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Medien & Phantastik => Sehen, Lesen, Hören => Lesen => Thema gestartet von: El God am 21.11.2016 | 14:50

Titel: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 14:50
Ahoi!

Ich habe hier mal versucht, den schwierigen Status von Fantasy-Literatur für Jugendliche und Erwachsene in Deutschland zu beleuchten: Die Sache mit Harry Potter und der unendlichen Geschichte (https://weltenfabrik.wordpress.com/2016/11/21/die-sache-mit-harry-potter-und-der-unendlichen-geschichte/)

Daraufhin bekam ich folgenden Text als Hinweis: https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article11118843/Wie-Jim-Knopf-Co-Deutschland-veraenderten.html - hochinteressant, das war mir komplett neu. Kann an meinem Alter liegen, aber auch daran, dass ich DDR-Kind bin und dort die Sache etwas anders lag. Die Gruppe 47 war in der Schule Thema, aber die Zusammenarbeit von Krüss, Ende und Co war mir vollkommen neu. Es ist auch möglich, dass ich diese Perspektive als DDR- und Wendekind nicht kenne. In der DDR gab es eine literarische SF-Szene, die vor allem aus polnischer und russischer SF gespeist wurde und die auch viele phantastische Elemente hatte, aber natürlich auch politisch eingefärbt wurde. Der Neue Mensch, Sozialist, in der Regel Sowjet oder vergleichbar, war natürlich omnipräsent. Aber es wurde nie über den Sieg des Kommunismus erzählt, in der SF wurde diese vorausgesetzt, wodurch die politsche Prägung nicht ganz so offensichtlich ausfiel. Dadurch gab es hier mehr Leser als bei der sozialistischen Alltagsliteratur, die ja von Klassenkampf und dergleichen stärker durchsetzt war.
Ich vermute, weil meine Eltern ohne die westdeutsche Kinderliteratur aufwuchsen, hatten sie auch kaum Bezug dazu. Von den im Welt-Artikel erwähnten Autoren kam in meiner Jugend auch nur Ende auf den Tisch, und das, obwohl meine Mutter über den Erzieher-Beruf eigentlich ganz gut im Bilde hätte sein müssen.

Das folgende Zitat stammt aus dem Nachlass von Michael Ende:
Zitat
"Bastian ist nicht, wie das Drehbuch ihn schildert, einfach nur ein Junge, dem es ein bisschen an Selbstbewusstsein fehlt und der deswegen leicht einzuschüchtern ist. Bastian ist ein Kind, das sich in einer banalen, kalten, nur rationalen Welt nicht zurechtfinden kann, weil es sich nach Poesie, nach dem Geheimnisvollen, nach dem Wunderbaren sehnt. Der Tod seiner Mutter und das im Schmerz-erstarrt-Sein des Vaters bringen diese Hilflosigkeit dem Leben gegenüber zu einer entscheidenden Krise, eben dem Lesen der Unendlichen Geschichte – der Frage nach dem Sinn seines Lebens, seiner Welt. In dieser Welt scheint alles bedeutungslos. In Phantásien hat alles Bedeutung. Ohne seinem Leben und dem Tod seiner Mutter Bedeutung zu geben, kann Bastian nicht existieren. Darin liegt der Grund, warum er in ein untergehendes Phantásien kommt. Das schleichende Nichts, das Phantásien auffrisst, ist die Banalität, die Bedeutungslosigkeit der Welt. Außerdem: Bastians Vater, der obendrein noch einen sehr banalen Beruf hat, leidet das Gleiche wie Bastian. Auch er findet nicht die Bedeutung, den Sinn in seinem Unglück. Er hat sich ganz in seinen Schmerz eingeschlossen und merkt nicht einmal, dass er sein Kind damit völlig im Stich lässt. Er kann nicht mehr lieben. Bis Bastian ihm zuletzt das Wasser des Lebens bringt und die Erlösung der Tränen."

Dann noch das hier: http://www.michaelende.de/autor/biographie/die-eskapismus-debatte-in-deutschland

und das: https://www.torial.com/tanja.josche/portfolio/47273 insbesondere mit diesem Zitat:

Zitat
    "Der heutige so ­genannte Erwachsene betrachtet alles Wunderbare und Geheimnisvolle als ‹irrational›, als ‹phantastisch› oder ‹eskapistisch› oder wie die abwertend gemeinten Vokabeln alle heißen mögen. Doch räumt er all dem, was er für sich selbst als unbrauchbar erachtet, in der Kinderliteratur nolens volens ein gewisses Daseinsrecht ein. Manchmal nascht er heimlich daran, wenn ihn der große Katzenjammer ob seiner total entzauberten Welt überkommt, aber eben nur, wenn es keiner sieht. Sonst schämt er sich."

--> Das wiederum ist eine Einstellung, mit der ich aus meiner Elterngeneration auch konfrontiert wurde. Ich habe meinen (sehr literaturinteressierten) Vater zu Pratchett, Moers und weiteren bekehrt, aber vorher war die Richtung für ihn völlig uninteressant.

Wo ich mit dem Thread hin will

Keine Ahnung. Aber ich glaube, das Material, das ich eingesammelt und geschrieben habe, bietet Anknüpfungspunkte für einen interessanten Rundumschlag bei einem Glas Tee und Keksen. :)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Isegrim am 21.11.2016 | 15:23
Interessantes Thema und guter Text deinerseits dazu. Danke. Muss ich erst mal sacken lassen, da kommen spontan zu viele Assoziationen hoch... und Kindheitserinnerungen en masse, da ich tatsächlich mit dem ganzen Kram groß geworden bin, von Ende über Preußler bis zu Tolkien.

Also erst mal Tee machen und Kekse holen... ;)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 21.11.2016 | 16:03
Interessant - just gestern habe ich mich im Bücherthread der Drachenzwinge (http://www.drachenzwinge.de/forum/index.php?topic=272.msg817708#msg817708) darüber geärgert, dass fantastische Literatur gern pauschal aufgrund des Genres in die Jugendbuchabteilung gesteckt wird.

Ich denke übrigens nicht, dass deutsche Fantasy/Phantastik schlechter ist als die von anderswo. Die Tintentrilogie und die neuere Reckless-Reihe von Cornelia Funke sind großartig. Die Ulldart-Reihe von Markus Heitz und auch der erste Zwerge-Band war toll. Der erste Elfen-Band von Bernhard Hennen war auch gut. Und auch wenn Wolfgang Hohlbein sicher seine Schwächen hat, sind auch einige Bücher von ihm lesenswert. Und der von dir schon genannte Moers hat zwar nach der "Stadt der Träumenden Bücher" schwer nachgelassen, kann aber wohl immer noch als Standardautor im besagten Genre gelten. Überraschend und angenehm fand ich im Übrigen die Entwicklung von Kerstin Gier hin zur Fantasy-Autorin. Ich hab die vorher eher in der Ecke fürchterlicher Frauenbücher verordnet gehabt - aber ihre Zeitreisetrilogie war wirklich schön.

Warum werden all diese Bücher pauschal als "Jugendbücher" bezeichnet, obwohl sie längst nicht nur von dieser Altersgruppe gelesen werden?

Liegts an den oftmals jugendlichen Hauptcharakteren? Wohl nur auf den ersten Blick. Die Geschichten sind auf eine Art und Weise geschrieben, dass durchaus auch Erwachsene daran Freude haben können. Gerade Cornelia Funke beschreibt neben dem Coming-of-Age Maggies in der Tintentrilogie auch wahnsinnig viele "erwachsene" Thematiken - etwa das Scheitern langjähriger Beziehungen, das Alt-Werden und Alt-Sein. Nichts, womit ich als 15-Jährige Lust gehabt hätte, mich auseinanderzusetzen. Die Ulldart-Reihe von Markus Heitz beschäftigt sich mit dem gesamten Leben des Hauptcharakters Lodrik - und das auf eine Art und Weise, dass ich das Buch als Jugendliche irgendwann aus der Hand gelegt und mir für einige Jahre später aufgehoben habe. Das war kein Jugendbuch und hat mich als als Jugendliche auch nicht angesprochen. Neil Gaiman (um auch ein nicht-deutschen Beispiel zu bringen) hat sich als Protagonisten für "The Ocean at the End of the Lane" für einen Siebenjährigen entschieden. Ist das deswegen ein Kinderbuch? Eher nicht - das Buch richtet sich sehr deutlich nicht an Kinder dieser Altergruppe - dazu ist der Inhalt zu assoziativ beschrieben, zu brutal und explizit.

In Verbindung mit der Eskapismus-Debatte ist mir aufgefallen, dass fantastische Geschichten oft nur dann eine Chance haben, aus der "Schundecke" rauszukommen, wenn sie glaubhaft machen, dass die Fantastik hier nur eine Metapher oder ein Bild für realweltliche Probleme darstellt - sie also zugeben, Eskapismus darzustellen. Beispiel dafür sind dann eben so Bücher wie die erwähnte unendliche Geschichte oder auch "Der mechanische Prinz" von Steinhöffel. Da geht es letztendlich - und du hast Endes Aussage in dem Zusammenhang ja auch verlinkt - um Kinder, die ganz reale Probleme mit ihrer ganz realen Umwelt haben und diese Probleme nur vermittels dieser fantastischen Metaebene verstehen und angehen können, weil sie im realen Leben einen zu beschränkten Handlungsspielraum haben. Eskapismus vom Feinsten. Ich hab mich auch selbst schon dabei erwischt, alle möglichen Geschichten so zu interpretieren. Ist Shadow aus "American Gods" nicht auch einfach nur ein völlig kaputter Typ, der seine Umgebung verändert wahrnimmt? Und Maggie aus "Tintenherz" - einfach nur ein Mädchen, dass sich ihrer realen Umgebung durch zu viel Fantasie entzieht? Alles Eskapismus? Warum dürfen die Geschichten nicht für sich stehen? Warum fällt es so schwer, alternative Realitäten in den Geschichten vollwertig als solche zu akzeptieren? Warum wird dieses Recht, die Geschichte als lebendig zu betrachten, Kindern und Jugendlichen vorbehalten, während Erwachsene sich davon zu lösen und unbedingt die "wirkliche Ebene" hinter dem Offensichtlichen zu erkennen haben?

Ich glaube, diese pauschale Einordnung von fantastischer Literatur als Jugendliteratur hängt maßgeblich damit zusammen, dass es heute "in" ist, vernünftig und abgeklärt zu sein, sich und seine Umgebung unter Kontrolle zu haben. Da passen solche "Eskapismen" nicht rein und werden als Zeichen von Schwäche gewertet. Daraus wiederum resultiert eben, dass Autor_innen gerne Kinder und Jugendliche als Medien für ihre Geschichte nehmen - es wirkt einfach glaubwürdiger, dass junge Menschen sich diesem "Realitätsdogma" nicht nicht hingegeben haben und auch andere Realitäten einfach als real hinnehmen. Das wiederum bestärkt dann Leute, die sich nicht mit dem Genre befassen, in ihrer Auffassung, dass das Jugendliteratur sei und die Schlange beisst sich in den Schwanz.

Ich hoffe, der Text war jetzt nicht zu konfus...

Richtig gut im Bereich der fantastischen Literatur und auch kompetent und in der Forschung engagiert ist übrigens die Phantastische Bibliothek (http://www.phantastik.eu/) in Wetzlar. Die haben übrigens auch ein Gästezimmer.... wer von euch träumt nicht davon, nachts alleine eine ganze Bibliothek zur Verfügung zu haben?  ;)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 16:35
Der jugendliche Charakter passt natürlich auch hervorragend in die Heldenreise, die ja immer auch ein Stück Bildungs- und Entwicklungsroman enthält. Der unreife/unfertige Charakter ist am simpelsten und glaubwürdigsten in Form eines Kindes/Jugendlichen anzulegen. Da steckt auch wieder der Fehler drin, Jugendliche nur als halbe Menschen zu betrachten, denen noch ein Stück fehlt, um wertig zu sein. Und wenn man die Sache so betrachtet - selbst GRRM schreibt in dieser Hinsicht Jugendbücher, denn die Stark-Kids und Daenerys sind schließlich auch noch halbwüchsig. Auch wenn der Rest der Romane gar nichts - und zwar wirklich gar nichts - im Bereich Jugend verloren hat. Oder werde ich da Opfer des selben Vorurteils, indem ich seine Darstellung von Sex und Gewalt und die Komplexität der Bücher im Erwachsenenbereich ansiedle? Man kann Bücher ja auch mehrmals lesen. Als ich mit Pratchett angefangen habe, ist mir auch die Hälfte der Anspielungen entgangen - und trotzdem waren die Bücher für mich und ich für die Bücher geeigent.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 21.11.2016 | 16:45
Kurze randbemerkung: eine sache die ich großartig finde ist der deutsche überbegriff "Phantastik", den es ja im englischen so nicht gibt - da sind die mauern des genres massiver, auch wenn gleichzeitig viele autoren eher dazu bereit sind, diese Grenzen zu verwischen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 21.11.2016 | 16:53
Oder werde ich da Opfer des selben Vorurteils, indem ich seine Darstellung von Sex und Gewalt und die Komplexität der Bücher im Erwachsenenbereich ansiedle? Man kann Bücher ja auch mehrmals lesen.
Ja, das frag ich mich auch immer. Ich find bei Büchern, wie bei Filmen auch, diese grobe Einteilung in Bücher für bestimmte Altersgruppen schwierig. Letztendlich bleibt es immer eine Empfehlung und es hängt von der einzelnen Person ab, was in welchem Entwicklungsabschnitt als geeigntet oder gut empfunden wird. Und wie du auch schon sagtest - richtig gut gemacht, sind eben Bücher, die ich in verschiedenen Abschnitten meiner Entwicklung lesen kann und in denen ich je nach meiner persönlichen Reife und aktuellen Situation dann immer wieder andere Facetten entdecke, die mich neu ansprechen. Da lesen sich Bücher dann immer wieder anders.

@ Infernal Teddy: Phantastik wird nicht überall als Oberbegriff verwendet. Die Bibliothek in Wetzlar spricht, wenn ich das richtig erinnere, immer allgemein von Fantastischer Literatur und betrachtet Fantasy und Phantastik als zwei Untergenre davon. Ich habs nicht mehr genau im Kopf, aber ich meine, die hätten das daran festgemacht, ob eine Geschichte komplett in einem Paralleluniversum spielt (wie HdR etwa) oder in einer veränderten Realwelt (Harry Potter z.B.).
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 21.11.2016 | 17:20
Es gibt dann ja noch den Magischen Realismus für Leute, denen Fantasy zu schmuddelig ist.  :o
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 17:40
Es gibt dann ja noch den Magischen Realismus für Leute, denen Fantasy zu schmuddelig ist.  :o

Daran musste ich auch schon denken. Ich habe jetzt das Bild von Kiesow im Kopf, wie er die unendliche Geschichte nach der Hälfte wegschmeißt und "POWERGAMER" schreit, weil das Auryn mit "Tu Was Du Willst" beschriftet ist.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 21.11.2016 | 17:56
Ich vermute, weil meine Eltern ohne die westdeutsche Kinderliteratur aufwuchsen, hatten sie auch kaum Bezug dazu. Von den im Welt-Artikel erwähnten Autoren kam in meiner Jugend auch nur Ende auf den Tisch, und das, obwohl meine Mutter über den Erzieher-Beruf eigentlich ganz gut im Bilde hätte sein müssen.
Um mal eine Erfahrung aus dem Westen zu bringen:
Ich war Mitte der 70-er im Kindergarten und meine Mutter war auch gelernte Kindeserzieherin (Da 2 Kinder natürlich damals nicht im Beruf). Alles von Ottfried Preußler gehörte damals zur Standardlektüre. Genauso wie Jim Knopf und Momo. Die Unendliche Geschichte kam ja erst 1979. Dazu gehörte natürlich auch das Sams und die Hörspiele vom Pumuckl und dem Schlossgespenst Hui Bu. Gerade Ende der 70-er Anfang der 80-er gab es ein regelrechtes Eldorado an Kinder-Fantasy (Robbi, Tobi und das Fliewatüüt, die Augsburger Puppenkiste und die Coproduzierten Anime fallen mir da spontan ein).
Um Dir mal die Einstellung damals klarzumachen: 1980 kam der Bakshi-Herr der Ringe raus und natürlich sind meine Eltern mit mir in den Film gegangen. Ist ja schliesslich Zeichentrick und Fantasy. Also was für Kinder.
Also ja: In Deutschland war zumindest in den 70-er und 80-er Fantasy etwas für Kinder und wie ich bei der Distribution für Mara und die Feuerbringer feststellen musste gilt das wohl heute noch genauso... zumindest für deutsche Filme...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 21.11.2016 | 18:00
Kurze randbemerkung: eine sache die ich großartig finde ist der deutsche überbegriff "Phantastik", den es ja im englischen so nicht gibt - da sind die mauern des genres massiver, auch wenn gleichzeitig viele autoren eher dazu bereit sind, diese Grenzen zu verwischen.
Bei Phantastik muss ich immer an den phantastischen Film (https://www.youtube.com/watch?v=hsjUdJfiXOM) im ZDF denken und das steht dann für mich für Sci-Fi- und Hammer-Filme
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 21.11.2016 | 18:37
Weil SciFi und Horror auch Untergenre der phantastischen Literatur sind, ist das ja auch nicht grundsätzlich falsch. Interessanterweise hat SciFi nicht den Ruf weg, reine Jugendliteratur zu sein. Wieso kann SciFi das und Fantasy nicht?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: YY am 21.11.2016 | 18:48
Unter Anderem deswegen:
In Verbindung mit der Eskapismus-Debatte ist mir aufgefallen, dass fantastische Geschichten oft nur dann eine Chance haben, aus der "Schundecke" rauszukommen, wenn sie glaubhaft machen, dass die Fantastik hier nur eine Metapher oder ein Bild für realweltliche Probleme darstellt - sie also zugeben, Eskapismus darzustellen.

Das ist ja für SF quasi der Normalbetrieb.
Wobei ich das gar nicht so pauschal sagen würde, dass SF da durchgehend oder auch nur spürbar besser da steht.

Aber vielleicht kenne ich auch nur zu viele fantasielose Spießer  ~;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 21.11.2016 | 18:50
Aber vielleicht kenne ich auch nur zu viele fantasielose Spießer  ~;D
Immerhin gibt es einen SciFi-Film vom Fassbinder. Das ist doch schon an Sich eine Auszeichnung, oder? ;)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Maarzan am 21.11.2016 | 19:00
Weil SciFi und Horror auch Untergenre der phantastischen Literatur sind, ist das ja auch nicht grundsätzlich falsch. Interessanterweise hat SciFi nicht den Ruf weg, reine Jugendliteratur zu sein. Wieso kann SciFi das und Fantasy nicht?

Weil SF auch etwas mit Technik, Mathe und Physik zu tun haben scheint, also durchaus gesellschafts-/wirtschaftsförderliche Dinge -  Abrakadabra Wunschkonzert eher weniger.

Mit dem Abgesang auf Technik, Mathe und Phys sowie Gesellschafts-/wirtschaftsförderlichkeit hat aber auch die SF einen erheblichen Einbruch erlitten und postfaktisches Agieren wie auch Phantastik eine zunehmende Akzeptanz gewonnen, was die These stützen sollte.   

Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 19:33
Weil SciFi und Horror auch Untergenre der phantastischen Literatur sind, ist das ja auch nicht grundsätzlich falsch. Interessanterweise hat SciFi nicht den Ruf weg, reine Jugendliteratur zu sein. Wieso kann SciFi das und Fantasy nicht?

SciFi schafft es wohl häufiger, die "großen Themen" der Menschheit anzuschneiden. Literarische Schaffenshöhe gibt es da aber auch nicht überall. Wenn ich an den frühen Heinlein oder irgendwelche StarWars-Romane denke ... So über einen Kamm scheren kann man das alles nicht - schade, dass das bei Fantasy oft noch geschieht.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: auerochse am 21.11.2016 | 20:37

Um Dir mal die Einstellung damals klarzumachen: 1980 kam der Bakshi-Herr der Ringe raus und natürlich sind meine Eltern mit mir in den Film gegangen. Ist ja schliesslich Zeichentrick und Fantasy. Also was für Kinder.
Also ja: In Deutschland war zumindest in den 70-er und 80-er Fantasy etwas für Kinder und wie ich bei der Distribution für Mara und die Feuerbringer feststellen musste gilt das wohl heute noch genauso... zumindest für deutsche Filme...

waren da nicht deine eltern ein wenig geschockt, was da mr. anti-disney ralph bakshi bot?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 20:55
Ich vermute, darauf wollte er hinaus :) Der Schock dürfte ähnlich ausgefallen sein wie bei "Watership Down"...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 21.11.2016 | 21:14
waren da nicht deine eltern ein wenig geschockt, was da mr. anti-disney ralph bakshi bot?
Sicherlich. (Ich denke aber Caligula, den sie ein paar Tage oder Wochen vorher gesehen haben, hatte den Schock vollständig überschockt. Sie können sich mittlerweile nicht mehr erinnern, dass sie mit mir in dem Film drin waren. ;))
Mich hatte es damals allerdings ziemlich geflasht.
"Watership Down" habe ich übrigens noch nicht gesehen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KWÜTEG GRÄÜWÖLF am 21.11.2016 | 21:19
Nebenbei gesagt - ich finde es viel schlimmer, wenn den Leuten ein Film oder Buch als historisch verkauft wird, und es dann in 99,9% der Fälle viel üblerer eskapistischer Mist ist, der dann auch noch für Realität gehalten wird.

Dann doch lieber gleich den Ansatz "Huhu, das ist eine erfundene Welt!" Das ist ehrlicher.

Hätte Ridley Scott al seine "Historien"-Filme als Fantasy angeboten, hätte ich den Kinobesitzern etliche zerbissene Armlehnen ersparen können (Ausser die Duellisten, der ist geil, und basiert auf wahren Begebenheiten).  :)

Kurz gesagt, lieber Michael Ende als Rosamunde Pilcher.  ^-^
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 21:30
Nebenbei gesagt - ich finde es viel schlimmer, wenn den Leuten ein Film oder Buch als historisch verkauft wird, und es dann in 99,9% der Fälle viel üblerer eskapistischer Mist ist, der dann auch noch für Realität gehalten wird.

Das schlimmste, was ich in dieser Richtung gelesen und erlebt habe, ist "Die Päpstin". Von diversen Hurenammenmarketenderinnenromanen, deren Protagonisten allesamt emanzipierter, religionskritischer und rationaler sind als selbst die meisten Hausfrauen heute, mal abgesehen.

Aber lieber ganz zurück zu Fantasy ;-)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KWÜTEG GRÄÜWÖLF am 21.11.2016 | 21:37
Fantasy hat da auch den Vorteil, dass sie legitim mit solchen was-wäre-wenn-Ansätzen spielen kann. Ist mir gerade auch in meinem Midgard-Thread aufgefallen.

Oft klammern sich Autoren aber an heroischer-Auserwählter-muss-die-Welt-retten-Plots. Das ist an für sich ja auch ein legitimer Erzählstrang, aber manchmal hab ich den Eindruck, dass manche Fantasy kaum anders denken können.

Dabei gibt es unter anderem auch sowas Grandioses wie Naomi Mitchisons "Eine Reise durch die Zeit", wo es Walküren, Odin, Drachen und das byzantinische Reich gibt, aber es nicht wirklich um Reiche oder Macht geht.
Wenn sowas eskapistisch sein soll, dann ist es Buddenbrooks auch.  :)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Isegrim am 21.11.2016 | 21:40
Ich vermute, darauf wollte er hinaus :) Der Schock dürfte ähnlich ausgefallen sein wie bei "Watership Down"...

Hab ich mit dem Kindergarten? der Vorschule? der ersten Klasse? im Kino gesehen. KA, ob die Pädagogen das intendiert hatten, hat mir aber nicht geschadt. Ist noch heute ein Film, den ich gerne sehe.

Mit meinem Vater war ich im Bakshi-Film, als ich neun oder so war, aber wir kannten beide das Buch. Nur die suboptimale Umsetzung war etwas enttäuschend. Anders bei Die Ritter der Kokosnuss. Da ging Papa davon aus, dass sei ein Ritter-Film wie Ivanhoe, was sich als... nicht ganz korrekt herausstellte... ;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 21.11.2016 | 22:22
Mich würde da schon auch interessieren, ob der Verfasser solchen Unsinns (http://www.spiegel.de/kultur/kino/hobbit-film-abrechnung-eines-tolkien-veraechters-a-1007754.html) auch mal Diana Gabaldon, Tanith Lee, Terence Hanbury White und Ursula Le Guin gelesen hat oder ob Terry Goodkind bei ihm durchgeht, weil der sich ja explizit auf Ayn Rand bezieht. Auch Andzrej Sapkowski spricht in den Witcher-Stories sehr konkret realweltliche Probleme an, und George R.R. Martins Epos ist sicher nicht weniger welthaltig, als diverse Familienepen in Breitwandromanform, die uns als Hochliteratur verkauft werden.

Auf der anderen Seite finde ich es immer wieder interessant, zu sehen, wie Phantastik-Autoren in Deutschland direkt der Science Fiction zugerechnet werden, sobald sie nicht die gängigen Klischees erfüllen. China Miéville lässt grüßen. Matt Ruff wäre noch so ein Kandidat.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 21.11.2016 | 23:04
Diese Denkweise ist aber offenbar sehr verbreitet: Beispiel aus einem Literaturforum (http://www.literaturforum.de/threads/19257-star-wars-hirnwaesche) - ist das einfach pseudointellektuelle Selbstdarstellerei oder glaubt der Typ wirklich, StarWars hätte eine politische Agenda? Volksverdummung wird ja generell gern angeführt, wenn es um Medienkritik geht, aber können Bücher oder Filme Menschen wirklich verblöden? Sehen wir den zahlenmäßigen Fakten mal ins Auge: Bei einem IQ-Durchschnitt von 100 liegt genau die Hälfte UNTER 100 - und was wird aus denen? Wenn sich ihnen "höhere" oder "komplexere" oder "bessere" Inhalte einfach nicht erschließen? Ich will beileibe nicht behaupten, StarWars oder Standard-Fantasy sei Unterhaltung für Dumme, aber diese Denkweise ist ohnehin schon klassistisch und kann doch gar keiner anderen Agenda dienen, als die eigene Seite als überlegen qua Intellekt darzustellen. Oder?

(Oder ist das einen ganz neuen Thread wert? Nähert sich ja auch gefährlich SC-Gebiet)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 22.11.2016 | 00:22
Zunächst würde ich festhalten, das die meisten Fantasyromane tatsächlich übelster Schund sind. Ich weiss das, denn ich habe sie gelesen. Die ganzen Warhammer/DSA/Shadowrun Serien kann man in einen Sack stecken, die sind alle aus literarischer Sicht Mist. SciFi ist nicht besser, ich sage nur Honor Harrington oder Perry Rhodan.
Ob man die Herzlosigkeit der Echsenmenschen aus Lustria mit der Unmenschlichtkeit von Tierexperimenten verbinden kann, wage ich nicht zu beantworten. Ich behaupte mal, das Zeug ist rein zur Unterhaltung geschrieben.

Die einzige andere Literaturgattung, die ich regelmäßig lese, ist Krimis, hier sieht es nun nicht besser aus. Man mag dem Gedanken anheimfallen, das 99% aller angebotenen Literatur Schund ist. Das würde ich auch so unterstützen.

Beim Rest hat die Fantasy ja durchaus ihre Bücher rausgebracht, die sich sehen lassen können, man bedenke GRR Martin wird überall gelobt und die Serie ist unglaublich erfolgreich bei Kritikern und Publikum.

Wenn man nun zu Hochliteratur kommt merkt man schnell ,das ist alles altes Zeug. Fantasy gibts aber noch nicht so lang. Goethes Faust, Poes Stories oder Dunsaney kann man aber problemlos als Fantasy oder Fantasyvorgänger betrachten, damit hat man dann mehr als genug Hochliteratur in dem Genre. Wenn man dazu noch die ganzen Mythen nimmt, Gilgamesch, Ilias usw. dann ist Fantasy Hochliteratur pur.

IMO wird hier der Fehler gemacht zu übersehen, das der ganze Liebesroman Sektor, die Kochbücher, die Humorecke, die Western, Seefahrts und Kriegsromane-also das was neben dem Fantasyregal steht, auch als Schund betrachtet wird.

Als literarisch wertvoll wird nur relativ wenig betrachtet, damit füllt man in einem üblichen Buchgeschäft keinen Korb.   






Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 22.11.2016 | 06:41
Literatur SOLL unterhalten. "Anspruch" ist nur eine nette nebenwirkung.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 22.11.2016 | 06:47
Weil wir von der Gruppe 47 gesprochen haben:
Es gab in der FAZ wohl 2007 eine Möglichkeit bestimmten Persönlichkeiten direkt Fragen zu stellen. Dabei wurde auch Marcel Reich-Ranicki eine kurze Fragerunde gegönnt:
Fragen Sie Reich-Ranicki (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-ein-wunderbarer-poetischer-zeitkritiker-1412655.html)
Ich fand seine Antwort in Bezug auf Fantasy-Literatur damals bezeichnend:
Zitat
Wie schätzen Sie die Bedeutung von Fantasy-Literatur - besonders Tolkiens „Der Herr der Ringe“ - im Vergleich zu der als „bedeutend“ angesehenen Literatur (Shakespeare, Goethe Schiller, Thomas Mann, Brecht) ein? Tobias Hock

Reich-Ranicki: Ich weiß es, ich werde Sie enttäuschen: Fantasy-Literatur, Science-Fiction und dergleichen mehr interessierte mich ein wenig in meiner Jugend. Von Tucholsky angeregt, las ich den Amerikaner Edward Bellamy, dann einige Romane von Jules Verne, dann einen in der Nachfolge von Verne schreibenden populären deutschen Autor Hans Dominik, der längst vergessen ist - und dann hatte ich von dieser Literatur genug. Sie amüsierte mich nicht. Wozu sollte ich sie dann lesen? Um mich über dies und das belehren zu lassen?

Für solche, vielleicht höchst lobenswerte Bemühungen sollte man die Kunst nicht missbrauchen. Und sie wird immer missbraucht, wenn sie ausdrücken will, was populärwissenschaftliche Schriften besser und auch überzeugender ausdrücken können.

EDIT:
Und um nochmal nachzulegen:
Fragen Sie Reich-Ranicki(die 2.te) (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-koeppens-schreibhemmung-1493123.html):
Zitat
Es trifft schon zu, dass die Science-Fiction-Werke, so erfolgreich sie auch sind, in der Literaturkritik nur ein dürftiges Echo finden. Natürlich ist das kein Zufall. Der wichtigste Grund mag sein, dass die unzweifelhaften Vorzüge dieser Prosa mit Kunst nichts zu tun haben.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: AngusMacLeod am 22.11.2016 | 07:17
Zum Thema, warum bei unserer Elterngeneration Fantasy weniger auf Akzeptanz stößt als SciFi, mag es vielleicht auch daran liegen, was in deren Kindheit und Jugend die dominante phantastische Literaturform war. Ich habe jetzt keine Fakten dazu, aber basierend auf den Erzählungen der "Zeitzeugen der 50er und 60er" (meine Elterngeneration), hatte in der Zeit die SciFi einen deutlich gewichtigeren Anteil im Mainstream als z.B. die Tolkiensche Fantasy, die ja auch erst 1970 das erste Mal in einer deutschen Version erschien.
Wir sehen uns immer noch als die "Jungen Leute" an und die Wirtschafts- und Politik-Granden als "die Älteren", die definieren, was anerkannt ist und was nicht auf einem Business-Meeting erzählt wird.

Aber warten wir nochmal 10 Jahre, dann sind die Chefetagen durchdrungen von rollenspielenden und Fantasy-Literatur-lesenden Wirtschafts- und Politik-Lenkern und dann sieht das alles wieder anders aus.
Jetzt ist es doch schon so, dass sich hier bestimmt auch einige rumtreiben, die als nerdige RPG-ler im "wahren Leben" in Managementpositionen sitzen und seriös mit Anzug und Krawatte Teams leiten und über die Geschicke von Firmen entscheiden. Und da merke ich bereits, dass man viel offener über Fantasyliteratur, RPG oder auch Metal-Festivals spricht, als man das mit Businessleiten aus der Elterngeneration (s. oben) machen würde.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 09:45
"Elterngeneration" ist ja sone Sache. Mein Vater hat ein ganzes Regal SciFi-Literatur, meine Mutter liebt Fantasy. Entsprechend konditioniert und ausgestattet wurde ich da halt auch. Das Lesen dieser Bücher hatte bei mir weder was Neuartiges noch Rebellisches. Da ich aber auch jünger als der Forendurchschnitt hier bin, ist das wohl schlicht eine Generation weiter als bei euch (meine Eltern hatten ihre Kindheit/Jugend in den 70ern/80ern). Allerdings: Mein Opa ist auch ein großer Herr der Ringe Fan und hat Moers mit großer Freude gelesen.

Zur Frage, was (nicht nur fantastische) Literatur leisten sollte. Ich seh das wie Infernal Teddy: Der Zweck von Unterhaltungs-Literatur ist es, naja, eben zu unterhalten. Alles andere ist netter Nebeneffekt und für mich zweitrangig. Ich hab in dem Zusammenhang neulich auf der Drachenzwinge (http://www.drachenzwinge.de/forum/index.php?topic=272.msg817730#msg817730) auch schon eine Lanze für sone Vampir-Buchreihe gebrochen. Natürlich ist die Schund. Na und?

Ich halt mich da an eines meiner Rechte als Leseratte (http://www.biblioforum.de/zehn_rechte_des_lesers.php), nämlich das Recht, irgendwas zu lesen. Ich bin nicht verpflichtet nur das zu konsumieren, was andere für toll halten. Es soll ja mir gefallen und nicht anderen. Wenn es mir darum ginge, die Bücher im Regal zu haben um andere mit meinem belesenen Intellekt zu beeindrucken, würde ich diese Baumarkt-Deko-Bücher von Reader's Digest bestellen. Es zeigt mir persönlich auch nichts mehr, wie unbelesen Menschen sind, die als ihre Lieblingsbücher großspurig die Dinger angeben, die zum Schullehrplan gehören. ("Also mir haben ja Effie Briest und Der Schimmelreiter unglaublich gut gefallen!") Das zeigt mir doch bloß, dass die, selbst wenn ihnen der Krempel wirklich Freude bereitet haben sollte, und sie mir das nicht nur erzählen, um klug zu wirken, danach nie auf die Idee kamen, noch weitere Bücher dieser Epoche/dieses Genres/dieser Person zu lesen.

Naja und dass der Reich-Ranicki sich gern selbst klug vorkam, wussten wir ja auch alle vorher schon. Ich kenne aber auch persönlich Leute, die gern die Ansicht verbreiten, Lesen müsse irgendwie schmerzhaft und elend sein, sonst wärs kein gutes Buch gewesen. Ich muss da immer an Oma Slättberg aus den Wilden Hühnern denken: "Das Leben muss hart und freudlos sein und wenn es doch einmal Spaß macht, hast du etwas falsch gemacht." Oder so ähnlich.  ;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 09:51
Weil wir von der Gruppe 47 gesprochen haben:
Es gab in der FAZ wohl 2007 eine Möglichkeit bestimmten Persönlichkeiten direkt Fragen zu stellen. Dabei wurde auch Marcel Reich-Ranicki eine kurze Fragerunde gegönnt:
Fragen Sie Reich-Ranicki (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fragen-sie-reich-ranicki/fragen-sie-reich-ranicki-ein-wunderbarer-poetischer-zeitkritiker-1412655.html)

 ;D

Mensch, von Bellamy zu Verne zu Dominik ... da hat der gute Mann sich ja auch konsequent von oben nach unten vorgelesen - kein Wunder, dass er dann keine Lust mehr hatte. Hätte er nicht mal jemand fragen können, der sich mit sowas auskennt?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 10:04
Auf der anderen Seite finde ich es immer wieder interessant, zu sehen, wie Phantastik-Autoren in Deutschland direkt der Science Fiction zugerechnet werden, sobald sie nicht die gängigen Klischees erfüllen. China Miéville lässt grüßen. Matt Ruff wäre noch so ein Kandidat.

Das finde ich übrigens interessant, weil bei uns im Buchladen Ruff und Mieville auch bei der SF und nicht bei der Fantasy stehen ... der Grund ist gar nicht, dass wir da irgendwelche auf inhaltlichen Kriterien basierende Genre-Zuteilungen vornehmen, sondern dass Mieville und Ruff bei den Kunden beliebt sind, die vorrangig SF lesen, während diejenigen, die vorrangig Fantasy lesen, sich meistens nicht für sie interessieren.
Denke, das hat mit der extremen Elfen-Zwerge-Meuchelmörder-Dominanz zu tun, die sich in der deutschsprachigen (Erwachsenen-)Fantasy herausgebildet hat. Die Fantasy- und SF-Leser scheinen sich manchmal schon sehr klar zu scheiden in "ich möchte gefordert werden"(SF) und "ich möchte was Vertrautes zum Schmökern" (Fantasy). Mieville und Ruff passen dann natürlich eher in die SF. Dazu kommt, dass es in der SF ja auch wieder starke Überschneidungen mit der "High Brow"-Literatur gibt (von Orwell bis zu aktuellen deutschsprachigen Autoren wie Reinhard Jirgl, Georg Klein und Dietmar Dath). Auch da finde ich, dass die Unterschiede oft gar nicht mal so stark inhaltlich begründet sind, sondern eine Frage der Vermarktung. Dietmar Daths "Pulsarnacht" ist waschechte Space Opera ...
Jedenfalls scheinen die SF-Leser oft eher geneigt, einfach mal was mit einem "seriösen" Cover zu nehmen oder einfach mal was schräges, was eigentlich eher Fantasy oder Phantastik ist (wie Mievilles Bas-Lag-Romane), solange eine interessante Idee dahinterzustecken scheint, während viele Fantasy-Leser oft in dem Moment abwinken, wo ein bestimmtes Inhaltselement, das ihnen nicht gefällt, vorkommt, oder eines, auf das sie Wert legen, fehlt ("Fantasy ohne Elfen interessiert mich nicht.)
Das sind jetzt natürlich sehr böse Verallgemeinerungen, aber sie stellen ehrlich gesagt den Grund dafür dar, dass bei den deutschsprachigen Büchern die abgefahrenen Sachen bei uns in aller Regel entweder ins SF- oder ins Horror-Regal wandern, aber nur sehr selten in die Fantasy. (Bei den englischsprachigen Büchern ist es übrigens wieder anders, da ist die Fantasy derzeit ein viel weiteres Feld - aus dem gerade die ausgefalleneren Sachen leider nur selten übersetzt werden. Das scheinen die Kunden bei uns dann wieder auch so wahrzunehmen, in der englischsprachigen Fantasy sortieren wir jedenfalls auch das abgedrehte Zeug mit ein, und die Kunden finden es dort dann auch.)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Dr. Evil am 22.11.2016 | 10:16
Eskapismus...

Hmm, auf jeden Fall. Sonst würde ich ja auch kein Rollenspiel machen, wo ich mich mittels Kopfkino in eine ganz andere Welt bzw. in einen anderen Charakter begegen kann. Ähnlich ist es da auch mit den "Büchern" des Genres, egal ob Phantastik, Fantasy oder SF etc.

Vornehmlich möchte ich beim lesen unterhalten werden - da kann ich den anderen Beiträgen nur beipflichten. Das funktioniert bei einem Autor, der den Nobelpreis für Literatur gewonnen hat ebenso wie bei einem billig runtergeschriebenen bzw. übersetzten Warhammer-Roman. Ob ich mich dann damit auseinandersetze, ob Tolkien die Erlebnisse des 2. Weltkrieges und die Nazis in "Herr der Ringe" verarbeitet hat oder ob er als Eigenbrötler einfach nur Spass an seinem eigenen Kosmos hatte, ist mir erstmal gleichgültig.

Da ich nun schon einige Jahre auf dem Buckel habe, bin ich zunächst mit den Klassikern der Phantastik in Berührung gekommen (z.B. E.A. Poe) um dann später die Erzählungen der deutschen Romantik und ähnliches zu verschlingen. Natürlich gehörten auch die Geschichten von Preußler und Konsorten zum allgemein anerkannten Kanon der Bücher, die man als Kind bzw. Jugendlicher gelesen haben sollte.

Mit Büchern wie der "Name der Rose" oder "Das Parfum" geschah dann auf einmal etwas seltsames in den deutschen Buchläden. Auf einmal wurde historisches bzw. "phantastisches" en vogue. Man legte alte Klassiker wieder neu auf, hatte aber irgendwie keine neuen deutschen Autoren um das Genre zu bedienen. Also übersetzte man auf Teufel komm ´raus ... und es folgte in diesem Sog dann auch die Einkehr der lustigen Paperbacks, die uns in 1000 lustigen Hochglanzbildern spannende Abenteuer historische Abenteuer servieren.

Wer sein Tolkien gelesen hatte oder die Sehnsucht nach der heilen und überschaubaren Welt eines Jim Knopf antrieb, der hatte auf einmal die Gelegenheit Nachschub zu bekommen. Und auch für diesen gilt - es gibt tolle Sachen oder einfach nur platte Versatzstücke aus zigmal gelesenen Plots.

Was das alles soll? Ich bin froh ruhigen Gewissens in die Kinder- und Jugendecke zu gehen, um zu schauen, was es neues auf dem Fantasymarkt gibt. Selbst wenn man mit Bekannten unterwegs ist, gilt es nicht mehr als "Schande" zu sagen, man lese einen Fantasy-Roman (oder SF...).

Lang lebe der neue Eskapismus. Zumindest lesen wir ja noch, auch  wenn viele behaupten, das Medium Buch sei Geschichte.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 10:28
Die Fantasy- und SF-Leser scheinen sich manchmal schon sehr klar zu scheiden in "ich möchte gefordert werden"(SF) und "ich möchte was Vertrautes zum Schmökern" (Fantasy).
Und in die "Ich würd so gern innovative Fantasy lesen, die mich mal wieder so richtig flasht". Und die stehen dann hilflos vorm Fantasy-Regal und röcheln leise ob des immerselben Mülls, der sich da stapelt. Gut, dass ich jetzt weiß, dass der Trick für gute Fantasy ist, sie in einem völlig anderen Regal zu suchen. Was ich nicht alles verpasse, weil Buchläden und Bibliotheken eigenartige Sortierkonzepte anwenden. :o
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 22.11.2016 | 10:29
Und in die "Ich würd so gern innovative Fantasy lesen, die mich mal wieder so richtig flasht". Und die stehen dann hilflos vorm Fantasy-Regal und röcheln leise ob des immerselben Mülls, der sich da stapelt. Gut, dass ich jetzt weiß, dass der Trick für gute Fantasy ist, sie in einem völlig anderen Regal zu suchen. Was ich nicht alles verpasse, weil Buchläden und Bibliotheken eigenartige Sortierkonzepte anwenden. :o

Same here
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 10:43
Und in die "Ich würd so gern innovative Fantasy lesen, die mich mal wieder so richtig flasht". Und die stehen dann hilflos vorm Fantasy-Regal und röcheln leise ob des immerselben Mülls, der sich da stapelt. Gut, dass ich jetzt weiß, dass der Trick für gute Fantasy ist, sie in einem völlig anderen Regal zu suchen. Was ich nicht alles verpasse, weil Buchläden und Bibliotheken eigenartige Sortierkonzepte anwenden. :o

Ich habe vollstes Verständnis für das Problem ... aber wir müssen uns da natürlich schon ein bisschen an die Erfahrungswerte halten, und da wird SF von den meisten eben als das Genre wahrgenommen, in dem die "Crossovers" verortet sind und sie nach ausgefallenen Büchern suchen, während die Fantasy für viele eher enger gefasst ist und dann entweder abgelehnt oder eben genau und nur in dieser eng gefassten Weise gewünscht wird.
Als anderes Beispiel nehme ich mal Jeff Vandermeer: Sein "Stadt der Heiligen & Verrückten" steht bei der Fantasy, und obwohl das einer unserer absoluten Dauertipps ist, verkaufen wir nicht viel davon ... Vandermeers "Southern Reach Trilogy" steht dagegen bei der SF, wird auch viel von uns empfohlen und geht richtig gut weg.
Und ich vermute mal stark, dass du, wenn du in eine SF/Fantasy-Buchhandlung kommst und auf der Suche nach innovativem Zeug bist, sowieso quer durch alle Auslagen schauen wirst, ohne groß auf die Genre-Überschriften über den Regalen zu achten. Außerdem sind wir sehr beratungsfreudig. Ich glaube also nicht, dass der Mieville irgendjemandem, der verrückte Fantasy sucht, bei uns durch die Lappen geht. Ist ja nicht so, dass die Leute vor dem Fantasy-Regal festgekettet werden ...

Okay, und noch ein Zugeständnis: Neil Gaiman steht bei uns bei der Fantasy - und Simon Weinert auch  ;) ... und ich muss hinzufügen, dass Mieville bei uns auch deshalb bei der SF steht, weil wir Autoren ungern "zerreißen" und es eben auch mindestens zwei Romane von Mieville ("Embassytown" und "The City & the City") gibt, die eindeutig in die SF gehören.

EDIT: Ach ja, persönlich halte ich eh nicht viel vom Genre-Sortieren und hätte am liebsten ein großes Regal für Bücher auf Deutsch und eines für Bücher auf Englisch, wie bei mir zuhause. Denn die tollsten Bücher sind ja bekanntermaßen meistens die, bei denen man Schwierigkeiten hat, sie klar einem Genre zuzuordnen ... Bei der Fantasy-SF-Horror-Frage geht es ohnehin in erster Linie darum, was man mit welcher Sortierung am besten verkauft bekommt.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 10:57
Und ich vermute mal stark, dass du, wenn du in eine SF/Fantasy-Buchhandlung kommst und auf der Suche nach innovativem Zeug bist, sowieso quer durch alle Auslagen schauen wirst, ohne groß auf die Genre-Überschriften über den Regalen zu achten.
Ich hab von ner ganz normalen Buchhandlung gesprochen - eine mit dem genannten Schwerpunkt gibt es in Leipzig leider nicht. Aber ja, ich hab auch immer etwas halbherzig übers SciFi-Regal geschaut - seh dann da lauter Buchrücken mit Raumschiffen und Galaxien und verlier das Interesse.

Tatsächlich ists so, dass ich in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht habe, dass mir SciFi nur bedingt liegt. Ich kann gar nicht so genau ausmachen, woran das liegt - aber auf SciFi muss ich schon echt Bock haben (oder wirklich nix anderes zu lesen), sonst bleibts sofort halbgelesen liegen. Mag vielleicht auch daran liegen, dass ich an die falschen Bücher geraten bin, wer weiß. Ging mir jedenfalls mit Asimov, Heinlein, Lem, LeGuin, Dick und gerade aktuell mit dem Autor von Red Mars (Name vergessen) so - hab entweder enorm lange für die Bücher gebraucht oder sie nie zuende gelesen (und dabei würd ich so gern wissen, wie die Kyberiade nun ausging). Und abseits vom Buchbereich mit Battlestar Galactica. Es ist also nicht so, als hätt ichs nicht versucht. Entsprechend hab ich aber eben auch nur sehr selten im SciFi-Regal nach irgendwas gesucht, weil ich da einfach wenig für mich vermutet habe. Das werd ich jetzt mal wieder ändern. :)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 11:04
Ich hab von ner ganz normalen Buchhandlung gesprochen - eine mit dem genannten Schwerpunkt gibt es in Leipzig leider nicht. Aber ja, ich hab auch immer etwas halbherzig übers SciFi-Regal geschaut - seh dann da lauter Buchrücken mit Raumschiffen und Galaxien und verlier das Interesse.

Tatsächlich ists so, dass ich in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht habe, dass mir SciFi nur bedingt liegt. Ich kann gar nicht so genau ausmachen, woran das liegt - aber auf SciFi muss ich schon echt Bock haben (oder wirklich nix anderes zu lesen), sonst bleibts sofort halbgelesen liegen. Mag vielleicht auch daran liegen, dass ich an die falschen Bücher geraten bin, wer weiß. Ging mir jedenfalls mit Asimov, Heinlein, Lem, LeGuin, Dick und gerade aktuell mit dem Autor von Red Mars (Name vergessen) so - hab entweder enorm lange für die Bücher gebraucht oder sie nie zuende gelesen (und dabei würd ich so gern wissen, wie die Kyberiade nun ausging). Und abseits vom Buchbereich mit Battlestar Galactica. Es ist also nicht so, als hätt ichs nicht versucht. Entsprechend hab ich aber eben auch nur sehr selten im SciFi-Regal nach irgendwas gesucht, weil ich da einfach wenig für mich vermutet habe. Das werd ich jetzt mal wieder ändern. :)

Okay, wir sind da natürlich auch ein Sonderfall ... gerade in einer "normalen" Buchhandlung geht im phantastischen Bereich doch eh oft alles kreuz und quer durcheinander, da würde ich mich immer bei SF&Fantasy umschauen (falls es dafür dann überhaupt getrennte Bereiche gibt) - und beim Jugendbuch.
Die von dir genannten Autoren sind natürlich alle auch sehr "klassische" SF (der Name, der dir fehlt, lautet übrigens Kim Stanley Robinson), aber ich denke, in den meisten SF-Regalen findet sich daneben auch Kram, der weiter ins "Phantastische" hineinreicht - die genannte Southern-Reach-Trilogie von VanderMeer z.B., oder die seltsameren Sachen von J.G. Ballard.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 11:17
Bei den Jugendbüchern in der Stadtbibliothek bin ich Stammgast. Da ists eh viel schöner als in der öden Erwachsenenabteilung. *Hühnchen*
Was ich mir aus diesem formidablen Diskussionsthread mitnehme, ist, dass ich nächstes Jahr wirklich wieder mehr Lesen will. Jetzt hab ich so viele tolle neue Bücher empfohlen bekommen, da muss ich jetzt durch.  ;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 22.11.2016 | 11:17
Und in die "Ich würd so gern innovative Fantasy lesen, die mich mal wieder so richtig flasht". Und die stehen dann hilflos vorm Fantasy-Regal und röcheln leise ob des immerselben Mülls, der sich da stapelt.

Das in etwa passiert mir, wenn ich im 08/15-Buchladen vorm Fantasy-Regal stehe. Was zugegebenermaßen nur selten vorkommt. Ich bin letzten Endes dazu übergegangen, gezielt nach unkonventioneller Fantasy zu suchen, was letzten Endes über Bestellungen im Buchladen um die Ecke bzw. auf Amazon oder Stöbern in Buchantiquariaten läuft.


Ich hab von ner ganz normalen Buchhandlung gesprochen - eine mit dem genannten Schwerpunkt gibt es in Leipzig leider nicht. Aber ja, ich hab auch immer etwas halbherzig übers SciFi-Regal geschaut - seh dann da lauter Buchrücken mit Raumschiffen und Galaxien und verlier das Interesse.

Ich habe Miéville mal im Thalia unter SF gefunden. Inzwischen finde ich den im normalen Buchhandel überhaupt nicht mehr. Damals wurden auch andere schrägere Fantasy-Crossover-Autoren im Mainstream verkauft, Moorcock z.B. Nach meiner Wahrnehmung steht in den Kettenbuchläden oder den Bahnhofsläden inzwischen auch unter SF nur der ewiggleiche Schrott. Und das 90% der veröffentlichten Fiktion Mist ist, unterschreibe ich in jedem Fall.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 22.11.2016 | 11:36
Wenn man nun zu Hochliteratur kommt merkt man schnell ,das ist alles altes Zeug. Fantasy gibts aber noch nicht so lang. Goethes Faust, Poes Stories oder Dunsaney kann man aber problemlos als Fantasy oder Fantasyvorgänger betrachten, damit hat man dann mehr als genug Hochliteratur in dem Genre. Wenn man dazu noch die ganzen Mythen nimmt, Gilgamesch, Ilias usw. dann ist Fantasy Hochliteratur pur.

IMO wird hier der Fehler gemacht zu übersehen, das der ganze Liebesroman Sektor, die Kochbücher, die Humorecke, die Western, Seefahrts und Kriegsromane-also das was neben dem Fantasyregal steht, auch als Schund betrachtet wird.

Als literarisch wertvoll wird nur relativ wenig betrachtet, damit füllt man in einem üblichen Buchgeschäft keinen Korb.   

Mainstream und Massenphänomene in der Literatur waren aber noch nie von Qualität geprägt. Pulp und ganz simpel: Schrott sind in der Masse der Neuerscheinungen neben einigen wenigen "Leuchttürmen" dominant. Ich weiß nicht, wie viele "Virus"-Thriller oder "Gerichtsmediziner"-Romane oder "Skandinavier"-Krimis ich schon beiseite gelegt habe. Schema F ist allgegenwärtig, nicht nur in der Fantasy. Damit bin ich wieder bei Sturgeons Gesetz: 90% of fiction is crap. Oder besser gesagt: 90% of everything is crap. Den ganz offensichtlichen Mist kann man nun wirklich beiseitewischen. Aber da bleibt noch genug übrig - auch in der (Jugend)Fantasy - um kreativ, innovativ und mitunter auch literarisch wertvoll zu sein. Das Problem ist nur, dass es, um das herauszufiltern, Spezialbuchhandlungen mit Liebhabern braucht, weil sich die Literaturkritik dem Thema komplett verweigert.

Edit: Huch, jetzt wird ja wild gepostet. Widme mich dem Rest in weiteren Beiträgen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 11:40
weil sich die Literaturkritik dem Thema komplett verweigert.


Na ja, inzwischen nicht mehr - unser neuer Kritikerpapst Denis Scheck macht ja nun wahrlich keinen Hehl aus seiner Fantasy/SF-Begeisterung.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 22.11.2016 | 11:54
Danke Rumpel für die Einblicke in die Sortimentierungsstrategie. Das war mir so zwar schon aufgefallen, aber die Bestätigung aus professionellem Munde hat das nochmal im Kopf sichtbarer gemacht. Und die Buchtipps hier im Thread gefallen mir auch :)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 12:18
Und die Buchtipps hier im Thread gefallen mir auch :)

Mir auf jeden Fall auch! Allerdings sind das, soweit ich gesehen habe, wieder "nur" Bücher aus dem englischsprachigen Raum. Gibts denn ähnliche Tipps für den deutschsprachigen Raum oder ist, wie am Anfang bemängelt, die deutsche Fantasy wirklich so arm dran?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 22.11.2016 | 12:38
Naja, ich habe da auch ein Buch geschrieben, das ohne Elfen und Raumschiffe auskommt (Link über meine Signatur)

Ist allerdings gerade erst raus, daher gibts noch keine Rezis. Ich selbst bin natürlich gezwungen, es für lesbar zu halten.  ~;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Achamanian am 22.11.2016 | 12:47
Und hier im Forum gibt es als Autoren irrwitziger Fantasy ja auch noch Korknadel (Simon Weinert mit seinem "Tassilo - Der Mumienabrichter", http://verlagdasbeben.de/print/ (http://verlagdasbeben.de/print/)) und Kriegsklinge (Jasper Nicolaisen, "Winteraustreiben" https://www.amazon.de/Winteraustreiben-Jasper-Nicolaisen-ebook/dp/B00H89JVQ0/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1479815032&sr=8-1&keywords=nicolaisen+winteraustreiben (https://www.amazon.de/Winteraustreiben-Jasper-Nicolaisen-ebook/dp/B00H89JVQ0/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1479815032&sr=8-1&keywords=nicolaisen+winteraustreiben)). Beide Bücher liebe ich so abgöttisch, dass es mir fast schon ein bisschen peinlich ist, mit den Autoren bekannt zu sein ...

Ach ja, und mein Storyband (siehe Signatur) ist zwar schwerpunktmäßig eher Horror, ich bin aber auch recht stolz darauf und finde, dass ich mich damit gut in die Ecke "abgedrehte deutschsprachige Phantastik" stellen kann.

Ansonsten noch: Daniel Ilger, Skargat - auf den ersten Blick nicht so innovativ, in der Kombination von Stil und inhaltlichen Elementen dann aber doch sehr ungewöhnlich. Der Autor hat mal gesagt, dass seine Haupteinflüsse Thomas Mann und die alten Sachen von DSA seien ...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 22.11.2016 | 12:50
Naja, ich habe da auch ein Buch geschrieben, das ohne Elfen und Raumschiffe auskommt (Link über meine Signatur)

Ist allerdings gerade erst raus, daher gibts noch keine Rezis. Ich selbst bin natürlich gezwungen, es für lesbar zu halten.  ~;D
Das mit den rezis kann man ja ändern...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Huhn am 22.11.2016 | 13:35
Ich finds immer schwierig, ne ehrliche Meinung zu Büchern zu bringen, wo ich die Leute kenne, die sie geschrieben haben. Solange ich die Bücher toll finde, ist ja alles tutti. Aber Kritik kommt meistens eher nich so gut an. Hab einige schreibende Verwandte und deren Bücher gefallen mir nicht unbedingt. Nur - wie sag ich sowas, ohne denen aufn Schlips zu treten?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 22.11.2016 | 13:39
Ich finds immer schwierig, ne ehrliche Meinung zu Büchern zu bringen, wo ich die Leute kenne, die sie geschrieben haben. Solange ich die Bücher toll finde, ist ja alles tutti. Aber Kritik kommt meistens eher nich so gut an. Hab einige schreibende Verwandte und deren Bücher gefallen mir nicht unbedingt. Nur - wie sag ich sowas, ohne denen aufn Schlips zu treten?

Dazu vielleicht ein neuer Thread?

[Edit]: Dazu ein neuer Thread (http://www.tanelorn.net/index.php/topic,100647.0.html).
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kardinal am 22.11.2016 | 14:50
Na ja, inzwischen nicht mehr - unser neuer Kritikerpapst Denis Scheck macht ja nun wahrlich keinen Hehl aus seiner Fantasy/SF-Begeisterung.

hhmmm, Scheck ist Jahrgang 1964 - ob der sich nichtmal zu Rollenspielen äußern will / geäußert hat?
Hat immerhin u.a. in den USA studiert und liegt in der richtigen Altersklasse für den RPG Boom der 1980er...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Daheon am 22.11.2016 | 15:04
Also ich bin lieber Eskapist als Alkoholiker.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kardinal am 22.11.2016 | 15:32
Also ich bin lieber Eskapist als Alkoholiker.

...oder man ist einfach beides.  >;D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Daheon am 22.11.2016 | 15:48
Genau!  >;D

Denn das ist der Fehler, den Kritiker wie der SPON-Autor so gerne machen, weil sie bei ihrer geisteswissenschaftlichen Ausbildung ihre Mengenlehre vernachlässigt haben. Es ist durchaus möglich, Fantasy zu lesen und sich trotzdem für die sog. Scheißwirklichkeit zu interessieren. Schnittmengen und so...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 22.11.2016 | 17:36
Tja, und nun? Mehr Fantasy abseits bequemer Wege lesen, unbekannte Autoren bekannter machen und sich den Kritikern durch überragende Qualität und kreative Inhalte aufdrängen?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 22.11.2016 | 17:38
Alternativ kann es einem auch einfach egal sein, was arrogante aufgeblasene Literaturkritiker so denken. Wobei das erstaunlicherweise ein sehr deutsches Phänomen ist. Fantasy und Unterhaltungsliteratur ist im Ausland wesentlich anerkannter.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Rhylthar am 23.11.2016 | 05:36
Als erstes gibt mir dieser Thread mal die Chance, meinen Eltern aufrecht dafür zu danken, dass sie mich zum Lesen animiert haben. Auch wenn meine Mutter mittlerweile behauptet, ich würde nur "Schund" lesen (als ob ihre Sachen besser wären  ~;D), sind sie damals auf meine Wünsche eingegangen und haben mir eben nicht nur Bücher geschenkt, die sie für "anspruchsvoll" hielten. Ob "Die unendliche Geschichte", "Der kleine Hobbit" oder "Jonathan Jabbok", alles gab es irgendwann mal.

Wenn ich hinter mich schaue, steht ausser Poe wahrscheinlich dort kein einziges Buch, was als Weltliteratur durchgeht. 99 % sind einfachste Belletristik und das wohl bei knapp 1500 Büchern. Und vieles davon auch das, was als "Schund" durchgeht (Forgotten Realms, Dragonlance, Shadowrun, etc.). Aber ich hatte nie die Absicht (und habe es heute noch nicht), mit Lesen irgendeinen Anspruch zu erfüllen. Ich will einfach nur unterhalten werden bei einem Hobby, das für mich zu den wichtigsten zählt.

Das führt mich dazu, als Lehrer zu sagen: Vollkommen egal, ob ein Buch Schund ist, Hauptsache die jungen Leute lesen. Wenn es dann noch Fantasy ist, um so besser.
Ich habe weder "Twilight", noch "Harry Potter" gelesen, auch "Game of Thrones/Song of Ice and Fire" ist nichts für mich. Aber ich freue mich, wenn ich SuS (da ist es wieder) mal mit einem Buch statt mit einem Smartphone in der Hand sehe. Und wenn es dann halt eine "Shades of Grey"-Epidemie ist...dann ist das halt so.

Ich werde in großen Buchhandlungen übrigens immer gut bedient, was die Auswahl an Fantasy angeht. Liegt wohl aber daran, dass ich immer bei den englischen Büchern schaue. Die Mayersche Buchhandlung in Bochum z. B. ist da eine große Gefahrenquelle für meinen Geldbeutel.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 23.11.2016 | 07:26
Naja und dass der Reich-Ranicki sich gern selbst klug vorkam, wussten wir ja auch alle vorher schon. Ich kenne aber auch persönlich Leute, die gern die Ansicht verbreiten, Lesen müsse irgendwie schmerzhaft und elend sein, sonst wärs kein gutes Buch gewesen. Ich muss da immer an Oma Slättberg aus den Wilden Hühnern denken: "Das Leben muss hart und freudlos sein und wenn es doch einmal Spaß macht, hast du etwas falsch gemacht." Oder so ähnlich.  ;D
Jo. Aber genau das hat der Ranicki garnicht geschrieben. Hätte ich so argumentieren wollen, dann hätte ich Elke Heidenreich zitiert ( "Ich hasse es, wenn Menschen mit Pelzohren Wunderdinge tun." ) Interessanterweise war damals in seinem literarischen Quartett seine häufigste Kritik, dass ihn das rezensierte Buch bis bis ins Unerträgliche langweilen und das der Autor prätentiös schreiben würde. Also nichts mit Lesen muss schmerzhaft sein oder so. Seine Argumentation ist bei dem Zitat sogar relativ tolerant. Er sieht ja durchaus Vorteile in der SciFi-Literatur. Nur er findet für ihn nichts Interessantes darin.
Stell Dir einfach mal vor ich würde ne Lanze für die Schlagermusik brechen und Dich fragen, ob Du Julianne Werding auch hörst. Ich wette Deine Antwort würde da ähnlich lauten wie seine gegenüber SciFi-Literatur.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 09:07
ich halte es allerdings trotzdem für vermessen, Fantasy und SciFi pauschal das Kunstsein abzusprechen. Selbst unter engeren Kunstdefinitionen trifft das nicht zu.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Timberwere am 23.11.2016 | 10:03
Vergesst als im Forum ansässige Autoren unseren Grey nicht. :)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 23.11.2016 | 10:08
Ich wundere mich ja schon, dass er selbst hier noch nicht aufgeschlagen ist. Aber natürlich - Grey / Markus Gerwinski darf nicht vergessen werden. Low Fantasy kommt schließlich per se ohne Pelzohren aus.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Celestine am 23.11.2016 | 11:18
Wenn man sich den Platonismus anschaut, ging es da auch um Eskapismus und zwar um die Flucht aus der Höhle des Vergänglichen in die Gegenwart der Sonne des Ewigen. Seit Descartes ging die Tendenz immer mehr in die Richtung selbst das was in der Höhle erkannt wird zu relativieren. So erscheint die Welt immer dunkler und bedeutungsloser um einen her. Ich stecke da nicht genug drin um zu entscheiden, welche Philosophie die besseren Argumente hat. Auf jeden Fall entspricht diese wissenschaftlich analytische und technologisch erobernde Weltanschauung unserem Zeitgeist  seit der Industrialisierung. Dieser Versuch Kontrolle über die natürliche Welt zu erringen, ist auf jeden Fall leichter zu erreichen, wenn die Leute ihre Träume vergessen, wie es der Gmork bei Michael Ende ausdrückt. So lässt sich der Mensch für Brot und Spiel instrumentalisieren. Natürlich schämt sich dann der Erwachsene für seinen als irrational gebrandmarkten Eskapismus, weil er das Gefühl gegeben bekommt sich lediglich vor seinen erwachsenen Pflichten drücken zu wollen. Diese Variante wird es auch genug geben, was aber wenn es auch eine Variante gebe die eher mit der Flucht eines Häftlings aus einem Gefängnis zu vergleichen wäre? So erklärt das z.B. Tolkien seinem Freund C.S. Lewis.

https://www.youtube.com/watch?v=NzBT39gx-TE
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KhornedBeef am 23.11.2016 | 11:25
Interessanter Gedankengang! Mist dass ich gerade keine Gelegenheit habe das Video zu gucken
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: nikol ogg am 23.11.2016 | 11:27
Ich werfe mal hier als deutschsprachigen Tipp für Fantasy(?) ohne spitze Ohren und Kettenhemden und Werwölfe Heinrich Steinfests "Das grüne Rollo" in die Runde.
https://goo.gl/D2aoA1

Sehr eigentümlich, sehr spezielle Stimmung, und würde eine RP-Runde aus der Jetztzeit sicher auf seltsame Ideen bringen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 23.11.2016 | 11:34
ich halte es allerdings trotzdem für vermessen, Fantasy und SciFi pauschal das Kunstsein abzusprechen. Selbst unter engeren Kunstdefinitionen trifft das nicht zu.
Klar. Reich-Ranicki war arrogant. Keine Frage.
Aber zwischen der Aussage: durchaus lesenswuerdig aber keine Kunst und unlesenwuerdiger Schund ist schon noch ein Unterschied, oder?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 23.11.2016 | 11:50
Platons Ausgang aus der Höhle ist das genaue Gegenteil von Eskapismus, da geht es um Erkenntnistheorie: In der Höhle ist unsere Realität verzerrt und nur aus zweiter Hand anhand verfälschter Informationen dargestellt. Wenn der Mensch aus der Höhle steigt und mit der Wahrhaftigkeit konfrontiert wird, ist das eine Erleuchtung. Diejenigen, die lieber in der Höhle bleiben und sich billigen Phantasien hingeben, das sind die wahren Eskapisten, diejenigen, die sich der höheren Erkenntnis verweigern. Darin steckt auch das Abwertende am Eskapismus, immerhin ist der Begriff ja pejorativ geprägt worden. Dass Phantastik-Fans ihn für sich umgemünzt und positiv besetzt haben, ist ja ein enorm neues Phänomen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 23.11.2016 | 11:58
Dass Phantastik-Fans ihn für sich umgemünzt und positiv besetzt haben, ist ja ein enorm neues Phänomen.

Eigentlich nur im deutssprachigen Raum - in der englischsprachigen SF sieht man schon seid langem die "funktion" der SF (Neben Unterhaltung) darin, der jeweiligen Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten aus dem man etwas über sich und seine Gegenwart erlernen kann.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 23.11.2016 | 12:08
Der Eskapismus-Begriff hat ja ohnehin eine interessante Geschichte. Ich bin gerade wieder auf "innere Emigration" gestoßen, also die Geisteshaltung der im 3. Reich oder der DDR verbliebenen Künstler, die sich in die Kunst zurückgezogen haben, um vor den realweltlichen Zuständen zu fliehen, die aber trotzdem auf ihre Weise künstlerischen Widerstand geleistet haben. Zuerst richteten sich die Eskapismus-Vorwürfe auch direkt an die Künstler, die ihre Auseinandersetzung mit der Realität aufgaben und den Elfenbeinturm vorzogen. Dass es einen Bedarf in der Bevölkerung gab, diese Flucht mitzugehen und dass phantastische Literatur gern konsumiert wurde, war ja nun schon länger kein Geheimnis mehr.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Celestine am 23.11.2016 | 12:34
Dodge und Infernal Teddy, dass sehe ich auf jeden Fall auch so! Hier möchte ich zum Thema Eskapismus nochmal eine Synopsis von der Comicserien Seekers into the Mystery zeigen, die ich zwar nie gelesen habe, aber die Inhaltszusammenfassung begleitet mich schon ein paar Jahre im Hinterkopf:

Angels and aliens, faeries and demons, alternate realities and multiple personalities: Once Lucas Hart would have laughed at these things; but when this cynical, burned-out screenwriter's repressed memories of the past invade his present--Hart's vision of reality is completely shattered. As a child, seeking escape from horrible abuse, Hart would leave his body and astrally travel with otherworldly beings who filled his wounded soul with light. Now, having recovered these memories, he's on a quest to find the Magician whose legacy of mystery and hope might move the human race to the next level. Created by Eisner Award winning writer J.M. DeMatteis, with art by Glenn Barr and Jon J Muth. Join them for a journey into the mysteries of the human spirit that you won't soon forget.

Dieses Gefühl sich den eigenen Lebensumständen unterlegen zu fühlen und sich in der Phantasie irgendwo hin zu träumen, wo man durchatmen kann, kenne ich gut. Für mich sind diese otherworldly beings wie die platonischen Ideen, Farbfacetten des einen Lichts der Wirklichkeitserkenntnis. Die platonischen Dialoge haben ja immer das Ziel über gewisse Themen Sicherheit zu gewinnen. Wenn das gelingt, wenn diese transzendentalen Ideen mit dem Geist berührt werden, fühlen sich die Betreffenden wie vom Blitz getroffen, ein intellektueller Orgasmus, wie oben beschrieben füllt sich die Seele mit Licht. In manchen Dialogen schaffen das die Gesprächspartner und manchmal kommt es nur zu einer Annäherung und sie müssen irgendwann abbrechen.
Ob Fantasy und Science Fiction jetzt wirkliche Kunst oder nur Zeitvertreib sind, hängt bestimmt von der Erwartungshaltung ab.  Ich habe auf jeden Fall schon sogenannte Pulp Medien gelesen von Autoren wie z.B. Neil Gaiman, Alan Moore, Grant Morrison, Philip K. Dick und H.P. Lovecraft und war von der Kraft ihrer Ideen wie vom Donner gerührt. Goethes Faust ist Hochkultur und ebenfalls eine phantastische Erzählung, in dem Sinne, dass es um viel Überirdisches geht. Keine Ahnung, muss ich zum Glück nicht drüber entscheiden...
Selbst wenn Eskapismus nur ermöglicht sich von den äusseren Erwartungen mal zurückzuziehen , um zu neuen Kräften zu kommen, hat er für mich einen Wert und sowas zu fabrizieren muss man auch können.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KhornedBeef am 23.11.2016 | 12:35
Platons Ausgang aus der Höhle ist das genaue Gegenteil von Eskapismus, da geht es um Erkenntnistheorie: In der Höhle ist unsere Realität verzerrt und nur aus zweiter Hand anhand verfälschter Informationen dargestellt. Wenn der Mensch aus der Höhle steigt und mit der Wahrhaftigkeit konfrontiert wird, ist das eine Erleuchtung. Diejenigen, die lieber in der Höhle bleiben und sich billigen Phantasien hingeben, das sind die wahren Eskapisten, diejenigen, die sich der höheren Erkenntnis verweigern. Darin steckt auch das Abwertende am Eskapismus, immerhin ist der Begriff ja pejorativ geprägt worden. Dass Phantastik-Fans ihn für sich umgemünzt und positiv besetzt haben, ist ja ein enorm neues Phänomen.
Der wahre Eskapist denkt sich "Das sind nur Schatten auf der Höhlenwand.....da kann man mehr draus machen! Ey Leute holt mal die Farblichtbatterie, ich mach noch ein paar Schereschnitte, und dann geht hier richtig die Post ab!"  ;)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Isegrim am 23.11.2016 | 12:39
Ich kann mit dem Begriff Eskapismus eigentlich nicht allzu viel anfangen, vielleicht weil ich es sowohl normal als auch legitim finde, sich hin und wieder aus der Realität zu verabschieden. Denn das kann man mit allen möglichen Medien und Genres tun. Kann mir niemand erzählen, dass viele Filme oder Bücher oder Computerspiele oder Gartenarbeit wirklich was mit der "Gesellschaft da draußen" zu tun haben, egal ob Fantasy, Krimi, MMOG oder Rosen.

Allerdings finde ich schon, dass es Bücher (bzw andere Medien) gibt, die (mich) nur unterhalten, und andere, durch ich nebenbei etwas lerne: Über Menschen, über Geschichte(n), über Zusammenhänge, über mich. Die mir einen neuen Blickwinkel auf die Welt und die Menschheit eröffnen, auch wenn sie eigentlich auf einer ganz anderen Welt spielen und Elfen die Protagonisten sind. Natürlich steht auch in meinem Bücherregal ne Menge Schrott (hallo, DSA-Romane), der das nicht leistet und den ich dennoch gerne gelesen habe. Aber wirklich ans Herz wachsen tun mir Bücher, die das schaffen.

Ob das dann für nen Literaturkritiker "Kunst" ist, sei mal dahin gestellt, und ist mir auch egal. Bei "Kritiker" denk ich ohnehin allzu oft an den Musikkritiker von Georg Kreisler (r.i.p.):

https://www.youtube.com/watch?v=6ozEA0JJiCY

Das würde ich auch vielen der Kinderbuch-Autoren wie Ende, Preußler oder Lindgren hoch anrechnen, dass sie das für Kinder respektive mich als Kind geleistet haben, und das zuweilen noch heute als Erwachsenen leisten. Vieles ist einfach zeit- und alterslos gut.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Celestine am 23.11.2016 | 12:47
Das würde ich auch vielen der Kinderbuch-Autoren wie Ende, Preußler oder Lindgren hoch anrechnen, dass sie das für Kinder respektive mich als Kind geleistet haben, und das zuweilen noch heute als Erwachsenen leisten. Vieles ist einfach zeit- und alterslos gut.

Auf Jeden! Ich finde das jeder seine Bürgerpflicht hat, aber nicht jeder ist zum Politiker berufen und was viele Kinderbuchautoren zu unserer Persönlichkeitsentwicklung beigetragen haben, hatte und hat seinen Wert! Das geile Pipi Langstrumpf Lied gegen den tierischen Ernst!
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 13:13
Klar. Reich-Ranicki war arrogant. Keine Frage.

In diesem Fall war er nicht arrogant, sondern ignorant, wenn auch nicht so schlimm wie der Kollege vom Spiegel. Das Motto"ist halt Schund, aber auch Schund hat seine Existenzberechtigung" ist nun auch nicht der Brüller.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 23.11.2016 | 13:26
Ignorant wäre er, wenn er keine SciFi gelesen hätte, die durchaus als gehobene Literatur angesehen  wird und dann sein Urteil gebildet hätte. Er hatte aber Bücher von Stanislaw Lem gelesen und diese als uninteressant bezeichnet.
Das ist arrogant und nicht ignorant. Ausser natürlich Lems Werke sind wirklich so uninteressant wie er sie bezeichnet hat und es gibt wesentlich bessere SciFi-literatur.
Unabhängig davon sehe ich immer noch einen Unterschied zwischen Nicht Kunst und Schund.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 13:35
Ignorant wäre er, wenn er keine SciFi gelesen hätte

Nein. Arroganz unterscheidet sich von Ignoranz dadurch, dass der Arrogante Recht hat, der Ignorante sich aber irrt. Und hier irrt Reich-Ranitzky. Einer Literaturgattung pauschal das Kunstsein abzusprechen bzw. sie als Missbrauch ihrer Kunstform darzustellen, ist ignorant. Erstens ist das sowohl für SF als auch für Fantasy falsch, zweitens kann der Kollege Reich-Ranitzky gar nicht ausreichend viel Fantasy und SF gelesen haben, um das zu beurteilen.

Dass er beispielsweise Phillip K. Dick und J.R.R. Tolkien nicht als Künstler deklariert, verdeutlicht das bestens. Reich-Ranitzky hängt da in einer maximal elitären Vorstellung von literarischer Kunst fest, die die Kreativität und schöpferische Kraft dieser beiden Autoren, die ich jetzt nur beispielhaft raus picke, vollkommen ignoriert. Das ist das selbe Niveau, auf dem Liebhaber klassischer Musik beispielsweise den Beatles das Künstlersein absprechen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Celestine am 23.11.2016 | 14:00
Das ist das selbe Niveau, auf dem Liebhaber klassischer Musik beispielsweise den Beatles das Künstlersein absprechen.

Könnte stimmen oder?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 14:05
Könnte stimmen oder?

Nö.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 14:12
Ich glaube, das Literaturkritik im Sinne einer Elite immer deklassierend sein muss. Man sagt ja etwas über den Wert eines Buches aus, und wenn manche Bücher besser sind, müssen andere schlechter sein.

Wenn mich nur interessiert, ob das Buch für mich lesenswert ist, geh ich zu Godreads, suche mir einen , der meinen Geschmack teilt und fertig. Für so einen Geschmacksablgeich brauch ich keinen Literaturpapst.

Erst wenn ich sagen möchte: Hier das ist gute Literatur (oder gutes Rollenspiel btw.), dann muss ich auch sagen, dass hier ist schlechte Literatur. Und diese schlechte Literatur muss man auch irgendwie klassifizieren, da man ja nicht jedes einzelne Werk überprüfen kann.

Klar ist es möglich, das im Sinne eines Wertwandels jetzt die Fantasyliteratur in den hehren Kreis der Hochliteratur aufgenommen wird, aber was bringts? Dann muss halt eine andere Literaturgattung den Buhmann machen, die das vermutlich genausowenig verdient hat.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 14:23
Erik, du verdrehst da was. Fantasy muss nicht in den erlauchten Kreis der Hochliteratur aufgenommen werden. Vielmehr müsste konkret begründet werden, wieso Fantasy grundsätzlich keine Hochliteratur sein soll. Das klappt nicht mal für Arztromane, siehe Dr. Schiwago.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 14:25
Erik, du verdrehst da was. Fantasy muss nicht in den erlauchten Kreis der Hochliteratur aufgenommen werden. Vielmehr müsste konkret begründet werden, wieso Fantasy grundsätzlich keine Hochliteratur sein soll. Das klappt nicht mal für Arztromane, siehe Dr. Schiwago.

ich seh da den Unterschied nicht so richtig. Also dir reicht es ,wenn der aktuelle Literaturpapst (die Heidenreich?) verkündet, das Fantasy theoretoisch schon Hochliteratur sein könnte, falls mal ein entsprechedes Werk geschrieben wird?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 14:31
Die Antwort auf die Frage, ob ein bestimmtes Werk Hochliteratur ist oder nicht, kann nicht vom Genre, sondern nur vom Werk selbst abhängig gemacht werden.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Boba Fett am 23.11.2016 | 14:33
... im Sinne einer Elite immer deklassierend sein muss.

Läuft es nicht automatisch Gefahr, dass die Wertung einer sich selbst elitär betrachtenden Elite abgrenzend und deklassierend funktionieren muß, um sich selbst zu exaltieren?
elitäre Exaltierung funktioniert nur im Kontrast zu Ausgegrenzten und zur Degradierung der breiten Masse
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KhornedBeef am 23.11.2016 | 14:33
Die Antwort auf die Frage, ob ein bestimmtes Werk Hochliteratur ist oder nicht, kann nicht vom Genre, sondern nur vom Werk selbst abhängig gemacht werden.
+1
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Isegrim am 23.11.2016 | 14:35
Bei Begriffen wie "Kunst" oder "(Hoch-) Literatur" geht es doch sowieso va um den Distinktionsgewinn, daher ist das Hickhack darum mE etwas albern. Was will/kann/soll Literatur erreichen, ist die Frage. Nur Unterhaltung? Legitim, aber eben auch nur Unterhaltung, und damit ohnehin rein subjektiv. Wenn es weitergehende Effekte oder gar Ansprüche hat, wird die Debatte erst möglich, und evetuell sogar produktiv.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 14:43
Die Antwort auf die Frage, ob ein bestimmtes Werk Hochliteratur ist oder nicht, kann nicht vom Genre, sondern nur vom Werk selbst abhängig gemacht werden.

Richtig, deshalb versteh ich deinen Punkt nicht.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 14:47
Richtig, deshalb versteh ich deinen Punkt nicht.

Dann verstehst du deinen eigenen Post nicht.  ;)

Du schreibst, dass es keinen Sinn ergeben würde, Fantasy in den Kreis der Hochliteratur aufzunehmen. Ich schreibe, dass es keinen Sinn ergibt, diesen Kreis in irgend einer Form vom Genre abhängig zu machen, dass Fantasy also nicht aufgenommen werden muss, sondern so wie jedes andere Genre per se diesem Kreis angehört. Selbst wenn man ganz elitär eine Abgrenzung von Hoch- und Nicht-so-Hochliteratur vornehmen möchte, ist das Genre oder wie du es nennst die Gattung kein geeignetes Merkmal dafür.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 14:52
Dann verstehst du deinen eigenen Post nicht.  ;)

Du schreibst, dass es keinen Sinn ergeben würde, Fantasy in den Kreis der Hochliteratur aufzunehmen. Ich schreibe, dass es keinen Sinn ergibt, diesen Kreis in irgend einer Form vom Genre abhängig zu machen, dass Fantasy also nicht aufgenommen werden muss, sondern so wie jedes andere Genre per se diesem Kreis angehört. Selbst wenn man ganz elitär eine Abgrenzung von Hoch- und Nicht-so-Hochliteratur vornehmen möchte, ist das Genre oder wie du es nennst die Gattung kein geeignetes Merkmal dafür.

Aber du hast doch gefordert das konkret begründet werden soll ,warum fantasy als Genre keinen Anspruch auf Hochliteratur hat. Das gibt ja gar keinen Sinn, wenn eh das Werk als Einzelstück begutachtet werden muss. Ich bin jetzt ganz konfus.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 14:56
Aber du hast doch gefordert das konkret begründet werden soll ,warum fantasy als Genre keinen Anspruch auf Hochliteratur hat.

Wenn man, wie Reich-Ranitzky das tut, einem Genre pauschal die höheren Weihen abspricht, dann müsste (Konjunktiv!) man auch Argumente dafür liefern, dass das so sein soll. Wenn man das nicht will oder kann, ist man offensichtlich ein ignoranter Schaumschläger. Und dieses Nicht-Können ergibt sich zwangsläufig daraus, dass alleine die Möglichkeit, dass in Zukunft ein literarisches Meisterwerk aus diesem Gerne geschrieben wird, in Betracht gezogen werden muss.

Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 15:07
Wenn man, wie Reich-Ranitzky das tut, einem Genre pauschal die höheren Weihen abspricht, dann müsste (Konjunktiv!) man auch Argumente dafür liefern, dass das so sein soll. Wenn man das nicht will oder kann, ist man offensichtlich ein ignoranter Schaumschläger. Und dieses Nicht-Können ergibt sich zwangsläufig daraus, dass alleine die Möglichkeit, dass in Zukunft ein literarisches Meisterwerk aus diesem Gerne geschrieben wird, in Betracht gezogen werden muss.

RR war halt Fernsehkritiker, und verhält sich den Regeln des Fernsehens entsprechend, aka richtig ist was Quote schafft. Von ihm formalkorrekte Aussagen zu erwarten halte ich für wenig zielführend. Wenn man auf RRs Weertschätzung Wert legt, muss man auch seinen Regeln folgen, so unlogisch die sein mögen. Und wenn einem der RR egal ist, brauch man seinem geschwätz eh nicht zuhören.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 23.11.2016 | 15:14
Gut, dann können wir den Thread ja zu machen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 23.11.2016 | 15:17
Gut, dann können wir den Thread ja zu machen.

Naja, ich kenn mich da nicht aus ,aber eventuell gibts ja auch seriöse Literaturkritik, man könnte mal sagen, was die zu Fantasywerken sagt.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: KhornedBeef am 23.11.2016 | 15:29
Man könnte die professionelle Kritik auch wieder außen vor lassen. Wir haben angefangen mit Bibliotheken und so.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 23.11.2016 | 15:51
Nur als Hinweis: Reich-Ranicki ist tot und kann sich hier nicht mehr wehren und von Rumpel kam ja der Hinweis, dass sich da einiges bewegt hat. Meinen einzelnen Artikel des Hobbithassers soll man ja nun auch nicht so verstehen, dass sich *alle* Kritiker komplett von der Phantastik gräuen, sondern dass dieses Phänomen einzelner Intellektueller wohl sehr deutsch ist, weil, er hier überhaupt noch vorkommt, während es in anderen Ländern wohl überholt ist.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 25.11.2016 | 03:10
Als literarisch wertvoll wird nur relativ wenig betrachtet, damit füllt man in einem üblichen Buchgeschäft keinen Korb.   

Was ist schon literarisch wertvoll???

Ich würde Bücher immer in so Kategorien stecken:

Gleiches Buch kann bei einem anderen Leser vollkommen andere Einstufung erfahren. Und auch als Leser kann man, entsprechende Leseerfahrung vorausgesetzt Bücher die man früher gut oder schlecht fand bei erneutem Lesen anders einstufen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 25.11.2016 | 12:24
Das ist ja eine Eintelung für dich persönlich, während Hochliteratur ja eine Einteilung für die Gesellschaft ist.

Wiki sagt hier:
"Unter Höhenkammliteratur, auch Hochliteratur genannt, versteht man die anerkannte, in Schule und Wissenschaft als hochstehend angesehene Literatur. Darunter fallen unter anderem die Klassiker."

Eine Gesellschaft hat ja das Bedürfnis, einige ihrer Werke als besonders qualitativ darzustellen, bei Büchern eben die Hochliteratur. Diese Zielsetzung ist ja nicht, Lesempfehlung für spannende Bücher zu geben, sondern hat eine kulturelle Aussen- und Innenwirkung, ist also ein Mittel der Politik bzw. Soziätät.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 25.11.2016 | 18:18
Das ist ja eine Eintelung für dich persönlich, während Hochliteratur ja eine Einteilung für die Gesellschaft ist.

Wiki sagt hier:
"Unter Höhenkammliteratur, auch Hochliteratur genannt, versteht man die anerkannte, in Schule und Wissenschaft als hochstehend angesehene Literatur. Darunter fallen unter anderem die Klassiker."

Eine Gesellschaft hat ja das Bedürfnis, einige ihrer Werke als besonders qualitativ darzustellen, bei Büchern eben die Hochliteratur. Diese Zielsetzung ist ja nicht, Lesempfehlung für spannende Bücher zu geben, sondern hat eine kulturelle Aussen- und Innenwirkung, ist also ein Mittel der Politik bzw. Soziätät.

Das ist Quark,
Dann wäre ja Putins Autobiografie russische Hochliteratur. Ist es aber nicht.

Im Endeffekt hat Reich Ranitzki Recht in dem er sagt phatastische Literatur eignet sich nicht als Hochliteratur.
Und warum ist das so? Weil wir uns da zu weit von dem Hier und Jetzt entfernen.
Mit dem Lesen von Hochliteratur verbinde ich die Hoffnung auf einen gewissen Erkenntnisgewinn ohne die Erfahrungen selbst machen zu müssen.

Bei F&SF habe ich in der Regel die Hoffnung auf ein Lesevergnügen.
Aber z.B. "Die Leiden des jungen Werthers" kann man durchaus lesen wenn man mal Liebeskummer hat oder hatte. Da sieht man das man nicht alleine mit seinen Nöthen, Hoffnungen und im Endeffekt dann doch Illusionen ist.

Im Umkehrschluß lässt sich F&SF durchaus, wenn sie gut ist, auch in nahe Zukuft, Gegenwart oder Vergangenheit verorten.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 25.11.2016 | 18:22
Das ist Quark,
Dann wäre ja Putins Autobiografie russische Hochliteratur. Ist es aber nicht.

Das ist ein unzulässiger Schluss. Politik erschafft keine Hochliteratur, sondern nutzt sie. Sie ist ein Mittel, um Kultur zu transportieren.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 25.11.2016 | 18:32
Im Endeffekt hat Reich Ranitzki Recht in dem er sagt phatastische Literatur eignet sich nicht als Hochliteratur.
Ich will mich nicht um Defintionen streiten, aber es gibt einige phantastische Literatur, die Hochliteratur ist.
Homers Ilias
Ziemlich alles von Kafka
Shakespeares Sommernachtstraum
Dann noch Storm, Hoffmann, Poe, Wells, ...

Vielleicht eignet sich das was wir unter Fantasy verstehen nicht als Hochliteratur (ohne jetzt eine Position einnehmen zu wollen).



Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 25.11.2016 | 18:59
International stehen da auch so sachen dabei wie Tolkien, Rowling, Herbert, Asimov, Huxley...
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: ErikErikson am 25.11.2016 | 19:52
Rowling mit den Harry Potter Büchern ist Hochliteratur? ich fange an Ranitzki zu verstehen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 25.11.2016 | 19:55
Rowling mit den Harry Potter Büchern ist Hochliteratur? ich fange an Ranitzki zu verstehen.

Wir haben die sogenannte hochliteratur in der Form nicht.  Aber sie gehört mittlerweile zum "canon", also zu den literary classics
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 25.11.2016 | 20:35
Vielleicht eignet sich das was wir unter Fantasy verstehen nicht als Hochliteratur (ohne jetzt eine Position einnehmen zu wollen).

Da kann was dran sein. Fantasy, so wie Rumpel es sortiert, scheint ja wirklich in sehr engen Grenzen gefangen zu sein. Da gefällt mir "Phantastik" besser geeignet. Und mittlerweile wird der Begriff ja auch häufiger mal benutzt. So im Sinne: Alle Fantasy gehört zur Phantastik, aber nicht alle Phantastik zur Fantasy.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 25.11.2016 | 21:37
Ich will mich nicht um Defintionen streiten, aber es gibt einige phantastische Literatur, die Hochliteratur ist.
Homers Ilias
Ziemlich alles von Kafka
Shakespeares Sommernachtstraum
Dann noch Storm, Hoffmann, Poe, Wells, ...

Vielleicht eignet sich das was wir unter Fantasy verstehen nicht als Hochliteratur (ohne jetzt eine Position einnehmen zu wollen).

Umm. Es gibt Ausnahmen. UND zumindest Homers Ilias wurde damals als wahr angenommen.
Kafka und Shakespeare sind Allegorien/Transpositionen.
Storm und Poe beschreiben Horrorgeschichten/Albträume kontemporär.

Wells würde ich NICHT zur Hochliteratur zählen. Es ist zwar ein Klassiker im Genre SF, ebenso wie Verne, aber das als Hochliteratur zu bezeichnen finde ich verwegen.

Selbst wenn man ganz elitär eine Abgrenzung von Hoch- und Nicht-so-Hochliteratur vornehmen möchte, ist das Genre oder wie du es nennst die Gattung kein geeignetes Merkmal dafür.

Naja, Pulp-Fiction Romane würde ich nur in Ausnahmen in Richtung Hochliteratur schubsen.

International stehen da auch so sachen dabei wie Tolkien, Rowling, Herbert, Asimov, Huxley...

Tolkien? Nein
Rowling? Nein
Herbert? Nein

Asimov? Selten
Huxley? Ja
Orwell? Ja
Bradbury? ja
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 25.11.2016 | 21:41
Weltliteratur =/= Hochliteratur
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 25.11.2016 | 22:05
Die Diskussionsatmosphäre ist hier recht angenehm, daher beteilige ich mich überhaupt daran. Ich bin vor allem von der E- und U-Literatur-Diskussion geschädigt.
Ich empfinde die deutsche Literaturszene als extrem snobistisch, bspw. würde niemand in Belgien darüber diskutieren, ob Comics literarisch wertvoll sind. Kannst sich jemand das in Elke Heidenreich Literatursendung vorstellen?

Ähnlich verläuft die Diskussion vielerorts, was literarisch wertvoll (sprich: Hochliteratur) ist und was nicht. Es gibt einfach Genres die per se nicht literarisch wertvoll sein dürfen (nicht mein Standpunkt), dazu gehören in erste Linie die Fantasy, aber auch SciFi und Krimis. In den Feuilleton-Blättern großer Tageszeitung gibt es ein solche Besprechung nur, wenn der Verlag auch ordentlich Werbung schaltet.
Bspw. in der Zeit gibt es immer noch Werbung für Druckkosten-Zuschuss-Verlage, das ist ähnlich wie wenn im Börsenmagazin Tipps für Anlagebetrug veröffentlicht werden würden.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 25.11.2016 | 23:37
Ich kann diese Haltung verstehen. Aber angesichts der Erfolge von Pulp-Fantasy im Verhältnis zu denen der intelligenteren, kreativeren Werke kann man schon das große Jammern bekommen. Aber auch das kann eine selbsterfüllende Prophezeihung sein: Weil niemand glaubt, dass sich out-of-the-box-Kram besser verkauft, macht sich niemand im Marketing dafür stark. Und weil die Publikumsverlage das Marketing dominieren und diese bekanntlich in der Auswahl der verlegten Bücher sehr konservativ sind, ist auf absehbare Zeit keine Änderung in Sicht.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: 6 am 25.11.2016 | 23:52
Ich kann diese Haltung verstehen. Aber angesichts der Erfolge von Pulp-Fantasy im Verhältnis zu denen der intelligenteren, kreativeren Werke kann man schon das große Jammern bekommen. Aber auch das kann eine selbsterfüllende Prophezeihung sein: Weil niemand glaubt, dass sich out-of-the-box-Kram besser verkauft, macht sich niemand im Marketing dafür stark. Und weil die Publikumsverlage das Marketing dominieren und diese bekanntlich in der Auswahl der verlegten Bücher sehr konservativ sind, ist auf absehbare Zeit keine Änderung in Sicht.
Interessanterweise hatte Marcel Reich-Ranicki eigentlich genau das im Fokus, als er das literarische Quartett gemacht hatte. Es schien damals sogar ähnlich funktioniert zu haben wie heutzutage Will Wheatons TableTop bei Brettspielen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 26.11.2016 | 08:05
Was Marketing und die Macht der großen Verlage betrifft, so hat sich (Gott sei Dank) in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt selbst in Deutschland schon Kindle-Millionäre, die nie mit einem Verlag zusammengearbeitet haben und das auch nicht brauchen. Gerade die Nischen, die sich im Buchhandel nicht gut verkaufen, leben durch die Ebook-Szene richtig auf und sind nicht mehr auf einen Verlag angewiesen.
Marsianer war mW auch erst im Selfpublishing und 50 shades of grey entstand aus der FanFiktion-Szene.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 26.11.2016 | 11:04
Ähnlich verläuft die Diskussion vielerorts, was literarisch wertvoll (sprich: Hochliteratur) ist und was nicht. Es gibt einfach Genres die per se nicht literarisch wertvoll sein dürfen (nicht mein Standpunkt), dazu gehören in erste Linie die Fantasy, aber auch SciFi und Krimis. In den Feuilleton-Blättern großer Tageszeitung gibt es ein solche Besprechung nur, wenn der Verlag auch ordentlich Werbung schaltet.
Bspw. in der Zeit gibt es immer noch Werbung für Druckkosten-Zuschuss-Verlage, das ist ähnlich wie wenn im Börsenmagazin Tipps für Anlagebetrug veröffentlicht werden würden.

Naja, hier in D machen die Leser kräftig mit.
Auf den Bestsellerlisten findet man selten Romane mit SF oder Fantasy Bezug deutscher Autoren.

Das mag an der Qualität und Anzahl liegen, aber ich habe eher die Befürchtung das wir als Leser im Schnitt eine pessimistischere Haltung an den Tag legen als das in den anderen Ländern (USA, Frankreich) der Fall ist. Oder es liegt an unserem EU-Provinzialismus, wir betreiben lieber Nabelschau im deutschsprachigen Raum als groß zu denken.
Dann ist es natürlich einfacher für die ganze Welt zu sprechen, wenn man sich eh als ein Paradebeispiel von distinguiertem Weltbürger hält.

Amerikaner, Franzosen, Russen und Briten haben damit viel weniger Probleme als wir Deutschen. Wohl auch aus der Erfahrung heraus das uns Hybris nicht gut tat und nicht gut tun wird.

Was Hochliteratur oder Weltliteratur angeht?
Den Spaß an deren Konsum vergällt einem die Schulliteratur VÖLLIG!!!!!
Zumindest bei mir war und ist das noch so.
Ab und an verirre ich mich in ein Buch das NICHT aus der SF und Fantasy Ecke stammt. Mit durchaus positiven Erlebnissen.

Von "wertvoller" Literatur erwarte ich das ich einen gewissen Erkenntnisgewinn nach deren Konsum vorweisen kann.

Das kann ich in vielen SF und Fantasy Schinken aber nicht. In manchen halt schon.
Bei Massenware, und EDO Fantasy ist das oft, erwarte ich gar nicht intellektuell herausgefordert zu werden.
Bei einem Krimi oder Horrorroman auch nicht.

Was Marketing und die Macht der großen Verlage betrifft, so hat sich (Gott sei Dank) in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt selbst in Deutschland schon Kindle-Millionäre, die nie mit einem Verlag zusammengearbeitet haben und das auch nicht brauchen. Gerade die Nischen, die sich im Buchhandel nicht gut verkaufen, leben durch die Ebook-Szene richtig auf und sind nicht mehr auf einen Verlag angewiesen.
Marsianer war mW auch erst im Selfpublishing und 50 shades of grey entstand aus der FanFiktion-Szene.

Das liegt nicht an der Nische an sich, sondern an der, verständlichen, Risikoaversität von Leuten die Geld verwalten und für Arbeitsplätze verantwortlich sind. Heutzutage kann jeder für Selbstvermarktung sorgen, das war früher deutlich schwerer.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 26.11.2016 | 13:09
Was Hochliteratur oder Weltliteratur angeht?
Den Spaß an deren Konsum vergällt einem die Schulliteratur VÖLLIG!!!!!
Zumindest bei mir war und ist das noch so.
Ab und an verirre ich mich in ein Buch das NICHT aus der SF und Fantasy Ecke stammt. Mit durchaus positiven Erlebnissen.
Der Beitrag könnte von mir stammen. Die Schule hat mir nicht nur den Spaß an Weltliteratur verdorben, sondern an Literatur an sich. Ich habe erst im Studium wieder angefangen zu lesen.
Dann jahrelang nur Fantasy , bis ich mich wieder an "große" Literatur gewagt habe, wie bei dir, mit durchaus positiven Erlebnissen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 26.11.2016 | 16:07
Was Hochliteratur oder Weltliteratur angeht?
Den Spaß an deren Konsum vergällt einem die Schulliteratur VÖLLIG!!!!

Deutschlehrer, du bist wie König Midas - nur das alles, was DU anfasst, zu Scheiße wird.  ~;D (Sebastian Krämer)

Ich muss da mit gemischten Gefühlen zurückdenken. Der Faust hat mir enorm gefallen, auch, weil ich zu der Zeit angefangen habe, Stimmbildung zu erhalten und meine Klasse und die Lehrerin mit Rezitationen begeistern konnte. Und im Grunde ist er ja auch (Hoch)Phantastik. Genauso wie einige romantische Literatur. Dafür gab es aber auch Werke, die ich zum Erbrechen elend fand, den deutschen Realismus, den Werther, auch Kafka mit seinem ewigen Vaterkomplex konnte ich nichts abgewinnen. Aber dafür gab es auch die Möglichkeit, eigene Bücher vorzustellen - und ich habe da nicht immer Fantasykram genommen, sondern auch andere Sachen, die mir gefallen haben. Die Abenteuer des braven Soldaten Schweijk, Catch-22, Die heilige Johanna der Schlachthöfe - insofern bin ich da ambivalent. Ich habe den Deutschunterricht aber vor allem wegen der Lehrerin gehasst, die einfach ... nee, das Fass mache ich jetzt nicht auf. Sagen wir, es hat zur Traumatisierung genügt und zur Entscheidung, definitiv kein Lehrer werden zu wollen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Rhylthar am 26.11.2016 | 16:21
Tja, wenn wir gerade dabei sind:

Mein Deutsch-Lehrer hat uns auch "gequält". Wäre der Werther relevant für das Abitur gewesen, hätte ich evtl. keines.
Aber er hat auch gute Sachen ausgewählt: Dürrenmatts "Das Versprechen", Frischs "Stiller" z. B. "Antigone" und "Nathan der Weise" gefielen mir auch.

Und er entfachte bzw. vertiefte meine Leidenschaft für das Lesen. Trotzdem bin ich bei Fantasy und Krimi hängengeblieben. Mein bester Freund hat immerhin einen Magister mit 1 in Germanistik.  :D
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 27.11.2016 | 01:40
Zumindest in Hessen ist das Problem, dass Deutschlehrer gegenwärtig ÜBERHAUPT NICHTS aussuchen dürfen. Das Kultusministerium schreibt zu 90% vor, was im Unterricht an Werken zu lesen ist. Das ist zwar ganz praktisch, wenn es darum geht Aufgaben für´s Landesabitur zu erstellen, was das aber für die Motivation eines engagierten Deutschlehrers bedeutet, wenn er im 17. Jahr in Folge immer und immer wieder Goethes Faust behandeln muss, dürfte aber auch klar sein.

Mein Problem ist eher der Zwang ein bestimmtes Buch lesen zu müssen. Damit stellen sich bei mir schon aus Prinzip die Haare auf und die Unlust stellt sich ein.
Wobei, "Schimmelreiter", "Der zerbrochene Krug", "Katz und Maus" und "Die neuen Leiden des jungen W." habe ich sogar gemocht. "Die Verwandlung" und "Felix Krull" sowie die "Blechtrommel" dann wieder nicht. Mehr blieb nicht hängen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 27.11.2016 | 02:26
Klar, immerhin durfte ich auch mal in der Mittelstufe Heinleins "Weltraumkadetten" vorstellen.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 27.11.2016 | 08:55
Wir durften üblicherweise aus einer Reihe von Büchern zum entsprechenden Thema per Abstimmung eins auswählen. Das hilft einem beim Realismus natürlich nicht weiter. ;) Ein weiteres Problem ist, dass man sich üblicherweise durch die deutsche Literaturgeschichte arbeitet, die Moderne dabei aber reichlich kurz kam und viele Klassiker für Jugendliche ziemlich altbacken wirken. Trotzdem, das eine oder andere Werk fand ich auch interessant, Nathan der Weise, Die Räuber von Schiller, Büchners Danton's Tod, Kafka und Dürrenmatts Physiker.

Im Deutsch-Leistungskurs gab es aber wohl einiges an Pflichtlektüre, und in Englisch kam die Auswahl auch von oben.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 27.11.2016 | 09:26
Klar, immerhin durfte ich auch mal in der Mittelstufe Heinleins "Weltraumkadetten" vorstellen.
Finde ich super ...

Ich hatte jetzt schon drei Mal den Fall, dass eine Schülerin eines meiner Bücher im Unterricht vorstellen wollte/durfte (ich weiß das, weil sie mich immer angeschrieben und mehr Interna wollten).
Wenn man bedenkt, dass diese reine Unterhaltungsliteratur-Krimis sind, besteht noch Hoffnung für den Deutsch-Unterricht der Zukunft, dass man da ein wenig lockerer wird. :)
Zu meiner Zeit hätten mich meine Deutsch-Lehrer der Schule verwiesen, wenn ich mit sowas angekommen wäre.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Luxferre am 27.11.2016 | 09:47
Also ich bin lieber Eskapist als Alkoholiker.

Denn das ist der Fehler, den Kritiker wie der SPON-Autor so gerne machen, weil sie bei ihrer geisteswissenschaftlichen Ausbildung ihre Mengenlehre vernachlässigt haben. Es ist durchaus möglich, Fantasy zu lesen und sich trotzdem für die sog. Scheißwirklichkeit zu interessieren. Schnittmengen und so...

Zweimal fettes +1  :d


Wir durften üblicherweise aus einer Reihe von Büchern zum entsprechenden Thema per Abstimmung eins auswählen. Das hilft einem beim Realismus natürlich nicht weiter. ;) Ein weiteres Problem ist, dass man sich üblicherweise durch die deutsche Literaturgeschichte arbeitet, die Moderne dabei aber reichlich kurz kam und viele Klassiker für Jugendliche ziemlich altbacken wirken. Trotzdem, das eine oder andere Werk fand ich auch interessant, Nathan der Weise, Die Räuber von Schiller, Büchners Danton's Tod, Kafka und Dürrenmatts Physiker.

Im Deutsch-Leistungskurs gab es aber wohl einiges an Pflichtlektüre, und in Englisch kam die Auswahl auch von oben.

Wir haben in Deutsch erst "Die Wahlverwandtschaften" und direkt im Anschluss "Effi Briest" gelesen. Ich kam mir etwas verarscht vor.
Die davor unterrichtende Deutschlehrerin, die etwas "speziell" war, aber einen guten Lehrauftrag verstandf, hatte mit "Das Parfüm", "Schlafes Bruder", "Nathan der Weise" und einiges von Kafka besprochen. Das war VOR Effi und den Wahlverwandten.
Einen stringenten Plan habe ich da nicht entdecken können und war entsprechend frustriert.
Also habe ich mir beim zweiteren Lehrer nur noch die Sekundarliteratur besorgt und schnell gemerkt, dass er seinen Unterricht darauf aufbaute. Easy-peasy 2+ und fertig. Keine einzige Seite im Roman gelesen.
DAS ist, was ich in der späteren Oberstufe gelernt habe. Und ich hatte mehr Zeit für Rollenspiel  >;D :d
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Alex am 27.11.2016 | 09:53
Also habe ich mir beim zweiteren Lehrer nur noch die Sekundarliteratur besorgt und schnell gemerkt, dass er seinen Unterricht darauf aufbaute. Easy-peasy 2+ und fertig. Keine einzige Seite im Roman gelesen.
DAS ist, was ich in der späteren Oberstufe gelernt habe. Und ich hatte mehr Zeit für Rollenspiel  >;D :d
Ich kenne viele Bücher auch nur dank der Zusammenfassung in der Sekundärliteratur. :-)
Hat bei mir auch funktioniert, wenn auch nicht immer 2+.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 27.11.2016 | 13:50
Das doofe an Pflichtlektüre ist, das man dann nicht von selbst auf die guten Sachen kommt und wenn man unbedingt immer Erdbeertorte essen muss, dann wird einem die Erdbeertorte fast immer über.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: scrandy am 27.11.2016 | 18:01
Das Problem an Hochliteratur ist, dass es immer einen gewissen Elitären Kreis gibt, die Literatur zu Hochliteratur erheben: Das fängt mit den Kritikern an geht über Hochschulprofessoren und Feulliton-Journalisten bis hin zur eigentlichen Zielgruppe der Leser, die eben gewisse Eigenschaften von Hochliteratur erwarten. Dabei bestimmen letztendlich diese sozialen Gruppen was als Hochliteratur eingestuft werden kann. Im englischsprachigen Raum waren sich diese Gruppen schon immer einig, dass auch Fantasy und SciFi dazugehören konnte. Einfach aus dem Grund, weil im englischsprachigen Raum sich Qualität und Unterhaltungswert nicht ausschließen. In Deutschland ist aufgrund der Entstehungsgeschichte der entsprechenden Gruppen dies so ohne weiteres nicht möglich. In Deutschland muss Hochliteratur Bildungscharakter haben und Bildung hat ja bekanntermaßen nichts mit Spaß zu tun.

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass alles Fantastische, alles Kreative möglichst in die Kinder und Jugendecke gesteckt wird. Denn Kindern gönnt man das fantasieren, das Rumspinnen und das Spielen in fremden Welten. Deshalb landete Star Trek im Kinderprogramm vom ZDF und Fantasybücher sind wenn es denn irgendwie geht Jugendbücher. Ja ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ein komplexer deutschsprachiger Fantasyroman, der eigentlich die Kritiker erfreuen müsste, es nicht durch die Torwächter der Verlage schafft, da literarischer Anspruch und Fantasy zusammen angeblich keine Zielgruppe hat. Im Bestfall würde solch ein Meilenstein dann bei einem Kleinstverlag versauern und kaum bekannt werden.

Ich merke das auch bei der Literaturauswahl in der Schule: Während ich im Englischunterricht einen Großteil der Lektüren auch selbst lesen würde, wirken die Lektüren im Deutschunterricht zum Teil künstlich und aufgesetzt.

Aber zum Glück wandeln sich ja die Zeiten: In einer Zeit in der viele Fernsehserien literaturcharakter bekommen und es sogar interpretationsfähige Computerpsiele gibt, wird sich die künstliche Abgrenzung zwischen Anspruch und Unterhaltung nicht mehr lange aufrechterhalten lassen. Auch nicht in Deutschland.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 27.11.2016 | 20:12
Inhalte.

Ich will darüber reden, was ein Buch mir sagt, was es mit mir anstellt, was ich für mich persönlich wichtig finde und aufgrund welcher Qualitäten ich es weiterempfehle.

Ob das Buch zur Hochliteratur gehört oder nicht, ist doch völlig unerheblich! Ob das Buch für mich wichtig ist, und ob es für dich möglicherweise auch wichtig sein kann, darum geht´s! Oder?

Wenn ein Buch so etwas zu bieten hat, dann ist ein enormer Schritt zur Hochliteratur ja schon getan. Aber ich will mich hier gar nicht auf die Seite derer stellen, die diese Unterscheidung analfixiert durchpeitschen. Ich denke auch, dass die meisten Leser vor allem in zwei Dimensionen denken: Gute Bücher vs. schlechte Bücher und Bücher, die mich gut unterhalten vs. Bücher die mich nicht unterhalten. Diese Dimensionen überschneiden und beeinflussen sich natürlich gegenseitig. Und sie hängen beide vom Geschmack des Lesers ab.
Ich kann zum Beispiel sagen, dass die Romantiker nach ihren Maßstäben durchaus gute Bücher geschrieben haben - die mich aber eben absolut nicht unterhalten. Und auch im deutschen Realismus wird es einen Haufen Schund gegeben haben, der sich aber gar nicht bis zu uns gehalten hat. Den haben schmachtende Damen garantiert genauso verschlungen wie bei uns ein großes Publikum den hundertsten Spitzohren-retten-die-Welt - Roman. Und genauso wie Erikson sagt, er hat viel Mist gelesen, es aber trotzdem gemocht, kann ich sagen: Von 10 Büchern, die ich gelesen habe, ist vielleicht bei einem oder zweien etwas hängen geblieben, dass über Plot und Hauptcharakter hinaus geht.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 27.11.2016 | 22:13
Das Problem an Hochliteratur ist, dass es immer einen gewissen Elitären Kreis gibt, die Literatur zu Hochliteratur erheben: Das fängt mit den Kritikern an geht über Hochschulprofessoren und Feulliton-Journalisten bis hin zur eigentlichen Zielgruppe der Leser, die eben gewisse Eigenschaften von Hochliteratur erwarten. Dabei bestimmen letztendlich diese sozialen Gruppen was als Hochliteratur eingestuft werden kann.

Jein. Wie bei klassischer Musik gibt es gewisse Merkmale an der man Hochliteratur festmachen kann. Das kannst Du sogar unabhängig von den Experten machen. Man muß nur genug vielfältiges Lesen um Spreu und Weizen trennen zu können.

Im englischsprachigen Raum waren sich diese Gruppen schon immer einig, dass auch Fantasy und SciFi dazugehören konnte.


Auch in D wird das ja nicht am Genre sondern am jeweiligen Werk festgemacht. Aber finde mal etwas was anspruchsvoll im Bereich F & SF ist. Finde ich ziemlich schwierig.

Einfach aus dem Grund, weil im englischsprachigen Raum sich Qualität und Unterhaltungswert nicht ausschließen. In Deutschland ist aufgrund der Entstehungsgeschichte der entsprechenden Gruppen dies so ohne weiteres nicht möglich. In Deutschland muss Hochliteratur Bildungscharakter haben und Bildung hat ja bekanntermaßen nichts mit Spaß zu tun.


Jein. Wenn Du z.B. ein Werk das sich mit K.I. und der Problematik auseinandersetzt, auf intelligente Weise, dann kannst DU auch ein Werk schaffen das Hochliteratur schafft.

Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass alles Fantastische, alles Kreative möglichst in die Kinder und Jugendecke gesteckt wird.

Das stimmt so nicht. Bei Unendliche Geschichte und Momo ist die Problematik das die Protagonisten Kinder sind. Deswegen auch der Rant von Michael Ende. Aber ich finde nicht das beide eine hohe Schöpfungstiefe haben.

Denn Kindern gönnt man das fantasieren, das Rumspinnen und das Spielen in fremden Welten. Deshalb landete Star Trek im Kinderprogramm vom ZDF und Fantasybücher sind wenn es denn irgendwie geht Jugendbücher.

Paßt doch. Warum später als 1700 senden und mit Tatort und Krimis konkurrieren?

Ja ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass ein komplexer deutschsprachiger Fantasyroman, der eigentlich die Kritiker erfreuen müsste, es nicht durch die Torwächter der Verlage schafft, da literarischer Anspruch und Fantasy zusammen angeblich keine Zielgruppe hat. Im Bestfall würde solch ein Meilenstein dann bei einem Kleinstverlag versauern und kaum bekannt werden.

Auch das stimmt nicht. Das Problem ist vielmehr die Qualität, oder der Mangel hiervon bei den entsprechenden deutschen Werken.

Ich merke das auch bei der Literaturauswahl in der Schule: Während ich im Englischunterricht einen Großteil der Lektüren auch selbst lesen würde, wirken die Lektüren im Deutschunterricht zum Teil künstlich und aufgesetzt.

Nö. Eine Schnulze klingt in English halt weniger schmalzig als in Deutsch.

Aber zum Glück wandeln sich ja die Zeiten: In einer Zeit in der viele Fernsehserien literaturcharakter bekommen und es sogar interpretationsfähige Computerpsiele gibt, wird sich die künstliche Abgrenzung zwischen Anspruch und Unterhaltung nicht mehr lange aufrechterhalten lassen. Auch nicht in Deutschland.

Die gibt es so nicht. Allerdings ist es schwer in F&SF etwas zu finden das über Generationen hinweg Bedeutung hat. Und es kann aus seiner Natur heraus kein Dokument der Zeitgeschichte sein. Einiges an Literatur wird ja als eben das genommen. Als Dokument der Zeitgeistes einer Epoche.

1984, Schöne neue Welt, Clockwork Orange, Fahrenheit 451 sind ja Beispiele für Literatur im Bereich F&SF die als "klassisch" gilt.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Pyromancer am 27.11.2016 | 22:30
Fantasyromane gehören nicht zur Hochliteratur, aus dem gleichen Grund, aus dem Arztromane und Landser-Heftchen nicht zur Hochliteratur gehören.

Edit: D.h. man kann natürlich ein anspruchsvolles, "gutes" Werk schreiben, das den Krieg oder die Erlebnisse von Soldaten zum Inhalt hat - aber dann ist es kein Landser-Heftchen nicht. Und man kann ein anspruchsvolles, "gutes" Werk mit phantastischen Elementen schreiben, aber dann ist es kein Fantasyroman nicht.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Infernal Teddy am 27.11.2016 | 22:37
Allerdings ist es schwer in F&SF etwas zu finden das über Generationen hinweg Bedeutung hat. Und es kann aus seiner Natur heraus kein Dokument der Zeitgeschichte sein.

Fantasyromane gehören nicht zur Hochliteratur, aus dem gleichen Grund, aus dem Arztromane und Landser-Heftchen nicht zur Hochliteratur gehören.

Edit: D.h. man kann natürlich ein anspruchsvolles, "gutes" Werk schreiben, das den Krieg oder die Erlebnisse von Soldaten zum Inhalt hat - aber dann ist es kein Landser-Heftchen nicht. Und man kann ein anspruchsvolles, "gutes" Werk mit phantastischen Elementen schreiben, aber dann ist es kein Fantasyroman nicht.

Unsinn.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Pyromancer am 27.11.2016 | 22:42
Unsinn.

Was ist Unsinn?
Es gibt etliche hochliterarische, von Kritikern gelobte Bücher mit phantastischen Elementen. Da hat keiner ein Problem damit. Nur nennt man so ein Werk halt nicht "Fantasyroman". Genausowenig, wie man ein qualitativ hochwertiges Buch, das vor dem Hintergrund eines Krankenhauses spielt, "Arztroman" nennt.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: scrandy am 27.11.2016 | 22:52
@Kowalski
Ich antworte jetzt nicht auf jede Zeile. Das ist zu anstrengend und führt zu keiner flüssigen diskussion.

Jein. Wie bei klassischer Musik gibt es gewisse Merkmale an der man Hochliteratur festmachen kann. Das kannst Du sogar unabhängig von den Experten machen. Man muß nur genug vielfältiges Lesen um Spreu und Weizen trennen zu können.
Es ist zwar sicherlich richtig, dass es gewisse Merkmale gibt, die Hochliteratur haben muss. Das heißt aber nicht, dass alles was diese Merkmale besitzt auch als solche einsortiert wird. Das Problem ist erstens, dass die Menschen, die Kritiken schreiben und somit für eine erste Einstufung und später für eine Canonisierung sorgen ersteinmal auf das Werk aufmerksam gemacht werden müssen. Wenn aber ein hochwertiges Fantasywerk erst garnicht veröffentlicht wird weil es nicht ins Bild der Genre passt, dann später von den Kritikern nicht gelesen wird, weil Fantasy ja als Schund eingestuft wird, dann kann dieses Genre auch nie Hochliteratur hervorbringen.

Man darf bei aller vordergründigkeit von Qualitätskriterien nicht vergessen das Hochkultur letztendlich nur die Kultur der Oberschicht ist, die um die Massenkultur ergänzt wurde als ende des 19. Jahrhunderts sich eine Massengesellschaft gebildet hat in der jeder auf einmal Kultur konsumierte. Heute haben wir aber das seltsame Phänomen, dass es Werke aus diese Massenkultur gibt, die objektiv betrachtet auch gewisse Qualitäten haben und plötzlich gewertschätzt werden. So wird Graffiti plötzlich zu Streetart, im Schundmedium Film findet man plötzlich Autorenfilme und Qualitätsserien und auch bei Fantasybüchern gibt es einzlene Werke, denen gewisse Qualitäten zugeschrieben werden.

Im englischsprachigen Raum gilt schon lange sowas wie Dracula und Frankenstein als Hochliteratur. Auch the Monk und the Castle of Otranto sind Hochliteratur und werden von Kritikern behandelt und in der Uni gelesen obwohl aktuelle Werke viel besser sind und diesen Status noch nicht haben. Im deutschen tun sich die Kritiker aber viel schweren damit diese Genre überhaupt anzufassen.

Zitat
Einiges an Literatur wird ja als eben das genommen. Als Dokument der Zeitgeistes einer Epoche.
Das ist richtig, aber es wird auch einiges aufgenommen, dass die Kritiker schlicht grandios fanden und das zum Teil deutlich später. Zum Beispiel wurde Moby Dick zu seiner Zeit fast garnicht gelesen und erst 100 Jahre später von Kritikern entdeckt und jetzt tun die Kritiker so als hätte er Autor den Menschen damals aus der Seele geredet.
Zitat
1984, Schöne neue Welt, Clockwork Orange, Fahrenheit 451 sind ja Beispiele für Literatur im Bereich F&SF die als "klassisch" gilt.
Richtig. Ich lese gerade mit meinen Schülern Fahrenheit 451 und bin froh über die reichhaltige Auswahl in diesem Bereich. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es so niemanden gibt der auf deutsch Science Fiction in verwendbarer Qualität schreibt, so dass das Genre im Deutschunterricht quasi nicht existiert. Man stelle sich vor das Scifi und Fantasy eines der meistgelesenen Genres in Deutschland ist und die Wertschätzung der Kritiker ist quasi nicht existent. Das kann eigentlich nicht alles Schund sein.


Es gibt etliche hochliterarische, von Kritikern gelobte Bücher mit phantastischen Elementen. Da hat keiner ein Problem damit. Nur nennt man so ein Werk halt nicht "Fantasyroman".
Warum eigentlich nicht? Ich nenne Dracula ja auch "Gothic Horror" und es ist Hochliteratur. Wo ist also das Problem mit Fantasy?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Pyromancer am 27.11.2016 | 22:59
Warum eigentlich nicht? Ich nenne Dracula ja auch "Gothic Horror" und es ist Hochliteratur. Wo ist also das Problem mit Fantasy?

Weil "Fantasyroman", genau wie "Arztroman" und "Landserheft" historisch gewachsen nicht nur das Genre bezeichnet, sondern auch die Qualität. Warum hat noch kein Landserheft den Literaturnobelpreis gewonnen?

( Und ob Dracula Hochliteratur ist, darüber würde ich streiten, wenn das hier in diesem Rahmen sinnvoll wäre. ;) )
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: scrandy am 27.11.2016 | 23:19
Du hast Recht, dass in Deutschland Fantasy ein "trivialliteratur" Image hat. Deswegen gibt es ja die Versuche alles was gut ist in andere Genre zu drängen. Aber das wird irgendwann einfach nicht mehr gehen. Ich glaube auch nicht das es zielführend ist. Es ist eher ein Makel, dass deutsche Hochliteratur tatsächlich einen Bogen um gewisse Genres machen und man nicht akzeptieren kann wenn ein Werk in einem gemiedenen Genre gut ist. Aber das wird sich ändern.

Ich erinnere mich noch an eine Zeit in der man nicht zu laut in der Schule sagen durfte, dass man gerne Filme guckte, weil die ja "offensichtlich verblöden". Jetzt da die Feuilletons auch hin und wieder über Qualitätsserien und co schreiben wird auf einmal Film zum Thema in Schule und man schaut dinge die zu ihrer Zeit verurteilt wurden. Das wird auch was die Genre betrifft irgendwann passieren.

PS: Zum Thema Dracula: Natürlich können wir da jetzt drüber diskutieren ob es Hochliteratur ist. Wenn ich in meine englische Literaturgeschichte schaue ist er jedenfalls aufgeführt. Und wenn man ehrlich ist, ist er einer der besseren Gothic Fiction Bücher. Ob das jetzt unseren persönlichen Ansprüche genügt, ist ein anderes Thema. Ich finde Stolz und Vorurteil auch nicht literarisch wertvoll - allerdings durchaus unterhaltsam  :P "Mr Darcy"  :o - vor allem mit Zombies. 
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Crimson King am 27.11.2016 | 23:19
Landserheft ist keine Literaturgattung, sondern ein Format zum Verlag von Soldatengeschichten.

Schränkt man Arztroman auf die Schundheftchen vom Zeitschriftenstand ein, kommt man da ggf. hin. Ob die Einschränkung zulässig ist, steht auf einem anderen Blatt. Natürlich kriegt man das auch bei Fantasy so hin. Wenn man das Genre einfach so definiert, dass alles, was einem wie auch immer gearteten Anspruch genügt, keine Fantasy ist, klappt das. Mir wäre aber neu, dass Fantasy so definiert ist.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Pyromancer am 27.11.2016 | 23:26
Wenn man das Genre einfach so definiert, dass alles, was einem wie auch immer gearteten Anspruch genügt, keine Fantasy ist, klappt das. Mir wäre aber neu, dass Fantasy so definiert ist.

Dir ist echt noch nicht aufgefallen, dass Fantasyromane mit Anspruch in Deutschland (oft) nicht Fantasyromane genannt werden?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: scrandy am 27.11.2016 | 23:28
Dir ist echt noch nicht aufgefallen, dass Fantasyromane mit Anspruch in Deutschland (oft) nicht Fantasyromane genannt werden?
Doch, aber das ist dauerhaft kein haltbarer zustand, wenn alleine die hochnäsigen deutschen ein Extragenre definieren während die restliche Welt anspruchsvolle Fantasy akzeptieren kann.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 27.11.2016 | 23:59
Wir sind allerdings nicht in der Position, das zu beeinflussen. Insofern wäre ein Ausweichen auf "Phantastik" vermutlich zumindest mittelfristig der bessere Weg.
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 28.11.2016 | 17:46
@Kowalski
Ich antworte jetzt nicht auf jede Zeile. Das ist zu anstrengend und führt zu keiner flüssigen diskussion.
Es ist zwar sicherlich richtig, dass es gewisse Merkmale gibt, die Hochliteratur haben muss. Das heißt aber nicht, dass alles was diese Merkmale besitzt auch als solche einsortiert wird. Das Problem ist erstens, dass die Menschen, die Kritiken schreiben und somit für eine erste Einstufung und später für eine Canonisierung sorgen ersteinmal auf das Werk aufmerksam gemacht werden müssen. Wenn aber ein hochwertiges Fantasywerk erst garnicht veröffentlicht wird weil es nicht ins Bild der Genre passt, dann später von den Kritikern nicht gelesen wird, weil Fantasy ja als Schund eingestuft wird, dann kann dieses Genre auch nie Hochliteratur hervorbringen.

Wenn dem Autor an einer Veröffentlichung liegt, dann verlegt er es eben selbst. Das machen 80-95% der Autoren so.

Man darf bei aller vordergründigkeit von Qualitätskriterien nicht vergessen das Hochkultur letztendlich nur die Kultur der Oberschicht ist, die um die Massenkultur ergänzt wurde als ende des 19. Jahrhunderts sich eine Massengesellschaft gebildet hat in der jeder auf einmal Kultur konsumierte. Heute haben wir aber das seltsame Phänomen, dass es Werke aus diese Massenkultur gibt, die objektiv betrachtet auch gewisse Qualitäten haben und plötzlich gewertschätzt werden. So wird Graffiti plötzlich zu Streetart, im Schundmedium Film findet man plötzlich Autorenfilme und Qualitätsserien und auch bei Fantasybüchern gibt es einzlene Werke, denen gewisse Qualitäten zugeschrieben werden.

Mit der Alphabetisierung geht der Fokus auf die Oberschicht weg. Ein Großteil der Romane die FÜR die Oberschicht geschrieben wurde sind, verdientermaßen, VERGESSEN. Weil sie eben auch nur Trivialliteratur sind, zur Unterhaltung geeignet, mehr nicht. Schau Dir zum Beispiel Georg Büchner (https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_B%C3%BCchner) an. Seine Themen sind keine Themen der Oberschicht. Das sind die Bücher von Schiller und Goethe auch nicht. Es wird zwar das Bildungsbürgertum angesprochen und aufgeklärte Aristokraten, aber es gibt keine breite Mittelschicht. Das kommt erst mit dem 19-ten Jahrhundert.

Schau Dir Bertold Brecht an, das sind auch nicht vornehmlich an die Oberschicht gerichtete Werke.

Im englischsprachigen Raum gilt schon lange sowas wie Dracula und Frankenstein als Hochliteratur. Auch the Monk und the Castle of Otranto sind Hochliteratur und werden von Kritikern behandelt und in der Uni gelesen obwohl aktuelle Werke viel besser sind und diesen Status noch nicht haben. Im deutschen tun sich die Kritiker aber viel schweren damit diese Genre überhaupt anzufassen.

Eben. Englischsprachig. Das findet dann in der Anglistik statt. Werke von Trageweite sucht man in deutscher Sprache vergeblich. Oder sie sind noch nicht entdeckt.
Der Punkt ist das so ein "Me too" Werk bei der Kritik, verdientermaßen, durchfällt.
Literatur kann man nicht nur im eigenen Saft der eigenen Sprache betrachten.

Wobei. Franz Kafka ist schon ziemlich phantastisch.

Soldatenromane, bzw. Romane die mit dem Thema eng verbandelt sind:
Woytzek
Der Untertan
Der Hauptmann von Köpenick
Im Westen nichts neues
Der Brave Soldat Schwejk
08/15
Blechtrommel, Katz und Maus

Mich wundert aber nicht das z.B. "Starship Troopers" nicht auf der Liste ist.
Oder irgendeines der "Perry Rhodan" Bücher

Ein Nachteil in Genres ist das man oft erst den "Code" knacken muss. Was ist Fluff den man ignorieren kann, was ist "Crunch"?
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: El God am 3.12.2016 | 17:41
Ich habe gerade folgende interessante Vorlesung gefunden, in der es genau um die Frage geht, wie man den Wert/ die Qualität von "Hochliteratur" bzw. Literatur als Kunstform bestimmen kann.

LINK (https://www.youtube.com/watch?v=bPsy1lH_QkE)
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Yerho am 23.12.2016 | 22:50
Auf die alle Jahre wieder aufkeimenden Unterscheidungsversuche von Hoch- und Schundliteratur lasse ich mich längst nicht mehr ein, nicht nur was einzelne Genres angeht. Es gibt ein gewisses Spektrum auf dem einen Ende, dass so ziemlich alle als Hochliteratur anzuerkennen bereit sind und ein Spektrum, das so ziemlich alle als Schundliteratur ansehen. Der dicke Block dazwischen entzieht sich der Eindeutigkeit und man muss schon ziemlich absolut sein, um eine saubere Trennlinie zu ziehen.

Der Knackpunkt ist: Man müsste womöglich immer bis auf auf den spezifischen Text heruntergehen. Ich greife mal das Beispiel von Perry Rhodan auf, einfach weil man es daran zu gut durchexerzieren kann: Als "Groschenroman" haftet dem Ganzen grundsätzlich erst einmal an, Schund zu sein. Allerdings unterzieht sich wohl kaum jemand der nicht unbeträchtlichen Mühe, das immens umfangreiche Gesamtwerk zu lesen, geschweige denn es zu untersuchen. Stichprobenartig gelesen ist die Chance recht hoch, die reflexartige Zuordnung bestätigt zu finden. Allerdings stößt man mit zunehmender Zahl der Stichproben auch immer wieder auf Passagen, die sich dieser Zuordnung thematisch und/oder stilistisch entziehen. Das wiederum führt unweigerlich zu der Frage, ob man die Einordnung eines Gesamtwerkes beträchtlichen Umfangs mengenmäßig herangehen kann bzw. will oder ob nicht schon anteilig geringe Abweichungen die Zuordnung als Ganzes in Frage stellen. Dem Perry-Rhodan-Leser ist diese Unterscheidung, ebenso wie die grundsätzliche Einordnung, noch herzlich egal, aber wenn man es auf ganze Genres anwendet, wird es kriminell: Ist meinetwegen Fantasy prinzipiell Schundliteratur, weil es überwiegend Schund ist?

Man verzeihe mir den teilweise geschmacklosen Vergleich: Scheiße ist ist Scheiße, aber Scheiße ist auch Dünger, und wie viel Scheiße man jeweils als Dünger nutzen kann, ändert nichts daran, das es Scheiße ist, aber es ändert etwas daran, wie man die Scheiße bewertet. Gold ist Gold, und auch wenn am Gold Scheiße klebt, bleibt es Gold - nur düngen kann man damit im Zweifelsfall trotzdem nicht.
Anders ausgedrückt: Es ist noch nicht einmal eine echte Debatte über den Wert. Es ist nämlich nicht nur *nicht* geklärt, ab welchem Punkt eines beliebigen definierten Stoffkreises die Grenze zwischen Hoch- und Schundliteratur zu ziehen ist, sondern auch auch völlig unklar, was man überhaupt mit der Zuordnung anfängt, wenn sie denn erst einmal getroffen wurde. Wenn ich jetzt einfach mal testweise Perry Rhodan als Hochliteratur einstufen würde und irgendwie die Autorität hätte, dass diese Einordnung auch ernstgenommen wird, wäre es für diejenigen, die es nicht als Hochliteratur sehen können, immer noch keine.

Literatur ist etwas sehr Persönliches, denn jeder liest für sich allein. Und wenn man sich mit Anderen über das Gelesene austauscht, dann doch darüber, was einem auf welche Weise etwas gegeben hat. Das Treffen von Zuordnungen von Hoch- und Schundliteratur könnte nicht weiter vom Lesen, Denken und Empfinden entfernt sein. Es geht nicht mehr um das Werk, sondern um die Deutungshoheit, um das Erringen und Bestätigen von Macht in Form der eigenen Autorität, was das Gelesene zum reinen, austauschbaren Mittel degradiert. Letztlich ist es nämlich gleichgültig, an welcher Zuordnung welchen Stoffs nun die vermeintlich intellektuelle und kulturelle Überlegenheit demonstriert wird.

Aber ich schweife ab: Deutsche Fantasy hat hauptsächlich das Problem, dass "Fantasy" eine importierte Schublade ist und kein Aas so genau weiß, welche Teile des heimischen (oder allgemeiner: des vor Besitz der Schublade bekannten) Stoffs man denn nun am besten hineinsteckt. Sprich, wenn Fantasy gleich Schund sei, muss man nur aufpassen, nicht in diese Schublade gesteckt zu werden, sofern man nicht möchte, dass das eigene Werk als Schund betrachtet wird, weil es das entsprechende Label bekommen hat. Das versuchen (nicht nur) deutsche Autoren mehr oder weniger verkrampft oder auch komplett unverkrampft zu vermeiden, manche legen es auch gezielt darauf an und manchen ist es auch herzlich gleichgültig.

Interessant ist ohnehin vielmehr, was und wie hierzulande geschrieben wird, das dann in dieser Schublade landen könnte. Meiner Beobachtung nach schreiben heutige deutsche Autoren gezielt für diese Schublade und bedienen sich der darin enthaltenen Motive. Wer schreibt denn bitteschön noch einfach drauflos und überlässt es den Rezipienten, sich über die Kategorisierung Gedanken zu machen? Michael Ende wollte mit der "Unendlichen Geschichte" sicherlich keine Fantasy und vermutlich noch nicht einmal ein Kinder-/Jugendbuch schreiben, aber das ist auch schon ein paar Jährchen her (Einmal ganz davon abgesehen, das ich das Werk ud nden Autor für überbewertet halte und hier nur der Bekanntheit wegen als Beispiel anführe, aber das ist eine ganz andere Baustelle ...) . Wer heute in die Tasten schlägt, hat in aller Regel eine recht konkrete Vorstellung davon, für welche Schublade er schreibt, weil davon bereits abhängt, bei welchem Verlag man es für welche Klientel anbietet. Und falls nicht, wird der Verlag oder spätestens der Buchhandel schon darum kümmern!
Das hat nicht nur Nachteile. Die Klientel weiß, in welche "Schublade" sie greifen muss, um das zu finden, was sie lesen möchte. Andererseits fällt dadurch viel unter den Tisch, dass sich einer klaren Zuordnung entzieht oder "falsch" zugeordnet wurde.

Ebenso wie Dolge habe ich als Kind der DDR eien etwas andere Prägung mitbekommen. Fantasy gab es in der DDR im Prinzip nicht, sofern man der nachträglichen Einordnung von Mythen und Sagen nicht folgen möchte. Eskapismus gab es offiziell auch nicht, da per Definition alles so gut war, dass man ihm nicht entfliehen musste. Andererseits gab es ihn aber doch, denn angesichts der nationalen und internationalen Entwicklungen war der in der phantastischen Literatur der DDR omnipräsente Traum des bereits etablierten real existierenden Sozialismus auch eine Art Flucht - nur eben weniger nach hinten auf der fiktionalen Zeitskala (im Fäntelalter war alles schöner) sondern nach vorne (im Weltall wird alles schöner).
Titel: Re: Eskapismus-Debatte und der Stand von Fantasy in Deutschland
Beitrag von: Kowalski am 30.12.2016 | 11:43
Keine Ahnung von der DDR, aber Lem und die Strugatzkis schreiben sehr ambitionierte SF. Was bei Ost-SF auffällt ist das sie sich mit der Entwicklung der Gesellschaft auseinandersetzt und nicht so sehr an Technik-Gadgets aufhängt. "Solaris" "Es ist nicht leicht ein Gott zu sein" etc. zusätzlich sind sie durchaus gesellschaftskritisch wenn man lernt zwischen den Zeilen zu lesen.
Auf jedenfalls oft SF die über trivial hinausreicht


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