Am dritten Tag seines Aufstieges dachte er über Größe nach.
Nicht, dass sie ihm im Leben besonders oft begegnet wäre. Die Wanderschuhe hatte er in der Kinderabteilung gekauft, die Hosenbeine umnähen lassen und die etwas über hüftlange, regenabweisende und Schweiß-nach-außen-leitende super-duper Jacke, die ihm die zähnebleckende Verkäuferin im Outdoorladen zu den Schuhen aufgeschwatzt hatte, hing schlabbernd über einem weiteren nicht-so groß-wie-gewünschten Körperteil.
Und es war ja beileibe nicht nur die Größe des Wuchses, die ihm fehlte. Schon während seiner Ausbildung zum Bäcker hatte er immer nur kleine Brötchen backen dürfen, ehe er den Job wegen einer Mehlstauballergie ganz hatte hinschmeißen müssen. Danach war es stetig bergab gegangen.
Er unterbrach seinen Gedankengang um einen spitzen Stein aus seinem Schuh zu schütteln. Eine kurze Verschnaufpause, dann stapfte er weiter über die felsige Bergwiese nach oben, der Weite entgegen.
Ja, damals war es nach unten gegangen mit ihm. So weit nach unten, dass die Ärzte ihn von oben herab hatten behandeln müssen. Der mietbare Fußabtreter mit der freundlichen Schlag-Mich-Fresse. Nun waren seine Hemden verschlissen und das Maul ohne Zähnchen. Immer weiter war er geschrumpft, bis er schließlich fast weg war. Er dachte daran, ganz zu verschwinden. Einfach so, mit diesem leisen *Schlürf!*, das ein Abfluss macht, der sich den letzten Rest fusseligen Badewassers einverleibt.
Wieder hielt er inne, um kurz Luft zu holen. Die abgehackte Schnappatmung beruhigte sich. Vorsichtig begann er, über einen kleinen Felsbrocken zu kraxeln.
Ja, das mit der Badewanne, das schien ihm zunächst eine ganz realistische Idee zu sein. Aber dann beschloss er, lieber im Wind zu verwehen, statt im Abwasser zu verrülpsen. Er fand das irgendwie romantischer. Und einmal im Leben, fand er außerdem, hatte er sich ein wenig Romantik auch verdient. Und Größe. Einmal im Leben groß sein, das wärs.
Als der das nächste Mal den Blick hob, war er so hoch oben wie niemals zuvor. Sein unsteter Blick strich sanfter werdend über die Spielzeug-kleinen Häuser im Tal, die vereinzelten Krüppelkiefern am Hang, die drahtigen Bergwiesen und schließlich, gar nicht mehr so viel höher als er, die schroffen Felsen, die weit in den Himmel ragten.
Mit Ruhe sog er den Anblick mit der frischen Atemluft ein. Vor ihm ragten drei besonders große Felsen auf. Ihm war, als würde sie sich ihm zuwenden und wie gütige Alte auf ihn herabschauen. "Du schaffst es!", sprachen sie aufmunternd. Er hasste sie dafür.
Und dann war da plötzlich der Blauwal. Majestätisch und schön entschwamm er den wattigen Wolken, die sich weit, weit oben in den Bergen verhangen hatten. Ein voller Gesang aus gewaltiger Brust ließ die Berge erzittern und vermischte sich mit dem sehr kleinen, sehnsüchtigen Seufzer einer eng gewordenen Kehle. Der Meeresgigant glitt nun gänzlich aus der Wolkenburg. Kraftvoll schlug er mit der Schwanzflosse und rauschte am Hang hinab gen Tal.
Ein besonders kräftiger Schlag der Flosse traf etwas sehr Kleines. Der gewaltige Blauwal bemerkte es gar nicht, so winzig war es im Vergleich zu ihm. Aus dem dünnen Sehnsuchtsschrei wurde ein verzücktes Kreischen. Wie fusseliges Badewasser, das, in viele kleine Tropfen zerteilt, schallgeschwind gen Erde rauscht, unterwegs verdunstet und sich mit den wattigen Wolken vermengt, die bald wieder einen Walfisch in sich aufnehmen werden.
So ein Kreischen war das. Kennen Sie nicht? Dann haben Sie wohl noch nicht oft genug über Größe nachgedacht.
Leseprobe aus "Wal-ther der Ge-Wal-tige" (Fischer Verlag 2017): Tina stöhnte lustverzückt auf, als Wal-ther seine ge-wal-tigen Wal-nüsse entblößte. Die frische, wal-dige Bergluft, vermischt mit dem herb-männlichen Geruch nach Moschus steigerte ihr Verlangen ins Unermessliche. Nie hätte sie gedacht, dass die Feierlichkeiten zur Wal-purgisnacht ein solch saftiges Ende nehmen würden! Sie grunzte wie ein Wal-fisch, als Wal-ther sie mit seiner prachtvollen Männlichkeit in Wal-lung brachte.