenwart zu lassen, und wenn es nach Pan ginge, dann hätte er sie als Strafe einfach Bier holen geschickt. Der Herzog ist nunmal absolut kein nachtragender Typ. Aber nein. Es muss eine angemessene Sühne sein. Genau das war ja das Problem. Die Sidhe-Ritter hatten, haben, keinerlei Respekt für Pans Hof, genau deswegen ließen sie sich ja von Lady Fire verleiten, ihr zu folgen und Pan zu verraten. Sie haben keinen Respekt für Pans Hof, und genau den muss Pan sich verschaffen - oder besser, ich muss ihn ihm verschaffen, denn ich bin sein Erster Ritter, und der Erste Ritter trägt eine Verantwortung dafür, wie die anderen Ritter bei Hofe ihren Herzog sehen. Weder Colin, noch der cabrón, noch Sir Hortie sind dieser Verantwortung nachgekommen, und um so mehr liegt es jetzt an mir, diese Scharte wieder auszuwetzen.
Totilas schlug vor, den beiden Reumütigen etwas aufzuerlegen, das eine echte Strafe und eine echte Demütigung wäre, aber nein. Es soll eine Strafe sein, ja, aber nichts, das sie entwürdigt. Es sind immer noch Ritter, und Hohe Sidhe dazu. Und nein, ich werde sie auch garantiert nicht beauftragen, den Babysitter für Edwina Ricarda zu machen. Ihnen die Tochter ihres Herzogs anvertrauen, den sie verraten haben? Oh nein. Dieses Vertrauen müssen sie sich erst wieder verdienen. Eine Queste. Wir brauchten eine echte, anspruchsvolle und eines Ritters würdige, aber dennoch durchaus als Strafe zu sehende Queste.
Gemeinsam (ich sage deswegen gemeinsam, weil ich beim besten Willen nicht mehr weiß, von wem der Vorschlag tatsächlich stammte) kamen wir schließlich auf eine Idee, die all das beinhaltet, was ich erreichen will. Einer der Jungs machte den Vorschlag, und gemeinsam arbeiteten wir die Idee dann genauer aus. Turniere. Wir schicken sie auf die Turniere der anderen Sommerhöfe, wobei sie grau tragen müssen - sie dürfen weder in ihren eigenen noch in Pans Farben antreten. Auf diesen Turnieren müssen sie Pans Hof vertreten und jederzeit mit Respekt von ihm sprechen, ohne sich zu abfälligen Bemerkungen hinreißen zu lassen. Auch Pan selbst müssen sie natürlich jederzeit Respekt erweisen. Und wenn jeder von ihnen eine bestimmte Anzahl Turniere gewonnen hat (wieviele genau, das muss ich mir noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen), dann dürfen sie an Pans Hof zurückkehren.
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Eben hat Cicerón Linares angerufen. Enrique und die anderen Flüchtigen sind tatsächlich derzeit auf den Hanffeldern der Santo Shango, aber dort können sie ja nicht ewig bleiben. Linares wollte wissen, wie es jetzt weitergehen solle, also verabredeten wir ein Treffen. In drei Stunden an der Way Station. Selva Elder wird begeistert sein.
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Was soll ich sagen: Selva Elder war begeistert. „Ihr schon wieder“, begrüßte sie uns, und dann wurde ihre Miene noch ein wenig abweisender, weil sich in Cicerón Linares' Begleitung auch Ilyana Elder befand, und deren Überlaufen zu den Santo Shango nimmt ihr ihre Familie offenbar immer noch übel. Aber es blieb bei Blicken – anscheinend haben sie sich doch irgendwie arrangiert.
Das Gespräch mit Linares verlief soweit völlig zivilisiert. Wir waren uns darüber einig, dass ein Unterschlupf auf den Hanffeldern kein Dauerzustand für Enrique und seine Begleiter sein kann, und dass eine Flucht nach Kuba vielleicht eine Lösung wäre. Ich werde mit Enrique reden – das hatte ich ja ohnehin vor – und Linares dann bescheid geben.
Cicerón bot an, er könne meinem Bruder und seinen Leuten auch einen Job in seiner Organisation anbieten – er könne Enrique gut gebrauchen. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Tonfall ziemlich misstrauisch herauskam, als ich fragte: „Als was?“ „Naja, gute Leute werden immer gebraucht“, wich der Gangsterboss der Frage aus. Es müsse ja auch nicht unbedingt in Miami sein, es gäbe ja auch andere Möglichkeiten, in Kuba zum Beispiel. „Ja“, antwortete ich in extrem vorsichtigem Tonfall, bevor Linares weitersprach: Enrique habe ja auch Erfahrung in dem Geschäft – eine Aussage, die ich mit einem genauso reservierten „Ja“ wie das erste quittierte. Das blieb Linares natürlich nicht verborgen. „Ricardo, ich spüre da gewisse... moralische Bedenken?“ Dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten: Er bekam noch ein „Ja“ von mir, wieder in genau demselben Ton. Linares' Antwort erfolgte nicht in Worten, sondern er warf lediglich mit hochgezogener Augenbraue einen Blick zu Totilas. Ja, por demonios, ich weiß, dass einer meiner Freunde nicht nur ein Vampir ist, sondern ein verdammter Crime Lord dazu. Also machte ich eine wiegende Handbewegung. „Moralische Bedenken... hindern einen unter gewissen Umständen nicht daran, sich zu... arrangieren.“
Diese Einstellung gefiel dem Santo Shango. War ja klar. Und er finde es ohnehin ziemlich gut, erklärte er dann, dass wir uns mal treffen würden, so ganz allgemein; immerhin läge das Wohl der Stadt ja uns allen am Herzen. Najaaaa. Was ein Cicerón Linares so „Wohl der Stadt“ nennt. Also bekam er noch ein sehr vorsichtiges, sehr verhaltenes „Ja“ von mir. „Und für das Wohl der Stadt kann man sich doch sicherlich...“ - er sah mich an, während er den von mir gewählten Begriff wieder aufgriff - „... arrangieren.“ Er hob sein Glas. „Salud.“ „Salud“, erwiderte ich und hob mein Glas ebenfalls leicht, während Totilas mit Linares anstieß. Und das erregte in der Waystation tatsächlich ein bisschen Aufmerksamkeit, Römer und Patrioten, denn immerhin sind die Santo Shango und der White Court ja eigentlich harte Konkurrenten.
Bad Horse:
Ach, ja, die Kollateralschadeninsel. Und der Cicerón. :D
Timberwere:
Kssssss. Der arme Cardo erlebt einen hoch tragischen Moment, ist völlig durch den Wind, und dir fällt nichts anderes ein zu sagen als "Ach ja, die Kollateralschadeninsel"? Kssssss. Echt jetzt. :P
Timberwere:
Nach meiner Rückkehr aus der Waystation rief ich Yolanda an, weil ich sie bei dem Treffen mit Enrique dabei haben möchte. Immerhin geht es um eine Familienangelegenheit, und unsere Schwester ist Juristin. Roberto wird auch dabei sein; er ist immerhin fast sowas wie Familie, vor allem, da sein Bruder Carlos und Enrique so dicke Freunde sind. Edward will lieber nicht mit, aber das ist ja klar: Er ist Polizist und müsste die Flüchtigen sofort festnehmen, wenn er sie sähe. Dass er das alles mitbekommt, ist eigentlich schon zu viel, aber so richtig davon abschirmen können wir ihn auch nicht. Aber weil er eben nicht mitkommen kann, bleibt er lieber in der Nähe des Hauses meiner Eltern und hält ein Auge auf ‘Jandra.
Auch mit Enrique wollen wir uns wieder in der Waystation treffen, das ist einfach einer der besten Orte für sowas. Linares haben wir entsprechend informiert, damit der der Gruppe auf den Hanffeldern bescheid geben kann. Morgen dann das Treffen.
Dazu haben wir heute noch besprochen, welche Optionen es überhaupt für Enrique gibt.
Ein ehrlicher Job wäre natürlich das Beste. Aber was? Für eine Karriere als Sportler ist er mit Mitte dreißig zu alt. Für den Posten als Rausschmeißer eines Clubs zu aggressiv. Körperliche Arbeit wäre ganz gut. Aber auch da wieder, wo? Auf einer Ölplattform, mit anderen harten Kerlen, die keinen Spaß verstehen, zusammengepfercht auf engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeit? Als Koyanthrop? Keine Chance. Bauarbeiter? Vielleicht. Aber das ist auch nicht ideal. Irgendwas in der Einsamkeit wäre gut, wo Enrique sich aber trotzdem körperlich betätigen kann. Waldarbeiter oder sowas. Glades-Ranger. Aber dafür ist mein Bruder nicht der Typ.
Er könnte sich freiwillig stellen und wieder ins Gefängnis gehen. Sich auf die chaotischen Umstände bei dem Feuer herausreden, alles auf eine Kurzschlussreaktion schieben, Reue zeigen und darauf hoffen, dass sie ihm die Strafe nicht allzusehr verlängern. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass er auf Nachsicht hoffen kann? Nicht sehr, wenn man ehrlich ist.
Linares hat ja angeboten, dass Enrique für ihn arbeiten kann. Aber nein. Das wäre ja doch nur wieder irgendwas Illegales, und dann käme er aus den Gangsterkreisen gar nicht mehr raus.
Vielleicht ist nach Kuba absetzen doch die beste Option. Ximena hat ja ohnehin schon angefangen, alles Notwendige dafür zu organisieren.
Eines ist ziemlich sicher: Er wird seine Tochter haben wollen. Als Roberto diesen Einwurf brachte, merkte ich, dass der Supermond doch noch nicht ganz vorüber ist, sondern wir uns bis zum nächsten Vollmond noch mit den Nachwehen davon herumschlagen müssen. Ich fuhr nämlich ein kleines bisschen aus der Haut. NICHT ALS VERBRECHER. Ich meine, natürlich ist sie nicht meine Tochter, sondern seine. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie ein Leben auf der Flucht führen muss oder als Kind eines Gangsters aufwächst.
Als ich fertig geschimpft hatte, brachte Alex die Option 'unfreiwillig ins Gefängnis zurück' ins Spiel. Immerhin wissen wir, welchen Weg sie zu und von dem Treffen nehmen werden. Gaaaah. Ja, es wäre eine Option. Aber sie gefällt mir ganz und gar nicht.
Aber einen Plan B sollten wir haben, beharrte Alex. Stimmt. das sollten wir. Na gut, Plan B. Falls es sonst nicht anders geht.
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18. November
Mierda y cólera, das ist ja mal so richtig schön schiefgelaufen. Ich habe es versemmelt, Römer und Patrioten. Ach seufz.
Aber gut, es ist jetzt so gelaufen, jetzt kann ich es auch nicht ändern, sondern muss einfach versuchen, das Beste daraus zu machen.
Edward kam wie gesagt nicht mit zu dem Treffen mit Enrique, sondern blieb in Miami, um aus der Ferne auf Alejandra aufzupassen. Totilas kam zwar mit uns in die Waystation, setzte sich aber mit guter Sichtlinie an einen anderen Tisch, während Alex im Auto ebenfalls in Reichweite blieb. Das wusste ich natürlich in dem Moment noch nicht, aber er kundschaftete schon einmal die Gegend aus, wo sich die Highway Patrol heute stationiert hatte, um sie im Notfall aufscheuchen zu können.
Selva Elder war heute auch nicht glücklicher, uns zu sehen, als gestern. Ich weiß auch nicht, warum sie glaubt, jedesmal, wenn wir kämen, gebe es Ärger. Nicht jedes Mal. Wir waren auch schon hier, ohne dass irgendwas passiert ist. Siehe gestern. Aber okay, ich verstehe schon, dass die Male, wo die Situation eskaliert ist, die anderen Gelegenheiten ein bisschen überschatten. Aber jedenfalls servierte Selva uns Getränke und Gumbo: Geschäft ist immerhin Geschäft.
Enrique – muskelbepackt und fit, aber klar, er hatte im Gefängnis vermutlich nicht viel anderes zu tun als Sport zu machen – tauchte mit seinen drei Mitflüchtigen auf, dazu Carlos Alveira, der sich seinen Freunden partout hatte anschließen wollen.
Anfangs freute Enrique sich ehrlich, mich zu sehen. Ich freute mich ja auch, so war es ja nun nicht, aber ich wusste eben, was das Thema dieser Besprechung sein würde, und war entsprechend angespannt. Mit einem erfreuten „Hey, du hast trainiert!“ zog Enrique mich in eine Umarmung, was ich mit einem „Schon. Ein bisschen“ quittierte und dann erstmal zusammenzuckte, weil das natürlich voll auf den Verband über der Schwertwunde in meiner Seite drückte.
„Hey! Hat dir etwa einer was getan?!“ fragte Enrique empört, aber ich winkte ab. „Es geht schon.“ „Hey, keiner tut meinem kleinen Bruder was!“ „Es war halt Supermond“, beschwichtigte ich, „die Kacke war am Dampfen. Es geht schon, ehrlich.“
Nach diesem erfreulichen Anfang kippte das Gespräch aber relativ schnell in eine unangenehme Konfrontation, weil Enrique gar nicht lange brauchte, bis er das Thema auf Alejandra brachte. Er erklärte, er wolle sie jetzt natürlich haben, und ich argumentierte nach Kräften dagegen. Dass Enrique ein gesuchter Verbrecher sei, dass ihm, wenn er sich nicht freiwillig stellen würde (was er natürlich vehement ablehnte), ein Leben auf der Flucht bevorstände, und ob er seine Tochter da wirklich mit hineinziehen wolle. Dass Stabilität und ein geordnetes Leben doch besser für sie seien. Enrique allerdings war keinen Argumenten zugänglich. Ein ums andere Mal wiederholte er: „Aber sie ist meine Tochter!“, und er wurde dabei immer ärgerlicher. Mein daraufhin vorsichtig angebrachtes Argument, er habe sich vielleicht auch nicht immer so perfekt unter Kontrolle, war allerdings der völlig falsche Ansatz, denn darauf reagierte er überhaupt nicht gut. „Ich könnte Alejandra nie etwas tun!“ tobte Enrique los, und einerseits glaubte ich ihm ja, dass er das glaubte - ich weiß sehr wohl, wieviel ihm an ‘Jandra liegt -, aber andererseits bin ich mir eben nicht sicher, ob er sich in voller Vollmondrage nicht vielleicht doch mal vergessen könnte.
So ging es noch ein paarmal hin und her, wobei Enrique immer hitziger wurde und ich versuchte, ruhig zu bleiben, bis er mir irgendwann wütend entgegenschleuderte: “Sie ist meine Tochter, und du hast kein Recht, sie mir vorzuenthalten!”
Und dann reagierte ich… unklug, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich bemühte mich nämlich eigens um einen sachlichen Tonfall und entgegnete: „Naja, was das betrifft… Wenn man es ganz genau nimmt, schon. Ich habe nämlich das Sorgerecht.“
Das war zu viel. Übergangslos holte Enrique aus und jagte mir seine Faust ins Gesicht, ehe ich auch nur daran denken konnte, auszuweichen - und hinter seinem Schlag steckte eine solche Wucht, dass er mich mit diesem einen Hieb auf die Bretter schickte.
Von einem Schütteln an der Schulter und ein paar strategisch platzierten Ohrfeigen Klapsen auf die Wange kam ich wieder zu mir. Mit dröhnendem Kopf und ziemlich groggy sah ich auf: Wir befanden uns außerhalb der Waystation; offenbar hatte Selva die Jungs wütend aus ihrem Etablissement herauskomplimentiert. Totilas hatte mich geweckt, Roberto hingegen war gerade am Telefonieren, reichte mir dann das Handy. Am anderen Ende der Leitung war Alex, der ohne Vorrede fragte: „Soll ich eher dafür sorgen, dass sie einkassiert werden, oder lieber, dass sie wegkommen?“
Wie gesagt, ich war groggy. Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was Alex von mir wollte. „Enrique und seine Leute“, wiederholte er. „Ich kann dafür sorgen, dass sie verhaftet werden, oder ich kann ihnen zur Flucht verhelfen. Was soll es sein?“ Ehe ich antwortete, musste ich einfach die Gegenfrage stellen. „Alejandra?“ „Ist außen vor. Wenn sie abhauen, dann ohne sie. Also?“
Mir dröhnte höllisch der Kopf, und es war nicht viel Zeit, also konnte ich nicht groß nachdenken, sondern entschied aus dem Bauch heraus. „Ich weiß, ich werde das irgendwann bereuen, aber: hilf ihnen wegkommen.“
Das, was jetzt kommt, nämlich das, was während meines K.O.s alles geschehen war, bzw. das, was bei Alex im Auto passierte, habe ich erst hinterher erfahren. Aber es passt von der Chronologie her einfach besser, wenn ich es hier schon einfüge.
Nachdem Enrique mich niedergeschlagen hatte, zischte er seinen Leuten zu: „Los, wir gehen meine Tochter holen. Jetzt!“
Als sie fort waren, rief Roberto zuerst bei Edward an, um dem bescheid zu geben, dann Alex. Der ließ sich die Beschreibung und das Kennzeichen von Enriques Auto geben, dann fuhr er absichtlich in überhöhtem Tempo der Highway Patrol in den Weg, und sobald die ihm folgten, lenkte er sie auf die Strecke der Flüchtigen.
Der Plan ging auf: Als das Patrol Car mit Blaulicht und Sirene hinter ihnen auftauchte, wurden Enrique & Co. nervös und rasten los, obwohl ja eigentlich Alex derjenige war, der von den Gesetzeshütern verfolgt wurde. Aber das verdächtige Verhalten im Zusammenhang damit, dass deren Nummernschild schon als Fluchtfahrzeug bekannt war, führte dazu, dass die Patrolmen von Alex abließen – der würde sein Ticket schon bekommen – und sich mit der interessanteren Beute eine wilde Verfolgungsjagd in Richtung Stadt lieferten.
Das war der Moment, in dem Alex Roberto zurückrief und Bericht erstattete und mich dann fragte, wie er weiter vorgehen solle. Als ich sagte, er solle die Flucht der Kojanthropen unterstützen, legte Alex los. Auf die Schnelle organisierte er jede Menge Leute, die in der Stadt die Verfolgung behinderten. Flash Mob auf Speed, sozusagen. Hier ein defekter Laster, da ein fingierter Autounfall, sogar eine Herde Ziegen, wo auch immer die hergekommen sein mochte.
Während die Verfolgungsjagd lief, rief ich bei Ximena an, die ja ohnehin gerade schon die Flucht nach Kuba organisierte. Das Gespräch war der Hektik entsprechend kurz und knapp.
Dass die Exkremente im Ventilator seien und die Aktion sofort laufen müsse; das hatte Ximena aber schon gehört, und sie war schon an der Sache dran. Alex müsse wissen, wohin, sagte ich ihr noch, und bekam den Treffpunkt genannt – wieder ein Pier am Hafen, aber nicht dasselbe wie das, von dem aus wir ins Nevernever aufgebrochen waren. Im Auflegen hörte ich Ximena noch erfreut murmeln: „Wow. Ein ganzes Schiff unsichtbar machen!“, dann gab ich Alex die Nummer des Piers durch, und der organisierte seinen Flash Mob entsprechend und fuhr den Gangern dann nach.
Es klappte: Irgendwann mussten die Polizeikräfte aufgeben, und Enrique & Co kamen unbehelligt am Treffpunkt an. Dort gab Alex sich durch Vorbeifahren, Hupen (seit dem Dia de los Muertos und seiner Verbindung zum Kojotenzorngeist hat Alex als kleinen Insiderwitz seine Hupe zu dem „meep meep“ aus den Road Runner-Cartoons umgebaut) und Winken noch als Helfer zu erkennen, und während er vorbeifuhr, konnte er sehen, wie Enrique von Carlos beruhigt wurde. Alex konnte zwar nicht hören, um was es genau ging, aber ich vermute mal, das wird eine Aktion gewesen sein von wegen: „Wir können nicht weg, wir müssen meine Tochter holen!“ und von Carlos dann ein „lass erstmal verschwinden, deine Tochter holen wir später.“
Wir anderen waren indessen immer noch an der Waystation; ich fühlte mich immer noch nicht so richtig fit, und wütend auf mich selbst und bedrückt über die Entwicklung der Dinge war ich auch. „Hätte ich das irgendwie noch schlechter machen können? Ich glaube nicht.“
Aber Yolanda stärkte mir den Rücken: Alejandra sei bei mir definitiv besser aufgehoben als bei Enrique, und auch Roberto erklärte: „Ja. Du hättest derjenige sein können, der auf neutralem Boden zuerst zuschlägt.“
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19. November
Ich habe mich einigermaßen ausgeschlafen. Über Nacht habe ich ein astreines Veilchen entwickelt, aber dank Eispack geht es einigermaßen.
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Edward hat bei Cassius angerufen – bis heute hatten wir zu viel um die Ohren, aber bei der Konfrontation vor Edwards Haus war Cassius ja abgehauen, und seither hatte Edward nichts mehr von seinem Bruder gehört. Jetzt hat er erreicht, und zwar auf einem Transportschiff, das gerade nach Kuba unterwegs ist. Eigentlich wollte er sich nur für eine Weile auf dem Schiff verstecken, aber dann fuhr es los, und dann wurde Cassius als blinder Passagier entdeckt. Eigentlich wollen die Seeleute ihn in Kuba in Gewahrsam nehmen und dann in die USA zurückbringen lassen, aber Edward konnte sie davon überzeugen, dass er als nächster Angehöriger des Jungen dessen Kontaktperson sei und Cassius in seine Obhut gegeben werden solle. Da Ximena ja auch bald in Kuba ankommen durfte, wird sie den Jungen mit zurück nach Miami bringen, sobald sie Enrique und seine Leute abgesetzt hat. Edward hat seinem Bruder angeboten, dass er bei ihm wohnen könne – Edward hat zwar kein richtiges Rudel, aber er ist immerhin Cassius' Familie. Und vielleicht können die beiden ja zusammen eines bilden.
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20. November
Edwards Vater hat sich bei ihm gemeldet. Was sie genau beredet haben, weiß ich nicht im Detail; Edward hat nicht alles brühwarm erzählt, aber doch so die Grundzüge. Sie haben sich wohl über Cassius ebenso unterhalten wie darüber, dass Marie Parsen jetzt eine Fee ist – und Lewis Parsen hat sich anscheinend tatsächlich sowas ähnliches wie entschuldigt. Oder zumindest angedeutet, dass ihm klar ist, dass sein Verhalten früher nicht tragbar war. Und er scheint eingesehen zu haben, dass Cassius nicht bei ihm und seiner Mutter leben will, sondern bei Edward bleiben wird. Und Edward und sein Vater haben tatsächlich Telefonnummern ausgetauscht, man höre und staune.
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28. November
Heute habe ich den Nicht-mehr-Eidbrecher-Sidhe-Ritter verhört. Hurricane hatte ihn nach der Sache mit Enrique an den Sommerhof übergeben, aber ich hatte bis heute gewartet, weil ich nicht mit einem blauen Auge in Pans Kerker auftauchen wollte. Außerdem durfte der Sidhe – Sir Diarmuid heißt er – ruhig ein bisschen schmoren, dachte ich mir.
Bei dem Verhör kam nicht sonderlich viel heraus – aber das, was herauskam, war zutiefst beunruhigend.
Zuerst fragte ich Sir Diarmuid, warum er seinen Eid gegenüber Pan gebrochen habe. Das jedoch stritt der Ritter schlichtweg ab: Seinen Worten zufolge habe er Pan nie einen Eid geschworen, also habe er ihn auch nicht brechen können. Pan habe es einfach versäumt, ihm einen Eid abzuverlangen.
Na gut, das hätte ich ihm ja beinahe glauben können. Dass Pan einen Eidschwur völlig vergisst, das wäre nicht völlig abwegig. Aber auf meine nächste Frage log er ganz eindeutig, nämlich als ich wissen wollte, wie es komme, dass Lady Fire kein Eidbrecher-Zeichen mehr trage. Darauf erwiderte Sir Diarmuid nämlich, es sei ihm gar nicht aufgefallen, dass sie keines mehr habe, und das nahm ich ihm nicht ab.
Was Lady Fire und ihre Ritter so alles unternommen hätten, nachdem sie von Pan verbannt worden sei, das wollte er nicht sagen, da berief er sich darauf, dass ich Lady Fires Feind sei und er einem Feind seiner Herrin keine Auskunft geben werde. Dass ich nicht Lady Fires Feind sei, war von meiner Seite aus nicht gelogen, immerhin haben wir uns in ihren letzten Momenten versöhnt, aber das ließ der Sidhe nicht gelten. Als sie diese Aktivitäten unternommen hätten, sei ich noch ihr Feind gewesen, also werde er nichts sagen. Er habe seiner Herrin gedient, mehr werde er nicht sagen, und wenn ich ihn dafür umbringe.
„Ich finde eine Strafe für Euch, die schlimmer ist als der Tod“, spuckte ich, dann ließ ich ihn erst einmal wieder alleine im Kerker zurück.
Danach folgte natürlich die Diskussion mit den Jungs, was das alles zu bedeuten hatte. Sidhe können nicht lügen. Also warum konnte es Lady Fire? Warum kann es Sir Diarmuid?
Sollte etwa ein dämonischer Einfluss dahinter stecken? Oder schlimmer, ein Einfluss von noch weiter draußen, von den Outsidern? Und mir kam ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn Sir Diarmuid mit dem 'ich diente der Herrin' gar nicht Lady Fire gemeint hatte, sondern die Herrin der Verschlungenen Wege?
Deren Namen sprechen wir übrigens schon seit der Insel tunlichst nicht mehr aus. Dabei kommen mir natürlich Harry-Potter-und-Voldemort-Assoziationen, „He Who Must Not Be Named“ und so, aber tatsächlich ruft es die Aufmerksamkeit des Benannten auf den Nennenden, wenn ein Name ausgesprochen wird. Also vermeiden wir es, die Aufmerksamkeit der Dame auf uns zu lenken, wenn wir nur irgend können. Da „Die Tante mit den Wegen“ auf Dauer etwas ermüdend wurde – und weil es bei uns zwangsläufig irgendwie immer zu sowas kommt –, fanden wir einen Codenamen für die Dame. Ich weiß gar nicht mehr genau, über welche Assoziationskette – natürlich war „Voldemort“ auch dabei und wurde verworfen –, aber am Ende landeten wir bei „Fräulein Rottenmeier“, nach der strengen Gouvernante aus dem schweizerischen Kinderbuch „Heidi“, das Alejandra gerade mit Begeisterung liest. Es klingt aber auch einfach so schön dämonisch.
Einen Codenamen für die Tante mit den Wegen zu haben, half uns aber auch nicht bei dem Problem mit plötzlich des Lügens mächtigen Feen. Also trafen wir uns heute nachmittag mit Jack White Eagle, um den um Rat zu fragen. Er wusste zwar auch nichts über Feen, die lügen können aber er war definitiv der Ansicht, irgendetwas Großes sei im Gange. Und ja, auch Jack denkt dabei als erstes an die Outsider.
Wo wir schon einmal bei White Eagle waren, sprachen wir mit dem auch über die Insel der Jugend und wie man ihr am besten helfen könne.
Am besten sollte so schnell niemand mehr hinkommen, aber den Weg auf die Insel ganz abzuschneiden, ist keine Option, weil sie ja ein wichtiger Anker für die Realität ist, und ein Anker muss eine Verbindung zu dem haben, was er verankern soll, anders geht es schlecht.
Den Weg dorthin komplizierter zu machen, taugt auch nichts, denn ein komplizierter Weg wäre ein verschlungener Weg, und für wen wäre ein verschlungener Weg besonders einfach zu finden Richtig.
Aber wie wäre es mit Türen? Immerhin ist Fräulen Rottenmeier ja die Herrin über Wege, nicht über Türen. Man könnte mehrere Türen aneinanderreihen und diese auf verschiedenen Inseln aufstellen und dann noch bestimmte Bedingungen an deren Öffnen knüpfen. So schwer, dass kaum jemand überhaupt herausfindet, was denn nun alles benötigt wird, aber trotzdem nicht unmöglich, damit die Verbindung zur Realität erhalten bleibt und hinkommen kann, wer muss.
Diese Idee fand Jack unterstützenswert, mahnte aber auch, ein solches Unterfangen sollten wir besser nicht ohne Tanits Einverständnis durchführen. Immerhin ist sie die Herrin über die Inseln draußen im Cayo Huracan, und soweit Jack wisse, gebe es außer der Insel der Jugend noch weitere Inseln, die einen Anker für die Realität darstellen.
Tío. Wenn die Kollateralschadeninsel eine davon wäre, dann würde ich einen hysterischen Lachkrampf bekommen, glaube ich.
Aber gut. Tanit hätten wir mit ziemlicher Sicherheit auch ohne Jacks mahnende Worte kontaktiert, aber es war schon nicht schlecht, diese Information von den weiteren Ankerinseln bekommen zu haben. Und Totilas will bei Tanit ja ohnehin noch um Verzeihung für seinen Eidbruch bitten.
Bad Horse:
--- Zitat von: Timberwere am 31.08.2017 | 08:09 ---Kssssss. Der arme Cardo erlebt einen hoch tragischen Moment, ist völlig durch den Wind, und dir fällt nichts anderes ein zu sagen als "Ach ja, die Kollateralschadeninsel"? Kssssss. Echt jetzt. :P
--- Ende Zitat ---
Na komm, ich war ja dabei. Das war ein sehr, sehr cooler Moment - aber mit der Kollateralschadeninsel und Cicerón kann ich in Zukunft noch spielen, und darauf freu ich mich halt schon. :D
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