Wir haben da ja seit einigen Tagen verschiedene Threads, in denen es darum geht, wer warum weniger Rollenspielkram kauft, warum die vielen knallbunten Crowdfundings eigentlich pöhse sind oder warum das Kaufen von Rollenspielkram ganz allgemein schädlich für die Kreativität ist. Da scheint ein regelrechter asketischer Stolz darüber zu herrschen, die eigene Kaufsucht endlich überwunden zu haben und zum Marie-Kondo-Rollenspielregal zurückgekehrt zu sein. So etwas weckt in mir natürlich ein Stückweit das schlechte Gewissen. Aber wenn ich dann etwas länger darüber nachdenke, dann merke ich, dass ein Teil von mir das ganz anders sieht.
Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass ich notorisch neugierig bin... [snip]
- Darauf kann man jetzt auf zweierlei Arten antworten, die sich ergänzen, aber halt auf zwei ganz unterschiedlichen Ebenen bewegen:
1. Ich versuche mal, Dich zu lesen statt das Argument
Dass das bei Dir zu einem inneren Konflikt führt ("Scham"), sollte im ersten Schritt immer erst zur Introspektion führen - warum habe ich einen inneren Konflikt? Welche Stimmen aus dem inneren Team sprechen da gegen einander? Warum sind die im Clinch? Wenn man den Schritt überspringt, verfängt man sich oft in Rationalisierungen, um eine der Stimmen, in der Regel die "tadelnde Eltern"-Stimme, kalt zu stellen bzw. davon zu überzeugen, dass die andere (sehr oft: "bedürfnisorientierte Kinder-Ich"-) Position "gut" und "richtig" ist. (Ich packe das alles in Anführungszeichen, weil das alles subjektive Bewertungen sind, die man genauso gut auch umkehren könnte, und auch weil die Bilder vom inneren Team und Eltern-Ich und Kind-ich auch nur Metaphern sind.)
Es gibt keine Notwendigkeit zur Rechtfertigung.
Leute wurden gefragt, was sie vom Kaufen abhält. Geantwortet haben dann logischerweise beinahe ausschließlich diejenigen, welche die Prämisse für sich akzeptieren konnten ("Ich kaufe tatsächlich weniger"). Und das waren dann ja alles ICH-Aussagen der Menschen, also aus deren Lebenssituation heraus für sich argumentiert.
Ich glaube auch nicht, dass eine andere Position bisher angegriffen wurde?
Du hast ein Recht auf andere Erfahrungen und auch andere Bewertungen. Es gibt nachvollziehbare Argumente für Verzicht und für Konsum.
Du musst Dich nicht schämen, viel zu viel Deines Geldes für immer neue Rollenspielbücher auszugeben, die Du eh nicht spielst! Du musst es nicht mal überdenken!
Aber vielleicht horchst Du nochmal in Dich, und versuchst rauszukriegen, wer Dir da gerade ein schlechtes Gewissen einreden will im inneren Team. Ich vermute ganz, ganz stark, da gehts überhaupt nicht um "Neugier" und "Askese"! ;)
2. Auf der Ebene des Arguments:
Du paraphrasierst die Positionen (ein bisschen sehr strohmännisch) als "asketischem Stolz", "Crowdfundings sind böse" und "Kaufen tötet Kreativität" und juxtaposierst das mit Deiner eigenen Neugier auf neues.
Das impliziert zumindest rhetorisch, dass jeder, der sich beschränkt, oder keine Crowdfundings mitmacht, weniger neugierig ist, oder jede die neugierig ist, nicht konsumreduziert leben kann. Das ist in meinen Augen ein falscher Widerspruch.
Ich finde, viele Beiträge haben in aller Kürze plausibel dargestellt, WARUM sie weniger konsumieren, d.h. dort eine Entwicklung skizziert haben. Entwicklung heißt nur, dass jemand Erfahrungsprozesse durchlaufen hat, und diese zu Verhaltensänderungen geführt haben. Das ist weder eine logische Gesetzmäßigkeit, noch müssen diese Verhaltensänderungen "vernünftig" sein, noch ist es eine Verortung auf einem moralischem Stufensystem, wo "viel Konsum" objektiv moralisch schlechter ist* - was Dich dann zu einer Rechtfertigung nötigen könnte, wenn Dein Konsum kritisiert würde (was außerhalb Deines Kopfes nicht geschehen ist?)
Man kann sehr wohl "Nicht mehr alles kaufen, was schöne aussieht" und "neugierig sein". Neugier ist ein schönes Wort, weil es direkt beschreibt, worum es geht: "Gier auf Neues". Und "Neues" ist hier der Knackpunkt.
Was für Dich immer wieder neu und erfrischend ist, kann für andere "same same" sein.
Man sagt ja oft, dass wir mit dem Alter unsere Neugier verlieren.
Ich glaube aber, das Problem ist einfach, mit der Wirkungsweise unseres Gehirns, das Pattern recognition zur Stressvermeidung betreibt, und damit viele bekannte Dinge nicht mehr mit erhöhter Aufmerksamkeit verarbeitet.
Deswegen vergeht die Zeit im Alter auch vermeintlich immer schneller. Alles was "Pattern" ist, wird unter der konzentrierten Bewusstseinsebene, nicht mehr als neue Tageserfahrung abgelegt, weil als "gefahrlos" erkannt. Kenne ich? Alles gut, braucht nicht in den energieintensiven und stressproduzierenden Unsicherheitsrechner, einfach weitermachen. Und das umso mehr, je mehr Stress das Gehirn eh schon bearbeiten muss. Deswegen verfliegen stressige Arbeitswochenjahre wie im Flug.
Es heißt aber nicht, dass man nicht mehr neugierig ist auf neues, nur dass sich die Definiton von ""neu" verschoben hat.
Und man kann sogar argumentieren, dass diese Vorgehensweise den Fokus auf "tatsächlich neues" lenkt (und weg vom X-ten Aufguss des gleichen).
In der Realität muss ich aber zumindest für mich kritisch festhalten, dass ich viele Dinge heute zu schnell "einsortiere", und dann rigoroser in meiner Kaufentscheidung bin als früher. Dadurch gehen mir sicherlich einige neue Impulse verloren - allerdings spare ich mir auch sehr viel Lebenszeit ein, die ich als arbeitender Familienvater einfach nicht unendlich zur Verfügung habe.
Ob mich das weniger neugierig macht als Dich, oder mehr, oder gleich, scheitert doch schon daran, dass wir dafür erstmal objektiv messbare Kriterien finden müssten. Und nur als Gefühl kann ich Dir leider nicht ins Herz gucken.
Ich freue mich aber für Dich, dass Du immer wieder Freude an neuen RSP-Büchern findest! :d
(Und das Scham-Thema kannst Du ja nochmal mit Dir selbst klären.)
*Es gibt natürlich eine ökologisch-ökonomische Bewertung, und in der ist "mehr Konsum" zumindest nach allgemeinem Dafürhalten a) umweltzerstörend und b) schlecht für die Weltgesellschaft ist (weil Kapitalismus = Ausbeutung & mehr Kapitalismus = mehr Ausbeutung, mal sehr simpel ausgedrückt).
EDITs weil zu viel Text, zu viele Fehler.