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[Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")

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Timberwere:
Und warum habe ich jetzt im Vergleich zu gestern abend, als ich meinen letzten Eintrag beendete, ein noch schlechteres Gefühl bei der Sache? Hmmm. Mal überlegen. Könnte an der Tatsache liegen, dass es heute vor dem Jugendzentrum zu einer Schießerei kam.

Den jugendlichen Augenzeugen zufolge kam eine „heiße chica“ in einem roten offenen Sportwagen vorbeigefahren, langsam, als suche sie etwas oder wolle hierher, als aus einem Baum in der Nähe Schüsse fielen und die heiße chica in die Flucht schlugen. Im Baum habe eine „genauso heiße chica“ gesessen, sei dann aber nach den Schüssen heruntergeturnt und ebenfalls abgehauen.

Totilas erfuhr abends von Cherie, dass sie die Schützin im Baum gewesen sei. Sie mache sich Sorgen um Ocean und habe auf diese aufpassen wollen, weil es dem Mädchen seit dem Tod seiner Mutter richtig schlecht gehe und sie, also Cherie, verhindern wolle, dass Ocean irgendwelche Dummheiten mache oder in irgendwas hineingerate. Und das Auftauchen einer Red Court-Vampirin (bzw. muss es eine Red Court-Infected gewesen sein, denn es war ja hellichter Tag) vor dem Jugendzentrum habe für Cherie definitiv in die Kategorie „irgendwas“ gepasst.

Weil der Red Court anscheinend irgendwie involviert zu sein scheint, hat Roberto mit seiner Bekannten Lucia Valdez gesprochen. Die war auch bereit, mit ihm zu reden und ihm ein paar Sachen zu erzählen. So zum Beispiel, dass sie sich ebenfalls Sorgen mache, eben wegen der Konfrontation zwischen der Red Court-Vertreterin im roten Sportwagen und der Frau vom White Court (sprich Cherie). Allzuviel wollte sie nicht verraten, aber sie ließ immerhin die Bemerkung fallen, dass einer der Jungen im Zentrum den Namen Canché trägt.

Canché. Puh. Das mussten wir auch erstmal verdauen. Totilas' Mutter ist nach der Sache mit den Masken zwar aus der Stadt verschwunden, aber dass einer aus ihrer Familie bei uns im Jugendzentrum herumhängt, das kam uns allen irgendwie zu viel des Zufalls vor.

Dass die Canchés eine wichtige Rolle im Red Court spielen, das wussten wir durch unsere Erlebnisse mit Sancia bereits. Aber jetzt erfuhren wir – oder reimten uns zusammen – dass dies anscheinend eine der Familien ist, aus denen der Red Court seinen Adel rekrutiert.

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Heute habe ich etwas getan, das ich schon längst hätte tun sollen. Ich bin endlich mal wieder zur Beichte gegangen. Aber ich hatte mich nach den Ereignissen beim Filmdreh nicht überwinden können, zu Pater Alvaro zu gehen, also ging ich lieber erst mal gar nicht. Denn Pater Alvaro kennt mich, seit er mich damals getauft hat, und eigentlich sollte das ja bedeuten, dass er mir als Beichtvater eben besonders vertraut und lieb ist... aber irgendwie ist das, was ich zu beichten hatte, so schräg und so seltsam, dass ich es eben irgendwie doch lieber einem völlig Fremden anvertrauen wollte. Was eigentlich auch wieder albern war, denn der Beichtvater steht ja stellvertretend für den HErrn, es sollte also wiederum völlig egal sein, wer im Beichtstuhl hinter der Trennwand sitzt.

War es aber eben nicht. Und deswegen kam mir dieser Pater Donovan, den wir bei der Einweihung des Jugendzentrums kennenlernten, gerade recht. Der schien nett, und er kennt mich nicht schon seit Kindertagen, also hatte ich bei ihm weniger Scheu, das ganze Ausmaß der Seltsamkeiten anzusprechen.

Wobei ich das nicht mal bei Pater Donovan tat. Ich wollte ihn nicht einfach so damit konfrontieren, dass es Vampire gibt und Werwölfe und Feen und echte Magie und all das. Also beließ ich meine Beichte auf der rein mundanen Ebene, machte aber auf dieser Ebene reinen Tisch über die Geschehnisse beim Filmdreh und Roselyn Sanchez' Tod.

Pater Donovan hörte aufmerksam zu und nahm meine Gewissensbisse ernst, tat sie nicht pauschal als „achwas, da kannst du doch nichts für“ ab, sondern antwortete differenziert. Und dennoch – oder vermutlich deswegen - gelang es ihm, dass ich mich hinterher tatsächlich besser fühlte. Neben dem üblichen Gebet erlegte er mir auf, einen Schreib-Workshop mit den Jugendlichen im Zentrum abzuhalten, um gegen die von mir befürchtete Arroganz vorzugehen. Ich weiß noch nicht genau, wann ich diesen Workshop veranstalten kann, aber veranstalten werde ich ihn. Ehrensache!

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Lustig, heute bin ich Pater Donovan schon wieder begegnet. Wobei, so verwunderlich war das eigentlich gar nicht. Wir haben uns nämlich heute mal die High School angesehen, in der die ganzen Unglücksfälle passiert sind. Und als wir ankamen, war der Padre draußen vor der Tür gerade im Gespräch – mit niemand anderem als mit Joseph Adlene, der gerade am Gehen zu sein schien. Wir warteten also, bis Adlene verschwunden war -  der musste uns hier nicht auch noch sehen und auf komische Gedanken kommen.

Als Adlene fort war, bat Pater Donovan uns in seiner Eigenschaft als für die Schule zuständiger Geistlicher hinein und verständigte Ms. Perreira, die sich netterweise bereit erklärte, uns zu empfangen.

Er sei von der Schule gerufen worden, um eventuelle Geister zu exorzieren, erklärte der Pater. Und Adlene sei lustigerweise aus genau demselben Grund hier aufgetaucht: Ein besorgtes Elternteil habe ihn als freiberuflichen Exorzisten beauftragt. Gefunden habe er allerdings nichts, ebensowenig wie der Padre selbst bisher.

In der Schule fanden wir zunächst nichts Auffälliges, das auf die Ursache der gehäuften Unglücksfälle hingedeutet hätte. Auch auf der Geisterebene konnte Alex zunächst niemanden sehen, aber schließlich bemerkte er doch einen Geist. Und zwar war das einer, dem Adlene sein beherrschendes Halsband angelegt hatte. Der alte Mann habe einen Aufpasser dabei gehabt, erzählte der Geist, einen richtig bedrohlich und gefährlich aussehenden Bodyguard (von der Beschreibung her wohl derselbe, den Alex auch schon bei der Vernissage an Adlenes Seite gesehen hatte). Die anderen (die anderen?! Wieviele Geister gibt es denn an so einer Schule? Wie oft bitte stirbt denn da jemand und geht nicht ins Jenseits ein?) hätten alle Angst gehabt und sich versteckt, aber er doch nicht! Adlene habe ihm das Halsband dann angeboten, und er habe es gerne angenommen, und nun bekomme er es nicht mehr ab. Aber warum auch, er finde das eigentlich ziemlich cool.

Auch interessant, wenngleich für unser momentanes Problem nebensächlich. Es scheint also, als könne Adlene die Halsbänder seinen Opfern nicht aufzwingen, sondern als müssten sie diese aus freien Stücken akzeptieren...

Wie dem auch sei, während wir uns noch umsahen, kam es direkt vor unseren Augen zu einem weiteren Zwischenfall. Zwei Jungs mussten nachsitzen und die Wand streichen, und irgendwie, auf welche verrückte Weise auch immer, war ein Bein der Leiter, auf der einer der Jungen stand, in den Farbeimer geraten, und als der andere Junge den Farbeimer wegnahm, riss er damit die Leiter um und mit ihr seinen Klassenkameraden. Der wiederum ruderte wild mit den Armen und riss im Fallen eine von der Decke hängende Skulptur von Paco Gomez, dem Astronauten, mit sich. Der muss wohl offensichtlich hier zur Schule gegangen sein.

Während der gestürzte Junge zur Schulschwester gebracht wurde, entdeckte Alex hier einen weiteren Geist, den eines Mädchens diesmal. Sie war eine von denen, die sich vor dem „Bodyghost“ versteckt hatten, trug also kein Halsband, und sie konnte Alex sagen, dass sie an der Jacke des Verletzten ein Santería-Symbol entdeckt habe.

Hm... wenn der Junge ein solches Symbol an sich trug, dann hatten das die anderen Verunglückten vielleicht ebenfalls. Bei einem der Opfer der Pechsträhne hatte es sich um einen Lehrer gehandelt, und bei dem Unglück um einen Autounfall. Das Auto war gerade zur Reparatur in der Werkstatt, also suchten wir die auf, um uns das Auto einmal anzusehen.

Und dann... weiß ich auch nicht genau, was mich ritt. Die Jungs schieben es grinsend auf die Schmerzmittel. Auf dem Auto war außen nichts mehr zu sehen, der Unfall war zu lange her, und der Werkstattbesitzer wollte uns nicht hineinsehen lassen. Aber er wollte es uns verkaufen, was ich extrem verdächtig fand, denn das Ding gehörte doch dem Lehrer! Wenn er es schon uns verkaufen wollte, würde er es dann vielleicht auch anderen Fremden überlassen und sein eigentlicher Besitzer es gar nicht mehr wiedersehen? Besser, ich kaufte es ihm ab.

So oder ähnlich muss mein Gedankengang gewesen sein, genau kann ich es gar nicht sagen. Jedenfalls blätterte ich ihm die verlangten $500 hin, dann nahmen wir das Auto mit. Nach einer eingehenden Untersuchung des Innenraums (auch hier keine Santería-Symbole) brachten wir dem Lehrer sein Fahrzeug natürlich wieder. Der war entsetzt, dass sein Mechaniker sein Auto einfach so verscherbelt hatte, und natürlich zeigte er den Mann an. Der Mechaniker wollte sich darauf herausreden, dass ihm das Fahrzeug gestohlen worden sei, doch das war schnell aufgeklärt. Ich bekam sogar meine $500 wieder. Aber trotzdem weiß ich nicht, was mich geritten hat.

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Heute haben wir uns im Center genauer umgesehen. Im Probenkeller hatten offensichtlich nicht nur irgendwelche Kids auf dem Schlagzeug herumgetrommelt, sondern auch irgendjemand irgendwelche Rituale durchgezogen. Zumindest konnte Edward im Raum noch die magischen Schwingungen spüren, die davon übriggeblieben waren. Nur wer die verursacht hatte, das konnte er nicht spüren. War ja klar.

Auf dem Dach stießen wir ebenfalls auf einen Hinweis. Roberto mit seinem Botanica-Wissen stellte fest, dass etliche der Pflanzen, die im Dachgarten wachsen, sich durchaus für ein Unglücksritual eignen würden. Also ging er auf die Suche nach potentiellen Nutzern dieser Kräuter.

Und wurde in der Küche fündig. Dort waren die drei Grazien gerade dabei, unter viel Gekicher in einem Topf herumzurühren. Roberto identifizierte ihr Gebräu als Liebestrank und sagte ihnen das auf den Kopf zu, was die drei Mädchen auch ohne Zögern eingestanden. Der Trank sei für Ciélo, der sei soooo süß. Roberto erklärte ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, wie sie ihr Gebräu noch verbessern könnten, warnte sie aber vor Ciélo. Denn ihm war inzwischen die Vermutung gekommen, dass Ciélo der Canché sein könnte, wegen dem die Red-Court-Vertreterin am Zentrum gewesen war, und so riet er Elena, sich vor ihm in Acht zu nehmen. Dann fragte er die Mädchen noch nach dem Unglücksritual, aber sie erklärten ihm sehr ernsthaft und für ihn glaubwürdig, dass sie damit nichts zu tun hätten.

Totilas suchte unterdessen das Gespräch mit Pater Donovan. Von dem erfuhr er, Joseph Adlene habe den Exorzisten-Job besonders gerne angenommen, weil ihm ständig ganz ähnliche Unfälle passieren. Adlene hat also herausgefunden, dass mit ihm irgendwas nicht stimmt, aber noch nicht so genau, was. Und hoffentlich niemals, von wem es kommt!
Dass Pater Donovan den Mann übrigens ebenfalls für keinen guten Menschen hält, macht ihn mir noch ein wenig sympathischer.

Ocean trug heute im Center eine auffällige Kette, die Edward bekannt vorkam. Denn die großen Holzperlen und den goldenen Anhänger mit Schiffsmotiv hatte er schon bei Cherie gesehen, sagte er.

Und Dee rief an. Sie fragte, ob Sienna gerade da sei, sie wolle das Mädchen nämlich abholen. So ganz rückte sie immer noch nicht mit der Sprache raus, aber zwischen den Zeilen wurde mir klar, dass sie von der Schießerei zwischen der Red Court und Cherie tief besorgt war und dass Sienna, oder ihre Familie, wohl irgendwie im Zeugenschutzprogramm sein muss. Und dass Dee eben Sienna nun in Sicherheit bringen wollte. Ich sagte ihr, dass Sienna gerade da sei, ja, und Dee meinte, ich solle sie nicht weglassen, und sie mache sich gleich auf den Weg.

Nach diesem Telefonat fanden wir Ciélo auf dem Dachgarten. Er gab zu, tatsächlich ein Canché zu sein, und nicht nur das, sondern ein Red-Court-Infected, sprich jemand, der von einem Roten Vampir gebissen worden ist, aber selbst noch niemanden gebissen und getötet hat, also seine Menschlichkeit noch bewahrt.

Ciélo erklärte, dass er seit seiner frühen Kindheit bereits infiziert sei, dass das bei allen, oder fast allen, Canchés so früh geschehe, weil sie eben eine Red-Court-Adelsfamilie seien. Bislang habe er widerstehen können, aber der Drang werde immer stärker, und irgendwann werde er ihm nachgeben. Das habe bisher noch jeder.

Aber Roberto hatte eine Idee. Über seine Santería-Kontakte wusste er von einer Organisation, einem Orden, der sich um genau solche Infizierten kümmert und ihnen dabei hilft, ihren Drang weiter unter Kontrolle zu halten. Zu diesem Orden wollte Roberto Ciélo also schicken. Ciélo allerdings wollte nicht, oder besser: nur mit Ocean, denn ohne sie mache das alles keinen Sinn.

Wir suchten also Ocean und konfrontierten sie mit der Situation. Und ja, sie und Ciélo sind tatsächlich verliebt ineinander, und ja, sie würde gerne mit ihm gehen, aber sie hat Angst darum, wie Gerald das aufnehmen könnte. Da übrraschte Totilas aber uns alle und erklärte, wenn sie Ciélo wirklich liebe, solle sie mit ihm gehen, er werde das mit Gerald klären.

Und da stehen wir jetzt. Roberto wird heute noch seine Kontakte spielen lassen und versuchen, diese St. Giles-Leute (so heißt der Orden der Infizierten) zu erreichen.

Oh, und Ciélo und Ocean haben auch zugegeben, dass sie diejenigen waren, die für die Unglückssprüche verantwortlich sind. Sie wollten niemandem wirklich wehtun, aber ein wenig Santeria-Magie üben, und so ließen sie sich dieses Unglück-per-Symbol-anhexen von Elena und Sienna zeigen. Nicht nur Elena hat nämlich anscheinend ein Händchen dafür, sondern Sienna auch.

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Okay, das ging erstaunlich schnell. Heute schon haben sich Ocean und Ciélo nach Kuba abgesetzt, wo sie den Vertreter des St. Giles-Ordens treffen sollen. Alex ist mit, weil er natürlich das Boot fährt, und Roberto, weil er den Kontakt hergestellt hat und als Vertrauensmann für den St. Giles-Typen dient.
Aber vorher nahm Edward Ocean noch die von Cherie geschenkte Halskette ab. Nicht dass da ein magischer (oder ganz gewöhnlicher) Peilsender drin ist oder so. Er hat die Kette in seinem Labor in einen Schutzkreis gepackt, sagte er.

Dee hat übrigens gestern tatsächlich noch Sienna abgeholt, wie am Telefon angekündigt. Deren Eltern hätten beschlossen, die Stadt zu verlassen, und da musste ihre Tochter natürlich mit. Naja, „beschlossen“ eben. Irgendwas ist da mit dem Zeugenschutzprogramm, aber ich habe nicht näher nachgehakt. Geheimhaltungspflicht und so.

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Oh mierda. Edward hat eben angerufen. Er klang... beschissen. Er hat nicht viel gesagt, aber was er sagte, reichte schon. Cherie hat mit ihm Schluss gemacht. Sie muss wohl für eine Weile aus der Stadt weg, und sie sieht keine Zukunft für die Beziehung.
Edward klang richtig deprimiert, völlig un-Edward. Er meinte, er müsse auch ein paar Tage raus vor die Stadt, das sei besser.
Ich weiß genau, was er damit sagen wollte. Er muss in die Wildnis, wo er für niemanden eine Gefahr ist, und toben. Das Biest in sich rauslassen. Oh mierda. Ich wünschte, ich könnte ihm irgendwie helfen.

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Totilas erzählt, dass es seinem Großvater gar nicht gut geht. Nach außen hin tut er so, als sei alles in Ordnung, aber er hat wohl die Tatsache, dass seine Tochter mit einem Red-Court-Infected durchgebrannt ist, nicht gut verkraftet. Zumal Ocean, wenn das mit ihr und Ciélo wirklich die wahre Liebe ist, zu einem völlig normalen Menschen werden wird oder schon geworden ist und dann als völlig normaler Mensch mit einem Red-Court-Infected fertig werden muss, egal wie sehr ihm dieser ominöse Orden nun helfen kann oder nicht. Und zumal Ocean das vierte Familienmitglied ist, das Gerald verloren hat. Totilas' Vater Richard, Geralds Geliebte Crysanthema, seine Mutter Camerone, und jetzt Ocean. Totilas meinte, ihm sei in den letzten Tagen und Wochen aufgefallen, dass Gerald ihn besonders schonend behandelt, als wolle er auf gar keinen Fall riskieren, seinen Enkel auch noch zu verlieren. Dass Gerald eigentlich nur noch von einer dünnen Tünche aus Contenance zusammengehalten wird, die aber bereits bröckelt und jederzeit komplett in sich zusammenfallen kann.

Totilas hat sogar mit Ms. Elfenbein geredet, der White-Court-Psychologin und Wutspezialistin, die ihm zustimmte und meinte, es wäre gut, wenn Gerald mal einen richtig langen Urlaub machen und sich erholen würde, aber gerade das ist in der momentanen angespannten Situation nicht möglich. Der russische Teil der Familie wartet ja immer noch nur darauf, dass Gerald eine Schwäche zeigt, um dann zuschlagen zu können. Aber wenn er so weitermacht, ist es gut möglich und sogar ziemlich wahrscheinlich, dass der oberste White Court von Miami auf einen Zusammenbruch zusteuert.

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Ein ganz schneller Eintrag noch heute abend.

Dee war bis eben hier.

Sie rief an und fragte, ob sie vorbeikommen könne, was mich verwunderte, das hat sie nämlich noch nie getan, aber natürlich sagte ich ja. Schon am Telefon hatte sie bedrückt geklungen, und als sie dann hier war, erfuhr ich auch, warum. Es ging um Sienna. Ich befürchtete schon das Schlimmste, aber Sienna selbst geht es gut. Nur sei sie jetzt Halbwaise, brummte Dee und etwas von „verdammt, war die schnell“, oder sowas in der Art.

Da habe ich sie einfach in den Arm genommen, und dann haben wir auf dem Sofa gesessen und geredet. Und nein, es ist nichts weiter passiert, und irgendwan hat sie sich dann bedankt und ist gegangen. Aber sie ist auch nicht unwillkürlich vor mir zurückgezuckt, wie sie seit der Sache mit dem cabrón bisher immer vor jeder Berührung zurückgezuckt ist. Und sie im Arm zu halten war einfach wunderschön. Und ich hätte das gar nicht durch irgendwas Weitergehendes wieder kaputtmachen wollen. Also nicht nur, weil ich wusste, dass es wieder alles kaputtgemacht hätte, sondern einfach, weil der Moment viel zu schön war, um irgendwas weiter machen zu wollen. Ach Mist, ich bekomme es nicht gescheit formuliert. Und sowas will Schriftsteller sein. Pftt.

Und wehe, es lacht jemand!

Bad Horse:
Ich lache mit dir, Cardo, nicht über dich.  ^-^

...übrigens hat Gerald auch seine Mutter verloren. Ja, er hat sie mehr oder weniger selbst umgebracht, und sie hat ihn vorher gefoltert (was vielleicht auch nicht wahnsinnig zu seiner geistigen Stabilität beigetragen hat), aber Camerone war trotz allem seine verdammte Mutter!

Nur so am Rande.  8]

Timberwere:
Ach ja stimmt ja. Ich wusste, da war noch wer.

Timberwere:
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 1

Seltsam. Wenn George mich in letzter Zeit im Traum besucht, erzählt er immer wieder etwas von einem stetigen Herzschlag, der durch das Nevernever pocht. Und interessanterweise hat Alex letztens auch davon gesprochen, dass er einen Alptraum hatte, in dem es um das Schlagen eines Herzens ging. Ich hoffe ja, dass es sich dabei nur um einen Zufall handelt, aber angesichts der Tatsache, dass bald Halloween ist – und dass Halloween, ähnlich wie Mittsommer, übernatürlichen Ärger geradezu magisch, ha, anzuziehen scheint – behalte ich mir das Recht auf gesunde Skepsis vor.

Ansonsten habe ich einige erste, ganz ganz vage Ideen für Band 5. Nur mit dem Schreiben angefangen habe  ich noch nicht, denn ich bin mir nicht ganz sicher, ob Lady Fire meine Bücher nicht immer noch liest. Wenn sie es tut, dann sicherlich aus Rachelust heraus, und wenn wir uns daran erinnern, wie sie eine von mir frei erfundene Gegebenheit beim letzten Mal schon in einen Fakt verwandelt hat, weil sie Fiktion und Wirklichkeit nicht so recht voneinander unterscheiden kann, dann will ich ihr jetzt, wo sie mir feindlich gesonnen ist, nicht womöglich noch mehr Munition an die Hand geben.

Andererseits... ich weigere mich, meine Kreativität von einer hitzköpfigen Fee, und sei sie auch noch so mächtig, in Geiselhaft nehmen zu lassen. Also werde ich mich einfach hinsetzen und anfangen, und wenn ich ihr damit mehr Munition liefern sollte, was ja noch lange nicht gesagt ist, sei es drum.

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Großmundige Vorsätze, aber weit gekommen bin ich bisher nicht. Es ist nämlich etwas passiert. Eine ganze Menge sogar, und es ist noch nicht vorbei. Oh mierda.

Es geht ein Serienmörder um. Dass das SID ins Spiel kam, wo die doch üblicherweise für „normale“ Morde nicht zuständig sind, liegt daran, dass das FBI den Fall übernommen hat und die beiden Agenten – bzw. ein Agent und ein ziviler Profiler – aus dem örtlichen Police Department ausgerechnet den SID zur Unterstützung angefordert haben. Nicht Edward allerdings: Seine beiden Kollegen Caldwell und Townsend waren schneller beim Melden.

Dass es sich überhaupt um eine Mordserie handelt, war den Behörden anfangs gar nicht so klar, denn die einzelnen Fälle unterschieden sich zu sehr. Erst beim siebten Opfer – das, zu dessen Tatort man Edward rief – wurde das Muster langsam deutlich.
Die junge Frau – Mitte zwanzig, dunkelhaarig, braunäugig – war vollkommen ausgeblutet, aber es waren am Fundort keine Blutspuren zu finden. Dafür aber Ritualkerzen auf dem Boden. Sie war in eine Lage aus Zellophan eingewickelt worden, das Herz fehlte ihr, und auf der Leiche lag ein Zettel mit einem Liedertitel: „Kenny Loggins - Heartlight“. Heh. Wie poetisch.

Edward erzählte, dass die beiden FBI-Leute sich wohl mit dem Übernatürlichen auskennen mussten, denn sie redeten wie selbverständlich davon, dass es der Red Court nicht gewesen sein könne. Aber der Profiler – Rollins – fragte nach dem örtlichen White Court und wandte sich an Edward mit der Bitte um eine Kontaktperson. Edward nannte ihm den Club in der Innenstadt, der vom White Court betrieben wird, die Tantra Lounge, und warnte gleichzeitig Totilas vor. Der wiederum meldete sich bei seinen Cousins und erklärte, falls dieser FBI-Mensch im Club auftauchen solle, werde er, Totilas, sich seiner „annehmen“.

Das war jedenfalls gestern.

Heute haben wir uns dann getroffen und die Sache beredet. Und natürlich war sehr schnell klar, dass Alex mit seinen Fähigkeiten vielleicht an einem der Tatorte noch den einen oder anderen Geist finden und so mehr über die Morde herausfinden kann.

Es waren übrigens bislang sieben, und wenn man es erst einmal weiß, tritt das Muster wirklich hervor. Aber ich kann schon auch verstehen, dass es eine Weile dauerte, bis die Fälle miteinander in Verbindung gebracht wurden.
Alle Mordopfer waren Frauen, weiß und jung (Teenager bis Endzwanziger), dunkelhaarig und braunäugig. Jedes Opfer wurde nicht auf der Straße überfallen, sondern direkt aus seiner Wohnung entführt und daraufhin einige Tage an einem unbekannten Ort gefangengehalten, ehe der Mörder sie im Keller eines leerstehenden Hauses – teils Neubauten, teils Abrissgebäude – umbrachte. Und bei allen fand man einen Zettel, auf dem in der jeweils eigenen Handschrift der Frauen der Titel eines „Herz“-Liedes stand. Jedes Opfer hatte eine Polizeiakte wegen kleinerer Vergehen, für die allerdings keine der Frauen ins Gefängnis gegangen war. Die Strafe bestand immer in Sozialstunden oder ähnlichem. Außerdem waren alle Tatorte fachmännisch gesäubert und gründlich mit Ammoniak getränkt worden.

Die Unterschiede finden sich in der Ernährung während dieser Zeit (das erste Opfer erhielt gar keine Nahrung, das zweite Fast Food, das dritte Hundefutter, das vierte und fünfte Essensreste, das sechste Insekten und das siebte Steroidcocktails), im Grad der Misshandlung vor dem Tode (verprügelt wurden sie alle, aber mit unterschiedlichen Gegenständen, und im letzten Fall mit der bloßen Faust), die Zeit, die der Mörder sich für die Tötung nahm und die er die Frauen vorher festhielt, der Art und Weise, wie sie zur Bewegungslosigkeit gebracht wurden und in der immer weiter zunehmenden Kunstfertigkeit des Schnittes, mit dem ihnen das Herz entfernt wurde. Einem der Opfer wurde das Herz auch gar nicht herausgeschnitten; stattdessen starb diese Frau an dem Drogencocktail, der ihr verabreicht wurde.

Uns stellt es sich so dar, als habe der Kerl geübt, nach der „idealen“ Methode gesucht. So wurden die Frauen anfangs festgebunden, aber später gelang es ihm irgendwie, sie zu lähmen, ohne sie zu fesseln. Außerdem floss anfangs jede Menge Blut, aber später waren die Opfer zunehmend blutleer. Die an den Drogen gestorbene Frau scheint ein „Ausreißer“ gewesen zu sein, bei der sein Plan fehlschlug, da sie starb, ehe er ihr das Herz entnehmen konnte und er mit einem toten Herzen nichts anfangen konnte. Deswegen war es bei ihr auch noch vorhanden, als man sie fand.

Was wiederum bedeutet, dass er den anderen Opfern das Herz bei lebendigem Leibe herausgeschnitten haben muss. Ob sie währenddessen bei Bewusstsein waren? Oh, Padre en el cielo, ich will es gar nicht wissen.

Aufgrund all dieser Informationen erstellte der FBI-Mann Rollins ein Profil des Täters: ein männlicher Weißer in den Dreißigern, der nur schwer mit Gefühlen klar kommt und zwischen eiserner Beherrschung und gelegentlichen heftigen Wutausbrüchen schwankt, als Kind extrem streng aufgezogen oder vermutlich sogar misshandelt wurde und eine gespaltene Beziehung zu Frauen hat, die er einerseits verachtet, aber anderseits auch begehrt. Er hat einen Beruf, der ihm Autorität gibt, Polizist oder Soldat oder etwas in der Art, aber er ist nicht zufrieden in seinem Job und mit dem, was er darin erreicht hat. Die ermordeten Frauen stehen alle für eine bestimmte Person, der sie ähnlich sehen und nach deren Aufmerksamkeit der Mörder sich sehnt: Wenn er nicht aufgehalten wird, dann wird er weiter morden, und zwar bald.

Edward hatte – höchst illegal natürlich – Kopien der ganzen Unterlagen mitgebracht, und wir beschlossen, uns als erstes den ältesten der Tatorte anzusehen. Ehe wir aber losfahren konnten, bekam Totilas einen Anruf von seinen Verwandten in der Tantra-Lounge, dass der angekündigte Kunde eingetroffen sei. Totilas trennte sich also von uns und fuhr zu dem Treffen mit Rollins, statt uns zum Tatort zu begleiten.

In dem Abrissgebäude und in seiner Umgebung war kein Geist zu finden. Also nicht nur nicht derjenige der Ermordeten, sondern überhaupt kein Geist, und das fand Alex eindeutig seltsam. Lebewesen irgendwelcher Art – Kakerlaken, Würmer, Ratten, Mäuse – gab es auch nicht, und auch das war definitiv ungewöhnlich. Edward suchte nach Magie, fand aber, weil der Mord schon so lange her war, nur noch allerletzte Restspuren. Immerhin reichten diese aus, um ihm zu sagen, dass das Ritual von einem Menschen durchgeführt worden sein musste, nicht von einem übernatürlichen Wesen wie einer Fee oder einem Vampir oder ähnlichem.

Daraufhin erklärte Roberto, er werde sein Drittes Auge öffnen. Der Gedanke passte ihm gar nicht, weil er ja die Dinge, die er darüber sieht, nie wieder vergessen kann, die Bilder auch nie wieder verblassen, aber er meinte, es das müsse jetzt sein. Für uns Außenstehende weiteten sich Robertos Augen kurz, und er starrte in den Raum, ehe er sich mit sichtlicher Mühe wieder von dem Anblick losriss.

Vor seiner Sicht sei der gesamte Raum voll blutiger Fäden gewesen, sagte Roberto, und von diesen Fäden sei eine starke Aura der Hasses, der Angst und des Zorns ausgegangen. Er habe laute Herzschläge gehört – die, von denen Alex sprach und die George in meinen Träumen erwähnte? Vermutlich. Auf dem Boden lag die Ermordete, und als Roberto sie da liegen sah, wurde plötzlich auch er von überwältigendem Zorn auf sie erfüllt – weil sie es wagte, die Falsche zu sein, und diese Falsche musste weg.

Als Roberto sein inneres Auge wieder geschlossen und sich etwas gefasst hatte, kam Alex mit dem Gedanken, dass doch vielleicht die Frau, deren Herz nicht entfernt worden war, zu einem Geist geworden sein könnte. Also fuhren wir an deren Tatort, ein Neubau diesmal, und dem Schild vor dem Gelände zufolge eine Schule im Werden. Auch hier keinerlei Spuren von Tierleben, keine anderen Geister – natürlich nicht, es war ein Rohbau, wo außer diesem einen Fall noch niemand zu Tode gekommen war. Aber den Geist der Ermordeten fanden wir tatsächlich. Als Poltergeist. Völlig unansprechbar. Und mehr als nur unansprechbar. Von der jungen Frau war nur noch Wut und Angst und Hass übrig, und sie griff uns sofort und mit aller Wildheit an, so dass uns nichts anderes übrigblieb, als den Rückzug anzutreten. Aber selbst wenn wir vorhin nichts machen konnten, müssen wir irgendwann vor der Eröffnung der Schule nochmal wiederkommen und den Geist bannen, irgendwie. Denn ein Gebäude voller Kinder und Jugendlicher mit einem derart mörderischen Zaungast... nicht auszumalen. Edward sagte irgendwas von 'Geisterstaub', der in solchen Fällen helfen soll, was auch immer das sein mag. Er erwähnte ausgebranntes Uran als eine der Zutaten, aber das kann er nicht ernst gemeint haben... oder?!

Jedenfalls. Da der Poltergeist nicht in dem Keller umging, in dem der eigentliche Mord stattgefunden hatte, sondern in einem der Räume im Erdgeschoss, konnten wir uns den Tatort aber trotzdem noch ansehen. Nur brachte das nicht sonderlich viel, weil er ebenso gründlich gesäubert worden war wie der erste und weil Roberto sich hütete, sein inneres Auge hier nochmal aufzumachen.

Also fuhren wir, aller guten Dinge sind drei, auch noch zum jüngsten Tatort. Hier konzentrierte sich Edward besonders auf die Überreste der Magie, die hier noch zu spüren waren, und stellte fest, dass es sich um ein Ritual aus einer der europäischen Magietraditionen gehandelt haben dürfte, ganz ähnlich wie die, die er selbst auch anwendet. Das Ritual umfasste ein Menschenopfer, deswegen wurde außerordentlich viel Energie dabei freigesetzt, die aber nicht vollständig von dem und für das Ritual selbst verwendet wurde. Ein Teil davon muss übrig geblieben sein, und diesen Teil könnte der Mörder vielleicht für zukünftige Verwendung aufbewahrt haben. Und wenn er das bei jedem Mord getan hat, und wenn er diese geballte Energie dann vielleicht irgendwann alle auf einmal loslässt...  Cielo. Auch das ist nichts, über das ich gerne nachdenke.

Alex erwähnte dann noch etwas, das uns alle ziemlich beunruhigte. Er sagte, das die Herzschläge, die er inzwischen ununterbrochen hört, stärker zu werden scheinen. Und dass das ein Teufelskreis sei: Je dünner die Grenze zwischen unserer Welt und dem Nevernever, desto kräftiger die Herztöne, und je kräftiger die Herztöne, desto mehr schwächen sie die Grenze zwischen uns und dem Nevernever. Und zu allem Überfluss steht Halloween vor der Tür, wo die Membran ja ohnehin durchlässiger ist als sonst.

Von Roberto erfuhren wir, dass es in der Nacht zum Dia de los Muertos ein Santería-Ritual gibt, in dem am Coral Castle der Durchgang ins Nevernever kontrolliert geöffnet wird, damit die Toten herauskommen können. Am Abend des 1. November wird das Tor dann wieder geschlossen und die Geister wieder in ihre eigene Domäne getrieben – bzw. manche, die sonst nur Probleme machen würden, gar nicht erst hinausgelassen. Bislang wurde dieses Ritual immer von den Orunmila durchgeführt, aber dieses Jahr werden zum ersten Mal die Santo Shango das Privileg haben. Cicerón Linares will sich ja mehr Status innerhalb der Santería verschaffen, und das war sein Preis für die Oshun-Maske.

Edward hatte dann noch die Idee, ein Ritual zu wirken, mit dessen Hilfe er eines der Herzen aufspüren kann. Aber nicht sofort. Wir haben erst einmal beschlossen, uns gegen Abend wieder zu treffen; dann kann auch Totilas wieder zu uns stoßen und uns von seinem Gespräch mit dem FBI-Mann berichten.

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Abends. Oder besser nachts. Ich bin zu müde, um ins Bett zu gehen. Zu aufgekratzt, um genau zu sein. Da schreibe ich doch lieber noch schnell auf, was vorhin los war. War ja genug.

Totilas erzählte kurz von seinem Treffen mit Rollins. Interessanterweise wollte der Profiler gar nichts über den Fall in Erfahrung bringen, sondern er ist schlicht und ergreifend süchtig nach den Zuwendungen des White Court, seit er vor ein paar Jahren seine erste einschlägige Erfahrung in dieser Richtung hatte. Totilas fragte also ihn seinerseits ein wenig aus, während – oder wohl besser ehe – er dem Mann seinen Fix verschaffte und seinen eigenen Hunger stillte. Anschließend gab er Rollins noch seine Visitenkarte –  es kann bestimmt nicht schaden, einen Kontakt beim FBI zu haben, der Totilas wohlgesonnen ist.

Außerdem erzählte uns unser White-Court-Freund, dass es im Biltmore Hotel spuke: Er habe gehört, wie Gerald mit einer Frau sprach, doch als Totilas das Zimmer betrat, war Gerald allein. Und auch Totilas selbst hört ständig die Stimme des Mädchens, das er damals tötete, um zum White Court zu werden.

Also fuhren wir ins Biltmore. In Totilas' Suite hörte er wieder die Stimme, und Alex nahm mit dem Mädchen Kontakt auf, ließ sie in seinen Körper, wie er das eben so macht, damit sie mit uns reden konnte.
Béa hieß sie. Béantrice irgendwas. Und das, was sich in dem Gespräch herauskristallisierte... Oh santissima madre. Ich meine, Totilas ist ein White Court. Dass er dafür jemanden getötet haben muss, das war uns allen klar, und das hatte er uns ja auch schon erzählt, das war kein Geheimnis. Wir hatten auch schon mitbekommen, dass er dieses erste Opfer in voller Absicht und mit dessen Einverständnis getötet hatte. Das hatte ich nie verstehen können. Wie kann ein Mensch, und Totilas war damals noch ein Mensch, schlafender Dämon in sich hin oder her, so verdammt kalt sein, dachte ich immer.

Aber... Totilas war sechzehn. Sechzehn, verdammt! Und da trifft er dieses junge Mädchen, das von zuhause weggelaufen ist und auf der Straße lebt, sich als Hure verkauft, um irgendwie über die Runden zu kommen. Das als Kind vermutlich misshandelt wurde, seelisch oder körperlich oder beides, und das alle Hoffnung verloren hat. Das Selbstmord begehen will. Sich nur noch danach sehnt, dass es aufhört. Und das stattdessen Totilas die Erlaubnis gibt, ihr Leben zu nehmen, um ihn damit stark zu machen und ihn in die Lage zu versetzen, Gutes zu tun.

Er war sechzehn! Jung und idealistisch und voll romantischer, jugendlich-verdrehter Vorstellungen. Oh Madre. Das zu wissen, trägt doch so einiges zur Erklärung bei.

Béa hatte nach ihrem Tod keinen Frieden gefunden, wie sie sich das ersehnt und Totilas für sie erhofft hatte. Stattdessen litt sie als Geist ebenso wie als Lebende, und Alex konnte sehen, wie sich vom Weinen tiefe, silbrige Rillen in ihr Gesicht gegraben hatten. Ein bisschen klingt das wie bei den Opfern von Richard Raiths Dämon, fällt mir dabei ein, vorletztes Halloween, als es Totilas' Vater gelungen war, sich von seinem Dämon zu lösen und wieder ein normaler Mensch zu werden, während sein Dämon munter auf eigene Faust herumstreifte und Leute umbrachte. Die hatten ähnliche Tränengräben im Gesicht, wenn man sie sich durch das Dritte Auge ansah.

Dass wir Béa helfen wollten, wenn wir es irgendwie konnten, verstand sich von selbst. Im Gespräch mit dem Geist fanden wir heraus, dass sie aus einem ultrareligiös-fanatischen Elternhaus kam und ihre Eltern sie mit allen möglichen kranken und mit dem christlichen Glauben eigentlich völlig unvereinbaren Horrorgeschichten indoktriniert hatten. So war das Mädchen völlig überzeugt davon, dass sie in den tiefsten Tiefen der Hölle schmoren würde, weil sie unverheiratet mit Männern geschlafen hatte.

Nun halte ich mich ja für einigermaßen firm in der Heiligen Schrift, und mir fielen auf Anhieb etliche Bibelzitate ein, die sich zum Widerlegen oder wenigstens Abmildern ihrer Ängste eigneten. Aber irgendwie drang ich nicht so recht zu ihr durch, blieb die junge Frau zu sehr in ihren Schuldgefühlen gefangen. Es war ausgerechnet Totilas, der kurzerhand ein paar Bibelstellen dazuerfand und Béa sehr überzeugend versicherte, dass sie keine Schuld träfe, sondern einzig die Männer, die sich an ihr versündigt hätten. Roberto schließlich gab ihr den letzten Schubser der Überzeugung, dass sie ihren Frieden finden werde, dann ließ sie zu, dass Alex sie weiter schickte.

Aber im Biltmore schienen ja noch mehr Geister umzugehen als nur dieser eine. Also suchten wir nach ihnen. Und fanden Totilas Cousin Vin, einen passionierten Computerspieler und Hacker, der sich fürchterlich darüber aufregte, dass es in seinem Zimmer ständig zu Kurzschlüssen kam, die ihm den Rechner abschmieren ließen. Grund für die technischen Störungen war der Geist eines jungen Mannes in Punkerkleidung. Nachdem der sich von seiner Überraschung erholt hatte, dass Alex ihn sehen konnte, erwies er sich als ziemlich redselig.

Er sei in der Nähe des Biltmore gestorben, erzählte Kyle, auf der Straße von einem Bus überfahren worden. Dort habe er bisher gespukt und sich ziemlich gelangweilt – bis ihn eine „heiße schwarzhaarige Schnitte“ angesprochen und ihn angeheuert habe, doch hier im Hotel Schabernack zu treiben.

Mehr erzählen wollte er uns nicht, sondern verlangte eine Gegenleistung. Er sei als Jungfrau gestorben, rückte er heraus, und er würde ja so gerne mal... Also wie wäre es, wenn Alex ihn ans Steuer ließe, während er...? Die Leute hier würden so scharfe Parties feiern.

Da war bei Alex aber nichts zu machen. Der hatte ja noch nicht einmal Lust, den jungen Geist mit auf eine Sauftour zu nehmen, weil der mit 20 gestorben war und sich deswegen auch noch nie so richtig betrunken hatte. Roberto oder Totilas hätten vermutlich weniger Skrupel gezeigt, aber diese Fähigkeit, Geister in sich reiten zu lassen, kann Alex ja nun mal nicht auf andere übertragen.

Aber als Kyle mich dann als den Autor von Indian Summer erkannte, kam das Gespräch auf das Schreiben und dass Kyle auch mal eine Story verfasst habe. Die würde vielleicht sogar was taugen, meinte er, aber er sei ums Leben gekommen, ehe er sich dazu aufraffen konnte, die Geschichte bei einem Verlag einzureichen. Ich bot ihm an, mir das Manuskript einmal anzusehen, wenn er mir sagen könnte, wo es liege, und es in seinem Namen veröffentlichen, falls mein Verlag zustimme. Nur versprechen könne ich nichts. Dieses Angebot reichte Kyle aber schon, und so antwortete er uns doch noch auf unsere Fragen.

Mit Hilfe eines Phantomzeichnungsprogramms auf Vins Rechner fertigte Kyle ein Bild von der „dunkelhaarigen Schnitte“ an. Und das Gesicht in dem Bild erkannten wir alle: Es war niemand anderes als Camerone Raith. Die seit der Sache mit den Masken nachweislich tot ist. Aber tot zu sein, hindert sie offensichtlich nicht daran, bei ihren Verwandten Ärger zu machen. Juhu.

Timberwere:
8:30. Dee hat eben angerufen. Ob ich mit ihr frühstücken will. Und das, wo ich heute Nacht bis 4.00 Uhr früh an dem Tagebucheintrag gesessen habe. Stöhn. Aber klar, natürlich will ich. Ich geh dann mal duschen. Später mehr.

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Nett war's. Auch wenn Dee etwas auf dem Herzen hatte. Und zwar wollte sie mir erzählen, dass ein Ex-Freund von ihr in der Stadt sei. Ein FBI-Mann, der hier gerade an einem Fall arbeite, einer Mordserie. Pace. Heh. War ja klar.

Was Dee je an dem Kerl gefunden hat, will mir nicht so recht in den Kopf. Der Mann ist grimmig und verbittert, so sieht er jedenfalls aus, er scheint nur für seine Arbeit zu leben und ist mindestens 15 Jahre älter als sie. Aber gut, jugendliche Verliebtheit erklärt so manches. Eine junge Marshal, frisch im Job, ein erfahrener, kompetenter Partner oder Ausbilder, ich kann mir das schon irgendwie zusammenreimen. Und ich war ja schon mehr als erleichtert, dass Dee das Verhältnis jetzt eher als lehrreiche Erfahrung sieht und sehr deutlich machte, dass sie an Pace keinerlei Interesse mehr hege.

Ich habe Dee gegenüber nicht groß erwähnt, dass Edward uns schon über die Morde informiert hat. Sie fragte auch nicht groß nach, obwohl sie es sich eigentlich denken können müsste. Vermutlich wollte sie es gar nicht wissen, ebensowenig, wie ich sie in Edwards Fehlverhalten mit hineinziehen wollte. Immerhin durfte er uns die Akten eigentlich nicht zeigen, noch uns an die Tatorte mitnehmen.
Stattdessen erzählte ich Dee von den Geistern im Biltmore und dass sich Camerone Raith offensichtlich durch ihren Tod nicht vom Intrigieren abhalten lässt. Mit dem Unterschied, dass sie als Geist jetzt von ihrer Alkoholsucht geheilt und wieder im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist. Und immerhin hatte sie lange Zeit die Führung des White Court inne, was sie wohl nicht erreicht hätte, wenn sie nicht schlau und skrupellos und gerissen wäre. Yay.

Aber nachdem wir das alles aus dem Weg geräumt hatten und uns angenehmeren Themen zuwandten, wurde das Frühstück doch noch sehr nett. Oder vielleicht war es auch einfach Dees Gesellschaft, die auch die unangenehmeren Themen erträglicher machte.

Aber jetzt muss ich wieder los, mit den Jungs treffen. Edwards Idee steht da ja noch im Raum.

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Totilas hat gestern Nacht gleich noch mit Gerald gesprochen, erzählte er, als wir uns wieder trafen. Dem ist zwar einerseits ein Stein vom Herzen gefallen, weil er nicht langsam wahnsinnig wird, sondern er wirklich Stimmen hört, aber andererseits war er natürlich mehr als beunruhigt, dass seine Mutter wieder da ist und irgendwelchen Ärger plant. Vermutlich will sie sogar nicht einfach nur rumspuken und Ärger machen, sondern tatsächlich, Geist oder nicht, den White Court wieder übernehmen.

Intrigant genug dafür ist sie. Totilas erwähnte in einem Nebensatz, dass ihm gestern Nacht auch wieder eingefallen sei, dass Camerone an seiner Entscheidung, zum Vampir zu werden, einen nicht ganz unwesentlichen Anteil hatte. Damals ist ihm das gar nicht bewusst geworden, aber gestern Nacht erkannte er, dass sie seine Entscheidung nicht nur immer unterstützt, sondern ihn ganz subtil in diese Richtung geschubst hat.

Jedenfalls, das Ritual. Edward hatte ja schon gemeint, dass er eines der Herzen finden könne, wenn er sich etwas beschaffen könne, das eine Verbindung dazu darstelle. Naja, und was ist eine bessere Verbindung zu einem Körperteil als der Rest dieses Körpers?

Das konnte er allerdings nicht im Alleingang machen, denn immerhin war er ja nicht der mit diesem Fall beauftragte Beamte, sondern Townsend und Caldwell. Also informierte er die beiden Kollegen ganz offiziell über seinen Plan, bzw. bat um ihre Zustimmung, die diese auch gewährten. Die beiden FBI-Männer, Rollins und Pace, wurden ebenfalls dazugerufen. Oh, und ich. Für die anderen drei fanden wir keine passende Ausrede, aber ich wurde als „SID-Consultant“ untergebracht.

Das Ritual führte uns vom Leichenschauhaus zu einer Selbsteinlagerungseinrichtung, einer dieser Lagerhallen, wo man für relativ kleines Geld einen etwa garagengroßen Abstellraum mieten kann. Das richtige Rolltor hatte Edward sehr schnell gefunden, nur war er vorsichtig genug, das Tor auf mögliche Fallen zu untersuchen. Und tatsächlich: Das Ding war auf magische Weise vermint.
Gar nicht unzufrieden über diese Entwicklung erklärte Agent Pace, er kenne jemanden, der mit Schutzzaubern bewandert sei. Im Handumdrehen hatte er schon sein Handy gezückt und eine Nummer gewählt; ein kurzes Gespräch, und nach einer Weile fuhr Dee bei uns vor.

So sehr ich mich eigentlich freute, sie zu sehen, etwas peinlich war es mir schon, hier so unvermittelt auf sie zu treffen, weil ich ihr ja heute früh verschwiegen hatte, dass wir schon in den Fall verwickelt waren. Aber sie schien sich gar nicht zu wundern, noch irgendwie pikiert zu sein. Vermutlich hatte sie sich tatsächlich sowas schon gedacht.

Bei den Strafverfolgungsbehörden hatte sich schnell herumgesprochen, dass hier gerade ein Durchbruch erzielt wurde, und so wimmelte es bald von Mitarbeitern der Spurensicherung, uniformierten Cops, Detectives in Zivil, einer S.W.A.T.-Einheit und sonstigen Gesetzeshütern aller Couleur, von ein paar TV-Vans samt Reportern ganz zu schweigen.

Dee und Edward analysierten eine ganze Weile an dem Schloss herum, doch schließlich gelang es ihnen tatsächlich, die Tür zu öffnen, ohne dass wir alle in die Luft flogen.

Drinnen bot sich uns ein – nicht grausiger, dafür wirkte alles zu steril – aber doch ziemlich beunruhigender Anblick. Da war ein Tisch mit diversen Ritualmaterialien, Kerzen und dergleichen. Ein alter Kassettenrekorder. Nicht mal ein Ghettoblaster: einer von diesen flach liegenden Kassettenrekordern mit den Tasten  vorne, dem Kassettenfach in der Mitte und dem Lautsprecher hinten. Einige Kassetten daneben verstreut. Ein Buch von einem mittelalterlichen Mönch namens Hieronymus, gewissermaßen eine Anfängerfibel für Rituale. Was seltsam war, denn das Ritual, das der Mörder verwendet hatte, war definitiv fortgeschrittenerer Natur als die in diesem Buch beschriebenen Dinge. Wo auch immer der Kerl also gelernt hatte, seinen Opfern bei lebendigem Leib das Herz herauszuschneiden, während es weiterschlug, darin jedenfalls nicht.

Richtig, Römer und Patrioten. Während es weiterschlug. Das war das eigentlich Gruselige an dem Tatort. Da standen auch zwei verschlossene gläserne Gefäße (ich würde ja beinahe sagen „große Einmachgläser“, wenn mir das nicht viel zu gewöhnlich für die Tragweite des Geschehens wäre. Aber ägyptische Kanopen waren aus Marmor. Tiegel sind kleiner. Schüsseln haben keinen Verschluss.), in denen jeweils ein Herz schwamm. Und weiterhin pulsierte.

Es waren viel zu viele mundane Personen anwesend, daher war schnell eine logische Erklärung für die pochenden Herzen gefunden: Das musste irgendwie mit Elektrizität zu tun haben. Völliger Unsinn, weil ja weit und breit keine Energiequelle zu finden war, aber die meisten Umstehenden nahmen die „Erklärung“ dankbar an. In Wahrheit jedoch war es magische Energie, von der die Herzen in Bewegung gehalten wurden, sagte Edward hinterher. Zu viel Energie für die relativ einfache Aufgabe, sogar, weswegen die Herzen mit jedem Schlag ein klein wenig davon in den Raum abgaben.

Die Spurensicherung machte sich an die Arbeit, schoss Fotos, suchte nach Fingerabdrücken und sonstigen Hinweisen, das Übliche eben. Der Kassettenrekorder wurde angeworfen – und spielte eines dieser Lieder mit Herzmotiv ab. Welche Überraschung.

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Nachdem die gesammelte Gesetzeshüterschaft den Ort gesichert hatte und abgezogen war, trafen wir uns wieder mit den anderen. Die waren während der ganzen Aktion nicht untätig geblieben: Alex hatte sich erst einmal auf die Baustelle eines seiner zahllosen Bekannten abgesetzt, um sich dort mit dem Hämmern der Presslufthämmer vom inzwischen unablässigen und immer drängenderen Hämmern der Herzen in seinem Kopf abzulenken. Roberto und Totilas hingegen riefen Jack White Eagle an und fragten den um Rat. Jack hatte von dieser ganzen Geschichte noch nicht wirklich etwas mitbekommen, aber das könnte auch daran gelegen haben, dass er mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war (er sagte wohl was von einer neuen Grassorte, die sie in der Kommune gerade ausprobiert hätten – was Edward wiederum gar nicht wissen wollte und geflissentlich weghörte, als Roberto das erzählte). Aber er empfahl den beiden, sich doch mal mit Edward Leedskalnin zu unterhalten, dem Geist vom Coral Castle. Denn der kennt sich mit Geistern und der Grenze zum Nevernever mit am besten aus, wo er doch immer die Santeríos beim Abhalten des Halloween-Rituals unterstützt.

Anders als andere Geister ist der Lette am Coral Castle sehr leicht anzutreffen, und auch tagsüber. Er ist einfach so stark damit verbunden – immerhin hat er es selbst gebaut – und war ja auch schon zu Lebzeiten ein echter Exzentriker. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und seine Pamphlete gelesen – okay, überflogen – und seine Einstellungen waren schon ... absonderlich.
Im Gespräch mit Totilas und Roberto jedenfalls zeigte er sich selbst recht beunruhigt über den ständigen Herzschlag, eben weil er die Grenze zwischen unserer Welt und dem Nevernever schwächt. Ganz und gar zerstören könne das die Trennwand zwar nicht, aber vielleicht Löcher hineinreißen, und durch die könnten Dinge hindurchbrechen in unsere Welt, gerade an Halloween. Zu den Morden selbst konnte er nichts sagen, aber eine kryptische Bemerkung machte er doch: dass es nämlich einen Grund geben müsse, warum der Täter gerade zu dem Zeitpunkt mit dem Morden zu beginnen, als er das tat, und dass Pech im Spiel sei. Also Unglück-Pech. Nicht Teer-Pech.

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Edward hat gerade angerufen. Es gibt Neuigkeiten! Muss los. Später mehr!

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Von dem Ritualbuch konnte ein Fingerabdruck genommen werden. Und dieser Fingerabdruck ergab sogar einen Treffer in der Datenbank. Und zwar, und jetzt haltet euch fest, Römer und Patrioten, James Vanguard. Der ein Lykanthrop ist, wie wir alle wissen. Und heute fängt der Vollmond an. Mierda.

Da Vanguard als Chef einer Sicherheitsfirma als hochgefährlich eingestuft wurde, tauchte ein ganzes S.W.A.T.-Team bei ihm auf, zwei sogar, genau gesagt: eines zuhause und eines in der Firma, um ihn zu verhaften. Aber der Vogel war ausgeflogen. Nicht nur Vanguard selbst, sondern auch sein ganzes Rudel war nicht aufzufinden.

Also schlug Edward vor, noch ein Finderitual durchzuführen, um ihn zu dem Gesuchten zu führen. Das allerdings schickte ihn wieder zu genau der Selbsteinlagerungseinrichtung, wo wir auch die beiden Herzen gefunden hatten. Offensichtlich werden sämliche und jegliche Suchrituale momentan dorthin umgeleitet, egal, auf wen oder was sie sich beziehen.
Was vielleicht auch erklären könnte, warum keines der beiden Herzen in dem Lagerraum zu dem Opfer gehörte, von dem aus Edward im Leichenschauhaus die magische Verbindung hergestellt hatte. Sehr seltsam, das alles.

Eine Weile, nachdem Edward seine SID-Kollegen und die FBI-Agents informiert hatte, dass Suchrituale vermutlich nicht viel fruchten werden, rief es bei ihm an. Es war einer von James Vanguards Leuten, der erklärte, sein Boss sei unschuldig, habe sich aber nicht verhaften lassen wollen, weil das jetzt, während des Vollmonds, garantiert ein Massaker gegeben hätte. Aber mit Edward wolle er sich treffen, ein Stück außerhalb der Stadt. Am liebsten alleine, aber von ihm aus könne Edward auch seine Freunde mitbringen.

Was der Grund war, warum wir alle gemeinsam vor die Stadt fuhren. Am bezeichneten Treffpunkt erwartete uns Vanguard schon mit ein paar seiner Leute. Die hielten sich aber im Hintergrund, ließen Vanguard den Vortritt. Wir hingegen gingen gemeinsam auf ihn zu, und es hätte auch nicht nur Edward mit ihm geredet, wenn Vanguard nicht sehr knurrig sehr deutlich gemacht hätte, dass es ihm in seinem derzeitigen Zustand schon schwer genug fiel, sich auf einen einzelnen Gesprächspartner zu konzentrieren, geschweige denn auf mehr als einen. Irgendwie war das auch so ein Rudel-Alpha-Dominanz-Ding, aber naja.

Die Atmosphäre bei dem Treffen war jedenfalls sehr aufgeladen, einfach weil Edward und Vanguard so angespannt waren und sich mit jeder Faser ihres Seins zusammenreißen mussten, nicht auf die jeweils andere Gruppe loszugehen. Aber Vanguard versicherte, er habe die Morde nicht begangen, und das nahmen wir ihm auch ab. Die ganze Sache hatte für meinen Geschmack ohnehin nach abgekartetem Spiel ausgesehen. Ein einzelner Fingerabdruck in den ganzen, minutiös gereinigten Tatorten? Wie praktisch.

Jedenfalls sagte Vanguard, er werde sich natürlich stellen, aber eben nicht gerade jetzt zu Vollmond, sondern erst in zwei Tagen, wenn das Schlimmste für diesen Monat vorbei sei. Edward war auch der Meinung, dass das wohl besser sei. Vangard meinte noch, er wolle versuchen, irgendwelchen Suchtrupps aktiv aus dem Weg zu sein – sprich, wenn er wüsste, wo welche wären, könnten seine Leute und er einfach woanders sein. Hint hint.

Je länger wir redeten, umso mehr mussten die beiden Lykanthropen sich am Riemen reißen, knurrten einander nur noch an. Ehe das Treffen vollkommen aus dem Ruder lief und die Fetzen zu fliegen begannen, zogen wir uns zurück. Schön langsam und rückwärts und die jeweils andere Gruppe nicht aus den Augen lassend.

Aber auf dem Rückweg merkten wir sehr schnell, dass das nicht wirklich geholfen hatte. Edward war zu aufgedreht, zu wild. Der musste raus aus dem Auto, sich abreagieren. Schreien, rennen, toben. Es gelang ihm gerade noch, Alex ein "Halt an! JETZT!" zuzuknurren, dann war er mit einem wilden Aufheulen auch schon im Freien.

Dummerweise nur war das mitten in einem Wohngebiet, und ehe wir auch nur blinzeln konnten, war Edward auch schon in einer Hauseinfahrt und warf mit Mülltonnen um sich. Und natürlich gingen in diesem und den umliegenden Häusern die Lichter an...

Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Wenn jetzt ein Hausbewohner herauskam... Also sprang Totilas kurz entschlossen ebenfalls aus dem Wagen und schleuderte Edward laute Beleidigungen entgegen. Der reagierte sofort, ließ alles stehen und liegen und ging auf Totilas los. Unser White Court-Freund wiederum rannte vor ihm davon, offensichtlich in der Absicht, ihn von dem Wohngebiet wegzulocken.

Und das ist der letzte Stand heute Nacht. Wir anderen konnten den beiden nur hinterhersehen, und da sie sehr bald von der Straße ins Gelände abbogen, hatten wir auch keinerlei Möglichkeit, ihnen zu folgen. Also fuhren wir schweren Herzens heim, um morgen früh wenigstens ausgeschlafen zu sein, in der Hoffnung, dass Totilas‘ übernatürliche Konstitution es ihm erlaubt, so lange vor Edward davonzulaufen, bis der sich abgeregt hat.

Colera. Es ist ein ekelhaftes Gefühl, so machtlos zu sein, nichts tun zu können. Ich hoffe inständig, den beiden passiert nichts heute Nacht. Aber jetzt muss ich trotzdem ins Bett. Falls ich denn überhaupt einschlafen kann. Das Aufschreiben jedenfalls hat mich nicht wirklich müder gemacht. Aber es hilft ja alles nichts.

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Madre de Dios! Ich war tatsächlich schon halb eingeschlafen, da kam mir urplötzlich ein schrecklicher Verdacht. Ich weiß gar nicht, woher auf einmal; er war einfach da.

Der Serienmörder ist ein Mann in einer Autoritätsposition, der sich für gewöhnlich eisern unter Kontrolle hat, von gelegentlichen Wutausbrüchen unterbrochen. Der eine ganz bestimmte Frau sucht. Um sie auch umzubringen? Oder um sie für sich zu gewinnen? Vielleicht beides: Sie umzubringen, wenn er sie nicht (wieder?) für sich einnehmen kann?
Alle Opfer waren dunkelhaarig und braunäugig. Wie Dee. Dee hat Agent Pace verlassen. Weil er ihr irgendwie nicht ganz geheuer war. Er hat sich schon einige Male mit ihr treffen wollen, aber sie hat immer abgelehnt. Als FBI-Mann ist Agent Pace eine Autoritätsperson, auch wenn das Alter nicht ganz stimmt.

O Dios. Ich hoffe und bete, dass ich mich irre. Ich darf mir von meiner eifersuchtsbedingten Abneigung gegen Pace nicht die Sicht vernebeln lassen. Aber jetzt, wo ich den Gedanken gedacht habe, kann ich ihn nicht ungedacht machen.
Soll ich es morgen den Jungs erzählen, oder würde sie das voreingenommen machen?
Ich glaube, ich muss. Wenn ich paranoid bin, werden sie mich schon in den Senkel stellen.

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