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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Rezensionen => Thema gestartet von: asri am 5.06.2012 | 18:07
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Jay Little hat als Game Designer für Fantasy Flight Games unter anderem die dritte Edition von Warhammer Fantasy Roleplay entwickelt. Er starb Dienstag Nachmittag, am 24. Mai 2011, vor wenig mehr als einem Jahr.
Dies ist das Buch, das er anschließend schrieb.
Nach seinem plötzlichen Herztod und längerer Zeit ohne Sauerstoff konnte er wiederbelebt und an zig Geräte angeschlossen werden. Einige Komplikationen später wurde er aus dem künstlichen Koma zurückgeholt. Come Back to Me ist der Bericht seiner Krankengeschichte. Aber warum sollte man das lesen?
Erstens erzählt Jay Little in dem Buch eine erstaunliche (aber wahre) und unterhaltsame Geschichte. Zweitens erfährt man eine ganze Menge darüber, was er außer den medizinischen Prozeduren sonst noch so alles durchmacht: vor allem mentale und emotionale Belastungen sowie Langzeitauswirkungen. Drittens bleibt der Autor angenehm geerdet - wer eine kitschige Story voll Herzschmerz und Wunderheilung befürchtet, dürfte enttäuscht sein. Jay Littles Bodenständigkeit auch bei schwierigen Themen (Sinnfragen beispielsweise) hat mir gut gefallen. Viertens kann man mittels des Buches, wenn man möchte, einen neuen Blickwinkel auf das eigene Leben einnehmen: Was betrachten wir alles in unserem Leben als selbstverständlich? Was ist uns wirklich wichtig? Natürlich kann man sich diese Fragen auch einfach so stellen. Aber mir ist es lieber, zu solchen "Gedankenspielen" durch eine gute Lektüre angeregt zu werden, und dadurch auch meine Sicht mit der von jemand anderem vergleichen zu können.
Was steckt also alles in dem Buch? Der erste Teil beinhaltet die ursprünglichen Einträge aus einem Online-Tagebuch, dass Littles Ehefrau geführt hat, um Freunde und Verwandte auf dem Laufenden zu halten, nachdem ihr Mann gestorben und wiederbelebt worden war. Immer wieder sind hier Kommentare von Jay Little eingefügt. Der zweite und größere Teil des Buches setzt sich aus Kapiteln zusammen, die verschiedene Aspekte beleuchten. Obwohl diesen einzelnen Kapiteln keine Chronologie oder inhaltlich logische Abfolge mehr zugrundeliegt und der Text etwas sprunghaft wird, funktioniert er meines Erachtens immer noch als Ganzes.
Das Kapitel, das mir am besten gefallen hat, heißt „Jedi Mind Tricks“ und behandelt die Wahnvorstellungen, die Jay Little (während seiner langen Sedierung, also im künstlichen Koma) entwickelt hat - und die abzuschütteln gar nicht so leicht war. Die vielen Beispiele sind einerseits bunt gemischt und lustig, andererseits schrecklich und fies: mal abgefahren, mal nur ein wenig surreal, mal beängstigend und mal herzzerreißend. Es bringt nichts, hier etwas davon wiederzugeben, glaube ich: lest es selbst.
Ganz hübsch finde ich, dass immer mal wieder durchkommt, dass Jay ein Gamer und totaler Spielenarr ist. Das schlägt sich in seinen Wahnvorstellungen ebenso nieder wie in seinem ersten Satz, den sagte, als er wieder das Bewusstsein erlangte. Im „Tagebuch“ seiner Frau steckt auch eine Anspielung auf Order of the Stick...
Schreiben sei für ihn ausgesprochen kathartisch und hilfreich auf dem langen Weg der Genesung, sagt Little. Das Buch endet recht hoffnungsvoll - aber wenn man seinen Blog (http://www.paintedthumb.com/) durchstöbert, merkt man, dass der Autor immer noch mit zahlreichen Problemen und langfristigen Nachwirkungen zu ringen hat. Also: Gute Besserung, Jay!
Jay Little: Come Back to Me. A Story of Dying and Everything After. Lulu 2012. ISBN 978-1-105-48350-9
E-Book: 5,29 €
Paperback: 9,07 €
http://www.paintedthumb.com/comebacktome/