ALIEN
Fade Away
Akt II
Auf und Davon
I have a constant fear that something's always near
Iron Maiden - Fear of the Dark
Das Gefühl auf das Unausweichliche zu warten, zermürbt den Geist. Jedes blinkende Licht, jedes Geräusch, das Atmen, Schlucken oder Furzen der anderen Crew-Mitglieder wird zur Zerreißprobe für den eigenen Geist. Die Wände drücken auf einen ein und die Enge der Station wird von Minute zu Minute schlimmer. Das Wissen darum, dass diese Station euer Sarg wird und eure Urne, in der das Feuer der Raffinerie euch in weniger als sechs Tagen zu Staub verbrennen wird, kratzt an der Innenseite eurer Schädelknochen. Wie ein Jucken für das es keine Linderung gibt vergiftet es eure Psyche, ihr seht es in den Augen der Anderen. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn, die Angst ist zu riechen sie ist greifbar. Ihr atmet sie alle ein.
Draußen im Weltall, knapp 1000m entfernt in den stählernen Eingeweiden der Raffinerie wurde die Büchse der Pandora geöffnet und wie ein Tumor gärt das Gemisch aus Chemikalien in den Tanks. Bereit euch zu vernichten. Und das Einzige was ihr tun könnt, ist warten. Warten auf den Augenblick, in dem die Kettenreaktion einsetzt und alles in einem Umkreis von 25 Kilometern in einer Explosion, einer kleinen Sonne gleich, vergehen lässt. Glas, Plastik, Stahl und Fleisch, alles wird verdampft und von euch bleibt nichts anderes mehr übrig als die vertragsmäßigen Abfindungen an eure Hinterbliebenen.
Doch dann ist etwas anders. Das Blinken der Lichter und das Klackern der Technik verändert sich. Ein piepender Ton erschallt, Buchstaben und Zahlenreihen huschen über die Bildschirme, die Lautsprecher erwachen knackend zum Leben und diesmal ist es keine Alarmmeldung.
„Tankstation Nexus Three die USCSS Kassandra erbittet Anflugvektor für Tankmanöver.“
Eure Augen brennen. So gespannt starrt ihr auf die Monitore, alle halten den Atem an. War es nur Einbildung, nach nur 24 Stunden? Doch dann wiederholt sich die Ansage und die automatisierte Stimme einer Schiffs-KI ist das Schönste, was ihr je gehört habt.
„Tankstation Nexus Three die USCSS Kassandra erbittet Anflugvektor für Tankmanöver.“
Rick Evanko
im Frachtraum
Ricks Herz beginnt zu hämmern. Der Puls steigt. Puls? keine Pflanze? Die Gedanken rasen. Habe ich so etwas schon einmal gesehen? Eine neue Lebensform? Was zum... Was macht das hier? Schnell stellt er den Behälter zurück, wischt sich unwillkürlich die Hände am Anzug ab. Das Pochen in den Ohren, ein stechender Schmerz im Kopf. Frontal gelagert. Stress, ich hab zu wenig getrunken.... Wann hatte Rick eigentlich zuletzt getrunken? Die Zunge klebt am Gaumen, ein Kopfschütteln, um das Gefühl loszuwerden, in der Leere des Raums zu treiben. Die Augen brennen, Schweiß ist in die Augen geronnen, der Puls steigt.
Stressreaktion. Fluchtreflex. Was ist nur los?
Rick kramt durch seine Erinnerung, da war doch etwas. Autogenes Training, Luft einatmen, halten.
SCHEISS AUF LUFT EINHALTEN! 5 VERFICKTE BETTEN. 5 BETTEN!
Kontrolle. Ich muss Kontrolle gewinnen.
Rick hustet, nur um einen Laut von sich zu geben. Er hat viel gesehen und dacht eigentlich, dass es gar nicht mehr so viel gäbe, was ihn aus der Bahn werfen kann. Vielleicht ist es auch nur die ganze Situation hier. Wie viele Stunden noch? 140?
140 Stunden! Und wir durchkämmen diesen Mistkahn, der wahrscheinlich mehr vom Löschschaum zusammengehalten wird, und unter uns geht der beschissene Reaktor hoch.
Kontrolle! Verdammt, Rick, Einatmen... Halten...
Rick hält sich am Regal hoch, konzentriert sich auf das Aufstehen, immer noch etwas wackelig auf den Füßen.
Ausatmen... Halten...
Der Blick klärt sich wieder, der Puls geht runter.
Gedanken fokussieren. Walgreen und Zavislak...
Walgreen hat sich wahrscheinlich schon in den Fuß geschossen, der Idiot, weil der Trottel seine Augen nicht von Avilés Titten losreißen kann!
Die defätistische Stimme in seinem Kopf wird leiser. Rick atmet nochmals stoßartig aus. Ein letzter langer Atemzug durch die Nase. Halten.
Stabil.
Als er McGarills Stimme hört, erschrickt er kurz, Rick war so auf sich fokussiert, dass er Isi und den zweiten Kommandanten nicht gehört hat, wieder ein stechender Schmerz im Kopf. Er dreht sich um und sieht die Schrotflinte.
"Verdammte Scheiße, McGarill, nehmen sie die verfickte Waffe weg! Auf was wollen Sie hier schießen?"
Rick deutet in die Leere des Frachtraums, auf den Löschschaum, die verformten Plastikteile, die ganze verdammte Situation. So ein dummes Arschloch!
"Ich hab es echt satt, dass sie wie ein dummer Johnny Hobo hier den Macker machen, anstelle sich um Ihren scheiß Job zu kümmern! Mit dem Dreck konnten sie die gehirnamputierten Idioten auf ihren beschissenen Hinterwäldlerplaneten beeindrucken, während Sie sich dumm gesoffen haben, aber hier brauchen wir so einen Scheiß nicht."
Erst die Sticheleien gegen Weeks, jetzt hier den Cowboy mimen. Waffen sichern, anstelle das Schiff erkunden. Anstelle die Keycard für MU/TH/UR zu suchen.
So ein dummes Arschloch!
Rick Evanko
In der Messe
Die nächste Welle an stechenden Schmerzen reißen sich durch Ricks Schädel, reißen das Hirn einmal von links nach rechts auseinander und setzen es wieder zusammen, nur um ein paar Momente später von Neuem zu beginnen. Der Schluck Soj-Kaffee zur richtigen Zeit, um das Verziehen des Gesichts zu verbergen, wird fast schon zur zweiten Natur. FUBAR!
Rick blickt sich im Raum um. Er ist wortkarger geworden in den letzten 72 Stunden. Grüblerischer. Und auch jetzt kreisen seine Gedanken immer wieder um dieselbe Frage: Wenn Rollmann Recht hat und das, was ausgetreten war, ist nicht flüchtig - warum wurde es nicht nachgewiesen, als ich die Werte untersuchte? Er blickt auf die Crew, die ebenfalls abgearbeitet aussieht, schlecht ausgeruht, überreizt. Kein Wunder.
Der Schlafentzug macht Rick zu schaffen. Er war es einmal gewohnt, unter Stresssituationen Leistung zu zeigen, doch die Jahre auf der Nexus, der Abschied vom Militärdienst und vom Krankendienst mit seinen perversen Schichten haben auch die alten, ungesunden, Gewohnheiten langsam aber sicher aus seinem Körper gewaschenen. Ich bin weich geworden. Und ein bisschen fett. Das Leben war zu langweilig geworden.
Und er bekam die Gedanken nicht aus den Kopf, es machte ihn wahnsinnig, dass er aufgrund der fehlenden Daten keine Entscheidung treffen konnte.
Hypothese 1: Mein Messgerät ist schadhaft. Konnte ausgeschlossen werden, eine Überprüfung und die Arbeit mit MU/TH/ER
haben mir gezeigt, dass es hier keine Probleme geben solle. Und dennoch... Was, wenn dieses eine Reading falsch war?
Der fehlende Schlag brachte eine weitere Seite von Rick hervor, die er in dieser Intensität nicht kannte. Und die ihm gar nicht gefiel. Zorn, endloser Zorn. Auf die Welt, auf die Nexus, auf die Kassandra. Auf alles. Und vor allem auf Weeks. Weeks, die seinen Rat zwar zustimmte, aber einfach zu wenig Rückgrat hatte, sich durchzusetzen, der Crew eine Ansage zu machen. Seine Reaktion war beschämend gewesen, er hatte sie angebrüllt, dass er hoffe, sie bekäme die erste Kugel ab, dann würde sie zumindest nicht die Luft verbrauchen. Vor der Crew. FUBAR, Rick. Inzwischen bist du FUBAR. Seine Entschuldigung hatte auch nicht viel bewirkt, Weeks und er gingen sich seitdem aus dem Weg. Fucked Up Beyond All Recognition.
Hypothese 2: Der Stoff ist nicht flüchtig, aber außerirdisch, so dass mein Messgerät ihn gar nicht erkennt.
Warum wurden dann keine Informationen über nicht zu interpretierende Daten aufgelistet? Und würde MU/TH/ER
nicht dieselben nicht-identifizierbaren Daten zumindest erwähnen?
Die endlosen Schleifen mit MU/TH/ER waren zermürbend gewesen. Rick hatte jede Sekunde gehasst und Rollmann für seine Geduld bewundert, immer wieder ein paar Infos aus dem Scheißteil herauszukitzeln. Er hatte da schon lange aufgegeben. Er hatte den Kasten angebrüllt. Hat auch nichts gebracht. Rollmann schien das nicht einmal wahrzunehmen. Passiert wohl öfter. Drecksfick-MU/TH/ER.
Hypothese 3: WeYu will nicht, dass der Stoff entdeckt werden kann. Würde zu MU/TH/ERs verhalten passen.
Die Crew wurde entsorgt, hat sich vielleicht selbst entsorgt, Pistole an Bord. Und hier sitzen wir jetzt.
Diese Hypothese hasste Rick. Sie kratzte an seinem professionellen Verständnis, er hatte allen den Hinweis gegeben, die Helme abnehmen zu können. Wie viele von ihnen habe ich auf dem Gewissen? Es gefiel ihm nicht, dass er eventuell das Todesurteil dieser Crew unterzeichnet hatte. Jones, Taylor, Wu, O’Ryan, Garcia, Brown, Williams, Murphy, ... und nun Weeks, McGarrill, Alvíres, Walgreen, Rollman, Zavislak... und Evanko. Die Namensplaketten seiner Alpträume erweiterten sich um ein paar Namen.
Rick hatte lange nicht geschlafen. Zu viele Namen.
Aber neben seinem professionellen Frust schwelte ein weiterer Zweifel in Rick. Sollte Hypothese 3 stimmen, was wird WeYu mit uns machen?
So oder so, Rick brauchte mehr Daten.
Schnell ein weiterer Schluck Kaffee, die nächste Welle an stechendem Schmerz kündigte sich an.
Er würde heute noch einmal die Daten durchgehen. Auch wenn er keine neue Geschichte ableiten kann. Aber irgendwas muss er ja tun.