- Kapitel IV –
- Der Garten -
„Kräuter und Blumen, Pilze und Nachtschattengewächse“
Im Gegensatz zum Grabmal und seinen beengten, gleichmäßig geformten Gängen ist der Wald nahezu freundlich und offen. Auch wenn kaum ein Sonnenstrahl es durch das dichte Dach der Baumwipfel über euch schafft. Die Stille jedoch ist dieselbe, nur der Wind knarzt in den Bäumen und hin und wieder schlägt ein Ast an einen anderen, was ein dumpfes Geräusch erzeugt das durch den Wald hallt. Ihr habt euch daran gewöhnt, dass der Wald sich hinter euch verändert. Das leise Rumpeln und Rascheln, wenn der Pfad verschwindet, immer dann wenn man seinen Blick abwendet ermahnt euch das dieser Wald mehr ist als nur eine Ansammlung alter Bäume.
Die Zeit zu messen fällt euch schwer aber es muss nach Mittag sein als der Wald um euch herum immer dichter wird, die Bäume stehen enger, das Unterholz wuchert höher. Unvermittelt öffnet sich der Wald und ihr steht vor einem kleinen Blockhaus das zwischen zwei großen Felsen errichtet wurde. Moos wuchert zwischen den Holzstämmen hervor und wäret ihr nicht gerade darauf zugelaufen, hättet ihr es wahrscheinlich übersehen. Wenn man jedoch direkt davorsteht ist es unverkennbar kein Werk des Waldes, jedenfalls kein natürlich gewachsenes. Das Dach der Hütte ist überseht von funkelndem Grün, durchbrochen von roten, grünen, braunen und blauen Blumen die dort in die Höhe wachsen wie eine wilde Wiese. Zwischen den Felsen fällt gerade genug Licht auf das Dach der Hütte das die Blumen dort ohne Konkurrenz mit dem Unterholz gut wachsen können.
Eine kleine aber einladende Tür hängt windschief in verrottenden Angeln und es wirkt fast so als würde die kleinste Berührung sie in ihre einzelnen Bretter zerfallen lassen.
Aino steigt die in den Lehm geschlagenen flachen Stufen empor. Rechts und links begrenzen eingeschlagene Hölzer die Stufen und langes Gras wuchert hüfthoch empor. Am Ende der Treppe erreicht die Kriegerin einen kleinen von niedrigen Felsen umgebenen Kessel. Jenseits der Felsen streben die Bäume des Waldes empor und doch wirkt es so als wäre das Kronendach hier weniger dicht. Sonnenlicht fällt in schmalen Strahlen in den Kessel und beleuchtet einen wildwuchernden Garten in dem mannigfaltige Kräuter, Pflanzen und Blumen wachsen.
Was auf dem ersten Blick wie ein wildes durcheinander aussieht hat aber System. Jede Pflanze ist dort wo sie ihre perfekten Lebensbedingungen findet.
Dann stockt Aino der Atem. Das kratzende Geräusch kommt von einem Wesen das wohl mal ein Mensch war. Jetzt spannt sich dünne Haut über Sehnen und Knochen, die Kleidung hängt in Fetzen. Das Gesicht wirkt mumifiziert, die Lippen sind zurückgezogen und geben den Blick auf ein gelbliches Gebiss frei. Dort wo die Augen sein sollten sind nur schimmelig weiße Kugeln welche tief in den ledrigen Augenhöhen sitzen. Ein aus Zweigen geflochtener Hut sitz auf dem Kopf, unter dem strähnige weiße Haare hervorragen welche der Kreatur bis auf die Schulter reichen. In seiner Hand hält er ein Werkzeug zum Furchen ziehen.
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Als er Aino bemerkt blickt er auf und ein krächzender Klang entwindet sich seinen toten Stimmbändern.
„Es sieht so aus als wenn ich Besuch bekommen würde!“ sagt das Wesen mehr zu sich selbst als zu Aino. Dann geht er dort wo er steht in die Hocke und fischt eine einzelne Blüte aus einem Busch heraus.
„Sagt mir werte Kriegerin, ist diese Blume nicht eine der sonderbarsten die aus dieser Erde sprießen.“
Mit einer Hand die fast so vertrocknet ist wie sein Gesicht und aus deren Fingern lange, gesplitterte Nägel wachsen hält er die samtig schwarze Blüte, die einen silbrigen Kelch hat in die Sonnenstrahlen welche durch das Dach des Waldes auf den Garten scheinen.
„Der gefürchtete aber wunderschöne Morgentod kann uralt werden und doch stirbt er in dem Augenblick seiner ersten Blüte, die gerade mal solange dauert wie die Sonne braucht um ihren goldenen Ball am morgen über den Rand der Welt zu heben!“
Dann blicken die eingesunkenen Augenhöhlen Aino direkt an.
„Wie kann ich helfen?“
Was früher mal ein lächeln war zieht jetzt die Lippen der Kreatur nur noch weiter auseinander und entblößt schwarzes Zahnfleisch aus dem die gelblichen Zähne herauswuchern.
„So sei es dann!“ sagt Irian und holt ein paar dicke, fleischige Stängel der Drutpemma hervor. „Der Saft dieser Stängel sollte für vier Verbände reichen. Es muss dick aufgetragen werden und die Verbände sollten für mindestens eine Nacht oder einen Tag auf der Wunde bleiben. Dann müssen sie aber gewechselt werden!“ Er legt die Stängel vor euch auf den Tisch.
„Es ist Zeit für mich zurück in den Garten zu gehen, einige Pflanzen gehen schlafen, andere erwachen erst und wollen die gleiche Pflege wie ihre Taggeschwister!“ Mit diesen Worten erhebt sich der Untote und verlässt die Hütte. Wenig später ist schon wieder das monotone Kratzen und Schabern seiner Hacke im Boden des Waldes zu vernehmen.
Die Mahlzeit hat euch satt und träge gemacht, trotzdem bestimmt ihr einen Wachrhythmus und beendet den Tag mit dem wohligen Gefühl eines vollen Magens.
Der nächste morgen bringt kalten Nebel und Feuchtigkeit perlt auf allem. Nach einem guten Frühstück macht ihr euch auf den Weg. Die Taschen voller Gemüse aus Irians Garten das euch bestimmt noch zwei oder drei Tage satt machen wird. Danach jedoch müsst ihr neue Nahrung finden.
Wie schon beim Riesen sagt ihr den Reim auf:
For all there is to wonder
How the beard grew and the treasures be spread
He who did things others could not believe
The trails to Runvid´s cairn Coldhammer lead.
Und erneut öffnet sich vor euch knackend und rumpelnd ein Pfad durch die Wildnis des Waldes. Er ist nur schmal aber zu erkennen. Eine Lücke zwischen den ganzen Bäumen welcher sich mal hier mal dorthin windet.
Kaum habt ihr Irians kleine Hütte aus den Augen verloren schließt sich der Wald hinter euch und es ist als hätte sie nie existiert.
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