Gelungenes, wenn auch überzeichnetes Sozialdrama mit Fingerzeigen in
Richtung Taxi Driver und The King of Comedy. Mit subtiler Psychologie hält sich
der Film nicht auf, allerdings wird in der harschen Umwelt von Gotham schnell
klar, wie Arthur in eine Spirale der Gewalt gerät. Die Szene in der U-Bahn gemahnt
an die verquere Plausibilität des späten Charlton Heston und seiner NRA.
Insgesamt gute, wenn auch bestimmt keine leichte Unterhaltung, und Joaquin
Phoenix spielt einfach herausragend. Auch die notwendige Verwebung mit dem
Batman-Mythos erfolgt äußerst geschickt.
Am Ende erleben wir so etwas wie die Geburt des Jokers, wobei dieser Mann
dennoch noch weit entfernt ist vom klassischen Clown Prince of Crime, was
Planung und Genialität anbelangt.
Das ist jedoch nicht weiter tragisch, weil Arthur noch mindestens 15 Jahre Zeit
hat, um in diese Rolle wirklich hinein zu wachsen.
Thomas Wayne als konservativer Reagan-Ära-Charakter, der sich angeblich um die
Armen kümmern will, aber nicht mal in einem konkreten Fall, der ihm vor Augen
geführt wird, Hilfe leistet, hat mir gefallen. Wayne ist vom alten Schlag, schwelgt
in der Nostalgie der Stummfilme und langt auch mal hin, wenn ihn was stört.
Das er mit seinem Clown-Kommentar die halbe Stadt in Aufruhr versetzt, war ihm
sicher nicht klar, aber die Einstellung passt natürlich zur politischen Agenda.
Klingt härter als ich es meine, aber es war passend, Wayne nicht als sonderlichen
Sympathieträger zu sehen.
8.5/10
In vielerlei Hinsicht stimme ich Lyonesse zu. Allerdings hat mir im Film so ein wenig der Twist gefehlt, wahrscheinlich das, was Lyonesse hier als "subtile Psychologie" beschreibt. Ich konnte den Film zu großen Teilen vorhersehen und die Elemente, die so zur Radikalisierung des Jokers führen, gehören zum kleinen 1x1 fast jeder beliebigen Superschurken-Origin-Story...
- Missbrauch als Kind
- Flaute im Liebesleben
- Ablehnung durch die Gesellschaft
- Krankheit
- Vernachlässigung durch die Institutionen
- Arbeitslosigkeit
- Armut
- Probleme, sich mitzuteilen
- Abwesende Vaterfigur
Nicht falsch verstehen: Alle diese Dinge sind für sich genommen schon schlimm und spannen natürlich den Bogen zu realer Radikalisierung in der heutigen Zeit, aber sie sind eben auch so grundlegend, dass man da keine großen Aha-Effekte vom "Joker"-Film erwarten darf. Da ist tatsächlich wenig Substanz unter der Oberfläche. Und ich bin der Ansicht, das Ende war zu lang...
Joker sitzt im Polizeiauto, sieht die Welt brennen, sagt "Ist es nicht wunderbar.", dann Schnitt ins Asylum, lachender Joker, "Ach den Witz würden sie doch nicht verstehen." und Fade to Black – damit wäre auch alles gesagt gewesen, der Schluss wäre nochmal arg gestrafft und er wäre auch ärmer an Pathos. Naja.
Die Oberfläche ist zweifelsohne ein Hingucker: Todd Phillips hat sich einfach mal die gelbe Lichtstimmung von David Fincher ausgeborgt (umso mehr frage ich mich, wie das wohl als ein echter Fincher-Film gewesen wäre) und sein Gotham ist, wie es sich für die Stadt gehört, richtig schön unmenschlich-anonym.
Der Soundtrack war mir an einigen Stellen zu plakativ traurig, mit viel Gefiedel im Hintergrund... aber sonst bin ich jetzt nicht unzufrieden mit dem Kinobesuch, im Gegenteil.
Mir ist bei dieser Gelegenheit übrigens nochmal bewusst geworden, wie sehr Superhelden-Stories doch die Mythen unserer Zeit geworden sind: Im Sinne von "Jeder Erzähler erzählt sie anders, aber bestimmte Elemente lassen sich nicht entfernen". Die ikonische Szene des Überfalls auf die Wayne-Familie nach dem Theater unterscheidet sich in so ziemlich allen Interpretationen nur in den Details. Es ist quasi die Axis-Mundi der Batman-Geschichte. :)
Würde trotzdem für den "Joker" nochmals 1 Punkt von Lynonesses Wertung abziehen.
Dann haben die Rezensenten einen anderen Film gesehen als ich. Athur Fleck hat die Wahl, wie er sich verhält. Klar wird er von seiner Umwelt beeinflusst und geprägt. Sie zwingt ihm aber nicht die Boshaftigkeit auf, zu der er sich letztlich selbst entscheidet. Aus meiner Sicht wird der Joker im Film eindeutig als böse dargestellt, nicht - vor allem am Ende nicht - als armes Würstchen. Der Film macht es sich aber nicht zu leicht und sagt: Tja, der ist halt böse, da kann man nix machen. Stattdessen zeigt er auf, unter welchen Bedingungen das Böse besonders gut gedeihen kann. Das macht ihn leider sehr aktuell.
Das sehe ich genauso.
Klar kriegt Arthur Fleck an vielen Stellen viel S****** ab, aber muss auch sagen, dass vieles davon absolut gerechtfertigt und eine Konsequenz seiner Entscheidungen ist.
Er nimmt eine Schusswaffe mit in eine Kinderkrankenhaus und verliert daraufhin seinen Job.
Er verknallt sich in seine Nachbarin, spricht sie aber nichtmals an, sondern stalkt sie stattdessen. Entsprechend schockiert reagiert sie, als er plötzlich in ihrer Wohnung steht.
Zudem rastet er an mehreren Stellen völlig aus und verfällt in Gewalt, die eigentlich keinen Zweck mehr erfüllt, außer dass er sich an seinem Kollegen oder dem dritten Juppi in der Bahn abreagiert.
Ich fand es eher so mäh, dass der Joker als Opfer dargestellt wird. In meinen Augen nimmt es der Figur sehr viel von ihrem Charme
Gerade diese Einschätzung sehe ich komplett anders, auch wenn ich es schon öfter gelesen habe, Fleck sei lettendlich nur das Opfer seiner Umstände. Das sehe ich absolut nicht so.
Natürlich lebt er in einer Gesellschaft, die ihn formt und die an vielen Stellen keine Fehler verzeiht. Aber er ist mindestens genauso sehr Täter wie Opfer.
Er tötet ohne Not den dritten Juppi.
Er tötet ohne echten Grund seine Adoptivmutter.
Er tötet ohne echten Grund seinen Kollegen.
Soweit ich mich erinnere, sind die einzigen zwei Stellen, an denen er wirklich ein Opfer ist, die Szenen in denen
a) sein Schild geklaut wird und
b) wo die drei Wayne Banker ihn anfangen zu verprügeln.
Kann sein, dass ich etwas übersehe, an alle anderen "schlimmen Umstände", die ihm begegnen, trägt er zumindest eine Mitschuld.
Sogar bei den drei Yuppies hätte er IMO leicht die Kurve kriegen können, um nicht verprügelt zu werden.
Egal. Mir haben 2 Plotstellen am Film nicht gefallen.
1. Dass er sich so eine attraktive Frau angelt.
2. Als er sich Waynes Sohn herausstellte.
Dann kann sich ja dann jeder selbst überlegen, ob ich mich mit dem Film wieder versöhnt habe.
@Tartex:
Wie ich es sehe, ist er nicht mit der Frau zusammen.
Das ist reine Phantasie - der Joker ist ein unsicherer Erzähler.
Wayne ist nicht sein Vater, da er adoptiert wurde. Das mit
der Affäre mit Thomas Wayne kommt von seiner Mutter.
Allerdings werden im Film meiner Ansicht nach zu viele "klassische", um nich zu sagen küchenpsychologische Erklärungskomponenten angeboten. [...] Mir ist einfach die dargebotene Erklärung für die Mutation Arthurs zum Joker zu plakativ und dabei viel zu ungebrochen. Eine oder zwei dieser vermeintlichen Ursachen hätten wahrscheinlich ausgereicht, da nun aber wirklich gar nichts ausgespart wird, ist mir das einfach zu platt
Das ist allerdings auch einer der Punkte, die mich an dem Film gestört haben.
Man kann quasi am Anfang eine Liste machen mit allem, was ihm Halt gibt, und dann wird diese Liste Zeile für Zeile durchgegangen und der Halt wird ihm genommen.
Arthur hat eine Therapeutin? Wird wegrationalisiert.
Er hat einen Job? Feuern wir ihn.
Seine Mutter gibt ihm irgendwie eine vielleicht komische, aber dennoch existente Struktur? Killen wir.
Er hat ne Freundin? Quatsch, die hat er sich nur eingebildet.
Ein bisschen mehr... keine Ahnung, was mir da gefehlt hat, aber etwas weniger Küchenpsychologie hätte den Film noch besser gemacht, glaube ich auch.
Und trotzdem hat er mir sehr gut gefallen und je mehr ich über den Film nachdenke, umso besser finde ich ihn.
Allein dass ich jetzt noch dazu schreibe ist ein Zeichen dafür, wie sehenswert der Film ist :-)
Die meisten Filme hab ich noch am selben Abend, an dem ich sie gesehen habe, wieder vergessen.
Achja, und weil die Frage aufkam: Die Einbindung in die Batman-Geschichte fand ich geradezu brillant gelöst, das hat mir sehr gut gefallen und ließ mich am Ende des Fims denken, dass ich jetzt gern einen Batman Film vom gleichen Team hätte :-)
Ich bin mit wenig Erwartungen in den Film gegangen und ich glaube, das war genau richtig so - ich wurde positiv überrascht! Dass Phoenix eine gute Figur machen würde, war irgendwie schon vorher klar, aber mich ließ das Gefühl nicht los, nach dem Ansehen des Trailers schon den ganzen Film zu kennen. Irgendwie hatte ich keine "Spotlights", auf die ich mich freute und auf die ich hinfieberte. Na ja - und der Film hat es trotzdem geschafft, zu fesseln und zu begeistern.
Unterm Strich würde ich etwa 8,5 von 10 Punkten geben.
Positives wie Negatives hier als Spoiler
+ Phoenix' Performance ist durch die Bank brillant
+ die Erklärung des Lachens als psychischer Zwang ist nicht nur genial, sondern sorgt auch für extrem viel Konfliktpotential (siehe Juppi-Szene in der U-Bahn)
+ der Soundtrack passt perfekt zu den Szenen und beunruhigte mich genau im richtigen Maße
+ Gotham sieht wunderbar herunter gekommen aus
+ viele Schlüsselszenen (z.B. Waynes Vaterschaft) wurden bewusst offen gelassen
+ der Film vermeidet das "Als Joker-Alter Ego schafft der Loser es, sich die heiße Frau zu angeln"-Klischee
+ zum Schluss der lächelnde Joker auf dem Polizeiauto, der sich mit Blut das Lächeln nachzieht - woah! :o
+ ins Deutsche übersetzte Schriftsätze - ich war angenehm überrascht ;D
- hier und da wurde der Abstieg des Jokers etwas zu küchenpsychologisch ("Du warst der einzige, der immer nett zu mir war, daher erschieße ich dich nicht")
- das Make-Up des Jokers sah mir zu sehr nach Zirkusclown aus. Ich denke, es waren die rote Nase und die blauen Augen. Als Fleck sich nur mit weißem Gesicht zeigt, fand ich es deutlich besser.
- das große Finale in der Murray-Show, sowie der Dialog mit Murray waren irgendwie...underwhelming...da hab ich mir irgendwie einen besseren Dialog gewünscht. Für so eine Schlüsselszene war es recht dünn
Ich bin mit wenig Erwartungen in den Film gegangen und ich glaube, das war genau richtig so - ich wurde positiv überrascht!
Ging mir auch so. Bin kein Fan dieser ganzen Superheldenfilme und hab mir Joker nur angeschaut, weil ich Hellstorm nicht so einsam ins Kino schicken wollte. Und dann hat mir der Film richtig gut gefallen! Kein schnarchiges Helden-Action-Zeugs sondern involvierende Story, toller Soundtrack und natürlich die klasse Performance dieses Schauspielers, dessen Namen ich nicht aussprechen kann.
Hat mich auch sehr zum Nachdenken angeregt - eben gerade weil ich bei aller Sympathie für den Joker nicht wüsste, wie seine Umgebung auf ihn wirklich nutzbringend hätte reagieren sollen. Ich hätte auch das Weite gesucht, wenn neben mir einer anfängt so irre zu gackern. Den RL-Typen in der Straßenbahn, die halbnackt dasitzen und Selbstgespräche führen, begegne ich auch nicht mit Wärme und Nähe. Ist gemein, hat aber auch was mit Selbstschutz zu tun, denn ich kenne die nicht und ich kenne ihre Reaktion auf mich nicht.
Klar - die Yuppies, die ihn verprügeln, die sind scheiße und das ist absolut daneben. Aber die Mutter, die ihr Kind von ihm wegzieht, sein Chef, der ihn feuert, Waynes Anzugfuzzi, der ihn verscheucht - ich fand all diese Reaktionen nachvollziehbar und menschlich (wenn auch sehr unfreundlich). Scheiße wirken sie auf mich als Zuschauerin ja auch nur, weil mir die Figur des Arthur vertraut scheint und ich weiß, dass er es gut meint. Konnten die Menschen in diesen Szenen das wissen? Nein. Hatten sie mit ihrem Verhalten recht? Naja... die Person, die "nett" zu ihm war, stalkt er äußerst creepy... also ja... Abstand war offenbar angemessen?
Nichtsdestotrotz hat sein schrittweises Ausrasten ja auch was zutiefst Befriedigendes und ich habe es all diesen Leuten von Herzen gegönnt. o__o
Hab den auch gesehen:
Phoenix spielt grandios (er verdient den Oscar zurecht)
Die Szene, wo ihm sein Chef sagt, er solle das Schild bezahlen und man das Gesicht von Phoenix sich verändern sieht. Da hatte ich schon Schiss vor dem!
!! Aber sobald er Joker wird, ist das alles weg...Als "Normalo" hat er mir gut gefallen, aber als Joker fand ich ihn echt lahm.
UND es ist irgendwie keine Origin Story für mich....Eher ein Drama, über einen Typen der mehr und mehr abdreht und irgendwann "zufällig" ein Clown-Kostüm anhat.