- Kapitel X –
- Vorboten des letzten Winters -
„Er ist ein Elternmörder und Schlächter“
Den Rest des Tages folgt ihr dem Pfad den der gebrochene Zweig für euch frei gemacht hat. Es sind schwere Schritte und die Gewissheit das Azlahn zurückgelassen wurde bei einem Untier das euch betrogen hat lastet auf euch. Das Beste wäre es wohl wenn ihr ihn noch lebendig antrefft, aber ob der alte Lindwurm euch dieses Geschenk vergönnt ist mehr als fraglich. Hat er euch doch zum Sterben zum Braskelwurm geschickt und seine Geschichte zum Pfad zurück war eine Lüge. Vielleicht ist das euer Vorteil, er rechnet nicht damit das ihr bald wieder auf seiner Lichtung steht.
Das trübe Grün nimmt ab und zwischen den turmhohen Bäumen hält die Nacht Einzug. Eine geschützte Senke mit einer schwach sprudelnden Quelle die nicht mehr ist als ein schmaler Rinnsal zwischen Steinen ist euer Nachtlager. Das Mahl ist karg und ihr merkt das es nicht mehr sättigt. Eure Vorräte gehen zu neige und das was ihr noch habt muss portioniert werden. Der Wald ist eine lebensfeindliche Umgebung. In ihm scheint nichts zu wachsen, das euch stärken könnte. Weder seid ihr auf Wild gestoßen noch auf dessen Spuren und die gelblichen Pilze waren auch nirgendwo zu finden. Eure Mögen grummeln als ihr euch in eure Decken einrollt, das leise knacken des kleinen Feuers und das sanfte plätschern des dünnen Wasserrinnsals begleiten euch in den Schlaf.
Gylfis Nacht ist eine Ansammlung wilder Alpträume, einem Nebel aus dem es für ihn kein Entkommen gibt. Er kann Eyleegs stimme Hören und das Stampfen eines Bären, der ihm auf den Fersen ist. Egal wie sehr sich der alte Skwilde auch abmüht er kann dem Bären nicht entkommen. Der faulig stinkende Atem des Biestes ist immer hinter ihm, vielleicht nur eine Armlänge entfernt in den grauen Schwaden. Tief in sich drinnen weis Gylfi das er nicht stehen bleiben darf, sich nicht umdrehen darf, er darf sich dem Biest nicht stellen. Nicht im Traum, ein Erwachen ist sonst ungewiss und im schlimmsten Fall würde er wie Eyleeg enden. Eine verlorene Seele in dem grauen Niemandsland zwischen den Reichen der Lebenden und Helgard dem Reich der Toten.
Doch in dieser Nacht hat noch jemand anderes einen Alptraum. Ainos Hand umklammert unbewusst die Tonscherbe die ihre Großmutter ihr gegeben hat. Es wird nicht mehr lange dauern bis sich die Bedeutung der Inschrift offenbaren wird.
The events to come,
my legacy, our burden,
your greatest trial.
Aino steht ganz allein auf einem eisigen, kalten und gefrorenen Feld. Die Luft ist so dünn das sie kaum Atmen kann, die Ebene muss weit oben im Gebirge liegen. Ein dunkler Schleier liegt schwer und bedrohlich über dem Himmel. Als sie versuchst sich zu bewegen (https://www.youtube.com/watch?v=qPa0bYLYZSU) muss sie feststellen, dass ihre Füße am Boden festgefroren sind. Die Kälte ist unerträglich und Panik beginnt in Ainos Brust aufzusteigen. Dann ein Geräusch. Kriegstrommeln und Rufe, ein vielstimmiges Brüllen, doch noch kann die Kriegerin nicht erkennen was gerufen wird. In der Ferne und am Horizont des gefrorenen Feldes ziehen dunkle Gestalten auf. Aino kommt es vor als würde die Zeit stillstehen, oder als wenn die Zeit auf dem eisigen Feld keine Bedeutung hat. Jeder ihrer Atemzüge dauert Minuten. Die Gestalten nähern sich ihr mit erschreckender Geschwindigkeit. Das Dröhnen der Trommeln hallt in ihren Ohren wider und der Takt der Rufe wird schneller und schneller.
Blodug-HADDA
Blodug-HADDA
Blodug-HADDA
Der vielstimmige Chor dröhnt und verleiht dem Wort einen unheimlichen Nachdruck, als wenn es ein Kriegsschrei wäre, welcher die Festen der Erde erschüttern soll.
Ainos eigenen Bewegungen werden fahriger, langsamer. Eisiger Wind zerrt an ihrer Kleidung und sie spürst wie langsam aber sicher die Wärme ihren Körper verlässt. Eine dünne Eischicht bedeckt ihre Haut, wie die Rinde eines Baumes und am liebsten würde sie schreien, aber ihr Mund ist nicht mehr in der Lage Wörter zu formen. Müdigkeit steigt in ihr empor und du wirst immer schwächer. Die Gestalten kommen immer näher, jetzt kann die junge Kriegerin in ihre Gesichter sehen. Tote, leere Augen starren dich an.
Dann, urplötzlich verstummen die Trommeln und der Kampfruf. Es ist nichts weiter zu hören als der eisige Wind der an deiner Kleidung zieht und zerrt. Die Toten halten inne, ihr Marsch stoppt. Die Trommeln werden durch den ersterbenden Schlag deines Herzens ersetzt. Eine riesige dunkle Gestalt mit blutrotem Bart und geschwungenen Hörnern am Schädel stapft auf dich zu. Du weißt das es das Kind der Finsternis ist, dein Widersacher im letzten Kampf. Die Armee der Toten teilt sich vor dem Frostriesen bis er direkt vor dir steht. Knirschend stampfen seine Füße auf. Riesige Pranken greifen nach Ainos Kehle, krallen sich in ihr Fleisch und drücken zu. Die Berührung ist so kalt, dass es wie Feuer brennt. Mit übermenschlicher Stärke wird das Leben aus ihr herausgepresst. Die Hoffnung schwindet, Widerstand ist zwecklos, das Schicksal klar. Ainos Seele verlässt ihren Körper und die Welt um sie herum verschwindet hinter einem blassen Schleier.
Die junge Kriegerin steht am Abgrund, einem riesigen schwarzen Mahlstrom, einem düsteren Labyrinth und die Seelen der Toten zerren an ihr wie der eiskalte Wind auf dem Feld. Verzweifelt stellst sie fest das sie tot ist, wie all die anderen Seelen die hier an diesem Ort gefangen sind.
Plötzlich beschleicht sie das Gefühl einer nahenden Präsenz.
Verhängnis und Angst.
Du existierst nicht mehr, noch hast du es jemals…
Keuchend fährt Aino aus dem Schlaf hoch. Eiskristalle hängen in der Luft und ihr Atem kondensiert, doch nur einen Wimpernschlag später ist da nichts als die feuchte dumpfe Luft des Waldes.