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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: felixs am 29.11.2022 | 10:10

Titel: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 10:10
Liebe Leute,

ich möchte ein paar Gedanken und ein Konzept mit euch teilen.

Es kommt immer wieder die Frage auf, warum Systeme sich großer Beliebtheit erfreuen, die eigentlich aufgrund ihrer Merkmale ungeeignet für die Spieler erscheinen.
DSA, Pathfinder, D&D, Splittermond, Midgard, haben, bei aller Unterschiedlichkeit, als gemeinsames Merkmal eine Fülle von Regeln und Mechanismen, die in Summe kaum als "spielbar" zu bezeichnen sind. Dazu kommt, dass viele Spieler und Spielleiter eher geringe und lückenhafte Kenntnisse dieser Regeln haben und diese entsprechend im Spiel nicht oder "falsch" zur Anwendung bringen.

Man kann dazu meinen, die Leute spielten alle das falsche System, sie bräuchten etwas einfachereres, eingängigeres. Meine Erfahrungen stützen das nicht - die meisten Leute kommen mit den genannten Systemen erheblich besser zurecht, als mit regelleichteren Alternativen. Auch wenn es natürlich Abstufungen inb der Komplexität und individuelle Vorlieben gibt.

Ich meine, dass die Erklärung in einem sehr verbreiteten Spielstil liegt, der bisher nicht beschrieben worden ist. Diesen Spielstil, welcher (zumindest in Deutschland) lange der vorherrschende war, vielleicht immer noch ist, möchte ich "impressionistisches Regel- und Weltverständnis" (der Einfachheit kurz: "impressionistisches Rollenspiel", IR) nennen.

Viele Rollenspieler wünschen sich eine umfassend beschriebene Welt, in die man eintauchen kann. Es ist nicht wichtig, das tatsächlich zu tun; es reicht das Wissen, dass die Welt beschrieben worden ist und theoretisch lesbar ist. Das bedient IR.

Viele Rollenspieler wünschen sich Regeln, welche alle möglichen Situationen im Detail beschreiben und abhandeln können. Es ist nicht wichtig, das im Spiel dann tatsächlich zu nutzen, es reicht das Wissen, dass es diese Regeln gibt. Für die Praxis reichen flexible und handhabbare Lösungen, die sich grob an Eindrücken aus Regel- und Quellenmaterial orientieren. Das bedient IR.

Viele Rollenspieler haben als Spieler gar keinen Bedarf an Regelungen bis ins letzte Detail und überlassen die Ausgestaltung gern dem Spielleiter. In der Praxis kann, nach dem Geschmack der meisten Rollenspieler, sehr viel gehandwedelt werden und Regelfehler fallen fast niemandem auf. Gleichzeitig wünscht man sich, dass es irgendwo geregelt ist, dass man "bei Bedarf" darauf zurückkommen könnte - und beschließt dann in der Regel, das nicht zu tun. Es ist - in einem gewissen Umfang - trotzdem auch möglich und akzeptiert, auf "die Regeln" oder "den Hintergrund" zu verweisen und daraus Gestaltungsrichtlinien abzuleiten. Das funktioniert mit IR sehr gut.

Viele Rollenspielgruppen vereinen Rollenspieler mit recht unterschiedlich ausgeprägtem Interesse an den Regeln und am Hintergrundmaterial. IR ermöglicht es allen, Aspekte ihrer eigenen Interessen einzubringen und aufgrund eines breiten, gemeinsamen Horizonts, eine Grundlage für gemeinsames Rollenspiel zu finden.

Das alles ist, behaupte ich, kein Defekt, sondern Teil eines Konzepts, nämlich IR.

IR schöpft nämlich aus der Fülle. Beim Durchblättern, oder auch nur beim Überfliegen der Titel und Titelbilder der Bände mit Material und Regeln, formen sich Ideen und Vorstellungen, aus denen dann ein gemeinsamer Horizont entsteht. Es entsteht ein gemeinsames Bild davon, wie Rollenspiel ungefähr funktioniert, wie die Welt ungefähr aussieht und was die Stimmung dieser Welt ist, was angemessene Figuren, Szenarien etc. sein könnten. Das vielfältige Material erlaubt außerdem, sich mit der Welt und den Regeln zu umgeben. Auch wenn man nicht konzentriert liest und auswendig lernt, formt sich so doch ein Bild, eben eine Impression. Und die wird dann gespielt. Das ist IR.

IR ist kein geplantes Rollenspielkonzept, sondern ist historisch entstande und organisch gewachsen. IR ist für die meisten Rollenspieler, zumindest in Deuschland, das Rollenspiel ihrer Jugend.

Und was ich am Beispiel Midgard bemerkt habe: Mir macht das manchmal Spaß und ich möchte, auch als aufgeklärter Rollenspieler, zumindest teilweise IR betreiben.

Was meint ihr?
Mir hilft diese Beschreibung von "IR" dabei, einen Spielstil besser zu verstehen und zu würdigen, den ich vorher weniger gut verstanden habe.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: nobody@home am 29.11.2022 | 10:41
Das Beschriebene klingt für mich, offen gestanden, weniger "impressionistisch" im künstlerischen Sinne und mehr nach "Regellaienrollenspiel" -- vergleichbar etwa damit, daß die meisten von uns ja auch kein Jura studiert haben, aber doch ein zumindest ungefähres Gefühl dafür besitzen, was das Gesetz so sagt und was nicht, und uns in dem sonnigen Gefühl baden können, daß wir sowohl jederzeit mehr herausfinden könnten, wenn wir denn wollten, als auch eigens Experten für das Thema haben, die uns diese Arbeit normalerweise abnehmen.

Daß es Spieler gibt, die sich mit dieser Art von "Sicherheitsnetz" im Hinterkopf einfach wohler fühlen, ist nicht schwer nachzuvollziehen, und insofern kann man das sicher auch als eigenen Spielstil betrachten. Mich irritiert einfach nur der dafür gewählte Begriff an sich. ;)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 10:50
Daß es Spieler gibt, die sich mit dieser Art von "Sicherheitsnetz" im Hinterkopf einfach wohler fühlen, ist nicht schwer nachzuvollziehen, und insofern kann man das sicher auch als eigenen Spielstil betrachten. Mich irritiert einfach nur der dafür gewählte Begriff an sich. ;)

"Impressionismus" durchaus im künstlerischen Sinne.

Wie bei Castagnary: "Sie sind Impressionisten in dem Sinn, dass sie nicht eine [ein System] wiedergeben, sondern den von ih[m] hervorgerufenen Eindruck.“ (Für das Zitat und Impressionismus allgemein: https://de.wikipedia.org/wiki/Impressionismus)

"Impressionismus" hat außerdem den Vorteil, nicht abwertend zu klingen. (Wenn auch "Impressionismus" ursprünglich wohl abwertend gemeint war; was auch wieder passt, wenn man die übliche Meinung zu dieser Art des Rollenspielens unter aufgeklärten Rollenspielern betrachtet.)

Aber ich bin natürlich anderen Benennungsvorschlägen gegenüber aufgeschlossen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Gunthar am 29.11.2022 | 10:51
Viele Spieler lieben klar verregelte Optionen. Auch wenn diese von nicht ganz logisch bis ins Absurde gehen. Hauptsache es steht so da. Und je mehr Optionen, desto besser. Sieht man schön am erfolgreichen  Pathfinder 1 oder DSA 4/5 Bloat.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Dimmel am 29.11.2022 | 11:12
In Sachen Setting geh ich da mit. Eine ausgearbeitete Welt hat was. Und das unabhängig davon, ob man da dann Rollenspiel macht. Ich lese z. B. Gerne die neuen Star trek Bücher, ohne das Spiel zu spielen.

In Sachen Regeln kenne ich das aus meinem Umfeld nicht, als wir noch ebendiese Spiele gespielt haben. Entweder Regeln wurden ignoriert oder es wurde auf Einhaltung gepocht, besonders wenn es die Paradedisziplin des SCs war. Aber das man da ein gutes Gefühl hat, dass da im Hintergrund noch seitenweise Regel herum liegen.... ne, damit verbinde ich jetzt nichts positives.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Zed am 29.11.2022 | 11:56
Das Beschriebene klingt für mich, offen gestanden, weniger "impressionistisch" im künstlerischen Sinne und mehr nach "Regellaienrollenspiel"
Mir gefällt die Wortschöpfung von felixs ganz gut. Du, nobody, siehst im Ignorieren oder Handwedeln der Regeln eher Unvermögen, aber ich denke auch, es schwingt beim Ignorieren und Handwedeln eher Überzeugung mit, nach dem Motto:

"Ich lasse mir von einer Regel/einer Weltenbeschreibung, die mir nicht gefällt, doch nicht vorschreiben, wie etwas zu entscheiden habe!"  >;D
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: HEXer am 29.11.2022 | 12:18
Felixs, dein Post ist mit großem Abstand das Beste, was ich in den letzten Jahren hier im Tanelorn gelesen habe.



Danke dafür.  :d
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Maarzan am 29.11.2022 | 12:21
Regeln sind formalisierte, fixierte und referenzierbare Kommunikation.
Und Kommunikation ist eine dringende Notwendigkeit, wenn es um das gemeinsame Agieren in einem Hobby wie Rollenspiel geht, wo man in einer gemeinsamen Spielwelt agieren will.

Dabei ist der Vorteil von formalisiert und referenzierbar, dass die Hauptlast der Erschließungsarbeit“ auf außerhalb des eigentlichen Spieltermins gelegt werden kann und dass diese Arbeit dann auch wiederholt in verschiedenen Gruppen genutzt werden kann, da alle zumindest ähnlich spielen.
Dazu kann diese bestehende und belastbare Basis dann als Ausgangspunkt für eigene interne Überlegungen zu weiteren Handlungen genutzt werden, ohne jeden Teilschritt wieder abklären zu müssen, statt so informiert nur die dann letztlich getätigte Entscheidung anzukündigen.

Überhaupt ist so ein System die Basis für viele qualifizierte Entscheidungen, da zumindest eine abstrahierte der Figur entsprechenden Vorstellung der Spielwelt und deren Funktionsweise vorliegen muss, damit überhaupt eine gezielte Planung der eigenen Handlung möglich ist. Für ein Spiel als Erkundung oder Herausforderung ist das essentiell.
Kraft ihrer fixierten Form (was idealerweise dann auch für die Hausregeln gilt) kann angesichts der oft unterschiedlichen Geschmäcker am Spieltisch der Kompromisszustand dokumentiert werden und vermeidet dann zu einem guten Teil die daraus entstehenden Diskussionen.

Dieser impressionistische Zustand ist damit meines Erachtens ein von Einzelnen gewünschter Zustand der inneren Autonomie des Träumens, aber eben untauglich für ein gemeinsames Spiel, wo man eben nicht alleine ist mit seinen Träumen, sondern die mit den Träumen/Vorstellungen anderer in Einklang kommen muss.

Das kann man manchmal bei kleinen Kindern sehen, die zwar nominell dasselbe Thema bespielen, aber dann letztlich autonom rumbrabeln und vielleicht mal ein Stichwort des anderen oder dritten übernehmen, aber sonst solo vor sich hin spielen.
Später ändert sich das, wo wir dann beim Beispiel mit dem „Du bist tot- gar nicht“ wären bis dann Regeln eingeführt werden. 
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: nobody@home am 29.11.2022 | 12:22
Mir gefällt die Wortschöpfung von felixs ganz gut. Du, nobody, siehst im Ignorieren oder Handwedeln der Regeln eher Unvermögen, aber ich denke auch, es schwingt beim Ignorieren und Handwedeln eher Überzeugung mit, nach dem Motto:

"Ich lasse mir von einer Regel/einer Weltenbeschreibung, die mir nicht gefällt, doch nicht vorschreiben, wie etwas zu entscheiden habe!"  >;D

Erzähl du mir nicht, welche Meinung ich habe. >;D

Ich sehe in der Sache tatsächlich denn auch -- speziell bei Leuten, die schon über das Neuspielerstadium hinaus sind, Anfänger haben natürlich ihre eigenen Gründe -- weniger Unvermögen als Unwillen. Der läßt sich nun bis zu einem gewissen Punkt ohne große Probleme nachvollziehen (auch wenn ich persönlich nicht zu den Leuten gehöre, die dann unbedingt trotzdem komplexe Regeln und detailverliebte Hintergründe wollen; handwedeln läßt es sich ohne so einen Kladderadatsch von vornherein viel freier), kann aber aus meiner Sicht im Extremfall auch zu ausdrücklichem Dienstleistungsanspruch a la "Ich will das Komplettpaket, aber ich will das gar nicht alles nicht selber wissen müssen, da soll sich gefälligst die SL jemand anderes für mich drum kümmern!" ausarten...und spätestens, wenn eine Gruppe tatsächlich mal dort landen sollte, dann, das stimmt schon, sehe ich das auch nicht mehr besonders positiv.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: tartex am 29.11.2022 | 12:34
Ich würde es ja eher "Katalog-Spielstil" nennen, aber bin mit dem Begriff auch nicht recht zufrieden.

Es ist ja in gewisser Weise eine Erweiterung des Barbie-Stils, vielleicht auch einfach seine Grundform.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Eismann am 29.11.2022 | 12:35
Aus meiner Erfahrung heraus ist es nicht ungewöhnlich, dass es Regeln gibt, die die meisten entweder gar nicht verwenden oder in den relevanten Situationen irgendwie handwedeln, aber sich darüber beschweren, wenn sie nicht im System vorhanden sind. Dazu gehört oftmals sowas wie Traglast, allgemein Gewichte hochheben oder auch Weit- und Hochsprung.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 12:36
@Maarzan, nobody@home: Das ganze ist erstmal vor allem deskriptiv gemeint. Es gibt keinen Grund, dagegen zu beissen.
Bezüglich dem Träumen: Ich meine schon, dass eine Art gemeinsames Träumen (ich würde es eher "gemeinsame Horizont" nennen) entstehen kann; wenn man das will.

Meine Frage wäre erstmal, ob damit eine Herangehensweise beschrieben ist, in der jemand sich wiederfindet, oder die man beobachtet zu haben meint.

Die Beschreibung ist absichltich eher wohlwollend verfasst - ich gehe nämlich davon aus, dass ein großer Teil der Rollenspieler (in Deutschland) so spielt oder gespielt hat. Und zumindest bei mir ist da auch eine gewisse Nostalgie mit dabei. Und meine Neigung zu einem Rollenspielsystem, welches ich nie in seiner ganzen Detailtiefe durchdringen werde (Midgard), kann ich so auch erklären.

Aus meiner Erfahrung heraus ist es nicht ungewöhnlich, dass es Regeln gibt, die die meisten entweder gar nicht verwenden oder in den relevanten Situationen irgendwie handwedeln, aber sich darüber beschweren, wenn sie nicht im System vorhanden sind. Dazu gehört oftmals sowas wie Traglast, allgemein Gewichte hochheben oder auch Weit- und Hochsprung.

Ja, sowas meine ich.
Und ich meine eben, dass es hilfreich ist, wenn die Sachen da sind, wenn man sie "mal gesehen" hat. Aber man muss sie halt nicht wirklich nach Regelbuch spielen, der Eindruck reicht.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Maarzan am 29.11.2022 | 12:46
@Maarzan, nobody@home: Das ganze ist erstmal vor allem deskriptiv gemeint. Es gibt keinen Grund, dagegen zu beissen.
Bezüglich dem Träumen: Ich meine schon, dass eine Art gemeinsames Träumen (ich würde es eher "gemeinsame Horizont" nennen) entstehen kann; wenn man das will.

Meine Frage wäre erstmal, ob damit eine Herangehensweise beschrieben ist, in der jemand sich wiederfindet, oder die man beobachtet zu haben meint.

...

Das "wenn man will" erscheint mir typischerweise bezgl. "gemeinsam" die Form von "Ihr braucht das doch bloß wie ich sehen" anzunehmen.

Und ja, das kann man durchaus öfters mal beobachten.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Lord Verminaard am 29.11.2022 | 12:54
Da steckt viel Wahrheit drin, auch wenn ich an einzelnen Punkten rummäkeln könnte, was ich aber einfach mal bleiben lasse. Eines möchte ich unterstreichen: Es ist ein Trugschluss, zu glauben, weil eine Gruppe ein komplexes Regelwerk nicht vollständig oder nicht korrekt anwendet, vielleicht sogar teilweise damit hadert, weil sie sich in einem detailliert ausgearbeiteten Setting manchmal verheddert, weil der SL darüber flucht, wie Settingdetails die Abenteuervorbereitung erschweren, deshalb zu glauben, diese Gruppe spiele das falsche Spiel.

Wer einer solchen Gruppe irgendwas mit Rules Lite und No Myth empfiehlt, übersieht dabei zwei wichtige Punkte: Erstens, Rules Lite / No Myth ist nicht bloß dasselbe in leichter. Die dadurch entstehende Leere zu füllen, ist ein völlig anderes Spiel, das nicht jeder mag, oder gut kann. Es verändert das Spielprinzip viel fundamentaler, als den meisten klar ist. Und zweitens, nicht jeder Widerstand ist schlecht. Nur weil die Gruppe sich manchmal schwer tut mir ihrem Regelwerk und Setting, heißt das nicht, dass es die Mühe nicht lohnen kann. (Womit ich nicht sagen will, dass komplex automatisch gut ist, oder dass alle von dir aufgezählten Systeme gut gemacht sind.)

Ich denke, du hast auch recht, Regelwerk und Setting hier zu verknüpfen und als Einheit zu betrachten. Denn das Regelwerk ist die Schnittstelle von Spieltisch und Vorstellungsraum. Oder genauer gesagt, der fest definierte Teil der Schnittstelle. Über das Regelwerk lernt die Gruppe, wie ihre Welt funktioniert. Und genau wie du sagst, ist allein das Wissen, hier aus dem Vollen schöpfen zu können, etwas, das der Spielwelt Substanz und Tiefe verleiht oder zumindest dieses Gefühl bei den Spielern erzeugt. Und im Idealfall sollten Regelwerk und Settingmaterial dann für Konsistenz und Kohärenz sorgen, die immer deutlicher und greifbarer wird, je länger man spielt. So wird die Spielwelt glaubwürdig und fühlt sich real an. Dafür ist es nicht notwendig, sich sklavisch an alles zu halten und alles immer richtig zu machen, solange die Gruppe den Weg gemeinsam geht. (Allerdings nimmt mit steigender Eigeninterpretation die Kompatibilität mit anderen Gruppen ab.)

Wenn einige von uns heute Aventurien und andere große Settings statt mit dem Tanker, der das Original-Regelwerk heute ist, mit unseren kleinen, wendigen Story-Games-Yachten durchqueren, dann mag uns das mit Leichtigkeit gelingen. Das ist aber kein Beweis dafür, dass kein Mensch den Crunch und die simulationistischen Regeln braucht. Denn, Überraschung, wir haben ja alle auch mal das Original-Regelwerk in irgendeiner Edition gespielt, und greifen nun auf das dadurch geformte Bild des Settings zurück.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 12:58
@Lord Verminaard: Danke! Ich glaube, Du hast genau verstanden, was ich meine. Vielen Dank für die Ergänzung.

Das "wenn man will" erscheint mir typischerweise bezgl. "gemeinsam" die Form von "Ihr braucht das doch bloß wie ich sehen" anzunehmen.

Und ja, das kann man durchaus öfters mal beobachten.

Mir reicht das erstmal. Wichtig ist, ob das einen halbwegs eingrenzbaren Spielstil trifft. Scheint ja erstmal so zu sein.

Falls das tut Deeskalation beiträgt: ich möchte nicht sagen, dass das für jeden ein geeigneter Spielstil ist oder sein sollte.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Maarzan am 29.11.2022 | 13:02
Mir reicht das erstmal. Wichtig ist, ob das einen halbwegs eingrenzbaren Spielstil trifft. Scheint ja erstmal so zu sein.

Falls das tut Deeskalation beiträgt: ich möchte nicht sagen, dass das für jeden ein geeigneter Spielstil ist oder sein sollte.

Es scheint mir kein geschlossener Spielstil zu sein in dem Sinne, dass da eine ganze Gruppe da so spielt.
Mein Eindruck ist da sind ein oder zwei in einer größeren Gruppe so oder aber es finden sich mehrere solche Spieler um einen Erzähler-SL, aber auch da kann es dann zu Konflikten kommen, wenn die erwünschten Geschichten auseinander laufen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 13:21
Es scheint mir kein geschlossener Spielstil zu sein in dem Sinne, dass da eine ganze Gruppe da so spielt.

Es gibt selten geschlossene Spielstile, das stimmt. Und es gibt sicher innerhalb von Gruppen, die IR betreiben, auch gewisse Abweichungen. Ich würde sogar meinen, dass IR ziemlich gut darin ist, unterschiedliche Spielertypen beisammenzuhalten.

Aber ich nehme das trotzdem erstmal als grundsätzliche Gegenstimme.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: aikar am 29.11.2022 | 13:30
Beim Ansatz eines umfangreichen Regelsystems als "Sicherheitsnetz", dass man benutzen kann aber nicht muss und das damit ein Gefühl der Sicherheit gibt stimme ich zu, das mag durchaus vielen Spieler:innen so gehen.
Das ist aber kein Beweis dafür, dass kein Mensch den Crunch und die simulationistischen Regeln braucht.
Das glaube ich übrigens auch  nicht, auch wenn ich persönlich nichts damit anfange. Es gibt sicherlich genug Spieler:innen, die das wollen. Und es gibt auch genug, die es nicht nur als Sicherheitsnetz sehen, sondern an den Möglichkeiten eines detaillierten Systems explizit Gefallen finden.

Und ich stimme zu, dass viele Spieler:innen gerne gut ausgearbeitete Welten spielen bzw. leiten.

Ich finde es aber einen Fehler, diese beiden Faktoren als ein zwingendes Gesamtkonzept/Spielstil zu sehen. Das mag so erscheinen, weil die genannten Platzhirsche (+Shadowrun) sowohl umfangreiche Welten als auch umfangreiche Regelsysteme besitzen. Es gibt aber keinerlei Grund, warum das eine das andere bedingen sollte.

Aber was beide Faktoren gemeinsam haben, ist ein großer Produktausstoß. Und da sehe ich den eigentlichen Grund für den Erfolg dieser Systeme. Wenn man eine Community regelmäßig mit neuem Material versorgt, hält man sie interessiert und lebendig.
Und wenn ein System sowohl durch komplexe Regeln regelmäßig Regelbände als auch durch den umfangreichen Hintergrund regelmäßige Hintergrundbände (+evtl. Abenteuer) produziert, ist dieser Materialausstoß praktisch garantiert.

Midgard würde ich übrigens als echten Sonderfall sehen. Das lebt primär von seiner sehr eingeschworenen über Jahrzehnte gewachsenen Gemeinschaft.  Mich würden die Zahlen interessieren, aber ich vermute, dass das Wachstum von Midgard außerhalb der Hochburgen, die von den Alt-MItgardern gepflegt werden, extrem gering ist (Belehrt mich eines Besseren!)
Aber selbst Mitgard hat eine im Vergleich der Rollenspielsysteme klar überdurchschnittlich hohe Produktmenge, auch wenn es nicht mit DSA, Splittermond oder Pathfinder konkurrieren kann.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: tartex am 29.11.2022 | 14:30
Es scheint mir kein geschlossener Spielstil zu sein in dem Sinne, dass da eine ganze Gruppe da so spielt.

Das Tolle am Katalog-Spiel, Barbie-Spiel oder meinetwegen impressionistischem Rollenspiel ist ja gerade, dass es eine Solo-Spiel ist, das aber dann trotzdem an eine Gruppenaktivität ankoppelt.

Der Spielleiter, der sich x Spiele zulegt, um zu studieren, was er damit geiles dann im Spieltisch abziehen könnte, zehrt sein Vergnügen wohl aus der Euphorie desselben Versprechens.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: HEXer am 29.11.2022 | 16:17
Ich sehe in der Sache tatsächlich denn auch […] weniger Unvermögen als Unwillen. […] handwedeln läßt es sich ohne so einen Kladderadatsch von vornherein viel freier

Das wiederum läuft aber tendenziell auch leichter Gefahr, von einem Handwedeln zur Willkür zu verkommen - oder in langen Diskussionen auszuarten.

Ich würde es ja eher "Katalog-Spielstil" nennen, aber bin mit dem Begriff auch nicht recht zufrieden.

Es ist ja in gewisser Weise eine Erweiterung des Barbie-Stils, vielleicht auch einfach seine Grundform.

Hm. Ich erkenne die Parallelen, finde aber auch, dass es da durchaus Unterschiede gibt. Ich denke, beim "Impressionistischen Spiel" so wie ich felixs verstanden habe geht es mehr um Setting und Regeln allgemein, als um die jeweils nur für dein eigenen Charakter wichtigen Bereiche. Es geht darum, quasi durch Outsourcing der Definitionshoheit an Setting- und Regelbände einen gemeinsamen Vorstellungsraum genauer, allgemein gültiger und konfliktfreier zu erschaffen. Dabei ist es dann eben nicht so wichtig, in die tiefsten Details einzutauchen, sondern eben eine gemeinsame Basis und darauf aufbauend ein möglichst ähnliches Gefühl, einen Eindruck der Spielwelt zu haben.

Meine Frage wäre erstmal, ob damit eine Herangehensweise beschrieben ist, in der jemand sich wiederfindet, oder die man beobachtet zu haben meint.

Ja, definitiv. Das ist auch bei mir mit viel Nostalgie verbunden und mit ein Bisschen wehmut, weil heute die Zeit und Energie (und auch die Toleranz gegenüber subjektiv wahrgenommenen Unstimmigkeiten) fehlen, um noch mal so tief in ein Rollenspiel einzusteigen.

Das "wenn man will" erscheint mir typischerweise bezgl. "gemeinsam" die Form von "Ihr braucht das doch bloß wie ich sehen" anzunehmen.

Aber so wie ich es verstehe, geht es ja genau darum eben nicht. Weil man eben eine "offizielle Ebene" hat, auf die man dann zurückfallen kann bzw. die ja den gemeinsamen Vorstellungsraum schon vorgibt. Die meisten Settings haben ja den Vorteil, im Vergleich zur Realwelt eine viel eindeutigere, nachprüfbare "Wahrheit" zu haben. Mit dieser Gewissheit im Hinterkopf kann man glaube ich schon tendenziell entspannter auch die Ideen anderer zulassen, weil sie vermutlich mehr dem gemeinsamen Vorstellungsraum entsprechen.

(Ich persönlich finde das sehr gut, weil ich keine guten Erfahrungen mit Rollenspielen gemacht habe, in denen es nur wenige oder keine Vorgaben gibt. Entweder gab es große Unsicherheit, lange Diskussionen oder es kam hinterher ein Kompromiss dabei heraus, mit dem niemand mehr zufrieden war.)

Wenn einige von uns heute Aventurien und andere große Settings statt mit dem Tanker, der das Original-Regelwerk heute ist, mit unseren kleinen, wendigen Story-Games-Yachten durchqueren, dann mag uns das mit Leichtigkeit gelingen. Das ist aber kein Beweis dafür, dass kein Mensch den Crunch und die simulationistischen Regeln braucht. Denn, Überraschung, wir haben ja alle auch mal das Original-Regelwerk in irgendeiner Edition gespielt, und greifen nun auf das dadurch geformte Bild des Settings zurück.

Danke, das bringt es sehr gut auf den Punkt. Deswegen finde ich funktionieren Rollenspiele mit Realweltbezug oder aber bei denen die Welt (inkl. Regeln) allen klar ist, auch als "leichtere" Rollenspiele besser, als manche anderen.

Ich finde es aber einen Fehler, diese beiden Faktoren als ein zwingendes Gesamtkonzept/Spielstil zu sehen. Das mag so erscheinen, weil die genannten Platzhirsche (+Shadowrun) sowohl umfangreiche Welten als auch umfangreiche Regelsysteme besitzen. Es gibt aber keinerlei Grund, warum das eine das andere bedingen sollte.

Hm. Interessanter Gedanke. Ich glaube so ad hoc teile ich den aber nur bedingt. Ich denke, es kommt gerade bei den Regeln dann darauf an, wie groß die Ähnlichkeiten zwischen der Spielwelt und der Realwelt sind und wie "tief" (also wie sehr ins Detail) das Rollenspiel geht. Ich denke, das Verhältnis zwischen Setting- und Regeltiefe muss dabei aber nicht proportional gleich sein, da gebe ich dir Recht. HârnMaster ist da so ein Beispiel, wo es detaillierte Grundregeln gibt, aber darüber hinaus regeltechnisch bei weitem nicht so viel wie settingmäßig.

Aber was beide Faktoren gemeinsam haben, ist ein großer Produktausstoß. Und da sehe ich den eigentlichen Grund für den Erfolg dieser Systeme. Wenn man eine Community regelmäßig mit neuem Material versorgt, hält man sie interessiert und lebendig.

Oder setzt sie unter Druck - auch kein zu vernachlässigender Faktor bei Produktveröffentlichungen, glaube ich.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: tartex am 29.11.2022 | 16:32
Hm. Ich erkenne die Parallelen, finde aber auch, dass es da durchaus Unterschiede gibt. Ich denke, beim "Impressionistischen Spiel" so wie ich felixs verstanden habe geht es mehr um Setting und Regeln allgemein, als um die jeweils nur für dein eigenen Charakter wichtigen Bereiche. Es geht darum, quasi durch Outsourcing der Definitionshoheit an Setting- und Regelbände einen gemeinsamen Vorstellungsraum genauer, allgemein gültiger und konfliktfreier zu erschaffen. Dabei ist es dann eben nicht so wichtig, in die tiefsten Details einzutauchen, sondern eben eine gemeinsame Basis und darauf aufbauend ein möglichst ähnliches Gefühl, einen Eindruck der Spielwelt zu haben.

Klar, für mich ging es hauptsächlich um die Gemeinsamkeit, dass ein bedeutender Anteil des Spielspaßes aus der Zeit, die man gemeinsam beim Spielen verbringt, exportiert werden kann. Aber das ist wohl eine Grundkonstante menschlicher Motivation zur Vorbereitung - für so ziemlich alles.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Maarzan am 29.11.2022 | 17:03
...

Aber so wie ich es verstehe, geht es ja genau darum eben nicht. Weil man eben eine "offizielle Ebene" hat, auf die man dann zurückfallen kann bzw. die ja den gemeinsamen Vorstellungsraum schon vorgibt. Die meisten Settings haben ja den Vorteil, im Vergleich zur Realwelt eine viel eindeutigere, nachprüfbare "Wahrheit" zu haben. Mit dieser Gewissheit im Hinterkopf kann man glaube ich schon tendenziell entspannter auch die Ideen anderer zulassen, weil sie vermutlich mehr dem gemeinsamen Vorstellungsraum entsprechen.

(Ich persönlich finde das sehr gut, weil ich keine guten Erfahrungen mit Rollenspielen gemacht habe, in denen es nur wenige oder keine Vorgaben gibt. Entweder gab es große Unsicherheit, lange Diskussionen oder es kam hinterher ein Kompromiss dabei heraus, mit dem niemand mehr zufrieden war.)

...

Ja, deine Lesart mit Betonung des "Sicherheitsnetzes" statt des von mir prominent gelesenen und mit entsprechenden Spielsituationen verknüpften "Regeln interessieren ja eigentlich nicht" ist vermutlich die richtigere.
Sorry auch an felix.

Also z.B. die besonderen, strukturierten Tabellen wie Crit und Manöver bei Rolemaster nicht referenzieren, sondern nach den typischen Inhalten (bzw. mit vorher kommunizierten Verschiebungen) abschätzen und nur bei Protest genau nachlesen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 17:59
@Hexer: Dankeschön. Auch mit Deinen Beiträgen stimme ich überein. So war es gemeint.

Aber was beide Faktoren gemeinsam haben, ist ein großer Produktausstoß. Und da sehe ich den eigentlichen Grund für den Erfolg dieser Systeme. Wenn man eine Community regelmäßig mit neuem Material versorgt, hält man sie interessiert und lebendig.
Und wenn ein System sowohl durch komplexe Regeln regelmäßig Regelbände als auch durch den umfangreichen Hintergrund regelmäßige Hintergrundbände (+evtl. Abenteuer) produziert, ist dieser Materialausstoß praktisch garantiert.

Midgard würde ich übrigens als echten Sonderfall sehen. Das lebt primär von seiner sehr eingeschworenen über Jahrzehnte gewachsenen Gemeinschaft.  Mich würden die Zahlen interessieren, aber ich vermute, dass das Wachstum von Midgard außerhalb der Hochburgen, die von den Alt-MItgardern gepflegt werden, extrem gering ist (Belehrt mich eines Besseren!)
Aber selbst Mitgard hat eine im Vergleich der Rollenspielsysteme klar überdurchschnittlich hohe Produktmenge, auch wenn es nicht mit DSA, Splittermond oder Pathfinder konkurrieren kann.

Einen Grund für Popularität sehe ich auch in der Veröffentlichungsfrequenz. Nicht so sehr eine Erklärung für die spezifische Spielweise, die sich entwickelt hat und die von entsprechend sozialisierten Spielern auch auf anderen Systeme übertragen wird.
Unklar wäre auch, warum Midgard auch oft als IR gespielt wird, so wie DSA oder Splittermond.

Bezüglich D&D und Pathfinder habe ich mich vielleicht ein wenig aufs Glatteis gewagt - ich bin mir da viel weniger sicher. Weiß aber, dass einige mir bekannte Gruppen zumindest D&D als IR gespielt haben.

Andererseits gibt es, gerade wenn man den englischen Bereich dazu nimmt, auch viele andere Rollenspiele, mit durchaus vielen Veröffentlichungen, die nicht so sehr zu IR neigen. Z.B. Runequest, GURPS, etc. Andererseits gibt es - so mein Eindruck, Indizien dafür, dass IR eine ziemlich "deutsche" Angelegenheit sein könnte, die - so vermute ich - in vieler Hinsicht durch DSA 3 bis DSA 5 geprägt ist.
Und bei Cthuhlhu ist es z.B. eh wieder ganz anders, weil die Regeldichte geringer ist.

Das Tolle am Katalog-Spiel, Barbie-Spiel oder meinetwegen impressionistischem Rollenspiel ist ja gerade, dass es eine Solo-Spiel ist, das aber dann trotzdem an eine Gruppenaktivität ankoppelt.

Der Spielleiter, der sich x Spiele zulegt, um zu studieren, was er damit geiles dann im Spieltisch abziehen könnte, zehrt sein Vergnügen wohl aus der Euphorie desselben Versprechens.

Ich bin nicht sicher, ob wir das gleiche meinen. Ich gehe schon davon aus, dass tatsächlich gespielt wird und dass sich auch alle einig sind, gemeinsam dasselbe Spiel zu spielen.

"Barbie-Spiel" (ich nutze den Ausdruck nicht so gern, wenn auch manchmal angeblich neutral verwendet) habe ich immer so verstanden, dass man sich mit der eigenen Figur beschäftigt und auch in dieser aufgeht (letzteres würde dann den Unterschied zum Method Acting ausmachen).
Beim IR geht es aber um einen bestimmten Zugang zu Spielwelt und Regelsystem, normalerweise als eine Einheit verstanden. Die Beschäftigung damit kann einige Zeit ausmachen und auch ein solitäres Vergnügen sein. Der Punkt ist aber die Schaffung eines geschlossenen Spielweltbildes durch Rezeption des Materials, die aber meist mehr oder weniger unsystematisch ist.

Ja, deine Lesart mit Betonung des "Sicherheitsnetzes" statt des von mir prominent gelesenen und mit entsprechenden Spielsituationen verknüpften "Regeln interessieren ja eigentlich nicht" ist vermutlich die richtigere.

Ja, so ist es auch von mir gemeint, ist von aikar ("Sicherheitsnetz") und Hexer gut beschrieben.
Wobei ich davon ausgehe, dass das Sicherheitsnetz der Regeln in den meisten Fällen halt eher dafür da ist, dass es einerseits quergelesen wurde und daher eine Idee davon rüberbringt, was möglich sein könnte und sollte. Andererseits, dass man sehr selten darauf zurückfällt, weil es nicht als notwendig empfunden wird - man hat ja durch diese Eindrücke einen ähnlichen Horizont gewonnen und daher ähnliche Vorstellungen von Plausibilität.
Natürlich ist es auch innerhalb von IR möglich (und, meine ich, gelebte Praxis), Wünschen einzelner Spieler und Spielleiter nach größerer Regeltreue in bestimmten Bereichen entgegenzukommen.

Also z.B. die besonderen, strukturierten Tabellen wie Crit und Manöver bei Rolemaster nicht referenzieren, sondern nach den typischen Inhalten (bzw. mit vorher kommunizierten Verschiebungen) abschätzen und nur bei Protest genau nachlesen.

Ja, genau sowas. Wobei ich nicht weiß, wie das konkret bei Rolemaster funktionieren würde. Meiner Einschätzung nach eignet Rolemaster sich vergleichsweise wenig für IR; kann mich aber irren. Meiner Einschätzung nach würde eine typische IR-Runde aber wohl auch Rolemaster so spielen (wenn das irgendwie möglich ist).
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Lord Verminaard am 29.11.2022 | 21:02
Ich finde es aber einen Fehler, diese beiden Faktoren als ein zwingendes Gesamtkonzept/Spielstil zu sehen.

Zwingend nicht, aber in vielen Fällen eben doch gegeben und sinnvoll. Gegenbeispiele sind eher Sonderfälle aus meiner Sicht, Rules Lite / Setting Heavy funktioniert vor allem bei Sachen mit nem starken Kanon, die typischen cinematischen Franchise-Sachen oder so. Und Rules Heavy / No Myth ist noch atypischer, vielleicht ne GURPS-Gruppe mit World-Building-Ambitionen. Ok es gibt sicherlich diverse Pathfinder/D&D-Gruppen, die nicht in den offiziellen Settings spielen, aber das ist halt trotzdem nicht No Myth, die Monster, die Zauber, die Gegenstände und sogar Preise und Währungen, die Rassen und Klassen, das wird ja in den meisten Fällen mitgeschleppt, höchstens zusammengekürzt oder reskinned, aber das ist trotzdem ein Haufen Setting, das schon da ist.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: aikar am 29.11.2022 | 22:01
Zwingend nicht, aber in vielen Fällen eben doch gegeben und sinnvoll.
Für praktisch alle regel- und settingschweren Rollenspiele gibt es Fan-Konvertierungen auf regelleichte Systeme. Im Grunde hätte man also das Setting auch offiziell mit einem regelleichten System raus bringen können.
Für Golarion ist das ja schon geschehen (mit Savage Worlds) und für Eclipse Phase gibt es einen offziellen FATE-Ableger.
Und das Standard-Setting des nicht übermäßig schwergewichtigen D&D5 sind die Vergessenen Reiche, für die es inzwischen auch unzählige Hintergrundbücher (aus verschiedenen Editionen) gibt.

Es mag aber sein, dass Autoren, die es gerne detailliert mögen, dies automatisch sowohl auf Regeln wie Setting anwenden, während Autoren, die leichtgewichtigere Systeme präferieren, möglicherweise auch selbst eher zu improvisiertem Spiel neigen anstatt zu im Vornherein voll ausdefinierten Settings und Abenteuern und deshalb auch weniger davon produzieren.
d.h. der persönliche Geschmack der Autoren führt zur Häufung des gemeinsamen Auftretens.

Gegenbeispiele sind eher Sonderfälle aus meiner Sicht
Umfangreich beschriebene Welten an sich sind Sonderfälle. Die Rollenspielwelten die wirklich im Detailgrad der FR, Aventurien o.Ä. beschrieben sind kann man wahrscheinlich an zwei Händen abzählen im Vergleich zu tausenden von Rollenspielen am Markt.
Da ist für mich einfach keine statistisch irgendwie relevante Menge gegeben.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 29.11.2022 | 23:23
Für praktisch alle regel- und settingschweren Rollenspiele gibt es Fan-Konvertierungen auf regelleichte Systeme. Im Grunde hätte man also das Setting auch offiziell mit einem regelleichten System raus bringen können.

Das ist ja eben der Punkt. Wahrscheinlich geht das nicht, bzw. bringt nicht das gleiche Ergebnis.
Klar - wenn die Regeln und die Welt bereits erfahren wurden und gewissermaßen die Essenz des Spiels klar ist, dann kann man auch gezielt Regeln schaffen, die - aufgrund dieser Vorarbeiten (!) - den Eindruck des Spiels mit leichteren Regeln schaffen.
Es ist zweifelhaft, ob das ex nihilo mit einfachen Regeln gelingen würde. Ich vermute, man braucht die ganzen Eindrücke aus dem umfangreichen Material.

Freilich ist IR das Resultat der Bewältigung eines nicht optimal aufbereiteten Korpus von Daten. Aber vielleicht ist gerade die Beschäftigung damit sehr fruchtbar.

Ich will IR nicht verherrlichen, aber es scheint klar, dass es funktionieren kann und für nicht wenige Rollenspieler gut funktioniert oder mal gut funktioniert hat.

Umfangreich beschriebene Welten an sich sind Sonderfälle. Die Rollenspielwelten die wirklich im Detailgrad der FR, Aventurien o.Ä. beschrieben sind kann man wahrscheinlich an zwei Händen abzählen im Vergleich zu tausenden von Rollenspielen am Markt.
Da ist für mich einfach keine statistisch irgendwie relevante Menge gegeben.

Gewiss. Aber was wird tatsächlich gespielt? Mit den genannten Systemen dürfte doch ein sehr großer Teil der Rollenspiel-Szene abgedeckt sein.
Wieviele dann vom Stil her IR spielen, wäre eine andere Frage.

Und unabhängig davon - es geht ja eigentlich nicht um Relevanz aufgrund von relativen Zahlen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: aikar am 30.11.2022 | 08:05
Und unabhängig davon - es geht ja eigentlich nicht um Relevanz aufgrund von relativen Zahlen.
Ich glaube, ich hab ein bisschen den Faden verloren  ;D

Kurz gesagt: Ich glaube deine Aussagen sind jeweils korrekt. Gerade der Gedanke mit umfangreichen Regeln als Sicherheitsnetz war mir neu, danke für den Anstoß. Das würde auch mit dem Wunsch nach detailliert ausformulierten Abenteuern gerade bei Anfänger-SL zusammenfallen.
Ich denke aber eben, dass du hier zwei Anforderungen/Spielstile korrekt identifiziert aber dann vermischt hast, die nur zufällig bei einigen gerade in Deutschland lange Zeit beliebtesten Systeme zusammenfallen. Diese Systeme holen damit sowohl Fans komplexer Regeln (+ die Anhänger des "Sicherheitsnetzes") als auch Fans detaillierter Welten (manche fallen auch in Gruppe 1, manche bespielen nur ihre geliebte Welt trotz der Regeln mit viel Handwedelei) ab. Da haben wir einfach unterschiedliche Theorien, die sich kaum prüfen lassen.
Dazu kommt der erwähnte hohe Produktausstoß/Frequenz und auch, dass alle dieser Systeme schon sehr lange etabliert sind oder von Autoren lange etablierter Systeme dieser Gruppe geschaffen wurden (Splittermond und im Grunde auch Pathfinder).

Es ist zweifelhaft, ob das ex nihilo mit einfachen Regeln gelingen würde. Ich vermute, man braucht die ganzen Eindrücke aus dem umfangreichen Material.
Ein Gutteil der DSA-Lore stammt aus DSA2/3-Zeiten, wobei ich dir zustimme, dass der Detailwahn im Setting mit den Detailwahn in den Regeln bei DSA4 aufgekommen ist.
Cthulhu hat aber tatsächlich von Anfang bis heute relativ einfache Regeln und erfüllt ansonsten alle Anforderungen (etabliert, hoher Produktausstoß, viel Hintergrund- und Abenteuermaterial, starke Community).
Und auch die Worlds of Darkness kamen beide ohne viele Regelbände aus und gehören zu den detailliertesten und umfangreichst publizierten Welten.
Der aktuell stärkste Vergleichsfall (D&D5) greift primär auf bestehendes Settingmaterial zurück aus AD&D und D&D3 zurück, ist also diskutabel. Wobei die Frage ist, ob man AD&D schon als komplex bezeichnet (D&D3 ist es zweifellos).

Diesen Spielstil, welcher (zumindest in Deutschland) lange der vorherrschende war...
...
IR ist für die meisten Rollenspieler, zumindest in Deuschland, das Rollenspiel ihrer Jugend.
Da stimme ich dir zumindest für den deutschsprachigen Raum und die Alt-Rollenspieler absolut zu (bei den Jungen schaut es inzwischen deutlich anders aus, da erschlägt D&D5 alles). Wobei ich hier hinterfrage, was war zuerst, die Henne (System) oder das Ei (Vorlieben/Spielstil)?
Ich vermute, dass das primär der damals schon überwältigenden Marktmacht von DSA geschuldet war. Die meisten Alt-Spieler haben mit DSA (oder in einigen Fällen Mitgard) angefangen, einfach weil es kaum etwas anderes auf Deutsch gab und noch bevor mit DSA4 dieser Trend zur Detaillierung aufgekommen ist und haben ihn dann einfach mitgemacht und wurden zum Teil dadurch geprägt.

Und damit ich mich nicht noch weiter verzettele: Ja, dein IR-Spielstil existiert, zumindest als Schnittmenge und lässt sich als gemeinsamer Stil der genannten großen Systeme identifizieren. Was ich anzweifle ist aber, dass ein spürbarer Großteil der Spieler:innen der genannten Rollenspiele tatsächlich vollumfänglich diesem Spielstil anhängen. Aber Rollenspiele die IR umsetzen, sprechen offenbar viele Spieler:innen zumindest mit Teilen davon an.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: First Orko am 30.11.2022 | 08:28
@felix: Finde deinen Ansatz mega spannend und den Begriff viel besser und positiver konnotiert als das leidige Barbiespiel - zumal du mit Impressionistischen Rollenspiel eine m.E. viel größere Schnittmenge abdeckst!
Ich würde das jetzt noch gern mit den von mir sehr geschätzten Flow-Begriff in Einlang bringen, weil ich glaube, dass viele der erwähnten Elemente Flow begünstigen können. Kürzt man diese Elemente, muss der Flow anders "gefüttert" werden - das ist dann die Lücke, die Verminaard auch anspricht:

Wer einer solchen Gruppe irgendwas mit Rules Lite und No Myth empfiehlt, übersieht dabei zwei wichtige Punkte: Erstens, Rules Lite / No Myth ist nicht bloß dasselbe in leichter. Die dadurch entstehende Leere zu füllen, ist ein völlig anderes Spiel, das nicht jeder mag, oder gut kann.

Diese Lücke zu füllen, kann man lernen - aber das erfordert Investment. Und gerade, wenn man sich in einer "impressionistischen Bubble" befindet, ist ja auch gar keine Notwendigkeit da.

Umgekehrt geht vielleicht auch was verloren, wenn man diesen Weg geht, weil man geneigt ist, das bisherige Spiel als "fehlerhaft" im Vergleich zu den fokussierteren Varianten zu betrachten und sich damit der ursprünglichen Flow-Quelle selbst entzieht  :think:

(Nur so ein paar ungeordnete Gedanken dazu, finde gerade nicht mehr Zeit, das tiefer zu durchdenken aber leses gespannt mit!)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 30.11.2022 | 08:35
Da steckt viel Wahrheit drin, auch wenn ich an einzelnen Punkten rummäkeln könnte, was ich aber einfach mal bleiben lasse.

Quasi die impressionistische Betrachtung des Begriffs Impressionistisches Rollenspiel.  ~;D

Es fühlt sich richtig an, auch wenn im Detail vieles nicht so ganz passt.

Wie berücksichtigt man beispielsweise die Förderung von Improvisationsmöglichkeiten in den Regelwerken? Kann etwas noch "nur zum Schein" feste und detaillierte Regeln haben wenn im Buch drin steht: "es ist euer Spiel, passt es an!"?

Und ist "Sicherheitsnetz" wirklich der richtige Begriff für etwas das zumeist angewendet wird, nur manchmal eben nicht? Denn es ist schon so, das die meisten der Regeln auch in diesen komplexen Systemen Anwendung finden.

Viel wichtiger aber: wenn sie nicht ihre Anwendung finden, sondern nur ein Eindruck davon, so handelt es sich letztlich um eine Hausregel. Vielleicht keine explizit ausgesprochene, aber dennoch. Gilt natürlich genauso für Settings. Wenn ich nur das Gefühl eines Settings rüber bringe, Details aber ignoriere, so schaffe ich ein eigenes Setting mit eigenen Details auf Basis eines Ideensteinbruchs.

Und genau da liegt imho der Erfolg begründet. Umfangreiches Material hat sowohl die Chance für sich genommen ein nützliches Hilfsmittel zu sein, es kann auch anders als gedacht genutzt werden und zu guter Letzt auch als Inspiration für eigene Ideen dienen.


Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: HEXer am 30.11.2022 | 08:52
Wie berücksichtigt man beispielsweise die Förderung von Improvisationsmöglichkeiten in den Regelwerken? Kann etwas noch "nur zum Schein" feste und detaillierte Regeln haben wenn im Buch drin steht: "es ist euer Spiel, passt es an!"?

Naja, wenn du die Regel zum Beispiel auch nur manchmal anwendest und oft nicht...? ;)

Und ist "Sicherheitsnetz" wirklich der richtige Begriff für etwas das zumeist angewendet wird, nur manchmal eben nicht? Denn es ist schon so, das die meisten der Regeln auch in diesen komplexen Systemen Anwendung finden.

Ich sehe es irgendwie so wie das BGB - Im alltäglichen Miteinander spielt es eigentlich keine Rolle, aber wenn es zu Problemen oder Konflikten kommt, ist es halt da, um für Klärung zu sorgen.

Viel wichtiger aber: wenn sie nicht ihre Anwendung finden, sondern nur ein Eindruck davon, so handelt es sich letztlich um eine Hausregel. Vielleicht keine explizit ausgesprochene, aber dennoch. Gilt natürlich genauso für Settings. Wenn ich nur das Gefühl eines Settings rüber bringe, Details aber ignoriere, so schaffe ich ein eigenes Setting mit eigenen Details auf Basis eines Ideensteinbruchs.

Und genau da liegt imho der Erfolg begründet. Umfangreiches Material hat sowohl die Chance für sich genommen ein nützliches Hilfsmittel zu sein, es kann auch anders als gedacht genutzt werden und zu guter Letzt auch als Inspiration für eigene Ideen dienen.

Der Punkt ist finde ich, dass es eben über einen Ideensteinbruch hinaus geht. Für mich (!) ist ein Ideensteinbruch eben genau das: Es liegen überall verteilt Brocken herum, die ich selbst zusammen basteln kann und daraus Dungeons, Ruinen, Burgen, Städte etc. formen und in Verbindung zueinander setzen. Das ist aber häufig mit kreativer Arbeit verbunden. Bei impressionistischen Rollenspielen ist die Arbeit eher rezeptiv, weil das bereits vorgegeben ist. Sich dann anders zu entscheiden ist eine Option - keine Voraussetzung wie bei einem Ideensteinbruch. ZUmindest in meiner Wahrnehmung ist das so.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 30.11.2022 | 18:52
Dankeschön, das ist alles sehr bereichernd.

Das folgende ist etwas kurz und fragmentarisch, tut mir leid; habe gerade nicht genug Konzentration, es besser zu machen.

Das "Sicherheitsnetz" würde ich in IR auch so sehen, dass es mehr der Orientierung über Plausibilitäten dient, aber nicht oder nur sehr vereinzelt zur Anwendung kommt. Wie das im Detail läuft ist recht verschieden. Kampf wird ja normalerweise schon in etwa nach den Grundregeln und auch mehr oder weniger konsequent abgehandelt. Das "Sicherheitsnetz" sind dann die Detailregeln für alle möglichen Kampfsituationen, von denen man weiß, dass sie da sind, die man aber nicht oder nur dem Eindruck nach einbringt. Analog verhält es sich bei Magie, komplexen Regeln für Schifffahrt, Reiseregeln etc. Also alle diese Dinge, die oft recht detailliert beschrieben und mit Regeln versehen sind, aber selten dem Wortlaut nach gespielt werden. Wohl aber, das wäre die Feststellung, dem allgemeinen Eindruck nach.
Man könnte vielleicht von sowas wie "Handwedeln entlang eines Sicherheitsnetzes" sprechen.

Die Ideen zu Flow finde ich auch sehr interessant.

@aikar: Vielen Dank für das Entgegenkommen.
Insbesondere den Fall der World of Darkness finde ich auch interessant. Das ist komplexer Weltenbau mit relativ einfachen Regeln - wobei ich glaube, dass auch die WoD-Sachen oft im IR-Stil gespielt wurden und werden. Kann mich aber irren.
Cthulhu ist eines der wenigen erfolgreichen Rollenspiele, welches direkt auf einer literarischen Vorlage beruht. Das verändert viel, weil der Hintergrund ja schon da ist.
Es kann gut sein, dass sich bei den in Deutschland erfolgreichen Rollenspielen bestimmte Faktoren (zufällig) überschneiden. Vielleicht (sogar recht wahrscheinlich) ist der Zufall stilbildend. Ich meine nicht, dass IR ein bewusst beabsichtigter Spielstil ist. Aber vielleicht könnte man daraus einen solchen machen. Das könnte für mich möglicherweise funktionieren, ich würde es gern mal probieren.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Lord Verminaard am 1.12.2022 | 08:43
Es scheint mir auch naheliegend, dass der impressionistische Ansatz teilweise Inkonsistenzen des Regelwerks und Settings einfach wegbügelt und dadurch sogar für mehr Glaubwürdigkeit sorgt. Dabei können natürlich von Gruppe zu Gruppe unterschiedliche Interpretationen entstehen. Das ist aber nicht schlimm, meiner Erfahrung nach ist es bei wirklich jedem Regelwerk und Spielstil so, dass für ein wirklich mitreißendes Spielerlebnis die Gruppe sich das Spiel zuerst zu eigen machen muss. 100% Kompatibilität findet man nur selten.

Das Handwedeln reduziert also nicht nur die Handling Time, sondern auch die Friktion aufgrund von Inhalten und Ergebnissen, die irgendwie nicht so richtig passen wollen. Dadurch wird das Spiel flüssiger und immersiver. Daraus haben viele eben die Schlussfolgerung gezogen, dass man doch lieber gleich ein flüssiges und immersives Spiel designen sollte. Sie wähnten die Logik auf ihrer Seite, aber es gab vielleicht ein paar Dinge, die sie übersahen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: 1of3 am 1.12.2022 | 09:23
Und genau da liegt imho der Erfolg begründet. Umfangreiches Material hat sowohl die Chance für sich genommen ein nützliches Hilfsmittel zu sein, es kann auch anders als gedacht genutzt werden und zu guter Letzt auch als Inspiration für eigene Ideen dienen.

Das scheint mir die Folgerung des ganzen Themas zu sein: Bei viel Material ist es akzeptabler Dinge davon nicht so genau zu nehmen, weil es eben zu viel ist, um alles genau zu machen. Daraus kommen dann Wahrnehmungen, dass gewisse kleine Spiele zu "verregelt" seien, auch wenn sie nach jeder quantitativen Analyse weniger Regeln hätten als dickere.

Und ja, Setting und sonstige Regeln verhalten sich da ziemlich ähnlich. Setting ist auch nur Regel.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Ma tetz am 1.12.2022 | 10:12
Ich kann mit IR viel anfangen und würde sagen, dass ich dass in den letzten Jahren eher praktiziert habe.
Gerade bei neuen System ging es mir eher darum die Designphilosophie zu erfassen und an den Tisch zu bringen, als die Regeln bzw. Settingsetzungen detailgetreu umzusetzen. Dazu nutze ich dann oft Rulings.

Wichtig ist mir dabei, dass ich dass insbesondere bei fremden Spielenden vor dem Spiel und in der konkreten Situation kommuniziere.

Bisher habe ich dazu nie negatives Feedback bekommen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 10:17
Das "Sicherheitsnetz" sind dann die Detailregeln für alle möglichen Kampfsituationen, von denen man weiß, dass sie da sind, die man aber nicht oder nur dem Eindruck nach einbringt. Analog verhält es sich bei Magie, komplexen Regeln für Schifffahrt, Reiseregeln etc. Also alle diese Dinge, die oft recht detailliert beschrieben und mit Regeln versehen sind, aber selten dem Wortlaut nach gespielt werden. Wohl aber, das wäre die Feststellung, dem allgemeinen Eindruck nach.

Mhh, aber ist dies so? Gerade bei Magie werden die Regeln eigentlich doch ebenfalls recht restriktiv angewendet. Sieht man beispielsweise hier im Forum, wenn Beispiele zu diesen Regeln hinterfragt werden. Magie wird ja auch häufig im Kampf benutzt, den du richtigerweise als "da hält man sich schon im großen und ganzen daran" betrachtest. Aber auch außerhalb der Kämpfe ist dies eigentlich ein Thema bei dem eher stark auf regelgerechtes Spiel geachtet wird.

Soll jetzt nicht heißen, das immer alle Zauber dem Wortlaut nach und mit korrekter Regelkenntnis genutzt werden. "Selten" ist aber auch falsch. Ich würde eher von "In mehr als 90% der Fälle" sprechen.

Bleiben Dinge wie Schifffahrt und Reiseregeln. Bloß: Diese sind eigentlich selten wirklich komplex. Da wird mehr oder weniger schon von den Regelwerken sehr stark über den Daumen gepeilt und einfach nur gesagt "ungefähr kommt ihr am Tag so und so weit". Woran sich eigentlich auch einfach nur ungefähr gehalten wird. Es gab immer mal wieder Versuche in den Regelwerken diese Dinge etwas spannender und umfangreicher zu gestalten. Aber das war halt was für einzelne Situationen in denen ja auch wieder die Regeln für diese Situationen genutzt werden.

Ist das ganze also wirklich nur ein Eindruck? Man müsste mal eine Umfrage machen nach dem Motto: "Wie viel Prozente der Regeln die ihr aus euren Regelwerken anwendet wendet ihr korrekt an"? Aber eigentlich würde ich da wie gesagt als Antwort eher die Mehrzahl der Antworten bei 80 %- 90% erwarten.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Ma tetz am 1.12.2022 | 10:30
Naja gerade das hiesige Forum halte ich für eine schlechte Referenz, da unterhalten sich Leute denen Regeln wichtig sind mit Leuten denen es genauso geht.

Tendenziell werden aber im IR imho ja nicht alle Regeln ignoriert. Häufig verwendete Regeln, für z.B. Kampf werden schon befolgt, aber ob Schieben, Stoßen, Ablenken zur richtigen Anwendung kommt, steht dann schon wieder auf einem anderen Blatt.

Je stärker der Einfluss auf das Spiel und den gewünschten Spielstil desto öfter wird man auf die exakten Regeln schauen. Das ist bei Zaubern imho recht häufig der Fall.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 10:39
Mhh, aber ist dies so? Gerade bei Magie werden die Regeln eigentlich doch ebenfalls recht restriktiv angewendet. Sieht man beispielsweise hier im Forum, wenn Beispiele zu diesen Regeln hinterfragt werden. Magie wird ja auch häufig im Kampf benutzt, den du richtigerweise als "da hält man sich schon im großen und ganzen daran" betrachtest. Aber auch außerhalb der Kämpfe ist dies eigentlich ein Thema bei dem eher stark auf regelgerechtes Spiel geachtet wird.

Soll jetzt nicht heißen, das immer alle Zauber dem Wortlaut nach und mit korrekter Regelkenntnis genutzt werden. "Selten" ist aber auch falsch. Ich würde eher von "In mehr als 90% der Fälle" sprechen.

Ich denke, es ist sehr viel weniger als 90% - aber ich kann mich irren. Es kommt auch nicht so darauf an. Eher darauf, dass Regelwerke komplexe Regeln für das Schaffen magischer Gegenstände, für das Brauen von Tränken etc. bereithalten, welche kaum genutzt werden. Man weiß aber halt, dass es diese gibt und hat vielleicht mal quergelesen und entsprechend einen Eindruck davon.
Bezüglich der Regeltreue in den Bereichen, in denen Regeln angewendet werden, mag es innerhalb von IR eine gewisse Bandbreite geben. Am einen Ende hat es dann schon Berührungspunkte mit reinem Erzählspiel, am anderen Ende nähert es sich dem taktischen/"crunchigen" Spiel an. Und, wie ja schon angemerkt (Lord Verminaard, vielleicht andere), gibt es auch innerhalb der Gruppen nicht unbedingt völlige Einheitlichkeit. Das ist per se kein Widerspruch, würde ich meinen; IR scheint da, innerhalb eines gewissen Rahmens, recht flexibel zu sein.

Kann gut sein, dass ich gerade bezüglich der Magie und häufig gebrauchter Sprüche daneben liege und dass die von mehr Leuten recht regeltreu abgehandelt werden, als ich vermutet hätte.

Man müsste mal eine Umfrage machen nach dem Motto: "Wie viel Prozente der Regeln die ihr aus euren Regelwerken anwendet wendet ihr korrekt an"? Aber eigentlich würde ich da wie gesagt als Antwort eher die Mehrzahl der Antworten bei 80 %- 90% erwarten.

Ich denke, dass bei Leuten, die "unaufgeklärtes" IR betreiben wenig Bewusstsein dafür besteht, dass sie "falsch" spielen oder Regelteile bewusst weglassen. Jedenfalls ist das Tanelorn dafür vermutlich kein Ort, an dem man annähernd repräsentative Ergebnisse bekommt. Ich weiß aber auch nicht, ob das wichtig ist.
Eine solche Umfrage würde nur bei Spielern funktionieren, die "aufgeklärtes" IR betreiben. Ich weiß nicht, wieviele Leute das sind.

Das Handwedeln reduziert also nicht nur die Handling Time, sondern auch die Friktion aufgrund von Inhalten und Ergebnissen, die irgendwie nicht so richtig passen wollen. Dadurch wird das Spiel flüssiger und immersiver. Daraus haben viele eben die Schlussfolgerung gezogen, dass man doch lieber gleich ein flüssiges und immersives Spiel designen sollte. Sie wähnten die Logik auf ihrer Seite, aber es gab vielleicht ein paar Dinge, die sie übersahen.

Ja, so ähnlich dachte ich das auch.
Wahrscheinlich funktioniert der Ansatz, flüssigere Regeln zu verwenden, auch tatsächlich, sobald man einen Eindruck der Spielwelt und des Spiels hat. Ich vermute schon, dass sich das auch irgendwie abkürzen lässt. Aber das scheint dem Reiz von IR keinen Abbruch zu tun. Und IR wäre grundsätzlich mit jedem Regelsystem möglich, wenn sich auch einige besser oder schlechter eignen.

Das scheint mir die Folgerung des ganzen Themas zu sein: Bei viel Material ist es akzeptabler Dinge davon nicht so genau zu nehmen, weil es eben zu viel ist, um alles genau zu machen. Daraus kommen dann Wahrnehmungen, dass gewisse kleine Spiele zu "verregelt" seien, auch wenn sie nach jeder quantitativen Analyse weniger Regeln hätten als dickere.

Und ja, Setting und sonstige Regeln verhalten sich da ziemlich ähnlich. Setting ist auch nur Regel.

Ich würde meinen, dass das dialektische Verhältnis von Spielwelt (=Setting) und Regeln ein wesentlicher Faktor für die Dynamik von IR ist. Denn IR kommt ja (vor allem?) an den Stellen zu tragen, wo sich beides widerspricht.

Aber sicherlich ist das Schöpfen aus dem Vollen in den typischen Systemen (vor allem natürlich DSA) auch ein wichtiger Faktor für die konkrete Ausformung von IR, vielleicht auch für die Entstehung der Spielweise.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: unicum am 1.12.2022 | 10:40
Midgard würde ich übrigens als echten Sonderfall sehen. Das lebt primär von seiner sehr eingeschworenen über Jahrzehnte gewachsenen Gemeinschaft.  Mich würden die Zahlen interessieren, aber ich vermute, dass das Wachstum von Midgard außerhalb der Hochburgen, die von den Alt-MItgardern gepflegt werden, extrem gering ist (Belehrt mich eines Besseren!)

"Das Regelwerk (M5) verkaufte sich wie geschnitten Brot." Aussage eines der beiden die nun an M6 für Pegasus arbeiten und der wohl guten Kontakt zu den Frankes hat.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 11:06
Ich denke, dass bei Leuten, die "unaufgeklärtes" IR betreiben wenig Bewusstsein dafür besteht, dass sie "falsch" spielen oder Regelteile bewusst weglassen. Jedenfalls ist das Tanelorn dafür vermutlich kein Ort, an dem man annähernd repräsentative Ergebnisse bekommt. Ich weiß aber auch nicht, ob das wichtig ist.

Naja, es ist die Basis für deine Überlegungen. Oder?

Wenn die Regeln zum Großteil tatsächlich wie geschrieben Anwendung finden, kann man sagen "Die Spieler nutzen sie einfach. Nicht immer perfekt regelgerecht. Aber durchaus so, dass man davon sprechen kann: Dies sind Werkzeuge welche ihnen helfen".

Wenn sie zum Großteil ignoriert würden passt wiederum eher "Die Spieler nutzen sie nicht, sie wollen nur grobe Ideen dafür bekommen was man machen könnte und basteln sich eigene Werkzeuge und nutzen die im Buch nur als Sicherheit".

Natürlich ist das am Ende eine Qualitätsfrage. Je besser die einzelnen Regelwerke Spielsituationen abdecken, je besser die Regeln dafür sind umso häufiger werden sie auch in dieser Form angewendet. Das sieht man beispielsweise auch sehr gut bei deinen Aufzählungen oben, denn die dort oben aufgezählten Spielsituationen sind teilweise sehr unterschiedlich was ihre Regeldichte betrifft. Vergleich mal z.B. den Umfang der Regeln zum Erschaffen von magischen Gegenständen mit dem Umfang der Regeln fürs Überlandreisen. Beide nennst du oben und ich würde dir zustimmen, dass beides Themen sind welche eher vage regelgerecht gespielt werden (verglichen mit anderen Themen).

Doch wie detailliert beides dargestellt wird ist sehr unterschiedlich. Wenn man der Betrachtung folgen würde "Spieler wollen detaillierte und ausführliche Regeln als Sicherheitsnetz, nutzen sie dann aber nicht weil dies zu kompliziert ist" müsste man rückfolgern können "dieser Effekt kommt vor allem zum Tragen wo Regeln detailliert und ausführlich sind" - was in unseren beiden Beispielen nur für eines gilt.

Gemeinsam haben sie aber: Es sind Regeln welche häufiger mal kritisiert werden. Und daraus könnte man folgern: Diese Regeln werden häufiger als andere ignoriert weil sie schlechter sind. Die gleichen Spieler würden bessere Regeln nutzen wenn sie diese bei diesem Thema hätten (und tun dies evtl. sogar bereits dank ihrer Hausregeln). Regeln sind letztlich nur Werkzeuge. Hilfsmittel. Was funktioniert wird genutzt, was nicht funktioniert ignoriert oder angepasst.

Impressionistische Betrachtung von Regeln ignoriert mir diesen Qualitätsfaktor zu stark bzw. verwischt den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit mit der eine Regel wie geschrieben benutzt wird und ihrer Rezeption durch die Spieler.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 11:11
Naja, es ist die Basis für deine Überlegungen. Oder?

Wenn die Regeln zum Großteil tatsächlich wie geschrieben Anwendung finden, kann man sagen "Die Spieler nutzen sie einfach. Nicht immer perfekt regelgerecht. Aber durchaus so, dass man davon sprechen kann: Dies sind Werkzeuge welche ihnen helfen".

Dass Regeln Werkzeuge sind, welche helfen, ist unbestritten. Gerade dadurch unterscheidet sich IR ja von Erzählrollenspiel.

Die Quantifizierung dürfte halt schwierig werden.

Wenn sie zum Großteil ignoriert würden passt wiederum eher "Die Spieler nutzen sie nicht, sie wollen nur grobe Ideen dafür bekommen was man machen könnte und basteln sich eigene Werkzeuge und nutzen die im Buch nur als Sicherheit".

Das bildet nicht das ab, was ich beschreiben wollte. Ich denke nicht, dass sich die Spieler bewusst eigene Regeln basteln; wohl aber, dass es in einem dialektischen Prozess dazu kommt, dass sich ein bestimmter Eindruck von Spielwelt und Regeln herausbildet, der dann bespielt wird. Das Spiel bleibt aber für IR meist so nah am Buch, dass man die Regeln im Buch nutzen könnte, was nicht möglich wäre, wenn man sich sehr weit von den Regeln entfernen würde.

Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 11:16
Dass Regeln Werkzeuge sind, welche helfen, ist unbestritten. Gerade dadurch unterscheidet sich IR ja von Erzählrollenspiel.

Mhh, wenn ich die Regeln wie du sagst "selten anwende" so würde ich diese Werkzeuge halt eben als "die helfen nicht" klassifizieren.

Oder anders herum gefragt: Wie hilft mir der Begriff Impressionistisches Rollenspiel dabei (z.B. als Spieldesigner) abzuschätzen welche meiner Regeln den Spielern helfen? Wenn ich die Qualität der Regeln als Kriterium betrachte so kann ich einem Spieldesigner sagen: Deine Regeln sollten durchdacht und getestet sein, du solltest darauf achten ob die Testspieler sie wirklich so anwenden und wie ihre Rückmeldung dazu ist.

Könnte man für eine impressionistische Betrachtungsweise etwas ähnliches formulieren?
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 11:21
Ich verstehe die Frage nicht.

Ich möchte einen Spielstil beschreiben, nicht eine Anleitung zum Schreiben von Regeln entwerfen.

Ein Problem könnte sein, dass Du Klarheit möchtest, wo keine ist. IR bedeutet, meinem Verständnis nach, auch, dass Widersprüche zugelassen werden, dass man "schlechte" Regeln spielt.
Eine Bewertung dieser Spielweise möchte ich nicht geben. Eine, nostalgisch gefärbte, Sympathie kann und will ich freilich nicht leugnen. Grundsätzlich ist der Begriff erstmal analytisch gemeint, was natürlich in der Reinform selten gelingt.

Falls Du daraus etwas ziehen kannst, ist das gut. Möglicherweise reden/schreiben wir aber auch einfach über unterschiedliche Dinge.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: RackNar am 1.12.2022 | 11:26

Da OT
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 11:29
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: RackNar am 1.12.2022 | 11:39
Alles gut, ich habe es ja noch im sonst als OT deklariert. Doch verstehe ich diese Frage nicht:

Wird der Punkt dadurch unklar?
Meinst Du damit, dass Regeln Werkzeuge sind? Das ist klar. Aber der Vergleich ist mMn falsch. Wir können darüber gerne an andere Stelle uns austauschen, sonst kapert es nur den Thread
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 11:46
Ich verstehe die Frage nicht.

Ich möchte einen Spielstil beschreiben, nicht eine Anleitung zum Schreiben von Regeln entwerfen.

Ein Problem könnte sein, dass Du Klarheit möchtest, wo keine ist. IR bedeutet, meinem Verständnis nach, auch, dass Widersprüche zugelassen werden, dass man "schlechte" Regeln spielt.
Eine Bewertung dieser Spielweise möchte ich nicht geben. Eine, nostalgisch gefärbte, Sympathie kann und will ich freilich nicht leugnen. Grundsätzlich ist der Begriff erstmal analytisch gemeint, was natürlich in der Reinform selten gelingt.

Falls Du daraus etwas ziehen kannst, ist das gut. Möglicherweise reden/schreiben wir aber auch einfach über unterschiedliche Dinge.

Im Prinzip ging es mir darum zu hinterfragen ob deine Analyse stimmt. Aus meiner Sicht tut sie das eher nicht - die Grundannahme

Zitat
warum Systeme sich großer Beliebtheit erfreuen, die eigentlich aufgrund ihrer Merkmale ungeeignet für die Spieler erscheinen.
DSA, Pathfinder, D&D, Splittermond, Midgard, haben, bei aller Unterschiedlichkeit, als gemeinsames Merkmal eine Fülle von Regeln und Mechanismen, die in Summe kaum als "spielbar" zu bezeichnen sind. Dazu kommt, dass viele Spieler und Spielleiter eher geringe und lückenhafte Kenntnisse dieser Regeln haben und diese entsprechend im Spiel nicht oder "falsch" zur Anwendung bringen.
...
Ich meine, dass die Erklärung in einem sehr verbreiteten Spielstil liegt, der bisher nicht beschrieben worden ist.

und insbesondere dieser Teil der den Spielstil dann beschreibt:

Zitat
Viele Rollenspieler wünschen sich Regeln, welche alle möglichen Situationen im Detail beschreiben und abhandeln können. Es ist nicht wichtig, das im Spiel dann tatsächlich zu nutzen, es reicht das Wissen, dass es diese Regeln gibt. Für die Praxis reichen flexible und handhabbare Lösungen, die sich grob an Eindrücken aus Regel- und Quellenmaterial orientieren. Das bedient IR.

Passt nicht zu der tatsächlichen Betrachtung wann Regeln ignoriert werden. Denn Regeln werden sowohl dann ignoriert wenn sie Situationen im Detail abhandeln können als auch wenn sie nur grob sind. Der Detailgrad der Regel selbst sagt erst einmal nichts darüber aus ob sie genutzt wird oder nicht.

Wenn ich dich richtig verstehe, so führst du den Begriff impressionistisches Rollenspiel ein um zu erklären warum Spieler Regeln / Settings mit hohem Detailgrad wünschen, dann aber einzelne Teile daraus ignorieren.

Stimmt das so weit?

Meine Aussage dazu wäre: Dafür ist die Qualität dieser Regelteile eine bessere Erklärung.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 11:51
Kann durchaus sein, dass Du da ein Problem in meinem, zugegebenermaßen auch ziemlich assoziativen, Gedankengang gefunden hast.

Wenn ich dich richtig verstehe, so führst du den Begriff impressionistisches Rollenspiel ein um zu erklären warum Spieler Regeln / Settings mit hohem Detailgrad wünschen, dann aber einzelne Teile daraus ignorieren.

Stimmt das so weit?

Ja. Außerdem geht es mir darum, einen Spielstil zu beschreiben.

Meine Aussage dazu wäre: Dafür ist die Qualität dieser Regelteile eine bessere Erklärung.

Da bin ich nicht sicher. Ich würde sagen, dass die Tradition von umfangreich beschriebenen Spielwelten und umfangreichen, überkomplexen und eigentlich-nicht-spielbaren Regeln stilbildend gewesen ist und dass das Resultat ein verbreiteter, vielleicht gewünschter Spielstil ist. Ich sage nicht, dass dem bewusste Planung zugrunde liegt.
Ich vermute außerdem, dass die zugrundeliegende Dynamik eine Art dialektische Beziehung zwischen Regeln und Spielwelt ist. Dass Welt und Regeln nicht erschöpfend durchdringbar sind, ist gerade der Witz dabei.
Das Vermute ich zur Entstehung von IR.
Das Resultat ist dann ein Spielstil, der sich auf die meisten Rollenspiele irgendwie übertragen lässt.

Wenn ich Dich richtig verstehe, dann würde ich sagen, dass IR eine Reaktion auf die Konfrontation mit "schlechten" Regeln ist. Wobei diese "schlechten" Regeln aber eben vielleicht nicht eigentlich schlecht sind, sondern eben durchaus etwas zum Spiel beitragen. Man darf sie halt nicht wörtlich anwenden wollen, das funktioniert nicht. (Und ja, man kann das ärgerlich finden und ich würde Regeln auch nicht absichtlich so schreiben).

Der Detailgrad der Regel selbst sagt erst einmal nichts darüber aus ob sie genutzt wird oder nicht.

Wollte ich auch nicht sagen. Die Handhabbarkeit einer Regel für die jeweilige Spielgruppe wird da der entscheidende Faktor sein. Und ggfs. auch die Frage, welcher Seite im Konflikt Regelverständnis-Spielwelteindruck der Vorzug gegeben wird.

Nachtrag Ma tetz schreibt unten:

Eine Regel kann ja noch so schlüssig sein, ab einer bestimmten Komplexität wird sie nicht mehr angewendet. Also bestimmt die Komplexität durchaus die Wahrnehmung der Qualität.

Sowas meine ich auch mit "Handhabbarkeite einer Regel für die jeweilige Spielgruppe". Wenn es zu komplex wird, geht es für manche (viele?) Gruppen nicht mehr so gut, auch wenn die Regeln grundsätzlich gut sind.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Ma tetz am 1.12.2022 | 12:14
@Arldwurf: Du entkoppelst Qualität von Komplexität, soweit ich Dich verstehe. Für mich ist das nicht trennbar.  Eine Regel kann ja noch so schlüssig sein, ab einer bestimmten Komplexität wird sie nicht mehr angewendet. Also bestimmt die Komplexität durchaus die Wahrnehmung der Qualität.

Außerdem sagst Du: Artefakterschaffung ist immer komplexer, als Reiseregeln. Das halte ich so auch nicht für allgemeingültig. Systeme mit Explorationsfokus, können da durchaus ausufernd sein ( z.B. verbotene Lande).

Außerdem ist Artefakterschaffung ein Minispiel für SL und einige Spieler, dass meist außerhalb der Spielsitzung stattfindet bzw. zumindest kann. Für Reiseregeln gilt das weniger, daraus resultieren ganz andere Anforderungen an die Komplexität.

Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 12:37
@Arldwurf: Du entkoppelst Qualität von Komplexität, soweit ich Dich verstehe. Für mich ist das nicht trennbar.  Eine Regel kann ja noch so schlüssig sein, ab einer bestimmten Komplexität wird sie nicht mehr angewendet. Also bestimmt die Komplexität durchaus die Wahrnehmung der Qualität.

Ja, das sehe ich ebenso - und daher würde ich beides auch nicht entkoppeln. Natürlich ist eine gute Regel nur so komplex wie nötig.

Was ich sagen wollte ist, dass sowohl komplexe als auch einfache Regeln angewendet werden und sowohl komplexe als auch einfache Regeln ignoriert werden. Dieser Kommentar beschreibt dies eigentlich ganz gut:

Die Handhabbarkeit einer Regel für die jeweilige Spielgruppe wird da der entscheidende Faktor sein.

Insofern müsste man eigentlich Felixs beschriebenen Spielstil auch auf regelarme Systeme anwenden können. Und tatsächlich: Natürlich werden auch in solchen Spielen Regeln auch mal nur grob angewendet oder abgeändert.

Bloß schmälert dies halt die Aussagekraft für die im Ausgangsposting aufgeworfene Frage "warum bevorzugen viele Spieler komplexere Regelwerke gegenüber regelleichten Varianten". Wenn die Antwort darauf wäre "Sie bevorzugen eben einen impressionistischen Spielstil" so müsste man sagen "Komplexere Regelwerke fördern diesen impressionistischen Spielstil".

Betrachte ich aber wie Felix im Ausgangsposting die Regeln beschreibt, als "kaum spielbar", "Spieler und Spielleiter haben eher geringe Kenntniss", "kaum oder falsch angewendet" so lässt sich daraus schwer ableiten wie genau dies den Spielstil eigentlich fördern sollte. Um bei der Analogie "Sicherheitsnetz" zu bleiben: Ein Sicherheitsnetz ist halt nichts worüber ich sagen würde: Das funktioniert kaum, es weiß auch keiner ob es aufgespannt wird und wie man es richtig befestigt. Eher im Gegenteil. Sicherheit ist etwas bei dem gute Kenntnis und Funktionalität sowie Anwendbarkeit entscheidende Kriterien wären.

Klingt vielleicht alles ganz furchtbar zerreißend, und dafür mag ich mich schonmal vorab entschuldigen. Aber aus meiner Sicht liegt dies daran, dass die Grundannahme und die darauf basierende Überlegung nicht so ganz zusammen passen. Es ist völlig richtig, dass Spieler in "regelschweren" Systemen auch mal Regeln ignorieren, oder das diese Systeme die Spieler sogar aktiv auffordern Regeln anzupassen oder zu ignorieren wenn sie für diese Spieler nicht funktionieren. Und das trotzdem diese Systeme beliebt sind.

Aber als Erklärung ist "Die Regeln werden ignoriert, weil sie in dieser Situation (oder manchmal auch in vielen Situationen) nicht funktionieren" eben dafür völlig ausreichend. Und hilft auch besser um die Grundfrage zu erklären. Denn auf Basis der Qualität kann ich durchaus auch erklären weshalb regelschwere Rollenspiele beliebter sind. Sie bieten mehr Werkzeuge. Ja, es stimmt. Nicht immer verwendet man das Werkzeug richtig. Manchmal wäre ein anderes besser geeignet und nicht jeder verfügbare Werkzeugkoffer (Regelwerk) hat die gleiche Qualität an Werkzeugen.

Aber der Bedarf an Hilfsmitteln ist einfach vorhanden.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: nobody@home am 1.12.2022 | 12:48
Aber als Erklärung ist "weil sie in dieser Situation (oder manchmal auch in vielen Situationen) nicht funktionieren" eben dafür völlig ausreichend. Und hilft auch besser um die Grundfrage zu erklären. Denn auf Basis der Qualität kann ich durchaus auch erklären weshalb regelschwere Rollenspiele beliebter sind. Sie bieten mehr Werkzeuge. Ja, es stimmt. Nicht immer verwendet man das Werkzeug richtig. Manchmal wäre ein anderes besser geeignet und nicht jeder verfügbare Werkzeugkoffer (Regelwerk) hat die gleiche Qualität an Werkzeugen.

Aber der Bedarf an Hilfsmitteln ist einfach vorhanden.

Das läßt sich eventuell ganz wortwörtlich übertragen. Wenn ich die Wahl zwischen zwei Werkzeugkoffern habe, von denen einer mit zwanzig Einzelwerkzeugen daherkommt und einer mit sechzig -- welchen nehme ich dann im ersten Impuls wohl eher? Natürlich den mit den sechzig, denn man weiß ja nie, was man mal braucht, und viel hilft viel...die Überlegung, daß ich mit zwanzig gut zusammengestellten Werkzeugen und etwas Improvisation vielleicht mehr anfangen kann als mit sechzig einigermaßen beliebig zusammengewürfelten und der kleinere Koffer vermutlich auch transportabler ist, kommt erst später (kann sich je nach Situation um Sekunden bis Wochen handeln...) zum Zug, und da habe ich meine Kaufentscheidung womöglich schon längst getroffen und mein Geld ausgegeben.

Daß im Kopf von Rollenspielkäufern beim Betrachten des von einem Spiel im Laden eingenommenen Regalvolumens ganz ähnliche Vorgänge ablaufen mögen, ist dann von da aus wirklich kein großer Sprung mehr. ;)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 12:49
Insofern müsste man eigentlich Felixs beschriebenen Spielstil auch auf regelarme Systeme anwenden können. Und tatsächlich: Natürlich werden auch in solchen Spielen Regeln auch mal nur grob angewendet oder abgeändert.

Ich denke, dass IR auch auf regelarme Systeme angewendet wird. Das ist aber untypisch - was anderereseits auch damit zusammenhängen dürfte, dass es kaum populäre, regelarme Systeme gibt. Cthulhu vielleicht - aber selbst das ist nicht wirklich regelarm.

Betrachte ich aber wie Felix im Ausgangsposting die Regeln beschreibt, als "kaum spielbar", "Spieler und Spielleiter haben eher geringe Kenntniss", "kaum oder falsch angewendet" so lässt sich daraus schwer ableiten wie genau dies den Spielstil eigentlich fördern sollte.

Der Spielstil IR ist quasi die Reaktion auf nicht gut handhabbare Regeln einerseits und den Wunsch, dass darin und in der Spielweltbeschreibung beschriebene zu erleben andererseits.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 12:57
Das läßt sich eventuell ganz wortwörtlich übertragen. Wenn ich die Wahl zwischen zwei Werkzeugkoffern habe, von denen einer mit zwanzig Einzelwerkzeugen daherkommt und einer mit sechzig -- welchen nehme ich dann im ersten Impuls wohl eher? Natürlich den mit den sechzig, denn man weiß ja nie, was man mal braucht, und viel hilft viel...die Überlegung, daß ich mit zwanzig gut zusammengestellten Werkzeugen und etwas Improvisation vielleicht mehr anfangen kann als mit sechzig einigermaßen beliebig zusammengewürfelten und der kleinere Koffer vermutlich auch transportabler ist, kommt erst später (kann sich je nach Situation um Sekunden bis Wochen handeln...) zum Zug, und da habe ich meine Kaufentscheidung womöglich schon längst getroffen und mein Geld ausgegeben.

Daß im Kopf von Rollenspielkäufern beim Betrachten des von einem Spiel im Laden eingenommenen Regalvolumens ganz ähnliche Vorgänge ablaufen mögen, ist dann von da aus wirklich kein großer Sprung mehr. ;)

Durchaus. Und umgedreht: Natürlich kann ich auch mit etwas ausprobieren und Erfahrung feststellen: Dieser hübsche Werkzeugkoffer der behauptet: "Mit diesem Hammer braucht man nix anderes mehr" ist manchmal nicht genug - ich hätt dann doch lieber ein wenig mehr Auswahl bei der Wahl meiner Werkzeuge"  -  ging mir z.B. bei manchen Sachen die z.B. Sachen wie Dungeon World & Co. machen so.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Maarzan am 1.12.2022 | 12:57
Ich denke, dass IR auch auf regelarme Systeme angewendet wird. Das ist aber untypisch - was anderereseits auch damit zusammenhängen dürfte, dass es kaum populäre, regelarme Systeme gibt. Cthulhu vielleicht - aber selbst das ist nicht wirklich regelarm.

Der Spielstil IR ist quasi die Reaktion auf nicht gut handhabbare Regeln einerseits und den Wunsch, dass darin und in der Spielweltbeschreibung beschriebene zu erleben andererseits.

IR kann denke ich auf regelarme Systeme nicht angewendet werden, weil : Da ist nichts, was die gemeinsame Vorstellungswelt entsprechend vermitteln kann. Ein System auf Basis einer IP ist letztlich auch bei einem 1-Seiten Regelwerk nicht regelarm, da man dann die Quellen dieser IP dazuzählen müsste.

Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 13:09
IR kann denke ich auf regelarme Systeme nicht angewendet werden, weil : Da ist nichts, was die gemeinsame Vorstellungswelt entsprechend vermitteln kann. Ein System auf Basis einer IP ist letztlich auch bei einem 1-Seiten Regelwerk nicht regelarm, da man dann die Quellen dieser IP dazuzählen müsste.

Das vermischt dann aber Regeln und Spielwelt; da würde ich nicht mitgehen. Ich meine, Regeln sind was anderes als die Spielwelt.

Der Spielstil IR lässt sich anhand regelarmer Systeme wahrscheinlich nicht entwickeln. Und vermutlich gibt es ein Mindestmaß an Regeldichte, welches gegeben sein muss. Sonst wird IR als analytischer Begriff warscheinlich zu beliebig.
Ansonsten denke ich, dass man Fälle, in denen Widersprüche oder andere Wechselwirkungen zwischen Spielwelt und Regeln in der Spielweise aufgelöst werden, auch bei relativ regelarmen Systemen zu so etwas wie IR führen können.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 13:21
Der Spielstil IR ist quasi die Reaktion auf nicht gut handhabbare Regeln einerseits und den Wunsch, dass darin und in der Spielweltbeschreibung beschriebene zu erleben andererseits.

Wie würdest du dies dann zu "Spieler wollen gut geschriebene Regeln, geben sich aber auch mit halbwegs gut geschriebenen zufrieden solange sie ihnen helfen" abgrenzen?
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 13:31
Wie würdest du dies dann zu "Spieler wollen gut geschriebene Regeln, geben sich aber auch mit halbwegs gut geschriebenen zufrieden solange sie ihnen helfen" abgrenzen?

Die Aussage halte ich für richtig. Ich würde IR dazu gar nicht abgrenzen, weil ich dazu gar nichts sagen will.
Ich bin nicht sicher, ob die Spieler primär gut geschriebene Regeln wollen, oder nicht vielmehr Regeln (und eine Spielwelt!), die ihnen helfen, einen Eindruck zu bekommen. Jedenfalls würde ich meinen, dass die Grundlage für IR eine Spielwelt und ein Regelsystem sind, welches einen Eindruck von den Möglicheiten vermittelt. Es ist nicht so wichtig, wie diese Regeln genau geschrieben sind und was sie mechanisch machen, wenn man sie dem Wortlaut nach anwendet. Es geht aber eben auch nicht ohne Regeln, denn damit hängt man dann ohne gemeinsamen Horizont in der Luft.

Ich vermute, dass Dir das alles zu wenig greifbar ist. Das ist natürlich eine Eigenart impressionistischer Herangehensweise. Ohne ein gewisses Wohlwollen gegenüber der Sache funktioniert es nicht; wenn man es zerlegen will, dann klappt das. IR scheint mir vom Konsens zu leben, dass man trotzdem spielt und sich über Unstimmigkeiten irgendwie hinwegrettet.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mir inzwischen mehrfach selbst widersprochen habe. Wenn jemand in der Lage ist, da etwas mehr Ordnung reinzubringen, und eine Art Definition zu verfassen, wäre ich dankbar. Ich schaffe das jetztnicht.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 14:17
Ich vermute, dass Dir das alles zu wenig greifbar ist.

Ja, leider.

Wenn ich jetzt zum Beispiel überlegen würde:

"Was für ein Rollenspiel ist für Spieler toll, welche impressionistisches Rollenspiel wollen? Welche Eigenschaften müsste ein Regelsystem haben, welches impressionistischen Spielstil unterstützt" fällt mir anhand der obigen Definitionen wenig ein. Oder besser gesagt: Fällt mir wenig ein, was nicht durch andere Begriffe besser beschrieben wäre.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 14:25
"Was für ein Rollenspiel ist für Spieler toll, welche impressionistisches Rollenspiel wollen? Welche Eigenschaften müsste ein Regelsystem haben, welches impressionistischen Spielstil unterstützt"

Das wiederum kann man beantworten: DSA, Midgard, Splittermond scheinen mir die typischsten Vertreter zu sein.

Die Frage nach dem Regelwerk ist eigentlich fast egal. Günstig wäre wohl eine starke Verwobenheit mit der Spielwelt und vielfältige Anregungen für mögliche Aktionen innerhalb der Spielwelt. Gleichzeitig sollte so ein Regelsytem beim Spiel auch in den Hintergrund rücken können und phasenweise ziemlich freies Spiel ermöglichen. Ein System mit viel Metazeugs führt vermutlich nicht zu IR.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 15:30
Das wiederum kann man beantworten: DSA, Midgard, Splittermond scheinen mir die typischsten Vertreter zu sein.

Ok, bloß: Inwiefern? Nimm z.B. mal DSA. Dort finden sich etliche Diskussionen darüber welche Zauber nun mit wie vielen Punkten zu zaubern sind, welche Auswirkungen das ganze haben kann und ob Zauber X als Hauszauber in Akademie B nun zu finden sei. Blicke ich mich hier im Forum unter den DSA Threads um, so werden dort durchaus Regeln auch sehr im Detail besprochen.

Ich hab DSA nun nur sehr sporadisch gespielt und bin da gewiss kein Experte. Aber das dort eher eine lockere "ach, nicht so wichtig was im Regeltext steht" Atmosphäre herrschte könnte ich nicht bestätigen. Eher das auch sehr kleinteilige Dinge im Setting und den Regeln besprochen werden und auch im Spiel landen.

Könntest du denn sagen wie genau eines der oben genannten Regelwerke Spieler unterstützt welche auf die von dir genannte Weise an die Regeln heran gehen wollen? Ich meine: Was genau ist bei den Regeln von Splittermond, Midgard und DSA so anders, dass diese Impressionistisches Rollenspiel besser unterstützen (mal angenommen es sei so) als andere Rollenspiele?

Gibt es dort überhaupt etwas an dem man es festmachen könnte?
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Settembrini am 1.12.2022 | 15:41
Re OP: Schön und liebevoll ausgedrückt. Das Wohlwollenste was ich je dazu gelesen habe.

Analytisch sehe ich keine Trennkraft zur "Trad Culture of Play". Negativ möchte ich dem Spielstil auf jeden Fall ankreiden, daß er ausgrenzend ist, da die Codes und Weglassungen fluide sind, man muß schon vorher wissen wie man sich zu benehmen hat. Dort, wo Versuche unternommen wurden, die real existierende Spielkultur auszudrücken sind höchst problematische Texte entstanden (vgl. Kiesows "Auf ein Wort") Faktisch führt das zu einer sozialen Homogenisierung der Gruppen (und allem, was da drannehängt), was man auch in Deutschland immer wieder finden kann.

Insofern, bei allem Respekt vor dem wohlmeinenden Namen: Der ausgrenzenden Schwundform wird nachträglich ein Begriff aus der Hochkultur zugeordnet. Im mindesten ein Euphemismus, im schlimmsten Falle Klassenkampf von oben. Pragmatisch sehe ich es in der Mitte: nachträgliche Beschönigung einer Schwundpraxis auf dem absteigendem Ast.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 16:43
@Arldwulf: Regelwerke unterstützen das nicht bewusst. Es ist eher eine Entwicklung, die trotz der Regelwerke geschieht. Detaillierte, aber für wörtliche Interpretation ungeeignete Regeln sind ein unterstütztender Faktor. ich bezweifle aber, dass das absichtlich so eingereichtet wurde.
Deine Einschätzung bezüglich der Spielweise von DSA teile ich nicht. Belege sind in beide Richtungen schwer beizubringen.
Die von Dir erwähnten Diskussionen würde ich großteil als eine Fortführung von IR durch den harten Kern betrachten. Ein (großer?) Teil der Spieler ist damit zufrieden, zu wissen, dass es eine Beschreibung und Regeln dafür gibt, kennt vielleicht den Namen einer Akademie für die eigene Figut, der Rest darf dem Eindruck nach vorbeifließen.
dre
Ich vermute, das ist nicht befriedigend. Tut mir leid; ich kann es nicht genauer verorten und glaube, dass das teilweise in der Natur der Sache liegt.

@Settembrini: "Traditional" trifft es in gewisser Weise vielleicht schon. Trotzdem würde ich in IR eine spezifisch deutsche Ausprägung davon sehen, mindestens eine eigenständige Unterform. (Denke zunehmend, dass es ein Fehler war, D&D und Pathfinder auch als Beispiele zu benennen - meine Referenzen sind DSA, Midgard und - weitgehend unbekannterweise - Splittermond).
Die gesellschaftspolitische Einschätzung (die ich nicht teile), würde ich gern ausgelagert sehen, wenn sie denn sein muss. Bitte eröffne dazu eine separate Diskussion, wenn es wichtig ist. Ich würde es lesen, ob ich mich beteiligen würde, weiß ich nicht. Ich habe pessimistische, aber nicht reaktionäre, Gründe, den Sinn einer solchen Diskussion zu bezweifeln.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: First Orko am 1.12.2022 | 17:21
Re OP: Schön und liebevoll ausgedrückt. Das Wohlwollenste was ich je dazu gelesen habe.

Analytisch sehe ich keine Trennkraft zur "Trad Culture of Play". Negativ möchte ich dem Spielstil auf jeden Fall ankreiden, daß er ausgrenzend ist, da die Codes und Weglassungen fluide sind, man muß schon vorher wissen wie man sich zu benehmen hat. Dort, wo Versuche unternommen wurden, die real existierende Spielkultur auszudrücken sind höchst problematische Texte entstanden (vgl. Kiesows "Auf ein Wort") Faktisch führt das zu einer sozialen Homogenisierung der Gruppen (und allem, was da drannehängt), was man auch in Deutschland immer wieder finden kann.

Insofern, bei allem Respekt vor dem wohlmeinenden Namen: Der ausgrenzenden Schwundform wird nachträglich ein Begriff aus der Hochkultur zugeordnet. Im mindesten ein Euphemismus, im schlimmsten Falle Klassenkampf von oben. Pragmatisch sehe ich es in der Mitte: nachträgliche Beschönigung einer Schwundpraxis auf dem absteigendem Ast.
Du referenzierst auf einen Text der 30(!!) Jahre alt ist und nutzt den, um den ganzen Spielstil abzuwarten, traust den Spielenden in dieser Zeit also nicht das kleinste bisschen an Reflektion und Entwicklung zu?  Ganz schön abwertend. [emoji107]️
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Arldwulf am 1.12.2022 | 17:24

Ich vermute, das ist nicht befriedigend. Tut mir leid; ich kann es nicht genauer verorten und glaube, dass das teilweise in der Natur der Sache liegt.

Nicht schlimm, ich find du gehst da eigentlich sehr gut heran und hoffe das ganze Nachfragen stört nicht zu sehr. Großes Lob auch für die Reflektion bezüglich von vielleicht vorhandenen Widersprüchen.

Nicht jede Analyse muss gleich auf Anhieb passen, manchmal sind es auch die Gedanken welche in Sackgassen münden welche auf dem Weg dorthin etwas klarer werden lassen.

Gerade als Denkanstoß. Trotzdem glaube ich, wenn ich so alles geschriebene rekapituliere: mit

"Wenn Regeln ignoriert werden..."

"...sind sie nicht gut genug"

 für mich klarer ausdrücken kann was zu diesen Effekten führt als mit

 "...dann ist dies ein Zeichen für impressionistischen Spielstil"
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 17:36
@Ardwulf: Nein, die Einwände stören gar nicht, vielen Dank für die Fragen und den freundlichen Umgang. Ich bin mir ja selbst keineswegs sicher. Irgendwas ist da, aber was genau ist es und wie beschreibt man es?

Und ja, ich kann auch eine Perspektive einnehmen, aus der ich schlecht handhabbare Regeln vor allem als defizitär wahrnehme. Es ist ja auch ein Widerspruch, dass Regeln, die ja gerade etwas regeln sollen, nicht so regelhaftig umgesetzt werden, wie man es annehmen müsste.
Zumindest finde ich die Frage interessant, was bei der Rezeption von Regeln und Spielwelten zusätzlich noch entsteht, außer mangelhafter Regelumsetzung. Das ist ein anderer Zugang zum Problem, der mir natürlich auch insofern leichter fällt, als dass ich aus einer Ecke komme, in der maßvolles Handwedeln akzeptiert wird. Die Gründe dagegen verstehe ich allerdings auch.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Settembrini am 1.12.2022 | 18:26


@Settembrini: "Traditional" trifft es in gewisser Weise vielleicht schon. Trotzdem würde ich in IR eine spezifisch deutsche Ausprägung davon sehen, mindestens eine eigenständige Unterform. (Denke zunehmend, dass es ein Fehler war, D&D und Pathfinder auch als Beispiele zu benennen - meine Referenzen sind DSA, Midgard und - weitgehend unbekannterweise - Splittermond).
Die gesellschaftspolitische Einschätzung (die ich nicht teile), würde ich gern ausgelagert sehen, wenn sie denn sein muss. Bitte eröffne dazu eine separate Diskussion, wenn es wichtig ist. Ich würde es lesen, ob ich mich beteiligen würde, weiß ich nicht. Ich habe pessimistische, aber nicht reaktionäre, Gründe, den Sinn einer solchen Diskussion zu bezweifeln.

Du weißt, wie das aussieht?

Ich bringe die Bemerkung an, "impressionistisch" könnte eine bildungsbürgerliche [!] Aufwertung einer ausgrenzenden Praxis bzw. mindestens eine Glorifizierung des nicht-Lesens [!] sein.
Du sagst: Darüber willst Du nicht reden. Und kein anderer soll hier das Argument sehen.

Ich kann nicht in Deinen Kopf gucken, unterstelle Dir nichts, aber das sieht aktuell ganz komisch aus.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 1.12.2022 | 18:32
Du weißt, wie das aussieht?

Ich bringe die Bemerkung an, "impressionistisch" könnte eine bildungsbürgerliche [!] Aufwertung einer ausgrenzenden Praxis bzw. mindestens eine Glorifizierung des nicht-Lesens [!] sein.
Du sagst: Darüber willst Du nicht reden. Und kein anderer soll hier das Argument sehen.

Ich kann nicht in Deinen Kopf gucken, unterstelle Dir nichts, aber das sieht aktuell ganz komisch aus.

Ich habe (höflich, wie ich meine) darum gebeten, die Diskussion, wenn es denn sein muss, woanders zu führen. Abgesehen von ästhetischen Erwägnungen, wäre das außerdem auch übersichtlicher. Freilich kann ich Dich nicht daran hindern, hier zu schreiben, was Du halt schreiben willst.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Achamanian am 2.12.2022 | 00:53
Zum Eingangsbeitrag:
Danke, felixs, das bringt tatsächlich sehr gut einen Großteil meiner Rollenspielerfahrung auf den Punkt (und ich verbinde sowohl Positives als auch Negatives damit).
Wir haben über Jahre hinweg DSA4 so gespielt, wie du es beschreibst – uns einerseits auf den gesamten Welt- und Regelkanon bezogen, den andererseits aber zu 90% im Hintergrund wabern lassen und eigentlich nur punktuell aufgegriffen. (Mein Lieblingsbeispiel ist, dass ich mir für meinen Weidener Ritter einmal die Reiterkampfregeln draufgeschafft habe und wir dann konkret abgemacht werden, dass du bei einer bestimmten Schlacht jetzt auch mal Anwendung finden; und das eine Mal hat das durchaus Spaß gemacht, aber es war halt alles andere als üblich, dass solche Feinheiten bei uns an den Tisch kamen.) Und trotzdem war alles wichtig, dass diese fetten Regel- und Settingbücher im Hintergrund stehen und eine gewisse (wenn auch nicht absolute) Verbindlichkeit hatten. All das gelesen hat keiner, deshalb war unser praktisch aus den Texten abgeleitetes Regel- und Weltkonstrukt tatsächlich ein interaktives Wabern.
Im Moment spiele ich in einer anderen Gruppe – und etwas bewusster – Shadowrun 6 genau so. Wenn wir Lust haben, frickeln wir uns mal kurz in was rein und schauen, ob es Spaß macht, und dann wird auch schnell wieder gehandwedelt. Ich habe – wenn es sehr hoch kommt – vielleicht 10 Prozent des Regelwerks gelesen, und dass, obwohl ich eine Schamanin spiele.


Re OP: Schön und liebevoll ausgedrückt. Das Wohlwollenste was ich je dazu gelesen habe.

Analytisch sehe ich keine Trennkraft zur "Trad Culture of Play". Negativ möchte ich dem Spielstil auf jeden Fall ankreiden, daß er ausgrenzend ist, da die Codes und Weglassungen fluide sind, man muß schon vorher wissen wie man sich zu benehmen hat. Dort, wo Versuche unternommen wurden, die real existierende Spielkultur auszudrücken sind höchst problematische Texte entstanden (vgl. Kiesows "Auf ein Wort") Faktisch führt das zu einer sozialen Homogenisierung der Gruppen (und allem, was da drannehängt), was man auch in Deutschland immer wieder finden kann.

Insofern, bei allem Respekt vor dem wohlmeinenden Namen: Der ausgrenzenden Schwundform wird nachträglich ein Begriff aus der Hochkultur zugeordnet. Im mindesten ein Euphemismus, im schlimmsten Falle Klassenkampf von oben. Pragmatisch sehe ich es in der Mitte: nachträgliche Beschönigung einer Schwundpraxis auf dem absteigendem Ast.

Die Klassenkampf-von-oben-These finde ich mehr als gewagt, im Endeffekt baust du die ja nur auf dem Umstand auf, dass es in dieser Art von RSP soziale Codes gibt, oder? Die gibt es aber überall und vor allem auch überall im RSP (und an einigen dieser Codes bin ich schon hart abgeprallt). Warum soll jetzt gerade das, was felixs IR nennt, „von oben“ kommen? Meine anekdotische Erfahrung sagt mir sogar das Gegenteil: In unserer oben beschriebenen DSA4-Gruppe war ein Dauerharzer ohne Abi Spielleiter und auch derjenige, der mit dem Herzen am meisten daran hing, genau die impressionistische Art des Spielens fortzuführen (während ich studiertes Akademikerkind immer das Ideal vor mir hergetragen habe, in Sachen Setting und Regeln transparente Systeme zu spielen, die dafür dann aber auch „vollständig“).
Die Probleme mit dem Kiesow-Text liegen ganz woanders: Er hat ja schon ganz richtig erkannt, dass das gemeinsame Spielen ohne gemeinsame Agenda (oder zumindest kooperative Agenden) tendenziell für alle frustrierend ist; nur wollte er dieses Problem eben mit autoritärer Pädagogik lösen. Das hat aber m.E. mit dem, was felixs beschreibt, an sich nichts zu tun, sondern einfach damit, dass er postuliert hat, es gäbe eine falsche ("He, mein lieber ich hab Abrichten 17!") und eine richtige (Sätze mit "Fürwahr!" beginnen und so) Art zu spielen, und fand, die richtige Art zu spielen muss im Zweifelsfall durch die SL durchgesetzt werden.
Ich wäre auf jeden Fall interessiert daran, Argumente dafür zu hören, warum gerade "impressionistisches Rollenspiel" im Gegensatz zu anderen Herangehensweisen Klassenkampf von oben sein soll. (Es sei denn, es geht dir tatsächlich nur darum, dass so ein bildungsbürgerlicher Begriff verwendet wird. In dem Fall: Okay, auch geschenkt, aber auch nicht besonders interessant und ggf. austauschbar.)
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: schneeland am 2.12.2022 | 01:00
An dieser Stelle auch von Moderationsseite die Bitte: wenn es über eine kurze Klarstellung hinaus Diskussionsbedarf zum Thema "IR & Soziale Ausgrenzung/Klassenkampf von oben" gibt, dann bitte ein Thema in Rollenspiel & Gesellschaft (https://www.tanelorn.net/index.php/board,601.0.html) eröffnen.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: HEXer am 2.12.2022 | 08:55
Und ja, ich kann auch eine Perspektive einnehmen, aus der ich schlecht handhabbare Regeln vor allem als defizitär wahrnehme. Es ist ja auch ein Widerspruch, dass Regeln, die ja gerade etwas regeln sollen, nicht so regelhaftig umgesetzt werden, wie man es annehmen müsste.

Für mich persönlich ist da kein Widerspruch. Im Gegenteil finde ich, andersrum wird ein Schuh draus. Denn um etwas regeln zu müssen, muss erstmal der Bedarf da sein, etwas zu regeln. Und wenn etwas (aus welchen Gründen auch immer) in einer Situation gerade anders, z. B. im stillen Einvernehmen oder erreichten Konsens, geregelt werden kann/soll/möchte, dann braucht man auch nicht auf vorher fixierte Regeln zurückzugreifen. Und wenn innerhalb einer Gruppe in einer Situation dieser Bedarf (aus welchen Gründen auch immer) gar nicht besteht, gibt es halt auch gar nichts zu regeln. Wir nehmen im Rollenspiel so viele Dinge als gegeben, ohne dafür Regeln zu haben (und viele Rollenspiele geben da ja selbst genügend Beispiele) und wir füllen so viele Lücken in Settings mit eigenen Ideen (oft wieder im stillen Einvernehmen bzw. im gruppeninternen Konsens). Das schließt explizit nicht aus, dass auch der Wunsch in der Gruppe besteht, etwas "offiziell" klären zu lassen. Da ist doch das Rollenspiel wieder nicht anders als das reale Leben.

Vielleicht ist das nur meine Sichtweise oder auch zu viel "do as thou wilt", aber so fahre ich im Rollenspiel am besten.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 2.12.2022 | 13:22
@HEXer: Ja, das ist auch eine mögliche Sichtweise. In meiner Spielpraxis teile ich die auch recht weitgehend. Ich vermute, dass unter Spielgruppen, die IR betreiben, diesbezüglich eine Art Kontinuum besteht. In einem Extrem werden fast keine Regeln benötigt und verwendet, in einem anderen Extrem werden schon einige Regeln benötigt und verwendet. Irgendwann schwappt es an beiden Enden dann in einen anderen Spielstil über. Wo genau da die Grenze ist, finde ich schwer zu bestimmen.

Und trotzdem war alles wichtig, dass diese fetten Regel- und Settingbücher im Hintergrund stehen und eine gewisse (wenn auch nicht absolute) Verbindlichkeit hatten. All das gelesen hat keiner, deshalb war unser praktisch aus den Texten abgeleitetes Regel- und Weltkonstrukt tatsächlich ein interaktives Wabern.
Im Moment spiele ich in einer anderen Gruppe – und etwas bewusster – Shadowrun 6 genau so. Wenn wir Lust haben, frickeln wir uns mal kurz in was rein und schauen, ob es Spaß macht, und dann wird auch schnell wieder gehandwedelt. Ich habe – wenn es sehr hoch kommt – vielleicht 10 Prozent des Regelwerks gelesen, und dass, obwohl ich eine Schamanin spiele.

Sehr schöne Beschreibung  :d

Eure SR6-Runde ist dann ja quasi ein bewusster Versuch für IR; gewissermaßen "aufgeklärtes IR". Ich meine zu erinnern, dass eine befreundete Gruppe das auch macht, also auch SR (ich glaube die Version 3) bewusst mit reduzierten Regeln spielt und mit Handwedelei an den Stellen, wo keiner die Regeln kennt oder die Regeln nerven. Wobei eben durch die Regeln alle eine Vorstellung haben, wie das so ungefähr funktionieren sollte.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: Lord Verminaard am 4.12.2022 | 18:04
Es kann Ausgrenzung geben, im Sinne von, deine Fresse passt uns nicht, du bist hier nicht willkommen. Und es kann Aktivitäten geben, die ein eingespieltes Team erfordern und deshalb, ohne diskriminierend zu sein, je eingespielter das Team ist, desto höhere Einstiegshürden haben. Letzteres kann mit ersterem Hand in Hand gehen, muss es aber selbstverständlich nicht. Das ist einfache Dialektik. Ich könnte Beispiele bilden, aber an denen hängen sich die Leute dann nur wieder auf.

Mangelnde Kompatibilität mit anderen Spielern/Gruppen ist ein Nachteil des hier beschriebenen Spielstils, wie bereits erwähnt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 4.12.2022 | 20:35
Ich teile diese Einschätzungen.

Mangelnde Kompatibilität mit anderen Spielern/Gruppen ist ein Nachteil des hier beschriebenen Spielstils, wie bereits erwähnt.

Das kann sein. Wobei ich IR für recht verbreitet halte, hauptsächlich unter "unaufgeklärten" Rollenspielern, wenn man den Begriff verwenden kann.

Ansonsten ist das mit der mangelnden Kompatibilität generell ein Problem, sobald man anfängt, sich über Spielstile Gedanken zu machen. Schon bei den Spielertypen nach Laws wird es teilweise mit der Vereinbarkeit sehr schwierig. Und Oldschool kollidiert hart mit Erzählspiel und kollidiert mehr oder weniger hart mit IR, etc.
Ich habe dazu ja schon mehrfach geschrieben, dass ich teilweise nicht ganz sicher bin, ob wir wirklich alle ein Hobby "Rollenspiel" haben, oder ob zumindest einige der Nischen nicht eigene Welten sind. Natürlich ist es aus taktischen Gründen sinnvoll, dabei zu bleiben, dass wir alle miteinander reden, weil es sich sonst grässlich zersplittert. Aber es ist schon ungefähr so, als ob Fussballer, Tischtennisler, Geocacher und Wünschelrutengänger sich in einem Verein gesellten. Was nicht schlimm sein muss. Ich genieße die verschiedenen Perspektiven sehr.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: gunware am 5.12.2022 | 14:56

Es ist ja auch ein Widerspruch, dass Regeln, die ja gerade etwas regeln sollen, nicht so regelhaftig umgesetzt werden, wie man es annehmen müsste.
Zumindest finde ich die Frage interessant, was bei der Rezeption von Regeln und Spielwelten zusätzlich noch entsteht, außer mangelhafter Regelumsetzung.
Ich habe das Gefühl, das bei der Betrachtung so bisschen die Wichtigkeit der Regelumsetzung in der jeweiligen Situation teilweise außer Acht gelassen wird.
Als Beispiel, was ich meine:
Wenn die Gruppe auf einem Schiff anheuert und in einem Seekampf verwickelt wird, ohne dass sie Einfluss auf die Steuerung des Schiffes hat, brauche ich keine Seekampf Regel. Eine zwei Session weiter, wenn die Gruppe eigenes Schiff hat, bin ich über Regel zum Schiffskampf und Ausbau eines Schiffes dankbar.

Und das ist (mindestens in meinen Augen) ein wichtiger Punkt, warum IR mit verregelten Komplexen gut auskommt. Weil die vorhandenen Regel sehr punktuell eingesetzt werden können und in anderen Situationen unter den Tisch fallen können.
Titel: Re: Impressionistisches Rollenspiel (d.i.: impression. Regel- und Weltverständnis)
Beitrag von: felixs am 6.12.2022 | 09:44
Ich habe das Gefühl, das bei der Betrachtung so bisschen die Wichtigkeit der Regelumsetzung in der jeweiligen Situation teilweise außer Acht gelassen wird.
Als Beispiel, was ich meine:
Wenn die Gruppe auf einem Schiff anheuert und in einem Seekampf verwickelt wird, ohne dass sie Einfluss auf die Steuerung des Schiffes hat, brauche ich keine Seekampf Regel. Eine zwei Session weiter, wenn die Gruppe eigenes Schiff hat, bin ich über Regel zum Schiffskampf und Ausbau eines Schiffes dankbar.

Und das ist (mindestens in meinen Augen) ein wichtiger Punkt, warum IR mit verregelten Komplexen gut auskommt. Weil die vorhandenen Regel sehr punktuell eingesetzt werden können und in anderen Situationen unter den Tisch fallen können.

Gewiss ist das ein Faktor - vieles von dem, was durch Regeln beschrieben ist, kann man einfach weglassen, weil man es gar nicht braucht.

Allerdings würde ich meinen, dass typisches IR auch dann die Regeln nicht unbedingt nutzt, wenn es sich anbieten würde. Es wäre möglich, die Regeln und Beschreibungen wären da, aber am Ende macht man (meistens) doch etwas, was sich grob an den Regeln und Beschreibungen orientiert. Dass man sich gezielt den Regelteil dafür nochmal vornimmt, das kommt zwar vor, ist aber eher selten.