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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: Hotzenplot am 17.10.2019 | 08:06

Titel: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Hotzenplot am 17.10.2019 | 08:06
Moin Leute,

ja, das ist die Frage, die ich mir stelle. Neulich hatte ich mir ein paar Gedanken gemacht über eine bestimmte Form von Rollenspielsystem. Dann fiel mir wieder auf, bzw. ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Nische X schon durch die Rollenspielsysteme 1, 2 und 3 abgedeckt wird. Dort würde man jenes so machen und anderes so. Danach hatte ich dann auch erstmal keine Lust mehr, weiter drüber nachzudenken.

Irgendwie ist es so ein bisschen wie einer der zentralen Punkte des DSA-Bashings: Auf Aventurien ist jeder Fleck beschrieben. So ähnlich kommt es mir in der Rollenspielwelt vor. Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem. Das beeinflusst die Lust des Gamedesigns doch negativ! Man wird in seiner Kreativität eingeschränkt, weil man mehr oder weniger dazu neigt, in bereits vorgedachten Bahnen zu entwickeln.

Oder seht ihr das anders?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Grimtooth's Little Sister am 17.10.2019 | 08:12
Ich stimme dir da überwiegend zu. Eigentlich ist es völlig unnötig mühsam, selbst noch was zu bauen,was die Dinge tut, die man selbst von einem System wünscht ohne in "das gibts schon bei XXX" zu laufen wenn man esmit wem ausprobieren will. Meinen Eigenbau hab ich deshalb auch ganz offen als Notlösungsmischung von Fate und d20 beschrieben.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: takti der blonde? am 17.10.2019 | 08:18
Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem. Das beeinflusst die Lust des Gamedesigns doch negativ! Man wird in seiner Kreativität eingeschränkt, weil man mehr oder weniger dazu neigt, in bereits vorgedachten Bahnen zu entwickeln.

Oder seht ihr das anders?

Verstehe ich nicht. Weil bereits jemand mein Problem gelöst hat, ist meine Kreativität eingeschränkt? Geht mir nicht so. :)

Grüße

Hasran
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Faras Damion am 17.10.2019 | 08:19
(...) Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem. Das beeinflusst die Lust des Gamedesigns doch negativ! Man wird in seiner Kreativität eingeschränkt, weil man mehr oder weniger dazu neigt, in bereits vorgedachten Bahnen zu entwickeln.

Ja, da hast du recht.

Aber ist das schlimm?

Ehrlich gesagt, finde ich im Rückblick meine Lösungen und Eigenbauten schlecht. Diese Kreativität hat mir Spaß gemacht aber die Umgebung nur gequält. ;) Da sind doch durchdachte und getestete Systeme besser, oder? :)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Keuner am 17.10.2019 | 08:25
Kreativität sollte sich dadurch nicht einschränken lassen.

Das Schöne am Schaffen ist ja auch der Prozess als solcher.
Wenn es nur ums Produkt geht: Ja, man braucht nicht mehr basteln. Andere haben das getan.

Aber bedenke: Wir haben das Auto erfunden, auch wenn es schon Kutschen gab  ;)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Grimtooth's Little Sister am 17.10.2019 | 08:25
So durchdacht sind die Systeme ja leideroft auch nicht. Und das Problem ist, wenn keins von den Systemen macht, wasdue eigentlich willst, kannst du nur noch Mischungen aus schon Bestehendem bringen. Jedenfalls empfine ich das schon als ein Problem weil potenzielle Spieler dann immer mit "kann man ja auch XXX spielen" kommen, auch wenn das dann wieder nicht das ist, was ich möchte.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 08:25
Mich treibt das eher an, weil ich an die Ränder gedrängt werde, um unbearbeitetes Terrain zu finden.

Wäre es nicht so, würde ich wohl immer noch an meinem Universal-System-Ungetüm aus den 90igern schrauben, das eine Mischung aus GURPS und Rolemaster war/ist.

Design ist kein Nullsummenspiel.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Crimson King am 17.10.2019 | 08:27
Ich kann der Grundthese nicht mal ansatzweise folgen. Ich hacke ständig Regelwerke, um sie an andere, häufiger mal selbst erdachte Settings anzupassen. Ich passe nicht selbst erdachte Settings immer an den Bedarf der Gruppe sowie meinen eigenen an. Ich schreibe meine Abenteuer selbst und habe zum letzten Mal vor 30 Jahren ein Kaufabenteuer geleitet.

Wenn es um Spielregeln geht, so wurde der Begriff "Heartbreaker" ja nicht ohne Grundlage geprägt. Eigenbau-Systeme funktionieren außerhalb ihres Heim-Kontextes üblicherweise schlecht. Fatalerweise gilt das auch für viele kommerziell vertriebene Systeme. Man muss neben Kreativität auch viel statistisches Verständnis, Verständnis für die Zusammenhänge zwischen verwendeten Spielregeln und Spielgefühl sowie Zeit zum Spieltesten mitbringen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Nodens Sohn am 17.10.2019 | 08:42
Ich denke, es gibt so viel unterschiedliche Systeme, da die Spielerschaft auch sehr unterschiedlich ist.
Es gibt Rollenspieler, die gerne alles verregelt haben möchten und sehr strategisch ihre Battlemat bespielen. Dann gibt es Rollenspieler, die leicht zu erlernende Regeln präferieren. Andere möchten das Regelsystem am Tisch so gut wie nicht sehen, da die Geschichte sehr im Vordergrund stehen soll. Und schlussendlich gibt es die reinen Geschichtenerzähler, die auf Würfel am liebsten verzichten möchten. Und natürlich gibt es dazwischen viele Ausprägungsstufen die ich noch nicht erfasst habe.

Alle Gruppen haben eine unterschiedliche Herangehensweise an das Rollenspiel, da ihnen das jeweilige System bietet.

Was es dann doch sehr unübersichtlich macht sind dann die tausend Settings, die dann ihre Varianten von Regelsystemen auf das jeweilige Setting zuschneidern.

Und dennoch sehe ich nicht, dass meine Kreativität eingeschränkt wird, da ich aus den einzelnen Regelwerken und Herangehensweisen Ideen für MEIN Rollenspielsystem heranziehen kann. Sie sind für mich eher Ideenspender, als Kreativitätskiller.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Achamanian am 17.10.2019 | 08:43
Für mich persönlich kann ich die Eingangsfrage mit "Ja" beantworten.
Das hat aber weniger damit zu tun, dass alles schon abgedeckt ist, und mehr damit, dass ich mich nicht von der Masse des theoretisch Spielbaren und Interessanten abgrenzen kann. Gäbe es nur fünf Systeme in meinem Interessenbereich, dann könnte ich alle mal anspielen, letztendlich das finden, das am besten für mich funktioniert und es dann für jede neue Anwendung hausregeln, an Settings anpassen, hacken ...
So komme ich gar nicht dazu, mich jemals intensiv genug mit einem System auseinanderzusetzen, um auf der Ebene kreativ zu werden, bzw. denke jedes Mal wie eingangs von dir festgestellt: "Ach, dafür gibt es ja schon Variante XY, die gucke ich mir erst mal an, da hat ja jemand aufwändig designt, das wird schon besser sein als das, was ich mir jetzt als Hausregel für Spiel Z überlege."

Früher hätte ich meine High-Fantasy-Idee halt einfach mit DSA1 bespielt oder Midgard bespielt, so sehr das geknirscht hätte. Heute denke ich: "Nehme ich Mythras, weil ich da das System aus diversen Gründen besser lernen will? OpenQuest, weil es mir leicht von der Hand geht? Magic World, weil es zu meiner Sturmbringer-Nostalgie passt? OSR oder DungeonWorld, weil man dafür gut veröffentlichen kann? Oder FantasyAGE, weil es mir irgendwie sympathisch ist? Warte ich auf Against the Darkmaster, weil das thematisch gut passt und ich schöne Erinnerungen an MERS habe? DCC, weil ich dafür in meinem Umfeld Mitspieler finde? D&D5, weil man das ja unbedingt auch mal probiert haben muss? Mache ich einen ambitionierten Gumshoe-Fantasy-Hack, weil ich das System gut beherrsche? Oder versuche ich es zum X-ten Mal mit Fate?"

Natürlich stehen da eigentlich persönliche Entscheidungsfindungsprobleme im Vordergrund, aber die Masse an Systemen trägt definitiv dazu bei, die Lage zu erschweren ...
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: La Cipolla am 17.10.2019 | 09:01
Ich glaube, was hier eigentlich gemeint ist: Die Masse an Rollenspielsystemen behindert (oder sagen wir besser "relativiert") unsere Bereitschaft, unsere Kreativität auszuleben. Und zwar, weil unsere Ansprüche an unsere Kunst steigen.

Was ich gut finde! Gott sei fucking Dank!

Wenn ich dran denke, wie viel von meiner Kreativität ich früher für Kram verschwendet habe, den es woanders schon besser gab ... *hngh* Na ja, Lehrgeld eben! :D Heute nehme ich diese ganze fremde Kreativität lieber als Basis für meine eigene.



Zitat
Natürlich stehen da eigentlich persönliche Entscheidungsfindungsprobleme im Vordergrund, aber die Masse an Systemen trägt definitiv dazu bei, die Lage zu erschweren ...

Auch hier lese ich viel eher heraus: "Meine persönlichen Ansprüche sind gestiegen." Du kannst immer noch genauso spielen wie früher, du willst es nur nicht. Und darin sehe ich, abermals, etwas Gutes.

Wobei es auch schön sein kann, die Ansprüche bewusst herunterzuschrauben. =D Ich mag es bspw. total, Systeme zu spielen, die ich gar nicht so toll finde. Man muss sich halt nur klarmachen, dass man diese Systeme in diesem Moment nicht spielt, weil sie so perfekt passen, sondern aus anderen Gründen, bspw. dem Spaß am Spiel mit anderen, dem "sich einfinden" in ein suboptimales System usw.

Und wenn man Probleme damit hat: Einfach erinnern, dass es früher auch ging. Meiner Erfahrung nach kommt man früher oder später am goldenen Mittelweg zwischen "ich profitiere von meinen Fähigkeiten" und "ich kann meine Fähigkeiten relativieren" – Filmwissenschaftler beschweren sich ja bspw. auch gern mal, dass sie Filme nicht mehr genießen können. Ist eine neue Fähigkeit, die man lernen muss, und imho eine, von der uns die Gesellschaft gerne abbringt: Wenn wir eine Fähigkeit haben, sollen wir sie bitte auch immer möglichst effizient nutzen. Was natürlich Bullshit ist.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Kaskantor am 17.10.2019 | 09:05
+1

Als wir früher angefangen haben, gab es erstmal ein Spiel. Bei uns war’s Shadowrun was die Großen gespielt haben und wir haben’s nachgespielt ohne recht zu wissen, was wir da eigentlich tun.

Über die Jahre kamen eine Handvoll Systeme dazu, eben dann, wenn einer der Großen mal wieder in die Stadt gefahren ist und was neues mitgebracht hat. Da hatte auch noch niemand Internet und konnte sich pausenlos austauschen.

Das hatte den Vorteil, dass man sic mit dem bespielten System sehr gut auskannte und zum anderen konnte man niemand groß fragen, wie das und das gemeint ist. Da hat man dann das Spiel angepasst oder selbst was gemacht.

Heutzutage liest man dank PDF drei Spiele im Monat und falls es mal eine Regelfrage zu was gibt, kann man erstmal zig Foren wälzen, ob es nicht bereits eine Aussage dazu gibt.

Ich neige derweil dazu nur noch Kaufabenteuer zu spielen und die Regeln möglichst Original zu halten und ansonsten nach Meinungen der Devs zu schauen, sollte was unklar sein.

Also ja, meine Kreativität wird dadurch schon ein wenig gemindert. Auf der anderen Seite gibt es für den SL noch immer genug Arbeit, auf das Handeln der Spieler zu reagieren und Regelurteile zu fällen, sollte was nicht funktionieren.

Und durch Arbeit und Familie passt mir das so im zeitlichen Rahmen einfach besser.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: First Orko am 17.10.2019 | 09:12
Zunächst mal: Grundsätzlich ja. Gerade den Gedanken "Das hat der und der schon so gemacht" kann ich gut nachvollziehen.
Gefühlt sind aber meinem Eindruck nach aktuelle Rollenspiele, und seien sie noch so minimalistisch (Bsp: die Systeme der "Kleinen Reihe" von System Matters), regelseitig zumindest soweit durchdacht, dass sie faktische jedem 80er/90er-Hearbreaker, den ich je mal gesehen habe, haushoch überlegen sind.
Der kreative Output der Szene, die Professionalisierung der Branche... all das hat mMn auch zu einem deutlichen Anstieg der Qualität geführt.
Wenn ich mich heute darauf verlassen kann, dass ein neues System von Leuten geschrieben wurde, die sich mit den Entwicklungen außerhalb ihrer Nische beschäftigt haben, Playtest und diverse Iterationen durchlaufen usw. - dann finde ich das eine durchaus positive Entwicklung.

Wer sagt denn, dass sich meine kreative Arbeit auf das Design von Regelsystemen beschränken muss? Das können Andere sowieso besser. Dann stecke ich meine Energie lieber in Erstellen von Szenarien, Kampagnen, Karten, Addons, etc.

Auf der Anderen Seite stehen dann wiederum extrem glatt gezogene Profiprodukte wie DnD5, die auf Marktmacht abziehlen und das ganze durch diverse Konversionen des einen Regelsystems in alle möglichen anderen Settings immer mehr abdecken, für das es eigentlich schon gut funktionierende Systeme gibt (die aber viele Spiele mit deutliche engerem Tellerrandblick nicht sehen).
Das ist dann halt der Preis dafür.

Bin selbest gespannt, in welche Richtung sich das alles noch entwickeln wird.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Coltrane am 17.10.2019 | 09:13
Vermutlich ist das eine Frage der Aufmerksamkeitsökönomie. Ich habe mal ein interessantes Radiofeature über/mit Mark Fisher gehört, in dem er sinngemäß gesagt hat, wenn man früher Langeweile hatte, suchte man sich ein paar Freunde und machte ne Band auf. Heute liked man ein Katzenvideo nachdem anderen. Soll heißen früher würde man aus Langeweile kreativ und produktiv und heute hat man gar nicht mehr die Möglichkeit dazu, da man von einer Ablenkung zur Nächsten surft. Auf die Frage bezogen bedeutet das, nochmal eben jenes geile System anschauen, dann noch dieses und Schwups ist der Tag vorbei. Eigentlich wollte man sich doch was eigenes ausdenken.  :think:
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Nodens Sohn am 17.10.2019 | 09:30
Vermutlich ist das eine Frage der Aufmerksamkeitsökönomie. Ich habe mal ein interessantes Radiofeature über/mit Mark Fisher gehört, in dem er sinngemäß gesagt hat, wenn man früher Langeweile hatte, suchte man sich ein paar Freunde und machte ne Band auf. Heute liked man ein Katzenvideo nachdem anderen. Soll heißen früher würde man aus Langeweile kreativ und produktiv und heute hat man gar nicht mehr die Möglichkeit dazu, da man von einer Ablenkung zur Nächsten surft. Auf die Frage bezogen bedeutet das, nochmal eben jenes geile System anschauen, dann noch dieses und Schwups ist der Tag vorbei. Eigentlich wollte man sich doch was eigenes ausdenken.  :think:

Wenn ich mir das so durchlese, muss ich wohl meine letzte Aussage etwas revidieren. Im letzten Jahr hatte ich eine schlimme System-ADHS. Ich war auf der Suche nach dem perfekten System für meine Gruppe, kaufte viel ein und probierte so manches durch. Ich glaube, ich habe meine Gruppe ein wenig überfordert damit. Es gab einfach nicht die eierlegende Wollmilchsau. Also dann - wieder back to the roots (fast, denn natürlich sind doch einige Ideen hängen geblieben) - und nach langem Nachdenken macht die Kreativität nicht das System aus (es ist eigentlich ziemlich Banane welches System man verwendet) sondern das was der SL und die Spieler aus den epischen Geschichten machen.

Ich würde jetzt sogar behaupten: Das Rollenspielsystem trägt nichts zur Kreativität bei und die ständige Suche nach dem "perfekten" System wirkt sehr lähmend. Jetzt zeichne ich wieder Landkarten, schreibe Texte, entwerfe Handouts - einfach, weil ich mir jetzt keine Gedanken mehr um das nächst beste System machen muss. - ist befreiend!
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: First Orko am 17.10.2019 | 09:31
Jetzt zeichne ich wieder Landkarten, schreibe Texte, entwerfe Handouts - einfach, weil ich mich jetzt keine Gedanken mehr um das nächst beste System machen muss. - ist befreiend!

q.e.d.  >;D
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Holycleric5 am 17.10.2019 | 09:36
Für mich persönlich kann ich die Eingangsfrage mit "Ja" beantworten.
Das hat (...) damit zu tun, (...) dass ich mich nicht von der Masse des theoretisch Spielbaren und Interessanten abgrenzen kann. Gäbe es nur fünf Systeme in meinem Interessenbereich, dann könnte ich alle mal anspielen, letztendlich das finden, das am besten für mich funktioniert und es dann für jede neue Anwendung hausregeln, an Settings anpassen, hacken ...
So komme ich gar nicht dazu, mich jemals intensiv genug mit einem System auseinanderzusetzen, um auf der Ebene kreativ zu werden, bzw. denke jedes Mal wie eingangs von dir festgestellt: "Ach, dafür gibt es ja schon Variante XY, die gucke ich mir erst mal an, da hat ja jemand aufwändig designt, das wird schon besser sein als das, was ich mir jetzt als Hausregel für Spiel Z überlege."

Früher hätte ich meine High-Fantasy-Idee halt einfach mit DSA1 bespielt oder Midgard bespielt, so sehr das geknirscht hätte. Heute denke ich: "Nehme ich Mythras, weil ich da das System aus diversen Gründen besser lernen will? OpenQuest, weil es mir leicht von der Hand geht? (...) DCC, weil ich dafür in meinem Umfeld Mitspieler finde? D&D5, weil man das ja unbedingt auch mal probiert haben muss? (...) Oder versuche ich es zum X-ten Mal mit Fate?"

Natürlich stehen da eigentlich persönliche Entscheidungsfindungsprobleme im Vordergrund, aber die Masse an Systemen trägt definitiv dazu bei, die Lage zu erschweren ...

Du sprichst mir sehr aus dem Herzen, Rumpel.

Ich stehe vor genau dem gleichen Problem:
Ich habe zwar endlich eine Richtung gefunden, die ich spielen will (etwas bodenständiger, tödliches Kampfsystem, möglichst wenig neue Regelmechanismen im Laufe der Charakterentwicklung), aber dort habe
ich bereits einige Rollenspiele im Regal stehen:

Warhammer 2, eines meiner ersten grim& Gritty-Systeme
Hârnmaster, sehr stark auf Mittelalter ausgelegt, ohne From-Zero-to-Hero Progression

Als Quickstarter auf der Festplatte (und auch teilweise in ausgedruckter Form) wartet noch O.L.D. welchem ich mit etwas gemischten Gefühlen gegenüberstehe:
- Das Lifepath-System klingt gut, aber als jemand, der sehr gerne "by the book" spielt, fehlt mir eine origin Option aus der "mundanen Mittelschicht"
- Die Karrieren klingen insgesamt gut, auch "ungewöhnlichere" Auswahlen wie der Gladiator und der Inquisitor sind spielbar, aber für meinen Geschmack besteht bei den kämpferischen Karrieren ein zu starker Fokus auf Schwerter. Mehr "eine Waffenfertigkeit nach Wahl"-Optionen wären schön.
- Das Kampfsystem, welches durch die 2012 erschienene X-Com-Variante inspiriert wurde hatte mich zunächst sehr interessiert, aber nachdem ich mir auf Youtube einige Sessions inklusive Kämpfe angesehen habe, scheint mir "Contact" noch immer näher an X-Com zu sein.

Und auch ich bin jemand, der lieber schaut, ob es nicht irgendwo irgendein System gibt, das meine Vorlieben möglichst gut bedient, statt irgendwelche obskuren "Hausregeln" einzuführen, die das System womöglich irgendwann zerfetzen.
Ebenso versuche ich es "zum x-ten" Mal erneut mit Systemen, die ich eigentlich abgeschrieben habe (z.B. Mythras, Hârnmaster)

Womit hätte ich meine Ideen früher bespielt? Vermutlich entweder mit D&D 3.5 Core only...oder eher mit Rolemaster GRW-Only, auch wenn es wie bei Rumpel an manchen Stellen wohl ziemlich geknirscht hätte.

Aber wir haben ja die Auswahl und es wäre doch zu schade, wenn uns das eine System entginge, das nur auf uns wartet, oder?

Um die Eingangsfrage zu beantworten:
Ja, zu viele Rollenspielsysteme behindern die Kreativität, da man lieber in der Hoffnung, das maßgeschneiderte System zu finden, von System zu System läuft, statt sich auf ein System zu konzentrieren und die Fantasie spielen zu lassen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: KhornedBeef am 17.10.2019 | 09:40
Moin Leute,

ja, das ist die Frage, die ich mir stelle. Neulich hatte ich mir ein paar Gedanken gemacht über eine bestimmte Form von Rollenspielsystem. Dann fiel mir wieder auf, bzw. ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Nische X schon durch die Rollenspielsysteme 1, 2 und 3 abgedeckt wird. Dort würde man jenes so machen und anderes so. Danach hatte ich dann auch erstmal keine Lust mehr, weiter drüber nachzudenken.

Irgendwie ist es so ein bisschen wie einer der zentralen Punkte des DSA-Bashings: Auf Aventurien ist jeder Fleck beschrieben. So ähnlich kommt es mir in der Rollenspielwelt vor. Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem. Das beeinflusst die Lust des Gamedesigns doch negativ! Man wird in seiner Kreativität eingeschränkt, weil man mehr oder weniger dazu neigt, in bereits vorgedachten Bahnen zu entwickeln.

Oder seht ihr das anders?
Ich will nicht sagen, ich könnte das nicht nachvollziehen. Ich kann einen Denkfehler nachvollziehen :)
Was soll das Gamedesign bewirken? Bessere Games? Dann sollte man sich glücklich schätzen, auf den Schultern von Riesen zu stehen. Als reine Selbstbeschäftigung dienen? Dann ist es doch egal, was schon einer gemacht hat, solange du es für dich zum ersten Mal machst ( ist generell eine gute Einstellung zum Wissenserwerb).
Korrekt ist der Hinweis, dass man durch bereits gelesene Systeme einen größeren Vorrat an "cached thoughts" hat, also hier Regelkonzepte, die für bestimmte Spielelemente naheliegend wirken, weil sie schon mal da sind. Muss man sich klarmachen, um sich nicht einzuschränken.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Rorschachhamster am 17.10.2019 | 09:43
Hmm... ich frage mich wieviele Künstler schon gedacht haben "Madonna mit Kind gibt's schon, sowas mal ich nicht!"  >;D

Also, wenn du kreativ sein als automatisch zwangsweise immer etwas neues definierst, anstatt etwas eigenes, dann könnte man zu dem Schluß kommen. Und wenn man zwangsweise das Internet durchforstet um irgendwie sich abzusichern, das niemand schon diese Idee hatte... dann verbringst du Zeit mit anderer Leute Ideen, die du mit eigener Kreativität füllen könntest.  ;)
Was jetzt nicht unbedingt wertend ist, habe ich auch schon gemacht... aber einfach machen und egal, ob das schon jemand anders gemacht hat, ist zumindest ein wichtiger Teil kreativen Ausdrucks, würde ich jetzt behaupten.
Im Umkehrschluß wäre dann die Suche nach Alternativen Ausdruck des eigenen Unwillens sich selber kreativ mit dem Thema zu beschäftigen, was meist ein wichtiger Hinweiß darauf ist, das man es auch nicht tun sollte...  :think:

Allerdings geht es hier ja nicht nur um künstlerischen Ausdruck, sondern auch um Mechaniken etc, also rein technische Aspekte, bei denen die Suche nach Alternativen einen ganz anderen Stellenwert hat, behaupte ich mal. Puh.

Langes Gefasel, kurzer Sinn: Keine Ahnung, you do you, schätze ich mal. ~;D
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Der Tod am 17.10.2019 | 09:57
Ich kann das Gefühl ein Stück weit nachvollziehen. Meiner Ansicht nach ist das eine ganz naheliegende Reaktion auf die momentane Hochphase des RPG-Outputs, die wir erleben. Und ich glaube, wir erleben gerade einen Umschwung, wie es ihn bei vielen Arten der Bastelei gegeben hat.

THESE
Es gibt eine erste Phase, in denen ein Mensch zu Hause tolle neue Dinge zusammenschrauben kann, nach denen die Masse lechzt: Radios in Eigenbau von Sci-Fi-Fans in den 20ern, Computer aus der Garage von Bill Gates und Konsorten, 3D-gedruckte Wunderdinge für Jedermann und Dungeons & Dragons in deinem Hobbykeller.
Irgendwann ist aber diese Phase für alle jene Erfindungen vorbei, weil die Systeme sich soweit entwickeln und der Markt nach gewissen Standards und Qualität verlangt, dass Firmen oder Konzerne nun die einzigen sind, die solche Produktionen noch leisten können. Als kreativer "Erfindertyp" ist das oft eine ernüchternde Erkenntnis und ich glaube, dass wir das gerade ein Stück weit erleben. Zumal durch das Internet die "große Masse" der Rollenspieler einen besseren Überblick über das hat, was es gibt. Und unsere Bücher haben eine recht lange Halbwertszeit: Sammler bewahren sie gut und theoretisch hindert mich nichts daran, mit demselben System aus den 70ern oder 80ern weiterzuspielen, d.h. auch das besteht noch als "Konkurrenz".

ANTITHESE
Pen & Paper-Rollenspiel sind keine "harte" Technologie und gehorchen einigen anderen Gesetzen. Vor allem ist die "Industrie" nicht so massiv, als dass es nicht immer wieder Einbrüche oder blinde Flecken geben würde, d.h. die Firmen sind oft sehr klein, anfällig für Zusammenbrüche und nicht besonders gut darin, eine echte Marktmacht auszubilden (auch wenn es versucht wird, siehe Wizards oder auch Ulisses).
Und so gibt ja beim RPG diverse "Grassroots"-Phänomene, wo die Kreativität sich neue Bahnen bricht: OSR-Welle, Indie-Welle, Zines etc. Mag sein, dass auch dort bereits die Konsolidierungsphase stattfindet, aber es zeigt, dass es immer noch geht, mit Kreativität neue Wege zu erschließen. Gerade weil RPG ja im Kern nicht viel mehr ist als ein Hilfsmittel zum gemeinsamen Geschichten erzählen/erleben. Und wenn der Mensch eines kann, dann das. Die "Technologie" des RPG sind nur Worte - anders als z.B. bei der Elektronik - und bleibt damit so leicht "hackbar", dass die Schwelle für Eigenarbeiten konstant niedrig liegt.

SYNTHESE
Es gibt im Rollenspiel immer irgendwo Platz für den kreativen Bastler, etwas Neues zu schaffen, was Leute interessiert. Schließlich gibt es doch auch immernoch neue Stories auf Netflix zu sehen und es erscheinen neue Romane, obwohl bereits Schiller meinte, alle Geschichten seien bereits erzählt. Geschichten erzählen ist die Superkraft der Menschheit und solange du ein paar Leute findest, die bereit sind, mitzuspielen, kannst du etwas neues, cooles bauen (und sei es nur für euch selbst).
Wenn du aber den Eindruck hast, dass alle coolen Plätze schon belegt sind und dann suchst du vielleicht an der falschen Stelle, d.h. jener, die durch Firmen abgedeckt worden sind (große Rollenspielsysteme mit Welten und Zusatzbüchern, womit sich Geld machen lässt)? Ich glaube es gibt diese Lücken, weil selbst die Firmen auch nur mit Wasser kochen können (wie wir alle). Vielleicht ist es aber etwas schwerer geworden, sie zu finden. Sieh es als Anreiz für Kreativität! ;)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Issi am 17.10.2019 | 10:08
Man kann nicht alles spielen. Man kann nicht mal alles lesen.
Man kann das Rad auch nicht neu erfinden.
Von daher ist der Anspruch: "Ich erfinde etwas noch nie da gewesenes" - mMn.  quatsch.
Wenn ich eine echte Inspiration habe, dann sprudelt es ohnehin von allein.
Ich muss mich dann nicht anstrengen um Ideen zu haben.
Wenn ich aber an eine Sache rangehe alla: "Ich darf nichts aufgreifen, was es irgendwann schon mal gab". - Oder wenn ich totale Angst davor habe" einen Abklatsch" zu produzieren,- dann ist das nicht gerade entspannt.

Das meiste, was da ist- ist doch ohnehin schon "geklaut."
Aus der Geschichte, aus Märchen, aus Sagen usw.
Im Prinzip ist alles "geklaut." - Nur manche waren eben schneller..... ~;D

Von daher würde ich erstmal den Stress rausnehmen.
Es geht nicht darum "eine Super Innovation" zu erzeugen - sondern dem System  "eine besondere Note" zu verleihen.
Oder einen "eigenen  Charme."
Es sind mMn. nicht die großen Unterschiede, sondern die kleinen, die etwas besonders machen können.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: KhornedBeef am 17.10.2019 | 10:24
BEOBACHTUNG: ich sehe von Monat zu Monat mehr Einseiter-Rollenspiele, Zines und Kleinprojekte, und die Bedingungen für eine Publikation sind auch besser als vor zwanzig Jahren
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: unicum am 17.10.2019 | 10:25
"Nur alle 100 Jahre wird ein wirklich neuer gedanke Gedacht" - So in etwa sagte mein Philosospieprofessor mal in einer Vorlesung.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tb259x am 17.10.2019 | 10:31
Ich habe die anderen Antworten noch nicht gelesen, aber für mich kann ich die Frage schon mit JA beantworten.

Theoretisch könnte das Ganze wohl auch meine Kreativität anregen, aber irgendwie bin ich dann doch meist auf der Suche nach der "besten" Lösung und die vermute ich eher in den ausgefeilten Produkten anderer, als infolge meiner eigenen Feder bzw. es sinkt einfach die Bereitschaft, meine Zeit und Kreativität für etwas einzusetzen, was es vermutlich schon besser gibt.

Das kann ich für mich aber durch die Präsenz des Internets auf vieles ausweiten. Wenn ich bspw. ein offizielles D&D-Abenteuer lese und mir irgendetwas daran nicht gefällt, denke ich mir entweder selbst was aus oder ich schaue mal in den Foren rum, was andere dazu denken. In letzterem Fall (natürlich gerade in Folge der riesigen englischsprachigen D&D-Community) findet man gefühlt nicht endende, super ausgearbeitete Alternativen, auf die ich so wahrscheinlich nie gekommen wäre.

Also ja, meine Kreativität wird dadurch in gewisser Weise eingeschränkt und zusätzlich frisst es noch viel unnötige Zeit, weil ich durch die schier endlose Auswahl oft nicht zur gewünschten, vermeintlich besten Lösung finde bzw. sie überspitzt gesagt immer wieder hinterfrage, weil es da draußen vielleicht/vermutlich noch was gibt, was besser passt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 10:32
Oder seht ihr das anders?

Ja, sehe ich anders.

Meine Perspektive bezieht sich eher auf Spielweltbeschreibung und Szenarien, da mich Systeme im technischen Sinn ("Regeln") nicht so interessieren. Da gibt es für mich wirklich genug, so dass ich nicht selbst tätig werden muss. Jemand mit anderem Fokus wird das aber anders sehen (siehe unten).

Man darf halt nicht damit rechnen, mit dem, was man da fabriziert, "groß herauszukommen" oder gar Geld zu verdienen. Aber das war bei Rollenspielprodukten schon immer so ähnlich. Und scheint auch niemanden daran zu hindern, es trotzdem zu versuchen. Regelmäßige entsprechende Anfragen, Vorstellungen und Diskussionen hier im Forum beweisen das.

Ansonsten scheint es mir auch so, als ob es einen vorher nie geahnten Schwall sehr kreativer Produkte gibt. Halt nur digital und meist auf englisch - aber letzteres war auch schon immer so.

Ein breites, sehr unübersichtliches, Angebot halte ich jedenfalls nicht für kreativitätserstickend. Eher könnte man darüber diskutieren, ob die sehr konsumorientierte (genauer: Auf Sachen-Kaufen ausgerichtete) Haltung einiger (der meisten?) Rollenspieler vielleicht davon gefördert wird. Aber auch hier glaube ich, dass das schon immer so war. Im Zweifel nennt man die Leute halt "Sammler" und hat dann eine Erklärung.

Kann sein, dass es unterschiedliche Kreativitätstypen gibt und dass einige sich von vielen Vorbildern eher inspiriert fühlen, andere lieber aus dem Nichts (das gibt es nicht, also eher: Mit wenigen Vorlagen) erschafffen. Ich gehöre eher zu letzteren, habe aber auch kein Problem mit der derzeitigen Situation, da ich die meisten Sachen eh nicht mag und dann halt ignoriere. Mir reichen oft ein paar störende Details, um eine Vorlage zu verwerfen und lieber was eigenes in "so ähnlich, aber besser (für mich)" zu machen.

Eher ein Problem habe ich mit Dingen wie "Ich will eine Figur spielen, die so ist wie der Witcher". Dann möge man doch bitte Cosplay treiben, das ist die Nische dafür. (Hmm.. ein Cosplay-artiges Rollenspielkonzept wäre vielleicht mal was... Nicht für mich, aber die genannte Zielgruppe müsste das doch mögen). Da jedenfalls wirkt sich für mich dann wirklich der Konsum von Vorbildern negativ aufs Rollenspiel aus. Allerdings gab es recht sicher auch das früher schon so oder so ähnlich.

Kurz: In der jetzigen Situation gibt es so wenig und so viel Möglichkeit und Ansporn, etwas eigenes zu schaffen, wie in jeder anderen. Allerdings bezieht sich das natürlich nur auf den Eigengebrauch und vielleicht auf den Austausch hier im Forum oder an ähnlicher Stelle.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: takti der blonde? am 17.10.2019 | 10:52
Die Tatsache, dass "trotz" dieser Fülle die Publikationen nicht abbrechen, spricht ja dafür, dass "global gesprochen" die Kreativität nicht merklich abnimmt.

Grüße

Hasran
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: 1of3 am 17.10.2019 | 10:53


Ich war auf der Suche nach dem perfekten System für meine Gruppe, [...]

Ich würde jetzt sogar behaupten: Das Rollenspielsystem trägt nichts zur Kreativität bei und die ständige Suche nach dem "perfekten" System wirkt sehr lähmend.

Unter der Zielsetzung, die du im ersten Satz äußerst, ist deine Behauptung sicherlich zutreffend, denn du hast ja eine Vorstellung, was dabei herauskommen soll.

Wenn das Spiel etwas tun soll, muss es so einschneidend sein, dass du nicht mehr so spielen kannst, wie du es von dir selbst aus tätest. Man sucht dann nicht nach dem perfekten, sondern nach dem hinreichend anderen Spiel. Und davon gibt's dann nicht eins, sondern immer beliebig viele.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Der Nârr am 17.10.2019 | 11:18
Mal ein Beispiel. Vor ein paar Jahren habe ich angrfangen, an einem Setting zu arbeiten, dass Rassismus und sozialen Wandel in einem Fantasy-Setting thematisiert. Inspiriert war ich ein wenig von dem Computerspiel Arcanum. Dann kam aber dieses Jahr auf einmal die Fernsehserie Carnival Row und mein erster Gedanke war: Kacke.

Aber nur weil irgendwo anders ein ähnlicher Weg begangen wird, muss ich mich davon doch nicht verjagen lassen. Mein Setting ist immer noch mein Setting und ich habe das von vornherein in Hinblick auf eine Kampagne geschrieben, für die ich es so oder so brauche. Klar, in einem Teaser mag das schon dagewesen sein, aber in einem Teaser von ein paar Sätzen sind auch Herr der Ringe und Shannara nicht sehr unterschiedlich. Die Details sind wichtig.

Ferner arbeite ich kreativ, weil ich gerne kreativ arbeite. Ich denke mir so etwas ja gerne aus. Und manche Settings Regen meine Kreativität an, dort weiterzumachen, während andere das nicht tun. Aber ein gutes Setting reduziert nicht meine Kreativität, sondern lenkt sie nur in andere Bahnen. Anstatt Städte auf einer Karte zu platzieren oder zu überlegen, was Magie in einer Welt kann, denke ich mir vielleicht mehr auf der lokalen Ebene aus: was für Händler gibt es in einer Stadt, wer könnten Antagonistrn der Spieler sein usw. Ich bin in der Hinsicht manchen Settings auch einfach dankbar, dass sie mir schon viel Fleißarbeit abnehmen, damit ich mich stärker auf die Dinge kreativ konzentrieren kann, die mich interessieren.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: KhornedBeef am 17.10.2019 | 11:23
"Nur alle 100 Jahre wird ein wirklich neuer gedanke Gedacht" - So in etwa sagte mein Philosospieprofessor mal in einer Vorlesung.
Folgerung: er ist der Eine in diesem Jahrhundert, oder er ist durch das Wiederkäuen von altem Scheiss Professor geworden  >;D
Will sagen: Ich würde ihm das nicht mehr unwidersprochen abnehmen, und halte es für unhaltbar gegenüber hinreichend fundierten Belegen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 11:34
"Nur alle 100 Jahre wird ein wirklich neuer gedanke Gedacht" - So in etwa sagte mein Philosospieprofessor mal in einer Vorlesung.

Blödsinn. Gedanken sind ein fraktales System.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 11:55
Meine Güte... Der Prof. wird halt bildhaft gesprochen haben wollen.

Natürlich kann man das Zerpflücken, aber wenn man es sich mit ein wenig Salz zuführt, wird schon klar, was er meint: Das meiste, was Leute für originell halten, gab es vorher schonmal so ähnlich. Das ist - gerade in der Philosophie - durchaus etwas, was man im Hinterkopf behalten darf. Was es dann für die Praxis bedeutet, mag eine ganz andere Frage sein.

Zum Thema nochmal: Was auf jeden Fall ein Problem darstellt, ist, dass die Masse an zugänglichem Material zu einer Zerstreuung führt, die dann letztlich unproduktiv versandet. (Das war jetzt auch sehr bildhaft). Da hilft es, sich darüber klar zu werden, was man eigentlich spielen (oder wenigstens wirklich lesen) möchte und sich dann darauf zu konzentrieren.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Hotzenplot am 17.10.2019 | 12:23
Interessante Gedanken soweit. Wenn ich mich selbst reflektiere, erkenne ich auch, dass mein Eindruck möglicherweise gefärbt ist von meiner momentanen Demotivation in Bezug auf Kreativwerden. Müsste längst meine Kampagne weiter vorbereiten und kann mich kaum zu Runden aufraffen. Hatte ich schon öfter, wenn gerade Ausfalleritis in meinen Runden herrscht.

Ein Gedanke ist mir noch gekommen. Bewegen wir uns hier nicht auch auf einem ähnlichen Pflaster wie bei dem Thema "Kinderspielen"? Ich erinnere mich an Aussagen in verschiedenen Ratgebern, die ich als guter Vater (TM) mir vor der Geburt unseres Sohnes gekauft (aber nie ganz gelesen) hatte, dass man den Kids um Gottes Willen gaaaanz viel Freifraum zum freien Spiel (oder so ähnlich) ermöglichen soll. Sowas ist das hier doch auch. These: Je mehr vorgekauten Kram ich habe, desto mehr werde ich Konsument.
Klar, um mal bei Crimson Kings Terminus zu bleiben, man hackt hier und da ein bisschen am System, aber das ist doch nicht das gleiche wie eine komplette Neuerschaffung.

Es geht vielleicht auch gar nicht so sehr darum, ob man jetzt etwas Neues erschaffen kann, im Sinne der kreativen Fähigkeit, sondern vielleicht eher: Tue ich es eigentlich noch, so richtig frei und wild, wenn ich schon zig beeinflussende Forendiskussionen, Settings und Systeme zu dem Thema intus habe? Ist auch die Frage, inwiefern man das überhaupt bewusst wahrnimmt.

Die Tatsache, dass "trotz" dieser Fülle die Publikationen nicht abbrechen, spricht ja dafür, dass "global gesprochen" die Kreativität nicht merklich abnimmt.

Oberflächlich betrachtet, ja, da bin ich bei dir. Aber die Frage ist ja eher individueller Natur, das lässt sich schwer mit Zahlen belegen. Wie viele Leute haben also aufgehört, etwas ganz eigenes zu entwickeln, weil sie mehr zu Konsumenten wurden? Auch diese Zahl kann ja mitgewachsen sein.

Aber nur weil irgendwo anders ein ähnlicher Weg begangen wird, muss ich mich davon doch nicht verjagen lassen.
Absolut. Du sprichst ja auch noch den Schaffungsprozess an, der bei der Beurteilung der Kreativität, so habe ich es jedenfalls mal bei Kunst allgemein gelernt, ganz wichtig ist. Dennoch: Sagen wir mal, du hast genau das, was du gerade selbst machen wolltest, per Zufall greifbar (der Zufall ist eher Murphys Gesetz). Machst du es dann noch und wie hoch ist die Motivation dabei?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 12:31
Es geht vielleicht auch gar nicht so sehr darum, ob man jetzt etwas Neues erschaffen kann, im Sinne der kreativen Fähigkeit, sondern vielleicht eher: Tue ich es eigentlich noch, so richtig frei und wild, wenn ich schon zig beeinflussende Forendiskussionen, Settings und Systeme zu dem Thema intus habe? Ist auch die Frage, inwiefern man das überhaupt bewusst wahrnimmt.

Die Frage könnte auch sein, ob das besser wäre.

Man kann ja so auf die Erfahrungen anderer zurückgreifen und sehen, was gut funktioniert hat und was nicht. Niemand hindert einen daran, die schlechten Versuche in verbesserter Form neu zu testen oder die schon guten Versuche noch weiter zu verbessern. Zumindest ist mein Eindruck, dass das niemand tut.

Grundsätzlich gab und gibt es sowas wie "richtig frei und wild" auch gar nicht. Rollenspiel (und alle anderen kreativen Schaffungen) haben sich an irgendwas orientiert.
Allerdings: In der Tat gibt es sowas wie eine kanonische Verengung. Das lässt sich alles historisch erklären und aufarbeiten. Und natürlich hinterlässt das deutliche Spuren auf den kreativen Äußerungen der jeweiligen Zeit. Untote Astronauten und Aliens gehören heute normalerweise nicht in den Bereich "Fantasy". Wenn man die dort (wieder) reinhaben will, muss man den Kanon (für sich) erstmal wieder öffnen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Lord Verminaard am 17.10.2019 | 13:31
Mein Eindruck ist, dass die viel geringeren technischen und wirtschaftlichen Hürden bei der Veröffentlichung dazu führen, dass auch die Qualität durchwachsener wird. Gleichzeitig gibt es wenig wirklich kritische Rezensionen, sodass es schwer ist, das wirklich gute und originelle Zeug dazwischen zu finden. Ob man nun dann unbedingt selbst was entwickeln muss, denke ich allerdings nicht, viel eher schon sehe ich eine zu starke Tendenz, für alles ein eigenes System zu bauen, das man super auch mit existierenden und vielfach erprobten Systemen machen könnte.

Kreativität entfaltet man doch viel eher bei der Kampagnengestaltung, als beim Basteln am Heartbreaker. ;)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Thandbar am 17.10.2019 | 13:38
Gleichzeitig gibt es wenig wirklich kritische Rezensionen, sodass es schwer ist, das wirklich gute und originelle Zeug dazwischen zu finden. 

Das ist nur leider allzu wahr. Ein guter Punkt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Crimson King am 17.10.2019 | 13:51
Mein Eindruck ist, dass die viel geringeren technischen und wirtschaftlichen Hürden bei der Veröffentlichung dazu führen, dass auch die Qualität durchwachsener wird.

Echt? Mir geht das eher anders. Ggf. muss man aber auch ein bisschen schauen, welchen Zeitraum man zum Vergleich heran zieht.

Generell habe ich aber den Eindruck, dass früher ganz viel Murks produziert wurde, der heute gerne nostalgisch verklärt wird. Heut wird absolut gesehen höchstwahrscheinlich noch mehr Murks produziert, aber der relative Anteil an guten Sachen dürfte deutlich höher liegen.


Ob man nun dann unbedingt selbst was entwickeln muss, denke ich allerdings nicht, viel eher schon sehe ich eine zu starke Tendenz, für alles ein eigenes System zu bauen, das man super auch mit existierenden und vielfach erprobten Systemen machen könnte.

Kreativität entfaltet man doch viel eher bei der Kampagnengestaltung, als beim Basteln am Heartbreaker. ;)

Das gilt für mich unbedingt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: First Orko am 17.10.2019 | 13:57
Generell habe ich aber den Eindruck, dass früher ganz viel Murks produziert wurde, der heute gerne nostalgisch verklärt wird. Heut wird absolut gesehen höchstwahrscheinlich noch mehr Murks produziert, aber der relative Anteil an guten Sachen dürfte deutlich höher liegen.

Das ist auch mein Eindruck. Insbesondere, weil ich ich mir die alten Sachen eben (altersbedingt) ohne nostalgische Verklärung angucken kann und im direkten Vergleich oft (nicht immer!) lieber wahllos in eine Grabbelkiste "aktuelle RPG" greifen würde als manche von den alten Sachen so zu spielen  >;D
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: takti der blonde? am 17.10.2019 | 13:59
Kreativität entfaltet man doch viel eher bei der Kampagnengestaltung

Ich würde sogar noch weiter fokussieren: Die meiste Kreativität entfaltet sich bei mir beim Spielen der Kampagne. :)

Grüße

Hasran
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Issi am 17.10.2019 | 14:20
Kreativität entfaltet man doch viel eher bei der Kampagnengestaltung, als beim Basteln am Heartbreaker. ;)
Yupp
An noch einem neuen Regelsystem würde ich jetzt auch nicht unbedingt basteln.
Da gibt es echt einige gute.
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
~;D



Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 14:26
Für mich persönlich sind z.B. Forumsdiskussionen, etwas, das Rollenspiel ersetzt. Ich bin da nicht stolz darauf.

Am eigenen System zu schrauben ist aber direkt mit der Spielpraxis verbunden. Das gehört für mich zum eigentlichen Spiel dazu.

Manche Leute sind halt Barbie-Spieler, die im Rahmen eines Regelsystems an ihren Figuren rumbasteln, andere modifiziren stattdessen am Regelsystem selbst. Gehört irgendwie zusammen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Issi am 17.10.2019 | 14:27
Absolut. Du sprichst ja auch noch den Schaffungsprozess an, der bei der Beurteilung der Kreativität, so habe ich es jedenfalls mal bei Kunst allgemein gelernt, ganz wichtig ist. Dennoch: Sagen wir mal, du hast genau das, was du gerade selbst machen wolltest, per Zufall greifbar (der Zufall ist eher Murphys Gesetz). Machst du es dann noch und wie hoch ist die Motivation dabei?
Interessante Frage.
Meine Antwort wäre:
Kommt darauf an zu wieviel Prozent es passt.
Es wird selten zu 100% passen.
Vielleicht nehme ich dann was da ist, und passe es auf meine Wünsche noch genauer an.
Unter 80 % lohnt sich das selber machen eventuell noch.
Drüber eher nicht.

Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Issi am 17.10.2019 | 14:34
Für mich persönlich sind z.B. Forumsdiskussionen, etwas, das Rollenspiel ersetzt. Ich bin da nicht stolz darauf.

Am eigenen System zu schrauben ist aber direkt mit der Spielpraxis verbunden. Das gehört für mich zum eigentlichen Spiel dazu.

Manche Leute sind halt Barbie-Spieler, die im Rahmen eines Regelsystems an ihren Figuren rumbasteln, andere modifiziren stattdessen am Regelsystem selbst. Gehört irgendwie zusammen.
Ich würde nur mal die Behauptung aufstellen, dass es leichter ist, ein bereits vorhandenes Regelsystem für seine persönlichen Wünsche zu modifizieren***, als selbst eines aufzubauen.
Und selbst wenn man es komplett neu aufbaut, wird man sich dabei an dem orientieren, was man schon kennen gelernt hat.
Nicht in dem Punkt, dass man es genau nachmacht. - Aber doch zumindest  grob- wie sowas funktioniert.

***
Machen doch sowieso viele Spieler durch Hausregeln.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: unicum am 17.10.2019 | 14:38
Blödsinn. Gedanken sind ein fraktales System.

Eingesperrt in einem limitierten Raum. Etwa vergleichbar Platons HG.

Aber das sprengt ggf den Rahmen der Diskussion hier. Tatsache ist das es immer schwerer wird wirklich signifikant neues zu machen ohne nicht altes zumindest zum Teil zu wiederholen. (ich hab gerade eine Patentanmeldung hinter mir,...)

um wenigstens wieder etwas den Bogen zurück zum Thema zu schlagen: Wenn man ein neues Rollenspiel machen will stellen sich doch einige Fragen auf welche immer die gleichen Antworten kommen, eben weil es eine limitierung gibt welche schwer zu überwinden ist. Wenn der Ansatz ist "es soll gewürfelt werden" habe ich eben nur den Fundus mit den typischen Baisiswürfeln und kann dann kombinieren - hoch würfeln, niedrigf würfeln möglichst nahe an einen Zielwert, etc - sicher die Möglichkeiten sind immer noch groß, aber wirklich neu ist daran dann auch nichts (mehr). Es ist irgendwie wie mit dem Hammer - die Probleme sind alle irgendwie Nägel.

Die eigentliche Sache ist ob es wirklich unendlich viele Möglichkeiten gibt - oder ob die unendlichkeit nur eine matematische Spielerei ist, wie etwa das Infinitve-Monkey-theorem, denn es gibt eben keine infinite Monkeys - Monkeys sind abzählbar also finitiv. Auch ist die Zeit nicht infinitiv - sie hatte einen Anfang in der Raumzeit.

Ist die große Zeit der kreativen Rollenspielsystemneuentwicklungen deswegen Vorbei? - Nein, wir Menschen machen ja - als Beispiel - seit einigen Jahrhunderten schon Musik und trozdem gibt es immer wieder etwas neues, die aber eben manchmal auch Variationen von altem sind.

Es ist vieleicht auch der Sache geschuldet das - je mehr man gelesen hat - umso häufiger stolpert man über gleiche oder ähnliche Ansätze. Nachdem ich auf Cons ein bestimmtest Abenteuer mehr als ein dutzend mal geleitet hatte wurde es mir langweilig, eben weil sich die Löunsgsansätze der Spieler anfingen zu wiederholen, sicher es war immer etwas anderst aber eben nicht so das ich gesagt hätte "ach das war mal kreativ!" - also kreativ in dem Sinne "diese Idee hatten die ganzen Spieler vor dieser Gruppe noch nie". Damit wurde dieses Szenario auch langweilig für mich. So wie man ein gutes Buch vieleicht oft lesen kann - aber nicht zu oft - ebenso kann man auch ein schönes Musikstück so lange anhören bis es einen nerft. Trozdem kann es gut sein das ich das Szenario immer wieder mal leiten werde - in der Hoffnung das doch noch jemand etwas neues findet.

Das problem sehe ich auch darin das man vieleicht "im eigenen Saft" kocht - also immer die gleichen spieler, immer das gleiche System. Keine abwechslung wenig neues. Neue Impulse werden seltener wenn man das so macht, dass ist der kreativität auch nicht gerade förderlich. An der Stelle sage ich: wer immer nur ein System spielt, immer das gleiche und nie etwas anderes in betracht zieht der wird wohl eher nicht kreativ sein. Ebenso jemand der immer von einem System zum anderen Hüpft, er hat keine Zeit zu spielen weil er immer etwas lesen muss. Ich denke der Blick über den Tellerrand (da bin ich wieder bei Platon) ist immens wichtig, aber eben auch das wirkliche ausprobieren. Das Leben ist zur kurz um alles auszuprobieren, wir sind nämlich auch keine infiite Monkey.

Deswegen denke ich das ein goldener Mittelweg sicher am besten ist, auch für die eigene Kreativität. Oder will sagen: man muss nicht alle Regelwerke kaufen und lesen,...
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: JS am 17.10.2019 | 15:06
Ich mag die heutige Massen an Settings, Systemen, Fertigabenteuern usw. usf.
Sie fördern meine Kreativität und Phantasie durch all die Anregungen und tollen Ideen der anderen Menschen. Sicherlich kommen mal eine Hausregel dazu und mehr oder weniger viele Änderungen bei den Abenteuern, aber das ist ja gerade das schöne an dieser Melange der Geister.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Grimtooth's Little Sister am 17.10.2019 | 15:10
Die Massen an Systemen führt bei mir inzwischen zu Kopfschmerzen, vor allem,wenn die Spieler dann die Settings nur mit dem dafür gemachten System bespielen wollen. Ich kann mir einfach Regeln nicht mehr so gut merken wie früher und hab auch nicht die Zeit, stundenlang Regelbücher zu lesen. Weswegen ich ja grad ein eigenes Mischsystem gemacht hab.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: nobody@home am 17.10.2019 | 15:12
Kreativität entfaltet man doch viel eher bei der Kampagnengestaltung, als beim Basteln am Heartbreaker. ;)

Auf jeden Fall. Ich würde vielleicht sogar sagen, daß es aufs genaue System gar nicht so sehr ankommt (auch wenn ich natürlich selber völlig ungeachtet dessen trotzdem meine Lieblinge und meine Kandidaten, die ich nicht mal mit ner 3-Meter-Stange anfassen würde, habe) -- wenn ich kreativ werden und interessante Charaktere, Szenarien, und Spielwelten entwerfen will, dann existieren die Faktoren und Eigenschaften, die sie interessant und erinnerungswürdig machen, klassischerweise ohnehin außerhalb der "eigentlichen" Spielregeln und werden von diesen entsprechend auch gar nicht erst erfaßt, geschweige denn irgendwie aktiv unterstützt.

(Wer will, mag aus dieser Idee den Standpunkt ableiten, daß zuviel Beschäftigung mit nur den Regeln allein an sich schon den sinnvolleren Einsatz von Kreativität an anderer Stelle im Spiel behindert. Ich würde dem nicht unbedingt widersprechen. ;))
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: 1of3 am 17.10.2019 | 15:19
Ich würde nur mal die Behauptung aufstellen, dass es leichter ist, ein bereits vorhandenes Regelsystem für seine persönlichen Wünsche zu modifizieren***, als selbst eines aufzubauen.
Und selbst wenn man es komplett neu aufbaut, wird man sich dabei an dem orientieren, was man schon kennen gelernt hat.
Nicht in dem Punkt, dass man es genau nachmacht. - Aber doch zumindest  grob- wie sowas funktioniert.

***
Machen doch sowieso viele Spieler durch Hausregeln.
Bestimmt. Und anders herum: Wenn du ein vorhandenes Spiel anpasst, dann hast du ein neues Spiel gemacht. So einfach war das. :)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 15:21
Etwa vergleichbar Platons HG.

Ich erläutere: HG = "Höhlengleichnis" (aus Platons Der Staat (Politeia), siebtes Buch).

Gleichzeitig gibt es wenig wirklich kritische Rezensionen

Das Problem sehe ich auch (übrigens auch bei Brettspielen und, sogar noch mehr, bei Tabletop).

Die Amis finden eh alles geil. Es gibt da praktisch keine negativen Rezensionen.
Und die Tendenz bei deutschen Rezensenten ist es, sich in Sprachgebrauch, Habitus und Mangel an Urteilskraft da anzuschließen.

Außerdem habe ich den dringenden Verdacht, dass die meisten Meinungen abgegeben werden, ohne dass sich jemand ernsthaft mit dem rezensierten Gegenstand beschäftigt hat. Oft wird die Packung geöffnet, der Inhalt gesichtet und dann ein erster Eindruck geschildert. So weit so blöd und unnötig. Das ganze wird dann allerdings gern noch als vollwertige Rezension dargestellt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?a
Beitrag von: foolcat am 17.10.2019 | 15:48
Pffff. Egal, welche Vielfalt heutzutage an „innovativen“ Mechanismen so rumschwirrt, Greg Stafford hat es eh schon in den 70er/80er-Jahren getan.
 :Ironie:

Muss man jedesmal das Rad komplett neu erfinden, um wirklich kreativ zu sein? Von Holzscheibe zu Speichenrad zu Stahlgürtelreifen war’s auch ein langer, kreativer Weg, obwohl das Grundprinzip immer dasselbe geblieben ist. Die kreative (Ingenieurs-)Leistung liegt doch in der Anpassung an neue Anforderungen und Gegebenheiten. Die Mars-Rover haben auch Räder, aber was für welche!

Vielfalt ist gut, weil man darauf aufbauen kann. Man pickt sich die Sachen raus, die gefallen oder (gefühlt) taugen, und lässt die Sachen weg, die nicht gefallen oder (gefühlt) untauglich sind. Je mehr Sachen man kennt, um so größer das Spektrum, aus dem man auswählen kann. Zack, Kreativität!

Darüberhinaus haben doch die wenigsten von uns Mäzene, die einem die Zeit für‘s freie Erfinden sponsern. Also nimmt man z.B. ein Setting, dass einem gefällt, verheiratet es mit einem Regelwerk, welches nicht saugt (YMMV), denkt sich noch ein paar Dinge dazu aus, und schon hat man ein Grundgerüst, im dem Dinge passieren können. Zum Beispiel, sich an einem Abend mal mit zwei Kumpels zu treffen, mit ihnen Spielercharaktere auf diesem Hintergrund zu erschaffen und ein spontan ausgedachtes „Prequel“-Abenteuer zu spielen. Gut, vielleicht war der Plot des Abenteuers inspiriert durch die ersten 10 Minuten von The Phantom Menace, aber was die Spieler daraus gemacht haben, wäre definitiv nicht jugendfrei gewesen...
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 15:54
Ich denke, gerade die OSR-Szene zeigt, dass sich die ähnlichen Varianten des Immergleichen eher befruchten, als dass sie einander die Nähhrstoffe wegnehmen.

Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass in ferner Zukunft die veralteten D&D-Ursprünge in unzähligen Regelwerken mit unterschiedlichsten Namen immer und immer wieder dieselben begeisterten Käufer finden würden?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Megavolt am 17.10.2019 | 16:21
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, everything is a remix.

plus

Die Möglichkeiten, zu remixen, sind unendlich.

Es sind auch noch nicht alle möglichen Bücher geschrieben worden, auch wenn man ungefähr seit der Reformation hart daran arbeitet. Entsprechend ist da auch im Bereich der Kreativität nichts eingeschränkt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: BBB am 17.10.2019 | 16:59
zunächst mal: Abo.

Finde es sehr spannend hier mitzulesen.

Ich glaube auch, dass die unbesetzten Flecken weniger geworden sind - merklich weniger.
Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass ich mir im letzten halben Jahr mehr Gedanken über eigene Kreationen gemacht habe, als in den 5-10 Jahren davor.

Insofern behindert zumindest mich die Masse nicht wirklich.
Und ich glaube mein "ideales" System habe ich auch noch nicht gefunden - aber das ist dann wieder eher Thema für einen anderen Thread :-)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 17:26
"ideales" System

Ich glaube sowas gibts auch gar nicht. Weder bei Regeln noch bei der bespielten Welt kann es sowas geben. Außer natürlich, man möchte wirklich jahrelang immer dasselbe spielen.

Ist auch gar nicht erstrebenswert. Es reicht doch völlig, wenn man ein Spiel (oder mehrere) findet, die einem richtig gut gefallen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 18:07
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, everything is a remix.

Ein Remix kann doch sehr wohl was neues sein, oder?

Abgesehen davon finde ich schon seit jeher interessant, dass Rollenspiel, das ja ohne weiteres mit Steinzeittechnologie verwirklichbar ist erst im Jahre 1974 entstanden ist. War es auch nur ein Remix von Braunstein? Ich würde da widersprechen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Maarzan am 17.10.2019 | 18:11
Mit dieser Aussage kann ich auf mehreren Ebenen nicht übereinstimmen.

Zunächst einmal sehe ich einen deutlichen Unterschied zwischen Regelwerken und Settings oder Abenteuern.
Regelwerke sind Werkzeuge und die brauchen nicht großartig "kreativ" und "neu" zu sein, sondern sollen für ihren Zweck bestmöglich funktionieren. Da sehe ich einen nüchteren Blick sogar eher als hilfreich denn zu viel überschäumende Ergüsse.
Und zu viel "Kreativität" beim Erstellen eines Pakets kann den Nutzen und damit Wert eines Regelwerks gar schmälern, wenn Das verwobene Setting die Nutzung als Werkzeug für die Kreativität anderer beschränkt 

Und für den tatsächlich kreativen Part könnte das bestehende Programm eigentlich eh egal sein. Wem Aventurien zu voll ist, der baut eben einen Kontinent an oder erstellt eine ganz eigene Welt.

Eigentlich, denn als nächstes kommt die Frage nach der Zielgruppe - für wen bin ich kreativ und welche Maßstäbe setze ich danach an.

Wenn ich für mich aktiv bin, dann ist es zunächst einmal auch der eigene Nutzen, der als Messlatte dienen sollte. Und wenn jemand anderes vorher drauf gekommen ist, na und Hauptsache es passt - doppelt, wenn man das erst später erfährt.

Wenn ich das hingegen verkaufen will, muss ich dem (informierten...) Kunden einen Mehrwert bieten, welchen er anderswo so nicht bekommt.- Da führt dann kein Weg drum herum.

Dazwischen liegen dann wohl die Eigenansprüche,  dass es wenigstens Anhänger finden könnte, wenn man es denn verbreiten wollte oder zumindest der ggf. kritischen Spielerschar im Umkreis gefällt, damit man es auch gespielt bekommt.
Aber hier gilt dann eben -  das war dann im Zweifel halt doch zu schlecht oder unkreativ oder für die falsche Zielgruppe konzipiert. Aber dafür können die anderen Autoren und deren Werke ja nichts.

Ein lokaler Rückgang des Anteils an "Selbstschreibern" ist schon zu bemerken, meinem Gefühl nach in die Zeit der ersten Splatwelle von D&D 2 und Co  zu verorten. Aber wer sich davon hat beeindrucken lassen, der hatte wohl von vorne herein nicht so sehr den kreativen Drang und ist als Konsument glücklicher.

Und wo wären wir "Kreativen" ohne Konsumenten, sprich Spielern? Jetzt muss man halt nur noch gut genug in Design oder Marketing zu sein, um diese auch zu Überzeugen. Willkommen im Dschungel!
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 17.10.2019 | 18:39
Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem. Das beeinflusst die Lust des Gamedesigns doch negativ! Man wird in seiner Kreativität eingeschränkt, weil man mehr oder weniger dazu neigt, in bereits vorgedachten Bahnen zu entwickeln.

Mich spornt das oftmals an, weil mir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit irgendwas an dem angetroffenen "Nischenbesetzer" nicht passt.
Das kann einzelfallabhängig dazu führen, dass ich dieses Feld mit einem völlig anderen Ansatz beackere oder mich entscheide, entsprechend nachzukorrigieren.

Dazu:
Klar, um mal bei Crimson Kings Terminus zu bleiben, man hackt hier und da ein bisschen am System, aber das ist doch nicht das gleiche wie eine komplette Neuerschaffung.

Ja, das ist anders gelagert, aber es ist eben auch nur anders kreativ/andere Arbeit und nicht weniger.
Einem gegebenen System die letzten Flausen auszutreiben und es für die eigenen Zwecke perfekt rund laufen zu lassen, macht mir persönlich sogar mehr Spaß als einen völlig anderen Ansatz gerade bis zur Spielbarkeit zu entwickeln.
Da denke ich dann auch mal ein paar Tage oder gar Wochen auf einer einzelnen kleinen Spielmechanik herum.

Und in der Hinsicht erkenne ich i.d.R. ziemlich schnell, ob sich ein anderer schon intensiv Gedanken gemacht hat (und welche) oder ob da nur etwas hingeworfen wurde mit dem Prädikat "gut genug". Da sind kommerzielle/"offizielle" Systeme mMn oft erstaunlich schlecht aufgestellt. Einen Vertrauensvorschuss gegenüber Eigenkonstruktionen bekommt so ein System von mir nicht.



Tue ich es eigentlich noch, so richtig frei und wild, wenn ich schon zig beeinflussende Forendiskussionen, Settings und Systeme zu dem Thema intus habe?

Freies Spiel bzw. freies Gestalten beinhaltet auch immer Ziellosigkeit.
Sobald ich eine Zielsetzung habe, brauche ich Struktur und dann ist es gut, wenn ich umfangreiche Vorerfahrung/Vorbildung habe. Trete ich an, um das Rad neu zu erfinden, dann hilft es mir sehr, wenn ich schon weiß, dass ich nicht am Kreis herumdoktern brauche, sondern mir die Werkstoffe und die Aufhängung anschauen sollte ;)
Natürlich muss ich dann immer noch rumprobieren und einfach mal drauflos kombinieren, aber ich weiß eben, an welcher Stelle mir das überhaupt etwas bringen kann.
 
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Megavolt am 17.10.2019 | 18:41
Ein Remix kann doch sehr wohl was neues sein, oder?
Öh, ja. Darum gehts ja. Es gibt quasi noch unendlich viel Neues, aber man muss halt akzeptieren, dass es nie etwas "genuin" Neues ist. Ich mags jetzt nicht ausschweifend erklären müssen. :)

Zitat
Abgesehen davon finde ich schon seit jeher interessant, dass Rollenspiel, das ja ohne weiteres mit Steinzeittechnologie verwirklichbar ist erst im Jahre 1974 entstanden ist. War es auch nur ein Remix von Braunstein? Ich würde da widersprechen.
Rollenspiel ist 1974 nur in einer ganz bestimmten Form kondensiert und wurde als solche kommerzialisiert. So-tun-als-ob gab es schon immer, Fantastik gab es schon, wahrscheinlichkeitsbasierte Spiele gab es schon. Ergo ist Rollenspiel letztlich auch nur ein Remix. Über den Appendix N hat man ja sogar substanzielle Vorlagen benannt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 18:48
Öh, ja. Darum gehts ja. Es gibt quasi noch unendlich viel Neues, aber man muss halt akzeptieren, dass es nie etwas "genuin" Neues ist. Ich mags jetzt nicht ausschweifend erklären müssen. :)
Rollenspiel ist 1974 nur in einer ganz bestimmten Form kondensiert und wurde als solche kommerzialisiert. So-tun-als-ob gab es schon immer, Fantastik gab es schon, wahrscheinlichkeitsbasierte Spiele gab es schon. Ergo ist Rollenspiel letztlich auch nur ein Remix. Über den Appendix N hat man ja sogar substanzielle Vorlagen benannt.

Natürlich kann man jeden Begriff so aufweichen, dass er eigentlich alles bedeutet. Aber ob das sinnvoll ist, um eine Diskussionsgrundlage zu haben? Irgendwie sind wir ja alle auch Remixe von genetischen Material. Und ein Raumschiff ist der Remix eines Flugzeug ist der Remix eines Vogels, ist der Remix eines Insekts, ist der Remix einer Amöbe, ist der Remix von Kohlenstoff...
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 17.10.2019 | 19:03
Abgesehen davon finde ich schon seit jeher interessant, dass Rollenspiel, das ja ohne weiteres mit Steinzeittechnologie verwirklichbar ist erst im Jahre 1974 entstanden ist. War es auch nur ein Remix von Braunstein?
So-tun-als-ob gab es schon immer, Fantastik gab es schon, wahrscheinlichkeitsbasierte Spiele gab es schon. Ergo ist Rollenspiel letztlich auch nur ein Remix.

Wenn man ausreichend spezifisch wird, wird es schwer mit weitgehend identischen Vorläufern.
Dazu gehört ja dann auch ein entsprechender Satz an Voraussetzungen und Rahmenbedingungen.


Aber je weiter man in die Indie- und Freeform-Ecke schaut, um so zuversichtlicher traue ich mich abseits jeder Datenlage zu sagen:
Das haben Leute in so gut wie identischer Form auch schon anno 1850, 720 und in der Antike betrieben.


Mindestens ein Strategie- oder Taktikspiel mit starken Rollenspielelementen dagegen...das kann ich zwar postulieren, aber da wirds schon ziemlich dünn.
Unter anderem, weil dafür nötige technische, soziale und intellektuelle Voraussetzungen zwar grundsätzlich gegeben sein können, aber nicht so alltäglich sind, dass sie für ein entsprechendes Spiel verwendet werden.

Anders formuliert: Klar kann man grundsätzlich mit Steinzeittechnologie Rollenspiel betreiben - auch Rollenspiel, das enorm D&D-ähnlich ist. Trotzdem wird das mit Steinzeittechnologie eher nicht passieren (und nicht passiert sein), weil da noch ein ganzer Wust an sonstigen Faktoren dran hängt, die letztlich auch auf die Technologie zurück gehen. "Ohne weiteres" ist das entschieden nicht.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Megavolt am 17.10.2019 | 19:22
Natürlich kann man jeden Begriff so aufweichen, dass er eigentlich alles bedeutet.
Was ist denn deiner Meinung nach am 1974er Rollenspiel so einzigartig neu, dass es vorher noch in keiner vergleichbaren Form dagewesen war?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 17.10.2019 | 19:26
Was ist denn deiner Meinung nach am 1974er Rollenspiel so einzigartig neu, dass es vorher noch in keiner vergleichbaren Form dagewesen war?

Ernsthaft?  8]

Verschieb das mal in ein neues Thema, dann reden wir gerne weiter!

Oder aber:
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 17.10.2019 | 19:59
Aber je weiter man in die Indie- und Freeform-Ecke schaut, um so zuversichtlicher traue ich mich abseits jeder Datenlage zu sagen:
Das haben Leute in so gut wie identischer Form auch schon anno 1850, 720 und in der Antike betrieben.

Möglicherweise geht das alles ein bißchen am Thema vorbei, aber da würde mich die Datenlage tatsächlich interessieren.
Für Scharade geht die Datenlage auf jeden Fall bis ins 18. JH zurück. Davor finde ich nichts. Man könnte überlegen, ob das teilweise recht freie Theaterspiel, welches es in den meisten Kulturkreisen gibt, dann irgendwie mit da reingehören könnte. Würde ich aber erstmal als unzulässige Aufweichung des Begriffs verdächtigen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Megavolt am 17.10.2019 | 20:10
Ernsthaft?  8]

Ich hab den Eindruck, ich stehe gerade irgendwie massiv auf dem Schlauch. Lassen wirs bleiben, mir fehlt jetzt die Zeit. :)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 17.10.2019 | 20:26
Für Scharade geht die Datenlage auf jeden Fall bis ins 18. JH zurück. Davor finde ich nichts. Man könnte überlegen, ob das teilweise recht freie Theaterspiel, welches es in den meisten Kulturkreisen gibt, dann irgendwie mit da reingehören könnte.

Joah - wie gesagt: für weitgehend freies Erzählspiel mit Würfeln, Karten, Spielsteinen o.Ä. als Impulsgeber und tie-breaker behaupte ich einfach ins Blaue, dass es das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon immer™ gegeben hat.
Aber davon findet sich (oder würde sich finden) natürlich nichts mehr außer der zugehörige Nippes, der auch noch andere Anwendungen hat.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Samael am 17.10.2019 | 20:46
Es hat sich offenbar über die Jahre stark geändert wie Rollenspiele konsumiert werden. Hin zu langen Kampagnen und akribischen Anpassen eines Haussystems an die eigene Vorliebe hin zu: Alle-14-Tage was-Neues.

Ich mach da schon lange nicht mehr mit, aber ich bin auch ein alter Knacker mit Familie, der froh ist, wenn er 1x/Monat zum spielen kommt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: D. Athair am 17.10.2019 | 23:13
Natürlich stehen da eigentlich persönliche Entscheidungsfindungsprobleme im Vordergrund, aber die Masse an Systemen trägt definitiv dazu bei, die Lage zu erschweren ...
Dem kann ich mich definitiv anschließen. Wobei bei mir dazu kommt, dass ich immer noch keinen neuen Plan hab, wie ich das Hobby betreiben will und welche Strukturen bzgl. Gruppe ich mir dafür schaffen muss.

Teil der Lösung wird schon auch auf der Systemseite liegen. Insbesondere in der Ablehnung technischer Lösungen iSv exception based design, großer Regelmasse und Regelkomplexität. Ich hab aber noch keinen Plan, wie ich OSR-, Freiform-, W100- und Indie-Systeme sinnvoll sortiere/aussortiere. Das ist durchaus nötig, damit ich einen Plan habe, was ich einer Gruppe vorschlagen will (die auch einen hohen Casual Anteil haben darf) und welche Aufgaben der Mitwirkung ich auf Spieler.innen-Seite sehe.

Wobei Verfügbarkeit, Mini-Auflagen und GRW-Only-Spiele da auch wieder ein Problem bilden. Maelstrom Gothic würde super gut funktionieren, aber mir fehlt da - auch wegen Abenteuer-Vorbildern - Handwerkszeug um Geschichten in der Art eines M.R. James in ergebnisoffene explroative Abenteuer zu verwandeln. Bei Liminal gibt es ein massives Problem mit den Druckauflagen, die immer viel zu gering ausgefallen sind, um auch Händler zu bedienen. Ein PDF reicht mir nicht.

Ach ja ... und die große Vielfalt macht es auch nicht unbedingt einfacher ein Spiel an den Tisch zu bringen und durchs Spielen genug in ein Spiel reinzukommen.
Da braucht es heute - abseits der großen Spiele - einiges mehr an Hartnäckigkeit (https://www.tanelorn.net/index.php/topic,109386.0.html) (gibt ja so viele Alternativen, nach denen potentielle Mitspieler auch fragen), die mit Setting- oder System-ADHS natürlich nicht herzustellen ist.



Mein Eindruck ist, dass die viel geringeren technischen und wirtschaftlichen Hürden bei der Veröffentlichung dazu führen, dass auch die Qualität durchwachsener wird.
Sehe ich eher nicht so.
Spiele wie Dream Askew/Dream Apart, Mythras, Maelstrom Gothic, Mutant: Year Zero, Troika!, Liminial, 42! Ideen, Torchbearer, ... sind mMn so Eintopf-Sachen nach dem Muster von anno dazumal wie Shadowrun oder Pathfinder 2 deutlich überlegen. Oder: Früher (v.a. in den späten 80ern und 90ern) hatte man relativ elaborierte Spiele, die als eierlegende Wollmilch-Säue von sehr mittlerer Qualität waren.

Heute hat man solche Spiele - auch aufgrund von Markenbindung - immer noch. Es gibt aber sehr viele bessere und schlechtere Sachen.
Und natürlich eine größere Vielfalt an Kriterienkatalogen für Qualität. Das wird nicht nur beim Design sondern auch beim Artwork sichtbar.

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Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: OldSam am 18.10.2019 | 00:37
Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem.

Ich finde es dabei v.a. schwierig, dass es einfach so viele schlecht (schnell) gemachte Systeme gibt, selbst unter den Großen der Branche, weil entweder sowieso einfach nur auf Masse "produziert" werden soll oder eben irgendwie jede halbgare Idee sofort ohne Gnade released wird - ordentliches Playtesting, Lektorat etc. wäre ja professionell und langweilig, so was braucht man nicht ;)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: schneeland (N/A) am 18.10.2019 | 00:52
Ich war ursprünglich geneigt, die Ausgangsfrage zu bejahen, komme aber nach einiger Überlegung zum gegenteiligen Schluss: ja, früher habe ich die wenigen Regelwerke, mit denen ich/wir gespielt habe/n, stärker zurechtgebogen - das war durchaus interessant, aber nicht immer von Erfolg gekrönt. Über eigenes Design eines kompletten Regelsystems habe ich damals überhaupt nicht nachgedacht. Heute bin ich, angeregt durch eine Reihe interessanter Systeme und diverse Onlinediskussionen, deutlich stärker motiviert, mal selbst was auf die Beine zu stellen.

Einschränkend muss man allerdings sagen:
- ja, gelegentlich leidet die Motivation, wenn ich darüber nachdenke, wie viele Regelwerke es noch gibt, die ich gar nicht oder nur sehr oberflächlich kenne
- ich glaube, dass es unter den gegebenen Rahmenbedingungen (es wird gewürfelt, das System soll ohne technische Hilfe handhabbar sein) tatsächlich schwierig ist, etwas originär Neues zu schaffen
- ich verbringen generell einfach weniger Zeit mit Rollenspiel als früher, also reicht es gewissermaßen schon für die Analyse verwandter Arbeiten nicht so richtig; insofern sehe und empfinde ich gerade das Problem, das Rumpel und D. Athair beschreiben für mich auch als stark zutreffend

Was mich etwas verwundert ist der zwischenzeitlich anklingende Tenor, dass die eigentliche kreative Arbeit doch in Kampagnen/Abenteuern oder dem Anpassen existierender Regelwerke zu finden sei - m.E. Bedienen Neudesign, Hacking/Tweaking und Abenteuergestaltung einfach unterschiedliche Präferenzen für kreativen Zeitvertreib.

@D.Athair:
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Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 01:33
Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem.

Ja, früher gabs nur das Lawnmower-Man-Rollenspiel und das Dallas-Rollenspiel und Bunnies&Burrows-Rollenspiel. Da waren wir noch frei.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: RdGkA am 18.10.2019 | 07:22
Und natürlich eine größere Vielfalt an Kriterienkatalogen für Qualität. Das wird nicht nur beim Design sondern auch beim Artwork sichtbar.
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Michele Parisi vs Ian Miller? Blasphemie!
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Der Läuterer am 18.10.2019 | 08:03
Zu jedem Scheiß(TM) gibt´s ein Rollenspielsystem.
Es gibt fast zu jedem Genre zahlreiche Settings, die versuchen das grosse Ganze mit unterschiedlichen Systemen zu transportieren.

Die Crux ist jedoch, dass ein System die Atmosphäre, die man aus Büchern, Serien und Filmen kennt, nicht, bzw. ungenügend nachbilden kann, zumal die Geschmäcker schon recht unterschiedlich sind.

Manch ein System versucht die Atmosphäre mit hübschen Bildern zu transportieren, doch das nützt für die Stimmung am Tisch nur marginal.

Grob gesagt kann man jedes Genre mit dem Regelwerk jeden Systems bespielen, wenn man es SELBST schafft, die Atmosphäre zu generieren und zu transportieren. Und das ist dann widerum eine Frage der eigenen Phantasie und Kreativität.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Issi am 18.10.2019 | 10:01
Was mich etwas verwundert ist der zwischenzeitlich anklingende Tenor, dass die eigentliche kreative Arbeit doch in Kampagnen/Abenteuern oder dem Anpassen existierender Regelwerke zu finden sei - m.E. Bedienen Neudesign, Hacking/Tweaking und Abenteuergestaltung einfach unterschiedliche Präferenzen für kreativen Zeitvertreib.
Naja das kommt auf die Motivation an, aus der man ein neues System schafft.

1. Weil man mit den bestehenden Systemen unzufrieden ist (Regel und/oder Setting).
Also quasi kein System das erfüllt, was man sich wünscht.
(Bzw. Angleichungen einem zu aufwendig erscheinen- um es mit einem bestehenden System passend zu machen)
oder
2. Weil man schon länger eine Idee mit sich rumträgt, für ein bestimmtes Setting z.B.
Dieses Setting existiert aber in der Form noch nicht.
Angleichungen von bereits bestehenden Settings wären ebenfalls zu aufwendig.
Das Regelgerüst ist hier eher zweitrangig.
Man könnte es z.B. auch mit bereits bestehenden Regeln spielen.
Also nur das Setting neu schaffen.
3. Weil man länger eine Idee für Regeln mit sich rumträgt.
(Das dürfte vermutlich der eher seltenere Fall sein. Nur eine Vermutung)


Jetzt ist es nur so, dass es bereits eine Fülle von Regeln und Settings gibt, die man sogar  verschieden miteinander kombinieren kann.
So kann man Welt A z.B. mit Regeln D bespielen. Oder Welt B mit Regeln C. usw.
Man könnte sich jetzt dafür überall das raussuchen was einem am Besten gefällt.
Und ich tippe: Das würde ich auch machen, wenn ich meine mir ein "ganz neues eigenes System zu erschaffen."
Im Endeffekt picke ich mir dann nach meinem subjektiven Geschmack die Rosinen raus- (Also das, was ich gut finde)- Und baue mir aus diesen Erwartungen heraus etwas, von dem ich meine, dass es mir am besten gefällt.
(Ob der eigene Geschmack jetzt den von allen (oder zumindest vielen) trifft, kann man nicht wissen.
Aber ich würde sagen: Auch das steht bei einem "Heartbreaker vermutlich bei vielen erstmal an zweiter Stelle.)

Insofern baut man sich in erster Linie erstmal das, was einem selbst gut gefallen würde. (Gespeist aus seinen eigenen  Erwartungen, Wünschen und Erfahrungen die man mit verschiedenen Systemen gemacht hat)
Das macht man beim Bauen von "Hausregeln" oder einer "Hauswelt" so. Und das macht man auch wenn man komplett "neu baut."
Der Unterschied liegt mMn. hier vor Allem im Aufwand.
Was gleich ist- ist mMn. eine gewisse "Unzufriedenheit".
Ein Wunsch nach Veränderung- bzw. Erschaffung einer Welt, die einen Zufrieden macht- indem sie die eigenen Wünsche bestmöglichst erfüllt.

Es ist aber dann mMn. eher eine persönliche Unzufriedenkeit.
Die Masse an Rollenspielern findet ja bei der Fülle durchaus auch  Systeme, die ihnen (auch ohne große Veränderung)genug zusagen- Es hat ja jetzt nicht jeder den Drang einen Heartbreaker schaffen zu "müssen".
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 18.10.2019 | 11:46
Joah - wie gesagt: für weitgehend freies Erzählspiel mit Würfeln, Karten, Spielsteinen o.Ä. als Impulsgeber und tie-breaker behaupte ich einfach ins Blaue, dass es das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon immer™ gegeben hat.
Aber davon findet sich (oder würde sich finden) natürlich nichts mehr außer der zugehörige Nippes, der auch noch andere Anwendungen hat.

Ich nehme an, dass das vielleicht nicht so ist. Insbesondere bezüglich der Wüfel, Karten etc. bin ich sehr skeptisch.
Und dann müsste man eben schauen, was genau es ist. Falls jemand zum Thema was finden sollte, interessiert mich das sehr (gern auch per PN oder in einem separaten Thema).
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 12:00
Ich nehme an, dass das vielleicht nicht so ist. Insbesondere bezüglich der Wüfel, Karten etc. bin ich sehr skeptisch.
Und dann müsste man eben schauen, was genau es ist. Falls jemand zum Thema was finden sollte, interessiert mich das sehr (gern auch per PN oder in einem separaten Thema).

Also die wissenschaftliche Literatur gibt da nicht viel her: Braunstein, Little Wars, dann wird vielleicht noch von Schlachtsimulationen an Militärakademien des 19. Jahrhunderts schwadroniert, aber dazu gibt es wenig konkretes. Würde mich freuen, wenn jemand mehr weiß. Natürlich am besten mit Literaturverweis.

Solange bis etwas konkretes vorgelegt wird, nehme ich die Existenz von "freies Erzählspiel mit Würfeln, Karten, Spielsteinen o.Ä." als nicht gegeben an.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Maarzan am 18.10.2019 | 13:29
Ich finde es dabei v.a. schwierig, dass es einfach so viele schlecht (schnell) gemachte Systeme gibt, selbst unter den Großen der Branche, weil entweder sowieso einfach nur auf Masse "produziert" werden soll oder eben irgendwie jede halbgare Idee sofort ohne Gnade released wird - ordentliches Playtesting, Lektorat etc. wäre ja professionell und langweilig, so was braucht man nicht ;)

Mich deucht, dass diejenigen, welche dafür kritisiert werden, dann die ersten Kandidaten fürs Jammern sind, weil die Riesenschwemme an anderen Produkten das Leben so schwer macht und keiner mehr "kreative Ideen" zu würdigen weiß.

Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Fezzik am 18.10.2019 | 14:28
Ich finde es tatsächlich ganz gut das es viele Systeme zu ähnlichen Themen gibt. Meist findet sich da dann eine brauchbare Regel, die man ohne viel Aufwand für "sein" System (aka das was dir am meisten liegt/Spass mach) adaptieren kann.
Das funktioniert für mich super und lässt mir Raum für andere Dinge, wie zb. Abenteuer schreiben.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: unicum am 18.10.2019 | 15:28
Bezüglich der angesprochenen "Schlecht gemachten Systeme" - da sehe ich ggf nicht unbedingt die Kreativität der Autoren als "Problem" sondern die gewachsenen Ansprüche der Kundschaft.

Zu beginn waren die Regelwerke auf normalem Papier und vieleicht mit einem Schwarzweisbild auf jeder 2ten Seite. Heute muss es schon mal ein Hardcover sein und alles wie ein Hochglanzmagazin (am besten mit Centerfold). Damit sind die Ansprüche der kundschaft gewachsen (nicht allen, mir ist es z.b. recht egal aber jemand der recht erfolgreich ein Rollenspielregelwerk rausbrachte sagte "ohne bunte Bilder und gutes Papier wäre die Neuauflage wohl nichts geworden".

Nicht das ich bunte Bilder brauchen würde. Solide funktionierende Regeln halte ich für wichtiger. (und mit solide meine ich auch das die Regeln eben so klar sind das Regeldiskussionen möglichst vermieden werden).
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Chiarina am 18.10.2019 | 15:38
Ich finde die Systemschwemme toll und habe kein Problem damit.

Das liegt daran, dass ich für mich gar keinen Sinn darin erkennen kann, möglichst viele Systeme durch einen Durchlauferhitzer zu jagen.

Ich weiß inzwischen ganz gut, welche Eigenschaften Systeme besitzen müssen, um für mich attraktiv zu sein. Wenn ein System nicht wenigstens ein paar dieser Eigenschaften aufweist, schaue ich es mir erst gar nicht an. Aber trotz strenger Auswahlkriterien kann ich immer mal wieder ein System finden, das meinem Geschmack ziemlich nah kommt. Das liegt eben daran, dass es inzwischen so viele gibt.

Wenn mich die Werbung für ein System durch Nennung der Eigenschaften aufmerksam gemacht hat, lese ich ein paar Rezensionen oder Erfahrungsberichte. Ein paar finden sich fast immer. Ich weiß inzwischen oft, welche Rezensenten ähnlich ticken wie ich. Und ich kenne sogar ein paar Rezensenten, von denen ich weiß, dass die von ihnen negativ beschriebenen Systeme für mich gerade interessant sein können.

Wenn ich nach der Lektüre einiger Rezensionen immer noch der Meinung bin, das System könnte interessant sein, dann kaufe ich es nicht, schreibe es aber auf eine Liste. Auf dieser Liste stehen typische OneShot Systeme neben kampagnentauglichen Systemen.

Ich habe eine Experimentalgruppe und fahre hin und wieder auf Cons. Das sind Gelegenheiten, die OneShot Systeme eins nach dem anderen auszuprobieren.

Ansonsten spiele und leite ich Kampagnen. Wenn sich eine Kampagne dem Ende zuneigt, kaufe ich das nächste System auf meiner Liste. Erst dann! Für die nächste Kampagne nehme ich das nächste System. Die kampagnentauglichen Systeme werden so viel langsamer abgearbeitet, aber ich finde, das muss auch so sein. Ich beobachte manchmal, dass Systeme im Schnellverfahren begutachtet, hochgepriesen oder sofort wieder in die Tonne getreten werden. Das finde ich gerade bei Kampagnensystemen schade. Ich würde bei so einem Vorgehen gar keinen substanziellen Eindruck gewinnen. Daher bemühe ich mich, diese Systeme wenigstens so lange zu spielen, bis sie ihr Potential zumindest annähernd entfalten konnten.

Ganz selten entscheide ich mich für ein System, in das ich mich einarbeite und stelle erst dann fest, dass es eigentlich nicht mein Ding ist. Ich versuche es dann trotzdem zumindest eine Weile zu spielen und sehe es als Experiment, bei dem ich die Grenzen meiner Komfortzone überprüfen kann.

Durch mein Vorgehen geht sicherlich einiges an mir vorbei. Aber lieber das, als alles nur halbgar. Davon habe ich gar nichts. Ich kann übrigens auch nicht "überall mitreden". Das ist mir völlig klar. Inzwischen finde ich das aber sogar gut. "Überall mitreden" ist nämlich ein großer Zeitfresser und bedeutet weniger Zeit zum Spielen.

Der Avantgarde-Gedanke (ein System muss neuartig sein, sonst hat es keine Existenzberechtigung) ist für mich übrigens völlig irrelevant. Nach einer Zeit, in der der Fortschritt des Rollenspiels ein wichtiger Aspekt war (vorangetrieben z. B. durch die Forge), geht es doch inzwischen stärker um einen reflektierten Umgang mit der Tradition, ein Überdenken des bisher Erreichten, ein Feilen an Nuancen und eine Anpassung großer Ideen auf subjektive Vorhaben (z. B. bei der Themensetzung). Das Rollenspiel ist längst in der Postmoderne angekommen, was spätestens seit dem OSR jedem klar sein sollte. Der Spruch, dass eine bestimmte Art Spiel ein alter Hut ist, mag daher zwar stimmen, ist aber für mich kein Qualitätskriterium. Ein traditionelles Element entwertet kein Spiel. Im besten Fall wird Bewährtes aufgegriffen, um es für aktuelle Kontexte nutzbar zu machen. Auf dieser Ebene ist auch jeder kreative Spieler in der Lage gestalterisch tätig zu werden: Ich denke nicht, dass es darum geht, das ultimativ-superinnovative neue Ding zu erfinden, es geht darum ganz unterschiedliche Spielideen zu verwirklichen, nicht mehr und nicht weniger.

Oft reicht mir dafür ein Spieleabend, manchmal muss ich ein Abenteuer schreiben oder umarbeiten, selten muss ein eigenes Setting entworfen werden. Ein eigenes System? Ein einziges Projekt liegt auf meinem Schreibtisch... es ruht... weil es an anderen Stellen auch viele tolle Spielerfahrungen zu machen gibt.

Kein Grund zu Klagen, ist doch toll!
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Jiba am 18.10.2019 | 16:23
Gut gesprochen, Chiarina. Deiner Einschätzung kann ich mich vollumfänglich anschließen.  :d

Eine Sache aber noch: Ich finde noch bedenkenswert, dass wir zwischen Setting, System und Spiel (=Setting+System) unterscheiden sollten. Denn gerade im Settingbereich sehe ich in bestimmten Bereichen durchaus noch weiße Flecken... nicht im Kitchen-Sink-Bereich, aber in Nischen durchaus.  :)
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 16:26
Nur ein Beispiel: ich liebe Lifepath-Systeme. Aber in dem Bereich gibt es einfach viel zu wenig. Und da könnte man leicht abertausende Seiten publizieren.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: First Orko am 18.10.2019 | 16:40
@Chiarina: Danke auch für deine Einsichten. Wie so oft hinterfrage ich nach dem Lesen deines Kommentar dann doch nochmal meine Meinung zu dem jeweiligen Thema und bekomme neue Einsichten  :d
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 18.10.2019 | 16:51
Bezüglich der angesprochenen "Schlecht gemachten Systeme" - da sehe ich ggf nicht unbedingt die Kreativität der Autoren als "Problem" sondern die gewachsenen Ansprüche der Kundschaft.

Zu beginn waren die Regelwerke auf normalem Papier und vieleicht mit einem Schwarzweisbild auf jeder 2ten Seite.
...

Das betrifft einen selbst doch eher wenig - man misst ja sein Garagenprojekt mit Auflage 1 hoffentlich nicht an zeitgenössischen Hochglanzwälzern.

Und solide Spielmechanik beißt sich nicht mit gutem Artwork und allgemein einer guten Präsentation. Jedenfalls nicht grundsätzlich; manchmal hat man schon den Eindruck, dass da die Schwerpunkte ungünstig gesetzt wurden.

Aber wenn man bei ansonsten gleichen Voraussetzungen die Wahl zwischen Textwüste mit gutem Inhalt oder schickem Blendwerk hätte, wäre die Wahl ja recht eindeutig - und wenn man es so hält wie der hiesige Nutzer Kwuteg, der auch mal ein PDF ausdruckt und nicht genehme Bilder kurzerhand mit gefälligeren überklebt ;)


Wenn ich an der Stelle von schlecht gemachten Systemen spreche, dann beziehe ich mich auf die reine Spielmechanik und deren teils recht offensichtlichen Defizite, die oftmals auch in Prä-Internet-Zeiten der breiten Spielerschaft flächendeckend bekannt waren. Einzig die hier und da unabhängig voneinander gefundenen Lösungen hatten es seinerzeit schwerer, große Verbreitung zu finden.


Nach einer Zeit, in der der Fortschritt des Rollenspiels ein wichtiger Aspekt war (vorangetrieben z. B. durch die Forge), geht es doch inzwischen stärker um einen reflektierten Umgang mit der Tradition, ein Überdenken des bisher Erreichten, ein Feilen an Nuancen und eine Anpassung großer Ideen auf subjektive Vorhaben (z. B. bei der Themensetzung).

Das liegt auch daran, dass man endlich eingesehen hat, dass es keinen allgemeinen "technischen" Fortschritt im Rollenspiel gibt, wie ihn die Forgianer trotz aller gegenteiliger Behauptungen und Lippenbekenntnisse angestrebt hatten.

Die grundsätzliche Zielsetzung, das eigene Spiel(erlebnis) und das Dritter zu verbessern, leistet man durch Grundlagenarbeit, v.A. in Sachen best practices, aber nicht indem man sich im stillen Kämmerlein in immer größere theoretische Höhen aufschwingt. Da ist viel mehr Reflexion und Introspektion gefragt als blindes/wildes Voranpreschen oder ein immer weiter überhitzendes Hohldrehen, ohne die PS auf die Straße zu bekommen. 
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 16:57
Die grundsätzliche Zielsetzung, das eigene Spiel(erlebnis) und das Dritter zu verbessern, leistet man durch Grundlagenarbeit, v.A. in Sachen best practices, aber nicht indem man sich im stillen Kämmerlein in immer größere theoretische Höhen aufschwingt. Da ist viel mehr Reflexion und Introspektion gefragt als blindes/wildes Voranpreschen oder ein immer weiter überhitzendes Hohldrehen, ohne die PS auf die Straße zu bekommen.

Aber am schönsten ist es doch, wenn es beides gibt, oder?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 18.10.2019 | 17:07
Aber am schönsten ist es doch, wenn es beides gibt, oder?

Nachdem ich Letzteres schon so negativ formuliert habe: Eher nicht.

In Sachen theoretische Grundlagen sehe ich nicht viel Raum über eine recht minimalistische und empirisch verwurzelte Analyse der Spaßquellen hinaus, wie sie letztens hier von Narrenspiel präsentiert wurde (und die nicht zufällig große Überschneidungen mit den Laws'schen Spielertypen hat, obwohl diese gar keinen analytischen/theoretischen Anspruch erfüllen sollten).

Selbst wenn man das unvermeidliche Ego-Drama und selbstdarstellerische Geschwafel rausnimmt, wie es die Forge in rauhen Mengen produziert hat: Ich habe ehrlich keine Vorstellung davon, wie ein vergleichbares Projekt "in gut" aussehen könnte.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 18:04
Es muss ja keiner zur Kunstuni-Party, wenn es ihm da zu wild zugeht. Man kann genauso bei der TU-Fete bleiben.  >;D

Aber warum die andere Veranstaltung verbieten wollen?  8]
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 18.10.2019 | 18:09
Aber warum die andere Veranstaltung verbieten wollen?  8]

Davon war nie die Rede.

Man kann (und darf - wer könnte es wie verbieten?) so ein Projekt natürlich angehen, wenn man unbedingt will.
Ich sage nur: Es wird (wieder) nichts dabei herum kommen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 18.10.2019 | 18:53
Man kann (und darf - wer könnte es wie verbieten?) so ein Projekt natürlich angehen, wenn man unbedingt will.
Ich sage nur: Es wird (wieder) nichts dabei herum kommen.

Also die Folgen der Forge kann man doch selbst in D&D5 sehen. Es hat den Mainstream schon geprägt.

Auch pbtA in allen Formen würde es ohne Forge wohl nicht geben. Was für mich schon ein großer Verlust wäre.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 18.10.2019 | 22:10
Die Gegenprobe, was ohne Forge wie anders gelaufen wäre, können wir ja leider nicht machen.

Ich habe für meinen Teil den Eindruck, so manch einer hätte ohne die Forge zielführender arbeiten können und es hätten höchstens einige Begriffe und Konzepte anders geheißen und leicht andere Formen angenommen - das gilt gerade für Crane und Baker.
Im Nachhinein wird zum Einen vieles an konkreten Spielen "der Forge" zugeschrieben, wenn der Autor dort auch unterwegs war und zum Anderen hat die Forge an viele abstrakte Überlegungen einen Begriff geklebt und diesen populär gemacht, was aber beileibe nicht immer heißt, dass die Überlegung an sich auch dort entstanden ist oder auch nur von dort in die Fläche kam.

Für "meine" Ecke des Hobbys ist aus der Forge absolut nichts Brauchbares hervorgegangen (was auch nach der absoluten Anfangsphase gar nicht mehr beabsichtigt war) und selbst für den Kernbereich, der dort beackert wurde, muss ich sagen: Das war ein Riesenaufwand für einen verschwindend geringen Effekt - und das war schon in den frühen 2000ern absehbar.   
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Jiba am 19.10.2019 | 08:34
Für "meine" Ecke des Hobbys ist aus der Forge absolut nichts Brauchbares hervorgegangen (was auch nach der absoluten Anfangsphase gar nicht mehr beabsichtigt war) und selbst für den Kernbereich, der dort beackert wurde, muss ich sagen: Das war ein Riesenaufwand für einen verschwindend geringen Effekt - und das war schon in den frühen 2000ern absehbar.

Aber ist theoretische Auseinandersetzung mit einem Thema nicht immer ein "Riesenaufwand"? Wie wollen wir denn überhaupt Aufwände im Game Design und in der Spielkultur bewerten? Ist da die Effizienz der Übertragung von der Theorie zur Praxis tatsächlich eine relevante Größe? Was sind da deine Kriterien, was genau?

Davon abgesehen finde ich es fatal, die theoretische Betrachtung des Medienproduktes, der sozialen Aktivität und des spielmechanischen Systems "Rollenspiel" allein auf die Spaßquellen zu reduzieren. Vielleicht ist das Big Model inzwischen nicht mehr der richtige Ansatz (ich glaube sogar, dass zumindest GNS überhaupt nicht mehr zielführend ist), aber das bedeutet nicht, dass es nicht in Abgrenzung zu einer Theorie neue theoretische Ansätze geben kann. Da bedeutet, und das finde ich ganz entscheidend, dass etwas auch schon dadurch einflussreich sein kann, dass man sich in Abgrenzung zu ihm bewegt. Die Forge war eine Abkehr von den komplizierten, eierlegenden Wollmilchsau-Rollenspielen der 90er. Modernes Game Design (zum Beispiel bei der OSR) kann begriffen werden, als eine Aufarbeitung der Forge.

Schon die Aussage "Ach, das mit der Forge ist doch Kappes, ich designe mein Spiel, wie ich das für richtig halte!" ist von der Forge beeinflusst und sei es nur in die Gegenrichtung. Das kann man überall beobachten, wo Medien entstehen (und ja, Rollenspiele sind vor allem anderen erst einmal gespielte Medien, wie Videospiele auch.)

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Was mich an Rollenspieltheorie aber auch grundsätzlich stört, und da gebe ich dir womöglich sogar in der Sache ein stückweit Recht damit, ist,  die Nutzung des forgigen Spieldesigns als Bewertungskategorie, zusammengefasst in dem Satz: "Wenn es nicht nach dem forge-schen 'System Matters' durchdesignt ist, dann macht es auch weniger Spaß und ist folglich ein schlechteres Spiel." Das ist einfach faktisch falsch. Aber ich glaube, dass die Forge-Community auch ein Zusammenschluss aus ganz unterschiedlichen Meinungen zum Hobby gewesen sein dürfte. Denen eine vollkommen gemeinsame Agenda zu unterstellen, das ist schon gewagt. Wenn also jemand sagt "Ihhhh, das ist ja SIM mit 150 Fertigkeiten – design doch erstmal dein Spiel vernünftig!", dann ist das eine Einzelmeinung.

Aber, um zusammenzufassen: Wenn wir sagen "Nein, dass hatte keinen Einfluss, weil ich da für meinen Teilbereich des Spiels nichts draus mitgenommen habe", dann brechen die meisten Theorien der Welt doch zusammen, weil Theorien nunmal dazu neigen, alles erklären zu wollen, aber nicht alles erklären zu können. Ich sehe die Rollenspieltheorie der Forge und die daraus hervorgegangenen Spiele als eine Art "Nouvelle Vague" (https://de.wikipedia.org/wiki/Nouvelle_Vague) des Rollenspielhobbies an – eine Wendung vom großen "Studio-Betrieb" zu kleineren Werken mit einem entsprechenden, theoriesierenden Unterbau. Selbst wenn man nie auch nur einen einzigen "Nouvelle Vague"-Film gesehen hat, so haben sich Filmemacher doch daran abgearbeitet. Es gibt bis heute auch Filme, die dezidiert "nicht-nouvelle-vagueisch" sind, viele sogar. Trotzdem sagt niemand, die Nouvelle Vague wäre nicht einflussreich gewesen. Sie hat eben das Instrumentarium erweitert, mit dem Filme gemacht werden können. Und das mag bei der Forge auch so sein.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 19.10.2019 | 10:03
Aber ist theoretische Auseinandersetzung mit einem Thema nicht immer ein "Riesenaufwand"? Wie wollen wir denn überhaupt Aufwände im Game Design und in der Spielkultur bewerten?

Im Zweifel immer an der Zielsetzung.
Zunächst wollte die Forge typische Spielprobleme lösen und hat sich später sogar stellenweise zu der Haltung verstiegen, man könne "zwingend" spaßige Spiele entwerfen.
Letzteres hat natürlich nie funktioniert und ersteres haben andere locker aus dem Handgelenk gelöst, ohne sich über Dutzende Seiten gegenseitig vollzulabern.

Ein eindeutiges und trennscharfes Kriterium, wann man konkret die Bodenhaftung verloren hat, kann ich dir nicht nennen. Man erkennt es, wenn man es sieht und im Vergleich mit anderen erfolgreichen (oder auch mit anderen, erfolgreichen) Ansätzen erkennt man es ein gutes Stück früher.

Unten dazu gleich mehr.

Hier nur noch: Freilich denkt man auf einem Problem bisweilen viel und lange herum, um am Ende vor einem sehr einfachen Ergebnis oder gar einer Lösung zu stehen, wo man aber ohne den vorherigen Aufwand nicht angekommen wäre. Aber auch da hat es die Forge nicht so recht geschafft, ihre Arbeit zu destillieren.

Die paar Aphorismen, die als Ergebnisse der Forge-Arbeit gelten können, musste man sich zum einen mühsam aus den Texten ziehen und zum anderen kamen sie vergleichsweise früh in Diskussionen auf, die dann noch ewig weiter liefen, weil niemand das Ergebnis bewerten konnte oder wollte und den Cut gesetzt hat.

Die Forge war eine Abkehr von den komplizierten, eierlegenden Wollmilchsau-Rollenspielen der 90er. Modernes Game Design (zum Beispiel bei der OSR) kann begriffen werden, als eine Aufarbeitung der Forge.

Ich gehe mit, wenn wir sagen: Sie war eine Abkehr. Aber sie war nicht die Abkehr und dementsprechend ist auch nicht jedes Rollenspiel, das sich explizit von den Dickschiffen der 90er abgrenzt, ein Produkt der Forge.
Das gilt auch ganz entschieden für die geänderten Produktionsbedingungen und -möglichkeiten, welche die Indie-Szene erst ermöglicht haben.
 
Natürlich hat alles einen gewissen Einfluss, was irgendwie halbwegs präsent ist, aber genau deswegen (und hier ist jetzt o.g. "unten") schlage ich da öfter über die Stränge, wenn es um einen Rückblick auf die Forge geht:
Man hat dort nämlich ganz hervorragend verstanden, sich als die eine Anlaufstelle für Rollenspieltheorie zu präsentieren, an der kein Weg vorbei geht und die bis heute alles und jedes prägt.
Und das hat zumindest ein Ron Edwards sehr früh bewusst und gezielt betrieben, wenn man mich fragt.

Wenn ich bei der Reaktion darauf hier und da mal etwas unfair werde und tatsächliche Ergebnisse in Abrede stelle, liegt das daran, dass mir diese Nummer damals so massiv gegen den Strich ging und das bis heute tut, wenn einer aus dem alten Forge-Zirkel das mal wieder auspackt.

Diese Theorien gucken selten nach links oder rechts und beziehen sich kaum auf den theoretischen Unterbau der Medienwissenschaften, der Game Studies, der Psychologie oder auch nur der Videospiel-Game-Design-Theorien.
...
Um da voranzukommen ist tatsächlich noch mehr theoretische Arbeit nötig, als sich die Forge gemacht hat, denn es würde voraussetzen, dass man mitunter auch einfach eingespielte Modelle bestimmter anderer Wissenschaften anerkennt und für die Rollenspieltheorie fruchtbar macht.

Das würde ich gerade umgekehrt formulieren wollen:
Es ist doch weniger Arbeit, wenn ich feststelle, dass es schon fertige Modelle und große Erfahrungsschätze aus verwandten Disziplinen gibt und ich die mit sehr wenig Aufwand übernehmen kann.
Gerade da, wo es um andere, teils eng verwandte Spielformen geht, stellt man fest, dass die alle ohne ihre Variante der Forge ausgekommen sind und bis heute auskommen - und dass entsprechende Ansätze als das belächelt werden, was sie sind.
Speziell im Brettspielbereich gehört es zum guten Ton, einem befreundeten Designer mal gehörig auf die Bremse zu treten, wenn er sich in Dingen verrennt, die für das Spiel letztlich unbedeutend sind.
Genau das hätte die Forge öfter mal gebraucht.

Aber ich glaube, dass die Forge-Community auch ein Zusammenschluss aus ganz unterschiedlichen Meinungen zum Hobby gewesen sein dürfte. Denen eine vollkommen gemeinsame Agenda zu unterstellen, das ist schon gewagt.

Anfangs war sie das - aber wie sich das Ganze recht schnell verengt hat und zu einem selbstreferentiellen Elfenbeinturm wurde, das konnte man damals live beobachten.
Die Ergebnisse und die (Wieder-)Auffächerungen in den Meinungen kamen vor allem da, wo Leute gesagt haben: Ich habe hier alles rausgezogen, was es zu holen gibt; war schön mit euch, aber ich geh jetzt mal ein Spiel machen.

Und denen hat man dann noch nachgerufen: Wenn du Erfolg hast, denk immer dran, dass du es ohne uns nie so weit gebracht hättest. 
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 19.10.2019 | 10:19
Und denen hat man dann noch nachgerufen: Wenn du Erfolg hast, denk immer dran, dass du es ohne uns nie so weit gebracht hättest.

Du hast offensichtlich eine große emotionale Bindung zur Forge, das dir sowas auffällt.

Aber eigenlich kann man schon sagen, dass dein Hass auf die Forge dich mächtig gemacht hat, oder?

Ist einfach eine klassische dialektische Bewegung. Wenn du eine Theorie (oder Praxis) siehst, die du so richtig schlecht findest, stachelt dich das vielleicht an, es viel besser zu machen.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: felixs am 19.10.2019 | 10:30
Ich finde das geht allmählich ein wenig in Richtung missbräuchlicher Rhetorik.

Wie soll YY denn nachweisen, dass es einen Einfluss der Forge nicht gibt oder dass der völlig verworfen werden kann? Die Faktoren sind (vermutlich absichtlich) so weich, dass man sich das immer so zurechtdenken kann, dass es einen Einfluss gibt. Und wenn es keinen gibt, dann ist halt gerade das der Einfluss...

Erinnert mich an das Geeiere mit postmodernen Theoretikern.  :q
Und auch der Ärger, den ich gegenüber einigem aus der Ecke empfinde erinnert mich an den Ärger, den ich gegenüber manchen Forge-Sachen empfinde. Das bedeutet nicht, dass mich das irgendwie weitergebracht hätte (behaupte ich).

Dialektik ist das eine. Feststellung der Untauglichkeit und Verwerfen ist was anderes. Und das ist dann keine Dialektik.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: tartex am 19.10.2019 | 10:40
Ich finde das geht allmählich ein wenig in Richtung missbräuchlicher Rhetorik.

Wie soll YY denn nachweisen, dass es einen Einfluss der Forge nicht gibt oder dass der völlig verworfen werden kann? Die Faktoren sind (vermutlich absichtlich) so weich, dass man sich das immer so zurechtdenken kann, dass es einen Einfluss gibt. Und wenn es keinen gibt, dann ist halt gerade das der Einfluss...

Die Lösung ist ja simpel: wir schauen was die Designer von - sagen wir - D&D5 zum Thema gesagt haben. Und wo es personelle Verquickungen gibt.

Sehen wir uns z.B. Vincent Baker an. Und dann zu behaupten, dass ptbA nichts sinnvolles zum current state of art beigetragen hat, ist schon sehr gewagt.
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: YY am 21.10.2019 | 00:17
Zu Baker hatte ich ja schon was geschrieben: Natürlich lässt sich heute nicht sagen, wie das ohne die Forge ausgesehen hätte.
Aber dass ohne die Forge gar nichts in vergleichbarer Form von ihm gekommen wäre, halte andersrum ich für gewagt.

Gerade für eine bestimmte Generation Designer und Theoretiker kommt gefühlt vieles aus der Forge, einfach weil sie dort zum ersten Mal mit dem ganzen Krempel in Berührung gekommen sind. Aber wenn man ein bisschen weiter zurück schaut, stellt man fest, dass dort fast nichts "erfunden" wurde und sortiert oder gar abschließend aufbereitet wurde das Meiste schlecht.

Ein Teil der damals erstarkenden Indie-Szene kam aus der Forge, aber genau so gab es vorher schon genug und anderes hat sich weitgehend bis völlig unabhängig davon entwickelt.
Da war vieles auch einfach zeitliche Koinzidenz.

Die Lösung ist ja simpel: wir schauen was die Designer von - sagen wir - D&D5 zum Thema gesagt haben.

Gibt es da was Konkretes?
Titel: Re: Behindert die Masse an Rollenspielsystemen unsere Kreativität?
Beitrag von: Alexandro am 21.10.2019 | 02:07
Ebensogut könnte man behaupten, die "Castles&Crusades Society" hätte keinen Einfluss auf die Entwicklung von D&D gehabt, weil Gary das ja nicht dort erfunden hat und die ganzen Ideen die dort ausgetauscht wurden nicht in publizierte Spiele gemündet sind.

Das ist natürlich Unsinn, ebenso wie die Behauptung von YY. Nicht alle von den PDFs der Spieler, die damals auf der Forge ausgetauscht wurden sind heute noch verfügbar (teilweise hilft die Wayback Machine, aber eben nicht überall), aber bei den verfügbaren kann man teilweise noch sehr gut sehen, welche Spiele durch sie beeinflusst wurden.