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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielleiterthemen => Werkstatt => Thema gestartet von: Grey am 6.08.2013 | 11:08

Titel: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 11:08
Ausgehend von diesem Zitat hier:
Das ist aber wirklich stark vom Wertesystem abhängig, was als sinnvoll/sinnlos betrachtet wird.
... habe ich mir Gedanken gemacht, wie man die Frage nach "sinnvoll/sinnlos" möglichst allgemein halten könnte. Die Frage "Was ist dein Platz in der Welt" läßt sich - etwas konkreter - folgendermaßen formulieren:

"Was fehlt der Welt, wenn du nicht da bist?" (I)

Und es ist wohl für jeden unbefriedigend, diese Frage mit "nichts" zu beantworten.

Was den Menschen fehlen würde, denen du persönlich etwas bedeutest (Freunde, Familie etc.), ist eine Sache für sich und ein wesentliches Standbein für das individuelle Selbstvertrauen.

Aber auch die Frage, was "der Gesellschaft" fehlt, will beantwortet sein; in den ersten 200.000 Jahren der Menschheit war die Antwort relativ klar: ein Jagdgefährte. In den letzten 5000 Jahren verschob sich diese Antwort hin zu "zwei zupackende Hände" bzw. "Arbeitskraft". Und letztere ist gerade am Bröckeln, ohne daß ein Ersatz in Sicht ist(?), und stellt die Gesellschaft vor ein Identitätsproblem. Zu dessen Lösung sehe ich momentan zwei Möglichkeiten:

Fall (a): Wenn wir für eine vollautomatisierte Zukunft, in der die "Arbeitskraft" des Einzelnen keine Rolle mehr spielt, eine befriedigende neue Antwort auf Frage (I) finden, bin ich zufrieden.

Fall (b): Wenn nicht, wäre meine Konsequenz für ein entsprechendes Setting: "Wenn du für die Gesellschaft keine Rolle spielst, dann spielt die Gesellschaft auch keine für dich." Sprich, es wäre die Norm, daß sich das Individuum mit seiner selbstgewählten "Sippe" von Freunden und Verwandten einigelt und die schäbigen restlichen Milliarden da draußen komplett ignoriert.


Auch an dieser Stelle noch mal meine Bitte: berücksichtigt, daß nicht jeder Mensch intelligent und kreativ ist. Frage (I) muß für einen starken, geschickten oder ausdauernden "Nicht-Intellektuellen" genauso befriedigend beantwortet werden können wie für den leidenschaftlichen Künstler, Tüftler oder Wissenschaftler.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 6.08.2013 | 11:23
Vielleicht, so als kleine Extrapolation, wird die Bedeutung von Sozialen Netzwerken dann zum endgültigen Selbstzweck. Likes, Followers, etc. wird noch bedeutender, besonders wenn man eine direkte Platzierung innerhalb der Menschheit erfahren kann.
Wenn es also keinen Sinn, keine Zweck und keine messbare Leistung gibt, so wird ein künstlicher Mechanismus benötigt der dieses Gefühl dennoch erzeugen kann.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Dr.Boomslang am 6.08.2013 | 11:42
Das ist doch eine verquere Fragestellung. Niemand fragt sich was der Welt fehlt, jeder fragt sich was einem selbst fehlt. Arbeitskraft ist totaler Unsinn als Zweck eines Menschen, ein Mensch arbeitet weil er muss um zu überleben. Wenn man nicht da ist, dann ist das alles egal. Deswegen kann man die Hauptfrage hier nicht sinnvoll beantworten.

Dem einzelnen Menschen geht es nicht um Arbeitskraft, sondern um Einfluss auf seine Umwelt. Deswegen ist es auch wenig relevant dem Menschen Arbeit abzunehmen. Entscheidend ist immer wie die Gesellschaft aussieht und welche Freiheiten sie dem Einzelnen bietet. Der Begriff Arbeit ergibt ja überhaupt nur in einem bestimmten Kontext Sinn. Wenn man dem Menschen alles abnimmt was er heute als Arbeit bezeichnen würde, dann haben Menschen andere Probleme. Natürlich ist es aber ein Unterschied, wenn es nahezu keine Überlebensnöte mehr gibt. Dann entwickelt sich der Mensch über Kultur weiter. Solche Gesellschaften gab es ja bereits einige z.B. Adel. Die beschäftigen sich dann mit allen Formen der Unterhaltung und natürlich mit Machtspielchen, Intrigen, sozialen Kontakten.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 13:12
Niemand fragt sich was der Welt fehlt, jeder fragt sich was einem selbst fehlt.
NichtZustimm. Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist ein wesentlicher Grundpfeiler des Selbstwertgefühls. Das Gefühl, daß "die Gesellschaft" gut auf dich verzichten kann, stellt dementsprechend einen Schlag gegen das Selbstwertgefühl dar.

Arbeitskraft ist eine Form, von "der Gesellschaft" gebraucht zu werden. Wonach ich suche, ist eine Alternative dazu, wenn die Arbeitskraft (infolge Automatisierung) keine Rolle mehr spielt.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sir_paul am 6.08.2013 | 13:18
Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist ein wesentlicher Grundpfeiler des Selbstwertgefühls. Das Gefühl, daß "die Gesellschaft" gut auf dich verzichten kann, stellt dementsprechend einen Schlag gegen das Selbstwertgefühl dar.

Nicht unbedingt, zumindest nicht bei mir. Mir ist da eher mein Familien und Freundeskreis wichtig. Dieses "abstrakte Gebilde", genannt Gesellschaft, gibt mir nämlich nichts zurück was meinem Selbstwertgefühl gut tut! Würde der Gesellschaft etwas fehlen wenn ich nicht da wäre, ich denke eher nicht!
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 15:18
@sir_paul: Hieße das - mit Blick auf meinen o.a. Fall (b) -, du könntest gut auf "die Gesellschaft" verzichten?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sir_paul am 6.08.2013 | 15:22
Das kommt jetzt drauf an wie du "Gesellschaft" definierst...

Brauche ich Versicherungen, Krankenhäuser, Kindergärten, etc. Ja die brauche ich, es wäre auf jeden Fall schwer auf die ganzen Sachen zu verzichten!
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 17:15
Als "Gesellschaft" würde ich in diesem Zusammenhang die Gesamtheit der Menschen bezeichnen, mit denen du zu tun hast, ohne (zunächst) eine persönliche Beziehung zu ihnen zu haben.

Unter der Annahme, daß Krankenhäuser und Kindergärten nie vollautomatisiert werden (wegen des Faktors der menschlichen Zuwendung), würden also Pfleger, Ärzte und ErzieherInnen mit in die Kategorie "die Gesellschaft" fallen.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 6.08.2013 | 17:29
Nicht unbedingt, zumindest nicht bei mir. Mir ist da eher mein Familien und Freundeskreis wichtig.

Ich identifiziere mich auch durch Subkulturen und nicht Nation oder sowas. Den Begriff Gesellschaft sollte man daher ein wenig aufgliedern.

Neotribalismus (was auch immer das ist) sollte für die Extrapolation einer solchen Zukunft auf jeden Fall in Betracht gezogen werden.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sir_paul am 6.08.2013 | 17:29
Unter dieser Prämisse könnte ich wohl nicht auf die Gesellschaft verzichten, weil ich auf sie angewiesen bin aber nicht weil sie mein Selbstwertgefühl steigert!
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 6.08.2013 | 17:33
Wiviel können denn nun diese Roboter? Sind das reine mechanische Arbeitskräfte? Wie schlau sind die, und können die wie Menschen wirken, oder merkt man das das des Robos sind? Weil ich find, wenn man des nicht weiss, ist die frage nicht zu beantworten.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 17:38
Unter dieser Prämisse könnte ich wohl nicht auf die Gesellschaft verzichten, weil ich auf sie angewiesen bin aber nicht weil sie mein Selbstwertgefühl steigert!
Es geht mir auch weniger darum, was an der Gesellschaft dein Selbstwertgefühl steigert, sondern woraus du im Umgang mit der Gesellschaft Selbstwertgefühl beziehst.

Dich als Bestandteil der Gesellschaft, der auch "etwas beiträgt", an z.B. die Erzieherin deiner Kinder zu wenden, fühlt sich (meinem Bauchgefühl nach) ganz anders an, als wenn du als Bittsteller ankommst, dessen Existenz oder Nichtexistenz im Grunde egal ist.

Und ein Gefühl dafür zu haben, welche Position in bzw. gegenüber der Gesellschaft deine Kinder eines Tages haben werden, kann sicher auch nicht schaden.

Wiviel können denn nun diese Roboter? Sind das reine mechanische Arbeitskräfte? Wie schlau sind die, und können die wie Menschen wirken, oder merkt man das das des Robos sind? Weil ich find, wenn man des nicht weiss, ist die frage nicht zu beantworten.
Nimm an, sie sind schlau genug, um die Grundbedürfnisse fürs menschliche Überleben vollkommen autonom zu decken - Nahrung, Kleidung, Obdach und die ganze Infrastruktur des Alltags. KIs, die menschliches Verhalten beliebig weit imitieren können, gibt es. Du hast die volle Palette vom "unsichtbaren Diener in der Wand" bis hin zu betriebsam vorbeirollenden Kästen und freundlichen Androiden. Im Grunde haben sie die Vormundschaft über die Menschheit übernommen (bis auf verschwindend wenige besonders kreative/intelligente Individuen, die mit den KIs zusammen das Ganze lenken). Du kannst dich dein Leben lang in deiner Wiege zurücklehnen, von den KIs füttern und waschen lassen und dich mit Rundum-Vollsensorik-Unterhaltungsprogrammen beriesen lassen - wenn du willst.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 6.08.2013 | 18:04
Dann würd isch schon sagen, das man dann Menschen nur noch dann braucht, wenn sie günstiger sind als maschinen-wenns unser kapitalistisches System dann noch gibt. Oder wenn einem Menschen aus ideologischen Gründne wichtig sind.

Weil es ist ja logisch, das man dann doch lieber einen Robo nimmt, als einen Menschen, der ja doch irgendwo immer was macht, was man so nicht will.

Ich glaub, da gabs mal ne Voyager Folge zu mit dem Holodeck. Da hat Janeway dann doch dem Roboter den Laufpass gegeben, weil sie gemeint hat, sie gewöhnt sich dann zu sehr an diese perfektion. Janeway hat aber halt auch noch zu 90% ausserhalb des Holodecks leben müssen. Wenn man das jetzt immer haben kann, ist das anders.

Aber es hängt halt auch wieder an der frage, ob man dem System vertrauen kann. Wenn das von menschen und KIs kontrolliert wird, hast du halt immer das Prob, das die dir Ärger machen. Und dann bist halt wieder die ganze Zeit damit beschäftigt, dich von denen unabhängig zu halten.  

Also wirds drauf rauslaufen, das du dir entweder sagst, leck mich am Arsch, und einfach die Annehmlichkeiten geniesst, oder du brichst aus der Sache aus. Wobei ich schon irgendwo sagen würde, die Wahrscheinlichkeit, das man da von den Robos irgendwann derb verarscht wird, liegt ja schon arg bei 100%. Die menschen sind da ja schlicht zu nix nütz, warum sollt man die dann ewig durchfüttern. Es sei denn, du legst es als Setting explizit auf ne Utopie an.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sir_paul am 6.08.2013 | 18:10
Dich als Bestandteil der Gesellschaft, der auch "etwas beiträgt", an z.B. die Erzieherin deiner Kinder zu wenden, fühlt sich (meinem Bauchgefühl nach) ganz anders an, als wenn du als Bittsteller ankommst, dessen Existenz oder Nichtexistenz im Grunde egal ist.

Aber aktuell ist es doch so das ich als Bittsteller komme, dessen Existenz oder Nichtexistenz im Grunde egal ist. Sehe ich wenigstens so. Würde ich nicht existieren würde das keine der Erzieherinnen auch nur im geringsten interessieren. Und was man so alles Nachweisen muss um einen bestimmten Stundensatz an Kinderbetreuung zu erhalten, das hat nichts mit meinen Wünschen zu tun, das ist anbetteln der Gesellschaft das sie meine Bedürfnisse doch bitte auch wahrnimmt...
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Dr.Boomslang am 6.08.2013 | 19:01
Wobei ich schon irgendwo sagen würde, die Wahrscheinlichkeit, das man da von den Robos irgendwann derb verarscht wird, liegt ja schon arg bei 100%. Die menschen sind da ja schlicht zu nix nütz, warum sollt man die dann ewig durchfüttern.
Das Problem sehe ich auch. Deshalb ergibt eine solche Überlegung eben auch gar keinen Sinn, wenn man den Kontext nicht kennt. Es spielt keine Rolle was einem abgenommen wird, so lange nicht klar ist warum und wie das Leben in dieser Gesellschaft so funktioniert wie es funktioniert.

In den Culture-Romanen von Ian M. Banks gibt es da so wie ich das verstanden habe (habe nur drüber gelesen nicht die Romane selbst) z.B. die interessante Lösung dass die KIs zwar die eigentliche Macht haben, das echte Wohlergehen der Bürger aber so eine Art Statussymbol unter den mächtigen KIs ist. Mit anderen Worten das Wohlergehen der Bevölkerung ist sowas wie ein attraktives evolutionäres Merkmal, anhand dessen KIs sich "fortpflanzen", so wie die Schwanzfedern des Pfauen.
Das finde ich eine glaubhafte Variante, mir fallen auch keine großartig anderen ein, außer eben das typische illusionäre Paradies, das auf irgend einer Art der (unbemerkten) Ausbeutung beruht (z.B. Matrix).
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 6.08.2013 | 20:34
Geht für den vorliegenden Fall davon aus, daß die Maschinen "es ehrlich meinen". Sie wurden gebaut, um den Menschen jegliche notwendige Arbeit abzunehmen, et voilà - genau das tun sie.

Ob ich ein solches Szenario tatsächlich als "Utopie" bezeichnen würde, steht auf einem anderen Blatt. Mein Fokus bei der Suche nach Akteuren liegt nach wie vor nicht auf Maschinen, sondern auf Menschen. Daher meine Frage: Worüber definiert sich das Individuum in einer solchen Gesellschaft? Wo sucht es sich seinen Platz, an dem sein Fehlen [schmerzlich] auffallen würde? Oder (daher auch meine wiederholten Fragen an die Rebellen im "Schlaraffenland"-Thread): Wenn die Menschen in dieser Gesellschaft am Ende gar nicht so glücklich wären, welche andere Gesellschaft würden sie in Anbetracht solcher technischer Mittel aufbauen?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 6.08.2013 | 21:03
Der Punkt ist IMHO: Wenn die Robos alles besser können, und es genug von Ihnen gibt, und sie nicht zu teuer oder sonstwas sind, dann gibt es keinen Platz, an dem das Fehlen eines Menschen auffallen würde.

Du musst den Robos irgendeine Schwäche geben, welche die Menschen dann ausgleichen. Diese Schwäche definierst du aber selber als Erschaffer der Welt.

Klassischerweise ist das Intuition, kreatives Schaffen. Dann sagst du quasi: Die Robos können alles, ausser Kreativität. Genauso könntest du auch sagen, die Robos können alles, ausser Kämpfen, oder was auch immer.

Sollten die Robos tatsächlich gut sein, wäre das IMHO eine derartig segensbringende Regierungsform, das die meisten Menschen dahinterstünden. Die einzigen, welche rebellieren würden wären jene, die partout selbst die Herrschaft haben wollen bzw. die zumindest menschen als herrscher haben möchten. Denen wäre dann vermutlich relativ egal, was für eine Regierungsform herrscht, hauptsache die macht wird durch sie/durch Menschen ausgeübt.

Es gibt sicher genug gründe, warum man lieber Menschen an der Herrschaft möchte. Z.B. weil man selbst herrschen möchte, oder man mag die Robos nicht, oder aus diversen religiösen oder ideologischen Gründen.

Was sicher auch ein übler Kritikpunkt an den robos ist: Die müssen ja die Rechte der menschen beschränken, wo sie andere menschen gefährden. Was ist z.B. wenn ein Mensch nen anderen  verletzen oder töten möchte usw.? greifen die Robos dann ein? Egal ob ja oder nein, irgendwen ham sie automatisch angepisst.


  
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 7.08.2013 | 11:00
Du musst den Robos irgendeine Schwäche geben, welche die Menschen dann ausgleichen. Diese Schwäche definierst du aber selber als Erschaffer der Welt.
@Erik: Das ist doch gerade der Punkt, auf den es mir ankommt.

Daß die Roboter keine fundamentale Schwäche haben und die Zivilisation vollständig allein aufrechterhalten können, ist meine Prämisse. Dieser Thread (und der "Schlaraffenland"-Thread) ist ein Gedankenexperiment: Was fangen Menschen mit sich selbst an, wenn die Automatisierung ihnen wirklich alles abnimmt?

[Kreativität als "letzte Bastion der Menschen"TM mal außen vor, aber 99% der Menschheit sind nun mal nicht kreativ. Auch für die braucht es irgendeinen Platz in der Welt, sonst habe ich ein Setting, bei dem meine Charaktere unter humanoiden Topfpflanzen aufgewachsen sind.]

Suchen sich also die Menschen eine neue Identitätsgrundlage? Wenn ja, was für eine?

Lehnen sie sich einfach zurück und genießen? Oder halten sie ihre eigene "Wertlosigkeit" irgendwann nicht mehr aus und rebellieren?

Und wenn sie rebellieren - was tun sie dann? Was für eine Gesellschaft bauen sie auf? Wie wird durchgesetzt, daß die Technik nicht alles macht, auch wenn sie alles kann?

Zitat
Sollten die Robos tatsächlich gut sein, wäre das IMHO eine derartig segensbringende Regierungsform, das die meisten Menschen dahinterstünden.
Acknowledged. Aber von denen, die das anders sehen, wüßte ich wirklich herzlich gern, (a) warum nicht und (b) was für eine alternative Gesellschaft sie nach erfolgreicher Rebellion aufbauen würden.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 7.08.2013 | 11:21
Wahrscheinlich würden die Menschen durch irgendwelche Spiele so weit gebracht überhaupt erst reden zu lernen und sich über das Kleinkindniveau hinauszuentwicklen. Denn eigentlich müssen sie das gar nicht.

Und am besten verrät man es ihnen gar nicht, dass es nur ein Spiel und kein Ernst ist.

Irgendwie müssen sie sich also erst beweisen und danach können sie - charakterlich gefestigt - ins Paradies.

Oops. Das klingt ja fast wie das christliche Jenseitsmodell...

Was, wenn wir alle tatsächlich gerade in einer solchen Gesellschaft leben, aber tatsächlich erst nach dem "Tod" reindürfen?  ;D Im Moment sind wir alle noch im Kindergarten.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 7.08.2013 | 11:52
Irgendwie müssen sie sich also erst beweisen und danach können sie - charakterlich gefestigt - ins Paradies.
Das ist ein phantastischer Ansatz! :) Eine (nach unseren Maßstäben) "normale, menschliche" Jugend und als Initiationsritus deine persönliche "Queste".

Zitat
Was, wenn wir alle tatsächlich gerade in einer solchen Gesellschaft leben, aber tatsächlich erst nach dem "Tod" reindürfen?  ;D Im Moment sind wir alle noch im Kindergarten.
... und gleich ein mögliches Horror/Mystery-Setting nachgeschoben. :ctlu: Tartex, you made my day!
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 7.08.2013 | 11:55
Um ein paar Ideen aus der SciFi Literatur zu nennen:
In der Polity-Reihe hat man den KIs die komplette Kontrolle übergeben und diese stellen eine gewaltige und vernetzte Macht dar, inklusive der Option dass sich Menschen per Implantat in das Ki-Netzwerk einklinken. Ein wichtiger Teil dieses Settings ist die anhaltende Diaspora, bei der viele "normale Menschen" versuchen immer nur am Rand dieser Utopie zu leben. Die Transhumane Frage taucht ebenfalls auf, denn es ist nicht ungewöhnlich das man Backups vom menschlichen verstand macht und sollte der betreffende halt sterben, so wird er als Android neu erschaffen.

Den Namen des Buchs habe ich leider vergessen, es war irgendwas in Richtung "Die Nacht in dir". Hier ging es um ein ähnlich KI-gelenktes Utopia, bei dem der kleine Teil der Kreativen (und Pseudo-Kreativen) die prestigeträchtige Aufgabe haben für den Rest der Menschheit Bespielbare Traumwelten zu erschaffen. Das hatte aber nicht nur den Hintergrund das Volk medial abzulenken, da waren noch psychologische Dienste, Soziologieforschung und ähnliches mit gekoppelt.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 7.08.2013 | 12:26
Tartex, you made my day!

Also ich habe da vor 10 Jahren einige (unveröffentlichte) Transhumanismus-Kurzgeschichten dazu geschrieben.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 7.08.2013 | 20:04
@tartex: Gibt's die irgendwo zu lesen? Würde mich interessieren.

Quintessenz so far: In einer durchautomatisierten Gesellschaft, in der dem Menschen nur wenige "Domänen" bleiben, könnte zur Identitätsfindung an Stelle der Frage "Was machst du so jeden Tag?" die Frage treten: "Was hast du schon so alles gemacht?" Sprich, anstelle eines Day-to-day-jobs hat man dann und wann eine "Queste" und den Rest der Zeit Ferien.

Das stünde der urtümlichen Lebensweise der Steinzeitmenschen IMO sogar näher als unser jetziger Alltag. Schließlich waren Mammutjäger ja auch nicht jeden Tag von 9 bis 17 Uhr auf der Pirsch. Ein erlegtes Mammut reichte zur Ernährung für Wochen und als Gesprächsstoff je nachdem ein Leben lang.

Das typische Leben eines Menschen im "automatisierten Utopia" begänne also mit einer Ausbildung, die denjenigen später zu Projekten und/oder Questen befähigen soll. Initiation, um sich als mündig zu erweisen, wäre die erste bestandene Queste mit Anfang 20. Wer danach noch Lust hat, besteht gelegentlich weitere. Wer nicht, setzt sich dann halt zur Ruhe und erzählt in seiner Stammkneipe/seinem Lieblingsforum für den Rest seines Lebens von diesem einen großen Erlebnis. ;)
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 7.08.2013 | 23:10
Hmm, ok, jetzt kapier ich das erst.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 08:48
Um die Sache vielleicht aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Identität und Persönlichkeit. "Wir" haben ja ein Problem mit dem "Ich", da sich für uns direkt Persönlichkeit und Identität nicht trennen lassen, wobei uns oft gar nicht klar ist wie sehr wir selbst Einfluss auf unsere Identität nehmen (Tätigkeit, Peer Groups, Aussehen).
Was passiert wenn wir diesen Zwiespallt nicht etwa auflösen sondern noch vertiefen?
Wenn wir Wissen, Können und Fähigkeiten einfach so zukaufen können (Skillsoft, Knowsoft, Activesoft) und unser Aussehen nach unserem Wunsch formen können (Bodymods), haben wir so ca 50% Kontrolle über unsere Identität erlangt.
Vernetzen wir uns mal. Nicht im Sinne eines Schwarmbewusstseins, nur im Sinne von aktivem Datenaustausch, Wissen und Kontrolle. Ab hier gibt es nur noch eine Peer Group, uns. Hätten wir bis dato KIs, wäre der Unterschied Mensch - Ki jetzt aufgehoben. Um den Kern der Persönlichkeit herum ist die Identität jetzt frei bestimm- und kontrollierbar.
Verknüpfen und Digitalisieren wir uns. Heben wir die Schranken zur Persönlichkeit auf. Die genannten Dinge, die vorher auf freiwilliger Basis stattfanden, finden nun auf allgemeinen Konsens hin zum Wohle der Gemeinschaft statt. Man ist was die Gemeinschaft braucht und das ist man gerne.

Brauchen wir dann also noch eine Vollautomatisierung wenn wir die Roboter sind?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sindar am 8.08.2013 | 10:59
Das ist doch eine verquere Fragestellung. Niemand fragt sich was der Welt fehlt, jeder fragt sich was einem selbst fehlt.
Das ist bei mir aber so das Gegenteil, das kann ich gar nicht ausdruecken. Ich definiere mich zu einem guten Teil ueber meinen Job, den hier an der Uni ausser mir eben einer machen kann - und den Mehrwert, den meine Arbeit hier liefert, sehe ich deutlich. Die Veroeffentlichungen werden wertvoller, die Doktor- und Masterarbeiten werden hochwertiger oder erst moeglich, und der Erkenntnisgewinn ist auch fuer sich genommen wertvoll. Ich bekomme auch rundherum zu spueren, dass mein Arbeit wertgeschaetzt wird; das ist fuer mich eine wichtige Triebfeder, auch und gerade abseits der Arbeit: Ich weiss, dass ich etwas wert bin, dass ich etwas kann, dass ich mit meiner Arbeit etwas erreiche. Fuer mein Selbstwertgefuehl ist das sehr wichtig.

Kurz: Es mag Leute wie den Dr. Boomslang geben, die sich nicht um ihren Wert fuer die Gesellschaft kuemmern, aber das geht lange nicht allen Leuten so!
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 11:53
Brauchen wir dann also noch eine Vollautomatisierung wenn wir die Roboter sind?
In einem solchen Setting würde es vermutlich darauf hinauslaufen, daß alles, was Maschinen besser erledigen, automatisiert wird, und alles, was Menschen besser erledigen, von Menschen gemacht wird. Sprich, Güter würden von vollautomatisierten Lkws transportiert (und nicht etwa von Wanderern mit Rucksäcken), kreativer Input käme hingegen eher von Menschen.

Automatisierung zur Bequemlichkeit des Einzelnen würde aber wegfallen. Es gäbe vielleicht eine automatische Nahrungsmittelerzeugung und -zufuhr, "Lebensraumregulierung" in Form perfekt klimatisierter und belüfteter Habitate und eine vollautomatische Produktion aller Güter, die menschliche Elemente der Gesamtheit bräuchten, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Wenn das Tanzschuhe beinhaltet, weil Menschen ihre Kreativität in irgendeinem Ausdruckstanz ankurbeln, dann gäbe es also auch eine automatisierte Produktion und Verteilung von Tanzschuhen.

Kurz: Es mag Leute wie den Dr. Boomslang geben, die sich nicht um ihren Wert fuer die Gesellschaft kuemmern, aber das geht lange nicht allen Leuten so!
Meiner Erfahrung nach ist diese Definition über den Wert für die Gesellschaft sogar die Norm.

Ich war 12 Jahre Softwareentwickler und habe die unterschiedlichsten Reaktionen von Auftraggebern und Endusern erlebt. Für den Enduser lief es meist darauf hinaus, daß seine gesamte Erfahrung plötzlich nichts mehr wert war; entweder wurde seine Arbeit ab da komplett von einem Computer erledigt, oder an seine Stelle rückte irgendein Jungspund, der in der Bedienung des Computers besser war als er selbst.

Verständlicherweise lehnten alle diese Enduser die neue Software ab. Aber das nicht nur aus Angst um ihr geregeltes Einkommen. Ich habe oft im Gespräch gemerkt: Durch ihre "Wegautomatisierung" nahm man diesen Leuten ihren Stolz, ihre Identität, ihren Platz in der Welt. Selbst wenn sie ihren Job behielten und weiterhin das Gehalt floß, sie haßten das neue Werkzeug.

Was die Reaktionen von Auftraggebern betrifft: Es ist eine prägende Erfahrung, einen Firmenchef dabei zu erleben, wie er händereibend davon schwärmt, wieviele Leute er dank der neuen Software entlassen kann. (Mit einer der Gründe, warum ich den Job am Ende geschmissen habe.)

EDIT: Natürlich kann man all dies als "Wachstumsschmerzen" beim Übergang in eine neue Gesellschaftsform begreifen, in der sich der Mensch nicht länger über die Arbeitskraft definiert. Aber worüber wird er sich stattdessen definieren?

Das ist die Frage, die mich umtreibt und wegen der ich diesen Thread überhaupt erst gestartet habe.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 12:11
@Grey:

Das angeschnittene Unterthema hier ist faszinierend und zeigt unsere individuellen Prägungen auf. Ich bin selbst Softwareentwickler, hatte aber bisher nur Einsätze bei denen es darum ging die Produktivität des vorhandenen Personals zu steigern, anstatt dieses weg zu rationalisieren. Für mich zeigt sich da eine klare Linie ab, denn viele Endkunden haben verstanden dass z.B. ihr Vertrieb nur durch gut unterstützte Vertriebler läuft, der menschliche Faktor also zählt und die Automatisierung dahinter an sich nichts wert ist, nur einen Multiplikator darstellt.
Ich hatte in den letzten Jahren nur einen Fall, bei dem es um Stellen ging, das war eine großer Kunde im süddeutschen Raum, bei dem eine neue Standard-Software eingeführt wurde. Hier hatten die div. IT-Mitarbeiter der Gruppe die Wahl, sind ja alle bei Ver.di, ob sie umschulen und Mitentwickeln oder in andere Abteilungen wechseln bzw. ihren Job aufgeben. Mich hatte es sehr erstaunt dass das Festhalten an deren Eigentwicklungen so stark war, so sehr teil ihrer Identität, das nur knapp 5% der Mbetroffenen Mitarbeiter sich für die Umschulung entschieden haben.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 12:23
@Slayn: Bedeutet "Multiplikator" nicht in diesem Zusammenhang ebenfalls, Leute einzusparen? Wenn dank der neuen Software plötzlich jeder Mitarbeiter fünfmal soviel Arbeit bewältigen kann, der Markt aber nicht das fünffache Umsatzpotential bereithält, ist doch die logische Konsequenz, daß durch die neue Software 80% der Mitarbeiter ihren Job verlieren.

Ersetze in Bezug auf meine Setting-Überlegungen den Begriff "vollautomatisiert" durch "extrem hochmultipliziert" - daß also z.B. ein Einzelner in einer Schaltzentrale die Arbeit macht, die zuvor von zehntausenden erledigt wurde -, dann hast du immer noch einen menschlichen Faktor drin, aber die überwältigende Mehrheit der Menschheit hat trotzdem nichts zu tun.

EDIT: Daß bei deinem Projekt in Süddeutschland die emotionale Bindung der ITler an die Eigenentwicklung so viel stärker war als an ein neues Produkt von außen, überrascht mich als Ex-Entwickler übrigens nicht. Mir persönlich wäre es an die Programmiererehre gegangen, wenn man mir - überspitzt formuliert - gesagt hätte: "So, und jetzt kannst du deinen selbstgebastelten Müll in die Tonne treten, wir haben nämlich ein viel professionelleres System zugekauft."
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 8.08.2013 | 12:38
hatte aber bisher nur Einsätze bei denen es darum ging die Produktivität des vorhandenen Personals zu steigern, anstatt dieses weg zu rationalisieren.

Zumindest gehen potentielle zukünftige Arbeitsplätze dadurch verloren.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 12:50
@Slayn: Bedeutet "Multiplikator" nicht in diesem Zusammenhang ebenfalls, Leute einzusparen? Wenn dank der neuen Software plötzlich jeder Mitarbeiter fünfmal soviel Arbeit bewältigen kann, der Markt aber nicht das fünffache Umsatzpotential bereithält, ist doch die logische Konsequenz, daß durch die neue Software 80% der Mitarbeiter ihren Job verlieren.

Ersetze in Bezug auf meine Setting-Überlegungen den Begriff "vollautomatisiert" durch "hochmultipliziert" - daß also z.B. ein Einzelner in einer Schaltzentrale die Arbeit macht, die zuvor von zehntausenden erledigt wurde -, dann hast du immer noch einen menschlichen Faktor drin, aber die überwältigende Mehrheit der Menschheit hat trotzdem nichts zu tun.

EDIT: Daß bei deinem Projekt in Süddeutschland die emotionale Bindung der ITler an die Eigenentwicklung stärker war als an ein neues Produkt von außen, überrascht mich als Ex-Entwickler übrigens nicht. Mir persönlich wäre es an die Ehre gegangen, wenn man mir - überspitzt formuliert - gesagt hätte: "So, und jetzt kannst du deinen selbstgebastelten Müll in die Tonne treten, wir haben nämlich ein viel professionelleres System zugekauft."

Zeit und daraus gewonnene Erkenntnisse ändern sich.
Es gibt Jobs, die verstärkt werden, da man zur Erkenntnis gelangt ist das bestimmte menschliche Faktoren wichtiger sind als die Struktur dahinter, andere Stellen werden abgeschafft, da ihre eigentliche Funktion durch die Struktur überholt ist.
Um konkrete Beispiele zu nennen, es ist klar dass im Vertrieb und Verkauf der "Menschliche Faktor" mehr zählt als die Struktur, die Struktur hier nur, durch bereitgestellte Mittel und Wissen, den Menschen unterstützen kann, hier ist es ein echter Multiplikator. Der Vertrieb ohne den Mensch und seine zwischenmenschlichen Fähigkeiten funktioniert einfach nicht.
Bei besagtem Kunden im süddeutschen Raum habe ich auch an der strategischen Beratung für eine Tochter teilgenommen, der Kunde wollte wissen ob man klassische Kundenberater durch ein POS-Infosystem ersetzen kann. Das Fazit war: können kann man, bringen tut es nur nichts und es würde zu einem rapiden Kundenverlust führen.
Beim gleichen Kunden mussten wir uns aber auch mit der Frage befassen ob ein zentraler Einkauf den bisherigen lokalen Einkauf pro POS schlagen könnte und hier sprach dagegen alles gegen den dezentralen Einkauf, da der menschliche Faktor keine Rolle spielt und man die Effizienz steigern könnte.

Die Aussage war nie "Selbstgebastelter Müll", gerade deswegen verstehe ich die Situation nicht ganz. Die Konstellation ist eine Mutterfirma, diverse zugekaufte Töchter, eine konsolidierte IT, mit den üblichen Problemen bei Zukäufen. Das Ziel bestand darin, Mutter und Töchter unter einem einheitlichen System zu konsolidieren, wobei man eben sehr gut ausgereifte Eigenentwicklungen mitkonsolidiert hätte, in einem knapp fünf Jahre andauernden Prozess.

@tartex:
Eben nicht. Wegen gewissen NDAs kann ich nicht alles sagen, nur so viel: Ver.Di war involviert und die Gewerkschaft hatte dabei ein Mitspracherecht.

[Nachtrag] Um die Ausgangssituation noch mal zu verdeutlichen: Grey stellt die Annahme in den Raum dass der Mensch im Grunde nicht leistungsstark genug wäre und ausgetauscht werden kann. Dies stimmt so aber nicht. In bestimmten bereichen, ja, in anderen ist er eben unersetzlich. Wir würden hier eine Verschiebung erleben, ähnlich der Verschiebung die wir jetzt schon erleben.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 13:17
@Slayn: Wenn du sagst, im Vertrieb war das neue System ein "echter Multiplikator", wie äußerte sich das für den User?

Wenn "nur" die Qualität der Beratung gesteigert und die Fehlerquote gesenkt wurde, ist es natürlich kein Thema. Diese Sorte Aufträge waren meinem Gewissen damals am liebsten (und leider viel zu selten, um den Rest aufzuwiegen).

Wenn es aber bedeutete, daß die gleiche Anzahl Mitarbeiter mehr Arbeit bewältigen konnte, dann läuft es trotz allem darauf hinaus, daß über kurz oder lang Arbeitsplätze eingespart werden - entweder in dieser Firma, wenn sie ihren Marktanteil nicht vergrößern kann, oder bei der Konkurrenz, die nicht mehr mithalten kann und pleite geht.

Was das Thema "Müll" betrifft: Ich weiß ehrlich nicht, was schlimmer ist - wenn die Qualität deiner Arbeit gering geschätzt wird oder wenn dir gesagt wird: "Die Qualität Ihrer Arbeit ist gleichgültig, durch neue Standards kann sie jederzeit obsolet werden."

Wenn die alten Eigenentwicklungen dann durch Integration ins neue System gerettet werden sollen, kann das ein Trost sein; es kann sich für den Entwickler, der sich in der Eigenentwicklung ein Stück weit selbst verwirklicht hat, aber genausogut anfühlen wie: "Wir sind Borg. Widerstand ist zwecklos. Du wirst assimiliert werden."

Und in welchem Maße sich Menschen - auch in "primitiveren" Jobs - über den Stolz auf ihre Arbeit definieren, erlebe ich auch heute noch im Alltag immer wieder. Unser Hausmeister hat es erst vor kurzem auf den Punkt gebracht: "Eigentlich sollte ich mich freuen, daß die Nachbarn in Haus XY ihr Treppenhaus gleich nach dem Putzen sofort wieder in einen Schweinestall verwandeln. Dadurch habe ich mehr Arbeit und verdiene mehr Geld. Aber man will doch auch das Gefühl haben, daß die Arbeit wertgeschätzt wird!"
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: 6 am 8.08.2013 | 13:40
Würde die Sklaverei in Amerika als geschichtliches Beispiel für eine Quasivollautomation genügen?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 13:44
Würde die Sklaverei in Amerika als geschichtliches Beispiel für eine Quasivollautomation genügen?
Dazu fehlen mir im Moment Fakten über die Gesellschaft der Südstaaten vor 1860. Wenn wir für den Moment mal Sklaven mit Automaten gleichsetzen, was taten in dieser Gesellschaft diejenigen freien Weißen, die keine reichen Plantagenbesitzer waren?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 13:52
@Grey:

Es gibt ja (leider) nach wie vor Firmen, deren Vertrieb nach alten, quasi 80er Jahren Standard laufen und bei denen scheinbar messbare "Qualität" alles ist. Viele U.S./UK-Tochterfirmen bei uns fallen in dieses Schema. Hierbei wird Qualität durch eine messbare Quantität ersetzt, etwa Aussagen wie "Mind. 90 Mins Akquise-Telefonate an einem Vormittag!". Im Gegensatz dazu gibt es aber auch mehr und mehr Firmen, denen der "Faktor Mensch" bewusst ist und die es einfach schätzen wenn ein Vertriebler eine direkte Beziehung zum Kunden aufbauen kann und es auch schätzen wenn durch diese Beziehung wieder Informationen zurück fließen können, wichtige BI die man auch auswerten kann.
Ein spannender Auftrag bestand darin, ein CRM so zu erweitern dass die Mitarbeiter, die einen Auftrag an die Konkurrenz verloren hatten, dennoch die Daten des Konkurrenzauftrags eingeben konnten, damit man bei der nächsten Angebotsrunde mit dem Wissen im Hinterkopf und den Kontakten, die besagter Vertriebler geknüpft hat, trotzdem Punkten kann. Diese Firma hatte verstanden dass ein Auftragsverlust nicht bedeutet den MA zu entlassen, sondern trotzdem durch gesammeltes Wissen und die Kontakte des MA Geschäfte zu machen.
Bei meinen Projekt in Münster ging es um Zielvereinbarungen, nämlich wie der AG, der MA im Vertrieb und überwachend der örtliche Gewerkschaftsvertreter Zielvereinbarungen und Bonuszahlung realistisch und profitabel erstellen können. Auch hier hatte der Kunde erkannt dass nur der "Faktor Mensch" im Vertrieb wirklich etwas bringt, egal was die allgemeine Betriebswirtschaftslehre so sagt. (Telekom, btw.)

Ich denke, beim "Müll" reagierst du über, vielleicht aus persönlichen Gefühlen. Es gibt einfach bestimmte Standard-Software die man nicht wirklich umgehen kann, egal was man denkt. Ab einer bestimmten Größenordnung, besonders bei konsolidierten Firmen, kommt man nicht drum herum. Was mich dabei eher irritiert ist folgendes: 107 MAs haben das Angebot bekommen sich umschulen zu lassen und ihre Position/Gehaltsniveau zu behallten, alternativ könnten sie in der Holding verschoben werden, fangen aber "neu" an. 6 MAs haben das Angebot angenommen, im Laufe der Schulung aber ihren VG kontaktiert da sie sich "gezwungen fühlen" und ihre Schulung abgebrochen. Der "Faktor Mensch" verkehrt herum.

Um den Bogen zum Thema zu knüpfen: Ich denke, der "Faktor Mensch" fällt bei vielen Gedankenspielen heraus, ist aber wichtiger als man denkt und wird nie verschwinden.

Würde die Sklaverei in Amerika als geschichtliches Beispiel für eine Quasivollautomation genügen?

Spannender Einwurf und in gewisser Art und Weise: Ja.

Um das aber noch ein wenig zu spezifizieren, manuelle Dienste, die man "locker" durch Maschinen ersetzen kann da die menschlichen Qualitäten hier nicht zählen, gehören bestimmt dazu. Ob ich jetzt 100 Sklaven auf einer Baumwollplantage habe oder 10 Sklaven mit Vollerntern oder einen Baumwollpflückandroiden, ist egal.
Im krassen Gegensatz dazu stehen "Hausnigger", also Sklaven bei denen der "Faktor Mensch" eine Rolle für ihren Job spielen. Hier sind Maschinen kein Ersatz, außer man erschafft sich seine Sklavenmaschine.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: 6 am 8.08.2013 | 14:00
Dazu fehlen mir im Moment Fakten über die Gesellschaft der Südstaaten vor 1860. Wenn wir für den Moment mal Sklaven mit Automaten gleichsetzen, was taten in dieser Gesellschaft diejenigen freien Weißen, die keine reichen Plantagenbesitzer waren?
So weit ich es richtig weiss, hatten die zum großen Teil genauso Sklaven. So weit ich das weiss ging das sogar so weit, dass die Handwerker auch ihre Sklaven hatten für die Handwerkarbeiten hatten.

EDIT: Übrigens das Gemeine bei dem Vergleich ist, dass die damaligen Sklavenbesitzer ihre Sklaven ähnlich sahen wie wir heute Automaten. Besonders frappierend zu erkennen, wenn Du Dir die amerikanischen Bill of Rights anschaust, und daran denkst, dass einige der Leute, die die Bill of Rights gemacht haben, selber Sklavenhalter waren. Aber das dürfte wohl weg vom eigentlichen Thema hier führen.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 8.08.2013 | 14:06
was taten in dieser Gesellschaft diejenigen freien Weißen, die keine reichen Plantagenbesitzer waren?

In der Vollautomation sind ja alle Plantagenbesitzer, bzw. Millionenerben. Von dem her stellt sich die Frage gar nicht.

Aber es wird wohl immer noch genügend Rivalitäten geben, weil nur einer der beste in der jeweiligen Nische sein kann, sei es bei Kunst, Sport, Abenteuern oder Partnerwahl.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 14:09
So weit ich es richtig weiss, hatten die zum großen Teil genauso Sklaven. So weit ich das weiss ging das sogar so weit, dass die Handwerker auch ihre Sklaven hatten für die Handwerkarbeiten hatten.

EDIT: Übrigens das Gemeine bei dem Vergleich ist, dass die damaligen Sklavenbesitzer ihre Sklaven ähnlich sahen wie wir heute Automaten. Besonders frappierend zu erkennen, wenn Du Dir die amerikanischen Bill of Rights anschaust, und daran denkst, dass einige der Leute, die die Bill of Rights gemacht haben, selber Sklavenhalter waren. Aber das dürfte wohl weg vom eigentlichen Thema hier führen.

Nimm es, im Gegenzug, mal als Denkansatz: Jetzt "wissen" wir dass das damals "böse" war, simplifiziert ausgedrückt. Wenn wir Maschinen erschaffen könnten, mit der gleichen Intellektuellen Leistung, ggf. sogar emotionaler Leistung wie wir sie haben, wo bestünde dann der Unterschied zu damals?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: 6 am 8.08.2013 | 14:13
Nimm es, im Gegenzug, mal als Denkansatz: Jetzt "wissen" wir dass das damals "böse" war, simplifiziert ausgedrückt. Wenn wir Maschinen erschaffen könnten, mit der gleichen Intellektuellen Leistung, ggf. sogar emotionaler Leistung wie wir sie haben, wo bestünde dann der Unterschied zu damals?
Da gäbe es keinen Unterschied. wir sind dann bei einem sicherlich sehr interessantem Thema. Allerdings glaube ich, dass wir das eigentliche Thema hier dann verlassen haben.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 14:17
Da gäbe es keinen Unterschied. wir sind dann bei einem sicherlich sehr interessantem Thema. Allerdings glaube ich, dass wir das eigentliche Thema hier dann verlassen haben.

Hehe. Nein, hier haben wir nämlich genau den qualifizierenden Faktor für das Urspungsthema erreicht: Könnten wir eine Sklavenrasse erschaffen, die unsere Arbeit abnimmt und zu den genannten Folgeproblemen führt?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sindar am 8.08.2013 | 14:53
Um mal die Ausgangsfrage fuer mich persoenlich zu beantworten, so gut ich das vermag:

Mein voriger Post hier duerfte bereits zeigen, dass ich damit ein Problem haette. Tatsaechlich sehe ich im Moment nicht, wie ich das loesen koennte. Dabei bin ich alles andere als arbeitswuetig (wie man an meinen diversen Posts hier waehrend der Arbeitszeit sieht :D). Ich glaube zwar, dass ich das eine Weile geniessen koennte, (radfahren, rollenspielen, Irland erkunden), aber mittelfristig an dem Identitaetsverlust zerbraeche.

Aehnlich wie Slayn halte ich den "Faktor Mensch" in manchen Gebieten ebenfalls fuer grundsaetzlich nicht ersetzbar.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 8.08.2013 | 15:53
Würdest du nicht einfach unbezahlt weiterarbeiten, wenn es dir Spass macht?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 16:04
Würdest du nicht einfach unbezahlt weiterarbeiten, wenn es dir Spass macht?

Das ist wiederum die Frage mit Bedürfnissen und Identität.
Die Antwort kannst du dir jetzt selbst ableiten.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 8.08.2013 | 16:09
Ich denke, ich würde es zwar prinzipiell gerne machen, aber trotzdem im Endeffekt nie rechtzeitig aus dem Bett kommen...
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 17:42
In der Vollautomation sind ja alle Plantagenbesitzer, bzw. Millionenerben. Von dem her stellt sich die Frage gar nicht.
Nicht ganz. Die Plantagenbesitzer waren die Oberschicht ihrer Gesellschaft. Es können aber per definitionem nicht alle zur Oberschicht gehören. Auch in der vollautomatisierten Gesellschaft wird es Leute geben, die reicher sind als andere; z.B. Anteilseigner großer Roboterbetriebe oben, einfache Grundversorgungsempfänger unten. (Wobei die Grundversorgung vermutlich immer noch luxuriös sein wird, verglichen mit dem heutigen Lebensstandard des Durchschnitts-Arbeitsnehmers. Aber gemessen an den Standards ihrer Gesellschaft werden sie die Unterschicht darstellen.)

Wenn tatsächlich in den Südstaaten auch Handwerker ihre Sklaven hatten, die die eigentliche Arbeit erledigt haben, kommen wir an die Situation der Vollautomatisierung schon relativ dicht ran; allerdings hatten dann die Handwerker immer noch ihren Beruf erlernt - ich gehe mal davon aus, daß sie ihre Sklaven auch noch selbst angelernt haben -, so daß sie zumindest eine Beziehung zu dem hatten, was da in ihrer Werkstatt gemacht wurde. Einzelne, kleine Werkstätten wären allerdings in einer modernen Infrastruktur ineffizient und auf Dauer nicht konkurrenzfähig. Folglich würde sich vermutlich das produzierende Gewerbe komplett auf durchautomatisierte Fabrikkomplexe verschieben, fernab der menschlichen Habitate, deren Bewohner keine Ahnung haben, wo und wie ihre Güter des täglichen Bedarfs produziert werden.

Die Frage nach vernunftbegabten Robotern mit Ichbewußtsein ist in diesem Kontext natürlich auch interessant. ;) Es wäre die Frage, ob deren Arbeitsverhältnis irgendwann auch emotional mit der Sklaverei vergleichbar wäre oder ob wir unsere Roboter so bauen können, daß sie mit ihrer Rolle als reine Arbeiter gründlich und zufrieden bleiben.

Würdest du nicht einfach unbezahlt weiterarbeiten, wenn es dir Spass macht?
Für mich selbst gesprochen: Eine Zeitlang vielleicht; und dann würde ich wegen der schieren Sinnlosigkeit meines Treibens irgendwann den Kram vor die Wand pfeffern. Wenn es zu nichts nütze ist und auch sonst keine Anerkennung bei irgendeinem Publikum findet, wozu weitermachen?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 17:50
@Grey:

Du ignorierst den Beitrag von heute Morgen: letztendlich können wir uns, durch Konsens, dazu zwingen glücklich zu sein.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: tartex am 8.08.2013 | 17:59
letztendlich können wir uns, durch Konsens, dazu zwingen glücklich zu sein.

Oder durch Medikamente.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 8.08.2013 | 18:00
@Slayn: wtf?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 8.08.2013 | 18:07
@Slayn: wtf?

Geh nochmal zurück zu: http://tanelorn.net/index.php/topic,85467.msg1732868.html#msg1732868

Bedenke: Man kann dich "glücklich" machen.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Dr.Boomslang am 8.08.2013 | 18:12
Ich definiere mich zu einem guten Teil ueber meinen Job, den hier an der Uni ausser mir eben einer machen kann - und den Mehrwert, den meine Arbeit hier liefert, sehe ich deutlich. Die Veroeffentlichungen werden wertvoller, die Doktor- und Masterarbeiten werden hochwertiger oder erst moeglich, und der Erkenntnisgewinn ist auch fuer sich genommen wertvoll. Ich bekomme auch rundherum zu spueren, dass mein Arbeit wertgeschaetzt wird; das ist fuer mich eine wichtige Triebfeder, auch und gerade abseits der Arbeit: Ich weiss, dass ich etwas wert bin, dass ich etwas kann, dass ich mit meiner Arbeit etwas erreiche. Fuer mein Selbstwertgefuehl ist das sehr wichtig.
Du bestätigst genau das was ich meinte. Alles was du aus deiner Sicht in deiner Umwelt bewegst definiert dich. Es ist nur im Bezug zu dir von Interesse. Ob am anderen Ende der Welt irgendwer eine hochwertige Arbeit leistet interessiert dich nicht (zumindest erwähnst du es hier nicht). Es würde dich wahrscheinlich auch nicht interessieren was in deiner jetzigen Umgebung passieren würde wärst du nie da gewesen. Dein Selbstwertgefühl speist sich aus dem was du als deinen Einfluss auf deine Umwelt wahrnimmst. Das heißt es interessiert dich dein eigener Einfluss nicht die Gesellschaft oder gar die Welt.
Genau das meinte ich.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 8.08.2013 | 20:15
Schöne Idee. Der durch Technik verbesserte Mensch ist dem Roboter ebenbürtig.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Beral am 8.08.2013 | 21:28
Daher meine Frage: Worüber definiert sich das Individuum in einer solchen Gesellschaft?
Über das, was den Menschen übrig bleibt. Neben all dem Kreativen ist das vor allem die Herrschaft über die sagenhaften Maschinen. Konflikte gibt es nicht nur im Ernst des Lebens, sondern auch bei Freizeitbeschäftigungen in gleichem Maße! Man denke nur an unser eigenes Hobby... Und wenn Menschen nicht mehr arbeiten müssen, wird das Hobby zum Ernst des Lebens und mit entsprechendem Ernst betrieben. Warum sollten wir dem railroadenden SL (der phantasiert ein Abenteuer zusammen, bei dem man arbeiten muss!!! ;D) nicht den Zugang zu irgendwelchen Maschinenleistungen kappen? Was passiert erst bei kriminellen Handlungen, wie etwa sexistische Anmache ("Du hast eine tolle Figur!")? Wir müssen uns doch sanktionieren! Das machen wir am besten, indem wir jemandem vom gesellschaftlichen Leben aussperren oder ihm den Zugang zu Ressourcen verweigern. Ganz schnell hast du die Situation, dass zwar Maschinen für alle da sind, aber wir nicht allen den Zugang dazu genehmigen. Verteilungsungerechtigkeiten, kennen wir das nicht ohnehin schon...? Vielleicht sind das aber Verteilungsgerechtigkeiten, wenn ein kleiner Teil der Menschheit sehr viel vom Vorhandenen hat und ein großer Teil der Menschheit sehr wenig? Wie auch immer - definiere dich darüber, zu welchem Teil zu gehörst, egal ob du das jetzt gerechtfertigt findest oder nicht.

Wo sucht es sich seinen Platz, an dem sein Fehlen [schmerzlich] auffallen würde?
Such es dir aus, wo du schmerzlich vermisst wirst. An der Spitze der Mächtigen? Unter den Gerechten, die die Verbrecher einsperren? Unter den Gerechten, die gegen Einsperrung kämpfen? Bei den Schalke-Fans? Oder bei den Dortmundern? Bei den Unterstützern von Doping? Oder bei deren Gegnern?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 8.08.2013 | 21:38
Ich glaube beral hat schon recht, wenn er Konflikte reinbringt, aber ich denke das führt zu nix. Wenn man sich z.B. die leute heutzutage anschaut, die viel geld haben, die müssen auch doch noch immer schauen, das sie das auch behalten, weil halt die anderen da auch ran wollen.

Anders gesagt, wenn man den Menschen erlaubt, quasi zu machen was sie wollen, wird es auch bei perfekter Robo-Gesellschaft immer irgendwo in Streiterei und Kampf ausarten. Das zieht dann kreise, und irgendwann hängen alle mit drin. Wenn man ihnen das verbietet, rebellieren manche dagegen, und man ist so weit wie vorher. 

Wenn man das ausklammert, würd ich auch sagen, das es auf Hobbys rausläuft, die man dann viel intensiver betreiben kann. Dann ist man tatsächlich nicht mehr Arzt, sondern eben Spielleiter der bekannten Gruppe "Sturmreiter".
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Beral am 8.08.2013 | 22:15
Wenn man das ausklammert, (...)
Öhm... darf das ausgeklammert werden? Ich dachte es geht darum zu schauen, was die menschliche Natur macht, wenn man die Umstände in gewisse Richtung verändert.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 9.08.2013 | 09:26
@Beral: Du denkst richtig. Trotzdem darf Erik natürlich das Gedankenexperiment vom "funktionierenden Paradies" wagen, wenn er der Ansicht ist, die menschliche Natur fände an dieser Stelle einen stabilen Ruhepunkt.

http://tanelorn.net/index.php/topic,85467.msg1732868.html#msg1732868
Ich dachte mir schon, daß du dieses Posting meinst, aber der Zusammenhang zu deinem letzten Argument war mir nicht klar.

Verstehe ich dich mit der Trennung von Persönlichkeit und Identität richtig: Wenn die Gesamtheit bestimmte Leistungen nicht mehr braucht, dann werden einfach mit einem "Softwareupdate" deine Fähigkeiten, Vorlieben und Neigungen ausgetauscht?

Und wenn es dem Wohl der Gesamtheit widerspricht, daß du eine bestimmte Frau liebst, dann wird auch diese Vorliebe mit Update 47-Strich-Alpha behoben und dir ggf. Zuneigung zu einer anderen Frau eingespeist?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 9.08.2013 | 09:43
@Grey:

Wenn du die Zeit dazu hast, lies mal "When Gravity Fails".

Die Ursprungsfrage hier ist doch: werden wir unglücklich sein, wenn wir nicht mehr gebraucht werden, welchen Schaden richtet eine Vollautomatisierung an unserer Identität an.
Unsere Identität ist eine stark extern geprägte Sache, quasi die Summe aller unserer aktiven und passiven Leistungen, bewertet in unserer Peer Group. Im Kontext hier müsste unsere Identität leiden, denn wir haben keine aktiven Leistungen mehr zu erfüllen, unserer Peer Group geht es genau so und wir siechen einfach so einsam vor uns hin.
Wenn ich jetzt aber hingehen kann und mich entscheide jetzt sofort und auf der Stelle Arzt zu werden, mir passendes Wissen und Skill abrufe und somit Arzt von Spitzenniveau bin, was dann? Ich bin genau so gut wie der Arzt-Roboter, besser sogar, da ich Empathie besitze und eine Persönlichkeit habe.
Nun geh das Thema Persönlichkeit an. Wenn man die Upgraden, Fixen, Boosten, Austauschen könnte, wer ist man dann? Gar banal gesagt, wenn ich einen PersonaFix mit einer Dirty Harry Persönlichkeit lade, wer bin ich?

Um den Sprung zurück zur Usprungsfrage zu machen: Wir sind die Roboter in diesem Utopia und nur die Leute, die "natürlich bleiben", fallen zurück.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 9.08.2013 | 12:35
@Slayn:

Unsere Identität wird aber nicht nur von unseren Fähigkeiten bestimmt, sondern auch von unseren Neigungen. Und von unserem Gefühl für Einzigartigkeit.

Sprich, wenn ich groß, stark und etwas blöd geboren bin, aber in einer Gesellschaft, die für meine Stärke Verwendung hat, dann ist das gut für mein Selbstvertrauen.

Wenn nun aber jeder sich einfach die entsprechende Stärke "zukaufen" kann, ob jetzt per Cyberware oder als ferngesteuerter/autonomer Automat, dann ist meine Stärke nichts Besonderes mehr. Meine Einzigartigkeit geht verloren.

Das gleiche gilt für jedes andere Attribut und jede Ausbildung: "geschickt", "intelligent", "talentierter Arzt", "begabter Pilot", all das sind im Moment noch Dinge, die einem - in gewissem Maße - in die Wiege gelegt werden. Du kannst neidisch auf andere gucken, die andere Fähigkeiten haben, aber du kannst auch stolz auf das sein, was du hast und was dich vor anderen auszeichnet.

Wenn man jede beliebige Fähigkeit jederzeit zukaufen kann, geht deine Einzigartigkeit verloren. Dann bist du nichts mehr, nur noch ein austauschbares Stück Trägermaterial für abrufbereite "Software".

Und zu dem von dir angesprochenen Aspekt, wir könnten selbst erzwingen, was uns glücklich macht: das sehe ich in diesem Modell nicht. Wir können lediglich erzwingen, worin wir gut sind.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 9.08.2013 | 13:43
Du vergisst dabei den wirklich maßgeblichen Faktor der Peer Group. Ohne diese, keine Reflektion für die Identität. Muskelmaxe wird in einer Umgebung die Stärke bewundert aufgehen, von Akademikern dagegen verachtet. Dies bestimmt seine Identität zu einem mehr als großen Faktor mit.
Die Unterschiede in der Peer Group fallen aber weg, die Reflektion ist somit wertneutral geworden, etwas das es in unserer jetzigen Gesellschaft so nicht gibt. Es stellt sich die Frage ob dies nicht in gewisser Art und Weise nicht eine bessere und auch angenehme Evolutionsstufe darstellt.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: sindar am 9.08.2013 | 14:21
Du bestätigst genau das was ich meinte. Alles was du aus deiner Sicht in deiner Umwelt bewegst definiert dich. Es ist nur im Bezug zu dir von Interesse. Ob am anderen Ende der Welt irgendwer eine hochwertige Arbeit leistet interessiert dich nicht (zumindest erwähnst du es hier nicht). Es würde dich wahrscheinlich auch nicht interessieren was in deiner jetzigen Umgebung passieren würde wärst du nie da gewesen. Dein Selbstwertgefühl speist sich aus dem was du als deinen Einfluss auf deine Umwelt wahrnimmst. Das heißt es interessiert dich dein eigener Einfluss nicht die Gesellschaft oder gar die Welt.
Genau das meinte ich.
Meine Wahrnehmung ist anders. Fuer mich ist es wichtig, dass ich der Gesellschaft (na, wenigstens meiner Umgebung) weiterhelfe. Das mag nach nur einem Unterschied in der Formulierung aussehen, fuer mich ist es auch ein wichtige Unterschied in der Betonung. Tatsaechlich lege ich nur wenig Wert darauf, dass mein Name auch auf den Veroeffentlichungen draufsteht (womit ich hier regelmaessig auf Unverstaendnis stosse).
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Slayn am 9.08.2013 | 14:25
Meine Wahrnehmung ist anders. Fuer mich ist es wichtig, dass ich der Gesellschaft (na, wenigstens meiner Umgebung) weiterhelfe. Das mag nach nur einem Unterschied in der Formulierung aussehen, fuer mich ist es auch ein wichtige Unterschied in der Betonung. Tatsaechlich lege ich nur wenig Wert darauf, dass mein Name auch auf den Veroeffentlichungen draufsteht (womit ich hier regelmaessig auf Unverstaendnis stosse).

Altruismus als Motivation ist selten geworden.

Die Frage ist aber, wenn man diesen Altruismus künstlich erzeugen könnte, wäre das nicht von allgemeinem Vorteil?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 10.08.2013 | 14:13
Wenn sich jede beliebige Motivation jederzeit bei jedem Menschen nach Belieben erzeugen läßt, wo ist dann noch die eigenständige Persönlichkeit?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 10.08.2013 | 20:58
Wenn sich jede beliebige Motivation jederzeit bei jedem Menschen nach Belieben erzeugen läßt, wo ist dann noch die eigenständige Persönlichkeit?

Die gibts eh nur in der Interaktion mit anderen, zumindest laut Wolfgang Prinz. Der Altruismus entsteht nach dieser Theorie dann durch die Spiegelung eigener und fremder Persönlichkeitsanteile, die kaum noch auseinanderzuhalten sind.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: schwarzkaeppchen am 10.08.2013 | 22:41
Zitat
Dann bist du nichts mehr

Ist das nicht vielleicht ein klein bisschen verkürzt, Selbstwertgefühl ausschließlich an der Durchsetzungsfähigkeit in Konkurrenzkämpfen zu bemessen? ;)
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 10.08.2013 | 22:46
Ist das nicht vielleicht ein klein bisschen verkürzt, Selbstwertgefühl ausschließlich an der Durchsetzungsfähigkeit in Konkurrenzkämpfen zu bemessen? ;)
An welcher Stelle, bitte, hat das ursprüngliche Zitat etwas mit Durchsetzungsfähigkeit in Konkurrenzkämpfen zu tun?
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: schwarzkaeppchen am 10.08.2013 | 23:03
Zitat
Das gleiche gilt für jedes andere Attribut und jede Ausbildung: "geschickt", "intelligent", "talentierter Arzt", "begabter Pilot", all das sind im Moment noch Dinge, die einem - in gewissem Maße - in die Wiege gelegt werden. Du kannst neidisch auf andere gucken, die andere Fähigkeiten haben, aber du kannst auch stolz auf das sein, was du hast und was dich vor anderen auszeichnet.

Vielleicht interpretierte ich da ja ein bisschen viel, aber auf mich machte das den Eindruck von - "irgendwo musst du anderen überlegen sein, dich vor anderen auszeichnen, beweisen, dich von denen abheben, speziell befähigt sein - sonst hast du ein großes Loch in deinem Leben"
Sehe ich so einfach nicht, bzw fände ich, wenn richtig verstanden - ganz schön vereinfachend. Mensch sein ist mehr als die Summe deiner Fähigkeiten... wenn eine Maschine das alles auch kann, schön für sie, aber so ne "prometheische Scham" (schöner Begriff von Günther Anders bzgl. Minderheitskomplex von Menschen gegenüber ihren Schöpfungen) ist ja auch 'ne gesellschaftliche Konstruktion. Wenn ich mir verdammt einfach komplexe Fähigkeiten aneignen kann - ist doch super. Als reine Funktion gesehen werde ich damit nur, wenn meine Funktionalität meinen gesellschaftlichen Wert angibt. Davon kannst du in einer Überflussgesellschaft nicht mehr ausgehen...
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 11.08.2013 | 09:06
Da hast du tatsächlich etwas viel reininterpretiert. Als Grundvoraussetzung für Individualität sehe ich schon, daß man sich irgendwo "von anderen abhebt" - denn wenn alle gleich sind, gibt es per definitionem keine Individualität mehr.

Des weiteren sehe ich Fähigkeiten tatsächlich als wesentliche Säule für das Selbstverständnis des Individuums. Das muß noch nicht einmal in einem Konkurrenzsinn gemeint sein. Für mich (und meiner Beobachtung nach für so ziemlich jeden) ist es einfach ein schönes Gefühl, anderen z.B. mit etwas helfen zu können, worin man besonders gut ist.

Aber selbst wenn man mit einer nur durchschnittlichen Fähigkeit "punkten" kann, gibt das dem Selbstvertrauen immer noch Auftrieb. Gemeinsam mit anderen z.B. einen Karren aus dem Dreck zu wuchten, ist ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem man sich gebraucht und respektiert fühlt.

Wenn aber alles - egal, was - von Maschinen besser erledigt werden kann und du für gar nichts mehr gebraucht wirst; oder wenn jeder die Fähigkeit, auf die du besonders stolz bist, jederzeit zukaufen kann, anstatt dich um Hilfe zu bitten; dann bist du in dieser Hinsicht bedeutungslos geworden. Der Stützpfeiler "Wert für die Gesellschaft" bricht deinem Ego dann weg.

Es bleiben natürlich die Stützpfeiler "Wert für deine Freunde" und "Wert für die Familie". Dies aber sind Pfeiler, die vollständig der persönlichen Wertung und Willkür anderer überlassen sind. Fähigkeiten sind Pfeiler, die auf einem "meßbaren Ertrag" fußen. (Daß z.B. "Muskelmaxe" in erster Linie von der Anerkennung ihrer Peer Group zehren, ist ein relativ neues Phänomen, der Tatsache geschuldet, daß große Kraft heutzutage nun mal die Domäne von Maschinen ist; noch Mitte des 20. Jahrhunderts waren Muskeln eine gefragte Ressource, und Menschen mit Muskeln konnten auf ihrer Hände Arbeit stolz sein, auch ohne daß jemand Beifall klatschte.)

Alle diese Stützpfeiler sind in letzter Konsequenz glücksabhängig; die Familie kann man sich nicht aussuchen, die Begabungen zu seinen Fähigkeiten auch nicht; und das Selbstvertrauen, das man aus beiden Bereichen zieht, hat wiederum Auswirkungen auf das Vermögen, Freundschaft und Liebe zu finden.

Der Sektor "Fähigkeiten" aber ist wiederum ein so vielfältiger Bereich, daß es für _jeden_ irgendein Gebiet gibt, auf dem er überdurchschnittlich ist. Somit ist dieses Feld das Zuverlässigste, um irgendwo eine Quelle für Selbstvertrauen anzubohren. Das aber wird es nicht länger geben, wenn Unterschiede in jeglicher Fähigkeit auf technischem Wege ausgeglichen werden.

"Wenn jeder super ist, ist es keiner mehr." (Monolog von Syndrome, aus: The Incredibles.) Diese Aussage läßt sich nicht nur auf übermenschliche Superkräfte anwenden.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Beral am 11.08.2013 | 11:28
Wenn sich jede beliebige Motivation jederzeit bei jedem Menschen nach Belieben erzeugen läßt, wo ist dann noch die eigenständige Persönlichkeit?
Motivation ungleich Kompetenz.

Wenn sich Motivation jederzeit bei jedem Menschen beliebig erzeugen lässt, wird man dazu übergehen, Menschen unterschiedliche Motivationen zuzuweisen, die ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld entsprechen. Der Rosenzüchter bekommt eine andere Motivation verpasst als der Fußballtrainer. Da hast du wieder deine Unterschiede, sie ergeben sich praktisch zwangsläufig.

Insgesamt sind diese Spekulationen zu oberflächlich. Neben Motivation und Kompetenz gibt es noch mehr als genug Eigenschaften, die eine Persönlichkeit ausmachen. Das "Identitätsmodul" im Gehirn trennt zwischen ich und du, das ist nun mal seine Funktionsweise. Diese Funktion kann auf jeden beliebigen Scheiß angewendet werden, auf die Körpergröße, die Augenfarbe, den Modestyle, die Herkunft, die Verwandtschaftsnähe. Es kann auch auf Sachen angewendet werden, die wir alle teilen: Jeder von uns hat das Bedürfnis zu essen. Du kannst trennen zwischen dem, der jetzt gerade essen will und dem, der gerade nicht essen will. Hier gibt es nun gar keine Persönlichkeitsunterschiede mehr, sondern nur unterschiedliche Zeitpunkte, an denen die gleichen Bedürfnisse aktiv sind - selbst das reicht aus. Außerdem: Eine Frau ist dir ein bezauberndes Wesen, wenn sich ihr sexuelles Interesse gerade auf dich richtet; die gleiche Frau ist dir eine dreckige Schlampe, wenn sich ihr sexuelles Interesse gerade auf einen anderen richtet. Reine Situationsparameter, die nichts direkt mit der Persönlichkeit zu tun haben, reichen völlig aus, um dich von jemandem abzugrenzen oder ihn als Gleichgesinnten zu betrachten.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: schwarzkaeppchen am 11.08.2013 | 11:32
Zitat
"Wert für deine Freunde" und "Wert für die Familie"
Da könnte noch ein allgemeines "Wertschätzung durch die Gemeinschaft/Gesellschaft" (anstatt "Wert für") dazu und ein "Fähigkeit zur Gestaltung der Umwelt nach meinen/unseren Wünschen", "Fähigkeit eigene Ziele zu erreichen" (enorm verbessert), die ganze "Maslowsche Pyramide" (check für alles wofür du nicht direkt auf Mitmenschen angewiesen bist).
Diese ganzen hochüberlegenen Maschinen und Updates sind ja immer noch durch dich als Menschen kontrollierbar und handeln nach deren Vorstellungen. Ich glaube da stellt sich weniger ein Verlust des Selbstvertrauens ein, sondern je nachdem nach was sich mensch orientiert irgendwann eine gewisse Überdrüssigkeit und Langeweile am Machtrausch. "Hey, ich kann zwar sein wer immer ich will, aber was will ich eigentlich wirklich?"

Zudem ... wenn Eignung zum Konkurrenzkampf als maßgebliche Bewertung des eigenen Handelns/Lebens wie wir das heute so haben (Suizid wegen Jobverlust, Wirtschaftskrise, Unfähigkeit zum Unterhalt zahlen etc. war dann wohl mal) wegfällt, entstehen höchstwahrscheinlich neue, andere Formen von Definitionen eines erfüllten Lebens als Wettkampf. Einen Schritt weiter - Menschen schaffen sich ihre einzigartige Blase, haben ihre eigene Gedankenwelt und die lässt sich nunmal nicht kopieren. Ich könnte mir zB vorstellen das die neuen Primärfelder für Abgrenzungsmarker einer post scarcity-Gesellschaft kulturelle Originalität, Information, Wissensauswahl, Geschmack etc sind. Das von anderen zu kopieren wäre sinnlos, immerhin geht es um Einzigartigkeit.

Zitat
"Wenn jeder super ist, ist es keiner mehr."
Oder es sind eben alle super, aber die ollen "starken Männer" von damals können halt nicht mehr die uneingeschränkten Stars sein und sich vor der Folie der vielen Schwachen abheben. ;) Incredibles macht ne Menge Spaß, aber ich glaube Watchmen ist vom Kern her die bessere Parodie auf das Genre... und hätte Syndrome eine weitgehend uneigennützige Absicht gehabt Menschen mit diesen Kräften auszustatten um die Supermacht quasi zu demokratisieren während die "genetisch bevorzugte" Altriege mit Händen und Füßen dagegen wehrte - der Film hätte eine ganz eigene Note bekommen.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 11.08.2013 | 11:51
Reine Situationsparameter, die nichts direkt mit der Persönlichkeit zu tun haben, reichen völlig aus, um dich von jemandem abzugrenzen oder ihn als Gleichgesinnten zu betrachten.
Alle diese Situationsparameter erhalten aber für dich persönlich erst im Kontext mit deiner Persönlichkeit Bedeutung. Folglich müssen die "festen Eckpunkte" dieser Persönlichkeit irgendwie definiert sein, sonst versinken alle Impulse, Reaktionen, Emotionen, Zielsetzungen etc. in der Beliebigkeit.

"Hey, ich kann zwar sein wer immer ich will, aber was will ich eigentlich wirklich?"
... womit wir bei der Frage angekommen sind, zu deren Beantwortung ich diesen Thread überhaupt erst aufgemacht habe. (Und das schon auf Seite 3, wow. ;))

Worüber definiert bzw. findet das Individuum seine Identität, wenn der "Beruf" durch Automatisierung wegfällt? Konkrete Vorschläge bis hin zu "ein typischer Tag von John Doe im Jahr 2513" sind willkommen (sofern sie berücksichtigen, daß bei Weitem NICHT jeder die Neigung zur Kreativität hat, denn den Vorschlag "dann definiert man sich halt über Kunst und kreatives Schaffen" hatte ich inzwischen so oft, daß meine Strichliste eine Bildschirmseite füllen würde; was nichts daran ändert, daß damit nur einer kleinen Minderheit gedient wäre).

BTW@schwarzkaeppchen: Watchmen als "Parodie"?! Hast du die Comics gelesen oder nur diese unsägliche Verfilmung gesehen?

EDIT: Noch ein Gedanke zum Thema "genetisch bevorzugte Elite": Je mehr Tätigkeiten durch Automatisierung wegfallen, desto schmaler wird die Basis an Tätigkeiten, in denen sich ein Mensch "noch beweisen" kann; und folglich desto extremer die Elitenbildung.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: ErikErikson am 11.08.2013 | 12:04
Ich versuche mal wieder einen Ansatz nach Prinz: Nehmen wir das selbst als die uns bewussten Anteile unserer eigenen Persönlichkeit. Dazu gehört dann die mentale representation unserer Wünsche, Motivationen aber auch unseres Körpers, unserer freunde usw.

Nach prinz entsteht dieses Selbst dadurch, das wir andere beobachten und ihnen og. Eigenschaften zuschreiben. Im zweiten Schritt übernehmen wir diese Eigenschaften auf uns selbst.

Wenn nun die menschen nichts mehr sinnvolles zu tun haben, könnte ich mir vorstellen, das sich die Selbst der menschen stärker annähern. Denn früher war das Selbst ja durch die Ausübung verschiedener notwendiger berufe verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. Anders gesagt, die maurer haben ein anders Selbst entwickelt als die banker.

Jetzt kann aber jeder mensch nach eigenem Gutdünken leben. Er hat potentiell dieselben Möglichkeiten wie alle anderen, und ist damit auch tendenziell ähnlichen Einflüssen von anderen Menschen ausgesetzt. Dadurch könnte eine erhöhte Angleichung der verschiedenen Selbst stattfinden, und damit würd die gesellschaft kollektivistischer, ähnlich einem Ameisenstaat. jeder mensch würde seinen Mitmenschen in seinen Wünschen, Motivation usw. stark gleichen, weil man ständig in einer Interaktion mit menschen ist, die eine ähnliche Umwelt aufweisen, wie man selbst.     
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Beral am 11.08.2013 | 12:26
Alle diese Situationsparameter erhalten aber für dich persönlich erst im Kontext mit deiner Persönlichkeit Bedeutung. Folglich müssen die "festen Eckpunkte" dieser Persönlichkeit irgendwie definiert sein, sonst versinken alle Impulse, Reaktionen, Emotionen, Zielsetzungen etc. in der Beliebigkeit.
Die Bedürfnisse bilden solche Eckpunkte. Jeder will essen, jeder will trinken, jeder will Sex, jeder will Anschluss/Kontakt, jeder will zumindest über sich selbst bestimmen - und in der Regel will jeder auch andere beeinflussen. Die Palette von Bedürfnissen und anderen stabilen Persönlichkeitsmerkmalen ließe sich lange fortsetzen.

Gegen ein Versinken in Beliebigkeit gibt es dennoch keinen Schutz, auch unter heutigen Bedingungen nicht. Mehr als genug Menschen versinken hinsichtlich ihrer Identität tatsächlich in Beliebigkeit und wissen gar nicht wer sie sind und was sie wollen. Das Problem ist so alt wie die Identität selbst. Deswegen gibt es doch die ganzen Heldenmythen (überall auf der Welt nach dem gleichen Strickmuster erzählt), die der schwierigen und keinesfalls selbstverständlichen Identitätsfindung eine Orientierung bieten sollen.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: schwarzkaeppchen am 11.08.2013 | 12:28
Zitat
Watchmen als "Parodie"?! Hast du die Comics gelesen oder nur diese unsägliche Verfilmung gesehen?
Sowohl als auch. Die Verfilmung fand ich in weiten Teilen (naja, das abgewandelte Ende...) ganz ok, aber mal abgesehen davon ist das hier irrelevant - beides ist eine bitterböse Abrechnung mit dem Superheldengenre und all seinen faschistoiden Tendenzen, pubertären Allmachts- und Rache-Fantasien etc. die da mal offen als solche auf den Tisch kommen. Ich meine, allein der Titel in Anspielung auf "sed quis custodiet ipsos custodes?" legt doch da eigentlich schon recht offensichtlich das Thema Machtmissbrauch fest.
Die reale Folie für den durch "Superhelden" ausgedrückten Drang nach Leuten die sich meilenweit vor allen anderen abheben sind übrigens "Superstars" - oft Menschen die ihre Leben lang für dieses Ziel getrimmt werden und/oder eine ganze Industrie hinter sich haben die diesen Nimbus aufrecht erhält. Hätte auch was von Batman/Ozymandias - nur das die Leute weit weniger agency über das haben was sie tun. "Wayne Enterprises hat Batman eine Extrem-Diät und 1-2 kleine, kosmetische Operationen aufgezwungen damit er mit 10 Kilo weniger und Eight Pack endlich seinen Repräsentationspflichten nachkommt - und wir wieder mehr Bat-Merchandising verkaufen".

Zitat
sofern sie berücksichtigen, daß bei Weitem NICHT jeder die Neigung zur Kreativität hat, denn den Vorschlag "dann definiert man sich halt über Kunst und kreatives Schaffen"
Wenn wir hier schon ein Definitonsproblem haben - hier ein zweites: wtf ist für dich eigentlich Kreativität? Aussagen wie 99% der Menschen seien nicht kreativ lässt sich auch ein (frie nach Joseph Beuys): 100% sind es, und zwar schon immer, entgegensetzen. Kreativität verengt auf so wenige Leute ist ein Füllwort für Geniekult (siehe Superstars weiter oben). Mensch könnte dagegen halten: Kreativ sind alle, nur was auch als kreative Arbeit gewertet wird gilt nicht in dem Maße. Es lassen sich zudem Millionen Tätigkeiten überlegen - ob John Doe jetzt zu Hause am Kamin sitzt und Kreuzworträtsel löst, surfen geht oder mit einem Raumschiff nach extraterrestischem Leben sucht - Tätigkeiten die ein Leben füllen können gibt es viele. Die Frage danach welche davon für welche Person sinnstiftend sein können, kannst du auch für die heutige Zeit nicht ausreichend beantworten.
Ansonsten schau dir doch einfach mal an, was die heutigen Superreichen und Adligen mit Rente auf Lebenszeit und reiner Repräsentationspflicht so in ihrer Freizeit machen. Was machen Leute, die mit der goldenen Kreditkarte auf die Welt kommen? Haben die keine Ziele mehr?
Und wer Wettkampf ohne Hilfsmittelchen braucht - der wird halt vielleicht zum Champion der "all natural, no cyberware, no bioaugmentations"-Boxliga. Vielleicht aber dann eine Veranstaltung, die sich wahrscheinlich hauptsächlich biokonservative Fundis anschauen. ;)
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 11.08.2013 | 12:54
Jetzt kann aber jeder mensch nach eigenem Gutdünken leben. Er hat potentiell dieselben Möglichkeiten wie alle anderen, und ist damit auch tendenziell ähnlichen Einflüssen von anderen Menschen ausgesetzt. Dadurch könnte eine erhöhte Angleichung der verschiedenen Selbst stattfinden, und damit würd die gesellschaft kollektivistischer, ähnlich einem Ameisenstaat. jeder mensch würde seinen Mitmenschen in seinen Wünschen, Motivation usw. stark gleichen, weil man ständig in einer Interaktion mit menschen ist, die eine ähnliche Umwelt aufweisen, wie man selbst.     
Das wäre ein hochinteressanter Mechanismus. Ob aus Sicht des Individuums wünschenswert, steht auf einem anderen Blatt, aber auf jeden Fall eine denkbare Entwicklung. Danke für diesen Beitrag, Erik! :)

Gegen ein Versinken in Beliebigkeit gibt es dennoch keinen Schutz, auch unter heutigen Bedingungen nicht. Mehr als genug Menschen versinken hinsichtlich ihrer Identität tatsächlich in Beliebigkeit und wissen gar nicht wer sie sind und was sie wollen.
Das ist soweit korrekt. Auf der anderen Seite aber stellen Menschen, die "Neues ausprobieren", häufig fest, daß sich zwischen ihrer "Kernpersönlichkeit" und gewissen Tätigkeiten/Erlebnissen stärkere Resonanzen einstellen als mit anderen. Eine gewisse Nicht-Beliebigkeit ist dem menschlichen Individuum demnach inhärent. Die Persönlichkeit eines Menschen kann nicht von den äußeren Umständen beliebig gestaltet werden. Du kannst dich selbst nur finden, nicht formen.

@schwarzkaeppchen: Mir scheint, den Comic Watchmen haben wir denn doch recht unterschiedlich interpretiert. In meinen Augen zeichnet er ein sehr viel differenzierteres Bild, als das Superheldentum so pauschal zu verdammen. Aber gut, das wäre ein anderes Topic.

Wenn wir hier schon ein Definitonsproblem haben - hier ein zweites: wtf ist für dich eigentlich Kreativität? Aussagen wie 99% der Menschen seien nicht kreativ lässt sich auch ein (frie nach Joseph Beuys): 100% sind es, und zwar schon immer, entgegensetzen. Kreativität verengt auf so wenige Leute ist ein Füllwort für Geniekult (siehe Superstars weiter oben). Mensch könnte dagegen halten: Kreativ sind alle, nur was auch als kreative Arbeit gewertet wird gilt nicht in dem Maße.
Als kreativ würde ich in diesem Kontext jeden betrachten, der sich aus eigenem Antrieb etwas (nicht-destruktives) zu tun sucht, auch wenn die Notwendigkeit es ihm nicht gebietet.

Und da ist meine Beobachtung, daß die Mehrheit dazu neigt, ohne äußeren Antrieb entweder in Apathie zu versinken oder in Aggression. Wenn jemand auch nur anfängt, aus Langeweile ein Loch hinterm Haus zu graben, fiele das für mich bereits unter "Kreativität". Wer sein Badewasser zu Fuß mit Eimern aus dem nächsten Bach holt, ist kreativ. Wer seinen Garten pflegt, ist kreativ. Wer den ganzen Tag joggen geht, ist kreativ. Wer sich weiterbildet - ob jetzt aus Büchern, Museen, Fernsehen oder Internet -, ist kreativ. Wer sich ins Gras legt und an den Formen der Wolken erfreut, ist kreativ.

Wer sich ins Gras legt und einfach nur atmet, bis der Tag vorbei ist, wäre demnach nicht kreativ. Wer den ganzen Tag fernsieht und hinterher nicht mehr sagen kann, was er gesehen hat, wäre nicht kreativ. Wer Smalltalk betreibt, ohne hinterher einen einzigen neuen Gedanken oder Eindruck mitzunehmen, ist nicht kreativ. Wer aus Langeweile mit einem Baseballschläger durch die Straßen zieht und Passanten verprügelt, wäre nicht nur nicht kreativ, sondern sogar destruktiv.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: schwarzkaeppchen am 11.08.2013 | 13:27
Zitat
pauschal zu verdammen.
Hab ich das geschrieben? ;)

Zitat
Und da ist meine Beobachtung
und da haben wir das Kernproblem der Aussage. ;)
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 12.08.2013 | 09:07
OK, jetzt habe ich, glaube ich, eine Formulierung als allgemeines Kriterium, was ich in diesem Zusammenhang unter "kreativ" verstehe.

Ein kreativer Mensch befaßt sich ständig mit neuen Ideen. Auf Problemlösung bezogen bedeutet das, er geht ständig alternative Lösungswege durch, selbst wenn er bereits einen hat, der funktioniert. Aber auch ohne konkrete Problemstellung probiert der Kreative immer wieder Neues auf und schert sich nicht um den Nutzen.

Ein unkreativer Mensch ist damit zufrieden, wenn er einen festen Weg oder ein festes Schema hat, nach dem er agieren kann. An Alternativen hat er von sich aus kein Interesse. Im Regelfall hinterfragt er eher kritisch den Nutzen eines Weges, der ihm angeboten wird. ("Wozu ist das gut?")

EDIT: Mathematisch ausgedrückt, die Unterscheidung definiert sich darüber, was derjenige eher hinterfragt: den Weg bzw. die Tätigkeit selbst oder deren Nutzen. Wer eher die Tätigkeit hinterfragt, gehört gemäß dieser Definition zu den "Kreativen"; wer eher den Nutzen hinterfragt, zu den "Unkreativen".

Meiner Erfahrung und Beobachtung nach fällt die überwiegende Mehrheit in letztere Kategorie. Daher müßten bei einem Gesellschaftsentwurf mit Vollautomation letztere auch vorrangig berücksichtigt werden. Wegen der Eigenart des "Unkreativen", den Nutzen zu hinterfragen, würde auch eine "sinnlose" Beschäftigungstherapie nichts bringen. Wie auch immer der Gesellschaftsentwurf aussieht, er muß "Unkreativen" einen Platz bieten, an dem sich ihre Existenz "sinnvoll anfühlt".

und da haben wir das Kernproblem der Aussage. ;)
Du hast gegenteilige Erfahrungen oder Fakten anzubieten? Dann laß hören.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Beral am 23.08.2013 | 20:48
Wie hast du eigentlich das Ressourcenproblem gelöst? Vollautomation verhindert ja erstmal nicht die Knappheit von Ressourcen. Im Gegenteil sogar.
Titel: Re: Identitätsfindung bei Vollautomation (war: Technologisches Schlaraffenland)
Beitrag von: Grey am 19.09.2013 | 14:40
Upps, die Antwort hatte ich ja völlig übersehen. Sorry, Beral.

Das Ressourcenproblem würde ich in Bezug auf die Fragestellung als "gelöst" voraussetzen, ohne mir für den Moment Gedanken über das "wie" zu machen. Mir geht es hier in erster Linie um das Gedankenexperiment: Angenommen, wir hätten es tatsächlich geschafft, ein solches technologisches Schlaraffenland zu schaffen und alle damit einhergehenden Probleme irgendwie zu lösen: Was würde jeder einzelne von uns in einer solchen Umgebung mit seinem Leben anfangen?

Wohlgemerkt: Völlige individuelle Freiheit. Keine Ausbildung ist mehr obligatorisch. (Es kann also umgekehrt auch keine Ausbildung mehr bei einem anderen vorausgesetzt und z.B. als Gesprächsgrundlage genutzt werden.) Du brauchst niemanden mehr und wirst von niemandem mehr gebraucht. Dein Leben gehört ganz allein dir.