Das Tanelorn spielt > Albtraum in Norwegen

Irgendwo in IRLAND

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Der Läuterer:
Der Sternenhimmel leuchtet schwach von der weissen Zimmerdecke herab. Langsam bewegen sich die Sterne auf Euch zu - kommen näher. Nur etwas. Fast unmerklich, aber ein Stückchen.

Joran:
Clive

Ich betrachte mit einem Schauder die Vorrichtung an der Wand. "Sie steht in meinem Zimmer. Es muss demnach mein Blut sein. Die Schmerzen, an die ich mich erinnere, hatten die eine ganz andere Ursache? ... mein Arm ... Meabhs Scheune ... Hat es all das in Wirklichkeit nicht gegeben?" Rasch wende ich den Blick von dem Gerät ab, das - je nach Bedarf und Verwendung - gleichermaßen als Werkzeug der Heilung wie der Folter dienen kann. Aus meiner Tätigkeit weiß ich, wie unscharf der Grenzverlauf sich im Einzelfall darstellen kann ...

Einen Augenblick gebe ich mich dem Gefühl von Wärme und Nähe hin, das in Mathildes Händedruck liegt. Begierig sauge ich Matildes Duft ein.

"Wenn all dies hier sich in wenigen Augenblicken in Rauch verwandeln sollte, wird mir diese Erinnerung zumindest für einen kleine Weile bleiben!"

"Irgendjemand?!?", versuche ich Matildes letzte Worte zu deuten. "... Nur eine Floskel, die darauf schließen lässt, dass Matilde mich für unmündig hält? Oder mehr als das, ein Fingerzeig? Eine sorgsam verborgene Botschaft?"

"Ich scheine schon viel zu lange geschlafen zu haben ...", sage ich matt und werde mir der Doppeldeutigkeit meiner Worte bewusst. Alte Schuldgefühle erwachen. Aber ich spüre auch die Müdigkeit, die mich in ihren Fängen hält. "... aber eigentlich glaube ich, ich bin noch garnicht erwacht. Wie kann dies alles sein, Matilde? Mein Zimmer unverändert ... und Du hier ... und all die anderen ... Wie sollte das möglich sein?"

"Nicht nur, dass ich nicht verstehe, was gerade vor meinen Augen abläuft. Nicht nur, dass ich an meinem Verstand zu zweifeln beginne. Viel schlimmer ist, dass ich nicht einmal weiß, ob ich mich darüber freuen oder daran verzweifeln sollte, wenn es die Jahre seit 1927 nur in meiner Phantasie gegeben hätte! Was würde das bedeuten? Hat es Paul und Matilde, Hartmut und Alexander, Ove und Kristine, Mrs. Marquard, Emma, Braddock, Ayana, ja selbst Marie nie gegeben? ... Sind sie alle nur Ausgeburten meiner Phantasie?"

Noch immer halte ich Matildes Hand fest umschlossen, bin nicht gewillt, diesen vermeintliche Fixpunkt preiszugeben.

"Ich habe so viele Fragen ... um mich wieder zurechtzufinden. ... Was ist mit Cainnech? Haben wir ihn in London verloren? Oder war das nur ein Traum von mir?", frage ich Matilde.

"Und wie geht es Marie? Und Luni? ... Du musst mir alles erzählen ... , damit ich sortieren kann, was Wahrheit ist und was Traum ..."

Ich blicke zu Ove, um mich zu vergewissern, ob er wirklich ist. Hat sich irgendetwas an ihm verändert? Als mein Starren unhöflich wird, wende ich mich wieder Matilde zu.

Das Rauschen des Meeres durchbricht meine Gedanken. Ich blicke zum Fenster. Es steht offen. "Ist es das ferne Rauschen des Ärmelkanals, das ich höre, oder erobert das Meer in meinem Kopf das Territorium zurück, aus dem es vertrieben wurde? Nur ... war es TATSÄCHLICH jemals fort?" Ich horche in mich hinein, aber keine Stimme beseitigt meine Zweifel.

"Was haben die mir nur gegeben?", seufze ich.

Wie aufs Stichwort erscheint Ayana mit einem Tablett. Für einen kurzen Augenblick treffen sich die Blicke von Matilde und Ayana und ich erwarte schon, dass sich die beiden in fauchende Katzen verwandeln. Selbst Matildes Parfum und der Duft von Sandelholz und frischem Gras scheinen sich ein erbittertes Kräftemessen um die Vorherrschaft zu bieten. Aber die bedrohliche Atmosphäre verschwindet so schnell wieder, wie sie aufgeflammt ist, als die Blicke der beiden Frauen sich voneinander lösen. Ayana drängt sich lediglich an Matilde vorbei, setzt sich geschmeidig zu meiner Seite auf das Bett ... dichter, als es der Anstand gebieten würde, ... und führt ein kleines Glas an meinen Mund. Das Rascheln ihrer Kleidung, der melodische Klang ihrer Stimme, die Unbefangenheit, mit der Sie sich über mich beugt, nehmen meine Sinne gefangen und drängen alle Ängste und Zweifel für einen Moment in den Hintergrund.

Das Gefäß in Ayanas schlanker Hand ist dickwandig und wirkt alt. Es ist mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt, über der sich die Andeutung eines feinen Rauchfadens kräuselt. Ein beißender Geruch wie von Säure steigt mir in die Nase, wie damals auf der Klippe ...

"Du musst das trinken", schnurrt sie, dass sich meine Nackenhaare aufstellen. Ihr Körper schmiegt sich an meinen und ich spüre ihre Wärme wie in jener Nacht, die für mich erst wenige Stunden zurückliegt und doch so fern scheint. Die Erinnerung legt sich über das Jetzt wie ein Schatten. Fast meine ich den Kopfschmuck zu erkennen, einem nur für mich sichtbaren Schimmer gleich. Und wieder schicke ich Ayana nicht fort. Ich weise sie nicht zurecht. Ich bin nicht bereit, Rangverhältnisse zu klären oder Entscheidungen zu treffen. Tochter und ... Schülerin, mich verlangt es nach beidem! Und doch ist mir der Gedanke unangenehm, Matilde könnte trotz aller Bemühungen meinerseits erkennen, welche Wirkung Ayana auf mich hat.

"'Ich bin nicht hier, Doktor, um Deine fleischlichen Gelüste zu befriedigen. Wenn Du das glaubst, bist Du ein Narr. Würde ich mich zu Dir legen, dann nur weil es MIR gefällt', hat sie damals zu mir gesagt, aber ihr Mund und ihr Körper sprechen zwei unterschiedliche Sprachen." Meine erbärmliche Hilflosigkeit, was Ayana betrifft, ärgert mich und doch genieße ich jede Sekunde ihrer Nähe.

"Ich habe Dir gesagt, dass ich hier bin, um Dich vor Gefahren zu schützen, Auserwählter!" So, wie Ayana das Wort 'Auserwählter' in meine Richtung haucht, ist es die provokante Demonstration von Ungehorsam, eine Herausforderung ... zugleich für mich und für Matilde.

"Du sollst mich nicht so nennen, Nimue", kontere ich schwach und trinke widerwillig.

"Willst Du noch immer nichts ändern, Doctor?", fragt Ayana leichthin. Als sie sich erhebt, drücken ihre Augen, ihr Lächeln, sogar jede ihrer Bewegungen Triumph aus. Großmütig gibt Ayana wieder den Blick auf Matilde frei, aus der alle Wärme gewichen zu sein scheint.

"Ich kann jetzt nicht schlafen", knüpfe ich an Matildes Worte an. "Ich habe Angst. Ich fürchte, mir bleibt nicht viel Zeit, bevor ..." Ein verstohlener Blick zur Decke lässt mich schlucken und ich suche schnell wieder das reine Blau von Matildes Augen "... kein unschuldiges Weiß ... sehr blass, aber doch eine Farbe, ja, aber nichts beginnt sich vor meinen Augen zu drehen ... ihr Blau ist beständig und uralt ... kalt und klar und fern ... zwei unendliche Kreise ohne Anfang und Ende mit absoluter Finsternis in ihrem Zentrum ... viel zu perfekt und alt für einen Menschen ..."

"... Du musst mir helfen, Matilde, bitte! Damit ich den Weg zurück finde."

Der Läuterer:
Du siehst wie Matilde über die Haare des Jungen streicht. Ihre blauen Augen liegen nur auf dem Kind. Dann packt sie seinen Schopf des Knaben. Ruckartig reisst sie seinen Kopf nach hinten in den Nacken, entblösst seinen Hals und zieht ihre Klinge in einer fliessenden Bewegung durch seinen Hals.
Schnell. Kaltblütig. Routiniert. Lautlos. Mit tödlicher Präzision.

Nur ein leises Gurgeln ist zu hören. Die Überraschung und die Durchtrennung der Luftröhre verhindern den Schrei. Keine Gegenwehr. Die Hände des Jungen zucken und greifen ins Leere.

Mathilde's linke Hand überstreckt das Genick des Jungen und hält die Wunde offen.
Ein Lächeln umspielt ihre blutroten Lippen. "Das ist nicht Alexander, sondern nur ein Patient. Nur ein Patient."

Dunkel ergiesst sich das Blut aus der Halswunde auf den Boden. Ständig pumpt sein Herz weiteres Blut heraus. Und mit jedem Herzschlag entströmt ein weiterer Schwall der klaffenden Wunde.

Nach wenigen Sekunden tritt die Bewusstlosigkeit ein. Die Arme hängen schlaff herab.
Letzte Zuckungen. Reflexartige Zuckungen. Letzte Befehle des sterbenden Gehirns.

Matilde lässt den Körper routiniert in die Blutlache unter sich gleiten.
Ein metallischer Geruch liegt in der Luft.

"Ich sollte Dich jetzt zu Dr. Livingston bringen. Es ist Zeit für die Therapie. Kannst Du gehen? Oder sollen wir die Bahre benutzen?"

Puklat:
Ove

Ich halte Kristines Hand. Ich lasse sie nicht los. Ich lasse sie nicht gehen.
Bestimmt, aber nicht agressiv oder böswillig halte ich ihre Hand.

"Kristine! Das hier ist ein.... e Art Krankenhaus. Kein Hotel."
Doch bei beidem bin ich mir nicht sicher. Der schwefelige Geruch könnte genausogut aus dem Londoner Hotel stammen. Es könnte also eine Art Hotelzimmer darstellen. Ein unwirkliches. Und ob das hier wirklich ein Krankenzimmer ist oder ein Zimmer, das Kranke macht, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich Kristine jetzt nicht gehen lassen darf.

"Wir können hier nicht einfach ein Zimmer beziehen. Hier gibt es viele andere Personen, die ein Zimmer dringender benötigen... zum Beispiel... einer der Herren, die dort... .... singen."

Ich wünschte mir sie würden verschwinden und diesen falschen Sternenhimmel sollen sie gleich mitnehmen.

Ich schaue Kristine tief in die Augen, um zu ergründen ob sie echt ist. Aber wie in einem Traum kann ich keine Details erkennen. Ich erkenne, was ich sehen SOLL, aber ich erkenne keine Details. Ich WEISS dass es Kristines Augen sind. Aber ich kann nicht mal ihre Farbe erkennen. Ich WEISS aber, dass es die richtige Farbe ist.

Hier ist einiges Falsch.

Ich spüre einen bohrenden Blick auf mich gerichtet. Ich schaue mich um, versuche herauszufinden, woher dieser Blick kommt. Es scheint der alte Mann zu sein, der vor mir liegt. Dieses Abziehbild eines gealterten, bettlägrigen Clive.

Ich spüre wie etwas oder jemand in den Raum kommt, kann aber nicht erkennen wer oder was es ist. Die Luft vor oder neben Clive scheint zu schwirren, wie die Luft über einer mit dunklen Steinen gepflasterten Straße im Hochsommer.
Ich sehe wie Clives Mund sich bewegt und höre ein Surren, verstehe aber keine Worte. Er redet mit etwas, oder jemanden, doch höre ich seine Worte nicht.

Ich will ihm zuhören, doch überlagert der Gesang dieser Gruppe von Juden alles.

Ich weiß nicht, was zu tun ist. Ich will weglaufen, ich will ausbrechen, ich will dieses absurde Rätsel lösen und ich will nur noch in Ruhe und Sicherheit sein.

Kristine meint einer sollte schlafen. Aber schlafe ich nicht schon längst? Kann das hier realer sein als ein Traum?


Träume... manche Träume kann man steuern!, schießt es mir durch den Kopf. Doch fühle ich mich seltsam hilflos und unfähig, bei dem Gedanken hier etwas zu machen.

Ich weiß nicht wie lange ich hier stehe und Kristines Hand halte. Wir beide schweigend. Ich schaue mich manchmal um, doch will ich eigentlich gar nicht erkennen, was ich sehe.
Ich schweige schon zu lange. Es wird Kristine zu veranlassen etwas zu sagen oder zu tun. Daher sage ich wieder: "Wir können nicht einfach ein Zimmer beziehen, das uns nicht zusteht. Die anderen Leute haben Vorrang."

Die Decke scheint näher zu kommen. Dieser falsche Himmel.

Und dann höre ich Matildes Stimme.

Das Kind vor hier... sie... Ich sollte schreien. Ich sollte mich übergeben. Ich sollte losrennen und sie von ihrem Tun abhalten. Doch stehe ich nur da und schaue fasungslos zu, was gerade passiert. Meine Beine werden schwach... ich muss etwas tun, um nicht umzufallen.

Ich mache einen Schritt auf Matilde zu. Es ist mehr ein Ausfallschritt um nicht zu stürzen, als eine gezielte Bewegung. Ich halte Kristine noch immer an der Hand.
Die andere Hand, hebe ich Matilde entgegen und rufe:
"WIESO TUST DU DAS?! DAS KANNST DU NICHT TUN!"

Egal wer das war, sie kann nicht einfach Leute töten! Wenn sie mit Kindern anfängt, wo will sie aufhören? Mit uns allen? Und wer ist Dr. Livingstone? Sind hier alle verrückt außer mir?!

Joran:
Clive

"NEIN! Tu das nicht!", rufe ich noch gleichzeitig mit Ove aus und stemme mich hoch ... doch es ist bereits vollbracht.

"IRGENDJEMAND sollte schlafen?!? IRGENDJEMAND? ...", setze ich in einer Mischung aus Entsetzen, Wut und Verzweiflung nach. Mein Blick wandert zwischen Matilde und Kristine hin und her, hin und her. Wer hat die Worte gesprochen? Habe ich gesehen wie sich Kristines Lippen bewegten? Ist Kristine überhaupt sie selbst? "Wie hätte ich das verstehen können? ... Das ist NICHT die Wahl, vor die Du mich gestellt hast. DAS ist NICHT FAIR! ... Du erlegst mir eine Schuld auf, der ich nicht ausweichen KONNTE! ... Du hättest MICH töten sollen! Das weißt Du genau! ... Du weißt, wie ich entschieden hätte, wenn Du mich verständlich gefragt hättest!"

Verzweifelt blicke ich auf den leblosen Körper in der stetig wachsenden Blutlache herab und erinnere mich an das Kind, dass ich einmal in meinen Armen gehalten habe.

"Ich hätte Dich mitnehmen sollen, Alexander, ... damals. Ich habe mich falsch entschieden ... Verzeih!", flüstere ich noch immer benommen. "Möge die Straße uns zusammenführen?!? ... Das war ein Fluch und kein Segen! Niemanden sollte die Straße zu MIR führen. ... Der Tod folgt mir stets auf dem Fuße."

Dann wandelt sich meine Verzweiflung in Wut.

"Wie konntest Du das tun? ... DU bist ein MONSTRUM ... Du bist BÖSE!", speie ich Matilde hasserfüllt entgegen. "Du bist nicht Matilde! ... Nur eine Kopie von ihr ... oder ein Dämon, der sich ihrer bemächtigt hat ... oder Annephis und ich habe Dich damals nicht erfolgreich gebannt, sondern Du hast mich hinters Licht geführt" Ich denke mit Schrecken an all das Wissen, dass ich mit Matilde ... mit Annephis ... dann seither geteilt habe. "... jedenfalls bist DU jetzt NICHT Matilde! ... Selbst in ihren dunkelsten Momenten ..."

Hasserfüllt blicke ich Matilde an ... die Hülle des Menschen, den ich wie eine Tochter liebe ... Ich suche in den Augen nach einem Überrest des Vertrauten, einem kleinen Funken der Reue oder der Erkenntnis ... Was ich finde ist nur eisige blassblaue Kälte.

Nach einer Weile siegt die Erschöpfung ... oder ist es Ayanas Elexier? Ich lasse mich zurück ins Bett fallen. Resigniert füge ich setze ich nach: "Tu was Du willst! ... Dr. Livingstone? ... Der ist nicht mein behandelnder Arzt. ... Aber tu Dir keinen Zwang an. ... Nur lass Ove und Kristine gehen! Gib die beiden frei! Sie können nichts dafür. Es war mein Fehler, die beiden nach Irland einzuladen. Sie können nichts dafür ..." Ich habe nicht viel Hoffnung, dass meine Worte Wirkung zeigen. Andererseits verstehe ich sowieso nicht, was hier geschieht.

"Es musste irgendwann so enden, nicht wahr?"

"Ich habe es Dir immer gesagt! ... SIE ist nicht gut für DICH! .. Du hättest Sie in der Anstalt lassen sollen ... im Körper dieses Mädchens! Dann hätte sie kein Unheil anrichten können! ... Aber Du wolltest nicht auf mich hören. ... Ich bin DIE EINZIGE, die Dich versteht ... die Dich kennt. Du bist mein und ich bin Dein. So war es immer und so wird es immer sein.", übertönt eine eifersüchtige Stimme das wütend brausende Meer.

Ich schließe die Augen und fühle eine Träne meine Schläfe herabrinnen.

"Gehe zurück auf LOS!", schießt es mir durch den Kopf.

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