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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielberichte => Thema gestartet von: Pyromancer am 18.07.2007 | 14:34
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Ein fast adeliger Großwildjäger, der mit Gewehren nicht umgehen kann und seine Beute mit dem Messer erlegt.
Ein Ex-Navy-Raumjägerpilot, zum Ritter geschlagen und durch einen Datenbankfehler des Imperialen Adels-Verheiratungs-Dienstes seit neuestem mit einem waschechten Baron verlobt.
Eben jener Baron, auf der Flucht vor dem Elternhaus und auf der Suche nach einer guten Partie.
Ein Wissenschaftler, der in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter nichts gelernt hat außer Feiern und Computerbedienen.
Und ein bodenständiger Scout, der als einziger irgendwelche nützlichen Fertigkeiten hat.
"Ihr sitzt also alle zusammen in dieser Raumhafenkneipe auf Efate (Regina-Subsektor), als plötzlich..."
Wir haben das Jahr 2007.
Ich weiß, was "gutes Rollenspiel" ist. Ich mache mir Gedanken über fokussiertes Design, gute Regeln, den Spaß am Rollenspiel, Dramaturgie, Plot, Spannungsbögen. Ich spiele den forgigsten Forge-Kram, mit Player Empowerment, ausgeklügelten Resourcenflüssen, fest verankerten Belohnungs- und Rückkopplungsmechanismen.
Aber nicht heute.
Auf dem Tisch neben mir liegt Traveller. Classic Traveller. Von 1977. Ich habe als Vorbereitung neben dem eigentlichen Plot mit Hilfe von Zufallstabellen andere Zufallstabellen erstellt. Ich hab Bodenpläne mit Quadratraster und Subsektor-Karten mit Hexfeldern ausgedruckt.
Und eben hat endlich der letzte Spieler seinen Charakter fertig ausgewürfelt. Seinen fünften. Die vier davor sind während des Erschaffungsprozesses gestorben.
Wurf auf die Polizei-Schikanierungs-Tabelle: Keine Schikanierung. Wurf auf die Zufallsbegegnungstabelle. 1D6 Wissenschaftler, mit einem Geländefahrzeug. Wurf auf die NSC-Reaktionstabelle: feindselig, könnten angreifen.
"Ihr sitzt also alle zusammen in dieser Raumhafenkneipe auf Efate (Regina-Subsektor). Ihr seht durch die großen Fenster, wie ein Geländewagen auf dem Parkplatz hält und drei Wissenschaftler aussteigen. Du (der SC-Wissenschaftler) erkennst sie. Es sind ehemalige Kollegen von der Universität Regina. Du mochtest sie schon früher nicht."
Wenn mir jemand vor 2 Jahren erzählt hätte, dass mir Rollenspiel mit Tabellen, Zufallsbegegnungen und ausgewürfelten Charakteren Spaß machen würde, da hätte ich ihn wahrscheinlich nicht ernstgenommen. Aber es funktioniert! Ich würfle auf Tabellen, rechne abstruse Modifikatoren ein, versuche, die Ereignisse irgendwie in meinen vorbereiteten Plot zu integrieren, und es macht Spaß! Und nicht nur mir, sondern auch den Spielern!
Erst fälschen sie ihre Papiere, damit sie den Job auf einem Frachtraumschiff bekommen.
Es folgt eine der abstrusesten Übernachtungs-Szenen meiner Rollenspiel-Laufbahn. Die SCs schlafen zu fünft in einem Zimmer der "Travellers' Aid Society", die Verlobten im Bett, Scout und Jäger auf dem Boden und der Wissenschaftler in der Dusche in seiner aufgeblasenen "Survival Bubble".
Die Hinreise auf dem 200t-Far Trader verläuft fast ereignislos. Der Baron lernt schrubben. Und der Bodygard des Auftraggebers macht sich an den Jäger ran, der als Steward fungiert (ja, so schön ist die NSC-Reaktions-Tabelle).
Auf dem Zielplaneten angekommen verbringt die Crew die Zeit mit Saufen, Feiern und Liedergrölen, bemerkt aber nebenbei noch, dass sie sich auf einem Piratenstützpunkt befinden und ihr Auftraggeber eine größere Menge Waffen an Bord nimmt.
Während der Rückreise überwältigen sie den Auftraggeber und dessen Bodygard hinterhältig und liefern sie auf Efate der Imperialen Justiz aus.
Leider haben sie keinen Kaperbrief, so dass das Schiff als Beweismittel beschlagnahmt wird.
"Kein Kaperbrief, kein Problem!" Sie bestechen einen Imperialen Beamten, der einen Kaperbrief rückdatiert und die Mühlen der Bürokratie zum laufen bringt, so dass sie das Schiff behalten können.
Und so fliegen sie gemeinsam in den Sonnenuntergang!
Fazit: Auch dreißig Jahre alte Rollenspiele können Spaß machen! Traveller leitet sich trotz der vielen Tabellen einigermaßen flüssig. Durch die Zufallsbegegnungen wirkt die Welt lebendig. Und wenn sich die Spieler - wie bei mir der Fall - auf das etwas abstruse System einlassen und das ganze auch noch halbwegs ("halbwegs") ernsthaft durchziehen, dann ist das Ganze ein Riesenspaß!
Herzlichen Dank an meine Spieler!
Und auf dem nächsten Treffen leite ich weiter, so dass, wer will, die restlichen zwei Drittel meines vorbereiteten Abenteuers auch noch erleben kann! ;)
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Immer gern....
Traveller ruled !!
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"Ich weiß, was "gutes Rollenspiel" ist. Ich mache mir Gedanken über fokussiertes Design, gute Regeln, den Spaß am Rollenspiel, Dramaturgie, Plot, Spannungsbögen. Ich spiele den forgigsten Forge-Kram, mit Player Empowerment, ausgeklügelten Resourcenflüssen, fest verankerten Belohnungs- und Rückkopplungsmechanismen."
Nach all diesem - sorry - grauenhaften Schauderzeugs, das nun so hip ist, stelle ich fest, daß mir eigentlich NUR noch die 30 Jahre alten Rollenspiele und Old School wirklichen und dauerhaften Spaß bereiten.
;D
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Nach all diesem - sorry - grauenhaften Schauderzeugs, das nun so hip ist, stelle ich fest, daß mir eigentlich NUR noch die 30 Jahre alten Rollenspiele und Old School wirklichen und dauerhaften Spaß bereiten.
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Das sind die ersten Anzeichen der Midlife Crisis. Zurück zu den Untaten der Jugend. >;D
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Das kann natürlich durchaus sein...
Gamermidlifecrisis.
:o
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Nach all diesem - sorry - grauenhaften Schauderzeugs, das nun so hip ist, stelle ich fest, daß mir eigentlich NUR noch die 30 Jahre alten Rollenspiele und Old School wirklichen und dauerhaften Spaß bereiten.
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Ja, es ist echt erstaunlich. Ich hab auf jeden Fall etwas Demut vor den Altvorderen gelernt. Nicht alles Rollenspielzeug des letzten Jahrtausends war schlecht!
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Nach all diesem - sorry - grauenhaften Schauderzeugs, das nun so hip ist, stelle ich fest, daß mir eigentlich NUR noch die 30 Jahre alten Rollenspiele und Old School wirklichen und dauerhaften Spaß bereiten.
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Das ist doch mal eine Aussage der ich mich völlig und von ganzem Herzen, absolut bedingungslos und ganz und gar überzeugt anschließen kann!!! ;) :D :D :D
Ja und was man erst alles ganz entspannt daraus machen kann, mit der heutigen Erfahrung, die man hat, und den naiven Ideen von damals...das ist wie ein Sandkasten des Glücks! Und keine Eltern in der nähe, die einem sagen das man sich nicht schmutzig machen soll. Oder wie man zu spielen hat, oder mit was. Seufz.
Scheh wars!
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Hihi.
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Ja, es ist echt erstaunlich. Ich hab auf jeden Fall etwas Demut vor den Altvorderen gelernt. Nicht alles Rollenspielzeug des letzten Jahrtausends war schlecht!
Hmja, mir erscheint das alles mittlerweile eher wie ein ewiger Kreislauf, denn diese ganzen Fachdiskussionen, Forgeüberlegungen, Spieler-Meister-Würfelentwicklungsressourcenkonstanten hatten wir auch schon Anfang/Mitte der 90er unter den Zähnen, bis wir nach Jahren der Testerei und zahlreicher ernüchternden Ergebnisse wieder zum entspannten Spiel zurückkehrten und dann - seltsam, seltsam - auch wieder den Spaß am Spiel entdeckten. (Damit sage ich aber nicht, daß diese Diskussionen sinnlos waren...)
Vermutlich spielt man mit 15 los, hat mit 20 genügend Erfahrung und Überblick und Interesse, sich in die pseudowissenschaftliche Schlacht ums perfekte Rollenspielen zu stürzen, ist davon mit Mitte/Ende 20 total angenervt und deprimiert und sieht die Sache Anfang 30 einfach wieder ganz locker (wenn man noch dabei ist).
:)
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Das sind die ersten Anzeichen der Midlife Crisis. Zurück zu den Untaten der Jugend. >;D
Ach was. Das ist Altersweisheit.
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Vorab: ich hab den Scout gespielt!
Nach dem ich jetzt in den Analen meiner Rollenspielgeschichte gestöbert habe:
Ich habe 1985 Traveller gespielt.
Traveller war das zweite Rollenspiel (nach DSA) das ich kennenlernte.
D&D und Sternengarde zähle ich jetzt nicht mit, da beide nur kurz ausprobiert und dann fallen gelassen wurden.
Traveller wurde (mit sehr vielen Hausregeln) dann bis 1992 (oder länger) von mir gespielt.
Das Spiel von Tobias auf dem Sommertreffen '07 hatte genau das gleiche Feeling von damals.
Und das war schön, denn es zeigte mir, dass dies noch immer möglich ist.
Denn insgeheim trauere ich diesem Traveller Feeling immer noch irgendwo nach und hatte es schon als "verklärte Nostalgie" verbucht, die man aus dem rückwärtigen Blick meint, damals erlebt zu haben, die aber wohl nie wieder kommt.
Danke dafür an Tobias. Das war ein sehr schönes Erlebnis.
Damals (mit Traveller) war nicht alles gut.
Wir hatten schlechte Spielregeln, eine grausame Charaktererschaffung und keine Ahnung vom Setting.
Und wir waren uns dessen auch bewust.
Aber wir waren begeistert und das ist der wesentliche Faktor, der es ermöglicht, auch mit gruseligen Anachronismen Spaß zu haben.
Heute sehe ich mich als "spoiled" - als verwöhnt.
Ich habe zu hohe Ansprüche und deswegen werte ich zu vieles als "schlecht" ab.
Vielleicht habe ich zu vieles gespielt und gelesen, das dieser Anspruch einfach entstanden ist.
Dementsprechend war es sehr erfrischend zu sehen, dass es auch anders geht.
Ich werde Traveller trotzdem wohl nur mal auf den Treffen spielen.
Aber es gibt ja Firefly...
Danke an Tobias für die Zeitreise!
Hoffentlich können wir diese auf dem Wintertreffen wiederholen.