Hallo Germon,
wir sind im Verein gerade in das Setting eingestiegen und haben viel Spaß damit!
Die Abenteuerideen sind militärische Operationen und enthalten als solche natürlich eine taktische Herausforderung. Aber das beschreibt das Rollenspiel nicht ansatzweise, sondern nur den Hintergrund, vor dem sich unzählige menschliche Dramen abspielen. Es handelt sich bei den Charakteren um Menschen, und die legen ihre Leidenschaften und ihre Geschichte nicht wie einen Hut an der Tür ab, wenn sie die Hl. Gelübde (Armut, Keuschheit, Gehorsam, Frömmigkeit) leisten. Hier kommt noch hinzu, dass der Militärapparat, die fanatische Kirche bzw. ihre Orden zerrissen sind und an allen Fronten kämpfen müssen: nach innen (gegen Heretiker), gegen ihre unterdrückte Bevölkerung (um Hearts&Minds), um die Vorherrschaft unter den Menschen (gegen die zum Teil absolut skrupellose Konzernunion) und gegen einen unmenschlichen Gegner mit unheiligen Kräften (die Rephaim). Du bekommst daraus neben den Militäroperationen jede Menge Ideen für individuelle Konflikte, die als Fleisch auf das in sozialer Hinsicht karge Gerippe der Kampagne gehören. Ich finde es außerdem hilfreich, ein paar einschlägige Filme/Serien der neueren Zeit gesehen zu haben (mein absoluter Favorit ist in der Hinsicht Generation Kill). Nebenbei eignet sich das Setting außerdem hervorragend dafür, im Verein bespielt zu werden, weil ich als Spielleiter auch Quereinsteiger leicht integrieren kann. Das Kartenmaterial im Buch taugt aber nur als grobe "Luftaufklärung", da die Bildausschnitte für ein taktisches Spiel viel zu klein sind (man muss die Szenarien daher mit eigenen Mitteln darstellen).
(und weil hier auch ein paar Spieler von mir auftauchen könnten noch ein spoiler:)
Kennst Du dieses One-Sheet (http://savagepedia.de/wiki/images/4/47/Onesheet_Necropolis_Das_Licht_der_Welt.pdf) schon? In dem one-sheet hat der Erste Ritter der Gruppe überraschender Weise nicht selber das Kommando über den Evakuations Konvoi. Das werde ich für den Hausgebrauch ändern und vor allem der sehr konfliktträchtigen Evakuation des Dorfes viel mehr Raum geben, bevor die Situation mit der Geburt in der Kirche und dem Einmarsch der Vorhut sich zuspitzt. Mit diesen Modifikationen sollte das Abenteuer einen schönen Mix aus sozialem Drama und taktischer Herausforderung bieten.
Schreib doch auch mal selber, was Dich am militärischen Rollenspiel "reizt", dann kann man Dir genauer sagen, ob Du es in Necropolis finden kannst.
Wir haben gerade eine Savage Tale gespielt, in der die Charaktere von "Zombies" überfallen wurden. Diese stellten sich in der Dunkelheit zu spät als Menschen heraus, denen die Zungen rausgeschnitten wurden. Allerdings war unter die Menschenmenge auch einige sog. explodierende Leichen gemischt, die bei einem Wirkungstreffer eine ziemlich verheerende Explosion auslösen. Große Konfusion, Blut, Leichen, Explosionen, großes Heldentum - Ritter, die sich mit dem blanken Schwert auf eine Leiche stürzen, um sie von den Menschen fernzuhalten, der Befehl, trotz allem weiter auf die explodierenden Leichen zu schießen, obwohl dadurch Unschuldige getötet werden (militärisch wohl nicht unvertretbar) ... dieses Blutbad (an 30 aus 40) Zivilisten wird nicht spurlos bleiben, wenn
die Helden das nächste Mal den direkten Befehl erhalten, auf Menschen (in dem Fall: verarmte Aufständische mit Knüppeln) zu schießen! In der Savage Tale "Aufruhrniederschlagung" wird daher auch daran gedacht, dass der Inquisitor, der diesen unmenschlichen Befehl gibt, von der Hand der SCs getötet werden könnte!
Das widerlegt auch deutlich diese Aussage von Chrischie:
Der Ordensritter drückt ohne mit der Wimper zu zucken ab.
Man sieht eher, trotz Indoktrination hat das individuelle Gewissen viel Platz. Das wird im Setting vorausgesetzt und erschließt sich nur durch sehr genaues Lesen, bei einer eigenen Vision von den möglichen Dramen im Militärapparat oder eben durch die Erfahrung am Spieltisch.
Chrischie hat meiner Meinung nach schon Recht das es schwierig ist aus dem GRW zu Necropolis die "richtigen" SChlüsse zu ziehen. Wiggy selber hat im TAG Forum mal geschrieben, dass es in Necropolis zwei unterschiedliche Ebenen gibt. Man kann das Setting als "wir geben den Rephaim auf die Mütze und sind die strahlenden Helden" spielen. Ansonsten muss man laut Wiggy zwischen den Zeilen lesen damit sich das Setting ganz erschließt (das fängt schon bei so einfachen Sachen an wie dem Nachteil "Heilige Gelübde"... wenn die Charaktere wirklich so harte, abgebrühte Killermaschinen sind ist ihnen doch ein Zölibat vollkommen egal genauso wie die Frömmigkeit und Armut... das stellt dann keinen Nachteil für sie dar sich an diese Regeln zu halten).
Was ich noch hinzufügen wollte ist, dass sich mir und meiner Runde Necropolis erst erschlossen hat nachdem ich die Kauf-pdfs auf dem Rechner hatte. Gerade die "Tales from the Frontline" und das Update machen klar, dass das Setting voller Intrigen steckt und jeder gegen jeden agiert. Nicht einmal der Papst traut seinen eigenen Orden (mit Ausnahme eines ganz bestimmten...). Und dass die Lazariten quasi jedesmal wenn sie auftreten Antagonisten der SCs darstellen wurde mir nach Lektüre des GRWs auch nicht klar, dazu hat es schon ein paar der offiziellen Abenteuer gebraucht.
Wenn man Necropolis 2350 anspielt ohne zuvor ein ähnliches Setting zu kennen (z.b. Engel) sucht man gar nicht aktiv nach den Lügen und Unstimmigkeiten die einem im Spielerteil des Regelwerks geboten werden.
Lazariten, Erde, Aufschwung des Papstes und seine Legitimation
Dann bleibt es wirklich ein flaches Setting ohne die ihm gebührende Tiefe. Meine Gruppe und ich sind jedenfalls froh Necropolis in aller Breite am Spieltisch genießen zu können. Wir wollen moralische Randbereiche, Friendly fire, Charaktere die Alpträume wegen ihren Befehlen haben und die Lüge die hinter jeder einzelnen Aktion steckt. Denn anders als in anderen Settings mit ähnlicher Umgebung können die Charaktere durch ihre Entscheidungen wirklich etwas bewegen anstatt nur tatenlos zusehen zu müssen (und daran zu zerbrechen). Sie sind Ordensritter, Gottes Streiter gegen das Böse im Inneren wie im Äußeren. Sie haben sich aus einem ganze bestimmten (persönlichen) Grund bei diesen Elitestreitkräften verpflichtet und nicht weil sie eingezogen wurden. Sie haben die beste Ausbildung und Ausrüstung die die Kirche bieten kann ;)...
Amen