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Pen & Paper - Spielsysteme => Systemübergreifende Themen => Thema gestartet von: Lichtbringer am 7.09.2011 | 14:58
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Nachdem im Thema zu Malmsturm die Frage nach Arkanakarten und ihrer Einbindung in andere Systeme aufkam, wollte ich hier kurz ein paar Worte verlieren.
Zuerst werde ich das Konzept der Arkanakarten erklären. Wer das schon kennt, kann den Absatz gerne überspringen.
Was sind Arkanakarten?
Ursprünglich stammt das Konzept der Arkanakarten aus dem englischen Rollenspiel Everway. Sie werden dort als Deck of Fortune bezeichnet. Für das Rollenspiel Die Chroniken der Engel wurde dieses Prinzip übernommen und der Satz Karten als Arkanakarten bezeichnet, ein Name, den ich aus ähnlichen Gründen für alle solche Systeme verwende, wie ich jedes Klebeband als Tesa bezeichne.
Bei Arkanakarten handelt es sich um einen Satz Karten, an deren Ober- und Unterseite jeweils einen Begriff steht. Als Beispiel sei hier die Karte „die Schar“ aus Engel im Anhang gezeigt, die die aufrechte Bedeutung „Zusammenhalt“ und die umgekehrte Bedeutung „Abkehr“ hat.
Die Karten werden so gemischt, dass man sie zufällig aufrecht oder umgekehrt ziehen kann.
Wenn eine Situation dadurch entschieden werden soll, zieht man eine Karte und interpretiert den unten stehenden Begriff auf die Begebenheit. Auf diese Weise können neue Impulse ins Spiel gebracht werden.
Wenn es beispielsweise darum geht, wie die Verhandlungen mit einem Diadochen laufen, und der Spieler die Bedeutung „Enthüllung“ zieht, so könnte er daraus interpretieren, dass offensichtlich wird, dass der Diadoche gar kein Interesse an dem Geschäft hat.
Man sollte diesen Einsatz der Arkanakarten als Entscheidungshilfe nicht mit einer Probe im klassischen Sinne verwechseln. Die Karten bilden einen Anhalt, mit dem man die Entwicklung einer Szene beeinflusst, nicht den Erfolg oder Misserfolg von Einzelaktionen bestimmt. Sie bilden die Fähigkeiten eines Charakters nicht ab – diese sollten jedoch bei der Interpretation berücksichtigt werden.
Zusätzlich zu diesem bereichernden Einsatz als Entscheidungshilfe im Spielgeschehen können Arkanakarten auch als Inspirationsquelle für Charakterentscheidungen, Abenteuerideen, Nichtspielercharaktere und vieles mehr verwendet werden. Auch spannende Kämpfe kann man damit abbilden. (Zu diesen Möglichkeiten habe ich in der Zunftblattausgabe Engel und Dämonen (https://www.lorpshop.de/product_info.php/info/p6791_Zunftblatt--8--4-2-2010-.html/XTCsid/9a7fedf1c96c16ce45eac3dfd150198a) einen Artikel veröffentlicht.)
Welche Arkanasysteme gibt es?
Generell eignen sich Arkanakarten für alle erzähllastigen Spiele. Da sie die Fähigkeiten von SC nicht mittels Werten abbilden, können sehr unterschiedliche Wesenheiten (Menschen, Geister, Formwandler, intelligente Tiere, Schatten…) mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten (Bettler, Adeliger, Spezialagent…) dargestellt werden. Da ohne die Werte die Macht der Charaktere nicht bewusst in den Vordergrund tritt, habe ich es auch noch nie erlebt, dass es Probleme gibt, weil die SC unterschiedlich mächtig sind. Das ist schlichtweg unwichtig.
Everway ist seit Jahren nur noch gebraucht erhältlich. Die Chroniken der Engel wurde zwar vor kurzem zum Abschluss gebracht, ist jedoch noch erhältlich. Beide Systeme sind vollständig mit Buch, Erklärung und Weltbeschreibung.
Dann gibt es seit kurzem noch Idee!. Das Universalrollenspiel umfasst nur einen Kartensatz, der universell einsetzbar ist. Bisher gibt es die Version Ad Astra, die Sternbilder als allgemeine Motive verwendet.
Natürlich kann man mit etwas Erfahrung auch leicht eigene Arkanakarten entwickeln, wenn man die richtigen Programme dafür besitzt. Ich persönlich habe bereits Arkanakarten für die Scheibenwelt, Phantásien (die Welt der Unendlichen Geschichte) und allgemein Fantasy entwickelt. Die meiste Erfahrung habe ich mit Phantásien gesammelt, das in seiner Vielfältigkeit meine Erwartungen bei weitem übertroffen hat.
Wie man Arkanakarten in andere Systeme einbindet
Ein Arkanasystem kann durchaus als zentraler Spielmechanismus für eine ganze Kampagne verwendet werden. Meiner Erfahrung nach bietet es sich dabei an, einen Mechanismus zur Spielerermächtigung einzubauen, so dass nicht der Eindruck entsteht, der Spielleiter treffe am Ende alle Entscheidungen.
Genauso gut können die Karten auch zur Bereicherung des Spiels als Ergänzung zu einem gewöhnlichen System verwendet werden (und natürlich des Weiteren Spielern und Spielleiter als Inspirationshilfe dienen).
Dazu bieten sich vor allem Systeme an, die Mechanismen zur Spielerermächtigung haben, wie FATE. Ein Beispiel dazu, wie man dies angehen könnte, hatte ich schon im Malmsturm-Thema geschrieben:
Ein unfertiger Arbeitsvorschlag wäre dieser:
"Behauptungen" sollten normalerweise nur klein sein oder einen Aspekt oder eine Fertigkeit auf ihrer Seite haben.
Stattdessen kann ein Spieler (der eine Situation gerne deutlich beeinflussen möchte, weil er an dieser Stelle einen Handlungsumbruch spannend fände, aber nicht weiß, in welche Richtung es gehen soll, oder der SL ihm nicht einfach das Ruder komplett überlassen will) einen Schicksalspunkt ausgeben und dafür eine Arkanakarte ziehen und interpretieren. (Hier bieten sich recht eng umrissene Begriffe an, so dass diese nicht beliebig verdreht werden können.)
Wenn dem Spieler die Bedeutung massiv missfält, kann er für einen weiteren SP die Karte um 180° drehen. Der SL kann hier dagegen bieten, wenn er möchte. Vielleicht mag man dies auch anderen Spielern erlauben, das ginge dann etwas in Richtung Universalis. (Hier bieten sich ein paar Karten wie "der Herr der Fliegen" an, die recht extrem sind und in beiden Ausrichtungen die gleiche Bedeutung haben. Das erzeugt mehr Spannung, weil man gewisse Konsequenzen nicht komplett abwenden kann.)
Dann stellt sich natürlich die Frage, welches Arkanadeck man dafür verwenden mag. Am besten bietet es sich sicherlich an, sich eigene Karten speziell für das Spiel oder das Genre zu erstellen.
Von den käuflich erhältlichen Kartendecks, sollte man mit Vorsicht auswählen. Engel und Everway haben den Nachteil, dass sie speziell für eine Welt geschrieben sind und daher viele dieser Motive aufgreifen. Dafür sind die Begriffe, die sie liefern, gut in andere Systeme einbindbar.
Idee! ist zwar universell, doch die Bedeutungen der Karten sind oft wertend in Richtung Erfolg und Misserfolg, so dass sie nahe an der Aufgabe der Proben liegen, die sich in einem normalen System bereits finden. So gern ich Idee! mag, es ist doch vor allem ein eigenständiges Rollenspiel, das sich nicht so leicht mit klassischen Systemen kombinieren lässt. (An einem Kartensatz, der beides kann, und einem dazu gehörigen Regelwerk, das Arkanakarten genauer auslotet, fehlt es leider noch.)
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Ich kannte den Begriff eigentlich nur im Zusammenhang mit Tarotkarten, aber danke für die erhellende Erklärung!
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Ich kannte den Begriff eigentlich nur im Zusammenhang mit Tarotkarten, aber danke für die erhellende Erklärung!
...woher der Begriff vermutlich tatsächlich stammt?
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Ja, tut er. Es ist an die Großen Arkana angelehnt. Da Arkana bzw. arcana bloß lateinisch für "Geheimnisse" ist, war mir das nie so wichtig...
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Wieso umbauen oder vermeintliches bereichern, wenn man mit Everway eh alles spielen kann?
Sonst geht mir die Geschichte von Everway noch nicht weit genug, ich habe zur Tanelorn Challenge 2009 ein Spiel entwickelt, das man als Mix aus Theatrix, Amber Éverway, Western City und Stride betrachten könnte.
Handlungen werden anhand eines deterministischen Systems gewertet und erzählerisch umgesetzt.Nur in den großen Momenten des Rollenspieles (Spotlightszenen) zur Entscheidungsfindung genutzt.
Die Spieler können das dann fast wie Freeform spielen, aber der SL hat verschiedene Mittel die ihm helfen die Geschichte zu strukturieren.
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Wieso umbauen oder vermeintliches bereichern, wenn man mit Everway eh alles spielen kann?
Diese Aussage entspricht nicht mal annähernd meinen Erfahrungen. Zunächst einmal gibt es viele Spieler, die lieber noch einen Zahlenmechanismus als Spannungsgeber und Entscheidungsanhalt bevorzugen. Es erzeugt dann ein deutlich anderes Spielgefühl.
Des Weiteren bin ich von Everway nicht so richtig begeistern. Die verwendeten Arkanakarten entsprechen irgendwie nicht meinem Geschmack. Außerdem sind die Motive primär klassische Fantasy, sowohl was den Kontext als auch die Auswahl angeht. Daher passe ich mir die Karten lieber an eine Spielwelt an.
Sonst geht mir die Geschichte von Everway noch nicht weit genug, ich habe zur Tanelorn Challenge 2009 ein Spiel entwickelt, das man als Mix aus Theatrix, Amber Éverway, Western City und Stride betrachten könnte.
Schön, dass ich nicht der Einzige bin, der schamlose Eigenwerbung betreibt. >;D
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Wieso umbauen oder vermeintliches bereichern, wenn man mit Everway eh alles spielen kann?
Vielleicht, weil Everway englisch ist und das Engel/Arkana System bekannt und verbreitet ist,
man die Karten kaufen kann (im gegensatz zu Everway) und man auf mehr Akzeptanz stößt...?