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Pen & Paper - Spielsysteme => Cthulhu RPGs => Thema gestartet von: Der Läuterer am 29.08.2019 | 01:57

Titel: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 29.08.2019 | 01:57
In der Welt von Cthulhu gibt es für die Chars nichts Episches. Ist das so?

Oder sind kleinere Erfolge bereits wie grosse Siege zu feiern?

Sind Melancholie und Hoffnungslosigkeit hüben gleichbedeutend mit Heldentum und Furchtlosigkeit drüben?

Oder gibt es den cthulhoiden Fatalismus auch in anderen Systemen?

Liegt vielleicht alles nur an einer anderen Gewichtung?

Schaut der Cthulhu Char bereits bei seiner Geburt in ein schmutziges Grab, während ein z.B. DnD Char in eine goldene Zukunft blickt?

Ja und nein.

Prinzipiell liesse sich auch DnD lovecraftesk spielen.
Man stelle Anfänger Chars schlicht einen Mind Flayer, einen Beholder und Demogorgon entgegen und man hat auch hier die typisch cthuloide Konfrontation.

Seht Ihr das ähnlich?
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Doomguy am 29.08.2019 | 02:11
Nee,

ein D&D Charakter könnte nach der beschriebenen Szene eventuell wiederbelebt oder reinkarniert werden. Er verliert maximal seine Trefferpunkte. Ein Cthhulhu Charakter realisiert die kosmische Bedeutungslosigkeit seiner Existenz und dies treibt ihn in den Wahnsinn, oder schlimmer, lässt ihn zum Anhänger der Wesenheiten werden, die die Realität mit einem Wimpernschlag auslöschen könnten, wenn es ihnen nicht einfach nur egal wäre.

Es kann in der Cthulhu Welt keine Erfolge geben, weil jede Handlung letztlich nur ein Fliegenschiss auf der kosmischen Theaterbühne ist.

Bei D&D gibt es für jeden Mindflayer einen gutgesinnten Stufe 20 Magier, der die Welt schon retten wird.

Bei Cthulhu gibt es nur Arschlöcher. Außer Nodens, aber der wird meistens vergessen.  :)
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 29.08.2019 | 02:39
Moment bitte.

Weshalb sollte sich ein DnD Char seiner Bedeutungslosigkeit in der Gegenwart von Demogorgon NICHT gewahr werden?

Würde das nicht implizieren, dass DnD Chars weniger selbst reflektierend sind?

Im Verhältnis zueinander macht das m.M.n. keinen Unterschied.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Lichtschwerttänzer am 29.08.2019 | 07:05
Weil Tyr, Paladine, mishakal, Corellon, etc auf der anderen Seite stehen.

Dieser gute Widerpart fehlt bei Cthulhu
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Seraph am 29.08.2019 | 07:15
Nee,

ein D&D Charakter könnte nach der beschriebenen Szene eventuell wiederbelebt oder reinkarniert werden. Er verliert maximal seine Trefferpunkte. Ein Cthhulhu Charakter realisiert die kosmische Bedeutungslosigkeit seiner Existenz und dies treibt ihn in den Wahnsinn, oder schlimmer, lässt ihn zum Anhänger der Wesenheiten werden, die die Realität mit einem Wimpernschlag auslöschen könnten, wenn es ihnen nicht einfach nur egal wäre.

Es kann in der Cthulhu Welt keine Erfolge geben, weil jede Handlung letztlich nur ein Fliegenschiss auf der kosmischen Theaterbühne ist.

Bei D&D gibt es für jeden Mindflayer einen gutgesinnten Stufe 20 Magier, der die Welt schon retten wird.

Bei Cthulhu gibt es nur Arschlöcher. Außer Nodens, aber der wird meistens vergessen.  :)

Das fasst es sehr gut zusammen.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: unicum am 29.08.2019 | 08:08
Prinzipiell liesse sich auch DnD lovecraftesk spielen.
Man stelle Anfänger Chars schlicht einen Mind Flayer, einen Beholder und Demogorgon entgegen und man hat auch hier die typisch cthuloide Konfrontation.

Seht Ihr das ähnlich?

Im Gegensatz zu einigen meiner Vorschreiber hier: Ja.
Es muss aber eben anderst gewichtet werden. Was stellst du dann einem Stufe 20 Magier vor die Nase? Cthulhu selbst? Etwa mit Trefferpunkten. (Imho haben solche viecher wie Cthulhu keine TP)
An der stelle sage ich dann auch eher wieder Nein. Wenn man D&D soweit verbiegt das es auch dann geht - ist es kein D&D mehr,...

Horror funktioniert mit einem Heldenregelwerk wie D&D eher mäsig - auf unteren Stufen geht das vieleicht noch aber dann fangen die Chars an Bodenhaftung zu verlieren.

Auch ist D&D eben auf Kämpfe fokussiert, CoC und Kämpfe - das war immer etwas das man vermeinden wollte - Kultisten umhauen das ging ja vieleicht noch, aber sobald irgendwas, selbst was kleines gekommen ist wars das ja meistens,...

Wobei es durchaus möglich ist Horrorelemente immer wieder hier und  da auch in D&D einzubauen, das klappt auch auf höheren Stufen - aber ein echtes CoC Feeling? Kann ich mir kaum vorstellen.

Also schlussendlich komme ich zu einem Jain.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: KhornedBeef am 29.08.2019 | 08:47
In der Welt von Cthulhu gibt es für die Chars nichts Episches. Ist das so?
Doch klar. Es wird nur sehr bewusst gesetzt, dass Ereignisse aus menschlicher Perspektive episch sind, weil die Menschheit sich über ihre Bedeutung Illusionen macht.
Zitat
font=verdana]Oder sind kleinere Erfolge bereits wie grosse Siege zu feiern?[/font]
Sind sie auf jeden Fall, siehe das Motto von Delta Green.
Zitat
font=verdana]Sind Melancholie und Hoffnungslosigkeit hüben gleichbedeutend mit Heldentum und Furchtlosigkeit drüben?[/font]

Oder gibt es den cthulhoiden Fatalismus auch in anderen Systemen?
Fatalismus und Düsternis gibt es auch woanders, aber kosmischer Horror ist selten und oft von cthulhu inspiriert, glaube ich.
Zitat
font=verdana]Liegt vielleicht alles nur an einer anderen Gewichtung?[/font]

Schaut der Cthulhu Char bereits bei seiner Geburt in ein schmutziges Grab, während ein z.B. DnD Char in eine goldene Zukunft blickt?
Ja . Das System ist zumindest für die Spieler so angelegt. Die Charaktere wissen das nicht. Gerade bei cthulhu ist das Teil des Reizes, dass die Charaktere sich in einer Heldengeschichte nach menschlichen Maßstäben wähnen, und wie sie mir der allmählichenEinsicht umgehen, kosmische Ameisen zu sein
Zitat
font=verdana]Ja und nein.[/font]

Prinzipiell liesse sich auch DnD lovecraftesk spielen.
Man stelle Anfänger Chars schlicht einen Mind Flayer, einen Beholder und Demogorgon entgegen und man hat auch hier die typisch cthuloide Konfrontation.

Seht Ihr das ähnlich?
Nein. Wie schon gesagt, bei D&D gibt es Leute, und Wesen, die dem Bösen direkt die Stirn bieten können. Die sterblichen Rassen werden nicht als irrelevant dargestellt. Das ist bei cthulhu anders.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: foolcat am 29.08.2019 | 09:05
Oder gibt es den cthulhoiden Fatalismus auch in anderen Systemen?
Hin und wieder sehe ich Versuche, kosmischen Horror auch in andere Settings zu verpflanzen (z.B. Grimmerspace für Starfinder, oder was auch immer jetzt für DSA geplant ist). Der Lackmus-Test dabei ist für mich: Gibt es eine Sanity-Mechanik? (idealerweise nahtlos im System integriert und nicht nachträglich angeflanscht) Begegnungen mit dem Mythos können Normalsterbliche auf Dauer nicht gewinnen und der Verlust von Sanity auf dem Charakterblatt drückt das unausweichliche, systemimmanente Scheitern sehr gut aus. Wenn ich nichts verlieren kann, was mir wichtig ist, dann muss ich mich auch nicht vor dem Verlust fürchten.

Gibt es diesen Fatalismus (der Spieler) noch anderswo? Auf Anhieb fällt mir da nur Paranoia ein—da bin ich mir jedesmal, wenn ich mich an den Tisch setze, ziemlich sicher spätestens bis zur Hälfte des Abends alle 6 Klone durchgebracht und dabei sehr viel Spaß gehabt zu haben...   ;D

Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: nobody@home am 29.08.2019 | 09:20
Meh, Nihilismus und Fatalismus müssen gar nicht zwangsläufig furchtbar dunkeldÿster-depressiv daherkommen. Sowohl realen Personen als auch fiktiven Charakteren steht es schließlich genauso frei(*), einen "Mein Leben ist das Ergebnis zufälliger chemischer Prozesse und hat keinen 'Sinn' welcher Art auch immer -- und das ist auch GUT SO, ich würde es gar nicht anders haben wollen!!!"-Standpunkt einzunehmen. ;D

(*) Oder auch nicht, wenn man an die umfassende Vorbestimmung von allem und jedem glaubt, denn dann muß das ja zwangsläufig auch für die eigenen Denkprozesse und Überzeugungen gelten...dann wird man aber keinen Unterschied bemerken, weil man's ja eh nie anders gekannt hat und auch überhaupt nur zu den einem vom Schicksal vorbestimmten Erkenntnissen kommen kann. ;)
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Lichtschwerttänzer am 29.08.2019 | 09:28


Horror funktioniert mit einem Heldenregelwerk wie D&D eher mäsig - auf unteren Stufen geht das vieleicht noch aber dann fangen die Chars an Bodenhaftung zu verlieren.
Horror geht bei DnD, aber typisch sind die Variante gegen den Horror kämpfen und sich verteidigen oder jagen aber das ist siehe Howard auch Teil des Mythos
Schlangenmenschen sind nicht Kugelfest oder immun gegen Stahl

@ foolcat

Muss es immer Sanity sein oder geht auch anderes?
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Faras Damion am 29.08.2019 | 09:31
Man kann mit jedem Regelsystem und Setting alles spielen.

Man kann in Mensch-Ärger-Dich-nicht Dramacharakterspiel einbauen oder mit CoC alberne Furzwitz-Abenteuer erleben.

Die Systeme unterstützen halt bestimmte Spielarten mehr oder weniger und die Mitspielerinnen haben bestimmte Erwartungshaltungen.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 29.08.2019 | 10:22
Weil Tyr, Paladine, mishakal, Corellon, etc auf der anderen Seite stehen.
Dieser gute Widerpart fehlt bei Cthulhu
Der gute Widerpart fehlt mir persönlich auch im realen Leben. In einer Welt, in der Frechheit über Moral, Werbung über Wahrheit, Image über Inhalt steht, versuche ich das Gute auch allenthalben zu finden. Ohne grossen Erfolg.
Wenn es so liefe, müssten wir dann nicht schon längst alle over-the-edge sein?
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: foolcat am 29.08.2019 | 11:36
Muss es immer Sanity sein oder geht auch anderes?
Wie man das Kind jetzt nennen will ist mehr oder weniger wurscht. Sanity, bzw. der Verlust davon, spiegelt ja nur auf Meta-Ebene den Horror wieder, dem ein Charakter ausgesetzt ist. Es ist üblicherweise ein dem Charakter abträglicher, unvermeidbarer und übermächtiger Einfluss, der auch dem Spieler Unbehagen bescheren sollte (u.a. wegen Kontrollverlust). CoC hat da wohl mit SAN einen der ältesten, einfachsten, und wie ich finde effizientesten Mechanismus im Genre.

Aus dem Gedächtnis heraus hatte WFRP1 auch eine Insanity-Mechanik, bei der es alle x Punkte (ich meine, es waren 6) eine erfrischende neue Psychose für den Charakter gibt, der sich, zumindest solange er mit dem korrumpierenden Einfluss des Chaos oder den Auswirkungen von kritischen Treffern in Berührung kommt, auch auf einem stetig absteigenden Ast befindet.

Ich würde sagen, der Reiz des Horror-Genres liegt darin, die Illusion von Kontrolle, Relevanz und Rationalität Stück für Stück zu zerbröseln, bis am Ende nichts mehr davon übrig bleibt, was den Menschen menschlich macht.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Lichtschwerttänzer am 29.08.2019 | 11:51
Der gute Widerpart fehlt mir persönlich auch im realen Leben.
da gibt es auch weder Demigorgon noch Augentyrannen
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Case am 29.08.2019 | 15:06
In der Welt von Cthulhu gibt es für die Chars nichts Episches. Ist das so?

Episch kann doch schon die Geschichte als solches sein. Das Aufdecken des kosmischen Grauens, der Blick hinter den Schleier. Berge des Wahnsinns lassen grüßen; mit Sicherheit eine als episch zu bezeichnende Kampagne.

Werden die SCs episch? Aufgrund von technisch nicht ausgeprägter Stufensteigerung und hoher Sterblichkeit wohl eher über "ihr Leben in der Spielwelt", als durch pure Lvl 20 Feats und Special Moves. Ein Prof. Armitage ist doch ziemlich nahe am episch sein. Oder ein Randolph Carter, wenn man ihm in den Traumlanden begegnen sollte. Ein SC könnte, so er so lange lebt, mindestens mal eine Koryphäe werden.

Oder sind kleinere Erfolge bereits wie grosse Siege zu feiern?

Ja, in meiner Gruppe sind sie das. Wenn man einen SC retten kann, dann ist das schon ein Erfolg. Oder wenn die Stadt nicht dem Erboden gleichgemacht wird. Oder wenn das Viech verbrennt - gleichwohl wissend, dass es noch 1.000 weitere davon gibt.

Sind Melancholie und Hoffnungslosigkeit hüben gleichbedeutend mit Heldentum und Furchtlosigkeit drüben?

Ich würde das nicht als Gegensätzlichkeit sehen. Es sind einfach zwei verschiedene Motivationen, warum man vielleicht lieber Horror anstatt D&D/DCC/you name it spielen möchte. Das setzt jetzt voraus, dass diese Systeme unmittelbar mit bestimmten Spielstilen verknüpft sind, für die sie aber eben auch gebaut wurden.

Oder gibt es den cthulhoiden Fatalismus auch in anderen Systemen?

Möglich, wenngleich klassischerweise nicht vorgesehen. Ein Dungeon Crawl unter wahrhaft cthuloiden Aspekten wäre kein Dungeon Crawl. Spielarten wie Pulp & Co. mal außen vor. Ich denke, dass grundlegende Konzept von "Angst vor dem Unbekannten" erzieht SCs in eine gewisse Richtung, die mit "XP durch Kills für den Stufenaufstieg zur Verbesserung meiner Skills für noch mehr Kills" nicht passt.

Liegt vielleicht alles nur an einer anderen Gewichtung?

Ja, denke ich absolut. Man wird alles mit allen Systemen spielen können. Oder auch ohne Systeme. Klassische Fantasy mit Stufen und Feuerbällen sind aber eben das eine und STA-Verluste und das Ding auf der Schwelle eben das andere.

Schaut der Cthulhu Char bereits bei seiner Geburt in ein schmutziges Grab, während ein z.B. DnD Char in eine goldene Zukunft blickt?

Klassischerweise ja. Ansonsten würde man wohl kaum aus seinem Dorf ausziehen und den Drachen erschlagen wollen. Wer wäre so irre und würde auf Stufe 12 des Dungeons hinabsteigen? Dort ist doch nur Tod und Verderbnis!
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: takti der blonde? am 29.08.2019 | 15:20
Dort ist doch nur Tod und Verderbnis!

Du meinst so wie im klassischen "Tomb of Horrors"? ;)

Es stimm natürlich, dass bestimmte Systeme sich besser für bestimmte Spielweisen eignen, aber das schöne ist, Spielinhalte können die Intention des Systems transzendieren (abgesehen davon, dass 5e beispielsweise ebenfalls alternativ Sanity-Regeln anbietet). So kann ich mir auch vorstellen kosmischen Schrecken vor dem "Absolut Guten" zu verspüren, welches wenig Raum für Ambiguität o.ä. lässt.

NB:
CoC hat da wohl mit SAN einen der ältesten, einfachsten, und wie ich finde effizientesten Mechanismus im Genre.

Der bislang beste Mechanismus dahingehend ist in meinen Augen bei Unknown Armies zu finden mit seinen verschiedenen "meters".

Grüße

Hasran
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: nobody@home am 29.08.2019 | 15:22
Klassischerweise ja. Ansonsten würde man wohl kaum aus seinem Dorf ausziehen und den Drachen erschlagen wollen. Wer wäre so irre und würde auf Stufe 12 des Dungeons hinabsteigen? Dort ist doch nur Tod und Verderbnis!

Das ist so ein bißchen der Punkt, denke ich. Klassische Rollenspiel-Fantasy ist da, wo Menschen Drachen erschlagen können, zumindest Themenpark-Cthulhu liegt dagegen in einer anderen Gegend, wo dieser Trick eben nicht funktioniert. Die Grenze ist freilich etwas fließend; auch bei Cthulhu gibt's ja genug Szenarien, die letzten Endes auf "findet den Plotcoupon und löst ihn ein, um das Böse für diesmal zu besiegen" hinauslaufen, was sich dann nicht mehr wirklich so sehr von diversen überlieferten kreativeren Lösungen von Drachenproblemen (also denen, die nicht schlicht auf "gehet hin und haut drauf" hinauslaufen) unterscheidet.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: unicum am 29.08.2019 | 17:01
Der gute Widerpart fehlt mir persönlich auch im realen Leben. In einer Welt, in der Frechheit über Moral, Werbung über Wahrheit, Image über Inhalt steht, versuche ich das Gute auch allenthalben zu finden. Ohne grossen Erfolg.
Wenn es so liefe, müssten wir dann nicht schon längst alle over-the-edge sein?

Ich teile diese Meinung - zum Teil. Tatsächlich sehe ich das Gute nur selten konzentriert in Einzelpersonen (das böse ist da leicher zu greifen). Um ein Beipsiel zu nehmen (das ich nicht ganz teile aber derzeit sehr plakativ ist) Gretha Thunberg ist eine schillernde gute Figur, wenn man den Klimawandel ernst nimmt - und Donald Trumpel ist dann eben der Cthulhu Kultist,... wobei ich denke es ist nicht Cthulhu sondern Mammon.

Und vieles ist eben auch "grau". (Aka ist die Rennjacht mit welcher Thunberg nach USA düste zwar im Betrieb, aber nicht in der Herstellung Klimaneutral - und für den Otto Normalo viel zu teuer).

Und, was man auch nicht unterschätzen sollte ist der Nachrichteninput bzw die beeinflussung der eigenen Wahrnehmung dadurch, das erste was man in der Medienbrance lernt ist "bad news is good news" - insofern warte ich noch darauf das in der Bildzeitung auf Seite 1 steht "Schülter hilft älterer Dame über die Strasse" - oder so etwas in der Art, anstatt etwa "Ausländer erschlägt Deutschen" (was ja mal vorkommt, aber meistens sind es doch deutsche die deutsche erschlagen - aber das ist eben nicht immer eine Headline wert). Die Medien (und wauch wir, man betrachte nur die Gaffer bei Autounfällen auf der Autobahn) sind eben sensationslüsternd,... oder anderst gesagt - wir sind alles nur Menschen.

Schlussendlich gibt es immer wieder welche die Aufstehen und sich nicht beugen. Gab es sogar unter der Nazizeit, oder in der DDR oder derzeit in Hongkong.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Pyromancer am 29.08.2019 | 17:12
In der Welt von Cthulhu gibt es für die Chars nichts Episches. Ist das so?

Oder sind kleinere Erfolge bereits wie grosse Siege zu feiern?

Sind Melancholie und Hoffnungslosigkeit hüben gleichbedeutend mit Heldentum und Furchtlosigkeit drüben?

Oder gibt es den cthulhoiden Fatalismus auch in anderen Systemen?

Wie im echten Leben: Langfristig gesehen werden alle Menschen sterben, und spätestens mit dem Hitzetod des Universums ist mit ALLEM Schluss. Darauf kann man mit Melancholie und Hoffnungslosigkeit reagieren - muss man aber nicht.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Doomguy am 29.08.2019 | 17:18
Der gute Widerpart fehlt mir persönlich auch im realen Leben. In einer Welt, in der Frechheit über Moral, Werbung über Wahrheit, Image über Inhalt steht, versuche ich das Gute auch allenthalben zu finden. Ohne grossen Erfolg.
Wenn es so liefe, müssten wir dann nicht schon längst alle over-the-edge sein?

Das moralisch Gute und richtige lässt sich ganz gut definieren und auch ausleben, aber wir leben in einer Welt, die persönliche Bereicherung auf Kosten anderer nicht nur begünstigt, sondern aktiv fördert. Böse ist das vielleicht nicht im rollenspielerischen Sinne, aber genau diese Verhaltensweisen konstruieren in der Fantastik immer wieder Antagonisten, die die guten, selbstlosen Helden überwinden müssen. Daher würde ich sagen, dass diese Konzepte des absolut Guten in uns verankert sind und wir uns tatsächlich nach Kooperation und Gerechtigkeit sehnen. Für das Rollenspiel und besonders Cthulhu, bedeutet das, daß die SC auch in der aussichtslosen Lage am Rand der Selbstaufgabe und unter höchsten Gefahren gegen etwas kämpfen, das eventuell unbesiegbar sein könnte. Die Epik und Dramatik einer Cthulhu Runde ergibt sich aus diesem Dilemma und lässt die Spielercharaktere durchaus Merkmale mit klassischen Helden der Fantasyliteratur teilen.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 29.08.2019 | 17:37
Wirklich schön formuliert, Doomguy. Gefällt mir.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: takti der blonde? am 29.08.2019 | 17:43
Das moralisch Gute und richtige lässt sich ganz gut definieren und auch ausleben

Ist das Satire?

Grüße

Hasran
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Doomguy am 29.08.2019 | 17:52
Ist das Satire?

Grüße

Hasran


Ist das Zynismus?
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: takti der blonde? am 29.08.2019 | 17:55

Ist das Zynismus?

Hehe. Auch. Aber vor allem Schwierigkeiten vorzustellen, dass jemand die Frage danach was denn moralisch gut sei für weitestgehend geklärt hält. (Die Umsetzbarkeit steht dann auf einem weiteren Blatt, das vollgekritzelt ist mit strukturellen Zwängen.)

Grüße

Hasran
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Doomguy am 29.08.2019 | 18:27
Hehe. Auch. Aber vor allem Schwierigkeiten vorzustellen, dass jemand die Frage danach was denn moralisch gut sei für weitestgehend geklärt hält. (Die Umsetzbarkeit steht dann auf einem weiteren Blatt, das vollgekritzelt ist mit strukturellen Zwängen.)

Grüße

Hasran

Du hast ja völlig Recht. Das Richtige und Gute existiert nicht global(universell). Es existiert nur der Moralkompass, den die eigene Familie, das Umfeld, die Gesellschaft einem beigebracht hat. Vielleicht findet Azatoth das gut und richtig, alle Menschen in Pudding zu verwandeln. Das sähe man auf der Erde natürlich anders. In meiner Betrachtung überwiegen als grober, moralischer Leitfaden Philosophie und Religion unserer irdischen Denker, auch wenn sich ziemlich viele Fragen nicht abschließend klären lassen.

In fantastischer Literatur existiert allerdings eine romantisierte, vereinfachte Protoform des moralisch Guten und lässt sich auch spielerisch umsetzen.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 30.08.2019 | 10:12
Liegen die Unterschiede vielleicht am Immersion? DnD-und-Konsorten-Settings sind leicht zu konsumieren. Sind sie auch oberflächlich und zu seicht? CoC ist dagegen schwere Kost; zu tiefgründig und belastend?

Sind die (High) Fantasy Settings der Ort der Realitätsflucht, über welche früher so oft philosophiert wurde? Und Cthulhu ist dagegen etwas für Masochisten?

Ich habe mich das schon häufiger gefragt. Weshalb spielt man (also ich) Cthulhu? Was macht den Reiz aus? Was spricht einen an?
Spielen da Nihilismus und Fatalismus ein Rolle? Könnte dem so sein? Und was sagt das dann über die Spieler (also mich) aus?
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: KhornedBeef am 30.08.2019 | 10:37
Ich vermute, die gespielte Realität bei Cthulhu zieht viel Reiz aus Grusel und pulpigem Horror, und seltener aus ehrlich empfundenen Fatalismus.
Ich gehe noch weiter: wenn ich ehrlich fatalistisch bin, spiele ich vielleicht sogar eher eskapistisch, also z.b. High Fantasy
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Der Läuterer am 30.08.2019 | 10:41
Das widerum würde den Vorwurf der Realitätsflucht i.B.a. High Fantasy bestätigen.
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: nobody@home am 30.08.2019 | 10:48
Das widerum würde den Vorwurf der Realitätsflucht i.B.a. High Fantasy bestätigen.

Wieso Vorwurf? Was ist an der Realität noch mal gleich so furchtbar toll, daß man sie nicht gerne mal wie jedes andere Buch beiseitelegen würde, wenn man nur könnte? >;D
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Lichtschwerttänzer am 30.08.2019 | 12:02
insofern warte ich noch darauf das in der Bildzeitung auf Seite 1 steht "Schülter hilft älterer Dame über die Strasse" -
die gute Nachricht, ist das dies keine gute Nachricht wert ist
Titel: Re: Nihilismus und Fatalismus
Beitrag von: Doomguy am 30.08.2019 | 12:45
Liegen die Unterschiede vielleicht am Immersion? DnD-und-Konsorten-Settings sind leicht zu konsumieren. Sind sie auch oberflächlich und zu seicht? CoC ist dagegen schwere Kost; zu tiefgründig und belastend?

Sind die (High) Fantasy Settings der Ort der Realitätsflucht, über welche früher so oft philosophiert wurde? Und Cthulhu ist dagegen etwas für Masochisten?

Ich habe mich das schon häufiger gefragt. Weshalb spielt man (also ich) Cthulhu? Was macht den Reiz aus? Was spricht einen an?
Spielen da Nihilismus und Fatalismus ein Rolle? Könnte dem so sein? Und was sagt das dann über die Spieler (also mich) aus?


Tiefe, im Sinne der Analysier- und Interpretierbarkeit als fantastisches Medium haben klassische Fantasysettings schon, würde ich sagen. Die meisten, außer Dark Fantasy sind eine romantisierte Version des Mittelalters, in denen die Charaktere Freiheit und Individualismus, der eher zu unserer Epoche passt, ausleben. Die Bühne ist ein meist positiver Hintergrund, der die Möglichkeit besitzt, sich am Ende immer zum Guten zu Wenden, d.h. das Böse wird besiegt. Statisch sind diese Welten allerdings nicht unbedingt, denn auch wenn die SCs nicht eingreifen, kann sich der Hintergrund entwickeln. Bei Cthulhu existiert die Möglichkeit, dass sich alles fix zum Schlechten wenden kann, egal ob die SCs dagegen ankämpfen, oder nicht.

Realitätsflucht passt insofern, dass man natürlich In Settings mit positiverem Unterton lieber eintaucht. Bei Cthulhu und Horror braucht man schon eine dickere Haut. Ich habe bei mir Lebensphasen entdeckt, in denen ich mir diese Settings tatsächlich nicht geben konnte und auch Postapokalypse fällt mir schwer zu spielen, weil ich nicht ständig daran erinnert werden will, wie schlecht alles aussehen könnte, wenn Mensch es auf die Spitze treibt.

High Fantasy sehe ich da deutlich stärker in der Wohlfühlecke, auch wenn ich Seichtheit nicht zwangsweise unterstellen würde. Viele Fantasysettings haben eine ziemlich stark ausgearbeitete Kosmologie und Epik ergibt sich oft aus archaischen Konflikten der Kräfte Chaos vs Ordnung. Es fehlt meist der persönliche, innere Konflikt, der so typisch für Cthulhu ist.


Nachtrag und Beispiel: Bei D&D weckt eine fremdartige Stadt, die definitiv nicht von Menschen gebaut wurde, Abenteuerlust und Entdeckerdrang der SC. Bei Cthulhu weckt eben diese Stadt existenzielle Angst und Zweifel an der geistigen Gesundheit der SC. Beides muss keine Auswirkungen auf die Gefühle der Spieler haben, aber der Grundton ist ein deutlich anderer.