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Pen & Paper - Spielsysteme => DSA - Das schwarze Auge => Aventurien => Thema gestartet von: Tarendor am 29.01.2019 | 13:33

Titel: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Tarendor am 29.01.2019 | 13:33
Seit Monaten packt mich so eine nostalgische Welle, weshalb ich gerne wieder in Aventurien und mit DSA (1-3) spielen wollen würde.

Beim Lesen des alten Materials und Durchdenken der Gründe, warum ich respektive wir als Gruppe Ende der 90er Aventurien haben sein lassen, ist es mir klar:

Uns begeisterte damals als 13/14jährige das mythische und märchenhafte Setting mit seinen Legenden, Ungeheuern, Göttern. Der Knick kam spätestens mit der Horasreich-Box, und der Sargnagel war die Borbaradkampagne.

Viel ist bisher geschrieben worden über Hausregeln, "realistischeres" Aventurien oder das Festklammern an DSA1, aber wenig über das mythische, märchenhafte Aventurien.

Was meine ich damit?
Mich störte der Einzug des "phantastischen Realismus" und der Rationalismus; man könnte es auch eine zunehmende Entzauberung der Spielwelt nennen.
Wenn ich lese, dass Vieles nur Aberglaube, Mär sei, nur in der Wildnis vorkäme, dass Dere eine Kugelgestalt habe, Aventurien verwissenschaftlicht wurde...

Warum nicht einfach die Mythen wahr sein lassen?
Nehmen wir als Beispiel soetwas wie das Madamal. Ich fand die Geschichte um Madas Frevel immer sehr interessant. In einem mythischen, märchenhaften Aventurien wäre die Legende um Mada "wahr", und es gäbe weder realweltliche Mondastronomie noch anderweitige Setzungen oder säkulare, entzaubernde Theorien. Das Madamal/der Mond ist kein astronomischer Himmelskörper sondern tatsächlich das, was die Legende berichtet.

Von diesem Beispiel ausgehend kann man nun so gut wie alles, was in DSA und Aventurien vorkommt, zurück ins Mythische und Märchenhafte bringen.

So eine Hintergrundwelt, in der die Legenden wirklich war sind, wäre ein klasse Aventurien-Setting. Und kompatibel mit dem, was Leute "wildes" Aventurien, Ur-Aventurien, Old School usw. nennen.

Mein Eindruck, damals und auch rückblickend, war, dass die DSA-Schreiber eine ironische, säkulare, wissenschaftliche und "neuzeitliche" Perspektive auf Aventurien hatten. Das machte irgendwann das Setting ziemlich uninteressant für Spieler, die märchenhafte, legendenhafte, mythische Spielwelten bevorzugten. Und so verließen wir Aventurien und DSA...
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Derjayger am 29.01.2019 | 13:43
Mal ne Analogie: Es wäre doch ziemlich unmythisch und unmärchenhaft, wenn in einem Horror-Spiel alle wüssten, dass Cthulhu & co. wahr wären. Mysteriöser ist es, wenn Leute größtenteils erfolgreich versuchen, die seltsamen Dinge rational zu erklären, jedoch immer ein Restzweifel übrig bleibt...

Deshalb kann die von dir beschriebene "Entzauberung" genau den gegenteiligen Effekt haben, nämlich dass Mystisches nicht zu etwas alltäglichem wird.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Faras Damion am 29.01.2019 | 13:46
DSA war immer ein Konglomerat der unterschiedlichsten Stile. Ich würde nicht sagen, dass man komplett weg ist von Märchen und Mystik.
Im Gegenteil gehören die Märchenanthologien zu den meistgekauften Abenteuern, z.B. https://de.wiki-aventurica.de/wiki/Verwunschen_%26_Verzaubert
Und mystische Romane wie das Greifenopfer samt Simyala-Kampagne gehen doch sehr in die Richtung, die du beschreibst.

Apropos:
Mada im Mond und ein Mann, der sie mit einem hohen Turm erreichen will? Ihr Schatten, der auf Dere wandelt, hat Angst vor ihm hat und flieht. Der Befreier fängt sie und lässt sie doch frei, da er auf das Schicksal vertraut....


oder


So frage nicht, wer Mada verbannet, denn das ist der Herr Praios. Frage nicht wer den Stein gefüget, in den sie gebannet wurde, denn das ist Herr Ingerimm. Frage nicht, wer sie in den Schlaf geleget, denn das ist Herr Boron. Frage nicht, wer sie am nächtlichen Himmel bewachet, denn das ist Herr Phex. Frage nicht, wer suchet, sie zu befreien, denn das ist Frau Hesinden.

Frage also, warum es zumindest dreier Götter von Alveran bedurfte, um eine der Sage nach halb Sterbliche zu bannen. Frage, ob es Phexens Sinn ist, Kerkermeister zu sein für jene, die den Sterblichen ihr Schicksal in die eigene Hände legte. Frage schließlich, warum das allgöttliche Mysterium von Kha, das selbst Götter bindet, von der Göttertochter Mada gebrochen werden konnte, da sie den Kristall der Kraft zerschlug.


:)


Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Hotzenplot am 29.01.2019 | 14:53
Ich kann diese Sicht nachvollziehen. Wenn man das Mysterium bewahren will, kann man eigentlich maximal DSA 2 Material verwenden. Später wurde mehr und mehr entmystifiziert. Im Grunde genommen wird nebenan im Glorantha-Thread ja genau über dieses Phänomen geredet. Die Zwerge sind also tatsächlich Ingerimms (Angroschs) Wächter über die Schätze der Erde und werden tatsächlich aus Stein geboren, warum nicht?
Im Grunde genommen bietet DSA (auch die neueren Spielhilfen) dazu genug Material, man muss die Legenden dann eben nur für bare Münze nehmen. Dürfte kein großes Problem sein, in so einem Aventurien zu spielen. Inspirationsquellen sind reichlich vorhanden.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: YY am 29.01.2019 | 15:16
man muss die Legenden dann eben nur für bare Münze nehmen. Dürfte kein großes Problem sein, in so einem Aventurien zu spielen.

Wenn man diese ganzen Dinge als tatsächlich wahr setzt, bekommt man absurde High Fantasy in Richtung Age of Sigmar, aber keine klassisch-altmodische Fantasywelt.

Damit das für mich funktioniert, muss man vieles eben als Legende, Aberglaube und Halbwissen stehenlassen - und dann auch die "Größe" haben, nicht nach einer abschließenden OOC-Erläuterung zu fragen.
Mir ist z.B. seinerzeit allein schon die Setzung gegen den Strich gegangen, dass die Götter tatsächlich echt sind, weil da genau der Rattenschwanz an Folgebetrachtungen dran hängt, der einen von der mythischen Spielwelt weg führt.

Also: Gerne die säkularen und (bei Magie & Co.) "para-wissenschaftlichen" Erklärungen weg, aber nicht zu weit in die Gegenrichtung ausschlagen. Das Ganze lebt davon, dass vieles unklar, undefiniert, unverregelt ist - egal in welche Richtung.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Alexandro am 29.01.2019 | 15:33
Mir geht es da wie den OP: etwas mythischer kann es ruhig sein.

z.B. mochte ich den Gedanken, dass Tharun tatsächlich im Inneren von Dere liegt - diese metaphysische "Parallelgesellschaft" mit den Globulen/anderen Existenzebenen geht mir gegen den Strich. Warum keine Götter, die tatsächlich auf einem hohen Gipfel im Ehernen Schwert leben? So wie sie das gemacht haben ist es einfach nur langweilig - dass man sagt "Aventurien hat die selben Naturgesetze, wie unsere Erde - aber über diesen Naturgesetze steht noch eine weitere Ebene von Magie- und Göttergesetzen, welche diese überschreiben" ist für mich ein langweiliger cop-out.

Mir würde es auch schon reichen, wenn die Sache wenigstens ambig belassen worden wäre - leider ist das mittlerweile nicht mehr so und in den Büchern steht tatsächlich "Die Leute glauben an diese Legenden, aber in Wirklichkeit ist es so...", was den ganzen Flair etwas entwertet.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Ifram am 29.01.2019 | 15:50
Wirtschaftliche Realweltgründe haben zum Verkauf von mehr und mehr und immer mehr Material geführt. Dass hat zu einem absurd rasendem Metaplot und der Beschreibung jeder Milchkanne geführt. Qualitätssicherung kostet auch nur Geld...
Wer etwas mit viel Geheimnis und Märchen und Mystik möchte sollte ein anderes System bespielen.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: felixs am 29.01.2019 | 16:15
Ich fände es auch reizvoll, auf dem Stand von DSA 3 vor Borbarad zu spielen. Meinetwegen kann Borbarad ein Gerücht sein und ein wenig irgendwo in Ostaventurien rummachen. Aber diesen weltenverändernden Metaplot hätte ich nicht gebracht.

Bezüglich der Entzauberung: Mich hat es nie sonderlich gestört, dass es offensichtlich eine Diskrepanz zwischen dem Glauben der Leute und dem wirklichen Sein der Welt Dere gibt. Ich muss das aber auch nicht so genau wissen.
Andersrum stört mich eine ungeklärte, lebendige, alles beherrschende und dabei gleichzeitig wenig greifbare Mythologie wie bei Glorantha. Da habe ich dann nichts, woran ich mich festhalten kann. Und das erzeugt bei mir eben keinen Sense of Wonder, sondern eher Genervtheit.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Aedin Madasohn am 29.01.2019 | 16:30
man könnte es auch eine zunehmende Entzauberung der Spielwelt nennen.
Wenn ich lese, dass Vieles nur Aberglaube, Mär sei, nur in der Wildnis vorkäme, dass Dere eine Kugelgestalt habe, Aventurien verwissenschaftlicht wurde


in diesem Zusammenhang muss man trocken sagen, dass die Redakteure bei der Bewirtschaftung der raren Ressourcen "geheimnisvoll-mystisch" ...hamhhhh...
wenig Sinn für den Mehrwert im Spiel hatten (um es vorsichtig auszudrücken)

uralte Echsenkulte?! lauernde kaltgeschuppte Götter mit unaussprechlichem Namen (es ist nicht tot, was ewig liegt, bis auf das die Zeit den Tod besiegt - muhahaha!) , die ihre Herrschaft zurückfordern?!
Leviatane, die sich aus dem Salz herausschälen und Warmblüter jagen gehen...
Stelen, deren Hiroglyphen so viel preisgeben würden, wenn denn nur jemand sich darum kümmern wollte...
ja, da kann ein bissel Cthulu auf leisen Sohlen sich von hinten anschleichen,

was ist darauß geworden? farbenfroh auf der Startrampe explodiert.

Dämonensultan? in WdZ noch eines der letzten unausformulierten Mysterien und hey, stopfen wir doch mal den Giganten Ogeron in diese Lücke. Hä? zwei unbeschriebene Mysterien für einen einzelnen Gag abfackeln? (weil ein neues Mysterium haben sie ja nicht drauß gezimmert)
das ist schon sehr verschwenderisch

Myranors Götterbuch (anderer Verlag ja) hatte das in meinen Augen schon besser gelöst mit den vielen Namen und Legenden, wer sich wo hinter (alles) verbirgt (bei Völkern, Kulturen, Landstrichen), gekapert wird oder schlicht vielfältiger war, als in Aventurien gedacht.

dieser Designzug hat mir an dem Myranische Götter sehr gut gefallen  :d

es lud geradezu dazu ein, nach diesem Muster auch andere Kanidaten felid zu verballhornen und mit felliger Folklore zu versehen, um so ein kleines Schmackerle im Abenteuer zu haben.


Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Megavolt am 29.01.2019 | 16:32
Ich kann diese Sicht nachvollziehen. Wenn man das Mysterium bewahren will, kann man eigentlich maximal DSA 2 Material verwenden. Später wurde mehr und mehr entmystifiziert.

Die Simulationisten sind schuld, wie immer.

Ich empfand den Einfall Borbarad übrigens nie als Entmystifizierung Aventuriens. Es hat sich nur die Perspektive von "friemelig" zu "global" verändert, was ich cool fand (in dem Sinne, dass irgendwelche Ereignisse große Auswirkungen haben). In meinen Augen war das eine verlustfreie Erweiterung Aventuriens. Die Tobrien-Romantiker konnte ich nie so recht nachvollziehen, denn Schwarzwald- bzw. Märchenwald-Aventurien konnte und kann man immer und überall haben.

Was in Aventurien meiner Meinung nach nie ordentlich ging, war gescheites Sword & Sorcery.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: felixs am 29.01.2019 | 16:44
Was in Aventurien meiner Meinung nach nie ordentlich ging, war gescheites Sword & Sorcery.

Das ist aber eher den Regeln geschuldet, oder?

Ansonsten würde mir z.B. die Handlung um Raidri Conchobair (oder so ähnlich) ziemlich sword-&-sorcerig vorkommen (superheldig, affektiert, gewalttätig, ein bißchen pornographisch). Die Regeln geben das aber in der Tat nicht her.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Issi am 29.01.2019 | 16:47
Eine große Entmystifizierung war meiner Meinung nach  WdV. ! ~;D
Zitat
Andersrum stört mich eine ungeklärte, lebendige, alles beherrschende und dabei gleichzeitig wenig greifbare Mythologie wie bei Glorantha. Da habe ich dann nichts, woran ich mich festhalten kann. Und das erzeugt bei mir eben keinen Sense of Wonder, sondern eher Genervtheit.
Wahrscheinlich macht es die Mischung.
Das Nötigste erklären. Aber auch noch Raum für Fantasie lassen.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Alexandro am 29.01.2019 | 16:58
Andersrum stört mich eine ungeklärte, lebendige, alles beherrschende und dabei gleichzeitig wenig greifbare Mythologie wie bei Glorantha. Da habe ich dann nichts, woran ich mich festhalten kann. Und das erzeugt bei mir eben keinen Sense of Wonder, sondern eher Genervtheit.

Was stört dich daran? Nichts davon tangiert irgendwie, was mein Charakter macht (genausowenig wie, ob der Mond jetzt ein großes Ei ist oder ein die Welt umkreisender Felsbrocken), es ist einfach cooler Flair.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Megavolt am 29.01.2019 | 17:05
Ansonsten würde mir z.B. die Handlung um Raidri Conchobair (oder so ähnlich) ziemlich sword-&-sorcerig vorkommen (superheldig, affektiert, gewalttätig, ein bißchen pornographisch).

Das habe ich so noch gar nicht gesehen, sehr interessant.

Man müsste vermutlich erst einmal an S&S herumdefinieren, aber dazu fehlt mir jetzt ehrlich gesagt die Lust.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Tarendor am 29.01.2019 | 17:43
nur, um kein Missverständnis für mein OP aufkommen zu lassen:

Die Tobrien-Romantiker konnte ich nie so recht nachvollziehen, denn Schwarzwald- bzw. Märchenwald-Aventurien konnte und kann man immer und überall haben.

Und:

Wenn man diese ganzen Dinge als tatsächlich wahr setzt, bekommt man absurde High Fantasy in Richtung Age of Sigmar, aber keine klassisch-altmodische Fantasywelt.

Was mich gar nicht interessiert, ist die vielbeschworene Hotzenplotzigkeit Aventuriens oder Schwarzwald-Fantasy, Gebrüder-Grimm-Phantastik.
Deshalb kann ich auch mit diesem "Verzaubert u. Verwunschen"-Abenteuerband nichts anfangen. Das ist wieder das klassische Bauernmärchen-/1001Nacht-Gedöns.

Die Vorposter haben schon einige interessante Punkte angesprochen, wie ich es mir tatsächlich vorstelle. Und jepp, es hat schon ein wenig mit Sword&Sorcery zu tun.
Es steckt soviel cooles Zeug in Aventurien, was unter der Aufbereitung leidet. Sehr gute Beispiele finden sich auch in den Regionalspielhilfen aus DSA2 ("Aventurische Regionen"). Man liest spannendes oder abgefahrenes Zeug, aber im Nebensatz steht schon, dass es nur ein Gerücht, Aberglaube respektive Mumpitz sei. Warum ist es nicht einfach tatsächlich so?

Oder auch: Die Tatsache, dass wir einst in der Hal-Zeit spielten, ließ die ganze aventurische Historie nebulös werden. Sicher, es gab da die geschichtlichen Abrisse, welche Könige vor soundsoviel Jahren regiert haben.
Im Grunde war es aber "Jetztzeit", die Regentschaft von Kaiser Hal. Die Ereignisse von damals konnten Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende zurückliegen. Es spielte keine Rolle. Vielleicht ist Aventurien auch viel jünger?
Kaiser Hal-Zeit... das wirkte wie "im Zeitalter von König Artus".

Was uns dann bsplw. bei Tharun faszinierte, war, dass die Phantastik echt war. Die Sonne ist explodiert und auf der Welt liegen Sonnenfragmente in Form von Runensteinen. Kein doppelter Boden, keine Ironie, kein "ist doch nur Aberglaube" (wie in Aventurien), sondern einfach Tatsache. Dieses Selbstverständnis der Spielwelt Tharun hatte uns imponiert.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Tarendor am 3.03.2019 | 00:05
Im Zuge meines Projektes eines märchenhaften und mythischen Aventuriens bin ich zu einer Lösung gelangt, die ich für meine Heimrunde verwenden werde.

Ich werde die Mythologie Aventuriens, d.h. im Grunde: die des Zwölfgötterglaubens, aus dem DSA3-Material zusammenschreiben und dabei all das weglassen, was darüber hinausgeht.

Was man dann in den Händen hält, ist die reine Mythologie ohne den ganzen Über- und Anbau, der sich bereits bei DSA3 findet und durch DSA4 final ausufert. Man schaue sich nur einmal die Wiki Aventurica an.

So hat man das mythologische Destillat, was vom Umfang zwischen DSA1 ("Aventurien"-Heft) und DSA3 ("Die Götter des Schwarzen Auges"; "Kirchen, Kulte, Ordenskrieger") liegt.
Mit diesem Text erschließt man sich auch wieder einen Zugang zum mythischen Denken und Vorstellen der aventurischen Bevölkerung, das in den Regelwerken durch zuviel Metaperspektive verschleiert und überdeckt wird; um dann in der Wiki Aventurica schließlich jede Form von Stimmung zu verlieren.

Das Schöne bei DSA1-3 ist, dass alle Zutaten für ein gutes Spiel vorhanden sind. Man muss sie nur freigraben und veredeln.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Tarendor am 5.03.2019 | 20:19
Mythisches "Fundstück":

In der Bornland-Box versteckt sich im Heft "Rauhes Land im hohen Norden" auf S. 58 eine leicht andere Interpretation des FIRun.

Wir erinnern uns: Im "Aventurien"-Heft des Abenteuer Ausbauspiels (DSA1) wird uns Firun recht knapp als Wintergott dargestellt.
Bereits in der SH1 zu DSA2 ("Die Götter des Schwarzen Auges") wird Firun moralisch aufgeladen und der Winter als göttliche Strafe für waidmännische Frevel über die Menschen gebracht.
"Die Götter des Schwarzen Auges", das der GMuG-Box beilag gibt genauere Informationen zu Firuns Herkunft. Zum ersten Mal lesen wir, dass er zu den Kindern Sumus gehöre, also eher zu den (elementaren) Giganten bzw. den elementaren Urgewalten zählt. Leider wurde der moralische Aspekt Firuns übernommen.

In besagter Bornland-Box finden wir die Spur einer anderen Interpretaton. S. 58 bringt Firuns Winter, weiterhin leicht moralisch aufgeladen ("Zorn"), in den Kontext von Klimazonen. Wir lesen dort, dass Firuns Reich weit im Norden Deres liegt, und der frostige, grimmige Winter sich klimatisch nach Süden ausdehnt und zurückzieht; der Winterkönig ziehe gar mit seiner "Jagdgesellschaft" über die Lande der Sterblichen.

Bezogen auf ein mythisches, märchenhaftes Aventurien heißt das, dass man für den Norden Aventuriens keinen Nagrach, kein Glorania und ähnlichen Dämonenquark benötigt. Diese haben in einem mythischen&märchenhaften Aventurien sowieso nichts verloren.
Stattdessen findet sich im Norden Aventuriens tatsächlich das Winterreich des grimmigen und gar nicht moralischen Firun. Er überzieht die Welt nicht mit Eis und Kälte, weil er sauer ist über die Frevel der Menschheit, sondern weil es seinem elementaren Urnaturell entspricht.
Solch ein manifester, amoralischer Firun, der das Klima und den Winter beeinflusst, der "Winterkönig" mit seinem "Winterreich" wachsender und schrumpfender Grenzen, erzeugt in mir ein ganz anderes Bild des aventurischen Nordens.

Vor allem lässt sich seine Tochter Ifirn, die schon seit eh und je eine moralische Göttin ist, viel besser als Firuns Gegenpol installieren.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Timonidas am 5.03.2019 | 22:40
Mythisches "Fundstück":

In der Bornland-Box versteckt sich im Heft "Rauhes Land im hohen Norden" auf S. 58 eine leicht andere Interpretation des FIRun.

 Anders was welche?

Wir erinnern uns: Im "Aventurien"-Heft des Abenteuer Ausbauspiels (DSA1) wird uns Firun recht knapp als Wintergott dargestellt.
Bereits in der SH1 zu DSA2 ("Die Götter des Schwarzen Auges") wird Firun moralisch aufgeladen und der Winter als göttliche Strafe für waidmännische Frevel über die Menschen gebracht.

Im Firun Vademecun wird explizit erwähnt dass es sich nicht um eine Strafe sondern um eine Lehre handelt. Finde auch die beschreibung von Firun als "moralisch" ziemlich komisch. Er ist neben Kor wahrscheinlich einer der unmoralischsten der alveranischen Götter.

Bezogen auf ein mythisches, märchenhaftes Aventurien heißt das, dass man für den Norden Aventuriens keinen Nagrach, kein Glorania und ähnlichen Dämonenquark benötigt. Diese haben in einem mythischen&märchenhaften Aventurien sowieso nichts verloren.
Stattdessen findet sich im Norden Aventuriens tatsächlich das Winterreich des grimmigen und gar nicht moralischen Firun. Er überzieht die Welt nicht mit Eis und Kälte, weil er sauer ist über die Frevel der Menschheit, sondern weil es seinem elementaren Urnaturell entspricht.
Solch ein manifester, amoralischer Firun, der das Klima und den Winter beeinflusst, der "Winterkönig" mit seinem "Winterreich" wachsender und schrumpfender Grenzen, erzeugt in mir ein ganz anderes Bild des aventurischen Nordens.

Und der sitzt dann amoralisch auf seinem kalten Eisthron und verteilt Lehen an amoralische Eiselementare und das wirtschaftliche System von Firuns Reich wird amoralischer Merkantilismus sein, mit einer Betonung auf amoralisch. Sorry aber ich weiss echt nicht worauf du hinaus willst. Willst du damit sagen das Firun eine Art NPC sein soll der tatsächlich die Herrschaft über den Norden ausübt? Ich mein klar kann man machen und wäre vielleicht auch interessant aber inwiefern ist das "Märchenhafter" oder "mythischer" als das was wir jetzt haben? Außerdem lässt sich das mit seiner Rolle als Gott kaum vereinbaren, zumal ich mir auch einfach nur schwer vorstellen kann dass der betont amoralische Firun besonderes Interesse an politischer Macht hat.

Vor allem lässt sich seine Tochter Ifirn, die schon seit eh und je eine moralische Göttin ist, viel besser als Firuns Gegenpol installieren.

Mit Sicherheit, Phex lässt sich auch viel besser zum Gegenpol Efferds machen wenn man ihn zum Feuerdschinn macht. Das ist aber halt nicht die Idee hinter dieser Gottheit, Ifirn und Firun sind keine Gegenpole zueinander beide repräsentieren, Eis, Winter, Kälte und Jagd. Nur liegt bei Firun der Fokus auf die Gandenlosigkeit des Winters, das Erfrieren, der Kampf gegen die Natur und Prüfung die der Winter darstellt. Ifirn repräsentiert hier eben Mitleid, Gemeinschaft um den Winter gemeinsam zu durchstehen, Gnade und den Frühling der stets auf den Winter folgt. Das ist aber genauso wenig "Gegenpol" wie Rondra der Gegenpol zu Kor ist oder Efferd zu Swafnir.

Warum nicht einfach die Mythen wahr sein lassen?

Weil Mythen nicht gleichzeitig Fakten sein können. Das ist widersprüchlich.

Nehmen wir als Beispiel soetwas wie das Madamal. Ich fand die Geschichte um Madas Frevel immer sehr interessant. In einem mythischen, märchenhaften Aventurien wäre die Legende um Mada "wahr", und es gäbe weder realweltliche Mondastronomie noch anderweitige Setzungen oder säkulare, entzaubernde Theorien. Das Madamal/der Mond ist kein astronomischer Himmelskörper sondern tatsächlich das, was die Legende berichtet.

Woher nimsmt du dass in Aventurien "realweltliche Astronomie" existiert? Da der gesamte Kosmos von Aventurien schon anders aufgebaut ist als der unsere macht diese Annahme gar keinen Sinn, spätestens seit die Spitze des Sternzeichens des Schwerts vom Himmel gefallen und die Stadt Arivor zerstört hat sollte doch klar sein das Aventuriens Sternenhimmel nicht mit dem realen zu vergleichen ist...
Titel: Kurzes Plädoyer: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 27.06.2019 | 01:09
(...) kann man nun so gut wie alles, was in DSA und Aventurien vorkommt, zurück ins Mythische und Märchenhafte bringen.

So eine Hintergrundwelt, in der die Legenden wirklich war sind, wäre ein klasse Aventurien-Setting. Und kompatibel mit dem, was Leute "wildes" Aventurien, Ur-Aventurien, Old School usw. nennen.

Mein Eindruck, damals und auch rückblickend, war, dass die DSA-Schreiber eine ironische, säkulare, wissenschaftliche und "neuzeitliche" Perspektive auf Aventurien hatten. Das machte irgendwann das Setting ziemlich uninteressant für Spieler, die märchenhafte, legendenhafte, mythische Spielwelten bevorzugten. Und so verließen wir Aventurien und DSA...

Da rennst du bei mir offene Türen ein, liebe Tarendor. Es ist seit vielen Jahren meine Rede, daß DSA sich seit der Erstauflage zu einem Verwaltungsrollenspiel entwickelt hat, das eigentlich nur Verwaltungsangestellte schreiben (und gut finden, *ducktsich*) können. Das Orkland, in dem Nachts der Leibhaftige auf den Dächern tanzt. Der Namenlose. Der Totengott und sein widerlicher Kult in Al'Anfa. Das Dunkel-Märchenhafte. Alles das mußte weichen, ersetzt durch blutleeres, studentisch-hochnäsig hingefaseltes, traumfeindliches Gewölle, das sehr oft mit ironischer Distanz erzählt wird. Wenn Märchen rational zerklärt werden, hat der Tod schon eingesetzt.

In unserer Runde spielen wir mit den Fragmenten aus DSA1 und bauen darauf auf. Das Märchenhafte rührt unser Innerstes, wie der gute Joseph Campbell schon wußte. Holen wir das Archaische wieder zurück, und treiben wir die Süffisanz mit dem Besen raus in die kalte Nacht, wo sie hingehört.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: WulfBorzagh am 27.06.2019 | 07:33
Hach ja, das alte Aventurien, wo Kaiser Hal nch eien Kaiser war und in Neersand es och eine Gilde für preiswerte Blautöpfe gab. Wie sehr vermisse ich dies ;-)

Ich denke, dass DSA bzw. Aventurien von ehemaligen Fanboys kaputtgeschrieben wurde (klingt härter als es gemeint ist), die immer und überall versuchten "ihr" Ding reinzudrücken. Viele damalige Autoren kamen aus der Fan Szene und haben sich etabliert und viel an der Welt mitgesatltet. Nicht falsch verstehen, die Arbeit die gemacht wurde (bis auf das oftmals geschundene Lektorat) unter Fanpro war nicht falsch oder schlecht, sondern zu Verkopft.
Man musste für jeden Nasenbohrer eine Hintergundgeschichte haben und die wurde auch prompt frei Haus geliefert und in den Kanon übernommen.
Man merkt es auch an dem Aufbau der Quellenbände ab DSA4.1 Jedes Kapitel wurde mit einem sinnfreien Zitat begonnen um künstlich Flair in den Text zu bringen, der vom Autor merklich unter der Prämisse geschrieben wurde, ob er Bock drauf hat bzw. viele Leute an einem Band mitgewirkt haben und dem Sprichwort "Viele Köche verderben die Lasagne" einen Sinn gegeben haben. Man denke nur an die unausbalancierten verhältnisse zwichen Druiden und Hexen.

Die logische, sich durch offizielle Abenteuer verändernde Welt, Konsequenz war damals die Borbarad Kampagne und der massive Einschnitt in die Spielwelt mit den schwarzen Landen. Das war auch nicht verkehrt, um ein üaar Horror-Enthusiasen abzuholen bzw. ein weiteres Genre zu bedienen.

Da verstehe ich Tarendor gut. Die massiven Einschnitte und das verkopfte an der Spielwelt haben imho massig den Flow aus der Welt genommen und Ulisses muss trotz Entschlankung des Autorenpools mit der Spielwelt leben, die Sie übernommen haben. Da hilft auch keine Kaiser Retro Box (Die ich mir wegen dem absolut dämlichen Namen geklemmt habe zu kaufen) um vergangenes aufleben zu lassen.

Aber vielleicht, aber auch nur vielleicht war ja früher auch nur alles besser, weil früher bekanntlich alles besser war. Da waren die Würfel noch eckiger, der THAC0 leichter auszurechnen und ein Langschwert machte noch den echten 1W6+4 Schaden, nicht den komischen von heute.

Wulfi in erinnerungen schwelgend
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Luxferre am 27.06.2019 | 07:54
Ich hab bei DSA ja immer die alten Computerspiele (Nordland Trilogie) und vor Allem die malerisch-pittoreske Umsetzung in Drakensang vor Augen. Schön märchenhaft, verträumt, etwas bunt-überzeichnet -irgendwie ölmalerisch- und an jeder Ecke eine Kleinigkeit zu erleben, aber eben weniger die epischen Weltenschlachten im Sinne von Diablo und Co.

Und hier ist für mich auch der Knackpunkt. Die Regeln haben -für mich!- bei DSA noch nie das Gefühl des Artwork abgebildet.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 27.06.2019 | 08:26
Und hier ist für mich auch der Knackpunkt. Die Regeln haben -für mich!- bei DSA noch nie das Gefühl des Artwork abgebildet.

Wichtiger, wichtiger Punkt!  :d
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Jiba am 27.06.2019 | 09:06
Ich hab bei DSA ja immer die alten Computerspiele (Nordland Trilogie) und vor Allem die malerisch-pittoreske Umsetzung in Drakensang vor Augen. Schön märchenhaft, verträumt, etwas bunt-überzeichnet -irgendwie ölmalerisch- und an jeder Ecke eine Kleinigkeit zu erleben, aber eben weniger die epischen Weltenschlachten im Sinne von Diablo und Co.

Same here. Tatsächlich war ich als DSA-Laie doch verwundert, wie oft in den großen, offiziellen Abenteuern doch Globulen oder Dämonen oder Feen oder andere hochmagische Vorgänge eine Rolle spielen und wie wenig da sozusagen die "Gefahren des märchenhaften Alltags" thematisiert werden.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: YY am 27.06.2019 | 12:05
Da hilft auch keine Kaiser Retro Box (Die ich mir wegen dem absolut dämlichen Namen geklemmt habe zu kaufen) um vergangenes aufleben zu lassen.

Aber vielleicht, aber auch nur vielleicht war ja früher auch nur alles besser, weil früher bekanntlich alles besser war. Da waren die Würfel noch eckiger, der THAC0 leichter auszurechnen und ein Langschwert machte noch den echten 1W6+4 Schaden, nicht den komischen von heute.

Der Name ist doch das Beste dran ;D


Nein, im Ernst:
Nostalgie mag trotzdem mit rein spielen, aber zumindest jenen, die heute noch oder wieder die Systeme von damals spielen (ggf. in angepasster Form zur Beseitigung altbekannter Probleme und Problemchen, was auch für eine gewisse Abgeklärtheit spricht), kann man nicht vorwerfen, dass sie völlig verklärt zurück schauen und nur nicht sehen wollen, dass das früher schon ziemlich blöd war und man es heute trotz aller Nostalgie und Maulerei besser hat. 
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Jiba am 27.06.2019 | 19:37
Gleichermaßen sollten die Nostalgiker sich zurückhalten mit der Aussage, sie spielten ja das wahre, das unverfälschte XYZ, im Gegensatz zu den heutigen Fans (gut, das ist hier im Thread jetzt nicht geschehen — aber schon der Begriff des „Originals“ ist schwierig. Gerade so als wäre „Super Mario Bros.“ mehr „Mario“ als „Super Mario Galaxy“)
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 28.06.2019 | 08:46
Ja, irgendwo haben sich die Fanboys/Autoren von DSA da ordentlich verlaufen, als sie anfingen, ihre Theorien zu formulieren und alles generell ganz wahnsinnig krass hochschulisch-magisch zu machen. Magie existiert (und ohne ein Faß aufmachen zu wollen, deshalb werde ich auch nicht auf eventuell entsprechende Kommentare eingehen: Magie im Sinne von Geschehnissen, die etablierten wissenschaftlichen Thesen widersprechen oder sich nicht damit erklären lassen, existiert auch in unserer Welt; Dean Radin schreibt da extrem interessante Bücher über die Forschung seines Instituts dazu, und wird sogar von Physik-Nobelpreisträgern akzeptiert und "endorsed"), aber wenn plötzlich ALLES erklärbar wird, so wie das beim späten DSA der Fall ist, wird es langweilig.

Übrigens ist es eines der Merkmale von Kitsch, daß jeder eventuell unklare Aspekt aufgelöst wird und nichts numinos bleibt. Spätes DSA ist also astreiner Kitsch. Wahrscheinlich mag ich es auch deswegen nicht.
Titel: Re: Mythisches, märchenhaftes Aventurien
Beitrag von: Chiarina am 28.06.2019 | 09:26
Zitat von: Mann ohne Zähne
[...] wenn plötzlich ALLES erklärbar wird, so wie das beim späten DSA der Fall ist, wird es langweilig.

Kann ich nachvollziehen. Das Problem habe ich auch hin und wieder. Für mich ist das ein sehr wichtiger Grund, warum ich kein Midgard mehr spielen kann.