Ars Mathematica
Auf der Suche nach neue ambitionierte Abenteuerautoren rief Pegasus zum erscheinen der 7. Cthulhu Edition zu einen Abenteuerwettbewerb auf. Die drei Siegerabenteuer wurden im März 2017 im Band "Ars Mathematica" veröffentlicht.
Neue ambitionierte Autoren? Das klingt doch vielversprechend.
(Spoileralarm)
Die Abenteuer sind vom ersten zum dritten Platz abgedruckt. Nach Jurymeinung sollte also die Qualität der Abenteuer zum Ende hin abnehmen. Den ersten Platz machte das namensgebende Abenteuer:
Ars Mathematica
Das Abenteuer spielt in den 20er Jahren auf einen beliebig definierbaren Zug. Man kann das Abenteuer also gut in eine Kampagne einbauen oder als Oneshot nutzen. Die Charaktere müsste man zwar bereitstellen, aber das sehe ich jetzt nicht wirklich als Kritikpunkt.
Wirklich gut aufgemachte ist die einsteigende Übersicht der NSCs, Orte und verschiedenen Lösungswege. Auch die Kernhinweise des Abenteuers sind aufgelistet. Und endlich wird der Inhalt der Handouts in Stichpunkten für den SL zusammengefasst! Das nenne ich mal eine Abenteuerübersicht! Da können sich andere Abenteuerschreiber wirklich mal was abschauen.
Auch gut gefallen mir die knappen, stichwortartigen Beschreibungen in den NSC Kästen. Wenn sich hier die Rolle (wie in Übersichtstabelle im Einstieg) nochmal wieder finden würde, wären die Kästen fast perfekt.
Das eigentliche Abenteuer bietet unterschiedliche Einstiege und ist sehr szenenorientiert aufgebaut. Die Szenen sind dabei wenig schwafelnd, sondern angenehm kurz und knackig beschrieben. Alles sehr nach meinen Geschmack.
Etwas seltsam finde ich, dass die bewaffneten Verbrecher und ihr Ziel, direkt im Einstieg als solche erkannt werden können. Grundsätzlich sind solche Freiheiten ja wünschenswert, aber in diesem kurzen Abenteuer bietet diese Option viele potentielle Probleme. Ich würde die mögliche Enttarnung eher auf später verlegen.
Dass das Opfer des Fluches seinen Plan, die SCs zu verfluchen, noch am selben Tag in sein Tagebuch schreibt, finde ich merkwürig. Das er die SCs mit diesen Buch dann aber auch noch alleine lässt, ist schon äußerst konstruiert. Dass das Fluchopfer genug Gips dabei hat, um diverse Ecken und Winkel zuzukleistern, ist auch irgendwie befremdlich. Da das Opfer um die Gefahr der Winkel weiß, will ich das aber mal nicht zu kritisch sehen. Und den Spielern eine kurzfristige Rettung/Verzögerung gegen die Hunde des Tindalos zu liefern, ist generell eine gute Entscheidung.
Leider wird es bei den meisten Gruppen wohl im Finale darauf hinauslaufen wird, das ein NSC die entscheidenden Proben ablegen muss. Das Problem ist aber recht elegant gelöst, denn das Abenteuer liefert genug Optionen um die SCs während dieser Proben zu beschäftigen bzw. diese zu beeinflussen.
Insgesamt, trotz kleiner inhaltlicher Macken, ein gelungenes Abenteuer mit einen Aufbau wie ich ihn mir wünsche.
Jäger und Gejagte
Auch dies ist ein 20er Jahre Abenteuer. Diesmal ein reinrassiger Onehot mit vorgefertigten Charakteren. Ein weiblicher (zusätzlicher?) Charakter wäre, brächte hier sicher etwas mehr Varianz rein. Die Hintergründe und Beziehungen der SCs sind angenehm kurz gehalten.
Das Abenteuer ist übersichtlich, aber nicht so gelungen wie sein Vorgänger, aufgebaut.
Gespielt wird eine Gruppe Goldgräber am Klondike. Die Charaktere helfen benachbarten Claimbesitzern bei der Suche nach einen vermissten Freund und einen bedrohlichen Rudel Wölfe. Der Fokus des Abenteuers liegt auf dem Überleben gegen Kälte, Wildnis und anderen Bedrohungen. Laut Abenteuer soll ein besonderes Auge auf die Ausrüstung der Spieler gehalten werden. Dies macht für das Setting natürlich Sinn, kommt im Abenteuerverlauf aber leider nicht mehr zur Sprache.
Die Suche ist in wenige, teils optionale, Szenen aufgegliedert und es gibt auch eine kurze Tabelle mit Zufallsbegegnungen. Weiter werden optionale Regeln zum Umgang mit Schneeblindheit, Melancholie (schöne Idee, allerdings 1zu1 aus CR4 übernommen) und Erfrierung geliefert. Die halbseitige Indianergeschichte hätte ich lieber als Stichworttext gehabt. Vielleicht gespickt mit einigen wörtlichen Zitaten, aber sicher nicht als Vorlesetext.
Das Abenteuer bietet ein vertrautes, aber unverbrauchtes Setting. Nur leider mangelt es an wirklichen Ideen. Die Suche verläuft, trotz der optionalen Szenen, sehr linear und ohne wirkliche Überraschungen. Abweichungen und Varianten des Verlaufs werde maximal angedeutet. Somit ist Jäger und Gejagte formell in Ordnung, bietet aber inhaltlich zu wenig.
Sehr Schade, denn ich glaube aus der Grundidee könnte man richtig was rausholen. In dieser Form eignet sich das Abenteuer aber leider nicht einmal als Steinbruch. Da lohnt es sich eher The Revenant oder Ravenous ansehen um ein Gefühl für die Thematik zu bekommen.
Orakelknochen
Um kurz vorzugreifen, dieses Abenteuer ist für mein Verständnis kein Rollenspielabenteuer. Auch keins für Fortgeschrittene (was es von sich selbst behauptet).
Bevor ich versuche dies zu erläutern kurz der Plot:
Bei Orakelknochen handelt es sich um ein Now Oneshot, in dem die Spielercharaktere ein uraltes chinesisches Ritual durchführen. Hierzu müssen sie die historischen Rollen verschiedener chinesischer Adeligen übernehmen. Also: die Spieler spielen (vorgefertigte) Charaktere, die wiederum bestimmte Rollen spielen und dabei ein Ritual durchführen. Das Abenteuer handelt dabei ausschließlich in einen speziellen Ritualraum. In diesem befinden sich verschiedene Möbel und Gegenstände, die man untersuchen kann und für das Ritual benötigt werden.
Die Vorbereitung für die Spieler ist irritierend hoch. Hier das Hausaufgaben-Paket, das jeden Spieler, am besten vor der Runde, ausgehändigt wird:
1 Seite Charakterbogen mit den üblichen Werten
1 Seite Charakterhintergrund inkl. Beziehungen zu anderen SCs (diese meist extrem positiv oder negativ)
ein Kasten Beschreibung und Hintergrund der zu spielenden chinesischen Ritualrolle
2 Seiten "Was bisher geschah" und Instruktionen
1/2 Seite Informationen zur Shang Dynastie
(Achtung Morgen wird abgefragt! Und wehe ihr kommt mit den chinesischen Namen durcheinander!)
Ich hab ja schon einige Oneshots gesehen, aber das hier ist, um es diplomatisch auszudrücken, wirklich bemerkenswert. Für mein Verständnis hat das nichts mit Rollenspiel, sondern viel mehr mit Theater zu tuen.
Als Spielleiter sollte man sich den Stoff natürlich auch genau ansehen, schließlich muss man wissen was eigentlich Sache ist und welche Agenda die Charaktere verfolgen. Es ist nämlich nicht nur so, das allen SCs falsche Tatsachen vorgegaukelt werden und jeder glaubt selbst der einzige "Wissende" zu sein (Stichwort Scharade). Einer der SCs ist natürlich auch ein Maulwurf.
Die Hausaufgaben sind hierbei nicht wirklich optional. Das Abenteuer funktioniert eigentlich nur dann, wenn die Spieler ihren Stoff kennen und sehr aktiv am Geschehen teilnehmen. In der falschen Rolle kann ein passiver Spieler (oder einer, der seine Hausaufgaben halt nicht gut gemacht hat), ohne böse Absicht, den SL ganz schön ins Rudern bringen (bspw. durch lockere Handhabung des Hintergrundes oder ein zu frühes Auslösen der “Sollbruchstelle” und dem Ende der Scharade).
Es wird empfohlen möglichst immer in der Rolle zu bleiben. Dazu soll man geheime Vorhaben, Nachfragen oder Metadinge via Zettel mit dem SL zu kommunizieren. In den Charakterhintergründen befinden sich sogar Regieanweisungen ala “Mach bei Gelegenheit heimlich xy per Zettelabsprache mit dem SL”. Als ob mit den fünf Hausaufgabenpaketen, sechs Handouts und zwei Karten nicht schon genug Zettel im Spiel wären.
Das möglichst würfelfreie, ingame Freeformspiel macht aufgrund der Dopperollen und der Scharade, durchaus Sinn. Nur irgendwie harmoniert das mit den Mechaniken, wie Probenwürfe oder Punktebuchhaltung für das Ritual, nicht so richtig. Und da die die Spieler die Rollen von Experten übernehmen, werden "Weiß mein Charakter XYZ? Fragen" auch sicher häufiger anfallen.
Gut gefallen haben mir die Kärtchen, mit den zum Abenteuer passenden Wahnvorstellungen und Anfällen. Sowas, zum zufällig ziehen oder als Tabelle, abgestimmt auf das jeweilige Abenteuer, fänd ich super.
Die Detailfreude um die chinesische Geschichte kann man durchaus würdigen. Würde man aber die Ritualrollen-Nummer entschärfen (oder besser ganz streichen) und das Geschehen flexibler gestallten. wäre Orakelknochen sehr viel Spielbarer. Vielleicht könnte es sich sogar mit Szenelieblingen wie King, In Media Res oder Abwärts messen. Doch in dieser Form will das Abenteuer einfach viel zu viel erzwingen und ist unnötig komplex/überfrachtet.
Trotz meiner Kritik bin ich mir sicher, dass das Abenteuer bei der Cthulhu Crowd dennoch seine Fans findet. Für mich entspricht es aber überhaupt nicht dem, was ich spielen oder leiten wollen würde. Dafür vereint es zu viele Dinge die mich nerven. (= extrem hoher Inszenierungsgrad, defacto FreeForm-/Improtheaterspiel Pflicht, Spieler Hausaufgaben, komplexe Charakterhintergründe, Zettelwirtschaft, Geheimniskrämerei).
Hier wäre weniger, deutlich mehr gewesen.
Allgemein und Abschließend
Die Papierqualität ist wie gewohnt unterdurchschnittlich. Die Bebilderung des Bandes ist eher spärlich. Ausfälle, wie drei mal "dunkler Wald oder sinnlose Karten, sind mir nicht aufgefallen. Viele Fotos habe ich aber bereits in anderen Cthulhu Publikationen gesehen. Und die Zeichnung zum Now Abenteuer sind leider von schlechterer Qualität als zuvor bei Filmriss. Dafür sind die einseitigen Zeichnungen zu Beginn jedes Abenteuers ganz spannend.
Insgesamt kann ich den Band nicht empfehlen. Mit den Platzierungen der Abenteuer stimme ich aber überein. Ars Mathematica ist extrem gut strukturiert und auf jeden Fall brauchbar. Die beiden anderen Abenteuer sind aber leider langweilig oder, für Typen wie mich, unspielbar.
Neuen ambitionierte Autoren rate ich allerdings dringend zum Kauf um sich Ars Mathematica als Maßstab und Orakelknochen als Abschreckung anzusehen!