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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: La Cipolla am 18.11.2020 | 13:11

Titel: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: La Cipolla am 18.11.2020 | 13:11

Vorab!

Das ist einer dieser Threads, der nur wirklich funktioniert, wenn man versucht, die Prämisse nachzuvollziehen und sich darauf einzulassen – selbst wenn man sie nicht teilt. Und obwohl ich mit Sicherheit nicht der erste bin, der sich daran versucht, könnte eben jene Prämisse erst einmal unkonventionell wirken. Was ich sagen will ... Bitte genau lesen und nicht zu viele eigene Annahmen projizieren! 8D


Eine Beobachtung!

Die meisten wirklich erfolgreichen Indie-Rollenspiele der letzten 10? 15? 20? Jahre bewegen sich imho in eine bestimmte Richtung: WEG von der Simulation von – vor allem kämpferischen – Situationen und Settings, HIN zur Simulation eines anderen Mediums, üblicherweise einer TV-Serie, eines Films oder eines Romans.
Erläuterung: Man hört sehr oft, dass sich irgendein Spiel "genau wie ein Film!" anfühlt (Fate bspw.), und die im Indie-Bereich am meisten gefeierten PbTA-Spiele sind meines Erachtens die, denen es besonders gut gelingt, das Feeling eines Medien-Genres einzufangen, etwa Monsterhearts oder World Wide Wrestling. Spiele wie Fiasco und Dread versuchen sogar explizit, die Gefühle oder die Struktur eines Genres "nachzubauen".
Brücke zum nächsten Abschnitt: Besonders interessant ist das bei älteren Indie-Spielen aus der Generation Savage Worlds, die einerseits noch recht deutlich dem D&D-Duktus folgen, andererseits aber auch schon die Sensibilitäten einbinden möchten, die in anderen Medien regieren ("Fast! Furious! Fun!" wäre ein ziemlich guter Titel für eine Michael-Bay-Biografie).


Eine Erklärung?

Der moderne "Indie-Mainstream" (Ich weiß, komisches Wort ... aber wir sind uns einig, oder? :D) ist immer noch eine Reaktion auf D&D. Das ist wahrscheinlich keine besonders steile These, aber ich würde ergänzen: Der Indie-Mainstream hat sich so rabiat GEGEN diesen Platzhirsch aufgestellt, dass er hinten übergekippt und bei anderen Medien gelandet ist. Und – jetzt kommt der hoffentlich spannende Part! – vielleicht hat er dadurch auch aus den Augen verloren, das unser Rollenspielmediums eine Menge eigenes Potenzial in sich trägt.
Erläuterung: Man hört ja seit 15+ Jahren, dass ein bestimmtes Spiel, bspw. Savage Worlds oder Dungeon World, "endlich das Fantasy-Spiel / das D&D sei, dass man immer schon spielen wollte!" Und das ist natürlich cool, denn wenn wir in unserem Hobby Spaß haben, haben wir nun mal Spaß. Punkt! Aber ich überlege auch, was genau hinter dieser Aussage steht. Es klingt so, als würden wir immer automatisch zu etwas Bekanntem springen, also entweder zu einem besseren D&D oder aber zum aktuell für uns spannenden Medium. Und das simulieren wir dann mit neuen Regeln. (Aber könnten wir nicht auch was eigenes machen?)


Relativierung!

Ich rede hier immer bewusst vom "Indie-Mainstream", weil es ja durchaus Spiele und Bewegungen gibt, die in eine andere Richtung gehen. Und während sich die OSR noch recht problemlos in meinen Erklärungsversuch einordnen lässt (sozusagen auf der anderen Seite :D), gibt es sicherlich auch Spiele, die nicht "nur" Filmstrukturen, Comicästhetik oder den Reiz einer Hollywood-Serie einfangen. Trotz allem finde ich immer spannend, was POPULÄR ist, und damit meine ich nicht nur auf Twitch, sondern auch bei den Star-Designern, die sich selbst als progressive Speerspitze der Unabhängigkeit verstehen.
Darüber hinaus ist es natürlich schon recht, äh, mutig, Savage Worlds und PbtA in einen Eimer zu kehren, aber ich hoffe, die Idee ist deutlich geworden: Beide folgen im Kern sehr ähnlichen Bezugspunkten.
Ich sehe am Ende des Tages kein ernsthaftes PROBLEM in dem ganzen Thema; interaktive Filme und Serien sind eine arschcoole Sache. Aber irgendwie bringt es mich schon zum Überlegen, wie sehr wir darauf abgehen, dass unser ach so eigenes Medium endlich im Stande ist ... andere Medium erfolgreich zu simulieren, mit etwas eigener Entscheidung. *derp*


Fragen zur Diskussion

– Inwiefern geht da mehr? Sind "D&D in besser" und "Bekanntes Medium + Interaktivität" wirklich schon der Höhepunkt des Rollenspiels? Oder steht in der Interaktivität mehr Potenzial?
– Lohnt sich vielleicht ein Blick zu dem, was andere interaktive Medien tun, bspw. Videospiele? (Wobei man da definitiv denselben Effekt beobachten kann.)
– Welche Rollenspiele passend explizit NICHT in diese beiden Kategorien, fühlen sich also nicht wahlweise wie D&D oder wie Filme/Serien/andere Medien an, sondern wie etwas betont EIGENES?
– Ist die Prämisse dieses Threads vielleicht einfach nur Bullshit? Rant away!

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: felixs am 18.11.2020 | 13:22
Viele interessante Ideen, zu geben ich mangels Sachkunde erstmal nichts sagen kann. Vielleicht entwickle ich noch Ideen - muss ich erstmal verdauen.

Was mir klar geworden ist: ich mag viele "Indie"-Sachen vermutlich deshalb nicht, weil sie in Richtung (Hollywood-) Film medial simulieren. Ich mag Filme meist nicht besonders, entsprechend ergibt das Sinn. Das ist eine interessante Erkenntnis. Danke dafür  :d

Verstehe ich es recht, dass es Dir um die Möglichkeiten geht, die sich aus einer Perspektive ergeben, welche Rollenspiel vor allem aus Sicht des analogen Spiels als Medium sehen?

Bin neugierig, wie sich das entwickelt.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: La Cipolla am 18.11.2020 | 13:32

Zitat
Verstehe ich es recht, dass es Dir um die Möglichkeiten geht, die sich aus einer Perspektive ergeben, welche Rollenspiel vor allem aus Sicht des analogen Spiels als Medium sehen?

Ich halte eigentlich immer erstmal die Klappe in meinen Threads, aber das "analog" ist ein extrem interessanter Punkt! :D

Genau, es geht mir auf jeden Fall um die "exklusiven" Eigenheiten und Möglichkeiten des Mediums P&P-Rollenspiel (und darum, dass Indie-Spiele oft viel eher die Tropen und Regeln ANDERER Medien in den Mittelpunkt stellen) – wobei ich bei diesen P&P-Merkmalen allem voran an die Interaktivität gedacht habe, was vielleicht auch schon ein Teil des Problems ist. Das Analoge ist definitiv eine weitere interessante Eigenheit (die ja auch schon aufgegriffen wird, siehe bspw. Dread), und ich bin mir sicher, dass es da noch mehr Merkmale gibt, auf die man sich fokussieren kann.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: felixs am 18.11.2020 | 13:43
"Spiel" impliziert ja auch schon Interaktivität. Aber es schadet sicher nicht, das nochmal herauszustellen, ist vermutlich erstmal nicht selbstverständlich  :d
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 19.11.2020 | 11:49
Gehört fast schon ins Theorie-Forum, aber schau'n mer mal!

Also von mit gibt's erst einmal an einigen Stellen Dissens. Die Dichotomie D&D versus Indie trifft es aus meiner Sicht nicht richtig, ich betrachte die Sachlage stattdessen aus einer GNS-artigen Perspektive.

Klassische Rollenspiele ("Trad Games") wie D&D oder DSA oder auch Shadowrun oder selbst auch CoC waren immer eine verquere Mischung zwischen gamistisch und simulationistisch. Sie sind weder realistisch NOCH, sagen wir, filmgetreu. Ihr kennt das vermutlich auch as euren Runden, aber wenn's für die Spieler zum Vorteil ist, dann argumentieren sie gerne, dass irgendetwas nachteiliges doch völlig unrealistisch sei. Die gleichen Spieler jammern, aber auch, falls ihr Charakter völlig unheldenhaft draufgeht. Diese Spiele waren in dieser Hinsicht nie konsistent - weder in den Regeln selbst noch im realen Spielverlauf.
Und die Regelwerke, die halbwegs konsistent realistisch waren, konnten sich nicht wirklich durchsetzen (Phoenix Command, Harnmaster, etc).

Ende der 90er Jahre bildete sich nun eine neue Strömung heraus, die den dritten, bis dato vernachlässigten, Hauptaspekt des Rollenspiels ins Zentrum rückten: die Geschichte. Das waren die narrativistischen oder narrativen Systeme a la The Pool. Was du Indie nennst, das sind in signifikanten Teile diese Erzählsysteme. Und die sind mMn nicht D&D in besser, sondern eben gerade NICHT D&D. PbtA bedeutet einen Bruch mit den Prinzipien, die D&D zugrundeliegen. Apocalypse World hat keinen Anspruch mehr eine konsistente Welt zu simulieren. Die Simulation findet praktisch ausschließlich in der Narration des Spielleiters statt, dort wird diese Aufgabe, sozusagen, abgeladen.

Trotzdem, und dies erkennst du mMn richtig, wird dort etwas simuliert, was mit Genre zu tun hat: es werden Genre-Geschichten (nicht -Welten!) simuliert und die Moves sind die einzelnen Bausteine/Stützpfeiler aus denen die genre-typische Geschichte zusammengesponnen wird. Ungekehrt deutest du aber auch an, dass es einen Unterschied zwischen PbtA und zB Savage Worlds gibt. Savage Worlds hat eindeutig nicht die Simulation einer fiktiven Welt aufgegeben und betreibt auch keine Geschichten-Simulation.

Daraus ergibt sich, dass es mindestens zwei Arten von GenreSim gibt. Und die Savage Worlds-Variante ist sehr nah am Trad Game gebaut. Ich möchte sagen: es ist ein Trad Game, denn Trad Games hatten immer auch eine simulationistische Komponente, wenn auch nicht sehr konsistent.
Tatsächlich gibt es vermutlich mehr als zwei Varianten, wie wir in einem früheren Thread im Theorie-Forum (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,112048.0.html) bereits herausgearbeitet hatten.

Nun zur Simulation an sich:
1. Wie in dem verlinkten Thread aufgeführt, kommt es darauf an, was simuliert wird - die wirkliche Welt ("Rollenspiel im Köln des Jahres 1340") oder eine fiktive Welt ("Actionheld a la Rambo").
2. Es gibt gute Grunde warum man bestimmten Erzählmustern folgt. Die haben sich bewährt. Wer früher am Lagerfeuer Geschichten erzählte, der schmückte sie gern mal aus um sie interessanter zu machen. Nicht anderes macht Hollywood, vor allem dann, wenn sie eine wahre Begebenheit nehmen, strategisch aufhübschen und mit einem epischen Soundtrack unterlegen. Das nennt sich Dramatisierung und man macht das, weil es schlicht unterhaltsamer ist. Es entspricht den Wünschen und Träumen (häufig: Machtträumen) des Publikums.
3. Diese Träume sind medien-unabhängig. Egalb ob Roman, Comicbuch, Serie, Film, Videospiel oder TTRPG.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: felixs am 19.11.2020 | 11:58
Ich verstehe dass meiste nicht. Wenn wir aneinander vorbeireden, bitte ignorieren oder korrigieren. Kann gut sein, dass ich das Thema verfehle - meine Gedankengänge sind hier gerade eher assoziativ.

Nur zum letzten Punkt:
Die Inhalte, auch die Muster dahinter, mögen in den Medien gleich oder ähnlich sein.

Die Form der Darstellung ist es nicht und entsprechend unterschiedlich ist die Rezeption, sowohl passive Rezeption als auch die (aktive) Mitgestaltung durch innere Haltung (emotionale Reaktion etc.), als auch durch Externalisierung derselben oder durch Kommentare.

Im Zusammenhang des Rollenspiels sind vor allem die Erwartungshaltung und die darauf folgende Reaktion, der Umgang mit dem (gemeinsam) Dargestellten relevant.

Nicht zuletzt gibt es auch eine soziologisch/demographische Komponente. Ich kann meist mit textaffinen Mitspielern und deren Art der Beschreibung deutlich besser umgehen, als mit denen von Leuten, die ihre Referenzen aus graphischen Medien (Film, Comic, Computerspiel) nehmen. Ich vermute, dass das auch an Gemeinsamkeiten in den Gewohnheiten der Rezeption liegt.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: takti der blonde? am 19.11.2020 | 12:17
– Ist die Prämisse dieses Threads vielleicht einfach nur Bullshit? Rant away!

Ich möchte nur kurz zu bedenken geben, dass D&D für Arneson, Gygax et al. ja bereits auf andere Medien, konkret: Bücher, rekurriert (vgl. Appendix N). D&D ist ja grob: Conan+freies Kriegsspiel+Diplomacy+Methode Rollenspiel.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 19.11.2020 | 12:18
Was die "Form der Darstellung" angeht, würde ich sagen, entspricht Rollenspiel noch am ehesten dem guten alten Geschichtenerzählen, eventuell noch der moderneren Form Hörspiel. ;) Wir haben ja einerseits normalerweise keine besonderen sichtbaren Extrakomponenten wie in Film, Fernsehen, Theater, oder auch Comics und den meisten Videospielen, aber auch nicht so wirklich die Möglichkeit zum einfachen Vor- und Zurückblättern und Pausieren nach Gusto wie mit einem Buch. Und: speziell, wenn tatsächlich einer vor Publikum sitzt oder steht und eine Erzählung zum besten gibt, dann kann wie im Spiel natürlich auch schnell Interaktivität hinzukommen, wenn die Zuhörer eben nicht bloß andächtig still sind, sondern selbst anfangen, zu kommentieren, Fragen zu stellen, und vielleicht sogar Änderungswünsche anzumelden (findet man vielleicht eher bei Kindern als bei Erwachsenen, aber immerhin)...
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 19.11.2020 | 12:28
Ihr kennt das vermutlich auch as euren Runden, aber wenn's für die Spieler zum Vorteil ist, dann argumentieren sie gerne, dass irgendetwas nachteiliges doch völlig unrealistisch sei. Die gleichen Spieler jammern, aber auch, falls ihr Charakter völlig unheldenhaft draufgeht. Diese Spiele waren in dieser Hinsicht nie konsistent - weder in den Regeln selbst noch im realen Spielverlauf.

Interessanter Punkt. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. War die Realismus-Keule ein der ersten Formen von Player-Empowerment?

Gefühlsmäßig ist da für mich was dran.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 19.11.2020 | 12:42
Player-Self-Empowerment?  ;D
Aber das gibt's natürlich auch von der anderen Seite her: Der Star-Wars-Spielleiter, der in einem viel zu einfachen Gefecht plötzlich den Realismus entdeckt - um's einfach wieder etwas spannender zu machen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Crimson King am 19.11.2020 | 14:56
Ich würde Savage Worlds wohl auch bei den traditionellen Spielen einordnen, aber das ist vermutlich nicht der eigentliche Punkt.

Ich sehe bei Indies im Übrigen weniger eine Fokussierung auf ein Genre, sondern eher auf ein Thema. Das ist in vielen Fällen ein Genre, kann aber auch etwas völlig anderes sein, z.B. moralische Fragestellungen.

Spiele wie FATE, PDQ oder auch diverse PbtA-Implementierungen sehe ich eher als Versuch, eine Synthese aus den beiden radikal unterschiedlichen Entwürfen zu bilden. Die wollen Kampagnenspiel im klassischen Sinne, aber unter der Prämisse, ihr Thema in den Fokus der Kampagne zu rücken.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 19.11.2020 | 19:18
Sind nicht Simulation und Storygame-Mechaniken oft beides Versuche, Genre zu emulieren? Wie oben schon gesagt, speiste sich D&D bloß weniger aus Filmen.
Oder anders: kommen wir der Erkenntnis näher, wenn wir mal gezielt Spiele analysieren, die gar kein Genre emulieren wollen? Da fällt mir erstmal nichts ein. Einige OSR+Sachen sind mittlerweile ihr eigenes Genre, aber sonst...?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 19.11.2020 | 20:41
Sind nicht Simulation und Storygame-Mechaniken oft beides Versuche, Genre zu emulieren? Wie oben schon gesagt, speiste sich D&D bloß weniger aus Filmen.
Oder anders: kommen wir der Erkenntnis näher, wenn wir mal gezielt Spiele analysieren, die gar kein Genre emulieren wollen? Da fällt mir erstmal nichts ein. Einige OSR+Sachen sind mittlerweile ihr eigenes Genre, aber sonst...?
Also ich würde noch einen Schritt abstrakter sagen, dass die Rollenspielsysteme mit ihren Regeln und Konventionen (oder Symbolen oder Genretropen oder wie man sie noch nennen will) einfach eine fiktive Realität schaffen will, die sich besser und kontrollierbarer anfühlt, als die echte Realität.
Ich weiss allerdings nicht, in wie weit das hier im Thread weiter hilft.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ErikErikson am 19.11.2020 | 21:09
Alle Rollenspiele die ich kenne emulieren ein Genre, oder einen Genre-Mix. Ich wüsste nicht, wie es anders gehen sollte. Eventuell kann man sagen, das Universalsysteme wie GURPS das nicht tun, aber die haben dann Supplements für die jeweiligen Genres. Ich würde die frage stellen, ob es überhaupt möglich ist, ein Rollenspiel ohne genre zu spielen. ich denke nein. Und ich glaube, das Rollenspiel schon auch seine eigenes genres erschafft, zumindest D&D tut das, und ich denke auch DSA.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 19.11.2020 | 21:11
Naja, zumindest geben sich die meisten Rollenspiele der 1980iger als "genreblind".
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Achamanian am 19.11.2020 | 21:27
Ich mache mal eine Tangente zum Eingangsbeitrag auf, den ich ziemlich spannend finde, zu der Frage: Wie kommen wir überhaupt darauf, dass Rollenspiele bestimmte andere erzählende Formen (Film, Fernsehserie, Comic, Roman, Kurzgeschichte) "simulieren" sollen?

ich glaube nicht unbedingt, dass das ein Grundgedanke des Rollenspiels ist - vor der Adaption von Roman- und Filmwelten stand, wenn ich mich nicht irre, ja das eklektische Sich-bedienen an solchen Welten, ohne den erkennbaren Anspruch, dass das Rollenspiel Geschichten generieren soll, die atmosphärisch, inhaltlich, dramaturgisch oder sonstwie den Quellen entsprechen, bei denen man sich bedient hat (siehe Lovecraft- und Moorcock-Schöpfungen in D&D-Monsterkompendien).

Auch die frühen Adaptionen von literarischen Werken als Spielwelten wie Sturmbringer, MERS und Cthulhu haben ja gar nicht so sehr darauf abgezielt, die Erzählweise ihrer jeweiligen Vorbilder "erspielbar" zu machen (bei Sturmbringer trifft das vielleicht noch am ehesten zu, was aber wahrscheinlich auch eher an dem fast schon zufälligen Zusammentreffen des BRP-Systems mit Moorcocks Sword&Sorcery ohne Handbremse lag. Hat halt einfach gepasst ...). Allein der Cthulhu-Modus, als Gruppe in aufeinanderfolgenden Abenteuern gegen Mythosgeschöpfe zu Felde zu ziehen, passt ja nur ganz ansatzweise und im weitesten Sinne zu einigen wenigen (tendenziell schwächeren) Lovecraft-Geschichten wie "Das Grauen von Dunwich"; und MERS war trotz sorgfältiger Hintergrundausarbeitung einfach in so ziemlich jeder Hinsicht meilenweit neben jedem Herr-der-Ringe-Feeling ... man hat den Eindruck, dass beide Rollenspiele eigentlich ganz zufrieden damit waren, den jeweiligen Kosmos als Kulisse für etwas anderes, nämlich ein Rollenspiel zu verwenden, ohne es als Defizit zu empfinden, dass das Rollenspiel ("natürlich", könnte man fast schon sagen) ganz andere Arten von Geschichten hervorbringt. Man wollte gerne die Motive aus den Vorlagen, gerne auch in der Verdichtung zum geschlossenen Setting, aber darüber hinaus wollte man gar nicht unbedingt die Vorlage emulieren.

Andererseits ist das kein Wunder, dass das von vielen Spielern und Designern dann eben doch irgendwann als Defizit empfunden wurde. Heute scheint es mir fast schon Common Sense zu sein, dass ein Rollenspiel, das sich direkt von einem bestimmten Hintergrund inspirieren lässt, auch mithilfe seiner Mechaniken darauf abzuzielen hat, irgendwie ähnliche Geschichten wie die aus den Vorlagen bekannten zu erzeugen. Das führt auch gelegentlich zu tollen und beeindruckenden Ergebnissen (z.B. The One Ring) - aber ich glaube auch, dass darüber leicht vergessen wird, dass auch das Spiel in einer Welt aus anderen Medien oder mit den Motiven von anderen Medien reizvoll sein kann, ohne, dass man dabei das Rollenspiel als Vehikel begreift, um eine irgendwie "gleiche" Art von Geschichten hervorzubringen.

Als Beispiel mal Lovecraft: Call of Cthulhu und die meisten anderen Cthulhu-Rollenspiele taugen einfach nicht und niemals dafür, Geschichten wie die von Lovecraft hervorzubringen. Es gibt Versuche, dem Vorbild näherzukommen, wie Cthulhu Dark und als radikalsten Ansatz wohl Lovecraftesque, aber gerade bei letzterem merkt man, dass das nur sehr formalisiert und mit sehr strengen Regeln dafür, was wie erzählt werden kann, möglich ist. Das hat sicher seinen Reiz - aber ich würde behaupten, dass das tolle an den Lovecraft-Geschichten für's Rollenspiel eben gar nicht unbedingt ist, dass sie ein so tolles Vorbild für gemeinsames spielerisches Geschichtenerzählen darstellen, sondern, dass sie ein lose verknüpftes Bestiarium (den "Cthulhu-Mythos") präsentieren, dass als Rollenspiel-Material einfach unschlagbar großartig ist. Man will im Spiel vielleicht gewisse atmosphärische und motivische "Beats" aus den Lovecraft-Geschichten wiederfinden (eine Flucht aus Innsmouth, den daherplappernden Alten irren), aber es geht bei CoC sicher in den meisten Fällen nicht darum, gemeinsam eine Lovecraft-typische Geschichte zu erschaffen.

Aber irgendwie hat sich trotzdem die Vorstellung weitgehend durchgesetzt, dass ein Rollenspiel erfolgreich ist, wenn es gelingt, mit ihm Geschichten zu erzeugen, die den erzählerischen Konventionen nicht nur bestimmter Genres, sondern auch bestimmter anderer Medien (meistens Film, Fernsehserie oder Roman) entspreichen - und scheitert, wenn es nicht dazu geeignet ist.

Was mich zu den Universalsystemen Fate und Savage Worlds bringt, die auf der Suche nach einer Antwort auf der Frage, was denn die "Universalkonventionen" sind, die eine im Rollenspiel erzeugte Geschichte erfüllen sollte, tendenziell beim Actionfilm bzw. bei der actionlastigen Fernsehserie landen. Das liegt wahrscheinlich deshalb nahe, weil Actionfilm und typisches Rollenspiel eine Strukturierung um Set-Pieces, insbesondere gerne Kampfszenen, gemeinsam haben. Beide Systeme schließen daraus, dass Actionfilm und Actionserie dem "natürlichen Erzählmodus" des Rollenspiels entsprechen.

Ich halte das ehrlich gesagt nicht für einen funktionalen Zusammenhang, sondern für einen Zufall. Meine Erfahrung im Rollenspiel ist, dass ein Wechsel zwischen den Arten der Konzentration (auf Regelmechanismen, wie vor allem im Kampf, auf schauspielerische Elemente, auf gemeinsame Plotentwicklung), die man jeweils aufrechterhalten muss, einfach wichtig ist, um sich nicht zu erschöpfen. Ich kann nicht drei Stunden lang "schauspielern" oder mich drei Stunden lang auf ein taktisches Spiel konzentrieren, aber ich kann drei Stunden lang ein bisschen schauspielern, ein bisschen Taktieren, ein bisschen an einer Story basteln und ein bisschen plaudern. Dass das, was dabei rauskommt, im Rückblick wahrscheinlich noch am ehesten wie ein Actionfilm aussieht, heißt aber nicht, dass eine Rollenspielerfahrung je besser wird, desto mehr sie die Dramaturgie eines Actionfilms nachahmt.

Zusammenfassend: Ich liebe die Spielerfahrung von Fiasko oder Der Eine Ring (allerdings durchaus auch die von MERS); Savage Worlds und Fate können mir gestohlen bleiben (nicht, weil sie schlecht wären, aber weil ich mich nicht für das Ziel interessiere, Actionfilme zu emulieren) - so oder so fände ich es insgesamt aber gut, sich auch dann und wann mal klar zu machen, dass Rollenspiel überhaupt keine erzählweise andere Medien nachahmen muss, um gut zu sein. Nur, weil das, was da erspielt wurde, niemand als Roman lesen oder als Film sehen wollen würde, heißt das nicht, dass es Mist ist - im Gegenteil zeigt es vielleicht, dass das Rollenspiel eben Geschichten hervorbringen kann, die nur im Medium des Rollenspiels gut funktionieren und nicht als Roman oder Film (genauso, wie es eben Romangeschichten gibt, die nicht als Film funktionieren oder Filme, die sich nur schwer in einen Roman übertragen ließen).

So, eigentlich wollte ich auch noch was dazu unterbringen, warum ich das M.R. James-Rollenspiel Casting the Runes leider aus eben solchen Gründen für eher missglückt halte, aber egal ...
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ErikErikson am 19.11.2020 | 21:49
Ich würde schon sagen, das Call of Cthulhu versucht, eine Lovecraft-Geschichte zu erzeugen. Allerdings nicht krampfhaft identisch wie in den Lovecraft Stories. ich denke, die Rollenspieler habne durchaus richtig erkannt, das es keine 1 zu 1 übertragung sein kann. Alleine schon die tatsache, das man üblicherweise mehrere Spieler hat, Lovecraft-Stories aber meist einen protagonisten haben, macht das schon unmöglich. Auch die gänzliche unterschiedlichkeit von Rollenspiel und Kurzgeschichte bzw. Novelle macht es unmöglich, dasselbe in beiden zu produzieren.

ich würde aber sagen, das trotzdem das Genre "Lovecraft" als orientierungspunkt bleibt, und zumindest der versuch unternommen wird, ähnliche emotionale Wirkung wie die Lovecraft geschichten zu erzeugen. Das die techniken nicht immer identisch sein können, ist klar, die Umstände des Erlebens sind ganz andere. Aber es können dieselben themen aufgegriffen werden, und es können dieselben Wirkungen auf den Rezipienten erzeugt werden.

ich weiss, das manche Indie-Spiele versuchen, noch näher an diese Strukturen von Filmen und anderen Medien ranzukommen, dabei aber gleichzeitig den Spiel-Charakter behalten. Das macht Call of Cthulhu nicht, genausowenig wie die anderen traditionellen Rollenspiele.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Runenstahl am 19.11.2020 | 22:04
Letztlich geht es beim Rollenspiel doch immer darum eine (hoffentlich) spannende Geschichte zu erleben an der alle Spaß haben. Das man sich dafür bei Vorbildern bedient (Bücher, Comics, Filme, Videospiele etc.) ist ja eigentlich nur naheliegend. Insofern wüßte ich nicht, wie ich mir ein Rollenspiel das absichtlich versucht ein eigenes Genre zu sein, überhaupt vorstellen sollte. Am ehesten kommt mir da noch eine Art Parodie in den Sinn bei der man Mörderhobos spielt denen es nur um XP und Loot geht. Quasi "Munchkin - das Rollenspiel" (tm). Könnte auch witzig sein.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Achamanian am 19.11.2020 | 22:18
Insofern wüßte ich nicht, wie ich mir ein Rollenspiel das absichtlich versucht ein eigenes Genre zu sein, überhaupt vorstellen sollte.

Na ja, Rollenspiel ist ein eigenes Genre (wenn man hier als Genre Kategorien wie Roman, Kurzgeschichte, Film begreift), einfach durch ein paar starke formale Eigenheiten. Z.B. ist die Szenenstruktur so wie ich das kenne in vielen Rollenspielen sehr weich, es gibt da dauernd fließende Wechsel, die allenfalls noch in eher experimentellen Romanen zu finden wären ... Auch, dass der Verlauf der Geschichte sowie Erzähltempo und Struktur regelmäßig durch ganz spontan auftretende äußere Faktoren (Der Pizzabringdienst ist da, Hanna ist jetzt langsam echt müde) beeinflusst werden, ist schon ziemlich einzigartig. Ganz zu schweigen von der Würfelei. Explizite Verteilung von Erzählrechten kennt man so aus Büchern oder Filmen in der Regel auch nicht (bzw. nur "Hinter den Kulissen", z.B. als Gerangel zwischen Drehbuchautoren, Regisseuren und Produzenten). All das sind ja Elemente, die sich auf die Struktur der entstehenden Geschichten auswirken - da muss man Rollenspiel überhaupt nicht absichtlich zum eigenen Genre machen wollen, es ist halt eines.
Wenn man jetzt versucht, klassische Film- oder Romanverläufe aus dem Rollenspiel als Ergebnis herauszubekommen, dann muss man diese Eigenartigkeiten dann eben entweder in die richtigen Bahnen lenken. Und das kann ja durchaus tolle Ergebnisse haben, es ist nur längst nicht so selbstverständlich, wie das für mein Gefühl manchmal dargestellt wird. Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, zu sagen: "Wir lassen unser Rollenspiel einfach mit dem Hintergrund-Inventar von Lovecraft/Tolkien laufen, aber es ist uns völlig egal, ob wir dabei irgendwelche Geschichten produzieren, von denen wir uns vorstellen können, dass Lovecraft oder Tolkien die so ähnlich geschrieben hätten."
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 19.11.2020 | 22:20
Allgemein möchte ich beim Rollenspiel schon Abenteuer erleben bzw. ermöglichen, wie ich sie aus anderen Medien heraus auch kenne -- irgendwo muß ich ja schließlich mindestens meinen Startpunkt finden, und beim Gedanken an ein hypothetisches Rollenspiel, das seine diesbezügliche Inspiration ausdrücklich nur aus anderen Auch-Schon-Rollenspielen beziehen wollte, kräuseln sich mir ehrlich gesagt schon so ein wenig die Fußnägel. ;)

Andererseits halte ich das nicht an sich schon für einen guten Grund, unbedingt zwangsneurotisch das jeweilige andere Medium an sich emulieren zu "müssen"; in vielerlei Hinsicht ist das ja schon rein von den verfügbaren Darstellungsmöglichkeiten her oft unpraktisch bis direkt unmöglich. Ideen und Konzepte, die allgemein dabei helfen können, ein nettes interaktives Abenteuergarn zu spinnen? Gerne, und je nach genauer Inspirationsquelle mag's auch mal sinnvoll sein, sich zusätzlich beim speziellen Original zu bedienen -- aber nur, weil ich beispielsweise nach Vorbildern wie McGyver oder dem A-Team in meinem System vielleicht auch 'ne eigene Regel für improvisierte Bastelmontagen mit speziellem Problemlöseeffekt ein- oder zweimal pro Sitzung haben will, muß ich noch lange nicht versuchen, gleich das komplette Medium "Fernsehserie" mit abzubilden.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Achamanian am 19.11.2020 | 22:25
aber nur, weil ich beispielsweise nach Vorbildern wie McGyver oder dem A-Team in meinem System vielleicht auch 'ne eigene Regel für improvisierte Bastelmontagen mit speziellem Problemlöseeffekt ein- oder zweimal pro Sitzung haben will, muß ich noch lange nicht versuchen, gleich das komplette Medium "Fernsehserie" mit abzubilden.

Das meine ich so in etwa mit "Beats" - Ich denke, oft sagt man, "ich will ein rundum McGyvermäßiges Spielerlebnis", aber eigentlich will man halt über die Bastelszene die McGyver-Assoziation aufrufen und nicht eine komplette Spielsitzung haben, die inhaltlich genau wie eine typische McGyver-Folge abläuft.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Isegrim am 19.11.2020 | 22:31
Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, zu sagen: "Wir lassen unser Rollenspiel einfach mit dem Hintergrund-Inventar von Lovecraft/Tolkien laufen, aber es ist uns völlig egal, ob wir dabei irgendwelche Geschichten produzieren, von denen wir uns vorstellen können, dass Lovecraft oder Tolkien die so ähnlich geschrieben hätten."

So wurde das ja auch sehr lange so gemacht. Den Anspruch, dass bspw die Regeln i-wie dafür sorgen sollen, diese "Story-Struktur" zu unterstützen, kenn ich erst seit ein paar Jahren. Schon 1987, als ich mit DSA anfing, war eine der Standard-Beschreibungen "Was ist Rollenspiel?" ungefähr: "Naja, ihr Spieler spielt die Hauptfiguren, wie in einem Film oder Buch, aber ihr könnt halt entscheiden, was ihr macht." Das wurde dann mit DSA1 umgesetzt, und natürlich kam da nicht wirklich was bei raus, was als Skript für i-ein anderes Medium getaugt hätte. Am nächsten kam dem in meiner Frühzeit Star Wars W6, dass zumindest in der SL-Sektion Tipps enthielt, wie die SL Szenarien planen kann, die i-wie an die Filme erinnerten. Aber die Regeln war im Prinzip auch das, was in den 80ern die Norm war. Es war halt Aufgabe der SL, für Story-Struktur oder Dramaturgie zu sorgen. Da gibt es heute doch ein sehr viel breiteres Spektrum an Herangehensweisen. Ich denke, dass ist es, was La Cipolla im Ausgangsbeitrag meinte.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ErikErikson am 19.11.2020 | 22:34
gerade lovecraft ist kaum zu emulieren, weil er sich fast seine ganze karriere weiterentwickelt hat. Fast alle Lovecraft-Stories bauen erzähltechnisch aufeinander auf, und zeigen ne klare Entwicklung. D.h. es gibt die prototypische Lovecraft Story so nicht. Als Rollenspieler ist man auch kein literarisches Genie, das lovecraft nacheifern könnte.

Man muss als Spieler also irgendwie etwas erschaffen, das sich zwar an lovecraft orientiert, aber das trotzdem was eigenes ist. So ist es ja dann auch geschehen, und es gab diese "Cthulhu matrix", also so ein archetypisches Abenteuer, wie es Lovecraft nie geschrieben hat, aber ungefähr so hätte schreiben können, irgendwann in seiner karriere, wahrscheinlich recht früh.

Insofern ist Rollenspiel von seinen literarischen Vorlagne schon sehr weit weg, und der versuch wieder näher ranzukommen, ist eine reaktionäre bewegung.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 19.11.2020 | 22:50
Ich mache mal eine Tangente zum Eingangsbeitrag auf, den ich ziemlich spannend finde, zu der Frage: Wie kommen wir überhaupt darauf, dass Rollenspiele bestimmte andere erzählende Formen (Film, Fernsehserie, Comic, Roman, Kurzgeschichte) "simulieren" sollen?

ich glaube nicht unbedingt, dass das ein Grundgedanke des Rollenspiels ist - vor der Adaption von Roman- und Filmwelten stand, wenn ich mich nicht irre, ja das eklektische Sich-bedienen an solchen Welten, ohne den erkennbaren Anspruch, dass das Rollenspiel Geschichten generieren soll, die atmosphärisch, inhaltlich, dramaturgisch oder sonstwie den Quellen entsprechen, bei denen man sich bedient hat (siehe Lovecraft- und Moorcock-Schöpfungen in D&D-Monsterkompendien).

Der zweite Paragraph beantwortet die Frage aus dem ersten. :) Das eklektische Sich-Bedienen führt dazu, dass die Wünsche einiger Spieler nicht erfüllt werden. Einige Spieler wollen eben auf Mittelerde spielen und nicht Greyhawk. Und einige Spieler, die Mittelerde spielen wollen, wollen auch, dass es sich so anfühlt wie Tolkien's Welt. (Das beweist ja gerade die Kritik an MERP.)


man hat den Eindruck, dass beide Rollenspiele eigentlich ganz zufrieden damit waren, den jeweiligen Kosmos als Kulisse für etwas anderes, nämlich ein Rollenspiel zu verwenden, ohne es als Defizit zu empfinden, dass das Rollenspiel ("natürlich", könnte man fast schon sagen) ganz andere Arten von Geschichten hervorbringt. Man wollte gerne die Motive aus den Vorlagen, gerne auch in der Verdichtung zum geschlossenen Setting, aber darüber hinaus wollte man gar nicht unbedingt die Vorlage emulieren.

Das sind natürlich die ersten Rollenspiele, von denen du hier sprichst, und die Ansprüche waren damals ganz andere. Sowohl Rollenspiele als auch Rollenspielende haben eine Entwicklung seitdem durchgemacht.

aber ich glaube auch, dass darüber leicht vergessen wird, dass auch das Spiel in einer Welt aus anderen Medien oder mit den Motiven von anderen Medien reizvoll sein kann, ohne, dass man dabei das Rollenspiel als Vehikel begreift, um eine irgendwie "gleiche" Art von Geschichten hervorzubringen.
Naja, D&D ist sein eigenes Genre. Nur einige Spieler wollen das nicht. Es gibt kein einziges Fantasy-Rollenspiel, das mir die Fantasy-Erfahrung gibt, die ich will, also schreibe ich mein eigenes und studiere Fantasy-Werke eben genauer als es andere zuvor getan haben.

Man will im Spiel vielleicht gewisse atmosphärische und motivische "Beats" aus den Lovecraft-Geschichten wiederfinden (eine Flucht aus Innsmouth, den daherplappernden Alten irren), aber es geht bei CoC sicher in den meisten Fällen nicht darum, gemeinsam eine Lovecraft-typische Geschichte zu erschaffen.

Naja, Trail of Cthulhu hat zwei Spielmodi: Pulp und Purist. 'The Dying of St Margaret's' ist ein ganz hervorragendes Puristen-Szenario.
Der Bedarf existiert.

Aber irgendwie hat sich trotzdem die Vorstellung weitgehend durchgesetzt, dass ein Rollenspiel erfolgreich ist, wenn es gelingt, mit ihm Geschichten zu erzeugen, die den erzählerischen Konventionen nicht nur bestimmter Genres, sondern auch bestimmter anderer Medien (meistens Film, Fernsehserie oder Roman) entspreichen - und scheitert, wenn es nicht dazu geeignet ist.

Wenn dem so wäre, müsste ich nicht Knights of the Black Lily schreiben. ;) Oder ich müsste die realistische Hoffnung haben am Thron von D&D zu sägen. Beides ist nicht der Fall. Aber, natürlich, wenn man spezifische IPs hat und nicht nur generische Genre-Welten, dann steigen die Ansprüche in Punkto Simulation.

Was mich zu den Universalsystemen Fate und Savage Worlds bringt, die auf der Suche nach einer Antwort auf der Frage, was denn die "Universalkonventionen" sind, die eine im Rollenspiel erzeugte Geschichte erfüllen sollte, tendenziell beim Actionfilm bzw. bei der actionlastigen Fernsehserie landen.

Fate basiert mMn eher auf Pulp denn als auf "Action" (was auch ein viel zu modernes Konzept für zB SPirit of the Century ist). Aber natürlich gibt's in Pulp auch Action.

Zusammenfassend: Ich liebe die Spielerfahrung von Fiasko oder Der Eine Ring (allerdings durchaus auch die von MERS); Savage Worlds und Fate können mir gestohlen bleiben (nicht, weil sie schlecht wären, aber weil ich mich nicht für das Ziel interessiere, Actionfilme zu emulieren) - so oder so fände ich es insgesamt aber gut, sich auch dann und wann mal klar zu machen, dass Rollenspiel überhaupt keine erzählweise andere Medien nachahmen muss, um gut zu sein.

Das ist der Punkt an dem ich einbringen muss, dass Simulationismus eben nur eine von 3 Strömungen ist. Dh, es gibt viele Rollenspieler, für die das eine untergeordnete Rolle spielt (die meisten sind wohl immer noch Gamisten, siehe D&D) und ein paar Rollenspieler, für die das sehr wichtig ist.

Nur, weil das, was da erspielt wurde, niemand als Roman lesen oder als Film sehen wollen würde, heißt das nicht, dass es Mist ist - im Gegenteil zeigt es vielleicht, dass das Rollenspiel eben Geschichten hervorbringen kann, die nur im Medium des Rollenspiels gut funktionieren und nicht als Roman oder Film (genauso, wie es eben Romangeschichten gibt, die nicht als Film funktionieren oder Filme, die sich nur schwer in einen Roman übertragen ließen).

Das ist nicht das Problem. Wenn ich mal für mich sprechen darf: mich stört es, wenn im Fantasy-Rollenspiel ständig Heilung benötigt wird. In der Fiktion werden Helden nur selten so schwer verwundet, dass größere Heilung nötig ist. Die müssen nicht 'nen Heiler mitschleppen oder einen Rucksack voller Heiltränke, wenn sie nur vor die Tür gehen wollen. Es gibt also Diskrepanzen, die einige Rollenspieler stören können.
Umgekehrt gibt's auch Dinge, die einem simulationistischen Spieler vielleicht fehlen können. Ich mag zB an dem System, das ich entwickle, dass Attacken/Parade nicht alternieren, sondern dass, quasi wie in Filmkämpfen, Serien geschlagen werden können. Es erinnert auch an Fußballspiele in denen vielleicht eine Seite Angriffswelle auf Angriffswelle aufs gegnerische Tor rollen lässt.

ABER - das ist eben nur eine bestimmte Art von Spielern. Andere wollen nur Monster erschlagen und Schätze sammeln, egal wie. Und andere wollen nur kreatives Spielen/Story-Telling, da stören solche Bedenken nur.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Ainor am 19.11.2020 | 23:13
Der moderne "Indie-Mainstream" (Ich weiß, komisches Wort ... aber wir sind uns einig, oder? :D) ist immer noch eine Reaktion auf D&D. Das ist wahrscheinlich keine besonders steile These, aber ich würde ergänzen: Der Indie-Mainstream hat sich so rabiat GEGEN diesen Platzhirsch aufgestellt,

Der "Indie-Mainstream" sind die Indiespiele die erfolgreich sind. Und erfolgreich sind eigentlich immer nur die Spiele die sich von D&D stark unterscheiden. Indiespiele die D&D (und ggf DSA) ähnlich sind heissen ja Heartbreaker weil man generell davon ausgeht dass sie keine Zukunft haben. Da gab es ja früher viele die versprochen haben realistischer als D&D zu sein, was meist mit komplexeren Regeln einhergeht.
Aber komplexe Systeme laden nicht dazu ein einfach mal loszuspielen und auszuprobieren. Deshalb ist es schwer sie als Indieprodukt zu etablieren.
Gleichzeitig ist D&D mit 3E ab 2000 sehr kompliziert geworden was vermutlich noch ein paar mehr Leute motiviert hat sich was leichteres zu suchen.
Damit ergibt sich ein entsprechender Markt für regelleichte Spiele.

Die Hinwendung zu anderen Medien wie z.B. Film lässt sich vermutlich ähnlich erklären. Es gibt ja recht viele Indiespiele, und alle ausprobieren tut man eher nicht. Deshalb haben Spiele die an etwas bekanntes anküpfen können ("spielt sich genauso cool wie Matrix") hier einen deutlichen Vorteil.
Und Filme und Serien bieten sich hier eben an. 



Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Isegrim am 19.11.2020 | 23:14
Und einige Spieler, die Mittelerde spielen wollen, wollen auch, dass es sich so anfühlt wie Tolkien's Welt. (Das beweist ja gerade die Kritik an MERP.)

Du bzw ihr habt sicher recht, was MERS angeht, aber das Problem bei "Wie Tolkiens Welt anfühlen" ist, dass sich zumindest für mich Hobbit, HdR und Silmarillion völlig unterschiedlich anfühlen. Wenn mans auf den HdR einschränkt, dürft aber was dran sein.

Allerdings kann zwischen "die Welt fühlt sich wie XY an" und "die erzählte Geschichte ähnelt der von XY" ein zeimlich weiter Graben liegen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 19.11.2020 | 23:18
gerade lovecraft ist kaum zu emulieren, weil er sich fast seine ganze karriere weiterentwickelt hat. Fast alle Lovecraft-Stories bauen erzähltechnisch aufeinander auf, und zeigen ne klare Entwicklung. D.h. es gibt die prototypische Lovecraft Story so nicht. Als Rollenspieler ist man auch kein literarisches Genie, das lovecraft nacheifern könnte.

Wer sagt denn, dass man die ganze Karriere emulieren soll oder will?

Würde mich sehr freuen, wenn du mich auf Texte hinweisen könntest, wo auf das erzähltechnische Aufeinanderaufbauen eingegangen wird. Ich denke, das gilt doch für alle Autoren, außer vielleicht für Genre-Hacks, oder?

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ErikErikson am 19.11.2020 | 23:30
Wer sagt denn, dass man die ganze Karriere emulieren soll oder will?

Würde mich sehr freuen, wenn du mich auf Texte hinweisen könntest, wo auf das erzähltechnische Aufeinanderaufbauen eingegangen wird. Ich denke, das gilt doch für alle Autoren, außer vielleicht für Genre-Hacks, oder?
Hohlbein z.B. könnte man leicht emulieren. Dem seine Stories folgen immer demselben Muster, und sind recht primitiv. Da könnte man eine Abenteuer-Vorlage bauen, und dann genau so spielen ,das was rauskäme, das in der Nacherzählung ne Hohlbein Story IST, obwohl sie nicht von Hohlbein geschrieben wurde, sondern von Spielern erspielt. ähnliches gilt fürs A-Team oder mcgyver. Lovecraft saß grade gegen Ende ewig an seinen Stories, und wollte ja nix wieder so machen wie in der letzten. Man hat also kein Muster, das man emulieren könnte.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 19.11.2020 | 23:54
Hohlbein z.B. könnte man leicht emulieren. Dem seine Stories folgen immer demselben Muster, und sind recht primitiv. Da könnte man eine Abenteuer-Vorlage bauen, und dann genau so spielen ,das was rauskäme, das in der Nacherzählung ne Hohlbein Story IST, obwohl sie nicht von Hohlbein geschrieben wurde, sondern von Spielern erspielt. ähnliches gilt fürs A-Team oder mcgyver. Lovecraft saß grade gegen Ende ewig an seinen Stories, und wollte ja nix wieder so machen wie in der letzten. Man hat also kein Muster, das man emulieren könnte.

Ich sagte ja: "außer vielleicht für Genre-Hacks".  >;D Hohlbein fällt für mich klar in diese Kategorie. (Vgl. Hack-Writer (https://en.wikipedia.org/wiki/Hack_writer).)

Aber ich denke, dass du Lovecraft schon auch ein wenig überhöhst. So genial, dass es keine Epigonen geben kann, sind doch wirklich die allerwenigsten Schriftstellter. Und dass Lovecraft Epigonen ohne Ende generiert hat, kann man wirklich nicht bestreiten.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 19.11.2020 | 23:57
Habt ihr mal Mechanical Dreams gespielt? Das passt nicht wirklich in ein bestimmtes Genre (es ist weder wirklich Cyberpunk, noch Fantasy, und die Realität wird Nachts instabil), und es etabliert ganz eigene Vorstellungen und auch Interaktionen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: La Cipolla am 19.11.2020 | 23:58
Ich werfe mal noch eine Beobachtung ein: Fast alle Posts gehen davon aus, dass Rollenspiele eine Geschichte erzählen sollen. Ich weiß, dass das eine gebräuchliche KONVENTION ist, aber in meinen Augen ist es absolut nicht selbstverständlich oder die einzige Möglichkeit, zumindest wenn wir „Geschichte“ im Sinne eines Buchs, eines Films o.ä. verstehen -- das noch weiter zu abstrahieren, Führt dann weg von einer pragmatischen Diskussion. Spiele können aber auch vorrangig kompetitiv sein (Mensch ärgere dich nicht), sie können vorrangig unseren Sammlerdrang ansprechen (Pokemon), sie können einfach Spaß an Humor und Randomness erzeugen (Twister). Und natürlich gibt es auch schon eine Menge Rollenspiele, die die Geschichte an zweite Stelle stellen oder ganz außen vor lassen.
Was dann auch wieder zurück zu frühem D&D führt: Ich meine, klar erzählen die Con-Dungeons, die mit Bestenlisten gespielt wurden, irgendeine Geschichte im Sinne von „emergent Storytelling“, aber das ist nicht der Grund, aus dem man die gespielt hat.

(Nur zur Sicherheit: Mir geht es aber nicht darum, zu diesen „Glory Days“ zurückzukehren, ne? ;D Ich will nur mal infragestellen, ob es abseits dieser scheinbaren Extreme nicht auch andere Richtungen gibt, in die man sich hätte bewegen können — und ob der Fokus auf wahlweise klassisches D&D oder aber „Geschichten erzählen“ uns nicht künstlich einschränkt.)

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 20.11.2020 | 00:07
Habt ihr mal Mechanical Dreams gespielt? Das passt nicht wirklich in ein bestimmtes Genre (es ist weder wirklich Cyberpunk, noch Fantasy, und die Realität wird Nachts instabil), und es etabliert ganz eigene Vorstellungen und auch Interaktionen.

Naja, das ist doch immer noch Weird Fiction, oder? Und wenn es ein ausladendes Kampfsystem hat, ist es für mich immer noch der Genre-Fiktion zuzuordnen. Und sonst evtl. esoterischer Weird Fiction - aber ich muss zugeben, ich kenne es bis jetzt auch nur aus Rezensionen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ErikErikson am 20.11.2020 | 00:10
Ich sagte ja: "außer vielleicht für Genre-Hacks".  >;D Hohlbein fällt für mich klar in diese Kategorie. (Vgl. Hack-Writer (https://en.wikipedia.org/wiki/Hack_writer).)

Aber ich denke, dass du Lovecraft schon auch ein wenig überhöhst. So genial, dass es keine Epigonen geben kann, sind doch wirklich die allerwenigsten Schriftstellter. Und dass Lovecraft Epigonen ohne Ende generiert hat, kann man wirklich nicht bestreiten.
Mir wäre nu kein Autor bekannt, der in der gleichen Qualität und im vergleichbaren Stil Stories verfasst hat, und ich habe viele gelesen Machen, Ligotti, die qualimäßig gut sind, haben alle nen anderen Stil, und nachahmer wie Derleth oder tierney kommen qualimäßig nicht ran. Wenn du jemanden hast, her damit. Also doch, ich würde schon sagen, er war so genial, das die späteren Stories wie etwa Shadow out of time nicht replizierbar sind, einfach weil diese geschichten einzigartig in ihrer Komposition sind.

Wenn man also als Rollenspieler emulieren will, sollte man sich lieber einen der nachfolger als Vorlage aussuchen. Ligotti z.B. wiederholt sich ständig, ist aber trotzdem gut.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 20.11.2020 | 00:38
Ich werfe mal noch eine Beobachtung ein: Fast alle Posts gehen davon aus, dass Rollenspiele eine Geschichte erzählen sollen. Ich weiß, dass das eine gebräuchliche KONVENTION ist, aber in meinen Augen ist es absolut nicht selbstverständlich oder die einzige Möglichkeit, zumindest wenn wir „Geschichte“ im Sinne eines Buchs, eines Films o.ä. verstehen -- das noch weiter zu abstrahieren, Führt dann weg von einer pragmatischen Diskussion. Spiele können aber auch vorrangig kompetitiv sein (Mensch ärgere dich nicht), sie können vorrangig unseren Sammlerdrang ansprechen (Pokemon), sie können einfach Spaß an Humor und Randomness erzeugen (Twister). Und natürlich gibt es auch schon eine Menge Rollenspiele, die die Geschichte an zweite Stelle stellen oder ganz außen vor lassen.
Was dann auch wieder zurück zu frühem D&D führt: Ich meine, klar erzählen die Con-Dungeons, die mit Bestenlisten gespielt wurden, irgendeine Geschichte im Sinne von „emergent Storytelling“, aber das ist nicht der Grund, aus dem man die gespielt hat.

(Nur zur Sicherheit: Mir geht es aber nicht darum, zu diesen „Glory Days“ zurückzukehren, ne? ;D Ich will nur mal infragestellen, ob es abseits dieser scheinbaren Extreme nicht auch andere Richtungen gibt, in die man sich hätte bewegen können — und ob der Fokus auf wahlweise klassisches D&D oder aber „Geschichten erzählen“ uns nicht künstlich einschränkt.)

Ich denke, da verschwimmt dann schnell die Trennlinie zwischen Rollen- und anderen Spielen. Natürlich kann man außer "Geschichten erzählen" beim Spielen im allgemeinen Sinne allemal auch andere Ziele verfolgen und diese sogar höher bewerten -- nur, ist man dann bei der speziellen Unterkategorie Rollenspiel nicht ein wenig im falschen Film? Wenn ich z.B. Monopoly spielen wollte, würde ich halt auch gleich Monopoly spielen und nicht krampfhaft auf "Immobilienverwaltung mit D&D" bestehen... :think:
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 20.11.2020 | 01:28
Naja, das ist doch immer noch Weird Fiction, oder? Und wenn es ein ausladendes Kampfsystem hat, ist es für mich immer noch der Genre-Fiktion zuzuordnen. Und sonst evtl. esoterischer Weird Fiction - aber ich muss zugeben, ich kenne bis jetzt aus nur aus Rezensionen.
Ich finde es  schwer wirklich Parallelen zu finden. Das Kampfsystem ist brutal, die Welt ist weitläufig aber sehr eigen, Psychologie ist Teil des Spiels, die Spezies sind aus Psychologischen Grundmotivationen entwickelt, es verknüpft Wirtschaft mit Sozialem, Industrialisierung mit der Realität einer tieferen Wirklichkeit. Wenn du verschiedenste Comics zusammenführst, kommst du zu ähnlichen Darstellungen, aber die Geschichten gehen von Agentengeschichten bis hin zu seltsamen Spielen zwischen Traum und Wirklichkeit.

Nur wirklich verbreitet hat es sich nicht, und es gab keinen Hype, wie ihn einige der heute bekannteren Indies hingelegt haben.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 1of3 am 20.11.2020 | 02:49
Das ist interessant ja. Mechanical Dream habe ich nur mal durchgeblättert. Es schien mir so als wären da verschiedene Vorlagen durcheinander gerührt. Vielleicht zeigt das schon einen Drang sich unbedingt irgendwo festhalten zu wollen.

Natürlich gibt's auch Fälle, wo Rollenspiele abseits von DnD die weitere Popkultur beeinflusst haben. So Underworld ist ja quasi Vampire der Film. Und bei Bright jüngst kamen doch Assoziationen mit Shadowrun auf.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 06:35
"Geschichte erzaehlen" ist ja eigentlich nichts Anderes als ein vorbereitetes Skript, dass vorher darauf angepasst wurde, eine bestimmte fiktive Realität erlebbar zu machen. Da ist aber natürlich nur ein mögliches Werkzeug. Auch Filme und Bücher haben da mehr in petto. Landschafts- und Gesellschaftsbeschreibungen sind da wichtige, aber gern übersehende Werkzeuge als Beispiel.
Durch das interaktive Medium kommen dann natürlich weitere Werkzeuge dazu. Dieses Skript der zu erzählenden Geschichte ist dann nur noch eine von ganz vielen Möglichkeiten für die Regeln und Konventionen der besseren und kontrollierbaren fiktiven Realität. Wichtig dabei nur, dass die Zuschauer oder Spieler in diese schöne neue Realität eintauchen können. Ich denke D&D hat gewisse archetypische Konventionen und Symbole geschaffen, dass sehr viele Leute sofort relativ genau wissen, in welcher fiktiven Welt sie da mitspielen. Deswegen dürfte es das Goto-Rollenspiel für viele Leute sein.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Jiba am 20.11.2020 | 07:54
Ich werfe mal noch eine Beobachtung ein: Fast alle Posts gehen davon aus, dass Rollenspiele eine Geschichte erzählen sollen. Ich weiß, dass das eine gebräuchliche KONVENTION ist, aber in meinen Augen ist es absolut nicht selbstverständlich oder die einzige Möglichkeit, zumindest wenn wir „Geschichte“ im Sinne eines Buchs, eines Films o.ä. verstehen -- das noch weiter zu abstrahieren, Führt dann weg von einer pragmatischen Diskussion. Spiele können aber auch vorrangig kompetitiv sein (Mensch ärgere dich nicht), sie können vorrangig unseren Sammlerdrang ansprechen (Pokemon), sie können einfach Spaß an Humor und Randomness erzeugen (Twister). Und natürlich gibt es auch schon eine Menge Rollenspiele, die die Geschichte an zweite Stelle stellen oder ganz außen vor lassen.
Was dann auch wieder zurück zu frühem D&D führt: Ich meine, klar erzählen die Con-Dungeons, die mit Bestenlisten gespielt wurden, irgendeine Geschichte im Sinne von „emergent Storytelling“, aber das ist nicht der Grund, aus dem man die gespielt hat.

(Nur zur Sicherheit: Mir geht es aber nicht darum, zu diesen „Glory Days“ zurückzukehren, ne? ;D Ich will nur mal infragestellen, ob es abseits dieser scheinbaren Extreme nicht auch andere Richtungen gibt, in die man sich hätte bewegen können — und ob der Fokus auf wahlweise klassisches D&D oder aber „Geschichten erzählen“ uns nicht künstlich einschränkt.)

Und exakt deshalb verstehe ich nicht, warum du wie natürlich davon ausgehst, dass moderne Indies sich bewusst in Opposition zu D&D begeben. Natürlich ist D&D noch das große Ding (das sich aber, seien wir so fair, auch über die Editionen immer wieder ganz neu erfunden hat – zu D&D4-Zeiten waren die Absetzbewegungen auf Indie-Seite ja vor allem von der OSR geprägt, die zu einem altschuligen Spielerlebnis hin wollten.) Man muss aber auch bedenken, dass Rollenspiel inzwischen fast 50 Jahre alt ist. Und während dieser Zeit gab es einige Spiele, die die Szene maßgeblich beeinflusst haben. Traveller. Shadowrun. Amber Diceless. Die oWoD. Die erste Generation Forge-Indies. Die OSR. Um nur einige zu nennen.

Und dann eben pauschal zu sagen: "Moderne Indies sind immer noch selbstbewusst sehr anders als D&D" – das ist für mich als würde man sagen "Moderner HipHop grenzt sich selbstbewusst vom Blues ab." Oder "Moderner Actionfilm grenzt sich selbstbewusst vom 50er-Jahre Film Noir ab." Das ist alles nicht falsch. Aber so richtig richtig ist es auch nicht. Die Triebfedern für die Abgrenzung liegen nicht in D&D begründet, sondern in anderen Rollenspielen. Fate ist keine Antwort auch D&D. Ich würde sagen es ist eine Antwort auf GURPS. Und Monsterhearts und Liminal? Die antworten auf Vampire. Sogar Vampire 5 antwortet auf Vampire.

D&D (oder besser vielleicht sogar Chainmail) waren natürlich ursächlich für die Entwicklung des Hobbies. Aber inzwischen gibt es andere Einflüsse, zu denen man sich in Abgrenzung begeben kann. Auch Fremdeinflüsse, wie etwa das Improtheater, das für viele Indies im narrativen Bereich ein wichtiger Bezugspunkt wurde.

Ich würde dahingehend auch annehmen, dass es wirklich Indie-Rollenspiele gibt, die sich weitgehend vom Prinzip Spiel entfernen: "Itras By" fiele mir da ein, was nicht nur auf Würfel verzichtet, sondern überhaupt auf quantifizierbare Werte. Oder auch Fiasco, wo die Würfel mehr Steuerungsmechanismus sind als alles andere. Und dann gäbe es noch die Indies, die ihren narrativen Ansatz so ausdeuten, dass sie eben keine Geschichte im klassischen linearen Sinn erzählen wollen, sondern eben den emergenten Aspekt des Mediums in den Fokus rücken, ohne dabei gleich gamistisch oder simulationistisch zu sein – im Grunde wäre das der Gegenentwurf zu "Thematischen Rollenspielen" (Super Begriff, vielleicht wäre auch "Motivische Rollenspiele" passend), die ja bewusst auf einen "Geschichtskomplex" abzielen.

Beispiele für die Variante "Geschichtsloser Storygames" (for lack of a better term) wäre sowas wie "I'm sorry, did you say street magic", wo man eine Stadt erschafft, als eine Ansammlung kleiner Momente, Beschreibungen und Einzelerfahrungen, mit der man weder wirklich eine Story erzählt, noch modelliert oder simuliert – hier geht es wenn überhaupt um "Geschichten", die sich emergent aus den Beschreibungen ergeben. Im Grunde "Visual Storytelling" ohne Bilder. Und das grenzt sich zu D&D gar nicht so ausdrücklich ab.

Und dann hätten wir im Bereich der thematischen Rollenspiele noch die, ich nenne sie mal, "Thematischen LARPs", bei denen die Grenze zwischen Pen&Paper und Live-Rollenspiel verschwimmt, weil der Live-Teil ziemlich abstrakt und der Rahmen sehr klein ist. "Shelter in Place" wäre da vielleicht ein Beispiel. Die haben sich sicherlich auch vom Norwegian LARP inspirieren lassen.

Und dann sollten wir vielleicht noch die umgekehrte Richtung mit in den Blick nehmen – damit meine ich nicht, dass D&Dige Spiele sich von Indies inspirieren lassen. Viel grundsätzlicher über Spielformen hinweg: Es gibt inzwischen nicht wenige Brettspiele (die ja als Spielform D&D zumindest mit beeinflusst haben), die sich jetzt von Storygames oder Impro-Games beeinflussen lassen. Sei es sowas wie "King's Dilemma" oder Deduktionsspiele allgemein. Seien es Legacy-Games, wo die "Story" mit jedem Mal Spielen unabänderlich und emergent voranschreitet.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: felixs am 20.11.2020 | 08:04
So wie 6 schreibt denke ich es auch.

Für Deutschland ist vermutlich DSA als archetypensetzende Weltbeschreibung noch wichtiger, bzw. einflussreicher, als D&D.

Nicht umsonst nimmt ein großer Teil deutsche retro/OSR-Sachen ja Bezug auf DSA.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Issi am 20.11.2020 | 08:24
Fragen zur Diskussion

– Inwiefern geht da mehr? Sind "D&D in besser" und "Bekanntes Medium + Interaktivität" wirklich schon der Höhepunkt des Rollenspiels? Oder steht in der Interaktivität mehr Potenzial?
– Lohnt sich vielleicht ein Blick zu dem, was andere interaktive Medien tun, bspw. Videospiele? (Wobei man da definitiv denselben Effekt beobachten kann.)
– Welche Rollenspiele passend explizit NICHT in diese beiden Kategorien, fühlen sich also nicht wahlweise wie D&D oder wie Filme/Serien/andere Medien an, sondern wie etwas betont EIGENES?
– Ist die Prämisse dieses Threads vielleicht einfach nur Bullshit? Rant away!
Nur mein 0,5 Cent:
(Habs vor ein paar Jahren glaube ich schon mal geschrieben)

Rollenspiel darf sich schon wie ein Film anfühlen. Aber am Besten wie einer, der bei Spielbeginn noch nicht abgedreht ist.
Was D&D mMn. dabei gut kann?- Es gibt wenig vor, "wie" man eine Geschichte zu spielen hat.
A. Das ist für Spieler, die selbst eine Geschichte aufziehen können, und selbst kreativ werden wollen,- mMn. durchaus ein Vorteil.
Die Geschichte wird freier- Es gibt viel mehr Möglichkeiten, das auf die Figuren zu zuschneiden.
(Dass viele das auch nicht machen, weil sie vielleicht nicht wissen wie- oder schlicht und einfach lieber durch Dungeons laufen und Monster klopfen, ist die andere Sache- Aber möglich wäre es sogar mit-DSA 1- eine Art  "Kinoerlebnis" zu bekommen. )
B. Für Spieler, die sich da lieber von einem Spiel selbst inspirieren lassen wollen (Von den dort angebotenen Story-Werkzeugen), ist das eher ein Nachteil. - Die wählen dann vielleicht ein Spiel, das schon gezielt in eine ganz bestimmte Richtung geht. In dem Fall: Story- Und alles nötige dafür mitbringt.
Nachteil, den ich dennoch sehe: Man hat dafür nicht die selbe Freiheit Geschichten zu erschaffen, wie in Spielen ohne jedes Storywerkzeug.

Des einen Bug ist des anderen Feature.

Will damit sagen: Bei D&D kommt es darauf an, was Du daraus machst. (Du kannst mit dem Regelsystem auch Highdrama spielen oder ein Kammerspiel)- es zwingt dich niemand damit nur Monster abzuschlachten. Die Priorität setzen die Spieler selber.
Mit Spielen, die diese Priorität bereits gesetzt haben, hast du diese Entscheidung nicht.

Edit.
MMn. Zwei der wichtigsten Grundsätze von Rollenspiel:
1. Man spielt Rollenspiel nicht Gegeneinander sondern Miteinander.
2. Wenn ich ein Spiel erfolgreich spielen kann, ohne eine Rolle zu spielen, dann ist es keines.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: La Cipolla am 20.11.2020 | 08:24
Die Frage, "was denn noch ein Rollenspiel" ist, spielt da definitiv eine interessante Rolle! Ich denke, dass wir als Medium diese Grenzen nicht nur selbst gesteckt haben, sondern sie auch regelmäßig selbst brechen (Jiba nennt ja einige Beispiele), sofern sie nicht sowieso völlig schwammig sind. Um nur mal beispielshaft genauer auf den Bereich Social Deduction einzugehen ...
Würden System Matters ein klassisches Set an Krimi-Dinner-Material im Rahmen der kleinen Reihe veröffentlichen, würde sich niemand beschweren, dass das kein Rollenspiel ist. Wären die Werwölfe von Düsterwald zuerst aus der Forge gekommen, würden wir die heute zu 100% als Rollenspiel betrachten.
Wie gesagt, die Definitionsfrage ist interessant, aber ich vermute, dass wir uns zu sehr von ihr einschränken lassen. (Dann wiederum ... kA ob das Krimidinner nicht schon von verkappten Rollenspieler*innen erfunden und einfach nur anders gelabelt wurde. :D Vielleicht bin ich hier wieder der, der sich von der Definition einschränken lässt.)

In dem Sinne auch noch mal zu Jibas Überlegung: Der genaue Stammbaum ist sicher richtig, für mich aber auch kein waaahnsinnig spannender Teil der Gesamtfrage hier. Meine Idee ist ja nur, dass der "klassische D&D-Duktus" praktisch der einzige Teil des Mainstreams ist, in dem es nicht VORRANGIG um das Simulieren anderer Medien geht. Traveller, Shadowrun und Vampire sind für mich im Kern immer noch eine Mischung aus diesem D&D-Duktus und dazu eben dem Bedürfnis, andere Medien zu simulieren ("eine Geschichte zu erzählen" – aber halt ganz stark im Stil anderer Medien).
DASS es genügend Gegenbeispiele gibt, hab ich ja erwähnt, aber das ist üblicherweise nicht das, was im Indie-Bereich megaerfolgreich wird. Das sind eher Fiasco, Fate, PbtA etc. – in meinen Augen ganz starke Versuche, andere Medien nachzuempfinden.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 08:38
Nicht die Medien selber, sondern die Welten dieser Medien. Du bekommst halt Werkzeuge und Regeln an die Hand, die es Dir ermöglichen diese Welten (und nicht das Medium selber) so zu erleben, wie sie Dir in anderen Medien vorgestellt werden.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 20.11.2020 | 09:03
Und dann eben pauschal zu sagen: "Moderne Indies sind immer noch selbstbewusst sehr anders als D&D" – das ist für mich als würde man sagen "Moderner HipHop grenzt sich selbstbewusst vom Blues ab." Oder "Moderner Actionfilm grenzt sich selbstbewusst vom 50er-Jahre Film Noir ab." Das ist alles nicht falsch. Aber so richtig richtig ist es auch nicht. Die Triebfedern für die Abgrenzung liegen nicht in D&D begründet, sondern in anderen Rollenspielen. Fate ist keine Antwort auch D&D. Ich würde sagen es ist eine Antwort auf GURPS. Und Monsterhearts und Liminal? Die antworten auf Vampire. Sogar Vampire 5 antwortet auf Vampire.

Richtig, aber jedes neue Fantasy-Rollenspiel (zumindest wenn es irgendwie anders ist) ist schon eine implizite Zurückweisung von D&D bzw. DSA.



Spiele können aber auch vorrangig kompetitiv sein (Mensch ärgere dich nicht), sie können vorrangig unseren Sammlerdrang ansprechen (Pokemon), sie können einfach Spaß an Humor und Randomness erzeugen (Twister).

Sammlerdrang ist auch kompetetiv. Paranoia erzeugt Spaß und Randomness. Aber das ist mehr ein Setting-/Weltengenre.

[...]klar erzählen die Con-Dungeons, die mit Bestenlisten gespielt wurden, irgendeine Geschichte im Sinne von „emergent Storytelling“, aber das ist nicht der Grund, aus dem man die gespielt hat.
[...]
Ich will nur mal infragestellen, ob es abseits dieser scheinbaren Extreme nicht auch andere Richtungen gibt, in die man sich hätte bewegen können — und ob der Fokus auf wahlweise klassisches D&D oder aber „Geschichten erzählen“ uns nicht künstlich einschränkt.)

Ich sage ja, dass es einen Dreiklang, keine Dichotomie, gibt. Ob im Sinne von Threefold oder GNS ist egal. Hârnmaster ist eine Zurückweisung von D&D - quasi aus Historischer-Pseudorealismus-Gründen. Apocalypse World ist, meinetwegen, eine Zurückweisung von Cyberpunk 2020 - weil es ganz konkret Geschichten erzählen will, die sich daraus ergeben, wenn ein Machtgleichgewicht in einer post-apokalyptischen Welt plötzlich gestört wird. Traditionelle Rollenspiele liefern da nur wenig Unterstützung, denn die Geschichten ergeben sich in diesen Welten nur emergent aus der Weltensimulation (die zudem nicht sehr genretreu sein muss).

Sehen wir es doch mal so: ein Autor einer Fantasy-Geschichte muss sich ja auch entscheiden wie realistisch-plausibel er/sie die Geschichte schreibt oder wieviel er/sie es aufhübscht und durch nicht vollständig plausible Dramatisierung sexy macht. Im Rollenspiel kommen dazu eben noch interaktive Spiel-Elemente hinzu - Fragen, zB nach dem Herausforderungsgrad einer Szene oder der Wahlfreiheit für die Spieler.

Und innerhalb dieses Dreiklangs (Spiel, Simulation, Story) gibt's eben unterschiedliche Präferenzen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Issi am 20.11.2020 | 09:16
Traditionelle Rollenspiele liefern da nur wenig Unterstützung, denn die Geschichten ergeben sich in diesen Welten nur emergent aus der Weltensimulation (die zudem nicht sehr genretreu sein muss).
Es stimmt, dass da bei traditionellen Rollenspielen kein spezieller Fokus bzgl. Story gesetzt wird.
Dass sich die Geschichten ausschließlich aus der Weltsimulation ergeben, sehe ich jedoch nicht so.
Es gibt ja
A.- Die Möglichkeit nur das Regelsystem zu verwenden, und das dann auf jede beliebige Fantasy/ TV- Welt oder auf was eigenes anzupassen.
B. - Einfach das Setting ensprechend der eigenen Wünsche anzupassen.- Gut manche Welten haben wesentlich mehr weiße Flecken als andere.
---Aber prinzipiell kenne ich kaum eine Rollenspiel Gruppe, die ein und dasselbe Setting auf die gleiche Art und Weise bespielt.
Es wird wahrscheinlich unzählige Versionen "Aventuriens" und unzählige Versionen der "Forgotten Realms" geben.
Die persönlichen Wünsche der SPL nach bestimmten Geschichten, lassen sich dort durchaus auch verwirklichen.

Edit.
Wenn ich jetzt mal zum Beispiel das DSA 1 Regelsystem bzw. Charakterblatt nehme, könnte ich damit theoretisch auch Abenteuer in Hogwarts erleben.
Die Zaubersprüche wären dann natürlich andere: "Lumos" statt "Flimm Flamm Flunkel."
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Colgrevance am 20.11.2020 | 10:03
Ich mache mal eine Tangente zum Eingangsbeitrag auf, den ich ziemlich spannend finde, zu der Frage: Wie kommen wir überhaupt darauf, dass Rollenspiele bestimmte andere erzählende Formen (Film, Fernsehserie, Comic, Roman, Kurzgeschichte) "simulieren" sollen?
[...]

Lieber spät als nie, daher: Super Beitrag!  :d
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 10:31
Ich werfe mal noch eine Beobachtung ein: Fast alle Posts gehen davon aus, dass Rollenspiele eine Geschichte erzählen sollen.

Obacht, wenn du anfängst, in diese Richtung zu diskutieren, hast du bald einen Kitchen-Sink-Thread in dem über wirklich ALLES gleichzeitig diskutiert wird. ;) Letztendlich schmeißt du ja sowohl bei den "alten" als auch bei den "neuen" Systemen ganz viel zusammen, was sich kaum zusammenschmeißen lässt, alleine schon D&D und CoC.

Ich finde das Thema trotzdem ganz witzig und möchte ein paar ungeordnete Gedanken einfach mal hinein werfen.

1) Schnell und fetzig und irgendwie cinematisch zu sein, trifft auch auf D&D 4E und D&D 5E zu. Savage Worlds und D&D5 haben tatsächlich eine Menge gemeinsam, der Hauptunterschied ist, dass SW stufen- und klassenlos ist. Stufen- und klassenlose Systeme sind aber wahrlich keine neue Erfindung. Worauf ich hinaus will: D&D beschreitet selber bereits diesen Weg, nach dem du gefragt hast, und wenn du mich fragst, ist D&D 5E da bereits eine ziemlich anständige Synthese. Und ja auch sehr erfolgreich.

2) Der Versuch, ein spezifisches Medium zu simulieren, das war doch eher so diese Cinematik-Schiene Anfang der 2000er, wo man dann wirklich am Spieltisch so Sachen gesagt hat wie "die Kamera schwenkt über..." oder "wie sehen in Superzeitlupe, wie..." Einige machen das vielleicht heute noch, ist aus meiner Sicht eher ein Gimmick als wirklich ein Spielstil. Bei dem Phänomen, das du versuchst zu beschreiben, geht es weniger um ein spezifisches Medium als vielmehr um einen spezifischen Plot.

3) Genau wie wir bei Netflix und Disney uns die Köpfe einschlagen können über das, was die für einen gelungenen Plot halten, können wir es natürlich auch beim Rollenspiel. Je einfacher das Modell, sei es nun Regelwerk oder Spielleitertipp, mit dem versucht wird zu beschreiben, wie ein Plot auszusehen hat, desto unterkomplexer ist natürlich auch das, was rauskommt. Es werden dann archetypische Bilder oder Sequenzen generiert, die einen hohen Wiedererkennungswert besitzen, aber denen es möglicherweise an Sinn, Tiefgang und Bedeutung mangelt. Dabei hat die Methode Rollenspiel alles, was es braucht, um Plots mit Sinn, Tiefgang und Bedeutung zu erspielen. Formularhafte Story-Game-Regeln sind dabei aber nicht hilfreich, generell sind Spielregeln dabei nur bedingt hilfreich, klassisch simulierende Regelwerke können jedoch manchmal tatsächlich einen Beitrag leisten, indem sie für Plausibilität und Konsistenz sorgen.

4) Die Idee, dass man auch Plot und Spiel zusammen schmeißen könnte und dass das gar kein Widerspruch sein muss, ist letztlich nichts anderes als die Überwindung des Kohärenz-Gedankens der Forge. Herzlichen Glückwunsch! Du hast Rollenspiel verstanden. ;D
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 20.11.2020 | 14:03
Nicht die Medien selber, sondern die Welten dieser Medien. Du bekommst halt Werkzeuge und Regeln an die Hand, die es Dir ermöglichen diese Welten (und nicht das Medium selber) so zu erleben, wie sie Dir in anderen Medien vorgestellt werden.

Yep. Wenn ich Lovecraft-Horror spielen möchte (wobei man sich über die genaue Definition und die Punkte, die man daran persönlich am interessantesten findet, auch noch streiten kann, wenn man will), dann impliziert das eben nicht automatisch auch gleich eine Emulation der Medien "Buch" bzw. "Pulp-Magazin", aus denen wir die Originalwerke typischerweise so kennen.

Und wenn das Regelwerk dann unbedingt meinen sollte, ein paar Zeilen auf das Ansprechen von HPLs spezieller Prosa verwenden zu müssen, dann würde das wahrscheinlich auch eher ein augenzwinkernder Gag für Eingeweihte denn ein todernst gemeinter "Emulationsanreiz" sein. ;)

Nachtrag, weil's mir gerade spontan durch den Kopf geschossen ist: es mag sogar sein, daß "Medienemulation" schon von der Idee her mindestens teilweise ein Holzweg ist. Die wenigsten Medien zielen ja normalerweise überhaupt darauf ab, Aufmerksamkeit auf sich selbst und ihre genaue Form zu lenken, sondern versuchen ihr Publikum "nur" mit den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln möglichst gut in ihre Erzählung zu ziehen -- da wären spontane Erinnerungshinweise der Art "Hey, ich bin ein Buch!" oder "Guten Tag. Sie sehen gerade den Film XYZ..." in der deutlichen Mehrzahl der Fälle also ohnehin nur fehl am Platz. Wenn mir also jemand erzählt, eine gute Rollenspielsitzung wäre "fast wie im richtigen Film!" gewesen, dann meint er vermutlich von vornherein weniger die gekonnten Kamerafahrten und Spezialeffekte und mehr die schlichte Handlung und das, was daraufhin in seinem persönlichen Kopfkino abgelaufen ist.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 20.11.2020 | 17:20
Yep. Wenn ich Lovecraft-Horror spielen möchte (wobei man sich über die genaue Definition und die Punkte, die man daran persönlich am interessantesten findet, auch noch streiten kann, wenn man will), dann impliziert das eben nicht automatisch auch gleich eine Emulation der Medien "Buch" bzw. "Pulp-Magazin", aus denen wir die Originalwerke typischerweise so kennen.

Ich zitiere mich mal selbst zu aus dem Vorjahr zu Lovecraft-Emulation:

Mein Lovecraft-Lektüre fördert eigentlich viel Action zu Tage - halt aus der Distanz. Dasselbe könnte man allerdings auch über Dialoge zwischen Charakteren bei Lovecraft sagen. Es gibt viele Gespräche in den Lovecraft-Geschichten, aber auch nicht in der direkten Rede - sondern aus der Distanz.

Das könnte man dann konsequent in Rollenspiel-Runden auch als Stilmitteln fordern: wenn es SC-NSC-Dialoge (oder SC-SC-Dialoge) in direkter Rede gibt, ist es nicht wirklich Lovecraft.

(Die Distanz ist es übrigens, die Lovecrafts Stil für mich ausmacht. Deshalb fand ich den als Teenager auch nur schnarchig und habe ihn erst später zu schätzen gelernt, als ich nicht mit der Erwartung ranging mich zu gruseln, sondern einfach was altmodisches, traumartiges lesen wollte.)

Kann man sicher machen, gibt es allerdings wohl noch nicht als Spiel.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 17:28
Kann man sicher machen, gibt es allerdings wohl noch nicht als Spiel.
Doch. Natürlich. Es gibt doch De Profundis.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 20.11.2020 | 17:31
Doch. Natürlich. Es gibt doch De Profundis.

Ich habe es irgendwie rumliegen, kann mich aber nicht erinnern, dass es Regeln im klassischen Sinn hatte.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 17:37
Ich habe es irgendwie rumliegen, kann mich aber nicht erinnern, dass es Regeln im klassischen Sinn hatte.
Du meinst sowas wie Kampfregeln oder ein Fertigkeitssystem? Würdest Du das denn für Dein Empfinden in der Lovecraftwelt brauchen? Oder reicht dafür das Schreiben von Briefen in Deiner Rolle?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 20.11.2020 | 17:42
Du meinst sowas wie Kampfregeln oder ein Fertigkeitssystem? Würdest Du das denn für Dein Empfinden in der Lovecraftwelt brauchen? Oder reicht dafür das Schreiben von Briefen in Deiner Rolle?

Ich sehe das sonst halt noch nicht als Genre-Emulation, sondern einfach als Anleitung.

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 20.11.2020 | 18:16
Formularhafte Story-Game-Regeln sind dabei aber nicht hilfreich, generell sind Spielregeln dabei nur bedingt hilfreich, klassisch simulierende Regelwerke können jedoch manchmal tatsächlich einen Beitrag leisten, indem sie für Plausibilität und Konsistenz sorgen.
Willst du damit sagen, dass wenn Regeln auf die Story fokussisert sind, die entstehenden Geschichten ähnlich plausibel sind wie die Kämpfe in D&D?

(ja, ich werfe hier gerade deine Argumentation mit einer gehörigen Portion eigener halbgarer Beobachtungen und Vermutungen zusammen und bin außerdem gehörig unfair, weil ich impliziere, sie wären damit schlechter — obwohl das entstehende Spiel sehr viel Spaß machen kann)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 18:28
Ich sehe das sonst halt noch nicht als Genre-Emulation, sondern einfach als Anleitung.
Sprich, Du brauchst noch mehr als die Anleitung um in die Lovecraftrealität "wechseln" zu können.
Oki. Dann reicht das nicht. :)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 18:57
Willst du damit sagen, dass wenn Regeln auf die Story fokussisert sind, die entstehenden Geschichten ähnlich plausibel sind wie die Kämpfe in D&D?

Hm, netter Gedanke, wenn ich mal ja sage, führt das zu einer interessanten Folgeüberlegung:

D&D-Kampfregeln machen keine plausiblen Kämpfe, sondern sie machen Kämpfe, die als Spiel im Spiel interessant und spannend sind.

Story-Game-Regeln machen keine plausiblen Storys, sondern Storys, die... ja was? In eine bestimmte Schablone passen?

Da muss ich persönlich für mich sagen, ersteres macht für mich Sinn, letzteres nicht.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: 6 am 20.11.2020 | 19:05
Ist es denn die Geschichte selber, auf die Story-Game-Regeln fokussieren oder geht es eher darum, dass die Story-Game-Regeln die Handlungen das emotionale Erlebnis der Spieler steigern sollen?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 20.11.2020 | 19:10
Was ist überhaupt mit Story-Game gemeint hier? Gebt mal ein paar Beispiele. Sorcerer? Apocalypse World? Polaris? Sprit of the Century? Fiasco?
Durchaus unterschiedliche Spiele.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 19:21
Man müsste sich dann einzelne Spiele, z.B. Fiasco oder Apocalypse World, angucken, führt hier vermutlich zu weit und der OP war ja auch viel pauschaler mit dem, was alles "Indie-Mainstream" genannt wird. Das ist insofern ja eher eine Tangente. Der OP hatte ja nach der "Simulation eines Mediums" gefragt, ich habe gesagt, nicht Medium, Plot, und wenn man das schablonen-/formularhaft simuliert, tja. Edit: Habe aber gerade den OP noch mal gelesen und glaube, er meint eigentlich was ganz anderes, bin aber nicht sicher, was... wtf?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 20.11.2020 | 19:24
Also, persönlich weiß ich definitiv nicht, wie sich 'Story-Game' diese Woche gerade wieder offiziell nach PESA-Lesart oder sonst irgendeiner Möchtegern-Norm definiert. 8]

Generell würde ich aber beim "erzählerischen" Rollenspielansatz weniger davon ausgehen, daß unbedingt mit der Plotschienenbahn ein bestimmtes vorgegebenes Skript entlanggerattert werden soll, als davon, daß das Abenteuer idealerweise einfach nur ein Erlebnis bieten soll, das dem einer unterhaltsamen Geschichte so ziemlich entspricht. Dazu gehört nicht unbedingt ein fest vorgegebener Verlauf, aber definitiv ein gutes Stück weit das Bedenken und (soweit praktisch machbar) Einhalten von "Spielregeln" und Konventionen, wie sie für solche Geschichten an sich und ggf. in ihrem jeweiligen bestimmten Genre eben gelten -- und von denen sind wieder einige intuitiv genug, daß man gar nicht unbedingt ein eigens darauf abgestimmtes Spielsystem braucht, um sich mehr oder weniger unbewußt ohnehin schon nach ihnen zu richten (wie beispielsweise das Überspringen "uninteressanter" Zeitspannen und Ereignisse, was die meisten von uns so oder so schon praktizieren dürften), während andere von ausdrücklichen Erinnerungen an sie und sogar mechanischer Regelunterstützung definitiv profitieren können.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 20.11.2020 | 19:33
Sprich, Du brauchst noch mehr als die Anleitung um in die Lovecraftrealität "wechseln" zu können.
Oki. Dann reicht das nicht. :)

Ich interessiere mich mehr für Regelwerke, als fürs Pastiche-Schreiben.

Sonst könnte ich das Spiel gleich weglassen und einfach "literarische" Fanzines veröffentlichen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 19:38
Nur zur Sicherheit: Mir geht es aber nicht darum, zu diesen „Glory Days“ zurückzukehren, ne? ;D Ich will nur mal infragestellen, ob es abseits dieser scheinbaren Extreme nicht auch andere Richtungen gibt, in die man sich hätte bewegen können — und ob der Fokus auf wahlweise klassisches D&D oder aber „Geschichten erzählen“ uns nicht künstlich einschränkt.

Ah hier jetzt, das war eigentlich die Frage. Habe wohl das Thema verfehlt. ;D

Also da gibt es schon ein paar Klassiker, die wirklich nicht D&D sind und auch nicht "Geschichten erzählen": Traveller. RuneQuest. Hârnmaster. GURPS. Bestimmt noch andere.

Jeepforms könnte man noch nennen, viele davon gehen eher in Richtung Psycho-Selbsterfahrung als Story.

Gab auch ein paar experimentelle Sachen, z.B. Trink-Rollenspiel (Tippling), Flirt-Rollenspiel (Monster & Maiden), das waren halt eher so Party-Spiele.

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 20.11.2020 | 20:11
D&D-Kampfregeln machen keine plausiblen Kämpfe, sondern sie machen Kämpfe, die als Spiel im Spiel interessant und spannend sind.
Story-Game-Regeln machen keine plausiblen Storys, sondern Storys, die... ja was? In eine bestimmte Schablone passen?
..die freier und damit kreativer entstehen. Es geht bei narrativistischen Aspekten immer im Kern um Kreativität (denk mal an Aspekte und Fate Points), bei gamistischen Aspekten um Herausforderung und bei simulationistischen Aspekten um Immersion.
Und D&D-Kämpfe finde ich häufig nicht besonders spannend oder interessant. ;)

Also da gibt es schon ein paar Klassiker, die wirklich nicht D&D sind und auch nicht "Geschichten erzählen": Traveller. RuneQuest. Hârnmaster. GURPS. Bestimmt noch andere.
Wenn man diese Spiele aus einer Apocalypse-World-Perspektive betrachtet, sind die immer noch alle D&D-Varianten. Weltensimulation, kleine Gruppe von Protagonisten, die zusammen auf Abenteuerfahrt geht, etc pp.
Apocalypse World war das erste populäre RPG, das mit dem üblichen D&D-Paradigma gebrochen hat: Die Weltenphysik wird weitgehend in die Narration des Spielleiters verlagert und findet in den Regeln nicht ernsthaft statt (man zählt zB nicht einzelne Munition). Die Spielercharaktere hängen nicht notwendigerweise zusammen ab, spielen vielleicht sogar gegeneinander, usw.

Deswegen ist AW für mich, auch wenn's nicht meine Schiene ist, der wichtigste Rollenspielentwurf dieses Jahrtausends.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 20.11.2020 | 20:41
Ist es denn die Geschichte selber, auf die Story-Game-Regeln fokussieren oder geht es eher darum, dass die Story-Game-Regeln die Handlungen das emotionale Erlebnis der Spieler steigern sollen?
Das könnte beides sein: Den Spaß am Geschichtenerzählen oder den Spaß am Geschichtenerleben.

Vielleicht auch den Spaß am Erfinden von Geschichtengerüsten. Zusammenfügen von Personen und Motivationen, so dass eine der gewünschten Geschichten entsteht.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 20.11.2020 | 20:50
..die freier und damit kreativer entstehen. Es geht bei narrativistischen Aspekten immer im Kern um Kreativität (denk mal an Aspekte und Fate Points),
Ich habe bei Fatepunkten eher genau das Gegenteil erlebt: Dass sie Kreativität behindern statt zu fördern, weil sie ein narrativistischer Weg des Balancing sind: Sie regeln Bühnenzeit, indem sie Fähigkeiten mit einer Spieltischresource begrenzen — eben diejenigen, die Fatepunkte zur Aktivierung brauchen.

Das stimmt aber nur bei einer bestimmten Art von Kreativität. Wenn es als Kreativität gilt, sich zu überlegen, wie Aspekte in einer Situation zum Generieren von Fatepunkten genutzt werden können — also wie Aspekte Situationen lenken können — dann dürften Fatepunkte wirklich Kreativität fördern. Das ist aber eine andere Sicht auf das Spiel als ich sie habe. Eine mechanistischere (auch wenn die Bezeichnung nicht alle mögen werden, so fühlt es sich für mich an), weil weniger auf Spielweltebene gehandelt wird und mehr auf Regel- und Spieltischebene.

(allerdings nicht so schlimm, dass es mir das Spiel mit tollen Leuten verleiden würde — so stark begrenzt das dann doch wieder nicht)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 20:57
Ja gut ich will jetzt hier nicht schon wieder damit hausieren gehen, warum ich persönlich pbtA doof finde, das ist ja hier Thema verfehlt. Wer aber pbtA zum Maßstab erhebt und dann sagt "von hier wo ich stehe sehen RuneQuest und D&D ziemlich gleich aus"... finde den Fehler. ;)

Kreativität kann viele Formen annehmen, gefragt war explizit nach dem "Simulieren eines Mediums", was aus meiner Sicht mit Kreativität erstmal nix zu tun hat.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 20.11.2020 | 21:47
Ich habe bei Fatepunkten eher genau das Gegenteil erlebt: Dass sie Kreativität behindern statt zu fördern, weil sie ein narrativistischer Weg des Balancing sind: Sie regeln Bühnenzeit, indem sie Fähigkeiten mit einer Spieltischresource begrenzen — eben diejenigen, die Fatepunkte zur Aktivierung brauchen.

Also Aspekte erzeugen erstmal klar mehr kreative Freiheit als die Ads/Disads in Trad Games à la GURPS: durch die Standardisierung der Mechanik braucht's keinen Vor-/Nachteil-Katalog mehr und man kann seine Aspekte völlig frei wählen und benennen. Und sie können sowohl Vor- als auch Nachteile (je nach Kontext!) sein.

Was Fatepunkte abgeht, so hab ich sie im Spiel eher als gamistische Mechanik erlebt. Wenn sie wirklich Bühnenzeit regeln würden, dann könnte man sie nicht durch das Compelling (also Gewinn eines FPs durch Erdulden eines sofortigen Nachteils - was ja auch Bühnenzeit bedeutet) zurückholen. Bühnenzeit dürfte nicht regenerieren (KotBL's Power Points tun es zB nicht).

Eine mechanistischere (auch wenn die Bezeichnung nicht alle mögen werden, so fühlt es sich für mich an), weil weniger auf Spielweltebene gehandelt wird und mehr auf Regel- und Spieltischebene.

Ich halte genau das für Gamismus, einen Spielaspekt. Die pure Berechnung, ob es für mich günstiger ist, jetzt einen Nachteil zu erleiden und später einen Vorteil zu erhalten. FATE ist eben kein reines Story-Game, sondern irgendwo ein Hybrid.

ABER... die Verwendung von Fate Points um ein Story-Detail zu deklarieren - das erhöht die kreative Freiheit schon, denke ich.



Ja gut ich will jetzt hier nicht schon wieder damit hausieren gehen, warum ich persönlich pbtA doof finde, das ist ja hier Thema verfehlt. Wer aber pbtA zum Maßstab erhebt und dann sagt "von hier wo ich stehe sehen RuneQuest und D&D ziemlich gleich aus"... finde den Fehler. ;)

RuneQuest und D&D stehen sich VIEL näher als RQ und AW oder D&D und AW. Also da sehe ich jetzt keinen Fehler. Vom Mond aus betrachtet sieht Deutschland auch ziemlich klein aus, ist halt alles relativ.

Kreativität kann viele Formen annehmen, gefragt war explizit nach dem "Simulieren eines Mediums", was aus meiner Sicht mit Kreativität erstmal nix zu tun hat.

Aber deine Frage war doch: "Story-Game-Regeln machen keine plausiblen Storys, sondern Storys, die... ja was?"
Das Problem ist nämlich, ob man mit Story-Game das meint, was die Forge Narrativismus genannt hat; das hat wenig mit Simulation am Hut. Ich nenne mal wieder The Pool. ODER meinen wir damit auch die Art von Spielen, die ich in dem in #4 verlinkten Thread Genrestory-Simulation genannt habe. AW ist eine etwas andere Art von RPG als The Pool, es greift Genre-Tropes auf. Damit ist es etwas weniger frei-kreativ, gewinnt über die Moves aber story-simulative Aspekte hinzu.  FATE ist, wie oben beschrieben, noch einmal anders.

Kurz gesagt: Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Story-Game und Simulationismus. Es gibt Rollenspiele mit und ohne Story-Mechaniken, die etwas anderes bis zu einem gewissen Grad nachahmen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Achamanian am 20.11.2020 | 21:55
RuneQuest und D&D stehen sich VIEL näher als RQ und AW oder D&D und AW. Also da sehe ich jetzt keinen Fehler. Vom Mond aus betrachtet sieht Deutschland auch ziemlich klein aus, ist halt alles relativ.


Eher OT:
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 20.11.2020 | 22:02
Eher OT:
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Lord Verminaard am 20.11.2020 | 22:55
RuneQuest und D&D stehen sich VIEL näher als RQ und AW oder D&D und AW. Also da sehe ich jetzt keinen Fehler. Vom Mond aus betrachtet sieht Deutschland auch ziemlich klein aus, ist halt alles relativ.

Der Fehler ist: Was machst du da oben auf dem Mond?! *scnr* ;D (Okay okay ich hör schon auf. ;))
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Bildpunkt am 21.11.2020 | 00:04


Fragen zur Diskussion

– Inwiefern geht da mehr? Sind "D&D in besser" und "Bekanntes Medium + Interaktivität" wirklich schon der Höhepunkt des Rollenspiels? Oder steht in der Interaktivität mehr Potenzial?
– Lohnt sich vielleicht ein Blick zu dem, was andere interaktive Medien tun, bspw. Videospiele? (Wobei man da definitiv denselben Effekt beobachten kann.)
– Welche Rollenspiele passend explizit NICHT in diese beiden Kategorien, fühlen sich also nicht wahlweise wie D&D oder wie Filme/Serien/andere Medien an, sondern wie etwas betont EIGENES?
– Ist die Prämisse dieses Threads vielleicht einfach nur Bullshit? Rant away!

Gegenthese . Ich glaube ja eher das der Indie Mainstream zum großen Teil eher ein Alterseffekt ist mit zwei sich vermischenden Komponenten: die DnD/DSA Crunchspieler von früher werden älter u haben weniger Zeit u benötigen deswegen leichtere nicht vorbereitungsintensive Regeln . Zugleich gibt es aufgrund ihrer langjährigen Spielerfahrung weniges was noch nicht ausgespielt wurde und man nimmt die Sachen nicht mehr so todernst wie früher ---> das förderte narrative ptba oder OSR Systeme: man muß sich nichts mehr beweisen und es reicht damals erlebten Abenteuer-figurationen narrativ nur anzureißen, da dann gleich der ganze erlebten RPG Abenteuer Erfahrung dabei immer mitschwingen. Auch wenn man im Spiel im Spiel ist, ist ein dauerhaftes Augenzwinkern dabei, für das man keine Zeit hätte würde man so tradiert wie in den 80/ 90 zigern spielen.

Wenn diese Generation in 30 Jahren in Rente ist wird ggf wieder Pathfinder oder DSA gespielt ;-)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: La Cipolla am 29.12.2020 | 12:45
Tolle Diskussion! =3 Und vor allem tolle Ergänzungen und Perspektiven. Bildpunktlanzes Punkt bspw. ist für mich gar nicht zwangsweise eine Gegenthese, sondern könnte auch einfach eine gute Erklärung für diese Situation sein.

Ich habe mal ein 1-seitiges Spiel entwickelt, das sich als "Praxis-Teil" dieses Thread versteht!

Link (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,117595.0.html)

Das einzige Problem ist, dass wir im Thread teilweise schon tiefergegangen sind, was die Theorie angeht. Ich werde hier also nicht unser ganzes Hobby dekonstruieren, bis hin runter zum "Müssen wir eigentlich gEsChIcHtEn ErZäHleN?1" ... xD' Ich hoffe, das Spiel verdeutlicht meine Theorie trotzdem ein wenig.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 29.12.2020 | 14:20
Mein Eindruck ist, dass Rollenspiel ein Spiel war, welches über die Aufwertung des Hintergrundmotivs – in diesem Fall halt zuerst Fantasy – und der Personifizierung der eigenen Figur die Spielwelt (und damit in ersten kleinen Trippelschritten dann folgend Spielweltstimmigkeit) dem ehemaligen Spiel hinzu gefügt hat und damit eine neue Spielart erzeugt hat – das Rollenspiel. Dass da plötzlich unter Umständen manchmal auch ganz brauchbare Geschichten bei rausgekommen sind, war sicher nicht unförderlich für den Erfolg, aber es begann im Kern als eine neue Art Spiel und auch die Varianten danach haben erst einmal an diesen Schrauben gedreht bzw. neue Hintergrundsmotive mit erschlossen. Mit der Diversifizierung kamen erste Nerdreibereien, aber bisher lag man immer noch eng genug zusammen, dass eigentlich jeder in nahezu jedes andere Spiel vom Stil her reingepasst hätte (persönliche Hasslieben außen vor)
Mit dem Erfolg und der allgemeinen zunehmenden Popularität der entsprechenden Hintergrundmotive kamen dann zunehmend mehr Leute dazu, welche mit den ursprünglichen Spielgedanken nichts anfangen konnten oder gar nicht wahrnahmen, sondern primär an dem ihnen aus anderen Medien bekannten Hintergrundmotiven und den ihnen dazu bekannten (oder teils auch als fehlleitende Werbung versprochenen) Geschichtserlebnissen interessiert waren (und so auch oft kein Verständnis für die für sie unnötig erscheinenden komplexen operativen Regeln hatten, bzw. frustriert waren, wenn diese der eigenen (Helden-)geschichte im Weg standen)  .
Und hier kam es dann zu der Inkompatibilität von Wegspielern und Zielspielern, wo einige die freie Bespielung/Erkundung als Priorität hatten und andere das passende (und damit gesicherte) Erlebnis des entsprechenden Referenzmotivs und dessen Geschichten – was eben letztlich unmöglich ist gleichzeitig zu priorisieren.
Aber das fehlende Bewusstsein, dass man eben nicht mehr dasselbe Spiel spielt, sowie der in der zunehmenden Zersplitterung der Szene aufkommende lokale Mitspielermangel haben halt auch verhindert, dass diese Unterschiede auch entsprechend benannt und dann auch die dahinter stehenden unterschiedlichen Bedürfnisse ausdrücklich und gezielt bedient wurden.
Stattdessen hat man regelmäßig den Knatsch am Spieltisch oder in Foren, wenn man glaubt es mit einem eigentlich doch einheitlichen Hobby zu tun zu haben, dessen (sprich in der Praxis der Wahrnehmung die eigenen dann) Prinzipien daher auch von allen geteilt werden (müssen/sollen).
Und für die Anhänger des „frühen“ Zweigs sind daher auch alle Verweise auf „die Fiktion“ bedeutungslos, während es für die nachfolgenden Seiteneinsteiger der Kern ihres Interesses ist.
Wirt haben es effektiv nicht mit einer nahezu linearen Entwicklung des Hobbies zu tun, sondern mit einer ggf mehrfachen Aufsplitterung des Stammbaums zu tun mit nun sehr unterschiedlichen und teils inkompatiblen zeitgenössischen Ausprägungen.

Ansonsten:
Bloß weil man die Motive eines Genres gut findet, muss das nicht heißen, dass man dessen Geschichten gut finden oder unbedingt nacherleben will.
Viele Konflikte von Spiel nach Storymaßen (auch innerhalb dieser Teilgruppe soweit ich beobachten konnte)  kommen dann noch davon, dass die typischen Medienvorlagen eben keine gleichberechtigte Gruppenarbeit sind, sondern entsprechende Hierarchie in vor und hinter der Kamera haben und einige Beteiligte dann nicht erkennen, dass die anderen Mitspieler im Spiel nicht die Handlanger sind, bzw. dann mehrere Vorstellungen des gewünschten Geschichtserlebens kollidieren.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 14:28
@Marzaan: Würdest du denn Spiele wir Blades in the Dark als Synthese-Versuche dieser beiden Hauptrichtungen sehen? Mit "fiction first" in der Konfliktresolution, aber auch ganz stark spielartig verregeltem Aktions- und Ressourcenfluss, bis hin zur spielbrettartig gesteuerten Karriere der "Crew"?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 29.12.2020 | 14:31
@Marzaan: Würdest du denn Spiele wir Blades in the Dark als Synthese-Versuche dieser beiden Hauptrichtungen sehen? Mit "fiction first" in der Konfliktresolution, aber auch ganz stark spielartig verregeltem Aktions- und Ressourcenfluss, bis hin zur spielbrettartig gesteuerten Karriere der "Crew"?
Dieses Spiel kenne ich jetzt nicht.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 15:31
Dieses Spiel kenne ich jetzt nicht.
Demo Kit hier : https://bladesinthedark.com/downloads

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 29.12.2020 | 15:47
Wirt haben es effektiv nicht mit einer nahezu linearen Entwicklung des Hobbies zu tun, sondern mit einer ggf mehrfachen Aufsplitterung des Stammbaums zu tun mit nun sehr unterschiedlichen und teils inkompatiblen zeitgenössischen Ausprägungen.
Als jemand, der bisher mit fast allen Systemen Spaß hatte, finde ich das übertrieben.

Fiasco war nicht so ganz meins, hat aber auch Spaß gemacht. Splittermond hat recht komplexe Kämpfe, die ich dachte, seit Ewigkeiten abgelegt zu haben, es hat aber auch viel Spaß gemacht. DnD ist auf der ersten Stufe viel danebengehaue, macht aber auch Spaß. Fate hat Fate-Punkte, die mich zu sehr ins Meta ziehen, aber auch damit machen Spielrunden Spaß.

Kurz: Mit etwas Entspannung und netten Leuten ist die Vielfalt der Systeme toll!
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 29.12.2020 | 20:05
Demo Kit hier : https://bladesinthedark.com/downloads

Sieht mir auf den ersten Schritt eine recht einfache Bedienung dieses Hintergrundmotivs und entsprechend erst gar keine große native Bedienung irgendeines Stils - womit ich mein Bild unten noch einmal erweitern muss.
Wobei ich 2 Elemente so ohne Praxiserfahrung nicht beurteilen und nur Vermutungen anstellen kann.

Kann es sein, dass die Erfolgsquoten seehr hoch sind, spätestens bei minimaler Kompetenz, und selbst bei riskanten Fehlschlägen nicht viel passiert? Dazu kommt für gewisse Szenen, wo man sich ansonsten in eine Ecke manövriert hat auch noch nachträglich "reparieren" kann mit den Backflashs.

In dem Fall wäre das halt ein Schub in Richtung "Geschichten über erfolgreiche Gauner", aber dann eben keine spielerische Herausforderung mehr. Und so viel anderes hat das System für die auf den ersten Blick nicht zu bieten.

Als jemand, der bisher mit fast allen Systemen Spaß hatte, finde ich das übertrieben.

Fiasco war nicht so ganz meins, hat aber auch Spaß gemacht. Splittermond hat recht komplexe Kämpfe, die ich dachte, seit Ewigkeiten abgelegt zu haben, es hat aber auch viel Spaß gemacht. DnD ist auf der ersten Stufe viel danebengehaue, macht aber auch Spaß. Fate hat Fate-Punkte, die mich zu sehr ins Meta ziehen, aber auch damit machen Spielrunden Spaß.

Der gewachsene "Rollenspielbaum" besteht nicht nur aus den äußersten Zweigen, sondern immer noch aus dem weiter existierenden Stammsproß mit dem urtümlichen D&D in der Mitte und sich dann weiter spezialsierenden Systemen weiter weg, erst die komplexeren oder auch vereinfachenden D&D Varianten, dann als nächstes die Schritte in die Richtung Simulation und dann etwas später ein deutlicher Ableger in Richtung Story.

Dazu ist halt noch zu sagen, dass man im Einzelfall und mit guten Mitspielern halt mit vielem Spaß haben kann (hier oft dann vom Aufwand abhängig), aber dieser Wohlfühlkreis dann mit zunehmender erwarteter Dauer, wo das System dann halt auch passend tragen muss, dann deutlich schrumpft.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Bildpunkt am 29.12.2020 | 21:16
Der gewachsene "Rollenspielbaum" besteht nicht nur aus den äußersten Zweigen, sondern immer noch aus dem weiter existierenden Stammsproß mit dem urtümlichen D&D in der Mitte und sich dann weiter spezialsierenden Systemen weiter weg, erst die komplexeren oder auch vereinfachenden D&D Varianten, dann als nächstes die Schritte in die Richtung Simulation und dann etwas später ein deutlicher Ableger in Richtung Story.


Ein sehr schönes Bild und luzide ormuliert. Ich halte es dennoch zu DnD-zentristisch. Die ganzen Entwicklungen werden ja nicht durch Autopoiesis vorangetrieben sondern auch durch externe Einflüsse, die Gewesenes auch überschreiben und neuinterpretieren können ohne sich überhaupt mit der genealogischen Exegese des Vorgefundenen aufzuhalten und dann etwas sui generis erschaffen. Heißt ja nicht umsonst PbtA und nicht PbtTHAC0..
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 21:34
@Marzaan:
Beim erneuten Drüber nachdenken: du hast völlig recht: die Spielkomponente dient hier nicht dem Zweck, ein Spiel zu gewinnen, oder allenfalls oberflächlich, sondern dazu, Entscheidungen zu erzwingen, die narratives Drama bedeuten. Üblicherweise eben "Was opfert der SC, um sein Ziel zu erreichen". Das ist zumindest das Designziel. Aber eben Wegspiel in dem Sinne, dass keiner vorher weiß, welches Drama seinen Lauf nimmt, weil das System so oft darin eingreift und von allen Spielern abwechselnd Erzählung einfordert.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 29.12.2020 | 21:45
@Marzaan: Würdest du denn Spiele wir Blades in the Dark als Synthese-Versuche dieser beiden Hauptrichtungen sehen? Mit "fiction first" in der Konfliktresolution, aber auch ganz stark spielartig verregeltem Aktions- und Ressourcenfluss, bis hin zur spielbrettartig gesteuerten Karriere der "Crew"?


Das hängt ein bisschen davon ab, wie wir die gesamte PbtA-Schiene bewerten. Sind dies (vielfach?) narrativistische oder simulationistische Systeme? Ich bin nicht Riesenfan der gängigen GNS-Definitionen, aber zumindest erwähnenswert finde ich, dass nach Forge Narrativismus die Entwicklung einer eigenen Thematik erfordert. Man halte sich diese Passage aus Edwards 'Narrativism: Story Now' einmal vor Augen:

Zitat
I receive a lot of emails like this one from Landon Darkwood:

I think I may have had a revelation.

... In your Simulationism essay, you have this: "'Story,' in this context, refers to the sequence of events that provide a payoff in terms of recognizing and enjoying the genre during play."

Is this the key to distinguishing the [Narrativist vs. Simulationist] play modes? My intepretation of this statement is that in Simulationist gaming, a long and complex story might come about and be part of play, but only for the express purpose of bringing about all the appropriate genre elements in the game as part of the internal consistency of the Dream. i.e., a Sim game Colored with elements from Chinese wuxia movies might have a multilayered story involving class conflict, people being trapped by their social position, repressed romance, heavy action, a sorcerer and his eunuch henchmen - but these are all trappings of the genre. So, their inclusion in the game, part and parcel as they are to the Dream, isn't Narrativist because no one is creating a theme that isn't already there. In other words, it's just played out as the Situation part of the Exploration; because the Dream calls for it, there just so happens to be a kind of intricacy involved.

In Narrativism, by contrast, the major source of themes are the ones that are brought to the table by the players / GM (if there is one) regardless of the genre or setting used. So, to sum up, themes in Nar play are created by the participants and that's the point; themes in Sim play are already present in the Dream, reinforced by the play, and kind of a by-product.

Am I on this now?

"In a word," I replied, "Yes."

Dies ist der Grund, warum ich ein einem Theorie-Thread (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,112048.0.html) PbtA als StorySim bezeichnet hatte. Es ist eine andere Art von Sim als Hârnmaster - es ist narrativer, ohne so Freeform wie zB The Pool zu sein. Dennoch scheint mir der Wiedererkennungswert zumindest bei genrenahen PbtA-Hacks wichtig zu sein. Sim spielt also schon irgendeine Rolle.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 29.12.2020 | 21:47
@Marzaan:
Beim erneuten Drüber nachdenken: du hast völlig recht: die Spielkomponente dient hier nicht dem Zweck, ein Spiel zu gewinnen, oder allenfalls oberflächlich, sondern dazu, Entscheidungen zu erzwingen, die narratives Drama bedeuten. Üblicherweise eben "Was opfert der SC, um sein Ziel zu erreichen". Das ist zumindest das Designziel. Aber eben Wegspiel in dem Sinne, dass keiner vorher weiß, welches Drama seinen Lauf nimmt, weil das System so oft darin eingreift und von allen Spielern abwechselnd Erzählung einfordert.

Ja, aber was ist das Spielerziel? Versucht man nicht eine erfolgreiche Karriere als Einbrecher hinzulegen? Das macht man doch nicht aus narrativen Gründen, sondern aus Spaß am Spielerfolg?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 21:55
Ja, aber was ist das Spielerziel? Versucht man nicht eine erfolgreiche Karriere als Einbrecher hinzulegen? Das macht man doch nicht aus narrativen Gründen, sondern aus Spaß am Spielerfolg?
Vetrackt!
Meine Interpretation ist: Spieler mögen das versuchen, aber das Design fördert, dass dabei die dramatische Geschichten entstehen, statt eines neutralen Punkteschiebens. Darum soll man ja Konsequenzen konkret beschreiben, um sie präsent zu machen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Rorschachhamster am 29.12.2020 | 22:00
Vetrackt!
Meine Interpretation ist: Spieler mögen das versuchen, aber das Design fördert, dass dabei die dramatische Geschichten entstehen, statt eines neutralen Punkteschiebens. Darum soll man ja Konsequenzen konkret beschreiben, um sie präsent zu machen.
Hmm, aber ist das Punkteschieben nicht ein ädequates Mittel um die Dramatik zu illustrieren? Praktisch der technische Unterbau des Geschichtenerzählens? Die Bühne für die Show?  ;)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 22:01
Hmm, aber ist das Punkteschieben nicht ein ädequates Mittel um die Dramatik zu illustrieren? Praktisch der technische Unterbau des Geschichtenerzählens? Die Bühne für die Show?  ;)
Sicher. Und ist die Bühne das Stück?  ~;D
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: JollyOrc am 29.12.2020 | 22:04
Ja, aber was ist das Spielerziel? Versucht man nicht eine erfolgreiche Karriere als Einbrecher hinzulegen? Das macht man doch nicht aus narrativen Gründen, sondern aus Spaß am Spielerfolg?
Die erfolgreiche Karriere ist Charakterziel - die Spieler wollen sich am Drama weiden, um es zum Spielende irgendwie befriedigend aufzulösen.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Rorschachhamster am 29.12.2020 | 22:09
Sicher. Und ist die Bühne das Stück?  ~;D
Nee, aber hilft. Geht auch ohne, aber ist schwieriger durchzuziehen.  ;D
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 29.12.2020 | 22:18
Nee, aber hilft. Geht auch ohne, aber ist schwieriger durchzuziehen.  ;D
... könnte auch die Regeln beschreiben.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 29.12.2020 | 22:48
Ein sehr schönes Bild und luzide ormuliert. Ich halte es dennoch zu DnD-zentristisch. Die ganzen Entwicklungen werden ja nicht durch Autopoiesis vorangetrieben sondern auch durch externe Einflüsse, die Gewesenes auch überschreiben und neuinterpretieren können ohne sich überhaupt mit der genealogischen Exegese des Vorgefundenen aufzuhalten und dann etwas sui generis erschaffen. Heißt ja nicht umsonst PbtA und nicht PbtTHAC0..

Bei der Platzierung von Story war ich mir nicht sicher, daher das"deutlicher Ableger". Eigentlich kann (und sollte) man das auch als vom Original inspiriertes eben Nichtrollenspiel sondern eben Storyspiel sehen, wobei die meisten Spiele halt doch noch "Spuren" der Rollenspielvorlagen enthalten.
Überschrieben sehe ich jedoch gar nicht, sondern eben Ergänzung/Diversifizierung.


@Marzaan:
Beim erneuten Drüber nachdenken: du hast völlig recht: die Spielkomponente dient hier nicht dem Zweck, ein Spiel zu gewinnen, oder allenfalls oberflächlich, sondern dazu, Entscheidungen zu erzwingen, die narratives Drama bedeuten. Üblicherweise eben "Was opfert der SC, um sein Ziel zu erreichen". Das ist zumindest das Designziel. Aber eben Wegspiel in dem Sinne, dass keiner vorher weiß, welches Drama seinen Lauf nimmt, weil das System so oft darin eingreift und von allen Spielern abwechselnd Erzählung einfordert.

Ja, Wegspiel wäre es noch. Die Trennung Weg/Ziel geht mitten durch GDS. Auch Gamismus (Stratege etc vs Buttkicker/Steamblower) oder Simulation (Simulation vs. Emulation) haben ihre Unterformen wie D (Storygaming/Storytelling)



Das hängt ein bisschen davon ab, wie wir die gesamte PbtA-Schiene bewerten. Sind dies (vielfach?) narrativistische oder simulationistische Systeme? Ich bin nicht Riesenfan der gängigen GNS-Definitionen, aber zumindest erwähnenswert finde ich, dass nach Forge Narrativismus die Entwicklung einer eigenen Thematik erfordert. Man halte sich diese Passage aus Edwards 'Narrativism: Story Now' einmal vor Augen:

Dies ist der Grund, warum ich ein einem Theorie-Thread (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,112048.0.html) PbtA als StorySim bezeichnet hatte. Es ist eine andere Art von Sim als Hârnmaster - es ist narrativer, ohne so Freeform wie zB The Pool zu sein. Dennoch scheint mir der Wiedererkennungswert zumindest bei genrenahen PbtA-Hacks wichtig zu sein. Sim spielt also schon irgendeine Rolle.

GNS sehe ich als "Verhunzung" bzw. kaperndes Marketing "auf Kosten" des älten GDS.  Ich sehe Narrativismus als eine sehr eng fokussierte Variante von Simulation.

Ja, aber was ist das Spielerziel? Versucht man nicht eine erfolgreiche Karriere als Einbrecher hinzulegen? Das macht man doch nicht aus narrativen Gründen, sondern aus Spaß am Spielerfolg?

Ich denke das Spielerziel ist es eine Geschichte mit dem entsprechenden Hintergrund zu entwickeln. Der Erfolg an sich selbst steht nicht so in Frage in dem System, was in Frage steht ist das wie.
Eine besondere "Dramaqualität" kann ich nicht erzeugt sehen.



Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Thaddeus am 30.12.2020 | 00:37
[...snip...] Die meisten wirklich erfolgreichen Indie-Rollenspiele der letzten 10? 15? 20? Jahre bewegen sich imho in eine bestimmte Richtung: WEG von der Simulation von – vor allem kämpferischen – Situationen und Settings, HIN zur Simulation eines anderen Mediums, üblicherweise einer TV-Serie, eines Films oder eines Romans.[...snip...]
Ich störe mich immer sehr an dem Begriff der Simulation, weil ich mit diesem einfach so gar nichts anfangen kann. Ich habe früher super gerne Flugsimulatoren oder Silent Hunter I bis V bis zum Umfallen gezockt oder Simcity oder andere Wirtschaftssimulationen. Insoweit möchte ich für mich in Anspruch nehmen, ein Gefühl dafür zu haben, was eine Simulation ist, was sie will und ggf. auch kann. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren noch nie ein Rollenspiel gespielt, das sich für mich auch nur im Ansatz wie eine Simulation eines Genres anfühlte, mit einer Ausnahme ggf: Fiasko. Ich kann mir nicht helfen, aber ich halte (und das ist meine höchstsubjektive oder einfach nur komplett ignorante Meinung) einfach die Vorstellung, mittels MERS (oder womit auch immer!) den Herrn der Ringe, das Silmarillion oder den Hobbit simulieren zu wollen - und sei es nur des flavors her - für eine vollkommen abstruse Idee. Ein Rollenspiel ist keine Simulation eines Romans/Films. Ron Edwards meint mit Simulation in seiner Formulierung der GNS auch glaube ich etwas anderes, als einen bestimmten Roman zu simulieren.

Als Kinder sind wir im Wald rumgesprungen und aus Stöckern Lichtschwerter gemacht und uns vorgestellt, Jedi-Ritter zu sein, ja. Trotzdem würde ich niemals auf die Idee kommen, wir hätten versucht Star Wars zu simulieren. Wir hatten die Filme gesehen und waren begeistert und wollten in unserer Fantasie das Gesehene im Film als Kulisse für unser Spiel im Wald nutzen. Ein wenig sehe ich mich heute noch so, wenn wir zwar nicht mehr im Wald mit Stöcken, sondern drinnen am Tisch mit Würfeln spielen.

Ich glaube, was mich am Begriff der Simulation beim Rollenspiel stark stört, ist, dass beim Rollenspiel (so wie ich es kenne und Spiele) Individuen und deren Emotionen im Mittelpunkt stehen. Ich glaube, das ist für die meisten Rollenspiele ein zentrales Element. Individuen und deren emotionaler Haushalt lassen sich weder physikalisch noch sonst mathematisch oder statistisch beschreiben. Im Wald mit dem Laserschwert ging es mir darum, nachzufühlen, ein großer Held (Jedi) zu sein. Mein Gewinn in der Aktivität lag in der Emotion, nicht im Erkenntnisgewinn über das Leben der Jedi.

Ich glaube dies ist auch der wesentliche Punkt, den pbta von D&D (bzw. klassischen Rollenspielen) unterscheidet. Klassische Rollenspiele weisen meiner Meinung nach zwei wichtige sich jedenfalls teilweise bedingende Komponenten auf: Zum einen lassen sie sich steril, also vollkommen frei von Emotionen spielen ohne an Funktionalität einzubüßen. Zum anderen weisen sie eine mehr oder minder stark ausgeprägte Nähe zu Brettspielen auf. Ich möchte (vielleicht kühn) behaupten, dass Dungeon World vielleicht nicht per se emotionaler als D&D sein muss, es läd aber vielleicht eher zur emotionalen Investition ein, als letzteres. Eine oft über Dungeon World getätigte Aussage ist: Dungeon World fühlt sich nicht an wie D&D, sondern wie das Gespräch nach der D&D Runde, und ich finde, dass es das in der Tat ganz gut trifft. Emotional aufgeladene Erinnerungen bleiben länger präsent.

Ich habe lange in einer D&D Runde gespielt und meinen Charakter wirklich geliebt. Ich muss auch gestehen, den Kämpfen bisweilen habe etwas abgewinnen können. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, irgend einmal aufgrund einer regeltechnischen Gegebenheit eine emotionale Verbindung zur Geschichte oder zu meinem Charakter gespührt zu haben (Außer wenn ich mich mal wieder über die doofen Regeln geärgert hatte  >;D). Wir hatten vor einiger Zeit eine Savage Runde. Ich könnte zum Verrecken keine regeltechnisch vorgegebenen oder durch Würfelwürfe erzeugte Widrigkeiten mehr nennen. Ich kann mich aber noch sehr frisch und bildlich an den Ingame-Streit erinnern (der auch ein wenig ins Outgame schwappte leider), den mein Charakter mit einem anderen SC hatte.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ich glaube, dass Indie-Spiele weniger eine Reaktion auf D&D (SR, DSA, wattauchimma) sind, sondern einerseits weg von Brettspiel, hin zu Regeln, welche die emotionale Seite des Tabletop Rollenspiels einbeziehen. Denn die emotionale Vielfältigkeit ist es letztlich, was Rollenspiele als Unterhaltungsform so einzigartig macht. Darum fühlt sich mE ein Rollenspiel auch immer anders an, als ein Computerspiel (Auch wenn Online-Spiele da ggf. nah rankommen mögen).
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 30.12.2020 | 01:25
Dazu ist halt noch zu sagen, dass man im Einzelfall und mit guten Mitspielern halt mit vielem Spaß haben kann (hier oft dann vom Aufwand abhängig), aber dieser Wohlfühlkreis dann mit zunehmender erwarteter Dauer, wo das System dann halt auch passend tragen muss, dann deutlich schrumpft.
Ich sehe es inzwischen so, dass wenn die SL das System drauf hat und darauf achtet, dass das Spiel so läuft, dass alle Spaß haben, die meisten Systeme gut funktionieren. Vielleicht nicht ideal (sonst hätte ich nie angefangen, ein eigenes System zu schreiben), aber hinreichend gut, dass ich die Vorstellung von großen komplett inkompatiblen Gruppen für falsch halte. Bei kleinen Subgruppen mag das stimmen, grundlegend gehe ich aber davon aus, dass bei grundlegender (Stil-unabhängiger) gegenseitiger Sympathie 99% der Rollenspiele Spielenden in beliebig verteilten 5-er-Gruppen Systeme finden würden, mit denen alle in der jeweiligen Gruppe Spaß haben.

An Daten dazu habe ich v.a. die ~20 verschiedenen Systeme, die ich bisher gespielt habe, die alle Spaß gemacht haben.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Alexander Kalinowski am 30.12.2020 | 08:45
GNS sehe ich als "Verhunzung" bzw. kaperndes Marketing "auf Kosten" des älten GDS.  Ich sehe Narrativismus als eine sehr eng fokussierte Variante von Simulation.

Ich sehe es als kreative Freiheit für die Spieler. Also wenn man einen Fatepunkt ausgibt und dann etwas in der Welt passieren lassen kann. Oder sogar nur wenn man einen Erfolg mit Komplikationen auswürfelt und dann wählen muss welche Komplikation den Fortgang der Geschichte mitbestimmt.

Ich sehe da sogar Narrativismus in einem Spannungsverhältnis mit Simulationismus. Ich glaube Edwards hat sich irgendwo mal beschwert, dass wenn man zB in einem Star-Wars-Spiel ein paar narrative Freiheiten nimmt, unabhängig von Regelfragen, dies nicht geht, weil die nicht starwarsartig wären.

Ich denke das liegt daran, dass Simulationismus vor allem begrenzend (auf Fluff und Crunch) wirkt.

Ich denke das Spielerziel ist es eine Geschichte mit dem entsprechenden Hintergrund zu entwickeln. Der Erfolg an sich selbst steht nicht so in Frage in dem System, was in Frage steht ist das wie.
Eine besondere "Dramaqualität" kann ich nicht erzeugt sehen.

Ich war mal auf der Website:
Zitat
What is Blades in the Dark?

Blades in the Dark is a tabletop role-playing game about a crew of daring scoundrels seeking their fortunes on the haunted streets of an industrial-fantasy city. There are heists, chases, occult mysteries, dangerous bargains, bloody skirmishes, and, above all, riches to be had — if you’re bold enough to seize them.

You and your fledgling crew must thrive amidst the threats of rival gangs, powerful noble families, vengeful ghosts, the Bluecoats of the city watch, and the siren song of your scoundrel’s own vices. Will you rise to power in the criminal underworld? What are you willing to do to get to the top?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 30.12.2020 | 09:01

Ich sehe es als kreative Freiheit für die Spieler. Also wenn man einen Fatepunkt ausgibt und dann etwas in der Welt passieren lassen kann. Oder sogar nur wenn man einen Erfolg mit Komplikationen auswürfelt und dann wählen muss welche Komplikation den Fortgang der Geschichte mitbestimmt.

Ich sehe da sogar Narrativismus in einem Spannungsverhältnis mit Simulationismus. Ich glaube Edwards hat sich irgendwo mal beschwert, dass wenn man zB in einem Star-Wars-Spiel ein paar narrative Freiheiten nimmt, unabhängig von Regelfragen, dies nicht geht, weil die nicht starwarsartig wären.

Ich denke das liegt daran, dass Simulationismus vor allem begrenzend (auf Fluff und Crunch) wirkt.


Das war aber nicht das, was GNS unter Narrativismus verstand, ganz im Gegenteil.

Dieses, meines Erachtens ebenfalls irreführende Labelling, stand für spezielle Spiele, welche ganz zugespitzt besonders den Spieler emotional packende und mit dafür kritischen Entscheidungen Szenen vorbereitet und dann (im Übrigen ergebnisoffen) schauen will, wie sich das auflöst - es ging nicht um den "künstlerischen" Storyaspekt.
Man ging hingegen davon aus, dass solche den Spieler so eng angehende Szenarien ihn quasi automatisch emotional mitreissen und dadurch unmittelbar gute Geschichten erzeugen.

Der Geschichtenerzählteil mit solchen Sachen wie Akten, Spannunsgbogen etc ist so wie ich es verstanden habe in die GNS-Müllgrube für alles andere namens dort "Simulation" gepackt worden: Dann "simuliert" man halt eine Geschichte, wie eben aus anderen Medien bekannt.

Das D von Dramatismus in GDS wiederum war hingegen das, was mit dem normalen Wortgebrauch von Geschichtenerzählen bzw. dem Fokus darauf zusammen passt.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Blechpirat am 30.04.2021 | 13:29
Mal wieder eine - wenn auch verspätete - Tangente (Danke, lieber Rumpel!):

Das tolle an D&D ist für mich der sog. "Core Game Loop" - also Kämpfen, Plündern, Leveln. Der ist so großartig, dass er heute einen großen Teil aller Computerspiele antreibt, und zwar weit über (Computer-)Rollenspiele, Dungeoncrawler etc. hinaus.

Das ist einfach mal eine funktionierende Methode, Leuten Spaß zu bereiten. Ich meine das völlig unkritisch und begeistert - ob Zufall oder Genie, das ist eine großartige Methode der Motivationschaffung.

Es führt aber auch zu einer fast zwingenden Entwicklung der Charaktere und der Geschichte: Vom Tellerwäscher zum Millionär, oder um im Fantasy-Skin zu bleiben: Vom Rattenschläger zum Halbgott. Ein recht brauchbare Heldenreise, in gewisser Weise...

Indie-Mainstream ist für mich stark davon definiert, diesen Core Game Loop zu "überwinden" und zumindest von einer vertikalen Charakterveränderung (immer bessere Werte) in eine horizontale Veränderung ("dramatische" Änderung, z.B. in der Beziehung zueinander). Allerdings ist hochleveln einfach mal ein hochgradig verlockender Mechanismus... so dass er, wenn auch oft etwas schamhaft versteckt, in den erfolgreichen "Indies" wie Fate, pbtA, durchaus vorhanden ist. Letztere haben eigentlich nur das looten völlig abgeschafft, weil "Ausrüstung" als separater Teil des "Besserwerdens" abgeschafft wurde.

Aber je weiter man sich von dem Core Game Loop von D&D trennt, desto anders werden eben auch die Geschichten, die erzählt werden. Monsterkloppen kann man eben auch mit Fate oder pbtA. Aber dann ohne den genialen Core Game Loop, dafür braucht man eben auch nicht irgendwann quasi unbesiegbare Monster (Tarrasque, etc) um noch angemessene Herausforderungen anbieten zu können.

Nach meinen - zugegeben laienhaften - Gefühl hat D&D über die Editionen zunehmend den Core Game Loop betont. Die OSR scheint mir ein besonders interessantes Verhältnis zum Core Game Loop zu haben. Er ist schon Teil des Spiels, aber die Dominanz späterer Editionen lehnt man wohl ab.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 30.04.2021 | 14:55
Vom Rattenschläger zum Halbgott. Ein recht brauchbare Heldenreise, in gewisser Weise...

Indie-Mainstream ist für mich stark davon definiert, diesen Core Game Loop zu "überwinden" .

Erste Assoziation:
Oh-nein, meine epische Figur Torwen-Gerome der Überragende III, Champion des Reichs und Drachentöter aus der 23Seiten-Vorgeschichte  ist schon wieder von einer Ratte getötet worden. Wieso gibt es keine "anständigen" Spiele, wo man direkt "angemessen" als Halbgott beginnen kann?  ~;D >;D

Das ist sicher für viele Fälle übertrieben, aber aus der anekdotischen Rückschau auch kein Einzelfall zu dem Thema. 

Aber ist es wirklich so ein durchgehendes Kennzeichen des Indie-Mainstreams "oben" anfangen zu können? Ein bisschen mehr Diversität würde ich dem Ganzen doch schon zugestehen, auch wenn dieser Typus zumindest am Anfang recht laut war.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: KhornedBeef am 30.04.2021 | 14:56
Klar, das drückt diese Knöpfe im Hirn und funktioniert. Aber witzigerweise ist der Loop ja nur vollständig, wenn jemand von außen neue Herausforderungen nachschiebt. Während das Wechselspiel der Moves bei pbta das schon einschließt. Drückt nur einen ganz anderen Knopf.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 30.04.2021 | 22:07
Aber je weiter man sich von dem Core Game Loop von D&D trennt, desto anders werden eben auch die Geschichten, die erzählt werden. Monsterkloppen kann man eben auch mit Fate oder pbtA. Aber dann ohne den genialen Core Game Loop, dafür braucht man eben auch nicht irgendwann quasi unbesiegbare Monster (Tarrasque, etc) um noch angemessene Herausforderungen anbieten zu können.
Du sagst das, als wäre es ein Vorteil, solche Monster nicht zu haben.

Die Machtprogression gibt auch ein immerwährendes Träumen, wo man noch hin könnte. Auf niedrigen Stufen freust du dich auf die nächsten Schwächeren Fähigkeiten, und je mächtiger die SCs werden, desto größer werden die Träume — aber ohne jemals den Bruch der Geschichte zu haben.

Ich halte nichts vom Plündern an sich, aber ersetze es durch tolle Zauber finden, neue Geheimnisse entdecken, neue Macht erringen und dann zu lenken lernen, usw. und du hast mich auch.

Es bringt auch das Versprechen mit, dass Mühen belohnt werden. Dass du aus schrecklichen Erlebnissen noch Stärke ziehen kannst.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 30.04.2021 | 22:36
Du sagst das, als wäre es ein Vorteil, solche Monster nicht zu haben.

Es ist, denke ich, ein Vorteil, sie nicht einfach nur deshalb zu brauchen, damit die "Mehr Power/Stärkere Gegner/Noch mehr Power/Noch stärkere Gegner"-Gebetsmühle sich bis in alle Ewigkeit weiterdrehen kann. Zumal gerade diese dann die angestrebten Machtfantasien ja ohnehin mehr oder weniger gezielt aushebelt -- wenn ein "Super-SC" zu werden nur bedeutet, daß meinem Charakter jetzt eben standardmäßig Supermonster entgegengesetzt werden, damit der Herausforderungsgrad trotz aller theoretischen Machtzuwächse bloß ja nicht sinkt, dann reduzieren sich doch der ganze "Fortschritt" und die "belohnten Mühen" weitgehend auf Augenwischerei.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Settembrini am 30.04.2021 | 23:35
@OP: Was Du sagst, leuchtet mir total ein. Ich habe das um 2008 so TrueSchool genannt. GDW und Palladium sind da meine Favoriten. Die haben ordentlich TrueSchool gemacht. Dazu gab es danach aber nie wieder eine Bewegung.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: tartex am 1.05.2021 | 08:56
Ich störe mich immer sehr an dem Begriff der Simulation, weil ich mit diesem einfach so gar nichts anfangen kann. Ich habe früher super gerne Flugsimulatoren oder Silent Hunter I bis V bis zum Umfallen gezockt oder Simcity oder andere Wirtschaftssimulationen. Insoweit möchte ich für mich in Anspruch nehmen, ein Gefühl dafür zu haben, was eine Simulation ist, was sie will und ggf. auch kann.

Ich glaube man muss unterscheiden, ob man eine gewisse Emotion oder einen gewissen genretypischen Storyverlauf nachstellen will. (Die beiden stehen natürlich oft in direkter Wechselwirkung.)

Wahrscheinlich wäre der Begriff Emulation weniger verwirrend als der Begriff Simulation.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Maarzan am 1.05.2021 | 10:18
Ein Rollenspiel ist keine Simulation eines Romans/Films. Ron Edwards meint mit Simulation in seiner Formulierung der GNS auch glaube ich etwas anderes, als einen bestimmten Roman zu simulieren.

Er schon, weil Simulation in GNS die Restekiste war für alles, was bei ihm keinen Fokus hatte und damit eben auch das Drama des GDS, was dort für die Geschichtsprio stand aufnhemen musste.
Narrativismus war ja eine ganz besondere Nische (welche ich wiederum eigentlich als eine Nische im ursprünglichen Sim angesehen hätte).

Die Unterscheidung von Simulation (versuch der Regel-/Kausalitätsnachbildung um damit ein in sich stimmiges, aber ggf nicht unbedingt dem Ergebnis der Vorlage, der man diese Regeln entnommen hat, passendes Ergebnis zu erreichen) und Emulation (größtmögliche Nachbildung des Ergebnisses der Vorlage, mit welchen Mitteln im Hintergrund auch immer)  ist allerdings tatsächlich sehr wichtig für die Diskussion denke ich.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Settembrini am 1.05.2021 | 10:30
Ron Edwards ist ein verwirrter Mann, der allen Trad-WoD-Spielern einen Gehirnschaden attestiert. Und das, wo er weder von Telephonreiki, noch Psychologie noch von Rollenspielen Ahnung hat (D&D nicht zu verstehen sei da einfachster Beleg).

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Ainor am 1.05.2021 | 13:03
Mal wieder eine - wenn auch verspätete - Tangente (Danke, lieber Rumpel!):

Das tolle an D&D ist für mich der sog. "Core Game Loop" - also Kämpfen, Plündern, Leveln. Der ist so großartig, dass er heute einen großen Teil aller Computerspiele antreibt, und zwar weit über (Computer-)Rollenspiele, Dungeoncrawler etc. hinaus.

Das ist eine wichtige Beobachtung. D&D (und ähnliche Spiele) "funktionieren". Wenn das nicht so wäre hätten sich Rollenspiele vielleicht auch nie wirklich entwickelt. Aber die spannende Frage ist: Warum spielt man immernoch D&D obwohl "Kämpfen, Plündern, Leveln" im Computerspiel viel praktischer geht. 

Ich glaube dass die Core Game Loop vor allem dazu dient das Spiel am laufen zu halten und damit sozusagen den Unterbau bietet auf dem sich die Story entwickeln kann. 

Zumal gerade diese dann die angestrebten Machtfantasien ja ohnehin mehr oder weniger gezielt aushebelt -- wenn ein "Super-SC" zu werden nur bedeutet, daß meinem Charakter jetzt eben standardmäßig Supermonster entgegengesetzt werden, damit der Herausforderungsgrad trotz aller theoretischen Machtzuwächse bloß ja nicht sinkt, dann reduzieren sich doch der ganze "Fortschritt" und die "belohnten Mühen" weitgehend auf Augenwischerei.

Wenn es nur Augenwischerei wäre, warum ist es dann über lange Zeit so motivierend? Auch ohne das Monsterhandbuch zu kennen weiss ich dass ein Drache etwas anders ist als ein Goblin. Der Drache hat einen völlig anderen Platz in der Spielwelt, und wenn mein SC den besiegen kann hat mein SC auch einen entsprechenden Platz. Augenwischerei wird es nur wenn die Goblins einfach mitleveln und stärker werden ohne dass sich ihr Platz in der Welt ändert. Als direkte Folge davon lässt sich das Aufstiegsprinzip nicht beliebig fortsetzen.

Nach meinen - zugegeben laienhaften - Gefühl hat D&D über die Editionen zunehmend den Core Game Loop betont.

Naja, zu 3E Zeiten hiess es "back to the Dungeon" nachdem 2E sich sehr auf Spielwelten etc konzentriert hat.
Allerdings hat 3E Namesstufen und das Auslaufen der Levelprogression abgeschafft und mit den Epic Levels behauptet man könne die Core Game Loop beliebig fortsetzen. Ersteres wurde beibehalten, letzteres abgeschafft. Insofern würde ich nicht sagen dass es eine kontinuierliche Zunahme ist.


 



Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 1.05.2021 | 13:58
Wenn es nur Augenwischerei wäre, warum ist es dann über lange Zeit so motivierend?

Dir einen Fachvortrag über kognitive Verzerrungen (https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Verzerrung) zu halten, überlasse ich mal den entsprechenden Experten. Für meinen Teil reicht die bloße Erkenntnis, daß die Spezies "Homo sapiens" so rational, wie's der zweite Namensteil gerne suggerieren möchte, nachweislich schlicht und ergreifend gar nicht ist, für den Alltag meist schon völlig aus. ;)

Zitat
Auch ohne das Monsterhandbuch zu kennen weiss ich dass ein Drache etwas anders ist als ein Goblin. Der Drache hat einen völlig anderen Platz in der Spielwelt, und wenn mein SC den besiegen kann hat mein SC auch einen entsprechenden Platz.

Und um zu wissen, daß ein König etwas anderes ist als ein leibeigener Bauer, muß ich auch nicht erst ihre Kampfwerte studieren... -- Interessant an diesem speziellen Beispiel ist vielleicht sogar, daß ich mir hier einen "entsprechenden Platz" meist nicht verdienen kann, indem ich einen König einfach nur umbringe, weil die meisten Gesellschaften so nicht funktionieren -- statt dessen muß ich mich, wenn ich das tatsächlich erreichen will, plötzlich auf eine ganz andere Art anstrengen, als nur weiter wie bisher "Schema F mit noch mehr Kabumm" einzusetzen.

Von daher halte ich die "rein vertikale" Charakterentwicklungskomponente (bessere Werte, mehr Plusse, mehr Powaaah!) generell für die langweiligere. Sicher, Platz ist auch dafür praktisch immer wenigstens ein Stück -- eine Methode, potentiell mehr Abwechslung ins Spiel zu bringen, stellt sie eben auch dar. Nur halt eine von den eher nachrangigen, weil ihr Beitrag dazu von vornherein eher indirekter Natur ist.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 1.05.2021 | 17:04
Es ist, denke ich, ein Vorteil, sie nicht einfach nur deshalb zu brauchen, damit die "Mehr Power/Stärkere Gegner/Noch mehr Power/Noch stärkere Gegner"-Gebetsmühle sich bis in alle Ewigkeit weiterdrehen kann. Zumal gerade diese dann die angestrebten Machtfantasien ja ohnehin mehr oder weniger gezielt aushebelt -- wenn ein "Super-SC" zu werden nur bedeutet, daß meinem Charakter jetzt eben standardmäßig Supermonster entgegengesetzt werden, damit der Herausforderungsgrad trotz aller theoretischen Machtzuwächse bloß ja nicht sinkt, dann reduzieren sich doch der ganze "Fortschritt" und die "belohnten Mühen" weitgehend auf Augenwischerei.
Hier sind drei Punkte:

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Ainor am 3.05.2021 | 17:57
Für meinen Teil reicht die bloße Erkenntnis, daß die Spezies "Homo sapiens" so rational, wie's der zweite Namensteil gerne suggerieren möchte, nachweislich schlicht und ergreifend gar nicht ist, für den Alltag meist schon völlig aus. ;)

Naja, ist ja nicht so dass wir viele Spezies zum Vergleich hätten. Es ist auch nicht wirklich hilfreich zu diskutieren was genau jetzt Augenwischerei bedeutet. 
Spannender ist die Frage: warum sollten Belohnungen eigentlich dazu führen das Aufgaben einfacher werden ? IRL bekommen die Leute die erfolgreich sind meistens mehr Ressourcen und schwierigere Aufgaben (z.B. Beförderung eines Offiziers mit Kommando über eine größere Einheit). Vielleicht funktioniert die Core Game Loop deshalb so gut weil die reale Welt oft auch nicht viel anders ist.

Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 3.05.2021 | 18:54
Spannender ist die Frage: warum sollten Belohnungen eigentlich dazu führen das Aufgaben einfacher werden ? IRL bekommen die Leute die erfolgreich sind meistens mehr Ressourcen und schwierigere Aufgaben (z.B. Beförderung eines Offiziers mit Kommando über eine größere Einheit). [...]

Und in der Regel verändert sich damit auch ihr Job nachhaltig, was die Sache halbwegs interessant hält. Ein Leutnant hat andere Aufgaben als ein Major, der wieder andere Sorgen hat als ein General...ein rein mechanischer Stufenaufstieg fängt diese Art von Weiterentwicklung aber oft genug (inzwischen ist seit Alt-(A)D&D genug Zeit vergangen, daß ich selbst das eher als historische Ausnahme betrachten würde) gar nicht erst ein. Ob ich auf Stufe 1 Kobolde schnetzle oder auf Stufe 20 Tarrasken, die "Monsterschnetzler Arsch"-Rolle bleibt grundlegend dieselbe.

Natürlich kann eine beliebige Kampagne neben den "rein mechanischen" Verbesserungen auch nahezu beliebige sonstige Änderungen an Position und Umständen der Charaktere beinhalten -- aber dabei laufen die beiden Ebenen meist ohnehin unabhängig voneinander nebeneinander her, für diese potentiell interessanteren Entwicklungen ist der mechanische Aufstieg also eigentlich eher Nebensache.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 4.05.2021 | 09:06
Und in der Regel verändert sich damit auch ihr Job nachhaltig, was die Sache halbwegs interessant hält.
Oder eben total schief geht — also wie im Peter-Principle: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Prinzip
“In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.”

Bzw.: „Nach einer gewissen Zeit wird jede Position von einem Mitarbeiter besetzt, der unfähig ist, seine Aufgabe zu erfüllen.“

Übersetzt für Rollenspiel: Wenn wir die Fehler der Realität kopieren, spielen irgendwann alle Spieler eine Rolle, die ihnen keinen Spaß macht.

(gilt natürlich nicht überall, braucht aber bewusste Arbeit, um es zu vermeiden)
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: nobody@home am 4.05.2021 | 09:42
Oder eben total schief geht — also wie im Peter-Principle: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Prinzip
“In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.”

Ich sagte ja auch nur "interessant". Von automatischem Erfolg war nie die Rede. 8]
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: Ainor am 4.05.2021 | 17:56
Und in der Regel verändert sich damit auch ihr Job nachhaltig, was die Sache halbwegs interessant hält. Ein Leutnant hat andere Aufgaben als ein Major, der wieder andere Sorgen hat als ein General...

Aber das ist bei D&D doch auch so. Einen Stufe 20 Magier effektiv zu spielen ist viel komplizierter als einen Stufe 1 Magier effektiv zu spielen.
Natürlich variiert das stark nach System und Klasse, aber die Komplexität steigt fast immer.

Oder eben total schief geht — also wie im Peter-Principle: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Prinzip
“In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.”

Warum sollte das hier anwendbar sein ?
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: JollyOrc am 4.05.2021 | 18:03
Warum sollte das hier anwendbar sein ?

Wenn es mir Spaß macht, den Arschtreter-Monstertöter-Krieger zu spielen, und der dann irgendwann durch die Progression zum Herrscher eines kleinen Reiches geworden wird, und ich jetzt anstatt Monstertöten Hofintrigen als Probleme habe, dann hab ich plötzlich ein Spiel, dass ich a) ggfs. als Arschtreter-Monstertöter-Krieger gar nicht so gut kann, und b) als Spieler ggfs. auch gar nicht wollte.
Titel: Re: Der "Indie-Mainstream" als Reaktion und was da noch so ginge
Beitrag von: ArneBab am 6.05.2021 | 20:22
Wenn es mir Spaß macht, den Arschtreter-Monstertöter-Krieger zu spielen, und der dann irgendwann durch die Progression zum Herrscher eines kleinen Reiches geworden wird, und ich jetzt anstatt Monstertöten Hofintrigen als Probleme habe, dann hab ich plötzlich ein Spiel, dass ich a) ggfs. als Arschtreter-Monstertöter-Krieger gar nicht so gut kann, und b) als Spieler ggfs. auch gar nicht wollte.
Genau das meinte ich damit.