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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: ArneBab am 17.06.2020 | 21:49

Titel: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 17.06.2020 | 21:49
Aus https://www.tanelorn.net/index.php/topic,115432.msg134885962.html#msg134885962 hierher geholt, weil ich dazu Ansätze suche.

Kennt ihr gute Methoden zur Modellierung von psychologischen Zuständen?
Methoden, die in Regeln genutzt plausible Ergebnisse bringen und klare Unterschiede zwischen Charakteren darstellen können? Mit denen es greifbar wird, warum ein Char bei seinen Prinzipien bleibt und der andere sie bricht? Die im Spiel funktionieren und gleichzeitig Entscheidungsspielraum für die Spielerinnen und Spieler lassen?

Ich versuche aktuell erstmal über Grundantriebe ohne eigene Regeln einen winzigen Schritt vorwärts vorwärts zu gehen, um etwas zu finden, auf dem ich aufbauen kann. Ich hätte dazu aber gerne mehr.

Ich kann beschreiben, welche Auswirkungen ein Sprung aus 4m Höhe auf Asphalt hat, und habe dafür auch viele Vorbilder aus den verschiedensten Genres (von Anime "das war doch ein normaler Schritt" bis hin zu Krankenhausserien "Knöchel gesplittert, braucht eine 8-Stunden-OP").

Viel schwerer fällt es mir zu beschreiben, welche Auswirkungen eine Beleidigung hat — vielleicht noch unterschiedlich, je nachdem, wer zuschaut — oder wie sehr unfaire Kritik eines anderen SCs die Leistungsfähigkeit einbrechen lässt. Dafür fehlen mir auch die Vorbilder. Ich habe mich, und ich bin schon nicht konsistent. Wie reagieren andere? Welche Handlungsmuster sind plausibel? Wie kann ich die Unterschiede zwischen Leuten konkret festhalten — also in Worten und Werten auf dem Charakterblatt? Wie beeinflusst das wieder Proben?

In Filmen ist Stärke oft ähnlich übertrieben wie Prinzipientreue. Im Rollenspiel haben wir das für Stärke aufgebrochen, für Prinzipientreue nicht. Stärke lässt sich halt leicht in Zahlen fassen: Du kannst so und so viel heben. Konstitution ist einfach: Du kannst so und so lange laufen und bekommst erst ab so und so viel Schaden eine Wunde. Für Geschicklichkeit, Fingerfertigkeit, usw. haben wir viele Vorbilder, z.B. Ballett, Handarbeiten und Zeichnen.

Was haben wir für Prinzipientreue?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 17.06.2020 | 22:42
Was haben wir für Prinzipientreue?

Da kann ich doch genau so gut Zahlen drankleben wie an Stärke oder Konstitution.


Z.B. Pendragon arbeitet da mit Begriffspaaren wie etwa "Jähzornig - Geduldig", die zusammen immer 20 ergeben. Steigt das eine, fällt das andere.
In entsprechenden Situationen wird auf Wunsch des Spielers eine Art Rettungswurf abgelegt, ob sich der Charakter entsprechend verhält; ab einem Wert von 16 muss man würfeln.

Das Knifflige daran ist eigentlich nur, die passenden Begriffspaare für das jeweilige Spiel zu bilden.
Pendragon will arthurianische Ritter darstellen und orientiert sich deswegen an ritterlichen und christlichen Tugenden.
Wenn es um etwas anderes gehen soll, braucht es recht sicher auch andere Begriffe.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Alexandro am 17.06.2020 | 23:01
Die meisten Systeme modellieren doch Schaden gar nicht so genau. Ein Sturz aus 4m Höhe auf Asphalt kann in der Realität alles bedeuten, vom verstauchten Knöchel bis zum Schädelbasisbruch. Je nachdem, wie man halt fällt.

Deswegen, weil man das nicht so genau modellieren kann, abstrahieren selbst detailliertere Systeme da gerne mal und sagen "Die Würfel sagen, du hast diese-und-jene Verletzung, da können wir uns ungefähr denken, was die ausgelöst hat...".

Genauso könnte man es bei psychologischen Zuständen machen: die Regeln sagen dir "Dein Charakter ist jetzt wütend" und er ist das in einem bestimmten (numerischen) Maße - inwieweit dass dich abgesehen davon beeinträchtigt, liegt bei dir.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 17.06.2020 | 23:45
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift. Schön, das tut man streng genommen mit Verletzungen ebenfalls -- aber bei denen sind wir als reale Menschen schon eher darauf konditioniert, sie als etwas wahrzunehmen, was man sich normalerweise nicht selbst aussucht. Bei den Dingen, die sich rein in unseren Köpfen abspielen, haben wir dagegen meist allermindestens die liebgewonnene Illusion von freiem Willen und allem, was daraus folgt, so daß da von Spielerseite her (bzw. auch schon mal von SL-Seite, wenn's um NSC geht) natürlich schon allein deswegen schneller und öfter Widerworte kommen...
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 19.06.2020 | 11:29
Z.B. Pendragon arbeitet da mit Begriffspaaren wie etwa "Jähzornig - Geduldig", die zusammen immer 20 ergeben. Steigt das eine, fällt das andere.
In entsprechenden Situationen wird auf Wunsch des Spielers eine Art Rettungswurf abgelegt, ob sich der Charakter entsprechend verhält; ab einem Wert von 16 muss man würfeln.
Wird damit auch abgedeckt, dass man oft eine Wahl hat, wie man sich entscheiden will, aber die Entscheidung gegen den Antrieb Konsequenzen hat?

Du kannst dich entscheiden, auf deine große Liebe zu versetzen, aber du wirst über längere Zeit unglücklich sein. Du kannst dem Jähzorn widerstehen, dann aber vielleicht Stundenlang nicht klar denken.
Und es ist zumindest in Realität massiv von der Situation abhängig. Ich kann sehr lange geduldig sein, außer jemand geht meine Kinde an.
Zitat
Das Knifflige daran ist eigentlich nur, die passenden Begriffspaare für das jeweilige Spiel zu bilden.
Pendragon will arthurianische Ritter darstellen und orientiert sich deswegen an ritterlichen und christlichen Tugenden.
Wenn es um etwas anderes gehen soll, braucht es recht sicher auch andere Begriffe.
Das ist dann für spezifische Szenarien. Ich versuche etwas zu finden, das für alle Charaktere funktioniert.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 19.06.2020 | 11:40
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift. Schön, das tut man streng genommen mit Verletzungen ebenfalls -- aber bei denen sind wir als reale Menschen schon eher darauf konditioniert, sie als etwas wahrzunehmen, was man sich normalerweise nicht selbst aussucht. Bei den Dingen, die sich rein in unseren Köpfen abspielen, haben wir dagegen meist allermindestens die liebgewonnene Illusion von freiem Willen und allem, was daraus folgt, so daß da von Spielerseite her (bzw. auch schon mal von SL-Seite, wenn's um NSC geht) natürlich schon allein deswegen schneller und öfter Widerworte kommen...
Ich gehe davon aus, dass diese Illusion etwas ist, das sich durch gute Regeln regeln ließe. Auch ohne komplett die Kontrolle zu verlieren — ich will immernoch, dass Spielerinnen und Spieler entscheiden, wie die SCs entscheiden, aber mit Randbedingungen und Konsequenzen.

Bei Stärke hatten wirja auch den Effekt: In Filmen ist Stärke absolut und ein Plotwerkzeug. In Rollenspielen haben wir einen Wert und akzeptieren, dass wir halt nicht einfach alles hochheben können, nur weil auf dem Charakterblatt "„Strak“ steht.

Und Probleme gibt es. Beim Feilschen funktioniert es noch („das kostet jetzt mehr“), beim Überzeugt-werden funktioniert es nur noch bei SCs gut, die z.B. „naiv“ als Nachteil haben, aber wir haben kaum etwas, mit dem wir festhalten können, von was ein SC überzeugt werden kann, und von was nicht.

Zum Beispiel wäre es sehr schwer, mich davon zu überzeugen, dass Trump gut und Gott real ist. Mich davon zu überzeugen, dass Habeck ein korruptes U-Boot ist, wäre mit ein paar gezielten Lügen viel leichter. Nur wie bildet man sowas regeltechnisch ab?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 19.06.2020 | 11:45
Die meisten Systeme modellieren doch Schaden gar nicht so genau. Ein Sturz aus 4m Höhe auf Asphalt kann in der Realität alles bedeuten, vom verstauchten Knöchel bis zum Schädelbasisbruch. Je nachdem, wie man halt fällt.
Die Systeme reduzieren üblicherweise die Streubreite, bzw. versuchen sie mit würfeln zu modellieren, und der Patzer ist halt der Schädelbasisbruch.

Dadurch geben sie allerdings verlässlichkeit: Innerhalb der Fiktion kann ich einschätzen, was eine bestimmte Handlung an körperlichen Folgen nach sich ziehen kann. Psychische Folgen finde ich da viel schwerer.
Zitat
Genauso könnte man es bei psychologischen Zuständen machen: die Regeln sagen dir "Dein Charakter ist jetzt wütend" und er ist das in einem bestimmten (numerischen) Maße - inwieweit dass dich abgesehen davon beeinträchtigt, liegt bei dir.
Mechanical dream hat das versucht, indem es alle körperlichen Eigenschaften nochmal für die Psyche gibt. Das bewirkt, dass sowas wie Schrecken sich viel realer anfühlt, hat aber nur Schaden abgedeckt, aber keine komplexeren Zustände. Eigentlich gab es dafür sogar Systeme, mit Machinations of the Mind o.ä., mit Triggern und Panzerung der Psyche, aber das haben wir nie wirklich eingebunden bekommen.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Maarzan am 19.06.2020 | 12:10
Ich schätze das muss man auf mehrere Ebenen herunterbrechen. Erst einmal völlig laienhaft und weitgehend unsortiert sammelnd:

Ethikwerte: Jede Person hat Werte  im Sinne von sozialen Verhaltensleitlinien - , welche ihr initial von der Umwelt vermittelt worden sind, insbesondere als Erziehung.
In der Praxis wird sich das noch für jeden dieser Ethikwerte aufteilen in den Wert, welchen die Person dann persönlich für richtig hält, den sie selbst zu erreichen glaubt und dem Wert, den jemand dann von außen gefordert sieht.
Werteforderungen sind typischerweise auch Teil von Rollenbeschreibungen.

Ängste/Mängel/Wünsche: Ängste sind Befürchtungen möglicherweise kommender nachteilige Zustände, Mängel sind bereist vorliegend und Wünsche sidn Verbesserungsabsichten für die Zukunft - wobei die jeweiligen angenommenen Chancen und Risiken da noch einmal deutlich mit reinspielen.

Ein Teil dieser Werte befasst sich mit sozial bei Fehlen oft disruptiver "Triebkontrolle" im weitesten Sinne: Lust, Gier, Zorn, ... .

Für Gruppen ist dies das Wertetripplet des Wertes, den sie nominell vertritt, der Wert, den sie typischerweise lebt und der Wert, ab dem sie beginnt Sanktionen zu initiieren.

Rollen: Jede Person nimmt diverse Rollen ein. Zu solchen Rollen gehören Kompetenz und Verhaltensansprüche, welche jemand dann wiederum unterteilt in "selbst angestrebt", "gefordert", "aktueller Stand".
 
Individualkontakte: Die Bezüge zu Einzelpersonen

Gruppenbezüge: Die Bezüge zu größeren Gruppen. Hier kommt dann noch hinzu, in wie weit man dann näher oder ferner dazu gehört. Gruppen haben wiederum wie Rollen Verhaltensansprüche und ggf. auch Kompetenzansprüche sowie manchmal auch weitere Zugehröigkeits und Rangfolgekriterien.

Soziales Gewicht sowie ggf. Rang und Amt beschreiben, in wie weit eine Gruppe den Eingaben eines Individuums folgt.
Soziales gewicht ist dann wiederum von der Passgenauigkeit zu den jeweiligen eingenommenen Rollen abhängig.


Soziale Energien:
Selbstvertrauen ist rollenabhängig und hängt von dem wahrgenommenen Verhältnis Anforderung zu eigener Leistung ab.

Stress wird durch Herausforderungen an die Rollenkompetenz ausgelöst. Stress unterhalb der eigenen Erwartungen oder bei guten Gewinnchancen gegenüber vernachlässigbarem Risiko erzeugen positiven Stress, alles darüber dann negativen Stress.

Frust wird durch Diskrepanzen zwischen Soll- und Istwerten bezüglich idealen und aktuellen Zuständen erzeugt.

Emotionale Energie ist dann das, was einem an Motivation und Einsatzwille zur Verfügung steht.

Relevanz: Teil der Werte und Rollenbetrachtung ist noch die relative Wichtigkeit für die Person. Wem eine Rolle oder Beziehung nicht so wichtig ist, schert sich weniger, wenn er in dieser Rolle schlecht ist. Die Rangfolge von Rollen ist wiederum eine oft gesellschaftliche Setzung wie die Ethikwerte oben.


Wie wird nun sozial interagiert? -> Man manipuliert die Wahrnehmung/Meinung der Zielperson zu entsprechenden Werten und Kompetenzen, vorzugsweise unter Nutzung von bestehenden anderen Werten oder aber auch durch den Bezug auf bestehenden passenden Frust und/oder Stress. (Oder man erzeugt solchen erst, oft unter diskreter und geschickter Nutzung von passenden Ängsten, Mängeln oder Wünschen.
Bisherige gegenläufige Werte wirken hier erst einmal als Widerstand und die Kunst ist oft diese Gegenläufigkeit klein zu reden. 
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 19.06.2020 | 15:04
Interessant wäre vielleicht wirklich, erst mal zusammenzutragen, was es da bereits gibt. Ich meine, in gewisser Hinsicht ist die Abhandlung von "psychologischen Zuständen" im Rollenspiel ja mindestens so alt wie Call of Cthulhu, wo's dann halt nur um eine recht spezielle Kategorie von solchen Zuständen geht... ;)

Und natürlich haben viele Systeme da draußen zumindest in irgendeiner am konkreten Spieltisch meist vernachlässigten Regelecke doch so etwas wie einen Willenskraft- oder Selbstbeherrschungswert versteckt, der im Prinzip angeben soll, wie gut sich der betreffende Charakter zumindest ganz allgemein unter Kontrolle hat. Das mag nun nur so ziemlich das absolute Minimum dessen sein, was man erwarten sollte, ist aber immerhin noch besser als überhaupt nichts -- man hat wenigstens etwas, das man konsultieren und grundsätzlich auch zu Würfelzwecken heranziehen kann.

Also -- was gibt's noch so? :)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Maarzan am 19.06.2020 | 15:09
Die andere Herangehensweise wäre dann zu schauen, welche Fragen/Situationen man da überhaupt verregeln möchte.
Das Feld ist da ja doch eher breit von "Verführen" über "Kampfmoral" zu "Wahnsinn kraft unirdischer Erfahrungen"
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 19.06.2020 | 16:12
Interessant wäre vielleicht wirklich, erst mal zusammenzutragen, was es da bereits gibt. Ich meine, in gewisser Hinsicht ist die Abhandlung von "psychologischen Zuständen" im Rollenspiel ja mindestens so alt wie Call of Cthulhu, wo's dann halt nur um eine recht spezielle Kategorie von solchen Zuständen geht... ;)

Und natürlich haben viele Systeme da draußen zumindest in irgendeiner am konkreten Spieltisch meist vernachlässigten Regelecke doch so etwas wie einen Willenskraft- oder Selbstbeherrschungswert versteckt, der im Prinzip angeben soll, wie gut sich der betreffende Charakter zumindest ganz allgemein unter Kontrolle hat. Das mag nun nur so ziemlich das absolute Minimum dessen sein, was man erwarten sollte, ist aber immerhin noch besser als überhaupt nichts -- man hat wenigstens etwas, das man konsultieren und grundsätzlich auch zu Würfelzwecken heranziehen kann.

Also -- was gibt's noch so? :)

Das ist mir auch als erstes in den Sinn gekommen. Immerhin gibt es einige Rollenspiele, die entsprechende Werte vorsehen:
Bei Arcane Codex hat jeder Charakter einen Geistigen Widerstand, bei Earthdawn gibt es die Soziale Widerstandskraft, bei ERPS Geistige Stabilität, viele Rollenspiele haben ein Attribut wie Willenskraft, D&D hat Rettungwürfe auf Weisheit (obwohl Weisheit kein Attribut sondern ein Konglomerat aus Fertigkeiten ist, aber das ist ein anderes Thema).

Ein Problem sehe ich darin, dass konsequent verregelte "mentale" Angriffe die Entscheidungsfreiheit des Charakters einschränken (müssen), womit viele Spieler aus psychologisch nachvollziehbaren Gründen (Frustration des Grundbedürfnisses nach Kontrolle) Schwierigkeiten haben. Also etwa, wenn eine Mechanik wie Überreden oder Verführen nicht nur gegen NPCs funktioniert.
Interessant finde ich hier Arcane Codex (3), das einige Persönlichkeitseigenschaften als Nachteile hat, die in mehr oder minder genau definierten Trigger-Situationen Willenskraftproben erfordern. Falls der Spieler scheitert, muss er dann entsprechend handeln (z.B. als blutdürstiger Charakter den Feind töten, statt ihn, wie oft klüger, zu Befragung am Leben zu lassen).

Als Fachmann für menschliches Erleben & Verhalten (bin von Beruf Psychologischer Psychotherapeut) finde ich übrigens besonders interessant, was passiert, wenn zwei oder mehr Ziele einer Person in Konflikt miteinander geraten (Stichwort "Ambivalenz"). Z.B. der Wert "Loyalität" und der Wunsch nach neuen Erfahrungen, wenn ich in einer festen Beziehung bin und sich mir Gelegenheit zum Seitensprung bietet (der Klassiker sozusagen ;)). Oder der Wunsch, einen als langweilig und sinnlos erlebten Beruf zu verlassen versus dem Ziel finanzielle Sicherheit.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Maarzan am 19.06.2020 | 16:33
Das Problem bei den bestehenden Regelungen sehe ich darin, dass sie oft das Äquivalent zu "Peng du bist tot sind", bzw. auch Situationen, welche nicht offen konfrontativ sind wie einen Zweikampf modellieren und damit so grundlegende Konzepte wie Kompromissvorschläge nicht kennen. Dazu kommt, dass mangels Ver"wertung" eben diese für den Spieler die Figur definierenden Umstände üblicherweise völlig ignoriert werden und somit nach einem irgendwoher geholten Wurf WTF-Situationen auslösen.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: fivebucks am 19.06.2020 | 16:43
In Wraith gibt es die dunke Seite des SC als eigenen Charakter mit der Ressource Angst.

In Exalted kann man den Wert Willpower angreifen. Ebenfalls eine Ressource mit welcher man z. B auch Würfe verbessern kann.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 19.06.2020 | 18:21
Wird damit auch abgedeckt, dass man oft eine Wahl hat, wie man sich entscheiden will, aber die Entscheidung gegen den Antrieb Konsequenzen hat?

Nein, da wird nur die Entscheidung modelliert/unterstützt, aber einen fortdauerenden inneren Konflikt nach bzw. emotionale Konsequenzen der Entscheidung sind nicht abgedeckt.

Und es ist zumindest in Realität massiv von der Situation abhängig.

Dafür gibt es im Zweifelsfall Modifikatoren.

Das ist dann für spezifische Szenarien. Ich versuche etwas zu finden, das für alle Charaktere funktioniert.

Wie bei anderen Regelkonstrukten wird es dann eher grobkörnig oder umfassend mit dem Schönheitsfehler, dass man oft große Teile davon nicht braucht.

Dadurch geben sie allerdings verlässlichkeit: Innerhalb der Fiktion kann ich einschätzen, was eine bestimmte Handlung an körperlichen Folgen nach sich ziehen kann. Psychische Folgen finde ich da viel schwerer.

Wenn man den Blick vom Gesamtthema nimmt und sich konkrete Situationen anschaut, finde ich das eher einfacher.

Das ist ja nicht unüberschaubar komplex, sondern nur unsicherer im Ergebnis als das, was man sonst im Alltag so gewöhnt ist.



Ein Problem sehe ich darin, dass konsequent verregelte "mentale" Angriffe die Entscheidungsfreiheit des Charakters einschränken (müssen), womit viele Spieler aus psychologisch nachvollziehbaren Gründen (Frustration des Grundbedürfnisses nach Kontrolle) Schwierigkeiten haben. Also etwa, wenn eine Mechanik wie Überreden oder Verführen nicht nur gegen NPCs funktioniert.

Da vertut sich eben auch so manches System in den Auswirkungen.
Solange das nachvollziehbar bleibt und Spielräume in der Umsetzung lässt, haben Spieler meiner Erfahrung nach keine übermäßig großen Probleme damit.
Aber das ist dann eben auch was anderes wie "Der hat Überreden 25, du musst jetzt alle deine Freunde verraten und dein ganzes Leben im Klo runterspülen"  ;)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 19.06.2020 | 18:37
Da vertut sich eben auch so manches System in den Auswirkungen.
Solange das nachvollziehbar bleibt und Spielräume in der Umsetzung lässt, haben Spieler meiner Erfahrung nach keine übermäßig großen Probleme damit.
Aber das ist dann eben auch was anderes wie "Der hat Überreden 25, du musst jetzt alle deine Freunde verraten und dein ganzes Leben im Klo runterspülen"  ;)

Guter Punkt und genau weil das Ergebnis sozialer Interaktionen - anders als bei körperlichen Herausforderungen - nicht nur von der Situation (hohe vs. niedrige Wand, schneller vs. langsamer Gegner oder sozial: Gegenüber in Eile vs. entspannt) sondern auch von der Persönlichkeit des Interaktionspartners abhängt (die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt), sehe ich keine Lösung, die soziale Interaktionen ähnlich eindeutig verregelt, ohne eine gegen unendlich gehende Kompliziertheit zu produzieren.
 
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 19.06.2020 | 18:52
Guter Punkt und genau weil das Ergebnis sozialer Interaktionen - anders als bei körperlichen Herausforderungen - nicht nur von der Situation (hohe vs. niedrige Wand, schneller vs. langsamer Gegner oder sozial: Gegenüber in Eile vs. entspannt) sondern auch von der Persönlichkeit des Interaktionspartners abhängt (die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem einzelen Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt), sehe ich keine Lösung, die soziale Interaktionen ähnlich eindeutig verregelt, ohne eine gegen unendlich gehende Kompliziertheit zu produzieren.

Na ja -- daß soziale Interaktion zumindest unter Leuten ohne relevante Superkräfte keine Instant-Gehirnwäsche ist, sollte ein anständiges Regelsystem eigentlich schon irgendwie abbilden können, auch ungeachtet der Tatsache, daß sich da längst nicht alle existierenden Systeme unbedingt mit Ruhm bekleckert haben. Oder irre ich mich und sollte selbst dieses bißchen Anspruch aufgeben? >;D
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: BBB am 19.06.2020 | 18:52
sehr spannend.
erstmal ein Abo, später hoffentlich mehr
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 19.06.2020 | 20:10
(die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt)

Das sehe ich anders.
Natürlich kommt es auch bei körperlichen Sachen drauf an, wer (d.h. mit welchen Fähigkeiten und Eigenschaften) da was versucht und da pressen wir auch enorm komplexe Sachverhalte in einige wenige Werte oder gar nur eine einzige Zahl.
Wenn wir mit dem selben "Kompressionsfaktor" an psychologische/mentale Situationsbetrachtungen gingen, würde ich eher vermuten, dass wir bei Systemen wie Pathfinder, GURPS oder DSA4/5 an den Punkt kommen, wo wir alles auf der entsprechenden Zoomstufe sinnvoll abgebildet haben und trotzdem noch lange nicht so viel Regelaufwand betrieben haben, wie er dort für den Kampf zu finden ist. 
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: OldSam am 19.06.2020 | 22:55
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift.

Ja, das ist sogar ein sehr wichtiger Grund - ich habe z. B. auch schon einiges darüber gelesen, warum solche Ansätze dann letztlich verworfen wurden, wenn es um soziale Konfliktregeln geht, welche die Spielercharaktere betreffen, weil eben der starke Eingriff in die Spielerfreiheit ein äußerst problematischer, sehr herausfordernder Schritt ist. Das kann letztlich selbst schon so etwas vergleichsweise simples sein wie der bekannte "Verführen"-Skill - kann ich z. B. den SC einfach dazu zwingen zu entscheiden, dass der NSC ihn/sie jetzt verführt hat...? ("Du bist angetörnt, kannst nicht mehr klar denken und folgst ihr benebelt in das Nebenzimmer...") - Sehr schwierig sowas und erfordert sicherlich auch viel Metadiskussion vorher...

Aber vom Grundsatz her finde ich das Thema aber eigentlich sehr spannend und mit den richtigen Spielern, die offen für sowas sind (also Kontrolle / Freiheit abzugeben in gewissem Rahmen) und im passenden Spielkontext kann das bestimmt echt cool sein.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 20.06.2020 | 09:48
Das sehe ich anders.
Natürlich kommt es auch bei körperlichen Sachen drauf an, wer (d.h. mit welchen Fähigkeiten und Eigenschaften) da was versucht und da pressen wir auch enorm komplexe Sachverhalte in einige wenige Werte oder gar nur eine einzige Zahl.
Wenn wir mit dem selben "Kompressionsfaktor" an psychologische/mentale Situationsbetrachtungen gingen, würde ich eher vermuten, dass wir bei Systemen wie Pathfinder, GURPS oder DSA4/5 an den Punkt kommen, wo wir alles auf der entsprechenden Zoomstufe sinnvoll abgebildet haben und trotzdem noch lange nicht so viel Regelaufwand betrieben haben, wie er dort für den Kampf zu finden ist.

Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 20.06.2020 | 10:08
Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Daß Kampfsysteme traditionell zu Übergewicht neigen, ist mMn einfach der Herkunft des Hobbys aus dem Wargaming-Bereich geschuldet -- die Kampfregeln waren gewissermaßen, gerade in den kritischen Entwicklungstagen von Uropa und frühem Vorbild D&D, zuerst da und alles "Rollenspielerische" kam erst später.

Insofern würde ich mir persönlich tatsächlich mindestens dreimal überlegen, ob ich zur Handhabung psychologischer Effekte wirklich so was wie eine komplette Kunsthirnsimulation in Regeln gießen will oder ob's mit ein paar groben Richtlinien, Improvisation, und ggf. etwas Verhandlung auf Tischebene nicht auch schon getan ist...aber ich mag eben auch meine Kampfregeln etwas leichter, also ist das vermutlich eine Sache des persönlichen Geschmacks. :)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Maarzan am 20.06.2020 | 10:34
Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Die Kampfsysteme sind zu einem guten Teil auch daher zu komplex, weil sie den Beteiligten sowohl eine Vorstellung geben wollen, wie das Ergebnis zu Stande gekomemn ist und auf dem Weg dahin Einflussmöglcihkeiten geben will.
Dies führt dann tendenziell zu Transparenz, Beteiligung und folgend Akzeptanz.

Das Würfel mal mit unklaren, willkürlich erscheinenden Parametern oder gar "nackt" auf Betören ist genau das Gegenteil.

Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 20.06.2020 | 11:32
Daß Kampfsysteme traditionell zu Übergewicht neigen, ist mMn einfach der Herkunft des Hobbys aus dem Wargaming-Bereich geschuldet

Das hätte sich allerdings nicht über 40 Jahre gehalten, wenn es keine strukturellen Anreize gäbe, es beizubehalten bzw. wieder so zu machen (und auch einige alte konventionelle Rollenspiele kommen ja bestenfalls sekundär aus der Wargaming-Ecke wie z.B. Advanced Fighting Fantasy).

Ich sehe da drei Aspekte:

- Ein Gefühl von Legitimation für das Ergebnis erzeugen.
Wenn wir bei psychologischen Aspekten sagen "Aber beim Kampf akzeptieren wir ja auch Eingriffe in unsere Entscheidungsfreiheit", dann wird gerne übersehen, dass das großteils passiert, weil es dafür im Vorfeld bekannte und akzeptierte Regeln gibt.

- Einflussmöglichkeiten schaffen (siehe Maarzan).
Das hängt mit dem ersten Punkt zusammen, geht aber stellenweise darüber hinaus. Und eine zeitliche und spielmechanische Streckung des Ablaufs erlaubt es auch, vorhergehende Entscheidungen bzw. deren Konsequenzen zumindest zu relativieren.

- Unterhaltung.
Viele Spieler haben da schlicht Spaß dran, sei das nun wegen dem, was mit den Regeln dargestellt wird oder am "Minispiel Kampf" selbst. 


In den meisten Spielen, wo Kampf keinen unverhältnismäßigen Anteil am Regelwerk hat, wird einfach vorausgesetzt, dass für die Zielgruppe Punkt 3 wegfällt. Und in dem Moment hat man schon viel weniger Bedarf für die anderen beiden Punkte und kann das z.B. auch erreichen, indem vor einem einzelnen Wurf vergleichsweise lang über Einflüsse und Konsequenzen gesprochen wird. Trotzdem ist das eine Stelle, wo es in sehr regelleichten Spielen öfter mal genau deswegen Knatsch gibt mit dem Ergebnis, dass man Kämpfe dort weitestgehend vermeidet oder quasi mit angezogener Handbremse gestaltet.


Daher:
Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Es gibt zwei Richtungen von Zusatznutzen.

Schaffen mehr Regeln mehr Akzeptanz, Engagement, Einflussmöglichkeiten, Ergebnisbreite?
Da ist relativ früh der Punkt erreicht, an dem das nicht mehr der Fall ist.

Haben die Spieler Spaß an mehr Regeln (=mehr "Futter" für die Beschäftigung damit sowohl am Tisch als auch zwischen den Sitzungen)?
Da tritt eine "Sättigung" wesentlich später ein und es ist nur durch die praktische Anwendbarkeit des Regelwerks begrenzt - und selbst da sind viele Gruppen bereit, über den praxistauglichen Umfang hinaus zu gehen und den Aufwand zu treiben, das für sie Interessante rauszupicken.


Analog gilt das dann für die Psychologie.
Dass eine Gruppe (beruflich nicht frustrierter ;D) Psychologen wohl nicht nur kein Problem mit, sondern Spaß an mehreren Dutzend Seiten Regeln in der Richtung hätte, ist ja allemal nachvollziehbar. Nötig oder für die breite Masse "sinnvoll" (d.h. verhältnismäßig) ist aber wesentlich weniger.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 20.06.2020 | 11:47
Das hätte sich allerdings nicht über 40 Jahre gehalten, wenn es keine strukturellen Anreize gäbe, es beizubehalten bzw. wieder so zu machen [...]

Mag sein. Tatsächlich fällt bei mir der angesprochene Punkt 3 zumindest teilweise weg, weil ich mich für Kämpfe an sich im Rollenspiel nur bis zu einem gewissen Punkt interessiere -- reine "Kampfspiele", sogar völlig ohne überflüssigen Rollenspielballast, kann ich schließlich auch anderweitig reichlich finden, da muß also nicht auch noch dieses Hobby zu einem mutieren beziehungsweise sollte es sogar ausdrücklich nicht. :)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 20.06.2020 | 12:44
Um mal den Bogen zum eigentlichen Fadenthema zurückzuschlagen: ich denke, rein von der Spielerakzeptanz her mögen Sozial- und Psychologieregeln am besten ankommen, die einerseits Charakterverhalten nicht komplett einseitig zu diktieren versuchen (so etwas wie "Ich habe fünf Minuten mit dem netten Priester geflirtet und eine natürliche 20 auf Verführen gewürfelt -- Zölibat oder nicht, der muß jetzt mit mir ins Bett!" würde also schon an diesem Kriterium scheitern), andererseits aber sich und die Investition in relevante Charakterattribute und -fähigkeiten auch nicht gleich wieder durch die Möglichkeit zum beliebigen Ignorieren komplett entwerten ("Der Priester ist jetzt zutiefst empört und beleidigt und will mit dir nichts mehr zu tun haben!" als Antwort auf obiges "Verführungsszenario" etwa würde hier durchs Raster fallen -- egal, ob Bettgymnastik nun überhaupt je eine Option war oder nicht, ein kritischer Erfolg verwandelt sich nicht einfach "nur mal so" kaltschnäuzig in einen de-Fakto-Patzer.)

Immer vorausgesetzt, die Spieler (SL eingeschlossen) können den nötigen psychologischen Zustand aufrechterhalten, in dem sie sich noch der Tatsache bewußt sind, daß der Sinn des Spiels ja nicht darin besteht, sich gegenseitig am Tisch zu "besiegen", sondern in der gemeinsamen Vorstellung etwas Interessantes geschehen zu lassen und zu erleben...dann sollte sich, hoffe ich zumindest, doch eigentlich noch jedes Mal ein Ergebnis finden lassen, das zwischen den überspitzten Extremen liegt und mit dem alle Beteiligten einigermaßen leben und idealerweise sogar Spaß haben können, weil es für sie zumindest einigermaßen überzeugend klingt.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 20.06.2020 | 13:36
@YY Kann ich alles unterschreiben.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kampf und sozialen Interaktionen liegt wohl auch darin, dass fast niemand im realen Kampf Erfahrung hat (und schon gar nicht auf Leben und Tod) aber jeder viel Erfahrung in sozialen Interaktionen. Auf Basis dieser (geteilten) Erfahrung ist es dann relativ leicht, sich ohne detaillierte Verreglung einig zu werden, was soziale Fertigkeiten im RPG bewirken. Aber wie nobody@home bereits angemerkt hat, führt das von ArneBabs Thema weg.

@ArneBab
Die "Moral Foundations Theory" ist vielleicht interessant für dich. Demnach lassen sich die moralischen Werthaltungen von Menschen auf fünf Faktoren reduzieren:
Nichtschädigung (nicht stehlen, nicht verletzten, nicht betrügen...)
Reziprozität ("eine Hand wäscht die andere"/"Tit for Tat")
Loyalität (zu Bezugsgruppen)
Respekt (Stichwort Hierarchie)
Reinheit (hier gehört z.B. Sexualmoral rein)

Theoretisch könnte man also Spielfiguren einen Prinzipientreue-Wert (z.B. auf einer Skala 1-10) für jede dieser Kategorien zuordnen und damit abbilden, wie stark sich die Spielfigur dieser Art Prinzipen verpflichtet fühlt.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: Maarzan am 20.06.2020 | 13:52
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kampf und sozialen Interaktionen liegt wohl auch darin, dass fast niemand im realen Kampf Erfahrung hat (und schon gar nicht auf Leben und Tod) aber jeder viel Erfahrung in sozialen Interaktionen. Auf Basis dieser (geteilten) Erfahrung ist es dann relativ leicht, sich ohne detaillierte Verreglung einig zu werden, was soziale Fertigkeiten im RPG bewirken. Aber wie nobody@home bereits angemerkt hat, führt das von ArneBabs Thema weg.

Ich denke es ist da genau gegenteilig. Die allermeisten wissen, dass ihre "Kampferfahrung" eher lückenhaft ist. Bei sozialer Interaktion haben die Leute aber deutlcih mehr Alltagserlebnisse und nehmen damit Expertise in Anspruch. Dazu greift selbst  eine mittelmäßig relevante Beeinflussung auch mehr am "Markenkern" an als jetzt ein paar hitpoints oder ein gebrochener Arm. Entsprechend härter und genauer wird hingesehen.
Die Erfahrungen und folgenden "Realweltregelvorstellungen" der Leute sind aber gerade nicht gleich und werden dann effektiv NICHT geteilt außer in dem Maße, dass dieselben bsi ähnliche Themen im Erfahrungsschatz vertreten sind und damit ist der Ärger noch mehr vorprogrammiert als beim Kampf, wenn das nicht füer alle reproduzierbar per Regeln geklärt ist.
"Gesunder Menschenverstand" ist letztlich nur ein anderer Ausdruck für "meiner Meinung nach". Und damit greifen wir in sozialen Dingen oft genug nun auch den "Markenkern" der realen Person an, welche ihr Bild von realer sozialer Interaktion und folgend dann der Binnenbeurteilung ihrer eigenen Person hat.
Entsprechend ist hier mit noch viel vehementeren und persönlich motivierten Auseinandersetzungen zu rechnen, wenn das dann am Spieltisch "spontan ausdiskutiert" werden soll.

Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 20.06.2020 | 15:19
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kampf und sozialen Interaktionen liegt wohl auch darin, dass fast niemand im realen Kampf Erfahrung hat (und schon gar nicht auf Leben und Tod) aber jeder viel Erfahrung in sozialen Interaktionen.

Für beides: Ja, aber...

Man selbst mag vielleicht keine Kampferfahrung haben, aber "als Menschheit"™ haben wir einen enormen Erfahrungsschatz. Da ist eher die Herausforderung, das zu bewerten und strukturiert darzustellen als dass es sich da um ein Feld handeln würde, das extrem schlecht erschlossen wäre. Da kekst mich in Sachen Kampfregeldesign auch regelmäßig an, dass oft so getan wird, als wäre das ein totales Mysterium. Ist es nicht, es gibt nur - wie in jedem Feld - unglaublich viel Halbwissen und kompletten Unsinn (auch und gerade durch mediale Prägung) und damit entsprechenden Bewertungs- und Sortierbedarf.
Und die eigene Froschperspektive ist dabei auch nur ein Baustein und nicht das Ende aller Weisheit. Wenn das so wäre, müssten sich ja alle mit Kampferfahrung bei dem Thema komplett einig sein ;)


Und für soziale Interaktionen gilt das im Grunde noch viel mehr. Ähnlich wie beim Autofahren: Man macht das irgendwie und kommt halbwegs klar, aber die eigenen Fähigkeiten ehrlich evaluiert und strukturiert über das ganze Thema nachgedacht wird so gut wie nie.
Da muss man z.B. erst mal einem Con-Artist oder einem sonstigen Betrüger/Manipulator auf den Leim gegangen sein (oder selbst in der Richtung aktiv gewesen sein) oder in einer Situation gewesen sein, wo man "völlig untypisch" gehandelt hat, um sich überhaupt einzugestehen, dass man im Alltag gerade an der Oberfläche der ganzen Angelegenheit kratzt.

Hier bin ich bei Maarzan: Da lügt man sich viel mehr selbst unbewusst in die Tasche und meint, man könnte das alles recht gut enschätzen. Und obendrauf ist dabei die Überlappung zwischen SC und Spieler größer als beim Kampf oder sonstigen körperlichen Sachen mit einer ganz offensichtlichen Trennung von Spieler und Fiktion/fiktiver Figur.


Oft mit dem Ergebnis, dass das Thema im Spieldesign ausgeklammert wird, weil das ja alles so schwierig ist. Auch hier wieder: Ist es grundsätzlich nicht, aber eine brauchbare Struktur zu finden, ist eben ein bisschen Arbeit.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 20.06.2020 | 15:38
Und für soziale Interaktionen gilt das im Grunde noch viel mehr. Ähnlich wie beim Autofahren: Man macht das irgendwie und kommt halbwegs klar, aber die eigenen Fähigkeiten ehrlich evaluiert und strukturiert über das ganze Thema nachgedacht wird so gut wie nie.
Da muss man z.B. erst mal einem Con-Artist oder einem sonstigen Betrüger/Manipulator auf den Leim gegangen sein (oder selbst in der Richtung aktiv gewesen sein) oder in einer Situation gewesen sein, wo man "völlig untypisch" gehandelt hat, um sich überhaupt einzugestehen, dass man im Alltag gerade an der Oberfläche der ganzen Angelegenheit kratzt.

Kann ich als jemand, der in der Tat schon mal dem einen oder anderen Trick aufgesessen ist, bestätigen. Zum Glück ging's dabei maximal um verschmerzbahres Lehrgeld. :P

Zitat
Hier bin ich bei Maarzan: Da lügt man sich viel mehr selbst unbewusst in die Tasche und meint, man könnte das alles recht gut enschätzen. Und obendrauf ist dabei die Überlappung zwischen SC und Spieler größer als beim Kampf oder sonstigen körperlichen Sachen mit einer ganz offensichtlichen Trennung von Spieler und Fiktion/fiktiver Figur.

Ja, ja, die liebe Selbsteinschätzung. Den offiziellen Text zu diesem Lied gibt's dann von den Herren Dunning und Kruger (https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt). ;) Was die Überlappung angeht, bin ich nicht unbedingt ganz so überzeugt, weil gerade für mich selbst ein gewisses Maß an Trennung zwischen mir und meinen Charakteren schon allein als "Sicherheitsabstand" einfach mit dazugehört...aber gerade in der Hinsicht unterscheiden sich die Spielergemüter ja gerne mal gehörig.

Zitat
Oft mit dem Ergebnis, dass das Thema im Spieldesign ausgeklammert wird, weil das ja alles so schwierig ist. Auch hier wieder: Ist es grundsätzlich nicht, aber eine brauchbare Struktur zu finden, ist eben ein bisschen Arbeit.

+1
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 15:18
Wenn wir mit dem selben "Kompressionsfaktor" an psychologische/mentale Situationsbetrachtungen gingen, würde ich eher vermuten, dass wir bei Systemen wie Pathfinder, GURPS oder DSA4/5 an den Punkt kommen, wo wir alles auf der entsprechenden Zoomstufe sinnvoll abgebildet haben und trotzdem noch lange nicht so viel Regelaufwand betrieben haben, wie er dort für den Kampf zu finden ist.
Gurps ist für mich ein Beispiel für das Gegenteil: Es hat 4 Attribute, und keins davon ist für soziale Situationen. Charisma ist z.B. kein Attribut, das alle haben, sondern ein Vorteil. Was Gurps hat ist Intelligenz, das für alles geistige steht. Gleichzeitig hat es Reaktionsregeln, über die festgelegt werden kann, wie positiv oder negativ NSCs gegenüber einem SC eingestellt sind; soziales ist also nicht ganz draußen, aber es ist nicht richtig Teil des Charakters, dafür ist der Körper in Konstitution, Geschicklichkeit und Stärke aufgeteilt.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 15:32
Ich schätze das muss man auf mehrere Ebenen herunterbrechen. Erst einmal völlig laienhaft und weitgehend unsortiert sammelnd:

Ethikwerte … für richtig hält … selbst zu erreichen glaubt … von außen gefordert
Ängste/Mängel/Wünsche
… "Triebkontrolle" im weitesten Sinne: Lust, Gier, Zorn, ... .
Für Gruppen … nominell vertritt … lebt … Sanktionen
Rollen … "selbst angestrebt", "gefordert", "aktueller Stand".

Individualkontakte
Gruppenbezüge
Soziales Gewicht sowie ggf. Rang und Amt

Soziale Energien:
Selbstvertrauen
Stress (positiv, negativ)
Frust
Emotionale Energie
Relevanz
Das geht in die Richtung einer ausreichend klaren Definition, dass ich mir vorstellen könnte, dass sich ein Einsetzbares System daraus ergeben könnte. Was noch dazu müsste ist ein Weg, diese Werte bei anderen zu finden. Rang und Amt sind üblicherweise leicht. Wobei das Teil der Herausforderung an Spielerinnen und Spieler sein könnte.

Ein typischer Ansatz, um zum Überzeugen wäre dann, erstmal die Ethikwerte des Ziels zu finden (z.B. mal an der Wohnung vorbeifahren, mit Leuten reden), dann eine Situation zu schaffen, in der die Rolle der Person einer Zustimmung eher zuträglich wäre und dann zu versuchen, das als konsequentes Leben  Werte der Person zu verkaufen.

Und dann sind wir bei Cambridge Analytica.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 21.06.2020 | 15:34
Gurps ist für mich ein Beispiel für das Gegenteil: Es hat 4 Attribute, und keins davon ist für soziale Situationen. Charisma ist z.B. kein Attribut, das alle haben, sondern ein Vorteil. Was Gurps hat ist Intelligenz, das für alles geistige steht. Gleichzeitig hat es Reaktionsregeln, über die festgelegt werden kann, wie positiv oder negativ NSCs gegenüber einem SC eingestellt sind; soziales ist also nicht ganz draußen, aber es ist nicht richtig Teil des Charakters, dafür ist der Körper in Konstitution, Geschicklichkeit und Stärke aufgeteilt.

Vorteile und vor allem Fertigkeiten sind doch genau so "Teil des Charakters" wie Attribute. Zumal die Attribute ja auch einfach schlecht sein können ;)

Nur müssen an den Attributen eben zwingend Zahlen hängen, weil davon ein paar andere Sachen abgeleitet werden, während man bei Charisma nur die Abweichungen nach oben oder unten modelliert.
Das ist schon folgerichtig, weil GURPS bei Sozialem - anders als im Kampf - nicht symmetrisch ist (also deutlich zwischen SCs und NSCs unterscheidet), aus den hier schon angeklungenen Gründen.

Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 21.06.2020 | 15:40
Nebenbei modelliert GURPS "psychologische Zustände" ja auch noch über entsprechende Vor- und Nachteile. Das natürlich nur sehr grob, weil man die normalerweise langfristig oder gar auf Lebenszeit hat und kurzlebigere Phänomene auf diese Weise nicht erfaßt werden -- aber zumindest eine Methode, Persönlichkeitszüge über "Max Mustermann, 08/15-Standardmensch, männlich" hinaus zu modellieren, ist es schon.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 15:53
Und für soziale Interaktionen gilt das im Grunde noch viel mehr. Ähnlich wie beim Autofahren: Man macht das irgendwie und kommt halbwegs klar, aber die eigenen Fähigkeiten ehrlich evaluiert und strukturiert über das ganze Thema nachgedacht wird so gut wie nie.
Dass mir meine eigene Unfähigkeit dabei irgendwann aufgefallen ist, ist ein Grund, warum ich solche Systeme einbauen will.

Die Szene, die mir das gezeigt hat: Arne steht mit anderer Person am Bahnhof, will ein Studierendenticket, wird aber erst in einem Monat eingeschrieben sein. Andere Person wechselt zwei freundliche Sätze mit der Person am Schalter und Arne erhält sein Ticket. Ich konnte soziale Interaktion nie wieder mit den gleichen Augen sehen.

Ich neige dazu, wenn ich etwas will, dafür zu sorgen, dass es wirklich keine anderen sinnvollen Wege gibt. Leute mit hohen Sozialfertigkeiten erreichen ihre Ziele viel einfacher. In der echten Welt. Und ich habe immernoch keinen guten Weg, das abzubilden — außer halt "hoher Wert in Überzeugen".
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 16:00
Vorteile und vor allem Fertigkeiten sind doch genau so "Teil des Charakters" wie Attribute. Zumal die Attribute ja auch einfach schlecht sein können ;)

Nur müssen an den Attributen eben zwingend Zahlen hängen, weil davon ein paar andere Sachen abgeleitet werden, während man bei Charisma nur die Abweichungen nach oben oder unten modelliert.
Das ist schon folgerichtig, weil GURPS bei Sozialem - anders als im Kampf - nicht symmetrisch ist (also deutlich zwischen SCs und NSCs unterscheidet), aus den hier schon angeklungenen Gründen.
Ich will gar nicht sagen, dass GURPS hier nicht konsequent wäre; auch nicht, dass es eine Schwäche des Systems ist. Es ist zu Teil diese Asymmetrie, die ich meine, zum Teil auch die von nobody@home angesprochene nichtverwaltung kurzlebiger Zustände: Hier wird der Zustand des SC ausgeklammert. Die psychische Verfassung der SCs ist nicht Teil des Spiels. Die der NSCs auch nur kaum — da gibt es den Startwert (Reaktionswurf bei erstem Treffen), und ab da sind mr keine tieferen Regeln bekannt.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 21.06.2020 | 16:06
Ja, das ist dort eben klassisch/traditionell zum großen Teil in SL-Hand, auch wenn es bei näherer Betrachtung eine Vielzahl an Fertigkeiten und Vor- bzw. Nachteilen in der Richtung gibt.
Im Reaktionswurf steckt ja schon eine ganze Menge drin.


Ansonsten:
http://www.sjgames.com/gurps/books/socialengineering/
Da werden Sie geholfen  ;)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 16:43
@YY Kann ich alles unterschreiben.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kampf und sozialen Interaktionen liegt wohl auch darin, dass fast niemand im realen Kampf Erfahrung hat (und schon gar nicht auf Leben und Tod) aber jeder viel Erfahrung in sozialen Interaktionen. Auf Basis dieser (geteilten) Erfahrung ist es dann relativ leicht, sich ohne detaillierte Verreglung einig zu werden, was soziale Fertigkeiten im RPG bewirken. Aber wie nobody@home bereits angemerkt hat, führt das von ArneBabs Thema weg.

@ArneBab
Die "Moral Foundations Theory" ist vielleicht interessant für dich. Demnach lassen sich die moralischen Werthaltungen von Menschen auf fünf Faktoren reduzieren:
Nichtschädigung (nicht stehlen, nicht verletzten, nicht betrügen...)
Reziprozität ("eine Hand wäscht die andere"/"Tit for Tat")
Loyalität (zu Bezugsgruppen)
Respekt (Stichwort Hierarchie)
Reinheit (hier gehört z.B. Sexualmoral rein)

Theoretisch könnte man also Spielfiguren einen Prinzipientreue-Wert (z.B. auf einer Skala 1-10) für jede dieser Kategorien zuordnen und damit abbilden, wie stark sich die Spielfigur dieser Art Prinzipen verpflichtet fühlt.
Ich überlege grade noch, wie ich die Bahnschaltersituation damit abbilden könnte.

Nichtschädigung ist Teil der Argumentation — baut also einen Widertstand ab. Bei Reziprozität bin ich nicht sicher. Freundlich sein? Loyalität kann ich nicht einschätzen. Vielleicht ist das ein Weg, wie die Person hinter dem Schalter erreicht wurde: Das Gefühl, zur gleichen Gruppe zu gehören. Respekt wäre eher was, das dagegen spricht. Bei Reinheit sehe ich nicht, wie das Teil davon sein kann.

Es könnte eine Art Schlachtfeld liefern: Die 5 Angriffswege, auf denen du arbeiten kannst.

Ich versuche Personenspezifisches über die 18 Grundwerte aus dem AOK Programm „Lebe Balance“ abzubilden. Ich habe allerdings nicht herausgefunden, wo die Quelle dafür ist — es hieß, dass es Forschungsergebnisse sind, ich habe aber die Veröffentlichung auch nach längerer Suche dazu nicht gefunden; zu Psychologie fehlen mir vermutlich die Suchworte. Das hat bisher ganz gut funktioniert, um eine Idee dazu zu bekommen, wo jemand keine Kompromisse eingeht, hat mir aber auch noch keinen guten Ansatz für Regeln gegeben.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 16:47
http://www.sjgames.com/gurps/books/socialengineering/
Da werden Sie geholfen  ;)
Wow, das kannte ich noch nicht! Wenn das auch nur grob an die Qualität von anderen Gurps-Büchern kommt, könnte es meine Probleme lösen :-)

Danke!
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 21.06.2020 | 16:59
Wow, das kannte ich noch nicht! Wenn das auch nur grob an die Qualität von anderen Gurps-Büchern kommt, könnte es meine Probleme lösen :-)
Update: Von der Inhaltsangabe (http://www.warehouse23.com/media/SJG37-0140_preview.pdf) her sieht es nicht so aus, als würde es Charakterzustände einführen, sondern eher, als würde es Regeln für spezifische Situationen liefern. Hast du es gelesen — falls ja, stimmt der Eindruck?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 21.06.2020 | 17:35
Ich kenne es selbst nicht, da musst du dich an die anderen GURPSler hier im Forum wenden.


Aber ja, es wird ziemlich sicher keine Persönlichkeitsmatrix einführen wie im Eingangspost angedacht.
Eher werden bestehende Vor- und Nachteile anders/tiefer genutzt, um die jeweilige Situation zu beleuchten (was ich angesichts der Flüchtigkeit vieler sozialer Vorgänge unter psychologischen Gesichtspunkten ganz passend finde - reproduzierbar kann das ja trotzdem sein).
Und im Zweifelsfall werden wohl durch massive Einflüsse neue Nachteile u.Ä. erzeugt.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 21.06.2020 | 18:49
Ich überlege grade noch, wie ich die Bahnschaltersituation damit abbilden könnte.

Nichtschädigung ist Teil der Argumentation — baut also einen Widertstand ab. Bei Reziprozität bin ich nicht sicher. Freundlich sein? Loyalität kann ich nicht einschätzen. Vielleicht ist das ein Weg, wie die Person hinter dem Schalter erreicht wurde: Das Gefühl, zur gleichen Gruppe zu gehören. Respekt wäre eher was, das dagegen spricht. Bei Reinheit sehe ich nicht, wie das Teil davon sein kann.

Es könnte eine Art Schlachtfeld liefern: Die 5 Angriffswege, auf denen du arbeiten kannst.

Ich versuche Personenspezifisches über die 18 Grundwerte aus dem AOK Programm „Lebe Balance“ abzubilden. Ich habe allerdings nicht herausgefunden, wo die Quelle dafür ist — es hieß, dass es Forschungsergebnisse sind, ich habe aber die Veröffentlichung auch nach längerer Suche dazu nicht gefunden; zu Psychologie fehlen mir vermutlich die Suchworte. Das hat bisher ganz gut funktioniert, um eine Idee dazu zu bekommen, wo jemand keine Kompromisse eingeht, hat mir aber auch noch keinen guten Ansatz für Regeln gegeben.

Bei der Bahnschalter-Situation geht weniger um moralische Werte des Bahnmitarbeiters als um die Fertigkeit "Sozialkompetenz" (Umfasst zwei Teilaspekte: Die Fähigkeit sich in andere hinein zu versetzen und die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse "charmant" durchzusetzen) deines Freundes. Ich merke auch, dass ich an dieser Stelle sehr weit ausholen müsste, aber ich versuche es mal in Kürze:

1. Moralische Werthaltungen sind ein Teilaspekt der Persönlichkeitspsychologie, sie bilden eben nur moralische Werthaltungen ab. Der (viel relevantere Rest) wird z.B. durch die "Big Five" der Persönlichkeit abgebildet oder durch klinisch-psychologische entwickelte Persönlichkeitstypen. Zu den Big Five empfehle ich dir den Wikipedia Artikel, zu klinisch-psychologischen Modellen (die für die Entwicklung der eigenen Sozialkompetenz und sicher auch als Grundlage realistischer Simulation im RPG hilfreicher sind) das Buch "Der ganz normale Wahnsinn - Umgang mit schwierigen Menschen".

2. Eine kurze Recherche zum AOK Programm "Lebe Balance" lässt mich vermuten, dass es achtsamkeitsbasiert ist. Das ist eine aktuell populärer Ansatz in Coaching & Psychotherapie (hier speziell die "Acceptance & Commitment Therapy"), dem kein spezielles Persönlichkeitsmodell zugrunde liegt. Im Kern geht es darum, u.A. mithilfe von Achtsamkeitstechniken (z.B. Meditation) die Fähigkeit zu verbessern, im Leben intrinsisch motivierte, realistisch erreichbare Ziele zu verfolgen.

3. In meinem eigenen Rollenspiel bilde ich die Bahnschaltersituation über die Fertigkeit "Sozialkompetenz" ab. Je nach Sympathie (ein Spielwert) des Gegenübers und je nachdem, welches "Schädigungspotential" die Handlung, zu der ich überreden will, für das Gegenüber hat, wird der Mindestwurf angepasst.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 23.06.2020 | 12:21
Bei der Bahnschalter-Situation geht weniger um moralische Werte des Bahnmitarbeiters als um die Fertigkeit "Sozialkompetenz" (Umfasst zwei Teilaspekte: Die Fähigkeit sich in andere hinein zu versetzen und die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse "charmant" durchzusetzen) deines Freundes. Ich merke auch, dass ich an dieser Stelle sehr weit ausholen müsste, aber ich versuche es mal in Kürze:
Danke!
Zitat
1. Moralische Werthaltungen sind ein Teilaspekt der Persönlichkeitspsychologie, sie bilden eben nur moralische Werthaltungen ab. Der (viel relevantere Rest) wird z.B. durch die "Big Five" der Persönlichkeit abgebildet oder durch klinisch-psychologische entwickelte Persönlichkeitstypen. Zu den Big Five empfehle ich dir den Wikipedia Artikel, zu klinisch-psychologischen Modellen (die für die Entwicklung der eigenen Sozialkompetenz und sicher auch als Grundlage realistischer Simulation im RPG hilfreicher sind) das Buch "Der ganz normale Wahnsinn - Umgang mit schwierigen Menschen".
Die Big Five kenne ich grob, das Buch ist jetzt auf meiner Wunschliste.
Zitat
2. Eine kurze Recherche zum AOK Programm "Lebe Balance" lässt mich vermuten, dass es achtsamkeitsbasiert ist. Das ist eine aktuell populärer Ansatz in Coaching & Psychotherapie (hier speziell die "Acceptance & Commitment Therapy"), dem kein spezielles Persönlichkeitsmodell zugrunde liegt. Im Kern geht es darum, u.A. mithilfe von Achtsamkeitstechniken (z.B. Meditation) die Fähigkeit zu verbessern, im Leben intrinsisch motivierte, realistisch erreichbare Ziele zu verfolgen.
Sie verwenden ein Modell mit Grundantrieben. Die etwas verrollenspielte Kurzfassung davon ist:

| Wollen        | Handeln          | Sein           |
|---------------+------------------+----------------|
| Wohlstand     | Kreativität      | Genussvoll     |
| Ansehen       | Selbstbestimmung | Leistungsstark |
| Sicherheit    | Abwechslung      | Einflussreich  |
| Gerechtigkeit | Tradition        | Bescheiden     |
| Toleranz      | Anpassung        | Fürsorglich    |
| Umweltschutz  | Regeltreue       | Zuverlässig    |


Zitat
3. In meinem eigenen Rollenspiel bilde ich die Bahnschaltersituation über die Fertigkeit "Sozialkompetenz" ab. Je nach Sympathie (ein Spielwert) des Gegenübers und je nachdem, welches "Schädigungspotential" die Handlung, zu der ich überreden will, für das Gegenüber hat, wird der Mindestwurf angepasst.
Ist Sympathie dann sowas ähnliches wie Charisma?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 23.06.2020 | 19:47
Sie verwenden ein Modell mit Grundantrieben. Die etwas verrollenspielte Kurzfassung davon ist:

| Wollen        | Handeln          | Sein           |
|---------------+------------------+----------------|
| Wohlstand     | Kreativität      | Genussvoll     |
| Ansehen       | Selbstbestimmung | Leistungsstark |
| Sicherheit    | Abwechslung      | Einflussreich  |
| Gerechtigkeit | Tradition        | Bescheiden     |
| Toleranz      | Anpassung        | Fürsorglich    |
| Umweltschutz  | Regeltreue       | Zuverlässig    |

Ist Sympathie dann sowas ähnliches wie Charisma?

Dieses Modell ist mir aus der wissenschaftlich fundierten Persönlichkeitspsychologie nicht bekannt. Ich vermute mal, da wurde post-hoc für einen Interventionsansatz ein Modell "zusammengezimmert". Was "Grundantriebe" angeht, ist das meines Wissens nach am besten empirisch fundierte Modell die Konsistenztheorie von Klaus Grawe (auch für die Praxis ein sehr hilfreiches Modell). Demnach hat jeder Mensch vier psychische Grundbedürfnisse, zu deren Sättigung/Verhinderung der Frustration er im Laufe seiner Biographie durch Modell- und Verstärkungslernen Strategien erwirbt, die übrigens oft hoch automatisiert ("unbewusst") sind. Diese Grundbedürfnisse lauten:

Selbstwertschutz und -erhöhung
Bindung
Orientierung & Kontrolle
Lustgewinn & Unlustvermeidung


Sympathie ist ein Wert, der beschreibt, ob ein NSC die Charaktere positiv oder negativ bewertet. Der Wert wird aber durch das Charisma des Wortführers der Gruppe beeinflusst. Mit Charisma als Attribut habe ich mich übrigens in meinem eigenen System schwer getan, denn aus psychologischer Sicht handelt es sich um ein viel diffuseres Konstrukt als etwa Intelligenz oder Geschick (sensuomotorische Koordination). Ich würde es am ehsten als Konglomerat aus Attraktivität, Sozialstatus, sozialen Kompetenzen und der Zuschreibung sozial erwünschter Personeneigenschaften beschreiben. Außer dem Teilaspekt Attraktivität, taugt nichts zum Attribut (zumindest so wie ich Attribute von Fertigkeiten abgrenze: relevant hohe genetische Determination vs. rein erlernter Kompetenz). Ich bin dennoch bei Charisma geblieben, vor allem weil sonst viele soziale Fertigkeiten auf Intelligenz oder Wille basiert hätten, womit Attraktivität ein klassischer "Dumbstat" geworden wäre. Außerdem schadet es nie, wenn Leute etwas vertraut finden, selbst wenn es eher Quatsch ist ;D.

Aber zurück zu Sympathie: Die Eingangssympathie wird durch einen Zufallswurf bestimmt, der durch Charisma und situative Umstände modifiziert wird. Der Wertebereich der Sympathie ist -3 bis +3 (also sieben Stufen von Todfeind bis engster Freund) und der Wert bestimmt, wie ein NSC auf die Charaktere reagiert. Durch soziale Fertigkeiten kannst du bewirken, dass ein NSC sich vorübergehend verhält, als habe er eine höhere Sympathie, wobei du maximal um 2 Stufen nach oben kannst. Damit reguliert Sympathie also die Effekte sozialer Fertigkeiten flexibel.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 23.06.2020 | 22:39
Dieses Modell ist mir aus der wissenschaftlich fundierten Persönlichkeitspsychologie nicht bekannt. Ich vermute mal, da wurde post-hoc für einen Interventionsansatz ein Modell "zusammengezimmert".

Verdammt, soviel dazu, Angaben aus Fachfremden Bereichen in einem Kurs zu glauben, bei denen der Link fehlt. Dann ist auch klar, warum ich das nicht gefunden habe. Es sei denn, Open Access ist in Psychologie noch selten …

Kannst du was zu einem Dr. Martin Bohus aus Heidelberg sagen? Das Lebe Balance (https://www.aok.de/pk/bw/inhalt/lebe-balance-das-gesundheitsprogramm-3/) Programm verweist auf ihn?

(ich frage, weil ich das gerne im Rollenspiel sauber referenzieren würde)

Zitat
Was "Grundantriebe" angeht, ist das meines Wissens nach am besten empirisch fundierte Modell die Konsistenztheorie von Klaus Grawe (auch für die Praxis ein sehr hilfreiches Modell). Demnach hat jeder Mensch vier psychische Grundbedürfnisse, zu deren Sättigung/Verhinderung der Frustration er im Laufe seiner Biographie durch Modell- und Verstärkungslernen Strategien erwirbt, die übrigens oft hoch automatisiert ("unbewusst") sind. Diese Grundbedürfnisse lauten:

Selbstwertschutz und -erhöhung
Bindung
Orientierung & Kontrolle
Lustgewinn & Unlustvermeidung
Danke für die Aufstellung!

Das Modell klingt allerdings, als wäre es für Rollenspiele nicht gut greifbar. Eher wie etwas, das genutzt wird, um Leuten zu helfen. Ist ja nicht so, als ob dass das sein Ursprung wäre ;-)  :Ironie:
Zitat
Mit Charisma als Attribut habe ich mich übrigens in meinem eigenen System schwer getan, denn aus psychologischer Sicht handelt es sich um ein viel diffuseres Konstrukt als etwa Intelligenz oder Geschick (sensuomotorische Koordination). Ich würde es am ehsten als Konglomerat aus Attraktivität, Sozialstatus, sozialen Kompetenzen und der Zuschreibung sozial erwünschter Personeneigenschaften beschreiben. Außer dem Teilaspekt Attraktivität, taugt nichts zum Attribut (zumindest so wie ich Attribute von Fertigkeiten abgrenze: relevant hohe genetische Determination vs. rein erlernter Kompetenz). Ich bin dennoch bei Charisma geblieben, vor allem weil sonst viele soziale Fertigkeiten auf Intelligenz oder Wille basiert hätten, womit Attraktivität ein klassischer "Dumbstat" geworden wäre. Außerdem schadet es nie, wenn Leute etwas vertraut finden, selbst wenn es eher Quatsch ist ;D.
:-)

Um zu schauen, ob ich es richtig verstanden habe: Du meinst damit, dass Charisma zum Teil erlernt, zum Teil durch äußere Einflüsse kommt, und deswegen eigentlich nicht mit Geschicklichkeit oder Wille vergleichbar ist?

Gilt das nicht teilweise auch für Attraktivität (zumindest wenn Makeup sozial akzeptiert ist)?
Zitat
Aber zurück zu Sympathie: Die Eingangssympathie wird durch einen Zufallswurf bestimmt, der durch Charisma und situative Umstände modifiziert wird.

Damit reguliert Sympathie also die Effekte sozialer Fertigkeiten flexibel.
Das klingt nach Reaktionswürfen in Gurps. Fast genau wie Reaktionswürfe in Gurps.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 23.06.2020 | 23:09
Verdammt, soviel dazu, Angaben aus Fachfremden Bereichen in einem Kurs zu glauben, bei denen der Link fehlt. Dann ist auch klar, warum ich das nicht gefunden habe. Es sei denn, Open Access ist in Psychologie noch selten …

Kannst du was zu einem Dr. Martin Bohus aus Heidelberg sagen? Das Lebe Balance (https://www.aok.de/pk/bw/inhalt/lebe-balance-das-gesundheitsprogramm-3/) Programm verweist auf ihn?

(ich frage, weil ich das gerne im Rollenspiel sauber referenzieren würde)

Martin Bohus ist Psychiatrieprof. in Heidelberg und in Deutschland einer der wichtigsten Vertreter der Dialektisch-Behavioralen Therapie, kurz DBT (ein Borderline-Therapieansatz, der ursprünglich von Marsha Linehan aus den USA stammt und in dem auch Achtsamkeit eine Rolle spielt) bekannt.

Danke für die Aufstellung!

Das Modell klingt allerdings, als wäre es für Rollenspiele nicht gut greifbar. Eher wie etwas, das genutzt wird, um Leuten zu helfen. Ist ja nicht so, als ob dass das sein Ursprung wäre ;-)  :Ironie::-)

Nagel auf den Kopf  ;). Ich wollte dir nur mal ein Grundbedürfniss Modell skizzieren, das gut empirisch fundiert ist. Letztlich leiten sich daraus aber Persönlichkeitstypen ab (-> meine Buchempfehlung) und mit etwas Arbeit könnte man für jeden Persönlichkeitstyp Triggersitutationen bestimmten, auf die ein NSC/Char stark positiv/negativ reagiert. Allerdings wäre mir persönlich das schon zu kleinteilig.

Um zu schauen, ob ich es richtig verstanden habe: Du meinst damit, dass Charisma zum Teil erlernt, zum Teil durch äußere Einflüsse kommt, und deswegen eigentlich nicht mit Geschicklichkeit oder Wille vergleichbar ist?
Gilt das nicht teilweise auch für Attraktivität (zumindest wenn Makeup sozial akzeptiert ist)?Das klingt nach Reaktionswürfen in Gurps. Fast genau wie Reaktionswürfe in Gurps.

Genau richtig verstanden. Und dein Einwand bezüglich Attraktivität stimmt ebenfalls. Natürlich kann jeder was aus sich machen und auch die Schönheitsideale für Körperformen haben sich im Laufe der Zeiten/Kulturen gewandelt. Allerdings kann man den Körper (und v.a. das Gesicht), mit dem man geboren ist, nur begrenzt verändern. Daher schrieb ich von "hoher genetischer Determination", noch besser wäre "relevant hoher" gewesen  ;D.


Edit: Mit Gurps habe ich übrigens nur eine Erfahrung, die Jahrzehnte her ist. Plagiat ohne Kenntnis des Originals also  >;D.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 23.06.2020 | 23:21
Edit: Mit Gurps habe ich übrigens nur eine Erfahrung, die Jahrzehnte her ist. Plagiat ohne Kenntnis des Originals also  >;D.

Und die GURPSler denken sich: Ha, sogar die Psychologen machen es intuitiv so, wie es hier steht  ~;D
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 23.06.2020 | 23:25
Und die GURPSler denken sich: Ha, sogar die Psychologen machen es intuitiv so, wie es hier steht  ~;D

Umgekehrt wird'n Schuh draus. Die GURPSler denken sich natürlich "Siehste, das haben die Entwickler alles schon vor Jahrzehnten sauber recherchiert!". ~;D
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 23.06.2020 | 23:44
Und die GURPSler denken sich: Ha, sogar die Psychologen machen es intuitiv so, wie es hier steht  ~;D

Umgekehrt wird'n Schuh draus. Die GURPSler denken sich natürlich "Siehste, das haben die Entwickler alles schon vor Jahrzehnten sauber recherchiert!". ~;D

Finde beide Gedanken witzig  ~;D

Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: OldSam am 24.06.2020 | 02:30
Zitat
Mit Charisma als Attribut habe ich mich übrigens in meinem eigenen System schwer getan, denn aus psychologischer Sicht handelt es sich um ein viel diffuseres Konstrukt als etwa Intelligenz oder Geschick (sensuomotorische Koordination).
Ja, genau so würde ich das auch sagen...

Charisma ist z.B. kein Attribut, das alle haben, sondern ein Vorteil. [...] ; soziales ist also nicht ganz draußen, aber es ist nicht richtig Teil des Charakters, ...

Nur kurz dazu, das mit dem "fehlenden" Charisma ist v.a. auch einfach ein großes Mißverständnis...
GURPS argumentiert hier nach meinem Verständnis maßgeblich wie folgt:

a) Charisma kann man sehr viel schlechter messen als z. B. Stärke oder Intelligenz (was auch schon aus Deinem Argument folgt), darum ist es kein Kernattribut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es populistisch immer wieder durcheinander geworfen wird mit anderen Faktoren wie gutem Aussehen, schöner Stimme, gutem Kleidungsstil etc., es ist in der Praxis nicht einfach das voneinander zu trennen (wenn man nur das "Gesamtergebnis" als Wirkung sieht), aber es ist eben etwas anderes. GURPS schaut hier genauer hin und versucht die Einzelkomponenten tatsächlich zu erfassen statt alles in einer schwammigen "Charismasuppe" einzukochen. Ich kann ja z. B. eine sehr schöne Stimme haben (Advantage) und dann charismatisch wirken, aber wenn ich nicht rede wirke ich unscheinbar. Oder ich wirke durch mein gutes Aussehen (Advantage) anziehend und mir wird viel Charisma "unterstellt", bis ich den Mund aufmache und man meine kehlige Raucher-im-Endstadium-Stimme (Disadvantage) hört... sowas. GURPS bildet die soziale Wirkung auf jemanden daher letztlich als Summe verschiedener Faktoren ab, wobei Charme optional eine Möglichkeit ist, finde ich auch grundsätzlich sehr passend.

b) "Charisma hat man oder man hat es eben nicht." Der 08/15-Typ, der da grad lang gelaufen ist, muss nicht "Charisma 9" haben, sondern man bringt den Begriff Charisma einfach nicht mit ihm in Verbindung, weder negativ noch positiv. Charisma wird insofern nicht gestrichen, sondern <vereinfacht> und inhaltlich präzisiert. Es entfällt als Faktor dort, wo es nicht relevant ist (Konsolidierung), um andersherum dort wo es relevant ist, um so deutlicher und klarer definiert aufzutreten.




Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 24.06.2020 | 09:41
b) "Charisma hat man oder man hat es eben nicht." Der 08/15-Typ, der da grad lang gelaufen ist, muss nicht "Charisma 9" haben, sondern man bringt den Begriff Charisma einfach nicht mit ihm in Verbindung, weder negativ noch positiv. Charisma wird insofern nicht gestrichen, sondern <vereinfacht> und inhaltlich präzisiert. Es entfällt als Faktor dort, wo es nicht relevant ist (Konsolidierung), um andersherum dort wo es relevant ist, um so deutlicher und klarer definiert aufzutreten.

Falls damit gemeint ist, Charisma wird primär von Dritten zugeschrieben (die folglich sehr unterschiedlicher Meinung sein können, wer Charisma hat und wer nicht), dann volle Zustimmung.
Achja, die "Unattribute", da hätte ich auch noch zu anderen "Klassikern" was zu sagen. Wenn mir langweilig wird, mache ich mal einen entsprechenden Thread auf.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 24.06.2020 | 11:00
Finde beide Gedanken witzig  ~;D
Das zieht noch weitere Kreise, wenn andere Wissenschaftler antworten: Bei uns klappt das auch :-)
(Bei Physik z.B., auf dem Level an Physik, das für praktisches Rollenspiel nützlich ist)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 24.06.2020 | 11:25
Martin Bohus ist Psychiatrieprof. in Heidelberg und in Deutschland einer der wichtigsten Vertreter der Dialektisch-Behavioralen Therapie, kurz DBT (ein Borderline-Therapieansatz, der ursprünglich von Marsha Linehan aus den USA stammt und in dem auch Achtsamkeit eine Rolle spielt) bekannt.
Danke!
Zitat
Nagel auf den Kopf  ;). Ich wollte dir nur mal ein Grundbedürfniss Modell skizzieren, das gut empirisch fundiert ist. Letztlich leiten sich daraus aber Persönlichkeitstypen ab (-> meine Buchempfehlung) und mit etwas Arbeit könnte man für jeden Persönlichkeitstyp Triggersitutationen bestimmten, auf die ein NSC/Char stark positiv/negativ reagiert. Allerdings wäre mir persönlich das schon zu kleinteilig.
Schätzt du aktuelle Entwicklungen in der Psychologie so ein, dass weniger kleinteilige, aber konkretere Erkenntnisse in Arbeit sind, oder ist der aktuelle Stand eher statisch?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass "wir" (Menschen) die Bandbreite an psychologischen Reaktionen noch weitaus weniger verstehen als z.B. Reaktionen auf Verletzungen oder die möglichen Leistungen im Sport — oder die in einem Gewaltmarsch zurücklegbaren Entfernungen. Passt das soweit, oder ist das nur meine fachfremde Blindheit? :-)

Wird da inzwischen eigentlich in signifikanter Menge mit Daten aus Sozialen Netzwerken gearbeitet? Ich weiß, dass das die Grundlage für die Propaganda von Cambridge Analytica ist (es wurde gezeigt, dass Werbung auf Grundlage der Big 5 etwa 14x so effektiv ist wie ungezielte Werbung). Läuft die Grundlagenforschung in dem Bereich weiter?
Zitat
Genau richtig verstanden. Und dein Einwand bezüglich Attraktivität stimmt ebenfalls. Natürlich kann jeder was aus sich machen und auch die Schönheitsideale für Körperformen haben sich im Laufe der Zeiten/Kulturen gewandelt. Allerdings kann man den Körper (und v.a. das Gesicht), mit dem man geboren ist, nur begrenzt verändern. Daher schrieb ich von "hoher genetischer Determination", noch besser wäre "relevant hoher" gewesen  ;D.
Das klingt danach, als bräuchte eine detaillierte Modellierung einerseits das Attribut, das dann eine Grundlage für Selbstgestaltungs-Proben für den Tag gibt, die wiederum die Grundlage für die sozialen Proben des Tages liefern.

Im Endeffekt temporäre Modifikationen des Attributs. Dann beginnen allerdings soziale Runden mit der Frage "was zieh ich heute an?" — ich befürchte, der Teil könnte mir so verhasst werden, wie anderen ein detailliertes Kampfsystem ;-)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 24.06.2020 | 12:04
Im Endeffekt temporäre Modifikationen des Attributs. Dann beginnen allerdings soziale Runden mit der Frage "was zieh ich heute an?" — ich befürchte, der Teil könnte mir so verhasst werden, wie anderen ein detailliertes Kampfsystem ;-)

Nun, es soll ja durchaus soziale Kreise geben, in denen die Antwort auf genau diese Frage tatsächlich mindestens so wichtig ist wie die Wahl der Waffen. ;)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 24.06.2020 | 22:24
Danke!Schätzt du aktuelle Entwicklungen in der Psychologie so ein, dass weniger kleinteilige, aber konkretere Erkenntnisse in Arbeit sind, oder ist der aktuelle Stand eher statisch?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass "wir" (Menschen) die Bandbreite an psychologischen Reaktionen noch weitaus weniger verstehen als z.B. Reaktionen auf Verletzungen oder die möglichen Leistungen im Sport — oder die in einem Gewaltmarsch zurücklegbaren Entfernungen. Passt das soweit, oder ist das nur meine fachfremde Blindheit? :-)

Ich denke, es ist eine Mischung aus: 1. Der Forschungsgegenstand ist, im Vergleich zu Schmerzphysiologie oder Chemie, schwerer valide zu untersuchen 2. Man weiß schon viel (Menschen sind nicht so unterschiedlich/einzigartig, wie sie aus Gründen der Selbstwerterhöhung gerne wären ;)), aber das in realistischen Regeln abzubilden, ist zu kompliziert (für meinen Geschmack zumindest).

Wird da inzwischen eigentlich in signifikanter Menge mit Daten aus Sozialen Netzwerken gearbeitet? Ich weiß, dass das die Grundlage für die Propaganda von Cambridge Analytica ist (es wurde gezeigt, dass Werbung auf Grundlage der Big 5 etwa 14x so effektiv ist wie ungezielte Werbung). Läuft die Grundlagenforschung in dem Bereich weiter?

Dazu kann nichts fundiertes sagen. Zu den Big 5 aber noch, dass die Big 3 (Extraversion/Introversion, Emotionale Stablität/Neurotizismus, Verträglichkeit/Unverträglichkeit) auch bei verschiedensten Tierarten nachgewiesen wurden. Diese drei Faktoren haben damit offenbar eine starke biologische Grundlage, während die anderen Faktoren (manche Modelle haben mehr als 5) eher kulturell bedingt (und variant) scheinen.

Das klingt danach, als bräuchte eine detaillierte Modellierung einerseits das Attribut, das dann eine Grundlage für Selbstgestaltungs-Proben für den Tag gibt, die wiederum die Grundlage für die sozialen Proben des Tages liefern.

Lustigerweise habe ich das genau so geregelt  ;D: Sich "hübsch machen" generiert eine Hilfe (ähnlich zur D&D5 Vorteils/Nachteils-Mechanik) auf (viele) soziale Fertigkeitsproben (die wiederum wesentlich auf Charisma basieren).
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 27.06.2020 | 20:14
Ich denke, es ist eine Mischung aus: 1. Der Forschungsgegenstand ist, im Vergleich zu Schmerzphysiologie oder Chemie, schwerer valide zu untersuchen 2. Man weiß schon viel (Menschen sind nicht so unterschiedlich/einzigartig, wie sie aus Gründen der Selbstwerterhöhung gerne wären ;)),

Lustigerweise habe ich das genau so geregelt  ;D: Sich "hübsch machen" generiert eine Hilfe (ähnlich zur D&D5 Vorteils/Nachteils-Mechanik) auf (viele) soziale Fertigkeitsproben (die wiederum wesentlich auf Charisma basieren).
Sehr cool! :-) Danke für deine ganzen fundierten Antworten hier!
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 27.06.2020 | 20:22
Nun, es soll ja durchaus soziale Kreise geben, in denen die Antwort auf genau diese Frage tatsächlich mindestens so wichtig ist wie die Wahl der Waffen. ;)
Ich weiß gar nicht, was du meinst  ~;D

Ernsthaft: Ich verstehe das nur auf intellektueller Ebene, kann es aber nicht nachfühlen. Ich trage entweder, was mir gefällt, oder was notwendig ist. Ich befürchte, dass das bedeutet, dass soziale Konflikte für mich kein bewusster Teil meines Lebens sind, und ich sie eher von außen betrachte. Bin ich dadurch ungeeignet, um solche Regeln zu entwickeln, oder geeignet, weil ich wenige Grundannahmen habe?
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: nobody@home am 27.06.2020 | 20:48
Ich weiß gar nicht, was du meinst  ~;D

Ich rede natürlich in erster Linie von der Hai-...äääh, High Society. Wo man im Zweifelsfall zur großen Gala besser nicht nach subtilen und oft willkürlichen Standards beurteilt "unpassend" gekleidet auftaucht, weil man sonst unter Umständen das Risiko eingeht, gerade bei den Leuten, die man eigentlich beeindrucken will, erst mal Minuspunkte zu sammeln, bevor auch nur das erste Wort gewechselt ist. ;)

(Und ja, klar ist das oberflächlich. Aber wenn ausgerechnet die Baroneß, der gegenüber mein Charakter mit seinem Charme glänzen will, um ein paar Informationen aus ihr herauszuleiern, nun mal wirklich so gestrickt sein sollte...?)

Und dabei habe ich von ähnlich gepolten Teenager-Cliquen und dergleichen noch gar nicht mal angefangen...
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 28.06.2020 | 10:19
Und dabei habe ich von ähnlich gepolten Teenager-Cliquen und dergleichen noch gar nicht mal angefangen...
Oder Kollegen, die sich den Mund über Leute zerreißen, die nicht passend gekleidet sind. Ich bin froh, dass ich von sowas bei meinem Arbeitgeber nichts mitbekomme. Ich hoffe, dass das bedeutet, dass das auch nicht passiert  ^-^.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: YY am 28.06.2020 | 12:46
Das sind aber wohlgemerkt auch meistens die Leute, die selbst leicht zu manipulieren sind und sich nicht gerade in der Königsklasse sozialer Interaktionskompetenz bewegen.
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: flaschengeist am 29.06.2020 | 14:33
Sehr cool! :-) Danke für deine ganzen fundierten Antworten hier!

Gern geschehen :).
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: BBB am 5.07.2020 | 22:34
So, nachdem die Diskussion hier ja abgeschlossen zu sein scheint, hab ich auch endlich die Zeit, etwas beizutragen ;)

Wenn auch nur ein wenig.

Letzten Endes sind es für mich glaube ich sogar zwei getrennte Themen, das eine sehr komplex, das andere uU deutlich einfacher zu lösen. Psychologische Zustände im Sinne von Emotionen, Bindungen, Motivationen und solchen Dingen finde ich tatsächlich (noch) relativ schwer in Regeln zu gießen, die dann auch tatsächlich hilfreich sind. Ich habe mir hier in der Vergangenheit schon öfters Gedanken darüber gemacht, ich glaube aber, das ist etwas Erklärungsbedürftiger und daher einen eigenen Post wert.

Der zweite Punkt ist der mit den Prinzipien.

Hierzu eine kleine Anekdote:
Ich spiele in meiner Hauptgruppe mit einem guten Freund zusammen, des Charakter sich selbst als sehr Göttertreu beschreiben würde. Eigentlich ist er überzeugt davon, stets und immer nach den Grundsätzen und Prinzipien der Götter zu handeln.
Wenn man sich aber sein tatsächliches Handeln ansieht, widerspricht dies den göttlichen Prinzipien in geradezu fundamentaler Weise. Eigentlich müsste man sagen, dass er nahezu permanent die Regeln beugt, biegt und bricht, wenn es ihm einen Vorteil verschafft oder in den Kram passt.

Das brachte mich auf die Idee für folgendes Prinzipien-System:
In der Psychologie gibt es das sehr mächtige Konzept der kognitiven Dissonanz. Vereinfacht und laienhaft ausgedrückt besagt es, dass wir Menschen oft nicht so handeln, wie wir eigentlich denken oder glauben, dass wir handeln würden. Das geht solange gut, bis es uns selbst bewusst wird, dass es diesen Widerspruch gibt und sobald er uns einmal aufgefallen ist, fühlen wir uns solange schlecht, bis wir es schaffen diesen Konflikt irgendwie aufzulösen.

Meine erste Grundannahme war nun, dass dem Charakter meines Kumpels gar nicht bewusst war, dass das, was er sagte und das, was er tat, im Widerspruch steht. Also haben wir ihn irgendwann in game darauf angesprochen. Sein Char zuckte nur mit den Schultern und konnte uns glasklar erklären, dass dies kein Problem sei, weil es eben ein anderes Prinzip gäbe, das noch wichtiger sei.

Seitdem habe ich das System der hierarchischen Prinzipien im Hinterkopf.

Vorneweg: Ich habe es noch nie am Spieltisch ausprobiert, sondern bisher nur als Gedankenexperiment. Aber eigentlich müsste es ganz gut funktionieren.

Wie sieht das System aus:
Jeder Charakter startet in das Spiel mit einem Set aus definierten Prinzipien. Das können ganz einfache, generelle Sachen sein, soetwas wie "du sollst nicht töten", "du sollst nicht Ehebrechen" und "du sollst nicht stehlen." Es kann aber auch durchaus spezifischer sein, soetwas wie "als Diener der Gottheit X bin ich dazu verpflichtet für jede Leistung, die ich erbringe, eine Gegenleistung zu verlangen."
Diese Prinzipien werden in eine Rangreihenfolge gebracht.
Für die meisten Menschen wäre zum Beispiel: "Du sollst nicht töten" wichtiger als "du sollst nicht stehlen", auch wenn dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss.

Kommt der Charakter nun im Spiel in eine Situation, in der Stehlen könnte, kann er sich jederzeit entscheiden: Verhalte ich mich meinen Prinzipien konform, geht alles seinen normalen Weg. Er kann sich aber auch entscheiden, sein Prinzip zu brechen. Tut er dies, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Möglichkeit 1: er bricht das Prinzip, weil er damit ein anderes, höher liegendes Prinzip (z.B. nicht zu töten) aufrecht erhält. In diesem Fall ist alles gut und die Tat hat keine Konsequenzen, weil er sich letztendlich Prinzipienkonform verhält - nur das halt in dieser speziellen Situation die Prinzipien in Widerspruch stehen. Dies ist, was bei meinem Kumpel meist der Fall zu sein scheint.
Möglichkeit 2: Er bricht das Prinzip, ohne damit ein höher liegendes Prinzip auszuführen. Es kommt zu besagter kognitiver Dissonanz, die sich beispielsweise in grundsätzlichen probenerschwernissen regeltechnisch äußern kann. Diese bleiben so lange erhalten, bis
a) das Prinzip so umgeschrieben wird, dass es im vorliegenden Fall nicht gebrochen worden wäre. Beispielsweise kann aus "du sollst nicht stehlen" ein "du sollst nicht ohne dringende Not stehlen" werden
b) ein in der Prinziphierarchie niedriger platziertes Prinzip gefunden wird, dass den Bruch des wichtigeren Prinzips geschützt worden wäre. In diesem Fall steigt das niedrigere Prinzip im Rang, bis es wichtiger ist als das gebrochene.
c) er für den Prinzipienbruch in irgendeiner Art und Weise buße getan hat

Das schöne ist, mit einer so relativ einfach zu handhabenden Liste kriegt man sofort einen Charakter relativ detailiert beschrieben, weil man auf einen Blick sieht, was ihm wichtig ist, und das Rollenspiel bekommt eine neue Dimension, weil man tatsächlich Konflikte auslösen kann, die im Charakter selbst liegen.

So, soviel erstmal dazu.

Und an dieser Stelle nochmal danke für die bisherige Diskussion, fand ich sehr spannend zu lesen!
 aus freien Stücken. Es kommt zu besagter Dissonanz und damit zu Abzügen auf weitere Proben führt.
Bricht er das Prinzip, gibt es
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 10.07.2020 | 23:32
So, nachdem die Diskussion hier ja abgeschlossen zu sein scheint, hab ich auch endlich die Zeit, etwas beizutragen ;)
:-)

Zitat
Wenn auch nur ein wenig.

Ist doch einiges zusammen.

Zitat
Letzten Endes sind es für mich glaube ich sogar zwei getrennte Themen, das eine sehr komplex, das andere uU deutlich einfacher zu lösen. Psychologische Zustände im Sinne von Emotionen, Bindungen, Motivationen und solchen Dingen finde ich tatsächlich (noch) relativ schwer in Regeln zu gießen, die dann auch tatsächlich hilfreich sind. Ich habe mir hier in der Vergangenheit schon öfters Gedanken darüber gemacht, ich glaube aber, das ist etwas Erklärungsbedürftiger und daher einen eigenen Post wert.
Zum Spiel mit Bindungen, zumindest unter SCs, gibt es im Nachbarthread gerade schöne Ideen: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,115781.0.html
Zitat
Meine erste Grundannahme war nun, dass dem Charakter meines Kumpels gar nicht bewusst war, dass das, was er sagte und das, was er tat, im Widerspruch steht. Also haben wir ihn irgendwann in game darauf angesprochen. Sein Char zuckte nur mit den Schultern und konnte uns glasklar erklären, dass dies kein Problem sei, weil es eben ein anderes Prinzip gäbe, das noch wichtiger sei.

Seitdem habe ich das System der hierarchischen Prinzipien im Hinterkopf.

Vorneweg: Ich habe es noch nie am Spieltisch ausprobiert, sondern bisher nur als Gedankenexperiment. Aber eigentlich müsste es ganz gut funktionieren.

Jeder Charakter startet in das Spiel mit einem Set aus definierten Prinzipien.…
Für die meisten Menschen wäre zum Beispiel: "Du sollst nicht töten" wichtiger als "du sollst nicht stehlen", auch wenn dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss.
Ich habe schon mit Leuten diskutiert, die das anders sehen; das sind dann z.B. Leute, die Generika verbieten wollen *schüttel*.
Zitat
Möglichkeit 1: er bricht das Prinzip, weil er damit ein anderes, höher liegendes Prinzip (z.B. nicht zu töten) aufrecht erhält. In diesem Fall ist alles gut und die Tat hat keine Konsequenzen, weil er sich letztendlich Prinzipienkonform verhält - nur das halt in dieser speziellen Situation die Prinzipien in Widerspruch stehen. Dies ist, was bei meinem Kumpel meist der Fall zu sein scheint.
Soweit ich es verstehe, brauchst du hierfür Grundprinzipien — also die höchstliegenden Prinzipien, auf die du immer zurückfallen kannst, wenn du ein weniger wichtiges brechen willst. Das ist was, mit dem ich auch spiele — dafür habe ich die Grundantriebe übernommen: Jeder Char hat 3 der 18 Grundprinzipien, allerdings bisher nur als Hinweis und ohen Regeln.
Zitat
Möglichkeit 2: Er bricht das Prinzip, ohne damit ein höher liegendes Prinzip auszuführen. Es kommt zu besagter kognitiver Dissonanz, die sich beispielsweise in grundsätzlichen probenerschwernissen regeltechnisch äußern kann. Diese bleiben so lange erhalten, bis
a) das Prinzip so umgeschrieben wird, dass es im vorliegenden Fall nicht gebrochen worden wäre. Beispielsweise kann aus "du sollst nicht stehlen" ein "du sollst nicht ohne dringende Not stehlen" werden
b) ein in der Prinziphierarchie niedriger platziertes Prinzip gefunden wird, dass den Bruch des wichtigeren Prinzips geschützt worden wäre. In diesem Fall steigt das niedrigere Prinzip im Rang, bis es wichtiger ist als das gebrochene.
A und B klingen wie eine spannende Grundlage für ein spezialisiertes Spiel, das genau diese Aspekte erkundet.
Zitat
c) er für den Prinzipienbruch in irgendeiner Art und Weise buße getan hat

Und an dieser Stelle nochmal danke für die bisherige Diskussion, fand ich sehr spannend zu lesen!
Geht mir auch so — auch von mir danke!
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: BBB am 12.07.2020 | 14:18
Zum Spiel mit Bindungen, zumindest unter SCs, gibt es im Nachbarthread gerade schöne Ideen: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,115781.0.html

Ja, habe ich auch schon gesehen.
Bin auch schwer am überlegen, mir das eine oder andere dort genannte System mal näher anzusehen... wenn das Geld nicht nur schon anderweitig verplant wäre und ich mehr Zeit hätte...

Ich habe schon mit Leuten diskutiert, die das anders sehen; das sind dann z.B. Leute, die Generika verbieten wollen *schüttel*.

Das ist ein tolles Beispiel für Möglichkeit A. Aus: "Du sollst nicht töten" wird dann halt schnell "du sollst nicht aktiv töten, aber unter gewissen (im Zweifel flexiblen) Bedingungen ist es legitim lebensrettende Hilfe zu verweigerm."

Soweit ich es verstehe, brauchst du hierfür Grundprinzipien — also die höchstliegenden Prinzipien, auf die du immer zurückfallen kannst, wenn du ein weniger wichtiges brechen willst. Das ist was, mit dem ich auch spiele — dafür habe ich die Grundantriebe übernommen: Jeder Char hat 3 der 18 Grundprinzipien, allerdings bisher nur als Hinweis und ohen Regeln.

Exakt.
Und das schöne ist: Du kannst sogar einfach mit 3 Prinzipien anfangen und im Laufe des Spiels erweitern.
Hab sogar überlegt, ob man den Spielern nicht einen kleinen Bonus in irgendeiner Form gibt, wenn sie sich auf Basis bisheriger Verhaltensweisen dazu entscheiden, ein neues Prinzip festzuschreiben. Immerhin regt es das Charakterspiel an. Hab es aber bisher nicht ausprobiert (und bin auch eigentlich kein Freund davon, irgendwelche Belohnungen für Spielmechaniken einzuführen...)
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 12.07.2020 | 17:08
Hab sogar überlegt, ob man den Spielern nicht einen kleinen Bonus in irgendeiner Form gibt, wenn sie sich auf Basis bisheriger Verhaltensweisen dazu entscheiden, ein neues Prinzip festzuschreiben. Immerhin regt es das Charakterspiel an. Hab es aber bisher nicht ausprobiert (und bin auch eigentlich kein Freund davon, irgendwelche Belohnungen für Spielmechaniken einzuführen...)
Ich habe für mich eine Mechanik, über die Charakterentwicklung schneller geht; eigentlich nur für das Vernarben von Wunden: Wenn deine Wunden überhand nehmen, kannst du sie vernarben lassen, indem du einen Vorteil und einen gleichwertigen Nachteil nimmst. Der Vorteil zeigt, wieso du weitermachst, der Nachteil zeigt die Narbe, die bleibt.

Diese Option könntest du eröffnen, wenn jemand einen Grundwert ändert. Dadurch wird der Char nicht insgesamt stärker (es ist also keine echte Belohnung), kann aber in bestimmten Gebieten an Macht gewinnen. Er wird fokussierter. Die Schwäche macht ihn dabei angreifbarer (und damit interessanter).
Titel: Re: Psychologische Zustände
Beitrag von: ArneBab am 12.07.2020 | 17:10
Und das schöne ist: Du kannst sogar einfach mit 3 Prinzipien anfangen und im Laufe des Spiels erweitern.
Genau so fängt das an. Die 3, die du hast, werden aus achtzehn ausgewählt, um eine gemeinsame Grundlage zu haben. Du hast davon aber nur die 3 (ich denke, dass mehr unübersichtlich würden — gehe davon aus, dass eins der Prinzipien dominant werden wird).