Esoterisches Thema, ich weiß ^^
Mich interessiert die Meinung von allen, die bereit sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen oder die Schlacht um Sarab Hamur womöglich schon einmal gespielt haben. Das Abenteuer gibt es nach wie vor zum Download (https://www.cedrik.net/rpg/dsa/tharun/index.html), falls jemand reinsehen will. Rück- oder Verständnisfragen beantworte ich gerne.
Kurz zum Plot:
In einer fremden Welt müssen die aventurischen Helden unter Vorgabe falscher Identitäten in die Festung des lokalen Herrschers eindringen, Gefangene lokalisieren, die Verteidigungsanlagen auskundschaften, einen Plan zur Eroberung der Festung entwerfen, ihn an die außerhalb der Festung wartenden Verbündeten kommunizieren, unbemerkt zurückkehren, hoffen, dass alles glattläuft und improvisieren, wenn Dinge nicht so laufen, wie geplant.
Das Abenteuer bietet eine Karte, eine Beschreibung der Festung und ihrer Bewohner und schildert eine Reihe von Ereignissen, an denen die Helden im Verlauf ihres Abenteuers teilnehmen. Es bietet eine Silver-Bullet-Lösung (einen Fluchttunnel, durch den die Verbündeten notfalls in die Festung eindringen können, „to save the day“, wenn die Spieler selbst nichts gebacken kriegen), ansonsten jedoch keinerlei Lösungsansätze, d. h. Meister und Spieler sind hier vollständig auf sich gestellt.
Das bietet sehr viele Freiheiten, ändert aber nichts daran, dass der ein oder andere Punkt, auf dem dann die Entscheidungen der Spieler aufbauen können und der zielführend ist, definiert werden muss, entweder durch den Meister oder bei entsprechender Einbindung durch die Spieler. Ich gehe davon aus, dass das damals Hadmar von Wiesers Konzept war, die Spielenden hier zu eigenen Designentscheidungen zu zwingen. Hier interessiert mich, ob ihr ohne einen Plan B (und ohne Plan A) als SL in das Abenteuer gehen und hoffen würdet, dass alles glattläuft oder doch lieber ein paar Alternativpläne in die Tasche zaubern würdet.
Möglich wäre es z. B., dass die Helden auskundschaften, in wie weit Wachen an den drei nach Norden gerichteten Stadttore sich gegenseitig im Sichtbereich befinden, feststellen, dass sie durch gleichzeitige Aktionen an zwei Stadttoren und einem inneren Tor die dortigen Wachen ausschalten und das Eindringen der Verbündeten ermöglichen können, auf dem Weg die Gefangenen befreien, über die Dächer zweier Gebäude in den Wirtschaftshof und in den Palast eindringen, einige Tore blockieren und den Inselherrn und seine Schwertmeister stellen, wo es dann zu den finalen Kämpfen kommt.
Mit den DSA4.1-Regeln, die im Uhrwerk-Verlag erschienen sind, ergeben sich gegenüber der DSA1 bzw. „Proto-DSA2-Variante“ aus dem ursprünglichen Abenteuer von 1988 natürlich auch noch ein paar Änderungen, von denen für mich hier die wichtigste ist, dass das Eindringen unter Vorspielung einer falschen Identität (aka „Lügen“) und der Missbrauch der Gastfreundschaft des Inselherrn zu dem Zweck, selbigen abzukurksen und selbst die Herrschaft zu übernehmen bzw. einen Gesinnungsgenossen einzusetzen, möglicherweise mit den Ehrkonzepten einiger neuerer „Heldentypen“ nicht vereinbar ist.
Hier würden mich auch Meinungen zu interessieren, ob das funktioniert.
Da ich die Abenteuer aus Sicht der Helden denke, ergeben sich für mich in Bezug auf Dramaturgie, Motivationen der Helden und die Rolle der Helden in der Kampagne ein paar Änderungen, die ich für Interessierte anfüge.
Das zweite Abenteuer gliedert sich grob in drei Abschnitte und muss drei verschiedene Dinge leisten:
1. Die Übergangszeit vom Ende des ersten Abenteuers bis zu Beginn des zweiten Abenteuers muss vom Meister* gestaltet werden können (S. 1 – 17),
2. die eigentliche Abenteuerhandlung, d. h. die Infiltration der Festung durch die Helden und der Angriff der Brigantai, muss vom Meister* gestaltet werden können (S. 17 – 50),
3. die neue Ausgangssituation (bzw. die neuen Ausgangssituationen) am Ende der Abenteuerhandlung müssen vom Meister* gestaltet werden können (S. 51 – 56).
*Ich bleibe hier bei der klassischen DSA-Bezeichnung der Spielleitung und -gestaltung. Natürlich kann es sein, dass die Gruppe die Handlung auf andere Art und Weise gestaltet und entsprechende Rollen anders verteilt. Das ändert nichts daran, dass die o. g. Probleme gelöst werden müssen.
Die Übergangszeit lässt sich grob in zwei Phasen einteilen: in der ersten Phase sind die Helden sowohl Beobachter als auch Beobachtete – die Helden versuchen, mehr über ihre „Gastgeber“ zu erfahren und gleichzeitig das bisherige Geschehen zu verstehen, während die Brigantai versuchen, den „Status der Helden“ genauer zu bestimmen. In diese Phase fällt auch das Erlernen der Sprache. Sie endet, wenn die Helden als „gleichwertige, wenn auch etwas eigenartige Mitglieder“ (A2, S. 14) akzeptiert werden.
Die eigentliche Abenteuerhandlung beginnt, als Helden und Brigantai auf dem Höhepunkt eines Festes von der Gefangennahme eines Spähtrupps um ihren wichtigsten Kämpfer Batu Batarama erfahren. Die Helden sollen als Schiffbrüchige getarnt in die Festung des Herrschers eindringen, die Gefangenen lokalisieren und die Verteidigungsanlagen auskundschaften, damit die Kämpfer der Brigantai in die Festung eindringen und sie raushauen können. Das Abenteuer geht davon aus, dass die Aktion im Großen und Ganzen Erfolg hat, der Inselherrscher und ein Teil seiner Truppen allerdings entkommen und in Folgeabenteuern Probleme machen. Grundsätzlich ist zwischen den Polen „Erfolg“ und „Fehlschlag“ ein ganzes Spektrum an Szenarien denk- und spielbar.
Im letzten Teil geht es um die Situation nach dem erfolgreichen Angriff: es muss entschieden werden, was mit den gefangenen Guerai geschehen soll und wer zukünftig als neuer Inselherrscher hofhalten soll – vor allem aber wird die neue Situation die unterschiedlichen Interessen von Schwertmeistern, die dem tharunischen Herrschaftssystem entstammen, und den in Freiheit geborenen Brigantai offenbaren, die die Gruppe spalten: Die Eroberung der Festung und die Machtübernahme auf Hamur waren unbestreitbar strategische Notwendigkeiten (s. u.), aber dennoch ein Phyrrussieg. Mit diesen Problemen konfrontiert, werden die Helden erstmals echte Führungsverantwortlichkeit übernehmen müssen. Bedrohungen von außen, die auf diese fragile Situation einwirken können, müssen ebenfalls begegnet werden.
„Ungewöhnlich an dieser Insel ist die seit Generationen zunehmende Zahl der Brigantai und auch, daß fast alle Wehrfähigen unter ihnen Schwertmeister sind. Dies hat im Lauf der Jahrzehnte zu einem eigenen Selbstverständnis der hiesigen Brigantai geführt, die sich mit einigem Recht als die Herren oder zumindest Hüter der Insel fühlen. Die derzeitige Situation ist ein Patt zwischen den kampfstarken Brigantai und den besser aus gerüsteten Guerai, die zudem zahlreicher und im Besitz der Festung sind.
Die Brigantai-Führer, Sayran Dhana und nun sein Neffe Sanyarin, haben es während der vergangenen Jahrzehnte verstanden, den Guerai die wahre Lage verborgen zu halten und ihre Herrschaft über die Dörfer scheinbar unbestritten zu lassen. Tatsächlich könnten sie jederzeit die Kontrolle über zumindest die nördliche Inselhälfte an sich reißen.“ (R2, S. 5, etwas weniger ausführlich in DWdS, S. 158)
Am Ende des ersten Teils findet der Guerai und Richter Haram Shamazin durch die Hand der Helden den Tod. Dadurch kommt Bewegung in das Machtgefüge der Insel Hamur, denn auf der Suche nach den Schuldigen fällt den Guerai ein Spähtrupp der Brigantai unter der Führung von Batu Batarama in die Hände. Den Zusammenhang können die Helden spätestens bei Nachforschungen in einem nahegelegenen Dorf verstehen.
Nicht offensichtlich ist, wie sich das Ereignis in die Gesamtsituation der Brigantai einfügt: danach ist es den Brigantai in den letzten Jahrzehnten gelungen, ihre wahre Stärke zu verschleiern und vor den Guerai verborgen zu halten. Die eigentliche Gefahr, die die Gefangennahme des Spähtrupps für die Brigantai darstellt, ist die Preisgabe von Geheimnissen unter der Folter – zu denen insbesondere die wahre militärische Stärke der Brigantai gehört.
Die Aufmerksamkeit des jetzigen Inselherrn Aidan Danhamur gilt dem Griff nach der Herrscherkrone Hashandras. Erfährt er von der geheimen Bedrohung in seinem Hinterland, wird er sofort alles daransetzen, sie zu zerschlagen:
Die Eroberung der Festung und damit die Machtübernahme auf Hamur durch die Brigantai ist eine strategische Notwendigkeit, um das Überleben der Gruppe sicherzustellen.
Den Helden ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass sie sich an einem fremden Ort, vielleicht sogar in einer fremden Welt befinden, und dass eine Rückkehr nach Aventurien oder Myranor derzeit unmöglich ist. Es kann sein (und um die Handlung voranzutreiben, ist es auch wünschenswert), dass die Suche nach einem Weg zurück eine wesentliche Motivation der Helden bleibt. Hierzu werden sie sich mit der Frage beschäftigen müssen, wer im Archipel Kilmakar oder im Reich Hashandra über das nötige Wissen verfügen könnte oder allgemein über ein hohes Maß an Gelehrsamkeit verfügt. Das könnten zum einen die Azarai der Theokratie von Odoru sein und zum anderen der Sombrai von Kil Jagor (DWdS, S. 150).
Klar ist auf jeden Fall, dass die Helden reisen müssen, und dazu brauchen sie in Tharun Schiffe und Navigatoren, Numinai, und an beides können sie nur mit einer entsprechenden Machtbasis gelangen.
Mit der Gefangennahme des Spähtrupps kommt die Befreiung der Gefangenen als zusätzliche Motivation ins Spiel, gerade dann, wenn die Helden zu einzelnen Mitgliedern ein freundschaftliches Verhältnis aufbauen konnten und wenn sie ihre Rolle in der Geschichte erkennen können. Wie bereits im ersten Teil haben sie hier die Gelegenheit, Verantwortung für ihr Handeln und damit auch für andere zu übernehmen.
Diese Motivation kann verstärkt werden, wenn den Helden der Zusammenhang zur Situation der Brigantai klar wird, worüber nötigenfalls Sanyarin Dhana informieren kann, wenn die dramaturgische Zuspitzung zu einer Alles-Oder-Nichts-Situation gewünscht ist.
Es ist auch möglich, dass einzelne Spieler den Vorschlag machen, ihre Helden überlaufen zu lassen, wenn das aufgrund ihres Hintergrundes plausibel ist. Das schafft eine Gelegenheit, um Motivationen und Optionen im Spiel zu diskutieren und darzustellen. Ein entsprechend dargestellter Held muss letztlich die Gruppenentscheidung nicht gutheißen und auch nicht für richtig halten, aber eben – notfalls grummelnd – mittragen.
Das Interesse der Brigantai besteht in der Bewahrung des Status Quos sowie im Ausbau der eigenen militärischen Stärke. Wann und wie diese Stärke eingesetzt wird, ist zunächst nicht Gegenstand ihrer Überlegungen.
Die Helden werden schnell als grundsätzlich kompetent und wertvolle Ergänzung der eigenen Fähigkeiten erkannt, allerdings ist vieles an ihnen ungewöhnlich, so dass den Brigantai zunächst daran gelegen ist, den Status der Helden zu klären.
Bei der Planung der Befreiung der Gefangenen wird Sanyarin Dhana klar werden, dass die Brigantai hier ihre gesamte Kampfkraft in die Waagschale werfen müssen, um Erfolg zu haben. (Dhana zieht es in Erwägung, „notfalls noch ein Dutzend Halbwüchsige“ mitzunehmen, die allerdings auf ihre Mission innerhalb von wenigen Tagen vorbereitet werden müssen. (A2, S. 18)
Das bedeutet aber auch, dass sie damit ihre wahre Stärke offenbaren müssen: damit stecken die Brigantai in einem Dilemma, einer Lose-Lose-Situation, in der sie nur verlieren können. Der einzige Ausweg besteht darin, hier und jetzt die Guerai vernichtend zu schlagen und die Macht auf der Insel Hamur zu übernehmen.
Der Inselherr Aidan Danhamur weiß von den Brigantai, nicht jedoch um ihre Stärke. Dass sie einen Angriff auf seine Festung wagen, kann er sich nicht vorstellen. Seine politischen Ziele liegen in der Ausweitung seines Einflusses und der Eindämmung des Einflusses seiner Konkurrenten (oder diejenigen, die er dafür hält). Sein Ziel ist der Griff nach der Herrschaft über das Reich.
Der Tod seines Richters trifft ihn schwer, weil Haram das diplomatische Bindeglied zwischen Hamur und anderen Inseln war. In den Neuankömmlingen (den Helden) erkennt er schnell Waffen, die er sich unterwerfen kann und muss, d. h. ebenso wie die Brigantai will er die Helden rekrutieren. Während des Aufenthalts wird er die Helden, ähnlich wie vorher bereits die Brigantai, fortlaufend testen, wobei sein Verhalten kaum vorhersehbar ist: Es kann sein, dass er während einer Audienz überraschend das Wort an sie richtet und sie nach ihrer Meinung zu einem vorgetragenen Anliegen fragt (um Einstellungen zu testen); es kann sein, dass er einen Helden als Jäger und Gejagter an der Menschenjagd teilnehmen lässt, ganz unabhängig davon, wie gut die Tarnung des Helden ist (um Fähigkeiten und die Bereitschaft, sich ihm zu unterwerfen zu testen); es kann sein, dass er zwei Helden mit waffenlos, mit Dolchen oder Holzschwertern gegeneinander antreten und kämpfen lässt.
Kommt es zum Kampf, wird er sich seiner Runenmagie bedienen und dabei auch die Grenzen der schwertmeisterlichen Ehre überschreiten, wenn es keine Zeugen gibt. Sollten Helden und Brigantai ihrerseits zu unehrenhaften Mitteln greifen und sich seine Niederlage abzeichnen, wird er sich der Situation entziehen.
Der Motivation der Helden besteht darin, das Überleben der Gruppe zu sichern. Die Brigantai sind Gesetzlose, die sich dem Zugriff der Vertreter der herrschenden Ordnung entziehen. Weder die Helden noch die Brigantai sind Rebellen, d. h. sie befinden sich nicht im Widerstand gegen die Ordnung selbst, denn dazu müssten sie eine positive Vorstellung einer neuen Ordnung haben.
Für Tharuner ist die herrschende Ordnung alternativlos, d. h. eine Alternative ist in Zeit und Raum schlicht nicht denkbar. Die Rolle der Helden als „Märchenerzähler“ (denn nichts anderes können sie für die Brigantai zunächst sein) besteht darin, die Idee der Möglichkeit einer Alternative nach Tharun zu bringen. Je länger der Widerstand der Helden andauert und je erfolgreicher sie dabei sind, desto deutlicher wird werden, dass diese Möglichkeit mehr ist als nur eine Idee.