Pen & Paper - Spielsysteme > Malmsturm
Gruppenaufbau Einsteigerfragen
Tulch:
Die Szene ging wie folgt: Am Ostufer des Sees angekommen packten die Helden ihre Sachen und suchten den Weg zum Kloster durch den nebligen Wald. Plötzlich stürzt ein entkräfteter Mönch aus dem Unterholz und bricht an einem kleinen Bach zusammen, an dessen anderem Ufer die Helden latschen. Hinter dem Mönch ist ein Dutzend Fackeln zu sehen und Stimmen sind zu hören, die den Mönch jagen. Der Geistliche NSC der Gruppe erkennt den Mönch, ruft "Bruder" und bringt die Helden dazu, einzugreifen. Sie wollen schnell zu ihm hin und ihn vor den Verfolgern in Sicherheit bringen. Doch die Herausforderung ist von extremem Würfelpech geprägt. Athletik zum Hinrennen, Kraft zum Wegschleppen und Heimlichkeit zum Verstecken im Gebüsch schlagen fehl, sodass sie den Mönch zurück lassen müssen, er seine letzten Atemzüge nimmt, Ihnen aber noch ein paar pikante Details über das Kloster und die Verfolger zukommen lässt. Die Kuttenträger und ihre Schergen finden die Leiche, lassen sie wegbringen und ziehen von dannen. Bis auf einen, dem die Fußspuren der Helden auffallen. Mit zwei Helfern sucht er das umliegende Gelände ab, woraufhin der oben beschriebene Konflikt ausbricht. Das Ziel der Helden ist recht simpel: Rache für den Mönch, mehr über die Kuttenträger rausfinden und den Schergen nachsetzen, die die Leiche flussabwärts geschleppt haben.
LordBorsti:
Wenn die Spieler ein Interesse daran hatten den Kuttenträger gefangen zu nehmen, ist das eine gute Anwendung der "Aufgeben" Mechanik von dir gewesen.
Aufgeben ist ja nicht nur dazu da um SCs oder NSCs zu retten sondern auch ein Pacing Instrument. In diesem Falle scheint mir die Befragung des Kuttenträgers die eigentlich interessante Szene zu sein.
Wie hättest du nun die Befragung des Kuttenträgers behandeln können?
"Say yes, compel or roll the dice!" (Sag ja, reize einen Aspekt oder Würfel)
Der Spruch stammt aus dem Dresden Files RPG und den benutze ich immer als Hilfe um zu überlegen, wie ich auf die Handlungen der Charaktere reagiere.
Ich sage ja, wenn ich kein wirkliches Hindernis für die Handlung der Charaktere sehe oder ein Scheitern die Handlung in eine Sackkasse führen würde.
Ich reize einen Aspekt, wenn ich möchte, dass aus der Handlung des Charakters ein Problem entstehen soll.
Ich lass würfeln, wenn ich sowohl bei Erfolg als auch beim Scheitern einen interessanten Fortgang der Geschichte im Kopf habe.
Wenn wir das auf deinen Kuttenträger übertragen
Du hättest ja sagen können um deinen Spielern Infos über den Kult zu geben.
Du hättest einen Aspekt reizen können um eine weitere Komplikation einführen zu können. ("Luke I am your father!")
Du hättest würfeln lassen können um den Fortgang vom Zufall und den Fertigkeiten der Charaktere abhängig zu machen.
Die Befragung in Regeln
Wichtig bei Fate ist, dass du rein- und rauszoomen darfst und sollst, wenn du die Regeln bemühst. D.h. deine Entscheidung, ob eine Handlung nur eine der 4 Aktionen und daher nur einen Würfelwurf erfordert oder ob du die Subsysteme Konflikt, Wettstreit und Herausforderung nimmst, sollte nach dramatischen Gesichtspunkten getroffen werden.
Wenn der Kuttenträger nicht so wichtig für die Geschichte ist und das was danach passiert eigentlich viel interessanter ist, kannst du das als eine simple Überwinden Aktion handhaben. Provozieren, Charisma, Täuschen sind da gute Fertigkeiten und den Kuttenträger kannst du z.B. mit Empathie oder Wille aktiven Widerstand leisten lassen.
Wenn die Befragung des Kuttenträgers eine wichtige Szene sein soll, kannst du eines der drei Subsysteme nehmen. Ich würde da zunächst einen Wettstreit draus machen, bei dem die Charaktere z.B. mit Charisma, Provozieren und Täuschen versuchen den Kuttenträger aus der Reserve zu locken während dieser sich mit Worten rauszuwinden versucht oder einfach Stück für Stück "dicht macht". Falls die Charaktere auf die Idee kommen den Kuttenträger geistig unter Druck zu setzen oder ihm Gewalt androhen, sind wir im Bereich eines mentalen Konflikts. Dann kannst du den Wettstreit einfach abbrechen und leitest in einen geistigen Konflikt über.
Tulch:
Danke für die detaillierte Hilfe! Im Nachhinein hätte ich wohl die letzte Option (Wettstreit und würfeln) wählen sollen, weil ich den einzelnen Kuttenträger jetzt nicht als sehr wichtig für die Story empfand, er aber Teil einer mysteriösen Gruppe ist, die sehr kompetent ist und die Helden zudem schon einmal mit subtilen Mitteln (Aufwiegelung des Mobs) in die Flucht getrieben hat. Um so Leute zu besiegen, muss schon mehr als Überwinden her. Mein Problem war, dass sie die Befragung wirklich rein rollenspieltechnisch-mündlich gemacht haben und ich da natürlich gute Antworten drauf hatte und ihnen einen Bären aufgebunden habe. Ich habe den Jungs ja gesagt, dass sie auf Empathie würfeln können oder ähnliches, aber das wollten sie nicht aus Angst, sie verpatzen das und müssen dem Gerede auch noch Glauben schenken. Da hätte ich den Wettstreit wohl endgültig einleiten sollen, egal ob sie wollten oder nicht. Ich hatte nur die Aufgabe-Mechanik im Fall des Kuttenträgers so verstanden, dass er in der ganzen Szene keinen Widerstand mehr leisten kann oder darf - und sich somit auch nicht erneut mit den Helden anlegen kann.
Kurze Verständnisfrage: Kann eine Szene beliebig viele Konflikte, Wettstreite oder ähnliches beinhalten? In der Szene gab es zuerst den Wettstreit wegen des Mönchs, dann den Kampf gegen den Kuttenträger, danach dir Rettung des verstorbenen Mönchs aus den Händen der Banditen (kurzer Kampf, weil billige Strauchdiebe), danach dann das Verhör des Kuttenträgers. War das ok oder zuviel des Guten? Ich hatte das so nicht geplant, das hat sich bis auf den gejagten Mönch alles spontan entwickelt.
nobody@home:
Da zitiere ich mal Seite 248 ("Was ist eine Szene?" ;)):
--- Zitat ---Eine Szene ist eine Einheit der Spielzeit, die von ein paar Minuten bis zu einer halben Stunde und mehr dauern kann, und in der die Spieler versuchen, ein Ziel zu erreichen oder etwas anderes Relevantes für das Szenario zu schaffen. Zusammen genommen ergeben die Szenen, die ihr spielt, eine ganze Spielsitzung, und somit letztlich auch eure Szenarien, Handlungsbögen und Kampagnen.
Du kannst die Szene als die grundlegende Einheit der Spielzeit betrachten, und du hast wahrscheinlich schon eine ganz gute Vorstellung, wie eine Szene aussieht. Es ist nicht viel anders als eine Szene in einem Film, einer Fernsehserie oder einem Roman – die Hauptcharaktere handeln Dinge in einem kontinuierlichen Zeitablauf ab und bleiben dabei normalerweise am selben Ort. Wenn die Handlung ein neues Ziel hat, sich an einen neuen Ort verlagert oder einen Zeitsprung hinlegt, dann bist du in der nächsten Szene.
Als SL gehört es zu deinen wichtigsten Aufgaben, zu bestimmen, wann Szenen enden und beginnen. Am besten hältst du den Rhythmus der Geschehnisse unter Kontrolle, wenn du genau bestimmst, wann eine Szene beginnt oder endet – lass die Sache weiterlaufen, solange die Spieler interessiert sind und Spaß haben, aber sobald der Schwung nachlässt, mach mit der nächsten Sache weiter. In diesem Sinne ist deine Aufgabe hier nicht viel anders als das, was ein guter Cutter beim Film macht – du „schneidest” eine Szene und fängst eine neue an, damit die Geschichte weiterhin geschmeidig läuft.
--- Ende Zitat ---
Der Text geht auf den nächsten Seiten noch weiter, aber das faßt das Konzept für mich schon recht gut zusammen. Ich würde also sagen: Im Prinzip kann eine Szene verschiedene Herausforderungen, Wettstreite usw. enthalten...aber an dem Punkt würde ich mir gerade dann, wenn die eigentlich nur zeitlich aufeinander folgen, schon überlegen, ob ich sie nicht lieber aufteile, so daß jeder wichtige Einzelbestandteil sein eigenes (kürzeres) "Spotlight" bekommt, zumal wenn sich zwischendurch wie im Zitat angesprochen tatsächlich kurzfristig das Ziel bzw. der Fokus sichtbar ändert. Im konkreten Fall hier könnte das etwa so ausfallen: Teilszene 1, die Begegnung mit dem Mönch (Ziel: ihn vor seinen Verfolgern in Sicherheit bringen); Teilszene 2, das Beobachten der Kuttenträger und der dadurch ausbrechende Konflikt (Ziel: die Gegner besiegen und möglichst einen Gefangenen machen); Teilszene 3, das Verhör selbst (Ziel: Informationen über diese Leute gewinnen). Wahrscheinlich könnte man "Teilszene 2" auch noch einmal unterteilen -- erst die Spannung, was die Kuttenträger mit dem toten Mönch jetzt eigentlich machen und ob man selbst entdeckt wird, dann die Kampfszene, was beispielsweise im Film ja wahrscheinlich auch mindestens einen Perspektivwechsel wert wäre --, aber so pingelig, daß man mit langem Brüten darüber das ganze Spiel aufhält, muß man dann ja auch wieder nicht sein. :)
LordBorsti:
--- Zitat von: Tulch am 1.11.2016 | 20:02 ---Danke für die detaillierte Hilfe! Im Nachhinein hätte ich wohl die letzte Option (Wettstreit und würfeln) wählen sollen, weil ich den einzelnen Kuttenträger jetzt nicht als sehr wichtig für die Story empfand, er aber Teil einer mysteriösen Gruppe ist, die sehr kompetent ist und die Helden zudem schon einmal mit subtilen Mitteln (Aufwiegelung des Mobs) in die Flucht getrieben hat. Um so Leute zu besiegen, muss schon mehr als Überwinden her. Mein Problem war, dass sie die Befragung wirklich rein rollenspieltechnisch-mündlich gemacht haben und ich da natürlich gute Antworten drauf hatte und ihnen einen Bären aufgebunden habe. Ich habe den Jungs ja gesagt, dass sie auf Empathie würfeln können oder ähnliches, aber das wollten sie nicht aus Angst, sie verpatzen das und müssen dem Gerede auch noch Glauben schenken. Da hätte ich den Wettstreit wohl endgültig einleiten sollen, egal ob sie wollten oder nicht.
...
--- Ende Zitat ---
Rollenspielerisch-mündlich ist doch im Grunde "Ja" sagen. Du gibst deinen Spielern die Infos oder Story-Häppchen, die du ihnen in dieser Szene geben möchtest. Und da deine Spieler explizit abgelehnt haben auf die mechanische Ebene zu gehen, dürfen die sich auch nicht beschweren, wenn du sie "in character" anlügst und auch falsche Informationen verbreitest. Ich denke du hast das schon ganz gut so gemacht.
Es gibt allerdings zwei Dinge, die du beim "Ausspielen" von sozialer Interaktion mit Fate beachten solltest:
1. Geh entweder nach der Szene oder am Ende des Spielabends nochmal die Aspekte der Spielercharaktere und auch der NSCs durch und verteil evtl. Fate-Punkte für "retroaktives" Reizen. Es passiert nicht selten, dass sich ein NSC oder SC allein durch "Ausspielen" in die Scheiße reitet. Am besten einfach mal kurz im Kopf die Reizen-Schablonen anwenden.
2. Da Fate auch für soziale Interaktion Regelmechaniken anbietet (Wettstreit, mentaler Konflikt), musst du beim Ausspielen aufpassen, dass die Charaktere nicht alle sozialen Interaktionen durch gutes Rollenspiel lösen können. Sonst kann es dir nachher passieren, dass die Charaktere ohne soziale Fertigkeiten den Charakteren mit sozialen Fertigkeiten das Spotlight nehmen. Ich mach das meistens so, dass ich soziale Interaktion bis zu einem gewissen Punkt ausspiele und dann kurz anmerke: "Wenn ihr hier jetzt noch weiterkommen wollt, will ich Würfe auf passende soziale Fertigkeiten sehen". Das hat sich in meiner Gruppe als guter Kompromiss aus Nischenschutz und Vermeiden von Würfelorgien bewährt.
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