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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielberichte => Thema gestartet von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:52

Titel: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:52
1

Angst macht,
dass wir zögern,
uns ein erstes Mal
dem Schlund des Schicksals
auszuliefern.

Angst macht,
dass wir eilen,
uns ein zweites Mal
dem Schlund des Schicksals
auszuliefern.

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:52
Ich gebe Essstäbchen aus und fülle einen Becher mit Limonade.

Reihum fischen wir mit den Stäbchen Honigbienen aus Glukosesirup aus einer Dose.

Wir tauchen die Honigbienen in die Limonade und stellen uns vor, wie sie langsam aufhören zu zappeln und ertrinken.

Wir essen die ertrunkenen Honigbienen und stellen uns vor, wie uns das Bienengift leicht berauscht.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:54
In der Morgendämmerung von Dégringolade steht ein namenloser Minotaur mit dominantem Blättermagen vor der „Seide“, einem Luxusbordell im Stadtteil Rhomoon. Er durchschreitet unsicher das Eingangstor, läuft durch den Vorgarten und klopft schließlich an die Haustür. „Komm ´rein!“, fordert ihn eine Stimme auf. Der Minotaur – nennen wir ihn den ersten Advokaten – tritt zögerlich ein. Ein anderer Minotaur kommt auf ihn zu legt ihm die Hand auf die Schulter: „Unsere neue Wache! Sei gegrüßt, Bruder!“

Vor ein paar Tagen ist es dem ersten Advokaten gelungen, in der „Seide“ eine Anstellung zu finden. Er hatte in der vergangenen Saison seine Samenkörner durch eine sehr anstrengende Anstellung als Erntehelfer verdient. Nie wieder, hatte er sich geschworen. Als Bordellwache rechnet er damit, hin und wieder Stänkerer oder Kunden, die Probleme machen, hinausschmeißen zu müssen. Sicherlich wird man ihn auch für alle möglichen Handlangerdienste einsetzen. Insgesamt wird es aber wohl kaum so schlimm werden, wie auf dem Feld bei der Ernte. Die Arbeit wird möglicherweise auch abwechslungsreicher sein und bringt ihm sogar ein kleines, eigenes Zimmer. Beim Einstellungsgespräch lernte der erste Advokat zwei Personen kennen. Das Gespräch führte Ashtavede, der Bordellier. „Ein Minotaur mit Namen“, dachte der erste Advokat, musste aber neidlos anerkennen, dass es sich um ein prächtiges Exemplar seiner Gattung handelt: Ashtavede besitzt eindrucksvolle Hörner, mehrere Tätowierungen und raucht sogar im Beisein seines Chefs grüne, handgerollte, glimmende Zigarren. Dieser Chef war der andere, den der erste Advokat bei seinem Einstellungsgespräch kennenlernte: Haygaram Ooryphas, der Besitzer des Etablissements. Der Mann hielt sich im Hintergrund, sein Nicken entschied aber schließlich über die Anstellung des ersten Advokaten.

Nun wird der erste Advokat an seinem ersten Arbeitstag vom Bordellier begrüßt. Nie würde es ihm einfallen, den Minotauren als „Bruder“ zu bezeichnen. So antwortet er: „Ashtavede, ich bin erfreut, dich zu sehen!“

Ashtavede zeigt dem ersten Advokaten das Haus. Er führt ihn in den offenen Innenhof, der mit Kieswegen ausgelegt ist. Bequeme Kissenlager, seidene Paravents, ein paar Insektenfangnetze und drei kleine Teiche dominieren den angenehmen Raum. Danach lernt der erste Advokat den Empfangsbereich kennen und wirft einen Blick in die Werkstätten, Vorratsräume, den Küchenbereich und den Speisesaal. Er bekommt gezeigt, wo sich die Räume der Damen befinden, wo das Privatgebäude des Besitzers und das kleine Haus der Minotaurendiener stehen. Schließlich bekommt er ein kleines Zimmer zugewiesen, in dem er seinen Leinensack abstellt. Dann sagt Ashtavede: „Komm jetzt, Ooryphas wartet auf dich!“

Die beiden Minotauren kehren in den Innenhof zurück. In einer der Sitzgelegenheiten lümmelt sich der Eigentümer des Bordells. Er sagt zum ersten Advokaten: „In den Teichen schwimmen Nachtfische. Hole die toten heraus und wirf sie auf den Müll. Achte darauf, dass du keinen übersiehst!“ Ashtavede zieht sich etwas zurück und beobachtet vom Rand des Innenhofes die erste Arbeit seines neuen Mitarbeiters. Der erste Advokat schaut in einen der Teiche. Im zunehmenden Tageslicht ist gerade noch zu erkennen, dass die Fische schwach leuchten. „Bei Nacht ergibt das sicherlich ein eindrucksvolles Bild“, denkt der erste Advokat. Dann aber sieht er, dass ein paar der Fische nicht mehr leuchten. Der erste Advokat nimmt einen von ihnen heraus und schaut genau hin. Woran ist der Fisch gestorben? Ooryphas schaut seinem neuen Angestellten amüsiert zu und sagt: „Sie gehören eigentlich in den Fluss. Wir müssen sie regelmäßig austauschen. Jetzt fang an, an die Arbeit! Gibt Acht, dass kein toter Fisch mehr im Wasser schwimmt. Tote Fische sind widerlich. Wenn du einen übersiehst, frisst du ihn!“

Der erste Advokat müht sich redlich. Er holt sich einen der Insektenkescher, steigt sogar in die Teiche und holt alle toten Nachtfische heraus, die er fangen kann. Zwischen den leuchtenden Überlebenden sind sie allerdings ziemlich unscheinbar. Am Ende hat der erste Advokat das Gefühl, alles gegeben zu haben, ob er aber alle toten Fische erwischt hat, weiß er nicht genau.

Haygaram Ooryphas erhebt sich ächzend aus seinem Kissenlager. Er geht zu einem der Teiche, schaut kurz hinein und nimmt einen Fisch heraus. Für einen Moment scheint es dem ersten Advokaten, als habe er das Tier in seinen Händen zerquetscht. „Hier“, ruft Ooryphas, „du hast einen übersehen! Ich habe dich gewarnt! Los, runter mit ihm! Friss ihn!“ Der erste Advokat wirft Ashtavede einen erschrockenen Blick zu. Der Bordellier schaut ihn verlegen an und zuckt mit der Schulter. Da nimmt der erste Advokat den Fisch, schließt die Augen und schluckt einen Großteil des toten Fisches. Es fühlt sich an, als werde der Fisch in seinem Blättermagen zu einem schweren Stein. Ooryphas lacht und sagt: „Weiter so, Wächter. Fürs erste hältst du dich an Ashtavede!“ Noch immer gackernd verlässt Ooryphas den Innenhof.

„Warum hat er das gemacht?“, fragt der erste Advokat Ashtavede. Der antwortet: „Er ist eben so. Das sagt er sogar von sich selbst. Es macht ihm Spaß, seine Angestellten ein wenig zu schikanieren. Andere verstellen sich, ich verstelle mich nie, behauptet er von sich selbst. Vielleicht ist das wirklich ein Vorteil. Du siehst sofort, dass er ein Widerling ist. Sei aber nicht zu besorgt. Du wirst relativ selten mit ihm zu tun bekommen, denn in der Regel bin ich für dich zuständig. Geh jetzt in die Wäscherei. Da gibt es Arbeit für dich.“ Der erste Advokat nickt und geht.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:55
In der Morgendämmerung von Dégringolade steht ein namenloser Minotaur mit dominantem Labmagen im Schneckengarten seines Herrn Porfirio Empyreus und korrigiert dessen Bewässerung. Hin und wieder reibt er sich den Schlaf aus den Augen und lässt dann seinen Blick über das Anwesen schweifen. Er blickt auf den breiten Fluss und sieht am anderen Ufer das Luxusbordell „Seide“. Dann blickt er über die niedrige Mauer des Anwesens und sieht ein paar Menschen, die an dem Grundstück vorbeiziehen. Sie deuten von der Straße aus auf die Mauer und scheinen sich über irgendetwas zu unterhalten. Der Minotaur – nennen wir ihn den ersten Soldaten – fragt sich: „Was es dort zu sehen geben mag?“

Zunächst fährt er mit seiner Arbeit fort. Schnecken werden von reichen Adligen in Dégringolade gern als Rauschmittel konsumiert. Sein Herr Porfirio ist ganz verrückt nach den Tieren und auch seine Gattin Saaroni ist keine Kostverächterin. Oft haben sie Gäste, die extra zum Schneckenessen eingeladen werden. Die Jagd auf die Schnecken gehört dabei zum Ritual, das jeder Süchtige auf sich nimmt. Damit sie aber von Erfolg gekrönt ist, sind verschiedene Anstrengungen notwendig. Hier kommt der erste Soldat ins Spiel. Er hält die kleine Bewässerungsanlage, die den Schneckengarten mit dem Wasser des nahe gelegenen ewigen Flusses Vadhm versorgt, instand, bekämpft unliebsame Kakerlaken und Pilze und sorgt ganz allgemein dafür, dass genügend Tierchen zur Verfügung stehen, wenn die Hausherren das Bedürfnis nach einem neuen Rausch verspüren. Um die sieben Kinder von Porfirio und Saaroni kümmern sich in diesen Momenten nur die im Haus arbeitenden Minotauren.

Auch heute wieder bemüht sich der erste Soldat um gewissenhafte Arbeit. Hin und wieder schweift seine Konzentration aber ab, denn immer wieder erscheinen Passanten auf der Straße, die offenbar irgendetwas Bemerkenswertes auf der Mäuerchen des Grundstücks entdecken. Manche unterhalten sich darüber, andere schauen hin und tun so, als hätten sie nichts gesehen. Den ersten Soldaten packt die Neugier, er verlässt seinen Schneckengarten und wirft einen Blick auf die Mauer. Dort findet sich ein frisch angebrachtes Sgraffito. Neben einem stilisierten Minotaurenkopf stehen die Worte: „Stutzen und sanieren!“ Der erste Soldat stutzt. Stutzen und sanieren? Was soll das? Wer soll denn stutzen? Soll etwas gestutzt werden? Er hat keine Ahnung. Schließlich kehrt zu seinem Schneckengarten zurück, ist aber mit seiner Arbeit für eine Weile nicht mehr so recht bei der Sache.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:56
In der Morgendämmerung von Dégringolade steht ein namenloser Minotaur mit dominantem Labmagen im Massageraum von Porfirio Empyreus. Aus Vorräten, die er gestern besorgt hat, mischt er ein neues Vitalisierungsöl zusammen. Plötzlich kommt eine Dachwache des Hauses herein. Der Minotaur trägt einen leise jammernden fünfzehnjährigen Knaben über der Schulter und legt ihn vorsichtig auf die Liege des Massageraums. Dann ruft er dem anderen Minotauren – nennen wir ihn zweiten Soldaten – zu: „Es gibt Arbeit, schau dir Ajatashatrus´ Knöchel an.“

Ajatashatru ist der älteste Sohn des Hauses. Der zweite Soldat besorgt nicht nur bei den lokalen Apothekern, Kräuterkundigen und Gemüsehändlern Ingredienzen, aus denen er seine Öle und Duftwässerchen zusammenmischt, er massiert auch den Hausherrn und seine Frau Saaroni, und behandelt die kleineren Wunden und Verletzungen der Familienmitglieder, was ihn in einem Haus mit sieben Kindern permanent auf Trab hält.

Heute erkennt der zweite Soldat schnell, dass der Knöchel zwar verdreht ist, aber keine gravierende Gefahr damit verbunden ist. Er renkt ihn wieder ein und untersucht Porfirios ältesten Sohn sicherheitshalber noch weiter. Das Gesicht des Knaben ist bleich, als habe er in der vergangenen Nacht keinen Schlaf gefunden. Es ergibt sich ein kleines Gespräch:

„Junger Herr, habt ihr starke Schmerzen?“

„Es geht, Rind!“

„Wie ist das geschehen, wollt ihr es mir nicht erzählen?“

„Ich bin gelaufen und vom Bordstein abgerutscht.“

„Ah, ein Sportunfall also. Darf ich eurem Vater davon berichten?“

„Nein. Behalte das für dich!“

„Ganz wie ihr wünscht, junger Herr!“

Noch während dieses Gespräches entdeckt der zweite Soldat weitere Blessuren am Körper Ajatashatrus.  Auf Arm und Bein sind drei deftige blaue Flecken zu erkennen, die nach Stockschlägen oder ähnlichem aussehen. Der zweite Soldat überlegt, dann sagt er:

„Wisst ihr, junger Herr, in meiner Jugend habe ich mich hin und wieder um Höchstleistungen bemüht. Manchmal habe ich dabei meine körperliche Unversehrtheit aufs Spiel gesetzt. Ich kann von Glück sagen, dass ich keine dauerhaften Schäden davongetragen habe.“

Ajatashatru schaut den zweiten Soldaten mit erwachender Neugier an. Schließlich fragt er:

„Sag´ mal, Rind, hast du dabei so ein aufregendes Gefühl verspürt? So eine Ahnung, als befändest du dich für einen Moment im Zentrum der Welt? Und hattest du Gefährten, die dich für deine Taten bewundern?“

Die Antwort erfolgt zögerlich:

„Möglich, junger Herr, das ist lange her... ist es so ein Moment gewesen, dem ihr diese Blessuren verdankt?“

Der Knabe überlegt einen Moment, nickt dann aber. Schließlich sagt er: „Mein Vater muss davon nichts wissen. Kann das unter uns bleiben?“

Der zweite Soldat nickt: „Selbstverständlich, junger Herr. Ihr solltet euch jetzt eine Weile ausruhen.“ Schnell fallen dem Knaben die Augen zu. Dann räuspert sich die Dachwache, die immer noch im Eingang des Massageraums steht und die Behandlung mit angesehen hat:

„Er hat dir nur die Hälfte erzählt. Komm mit!“ Mit der Dachwache betritt der zweite Soldat die Wachstube. Aus einem Schrank kramt die Dachwache einen fellartigen Umhang, auf den die recht geschickte Nachbildung eines Minotaurenkopfes befestigt wurde. „Ich habe ihn in diesen Umhang gehüllt aufgegriffen. Was sagst du dazu?“

Der zweite Soldat ist verunsichert, vielleicht auch etwas angewidert: „Warum zieht sich Ajatashatru so ein Ding über den Schädel?“ Die beiden Minotauren wissen es nicht. Die Dachwache sagt: „Ajatashatru sagt, ich soll es in sein Zimmer bringen. Vorher wollte ich es dir aber gezeigt haben.“ Der zweite Soldat sagt: „Danke Bruder! Das ist ja eine mysteriöse Angelegenheit...“

Grübelnd kehrt der zweite Soldat in den Massageraum zurück.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:57
In der Morgendämmerung von Dégringolade sitzt ein namenloser Minotaur mit dominantem Netzmagen vor seiner Hütte am Vadhm, dem ewigen Fluss, flickt seine Netze und schaut sich um. Zu seiner Rechten befindet sich das Mäuerchen zum Anwesen von Porfirio Empyreus. Wie so oft sieht er in einiger Entfernung dessen Schneckengärtner die Bewässerungsvorrichtungen justieren. Die Blicke der beiden Minotauren treffen sich kurz, ein freundliches Nicken folgt. Alles scheint so zu sein, wie viele Morgendämmerungen zuvor. Nur das Wasser des Flusses verhält sich etwas seltsam und scheint immer wieder ein paar merkwürdige, langsame Strudelbewegungen zu vollführen. Nachdem der Minotaur – nennen wir ihn den Anführer – den gestrigen Tag mit kleineren Reparaturarbeiten an seinem Boot verbrachte und in Kürze auch die übrige Ausrüstung auf Vordermann gebracht hat, wird er in Kürze endlich wieder auf dem vor seiner Hütte liegenden schlammigen Flussabschnitt fischen können.

Dann aber tauchen Flussdelphine aus den Fluten des Vadhm auf. Schelmisch schauen sie unter ihren buschigen Augenbrauen aus dem Wasser hervor und stellen ihre prächtig geringelten Schnurrbärte zur Schau. Der Anführer schaut ihrem Spiel zu und bewundert, wie sie ihre schwarzen Hautflecken hin und her schieben und dabei immer neue Muster bilden. Woher die Flussdelphine kommen, weiß niemand so genau, sie tauchen aber öfter im Vadhm auf. Was nun geschieht darf aber als Rarität gelten. Selbst der Anführer, der fast täglich auf dem ewigen Fluss unterwegs ist, hat es bisher nur dreimal, und auch nur aus der Entfernung, miterleben dürfen. Die Flussdelphine kriechen aus dem Wasser und suhlen sich ganz in der Nähe seiner Fischerhütte im Uferschlamm. Während sie dem Anführer hin und wieder einen Blick zuwerfen und ein paar Rotbauchunken ein paar glockenartige Töne erzeugen, singen sie von ihrer alten Sehnsucht nach der Heimat. Gebannt lauscht der Anführer – und auch der vielleicht zwanzig Meter entfernt in seinem Schneckengarten arbeitende erste Soldat hält andächtig inne.

Es gibt ein´ See, weit weg von diesem Ort,
du findest Freundschaftsfisch und Guppies dort,
der See, der unsre liebe Heimat ist,
wo Städte steh´n und den kein Fisch vergisst.

Wo ich auch bin, ich denke jede Stund´,
an seiner klaren Fluten kühlen Grund.
Mein Herz ersehnt voll Ungeduld die Zeit
Zu der ich wieder dort durch´s Wasser gleit´.

Bis dahin schütze mich der Hirte groß,
vor Netz und tödlichem Harpunenstoß.
Er führe mich ohn´ Trockenheit und Weh´
Durch helle Flüsse zum Belugha See.

„Ein besonderer Morgen!“, denkt der Anführer und während die Rotbauchunken noch ein paar letzte Töne von sich geben lässt er vorsichtig zwischen den Flussdelphinen sein Boot zu Wasser und beginnt zu rudern. In der Flussmitte angelangt trifft er einige Vorbereitungen, aber heute kommt es anders als er denkt. Während er noch gedankenverloren die Gewichte des Netzes sortiert, wird er auf ein Rauschen aufmerksam. Er dreht sich um und sieht in unmittelbarer Nähe die Vadhm Fähre auf sein Ruderboot zu steuern. Sie ist wie immer gut mit Passagieren gefüllt und wird von vier namenlosen Minotauren gerudert. Am Bug steht der Lotse der Fähre, sein Blick ist unbeirrbar auf das Ziel seiner Fahrt gerichtet, die Anlegestelle auf der anderen Seite des Gutes von Porfirio Empyreus. Das Fischerboot des Anführers scheint er nicht zu bemerken. Der Anführer macht ein paar hilflose Ausweichversuche, kann aber sein Boot auf die Schnelle nicht mehr ausreichend wenden. Er ruft um Hilfe, weil er aber befürchtet, ungebührlich Aufmerksamkeit für seine Lage zu beanspruchen, gerät ihm sein Ruf nur halblaut und erweckt lediglich die Aufmerksamkeit einiger Passagiere, die nun neugierig mit ansehen, wie sich die Situation entwickelt. Schließlich erreicht die Fähre sein Boot. Der Anführer nimmt sein Ruder und versucht sich mit ihm von der Bugwand der Fähre abzustoßen. Unglücklicherweise rutscht ihm das Holz dabei ab und gleitet ihm aus den Händen. In einem hohen Bogen fliegt es durch die Luft und landet auf dem Deck der Fähre. Verzweifelt nimmt der Anführer seine Arme zur Hilfe und drückt gegen den Bug der Fähre. Unter Einsatz all seiner Kraft gelingt es ihm, sein Boot aus dem Gefahrenbereich zu bewegen. Fingerbreit gleitet die Fähre an seinem Boot vorbei. Als er sicher ist, dass er eine Kollision vermeiden konnte, lässt der Anführer schweißüberströmt von der Steuerbordwand der Fähre ab. Er blickt zum Deck der Fähre hinauf und sieht ins Gesicht des Lotsen, der sein Fischerboot inzwischen bemerkt hat und seinen Bemühungen leicht amüsiert zuschaut. Der Anführer ruft ihm zu: „Herr! Mein Ruder! Es ist auf eurem Deck! Es war mein Fehler! Bitte!“ Inzwischen hat der Anführer die Aufmerksamkeit aller Fahrgäste auf sich lenken können. Der Lotse der Fähre genießt die Szene offensichtlich und ruft ihm zu: „Wie war das? Sag´s nochmal, Rind!“ Und der Anführer wiederholt: „Mein Ruder! Es war mein Fehler! Seid so gut und werft es mir zu!“, aber während er noch spricht fühlt es sich in seinem Inneren so an, als bilde sich in seinem Netzmagen ein schwerer Stein. Unter dem Lachen der Fahrgäste wirft der Lotse der Fähre dem Anführer mit einem gönnerhaften Blick das Ruder zu. Dann gleitet das Heck der Fähre an dem Fischerboot vorbei.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:59
In der Morgendämmerung von Dégringolade zieht ein namenloser Minotaur mit dominantem Pansen durch Rhomoon. Sein Ziel ist das Luxusbordell „Seide“, wo er der Dame Halifa seine Botendienste anbieten möchte. Nach einer längeren Wanderung entlang am Ufer des Vadhm erreicht er sein Ziel und klopft. Ihm öffnet der erste Advokat, ein Minotaur, den er noch nie gesehen hat. Der Neuankömmling – nennen wir ihn den Philosophen – begrüßt ihn unsicher: „Ich bin ein Bote für eine eurer Damen. Lässt du mich ein, Bruder?“ Der erste Advokat antwortet: „Sicher doch, zu wem willst du?“ In dem Moment, wo er diese Frage stellt, merkt er, dass er seinem Gesprächspartner damit unnötige Probleme bereitet, denn ein Minotaur, der die Regeln der Stille einhält, wird keine Frauennamen aussprechen. Wer Frauennamen ausspricht, kann den Anschein erwecken, zu begehren und Begehren hat Minotauren noch immer in Schwierigkeiten geraten lassen.

So druckst auch der Philosoph eine Weile herum und fragt den ersten Advokaten: „Kann ich nicht mit irgendeiner der Damen sprechen? Ich denke, sie kennen sich gegenseitig gut genug, um mich an die  richtige verweisen zu können.“ „Komm mit“, sagt der erste Advokat und führt den Philosophen in den Innenhof. Dort sitzen ein paar der Damen beim Frühstück. Der Philosoph grüßt sie und sagt: „Eine von euch hat nach einem Boten verlangt. Wisst ihr, wer das war?“ Die Dame Gulnar sagt daraufhin: „War das nicht Halifa? Sie hat so etwas erzählt. Halifa hat das Zimmer ganz hinten links.“

Der Philosoph bedankt sich und schaut den ersten Advokaten an. Dieser winkt ihm zu und führt ihn zum besagten Zimmer. Während der erste Advokat neben dem Zimmereingang Posten bezieht, klopft der Philosoph an die Wand neben dem Eingang, eine Frauenstimme ruft: „Tritt ein!“, er schiebt einen Makramee Türvorhang zur Seite und gelangt in einen kleinen, geschmackvoll ausgestatteten Raum. Es riecht würzig nach verbranntem Butterschmalz, denn Halifa sitzt an einer kleinen Feuerstelle, über der sie gerade Kajal herstellt. Der Philosoph begrüßt Halifa und fragt: „Habt ihr nach einem Boten verlangt, ehrenwerte Dame?“ Halifa schaut ihn an und nickt ernst. Hinter ein paar Kissen zieht sie einen Brief heraus und drückt ihn dem Philosophen zusammen mit ein paar Samenkörnern in die Hand. Der Philosoph hat eine neue Kundin.

Lange Zeit hat er seinen Unterhalt mühsam durch Gelegenheitsarbeiten verdient und lebte am Rande des Existenzminimums, seit ein paar Monaten aber hat er eine etwas lukrativere Einkommensquelle für sich entdeckt. Es begann damit, dass er für die Kräuterfrau Shirin Bano Briefe an ihren Geliebten überbracht hat. Aufgrund seiner Verschwiegenheit und Zuverlässigkeit ist er danach weiter empfohlen worden. Inzwischen gibt es einige Frauen, die ihn für ähnliche Botengänge bezahlen, die meisten leben im Stadtteil Rhomoon in einem Viertel für Wohlhabendere. Neben Shirin Bano handelt es sich dabei um Goulizar, die einen Minotauren liebt, Saaroni, die Gattin des reichen Porfirio Empyreus und Sinemis. Halifa, die Prostituierte aus der „Seide“, ist eine Freundin Shirin Banos und hat wohl ihr gegenüber nach deinen Diensten verlangt. Das Leben des Philosophen ist erträglicher geworden, es ist aber immer noch beschwerlich. Da Dégringolade eine riesige Metropole ist, führen ihn seine Botengänge oft viele Kilometer durch die Stadt. Seine Nächte verbringt er oft unter Brücken oder in den Schuppen oder Gartenhäusern seiner Kundinnen. Beim Umgang mit seinen Kundinnen muss er stets ein Auge auf mögliche eifersüchtige Ehemänner, Väter, Freier und andere unliebsame Zeitgenossen haben, die auch ihm gegenüber gewalttätig reagieren können.

Seine Begegnung mit Halifa scheint aber ungefährlich zu verlaufen. Dafür bemerkt der Philosoph ein tiefes Seufzen der Dame, als sie ihm ihren Brief übergibt. Sie sagt: „Der Brief ist für Gerdotesa, den Verwalter vom Turm der Helden.“ Der Philosoph runzelt die Stirn, sagt dann aber: „In Ordnung.“ Der Turm der Helden ist ein brüchiges, kunstvoll gearbeitetes Gebäude in Lehekesh, in der Nähe der Mündung des Vadhm ins Meer. Das ist etwa 30 Kilometer entfernt. Der Turm ist ein beliebtes Ausflugsziel, denn es heißt, dass dort die Geister der ehemaligen Turmbewohner spuken und bei Nacht Szenen aus ihrem Leben nachstellen. Der Philosoph räuspert sich und fragt: „Soll ich auf eine Antwort warten?“ Halifa seufzt erneut und sagt: „Ja, aber ich bitte dich, dränge ihn nicht.“ Der Philosoph nickt. Er will gehen und steckt den Brief in seinen Gürtel. Halifa sagt: „Da wäre noch etwas. Es wäre mir lieb, wenn Gerdotesa nichts von meiner Anstellung in der „Seide“ erfahren würde. Verstehst du das?“ Der Philosoph stutzt und sagt: „Sicherlich. Ich bin nur der Bote, meine Dame. Seien Sie unbesorgt.“ Begleitet von einem weiteren Seufzer Halifas verlässt der Philosoph das Zimmer, grüßt den immer noch am Eingang stehenden ersten Advokaten und zieht davon.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 17:59
Halifas Seufzer scheinen das Mitleid des ersten Advokaten erregt zu haben. Er betritt ihren Raum und verbeugt sich respektvoll vor ihr. „Wer bist du?“, fragt Halifa erstaunt. Da erst wird dem ersten Advokaten bewusst, dass er in der „Seide“ ja noch ein Unbekannter ist. Unsicher stammelt er: „Ich bin die neue Wache und – nun – sorge mich um euer Wohlergehen. Kann ich etwas für euch tun?“ Halifa zeigt sich erstaunt und sagt: „Es ist alles in Ordnung. Wenn ich jemanden brauche, rufe ich.“ Als aber der erste Advokat unter einer weiteren Verbeugung den Raum wieder verlässt, schaut ihm Halifa neugierig hinterher.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 18:00
Am Nachmittag kehrt der Anführer mit einem relativ guten Fang zurück zu seiner Hütte. Er legt die Fische in einen Korb, schultert ihn und macht sich auf den Weg zum nächsten Markt. Als er an der Mauer des Gutes von Porfirio Empyreus vorbei geht, sieht er das Sgraffito und ärgert sich. Sanieren und stutzen! Dann dieser Minotaurenkopf! Es scheint doch wieder irgendjemand seine Brüder drangsalieren zu wollen! Laut ruft er: „Sanieren und stutzen, in Ordnung, das könnt ihr haben! Darauf folgt dann aber auch Brechen und Durchbohren!“ Der erste Soldat eilt aus dem Schneckengarten zu ihm. Zwei Träger mit leerer Sänfte bleiben auf der Straße neben ihm stehen. „Was ärgert dich so, Bruder?“, fragt der erste Soldat. Der Anführer zeigt auf das Sgraffito und sagt: „Müssen wir uns das bieten lassen? Da äußert sich doch blanker Hass!“ Einer der Sänftenträger behauptet: „Den Spruch gibt es seit ein oder zwei Wochen an mehreren Stellen in der Stadt. Ich weiß nicht, was er bedeutet, aber in meinen Augen muss er sich nicht unbedingt gegen die Minotauren richten.“

Währenddessen ruft im Inneren des Hauses die Herrin Saaroni den erstbesten verfügbaren Minotauren herbei. Es trifft den zweiten Soldaten. Saaroni sagt ihm: „Da ist eine Schmiererei an unserer Grundstücksmauer? Du beseitigst sie. Heute Abend sieht sie aus, wie zuvor.“ Der zweite Soldat nickt, holt sich einen Schwamm und einen Holzeimer und gesellt sich zu dem Grüppchen auf der Straße.

Nachdem er dem Gespräch eine Weile zugehört hat sagt er: „Wie auch immer. Unsere Herrin scheint kein Gefallen an dem Spruch zu haben. Ich habe den Auftrag, die Schmiererei zu beseitigen.“ In dem Moment tritt Roshaan, der zwölfjährige zweite Sohn des Hauses, an den zweiten Soldaten heran. Er scheint auf der anderen Seite der Mauer gelauert, dem Gespräch ebenfalls zugehört zu haben und wendet sich nun an den zweiten Soldaten. „Du willst den Spruch verschwinden lassen? Warum?“ Der zweite Soldat gibt ihm zu verstehen, dass seine Mutter saubere Wände bevorzugt. Roshaan schmollt und sagt: „Aber die Idee ist trotzdem gut!“. Er will schon verschwinden, da ruft ihn der Anführer noch einmal herbei und fragt: „Was denn für eine Idee?“ „Na, sanieren und stutzen“, sagt Roshaan. Etwas mühsam erfahren die Minotauren, dass es sich um eine neue Idee handelt, die einige Menschen vertreten. Sie wollen Minotauren an den Stadtrand von Dégringolade schicken und sie den vordringenden Urwald stutzen lassen. Die Minotauren sollen auch die Würgefeigen und Banyanbäume, die in der gesamten Stadt bereits den Stein zerstören, beseitigen und die verfallenen Häuser sanieren. „Dann wird die Stadt viel schöner sein!“, endet Rashoon seine Erklärung und verschwindet. „Eine Menge Arbeit“, murmelt einer der Sänftenträger. „Aber wenigstens eine sinnvolle Arbeit“, meint der zweite Soldat. „Besser jedenfalls, als uns die Hörner zu stutzen“, meint der Anführer und zieht weiter in Richtung des Marktes, wo er seine Fische verkaufen will.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 18:00
Noch etwas später erreicht der Philosoph das Haus von Porfirio Empyreus. Er hat beschlossen vor seiner Reise nach Lehekesh noch bei Saaroni nachzufragen, ob sie nicht auch noch etwas Arbeit für ihn habe. Nach seiner Überfahrt auf der Fähre über den Vadhm erreicht er pünktlich zum Nachmittagsmonsun das Haus. Während er sich auf dem Kiesweg dem Haus nähert, blickt er in das ausdruckslose, steinerne Gesicht, das an einigen Häusern der wohlhabenderen Bewohner Dégringolades zu finden ist. Wenig später steht er im Raum von Saaroni, die ihn empfängt. In einiger Entfernung befindet sich ein weiterer Minotaur, der an einem Stehpult einige Schriftstücke sortiert. Saaroni beginnt sofort mit dem Gespräch: „Du kommst zur rechten Zeit, Rind! Ich habe zwei Briefe für dich.“ Mit diesen Worten drückt sie dem Philosophen zwei nach Patchouli riechende Umschläge in die Hand. „Der eine ist für Durokshan, hast du von ihm gehört? Das ist dieser Duellkämpfer, über den im Moment ganz Dégringolade spricht. Der andere ist für Nagur Mulukutla, den Wirt vom friedlichen Mungo, dort warst du ja schon.“ „Herrin“, erwidert der Philosoph, „wollt ihr die Briefe nicht kennzeichnen, damit ich sie nicht durcheinander bringe?“ Saaroni überlegt. „Es wäre ärgerlich, wenn du sie verwechseln würdest, da hast du Recht.“ Schnell zeichnet sie auf den einen Brief ein D, auf den anderen ein N. Der anwesende Minotaur sortiert während des gesamten Gesprächs ungerührt weiter die Schriftstücke auf dem Stehpult.

Als der Philosoph die Briefe entgegengenommen und ein paar Samenkörner kassiert hat, platzt plötzlich Porfirio Empyreus in den Raum seiner Gattin. Er ist von seinem Schneckenkonsum in der vergangenen Nacht noch immer leicht benebelt und scheint etwas wacklig auf den Beinen. „Was geht hier vor?“, ruft er. Saaroni antwortet ihm: „Ich verschicke Einladungen für unsere nächste Gesellschaft an die Verwandten. Rege dich nicht auf!“ Porfirio blickt streng. „Ich habe immer weniger Einblick in deine Geschäfte, Saaroni! Das gefällt mir nicht. Die Einladung übernehme von nun an ich selbst. Du wirst keine Boten mehr empfangen.“ Saaroni entgegnet: „Das ist nicht dein Ernst, Porfirio!“ Aber der Hausherr bleibt stur: „Doch, Saaroni. Das Thema wird einen Monat lang nicht besprochen.“ Energisch wendet sich Porfirio ab und muss sich ein wenig am Türrahmen festhalten, als er das Zimmer seiner Frau verlässt. Saaroni wirft ihm einen genervten Blick hinterher.

Zögerlich meldet sich der Philosoph zu Wort. Saaroni ist seine beste Kundin. Er sagt: „Herrin, wie darf ich mir den Fortgang unserer Geschäftsbeziehung vorstellen?“ Saaroni zuckt mit den Schultern. Dann sagt sie: „Im kommenden Monat bekommst du deine Aufträge vom Erzieher des Hauses. Mit diesen Worten deutet sie auf den Minotauren am Stehpult. Er wirft dem Philosophen einen kurzen Blick zu und nickt ihm leicht zu. Der Philosoph verabschiedet sich. Eine Zeitlang steht er allein in der Diele des Hauses und wartet, bis der Monsun geendet hat. Dann macht er sich auf den Weg nach Khostalush. Er muss einen Duellkämpfer finden.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 27.07.2020 | 18:01
Drei namenlose Minotauren sitzen an einem Straßenrand in Rhomoon. Zwei von ihnen sind Kautschukerntehelfer, die auf der an die Straße grenzenden Plantage arbeiten, der dritte ist ein vorbeigekommener Bronzegießer. Während der Bronzegießer ihnen zwei Gläser von seinem Palmwein einschenkt, teilen die Kautschukbauern ihren Kokoscurry mit ihm.

Der erste Kautschukbauer: „Hast du von dem Bruder gehört, der in seinem Fischerboot heute beinahe mit der Fähre zusammengestoßen ist?“

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“

Der erste Kautschukbauer: „Er wollte sich mit seinem Ruder von der Fähre abstoßen, hat es aber stattdessen auf die Fähre geworfen.“

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“

Alle drei lachen.

Der zweite Kautschukbauer: „Vergiss nicht die Flussdelphine zu erwähnen!“

Der erste Kautschukbauer: „Kurz vorher sollen die Flussdelphine gesungen haben.“

Der Bronzegießer: „Aha?“

Der erste Kautschukbauer: „Kein Grund, sein Ruder wegzuwerfen, oder?“

Der zweite Kautschukbauer: „Hast du die Flussdelphine schon einmal singen hören? Das ist ein Erlebnis! Es gab heute ein paar Leute, die behauptet haben, dass die Flussdelphine für den Fischer gesungen haben.“

Alle drei denken eine Weile nach.

Der Bronzegießer: „Was war das für ein Fischer?“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:39
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Wenn sich in uralten, zerfallenden Gebäuden die Dämmerung breitmacht,
überwucherte Dächer, unerbittliche Steingesichter und lebendes Grün sichtbar werden,
die Grillen, Zikaden und Riedfrösche verstummen,
die Mistfledermäuse ihre Jagd auf Insekten in den dunklen Straßen beenden und zu ihren Nestern im Dschungeldach zurückkehren,
sich im Hinterhof Tänzerinnen zu einer frühen Probe versammeln,
und die Sonne ihre ersten Strahlen über das östliche Meer sendet,
dann sei gefasst
auf einen neuen Tag in der Fremde.

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:41
Ich entzünde Räucherstäbchen.

Sie beginnen zu glimmen und erfüllen unsere Nasen mit dem Geruch von Sandelholz.

Wir blicken ihren Schwaden nach bis sie sich im Blätterwerk einer Birke verlieren.

Im dunklen Grün der Blätter zeichnen sich schon bald fremdartige Formen ab.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:46
Am späten Vormittag des nächsten Tages erreicht der Philosoph das Stadtzentrum in Kostalush. Hier befindet sich der zentrale Platz der Dégringolades, ein mit Backsteinen ausgelegtes Geviert, vielleicht 300 mal 100 Schritt groß. Zu seiner Linken ragt der über hundert Schritte hohe Turm des reichen Bogenmachers Yala Ashrouf in die Höhe, an den seine Werkstätten angrenzen, in denen er längst andere für sich arbeiten lässt. Zu seiner Rechten steht das opulente Stadthaus von Arethas Empyreus. Auf dem Platz findet manchmal ein Markt statt, manchmal bieten hier auch Schausteller Vergnügungen und Zeitvertreib an. Der Philosoph ist aber vor Ort, weil hier oft auch Krieger, Söldner und Duellkämpfer ihre Dienste anbieten. Er schaut sich um und erkennt am Rand des Platzes einige Sänftenträger, die auf Kunden warten, auch einige Händler haben ein paar Stände aufgebaut. In der Mitte des Platzes ist aber ein Podest errichtet worden, auf dem ein Ausrufer mit schriller Stimme einige Männer und Minotauren präsentiert und ihre Fähigkeiten anpreist. Gespannt achtet der Philosoph auf ihre Namen.

Er muss nicht lange warten. Schon bald wird ein muskulöser, gutaussehender junger Mann mit einem etwas überheblichen Lächeln vorgeführt. Der Ausrufer informiert die Umstehenden, dass es sich um den Duellkämpfer Durokshan handele, der neue, aufsteigende Stern am Himmel Dégringolades. Durokshan sei seit 15 Kämpfen ungeschlagen, seine Kraft, seine Erfahrung und sein Listenreichtum seien unübertroffen, seine Kaltblütigkeit habe ihm bereits den Namen „Der Vollstrecker“ eingebracht. Der Mann habe seinen Preis, die mit ihm verbundene Siegesgewissheit sei aber jedes Samenkorn wert. Während sich der Mann der Menge präsentiert, bahnt sich eine Gestalt in einem weiten Umhang mit verhülltem Gesicht durch das Volk und erreicht schließlich das Podest. Der Philosoph hört, wie sie mit einer tiefen, sonoren Altstimme Interesse an Durokshan bekundet. Die Kundin ist offensichtlich eine Frau und verhandelt im Folgenden eine Weile mit dem Ausrufer und dem Krieger selbst. Schließlich scheinen die Parteien handelseinig geworden zu sein. Durokshan folgt der verschleierten Frau und nähert sich den am Rande des Platzes wartenden Sänften. Geschickt bahnt sich der Philosoph durch die Menge um zu ihnen aufzuschließen.
 
Schließlich besteigt die verschleierte Gestalt eine Sänfte und winkt Durokshan zu sich. In diesem Moment nähert sich der Philosoph dem Krieger von hinten, drückt dem überraschten Mann Saaronis Umschlag in die Hand und sagt: „Ein Brief für euch, Herr!“ Durokshan scheint verwirrt und sucht vergeblich nach Worten, drückt dem Philosophen aber schließlich zwei Samenkörner in die Hand und nickt ihm zu. Schon aber ruft die verschleierte Frau aus der Sänfte ihm zu: „Lasst uns auf den morgigen Abend zurückkommen...“  und er setzt sich zu ihr.

Langsam setzen sich die Sänftenträger in Bewegung. Sie schlagen die Richtung ein, die der Philosoph ohnehin einschlagen wollte, daher folgt er ihnen noch eine Weile. Hin und wieder kann er einen kurzen Blick durch das Fenster der Sänfte werfen und sieht, wie Durokshan mit der verschleierten Gestalt spricht, dabei aber bereits den geöffneten Brief auf seinem Schoß liegen hat. Nach einer Weile erreicht die Sänfte das Gut eines Aristokraten. Die verschleierte Frau und Durokshan steigen aus und gehen auf die Stallungen zu. Der Philosoph hört, wie die Frau dem Krieger vorschlägt, er könne sich dort den Schild ansehen, von dem sie gesprochen habe. Achselzuckend setzt der Philosoph seinen Weg fort.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:53
Am späten Vormittag des nächsten Tages klopft ein namenloser Minotaur mit dominantem Blättermagen an die Tür des Luxusbordells „Die Seide“ im Stadtteil Rhomoon. Er hat einen Mann dabei, der einen etwas abwesenden Eindruck macht. Die Tür öffnet sich und Ashtavede, der Bordellier, wirft dem ungleichen Paar einen kurzen Blick zu: „Ah, Mujeeb Gashkori, der Wahrsager! Ihr seid heute früh dran!“ Der Minotaur – nennen wir ihn den zweiten Advokaten – wirft einen bewundernden Blick auf Ashtavedes prächtige Tätowierungen und erklärt, dass sie vor den Kunden erscheinen wollten. Sie hätten die Hoffnung, dass eine der Damen möglicherweise ihre Dienste in Anspruch nehmen könnte. Ashtavede überlegt einen Moment und meint: „Ja, vielleicht versucht ihr es links im letzten Zimmer. Der Dame geht es nicht gut. Ein vorteilhaftes Orakel könnte sie wieder heiterer stimmen.“ Der zweite Advokat nickt Ashtavede dankbar zu und zieht Mujeeb Gashkori hinter sich her.

Zielsicher steuert er den Raum Halifas an und klopft am Eingang zu ihrem Raum an den Rahmen. Halifa bittet Mujeeb und den zweiten Advokaten herein. Sie begrüßt die beiden und fragt sie nach ihrem Begehr. Der zweite Advokat schlägt ihr vor, sich von seinem Herrn, Mujeeb Gashkori, weissagen zu lassen. Halifa denkt einen Moment nach, scheint aber nicht abgeneigt und stimmt schließlich zu. Der zweite Advokat will wissen, ob sie in einer bestimmten Angelegenheit Rat brauche. Halifa erzählt ihm mit etwas belegter Stimme, dass sie eine Bekanntschaft gemacht habe. „Ist es eine erfreuliche Bekanntschaft?“, fragt der zweite Advokat. „Rind, genau das würde ich gern von deinem Herrn wissen!“

Vorbereitungen werden getroffen. Der zweite Advokat teilt Essstäbchen aus und reicht Mujeeb Gashkori eine Büchse, in der das Summen von Bienen zu hören ist. In einen Becher gießt er Zuckerwasser. Der Wahrsager öffnet die Büchse und entimmt ihr mit seinem Essstäbchen geschickt eine Biene, die er im Zuckerwasser ertränkt und schließlich zerkaut. Halifa tut es ihm gleich. Eine Weile dauert es, bis das Bienengift seine Wirkung zeigt, die beiden in einen angenehmen Rauschzustand versetzt und empfänglich für den Schlund des Schicksals macht. Der zweite Advokat wirft ein paar geschnitzte Holzplättchen in eine Schale, der mysteriöser Qualm entsteigt, dann fordert er Halifa auf, vier Holzplättchen aus dem Qualm zu ziehen. Halifa tut erwartungsvoll, wie ihr geheißen wurde. Für Mujeeb Gashkori aber ist das die vierte Weissagung an diesem Vormittag. Er ist sichtlich berauscht, nicht ganz bei sich und muss sich zusammenreißen um deutlich sprechen zu können. Lange schaut er ein Holzplättchen an, auf das eine Schmuckschatulle mit geöffneten Türchen eingraviert wurde. Dann sagt er: „Die Begünstigten stellen oft fest, dass sie mehrere Möglichkeiten haben.“

Halifa wird ärgerlich: „Was heißt das denn jetzt? Das ist doch keine Hilfe! Für so einen Satz wollt ihr zwei Samenkörner haben?“ Der zweite Advokat versucht zu vermitteln: „Ja, meine Dame, das Ergebnis ist nicht allzu aussagekräftig! Wir geben uns daher auch mit einem minderen Lohn zufrieden.“ Halifa ist dabei ein neues Räucherstäbchen zu entzünden und schaut den Minotauren dabei kurz an: „Das ist immerhin ein Entgegenkommen! Ich weiß das zu schätzen.“  Der Rauch des Stäbchens steigt schon bald auf, verteilt sich und gesellt sich zu den anderen durchsichtigen Schlangen, die sich an der Decke in den Ecken winden. Der zweite Minotaur redet Halifa gut zu und gibt ihr zu verstehen, dass er von den Holzplättchen nichts verstehe, die Schlangen der Räucherstäbchen vermittelten ihm aber den Eindruck, als habe das Glück in ihrem Raum Einzug gehalten. Halifa betrachtet die Räucherstäbchen und sagt: „Meinst du wirklich?“ und verspricht mit einem Leuchten in den Augen, dass sie sich gegenüber Mujeeb und dem Minotauren großzügig zeigen werde, wenn sich ihre neue Bekanntschaft als vorteilhaft herausstellen sollte.

Mujeeb Gashkori flüstert währenddessen dem zweiten Advokaten zu, dass er eine Pause brauche. Der Minotaur verabschiedet sich deshalb von Halifa und kehrt in den Eingangsbereich der „Seide“ zurück. Er fragt Ashtavede, der an einer selbstgedrehten grünen Zigarre zieht, ob  Mujeeb sich eine Weile im Innenhof ausruhen könne. Der Bordellier erzeugt ein paar großartige Rauchringe und erklärt sich dann einverstanden: „Solange noch keine Gäste im Haus sind, könnt ihr es euch bequem machen.“ Der zweite Advokat führt Mujeeb in den Innenhof, wo er sich in ein niedriges Sofa fallen lässt.

Eine Weile betrachtet der Minotaur seinen Herrn. Der beständige Rausch durch das Bienengift hat seinem Körper und Geist zugesetzt. Mujeeb ist etwas zittrig geworden, hat seinen Körper nicht mehr gut unter Kontrolle und ist immer häufiger abwesend. Der Blick des zweiten Advokaten wandert durch den Innenhof, wo ein weiterer Minotaur einem Wasserbecken mit einem Insektenkescher tote Nachtfische entnimmt. Er fragt: „Woran sind sie gestorben?“ und der erste Advokat antwortet ihm: „Ich weiß es nicht genau. Sie gehören eigentlich in den Fluss.“ Etwas später taucht ein untersetzter Mann im Innenhof auf, der versucht, einen entschlossenen Gesichtsausdruck anzunehmen. Es ist Haygaram Ooryphas, der Besitzer der „Seide“. Mit großen Schritten nähert er sich Mujeeb Gashkori und dem zweiten Advokaten. Dann sagt er: „Gashkori! Du schon wieder! Höre zu: es gibt Gäste, die sich über dich alten Bienenfresser beklagen. Sie finden dein Geschäftsgebaren abstoßend. Du kannst von mir aus weiter hier wahrsagen, aber deine Bienen bleiben von nun an draußen.“ Mujeeb Gashkori schaut den Mann eine Weile an. Sein Zustand erlaubt es ihm nicht, eine Diskussion zu führen. Also ergreift der zweite Advokat seufzend das Wort: „Herr, die Bienen sind leider ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Arbeit. Wir sind aber vernünftigen Argumenten gegenüber nicht abgeneigt. Was haltet ihr davon, wenn wir für 10 Tage pausieren, bis sich die Wogen etwas gelegt haben. Von da an werden wir die Biene so verbergen, dass sie nur noch unsere Kunden zu Gesicht bekommen. Klingt das akzeptabel?“ Haygaram Ooryphas grunzt ein wenig und sagt dann: „Es kommt auf einen Versuch an. Bei der nächsten Klage fliegt ihr ´raus.“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:55
Am späten Vormittag des nächsten Tages macht der erste Soldat im Schneckengarten des Porfirio Empyreus eine unangenehme Entdeckung. Überall sprießen kleine Knoblauchpilze, die den Boden sauer machen und die Schnecken vertreiben. Eine Menge Arbeit kommt auf ihn zu. Er nimmt eine Schaufel und gräbt jeden der kleinen Schädlinge einzeln aus. Schwitzend stellt er fest, dass er dabei hin und wieder vom Hausherrn selbst durch ein Fenster seines Hauses beobachtet wird. Als die Arbeit nach einigen Stunden beendet ist, erscheint Porfirio Empyreus höchstpersönlich bei ihm: „Was hast du den ganzen Tag gebuddelt, Rind?“ Der erste Soldat erzählt seinem Herrn von den Knoblauchpilzen. Porfirio reagiert unwirsch: „Was für ein Unglück! Ich habe heute Abend Gäste eingeladen und jetzt gibt es womöglich keine Schnecken mehr! Hättest du nicht besser aufpassen können?“ Der erste Soldat versucht ihn zu beruhigen: „Es tut mir leid, ich habe die Pilze erst heute Morgen entdeckt. Es wird aber sicher noch genügend Schnecken geben, wenn eure Gäste eintreffen.“ „Ich hoffe es! Ich hoffe es auch für dich, Gärtner!“, erwidert Porfirio Empyreus mit drohendem Unterton und kehrt ins Haus zurück. Als der erste Soldat nach einer kurzen Pause wieder zum Schneckengarten zurückkehrt, stellt er fest, dass der kleine Anil, der jüngste Sohn des Hauses die Tonne umgestoßen hat, in der der erste Soldat die Pilze geworfen hatte und diese jetzt als Spielmaterialien benutzt. Seufzend setzt sich der erste Soldat zu dem dreijährigen Kind und erzählt ihm, diese Pilze seien zum Kochen da und gekocht werde in der Tonne. Anil beginnt daraufhin, freudig die Pilze zu kleinen Bröseln zu zerreiben und in die Tonne zu werfen. „Du kannst sie auch erstmal hier über dem Topf zerreiben“, sagt der erste Soldat mit zerknirschtem Gesichtsausdruck und stellt einen Gartenkorb vor den Kleinen. Zusammen gelingt es den beiden irgendwann alle Pilze wieder zurück in die Tonne zu befördern. Schließlich läuft Anil freudstrahlend ins Haus um seinem Erzieher von seinen Kochkünsten zu berichten. Der erste Soldat wischt sich die Stirn.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 22:58
Am späten Vormittag des nächsten Tages steht der zweite Soldat im Massageraum des Hauses von Porfirio Empyreus. Er reinigt seine Liegen, legt seine Decken und Handtücher zurecht, überprüft seine Ausstattung und hält plötzlich inne: In einem Tiegel mit Massageöl findet er einen Blatthornkäfer, der in der Flüssigkeit offenbar ertrunken ist. Der zweite Soldat gerät ins Grübeln. Blatthornkäfer sind außergewöhnliche Tiere mit besonderen Fähigkeiten! Eine uralte Geschichte fällt ihm ein, die berichtet, wie der taube Gladiator Veturro im Turnier von Scarabae nach zwölf Runden unbewaffnet gegen drei Hunde seinen letzten Sieg errang, und das, obwohl er die Hochrufe und den Applaus der Menge nicht hören konnte. Als Preis überreichte ihm der Geschichte zufolge die wunderschöne Sulunia Empyreus einen Blatthornkäfer, der in der Lage war, das was er hörte, an Veturros Gehirn zu übertragen und dem Pensionär von da an die Ohren ersetzte. Nachdenklich schaut der zweite Soldat den toten Nachfahren dieses Käfers an und beginnt einige Untersuchungen anzustellen: Wie ist er in den Tiegel gelangt? Gibt es noch mehr seiner Art in der Nähe? Ist das Massageöl noch brauchbar? Der zweite Soldat denkt an Blatthornkäfer, die Geräusche übertragen, hält sich den Kadaver an sein Ohr und drückt ihn etwas. Dann aber fährt er zusammen – wie ein Rest aus einer Flasche sondert der Käfer noch einen letzten Satz ab, der deutlich vernehmbar an das Ohr des zweiten Soldaten dringt: „Es gibt niemanden mehr, der das Geheimnis der alten Dichtung von Dégringolade kennt.“  Wie vom Blitz getroffen starrt der Minotaur das tote Insekt an, aber was er auch anstellt, nach diesem Ereignis bleibt der Käfer stumm und rührt sich nicht mehr. Der zweite Soldat denkt über den Satz nach. Die Menschen in Dégringolade mögen Dichtung, so wie sie auch Theateraufführungen und Tanzdarbietungen mögen. Von irgendeiner Dichtung aus alten Zeiten, die anders gewesen wäre, als die gegenwärtige hat er aber nie etwas gehört. Etwas zögerlich begibt sich der Minotaur zum Zimmer seines Herrn. Er ist der Meinung, Porfirio sollte wissen, was sich ereignet hat.

Der zweite Soldat leitet seinen Bericht mit den Worten ein, dass sich in letzter Zeit mysteriöse Dinge ereignen. Porfirio Empyreus will wissen, was er meint. Da entschlüpft dem zweiten Soldat eine Bemerkung über dessen zweiten Sohn Ajatashatru, der sich offenbar mit einem seltsamen Minotaurenüberwurf durch die Stadt bewegt. Sein Herr wird misstrauisch. Er will genau wissen, was sein Sohn angestellt habe und versucht seinen Masseur auszufragen, dieser aber macht einen Rückzieher. Der zweite Soldat hat dem Sohn versprochen, Porfirio Empyreus nichts von seinen Unternehmungen zu erzählen und wechselt daher schnell das Thema. Der Blatthornkäfer interessiert Porfirio aber weniger. Auch über alte Dichtung weiß er scheinbar nichts. Dafür hakt er mehrfach nach, ob der Masseur ihm etwas über seinen Sohn zu erzählen habe. Der zweite Soldat windet sich und redet sich heraus. Am Schluss erzählt ihm Porfirio Empyreus, dass er von nun an genauer beaufsichtigen wird, was sein Sohn anstelle. Dann schenkt er ihm den toten Blatthornkäfer. Erleichtert verlässt der zweite Soldat das Zimmer seines Herrn.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:05
Am Abend erreicht der Philosoph am Rande von Kostalush die Taverne „Zum friedlichen Mungo“. Sie macht einen netten und angenehmen Eindruck. Ihre Wände sind zum größten Teil aus Marmor, das Flachdach ist wohl irgendwann einmal zusammengefallen und besteht inzwischen aus einer schrägen Bretterfläche. Das einzige Fenster der Taverne ist durch einen Vorhang aus bunten Bändern verhängt, der bei Bedarf zur Seite geschlagen werden kann. Auch der Eingang ist durch solche Bänder verhangen.

Der Philosoph betritt die Taverne und sieht sich um. Die Holzdecke wird von einigen Holzpfosten getragen. Von der Decke hängt eine große Öllampe. Die Wände sind alle im gleichen, etwas naivem Stil mit freundlichen Gesichtern bemalt. Es sind junge, hübsche Menschen, daneben auch zwei stattliche Minotauren. Irritierenderweise entdeckt der Philosoph auch eine Darstellung von Saaroni Empyreus, mit einigem Abstand die älteste der dargestellten Personen. Über den Bildern steht ein mysteriöser Spruch: „Asche zu Asche, entflieh´ deinem Wahn! Kriegt dich nicht der Gegner, kriegt dich der Kumpan!“ Hinter der Theke steht ein Mann mittleren Alters, der dem Philosophen freundlich zunickt, eine weibliche Bedienung begrüßt ihn mit einem knappen, aber fröhlichen „Hallo“. Der Philosoph fühlt sich nicht schlecht. Es scheint sich um einen der wenigen Orte zu handeln, an denen seinesgleichen freundlich aufgenommen werden.

Der Philosoph tritt an den Mann hinter der Theke heran und fragt nach Nagur. „Der bin ich selbst“, bekommt er als Antwort. Der Philosoph ist erfreut und überreicht ihm Saaronis Brief. „Aha“, sagt Nagur und öffnet den Umschlag, aber noch während er liest geraten in der gut gefüllten Schankstube zwei Männer in einen Streit über ein anwesendes, hübsches Mädchen. Nagur blickt kurz zu seinen Gästen auf und stellt zwei Gläser Reiswein vor den Philosophen. Dann sagt er: „Sei so gut und bringe das den beiden Streithähnen. Die Getränke gehen auf Kosten des Hauses, ihren Streit dürfen sie dafür aber an einem anderen Ort austragen.“ Der Philosoph geht etwas zögerlich zu den beiden Männern und entdeckt, dass das Abbild des Gesichtes eines der beiden sich ebenfalls als Gemälde an der Wand befindet. Der Philosoph bringt den beiden Kontrahenten die Getränke und überbringt ihnen kurz angebunden die Worte Nagurs. Die Gemüter der beiden beruhigen sich daraufhin ein wenig.

Etwas später kommt es zu einem kleinen Gespräch zwischen Nagur Mulukutla und dem Philosophen. So erfährt der Minotaur, dass es sich bei den Abbildungen an den Wänden um die Stammgäste des Lokals handelt, die Nagur selbst gemalt hat. "Wer hier verewigt ist, kommt wieder!", meint der Wirt mit einem Lächeln. Der seltsame Spruch sei hingegen einfach einer der geflügelten Worte in der Taverne, die die jugendlichen Gäste gern ins Gespräch einbringen, wenn sich irgendjemand nicht korrekt verhalten hat. Der Philosoph wundert sich etwas über die Klientel des Ortes und betrachtet die Gäste genauer. Die an langen Tischen sitzenden jungen Leute haben zufriedene, reiche Gesichter. Irgendwo spielt jemand ein Zupfinstrument. Ein paar der Gäste stehen und wiegen sich ein wenig zu der Musik. Auch einige Paare sind anwesend und sitzen an kleinen Zweiertischchen. Die meisten Hocker an der Theke sind besetzt. Trotzdem gibt sich Nagur Mühe, jeden Neuankömmling eigens zu begrüßen.

Nagur erzählt dem Philosophen, dass Saaroni in ihrem Brief ihren Besuch in fünf Tagen ankündigt. „Sie ist öfter hier. Wenn ich für die jungen Leute hier eine Art Vater bin, dann ist sie ihre Mutter.“ Dann realisiert Nagur aber, was er gesagt hat und schweigt. Der Philosoph fragt ihn: „Wollt ihr Saaroni nicht zurückschreiben?“ Nagur überlegt einen Moment und sagt: „Du hast Recht, warte einen Moment!“ Er zieht sich in einen Nebenraum zurück und drückt dem Boten etwas später einen neuen Umschlag in die Hand. Schließlich fragt der Philosoph: „Es ist spät für mich geworden, Nagur. Meinst du, ich kann mich hier irgendwo zum Schlafen hinlegen?" Nagur drückt ihm eine warme Decke in die Hand und sagt: „Geh in die Küche. Du kannst dich neben den Herd legen.“ Der Philosoph tut, wie ihm geheißen wurde. Eine warme Schlafgelegenheit findet er nur selten. Durch die Lücken zwischen den Makramee-Bändern im Durchgang zum Schankraum kann er sehen, wie das nächtliche Treiben der Gäste exzessiver wird. Die Musik wird wilder, ein paar Leute beginnen auf den Tischen zu tanzen, andere stehen um sie herum und klatschen rhythmisch. Am Ende geraten  die beiden Streithähne wieder aneinander. Der Philosoph lächelt ein wenig, bleibt aber an seinem Herd und freut sich über den angenehmen Ort. Kurz danach fällt er in einen tiefen Schlaf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:09
Am Abend sitzen der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari am Fluss und machen Pläne, wie es weitergehen könnte. Der Assistent des Wahrsagers sagt: „Die Seide ist eine wichtige Einkommensquelle für uns, aber wenn wir nicht aufpassen, redet in zehn Tagen wieder jemand schlecht über uns. Wenn uns dort jemand Böses will, können wir unsere Bienen so gut verbergen, wie wir wollen. Er wird doch einen Grund finden, sich über uns zu beklagen.“ „Wer?“, fragt Mujeeb. „Das ist genau die Frage!“, antwortet der Minotaur. „Wir müssen herausfinden, wer es ist, dann können wir mit ihm reden.“ „Meinst du?“, fragt Mujeeb.

Etwas später stehen beide erneut vor dem Eingang zur „Seide“ uns begehren Einlass. Mit hochgezogenen Augenbrauen öffnet Ashtavede ihnen die Tür und fragt: „Was wollt ihr noch?“ Da erzählt der zweite Advokat von ihrer Begegnung mit Haygaram Ooryphas und dem Kompromiss, den sie mit ihm geschlossen haben. Dann fragt er Ashtavede, ob ihm dieser sagen könne, welcher Kunde in der Seide schlecht über Mujeeb spricht. Ashtavede wirft dessen Assistenten einen leicht belustigten Blick zu und sagt: „Wenn du den Namen weißt... was dann?“ Der zweite Advokat erzählt ihm: „Dann werden wir mit ihm reden. Es geht um unser Geschäft...“ Er schaut Ashtavede an, der gleichgültig ein paar grüne Tabakblätter aus einem Beutel kramt und fügt hinzu: „...und es geht um den Frieden in der Welt.“ Erstaunt blickt Ashtavede auf. „Um den Frieden in der Welt, ja? Also gut, um des Friedens willen: Einer unserer Kunden ist Kenta Planudes. Er besitzt ein paar Olivenhaine und Einfluss. Planudes ist relativ häufig hier – vielleicht alle drei Tage – und besucht dann in der Regel die Dame im vorletzten Zimmer links. Vielleicht gelingt es dir, den Mann dazu zu bringen, dir zuzuhören. Ihn ändern wirst du aber wohl kaum. Mache was du willst, aber wenn du nach deinem Gespräch noch immer der Meinung bist, dich für den Frieden einsetzen zu müssen, dann lade ich dich zu unseren Chorproben ein.“ Erstaunt nickt ihm der zweite Advokat zu und murmelt „Danke“. Dann kehrt er mit Mujeeb Gashkari ans Flussufer zurück um weitere Pläne zu schmieden.

Die beiden beschließen, der Dame aus dem vorletzten Zimmer links zwei Plätze für ein Theaterstück im nahe gelegenen Theater des Saemauug Empyreus zu reservieren. Da sie die Favoritin Kenta Planudes ist, kann sie auf ihren Freier möglicherweise vorteilhaft einwirken. Durch ein kleines Geschenk wollen der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari Kontakt mit der Dame aufnehmen. Und mit einem listigen Blick fügt der Assistent des Wahrsagers hinzu: „Bei der Gelegenheit finden wir vielleicht auch heraus, ob die neue Bekanntschaft der Dame im Nachbarraum sich als glücklich herausgestellt hat. Wir könnten im Vorbeigehen gleich noch die von ihr versprochene großzügige Zuwendung einstreichen!“ Es dauert lange, bis Mujeeb Gashkari versteht, wovon sein Assistent spricht. Für die Reservierung der beiden Theaterplätze ist es zu spät geworden. Der zweite Advokat holt zwei Decken aus ihrem Gepäck und legt sich mit Mujeeb Gashkari hinter eine Hecke an der Straße. Den beiden steht eine kühle Nacht bevor, aber das ist keine neue Erfahrung für sie.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:12
Am Abend erscheint Porfirio Empyreus im Massageraum seines Anwesens. Zielstrebig wendet er sich seinem Masseur zu: „Wie du weißt kommen nachher Gäste. Ich will heute Abend ganz entspannt sein. Daher habe ich beschlossen, vorher Verkehr mit meiner Gattin zu haben. Ich wünsche eine Massage, die meinen Appetit anregt.“ Mit diesen Worten legt er sich auf eine der Liegen. Seufzend beginnt der zweite Soldat mit seiner Arbeit. Während er den Rücken seines Herrn mit eukalyptushaltigen Ölen einreibt, zieht sich sein Bewusstsein ganz in das hinterste Eckchen seines Hirns zurück. Plötzlich aber schreckt er zusammen. Während er die Brustwarzen seines Herrn stimuliert, gibt Porfirio plötzlich einen lauten Schrei von sich. „Verdammtes Rindvieh! Pass doch auf! Oweh! Das schmerzt! Aah!“ Porfirio krümmt sich ein wenig zusammen. „Lasst mich mal sehen!“, erwidert der zweite Soldat und berührt ein zweites Mal, diesmal etwas vorsichtiger, die Stelle. Wieder jammert Porfirio und behauptet Schmerzen zu haben. Der zweite Soldat tastet Porfirios Brust ab und merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Was es ist, kann er aber nicht sagen. „Herr, ihr braucht ein wenig Ruhe! Lasst mich eure Brust drei Tage lang untersuchen. Wenn es nicht besser wird, werden wir einen Heiler holen lassen müssen.“ Porfirio ist damit einverstanden, will aber vor allem wissen, ob er am Abend mit seinen Freunden Schnecken essen kann. Während der zweite Soldat die Brust seines Herrn mit einer beruhigenden Tinktur bestreicht antwortet er vorsichtig: „Nun, Herr, es gibt sicherlich gesündere Ideen.“ Die Antwort genügt, um Porfirio in Wallung zu bringen: „Wieso? Das habe ich doch schon oft getan und außerdem fühlt sich meine Brust auch schon viel besser an!“ Seufzend empfiehlt ihm sein Masseur, wenigstens etwas vorsichtig zu sein. Porfirio sagt: „Ja, ja, ist recht“. Während er den Raum verlässt murmelt er noch: „Verkehr mit Saaroni kann ich dann wohl vergessen...“.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:22
Am späten Abend erscheinen Porfirios und Saaronis Gäste. Die Gesellschaft begibt sich zum Garten und geht dort im Unterholz mit winzigen Gabeln und kleinen Silberschalen auf die Jagd. Sie suchen nach einer leicht verletzten Schnecke, die sich in der Schale krümmt und windet. Unverletzte oder zu stark verletzte Schnecken bewegen sich nicht. Der erste Soldat beobachtet das Treiben der Gesellschaft mit bangem Herzen und reagiert sehr erleichtert, als die Feiernden mit ihrer Beute im Haus verschwinden. Eine Weile lang sieht alles wie ein typischer Schneckenrausch im Hause Porfirio Empyreus´ aus. Dann aber erscheint der Hausherr am Fenster und brüllt nach seinem Gärner. In seiner Stimme schwingt Entsetzen mit und angstvoll läuft der erste Soldat in den Speisesaal, wo sich die Gesellschaft befindet. Auf den Tischen stehen die Reste der Feier: Geschirr und Besteck, Gewürze, einige übrig gebliebene Streifen Schneckenfleisch und frische, grüne Irrlhu Blätter, in die das Fleisch üblicherweise eingewickelt wird. Auf dem Boden sitzend und an die Wand gelehnt befindet sich Ganapati Ducas, ein reicher Händler aus Lhleshrys. Er japst nach Luft. Porfirio stellt den Gärtner sofort zur Rede: „Er hat das smaragdene Halsband genommen und zeigt eine seltsame Reaktion. Die einzige Erklärung dafür kann nur sein, dass dieser saure Boden die Bekömmlichkeit der Schnecken herabgesetzt hat. Gärtner, dafür bist allein du verantwortlich!“ Das smaragdene Halsband ist ein Teil der Eingeweide einer wilden Schnecke, das üblicherweise für den Ehrengast oder die älteste anwesende Person reserviert ist, denn in ihm ist die Konzentration des begehrten Rauschstoffes am wirkungsvollsten und kräftigsten. Der erste Soldat stammelt: „Herr, ich bin mir keiner Schuld bewusst“, aber dann ergreift ihn eine Art Lähmung und statt sich mit seinem Herrn auseinanderzusetzen will er sich um dessen Gast kümmern und geht auf Ganapati Ducas zu. „Keine Schuld!“, brüllt Porfirio, „wir werden zuerst feststellen müssen, ob hier nicht ein Mordversuch vorliegt!“ Im Inneren des ersten Soldaten fühlt es sich so an, als bilde sich in seinem Labmagen ein schwerer Stein.

Inzwischen hat das Geschrei im Speisesaal auch noch andere Bewohner des Hauses alarmiert. Im Eingang des Raumes steht der zweite Soldat und verschafft sich einen Überblick über das Geschehen. Ganapati Ducas scheint nach Porfirios Worten in dem Minotauren, der ihm immer näher kommt, seinen Mörder zu erblicken. Er schreit laut „Nein!“ und schlägt mit seinen Armen wild um sich. Dabei trifft er den ersten Soldaten mitten ins Gesicht. Der Minotaur verliert daraufhin das Gleichgewicht, kippt nach hinten um und fällt in Ohnmacht. Porfirio schaut sich panikartig um, erblickt den zweiten Soldaten und befiehlt ihm, den Mordverdächtigen an einem sicheren Ort einzusperren. Beruhigend redet der zweite Soldat daraufhin auf seinen Herrn ein. Während er nach dem Gast seines Herrn schaut und feststellt, dass er sich auf dem Weg der Besserung befindet, er erklärt Porfirio ruhig, dass die Pilze im Schneckengarten wohl kaum etwas mit der Verfassung seines Gastes zu tun haben dürften. Schließlich ist Porfirio einigermaßen besänftigt. Er deutet auf den ohnmächtigen ersten Soldaten und sagt: „Masseur, es ist gut. Bring den Gärtner weg. Wenn er wieder zu sich kommt sagst du ihm, dass er aufgrund seiner ungebührlichen Annäherung gegenüber eines meiner Gäste die Aufgabe bekommt, die Sickergrube des Hauses zu entleeren.“ Der zweite Soldat nickt und schleppt den Ohnmächtigen davon. Auch er fühlt sich, als habe sich im Inneren seines Labmagens einer schwerer Stein gebildet.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:23
Noch ein Tag später erreicht der Philosoph im Stadtteil Lehekhesh den Turm der Helden. Der vielleicht vier Stockwerke hohe, verwitterte Turm steht an einem Hang am Rand eines Platzes, auf dem sich in einigem Abstand ein paar Tische und Stühle befinden. Auf einigen Ständern sind im Bereich der Sitzgelegenheiten Lampen befestigt. Ein Mann mit aufwändigen, hübschen Ranken- und Schmetterlingstätowierungen ist mit einer Sichel dabei, Kletterranken unterschiedlicher Arten am Turm zu stutzen. Der Philosoph nähert sich dem Mann und fragt ihn, ob ihm der Verwalter des Turmes, ein gewisser Gerdotesa bekannt sei. Der Mann schaut den Minotauren an und sagt: „Das bin ich.“ Der Philosoph übergibt ihm Halifas Brief, worauf ihm Gerdotesa einen Sitzplatz anbietet. Nach der Lektüre seines Briefes erfährt der Philosoph im Gespräch mit ihm ein paar interessante Details über den Turm der Helden. Gerdotesa verdient seinen Lebensunterhalt dadurch, dass er die Wohnungen im Turm der Helden vermietet. Das sei ein einträgliches Geschäft, erfährt der Philosoph, weil die Zimmer bei denen, die nach Ruhm streben, begehrt sind. Die Pflanzen am Turm entwickeln zu den Seelen der Turmbewohner angeblich eine ganz besondere Bindung. Wenn sie sich nach dem Tod eines Turmbewohners noch an ihn erinnern und seine Geschichte für erinnerungswürdig halten, locken die nächtlichen Blüten der Weinranken den Geist des Toten wieder herbei und lassen ihn Szenen aus seinem Leben nachstellen. Die Schatten, die die Lampen im Publikum werfen, sollen sich dabei so verformen, dass sie weitere Personen darstellen, die für das Nachstellen der Szenen aus dem Leben der Toten nötig sind.

Während der Philosoph noch staunt, nimmt der Bericht Gerdotesas eine persönlichere Wendung. Er berichtet davon, wie die Absenderin des Briefes vor zehn Tagen abends hier war, um die Geister vom Turm der Helden zu beobachten. Halifa sei guter Laune gewesen und habe sich hervorragend mit ihm unterhalten. Hinterher sei sie mit ihm zwei Tassen Reiswein trinken gegangen, dann habe er bis zum Morgengrauen mit ihr am Hafen gesessen und dem Sonnenaufgang zugesehen. Gerdotesa behauptet, es sei ein außergewöhnlicher Moment in seinem Leben gewesen. Als sie sich voneinander getrennt haben, habe er wissen wollen, wo er sie finden kann. Sie allerdings habe es nicht verraten, sondern nur gesagt, dass er mit etwas Glück von ihr hören werde. „Nun“, beschließt er seine Rede, „das zumindest hat sie wahr gemacht. Und jetzt? Bekomme ich noch zwei, dreimal einen Brief? Wie vielen Männern schreibt sie noch? Soll ich ihr Gedichte schreiben? Ich bin alles andere als ein Dichter!“ Der Philosoph fragt ihn, worüber er mit ihr am Hafen gesprochen habe. Gerdotesa sagt: „Über ein paar Momente aus unserer Vergangenheit.“ Der Philosoph fragt ihn, ob das nicht geeignete Themen für einen Antwortbrief seien, aber Gerdotesa sagt: „Ich bin in diesen Dingen kein Mann vieler Worte.“ Einen Moment überlegt er, dann sagt er: „Du hast aber Recht, sie soll eine Antwort erhalten.“ Gerdotesa geht daraufhin mit seiner Sichel auf den Turm zu und pflückt von den Kletterranken drei Vanilleschoten ab. Mit einem schiefen Lächeln sagt er dem Philosophen, es sei ein Gruß vom Turm der Helden. Der Philosoph nickt und macht sich auf den Weg zurück nach Rhomoon.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:29
Noch ein Tag später stehen der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari im Theater des Saemauug Empyreus und reservieren für eine bevorstehende Aufführung zwei Plätze „für eine Dame aus der Seide samt Begleitung“. Der Preis reißt ein Loch in die Kasse der beiden und der zweite Advokat blickt Mujeeb Gashkari fragend an. „Nun“, sagt dieser, „wenn du meinst, dass es nötig ist, dann zahlen wir eben.“ Im Anschluss daran betreibt der zweite Advokat unter den anderen Personen, die sich um Platzreservierungen bemühen, etwas Werbung und kann nach einigen Versuchen einen der Anwesenden dazu überreden, Mujeeb Gashkaris Orakel zu befragen. Die in Zuckerwasser ertränkten Bienen werden am Flussufer verspeist, wo Mujeebs Kunde auch die üblichen vier Holzplättchen aus dem qualmenden Schlund des Schicksals zieht. Im Anschluss daran betrachtet der Wahrsager besonders ein Plättchen, in das eine verkorkte Amphore eingraviert wurde. Mit lahmer Zunge bricht er hervor: „Durch das Streben nach Reinheit erlangen wir Kraft.“ Mujeebs Kunde sieht ihn überrascht an und murmelt dann: „Vielleicht lasse ich das dann besser...“. Er bedankt sich bei Mujeeb und dem zweiten Advokaten, zahlt drei Samenkörner und zieht davon.

Die Seide ist für die beiden ungleichen Gestalten für eine Weile Tabu, andere Geschäfte scheinen nicht in Sicht, daher schlägt Mujeeb Gashkari seinem Assistenten vor: „Lass uns die Fähre nehmen und die Flussseite wechseln. Am gegenüber liegenden Ufer liegen ein paar Villen reicher Aristokraten. Vielleicht können wir dort Arbeit finden." Die beiden machen sich auf den Weg zur Fähre.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:33
Kurz nach dem Nachmittagsmonsun treffen der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari auf der Fähre mit dem Philosophen zusammen, der sich gerade auf dem Rückweg zum Hause der Villa von Porfirio Empyreus befindet, um dort Saaroni die Antwort Nagur Mulukutlas zukommen zu lassen. Die beiden Minotauren nicken sich freundlich zu, gehen gemeinsam an Land und müssen an der ersten Straßenkreuzung - direkt angrenzend an das Grundstück Porfirio Empyreus´ - eine unangenehme Entdeckung machen. Zwei Männer ziehen hier eine gefesselte Frau hinter sich her und verkünden lauthals, dass es sich bei ihr um ein wolllüstiges Weibstück handele, das sich mit Minotauren eingelassen habe. Um ihren Hals haben die beiden Männer ein Schild gehangen, dass die Aufschrift „MinotauRAUS“ trägt. Die Frau jammert und klagt, kann die Männer aber nicht erweichen. Zu seinem Entsetzen erkennt der Philosoph, dass es sich bei ihr um Gouliza handelt, eine seiner Kundinnen. Er entschließt sich, hier einzuschreiten. So kommt es, dass er die Männer zur Rede stellt. Die Männer erzählen lautstark, sodass es alle Anwohner mithören können, dass die Frau sich mit einem Minotauren in Pannashoo eingelassen habe. Sie seien auf dem Weg zum Marktplatz von Rhomoon, wo sie sie ein paar Stunden an den Pranger stellen wollen. Hinterher werde sie vielleicht anders über solche Verbindungen denken! Eine Weile lang versuchen der Philosoph und der zweite Advokat die Männer durch Argumente zur Vernunft zu bringen. Die Vorhaben scheint aber zum Scheitern verurteilt zu sein. Außerdem erscheinen einige Menschen in den Vorgärten und an den Fenstern der Nachbarhäuser und beobachten die Szene neugierig. Einige von ihnen werden sicherlich eine ähnliche Meinung wie die beiden Ekel über Verbindungen zwischen Minotauren und Menschenfrauen haben, denkt sich der Philosoph, der den Ernst der Lage damit schnell erfasst hat.

Dann aber treten zwei Minotauren vom Grundstück des Porfirio Empyreus an dessen Gartenmauer heran und schauen sich die Szene ebenfalls an. Einer von ihnen verströmt einen unangenehmen Geruch, weil er gerade dabei war, die Sickergrube des Anwesens auszuleeren. Der andere hingegen riecht angenehm nach Eukalyptusöl. Der zweite Soldat denkt einen Moment nach und beginnt dann in einer Lautstärke, die die eines brüllenden Bullens gleichkommt, seinen Unmut zu verkünden: „Wisst ihr nicht, dass es die Ohren unseren Herrn Porfirio Empyreus beleidigt, wenn ihr auf der Straße so einen entsetzlichen Lärm veranstaltet? Wenn ihr ein Anliegen habt, dann meldet euch bei ihm an, aber macht nicht so ein Geschrei! Es könnte sonst sein, dass euch der Zorn Porfirio Empyreus´ trifft und das hat noch niemandem geschmeckt! Ihr habt daher jetzt mehrere Möglichkeiten. Entweder tretet ihr kleinmütig den Rückzug an und macht einen großen Bogen um das Gut des Porfirio Empyreus oder...“ Noch eine ganze Weile länger brüllt der zweite Soldat die beiden Männer an, wodurch er irgendwann die Aufmerksamkeit seines Herrn erregt hat. Porfirios erscheint unrasiert und in einem schnell umgewickelten Tuch am Eingang seines Grundstücks. Seine Augen zeugen noch deutlich vom Schneckengenuss am gestrigen Abend. Der Lärm auf der Straße hat ihm einen gequälten Gesichtsausdruck verliehen. Verständnislos betrachtet er eine Weile lang die beiden Männer und die gefesselte Frau. Dann sagt er zu ihnen: „Wenn ihr etwas gegen Minotauren habt, warum schleppt ihr dann die Frau durch die Straßen? Ihr müsst es ihrem Geliebten zeigen, ihr Feiglinge!“ Dann wendet er sich dem ersten und dem zweiten Soldaten zu und  befiehlt: „Gärtner, Masseur! Führt die Frau ins Esszimmer und gebt ihr einen grünen Tee. Das Elend kann man ja nicht mit ansehen!“ Und wieder an die beiden Männer gewandt beschließt er seine Rede: „Schert euch fort, ihr Störenfriede! Sonst bekommt ihr es mit meinen Minotauren zu tun! Und glaubt mir: Ich habe mehr als einen!“ Langsam ziehen sich die Männer zurück und rufen den versammelten Minotauren zu: „Wir haben uns nicht zum letzten Mal gesehen! Nehmt euch in Acht!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.09.2020 | 23:35
Kurz vor Geschäftsschluss stehen vier namenlose Minotauren in Kostalush in der Apotheke Ferus. Während sie darauf warten, Heilmittel zu erwerben unterhalten sie sich leise über einen denkwürdigen Vorfall, der sich am Nachmittag in Rhomoon ereignet hat.

Der Assistent des Fassbinders: „Die Kerle wollten das Mädchen an den Pranger stellen, weil sie sich mit einem Minotauren eingelassen hat!“

Der Söldner mit dem geschienten Arm: „Und dann? Ich habe gehört, dass Mädchen sei irgendwie mit heiler Haut davongekommen.“

Der Ableger vom Markt in Kantairon: „So leicht kommt niemand davon!“

Der alte Feuerschlucker: „Die Kerle wurden von ein paar Rindern gestört.“

Der Söldner mit dem geschienten Arm: „Von Rindern? Was denn für Rinder?“

Der alte Feuerschlucker: „Zwei kamen von der Fähre, die beiden anderen gehören zu einem reichen Empyreus.“

Der Assistent des Fassbinders: „Letztlich hat das eine Rind seinen Herrn herbeigebrüllt. Das halbe Viertel hat es gehört.“

Der Söldner mit dem geschienten Arm: „Ohje! Was für ein Lärm!“

Der alte Feuerschlucker: „Es heißt, er habe immerhin gut gerochen. Der andere hingegen soll gestunken haben.“

Der Ableger vom Markt in Kantairon: „Hatten die beiden einen Name?“

Der Assistent des Fassbinders: „Ich glaube nicht. Sie hätten aber auch kaum die Gelegenheit gefunden, sich einzumischen, wenn die beiden von der Fähre die Kerle nicht aufgehalten hätten.“

Der Söldner mit dem geschienten Arm: „Was waren das für welche?“

Der Ableger vom Markt in Kantairon: „Obdachlose, heißt es.“

Der alte Feuerschlucker: „Einer soll sich mit Botendiensten durchschlagen.“

Der Assistent des Fassbinders: „Da weiß er natürlich ganz gut, was in den Menschen vorgeht!“

Der Söldner mit dem geschienten Arm: „So etwas kann eben keiner allein regeln.“

Der alte Feuerschlucker: „Nein, aber es braucht auch einen, der anfängt!“

Der Assistent des Fassbinders: „Einen, wie den Boten!“

Der alte Feuerschlucker und der Söldner mit dem geschienten Arm nicken. Ein paar Menschen in der Nähe werfen den Minotauren misstrauische Blicke zu. Eine Weile gehen die vier Minotauren ihren Gedanken nach. Schließlich flüstert der Ableger vom Markt von Kantairon.

Der Ableger vom Markt von Kantairon: „So leicht kommt niemand davon!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:25
3

Niemand kennt die Zukunft
der Minotaurenknaben,
die ihre Nächte in den Ställen verbringen
und sich an den warmen Körpern
der großen Bullen schmiegen,
auf denen sie in ihren Träumen
ins Licht reiten.
 
Die Erwartung
in ihren ersten morgendlichen Blicken
ist unsere stärkste Waffe
im Kampf gegen die Hoffnungslosigkeit.

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:26
Wir sitzen hinter dem Haus unter eine Markise und schauen in den Regen.

Wie ein Schleier fällt er vom Himmel.

Wie ein Schleier verdeckt er auch unsere Sicht auf die Umgebung.

Allmählich gewöhnen wir uns daran und beginnen Straßen und Häuser einer anderen Stadt wahrzunehmen.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:28
Der erste und der zweite Soldat führen die zitternde Gouliza ins Haus. Der zweite Soldat nickt außerdem dem Philosophen aufmunternd zu, worauf sich dieser der Gruppe anschließt. Als Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat ebenfalls auf den Eingang zusteuern, fragt sie der erste Soldat, was sie wollen. Der zweite Advokat erzählt, das Mujeeb sich auf das Deuten von Orakeln versteht und im Haus seine Dienste anbieten möchte. Der erste Soldat zuckt mit den Schultern und meint, die beiden könnten zumindest erstmal mitkommen.

Schließlich sitzt die gesamte Gruppe in der Küche. Gouliza bekommt einen warmen Tee und beruhigt sich allmählich. Der zweite Advokat fragt sie, ob sie sich nicht vielleicht von Mujeeb ein Orakel auslegen lassen möchte. Gouliza ist einverstanden, ertränkt mit Mujeeb zusammen Bienen in Zuckerwasser, isst sie und zieht Holzplättchen aus seinem qualmenden Schlund des Schicksals. Mujeeb sieht sich die Plättchen an, schüttelt etwas verunsichert mit dem Kopf und sagt dann: „Durch das Streben nach Reinheit erlangen wir Kraft.“ Gouliza weiß nicht, was sie von dem Spruch halten soll, nickt Mujeeb aber ernst zu. Der Wahrsager nimmt den zweiten Advokaten zur Seite und flüstert ihm mit krächzender Stimme zu: „Sie zahlt nichts, Rind!“ Der zweite Advokat nickt.

Irgendwann beginnt Gouliza zu erzählen. Sie liebt einen Minotauren, der in Pannashoo arbeitet. Dieser Stadtteil Dégringolades ist etwa 6 Stunden entfernt. Der Minotaur ist Brunnenpfleger am Quell des Vertrauens und dafür zuständig, dass niemand ungewollt in dem Brunnen badet. Er muss außerdem das Wasser mittels eines langen Keschers von Blättern und Unrat freihalten. Gouliza hat Angst, dass ihre beiden Peiniger sich jetzt, wo sie ihrem Zorn entkommen ist, stattdessen an ihrem Geliebten vergreifen. Der zweite Advokat spricht ihr beruhigend zu. Es ist aber zu erkennen, dass die Frau möglichst bald schon in Richtung Pannashoo aufbrechen wird.

Während die Anwesenden noch überlegen, wie in dieser Sache zu verfahren ist, steht plötzlich Archana, die älteste Tochter des Hauses in der Küchentür. Sie geht neugierig auf Mujeeb zu und bittet ihn um eine eigene Orakelauslegung. Dann legt sie großzügige vier Samenkörner auf den Tisch. Der zweite Advokat steckt den Lohn ein und bereitet die Zeremonie vor. Etwas später betrachtet Mujeeb die von dem dreizehn Jahre alten Mädchen gezogenen Holzplättchen und murmelt: „Durch das Streben nach Reinheit erlangen wir Kraft.“ Etwas enttäuscht verzieht sich das Mädchen.

Mujeeb sagt zum zweiten Advokaten: „Irgendetwas stimmt nicht. Die Orakelsteine zeigen immer wieder dasselbe! Das war doch noch nie so! Irgendwann werden sich die Leute wundern, warum ich immer wieder dasselbe erzähle, aber ich kann doch meine Kunden nicht anlügen! Lass uns hier erstmal verschwinden!“ Der Orakelmann und der zweite Advokat verabschieden sich und verlassen das Haus. Auf der Straße beschließen sie, ihre Dienste noch in ein paar anderen Villen reicher Anwohner anzubieten. Der zweite Advokat sagt: „Mujeeb, vielleicht bist du auch einfach ein wenig ausgebrannt. Wenn dein Problem weiterhin besteht, musst du vielleicht eine Pause einlegen.“ Mujeeb nickt unsicher.

Der Philosoph wendet sich an den zweiten Soldaten: „Ist es wohl möglich mit dem Erzieher zu sprechen?“ Der zweite Soldat nickt und holt den Gefragten in die Küche. Der Mann begrüßt den Philosophen, bekommt daraufhin den Brief Nagur Mulukutlas an Saaroni Empyreus in die Hand gedrückt, nickt und verschwindet wieder. Wenig später kehrt er zurück und drückt dem Philosophen seinen üblichen Lohn in die Hand. Dann fragt er: „Die Herrin ist enttäuscht über die ausbleibende Reaktion von Durokshan. Habt ihr ihm ihren Brief übergeben?“ Der Philosoph bejaht die Frage und erzählt dem Erzieher von der Briefübergabe. Er erzählt auch von der verschleierten Frau, die Durokshan einen Auftrag erteilt und sich schließlich mit ihm zu einer vornehmen Villa begeben hat. Der Erzieher nickt, bittet den Philosophen einen Moment zu warten und verschwindet erneut. Wenig später kehrt er zurück und horcht den Philosophen weiter aus. Saaroni will wissen, ob die vornehme Villa der Wohnort der verschleierten Frau gewesen sei. Als Erklärung fügt er flüsternd hinzu, dass die Herrin offensichtlich von starker Eifersucht heimgesucht werde. Der Philosoph nickt: „Es kann durchaus sein, dass das das Haus der verschleierten Frau war.“ Dann bietet der Erzieher ihm im Auftrag Saaronis drei Samenkörner, wenn er herausfindet, wer die verschleierte Frau gewesen ist. Der Philosoph versucht diplomatisch zu antworten: „Es ist ein langer Weg, mein Freund, und ob er von Erfolg gekrönt sein wird, steht in den Sternen. Ist es nicht möglich, dass sich deine Herrin ein wenig zuvorkommender zeigt?“ Der Erzieher nickt, bittet den Philosophen einen Moment zu warten und verschwindet erneut. Zu später Stunde erscheint er ein letztes Mal. Mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck erzählt er dem Philosophen: „Vergiss bitte Durokshan! Der Name soll in diesem Hause nie wieder erwähnt werden. Ich übergebe dir hier einen anderen Brief. Er ist für Anâzhar Shahin, einen Musiker, der im Moment auf der anderen Flussseite in der Seide seine Kunst zum Besten gibt.“ Der Erzieher scheint unter der schlechten Laune seiner Herrin gelitten zu haben. Der Philosoph wirft ihm einen bedauernden Blick zu, spricht ein paar trostreiche Worte zu ihm, nimmt Saaronis Brief, verabschiedet sich von Gouliza und verschwindet dann eilig, um mit der letzten Fähre noch überzusetzen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:28
Am Abend erscheint Ashtavede im Empfangsraum der „Seide“ und wendet sich an den dort arbeitenden ersten Advokaten: „Die Dame hinten links verlangt nach einem Bediensteten. Schau doch vorbei und frage, was sie will, ja? Ich übernehme den Posten hier?“ Der erste Advokat macht sich auf den Weg und betritt wenig später den Raum Halifas, die gerade ein paar Räucherstäbchen anzündet. Die roten Stäbchen beginnen am Ende zu glühen, kräuseln sich und werden aschenweiß. Ihr Rauch versammelt sich und wird zu einem sich drehenden Geist. Der erste Advokat staunt. Es riecht nach Sandelholz. Die Moskitos suchen das Weite. Schließlich sagt der erste Advokat: „Ihr habt gerufen?“ Halifa dreht sich um und sagt: „Es ist Abend, die ersten Gäste sind schon da und ich bin noch nicht bereit, weil ich unbedingt noch etwas essen muss, bevor ich mich zu ihnen in den Innenhof setzen kann. Geh doch bitte zu Chaman-Gul in die Küche und bring mir etwas – diese Gebäckstücke mit Fenchel, so etwas in der Richtung.“ Der erste Advokat wirft noch einen Blick auf die absonderliche Figur, die sich aus dem Rauch der Räucherstäbchen bildet, und fragt: „Ist sonst alles in Ordnung, meine Dame?“ Halifa sagt: „Alles in Ordnung, geh jetzt!“

Der erste Advokat macht sich auf den Weg in die Küche. Es ist niemand da, auch nicht Chaman-Gul, der Koch des Etablissements. Der erste Advokat wirft einen kurzen Blick in den nebenan befindlichen Vorratsraum. Auch hier ist niemand, aber für einen kurzen Moment hört der erste Advokat ein kehliges Röcheln oder Stöhnen, dass in Richtung einer Kellerluke zu hören ist. Der erste Advokat überlegt kurz und öffnet dann entschlossen die Luke. Genau im selben Moment kommt ihm Chaman-Gul entgegen, steigt aus der Luke und wirft sie hinter sich zu. Der Koch fragt barsch: „Was willst du, Rind?“ Der erste Advokat berichtet von den Wünschen Halifas, worauf Chaman-Gul mit ihm in die Küche geht und ihm ein paar Scheiben trockenes Brot in die Hand drückt. Er sagt: „Alles weitere braucht noch Zeit.“ Der erste Advokat bedankt sich und will wieder gehen, da fügt der Koch noch hinzu: „Merk dir eins, Rind: Du hältst dich vom Keller fern! Dort hast du nichts zu suchen. Ist das klar?“ Beflissen nickt der Minotaur. Seine Neugier ist geweckt.

Wenige Augenblicke später nimmt Halifa das trockene Brot, das er ihr bringt, etwas enttäuscht entgegen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:29
Der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari haben ihre Runde durch die Villen der Reichen am Flussufer beendet. Mujeeb hat noch zwei Orakel mehr ausgelegt und jedes Mal das Ergebnis „Durch das Streben nach Reinheit erlangen wir Kraft“ verkündet. Jetzt ist er vom Verzehr der vielen Bienen kaum noch in der Lage geradeaus zu gehen und glaubt seine Orakelkunst im Schwinden begriffen. Müde hängt er sich beim zweiten Advokaten ein und sagt: „Ich brauche eine Schlafgelegenheit, Rind. Ich kann nicht mehr.“ Der zweite Advokat sieht sich um. Dass die Reichen sie in ihre Villen lassen ist unwahrscheinlich, am Fluss befinden sich aber auch noch ein paar armselige Fischerhütten. Hauptsache ein Dach über dem Kopf, denkt der zweite Advokat und stolpert mit Mujeeb in Richtung Ufer.

Sie treffen dort auf den Anführer, der soeben seinen Arbeitstag beendet, seinen Fang verstaut und sein Netz ordnet. Der zweite Advokat bittet ihn um eine Schlafgelegenheit für sich und den Orakelmann, die ihnen der Anführer gewährt. Mujeeb betritt die Hütte, sieht ein Lager und fällt dort sofort in einen tiefen Schlaf. Am Fluss teilt derweil der Anführer sein bescheidenes Abendbrot mit dem zweiten Advokaten. Später beginnen sich die beiden Minotauren von ihrem Leben, ihren Sorgen und Problemen zu erzählen.

Plötzlich können sie eine Bewegung auf dem nächtlichen Fluss erkennen: irgendeine verhüllte Gestalt steuert ungelenk ein Boot flussabwärts. Sie schaut sich um, erhebt sich vorsichtig und hat ein Bündel im Arm. Einen Moment scheint die Gestalt zu zögern, dann übergibt sie das Bündel dem Fluss und rudert so schnell wie möglich davon. Die beiden Minotauren schauen sich an und nicken sich zu. Hier ist ihre Initiative gefragt. Der Fischer lässt sein Boot zu Wasser und der zweite Advokat springt hinein. Die beiden Minotauren rudern schnellstmöglich zu der Stelle, an der das Bündel den Fluten übergeben wurde und aufgrund des Wimmerns, das von ihm ausgeht, entdecken sie es auch nach einer Weile. Kurz bevor der vollgesogene Stoff versinkt fischt der Anführer das Bündel mit einem Haken aus dem Wasser. Der zweite Advokat schlägt den Stoff auseinander und blickt ins Gesicht eines nassen, frierenden Minotaurenbabys.

Zurück an der Fischerhütte trocknet der zweite Advokat das Baby, der Anführer macht ihm einen Brei. Als das Baby schläft, sind auch die beiden Minotauren völlig erschöpft. Sie beschließen alles Weitere am nächsten Morgen mit Mujeeb zu besprechen. Bis es soweit ist, müssen sie den neugeborenen Minotauren allerdings noch dreimal füttern und beruhigen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:32
Am selben Abend klopft der Philosoph an die Tür der „Seide“. Ashtavede und der erste Advokat befinden sich im Eingangsraum und öffnen ihm. Der Philosoph bittet um Einlass, weil er ein Geschenk für eine der Damen habe. Ashatavede nickt und fragt, für wen das Geschenk denn sei. Der Philosoph sagt, dass es sich um die Dame hinten links handle. „Kennst du den Weg?“, fragt ihn der tätowierte Bordellier und pafft an seiner grünen Zigarre. Der Philosoph nickt, wird vom ersten Advokaten durchgewunken und begibt sich dann zum Zimmer Halifas.

Als er der Dame die drei Vanilleschoten Gerdotesas überreicht mustert diese ihn genau und will wissen, ob der Wächter des Turms der Helden ihr noch irgendetwas anderes mitgeteilt habe. Der Philosoph verneint, spricht Halifa aber gut zu und behauptet, dass die Schoten doch auch schon ein ganz beachtliches Geschenk seien. Halifa wird sichtlich unsicher. Der Philosoph fragt: „Möchtet ihr ihm antworten?“ Halifa nickt, sagt dann aber: „Ich werde einen Moment brauchen. Hoffentlich habe ich noch etwas Ruhe.“ Der Philosoph sagt: „Schreibt ihm, ich warte solange vor der Tür.“

Auf dem Gang hört der Philosoph Musik, die vom Innenhof aus an sein Ohr dringt. Irgendjemand spielt dort zur Unterhaltung der Gäste auf einer Krokodilzither und nach allem, was sich vom Aufenthaltsort des Philosophen hören lässt, scheint es sich um einen Meister auf dem Instrument zu handeln. Schon bald aber übertönt ein hässlicher Streit im Nachbarzimmer Halifas die wunderbare Musik. Ein Freier schimpft dort mit der Dame Masumi, verkündet lautstark, dass sie ihm keine Befriedigung verschafft habe und er deshalb auch nicht zahlen werde. Masumi zetert und schreit.

Der Streit ist bis zum Eingangsraum zu hören. Ashtavede weist den ersten Advokaten an: „Schau doch mal nach, was da los ist!“ Der erste Advokat begibt sich ins Zimmer Masumis. Dort trifft er auf Kanta Planudes, einen reichen, ortsansässigen Besitzer zahlreicher Olivenhaine, der offensichtlich schon reichlich getrunken hat. Der erste Advokat versucht herauszubekommen, ob sich Masumi irgendeine Nachlässigkeit zu Schulden kommen lassen hat, seine indiskreten Nachfragen machen Kanta Planudes aber nur noch wütender. Schließlich bietet ihm der erste Advokat an, sich eine andere Gespielin auszusuchen. Kanta Planudes grunzt zufrieden und verlässt mit dem ersten Advokaten ohne zu bezahlen den Raum Masumis in Richtung Innenhof. Masumi macht eine Szene und schreit: „Ich gratuliere zu ihrem neuen Ruf als Frauenschänder, mein Herr!“

Im Innenhof führt der erste Advokat Kanta Planudes der Dame Sutara zu, einer strengen Frau mit herrischem Blick, deren Schönheit schon fast verblüht ist. Missmutig grunzend und mit noch immer hochrotem Kopf setzt sich Kanta Planudes neben sie, sagt dann aber gönnerhaft zum ersten Advokaten: „Das war zuvorkommend, Rind, du sollst dafür ein Samenkorn haben!“

Der erste Advokat nimmt das Samenkorn, geht dann aber zu Masumi und drückt es ihr in die Hand. Masumi hat sich etwas beruhigt und schluchzt. Sie erzählt dem ersten Advokaten, dass sie sich zwei Stunden um den Mann bemüht habe, aber wenn er nicht bereit für ihre Freuden sei, dann könne sie es auch nicht ändern. Der erste Advokat tröstet sie ein wenig. Schließlich bekommt Masumi einen grimmigen Gesichtsausdruck und sagt: „Der Mann hat mich entehrt. Rind, du musst in Zukunft dafür sorgen, dass er mich nie wieder besuchen kommt.“ Etwas zögerlich sagt der erste Advokat: „Ich will sehen, was ich tun kann, meine Verehrteste.“ Dann verlässt er ihren Raum.

Auf dem Gang nickt er dem immer noch auf Halifas Antwort wartenden Philosophen zu. Es kommt zu einem kurzen Gespräch zwischen den beiden Minotauren, bei dem der erste Advokat dem interessierten Philosophen ein paar Details des soeben stattgefundenen Streites erzählt. Dann kehrt er zu Ashtavede in die Eingangshalle zurück.

Ashtavede hört sich an, was geschehen ist und sagt dann: „Na gut, du hast eine Regelung gefunden. Denke aber daran, dass du in der Seide arbeitest. Das ist ein angesehenes Etablissement. Ein Mann kann sich hier nicht alles erlauben. Auch Kanta Planudes nicht. Wenn so etwas noch einmal passiert, dann wirf ihn hinaus und erteile ihm Hausverbot. Du arbeitest in der Seide!“ Der erste Advokat nickt.

Währenddessen ruft Halifa den Philosophen in ihr Zimmer, drückt ihm drei Samenkörner in die Hand und übergibt ihm einen Brief. Sie beklagt sich über den Lärm aus dem Nachbarraum und verabschiedet sich dann vom Philosophen.

Der Philosoph wendet sich daraufhin dem Innenhof zu und lauscht eine Weile dem Spiel Anâzhar Shahins, des Meisters der Krokodilzither. Sein Spiel ist über jede Kritik erhaben. Dem Philosophen scheint es sogar so zu sein, dass ein paar Freier und sogar zwei der Damen ihre eigentlichen Absichten vergessen und sich ganz den Klängen seiner Musik hingeben. In einer kleinen Pause spricht der Philosoph den Meister an, preist sein Spiel und übergibt ihm den Brief von Saaroni Empyreus. Anâzhar liest ihn und befragt den Philosophen ein wenig nach der Frau. Er will wissen, ob sie eine Musikerin oder zumindest Musikliebhaberin ist. Die Antworten des Philosophen bleiben aber unverbindlich. Am Schluss schreibt der Zitherspieler eine Antwort, in der er Saaroni darüber informiert, dass sie ihn für einen Auftritt buchen könne.

Kaum hat der Philosoph die Antwort des Musikers verstaut, zieht neuer Ärger auf: Kanta Planudes ist inzwischen noch betrunkener als er es zuvor schon war und beleidigt wenige Meter weiter lautstark die Dame Sutura als alte Vettel und Vogelscheuche. Sutura ist brüskiert, alle anderen Damen und Gäste peinlich berührt. Schnell eilt der Philosoph zum Eingang des Etablissements und informiert den dort noch immer Dienst schiebenden ersten Advokaten.

Der Advokat erkennt, dass seine Anwesenheit benötigt wird. Allerdings macht Ashtavede gerade seinen Rundgang und er kann aber schlecht die Eingangstür unbeaufsichtigt lassen. Für einen kurzen Moment bittet er den Philosophen etwaige Besucher zum Warten anzuhalten. Dann rennt er zum Nebengebäude, in dem die Minotauren wohnen, und kommt mit einem unglücklich aussehenden Kollegen zurück, der ihn für eine Weile vertreten wird.

Schließlich kehrt der Philosoph zusammen mit dem ersten Advokaten in den Innenhof zurück. Alle Versuche Kanta Planudes auf friedliche Weise zur Ruhe zu bringen schlagen fehl und der Streit eskaliert. Am Schluss greift der erste Advokat mit seinen muskulösen Minotaurenarmen den reichen Gutsherren im Nacken und drückt zu. Das reicht aus, um Kanta Planudes zur Besinnung zu bringen. Lammfromm lässt er sich zur Remise bringen, wo seine Sänfte steht und sich seine Träger die Zeit vertreiben. Als sie mit ihrem Herrn das Grundstück verlassen, ist Kanta Planudes bereits in seiner Sänfte eingeschlafen.

Endlich kann der erste Advokat zum Eingangsraum zurückkehren, wo sich soeben der Philosoph verabschieden will. Die beiden Minotauren merken aber, dass auch hier etwas nicht stimmt. Es handelt sich um den Minotauren, den der erste Advokat zu seiner Vertretung hierhergebracht hat. Dieser Minotaur scheint selbst heftig dem Alkohol zugesprochen zu haben. Seine Kontrolle über sich selbst ist in Auflösung begriffen und er macht einen willenlosen Eindruck. Der erste Advokat ist schockiert: ein Betrunkener am Eingang! Das sollte nicht geschehen! Er redet auf den Minotauren ein und kommt zum Schluss, dass der Kollege wohl noch keine Katastrophe verursacht hat.

Gemeinsam mit dem Philosophen redet der erste Advokat auf den Unglücklichen ein und bekommt Bruchstücke einer Tragödie zu hören. Der Minotaur erzählt mühsam von einer Liebesaffäre zu einer Menschenfrau. Neun Monate habe er die Frau versteckt. In dieser Zeit habe sie nichts Besseres zu tun gehabt, als über die bevorstehende Geburt ihres Minotaurenjungen zu klagen. Nach der Geburt habe sie ihn ohne ein weiteres Wort verlassen und das Kind mitgenommen.  Mit weinerlicher Stimme berichtet der Betrunkene davon, dass er sich seine Vaterrolle anders vorgestellt habe.

Der erste Advokat klopft seinem Kollegen beruhigend auf die Schulter und überlegt. Dann fragt er den Philosophen: „Hast du vielleicht Lust auf ein bequemes Nachtlager? Du musst nur darauf achten, dass unser Freund hier keine weiteren Dummheiten anstellt!“ Der Philosoph ist einverstanden und zieht mit dem betrunkenen Minotaur zum Haus der Dienerschaft. Dort legt er sich mit ihm auf dessen Lager und fällt in tiefen Schlaf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:34
Am nächsten Morgen erwacht Mujeeb Gashkari und blickt erstaunt seinen übernächtigten Mitbewohnern in die Augen. Der zweite Advokat fragt ihn, ob er eine Idee habe, wohin man ein Minotaurenbaby bringen könnte. Mujeeb schaut sich mit großen Augen das kleine Wesen an und meint nach kurzem Überlegen: „Bringen wir es ins Theater des Saemauug Empyreus. Von den hundert Frauen des Patriarchen wird sich schon eine erbarmen und das Kind irgendwie durchfüttern.“

Saemauug Empyreus hatte hundert Frauen, die er zu Tänzerinnen, Schriftstellerinnen, Musikerinnen, Choreographinnen und Lehrerinnen machte. Er baute von seinem Reichtum ein Theater, auf dessen Bühne seine Frauen auftraten. Der Aufführungsort wurde schnell berühmt und erfreut sich auch heute noch einer bleibenden Beliebtheit. Zwar ist der Hausherr schon längst verstorben, die Tradition wird aber gewahrt und so werden immer noch Frauen mit ihm verheiratet, die dann in dem Theaterbetrieb einen Platz finden. Es heißt, dass die Zahl seiner Frauen stets 100 beträgt.

Der Anführer setzt Mujeeb Gashkari und seinen Gehilfen zusammen mit dem Minotaurenbaby über den Fluss. Am Theater angelangt beginnt der zweite Advokat ein Gespräch mit der Frau, die Karten verkauft. Er legt das Kind vor sie auf den Tisch, behauptet es in einem nahen Gebüsch gefunden zu haben und äußert die Vermutung, dass es hier ins Theater gehöre. Die Frau ist entrüstet, erzählt ihm, dass die hier arbeitenden Frauen ehrbare Ehefrauen von Saemauug Empyreus seien, streitet jegliche Verbindung zu dem Säugling ab und behauptet irgendwann sogar, der zweite Advokat sei wohl selbst der Vater, der seinen Zögling hier auf einfache Art und Weise loszuwerden versuche. Während der Auseinandersetzung bildet sich hinter Mujeeb Gashkari und den beiden Minotauren eine immer ungeduldiger werdende Warteschlange.

Plötzlich geschieht etwas Unvorhergesehenes. Ein Minotaur, der sich in der Warteschlange direkt hinter dem zweiten Advokaten befindet, spricht ihn an: „Bist du nicht der Bruder, der bei uns im Bambuswald immer die Bienen fängt? Ich wollte immer schon einmal mit dir sprechen, aber unter der Knute unseres Vorarbeiters bekommen wir für Gespräche mit Fremden kaum eine Gelegenheit.“ Der zweite Advokat kennt den Minotauren nicht, bestätigt aber, dass er für Mujeeb Gashkari öfter in einem Bambuswald am Rand von Rhomoon Bienen fängt. Sein Gesprächspartner erzählt ihm daraufhin, dass sich die Bienen kurz vor dem Nachmittagsmonsun viel besser fangen ließen. Sie kehrten dann scharenweise zu ihren Körben zurück und hätten nur das Ziel vor Augen, dort Schutz vor dem Regen zu finden. Der zweite Advokat – und auch seine Begleiter – hören dem Minotauren interessiert zu, müssen aber entsetzt feststellen, dass während des Gesprächs auf irgendeine Weise der Säugling verschwunden ist. Schnell schaut sich der Anführer um und entdeckt eine Gestalt in einem grauen Umhang, die von außen auf die Wehrmauer des Theatergeländes springt und auf dem dort befindlichen Gang davonrennt. In ihren Armen trägt sie das Bündel.

Der Anführer und der zweite Advokat nehmen die Verfolgung auf. Sie eilen auf das Theatergelände, folgen der grau gekleideten Gestalt einmal quer über das Gelände und erklettern dann die rückwärtige Seite der Wehrmauer, von der der Kinderdieb in das Viertel hinter dem Theater gesprungen ist. Eine Weile lang scheint es fraglich, ob die beiden Minotauren den Fliehenden erreichen können, dann aber holen sie auf. Die Verfolgungsjagd führt die Minotauren in ein Viertel mit einfacheren Arbeiterwohnungen. Der Dieb erreicht schließlich ein Haus, vor dem eine Kinderschar herumtollt und schreit. In einem hölzernen Stuhl sitzt eine alte, knöcherne Frau, die die Kinder wiederholt auf gröbste Art und Weise zur Ordnung ruft. Die Gestalt im grauen Umhang legt der alten Frau das Bündel in den Schoß und läuft weiter.

Der Anführer und der zweite Advokat verlangen nun das Kind zurück, die alte Frau aber gibt ihnen zu verstehen, dass das Kind jetzt ihr gehöre. Wieder entbrennt ein Streit. Ein Wort folgt auf das andere. Dann aber nähert sich der Frau ein Mädchen bittet sie um irgendetwas. Die Frau hat nur eine Ohrfeige für das Mädchen übrig. Genau diese Gelegenheit lässt sich aber der Anführer nicht entgehen. Er nutzt die Ablenkung, entreißt der alten Frau das Bündel und läuft mit dem zweiten Advokaten gemeinsam davon.

Noch einmal versuchen es Mujeeb Gashkari und die beiden Minotauren beim Theater des Saemauug Empyreus. Auch diesmal haben sie keinen Erfolg und werden den Säugling nicht los. Dann sagt Mujeeb: „Wir könnten es auch noch in der Seide versuchen. Es mag bessere Aufenthaltsorte für ein Kind geben, aber wir haben keine große Wahl!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:34
An der Seide angekommen verabschiedet sich soeben der Philosoph vom ersten Advokaten und dem Minotauren, neben dem er die vergangene Nacht verbracht hat. Der Minotaur hat einen gewaltigen Kater und hält sich den Schädel. Als Mujeeb Gashkari und seine beiden Begleiter mit dem Bündel am Eingang der Seide erscheinen und dem ersten Advokaten erzählen, dass sie in der vergangenen Nacht einen kleinen Minotaurenjungen im Fluss gefunden haben, schauen sich die drei anderen Minotauren mit großen Augen an. Die Kopfschmerzen des jungen Vaters scheinen wie weggeblasen zu sein und er verlangt, das Kind zu sehen. Vorsichtig wickelt es der zweite Advokat aus und zeigt es vor, worauf es der junge Vater glücklich in seine Arme schließt. Der erste Advokat will wissen, ob das auch wirklich das Kind des Minotauren sei, Mujeeb Gashkari zieht ihm aber am Ärmel und flüstert ihm ins Ohr: „Nicht so wichtig, Rind, nicht so wichtig!“ Der erste Advokat meint: „Ich muss zumindest Ashtavede darüber informieren. Keine Ahnung, ob wir hier ein Kind durchfüttern können.“

Vorläufig scheint aber alles geregelt zu sein und der Anführer will sich wieder auf den Weg zu seinem Boot machen, da erscheint ein Mann mit einem großen Sack. Der Sack scheint so schwer zu sein, dass er ihn nicht tragen kann, weshalb er ihn mühsam in Richtung Seide über den Boden zieht. Der Anführer kennt den Mann. Es ist Gulal, der Fischer, der direkt hinter seinen eigenen Fanggründen auf dem Vadhm seine Netze auswirft. Der Anführer ist in der Vergangenheit schon hin und wieder über die Gebietsgrenzen mit Gulal in Konflikt geraten und hat dabei meistens den Kürzeren gezogen. Irritiert beobachtet er seinen Kollegen.

Gulal grüßt den Anführer kurz, dann wendet er sich dem ersten Advokaten zu und sagt: „Zu Chaman-Gul, dem Koch.“ Der erste Advokat winkt ihn durch. Dann aber erklingt aus dem Sack eine Art Krächzen, irgendein kratziger Klagelaut und alle Anwesenden sind etwas irritiert. Der Anführer fragt den ersten Advokaten: „Eigentlich dachte ich, ich würde euch die Fische verkaufen!“ Der Advokat erwidert: „Wir nehmen dir die Nachtfische ab. Soviel ich weiß, hat sich daran auch nichts geändert. Was dein Bekannter dem Koch liefert, weiß ich nicht.“ Alle Versammelten schauen Gulal und seinem Sack hinterher, bis er im Haus verschwunden ist.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 26.10.2020 | 20:40
Am Hafen von Lehekesh steht die Taverne „Kugelfisch“, in die die Meeresfischer einkehren, wenn ihr Arbeitstag beendet ist. Heute sitzen vier namenlose Minotaurenfischer an einem Ecktisch und sprechen über die neuesten Gerüchte.

Der unerfahrene Knabe: Ich habe gehört, heute sollen sie ein Minotaurenbaby aus dem ewigen Fluss gezogen haben!

Der Minotaurenfischer mit dem rasselnden Atem: Na, wenigstens nicht aus dem Schlamm!

Alle vier lachen.

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Es soll irgendein Flussfischer und der Gehilfe von diesem Orakelmann gewesen sein.

Der Minotaurenfischer mit dem rasselnden Atem: Orakel gibt es viele!

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Na, der mit den Bienen. Ich habe seinen Namen vergessen.

Der Minotaurenfischer mit den mächtigen Schultern: Mujeeb… was ist denn dann mit dem Baby passiert?

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Sie haben es angeblich gerettet.

Der Minotaurenfischer mit dem rasselnden Atem: Oh je, das klingt nach Gefühlen.

Der Minotaurenfischer mit den mächtigen Schultern: Und jetzt haben sie ein Maul mehr zu stopfen.

Der unerfahrene Knabe: Das Baby soll in der Seide gelandet sein.

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Im Puff? Das ist ja eine großartige Kinderstube!

Alle vier lachen.

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Ich bin im Dschungel großgeworden. Ein Wunder, dass ich das überlebt habe.

Der Minotaurenfischer mit den mächtigen Schultern: Ich habe meine Kindheit in einem Waisenhaus verbracht. Das war kein Zuckerschlecken. Ich musste mich jeden Tag prügeln. Und dann gab´s auch noch Schläge von Mama Joti, der üblen Vorsteherin.

Der Minotaurenfischer mit dem rasselnden Atem: Es hat 10 Jahre gedauert, bis ich wusste, wie es sich anfühlt, satt zu sein.

Eine Weile hängen alle ihren Gedanken nach.

Der unerfahrene Knabe: Vielleicht ist es in der Seide gar nicht so schlecht. Die Verpflegung soll gut sein. Seit kurzem spielt dort auch Anâzhar Shahin auf seiner Krokodilzither.

Der Minotaurenfischer mit den mächtigen Schultern: Hat Haygaram Ooryphas den Minotaurenknaben aufgenommen? Sieht ihm gar nicht ähnlich.

Der unerfahrene Knabe: Ich glaube, Ooryphas weiß nichts davon. Der Gehilfe des Orakelmannes soll es zuerst beim Theater des Saemauug Empyreus versucht haben. Zweimal! Aber er ist abgeblitzt. In der Seide hat er dann einen Minotauren gefunden, der das Kind aufziehen will.

Der Minotaurenfischer mit der Narbe unter dem Auge: Nicht schlecht. Einer, der nicht gleich aufgibt!

Der Minotaurenfischer mit den mächtigen Schultern: Ich wünschte, es hätte sich um mich jemand so gekümmert.

Eine Weile hängen alle ihren Gedanken nach.

Der Minotaurenfischer mit dem rasselnden Atem: Wie ich dich kenne hättest du in der Seide große Probleme mit dem Wahren der Stille bekommen!

Alle vier lachen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:52
4

Verbirg die Sichel,
wenn du auf das Feld gehst!
Schneide die Rispen
und lass die Halme stehen!
Nimm einen Freund mit,
der die Geister besänftigt!

Was für eine Ernte
hat ein Einzelner zu erwarten,
wenn es ihm an
Feingefühl mangelt?

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:53
Ich ziehe vier Spieluhren auf, wie sie kleine Kinder in den Schlaf klimpern sollen.

Zusammen erzeugen sie eine Wolke aus hohen, zirpenden Geräuschen wie sie ein Schwarm metallischer Grillen erzeugen könnte.

Wenn schon eine von ihnen Träume bringt, was geschieht beim Klang von vieren?

Nach und nach laufen die Federantriebe aus, die Klänge verlangsamen und verklingen.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:54
Der Philosoph nimmt die Fähre um auf die andere Seite des Vadhm zu gelangen. Er betritt mit der Botschaft des Musikers Anâzhar Shahin das Haus des Porfirio Empyreus und verlangt den Erzieher zu sprechen. Der verlangte Minotaur wird geholt und nimmt den für Saaroni Empyreus bestimmten Brief in Empfang. Eine Weile wartet der Philosoph auf Antwort. Schließlich kommt der Erzieher zurück und sagt, dass die Herrin des Hauses Anâzhar Shahins Anerbieten wohlgefällig aufgenommen hat. Wenn die nächste Gesellschaft im Hause ihres Mannes geplant wird, wird sie ihn um eine Probe seiner Kunst bitten und zur Unterhaltung der Gäste engagieren. Der Philosoph erwidert, dass das eine gute Idee und das Spiel des Mannes auf der Krokodilzither unvergleichlich sei. Schon will er wieder das Haus verlassen, da setzt nicht nur der Nachmittagsmonsun ein, sondern es zieht außerdem noch ein heftiger Sturm auf. Der Philosoph wartet zwei Stunden bis das Wetter sein Fortziehen erlaubt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:55
Auch der Anführer hat den Sturm kommen sehen. Er unterbricht seinen Fischfang und steuert mit seinem Boot seine Hütte an. Von hier aus schaut er kopfschüttelnd zu, wie die Fähre auf einer weiteren Fahrt über den Fluss in Schwierigkeiten gerät. Hier hat jemand nicht aufgepasst oder sehr viel Geld geboten bekommen. Die Minotauren auf dem Schiff haben alle Mühe, gegen den aufgewühlten Fluss anzukämpfen und steuern im Zickzackkurs teilweise gegen den Wind auf das Anlegepier zu. Der Anführer hat den Eindruck, dass seine Hilfe gebraucht werden könnte. Er begibt sich im strömenden Regen zum Anlegepier und stellt fest, dass es bei diesem Wetter niemand anderes für nötig befindet, den Fluss zu überqueren. Allein wartet er auf die Ankunft der Fähre. Schließlich ist es so weit, die Besatzung bekommt ihr Schiff nicht unter Kontrolle und die Fähre prallt mehrfach gegen das Pier, wobei ihre Backbordseite aufgeschlitzt wird. Unter den Passagieren bricht Panik aus. Der Anführer ruft den auf der Fähre arbeitenden Minotauren zu, sie mögen ihm das Seil zuwerfen, aber diese scheinen vom Schiff aus auch noch andere Befehle zu erhalten, reagieren kopflos und wissen eine Weile nicht, was sie zuerst machen sollen. Als der Anführer endlich ein Seil zugeworfen bekommt, ist das Schiff an mehreren Stellen leck und an Bord hat es einige Knochenbrüche gegeben. Dann lassen der Regen und Sturm etwas nach.

Einige der Passagiere wenden sich dem Haus des Porfirio Empyreus zu und bitten um Tragen und Bahren, mit denen sie die Verletzten abtransportieren können. Der Anführer erblickt den Aufseher des Schiffes und fragt ihn, was ihn denn geritten habe, dass er bei so einem Wetter den Fluss überqueren musste. Der Aufseher erwidert barsch: „Was willst du? Wenn du dich nützlich machen willst, kannst du das gern tun!“ Da der Anführer im Moment sowieso noch nicht wieder fischen kann, vereinbart er mit dem Mann, für zwei Samenkörner bei der Reparatur des Schiffes mitzuhelfen. Er stellt fest, dass er derjenige ist, der am besten weiß, wie in so einer Situation zu verfahren ist. Den anwesenden Minotauren zeigt er, wie sie Bretter zurechtsägen können, er selbst bessert mit ihnen dann die Lecks an der Fähre aus. Am Ende sind die Minotauren froh, dass ihnen der Anführer geholfen hat und bedanken sich.

Ein kurzes Gespräch kommt in Gang. Der Anführer erfährt, dass es die Minotauren auf der Fähre mit dem menschlichen Aufseher nicht leicht haben. Immerhin biete ihre Arbeit aber auch hin und wieder eine Pause. Letztlich machen sie die Arbeit aber im Wesentlichen, weil sie keine Alternative sehen. Der Anführer nickt und verabschiedet sich freundlich von seinen Brüdern.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:56
Nach dem Sturm verlässt der Philosoph das Gut von Porfirio Empyreus und stellt erstaunt fest, dass auch seine Kundin Gouliza noch dort war. Der gestrige Tag hat sie sehr verängstigt, sodass sie sich noch eine Weile in der Küche des Hauses zurückgezogen hat. Als nach dem Monsun die Sonne wieder hervorkommt wagt sie sich wieder vor die Tür, ist aber immer noch wacklig auf den Beinen und unsicher. Sie erzählt dem Philosophen: „Ich habe Angst. Die Leute wissen jetzt, dass ich einen Minotauren liebe. Solche Leute wie die beiden von gestern können mir jederzeit wieder begegnen. Ich würde gern eine Weile irgendwo untertauchen, bis sich die Aufregung um mich wieder gelegt hat. Mir ist ein Ort in Yannat eingefallen. Dort gibt es diesen Laden des Lampen- und Laternenmachers Pooyah. Gegenüber hat es früher eine Gaststätte gegeben. Inzwischen sind die Mauern des Hauses von Würgefeigen und Banyanbäumen gesprengt und der Ort ist verlassen. Ich will dorthin gehen und sehen, ob ich dort Zuflucht finden kann.“ Der Philosoph schaut Gouliza erstaunt an und sagt: „Ihr wollt in einem verlassenen und zerstörten Haus wohnen? Das hört sich so an, als müsstet ihr euch auf größere Entbehrungen einstellen! Ich kenne eine andere Taverne, nicht allzu weit von hier entfernt, deren Wirt Minotauren gegenüber freundlich eingestellt ist. Soll ich euch den Weg weisen?" Gouliza schaut den Philosophen hoffnungsvoll an und nickt. Die beiden machen sich auf „Zum friedlichen Mungo“.

Auf dem Weg fragt der Philosoph: „Was wird nun mit eurem Geliebten?“ Gouliza erzählt, dass sie in großer Sorge um ihn sei. Da die Übeltäter vom gestrigen Tag ihren Hass nicht ihr gegenüber ausleben konnten, sei es gut möglich, dass sie stattdessen ihren Geliebten drangsalieren. Zudem wisse er nicht, in was für einer Situation sie sich befindet. Vielleicht macht auch er sich Sorgen. Der Philosoph verspricht ihr, sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ihm nach Pannashoo zu begeben. Er will versuchen, ihn in den „friedlichen Mungo“ mitzunehmen. Gouliza müsse ihm nur erzählen, wie sie ihn finden kann. Die Frau ist hoch erfreut von diesem Angebot und drückt dem Philosophen vier Samenkörner in die Hand. Sie sagt: „Mein Geliebter ist der einzige Minotaur, der am Quell des Vertrauens arbeitet.“ „Dann werde ich ihn finden“, antwortet der Philosoph, denkt allerdings etwas sorgenvoll an die damit verbundene 35 Kilometer lange Reise an den Rand Dégringolades.

Auf ihrem weiteren Weg beginnt Gouliza zu erzählen, wie sie ihren Geliebten kennengelernt habe. Auf einer Feier, auf der auch sie eingeladen war, erzählte die Gastgeberin vom Quell des Vertrauens in Pannashoo. In seinem Wasser lasse sich die Unfähigkeit, jemand anderem zu vertrauen, abwaschen. Wer sich in dem Becken bis zum Fuß des Wasserfalls begebe, erfahre erst richtig, was das bedeutet: jemandem vertrauen. Die Gastgeberin berichtete, dass das Gefühl gefährlich und sittenwidrig ist, aber auch, dass sie es sehr aufregend fand. Es heißt, ein Bad im Quell des Vertrauens könne auch erfreuliche Folgen haben und tatsächlich heiratete die Gastgeberin wenig später den Mann, mit dem sie im Quell des Vertrauens gebadet hatte. Da sei auch Gouliza auf den Ort neugierig geworden. Heimlich sei sie dorthin gegangen und habe sich das Becken zwei, drei Tage lang verstohlen angeschaut. Vor dem Becken hätte ein Minotaur gewacht, der dafür zu sorgen hat, dass kein Unwissender ins Becken steigt oder jemand gegen seinen Willen ins Wasser gedrängt wird. Jemandem ein leichtfertiges Vertrauen aufzuzwingen sei natürlich verboten. Schließlich hätte der Minotaur Gouliza gefragt, ob sie im Becken baden wolle, und da habe sie es gemacht. Allerdings sei sie ganz allein gewesen und als sie aus dem Wasser stieg sei die erste Person, der sie Vertrauen schenken konnte, eben jener Minotaur gewesen. Sie habe nie zuvor etwas Vergleichbares erlebt. Nach ein paar Tagen sei die Wirkung des Wassers verflogen, da habe sie den Minotauren allerdings bereits so gut gekannt, dass sie längst zu Liebenden geworden seien. Seitdem habe sie hin und wieder den weiten Weg auf sich genommen, um in seiner Nähe sein zu können.

Am Ziel ihres Weges stellt der Philosoph Gouliza im „friedlichen Mungo“ dem Wirt Nagur Mulukutla vor. Nagur hört sich ihre Geschichte an und sagt zum Philosophen: „Solange du hier keinen Schlafplatz brauchst, ist noch eine Stelle neben dem Herd zu vergeben.“ Dankbar setzt sich Gouliza in die Küche der Taverne. Der Philosoph nickt Nagur freundlich zu und zieht weiter.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:58
Am frühen Abend erreicht der Philosoph Lehekesh. Er überschreitet bei den Brücken über die drei Inseln den Vadhm, läuft durch die junge Stadt und begibt sich zum Turm der Helden. Noch ist nicht viel Betrieb und der mit bunten Blumenranken und Schmetterlingen tätowierte Wärter des Turmes sitzt entspannt an einem der Tische im Freien, wo er einen verdünnten Rotwein trinkt. Nach einer freundlichen Begrüßung drückt ihm der Philosoph Halifas letzten Brief in die Hand. Gerdatosa liest und runzelt mit der Stirn. Ein kleines Gespräch ergibt sich:

„Hast du den Eindruck, dass Halifa ernsthaft an mir interessiert ist?“

„Oh, ja, mein Herr, das scheint mir eine Herzensangelegenheit zu sein.“

„So klingt der Brief auch, aber von einer Kontaktaufnahme findet sich darin kein Wort.“

„Ein Brief ist doch bereits eine Kontaktaufnahme, Herr!“

„Ja, mag sein, aber warum will sie mich denn nicht wiedersehen?“

„Woher wollt ihr das wissen?“

Gerdatosa schweigt und denkt nach. Schließlich sagt er: „Ich möchte, dass du ihr etwas ausrichtest. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Pflanzen am Turm zur zarten Seele Halifas eine außergewöhnliche Bindung entwickeln. Sollte sie einmal hier sterben, erinnern sie sich sicherlich an sie und ihre Geschichte. Wäre es nicht wunderbar, wenn die nächtlichen Blüten der Weinranken ihren Geist herbeilockten und ihn Szenen aus Halifas Leben nachstellen lassen? Ich würde Halifa gern ein Zimmer im Turm der Helden zur Verfügung stellen. Vielleicht könnte ich ihr so eine Art Unsterblichkeit verschaffen. Was meinst du?“

Der Philosoph sagt: „Herr, die Angelegenheit ist zu metaphysisch, als dass ich sie beurteilen könnte. Ich will ihr euer Angebot aber gern unterbreiten. Wollt ihr mir eine entsprechende Botschaft mitgeben?“

Gerdatosa scheint aber wenig Neigung für das geschriebene Wort zu empfinden. Er drückt dem Philosophen wie schon beim letzten Mal ein paar Vanilleschoten in die Hand und verabschiedet ihn herzlich. In der Dämmerung begibt sich der Philosoph seufzend auf den Heimweg.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 19:59
In der „Seide“ sind die ersten Besucher eingetroffen, führen im Innenhof mit Freunden, Geschäftspartnern und den Damen Gespräche, trinken und amüsieren sich. Der erste Advokat ist zur Wache eingeteilt, versorgt die Anwesenden mit Getränken und achtet darauf, dass sich niemand danebenbenimmt. Dabei bekommt er ein paar Gespräche mit.

Ein Kunde berichtet von einem Bekannten, dem General Jitan Bunha, der mit einer neuen Division von Soldaten in den Immerkrieg zieht. Das Problem sei allerdings, dass der Mann bei seinem letzten Feldzug schon auf ordentliche Aufklärung verzichtet und dann auch noch angesichts einer feindlichen Übermacht seine Truppe geteilt habe. Es sei nicht zu erwarten, dass er dazugelernt habe.

Den ersten Advokaten graust es ein wenig. Der Immerkrieg wird im Dschungel geführt und von irgendwelchen reichen Bewohnern Dégringolades finanziert. Dabei finden viele Minotauren und Menschen den Tod. Wer hier gegen wen kämpft und welche Ziele die einzelnen Fraktionen verfolgen, ist für Außenstehende völlig undurchschaubar. Für den ersten Advokaten scheint der Immerkrieg eine gewalttätige, lebensverschlingende Monstrosität ohne jeglichen Sinn darzustellen. Vielen Minotauren und einfachen Menschen in Dégringolade geht es ähnlich.

Kurz darauf hört der erste Advokat, wie ein anderer Kunde mit seiner Potenz prahlt. Er behauptet, er komme in die „Seide“ um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen: „Denn nur, wenn wir mannhaft sind, sind wir wehrhaft.“ Man sehe sich die kulturell Degringolade zersetzenden Minotauren und die barbarischen Äußeren an! Es braucht Männer, um sie in Schach zu halten! Dabei fummelt er aufgeregt an den knappen Kleidungsstückchen seiner Dame herum.

Der erste Advokat schüttelt mit dem Kopf, lässt den Mann aber gewähren. Er denkt an die Äußeren. Bei ihnen handelt es sich um Dschungelbewohner, die auf irgendeine undurchsichtige Art und Weise im Innerkrieg zwischen die Fronten geraten sind. Welche Interessen sie verfolgen, weiß der erste Advokat nicht.

Er beschließt einen kleinen Rundgang zu machen. Dabei ist er besonders an der Küche und der Vorratskammer interessiert, wo er erst kürzlich aus der Kellerluke seltsame Geräusche zu hören bekommen hat. Der schwere Sack, den der Fischer am frühen Morgen an den Koch Chaman-Gul geliefert hat, hat seine Neugier zusätzlich angestachelt. Im Moment ist der Koch allerdings bei der Arbeit. Er schwingt eine Pfanne über dem Feuer und brummt ein Lied vor sich hin. Etwas enttäuscht bezieht der erste Advokat wieder seinen Posten im Innenhof.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:00
Etwas später findet sich der zweite Advokat mit Mujeeb Gashkari vor der Seide ein. Der Minotaur breitet eine Decke am Flussufer aus, setzt den Orakelmann dorthin und erzählt ihm, dass er auf ihn warten soll. Dann begehrt er Einlass. An der Pforte steht Ashtavede, dem er erzählt, dass er ein Geschenk für die Dame im vorletzten Zimmer links habe. Ashtavede lässt ihn passieren.

Der zweite Advokat begibt sich daraufhin zum Zimmer Masumis. Er schenkt ihr die beiden beim Theater von Saemauug Empyreus erstandenen Eintrittskarten und erklärt, dass er Kanta Planudes im Verdacht hat, Mujeebs Tätigkeit als Orakel hier in der Seide behindern zu wollen. Da der Ort aber eine wichtige Einkommensquelle für Mujeeb und ihn darstelle, müsse er mit dem Mann reden. Er äußert die Hoffnung, dass Masumi mäßigend auf den ihr vertrauten Mann einwirken und einen Kontakt herstellen kann. Masumi kann sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Sie sagt: „Kanta Planudes hat sich gestern hier unmöglich benommen. Du kommst umsonst, denn ich werde ihn nie wieder empfangen. Andererseits empfinde ich ihm gegenüber auch keine Loyalität mehr. Ich verrate dir deshalb, dass der Mann seine Oliven auch an zwielichtige Gestalten verkauft. Und manche dieser Oliven sind statt mit Zwergshrimps mit hochgiftigen Hundertfüßlern gefüllt. Mach mit dieser Information, was du für richtig hältst. Ich jedenfalls möchte nicht wieder auf dieses Scheusal angesprochen werden." Der zweite Advokat nickt und verlässt den Raum.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:02
Während dieses Gespräches steht der erste Advokat wieder im Innenhof. Er hört mit an, wie sich ein Kunde über einen gewissen Rustam Empyreus beklagt. Er sei bei dem Mann zu Besuch gewesen, es habe aber keine Schnecken gegeben und das Essen sei äußerst mager ausgefallen. Dann fragt der Kunde die Dame, die er auf dem Schoß hat, wie lange es her sei, dass Rustam Empyreus in der „Seide“ erschienen sei. Früher sei er doch oft hier gewesen. Alles deute jedenfalls daraufhin, dass Rustam pleite sein: „Eine Schande für einen Empyreus!“ Andere Freier in der Nähe stimmen ihm zu.

Ein zweiter Kunde erzählt effekthascherisch von dem reichen Gummibaumplantagenbesitzer Gamsar Prodromus im Stadtteil Jeolip: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Mann zur Sicherung seiner Plantagen drei Urwicga-Reiter einsetzt!“ Die Anwesenden sind entsetzt: „So etwas geht doch nicht!“, heißt es. „Urwigca-Reiter sind Kriegsmaschinen für den Immerkrieg und haben in Dégringolade nichts zu suchen!“

Auch den ersten Advokaten schüttelt es. Urwicga sind riesige Insekten, so groß wie eineinhalb Pferde. Diese Wesen saugen Menschen oder Minotauren in ihr Inneres, wo sie eine mentale Verbindung mit ihnen aufnehmen. Die Personen in ihrem Inneren können sie auf diese Art und Weise lenken und befehligen. Unter der Kontrolle geschickter Urwigca-Reiter können die Insekten zu gefährlichen Waffen im Immerkrieg werden. Es heißt allerdings auch, dass der Aufenthalt im Inneren dieser Insekten bei Menschen und Minotauren seine Spuren hinterlässt. Langjährige Urwigca-Reiter sollen von ihrer Tätigkeit gezeichnet sein.

Erneut begibt sich der erste Advokat auf einen Rundgang und wieder schaut er bei der Küche vorbei, die diesmal verlassen scheint. Kurz bevor er sich den Raum genauer anschauen will, raschelt es aber in seinem Rücken. Soeben verlässt der zweite Advokat das Zimmer Masumis. Die beiden Minotauren schauen sich an und schweigen einen Moment. Dann ergibt sich ein kleiner Dialog:

„Hast du Hunger?“

„Nein, ich sehe nur in der Küche nach dem Rechten.“

„Ist das nicht die Aufgabe des Kochs? Was suchst du denn da?“

„Du scheinst noch neugieriger zu sein als ich!“

„Ich habe eben selbst Hunger. Ist da noch irgendein Leckerbissen zu haben? Oliven vielleicht?“

Der erste Advokat schaut sich in der Küche um und drückt dem zweiten Advokaten eine große Handvoll Oliven in die Hand. Der zweite Advokat schaut genau hin. Sie sind mit Zwergshrimps gefüllt. Nachdenklich betrachtet der erste Advokat sein Gegenüber. Dann sagt er: „Bist du nicht der Gehilfe von dem Orakel?“ Der zweite Advokat bejaht und erzählt ihm, dass er Mujeeb am Fluss zurückgelassen habe um ein paar Worte mit der Dame im vorletzten Raum links über Kanta Planudes zu wechseln. Der erste Advokat erzählt ihm kurz, dass er den Mann am gestrigen Abend vor die Tür setzen musste. Nach einem kurzen Zögern sagt er schließlich: „Ich habe seltsame Geräusche aus der Luke im Vorratsraum gehört. Könntest du vielleicht gerade einmal Wache stehen und Alarm schlagen, wenn jemand vorbeikommt?“ Der zweite Advokat steckt sich ein paar Oliven in den Mund und nickt. Die beiden Minotauren betreten das Vorratslager.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:03
Während der zweite Advokat weiter Oliven isst, horcht der erste Advokat an der Luke. Ganz leise hört er eine Art Klagelaute aus dem Keller. Dann beschließt er, nach dem Rechten zu sehen und öffnet die Luke. Er weiß, dass es besser wäre, seine Neugier zu bezwingen und hat den Eindruck, in seinem Blättermagen bilde sich ein Stein. Trotzdem steigt er die Leiter zum Keller hinab und erblickt schließlich an der Wand, was die seltsamen Geräusche verursacht. Hier hängen kopfüber vier Flussdelphine an der Wand. Sie wurden an schweren, durch ihren Unterleib getriebenen Fleischerhaken, an der Decke aufgehangen. Der erste Advokat ist einigermaßen fassungslos. Flussdelphine sind intelligente Wesen, die dem Hörensagen zufolge wunderschön singen können. Wer ist zu solchen barbarischen Taten fähig? Da er nicht weiß, was er machen soll, ruft er seinen Kollegen: „Komm mal runter, das solltest du dir anschauen!“ Der zweite Advokat steigt die Leiter herab und ist genauso schockiert wie der erste Advokat. Eine Weile überlegen die beiden Minotauren, was sie tun sollen. Dann sagt der erste Advokat: „Lass uns mal Ashtavede um Rat fragen. Ich weiß nicht, was hier am gescheitesten ist.“ Der zweite Advokat ist einverstanden.

Als aber der erste Advokat die Leiter wieder hinaufsteigen will, saust einen knappen Fingerbreit neben seiner Hand ein Hackebeil in den Rand der Luke. Chaman-Gul, der Koch, ist zurück und hat den ersten Advokaten nur knapp verfehlt. Der erste Advokat versucht ins Freie zu gelangen, aber seine Lage ist ungünstig. Chaman-Gul verpasst ihm einen schweren Tritt, worauf er in den Keller hinabstürzt. Der Koch schlägt die Luke zu und verriegelt sie. Die Minotauren sind gefangen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:04
Ein oder zwei Stunden später öffnet sich die Luke wieder. Die beiden Advokaten haben ihr Zeitgefühl verloren und steigen aus dem Keller. Vor ihnen stehen Chaman-Gul, außerdem Ashtavede und der Besitzer des Bordells, Haygaram Ooryphas. Haygaram ergreift das Wort und will wissen, was seine Wache, der erste Advokat, in der Küche zu suchen habe. Der erste Advokat erzählt, er habe geglaubt, irgendeine Dame hier schreien zu hören. Für diese Lüge verachtet sich der erste Advokat selbst. In seinem Blättermagen scheint sich ein Stein zu bilden und er ringt um Selbstkontrolle. Die Stresssituation zehrt an seinen Nerven. Chaman-Gul erzählt Haygaram Ooryphas, dass es beim Schlachten hin und wieder zu Geräuschen käme. Das sei ganz normal. Mühsam stößt der erste Advokat hervor, dass er auch wirklich keine Damen hier gefunden habe. Dafür hingen allerdings Flussdelphine an Fleischerhaken im Keller. Haygaram stutzt: „Flussdelphine?“ Chaman-Gul zuckt mit den Schultern: „Ja. Wenn man sie korrekt zubereitet, wirken sie wie ein Aphrodisiakum. Es gibt seit einiger Zeit ein paar Gäste, die danach verlangen.“ Einen Moment denkt Haygaram Ooryphas nach. Er scheint nicht allzu glücklich. Schließlich sagt er aber: „Alle Anwesenden werden darüber kein Wort verlieren, ist das klar? Es kann nicht sein, dass die Seide durch ein gutes Geschäft ins Gerede kommt.“ Zögerlich nicken alle Anwesenden. Vor dem Mund des ersten Advokaten bildet sich Schaum. Haygarams Blick fällt auf den zweiten Advokaten. Mit verkniffenen Augen fährt er ihn an: „Du bist keiner meiner Angestellten. Wer sagt mir, dass auch du den Mund hältst?“  Der zweite Advokat erklärt, dass er der Gehilfe von Mujeeb Gashkari sei. Haygaram erinnert sich: „Ah, der Bienenfresser!“ Der zweite Advokat reißt sich zusammen und sagt: „Mujeeb und ich haben selbst ein Interesse am Wohlergehen der Seide. Wir haben hier eine gute Einnahmequelle. Von uns erfährt niemand auch nur ein Sterbenswörtchen.“ Nach einer kurzen Pause sagt Haygaram: „Gut. Ich glaube dir. Ihr könnt hier weiter euren Geschäften nachgehen. Solltest du wortbrüchig werden, wird das deine letzte Tat gewesen sein, verstanden?“ Mit diesen Worten verlässt Haygaram den Raum und verschwindet.

Das ist der Moment, an dem der erste Advokat seine Beherrschung verliert. Er sieht Chaman-Gul hasserfüllt an und weiß plötzlich, dass dieser Mann nicht mehr lange Koch in der Seide sein wird. In seinem Schädel dröhnt der Ruf des Dschungels. Wie rasend reißt er dem Koch sein Beil aus der Hand und schlägt ihm die Hand ab. Chaman-Gul stürzt zu Boden und schreit laut, woraufhin auch der zweite Advokat Schaum vor dem Mund bekommt. Beide Minotauren laufen schreiend in den Innenhof, werfen dort Sitzgelegenheiten durch die Gegend, stoßen Gäste zu Boden und verlassen das Haus. Der erste Advokat brüllt dabei ständig: „Befreit die Flussdelphine! Befreit die Flussdelphine!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:04
Am Abend hat sich der ewige Fluss wieder in ein ruhiges Gewässer verwandelt. Der Anführer konnte nach der Reparatur der Fähre noch einen Fang Nachtfische an Land ziehen und begibt sich nun zur „Seide“ um sie dort zu verkaufen. Zehn Meter vor dem Etablissement öffnet sich plötzlich die Eingangstür und in einer wilden Stampede preschen schreiend zwei schäumende Minotauren am Anführer vorbei. Wie angewurzelt bleibt der Anführer stehen und schaut den Rasenden hinterher. Schließlich erscheint Ashtavede in der Tür, der ein unglückliches Gesicht macht. Der Anführer fragt ihn, was hier geschehen sei. Ashtavede seufzt und sagt ihm, dass er es ihm leider nicht verraten kann. Es habe hier aber Spannungen gegeben, woraufhin zwei Brüder der Ruf des Dschungels ereilt habe. Ashtavede sagt: „Wenn du dich nützlich machen willst, dann komm mit in die Küche. Ich brauche jemanden, der den Koch zu einem Arzt bringt." Der Anführer ist einverstanden. Er schultert den schwerverletzten Chaman-Gul und Ashtavede hängt ihm ein Säckchen um den Hals, in dem er die abgeschlagene Hand des Mannes verstaut hat. Schließlich beschreibt er ihm den Weg zum nächsten Arzt und der Anführer trottet los.

Zunächst jammert und schreit Chaman-Gul, irgendwann scheint er aber in eine Art Fieberwahn zu verfallen und gibt Satzfetzen von sich, die von dem dramatischen Geschehen zeugen. Der Anführer hört zu und gewinnt einen vagen Eindruck von den Vorgängen in der „Seide“. Schockierend ist für ihn, dass Chaman-Gul auch davon berichtet, wie er aphrodisierende Flussdelphine zubereitet: Sie müssen über Kopf aufgehangen werden, bis ihnen ihr gesamtes Blut in den Kopf gelaufen ist. Erst dann erzeugt der Verzehr ihres Hirns die gewünschte aphrodisierende Wirkung. Der Anführer fühlt sich elend. Irgendwann erreicht er aber doch den Arzt, übergibt ihm den Verletzten und kehrt dann zur „Seide“ zurück.

An der Pforte steht immer noch Ashtavede. Der Anführer legt ihm die Hand auf die Schulter und sagt: „Der Koch wird ärztlich behandelt und kann ohnehin keine Gerichte mehr zubereiten. Wollen wir nicht ein paar Flussdelphine zurück in den Vadhm werfen?“ Einen Moment lang schaut Ashtavede den Anführer überrascht an, dann aber zuckt er mit den Schultern und nickt.  Als die beiden Minotauren mit einem ersten Sack die Seide verlassen wollen, steht Mujeeb Gashkari vor ihnen. Er fragt: „Hat jemand von euch meinen Gehilfen gesehen?“ Ashtavede sagt: „Er ist in den Dschungel gerannt. Ich nehme an, dass du ihn so schnell nicht wiedersehen wirst.“ Mujeeb stöhnt und jammert leise. Als die Männer an ihm vorbeiziehen beginnt er ihnen aber neugierig zuzusehen und piekst sogar einmal in den Sack. Dann fragt er: „Was macht ihr da?“ Ashtavede sagt: „Das geht dich nichts an.“ Mit einem Seufzer unterbricht er seine Tätigkeit und sagt dem Anführer: „Warte einen Moment.“ Dann verschwindet er mit Mujeeb im Schlepptau im Gebäude. Wenig später kehrt er zurück und gibt dem Anführer zu verstehen, dass er Mujeeb im Innenhof mit betörenden Getränken versorgt und zwischen die Damen gesetzt habe. „Es geht ihm gut.“ Dann wirft er mit dem Anführer zusammen vier Flussdelphine zurück in den Fluss.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:05
Die beiden rasenden Minotauren rennen brüllend kilometerweit durch die nächtliche Stadt. Schließlich erreichen sie eine noch immer geöffnete Taverne mit dem Namen „Zur Doppelaxt“. Der erste Advokat erblickt über dem Eingang eine entsprechende Waffe als Zier des Hauses, reißt sie herunter und springt durchs Fenster. Die Gäste springen schreiend auf und fliehen. Der Einzige, der sich gegen den ersten Advokaten zur Wehr setzt, ist der Wirt, der hinter seinen Thresen einen Knüppel hervorholt und sich unsicher auf den Minotauren zubewegt. Sekunden später stürzt auch der zweite Advokat brüllend in die Taverne.

In einiger Entfernung zieht soeben der Philosoph vorbei, der sich über den nächtlichen Lärm wundert und sich deshalb auf das Gasthaus zu bewegt, um nach dem Rechten zu sehen. Er betritt die Gaststube genau in dem Moment, als der erste Advokat dem Wirt seine Kniescheiben zertrümmert. Die Brutalität und Gewalt der Szenerie zieht den Philosophen derart in seinen Bann, dass auch er beginnt aggressive Schreie von sich zu geben. Auch ihn ereilt der Ruf des Dschungels.

Halbtot wird der Wirt schließlich zurückgelassen. Der erste Advokat entreißt ihm seinen Knüppel, dann stürmen alle drei Minotauren aus dem Gasthaus und rennen auf das nächstgelegene Stadttor zu. Die vier Wachen am Tor erkennen die Gefahr und öffnen das Tor. Während die Minotauren in den Dschungel stürmen, werden sie von zwei Wachen mit Bögen beschossen, deren Pfeile ihre Ziele aber verfehlen.

Nach einem langen Lauf kommen die Minotauren endlich wieder zu sich. Hinter ihnen schließt sich das Stadttor, vor ihnen liegt der nächtliche Urwald. Der zweite Advokat kann als erster wieder einen klaren Gedanken fassen. Er sagt: „Wir müssen das Beste daraus machen. Folgt mir!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.11.2020 | 20:07
Am nächsten Morgen trainieren drei namenlose Minotaurenwachen im Nebengebäude der „Seide“ ihre Waffenfertigkeiten. Während sie im dortigen Innenhof mit Holzschwertern aufeinander einschlagen, diskutieren sie über die Ereignisse der Nacht.

Die Wache mit dem verrosteten Brustpanzer: Der Neue hat den Ruf des Dschungels gehört. Er soll Chaman-Gul halbtotgeschlagen haben!

Die Wache mit den angespitzten Hörnern: War klar, dass der das hier nicht lange machen wird!

Der einäugige Veteran: Schweig, du Idiot! Das kann dir genauso passieren!

Die Wache mit dem verrosteten Brustpanzer: Dass es aber auch gerade Chaman-Gul erwischen musste! Das Frühstück war heute doch sehr bescheiden!

Die Wache mit den angespitzten Hörnern: Ooryphas wird früher oder später einen neuen Koch einstellen müssen.

Der einäugige Veteran: Wenn ihr auch noch an etwas anderes, als ans Fressen denken könnt, dann erzählt mir doch mal, wer Chaman-Gul zum Arzt gebracht hat.

Die Wache mit dem verrosteten Brustpanzer: (außer Atem) Das war dieser Fischer. Der Minotaur, der immer die Nachtfische vorbeibringt.

Die Wache mit den angespitzten Hörnern: Der? Der soll gestern noch die Fähre repariert haben und als ich heute Morgen diesen Orakelmann herausgeschmissen habe, hat der sogar behauptet, der Fischer habe irgendwelche Flussdelphine gerettet.

Der einäugige Veteran: (für sich) Vielseitig und flexibel! Ein Bruder, den man sich merken sollte.

Die Wache mit dem verrosteten Brustpanzer: Vielleicht kann er ja auch kochen!

Der einäugige Veteran schlägt ihn mit seinem Holzschwert zu Boden.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 19:52
5

Blicke durch die Tore erzeugen Visionen von Opfern,
ausgewaidet von mächtigen Fängen und gewaltigen Pranken,
durchbohrt und geschwärzt von giftigen Stacheln und
aufgelöst im Wasser eines Königs, dessen Name längst vergessen ist.

Blicke durch die Straßen erzeugen Visionen von Opfern,
erblindet angesichts allgegenwärtiger, verführerischer Gesichter,
ertaubt aufgrund freundlicher, wohlmeinender Worte und
verstummt aufgrund der drohenden Rache, die auf Begehren folgt.

Die Unglücklichsten überstehen beides
und scheitern dann bei der Zerreißprobe,
die der stete Wandel ihres Daseins für sie bereithält,
leer und ausgebrannt zurücklässt
und ihr Herz zu Futter der streunenden Hunde werden lässt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 19:53
Ich präsentiere eine Stereoskopie.

Wir betrachten ein grünes Flirren und versuchen mit unseren Augen aus einem Bild zwei zu machen.

Bald scheint es, als ließe sich überhaupt nichts mehr wahrnehmen.

Dann aber treten doch einige Bildelemente in den Vordergrund und ein Ruf ertönt: „Schildkröte“!

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 19:57
Die beiden Advokaten und der Philosoph stolpern durch den nächtlichen Urwald. Die Umgebung ist fremdartig und furchteinflößend. Die einzige Waffe, die den drei Gefährten zur Verfügung steht, ist der Knüppel, den der erste Advokat aus der Taverne mitgenommen hat. Es ist eine klare Nacht und die Sterne schimmern hell, im Schatten der Urwaldriesen ist trotzdem nicht viel zu sehen. Dazu kommt, dass die Minotauren Hunger verspüren. Irgendwann behauptet der zweite Advokat: „Das hat keinen Sinn. Lasst mich versuchen, hier ein Lager zu errichten. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch währenddessen nach etwas Essbarem umschauen.“ Der erste Advokat und der Philosoph nicken und begeben sich in der direkten Umgebung auf Nahrungssuche. Dann hört der Philosoph einen dumpfen Schlag, sieht sich um und erstarrt. Ein paar Schritte entfernt liegt der erste Advokat reglos auf dem Boden. Direkt neben ihm steht ein Monster, zweieinhalb mal so groß wie er, mit Fledermausflügeln und einem langen, scharfen Schwanz, der den ersten Advokaten zu Boden geschlagen hat. Einen Moment ist der Philosoph wie erstarrt. Dann aber ergreift das Monster den ersten Advokaten mit seinen Klauen und macht sich daran, mit ihm davonzufliegen. Der Philosoph kennt das Monster aus einigen Geschichten, die ihm in seiner Kindheit erzählt wurden. Er schüttelt seine Lähmung ab, ruft „Hilf uns, Advokat! Ein Wakwak!“ Dann rennt er auf den Gegner zu, wirft sich gegen ihn und versucht ihn zu rammen. Das Monster zeigt wenig Reaktion, es macht mit seinen Flügeln langsam flappende Geräusche, denen es seinen Namen zu verdanken hat, und beginnt abzuheben. Als der zweite Advokat vor Ort ist, sieht er die Keule des ersten Advokaten auf dem Boden liegen. Er ergreift sie, wirft sie dem davonfliegenden Wakwak hinterher und trifft immerhin dessen Klauen. Mit schmerzerfülltem Brüllen lässt das Monster den ersten Advokaten fallen, dieser rauscht etliche Meter durch Zweige und Blattwerk, bevor er hart auf dem Boden des Dschungels aufschlägt. Seine beiden Gefährten eilen auf ihn zu und stellen erleichtert fest, dass noch Leben in ihm steckt. Sein rechtes Bein ist allerdings in keiner guten Verfassung. Die drei Minotauren bleiben jetzt zusammen, Der zweite Advokat stellt mit dem Philosophen zusammen das Lager fertig, dann fertigt er mühsam aus einem langen Ast einen improvisierten Speer. Schließlich verbringen die drei Minotauren auf einer Moosfläche und in Blätter gehüllt eine unruhige Nacht.

Am nächsten Morgen geht es dem ersten Advokaten etwas besser. Er ist in der Lage zu laufen, hat aber noch Schmerzen. Die drei Gefährten machen sich auf den Weg durch den Dschungel und versuchen Wasser zu finden. Immer wieder bohrt der erste Advokat den Schaft seines Speeres in den Waldboden um auf Brauchbares oder Gefährliches aufmerksam zu werden. Für eine lange Zeit sehen die Minotauren aber nur grün, grün und nochmals grün. Längst haben sie jegliche Orientierung verloren und sich völlig verlaufen. Dann aber hält der zweite Advokat inne und ruft seine Mitstreiter herbei: „Schaut euch das an! Beinahe hätte ich mit dem Speer hier diese Schildkröte gestoßen.“ Aus dem Unterholz kriecht ein ungewöhnliches Tier: sein Leib und auch sein Panzer sind lückenlos golden. Das Tier schaut den zweiten Advokaten an und verschwindet dann wieder im Unterholz. Dabei allerdings schaut es sich mehrfach nach ihm um. „Vielleicht sollen wir ihm folgen!“, meint der Philosoph. Die Minotauren lassen es darauf ankommen und begeben sich auf eine sehr langsame Wanderung durch das Gehölz. Der erste Advokat ist aufgrund seiner schmerzenden Knochen nicht undankbar über das Tempo.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:00
Nach einem anstrengenden Vormitttag und einer späten Mittagspause kehrt der erste Soldat zum Schneckengarten zurück und will gerade wieder an die Arbeit, als er ein kleines Boot auf dem Vadhm bemerkt. Ein zweiter Blick offenbart, dass zwei Kinder Porfirio Empyreus´ die einzigen Insassen sind. Es handelt sich um den zwölfjährigen Roshaan, 2. Sohn des Hauses, und seinen kleinen dreijährigen Bruder Anil, 5. Sohn des Hauses. Dass die Zöglinge Porfirios ohne Begleiter eine Bootstour unternehmen ist ungewöhnlich. Offenbar sind sie dem Erzieher entwischt. Geradezu gefährlich ist aber der Zeitpunkt ihres Ausflugs. Es kann nämlich nicht mehr allzu lange bis zum Nachmittagsmonsun dauern. Der erste Soldat ruft den Knaben zu, sie sollen zurück kommen. Roshaan findet aber offensichtlich Gefallen daran, sich ein wenig eigensinnig zu verhalten. Etwas später beginnt es zu regnen und vom Boot aus trägt der Wind das leise Jammern Anils zum ersten Soldaten herüber, der nun tätig wird. Er lässt ein weiteres Boot zu Wasser und rudert auf die Kinder zu. Als er dort angekommen ist, bricht der Monsun los. Im Sturzregen gelingt es dem ersten Soldaten, Roshaan ein Schlepptau zuzuwerfen. Mühsam rudert er beide Boote zu dem Geschrei Anils durch den aufgewühlten Fluss und erreicht schließlich abgekämpft das rettende Ufer. Mit entnervtem Gesichtsausdruck liefert er die beiden Knaben beim erstaunt aussehenden Erzieher ab und kehrt zum Schneckengarten zurück.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:06
Nach dem Monsun entdecken die drei Minotauren im Dschungel im Schlepptau der Schildkröte einen kleinen Fluss, dessen Wasser durch das Blattgrün schimmert. Schon wollen sich die Minotauren begeistert ins kühle Nass stürzen, da fällt ihnen erst auf, wie still es ist. Die permanent erklingenden Tiergeräusche des Dschungels sind völlig verstummt, noch nicht einmal der Wind ist zu hören. Vorsichtig setzen sich die drei Gefährten ans Ufer und schauen in die Fluten.

Dann geschieht erneut etwas Sonderbares. Der zweite Advokat spricht mit einer seltsam veränderten Stimme. Als ihn seine Mitstreiter ansehen, scheinen seine Augen glasig zu sein. Es sieht aus, als habe er keine Kontrolle mehr über sich. Er sagt: „Ich will euch danken, meine Freunde, das Rinderopfer hat mich sehr gefreut. Lasst euch aber gesagt sein, dass beim nächsten Mal nicht unbedingt ein Minotaur dabei sein Leben lassen muss. Warum sollte es nicht ein Mitglied des Hauses Empyreus treffen? Wäre das nicht viel angemessener?“ Nach diesen Worten fällt der zweite Advokat in tiefes Schweigen. Seine Gefährten schauen sich an. Von einem Rinderopfer ist ihnen nichts bekannt. Wen haben sie sprechen hören? Alles ist sehr merkwürdig. Der Philosoph sieht sich nach der Schildkröte um, die soeben dabei ist, im Unterholz zu verschwinden. „Es sieht so aus, als habe sie ihren Dienst vollendet“, sagt der Philosoph. Der erste Advokat nickt. Danach braucht es noch eine ganze Weile, bis wieder Leben in den zweiten Advokaten gelangt. Irgendwann ist er aber wieder Herr über sich selbst. Seine Gefährten erzählen ihm von den Ereignissen, an die er keine Erinnerung zu haben scheint.

Dann aber ist endlich Zeit für ein Bad im Fluss. Sauber, ohne Durst und in gehobener Stimmung setzen die drei Minotauren ihren Weg fort. Der schöne Moment währt allerdings nicht allzu lang. Der zweite Advokat erinnert daran, dass sie sich nach einem Schlafplatz umsehen müssen. Statt einem geeigneten Ort für ein Nachtlager bemerken die Gefährten aber, dass sie beobachtet werden. Zunächst sind es nur ein paar beunruhigende Bewegungen im Grün des Dschungels, dann aber werden Gestalten sichtbar und schließlich erkennen die drei Minotauren, dass sie von einem guten Dutzend Männern umkreist sind. Die Fremden haben sich ihre Körper mit zerstoßenen Samenkörnern eingerieben und tragen eine aggressiv wirkende orangefarbene Körperbemalung. Ansonsten sind sie nahezu unbekleidet und wirken mit ihren primitiven Steinspeeren rückständig. Der erste Advokat grüßt die Fremden freundlich, die ihn aber eine ganze Weile nur schweigend beobachten. Schließlich tritt einer der Fremden vor und sagt: „Folgt uns. Wir laden euch ein unsere Gäste zu sein. Ihr bekommt zu essen und einen Ort, an dem ihr ausruhen könnt.“ Die drei Minotauren sind froh und schließen sich ihren neuen Bekannten an. Allerdings kommt keine Herzlichkeit auf. Die bemalten Männer sind auf ihrem Weg durch den Dschungel so schweigsam und distanziert, dass sich die Gefährten fragen, wie ernst es ihnen mit ihrer Gastfreundschaft ist.

Am frühen Abend erreichen sie im Gefolge der Männer ein aus Palisaden gezimmertes Fort im Dschungel. Hier führen etwa 50 Männer und Frauen eine primitive Existenz. Die drei Minotauren erhalten wie angekündigt etwas zu essen und erfahren, dass der Mann, der sie eingeladen hat, der Anführer ihrer Gastgeber ist und sich Mohan Gopi nennt. Von ihm erfahren sie, dass die Dschungelmenschen in einigen Tagen eine sogenannte Orchideenzeremonie durchführen wollen und hoffen, dass ihnen die Minotauren dabei Gesellschaft leisten. Der zweite Advokat antwortet etwas zurückhaltend. Was Mohan Gopi von sich gibt, kann Wahrheit oder Lüge sein, es ist schwer ihn einzuschätzen.

Nach dem Essen bekommen die Minotauren in einem der hölzernen Ecktürme des Forts einen Raum im Erdgeschoss zugewiesen. Außer drei Schlaflagern ist der Raum völlig unmöbliert. Die Tür zu dem Raum ist der einzige Weg nach draußen. Der Raum besitzt auch keine Fenster. Der Philosoph wirft einen Blick durch ein paar Lücken zwischen den Palisadenwänden und entdeckt zwei Wachen vor dem Turm. Sind sie Gäste oder Gefangene? Der zweite Advokat beschließt, mit dem Philosophen einen Rundgang durchs Lager zu machen. Der erste Advokat ruht sich etwas aus. Die Anstrengungen des Tages waren groß und seine Verletzungen schmerzen mit jeder Bewegung stärker. Im Hof des Forts bemerkt der Philosoph, dass sie von einer ihrer Wachen unauffällig verfolgt werden. Offensichtlich will man sie nicht aus den Augen lassen. Der zweite Advokat und der Philosoph betreten schließlich eine Werkstatt. Der dort arbeitende Mann stellt sich ihnen als Tarak vor. Hier kommt es zumindest zu einer kleinen Unterhaltung. Die Minotauren haben den Eindruck, dass sich die Menschen im Fort in ständiger Alarmbereitschaft befinden, weil sie stets damit rechnen müssen, auf irgendeine Weise in den Immerkrieg hineingezogen zu werden. Für die Akteure dieses undurchsichtigen Krieges hat Tarak nur Worte der Verachtung übrig. Am Ende gelingt es dem zweiten Advokaten, sich von Tarak eine Säge auszuleihen. Während der Philosoph die Wachen vor ihrem Turm in ein Gespräch verwickelt, schmuggelt der zweite Advokat die Säge in ihren Ruheraum. Für den Rest des Abends diskutieren die Gefährten ihr weiteres Vorgehen. Der zweite Advokat ist bereit, die Außenwand des Forts zu durchsägen und heimlich in der Nacht zu fliehen. Der erste Advokat und der Philosoph sind vom Erfolg dieses Versuchs nicht ganz überzeugt. Vielleicht könnte es auch von Interesse sein, sich diese Orchideenzeremonie einmal anzuschauen. Das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit jedenfalls noch nicht gefallen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:12
Bei Einbruch der Dunkelheit sieht der zweite Soldat, wie sich Ayatashatru, der älteste Sohn Porfirio Empyreus, mit einem Sack unter dem Arm aus dem Haus stiehlt. Vielleicht ist es Neugier, vielleicht auch Beschützerinstinkt, jedenfalls folgt er dem Knaben auf dessen Weg ins Zentrum Dégringolades. An einer dunklen Straßenecke sieht er, wie Ayatashatru in seinen Sack greift und sich seinen Minotaurenumhang überzieht. In der Dämmerung kann ihn ein unaufmerksamer Passant ohne weiteres für einen Minotauren halten. Noch ein paar Straßenecken weiter erreicht Ayatashatru einen Platz, wo er sich mit vier Gleichgesonnenen trifft. Einer von ihnen trägt ebenfalls einen Minotaurenumhang. Auf dem Platz steht eine alte Statue von einem weitgehend vergessenen Feldherrn des Immerkrieges. Zwei von Ayatashatrus Freunden haben Werkzeug mit. Der zweite Soldat kann beobachten, wie die jungen Männer Keile in einige Ritzen im Sockel der Statue hämmern. Etwas später bekommt der steinerne Führer ein Seil um den Hals gelegt. Es sieht alles danach aus, als wollten die Freunde die Statue umstürzen. Der zweite Soldat tritt auf den Platz und räuspert sich. Dann spricht er Ayatashatru an: „Junger Herr, ich bin Ihnen gefolgt, um Ihnen auszurichten, dass Ihr Vater Euch zu sehen wünscht.“ Einen Moment schweigt Ayatashatru. Dann zieht er sich den Minotaurenumhang über den Kopf. Es ist ihm anzusehen, dass ihm sein Aufzug etwas peinlich ist. Seinen Freunden sagt er: „Es ist der Masseur meines Vaters. Ich fürchte, ich muss gehen.“ Der zweite Soldat grüßt die Freunde seines Herren und zieht mit ihm ab. Auf dem Rückweg kann er dem enttäuschten Ayatashatru ein paar knappe Antworten entlocken.

„Junger Herr, warum wolltet ihr diese Statue zu Fall bringen?“

„Wir wollten ein Zeichen gegen den Immerkrieg setzen. Wir sind gegen diesen Krieg. Indem wir die Verehrung des alten Feldherrn beenden, zeigen wir, dass wir nicht einverstanden sind.“

„Wenn ihr bei solchen Aktionen erwischt werdet, könnte das euch und euren Vater in Schwierigkeiten bringen!“

„Wir haben keine Angst. Wer nur tut, was erlaubt ist, erregt kein Aufsehen! Wie lieben die Aufregung, die auch die Freiheitskämpfer bei ihren Taten empfinden.“

„Warum aber tragt ihr dabei diese Umhänge?“

„Als Minotaur verkleidet ist alles noch aufregender und gefährlicher!“

Der zweite Soldat schweigt, irgendwann entfährt ihm ein Seufzer. Dann sagt er: „Junger Herr, ich muss euch gestehen, dass ich eigenmächtig gehandelt habe. Euer Vater hat nicht nach euch gerufen. Ich denke aber, indem ich euch nach Hause bringe, habe ich in seinem Sinn gehandelt.“

Ayatashatru schweigt, denkt nach und zögert. Schließlich folgt er dem zweiten Soldaten aber doch und macht dabei ein trotziges Gesicht. Im Haus seines Vaters trennt er sich vom zweiten Soldaten ohne ein weiteres Wort.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:13
Im nächtlichen Mondschein sitzt der Anführer mit einer Tasse weißem Tee vor seiner Fischerhütte und betrachtet gedankenversunken den ewigen Fluss. Plötzlich erregen Bewegungen im Wasser seine Aufmerksamkeit und er erkennt, dass sich Flussdelphine in den Fluten tummeln. Dem Anführer scheint es, als nickten sie ihm zu und schauten sich nach weiterem Publikum um. Unwillkürlich blickt auch der Anführer am Ufer entlang und entdeckt, wie nebenan der älteste Sohn von Porfirio Empyreus mit gesenktem Kopf im seines Vaters Haus verschwindet. Er wird vom Masseur begleitet. Im Schneckengarten steht der Gärtner und führt irgendeine nächtliche Bobachtug durch. Der Anführer ruft ihm halblaut ein kurzes „Schat!“ zu, woraufhin die Flussdelphine einen Zuschauer mehr haben. Die beiden Minotauren beobachten verwundert, wie einer der Flussdelphine aus dem Wasser steigt und sich in eine leicht durchsichtig schimmernde menschliche Gestalt verwandelt, die ansonsten Archana, der ältesten Tochter von Porifrio Empyreus, ähnelt. Die Mädchengestalt setzt sich auf den Holzsteg des Gartenhäuschen, das zu dessen Villa gehört, greift hinter sich und zieht ein gleichermaßen durchschimmerndes Pergament hervor. Für die Minotauren scheint es so, als brüte Archana eine Weile über dem Schriftstück, als wollte sie es entziffern. Inzwischen ist auch der zweite Soldat wieder nach draußen gekommen und hat sich Anführer und dem ersten Soldaten gesellt. Das Schauspiel des verwandelten Flussdelphins scheint die übrigen Flussdelphine im Wasser königlich zu amüsieren. Sie stimmen ein helles Lachen an. Ein paar Minuten später erhebt sich die Mädchengestalt, kehrt zum Fluss zurück, verwandelt sich wieder zurück und schwimmt mit den übrigen davon.

Die Minotauren schauen sich an. Der erste Soldat sagt: „Wie seltsam! Warum verwandelt sich der Flussdelphin in Archana?“ „Und was hat er für ein Schriftstück studiert?“, fragt der zweite Soldat. Der Anführer schlägt vor im Gartenhaus nach dem Schriftstück zu suchen. Der erste Soldat sagt: „Der Flussdelphin war doch gar nicht im Gartenhaus.“ Der Anführer antwortet: „Er war auch nicht wirklich Archana. Für mich sah es so aus, als würde er das Schriftstück hinter seinem Rücken aus dem Gartenhaus hervorziehen. Weißt du, was für ein Pergament er gemeint haben könnte?“ Der erste Soldat schüttelt mit dem Kopf.

Das Gartenhaus ist zwar der Ort, an dem sich das Schlaflager des ersten Soldaten befindet, als sein eigenes Reich kann es aber nicht bezeichnet werden. Neben seinem Lager befinden sich etliche Werkzeuge und in vielen Schubladen finden sich Arbeitsmaterialien. Manchmal halten sich auch Mitglieder der Familie hier auf, wenn ihnen der Sinn nach ein wenig Abgeschiedenheit steht. Wenn Porfirio beispielsweise eine Gesellschaft gibt, dann aber irgendwann mit einem Bekannten oder Freund eine Schnecke verzehren möchte, zieht er sich gern hierher zurück. Der erste Soldat muss das Gartenhaus dann für eine Weile räumen.

Er kann nicht behaupten, einen Überblick über das chaotische Innere seines Hauses zu besitzen. „Dann lasst uns doch mal nachsehen!“, schlägt der Anführer vor. Sein Forscherinstinkt ist geweckt. Wenig später wühlen die drei Minotauren in Säcken, ziehen Schubladen auf und öffnen Kisten und Truhen. Eine ganze Weile später ruft der zweite Soldat: „Schaut mal hier!“ Er hat in einer Schachtel, die gut in einer Schublade verstaut war, eine Schriftrolle gefunden. Da das Pergament nicht versiegelt ist, rollt er es vorsichtig auf und liest etwas mühsam:

„Wald wird Garten, Garten wird Wald.
Nichts wächst auf Dauer.
Was tut er?
Warten.“

„Was soll das jetzt wieder?“, fragt der Anführer, aber die beiden Soldaten haben keine Antwort. Da fällt ihm Mujeeb Gashkari ein. „Der Orakelmann! Ich nehme an, der kann uns zu diesen mysteriösen Worten etwas sagen.“ Der erste Soldat zuckt mit den Schultern: „Schon möglich.“ Da spricht der zweite Soldat: „Wenn du uns über den Fluss ruderst, können wir morgen der „Seide“ einen kleinen Besuch abstatten. Ich habe gehört, Mujeeb habe in letzter Zeit öfter dort nach Kunden Ausschau gehalten.“ Zwar ist der erste Soldat nicht vollkommen überzeugt davon, dass diese Angelegenheit in seinen Aufgabenbereich gehört, schließlich einigen sich die drei Minotauren aber doch, sich früh am nächsten Morgen in der „Seide“ nach Mujeeb Gashkari zu erkundigen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:23
Am nächsten Morgen rudert der Anführer mit den beiden Soldaten über den Vadhm und klopft an die Eingangstür der "Seide". Die Tür öffnet sich und Ashtavede kommt zum Vorschein. Er sagt: „Ah, der Fischer! Und noch zwei Brüder, seid gegrüßt! Was führt euch zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu diesem Haus?“ Der Anführer erkundigt sich nach Mujeeb. Ashtavede erzählt: „Nachdem sein Gehilfe den Ruf des Dschungels hörte, war er noch eine Weile hier, aber wir können ihn hier schließlich nicht durchfüttern. Gestern Morgen habe ich ihn vor die Tür setzen müssen. Ich glaube, er ist am Fluss entlang in Richtung der Fähre gegangen.“ Da das schon einen Tag her ist, müssen die Suchenden mit Schwierigkeiten rechnen, trotzdem wollen der Anführer und die beiden Soldaten auf dem Weg nach Mujeeb Ausschau halten. Bevor sie sich aber verabschieden können, bittet Ashtavede, den Anführer noch einen Moment zu warten. Er verschwindet im Inneren des Hauses, kommt dann zurück und sagt dem Anführer: „Unsere Befreiung der Flussdelphine aus dem Vorratskeller war nach meinem Geschmack. Das hier ist ein kleiner Dank dafür.“ Mit diesen Worten drückt er dem Anführer einen Glückskeks in die Hand und fügt hinzu: „Nicht gleich hier vor der Tür essen! Alles Gute, euch dreien!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:27
Einige hundert Meter weiter am Fluss entlang bricht der Anführer den Glückskeks auseinander. Auf dem Zettel in dessen Innerem finden sich ein paar Schriftzeichen. Mühsam entziffert er: „Wenn der Rauch aus dem Haus der Minotauren neben der Seide schwarz ist, findet in der darauffolgenden Nacht eine Chorprobe statt.“ Der Anführer vergewissert sich mehrfach, ob er richtig gelesen hat, kann sich aber auf den Satz im Moment zumindest noch keinen Reim machen und verstaut den Zettel in der Hosentasche.

Noch ein paar hundert Meter weiter dringt ein Ächzen und Stöhnen an die Ohren der Minotauren. Sie sehen unter einer Bank, die vor einem Haus am Fluss steht, Mujeeb liegen. Um ihn herum sind seine Habseligkeiten verteilt, er selbst sieht übel zerschrammt und malträtiert aus. Der zweite Soldat hilft ihm auf und setzt ihn auf die Bank. Dann fragen die Minotauren ihn, was passiert ist. Mujeeb erzählt, dass er irgendwelchen Strauchdieben in die Hände gefallen sei. Offensichtlich haben sie die Gelegenheit, jetzt wo sein Gehilfe in den Dschungel entlaufen sei, genutzt, um ihn auszurauben. Besonders viele Samenkörner habe er aber nicht mehr gehabt. Da seien die Räuber aggressiv geworden und haben ihn zusammengeschlagen. Mujeeb ist sich nicht ganz sicher, ob er noch alle wichtigen Orakelplättchen in seinem Schlund des Schicksals hat. Am Bedauerlichsten sei aber, dass die Diebe seine Büchse mit den Luftlöchern zu Boden geworfen haben. Dabei sei der Deckel aufgesprungen und alle seine Bienen seien entflogen.

Der Anführer sichert Mujeeb seine Unterstützung zu, dann ist es an seiner Reihe zu berichten. Er erzählt Mujeeb Gashkari von den Versen, die die Minotauren auf der Schriftrolle aus dem Gartenhaus gefunden haben. Mujeeb runzelt mit der Stirn und sagt: „Das klingt nach der alten Lyrik von Dégringolade. Es tut mir leid, ich habe als junger Mann während meiner Ausbildung davon gehört, das alles ist aber schon so lang her, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann.“ Der zweite Soldat wirft ein: „Die alte Lyrik? Es gibt niemanden mehr, der das Geheimnis der alten Dichtung von Degringolade kennt – das waren zumindest die letzten Worte des Blatthornkäfers, den ich kürzlich in einem der Massagetiegel gefunden habe.“ Mujeeb Gashkari zuckt mit den Schultern: „Schon möglich. Ich habe danach nie wieder etwas darüber gehört.“ Der Anführer fragt den Orakelmann: „Gibt es jemanden, den wir fragen könnten? Deinen damaligen Lehrer? Wo fand denn dein Unterricht statt?“ Mujeeb antwortet: „Das war im Zentrum, in Kostalush. Ich glaube nicht, dass mein damaliger Lehrer noch lebt. Sein Haus würde ich aber eventuell wiederfinden.“ Der Anführer fragt: „Führst du uns hin?“ Mujeeb Gashkari antwortet: „Wenn ihr mir hinterher neue Bienen besorgt!“ Die Soldaten schauen sich fragend an. Das Vorhaben scheint relativ zeitaufwändig zu sein. Trotzdem erklären sich alle Anwesenden einverstanden damit, der Spur nachzugehen. Mujeeb führt die Minotauren am Fluss entlang in Richtung Zentrum.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 4.12.2020 | 20:31
Im Haus der Bediensteten von Porfirio Empyreus sprechen die Kollegen des ersten und zweiten Soldaten über die vergangenen zwei Tage.

Die Dachwache mit den leuchtenden Augen: Habt ihr´s mitbekommen? Drei von den Brüdern haben drüben in der Seide den Dschungel rufen hören.

Porfirios Leibwächter mit der Doppelaxt: Ja. Sie waren hinterher in meiner Stammkneipe und haben dem armen Sahil die Kniescheiben zertrümmert. Der wird seinen Laden jetzt im Sitzen führen müssen.

Der alte Wachminotaur mit der Augenklappe: Angeblich haben sie in der Seide irgendwelche Flussdelphine gerettet.

Die Torwache mit den traurigen Augen: Das war doch der Fischer!

Die Wache mit den Walfischtätowierungen: Der Fischer? Glaube ich nicht, der ist heute Morgen mit dem Gärtner und dem Masseur auf und davon und bisher noch nicht zurück.

Der Erzieher: Ich bin gar nicht so unglücklich über die drei Brüder im Dschungel. Einer von ihnen soll dieser Bote sein, für den ich als Kontaktmann zu Saaroni herhalten sollte. Der war in letzter Zeit oft hier und dann konnte ich mich nicht mehr um die Kinder kümmern…

Porfirios Leibwächter mit der Doppelaxt: Als Roshaan mit Anil auf dem Fluss war, war aber kein Bote im Haus.

Der Erzieher: Ja, wenn du deine Nüstern in die Angelegenheiten anderer steckst, hast du natürlich gut reden!

Der alte Wachminotaur mit der Augenklappe: Habt ihr eigentlich heute Nacht die Flussdelphine im Vadhm bemerkt? Das ist doch kein Zufall! Andauernd geht es um Flussdelphine!

Die Dachwache mit den leuchtenden Augen: Der Fischer soll einen guten Draht zu ihnen haben.

Die Torwache mit den traurigen Augen: Und warum verschwindet er dann mit dem Gärtner und dem Masseur?

Die Wache mit den Walfischtätowierungen: Sie suchen den Orakelmann.

Porfirios Leibwächter mit der Doppelaxt: Den Orakelmann? Der soll doch heute übel zusammengeschlagen worden sein! Angeblich waren es Typen aus Takaundanyi.

Der alte Wachminotaur mit der Augenklappe: Takaundanyi? Das hört sich nach Ärger an. Ich hoffe nicht, dass der Gärtner und der Masseur da hineingeraten!

Der Erzieher: Das sehe ich auch so. Der Masseur hat schon genug Ärger. Ayatashatru hat sich heute bei mir über ihn beklagt. Er soll ihm nachts irgendwo heimlich aufgelauert sein.

Die Torwache mit den traurigen Augen: Wie bitte? Was ist denn in den gefahren? Normalerweise hält er doch gewissenhaft die Stille ein! Was hast du Ayatashatru geraten?

Der Erzieher: Ich habe ihm gesagt, er soll es seinem Vater erzählen. Das wollte er aber auch wieder nicht.

Porfirios Leibwächter mit der Doppelaxt: Kann ich nachvollziehen. Porfirio denkt nur an seine nächste Gesellschaft in zwei Tagen. Hoffentlich hat der Gärtner bis dahin wieder alles im Griff.

Die übrigen nicken sorgenvoll und schweigend.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:03
6

In ruhigem Fluss ertönt der Bericht
über die Taten alter Helden
während gleichzeitig geübte Finger
auf die dazu gehörigen Schriftzeichen deuten.

Es ist dasselbe Zeichen,
das für den Schmerz steht,
für die Verzweiflung,
für die verwehenden Fußspuren einer Armee auf der Flucht.

Wer in Sänften sitzt,
kann vom Feuer lesen,
ohne zu wissen
wie es brennt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:03
Ich spiele eine Aufnahme mit Naturgeräuschen aus einem Dschungel ab.

Ein paar Minuten lang singen Vögel, schreien Affen, brüllen Raubtiere und rauscht der Wind.

Wir hören zu, aber die Bilder zu den Geräuschen entstehen nur langsam.

Ich beschließe, lieber in der Stadt anzufangen.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:06
Der Anführer und die beiden Soldaten ziehen mit Mujeeb Gashkari am Fluss entlang durch das Viertel Kostalush, das Zentrum Dégringolades. Mit unsicherem Blick schaut der Orakelmann in die vom Fluss abgehenden Straßen und Gassen und murmelt hin und wieder: „Das kommt mir bekannt vor, aber ganz sicher bin ich nicht. Ich weiß noch, dass um die Fenster und Eingänge des Hauses blaue Bänder gemalt waren.“ Er sucht mit den Minotauren zusammen das Haus, in dem er vor vielen Jahren als junger Mann die Kunst der Orakeldeutung gelernt hat, in der Hoffnung dort etwas über die alte Lyrik Dégringolades zu erfahren, aber sein Geist ist vom vielen Bienengift zerrüttet und sein Erinnerungsvermögen schwach. Schließlich sagt er: „Wir sind sicherlich schon vorbei gegangen. Lasst uns mal mitten ins Viertel gehen!“ Die Minotauren folgen ihm. Wenig später gelangen sie an ein größeres Gutshaus, von dessen Grundstück aus drei junge Minotauren gerade einen vierrädrigen Karren auf den Weg ziehen. Ein vierter, etwas besser gekleideter Minotaur, folgt ihnen und scheint sich von ihnen verabschieden zu wollen. Dann aber bemerken die vier den Anführer, die beiden Soldaten und Mujeeb Gashkari und schauen sie mit neugierigen Augen an. Der zweite Soldat nutzt die Gelegenheit und fragt: „Hört mal, wir sind fremd hier. Ihr kennt nicht zufällig irgendwo hier in der Nähe ein Haus mit blauen Bändern, wo man Orakeldeutung lernen kann?“ Die vier jungen Minotauren zögern etwas, dann sagt der besser gekleidete: „Das Haus mit den blauen Bändern kennen wir, aber über Orakel lernt man dort wahrscheinlich nicht allzu viel. Es ist eine ganz normale Schule für die Sprösslinge der Menschen.“ „Könnt ihr sie uns vielleicht trotzdem zeigen?“, fragt der zweite Soldat. Die Minotauren nicken neugierig und führen die Gefährten ein paar Häuserblocks weiter, bis sie vor einem alten Gebäude stehen. Die blauen Bänder auf dem verwitterten Stein sind verblasst, die Farbe teilweise abgeblättert, aus den Mauerritzen wachsen die Ranken eines wuchernden Blauregens. Das Dach ist an einigen Stellen eingestürzt, immerhin aber sind die Löcher mit Planen abgedichtet. Die vier jugendlichen Minotauren schauen die Gefährten erwartungsvoll an. Mujeeb sagt: „Ja, ich denke, das ist das Gebäude. Es hat sich verändert – so wie ich mich auch.“ „Gut“, sagt der Anführer. Dann lasst uns mal nachsehen, ob wir dort etwas über diese seltsamen Verse herausfinden!“ Die jugendlichen Minotauren schauen gespannt zu, wie sich Mujeeb und seine Begleiter dem Eingang zur Schule nähern. An der Tür sind leise Stimmen zu hören. Der Anführer nimmt an, dass gerade eine Unterrichtsstunde gehalten wird. Trotzdem öffnet er die Tür und steht schon bald mit dem ersten Soldaten im Haus.

In dem Klassenraum sitzen ein Dutzend Knaben. Ihre Kleidung weist sie als Angehörige der begüterten Schichten aus. Vor ihnen steht ihr Lehrer in einem knielangen, bestickten Hemd. Die Knaben mustern die an der Tür stehenden Minotauren und den heruntergekommenen Mujeeb Gashkari leicht amüsiert. Ihr Lehrer schenkt den Besuchern einen kurzen Blick und fragt: „Ja?“. Der Anführer erklärt ihre Anwesenheit: „Herr, wir sind hier, weil wir ein paar mysteriöse Verse aufschnappen konnten, die wir gern verstehen würden. Ist das hier nicht ein Ort, an dem sich mehr über alte Lyrik erfahren lässt?“ Der Lehrer reagiert ungeduldig: „Bitte, das ist doch absurd! Warum geht ihr nicht wieder an eure Arbeit! Auch ich habe zu tun, verschwindet!“ Daraufhin wendet er sich wieder seinen Schülern zu und unterrichtet weiter, als sei nichts geschehen. Einen Moment lang hören die Minotauren ihm zu. „Was ich euch gelehrt habe, heißt Einen Backstein hinwerfen, um einen Jadestein zu erlangen. Habt ihr begriffen, was damit gemeint ist!“ Ein paar der Knaben nicken abwesend, sie sind immer noch in den Anblick der unverhofft erschienenen Besucher vertieft. „Ganapati!“, ruft der Lehrer leicht verärgert. „Zeig uns, dass du es verstanden hast!“ Einer der Knaben steht etwas verlegen auf und verbeugt sich leicht vor seinem Lehrer: „Ja, Meister Zonara.“ Dann überlegt er einen Moment. Schließlich spricht Ganapati zum Anführer: „Du willst etwas über Gedichte wissen? Im Keller unserer Schule gibt es dazu ein paar Schriften. Eines dieser Schriftstücke darfst du dir für einen Tag ausleihen. Allerdings musst du vorher aus der Nurah-Kaverne im Dschungel das Genist einer Weißnestschwalbe losgeschnitten und herbeigebracht haben.“ Alle Knaben lachen und auch Meister Zonara zeigt sich amüsiert. Der zweite Soldat raunt dem Anführer von hinten zu: „In den Dschungel? Das scheint mir doch etwas übertrieben!“ Die Minotauren verbeugen sich und ziehen sich auf die Straße zurück. Während sie sich entfernen hören sie, wie Meister Zonara zu Ganapati sagt: „Einige Jadesteine sind so groß, dass du sie nicht sofort bekommen kannst. Hast du das begriffen?“

Auf der Straße werden Mujeeb, der Anführer und die beiden Soldaten schnell von den vier jugendlichen Minotauren befragt, die wissen wollen, wie es ihnen ergangen ist. Die vier werfen dem Anführer bewundernde Blicke zu. Offensichtlich betrachten sie es als Wagnis, wenn ein Minotaur mitten in eine Unterrichtsstunde der Menschen hineinplatzt. Die Gefährten kommen mit den jugendlichen Minotauren ins Gespräch und erfahren ein paar interessante Dinge. Die drei Minotauren mit dem Karren sind für eine wohlhabende Sippe als Holzsammler tätig. Sie sind tagtäglich mit dem Karren eine geraume Zeit zu einem Wäldchen unterwegs, fällen Bäume, sammeln Holz, und bringen es am Abend wieder zu den Häusern der Sippe zurück. In ihrer Schilderung klingt ihre Arbeit nach einer üblen Schinderei. Der vierte junge Minotaur wird von ihnen als „Sänger“ bezeichnet. Tatsächlich hat er eine wohlklingende Stimme. Er erzählt, dass er zur Unterhaltung seiner Herren oft singen und tanzen muss. Er singt gern, das Tanzen würde er sich aber am liebsten sparen. „Dennoch komme ich wohl kaum darum herum“, sagt er und schlägt dabei mit etwas bedauerndem Blick zwei Fingerzymbeln aneinander. „Die Herrschaften lieben den Tanz.“

Im Anschluss daran erzählen auch die Soldaten und der Anführer ein wenig über sich. Die jungen Minotauren sind ganz erstaunt darüber, dass der Anführer sein eigener Herr ist und ein zwar armes, aber mehr oder weniger selbstbestimmtes Leben als Fischer führt. Erneut werfen sie ihm ein paar bewundernde Blicke zu. Dann fragt der Anführer die jungen Minotauren nach der Nurah-Kaverne und den Weißnestschwalben aus. Was er erfährt klingt nicht allzu verlockend. Tief im Dschungel scheint sich irgendeine gewaltige Höhle zu befinden, in der die Weißnestschwalben ihre Nester bauen. Diese Nester bestehen ausschließlich aus dem gehärteten Speichel der Vögel und gelten unter einigen Wohlhabenden von Dégringolade als Delikatesse. Man löst sie üblicherweise in einer Flüssigkeit auf und kocht eine Suppe daraus. Der Weg zu dieser Höhle soll allerdings weit und gefährlich sein. Die Vogelnester sollen sich unter der Höhlendecke befinden. Um sie zu erreichen ist dem Hörensagen zu Folge eine waghalsige Kletterpartie nötig. Der Anführer seufzt und sagt: „Bei allem, was Recht ist. Ich werde mich nicht auf ein derart verrücktes Unternehmen einlassen, nur um irgendein Schriftstück aus dem Keller dieser Schule anschauen zu dürfen!“ Der erste Soldat meint daraufhin: „Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit“, worauf verschiedene Ideen vom Einbruch bis zu Überredungsversuchen Ganapatis diskutiert werden. Eine Weile lang stehen die vier jugendlichen Minotauren den Gefährten noch mit Rat und Tat zur Seite, dann aber verabschieden sich die Holzsammler, die für ihre Arbeit schon spät dran sind. Die drei beschwören aber zum Abschied den Sänger, ihnen genauestens Bericht zu erstatten, was sich während ihrer Abwesenheit ereignet hat. Der Sänger verspricht es.

Dann fragt der Anführer den Sänger: „Kannst du uns hier eine ruhige Stelle am Fluss zeigen?“ Der junge Minotaur überlegt kurz und bejaht dann. Nach seinen Absichten befragt antwortet der Anführer nur kurz: „Ich will sehen, ob ich nicht einen Jadestein an die Angel bekomme!“ Die vier Gefährten trotten hinter dem Sänger her zum Vadhm, dem ewigen Fluss. Dort angekommen macht der Anführer seine Angel fertig, entdeckt dabei aber ein kleines Feld am Ufer, auf dem der Wasserspinat gerade in voller Blüte steht. Er wächst hier so üppig, dass seine lilafarbenen Blütenblätter fast zu leuchten scheinen. Der Anführer ist zu Experimenten aufgelegt, befestigt eine der Blüten an seinem Haken, wirft die Angel aus und wartet. Leicht enttäuscht verabschiedet sich der Sänger: „Es ist spät geworden, ich muss nach Hause und noch ein wenig trainieren. Ich wünsche euch nur das Beste und hoffe euch bald wiederzusehen.“ Die Gefährten erwidern seinen Gruß. Für eine Weile ist nichts zu hören außer dem Säuseln des ewigen Flusses.

Gegen Abend geht ein Ruck durch die Angelschnur. Der Anführer hat etwas am Haken und es scheint gewaltige Ausmaße zu haben! Die beiden Soldaten eilen ihm zur Hilfe und bemühen sich, die Beute an Land zu ziehen. Eine Weile lang stemmen sie sich erfolglos in den Schlamm am Flussufer. Dann aber scheint der Fisch sich entschlossen zu haben, zum Angriff überzugehen. Die drei Minotauren stolpern rückwärts, fallen zu Boden und müssen fassungslos mit ansehen, wie ein knapp zwei Meter großer Riesenwels aus dem Wasser auf sie zu springt. Der Fisch fällt direkt auf den Anführer, beißt zu und fügt ihm eine empfindliche Armverletzung zu. Die Soldaten werfen sich auf das Tier, prügeln darauf ein und können es schließlich töten.

Mit offenem Mund starrt Mujeeb das Tier an und der Anführer sagt mit schmerzverzerrter Stimme: „Unser Jadestein!“ Daraufhin bringen die Minotauren den Fisch zu dem Haus, in dem der Sänger arbeitet. Sie bitten ihn, den Fisch eine Nacht lang aufzubewahren, da sie ihn am nächsten Tag in der Schule als Jadestein ausgeben wollen. Der Sänger schaut abwechselnd vom Fisch zum Anführer hin und her und stammelt: „Flussgesegneter! Ich werde alles tun was du sagst!“ Daraufhin treten die Minotauren mit Mujeeb den langen Rückweg an. Die beiden Soldaten können es sich nicht leisten, noch länger ihrer Arbeit im Haus von Porfirio Empyreus fernzubleiben.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:07
Der Philosoph und die beiden Advokaten befinden sich währenddessen im Fort der Dschungelbewohner. Während der erste Advokat sich aufgrund seiner Beinverletzung immer noch still auf seinem Lager zu regenerieren versucht und der Philosoph die beiden Männer vor dem Eingang zu ihrem Raum durch munteres Plaudern ablenkt, zerteilt der zweite Advokat mit der erbeuteten Säge ein paar Palisaden und erzeugt so ein Loch in der Außenwand des Forts. In der Nacht warten die Minotauren bis es still geworden ist, dann verschwinden sie still und heimlich.

Der erste Advokat schiebt mit der Säge in der Hand im Dschungel ein paar Lianen zur Seite, als ihm das Werkzeug plötzlich aus der Hand gerissen und in die Luft geschleudert wird. Mit Schrecken erkennt er, dass er eine Seilfalle ausgelöst hat, die auch leicht ihn selbst in die Luft hätte schleudern können. Beunruhigt sehen sich die Flüchtlinge um und entdecken noch zwei ähnliche Fallen. Es scheint pures Glück gewesen zu sein, dass sie bisher an diesen Seilfallen vorbei gegangen sind. Sehr langsam und vorsichtig setzen sie ihren Weg fort. Der zweite Advokat meint: „Lasst uns in die Stadt zurückkehren. Mir reicht es hier im Dschungel!“ Seine beiden Gefährten nicken.

Bei Tagesanbruch treffen die drei Minotauren einen alten Bekannten. Am Wegesrand sitzt die goldene Schildkröte und schaut sie unverwandt an. Der Philosoph versucht es mit einer Unterhaltung, aber auch diesmal schweigt das Tier. Dafür deutet es aber mit seinem Kopf in eine Richtung. Da die Minotauren sowieso jegliche Orientierung verloren haben, beschließen sie in dieser Richtung weiter zu laufen. Die Schildkröte begleitet sie diesmal nicht.

Am späten Vormittag erreichen die Minotauren den Rand des Dschungels und sehen nicht weit entfernt eine gewaltige Stadt. „Dégringolade!“, sagt der zweite Advokat. „Wir sind wieder zuhause. Nach unserem Abschied sollte ich mir aber vielleicht eine andere Arbeit suchen. Ich nehme an, dass ich in der Seide nicht mehr allzu gern gesehen bin.“ Die beiden anderen Minotauren nicken. Der zweite Advokat legt seinen beiden Reisegefährten seine Arme auf die Schultern und sagt: „Wir sind glücklich zurück! Als Ausdruck meiner Freude will ich euch Namen geben. Du, Philosoph, sollst von nun an Lokapriya, „von allen geliebt“, heißen und du, Advokat, dich nenne ich Saibhang, der „Unsterbliche“. Mögen euch eure Namen eine glückliche Zukunft einbringen!“ Dankbar senken der Philosoph und der erste Advokat ihre Köpfe und gehen auf ein nahes Stadttor zu. Am Tor müssen sie sich ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen. Weil sie aus dem Wald kommen, wollen die Wachen wissen, ob sie den Ruf des Dschungels gehört hätten. Lokapriya richtet aber ein paar freundliche, wenig aussagekräftigen Worte an sie und schon bald können sie passieren. Eine der Torwachen empfiehlt ihnen der Beinverletzung Saibhangs wegen den Heiler Oshokan aufzusuchen. Der Mann wohne am kleinen Platz ein paar Häuserblocks voraus.

Die drei Minotauren erfahren, dass sie sich im Viertel Lhleshrys befinden. Keiner von ihnen war jemals hier. Der Philosoph Lokapriya wundert sich darüber, dass hier an vielen Häusern, Fenstern, sogar an einigen Bäumen Amulette hängen. Die Bewohner machen einen relativ offenen und freundlichen Eindruck. Schon bald erreichen die drei Minotauren das Haus des Heilers Oshokan. Lokapriya greift in seinen Beutel, zahlt ein paar Samenkörner und der Heiler beginnt mit seiner Behandlung. Am späten Nachmittag fragt der zweite Advokat Oshokan, ob er eine gute Herberge für drei Minotauren kenne. Oshokan meint, sie sollten ins Viertel Chabua gehen. Dort gebe es eine Taverne namens Meerblick, die auch Minotauren Zimmer vermietet. Die drei Minotauren machen sich auf den Weg.

Kurz nach Sonnenuntergang erreichen sie Chabua, finden nach einiger Zeit auch die besagte Taverne. Für die Übernachtung und eine warme Mahlzeit gibt der Philosoph Lokapriya seine letzten Samenkörner aus. Die drei Minotauren sind jetzt mittellos und machen Pläne, wie es weitergehen könnte. Nach einigen Überlegungen beschließen sie, am nächsten Morgen dem Turm der Helden und dessen Wärter Gerdatosa einen Besuch abzustatten. Vielleicht ist das ein Ort, an dem der erste Advokaten Saibhang eine Weile unterkommen kann. Lokapriya will währenddessen mit dem zweiten Advokaten nach Rhomoon zur Seide weiterziehen, wo er der Dame Halifa noch eine Botschaft zu überbringen hat. Der zweite Advokat versucht auf diesem Weg seinen Schutzbefohlenen Mujeeb Gashkari wiederzufinden.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:10
Am Morgen des nächsten Tages setzen sich der Anführer und die beiden Soldaten in das Boot des Fischers und fahren auf dem Vadhm hinab bis zu der Stelle in Kostalush, an der sie den Riesenwels gefangen haben. Sie ziehen das Boot an Land und begeben sich zu dem Haus, in dem die vier jugendlichen Minotauren arbeiten. Zu ihrer Überraschung werden sie nicht nur erwartet, es wurden bereits Vorbereitungen getroffen. Der Riesenwels liegt auf einer alten Holztür, drapiert mit bunten Bändern und Kräutern, der Sänger hat ein attraktives Kostüm angezogen, die drei Holzsammler schicken sich an, die Tür mit dem Riesenwels in der Art einer Zeremonie zum Schulhaus zu tragen. So kommt es, dass der Unterricht von Meister Zonara auch an diesem Tag unterbrochen wird. Mit offenen Mündern starren Lehrer und Schüler die Prozession an. Der Sänger lässt ein Festlied erklingen und klimpert mit den Fingerzymbeln, die Holzsammler setzen würdevoll die Holztür auf dem Boden des Klassenzimmers ab und stehen anschließend zu beiden Seiten Spalier. Es ist der Moment, in dem der Anführer tief in seiner Brust ein ihm bisher unbekanntes Gefühl bemerkt: er ist stolz auf diese vier jungen Brüder, die den verweichlichten Söhnen der Menschen hier zeigen, dass auch sie zu eindrucksvollen Auftritten in der Lage sind.

Als sich die Aufregung gelegt hat, fragt Meister Zonara seinen Schüler: „Bist du zufrieden mit deinem Jadestein, Gonapati?“ Als Gonapati nickt fährt Meister Zonara fort: „Dann schuldest du ihnen jetzt einen Backstein! Geh mit den Rindern in die Schriftensammlung und unterstütze sie bei ihren Bemühungen. Du aber, Unnat, holst die beiden alten Weiber von nebenan, sie sollen ein Festessen zubereiten. Und du, Ajit, läufst zum Tierpräparator Yugurthen, er möge den Kopf des Fisches zur Zierde unseres Unterrichtsraumes auf einem Holzbrett befestigen und über den Eingang hängen. Bewegt euch!“

Während der kleinen Feier in der Schule von Meister Zonara durchstöbern der Anführer, die beiden Soldaten und Mujeeb mit Gonapati den Keller des Gebäudes. Die vier jungen Minotauren haben ein paar Brosamen abbekommen und sich damit auf die Straße zurückgezogen. Im Keller finden sich zur Enttäuschung der Minotauren keine Schriftstücke, die die alte Lyrik von Dégringolade erklären. Immerhin findet Gonapati aber ein paar Verse, die denen aus der Gartenhütte des Porfirio Empyreus erstaunlich ähneln. Er liest:

"Wie ein Blatt gib sich der Falter
und fliegt doch davon!
Wie handeln?
Sei du."

„Wieder vier Verse!“, sagt der erste Soldat. „Am Anfang eine Erklärung, dann eine Frage, schließlich ein kurzer Schlussvers.“ Der zweite Soldat meint: „Es sind irgendwelche Ratschläge. Die Verse aus dem Gartenhaus rufen zur Geduld auf, diese hier wollen, dass du ehrlich zu dir selbst stehst.“ „Ja“, meint der Anführer. „Das ist interessant, aber was wir nun damit anstellen sollen, ist mir noch nicht ganz klar.“ Mujeeb sagt: „Darüber wissen wir noch zu wenig. Denkt dran: die ersten Verse rufen zur Geduld auf!“ Seufzend bittet der Anführer Gonapati die Verse für ihn zu kopieren. Gonapati tut es, der Anführer steckt das Schriftstück ein, dann verabschieden sich die Gefährten von Meister Zonara und seinen Schülern.

Auf der Straße erwarten sie vier jubelnde junge Minotauren. Als sie begreifen, dass der Zeitpunkt des Abschieds gekommen ist, verstummen sie aber und blicken traurig zu Boden. Der Sänger sagt: „Das war großartig, Flussgesegneter! Wenn du uns sagst, wo sich dein Heim befindet, haben wir vielleicht die Gelegenheit dir irgendwann einmal einen Gegenbesuch abzustatten. In jedem Fall werden wir dich und deine Freunde nie vergessen und für immer in unseren Herzen bewahren! Lebt wohl, Freunde! Lebe wohl, Flussgesegneter!“ Der Anführer beschreibt den vier jungen Minotauren, wo seine Fischerhütte steht, dann macht er sich mit den beiden Soldaten an die harte Arbeit, das Fischerboot wieder den Fluss hinaufzuziehen. Mujeeb Gashkari trottet neben ihnen her. Er hat beschlossen ein oder zwei Nächte beim Anführer zu übernachten.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:11
Am selben Tag brechen der Philosoph Lokapriya, der erste Advokat Saibhang und der zweite Advokat von der Taverne Meerblick in Chabua aus in Richtung Turm der Helden auf. Gegen Mittag erreichen sie ihr Ziel. Lokapriya grüßt Gerdatosa, den Wächter des Turms, der ihn überrascht anschaut. Lokapriyas Haltung erscheint ihm vornehmer als zuvor, irgendeine Wandlung scheint der Minotaur durchlaufen zu haben. Dennoch ist Gerdatosa ein wenig enttäuscht. Er hatte gehofft, Lokapriya könne ihm von Halifas Antwort auf seine letzte Botschaft berichten. Nun muss er erfahren, dass Halifa diese Botschaft noch gar nicht erhalten hat! Lokapriya verspricht ihm, seinen Weg zur Seide mit dem zweiten Advokaten sofort fortzusetzen. Er bitte Gerdatosa nur um einen Ort, an dem Saibhang Unterschlupf finden könne. Gerdatosa zeigt sich bereit, den Minotauren eine Weile im Werkzeugschuppen unterzubringen. Lokapriya dankt dem Turmwächter und setzt seinen Weg mit dem zweiten Advokaten fort.

Am frühen Abend erreichen die beiden Minotauren die Seide und klopfen an die Tür. Ihnen öffnet eine Bordellwache, mit der sie bisher noch keinen näheren Kontakt hatten. Der Philosoph Lokapriya sagt: „Ich bin der Bote und habe der Dame im Zimmer hinten links einen Brief zu überbringen.“ Der Minotaur an der Eingangstür antwortet: „Weiß sie, dass du kommst? Du musst entschuldigen, ich war bisher als Dachwache eingesetzt und kenne mich mit dem Kommen und Gehen im Haus nicht gut aus.“ Lokapriya sagt: „Sie erwartet mich sicherlich. Sag´ aber mal: Wo ist eigentlich Ashtavede?“ Der Minotaur am Eingang antwortet: „Er ist schon einen ganzen Tag nicht mehr gesehen worden. Niemand weiß, wo er steckt. Es heißt, er sei bei irgendwelchen verbrecherischen Umtrieben erwischt worden und habe untertauchen müssen!“ Lokapriya erschrickt, sagt aber nichts. Dann geht er mit dem zweiten Advokaten zum Zimmer Halifas. Ein paar Meter davor müssen die beiden Minotauren beobachten, wie ein aufgebrachter Kanta Planudes aus Halifas Zimmer herausstürmt und mit glühendem Blick dem Ausgang zusteuert. Lokapriya und der zweite Advokat eilen ins Zimmer Halifas.

Halifa ist sichtlich am Ende und wirft den beiden Minotauren einen hilflosen Blick zu. „Was ist los?“, fragt der Philosoph Lokapriya. Halifa erzählt: „Kanta Planudes musste erleben, dass ihn Masumi nebenan nicht mehr empfängt. Da hat er stattdessen mich erwählt und aus Rache hier in meinem Raum eine große Szene gemacht, die Masumi natürlich mit anhören musste. Sonst gelingt es mir in solchen Fällen oft, die Wogen zu glätten und die Freier mit einem guten Gefühl zu entlassen. Gegen Kanta Planudes Hass war ich allerdings machtlos. Für heute habe ich genug, ich kann nicht mehr.“ Lokapriya versucht Halifa zu trösten und ihr Mut zu machen, aber es gelingt ihm nicht ganz. Daher kommt er auf Gerdatosas Botschaft zu sprechen: „Vielleicht gibt es eine Möglichkeit dein Leben zu ändern! Der Wächter vom Turm der Helden bietet dir ein Turmzimmer an, ist das nichts?“ Halifa überlegt und fragt: „Was war das noch für eine Geschichte mit den Turmbewohnern und den Geistern?“ Lokapriya sagt: „Der Turmwächter behauptet, die Geister der Verstorbenen würden sich die Turmbewohner genau anschauen. Diejenigen, die sie für würdig genug erachten, machten sie nach ihrem Tod zu einem der ihren und verliehen ihnen damit in gewisser Weise eine Art Unsterblichkeit. Ich glaube, die Vorstellung, ihr könntet Unsterblichkeit erlangen, hat dem Turmwächter sehr gefallen.“ Halifa runzelt mit der Stirn und sagt: „Die Geister würden mich nie auswählen! Was habe ich schon für eine Würde!“ Lokapriya sagt: „Vielleicht fiele es euch leichter, Würde zu gewinnen, wenn ihr an diesem Ort hier nicht mehr arbeiten müsstet!“ Halifa sagt daraufhin: „Ich muss darüber nachdenken. Das geht nicht so von einem Tag auf den anderen… aber wer weiß? Vielleicht mache ich mich demnächst auf den Weg nach Lehekesh. Du hast aus einem bitteren Abend einen freundlichen gemacht, Rind! Ich will dir dafür etwas schenken.“ Mit diesen Worten drückt Halifa Lokapriya drei Räucherstäbchen in die Hand. Sie erklärt: „Sie riechen nach Jasmin. Das ist ein guter Duft. Er stimmt die Anwesenden liebevoll. Wenn du sie abends verbrennst sorgen sie außerdem dafür, dass die Ahnen über deinen Schlaf wachen.“ Lokapriya wehrt ab: „Das kann ich unmöglich annehmen, werte Dame!“ Halifa aber ist sich sicher: „Du hast sie dir verdient!“ Der zweite Advokat räuspert sich und fragt: „Werte Dame, ist es wahr, was man sich über Ashtavede erzählt? Er ist untergetaucht?“ Halifas Gesicht nimmt wieder besorgte Züge an. Sie sagt: „Ja, er ist verschwunden, genau wie diese andere Wache. Niemand weiß, was in ihn gefahren ist und ob er irgendwann zurückkommt. Vorläufig hat Haygaram Ooryphas eine seiner Wachen zu seinem Stellvertreter am Eingang ernannt.“ „Welche Wache ist denn noch verschwunden?“, will der zweite Advokat wissen. „Dieser Minotaur, der erst seit kurzem hier arbeitete. Zuerst hieß es, er habe Chaman-Gul, dem Koch, eine Hand abgeschlagen. Dann aber behauptete ein Freier, er habe beobachtet, wie Ashtavede mit dem Fischer, der immer die Nachtfische bringt, aus dem Vorratskeller Flussdelphine geholt und wieder zurück in den Fluss geworfen hat. Da haben sich ein paar Leute gefragt, ob es da eine Verbindung gegeben haben könnte: Chaman-Gul, der verbrecherisch Flussdelphine im Vorratskeller einlagert und diese Wache, die vielleicht genau darüber mit ihm in Streit geraten sein könnte und ihm gezeigt hat, wie es derartigen Verbrechern ergeht! Mitten in dieser ganzen Erregung ist dann auch noch Haygaram Ooryphas aufgetaucht, der vielleicht etwas zu schnell behauptete, diese Wache habe den Koch zur Rechenschaft gezogen, eine Schande, dass er daraufhin getürmt sei!“ „Soso“, antwortet daraufhin Lokapriya. „Ich glaube, ich habe eine weitere Botschaft zu überbringen!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:12
Vor der Seide verabschiedet sich der zweite Advokat vom Philosophen Lokapriya. Während Lokapriya noch in derselben Nacht den Rückweg zum Turm der Helden antreten will, um dem ersten Advokaten Saibhang zu erzählen, dass sich die öffentliche Meinung über seine Taten in der Seide ganz unerwartet entwickelt hat, will der zweite Advokat versuchen, die letzte Fähre über den Fluss zu bekommen. Er hat für diese Nacht kein Dach über dem Kopf und wird versuchen beim Fischer zu übernachten.

An der Fischerhütte angelangt muss er feststellen, dass darin bereits beengte Zustände herrschen. Dann aber erkennt er, dass es Mujeeb ist, der da neben dem Fischer liegt und laut schnarcht. Vor lauter Freude rüttelt er ihn wach: „Mujeeb! Was für eine Freude dich hier wiederzutreffen! Was ist mit dir geschehen? Du hast eine Menge Schrammen im Gesicht! Na, jetzt bin ich jedenfalls wieder für dich da! Ich habe dir einiges zu erzählen!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:12
Beim ersten Morgengrauen erreicht der Philosoph Lokapriya den Turm der Helden und schleicht sich stöhnend in den daneben befindlichen Werkzeugschuppen. Er ist am vergangenen Tag insgesamt fast 14 Stunden straff marschiert. Seine Füße brennen, er ist am Ende seiner Kraft und lässt sich einfach zu Boden fallen. Der erste Advokat Saibhang erwacht und fragt: „Wer ist da? Lokapriya?“ Lokapriya stößt mit letzter Kraft hervor: „Geh´ zurück zur Seide! Du bist ein Held.“ Dann fällt er in einen tiefen Schlaf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 15.12.2020 | 00:15
In einem Haus für Bedienstete in Kostalush kommen einige Minotauren zum Abendessen zusammen und erzählen sich von den Ereignissen des Tages.

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Ihr habt euch wie Menschen verhalten? Wie soll ich das verstehen?

Der erste Holzsammler: Der Flussgesegnete hat einen riesigen Fisch gefangen, der war vier Meter lang!

Der zweite Holzsammler: Viereinhalb Meter lang!

Der Sänger: Fünf Meter lang!

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Schön, fünf Meter also, und dann?

Der Sänger: Dann haben wir den Fisch in einer Prozession zur Schule von Meister Zonara getragen… aber mit allem, was dazu gehört! Fast so üppig wie zum Fest, wenn die kleinen Schildkröten schlüpfen!

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Singen, tanzen, bunte Kleider?

Der erste Holzsammler: Oh ja! Und wir waren die Parade!

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Na, das kann ja nicht allzu eindrucksvoll gewesen sein!

Der zweite Holzsammler: Dann erzähle etwas Aufregenderes, du alter Nörgler!

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Ich war heute in Lehekesh. Irgendein Minotaur ist wie aus dem Nichts aufgetaucht, hat einen Unterschlupf am Turm der Helden gefunden und will sich jetzt zum Kämpfer ausbilden lassen. Das Rind muss nicht ganz dicht sein. Man sagt, es habe ein lahmes Bein!

Der erste Holzsammler: Warum will es dann Kämpfer werden?

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Das versteht ihr nicht. Der Bruder will verhindern, dass es nochmal passiert.

Der zweite Holzsammler: War es so eine Art Held?

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Das kann gut sein. Er war mit zwei anderen Brüdern quer durch die ganze Stadt unterwegs. Es heißt, sie seien an mehreren Orten gleichzeitig gewesen!

Der Sänger: Der Flussgesegnete war auch viel unterwegs!

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Ein Begleiter des Lahmen soll auch ein Bote gewesen sein. Solche Leute kommen ohnehin viel herum. Der dritte aber gehörte zu der schweigsamen Sorte. Scheinbar hat er irgendetwas Tragisches erlebt. Er scheint auf der Suche nach einem verlorengegangenen Freund zu sein. Insgesamt haben die drei wohl einen recht heruntergekommenen Eindruck gemacht.

Der erste Holzsammler: So, als kämen sie aus dem Dschungel, was?

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: So ähnlich.

Der zweite Holzsammler: Haben sie die Stille gebrochen? Das wäre doch mal etwas!

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Das kommt immer mal wieder vor.

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Ja, aber es gibt keiner zu.

Eine Weile essen alle schweigend.

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Und euer Fischer? Was hat er mit dem Riesenfisch gemacht?

Der Sänger: Er hat ihn gegen einen Text getauscht.

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Wie bitte?

Der erste Holzsammler: Eigentlich war es gar kein Text, es war ein Backstein.

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Das macht die Sache auch nicht besser! Die Geschichte von eurem Flussgesegneten scheint reichlich kurz zu sein.

Der zweite Holzsammler: Was der einmal angelt, kann er auch noch ein zweites Mal angeln!

Die Wache mit dem Brandzeichen auf der Stirn: Da braucht er aber eine Menge Glück!

Die Wache mit den eingefallenen Augen: Nicht nur, er braucht auch Können!

Der Sänger: Nein, er muss einfach nur der Flussgesegnete sein!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 20:59
7

Sanft fallen Blätter ins stille Nass.
Die Zukunft ist gesäumt von einigen Bäumen,
ist ein rechteckiges Becken,
in das sich ein Wasserfall ergießt.
Steinerne Tiger und Bewaffnete schützen den Ort.
Blicke der Betrachter
brennen Schwimmern
ein Mal auf die Stirn.
Sanft fallen Blätter ins stille Nass.

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:02
Ich setze meinen Mitspielern Ernst Jandls Gedicht „Indianisch“ vor und fordere sie auf, die Verse mit mir zu rezitieren.

ox ox ox
ox ox ox
ox ox ox
ox ox ox
ox ya ox
ox ox ox
ya ox ya
ox ox ya
ya ox ox
ox ya ox
ya ya ox
ox ya ya
ya ya ya
ya ox ya
ya ya ya
ya ya ya
ya ya ya
ya ya ya

Aufgrund der unterschiedlichen Übertragungsgeschwindigkeiten unserer Internetverbindung ist synchrones Sprechen nicht möglich.

Wir klingen wie eine Rinderherde…
…wie eine Minotaurenherde
…wie ein paar Ja-sagende Ochsen.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:03
Am nächsten Morgen macht Mujeeb in der Fischerhütte des Anführers seine Ansprüche geltend: „Ich habe euch nach Kostalush zu meiner alten Schule geführt, jetzt helft ihr mir dabei, Bienen einzufangen! So war es abgemacht.“ Der Anführer und der zweite Advokat nicken. Als sie die Hütte verlassen befinden sich die beiden Soldaten höchstens 20 Schritt entfernt bei einem kleinen Gespräch im Schneckengarten. Der Anführer ruft ihnen zu: „Der Orakelmann ist ausgeraubt worden und wir besorgen ihm jetzt neue Bienen. Habt ihr Lust mitzukommen?“ Der zweite Soldat nickt und sagt: „Lust schon, aber wir müssen mal sehen, ob wir freibekommen. Porfirio hat für den Abend eine Gesellschaft eingeladen.“ Die beiden Soldaten gehen los und bitten den Hausherrn um etwas Freizeit. Porfirio entlässt sie, verlangt aber, dass sie nach dem Nachmittagsmonsun wieder zuhause sind, um sich bei den Vorbereitungen für den Abend nützlich zu machen. Als die Soldaten Porfirio seinen Dank aussprechen und zum Anführer, dem zweiten Advokaten und Mujeeb Gashkari wollen, werden sie noch von Porfirios Gattin Saaroni abgefangen. Sie sagt: „Ich habe gehört, ihr seid freigestellt. Dann geht doch bei der Seide vorbei und informiert den Musiker Anâzhar Shahin, dass in unserem Haus heute Abend eine Gesellschaft stattfindet. Ich würde mich freuen, zu diesem Anlass die Künste des Mannes bewundern zu können.“ Die beiden Soldaten nicken und versprechen, dass sie sich darum kümmern werden. Wenig später fahren sie im Fischerboot des Anführers mit den beiden anderen Minotauren und dem Orakelmann über den ewigen Fluss.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:04
Eine Weile später erreichen die Minotauren und Mujeeb Gashkori den Bambuswald von Umashangar Psellus am Rande von Rhomoon. Sofort erkennt der zweite Advokat, dass sich hier etwas verändert hat. Am Rand der Pflanzung ist ein Schuppen erbaut worden, vor dem einige großen Behälter stehen. Männer und Minotauren laufen mit Gießkannen hin und her, scheinen aus den Behältern eine Flüssigkeit zu entnehmen und die Pflanzen damit zu düngen. In der Luft hängt ein strenger Geruch. „He, Pratiksatra!“, ruft der zweite Advokat dem auf dem Gelände arbeitenden Vorarbeiter zu. Der Mann nähert sich den Besuchern und grüßt freundlich. „Was macht ihr denn da?“, will der zweite Advokat wissen. Pratiksatra erzählt, dass Umashangar Psellus entschieden hat, seinen Bambuswald mit dem Urin von Urwigcas zu düngen. Drei dieser gigantischen Insekten stünden daher jetzt dort in dem Schuppen. „Diese Biester sind doch gefährliche Waffen, die im Immerkrieg als brutale Reittiere zum Einsatz kommen!“, ruft der zweite Advokat. „Kommt ihr denn mit denen zurecht?“ Pratiksatra erzählt, dass es bisher keine größeren Zwischenfälle gegeben habe. Besonders viel Erfahrung mit den Tieren hat hier aber niemand, und ein wenig unter Anspannung stehe er deshalb durchaus. Immerhin aber soll der Urin der Urwigcas schädliche Insekten vertreiben. Der zweite Advokat wird etwas unruhig und meint: „Ich habe zum Bienensammeln heute ein paar Freunde mitgebracht. Ihr habt doch nichts dagegen?“ Pratiksatra schüttelt wohlwollend mit dem Kopf und behauptet, solange Mujeeb für ihn hin und wieder den Schlund des Schicksals befrage, könne der zweite Advokat gern im Bambuswald sein Glück versuchen. Der zweite Advokat dankt ihm, dann steigen die Minotauren über den Zaun und streifen in Zweiergruppen mit je einer Blechbüchse, in denen die gefangenen Bienen aufbewahrt werden, durch das Gelände. Mujeeb Gashkari bleibt etwas desorientiert am Rand der Pflanzung zurück und schaut seinem Assistenten milde lächelnd hinterher. Nach einer Weile kommen die vier Minotauren mit enttäuschten Gesichtern zurück. Der zweite Advokat schaut sich die Beute an: „Drei Bienen! Das ist eindeutig zu wenig, damit kommen wir nicht weit. Ich hatte auch den Eindruck, das Nest ist verlassen. Vermutlich mögen die Bienen diesen ekelhaften Geruch nicht – ich kann es ihnen nicht verdenken – und sind umgezogen!“

Es folgt eine kleine Diskussion. Der zweite Advokat würde gern weitläufig das Gebiet durchstreifen und Ausschau nach einem Ort halten, an dem sich die Bienen jetzt befinden. Die beiden Soldaten drängen aber auf einen baldigen Heimweg. Sie müssen nach dem Monsun zurück im Hause Porfirio Empyreus´ sein und sollen sogar vorher noch Anâzhar Shahin in der Seide zu dessen Abendgesellschaft einladen. Die Gruppe einigt sich schließlich auf einen kurzen Gang durch das umliegende Gelände, danach wollen sich zumindest die Soldaten auf den Rückweg machen.

Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat haben Glück. Ein paar hundert Schritt vom Bambuswald entfernt steht ein altes, unbewohntes und halbzerfallenes Haus. Der zweite Advokat erkennt sofort, dass dort ein paar Bienen unterwegs sind und als die Gruppe genauer nachschaut, sehen sie, wie das Völkchen bereits an einem Fenstersturz mit dem Bau eines neuen Nestes begonnen hat. Geschickt schwenkt der zweite Advokat mit seiner Blechbüchse im schwirrenden Schwarm herum, blickt kurz mit zufriedener Miene in den Behälter und verschließt ihn dann schnell. „Das dürfte für eine Weile reichen. Wir können zurück!“, sagt er. Der Anführer ruft aber plötzlich: „Schaut euch das an. Ich habe hier etwas entdeckt!“ Seine Gefährten wenden sich ihm zu und erblicken im Gras einen Steinblock, der wahrscheinlich ursprünglich als Sturz der inzwischen verschütteten Haustür diente. In den Stein ist ein altes Epigramm graviert, das der Anführer seinen Gefährten halblaut vor sich hersagt:

Seht die Delphine im Fluss, deren heitere Sinne beglücken!
Wie auch die Kunst sind sie Traum, flüchtig und heimisch im Jenseits.


Keiner der Anwesenden kann sich auf diese Worte einen Reim machen. Daher begeben sie sich schon bald auf den Rückweg.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:05
Zurück am ewigen Fluss nähern sich die Bienenfänger zunächst der Seide. Noch bevor sie das Etablissement erreichen zischt ihnen aber hinter einer Hecke jemand zu. Die Minotauren schauen sich um und erblicken den ersten Advokaten Saibhang, der ihnen gegenüber im Flüsterton eine Bitte äußert: „Ihr wollt zur Seide, nicht wahr? Seid so gut, und erkundigt euch doch in meinem Interesse nach der Stimmung im Haus. Ich überlege, ob ich in das Haus zurückkehre, bin mir aufgrund meiner Auseinandersetzung mit dem Koch Chaman-Gul aber nicht sicher, ob ich dort derzeit gern gesehen bin. Vielleicht bekommt ihr heraus, mit was für Reaktionen zu rechnen ist, wenn ich jetzt dort auftauchen würde.“ Der zweite Advokat nickt ihm zu und verspricht, sich danach zu erkundigen.

Auf sein Klopfen öffnet zunächst der neue Minotaur, der vorläufig die Aufgaben des ehemaligen Bordelliers Ashtavede übernommen hat. Ohne große Umstände spricht der zweite Advokat den Minotauren auf die vergangenen Ereignisse und den ersten Advokaten Saibhang an. Der Minotaur am Eingang runzelt mit der Stirn und sagt: „Wenn der Bruder zurückkommt, wird es hier sicherlich etwas unruhig. Es gibt einige Bewohner und Gäste, die wohlwollend über seine Taten denken. Sie glauben, dass er durch seinen Angriff auf den Koch die Flussdelphine befreien wollte. Es gibt aber auch andere, die meinen mit dem Abhacken der Hand des Kochs sei er zu weit gegangen. Der Besitzer der Seide, Haigaram Ooryphas, hat sich mehr oder weniger gezwungenermaßen auf die Seite des weggelaufenen Minotauren gestellt. Was er wirklich über die Angelegenheit denkt, ist nicht so leicht zu erkennen. Wenn der Bruder zurückkommt, sollte er vielleicht ein wenig Aufmerksamkeit erregen. Je mehr Leute davon erfahren, dass der Koch im Keller Flussdelphine grausam tötete, desto mehr werden sich auf seine Seite stellen. Dann wird auch Haygaram Ooryphas ihn nicht mehr so ohne weitere als Verbrecher behandeln können.“ Der zweite Advokat nickt.

Dann bittet der zweite Soldat um Einlass, weil er mit dem Musiker Anâzhar Shahin ein Gespräch führen will. Der Minotaur am Eingang hat nichts dagegen und erklärt den Besuchern, dass der Mann im Dienstbotengebäude wohne und sich gegenwärtig wahrscheinlich auch dort aufhalte. Die vier Minotauren und Mujeeb Gashkari bedanken sich und laufen auf das kleine Haus rechts neben der Seide zu. Im Inneren durchschreiten sie zunächst das Foyer und gelangen dann in den Innenhof, wo ein weiterer Minotaur gerade einige Ballen feuchtes Stroh in einer Ecke deponiert. Der zweite Soldat fragt ihn nach dem Zimmer des Musikers Anâzhar Shahin und bekommt den Weg gewiesen. Als die fünf Besucher darauf zu gehen, sind bereits die Klänge eines Zupfinstrumentes zu hören.

Auf das Klopfen des zweiten Soldaten bittet Anâzhar Shahin die vier Minotauren und Mujeeb einzutreten. Die Soldaten erzählen ihm, dass ihre Herrin Saaroni Empyreus ihn für den Abend gern engagiert hätte, um auf einer Gesellschaft sein Können unter Beweis zu stellen. Der Musiker ist erfreut und sagt zu, worauf die vier Minotauren die Seide verlassen.

Vor dem Gebäude treffen sie erneut mit dem Saibhang, dem ersten Advokaten zusammen. Der zweite Advokat berichtet ihm, was er vom Minotauren am Eingang erfahren hat. Nachdenklich nickt Saibhang und bedankt sich für die Auskunft. Da bemerkt der Anführer, dass zu den Füßen Saibhangs ein auseinandergebrochener Glückskeks im Dreck liegt. Saibhang bemerkt den Blick des Anführers und versucht mit seinen Füßen unauffällig die Kekshälften mit ein wenig Erde zu bedecken. Der Anführer fragt ihn: „Hattest du keinen Hunger?“ Saibhang antwortet: „Nein, ich wollte nur den Ratschlag lesen.“ „Und was stand dort?“, fragt der Anführer weiter. Als Saibhang sich mit der Antwort etwas ziert, erzählt ihm der Anführer, dass er erst kürzlich auch einen Glückskeks mit einer seltsamen Nachricht bekommen hat. Daraufhin wird Saibhang etwas gesprächiger. Er erzählt, auf dem Weg vom Turm der Helden zur Seide sei ihm der untergetauchte Ashtavede begegnet und habe ihm den Glückskeks zugesteckt. Der Zettel in seinem Inneren sei eine Einladung zu einer seltsamen Versammlung gewesen. „Ja“, sagt der Anführer, „Wenn der Rauch aus dem Haus der Minotauren neben der Seide schwarz ist, findet in der darauffolgenden Nacht eine Chorprobe statt.“ Saibhang nickt und fragt: „Hast du den Glückskeks auch von Ashtavede bekommen?“ Der Anführer bestätigt das. Dann sagt der zweite Soldat: „Schwarzer Rauch? Was für ein Rauch entsteht, wenn jemand feuchtes Stroh verbrennt?“ Der erste Soldat, der zweite Advokat und der Anführer denken an den Innenhof im Dienstbotenhaus der Seide. Dann fragt der Anführer Saibhang: „Wirst du hingehen, wenn es soweit ist?“ Saibhang sagt: „Ich denke schon.“ „Vielleicht sehen wir uns dann ja wieder“, sagt der Anführer zum Abschied. Dann fährt er mit Mujeeb und den drei anderen Minotauren zurück über den Vadhm zu seiner Fischerhütte.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:07
Lokapriya, der Philosoph, ist am selben Vormittag vom Turm der Helden aus zum Quell des Vertrauens aufgebrochen. Nachdem seine Kundin Gouliza aus der Gewalt der beiden Schurken, die sie als Geliebte eines Minotauren angeprangert und durch die Straße getrieben hatten, gerettet wurde, haben ihn deren Sorgen um ihren Liebhaber nachdenklich gemacht. Als Lokapriya dann Gouliza bei Nagur Mulukutla im „Friedlichen Mungo“ abgeliefert hatte, nahm er sich vor, den Minotauren bei der ersten Gelegenheit zu besuchen, ihn über das Schicksal seiner Geliebten zu informieren und vor ähnlichen Schurken zu warnen. Nun schien eine Gelegenheit dafür gekommen zu sein. Von Gouloza weiß Lokapriya, dass der Minotaur Wächter am Quell des Vertrauens ist. Leider liegt dieser Ort in Pannashoo, einem Randgebiet Dégringolades. Für den Weg dorthin braucht Lokapriya den gesamten Vormittag.

Mittags kommt der Quell des Vertrauens in Sicht. Er besteht aus einem von einigen Bäumen gesäumten, rechteckigen Wasserbecken, das an einem steilen Hang liegt und in das sich ein kleiner Wasserfall ergießt. Zum Becken führen ein paar Marmorstufen hinab, die von zwei steinernen Tigern gesäumt sind. Im Wasser schwimmen ein paar Blätter. Neben dem Becken befindet sich ein kleines Wachhäuschen. Abgesehen vom leisen Rauschen des Wasserfalls ist es still.

Lokapriya, der Philosoph, wendet sich dem Wachhäuschen zu und klopft, aber statt einer Antwort hört er nur ein gequältes Geräusch. Er öffnet die Tür und sieht in der einfachen Wachstube einen Minotauren auf dem Boden liegen. Sein Hinterkopf ist blutverkrustet und an seinem Oberarm sind zwei seltsame Beulen zu sehen. Lokapriya untersucht den Minotauren genauer. Die Beulen im Oberarm sind Stierzecken, eineinhalb daumendicke Insekten, die auch Minotauren gefährlich werden können. Sie haben sich bereits tief in den Oberarm des Minotauren hineingefressen. Lokapriya versucht mit dem Minotauren zu sprechen und erfährt von ihm unter Stöhnen und Ächzen, dass er von ein paar Menschen überfallen worden ist. Er habe mit einem weiteren Minotauren hier Wachdienst gehabt, der aber fliehen konnte. Die Männer hätten mehrfach laut „MinotauRAUS!“ gerufen, und mit Zwillen Stierzecken verschossen. Ein Stoß von einem der Männer habe ihn gegen die Wand geschleudert. Er sei hart dagegen geschlagen und dann bewusstlos zu Boden gesunken. Lokapriya verspricht dem Minotauren Hilfe zu holen und lässt sich den Weg zum nächsten Heiler beschreiben. Der verletzte Minotaur deutet auf einen Schildkrötenpanzer, in dem sich zwei Samenkörner befinden: „Nimm sie mit!“, stößt er mühsam hervor. „Es ist der Lohn für den Arzt.“ Lokapriya nimmt die Samenkörner an sich und eilt davon.

Etwas später erreicht der Philosoph den Heiler Mousheg. Dessen Behandlungszimmer sieht ärmlich und etwas schäbig aus, aber es ist keine Zeit für die Suche nach einem besseren Arzt. Lokapriya informiert Mousheg über das Vorgefallene, dieser packt ein paar Behandlungsgeräte und Medizin zusammen, lässt sich ein Samenkorn Anzahlung aushändigen, dann folgt er Lokapriya zurück zum Quell des Vertrauens. Vor Ort muss Lokapriya mit ansehen, wie Mousheg wenig vertrauenswürdig aussehende Messer auspackt und beginnt, dem laut stöhnenden Verletzten die Stierzecken aus dem Arm zu schneiden. Besonders zartfühlend geht der Mann nicht gerade vor, denkt Lokapriya mitfühlend. Er beschließt daraufhin, mit einem der Räucherstäbchen Halifas für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen. Wie sagte Halifa noch? Der Jasminduft stimme die Anwesenden liebevoll und sorge dafür, dass die Ahnen über den Schlaf wachen. Schaden kann es nicht, denkt Lokapriya, und entzündet eines der Stäbchen.

Während Mousheg sich noch an dem Verletzten zu schaffen macht und eine Menge Blut fließt, steigt der Rauch des Räucherstäbchens auf, verteilt sich und bildet an der Decke durchsichtige Schlangen, die sich in den Ecken winden. Eine der Schlangen scheint greifbarer zu sein. Sie besitzt eine Haube wie eine Kobra, dann wieder scheint sie Schnurrbarthaare zu entwickeln, kurz darauf scheint von ihren Schuppen ein düsteres Licht auszugehen und manchmal sieht es so aus, als wüchsen ihr sogar Beine. Während sie mit ihrer haarigen Zunge die Spinnweben in den Ecken aufleckt, wirft sie Lokapriya ein kurzes Grinsen zu. Mousheg merkt, dass sich in dem Raum irgendetwas ereignet, aber die Behandlung des Minotauren fordert so sehr seine Konzentration, dass er nicht allzu viel von dem Tier aus Rauch mitbekommt. Lokapriya beobachtet zweifelnd die Schlange, die auch ein paar kurze Geräusche von sich gibt. „Als würde sie sich lustig machen“, denkt er verdrossen.

Irgendwann ist der Rauch verflogen. Mousheg packt seine Sachen zusammen, informiert Lokapriya darüber, dass der Minotaur Ruhe und Erholung braucht und geht dann. Lokapriya ist von seinen Fähigkeiten nicht gerade beeindruckt und weist ihn deshalb lieber nicht darauf hin, dass er sich eigentlich noch ein Samenkorn mehr verdient hat. Er legt das Samenkorn zurück in den Schildkrötenpanzer und versucht dem Minotauren mit den bescheidenen Möglichkeiten des Wachhauses ein Lager zu bereiten. Der Verwundete beginnt zu fiebern und wirft sich eine Weile auf seinem Lager hin und her, am Abend aber scheint er das Schlimmste überstanden zu haben und ist sogar wieder ansprechbar. Lokapriya fragt ihn, wo er zuhause sei. Der Minotaur erzählt ihm mit schwacher Stimme, dass er ein Bett bei einem Vermittler von Arbeitern stehen hat. Der Mann hat einige Minotauren in seinen Diensten, die er an seine Kunden ausleiht. Die Wachtätigkeit am Quell des Vertrauens sei eine Arbeit, die immer mal wieder gefragt ist.

Lokapriya, der Philosoph, stemmt seinen Bruder in die Höhe, stützt ihn und schleppt ihn zu dem Arbeitsvermittler. Der Verwundete braucht ein vernünftiges Bett. Auf dem Weg dorthin berichtet der Minotaur heiser: „Du kannst mich dorthin bringen, aber wer bewacht dann das Wasser? Wenn herauskommt, dass ich dazu nicht in der Lage war, werde ich sicherlich entlassen!“ Lokapriya beruhigt den Minotauren und erzählt ihm, er werde die Wache übernehmen. Der verletzte Minotaur sagt: „Ich danke dir, Bruder! In der Wachstube ist ein Kescher, mit dem du die Blätter aus dem Becken fischen kannst… wer in dem Wasser badet, wäscht sich seine Unfähigkeit anderen zu vertrauen ab. Die Badenden gehen üblicherweise zu Fuß bis zum Wasserfall. Dann erfahren sie, was es bedeutet, jemandem zu vertrauen. Das Gefühl ist gefährlich und sittenwidrig. Daher darf niemand zum Bad in dem Becken gezwungen werden! Du musst darauf achten, wenn du dort Wache hältst!“ Lokapriya verspricht es. Dann erzählt er dem Minotauren vom Schicksal Goulizas. Der Verwundete regt sich so sehr auf, dass seine Wunde am Arm neu zu bluten beginnt. Erregt verrät er Lokapriya, dass er kurz vor seiner Ohnmacht noch hören konnte, wie seine Gegner nach dem Überfall auf die Wachstube davon gesprochen haben, nach Takaundanyi zurückzukehren. Lokapriya schaut ihn an und versucht ihn zu beruhigen. Er weiß, dass der Minotaur an Rache denkt und damit gegen die Stille verstößt. Im Moment dürfte er aber zu keinen drastischen Maßnahmen in der Lage sein. Etwas später erreichen die beiden Minotauren endlich den Arbeitsvermittler und den Gemeinschaftsschlafsaal, in dem die Arbeiter übernachten. Der verletzte Minotaur legt sich in eines der Betten und fällt sofort in einen tiefen Schlaf. Lokapriya kehrt zum Quell des Vertrauens zurück und wirft dem Wasserfall einen langen, neugierigen Blick zu. Es ist inzwischen Abend geworden und er beschließt, vor der Dunkelheit mit dem Kescher noch die Blätter aus dem Wasser zu fischen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:07
Im Haus von Porfirio Empyreus laufen die Vorbereitungen für die Abendgesellschaft auf Hochtouren. Auch die Bienenfänger sind inzwischen wieder zurückgekehrt. Der erste Soldat hat bei der Inspektion des Schneckengartens beruhigt festgestellt, dass dem gemeinschaftlichen Rausch am Abend nichts entgegensteht: zwischen den Pflanzen lassen sich einige der Tierchen entdecken. Nach dem Nachmittagsmonsun kommt auch der Hausherr selbst vorbei um sich ein Bild zu machen. Er schaut versonnen in die kleinen Bewässerungskanäle und ruft dann den ersten Soldaten herbei: „Rind, schau her! Was ist das?“ Empirio zeigt auf ein kleines Fluginsekt, das zwischen den Pflanzen hin und her schwirrt. Der erste Soldat kennt den Anblick gut: „Herr, das ist eine Eintagsfliege!“ „Ah! Eine Eintagsfliege! Sie lebt nur einen Tag, nicht wahr?“, sagt Empirio nachdenklich. Er scheint sich in einer philosophischen Stimmung zu befinden und spricht noch eine ganze Weile weiter halblaut vor sich hin: „Ein kurzes Leben, und doch erfüllt es seinen Zweck! Dieses Wesen hier wird möglicherweise sein gesamtes Leben hier in meinem Schneckengarten zubringen! Ach, es weiß nichts von den Pflichten und Lasten des Alltags! Kaum hat es die Schnecken gesehen, da ist es auch schon hinüber! Vielleicht ist es ein gutes Zeichen für die Abendgesellschaft, ein paar Eintagsfliegen im Garten zu haben! Wer weiß?“ Und mit einem milden Lächeln begibt sich Porfirio wieder ins Haus. Der erste Soldat blickt ihm verwundert hinterher.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:08
Wenig später schaut ein Minotaur beim zweiten Soldaten vorbei: „Der Herr will dich sprechen! Beeile dich!“ Der zweite Soldat verlässt den Massageraum und eilt ins Privatgemach seines Herrn. Porfirio erzählt ihm, dass er über seinen Gesundheitszustand nachgedacht und beschlossen habe einen Arzt zu konsultieren. Der zweite Minotaur beglückwünscht seinen Herrn zu dieser Entscheidung. Dann fragt er: „Herr, was wird geschehen, wenn der Arzt euch rät, euren Schneckenkonsum aufzugeben?“ Porfirio sieht ihn erschrocken an: „Meinst du wirklich, dass es so schlimm kommt? Das kann ich mir kaum vorstellen!“ Der zweite Soldat wiegelt ab und fragt Porfirio dann, wann er den Arzt holen soll. „Nun“, sagt sein Herr, „heute Abend möchte ich jedenfalls noch einmal unbeschwert feiern. Vielleicht in einer Woche?“ Der zweite Soldat redet seinem Herrn gut zu und sagt ihm, dass er den Mann auch morgen schon holen könnte. Schließlich lässt sich Porfirio breitschlagen: „Also gut. Du gehst zu Ilin Bardanes. Der Arzt wohnt in Khostalush, in der Nähe des zentralen Platzes, hinter dem Haus von Arethas Empyreus. Sag´ ihm, er soll sich morgen mal meine Brust anschauen.“ Der Minotaur nickt. Die Abendgesellschaft wird er verpassen. Er ist nicht unglücklich darüber. Schon bald macht er sich auf den Weg und grüßt den Musiker Anâzhar Shahin, der soeben im Haus seines Herrn eintrifft.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:09
Nach seiner Rückkehr in seine Fischerhütte warten Mujeeb Gashkari, der zweite Advokat und der Anführer den Nachmittagsmonsun ab, dann fährt der Anführer noch einmal mit seinem Boot auf den Fluss hinaus um Fische zu fangen. Nach einem passablen Fang will er zurückrudern, kann dann aber in der Dämmerung am anderen Ufer erkennen, dass es bei der Anlegestelle der Fähre irgendein Problem zu geben scheint. Menschen und Minotauren sind dort offenbar in einen Streit geraten. Der Anführer kann sehen, wie ein paar Minotauren davonlaufen. Zwei Männer verfolgen sie kurz, kehren aber schnell wieder zur Fähre zurück. Dann setzt sich das Schiff in Bewegung.

Der Anführer ist neugierig. Er macht einen großen Bogen um die Fähre, rudert dann zur Anlegestelle am anderen Ufer und hält Ausschau nach den geflohenen Mintauren. Plötzlich ruft eine helle Stimme: „Es ist der Flussgesegnete!“ Hinter einer Hausecke kommen drei Minotauren zum Vorschein. Es sind der Sänger und zwei der Holzsammler, die der Anführer bereits von seinem Besuch in Khostalush kennt. Offenbar haben sie einen Ausflug gemacht. Der Anführer fragt die drei Minotauren, was geschehen ist. Sie erzählen ihm, dass sie nach Rhomoon gezogen sind, um ihm, dem Flussgesegneten, einen Besuch abzustatten. Sie hatten auch schon einen Platz auf der Fähre ergattert, da sei ein reicher Herr mit einer Dame und zwei Minotauren als Leibwächtern erschienen und habe ebenfalls über den Fluss gewollt. Leider sei auf der Fähre aber kein Platz mehr frei gewesen. Der Herr, er nannte sich Asnani Zimisces, habe sich daraufhin beim Fährmann beschwert und derart wüste Drohungen ausgestoßen, dass der Mann die vier jungen Minotauren wieder von Bord jagte. Einer der Holzsammler sei daraufhin wütend geworden. Es sei immerhin die letzte Überfahrt des heutigen Tages von dieser Flussseite aus gewesen. Da habe er Herrn Zimisces mit Namen betitelt, die man üblicherweise zu den reichen Menschen nicht sagt. „Was ist dann passiert?“, will der Anführer wissen. Der Sänger erzählt: „Asnani Zimisces hat seine Leibwächter losgeschickt und gesagt, sie sollten uns einen Kopf kürzer machen. Wir sind gerannt, aber einer von uns ist erwischt worden. Sie habe ihn gefesselt und mitgeschleppt. Wir wissen nicht, wo er jetzt ist.“ Der Anführer seufzt, packt die drei jungen Minotauren in sein Boot und bringt sie zunächst einmal in seine Fischerhütte. Dann läuft er zur Anlegestelle auf seiner Seite des Flusses.

Die Fahrgäste der letzten Überfahrt sind längst verschwunden, es sitzen schon wieder neue Gäste in der Fähre. Die Minotauren, die die Fähre rudern und segeln, bereiten gerade die allerletzte Überfahrt des Tages vor. Der Anführer spricht mit dem Fährmann: „Wisst ihr etwas von dem gefesselten Minotauren, den ihr eben befördert habt?“ Der Fährmann knurrt: „Was geht dich das an, Rind?“ „Ich werde von eurer Geduld berichten, wenn ihr mir mehr erzählt!“, sagt der Anführer. Der Fährmann antwortet: „Asnani Zimisces hat ihn gefangen. Er will ihn an die Gladiatorenkämpfe verkaufen. Jetzt verschwinde!“ „Herr, wisst ihr zufällig, wo Asnani Zimisces zuhause ist?“ Der Fährmann spricht: „Irgendwo in Khostalush. Er wird heute Abend aber wohl kaum dort eintreffen.“ „Herr, seid so gut, und lasst mich wissen, wo er sich aufhält! Ich werde überall eure Großmut rühmen!“ „Ihr steckt alle unter einer Decke, ihr stinkenden Rinder! Ich werde nichts mehr sagen“, stößt der Fährmann hervor und verpasst einem der Minotauren, die auf seiner Fähre arbeiten, einen wütenden Tritt. „Aber Herr“, fleht der Anführer, „ich werde den Flussgeistern ein Opfer bringen und sie bitten, euch zu schützen! Sagt mir nur, wo sich Asnani Zimisces befindet!“ Mit funkelnden Augen starrt ihn der Fährmann an. Dann sagt er höhnisch: „Er ist anscheinend heute Abend Gast bei Porfirio Empyreus. Kreaturen wie du haben da sowieso keinen Zutritt.“ Der Fährmann spuckt aus und befiehlt seinen Minotauren abzulegen. Der Anführer wendet sich ab. Es fühlt sich so an, als bilde sich in seinem Netzmagen ein schwerer Stein.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:10
Kurze Zeit später steht der Anführer an der Mauer zum Anwesen von Porfirio Empyreus und ruft den im Schneckengarten arbeitenden Gärtner herbei. Von ihm erfährt er, dass das Fest bereits begonnen hat. Die Bediensteten, die die Gäste mitgebracht haben, hielten sich im Nebengebäude auf, dort wo die Minotauren und anderen Diener schlafen. Der Anführer will wissen, ob der erste Soldat auch einen gefangenen Minotauren gesehen habe. Der erste Soldat bejaht: „Sie haben ihn gefesselt“, sagt er. Der Anführer erzählt ihm, was geschehen ist und fragt ihn, ob er ihn zu dem Gefangenen führen kann. Der erste Soldat ist einverstanden und geht mit dem Anführer zum Haus der Diener. Schnell wird deutlich, dass sich alle Bediensteten im Esszimmer des kleinen Hauses befinden und dort eine eigene Art von Fest feiern. Der Raum ist voller Minotauren und anderer Diener. Der Anführer und der erste Soldat blicken sich um und sehen, dass der dritte Holzsammler an den Armen gefesselt auf einer Bank sitzt. Zu beiden Seiten von ihm sitzen zwei mächtige Minotauren, neben denen an der Wand zwei Speere lehnen.

Der Anführer beginnt: „Hallo Kollegen! Wisst ihr eigentlich, dass der Bruder, der da gefesselt zwischen euch sitzt, zu einer wohlhabenden Sippe in Khostalush gehört? Ihr könnt richtig Ärger bekommen, wenn ihr ihn gefangen haltet!“ Die beiden Minotauren aber zucken mit den Schultern. Einer von ihnen sagt: „Wir tun nur, was Asnani Zimisces uns befiehlt.“ Jetzt wird der erste Soldat aktiv. Er redet auf die Wachen ein und erzählt ihnen, dass sie Asnani Zimisces vor dem Fehler, den er soeben macht, warnen müssen. „Morgen vielleicht“, sagt einer der Wachen gelangweilt. Der erste Soldat erzählt ihnen, dass es morgen vielleicht schon zu spät sein könnte. Wer weiß, was Asnani Zimisces mit dem Bruder vorhabe! Wenn sich der junge Minotaur danebenbenommen habe, könnten seine Besitzer vielleicht auch zu einer Wiedergutmachung überredet werden! Dafür müsse der Minotaur aber erst einmal wieder zu seiner Arbeit erscheinen! Es wüssten ja inzwischen auch schon eine ganze Menge Menschen und Minotauren, dass sich Asnani Zimisces unrechtmäßig an fremdem Eigentum vergriffen habe. Das könne richtigen Ärger geben! Außerdem habe das Fest von Porfirio Empyreus auch noch gar nicht richtig angefangen. Sicher finde sich noch eine Gelegenheit, ihrem Herren einen kurzen Ratschlag zu erteilen! Trotz aller Bemühungen erreicht der erste Soldat nicht viel. Die Minotaurenwachen, die auf den Gefangenen aufpassen, bleiben dabei, dass sie nur die Befehle ihres Herrn ausführen. Alles andere sei ihnen egal. Der erste Soldat aber gibt nicht auf. Er rappelt sich auf, nimmt noch einmal allen Mut zusammen und dringt dann derart auf die Wachen Asnani Zimisces ein, dass es seinen mächtigen Gegenspielern zu viel wird. Irgendwann ergreifen sie ihre Speere, stehen auf und gehen gegen den ersten Soldaten vor. In diesem Moment springt der gefangene Minotaur auf, dann aus dem Fenster des Esszimmers nach draußen und rennt davon. Die Minotaurenwachen schreien, alle anderen im Esszimmer anwesenden Bediensteten lachen, der erste Soldat und der Anführer verdrücken sich in dem Durcheinander still und heimlich wieder nach draußen. „Danke, Bruder!“, sagt der Anführer. „Nichts zu danken“, sagt der erste Soldat. „Hat mir Spaß gemacht“. Daraufhin kehrt er in seinen Schneckengarten zurück.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:11
Während der Ereignisse im Dienstbotenhaus des Porfirio Empyreus ist die Abendgesellschaft der Hausherren bereits in vollem Gange. Der erste Soldat kehrt nach der Flucht des jungen Holzsammlers in seinen Schneckengarten zurück, schaut nach, welche Schäden die Gäste des Hauses bei ihrer Suche nach den begehrten Tierchen angerichtet haben und muss etwas später feststellen, wie die Herrin des Hauses, Saaroni Empyreus, mit Anâzhar Shahin zum Gartenhaus eilt. Sie schlägt dem ersten Soldaten kurz auf die Schulter und sagt: „Gib acht, dass wir nicht gestört werden, Gärtner!“ Dann verschwindet sie mit dem Musiker in dem Schlaflager, in dem normalerweise der erste Soldat übernachtet, dem nun aber nichts anderes übrigbleibt, als sich im Garten die Füße zu vertreten.

Wenig später öffnet sich erneut die Tür des Hauses und Mabasser, der sechsjährige vierte Sohn des Hauses wankt schlaftrunken in den Garten. Während leise Geräusche aus dem Gartenhaus andeuten, dass seine Mutter und der Musiker Anâzhar Shahin Gefallen aneinander finden, reibt sich Mabasser seine Augen und erzählt dem ersten Soldaten, dass er nicht schlafen kann. Zunächst versucht der Minotaur ihn wieder in sein Zimmer zu bringen, Mabasser aber wehrt sich: „Mama soll kommen und mir Abends ertönt deine Klage vorsingen!“ Der erste Soldat erklärt, dass Mabassers Mutter gerade Gäste hat und ihrem Sohn daher keine Schlaflieder vorsingen kann. Mabasser schaut den Minotauren ungnädig an und verlangt: „Hol Mama herbei! Ich will Abends ertönt deine Klage hören!“ Noch ein oder zweimal versucht es der erste Soldat mit einem Ablenkungsmanöver – ohne Erfolg. Schließlich sagt er: „Junger Herr, wie wäre es, wenn wir das Lied gemeinsam singen?“ Mabasser schaut den Gärtner interessiert an und sagt: „Versuchen wir es!“ Und so singen Minotaur und Knabe, begleitet von leisen, wolllüstigen Geräuschen aus dem Gartenhaus unter dem Mond Dégringolades das alte Schlaflied, das schon seit jeher den Kindern der Stadt süße Träume beschert hat:

Abends ertönt deine Klage,
mein kleiner Sohn, weine nicht!
Matt vom vergangenen Tage,
mein lieber Sohn, weine nicht!
Drückt dich die Mutter ans Herz
endet schon bald all dein Schmerz.
Schwindet der Öllampe Licht,
mein lieber Sohn, weine nicht.


Schon nach dem ersten Durchgang fallen Mabasser in den Armen des ersten Soldaten die Augen zu. Der Minotaur beschließt auf die Mutter zu warten und ihr dann ihren Sohn zu übergeben. Nach einer Weile ist es so weit. Die befriedigt glucksende Saaroni verlässt das Gartenhaus und zieht Anâzhar Shahin hinter sich her, der noch hastig versucht, den Gürtel seiner Jacke zu schließen. Der erste Soldat tritt mit Mabasser im Arm auf das Paar zu und sagt: „Herrin, euer Sohn! Ich habe ihn in den Schlaf gesungen. Wollt ihr ihn nicht in sein Bett legen?“ Saaroni aber schaut den Gärtner entnervt an und sagt: „Das geht jetzt wirklich nicht. Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin? Kümmere du dich um ihn!“ Dann eilt sie mit dem Musiker zurück zu Festgesellschaft. Während der erste Soldat den schlafenden Mabasser in sein Zimmer bringt, scheint es ihm, als bilde sich in seinem Labmagen ein Stein.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:12
Spät in der Nacht, als nur noch wenige Festteilnehmer wach sind, kehrt der erste Soldat zurück. Er hat den Arzt Ilin Bardanes dabei, den er aus Khostalush geholt hat. Beide haben einen anstrengenden Fußmarsch hinter sich und gehen schnell zu Bett. Porfirio Empyreus´ Haus ist so groß, dass der Mediziner trotz der Festgesellschaft und ihrer Bediensteten noch eine eigene Schlafstätte zugewiesen bekommt.

Am nächsten Vormittag wird der zweite Soldat zu seinem Herrn gerufen. Porfirio ist noch gezeichnet von der vergangenen Feier, seine Angst vor der ärztlichen Untersuchung scheint aber so groß zu sein, dass er sich nach einem Schlupfloch umsieht. Er erzählt dem zweiten Soldaten von einer neuartigen Therapie, von der ihm beim gestrigen Fest einer seiner Freunde erzählt habe: „Es funktioniert mit Fischen! Man beschafft sich einen männlichen und einen weiblichen Goldrochen, steigt zu ihnen ins Wasser, befestigt sie an seinen Armen, einen rechts, den anderen links, und dann müssen sie durch Stockhiebe zu ihren elektrischen Entladungen motiviert werden. Das erzeugt dann so ein Muskelzucken und soll den Körper auf ungekannte Art und Weise entspannen. Mein Freund behauptet, danach könnte ich dieses Stechen in der Brust glatt vergessen. Was meinst du, Masseur?“ „Herr, ich kann das nicht beurteilen, aber befragt doch den Arzt nach dieser Therapie! Er ist bereits im Haus!“, antwortet der zweite Soldat. Sein Herr sagt etwas angstvoll: „Der Arzt ist schon da? Nun… dann… soll er kommen.“

Der zweite Soldat geht und sagt Ilin Bardanes Bescheid, dass Porfirio Empyreus ihn erwarte. Er erzählt ihm auch von Porfirios Schneckenkonsum und seiner Idee von einer Goldrochentherapie, was den Arzt aber nur zum Stirnrunzeln veranlasst. Der Mann folgt dem Minotauren zum Hausherrn, untersucht ihn gründlich, entnimmt ihm ein paar Körperflüssigkeiten und stellt ihm einige Fragen zu seiner Verfassung. Dann sagt er: „Ich werde euch schon bald meinen Ratschlag zukommen lassen. Einen Moment brauche ich aber noch, um mir euer Blut und euren Speichel genau anzusehen.“ Dann zieht er sich mit dem zweiten Soldaten gemeinsam zurück.

Im Behandlungszimmer des zweiten Soldaten richtet Ilin Bardanes ein paar offene Worte an den Minotauren: „Dein Herr hat eine Schrumpflunge. Wenn er mit seinem Schneckenkonsum so weiter macht, wird er nicht mehr lange leben. Er muss sich einschränken. Zweimal im Monat Schnecken – mehr ist nicht drin. Diese seltsame Goldrochentherapie ist im Übrigen wahrscheinlich die sicherste Art, Porfirio noch schneller ins Grab zu bringen. Eine Schrumpflunge ist heilbar, allerdings besteht das einzig brauchbare Behandlungsmittel aus dem Serum der Leopardenlibellen, die es nur auf der Oberfläche des Belugha Sees, mitten im Dschungel, gibt. Der Weg dorthin ist gefährlich und beschwerlich. Nun sage mir, mein Freund, ob du deinem Herrn diese Informationen selbst zukommen lassen willst, oder ob ich ihm davon erzählen soll.“ Der zweite Soldat schaut den Mediziner erstaunt an und sagt: „Nun, Herr, in dieser Hinsicht seid ihr doch die Autorität, nicht wahr?“ Ilin Bardanes schaut den zweiten Soldaten mitleidig an: „Das ist wohl richtig. Ich weiß aber auch, wer nach solchen Diagnosen hinterher den Weg in den Dschungel antreten muss. Wenn ihr ein loyaler Diener eures Herrn seid, kann ich ihm gern die volle Wahrheit sagen.“ Der zweite Minotaur braucht einen Moment, dann versteht er, dass der Arzt ihm hier die Möglichkeit eröffnet hat, um eine Dschungelexpedition herumzukommen. Schließlich sagt er aber: „Nein, nein, verehrter Herr! Wenn es dem Gesundheitszustand meines Herrn zu Gute kommt und er meint, ich soll in den Dschungel ziehen, dann will ich das auch gerne tun.“ Ilin Bardanes nickt anerkennend und packt seine Sachen zusammen.

Kurz darauf hört sich Porfirio Empyreus die Ratschläge des Arztes an. Die Vorstellung nur zweimal im Monat Schnecken zu essen macht ihm schwer zu schaffen. Die bevorstehende Expedition in den Dschungel nimmt er hingegen gelassener. Er sagt zum Masseur: „Du musst schon bald aufbrechen! Wenn meine Lunge wieder in Ordnung ist, kann ich vielleicht auch wieder häufiger Gesellschaften veranstalten. In gewisser Weise hängt vom Erfolg deiner Mission der Ruf deines Herrn ab, hörst du?“ Der zweite Soldat wirft seinem fahrig wirkenden, vom Schneckenkonsum gezeichneten, selbstsüchtigen Herrn einen kurzen Blick zu und nickt. Er hat den Eindruck, dass sich in seinem Labmagen ein Stein bildet.

Vor der Verabschiedung des Arztes wendet sich der zweite Soldat an Porfirio Empyreus´ Verwalter und verlangt ein Samenkorn mehr als vereinbart als Lohn für die Behandlung. Als er Ilin Bardanes bezahlt, wirft ihm dieser einen vergnügten Blick zu und sagt: „Ich komme gern wieder! Pass auf dich auf!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 10.01.2021 | 21:15
Im Esszimmer des Dienstbotenhauses von Porfirio Empyreus haben die Diener der Festgesellschaft nur einen kurzen Imbiss Zeit, um sich über die Ereignisse des letzten Tages auszutauschen. Das Gespräch kommt immer wieder auf die Flucht des Holzsammlers zurück.

Die Kammerzofe von Caia Eburnus: Direkt vor ihren Augen haben sich die Rindviecher den Gefangenen wegstibitzen lassen! Es ist zum Lachen!

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius: Dieser Gärtner und der Fischer sollen gestern schon im Bambuswald von Umashangar Psellus nach Bienen gesucht haben… und obwohl es dort gar keine mehr gibt, sind sie doch mit einer vollen Büchse wieder zurückgekommen!

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor: Gut so. Die Bienen sind für diesen Orakelmann! Er hat mir schon einmal einen guten Rat erteilt!

Der Lustsklave von Curculio Capito: Mir ist zu Ohren gekommen, diese Orakel würden immer wieder gleich lauten!

Die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus: Vielleicht bringen sie ja jetzt, mit den neu gefangenen Bienen, auch ein paar neue Informationen.

Eine Weile herrscht Schweigen. Alle Anwesenden löffeln salzigen Bohnenbrei.

Die Kammerzofe von Caia Eburnus: Der Gefangene hat jedenfalls großes Glück gehabt!

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius: Das kann man wohl sagen! Wären die unverschämten Rinder an der Fähre meinem Herren gegenüber frech geworden, hätte ich kurzen Prozess gemacht!

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor: Du hast mitbekommen, dass sie einem anderen Herrn gehören? Trotzdem wurde der Gefangene auf offener Straße geraubt. Hier in Dégringolade scheint inzwischen gar nichts mehr sicher zu sein!

Der Lustsklave von Curculio Capito: Reg´ dich nicht auf! Er ist ja jetzt wieder frei und kann zu seinem Herrn zurückkehren.

Wieder ist es einen Moment still.

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor (nachdem er mit seiner Machete eine Kokosnuss geöffnet hat): Vorhin ist dieser Arzt aus Khostalush hier gewesen. Ich habe gesehen, wie er das Haus verlassen hat.

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius: Er hat Porfirio Empyreus eine Medizin empfohlen, für die dessen Diener jetzt in den Dschungel müssen! Wäre das nichts für dich, Rind?

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor (nimmt einen großen Schluck Kokosmilch, dann): Ich bin ganz zufrieden damit, hier in der Stadt bleiben zu können!

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius: Das ist ja keine wilde Panik, wie sie euch Rinder hin und wieder überfällt! Es ist eine Gelegenheit sich Verdienste zu erwerben!

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor: Du kannst ja deinen Herrn fragen, ob du mitkommen kannst! Ich trage lieber Sänften!

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius (seufzt): Du wirst nie den Belugha See erblicken.

In der neuerlichen Stille träufelt die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus ein wenig Gewürzhonig über eine aufgeschnittene Ananas.

Die Kammerzofe von Caia Eburnus: Die Diener von Porfirio Empyreus haben offenbar eine eigene Vorstellung von Tugend.

Die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus: Wieso? Sie haben einen unrechtmäßig Gefangenen befreit!

Die Kammerzofe von Caia Eburnus: Vor allem haben sie erst einmal gelogen. Sie haben außerdem die Minotaurenwachen von Asnani Zimisces in eine unmögliche Situation gebracht!

Die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus (nimmt einen großen Bissen Ananas, dann): Ich denke ja, der Gärtner hat das Herz auf dem rechten Fleck. Er mag geflunkert haben, aber nur um etwas Gutes zu erreichen.

Der Lustsklave von Curculio Capito: Mein Herr erzählte vorhin, in Pannashoo sei ein Wächter am Quell des Vertrauens mit Rinderzecken beschossen worden!

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor: Hat der Wächter überlebt?

Der Lustsklave von Curculio Capito: Weiß ich nicht. Die Zecken wurden wohl herausgeschnitten, aber der Heiler hatte gar kein Eukalyptus zur Desinfektion dabei!

Der Leibwächter von Phanostrata Frugius: Zecken entfernen ohne Eukalyptus? Wer macht denn so etwas?

Die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus: Ach, es wird schon nicht so schlimm sein, die Rinder sind im Allgemeinen doch recht robust!

Der Lustsklave von Curculio Capito: Der zweite Wächter vom Quell des Vertrauens soll übrigens verschwunden sein. Es gibt Gerüchte, irgendjemand habe ihn entführt.

Der Minotauren-Sänftenträger von Grumio Pictor: Noch ein gestohlener Minotaur! Das ist besorgniserregend!

Die Ernährungsberaterin von Caia Eburnus: Vielleicht sollte man den Gärtner hinterherschicken. Der scheint sich ja auf die Befreiung von gefangenen Rindern bestens zu verstehen!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 00:59
8

Zehn Becher mahuwa-Schnaps –
Warum rauscht das Blut in unsern Adern?
Neun Becher mahuwa-Schnaps –
Wer denkt jetzt schon an den nächsten Tag?
Acht Becher mahuwa-Schnaps –
Wann erfreut der Wirt uns wieder?
Sieben Becher mahuwa-Schnaps –
Warum diese Leichtigkeit?
Sechs Becher mahuwa-Schnaps –
Wer nimmt es mit uns auf?
Fünf Becher mahuwa-Schnaps –
Wann sind wir Helden?
Vier Becher mahuwa-Schnaps –
Warum gehen?
Drei Becher mahuwa-Schnaps –
Wer droht mir?
Zwei Becher mahuwa-Schnaps –
Wohin?
Ein Becher mahuwa-Schnaps –
Hin!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:00
Wir schauen uns ein kurzes Video von einem Waldspaziergang an.

Es wurde so verfremdet, dass es für den Betrachter die Auswirkungen von LSD-Einfluss widerspiegelt.

Der Waldweg und die Bäume schlagen Wellen und bekommen Beulen.

Die Windgeräusche treten plötzlich laut hervor, dann wieder wirken sie gedämpft.

Für einen kurzen Moment zischt uns der Dschungel von Dégringolade durch den Kopf.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:01
Etwa in dem Moment, in dem Ilin Bardanes das Haus Porfirio Empyreus´ verlässt, beendet der Anführer ein paar hundert Meter weiter vor seiner Hütte mit seinen Gästen ein bescheidenes Frühstück. Seine Hütte teilt er derzeit mit den vier jungen Minotauren aus Khostalush, dem Orakelmann Mujeeb Gashkari und dessen Assistenten, dem zweiten Advokaten. Für den Anführer wird es Zeit, sich um seinen Lebensunterhalt zu kümmern. Er bereitet sein Boot vor und will fischen. Mujeeb Gashkari beschließt mit seinem Assistenten mit dem Boot des Anführers den Fluss zu überqueren. Der zweite Advokat sagt: „Wir haben Bienen, deren Nest nicht mehr im Gestank der Urwigcas hängt. Das wird Mujeebs Interpretationen sicherlich nützlich sein. Wir versuchen es gleich mit ein paar Deutungen direkt vor dem Theater Saemauug Empyreus´!“

„Und wir?“, fragt einer der Holzsammler aus Khostalush. „Können wir nicht zum Fischen mitkommen?“ „Nein“, sagt der Anführer. „Das mache ich lieber allein. Außerdem muss ich mein Boot nicht ohne Not mit so vielen Insassen belasten. Müsst ihr nicht ohnehin langsam nach Hause zurückkehren?“ „Ach“, meint ein anderer Holzsammler. „ein bisschen Zeit haben wir noch! Wir werden versuchen, uns während deiner Abwesenheit nützlich zu machen, Flussgeweihter!“ Der Anführer nickt ihnen freundlich zu und besteigt sein Boot.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:01
Vor dem Theater des Samauug Empyreus stehen ein paar Menschen. Zwei Tänzerinnen sprechen mit einer Freundin und eine Angestellte verkauft einer Handvoll Leuten Eintrittskarten. Der zweite Advokat baut sich auf der Straße vor dem Eingang auf und preist mit lauter Stimme die Fähigkeiten Mujeebs an: „Hört her, liebe Leute! Wir haben keine Mühen gescheut und bieten euch heute wieder einen Blick in die Zukunft an! Wir verwenden inzwischen zur Einstimmung Bienen aus ausgesuchten Orten, durch die noch präzisere und vielsagendere Vorhersagen als bisher möglich sind! Tretet näher, liebe Leute, und vertraut euer Schicksal dem weisen und erfahrenen Mujeeb Gashkari an!“ Drei Leute lockt der zweite Advokat auf diese Weise an, ein Dienstmädchen streckt ihm eine Hand mit zwei Samenkörnern entgegen. Der zweite Advokat verkündet: „Die Fähigkeiten Mujeebs sind inzwischen so verfeinert, dass wir den doppelten Betrag verlangen. Ausnahmsweise sollen diesmal aber zwei Samenkörner reichen!“ Mujeeb Gashkari murmelt: „Warum nimmst du den Mund so voll? Ich habe keine Ahnung, ob der neue Wohnort der Bienen unser Problem behoben hat.“ Mujeeb und das Dienstmädchen fischen je eine Biene aus dem Behälter der zweiten Advokaten, ertränken sie in Zuckerwasser und zerkauen sie. Dann zieht das Mädchen ein paar Orakelplättchen, Mujeeb betrachtet sie lange und sagt dann apathisch: „Durch das Streben nach Reinheit erlangen wir Kraft.“ Die Umstehenden fangen an sich lustig zu machen: „Reinheit, immer wieder Reinheit! Dem fällt auch nichts Neues mehr ein!“ „Der Satz scheint der einzige zu sein, an den er sich in seinem Rausch noch erinnert!“ Eine Frau fängt an zu lachen. „Lass uns verschwinden“, sagt Mujeeb. Der zweite Advokat packt seine Sachen zusammen und eilt mit dem Orakelmann davon. Ein paar hundert Meter weiter beschließen die beiden, sich von den zwei Samenkörnern an einer Garküche ein paar frittierte Shrimps zu kaufen. Mujeeb kaut lustlos. Er ist verzweifelt: „Der Schlund des Schicksals spricht nicht mehr zu mir! Was soll ich tun?“ Der zweite Advokat braucht eine Weile, um ihn wieder aufzubauen. Schließlich schlägt Mujeeb vor Pilze zu sammeln: „Wir nehmen sie mit zum Fischer und verkaufen sie dann zusammen mit seinen Fischen auf der Straße vor seiner Hütte.“ Sein Assistent ist einverstanden.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:02
Lokapriya, der Philosoph, sitzt im Wächterhäuschen neben dem Quell des Vertrauens. Der hier ursprünglich arbeitende Minotaur wurde von unfreundlichen Menschen mit Stierzecken beschossen, die ihm der Heiler Mousheg daraufhin wenig zimperlich wieder aus dem Arm schnitt. Der Verletzte ist derzeit im Gebäude des Mannes, der Minotauren wie ihn für verschiedene Arbeiten vermietet, und erholt sich eine Weile lang auf seinem dort befindlichen Lager. Bis es ihm besser geht, will Lokapriya auf den Quell des Vertrauens aufpassen.

Am Vormittag hört er plötzlich flinke Schritte, die Tür geht auf und im Durchgang steht Halifa, die Dame aus der Seide, für die Lokapriya schon einige Gänge zum Turm der Helden unternommen hat. Halifa ist außer Atem und stößt hervor, der Minotaur möge fliehen. Lokapriya will wissen, warum sie hier ist. Halifa erzählt ihm, eine Rauchschlange aus einem ihrer Räucherstäbchen habe ihr erzählt, dass der Philosoph sich am Quell des Vertrauens befinde und in großer Gefahr sei. Sie sei sofort hierher aufgebrochen und habe bemerkt, dass sich in der Tat üble Bösewichtgesichter um die benachbarten Gebäude herumdrücken und das Wachhäuschen mit finsteren Blicken bedenken. Halifa fordert Lokapriya auf zu fliehen, sie wolle mit ihren weiblichen Reizen versuchen, die Finsterlinge abzulenken. Der Minotaur will davon nichts wissen. Er behauptet, wenn es hier gefährlich sei, dann müsse Halifa sofort den Ort verlassen, er habe hier die Aufgabe eines Wächters übernommen. Ein paarmal wiederholt Halifa ihre Aufforderung, Lokapriya bleibt aber unerschütterlich. Schließlich verlässt Halifa die Wachstube, leider aber zu spät. Aus den Schatten der Nachbarhäuser nähern sich ihr fünf finstere Gesellen, die sich ihr mit lüsternen Blicken nähern. Einer von ihnen sagt: „Schaut her, das muss das Flittchen sein, das sich mit Minotauren einlässt!“ Dieses Geschehen kann Lokapriya nicht teilnahmslos mit ansehen. Er tritt vor die Tür, deutet auf den Quell des Vertrauens und versucht es mit einer List: „Meine Herren! Wollt ihr nicht ein erfrischendes Bad nehmen? Das Becken steht zu eurer Verfügung!“ Aber den Männern steht der Sinn nach etwas anderem. Sie ziehen ihre Messer und springen auf Lokapriya zu. Ein Kampf entbrennt, der eine Weile hin und her wogt. Zeitweise hängen drei oder vier der Angreifer an den Armen des Minotauren, der sie nur mühsam wieder abschütteln kann. Halifa schreit, in den Augen der Männer flammt die pure Mordlust auf. Immer wieder rennen sie gegen Lokapriya an, doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes. Der Himmel verdunkelt sich, dicke Tropfen fallen und schon kurze Zeit später geht ein derart heftiger Wolkenbruch über Dégringolade nieder, dass an eine Fortsetzung des Kampfes nicht zu denken ist. Die Männer ziehen sich zurück, Lokapriya zieht Halifa zu sich in das Wächterhaus. Halifa meint: „Eine glückliche Fügung! Für den Nachmittagsmonsun ist es viel zu früh. Wir haben Zeit gewonnen!“ „Ich weiß nicht“, sagt Lokapriya. „Ich nehme an, unsere Gegner kehren wieder zurück.“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:03
Am selben Vormittag steht Saibhang, der erste Advokat, vor der Seide. Er hat beschlossen zurückzukehren und nach Möglichkeit seine Arbeit in dem Etablissement fortsetzen. Zwar befürchtet er, aufgrund seines gewalttätigen Angriffs auf Chaman-Gul, den Koch, in Schwierigkeiten zu geraten, alle seine Erkundigungen über die gegenwärtige Lage in der Seide geben aber eher Grund zur Hoffnung.

Auf sein Klopfen am Eingang meldet sich niemand. Vorsichtig öffnet Saibhang die Tür und stellt fest, dass der Empfang unbesetzt ist. Dann hört er Geräusche aus dem Inneren des Gebäudes. Er blickt durch den vor ihm liegenden Gang und sieht in einiger Entfernung in den Innenhof, wo sich offensichtlich einige Personen versammelt haben. Irgendjemand scheint dort laut zu schimpfen. Saibhang geht zögerlich ein paar Schritte auf die Versammlung zu, dann aber erkennt er seine Chance: größtmögliche Öffentlichkeit! Er baut sich auf, streckt seine behaarte Brust heraus und betritt selbstbewusst den Innenhof.

Ein paar der Anwesenden drehen sich zu ihm um. Ein Minotaur sagt: „Seht her! Der Retter der Flussdelphine!“ Die meisten aber richten ihre Aufmerksamkeit auf den Besitzer der Seide, Haigaram Ooryphas, der gerade dabei ist, einen seiner Angestellten zur Schnecke zu machen: „Ich will dir eins sagen, du Rindvieh! Ich dulde hier keine Heimlichkeiten! Du nimmst jetzt dein Bündel und gehst, sonst lasse ich dich in Kürze zu Futter für die Nachtfische verarbeiten! Damit es alle mitbekommen, sage ich es noch einmal laut und deutlich: Das hier ist ein Bordell, kein Kindergarten. Was glaubst du, was die Kunden sagen, wenn sie gerade eben Frau und Kindern entkommen sind, hier ein wenig entspannen wollen und sich dann deinen blökenden Ochsenspross anhören müssen! Verschwinde!“ Der gescholtene Minotaur hat sein Kind im Arm, das nun heiser zu weinen beginnt. Während er es zu beruhigen versucht, beginnt Ooryphas mit seinen Händen zu wringen. Er bekommt ein schiefes Grinsen und scheint der Meinung zu sein, dass er genug gebrüllt hat. Schließlich sagt er etwas leiser: „Wenn du das Kind losgeworden bist, kannst du von mir aus wiederkommen. Ich denke, wir haben dann auch wieder Arbeit für dich.“ Einen Moment ihn schaut der Minotaur an, dann aber strafft er sich, bekommt einen stolzen Gesichtsausdruck und geht erhobenen Hauptes davon.

Ooryphas dreht sich um und will gerade seine Angestellten wieder an die Arbeit schicken, da sieht er Saibhang. Er sagt: „Oh, du hier! Was für eine Überraschung!“ Ooryphas schaut sich um und sieht einige erwartungsvoll dreinschauende Minotauren. Dann schluckt er kurz und sagt: „Du hast Courage gezeigt, Rind! Das gefällt mir. Jetzt bist du wieder da. Solche tatkräftigen Angestellten kann ich hier gut brauchen. Leider musste ich vor kurzem den Bordellier entlassen, Ashtavede, weißt du… Ich denke, du wärst das richtige Rindvieh, das seine Nachfolge antreten könnte. Du berätst die Kunden hinsichtlich ihrer Wünsche, sorgst dafür, dass sie zahlen, hältst mit den Mädchen Rücksprache, ob und inwieweit sich die Kunden akzeptabel benommen haben und führst die Wachen an. Einverstanden?“ Saibhang ist erstaunt und zögert kurz, dann aber nickt er und sagt: „Einverstanden.“

Wenig später löst sich die Versammlung im Innenhof auf. Saibhang aber wendet sich noch einmal an Haigaram Ooryphas und fragt: „Herr, ich wüsste gern, warum ihr Ashtavede entlassen musstet. Verratet ihr es mir?“ Ooryphas schnaubt kurz und sagt: „Er hat geheime Minotaurenversammlungen organisiert. Das ist nicht zu entschuldigen. Geh jetzt an die Arbeit!“ „Ja, Herr“, sagt Saibhang. Auf dem Weg zum Empfangsbereich denkt er an den entlassenen Vater und an Ashtavedes Chorproben und fühlt sich, als habe sich in seinem Blättermagen ein schwerer Stein gebildet.

Ein überraschender Wolkenbruch setzt den Innenhof der Seide unter Wasser.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:04
Der Tag verstreicht. Der Anführer hat den Wolkenbruch am Vormittag und später auch den Nachmittagsmonsun auf dem anderen Flussufer abgewartet. Am späten Nachmittag kommt er etwas unzufrieden zu seiner Hütte zurück. Was er dort sieht bessert seine Laune aber wieder etwas auf: Einer der Holzsammler hat seine Hütte aufgeräumt und gekocht, ein zweiter übt sich in verschiedenen Knoten. Der Anführer schaut ihm zu und stellt fest, dass es da noch einiges zu Lernen gibt. Der gute Wille scheint aber vorhanden zu sein. Der Sänger steht an der Gartenmauer zum Anwesen von Porfirio Empyreus und spielt dort mit Mabasser und Anil, dem vierten und fünften Sohn des Hauses. Weithin tönt ihr helles Kinderlachen. Die Jungen sind von dem Rind mit der angenehmen Stimme offenbar sehr angetan. Schon bald darauf erscheinen auch Mujeeb und der zweite Advokat, der dem Anführer ein paar Samenkörner aushändigt. „Wir haben uns ein paar deiner Fische genommen und an der Straße mit ein paar Pilzen verkauft. Hier ist dein Anteil!“ Der Anführer nickt zufrieden und beginnt zu essen. Da kommt der letzte Holzsammler auf ihn zu und sagt: „Es war ein Mann hier, der dich sprechen wollte, verehrter Flussgesegneter! Er sagte, er sei von der Seide. Dort sind wohl alle Nachtfische verendet. Drei volle Becken gilt es wieder aufzufüllen. Nun…“, und der Holzsammler blickt etwas unsicher zu Boden, „ich habe natürlich gesagt, für einen Minotauren wie euch sei das kein Problem. Der Mann erwartet morgen eine entsprechende Lieferung!“ Der Anführer seufzt leise. Er wird noch einmal ausfahren müssen… und drei Becken Nachtfische lassen sich in einer Nacht kaum fangen. Hastig schlingt er sein Essen in sich hinein, schiebt sein Boot in den Vadhm und rudert leise schimpfend in die Dämmerung.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:04
In der Wächterhütte neben dem Quell des Vertrauens legt Lokapriya, der Philosoph, seine Stirn in Falten. Er kann Halifa schlecht nach Hause schicken, solange irgendwo vor der Tür noch diese finsteren Angreifer lauern. Halifa wartet eine Weile, wird dann aber zunehmend ungeduldiger: „Worauf warten wir hier? Auf die Stadtwache, die einer Prostituierten und einem Minotauren hilft?“ Schließlich klart der Himmel auf, der Regen endet und Halifa fasst einen Entschluss. Sie greift in ihre Tasche und zieht ein gelbes Räucherstäbchen hervor. „Es ist Loban“, verrät sie Lokapriya. „Ich will sehen, ob ich nicht etwas tun kann.“ Kurz darauf steigt ein würziger Geruch von dem Stäbchen auf. Der Rauch breitet sich aus und verdichtet sich zu stämmigen, muskulösen Armen, die eine Weile in der Wachstube hin und her tasten. Schließlich ergreifen sie Halifa und Lokapriya, der erstaunt feststellt, dass sich die Berührung wie eine Liebkosung anfühlt. „Was tut der Rauch?“, fragt er Halifa. „Er mag uns. Ist dir das unangenehm?“, fragt diese. „Nein, nein“, sagt Lokapriya und fixiert peinlich berührt irgendeine dunkle Ecke im Zimmer. Dann aber sind erneut Schritte vor dem Wächterhäuschen zu hören. Die fünf Schlägertypen nutzen die erste Gelegenheit nach dem Regen und sinnen erneut nach Gewalt. Der erste von ihnen macht die Tür auf, winkt seinen Kumpanen und tritt ein. „Na“, sagt er. „Störe wir euer Stelldichein?“ Schon zieht er sein Messer und bewegt sich auf den Minotauren zu. Da lösen sich die Arme aus Qualm von Lokapriya und Halifa und wenden sich dem Angreifer zu. Sie legen sich um seinen Hals, worauf der Mann zu husten beginnt. Hinter ihm tauchen seine Freunde auf, die ihn entsetzt anschauen und schließlich schreiend davonlaufen. Schon bald ist der Minotaur mit Halifa allein, der Rauch ist verflogen, auch der letzte Angreifer ist verschwunden.

„Danke“, sagt Lokapriya und Halifa nickt zufrieden. „Ich denke du kannst dich auf den Heimweg machen. Diese miesen Kerle dürften für heute genug haben.“ Halifa verabschiedet sich tatsächlich und geht, kehrt aber kurz darauf noch einmal zurück und wirft Lokapriya ein durchnässtes Bündel zu: „Hier, Wächter! Unsere Gegner haben etwas verloren! Nimm es an dich!“ Lokapriya legt das Bündel in ein Regal. Einen Moment wartet Halifa noch und sagt: „Bist du nicht neugierig?“ Der Philosoph schaut das Bündel eine Weile an, zuckt mit den Schultern und schüttelt mit dem Kopf. Halifa seufzt, wünscht ihm alles Gute und geht.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:05
In der Dämmerung beobachtet Saibhang, der erste Advokat, auf einem Rundgang, wie ein Minotaur im kleinen Innenhof des Dienstbotengebäudes von der Seide feuchtes Stroh übereinanderschichtet. Gespannt schaut er ihm zu, sagt aber nichts. Dann setzt er seinen Gang fort. Wenig später steigt schwarzer Rauch auf. Saibhang bemerkt, wie sich in der Seide einiges verändert. Die Dachwache ist plötzlich eine andere, die Werkstatt ist verlassen. Als er zum Eingang zurückkehrt, steht die Tür einen Spalt weit auf. Schließlich erscheint genau der Minotaur, der eben noch das Stroh übereinandergeschichtet hat. Saibhang spricht ihn an: „Verlässt du deinen Posten, Bruder?“ Etwas zögerlich antwortet der Minotaur: „Ja, Saibhang. Ich bin verabredet.“ Saibhang fragt ihn, ob er Ersatz für seine Arbeit organisiert habe. Als der Minotaur dies bejaht, sagt Saibhang: „Also gut. Führe mich hin. Ich bin auch eingeladen.“ Der Minotaur nickt, zieht mit Saibhang am Fluss entlang und flüstert ihm zu: „Ich spüre, dass es heute eine außergewöhnliche Chorprobe wird. Merkst du, wie süß die Nachtluft ist?“ Saibhang nickt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:06
Der Anführer ist gerade dabei, aus dem zweiten eingeholten Netz die gefangenen Nachtfische auszusortieren, da sieht auch er, wie vom Dienstbotenhaus der Seide schwarzer Rauch aufsteigt. „Ausgerechnet jetzt!“, denkt er und überlegt eine Weile. Er schaut sich seinen Fang an und murmelt: „Eineinhalb Becken etwa… das muss genügen.“ Dann rudert er schnell zu seiner Hütte zurück, gibt die Nachtfische in ein Wasserbecken und befiehlt den Holzsammlern auf sie aufzupassen. Schließlich spricht er mit dem zweiten Advokaten: „Schwarzer Rauch über der Seide! Weißt du, was das bedeutet?“ Der zweite Advokat schüttelt mit dem Kopf. „Irgendwo dort drüben findet heute Nacht eine Chorprobe statt. Ich bin eingeladen und werde wohl hingehen.“ Der zweite Advokat schaut ihn erstaunt an und sagt: „Eine Chorprobe? Ashtavede hat mich vor einiger Zeit zu einer Chorprobe eingeladen. Er sagte, ich könne teilnehmen, wenn ich mich dann immer noch für den Freiden einsetzen wolle.“ „Und? Willst du?“, fragt der Anführer. „Warum nicht?“, antwortet der zweite Advokat. „Nimm mich mit!“ Die beiden Minotauren fragen Mujeeb, ob er mitkommen will, der aber lehnt ab: „Eine Menge singender Minotauren? Seid so gut und gönnt mir ein paar Stunden Schlaf!“ Als der Anführer mit dem zweiten Advokaten das Boot in den Fluss schiebt, taucht aber plötzlich der Minotaur mit der schönen Stimme neben ihnen auf und sagt: „Ihr geht singen? Ist das euer Ernst? Nehmt mich mit, ich bitte euch!“ Der Anführer schaut dem zweiten Advokaten in die Augen und kurz darauf nicken sich die beiden zu. Der Anführer sagt: „Komm mit Sänger! Es kann gut sein, dass es das Schicksal war, das dich gerade heute zu mir geführt hat.“

Als die drei Minotauren am anderen Flussufer angekommen sind und das Boot festgemacht haben, sehen sie auf der Straße am Fluss entlang zwei Minotauren gehen. Einer von ihnen ist Saibhang, der erste Advokat. Die Begrüßung ist herzlich. Die fünf Minotauren schleichen durch die Dämmerung und erreichen schließlich ein paar hundert Schritt vom Fluss entfernt eine Kautschukplantage, auf der sich eine kleine Hütte befindet. „Wir sind da!“, flüstert die Minotaurenwache aus der Seide zu ihren Begleitern.

In dem Moment zieht ein anderer Minotaur an der Gruppe vorbei. Saibhang erkennt in ihm den Wächter aus der Seide, den Haigaram Ooryohas am Vormittag entlassen hat. Er sagt: „Sei gegrüßt, Bruder! Es tut mir leid für dich und dein Kind, was heute in der Seide geschehen ist. Ich wünschte, du würdest dir Ooryphas Worte zu Herzen nehmen. Suche einen Ort, an dem du dein Kind unterbringen kannst, und dann komm zurück!“ Der Minotaur antwortet: „Als Ooryphas das heute gesagt hat, dachte ich, er verlangt von mir, meinen Sohn zu verleugnen. Das werde ich nie tun. Du scheinst das anders aufgefasst zu haben.“ Saibhang nickt: „Ja. Er gibt dir eine Chance. Du brauchst nur ein Kindermädchen. Ich weiß von einer Gaststätte namens „Zum friedlichen Mungo“. Sie haben dort nichts gegen Minotauren. Vielleicht machen sie dir annehmbares Angebot?“ „Danke“, sagt der entlassene Wächter. „Ich wird´s versuchen! Jetzt kommt aber, die Probe beginnt!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:06
Lokapriya, der Philosoph sitzt noch immer in der dunklen Wächterstube neben dem Quell des Vertrauens. Nur ein schwaches Feuer erhellt den Raum und erneut sind Schritte vor der Tür zu hören. „Ein einzelner Besucher“, denkt Lokapriya und wartet gespannt. Schließlich öffnet sich die Tür und der verletzte Minotaur, den Lokapriya als Wache vertreten hat, steht mit einem verbundenen Arm im Eingang. „Sei gegrüßt! Wie geht es dir?“, fragt Lokapriya. Der Minotaur erklärt, dass er noch etwas schwach ist, aber immerhin wieder allein gehen kann. Er will noch eine Nacht hier schlafen und hofft, am nächsten Tag wieder die Wache übernehmen zu können. Etwas müde schaut er sich im Raum um, stellt fest, dass alles in Ordnung ist, dann fällt sein Blick auf das Bündel, das Lokapriya in das Regal gelegt hat. „Was ist das?“, will er wissen, worauf ihm Lokapriya von den Geschehnissen des Tages berichtet. „Es tut mir leid, dass du in diese Sache hineingeraten bist!“, sagt der Verletzte. „Hast du dir das Bündel angesehen?“ Als Lokapriya mit dem Kopf schüttelt, wickelt der verletzte Minotaur den Stoff auf und sagt: „Vielleicht gibt das Bündel einen Hinweis auf weitere drohende Gefahren. Wir müssen auf der Hut sein!“ Zum Vorschein kommt etwas Proviant, ein zusammengefaltetes Stück Papyrus und eine Büchse mit Luftlöchern, ähnlich derjenigen, in der der Assistent von Mujeeb Gashkari seine Bienen aufbewahrt. Der Minotaur faltet das Papyrus auseinander und liest mühsam: „Der Minotauren-Wächter am Quell des Vertrauens hat sich mit einer Frau eingelassen. Zeigt´s ihm! G. Azam“ Lokapriya seufzt und sagt: „Es sieht so aus, als sei ich verwechselt worden!“ Der andere Minotaur nickt und sagt: „Wahrscheinlich geht die Sache auf dieselben Halsabschneider zurück, die auch Gouliza belästigt haben!“ Dann wirft er einen kurzen, vorsichtigen Blick in die Büchse und verschließt sie schnell wieder. „Stierzecken!“, stößt er hasserfüllt hervor. „Ich werfe die Büchse ins Feuer!“ „Lass das“, sagt Lokapriya. „Die Viecher können nichts dafür, dass ihnen unser Blut schmeckt!“ Verblüfft schaut ihn sein Gesprächspartner an und sagt: „Was bist du für ein Rindvieh? Die Viecher hätten mir beinahe den Arm abgefressen!“ Lokapriya sagt: „Wir lassen sie morgen frei.“ Der andere Minotaur zuckt mit den Achseln. Dann fragt er: „Wir? Wo willst du hin mit mir?“ Daraufhin antwortet Lokapriya: „Irgendjemand hat es auf dich abgesehen und weiß, dass du hier arbeitest. Du kannst hier nicht bleiben. Geh zu deinem Arbeitgeber und sage ihm, dass die Wache am Quell des Vertrauens eine Arbeit ist, die Menschen machen sollten. Dann verschwindest du. Ich bringe dich zum „friedlichen Mungo“, einer Gaststätte, in der Minotauren passabel behandelt werden. Dort befindet sich auch Gouliza, dein Schätzchen.“ Lokapriyas Gesprächspartner überlegt eine Weile. Er weiß, dass der Philosoph Recht hat, hat aber auch Angst davor, völlig mittellos dazustehen. Der Gedanke an seine Geliebte bringt aber schließlich die Entscheidung. Er sagt: „Es fällt mir nicht leicht, meine Arbeit zu verlassen. Vielleicht gerät mein Arbeitgeber auch in Zorn über meine mangelnde Loyalität! Ich denke aber, ich werde dir folgen… ich habe dir viel zu verdanken, Lokapriya!“ Dann legen sich die beiden Minotauren im Wächterhäuschen schlafen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:08
Saibhang, der erste Advokat, folgt mit dem Anführer, dem zweiten Advokaten und dem Sänger der Wache aus der Seide durch die Kautschukplantage und betritt schließlich die Hütte an deren Rand. Die Luft ist drückend, der Raum ist voller Minotauren. Am anderen Ende der Hütte steht Ashtavede, die Anwesenden halten ehrfürchtig etwa eineinhalb Meter Abstand zu ihm. Noch immer betreten ein paar Nachzügler den Raum, am Ende sind dreißig oder vierzig Minotauren beisammen. Dann hält Ashtavede eine Ansprache:

„Brüder! Ich begrüße euch zu einer Chorprobe. Wie ihr seht, ist unsere Gruppe etwas gewachsen. Das ist gut so, denn große Ereignisse stehen uns bevor! Lasst mich deshalb ein paar Worte verlieren, auf dass auch unsere neuen Mitglieder wissen, worum es hier geht. Unser Chor trifft sich schon eine geraume Zeit. Wir studieren Gesänge ein, die die Missstände in Dégringolade anprangern, ziehen dann nachts singend durch die Straßen und hoffen darauf, dass unsere Worte offene Ohren finden. Seit einiger Zeit aber treibt uns ein besonderes Anliegen um. Es ist der Immerkrieg, der im Dschungel tobt, und in dem wir Minotauren oft in der ersten Schlachtreihe als Bauernopfer eingesetzt und verheizt werden. Wir suchen nach einem Weg, wie wir Minotauren diesem grausamen Schicksal entgehen können. Immerhin haben viele von uns bereits den Ruf des Dschungels gehört und manche von denen, die zurückgekehrt sind, waren nicht nur gelassener, sondern auch wissender. So erfuhren wir von den drei Stimmen, mächtigen Wesenheiten im Dschungel, die unsere Existenz mit Interesse betrachten. Unsere Hoffnung ist es, sie zum Eingreifen zu veranlassen. Wir wünschen uns, dass die Stimmen den Tod der Minotauren in etlichen sinnlosen Schlachten verhindern. Mit unserem ersten Versuch wandten wir uns vor nicht ganz zwei Jahren an die „Stille Stimme“. Wir versammelten uns schweigend im ewigen Fluss und jeder von uns verzehrte ein kleines Gebäckstück. In eines dieser Gebäckstücke war ein Kern der gefleckten Zitrone hinein gebacken. Schweigend sollte er einem von uns das Bewusstsein nehmen. Schweigend sollte der Ohnmächtige sanft ins Wasser gleiten und vom Vadhm ins Jenseits getragen werden. Schweigend wollten wir der Stillen Stimme einen von uns zum Geschenk machen, auf dass sie sich unser erbarmt und sich unserem Schicksal annimmt. Diejenigen, die damals dabei waren, wissen sicherlich noch, wie schrecklich unser Plan gescheitert ist. Die Menschen der Stadt erfuhren von unserem Vorhaben, glaubten, wir bereiteten einen Aufstand vor, überraschten uns in den Fluten und schlugen unsere Versammlung blutig nieder. Viele unserer Brüder hörten in dieser Nacht den Ruf des Dschungels und richteten auf ihrem Weg in den Wald noch weitere Verwüstungen an. Es war ein schwarzer Tag für unsere Gesellschaft, aber wir haben unsere Lektion gelernt und geduldig auf die nächste Gelegenheit gewartet. In drei Nächten wird es wieder soweit sein. Wir werden erneut schweigend im Fluss stehen und unser Gebäck verzehren. Was gibt mir die Zuversicht, dass sich die Tragödie nicht wiederholt, werdet ihr wissen wollen! Das hat mit einem neuen Gesang zu tun, den wir heute einstudieren werden. Lasst uns zunächst mit der Probe beginnen.“

Etwa drei Dutzend Minotauren lernen daraufhin Ashtavedes neue Komposition. Der Text ist lang. Die Stierköpfe rauchen. Am Ende aber erklingt das Lied passabel intoniert und auch für Außenstehende verständlich:

Überall ist es still,
die Nacht ist voller Auren
komme herbei, bald sind wir frei,
tu was die Stimme will.

Im Wasser steht kein Tier,
im Fluss steh´n Minotauren.
Mancher agiert heimlich maskiert,
denn auch der Mensch ist hier.

Vom süßen Himmelsbrot
Hat eines gift´ge Körner,
nehmen ein Stück, hoffen auf´s Glück,
einer ist bald schon tot.

Als Freunde essen wir
Mit oder ohne Hörner
Immerkrieg stirbt, der Hass verdirbt!
Bald schon ist Frieden hier!

Was hier im Fluss geschieht
heißen wir Rinderopfer.
Gegen das Leid, opferbereit,
endet auch dieses Lied.

Doch auch der Mensch nimmt teil,
ist nicht nur Sprücheklopfer,
will keinen Sieg, will keinen Krieg,
hofft mit uns auf das Heil.

Bist du ein grobes Rind
oder Mensch in Verkleidung
schweige im Strom, sei autonom!
Der Tod ist mild und lind.

Ob gesund oder krank:
Triff mit uns die Entscheidung!
Noch ist´s nicht hell, erwirb dir schnell
schweigender Stimme Dank!


Während der Chorprobe drehen sich die Minotauren wiederholt zu dem jungen Minotauren um, der Saibhang, dem Anführer und dem zweiten Advokaten gefolgt ist und werfen ihm bewundernde Blicke zu. Die wohlklingende Stimme des Sängers beflügelt die Gemeinschaft und verbreitet die Ansicht, mit diesem Klang könne das Vorhaben nur zum Erfolg führen!

Auch Ashtavede nickt dem jungen Bruder wohlwollend zu. Dann sagt er: „Habt ihr verstanden, was wir singen, Rinder? Natürlich werden keine Menschen beim Rinderopfer dabei sein! Unser Lied erweckt aber den Eindruck, dass sich als Minotauren verkleidete Menschen unter uns befinden. Wenn die Menschen daran glauben, werden sie unsere Versammlung kaum ein zweites Mal blutig niederschlagen! Dann können wir unser Opfer zu Ende bringen! Dann wird sich vielleicht die Stille Stimme unser erbarmen! Bis es aber soweit ist, liegt noch etwas Arbeit vor uns. Wir müssen unser Lied nämlich bekannt machen! Ich habe mir ein paar Örtlichkeiten überlegt, an dem wir mit unserem Gesang viele Menschen erreichen können, und hoffe nun auf Freiwillige, die sich in Gruppen zu drei oder vier Sängern bereiterklären, mitzumachen. Wenn es eure Situation also zulässt, dann stellt euch in einer Reihe an, ich nenne euch dann eure Einsatzorte.“

Während der Worte Ashtavedes ist Saibhang immer unruhiger geworden. Er erinnert sich an sein Erlebnis im Dschungel, als eine geisterhafte Kreatur vom zweiten Advokaten Besitz ergriffen hatte und merkwürdige Dinge von sich gab, die im Licht von Ashtavedes Ansprache plötzlich Sinn ergeben, vielleicht aber auch auf neue Gefahren hindeuten könnten. Saibhang sagt zu seinen Begleitern: „Ich stelle mich an. Zwar bin ich gerade eben zum Bordellier ernannt worden und werde mir nicht noch einen Abend freinehmen können, aber ich muss mit Ashtavede reden! Am besten noch heute Nacht!“ Auch der Anführer fühlt sich in seiner gegenwärtigen Lage zu beansprucht um nachts singend durch die Straßen zu ziehen. Der junge Minotaur an seiner Seite fragt ihn aber: „Flussgesegneter! Meinst du, ich kann mich melden?“ Der Anführer lächelt daraufhin und klopft ihm auf die Schulter: „Wer, wenn nicht du, Sänger?“ Nach kurzem Überlegen entscheidet sich auch der zweite Advokat dafür, sich zum Singen zu melden. Als sie in der Schlange bis zu Ashtavede vorgerückt sind, werden sie mit zwei weiteren Minotauren für die kommende Nacht für einen Einsatz vor dem Theater des Saemauug Empyreus eingeteilt. Dann steht Saibhang vor Ashtavede und sagt: „Ashtavede! Ich bin zu beschäftigt und kann mich nicht zum Singen melden. Ich habe aber ein paar wichtige Informationen. Du musst mich anhören!“ Ashtavede nickt ihm zu und sagt den Gefährten, sie sollen vor der Hütte auf ihn warten. Wenn sich die Versammlung zerstreut hat, habe er Zeit für sie. Saibhang dankt ihm, geht nach draußen und setzt sich mit dem Sänger, dem Anführer und dem zweiten Advokaten unter einen Kautschukbaum. Er denkt darüber nach, dass er in den kommenden zwei Nächten im Auftrag Haygaram Ooryphas die Damen der Seide an lüsterne Männer vermitteln wird, während seine Brüder in den Straßen singen und glaubt, dass sich in seinem Blättermagen ein schwerer Stein gebildet hat.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:09
Etwas später in der Nacht stößt Ashtavede zu ihnen. Er hat vier Bescher und eine Flasche mahuwa-Schnaps dabei. Schon nach dem ersten Becher sind die Zungen der Anwesenden gelockert. Ashtavede sagt: „Saibhang! Ist es wahr, dass du meinen Posten in der Seide übernommen hast?“ Einen kurzen Moment zögert Saibhang, dann aber sieht er Ashtavedes wohlwollendes Lächeln, trinkt einen weiteren Becher Schnaps und ergreift das Wort: „Ja, Ashtavede, Ooryphas hat mich zum neuen Bordellier gemacht. Ich kann nur hoffen, dass ich bei meiner Arbeit im Vergleich zu meinem Vorgänger nicht ganz so erbärmlich dastehe. Sprechen will ich mit dir aber über unseren letzten Gang durch den Dschungel.“ Ashtavede nickt ihm aufmunternd zu. Saibhang trinkt einen zweiten Becher muhawu-Schnaps und fährt fort: „Ich war mit diesem Bruder unterwegs“, worauf er auf den zweiten Advokaten deutet. „Als wir einen Fluss erreichten, herrschte eine merkwürdige Ruhe. Nach einer Weile begann unser Bruder dann zu sprechen – aber nicht mit eigener Stimme. Er erinnert sich auch an nichts. Es war, als habe ein Geisterwesen von ihm Besitz ergriffen.“ „Die stille Stimme!“, murmelt Ashtavede. „Vielleicht“, antwortet Saibhang und trinkt einen Becher Schnaps. „Diese Stimme erzählte, dass sie von der Idee des Rinderopfers erfreut sei. Sie sagte aber auch, dass es beim nächsten Mal doch nicht unbedingt einen Minotauren treffen müsse. Schließlich schlug sie vor, einen Empyreus zu nehmen! Nun sag mir, Ashtavede: Ein Empyreus wird sich kaum freiwillig opfern lassen! Und selbst, wenn da einer mit uns im Fluss steht, müssten wir dem Zufall auf die Sprünge helfen, nicht wahr? Das hat doch nichts mehr mit deinem Rinderopfer zu tun! Das wäre doch Mord… und in gewisser Weise das schlimmste Vergehen gegen die Regeln der Stille, das vorstellbar ist!“ Ashtavede nickt: „Ich nehme an, du hast Recht. Du zweifelst an den guten Absichten der Stillen Stimme, nicht wahr?“ „Wie sollte ich nicht?“, fragt daraufhin Saibhang, der, wie die anderen Anwesenden auch, schon eine ganze Menge Becher Schnaps getrunken hat. „Es schadet nichts, wenn die Brüder singen, aber ob unter diesen Voraussetzungen die Versammlung im Fluss eine gute Idee ist, weiß ich einfach nicht.“ Ashtavede erhebt sich wankend: „Ich danke dir für die offenen Worte, Saibhang! Hast du eine Idee, wie es weitergeht?“ Der zweite Advokat runzelt die Stirn und sagt: „Wir bräuchten den Rat eines Philosophen wie Lokapriya! Leider habe ich ihn aus den Augen verloren!“ Saibhang sagt: „Er sprach oft von dieser Gaststätte Zum friedlichen Mungo“. Ashtavede sagt: „Ich weiß, wo das ist. Treffen wir uns dort morgen?“ Zumindest der zweite Advokat erklärt sich einverstanden und verabredet sich mit Ashtavede für den morgigen Nachmittag in besagtem Gasthaus. Dann ziehen die Minotauren nach einem herzlichen Abschied davon. Saibhang kehrt zur Seide zurück. Der Anführer aber rudert unkoordiniert ein abenteuerlich schwankendes Boot mit dem zweiten Advokaten und dem Sänger über den Fluss, in den sich letzterer lautstark entleert.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 25.01.2021 | 01:13
Im selben Moment wandern vier müde Chorsänger auf dem Weg am Flussrand nach Hause. Es sind Bedienstete des reichen Gutsherren Lemniselenis Malchus, die Gerüchte und Erlebnisse des vergangenen Tages austauschen, während in einiger Entfernung auf dem Fluss die würgenden Geräusche des Sängers zu hören sind.

Der Barbier: War das nicht eine großartige Probe?

Der Bote: Oh ja, Ashtavede hat uns zu einer tollen Truppe gemacht. Wenn wir singen, versteht man jedes Wort!

Der Wirtschafter: Ich bin auch zufrieden, aber habt ihr diesen jungen Bruder aus Khostalush gehört? Was für eine Stimme!

Der Kammerdiener des Herrn: Der Jüngling war mit Saibhang und diesem aufstrebenden Fischer zusammen. Das scheint eine wilde Truppe zu sein, die für jeden Aufruhr zu haben ist!

Der Barbier: Sie haben an einer Chorprobe teilgenommen – so wie du auch!

Der Kammerdiener des Herrn: Das dürften dann aber auch alle Gemeinsamkeiten gewesen sein.

Der Bote: Heute Nachmittag in Pannashoo habe ich davon gehört, wie ein paar Menschen sich an diesem Philosophen Lokapriya vergehen wollten. Der Bruder hat sich aber zu seinem Schutz elementarer Mächte bedient! Erst hat er seine Gegner mit diesem heftigen Unwetter auf Distanz gehalten, dann hat er sie mit einem betörenden Nebel eingehüllt! Am Ende sind die Galgenvögel schreiend vor ihm weggerannt!

Der Kammerdiener des Herrn: So ein Quatsch. Warum sollten die Menschen vor Rauch wegrennen? Die sind im Regen nassgeworden und dann nach Hause gegangen, das ist alles! Weißt du, ob sie Stierzecken eingesetzt haben?

Der Bote: Ich glaube schon. Es heißt, Lokapriya habe niemanden verletzt und hinterher sogar noch die Stierzecken geschont. Er ist ein Bruder von unübertroffenem Langmut!

Der Wirtschafter: Was für eine Art! Stierzecken verschießen! Ungeheuerlich!

In der Gesprächspause sind besonders laut die Würgegeräusche des Sängers zu hören.

Der Barbier: Das sind sicher späte Kunden aus der Seide!

Der Bote: Dort haben sie heute einen Bruder gefeuert, weil der Vater geworden ist. Der Besitzer sagt, ein Bordell sei kein Ort für Kinder. Was meint ihr dazu?

Der Barbier: Wo sollen die kleinen Minotauren sonst hin? Die Mütter behalten sie ja in der Regel selten!

Der Bote: Dafür soll Saibhang jetzt als neuer Bordellier den Posten Ashtavedes übernommen haben! Der wird sich sicher dafür einsetzen, dass solche Ungerechtigkeiten zukünftig nicht mehr geschehen!

Der Kammerdiener des Herrn: Hast du schon mal darüber nachgedacht, was der Besitzer dazu sagen wird, wenn er erfährt, dass Saibhang an nächtlichen Chorproben teilnimmt? Der Bruder muss sehr aufpassen, sonst ist er den Posten schnell wieder los.

Wieder entsteht eine Gesprächspause, in der der würgende Sänger vom Fluss her zu hören ist.

Der Barbier: Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf unseren morgigen Einsatz auf dem zentralen Platz in Khostalush.

Der Bote: Ja, und auch hier in Rhomoon werden wir erfolgreich sein. Sie haben den Sänger hier mit dabei!

Der Kammerdiener des Herrn: Diesen begabten Fischer allerdings nicht. Den hätten wir auch noch brauchen können, aber er hat sich natürlich nicht gemeldet!

Der Bote: Sei doch froh, dass er überhaupt auf unserer Seite ist. Wenn wir in drei Tagen im Fluss stehen, ist es sicherlich nicht verkehrt, wenn ein Bruder dabei ist, der mit dem Wasser vertraut ist.

Der Kammerdiener des Herrn: Stattdessen ist dieser Gehilfe des Orakelmannes mit von der Partie! Wenn ihr mich fragt, den sollte man bestenfalls trommeln lassen. Er singt grauenvoll! Und dem Orakelmann bringt er auch kein Glück. Er verkündet schon seit ewigen Zeiten immer dasselbe!

Der Wirtschafter: Vielleicht ist es etwas Wichtiges?

Der Kammerdiener des Herrn: Wenn du meinst… Heute soll er seinen Satz einer Dienstmagd zugeflüstert haben! Vielleicht sollte er es mal mit Stierzecken statt mit Bienen versuchen!

Der Barbier: Iiieh! Das ist widerlich!

Der Kammerdiener des Herrn: Im Ernst. Hat mal jemand darüber nachgedacht, ob man diese Plagegeister auch für irgendetwas Sinnvolles gebrauchen kann? Vielleicht funktioniert das Orakel mit Stierzecken… mit Bienen funktioniert es jedenfalls nicht.

Ein letztes würgendes Geräusch weht vom Fluss herüber.

Der Wirtschafter: Ein seltsamer Tag heute... überall Schall und Rauch.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:01
9

In der Dunkelheit der Nacht
erklingt leiser Gesang,
in einem abgelegenen Hinterhof
ertönt ein Vortrag vor ausgewähltem Kreis,
auf dunkler Baumrinde
sind geschwungene Zeichen zu erkennen,
die Gedanken eines Trostsuchenden
drehen sich im Kreis.

Dieselbe Idee kann unterschiedliche Gestalt annehmen,
unterschiedliche Gestalten können dieselbe Idee vermitteln.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:02
Ich habe Päckchen verschickt.

Eine Mitspielerin und ein Mitspieler öffnen sie vor laufender Kamera.

Sie finden drei Glückskekse, brechen sie auf und stoßen auf kleine Zettel mit Goldrand:
Einen weißen mit Anführungszeichen, die lediglich drei Punkte umrahmen,
einen roten
und einen blauen mit einem Sonnensymbol.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:07
Als der Anführer mit dem zweiten Advokaten und dem Sänger nach der Chorprobe den Fluss überquert hat und auf seine Fischerhütte zugeht, merkt er schnell, dass etwas nicht stimmt. Aus der Hütte ertönt ein leises Ächzen. Vorsichtig geht er an den Wasserfässern vorbei, in denen seine gefangenen Nachtfische ein mildes Licht ausstrahlen, dann öffnet er die Tür. Im Inneren befindet sich lediglich der zurückgelassene Mujeeb Gashkari. Er sieht aus, als sei er in eine üble Schlägerei geraten. Die drei Holzsammler sind verschwunden. Der Anführer fragt ihn, was geschehen ist. Mujeeb erzählt, während der Anführer mit dem zweiten Advokaten und dem Sänger bei der Chorprobe gewesen ist, seien Krieger hier aufgetaucht: Fünf Menschen in Rüstung mit Speeren. Sie hätten behauptet, Sulpicio Niger schicke sie, damit sie die entlaufenen Rinder zurückbringen. Dann hätten sie die drei jungen Minotauren in Halseisen gelegt und gefesselt. Die Minotauren hätten keinerlei Gegenwehr geleistet. Dann haben die Bewaffneten wissen wollen, wo der Sänger ist. Mujeeb behauptet, nichts verraten zu haben. Dafür sei er aber schwer verprügelt worden. Irgendwann habe einer von den Kerlen gemeint, sie sollten wenigstens schon einmal die Holzsammler mitnehmen. Dann hätten sie die jungen Holzsammler weggeführt. Der Sänger stöhnt laut: „Oh je! Sulpicio Niger, unser Herr! Er droht immer damit, entlaufene Rinder für die Gladiatorenkämpfe an den Zirkus zu verkaufen!“ Der Anführer meint, dass es dann wohl am besten sei, wenn er den Sänger möglichst schnell bei seinem Herrn wieder abliefert. Der Sänger aber zögert.

„Ich bin auch weggelaufen. Mich erwartet kein besseres Schicksal als meine Brüder, Flussgesegneter!“

„Dann sollten wir uns bemühen, deinem Herrn die Gründe für eure Abwesenheit verständlich zu machen! Ich kann dir dabei helfen.“

„Gibt es keine andere Möglichkeit?“

„Ein Leben unter den Brücken, im Freien, den Elementen ausgeliefert, stets auf der Flucht vor den Häschern deines Herrn!“

„Oh, könntet ihr mir auch dabei helfen, Flussgesegneter?“

„Ist das dein Ernst?“

Der Sänger schluckt, nickt dann aber und schaut den Anführer hoffnungsvoll an. Nach einem deutlich vernehmbaren Seufzen sagt der Anführer, er werde sich dann wohl demnächst mit dem Sänger nach einem Versteck umschauen müssen. Zunächst aber werde er seinen Fang Nachtfische an die Seide verkaufen.

Der zweite Advokat verkündet, dass er am Vormittag mit Ashtavede im „friedlichen Mungo“ verabredet ist. Er fragt Mujeeb Gashkari, ob er mitkomme. Der Orakelmann hat nichts dagegen. Dann sagt er zum Anführer: „Es ist ein Haus, in dem Minotauren passabel behandelt werden. Vielleicht könnt ihr mit dem Sänger nachkommen. Mit etwas Glück weiß dort jemand von einem Versteck für ihn.“ Der Anführer sagt zu. Ihn interessiert aber auch das Gespräch, das der zweite Advokat und Ashtavede mit dem Philosophen Lokapriya dort führen wollen. Vorläufig verabschieden sich die Gefährten voneinander und gehen getrennte Wege.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:08
Am Morgen stehen der Anführer und der Sänger mit eineinhalb Wasserfässern Nachtfischen vor der Seide. Der erste Advokat, Saibhang, öffnet ihnen die Tür und begrüßt sie, schaut dann aber etwas betrübt in die Fässer des Anführers: „Üppig ist dein Fang nicht gerade, Fischer!“ Der Anführer verspricht ihm, so bald wie möglich weitere Nachtfische nachzuliefern. Saibhang nickt und drückt ihm die üblichen zwei Samenkörner in die Hand. Dann sagt er: „Du bekommst drei weitere, wenn du noch einmal so viel lieferst.“ Der Anführer starrt ihn überrascht an. Das Angebot ist ungewöhnlich großzügig. Saibhang sagt: „Wir versuchen es zunächst im Guten! Beeile dich!“ Der Anführer nickt eilig. Dann sagt er: „Wir wollen zum friedlichen Mungo, wo sich der zweite Advokat und Ashtavede mit dem Philosophen Lokapriya treffen wollen. Hattest du nicht auch vor, dorthin zu gehen?“ Saibhang bejaht, meint aber, er müsse sich noch abmelden. Kurz darauf kehrt er mit einem etwas säuerlichen Gesichtsausdruck wieder zurück und meint: „Haigaram Ooryphas hat mir nur bis zum späten Nachmittag frei gegeben. Wenn die ersten Gäste hier auftauchen muss ich zurück sein. Also los, lasst uns keine Zeit verlieren!“ Die drei Minotauren machen sich auf den Weg.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:26
Im Gasthaus „Zum friedlichen Mungo“ treffen der zweite Advokat, Mujeeb Gashkari und Ashtavede beinahe gleichzeitig ein. Nagur Mulukutla, der Wirt, bringt seinen Gästen einen vergorenen Tee, dann beginnt die Besprechung. Ashtavede fasst den Stand der Dinge zusammen: „Wir haben bisher daran geglaubt, die stille Stimme durch das Rinderopfer gnädig stimmen zu können. Unsere Hoffnung war, dass sie uns dabei hilft, dieses sinnlose Sterben im Immerkrieg zu beenden. Unsere Brüder werden dort von den Heerführern unserer Herren in den ersten Schlachtreihen verheizt. Die stille Stimme kann das verhindern, so glauben wir zumindest. Und euer Erlebnis im Dschungel bestätigt unseren Glauben. Die stille Stimme hat euch sagen lassen, dass sie das Rinderopfer schätzt. Dann aber gab sie euch zu verstehen, beim nächsten Mal müsse nicht unbedingt ein Minotaur dabei sein Leben lassen und sie schlug vor, es könne auch ein Mitglied des Hauses Empyreus treffen. Was hältst du davon, Bruder?“ Der zweite Advokat meint, es missfalle ihm, dass die stille Stimme überhaupt nach Opfern verlange. Ashtavede meint: „Das ist unsere Art, der stillen Stimme zu zeigen, wie wichtig uns unser Anliegen ist. Es sind Freiwillige, die die Gebäckstücke im Fluss verzehren, das darfst du nicht vergessen! Wir alle nehmen in Kauf, dass einer von uns durch den Kern der gefleckten Zitrone gelähmt wird und im Fluss sein Leben lässt.“ Der zweite Advokat macht einen unzufriedenen Gesichtsausdruck.

Wenig später erreicht der Philosoph Lokapriya das Gasthaus. Er wird von dem Minotauren begleitet, der kürzlich noch den Quell des Vertrauens bewacht hat. Schon bald ertönt ein glücklicher Schrei. Aus der Küche stürmt Gouliza und wirft sich ihrem Geliebten an den Hals. Die Anwesenden sehen gerührt zu, wie die junge Frau das Stiermaul des Minotauren immer wieder küsst. Für eine kurze Zeit verschwindet das Paar in der Küche. Gouliza will mit Nagur Mulukutla absprechen, wie lang sie mit ihrem Geliebten im friedlichen Mungo Unterschlupf finden kann. Es dauert aber nicht allzu lang, da kommt sie zurück, fasst Lokapriya bei der Hand und zieht ihn in eine Ecke der Gaststube, die durch ein paar üppig wuchernde Kletterranken nur schwer einsehbar ist. Gouliza bedankt sich herzlich für alles, was Lokapriya für sie und ihren Geliebten getan hat. Dann kündigt sie an, dass sie ihm gern etwas schenken möchte und erzählt eine kleine Geschichte:

„Vor kurzem hatte ich nachts große Sehnsucht nach meinen Geliebten und machte mir Sorgen. Ich lag in der Küche des friedlichen Mungo lange wach und fand keinen Schlaf. Irgendwann ging ich ins Freie, irrte verrückt vor Angst durch die Gegend, gelangte zu einer leerstehenden Pagode und betrat schließlich eine Halle, in der die Menschen die Urnen ihrer Verstorbenen und einige Gaben für sie lagern. Von einer Stelle in dieser Halle ging ein seltsames, kleines Licht aus. Ich folgte dem Licht und stand schließlich vor einer sehr alten Urne, zu deren Füßen ein paar Kostbarkeiten ausgelegt waren. Eine dieser Grabbeigaben war eine kleine Schatulle und von ihr ging auch das milde Licht aus. An das, was dann geschah, habe ich jegliche Erinnerung verloren. Tatsache ist, dass ich wohl irgendwann zur Gaststätte Zum friedlichen Mungo zurückfand und mich schlafen legte. Am nächsten Morgen entdeckte ich, dass sich die Schatulle in meiner Tasche befand. Sie leuchtete nicht mehr. Hatte ich sie mitgenommen? Ich weiß es nicht. Eigentlich würde ich so etwas nie tun, aber seltsamerweise spürte ich keine Schuld oder Gefahr. Es kam mir vollkommen in Ordnung vor, dass ich die Schatulle mitgenommen hatte. Ich habe auch hineingesehen. Es befindet sich eine kleine Amphore darin und im Deckel ist eine alte Inschrift, die ich nicht lesen kann. Als mir heute bewusst geworden ist, was du alles für mich und meinen Geliebten getan hast, fiel mir die Schatulle ein. Hier, ich schenke sie dir!“

Lokapriya runzelt mit der Stirn. Er soll gestohlene Grabbeigaben an sich nehmen? Goulizas Gesicht ist aber entwaffnend. Sie sagt: „Bitte! Du musst es annehmen! Ich habe sonst nichts mehr, was ich dir schenken könnte!“ Daraufhin bedankt sich Lokapriya und nimmt die Schatulle an sich. Er erkundigt sich bei Gouliza nach der Lage der Urnenhalle und nimmt sich vor, die Schatulle baldmöglichst wieder zurückzubringen.

Dann setzt sich Lokapriya endlich zu Ashtavede, dem zweiten Advokaten und Mujeeb Gashkari. „Hier, schaut mal! Das habe ich geschenkt bekommen“, sagt er und öffnet den Deckel. Die Anwesenden betrachten die Amphore aus einem leicht durchsichtigen Material, in der sich eine ölige Flüssigkeit zu befinden scheint. Doch der Orakelmann betrachtet angestrengt die Inschrift im Deckel der Schatulle. Er sagt: „Ich kenne das Alphabet! Vielleicht kann ich es entziffern.“ Dann liest er mühsam: „Diese Nagelpolitur hat der edle Opilio, Medicus von Synesia Empyreus, aus den versteinerten Tränen eines Ichtyosauriers hergestellt. Möge sie seiner verstorbenen Patientin in ihrem nächsten Leben nützlich sein.“ „Na toll“, sagt der zweite Advokat. „Du hast Nagelpolitur geschenkt bekommen!“

Wenig später erreichen der erste Advokat Saibhang, der Anführer und der Sänger den friedlichen Mungo und werden von ihren Bekannten herzlich begrüßt. Die Beratung um das Rinderopfer wird fortgesetzt. Auch Lokapriya ist von geopferten Minotauren nicht begeistert.

Der Anführer behauptet: „Es ist für mich schon nicht ganz einfach, die Notwendigkeit für dieses Rinderopfer einzusehen. Wenn ich mir aber vorstelle, dass das geschieht, um die stille Stimme gnädig zu stimmen und genau diese Stimme uns auffordert einen Menschen umzubringen, dann halte ich es nicht weiter für sinnvoll diesen Plan zu verfolgen.“

Lokapriya meint: „Wir sollten mit den Menschen ins Gespräch kommen. Dieser Weg scheint mir dafür aber nicht der richtige zu sein!“

Ashtavede erklärt: „Wir können jetzt aber nicht einfach unsere Hände in den Schoß legen. Das würde den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft schwächen. Wir haben bereits Gruppen organisiert, die heute Abend an einschlägigen Orten unseren neuen Gesang zum Besten geben werden. Wenn wir damit Erfolg haben, können wir ein friedliches Treffen im Fluss organisieren.“

Saibhang überlegt: „Das ist doch merkwürdig! Die stille Stimme will, dass wir einen Empyreus umbringen, unser Verhaltenskodex der Stille verbietet uns solch grausame Taten. Will die stille Stimme, dass wir die Stille brechen? Macht das die stille Stimme glücklich? Der Kodex der Stille hat uns gut gedient, was die stille Stimme im Sinn hat, weiß niemand so genau. Wenn wir Lokapriyas Rat befolgen und Menschen und Minotauren miteinander ins Gespräch bringen, würden wir die Empfehlung der stillen Stimme ignorieren.“

Der zweite Advokat fährt dazwischen: „Wir müssen einfach mehr über diese Stimmen herausfinden! Bis wir nicht genau wissen, was sie mit uns vorhaben, sollten wir auch keine Rinderopfer mehr durchführen!“

Ashtavede fragt Lokapriya: „Was dann, o Philosoph?“

Lokapriya überlegt lang und antwortet schließlich: „Lasst uns das Rinderopfer durchführen! Allerdings sollten wir darauf verzichten, in einem der Gebäckstücke einen Kern der gefleckten Zitrone zu verstecken. Vielleicht können wir ein paar Menschen zur Teilnahme bewegen. Das könnte eine erste Demonstration dafür sein, dass ein friedliches Miteinander möglich ist. Während das geschieht sollten wir uns aber auch im Dschungel umsehen, um möglichst schnell Klarheit über die Absichten der Stimmen zu bekommen!“

Dieser Plan scheint auf allgemeine Zustimmung zu stoßen. Während die Anwesenden noch nicken, betritt ein Minotaur mit einem kleinen Bündel im Arm den Raum. Es ist derselbe Minotaur, dem Haigaram Ooryphas in der Seide gekündigt hat, weil er in seinem Etablissement kein Kindergeschrei wollte. Als er Saibhang sieht, grüßt er den ersten Advokaten und sagt: „Es war ein guter Ratschlag, mich erst einmal hierher zu wenden. Nagur hat sich gut um meinen Sohn gekümmert, während ich mich auf die Suche nach einer Bleibe gemacht habe. Gestern habe ich ein Backhaus entdeckt, in dem sich drei Öfen befinden. Einer von ihnen ist aber nicht mehr im Betrieb. Sein Abzug ist völlig verstopft. Es ist nachts angenehm warm dort und wenn ich die Ofenklappe schließe, kommt niemand auf die Idee, dass der stillgelegte Ofen eine Verwendung als Kinderbettchen gefunden hat. Ich brauche jetzt nur noch…“, dabei schaut er sich aufmerksam unter den übrigen Gästen um, „eine Art Kindermädchen, das sich um den Kleinen kümmert. Dann könnte ich zurück zur Seide und meine Arbeit wieder aufnehmen.“

Der Anführer meint: „Die ideale Tätigkeit für einen Sänger, der sich in der Öffentlichkeit nicht mehr blicken lassen kann, was meint ihr?“ Die anderen Anwesenden nicken. Eine Weile überlegt der Sänger. Offensichtlich fällt es ihm nicht leicht den Anführer zu verlassen. Schließlich aber stimmt er zu: „In Ordnung. Ich mache es. Heute bin ich aber zum Quartettsingen vor dem Theater des Saemauug Empyreus verabredet. Ich komme morgen am Backhaus vorbei und kümmere mich um den Kleinen.“

Der Anführer steht daraufhin auf und sagt: „Wenn das geklärt ist, ziehe ich weiter. Ich will zum Gutshaus des Sulpicio Niger und nachsehen, ob ich nicht drei entlaufene Holzsammler vor dem Schlimmsten bewahren kann!“ „Wenn es jemand kann, dann du, Flussgesegneter!“, fügt der Sänger hinzu. Der zweite Advokat kann Mujeeb dazu überreden, noch ein Orakel für den Anführer zu legen. Anführer und Mujeeb zerkauen je eine in Zuckerwasser ertränkte Biene, dann zieht der Anführer Holzplättchen aus dem Schlund des Schicksals, die sich Mujeeb aufmerksam ansieht. Schließlich sagt er: „Titanen achten darauf, dass sie nicht verlieren, bevor sie siegen.“ „Wie war das?“, fragt der überraschte zweite Advokat. Dann begreift auch Mujeeb, was geschehen ist und wiederholt: „Titanen achten darauf, dass sie nicht verlieren, bevor sie siegen! Ja, mein Bester! Ein neuer Satz! Das Orakel spricht wieder zu mir!“ „Was aber hat der Satz zu bedeuten?“, will der Anführer wissen. Mujeeb Gashkari antwortet: „Normalerweise erkläre ich meine Deutungen nicht. Diesmal scheint mir die Sache aber nicht so schwierig zu sein. Deine Mission steht unter einem guten Stern, aber von unbekannter Seite aus droht dir Gefahr!“ Unsicher nickend verlässt der Anführer die Gaststätte und wenig später bricht auch der erste Advokat, Saibhang, auf. Er erklärt, dass er schon bald wieder in der Seide erwartet wird.

Nur wenige Momente danach betritt eine jugendlich gekleidete Frau die Gaststätte. Es ist Saaroni Empyreus, Porfirios Ehefrau. Sie wird von verschiedenen anwesenden Gästen begrüßt und schenkt allen ihren Bekannten ein bezauberndes Lächeln. Dann erblickt sie Lokapriya und nickt ihm leicht überrascht zu. Schließlich wendet sie sich Nagur Mulukutla zu und schäkert eine Weile mit ihm. Lokapriya schaut den beiden zu und stellt bedauernd fest, wie sehr der Wirt des friedlichen Mungos der sinnenfrohen Frau verfallen ist. Saaroni lässt ihn eine Weile zappeln, wendet sich ein paar Bekannten und schließlich auch Lokapriya zu, dem sie eine Anstellung als Erzieher ihrer Kinder anbietet. Sie erzählt den Anwesenden, dass der bisherige Erzieher entlassen werden musste, als er es zugelassen hat, dass zwei ihrer jüngeren Söhne allein mit dem Boot auf den Fluss hinaus gerudert sind. Lokapriya ist unsicher, ob er dieses Angebot annehmen soll, denn er liebt seine Wanderungen durch Dégringolade und eine Vollzeitbeschäftigung als Hausangestellter läuft seinem Naturell entgegen. Zunächst versucht er, Saaroni zu einer halben Stelle zu überreden, aber die Dame will davon nichts wissen: „Dann suchen wir ja immer noch einen Erzieher! Du musst dich schon entscheiden, Rind! Ganz oder gar nicht!“ Lokapriya zögert mit einer endgültigen Antwort, fasst aber die Gelegenheit beim Schopf und versucht Saaroni dazu zu bringen, sich Gesprächen zu öffnen, in denen ein intensiverer Austausch zwischen Menschen und Minotauren diskutiert wird. Saaroni blickt Lokapriya bei diesen Worten völlig verständnislos an. Sie sagt: „Ist das eine Zusage? Als Erzieher meiner Kinder wirst du zwangsläufig einen intensiven Austausch mit Menschen haben.“ Seufzend erklärt ihr Lokapriya, dass er sie in Kürze über seine Entscheidung benachrichtigen wird.

Nachdem Saaroni sich wieder anderen Bekannten zugewandt hat, diskutieren die anwesenden Minotauren, ob sich nicht irgendein anderer Bekannter um die freie Erzieherstelle im Hause Empyreus bemühen sollte. Letztlich führen die Überlegungen aber zu keinem endgültigen Entschluss und Lokapriya sagt: „Es sieht so aus, als sei es zuerst meine Entscheidung. Gebt mir eine Weile dafür, Gefährten!“

Am frühen Nachmittag sind die Angelegenheiten der Minotauren in der Gaststätte zum friedlichen Mungo abgeschlossen und auch die Verbliebenen gehen getrennte Wege.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:27
Als der erste Advokat, Saibhang, in die Seide zurückkehrt, wird er sofort zu Haigaram Ooryphas bestellt, der im Innenhof auf ihn wartet und ein Donnerwetter über ihm entlädt: „Schau dir die Becken mit den Nachtfischen an! Sie sehen erbärmlich aus. Wie kann das sein? Hat der Fischer seine Netze verloren? Wenn er nicht in der Lage ist zu liefern, musst du eben einen anderen beauftragen. Kümmere dich darum!" Saibhang versucht seinen Arbeitgeber zu besänftigen: „Herr, er wird die fehlenden Fische schon bald nachliefern, das verspreche ich! Ich möchte euch außerdem darum bitten, den Minotauren wieder einzustellen, der erst kürzlich Vater geworden ist. Er hat ein Kindermädchen gefunden, sodass er keinen Bedarf mehr danach hat, seinen Sohn hier in der Seide großzuziehen. Ich weiß, ihr habt die Wache erst kürzlich entlassen, wenn ihr aber bedenkt…“ Haigaram Ooryphas ist während der Worte Saibhangs schon rot angelaufen. Er sagt: „Wer stellt hier eigentlich die Bediensteten ein? Du oder ich? Ich entlasse den Fischer, du entscheidest, dass er eine zweite Chance verdient. Ich entlasse den Minotaurenvater, du entscheidest, dass er zurückkommen kann! Was soll das?“ Nach einem kurzen Zögern fährt er fort: „Ich lasse mich auf höchstens ein Zugeständnis ein. Wen willst du haben, Saibhang? Den Fischer oder den Vater?“ Saibhang ringt um eine Antwort, sagt dann aber schließlich verzweifelt: „Den Vater, Herr. Stellt den Vater wieder ein!“ Haigaram Ooryphas antwortet: „So sei es. Und spätestens morgen stellst du mir einen neuen Fischer vor, der von nun an Nachtfische liefert. Verstanden?“ „Ja, Herr“, antwortet Saibhang.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:29
Ungefähr zur gleichen Zeit streift der Philosoph Lokapriya an einigen Gärten vorbei auf ein Feld zu, auf dem ein weitläufiges einstöckiges Gebäude mit einem zentralen Kuppeldach steht. Lokapriya stößt vorsichtig einen Türflügel auf, betritt eine von der Nachmittagssonne durchflutete Halle und betrachtet die hier versammelten Urnen und Grabbeigaben. Die Stille des Ortes lässt den Minotauren frösteln. Es ist ihm unheimlich. Trotzdem macht er sich auf die Suche und liest die Namenszüge, die in die Urnen eingraviert sind. Schließlich findet er, was er gesucht hat: Die Urne von Synesia Empyreus. Lokapriya legt Goulizas Schatulle vor der Urne ab, muss dann aber mit Entsetzen feststellen, dass ihr Deckel klappert. Schließlich erfüllt eine leise Stimme den Raum, die dem Minotauren zuflüstert: „Öffne die Schatulle!“ Zitternd tut Lokapriya, was von ihm verlangt wird. Da entweicht der Urne eine kleine graue Wolke, die blitzschnell in die Schatulle schießt und dort wie ein Tornado in Miniaturformat um die Amphore herumwirbelt. Überrascht schaut der Philosoph in die Schatulle, aus der nun die Worte zu vernehmen sind: „Ich danke dir für die Rückgabe der Schatulle. Deine Ehrlichkeit soll belohnt werden. Wenn du die Amphore in das Kästchen ausgießt, werde ich dir einmal zu Diensten sein. Danach aber musst du die Schatulle zu meiner Urne zurückbringen.“ Zögernd steckt Lokapriya die Schatulle ein und murmelt dabei: „So sei es, Synesia. Ich danke dir!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:35
Etwas später erreicht der Anführer den Gutshof von Sulpicio Niger und stellt fest, dass er etwas zu spät ist. Vor dem Haus steht ein großer Käfigwagen, auf dessen Kutschbock ein Fuhrknecht sitzt. Kaum hat ihn der Anführer entdeckt, da geht auch schon die Tür des Hauses auf und drei weitere Männer führen die jungen Minotauren nach draußen, die hier im Haus als Holzsammler tätig waren. Man hat den Minotauren Halseisen und Fesseln angelegt. Die Fuhrknechte sperren die Holzsammler in den Käfig, setzen sich zu viert auf den Kutschbock und rumpeln davon.

Der Anführer nimmt die Verfolgung auf. Er verbirgt sich hinter Hausecken und hastet in günstigen Momenten dem Käfigwagen hinterher. Allmählich gelangt er zum zentralen Platz von Dégringolade, wo die Kriegersklaven verkauft werden und das Amphitheater nicht mehr weit ist. Normalerweise steht der Platz voller Händler und Stände, aber es geht langsam auf den Abend zu, weshalb nicht mehr allzu viel Betrieb ist. Aus der Entfernung sieht der Anführer, wie zwei der Fuhrleute vom Wagen absteigen und auf das Amphitheater zugehen. Sie klopfen an einer Tür im Hauptportal des finsteren Gebäudes, worauf sich eine Luke öffnet und ein Gespräch beginnt, von dem der Anführer aber nichts mitbekommt. Vorsichtig winkt er den drei Holzsammlern zu. Einer von ihnen springt auf und beißt sich aufgeregt in seine Hand. Einer der auf dem Kutschbock sitzenden Fuhrleute ist genervt: er nimmt seinen großen Knüppel und haut mit ihm einmal hinter sich gegen die Gitterstäbe des Käfigs. Die Gefangenen zucken zusammen und schweigen.

Nun versucht der Anführer mit den beiden verbliebenen Fuhrknechten ein Gespräch zu beginnen. Er erfährt, dass Sulpicio Niger die Minotaurendiener an die Gladiatorenkämpfe verkauft habe, weil sie ihm weggelaufen sind. Niger will acht Samenkörner pro Minotaur, was eigentlich kein Problem sei. Umso erstaunlicher sei es, dass an der Tür des Amphitheaters so lang verhandelt wird. Der Anführer meint, es sei sicherlich einfacher, die Minotauren an die Seide zu verkaufen. Dort suche man neue Diener. Einer der Fuhrknechte meint aber: „Sulpicio Niger will die Sklaven bestrafen. Wir sind ausdrücklich angewiesen, sie an das Amphitheater zu verkaufen.“ Eine Weile kann der Anführer das Gespräch noch fortsetzen und ein dritter Fuhrknecht geht zur Tür am Amphitheater um nachzusehen, warum die Verhandlungen so lange dauern. Der Anführer schaut sich die hölzernen Stäbe des Gitterwagens an, er betrachtet den letzten Fuhrmann, schaut sich um, aber es fällt ihm keine Möglichkeit ein, seine Schützlinge zu retten. Schließlich kommen die drei Fuhrknechte mit einem grobschlächtigen Mann vom Amphitheater zurück. Einer von ihnen sagt zu dem letzten Fahrer auf dem Kutschbock: „Er will sehen, ob sie kräftig genug sind. Dann will er acht Samenkörner für sie zahlen.“ Der Mann vom Amphitheater begutachtet die jungen Holzsammler und nickt schließlich. Samenkörner wechseln ihre Besitzer, dann führen die Fuhrknechte die Gefangenen ins Amphiteater. Als letzten verzweifelten Versuch fragt der Anführer den Mann vom Amphitheater: „Herr, brauchen sie nicht noch eine Arbeitskraft im Amphitheater?“ Der Grobian schaut ihn einen Moment an und sagt dann: „Komm mit!“

Der Anführer folgt ihm ins Amphitheater und gelangt in einen Keller, in dem die Gladiatorensklaven in Käfige gesperrt sind. Er sieht, wie die drei jungen Minotauren in einem Käfig angekettet werden, folgt seinem Führer an dem Käfig vorbei und gelangt in eine Wachstube, in der sich etwa sieben Bewaffnete aufhalten. Der grobschlächtige Mann dreht sich um und sagt zu den Wachen: „Den hier haben wir umsonst bekommen. Fasst ihn!“ Die sieben Wächter packen ihre Speere und rücken gegen den Anführer vor, der sich einen Moment tapfer wehrt, aber schon bald unterliegt. Auch er wird gefesselt und zu den drei Holzsammlern in den Käfig gesteckt. Auch er wird angekettet.

„Flussgesegneter!“, raunen ihm die jungen Gefährten zu. „Du bist gekommen um uns zu retten?“ „Wir werden sehen, ob das gelingt!“, antwortet der Anführer. „Was ist überhaupt geschehen?“ Die drei Holzsammler erzählen ihm ihre Erlebnisse seit sie in den frühen Morgenstunden von den Häschern Sulpicio Nigers ergriffen wurden. „Der Herr war zornig. Er hat gebrüllt, er wolle ein Exempel an uns statuieren. Dann hat er uns für die Gladiatorenkämpfe an das Amphitheater verkauft.“ „Habt ihr ihm denn nicht gesagt, dass ihr mich besucht?“ „Aber Flussgesegneter! Das ist doch verboten!“, lautet ihre Antwort. Der Anführer seufzt tief.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:39
Am frühen Abend stehen der Sänger und der zweite Advokat vor dem Theater des Saemauug Empyreus und warten auf ihre beiden Ensemblemitglieder. Schon bald erscheinen zwei weitere Minotauren und stellen sich zu ihnen. Zunächst sind die Minotauren etwas unschlüssig, dann aber öffnet sich die Tür des Theaters. Soeben endete eine Vorstellung und eine Gruppe von Besuchern verlässt den Ort. Der zweite Advokat sagt: „Das ist eine Gelegenheit! Singt!“ Und so erklingt Ashtavedes neues Lied am Theaterplatz. Viele Theaterbesucher bleiben stehen. Es gefällt nicht jedem, dass Minotauren ungefragt Gesänge von sich geben, die meisten hören aber zu. Dank der glockenklaren Stimme des Sängers ist der Text gut zu verstehen und vielen der Anwesenden wird deutlich, dass das Lied von einer Minotaurenversammlung handelt. Allmählich entsteht Unruhe und einige Menschen beginnen miteinander zu streiten. Dann aber bauen sich fünf jugendliche Heißsporne vor den Minotauren auf und rufen: „Lasst uns den gelungenen Abend mit einem Besuch in der Seide abrunden, einverstanden? Wir haben sogar Sänger, seht her! Hier, Rinder, habt ihr ein paar Samenkörner, jetzt kommt mit und singt für uns und unsere Damen in der Seide!“ Die Minotauren sind einverstanden und folgen den jungen Männern.

An der Tür werden sie vom ersten Advokaten Saibhang begrüßt. Die Männer erklären ihm großspurig, dass sie eigene Musiker mitgebracht hätten, die im Innenhof für musikalische Unterhaltung sorgen würden. Saibhang sagt: „Ein ungewöhnliches Ansinnen, meine Herren, aber wir werden eine Ausnahme machen. Tretet doch ein!“

Im Innenhof schaut Saibhang eine Weile lang den Vorbereitungen der singenden Minotauren zu. Dann kommt ein Bote herbeigelaufen und spricht ihn panikhaft an: „Saibhang! Schnell zu Halifa, es ist etwas Schlimmes geschehen!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:40
Sekunden später betritt der erste Advokat, Saibhang, das Zimmer Halifas. Ein Freier liegt auf ihrem Lager, dem Saibhang sofort ansieht, dass es nicht zum Besten mit ihm bestellt ist. Saibhang ruft: „Einen Arzt, schnell!“ Dann lässt er sich von Halifa ein Reinigungsöl geben und säubert den zuckenden Mann. Als er ihm sein Hemd ausziehen will, bemerkt er in der Brusttasche ein Lederbeutelchen. Saibhang nimmt es heraus, sieht hinein und findet ein paar Reste Ziegenkraut: ein starkes Aphrodisiakum. Dann sagt er zu Halifa: „Sieht fast so aus, als seien die Wonnen zu groß gewesen, die ihr mit ihm geteilt habt, meine Dame!“ Kurz darauf macht er bei seinen Beatmungsversuchen einen fatalen Fehler: Krachend drückt er dem Freier seinen Brustkorb ein. Der Mann schaut Saibhang ein letztes Mal mit großen Augen an, dann rührt er sich nicht mehr. „Wo bleibt der Arzt?“, ruft Saibhang erregt, springt auf, rennt nach draußen und läuft dort direkt den herbeieilenden Mediziner über den Haufen. Saibhang selbst geht ebenfalls zu Boden und verletzt sich erneut am Knöchel, der vom Wakwak-Angriff im Dschungel sowieso noch schmerzte. Saibhang verliert das Bewusstsein.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:43
Während dieser Vorkommnisse beginnen die fünf jugendlichen Heißsporne im Innenhof sich mit den anwesenden Damen zu unterhalten. Das Gesangsquartett der Minotauren stellt sich auf und beginnt: Erneut erklingt Ashtavedes neuer Gesang. Auch hier erregen die Sänger Aufmerksamkeit. Nach einer Weile betritt der Musiker Anâzhar Shahin den Innenhof und hört den vier Minotauren aufmerksam zu. Offenbar gefällt ihm, was er zu hören bekommt. Er holt seine Krokodilzither und begleitet die Sänger dezent. Die Anwesenden Menschen reagieren ähnlich wie vor dem Theater des Saemauug Empyreus. Einige genießen die Musik, andere aber achten auf den Text und sind irritiert. Eine Stimme erklingt: „Da gab es doch einmal so einen Vorfall mit den Rindern im Fluss! Was ist das denn für ein Lied, das ihr da singt?“ Ein anderer Anwesender will wissen: „Was wollen die Rinder eigentlich im Fluss?“ Schon ist hin und wieder in warnendem Ton das Wörtchen „Aufstand“ zu hören. Ein Anwesender meint: „Das Lied behauptet jedenfalls, zwischen den Rindern im Fluss befänden sich auch Menschen!“ Ein anderer wiederum entgegnet, bei der letzten Versammlung dieser Art seien jedenfalls keine Menschen anwesend gewesen. Ein aufgebrachter Freier fragt mit schriller Stimme, ob sich wieder so eine Rinderherde versammeln will, um ihre widerlichen Fäkalien im Fluss zu entleeren. Die Meinungen der Anwesenden sind unterschiedlich. Einige wohlwollende Worte fallen aber auch deshalb, weil die Minotauren zusammen mit Anâzhar Shahin ausgesprochen wohlklingend musiziert haben. Irgendwann wird es trotzdem brenzlich und Streit entsteht. Der zweite Advokat schickt sich an eine Ansprache zu halten und beginnt lautstark über gerechte Lebensbedingungen für Minotauren zu sprechen. Anâzhar Shahin aber zieht ihm am Umhang und sagt: „Nicht jetzt! Singt noch einen Durchgang auf „Lalala“. Erneut erklingt die Krokodilzither und die berückenden Gesänge lassen sich diesmal auch ohne brisanten Text genießen. Der zweite Advokat lässt es sich hinterher allerdings nicht nehmen, den etwas ruhiger gewordenen Anwesenden deutlich zu machen, dass ihm an einem friedlichen und gleichberechtigten Miteinander von Mensch und Minotaur gelegen ist. Auch jetzt noch erregen seine Worte die Gemüter. Jemand ruft: „Geht es in dem Lied um eine bevorstehende Versammlung?“ Ein zweiter fragt: „Haben sich für diese Versammlung wirklich Menschen angekündigt?“ und schließlich will jemand wissen: „Wollt ihr hier die anderen Diener und Sklaven dazu überreden ihre Arbeit zu verlassen?“ Immerhin kommt es nicht zu offener Gewalt gegen die Sänger. Ein paar Kissen fliegen, zwei oder drei Ständer für die Irrlichtkescher werden umgeworfen, man gewährt den Minotauren aber einen friedlichen Abzug. Vor der Tür behauptet der zweite Advokat: „Das war doch ein großer Erfolg, nicht wahr?“ Der Sänger und die beiden anderen Minotauren nicken vorsichtig.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:46
Am Ende dieser chaotischen Nacht schaut Haigaram Ooryphas in Halifas Zimmer vorbei und stattet dem ersten Advokaten, Saibhang, einen Besuch ab. Der Minotaur hat sein Bewusstsein wieder erlangt und es geht ihm etwas besser. Der Besitzer der Seide sagt: „Was für ein Haufen Mist! Wir werden sehen, ob der verstorbene Kunde Auswirkungen auf´s Geschäft haben wird. Bis es aber soweit ist: Trinke, Saibhang!“ Er reicht dem Minotauren mit etwas gönnerhafter Geste einen großen Humpen muhawu-Schnaps. Eine Weile trinken Mann und Minotaur schweigend und das berauschende Getränk steigt ihnen zu Kopf. Dann sagt Haigaram Ooryphas: „Bist du in Ordnung? Der Innenhof muss noch etwas aufgeräumt werden. Das meiste ist erledigt, aber die Irrlichtkescher müssen noch in die Ständer gestellt werden.“ Saibhang antwortet, er könne sich darum kümmern. Ooryphas sagt daraufhin: „Lass´ aber vielleicht mit deinem besoffenen Schädel die Irrlichter selbst besser in Ruhe.“

Im Innenhof angekommen betrachtet Saibhang das über ihm befindliche Flechtwerk, das den Ort als eine Art Dach abschirmt. Zwischen den bunten Bastfasern tummeln sich einige kleine, leuchtende Flugwesen. In der Nähe liegen Kescher, mit denen einige der Freier zu ihrem Zeitvertreib wohl Jagd auf die Irrlichter gemacht haben. Saibhang hebt einen der Kescher auf, blickt zu den leuchtenden Wesen, denkt an die Worte seines Arbeitgebers, überlegt sich, wie besoffen er eigentlich wirklich ist, spürt seinen schmerzenden Knöchel und beschließt endlich, dass eine Jagd auf Irrlichter in seinem Zustand keine gute Idee ist. Er stellt die Irrlichtkescher in die dafür vorgesehenen Ständer und geht zu Bett.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.02.2021 | 11:49
Die letzten Kunden verlassen die Seide. Auf einige von ihnen warten vor der Tür ihre Bediensteten in Gestalt einiger Minotauren. Die Nachtschwärmer begeben sich zur Anlegestelle der Fähre und warten auf die erste Überfahrt in der Morgendämmerung. Etwas abseits der ehrenwerten Herren halten sich die Minotauren auf, die sich gegenseitig die neuesten Gerüchte erzählen.

Der Sänftenträger von Lycus Tyranus: Habt ihr gehört wie sie gesungen haben?

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Ja, sie waren vorher schon vor dem Theater des Saemauug Empyreus. Die trauen sich etwas!

Der Leibwächter von Urbicus Maniakes: Schade. Ich hätte es gern gehört. Der Herr wollte aber vorher unbedingt zum friedlichen Mungo. Das war nichts los. Was wurde denn gesungen?

Der Kammerdiener von Enomius Gregoras: Das Lied war unbekannt. Es ging um irgendein Opfer.

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Es ging um Lalala!

Der Sänftenträger von Lycus Tyranus: Es ging um Minotauren und Menschen.

Der Kammerdiener von Enomius Gregoras: Es soll einen Minotauren gegeben haben, der die Menschen gereizt hat. Sie sind wohl regelrecht aggressiv geworden!

Der Sänftenträger von Lycus Tyranus: Das war der Gehilfe von Mujeeb Gashkari. Hinterher hat der noch irgendetwas von Gewaltverzicht erzählt, die Menschen haben ihm zugehört, er wurde nicht geschlagen oder festgenommen und die Menschen sind hinterher ganz friedlich nach Hause gegangen!

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Wenn das mal stimmt! Ich hatte den Eindruck, die Sänger kamen nur knapp mit dem Leben davon!

Der Kammerdiener von Enomius Gregoras: Es wurde wohl auch von einer Versammlung berichtet, die kein feindseliger Akt gegen die Menschen darstellen soll. Die Sänger haben die Menschen darum gebeten, die Minotauren bei dieser Versammlung gewähren lassen sollten.

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Volksansprachen im Bordell! Ob das so sinnvoll war? Die Herren hatten doch sicherlich eher die freizügigen Damen im Sinn!

Eine Weile schweigen die Minotauren. Dann:

Der Leibwächter von Urbicus Maniakes: Seltsam. Im friedlichen Mungo gab es auch Minotauren, die von einem Opfer getuschelt haben. Vielleicht gehörten sie auch zu den Sängern.

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Mein Herr wollte hinterher von mir wissen, ob ich irgendwelche Informationen über ein Rinderopfer hätte. Das hat scheinbar auch irgendetwas mit den Sängern zu tun.

Der Leibwächter von Urbicus Maniakes: Ein Rinderopfer? Wann soll das denn stattfinden?

Der Sänftenträger von Lycus Tyranus: In zwei Tagen! Ich weiß es von einer weiteren Sängergruppe, die auf dem Platz vor dem Amphitheater aufgetreten ist. Das waren mutige Gestalten! Kurz vor ihrem Auftritt sind noch vier unserer Brüder in den Schlünden des Gebäudes verschwunden, die dort demnächst wohl als Futter für die wilden Tiere herhalten müssen. Und diese Sänger dort tun so, als würde das Recht auf ihrer Seite sie unverwundbar machen!

Der Leibwächter von Urbicus Maniakes: Vielleicht sollte der Gehilfe von Mujeeb Gashkari mal vor der versammelten Mannschaft im Amphitheater sprechen. Der Bruder scheint ja mit jedem Wort, das er sagt, den Frieden zu bringen!

Der Spaßmacher von Pyrgopolynices Apelles: Den ewigen Frieden, ja…
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 18:58
10

Fernab der Pfade,
wo im Dickicht niemand mehr weiß, ob er dem Bach flussabwärts oder flussaufwärts folgt,
wo die Berührungen der Farne zarte Liebkosungen vortäuschen,
wo unsichtbare Chöre aus allen Richtungen nicht enden wollende Schlaflieder singen
und wo die üppigen Gerüche unbekannter Blumen die Schwerkraft aufzuheben scheinen,
verwandeln sich alle Gewissheiten in Zweifel.
 
Wer den Dingen auf den Grund gehen will,
kann verschüttet werden.
 
Die Vorsicht lockt mit Oberflächen.
Das Wagnis schafft Neugier
auf den Geschmack der Erde.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 18:59
Ich spiele ein Video ab, in dem eine Frau auf einer Krokodilzither spielt.

Der Klang der gezupften Saiten vermischt sich mit den hellen Tönen kleiner Zimbeln.

Manchmal drehen sich die Töne im Kreis.
Manchmal ziehen sie in die Ferne.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:01
Noch in derselben Nacht erleben der Anführer und die drei Holzsammler in ihren Käfigen unter dem Amphitheater, wie am Ort ihrer Gefangenschaft spät in der Nacht Ruhe einkehrt. Nach der Speisung der Gladiatoren verlässt das auf der anderen Seite der Halle arbeitende Küchenpersonal nach und nach den Raum. Zwei Wachen beziehen auf gegenüberliegenden Seiten der Käfige ihre Posten. Ein junges Mädchen, das bei der Essenszubereitung geholfen hat, trödelt noch ein wenig herum.

Der Anführer fragt seine Schutzbefohlenen, wie es ihnen geht. Ein Holzsammler klagt über den Eisenring an seinem Knöchel. Ein anderer hat Hunger. Die Gefangenen haben den ganzen Tag den Köchen zugesehen und nichts zu essen bekommen. Der Anführer macht die Wachen darauf aufmerksam: „He, bekommen wir nichts zu essen? Wir haben Hunger!“ Eine der Wachen schaut überrascht auf, überlegt einen Moment und zuckt dann mit den Schultern. Sie geht zu dem Mädchen, schaut nach, ob etwas übriggeblieben ist und kommt dann mit ein paar Feigen zurück, die sie dem Anführer und den drei Holzsammlern in den Käfig wirft. Die Minotauren essen.

Irgendwann zieht das Mädchen aus einer Kiste eine Flasche hervor. Sie hockt sich in eine Ecke, fängt an zu schluchzen und beginnt zu trinken. Der Anführer schaut ihr zu. Irgendwann ist das Mädchen betrunken. Sie erhebt sich unsicher, sucht mit den Händen nach Halt und schwankt in Richtung Ausgang. Dabei lallt sie: „Ayatashatru, du mieses Stück Scheiße!“ Die Wachen schauen sich an und schütteln mit ihren Köpfen. Der Anführer und die Holzsammler legen sich schlafen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:04
Am nächsten Morgen ruft Porfirio Empyreus seinen Masseur zu sich. Der zweite Soldat eilt herbei. Sein Herr spricht: „Rind, ich habe einen Moment gezögert, die Schmerzen in meiner Brust lassen mir aber keine Wahl. Ich beauftrage dich mit einer Expedition zum Belugha See. Bring mir die Leopardenlibellen, von denen der Arzt gesprochen hat!“ Der zweite Soldat nickt ernst und fragt: „Herr, sicher wollt ihr, dass mein Unternehmen von Erfolg gekrönt sein wird. Erlaubt mir deshalb, dass ich einen Gefährten mitnehme!“ Porfirio fragt: „An wen hast du dabei gedacht?“ „Wisst ihr, Herr, ich bewundere eure Standhaftigkeit beim Verzicht auf den Konsum der Schnecken. Ich denke daher, dass ihr den Schneckengärtner noch eine Weile entbehren könnt!“ Porfirio Empyreus tritt der Schweiß auf die Stirn. Dann sagt er: „Heißt das, dass ich während eurer Abwesenheit gar keine Gesellschaften mehr geben kann? Das geht zu weit, Rind!“ Der zweite Soldat beschwichtigt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Auswirkungen so gravierend sein werden, Herr! Aber lasst uns doch den Gärtner selbst fragen!“ Porfirio nickt.

Der zweite Soldat geht in den Garten. Er informiert seinen Gefährten, der sich bereit zeigt, ihn auf der Expedition in den Dschungel zu begleiten. Dann folgt er ihm ins Zimmer des Herrn. Porfirio fragt: „Gärtner, wenn du mit dem Masseur im Dschungel verschwindest – gibt es dann hier keine Schnecken mehr?“ Der erste Soldat sagt: „Oh doch, Herr. Ein oder zwei Wochen Abwesenheit wirken sich nicht allzu gravierend aus. Ich werde einen eurer Diener über die allernotwendigsten Maßnahmen während meiner Abwesenheit informieren.“ Porfirio sagt: „Gut denn, dann könnt ihr euch zu zweit auf den Weg machen!“ Der zweite Soldat sagt: „Herr, ich nehme an, dass ich die nötige Ausrüstung mitnehmen darf!“ Porfirio nickt. Dann fragt der zweite Soldat: „Wisst ihr übrigens, Herr, wo der Belugha See liegt?“ Porfirio Empyreus schaut ihn irritiert an und sagt: „Nein. Das werdet ihr wohl selbst herausfinden müssen.“ Der zweite Soldat seufzt, verbeugt sich und verlässt mit dem ersten Soldaten zusammen den Raum.

Nach der Zusammenstellung der Ausrüstung sagt der erste Soldat: „Lass uns den Fischer nach dem Belugha See fragen. Er kennt sich mit Gewässern aus. Der zweite Soldat stimmt zu. Die beiden Minotauren machen sich auf den Weg zum Haus des Anführers, finden dort aber nur Mujeeb Gashkari. „Wo ist der Fischer, Orakelmann?“, will der zweite Soldat wissen. Mujeeb sagt: „Die drei jungen Holzsammler sind gefangen worden. Der Fischer hat sich auf den Weg gemacht um sie zu finden und zu befreien.“ Etwas unschlüssig schauen sich die Soldaten an. Dann sagt der zweite Soldat: „Gefangene befreien? Das hört sich gefährlich an. Ich wäre da sehr vorsichtig!“ Und der erste Soldat fügt hinzu: „Kannst du uns wenigstens mit einem hilfreichen Orakelspruch helfen? Wir suchen den Belugha See.“ „Belugha See?“, fragt Mujeeb. „Wo soll das sein?“ „Irgendwo im Dschungel“, antwortet der zweite Soldat. „Im Dschungel?“, ruft Mujeeb. „Habt ihr nicht gesagt, ihr wärt ein vorsichtiger Minotaur?“ Der zweite Soldat seufzt und sagt: „Du hast Recht, Orakelmann. Uns steht eine gefährliche Mission bevor.“ Mujeeb murmelt: „Belugha See… ich habe davon gehört. Er liegt irgendwie nordsüdlich, ach, ich weiß nicht mehr so genau, ich habe es vergessen.“ „Und ein Orakel? Kannst du ein Orkale für uns legen, Mujeeb?“, fragt der erste Soldat. „Also gut“, sagt Mujeeb. „Zwar ist mein Assistent von seinen nächtlichen Gesangsauftritten noch nicht zurück, aber vielleicht bekomme ich das auch allein hin. Setzt euch!“

Mujeeb und der zweite Soldat nehmen sich Essstäbchen, angeln mit ihnen eine Biene aus Mujeebs verschließbarem Becher, ertränken sie in Zuckerwasser und zerkauen sie dann. Schließlich reicht Mujeeb dem zweiten Soldaten den Schlund des Schicksals und der zweite Soldat zieht ein paar Holzplättchen aus der qualmenden Holzschale. Mujeeb beugt sich über die Plättchen und betrachtet sie aufmerksam. Dann sagt er: „Es hat etwas mit dem Wind zu tun. Ihr müsst dem Wind folgen. Wenn ihr dem Wind folgt, bringt er euch zum Belugha See.“ Mujeeb steckt einen Finger in den Mund und hält ihn in die Luft. „Dort entlang“, sagt er und zeigt über den Fluss in Richtung Norden. Etwas zögerlich stehen die Soldaten auf und verabschieden sich. „Danke, Orakelmann“, sagt der zweite Soldat. „Ich hoffe, dass wir uns wiedersehen!“ Dann machen sich die beiden Minotauren auf den Weg.

Einige Stunden später stehen sie im Dschungel und stellen fest, dass sie tatsächlich dem Wind gefolgt sind, denn ein Sturm kommt auf und zerzaust ihr Fell. Die Böen bringen erzeugen Probleme: Von morschen Bäumen brechen zentnerschwere Äste ab, ganze Bäume fallen um. Die Soldaten können kaum erkennen, welche Bäume morsch sind und sind völlig damit beschäftigt den Gefahren auszuweichen. Irgendwann erreichen sie zwar einen Bereich, in dem der Sturm weniger stark wütet, aber sie haben jegliche Orientierung verloren. Ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollen, irren sie weiter im Urwald herum.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:05
Am Vormittag verlässt Saibhang, der erste Advokat, die Seide. Er macht sich auf den Weg zum Anführer und will ihm die unangenehme Botschaft überbringen, dass der Besitzer der Seide, Haigaram Ooryphas, einen anderen Fischer mit der Lieferung von Nachtfischen für die Becken im Innenhof beauftragen lassen will. Als er die Fischerhütte kurz nach den beiden Soldaten erreicht, trifft er auch nur Mujeeb Gashkari an. Er bekommt ebenfalls die Information, dass sich der Anführer auf der Suche nach ein paar gefangen genommenen Minotauren befindet und im Moment nicht zu sprechen ist. Mit leichtem Bedauern verabschiedet sich Saibhang von ihm und macht sich auf den Weg zum nächsten Fischmarkt.

Eine Weile beobachtet Saibhang die ihre Waren anpreisenden Fischer, dann entdeckt er den Fischer Gulal, den Konkurrenten des Anführers, der ein Stück weiter flussabwärts sein Fanggebiet hat und vor einigen Tage noch Flussdelfine an den Koch Chaman-Gul lieferte. Saibhang nickt ihm zu und Gulal grüßt ihn zurück. Schließlich sagt Saibhang: „Höre, Gulal, die Seide braucht einen neuen Lieferanten für Nachtfische. Meinst du nicht, dass du das übernehmen kannst?“ Gulal ist über das Angebot erfreut und erklärt sich bereit, das Etablissement zu beliefern. „Es sind drei Becken zu füllen“, sagt Saibhang. „Das sollte kein Problem sein“, meint Gulal und reicht dem Minotauren die Hand. Saibhang ergreift sie, zögert ein wenig und fragt dann: „Sag mal, Gulal, wie kommt es eigentlich, dass du Flussdelfine liefern konntest? Die sind doch ziemlich selten!“ Gulal grinst und meint: „Du brauchst einen Blick dafür! Wenn ihre silbernen Leiber sich dicht unter der Wasseroberfläche entlang bewegen, erzeugt das einfallende Licht ein ganz spezielles Glitzern. Wenn du es kennst und aufmerksam bist, weißt du, wann die Flussdelfine da sind.“ „Mhm“, sagt Saibhang und fügt hinzu: „Dann also bis morgen! Ich erwarte dich mit einer kompletten Lieferung Nachtfische. „In Ordnung“, sagt Gulal.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:06
Der Anführer betrachtet inzwischen nachdenklich von seiner Zelle aus das Küchenmädchen bei seiner Arbeit. Die jungen Holzsammler haben ihm erzählt, dass es sich bei der Person, der das Küchenmädchen offenbar grollt, um einen Sohn von Porfirio Empyreus handelt. Der kleine Mabasser hat von seinem Bruder erzählt, als der Sänger mit ihm gespielt hat. Nach dieser Gedächtnisstütze fiel dem Anführer ein, dass es sich bei Ayatashatru um den ältesten Sohn des Hauses handelt. Nun sinnt er auf eine Möglichkeit, das Küchenmädchen auf irgendeine Art und Weise zur Hilfe bei einer flucht aus dem Kerker zu gewinnen. Die Umstände sind aber wenig aussichtsreich.

Dann aber fällt dem Anführer eine Bewegung auf dem Boden der Halle auf. Ein Insekt krabbelt an den Vorratstruhen entlang, durchquert die freie Fläche in der Mitte der Halle und läuft dann zwischen den Gittern vorbei durch einige der Zellen. Schließlich ist es auch in der Zelle des Anführers angekommen und dieser erkennt, dass es sich um einen Blatthornkäfer handelt. Der Anführer denkt nach: Als er mit Mujeeb Gashkari, seinem Assistenten und den beiden Soldaten in der Bibliothek unter der Schule von Khostalush nach einer Erklärung für die Verse aus dem Gartenhaus Porfirio Empyreus´ suchte, berichtete der zweite Soldat von einem Blatthornkäfer, der mit ihm gesprochen habe. Der Anführer betrachtet das Tier genauer und spricht leise: „Na Kleiner, suchst du etwas?“ Erstaunt vernimmt er die Antwort des Tieres, die ein wenig nach dem Rascheln von Papyrus klingt: „Etwas Respekt, wenn er zu bekommen ist!“ Der Anführer nimmt den Käfer, setzt ihn auf seine Schulter und beginnt im Flüsterton ein Gespräch mit ihm. Er erfährt, dass der Blatthornkäfer Ramesh heißt und auf der Suche nach Heldentaten ist. „Hier allerdings“, sagt der Käfer und wirft einen Blick in die umliegenden Käfige und die dort gefangenen bemitleidenswerten Gestalten, „…ist wohl kaum mit etwas derartigem zu rechnen.“ Der Anführer spricht: „Du könntest uns helfen und so selbst für Heldentaten sorgen!“ Der Käfer ist interessiert und will wissen, was er tun muss. Der Anführer spricht: „Krabbele zu der Küchenmagd und erzähle ihr, dass ich Ayatashatru kenne! Sie muss neugierig werden. Wenn sie mehr wissen will, muss sie mit mir sprechen.“ „Mal sehen, was ich tun kann“, raschelt der Blatthornkäfer und verlässt den Käfig des Anführers in Richtung der Feuerstellen.

Noch etwas später schlendert die Küchenmagd an den Käfigen entlang. Sie bleibt kurz in der Nähe des Anführers stehen und sagt: „Mein Interesse an Ayatashatru beschränkt sich inzwischen auf Rache!“ Der Anführer verspricht ihr, dabei behilflich zu sein, wenn sie ihm nur zur Flucht verhelfe. Das Küchenmädchen entfernt sich und scheint in einem Kessel rührend nachzudenken. Dann kommt sie zurück, wirft dem Anführer und den drei jungen Holzsammlern ein paar wohlschmeckende Wurzeln und zwei Nägel in den Käfig. Schließlich flüstert sie: „Wenn die Gladiatoren ihr Essen bekommen ist hier nicht viel los. Ich kann euren Käfig öffnen und eine der Wachen ablenken. Um die andere und eure Flucht müsst ihr euch selbst kümmern. Ich bin Tasleem. Vergiss dein Versprechen nicht!“ Der Anführer fragt: „Wie kommen wir von hier aus ins Freie?“ Tasleem antwortet: „Nehmt den Ausgang und haltet euch bei der ersten Kreuzung links. Dann gelangt ihr zum Haupteingang.“ Der Anführer nickt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:07
Die Soldaten bahnen sich einen Weg durch den Dschungel. Was zunächst wie eine große Lichtung aussah entpuppt sich aus nächster Nähe als Sumpfgebiet. Am Rande der morastigen Wasserflächen stehen in den Boden gerammte Pfähle, auf die Schrumpfköpfe aufgespießt wurden. Die Soldaten schüttelt es. Ein paar hundert Schritte weiter ist plötzlich ein seltsames Summgeräusch zu hören. Der zweite Soldat schaut sich um und zeigt plötzlich schräg nach oben. „Schau!“, ruft er seinem Begleiter zu, „irgendetwas fliegt dort zwischen den Bäumen!“ Beide Soldaten versuchen angestrengt etwas zu erkennen. Endlich erkennen sie zwei gewaltige Insektenleiber. Die Bestien sind drei Schritte lang und mehr als zwei Schritte hoch, besitzen rotbraune Panzer, häutchenartige Flügel und schrecklich aussehende, kräftige, nach hinten gerichtete Zangen. „Urwigcas!“, flüstert der erste Soldat und zieht seinen Gefährten in ein nahes Gebüsch.

Während die furchteinflößenden Insekten zwischen den Urwaldbäumen umherfliegen, knackt und kracht es zwischen den Bäumen und ein Trupp Bewaffneter wird sichtbar. Einige der Krieger sind Menschen, andere Minotauren. Sie halten nach den Urwigcas Ausschau, die inzwischen immer engere Kreise um das Gebüsch fliegen, in dem sich die beiden Soldaten versteckt haben. „Sie haben uns entdeckt!“, zischt der zweite Soldat dem ersten zu und tritt mit erhobenen Händen einem Menschen entgegen, der einen Speer wurfbereit in seine Richtung hält. Schließlich spricht er: „Seid gegrüßt! Wir sind zwei Minotauren, die sich verlaufen haben! Kennt ihr den Weg zum Belugha See?“

Der fremde Krieger aber bedroht den zweiten Soldaten weiterhin mit seinem Speer. Die beiden Rieseninsekten schwirren in seiner Nähe zwischen den Lianen des Dschungels hin und her. Etwas unsicher dreht sich der Bewaffnete zu seinen Kameraden um. Schließlich nähert sich ein weiterer Bewaffneter, der die beiden Soldaten anspricht: „Ich sehe, dass ihr euch dem 5. Trupp von General Edison Angelus anschließen wollt! Ich kann euch zu dieser Entscheidung nur beglückwünschen. Sie ermöglicht es euch, euer Leben fortzusetzen. Betrachtet euch von nun an als Gefolge des ruhmreichsten Protagonisten, den der Immerkrieg derzeit aufzuweisen hat.“

Die beiden Soldaten sehen sich an, holen tief Luft, seufzen zweimal und schweigen resigniert. Schließlich fragt der erste Soldat: „Auf was für einer Mission befindet sich unser Trupp, Herr?“ Der Hauptmann sagt: „Wir verfolgen einen Deserteur um ihn seiner gerechten Strafe zu überführen. Für heute reicht es allerdings. Ich habe eine Ahnung, wohin sich der Fahnenflüchtling gewendet haben könnte. Schlagt ein Lager auf! Wir kriegen ihn morgen!“ Die beiden Soldaten bekommen Spaten in ihre Hände gedrückt und machen sich ergeben daran, kleine Gräben auszuheben, in denen das Wasser des Nachmittagsmonsuns ablaufen kann.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:09
Lokapriya, der Philosoph, befindet sich auf dem Weg zur nördlichen Stadtgrenze. Eine Weile lang hat er über das Angebot von Saaroni Empyreus nachgedacht, in ihrem Haus eine Stelle als Erzieher ihrer Kinder anzunehmen, aber die Stimmen des Dschungels sind in seinen Augen dringlicher. Nach der zweifelhaften Begegnung mit der stillen Stimme will Lokapriya in Erfahrung bringen, was die anderen Stimmen über die Situation der Minotauren denken. Daher befindet er sich auf den Weg in den Dschungel.

Im Stadtteil Yannat macht Lokapriya eine beunruhigende Entdeckung. Vor ihm auf der Straße sind ein paar Gestalten unterwegs. An ihrer Spitze läuft ein blasser, hochgeschossener, kahler Mann, dahinter ziehen sechs Minotauren einen großen Karren, auf dem Werkzeuge, Steine und Hölzer gestapelt sind, den Schluss machen zwei Bewaffnete, von denen der eine eine Peitsche trägt, mit der er den wagenziehenden Minotauren hin und wieder Beine macht. An einer Straßenecke hält die Gruppe und der kahlköpfige Mann beginnt zu rufen: „Bürger von Yannat! Habt ihr untätige oder faule Minotauren übrig? Dann schenkt oder verleiht sie unserer Bewegung Stutzen und Sanieren! Wir führen die nutzlosen Rinder einer sinnvollen Tätigkeit zu, lassen sie Häuser restaurieren, Rodungsarbeiten durchführen und ähnliche Tätigkeiten ausführen. Vertrauen Sie uns ihre Diener an, es ist für einen guten Zweck!“ Nach der Ansprache schlägt der Bewaffnete mit Peitsche erneut einmal aufmunternd zu. Ein Minotaur stöhnt schmerzerfüllt. Lokapriya beginnt mit einem der Bewaffneten ein Gespräch und will wissen, was mit den Minotauren geschieht. Er bekommt zur Antwort, dass sie ihrer Vereinigung für eine Weile zur Verfügung gestellt wurden, weil sie von ihren Herren vorübergehend nicht gebraucht werden. Sie ziehen jetzt zum Stadtrand, wo sie gegen den voranrückenden Dschungel kämpfen und sich um zerfallene Gebäude kümmern werden. Lokapriya fragt, ob sie nicht arbeitswilliger seien, wenn sie nicht gepeitscht würden, aber die Antwort des Bewaffneten ist nicht allzu vielversprechend: „Wir brauchen uns um ihre Gesundheit nicht zu kümmern, weil sie sowieso nur ausgeliehen sind. Ein paar Hiebe mit der Peitsche steigern aber die Geschwindigkeit, mit der sie den Wagen ziehen.“

Während Lokapriya um Fassung ringt ruft der kahlköpfige Mann seinen Gefährten zu: „Nichts. Hier hat niemand Rinder übrig, aber Stutzen und Sanieren ist auch noch nicht allzu bekannt. Wir dürfen keine Wunder erwarten. Nur Geduld!“ Noch während der Mann spricht, kommt es Lokapriya so vor, als bilde sich ein Stein in seinem Pansen. Ein nicht zu unterdrückender Zorn steigt in ihm auf und in seinen Ohren dröhnt der Ruf des Dschungels so zwingend, wie nie zuvor. Laut brüllend rennt Lokapriya davon und reicht dadurch an vier der Minotauren, die den Karren ziehen, den Ruf des Dschungels weiter. Die Minotauren zerreißen voller Zorn und Panik ihre Fesseln, fangen ebenfalls an zu brüllen und stürzen in unterschiedlichsten Richtungen davon.

Am Stadttor ist Lokapriyas Drang in den Dschungel zu gelangen nicht geringer geworden, aber er spürt, dass er sein Verhalten etwas besser unter Kontrolle hat. Es gelingt ihm, die sich ihm in den Weg stellenden Torwachen nicht mit seinen Hörnern aufzuspießen, sondern ihnen stattdessen hakenschlagend auszuweichen. Ohne einen Tropfen Blut zu vergießen gelangt er in den Dschungel, rennt weiter und kommt erst ein paar Stunden später erschöpft zur Ruhe.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:10
Die beiden Soldaten haben kein großes Interesse daran, sich im Immerkrieg als Krieger des Generals Edison Angelus verheizen zu lassen. Sie hegen Fluchtgedanken und testen vorsichtig, wie gut die Mitglieder des fünften Trupps auf ihre Kameraden aufpassen. Noch während dem Bau des Nachtlagers kündigt der zweite Soldat an, sich nicht weit entfernt an einer vielversprechenden Stelle nach geeigneten Ästen umschauen zu wollen. Den ersten Soldaten nimmt er mit. Geschäftig rumoren die beiden Minotauren im Unterholz, als ihnen plötzlich aus nächster Nähe eine flüsternde Stimme zuraunt: „Ihr seid doch zwei Minotauren von Porfirio Empyreus, nicht wahr?“ Erstaunt sehen sich die Soldaten um und entdecken in einem Gebüsch in der Nähe den Philosophen Lokapriya. Schnell begreift Lokapriya, in welcher Situation sich die Soldaten befinden. Er schleicht mit ihnen gemeinsam langsam und vorsichtig durchs Unterholz. Zu dritt versuchen die Minotauren sich von den Dschungelkriegern zu entfernen.

Wenig später allerdings ertönt überraschend die strenge Stimme des Hauptmanns: „Wir haben sie! Fasst sie!“ Die Deserteure und Lokapriya zucken zusammen und schon tritt ein Großteil des fünften Trupps mit Speeren bewaffnet auf sie zu. Der Hauptmann fährt fort: „Aha, Sie haben einen Fluchthelfer! Auch dieses Rind hat die Regeln übertreten. Fesselt sie! Ich bin überzeugt davon, dass General Edison Angelus ein Exempel an ihnen statuieren wird. Ein grausamer Tod ist ihnen gewiss!“ Die Minotauren werden gefesselt und in einem der bereits aufgestellten Zelte verstaut.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:11
In der Halle unter dem Amphitheater erscheinen zwei Männer, ein aufrechter, stolzer Krieger und ein beleibter Mann in vornehmer Kleidung. Die beiden Männer begeben sich zu dem Käfig, in dem der Anführer und die drei jungen Holzsammler gefangen sind. Der Krieger baut sich vor den Gefangenen auf, schaut den Anführer aufmerksam an und macht dann ein paar überraschende, schnelle Bewegungen in seine Richtung. Schließlich sagt er: „Ich bin Durokshan und du mein nächster Gegner. Dein körperlicher Zustand ist schlecht, deine Reflexe sind lächerlich, ich werde dich in der Arena zermalmen. Nach einem letzten Blick auf die Volksmenge, die begeistert deinen Untergang bejubelt, wird dich mein Speer durchbohren, dein Blick wird brechen, dein Leib wird in den Sand fallen und deine bedeutungslose Existenz wird enden. Du bist es nicht wert, den Kampf unnötig lang heraus zu zögern. Ich werde kurzen Prozess machen. Wir sehen uns heute Abend, Rind!“ Der Anführer sagt: „Ich nehme an, ich werde unbewaffnet gegen euch antreten. Das Spektakel wird für die Zuschauer wenig attraktiv sein!“ Der Begleiter des Gladiators sagt daraufhin: „Die Natur hat dir Hörner verliehen. Sieh zu, was du damit ausrichten kannst!“ Durokshan aber sagt: „Genug! Jedes weitere Wort hier ist umsonst. Ich habe Hunger.“ Die beiden Männer verschwinden und lassen vier unglückliche Minotauren in ihren Käfigen zurück.

Wenig später leert sich die Halle. Das Küchenpersonal bringt die zubereiteten Speisen in die Räume der Gladiatoren. Neben den Gefangenen befinden sich nur noch die üblichen zwei Wachen hier… und das Küchenmädchen Tasleem. Es beginnt mit einer der Wache ein unverfängliches Gespräch, lässt hin und wieder ein helles Lachen erklingen und schaut ihrem Gesprächspartner ein paar Mal tief in die Augen. Dann macht es sich los. Tasleem behauptet, sie wolle eine Flasche Wein besorgen. Während sie sich entfernt, wird die Wache von ihrem Kollegen gewarnt: „Du solltest nicht trinken, wenn du Dienst hast, mein Freund!“ Dann aber beginnt sich der Kollege zu jucken. Irgendetwas zwickt ihn so, dass er immer wieder aufspringt und seltsame Bewegungen vollführt. Tasleem ist inzwischen beim Käfig des Anführers angelangt und lehnt sich kurz an die Gitterstäbe. Der Anführer hört ein leises Schließgeräusch. Auch er schaut die sich juckende Wache an und murmelt: „Dank dir, Ramesh!“

Dann überstürzen sich die Ereignisse. Tasleem setzt sich der einen Wache auf den Schoß und haucht ihr einen Kuss auf die Wange. Der Anführer winkt den jungen Holzsammlern und stößt die Käfigtür auf. Alle vier Minotauren stürzen nach draußen. Die zweite Wache ergreift ihren Speer und stellt sich im Ausgang der Halle den Ausbrechern entgegen. Der Anführer versucht die Wache zur Seite zu stoßen, aber einer der Holzsammler senkt seinen Kopf und reißt der Wache mit seinen Hörnern den gesamten Bauch von unten bis zum Hals auf. Blut fließt in Strömen, Eingeweide entleeren sich über dem Minotauren, Schreie ertönen, die zweite Wache macht sich von der Küchenmagd los und rennt hinter den fliehenden Minotauren her, der Anführer hat den Eindruck, in seinem Netzmagen habe sich ein großer Stein gebildet, dann hört er den Ruf des Dschungels.

Laut brüllend rennt er mit seinen Schutzbefohlenen den Gang entlang und nimmt die erste Abzweigung links. Die Minotauren hetzen ein paar Stufen aufwärts und sehen den Haupteingang, an dem sich allerdings auch ein Pförtner befindet. Dieser Mann betrachtet fassungslos die vier auf ihn zu rennenden Flüchtlinge. Einer der Ausbrecher ist von Kopf bis Fuß blutbesudelt und bietet einen furchterregenden Anblick. Alle vier scheinen wutentbrannt und in eine schreckliche Raserei verfallen zu sein. Der Mann am Tor verlässt seinen Posten und flieht.

Der Anführer und die jungen Holzsammler stürzen ins Freie. Schon bald aber ist ein Trompetenstoß aus dem Amphitheater zu hören. Jemand bläst einen Alarmruf. In Khostalush bewaffnen sich brave Männer, die den rasenden Minotauren Einhalt gebieten wollen. Auf ihrem Weg zum Stadttor müssen sich die vier Minotauren daher noch einige Male zur Wehr setzen und lassen eine Spur von Blut und Verwüstung hinter sich. Als sie einige Stunden später im Dschungel wieder zu sich kommen, fällt der der blutüberströmte junge Minotaur schließlich kraftlos zu Boden, rollt sich zusammen und stimmt weithin hörbare Klagelaute an. Es dauert lang, bis der Anführer und seine Kollegen ihn ein wenig beruhigt haben.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:12
Am frühen Abend steht Saibhang, der erste Advokat, neben Haigaram Ooryphas, dem Besitzer der Seide und betrachtet das Treiben der Hausdamen und der Freier im Innenhof des Etablissements. Der Musiker Anâzhar Shahin gibt soeben eine Kostprobe seines Könnens und die Anwesenden hören ihm gebannt zu. Haigaram Ooryphas sagt griesgrämig: „Kennst du diese Gäste, Saibhang? Es sind ein paar Leute hier, die ich noch nie gesehen habe. Und schau dir an, was sie tun: Sie hören zu! Es sieht fast so aus, als seien sie wegen der Musik und nicht wegen der Mädchen hier. Und dann Gulnar und Tamayourt! Sehen so Animierdamen aus? Der verträumte Blick ist ja ganz attraktiv, aber auch sie hören zu und sonst nichts! Was sollen wir tun? Soll ich dem Musiker Auftrittsverbot erteilen?“ Saibhang wiegelt ab. Er verspricht, die Damen zur Arbeit anzuhalten. Den Gästen, die nur der Musik zuhören, ließen sich vielleicht ein paar Getränke mehr verkaufen? Überhaupt ließe sich darüber nachdenken, ob der Musiker nicht vielleicht an besonderen Tagen auftrete, an denen man dann Eintritt nehme. Haigaram Ooryphas schaut den Minotauren erstaunt an und sagt: „Keine schlechten Ideen, Saibhang! Du kümmerst dich darum, in Ordnung?“ Saibhang nickt. Er spricht zunächst mit den Damen, die ihre Aufmerksamkeit daraufhin pflichtbewusst wieder den Gästen zuwenden. Wenig später sieht zufrieden zu, wie Gulnar mit einem Freier scherzt. Tamayourt allerdings steht mit etwas unglücklichem Gesichtsausdruck am Rand des Innenhofes und scheint nicht zu wissen, was sie machen soll. Saibhang geht zu ihr und spricht sie an: „Was ist los? Sind die Gäste an anderen Damen interessiert?“ Tamayourt antwortet: „Sie sind an gar keinen Damen interessiert. Sie hören einfach nur zu!“ Saibhang erwidert: „Hört zu, Verehrteste, wenn so etwas geschieht werdet ihr dafür sorgen, dass diese Musikliebhaber stets ein Getränk in der Hand haben, in Ordnung?“ Tamayourt sagt: „Von mir aus – aber bin ich dann nur noch Serviermädchen?“ „Nein, nein“, sagt Saibhang. „Das müssen wir noch genauer organisieren. Vielleicht erlebst du hier aber gerade den Anfang einer neuen Geschäftsidee.“ Tamayourt wirft ihm einen zweifelnden Blick zu und begibt sich in die Küche.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:12
Etwa zur gleichen Zeit ist der Anführer mit den vier jungen Holzsammlern durch den Dschungel unterwegs. Der zusammengebrochene Holzsammler hat nach langem Zureden ein wenig Lebenswillen zurückgewonnen und sucht jetzt mit seinen Gefährten nach Nahrung und einem guten Lagerplatz für die Nacht. Ein anderer der jungen Holzsammler ruft plötzlich: „Schaut!“, und deutet auf einen seltsam hellen Lichtstrahl, der vom Himmel herab nicht weit entfernt auf das Dach des Dschungels trifft. Die Wanderer sind sich einig, dass sie dem Licht nachgehen wollen.

Der Strahl lässt sich auf der Wanderung durch den Dschungel von den vier Minotauren gut erkennen und führt sie schließlich auf eine Lichtung. Hier steht eine Person in der Mitte, die von den gleißenden Sonnenstrahlen beschienen wird. Das Licht ist so hell, dass sich die dunkle Gestalt im Kontrast dazu nicht genauer erkennen lässt. Kaum sind die Minotauren auf der Lichtung erschienen, werden sie aber von der Person angesprochen: „Seid gegrüßt, meine Söhne! Folgt mir, und all euer Leiden hat ein Ende!“ Dann verlässt die Person die Lichtung und begibt sich in den Dschungel. Wohin auch immer sich die Person wendet, sie wird von dem gleißenden Lichtstrahl begleitet. Würdevoll schreitet sie durch den Urwald und die vier Minotauren folgen ihr. Obwohl kein weiteres Wort mehr gesprochen wird, scheinen sich allein in den Schritten der Person alle Weisheit des Dschungels zu konzentrieren. Gebannt folgen der Anführer und die drei jungen Holzsammler der Lichtgestalt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:14
Etwas später erreicht die Person mit dem Anführer und den drei Holzsammlern im Schlepptau das Lager des fünften Trupps von General Edison Angelus. Die Krieger starren die Person im Lichtstrahl ängstlich an. Sie haben schon fürchterliche Schlachten geschlagen, das hier ist aber neu für sie. Der Hauptmann ruft verhalten: „Männer und Rinder! Ergreift diese Person!“, aber es bedarf nur einer einzigen schnellen Armbewegung der Gestalt im Licht und ein paar der Menschen fliehen in den Urwald. Der Hauptmann ruft: „Zurück! Zurück zum Fluss, folgt mir!“ Darauf beginnen auch die Minotaurenkrieger davonzulaufen.

Noch etwas später betrachten der Anführer und die drei jungen Holzsammler das verlassene Lager. Sie laufen zwischen den Zelten hindurch, worauf einer der Holzsammler meint: „In diesem Zelt ist noch jemand! Ich höre etwas.“ Es wird nachgeschaut und so entdecken die Neuankömmlinge die Gefangenen, die beiden Soldaten und Lokapriya, den Philosophen. Schnell sind sie befreit, kriechen aus dem Zelt und sehen nun ihrerseits verwundert die Gestalt im Licht an.

Es kommt zu einem Gespräch. Lokaypriya fragt die Gestalt, wer sie sei. Die Gestalt bezeichnet sich als die „helle Stimme“ und verrät den Anwesenden im weiteren Gespräch, dass die einer von drei Geschwistern sei. Bei den beiden anderen handele es sich um die „stille Stimme“ und die „rote Stimme“. Ihnen allen sei das Schicksal der Minotauren in besonderer Weise an Herz gewachsen. „Leider“, so behauptet die helle Stimme, „bleibt alle Arbeit mir überlassen, da meine Brüder bei ihrer Wahl der Mittel schwerwiegenden Irrtümern aufsitzen.“ Nun fragt der zweite Soldat, was die helle Stimme denn zu unternehmen gedenke. Sie antwortet: „Von zentraler Bedeutung ist es, all die Ungerechtigkeiten, die die Menschen von Dégringolade begehen, eine nach der anderen auszumerzen. Ein besonderer Dorn im Auge ist mir das Amphitheater, in dem Massen von Gefangenen abgeschlachtet werden. Viele von ihnen sind Minotauren, denen keine Chance gegeben wird. Ihr täglich vergossenes Blut schreit zum Himmel! Auf der Ehrentribüne des Amphitheaters versammeln sich regelmäßig die schändlichsten Mitglieder der Stadt. Mein Plan ist es, wie ein reinigendes Feuer über diese Ehrentribüne hinwegzufegen und alle dort Versammelten mit Stumpf und Stiel auszulöschen. Ich werde derart verheerend wüten, dass niemand mehr einen Fuß in dieses Amphitheater setzt! Dann wird unter meiner Herrschaft ein goldenes Zeitalter für die Minotauren anbrechen. Machen wir aber einen Schritt nach dem anderen: Um möglichst viele der schändlichen Menschen zu erwischen, muss ich unbemerkt ins Amphitheater gelangen und bin dabei auf eure Mithilfe angewiesen. Ich fordere euch dazu auf, mich dabei zu unterstützen.“ Lokaypriya schüttelt es. Er sagt, dass er sich durch die Mithilfe an dem geschilderten Blutbad auf keinen Fall die Finger schmutzig machen wird. Auch die anderen Anwesenden zeigen sich wenig begeistert. Die helle Stimme wirkt in ihren Augen größenwahnsinnig. Der Anführer fragt die helle Stimme, wie denn ihr Vorhaben eigentlich mit der Stille in Einklang zu bringen sei. Die helle Stimme spricht: „Euer Verhaltenskodex der Stille ermöglicht euch eine leidvolle Sklavenexistenz, mehr aber auch nicht! Nun aber ist es Zeit beherzt zu handeln. Ihr habt lang genug in den Häusern eurer Herren auf deren Fußmatten geschlafen!“ Die Worte der hellen Stimme aber, bewirken wenig und die zögerliche, teilweise sogar ablehnende Haltung der Minotauren erschwert das weitere Gespräch. Es ist deutlich zu merken, dass die helle Stimme mit der Möglichkeit von Bedenken auf Seiten der Minotauren gar nicht gerechnet hat. Während die Minotauren versuchen noch ein paar Informationen von ihr in Erfahrung zu bringen, gerät die helle Stimme allmählich in Rage. Zuletzt lässt sie ihre Worte dröhnend über das ganze Lager hinweg erklingen: „Ihr seid nichts als Atlanten: erstarrte Figuren, die  im Dienst der Menschen deren Lasten tragen und ihnen ihre nichtsnutzige Existenz erst ermöglichen!“ Dann hebt die helle Stimme ihre Arme und beschwört im Lichtstrahl eine Feuerlanze herauf, mit der sie den zweiten Soldaten schwer verletzt. Sofort steht die gesamte Lichtung in Flammen. Die Minotauren ergreifen die Flucht. Der erste Soldat ruft: „Folgt mir, nicht weit entfernt befindet sich ein Sumpfgebiet, in dem wir vor dem brennenden Wald sicher sein dürfte. So schnell es mit dem verwundeten zweiten Soldaten möglich ist, eilen die Minotauren an den auf Pfählen steckenden Schrumpfköpfen vorbei in den ersten Morast und stehen schließlich bis zu den Hüften im Wasser.

Nach einiger Zeit wird deutlich, dass der Waldbrand nicht ganz so zerstörerisch wütet, wie befürchtet. Der erste Soldat bringt den zweiten Soldaten an ein trockenes Ufer und versorgt so gut es geht seine Verletzungen. In einiger Entfernung sehen ihm die drei jungen Holzsammler dabei zu. Lokapriya und der Anführer aber stehen noch immer im Wasser, weil sie eine Entdeckung gemacht haben. Zwischen ihnen schwimmen zwei würfelförmige hölzerne Schatullen von eineinhalb Handbreit Kantenlänge. Lokapriya fragt: „Woher kommen diese Kistchen?“ Der Anführer zuckt mit den Schultern. Zögerlich greifen beide Minotauren nach einer der Schatullen.

Der Anführer öffnet den Deckel seiner Schachtel und zieht ein fein gearbeitetes Gestell heraus. In zwei kleine, zusammenhängende Metallrahmen sind Gläser befestigt. Eine ausklappbare Befestigung sieht danach aus, als könnte das Gestell so am Kopf befestigt werden, dass sich mit den Augen durch die Gläser schauen lässt. Von der einen Seite sind die Gläser unauffällig, von der anderen Seite scheinen sie wie ein Spiegel mit einer reflektierenden Oberfläche ausgestattet zu sein. Der Anführer setzt sich das Gestell auf, schaut hindurch und weiß nichts damit anzufangen. Vorläufig steckt er es sich in eine Tasche.

Lokapriya, der Philosoph, öffnet den Deckel seiner Schachtel und zieht eine verzierte, grüne Steinkugel aus einem jadeähnlichen Material heraus. Sie besitzt Löcher, die einen Blick in eine in ihrem Inneren befindlichen weiteren Kugel freigibt. Lokapriya versucht, mit dem Finger die innere Kugel ein wenig hin und her zu schieben und erkennt schon bald eine dritte Kugel im Inneren der zweiten. Eine ganze Weile lang untersucht Lokapriya den Gegenstand und gelangt doch nicht an die innerste Kugel. Es lässt sich nicht feststellen, wie viele Kugeln hier ineinander stecken. „Was für ein Meister war das, der so eine Kugel anfertigen konnte?“, fragt sich Lokapriya halblaut. „Es kommt mir vor, als hätte ich ein Symbol für die Unendlichkeit in den Händen.“ Ein Ruf des ersten Soldaten reißt ihn aus seinen Gedanken: „Lasst uns überlegen, wie es jetzt weitergeht!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 12.03.2021 | 19:18
An einem Stadttor von Dégringolade sprechen die Wachen über die aktuellen Geschehnisse.

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Eine ruhige Arbeit soll das sein? Zweimal verrückte Rinder an einem Tag!

Der Minotauren-Hellebardier mit den bernsteinfarbenen Augen: Ungewöhnlich, ja, aber das erste Mal hatte er es immerhin nicht auf einen Kampf abgesehen!

Der glatzköpfige Hellebardier: Ich habe noch nie erlebt, dass ein durchgedrehtes Rindvieh sich noch soweit unter Kontrolle hat, dass es uns so geschickt ausweicht.

Die Bogenschützin mit der verbrannten Wange: Warte, bis du bezahlt wirst! Dann hast du erst Recht Grund, dich zu beschweren!

Der hasserfüllte Hauptmann: Denkt immer daran, dass diese Bestien sind brutale Killer sind! Gerade heute noch hat einer von ihnen eine Wache im Amphiteater mit seinen Hörnern von unten bis oben aufgeschlitzt!

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Das muss das blutüberströmte Rind gewesen sein!

Der hasserfüllte Hauptmann: Die anderen waren auch nicht besser. Sie haben auf ihrem Weg in den Dschungel eine Spur der Verwüstung und etliche Verletzte hinter sich gelassen.

Der Minotauren-Hellebardier mit den bernsteinfarbenen Augen: Ja, sie haben sogar der Dame mit dem Zitronenduft den Arm gebrochen. Ich fürchte, das ist ein schwarzer Tag!

Der hasserfüllte Hauptmann: Schon wieder die Dame mit dem Zitronenduft! Mir scheint fast, du hast eine Geliebte!

Eine kurze Pause entsteht.

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Schaut mal in den Dschungel! Da stößt so ein merkwürdiger, heller Sonnenstrahl durch die Wolken.

Die Wachen schauen eine Weile zu.

Der glatzköpfige Hellebardier: Jetzt steigt Rauch auf… als ob der Lichtstrahl etwas in Brand gesteckt hätte!

Der hasserfüllte Hauptmann: Ihr sollt die Stadt beschützen und nicht nach irgendwelchen Spektakeln im Dschungel Ausschau halten! Dort draußen wütet der Immerkrieg! Da wird ständig Irgendetwas oder Irgendjemand angezündet.

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Vielleicht sind die durchgedrehten Rinder in irgendetwas hineingeraten!

Der glatzköpfige Hellebardier: Gut, dass wir sie schnell durch das Tor abschieben konnten.

Aus einer nahen Hütte sind die Klänge einer Laute zu hören. Eine Weile hören die Wachen zu.

Der Minotauren-Hellebardier mit den bernsteinfarbenen Augen: Ich habe gehört, dass die Menschen jetzt schon wegen der Musik in die Seide gehen!

Die Bogenschützin mit der verbrannten Wange: Der Besitzer behauptet, dass sei ein ganz neues Erfolgsmodell! Der neue Bordellier soll dafür verantwortlich sein.

Der glatzköpfige Hellebardier: Da wird offenbar einiges ausprobiert. Haben nicht erst vor kurzem ein paar Rindviecher dort gesungen?

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Ja, und daran ist ausnahmsweise niemand krepiert. Ein echter Erfolg!

Der glatzköpfige Hellebardier: Dafür ist dort wohl wieder einmal ein Freier gestorben.

Der Minotauren-Hellebardier mit den bernsteinfarbenen Augen: Ja, ihr Menschen nehmt euch oft so viel vor! Ihr solltet etwas rücksichtsvoller mit euch selbst sein!

Der Hellebardier mit dem düsteren Gesichtsausdruck: Es gibt unangenehmere Tode als der in den Armen einer Frau aus der Seide. Anderen Männern schlägt man dort die Hände ab!

Der Minotauren-Hellebardier mit den bernsteinfarbenen Augen: Und uns scheucht man durch die Straßen. „Stutzen und Sanieren“ wird das genannt, aber bevor ich mich bei denen schinden lasse, stelle ich mich lieber noch ein paar durchgedrehten Mitbrüdern in den Weg und versuche das Schlimmste zu verhindern.

Der glatzköpfige Hellebardier: Ich habe gehört, „Stutzen und Sanieren“ liege das Gemeinwohl am Herzen.

Die Bogenschützin mit der verbrannten Wange: Ja, ein bisschen gemein geht es da auch zu.

Der hasserfüllte Hauptmann: Und wenn ihr jetzt nicht sofort wieder eure Posten bezieht und aufpasst, dann wird auch eure Existenz einen ganz gemeinen Verlauf nehmen, das verspreche ich euch!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 01:58
11

Wenn der ewige Strom
übermütig zu tanzen beginnt,
schließen wir uns an
und freuen uns
an seinem fröhlichen Spiel.
Weint er aber,
trauern auch wir.

Seine Zurückhaltung und belebende Zielstrebigkeit
eröffnen uns Möglichkeiten:
einmal locken uns seine Ursprünge in Gegenrichtung,
ein andermal begleiten wir ihn zu lang und er entzieht sich.

So zeigt er uns,
welche Wege wir allein gehen müssen!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 01:59
Ich präsentiere ein Foto von einer vietnamesischen Porzellanschale.

Ihre blaue Zier besteht aus blühenden Zweigen, im Zentrum befinden sich zwei ineinander verschachtelte Rechtecke, die noch weiter unterteilt sind.

Ein Assoziationsspiel entsteht und führt zu unterschiedlichen Deutungsversuchen:
Blühen – Flügel – TARDIS – Rinderzecken – ein Kirschblütenbaum, der zwei Häuser verbindet - Vogelhäuschen

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:02
Der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari streifen auf der Suche nach Kunden durch die Randbezirke der Gemeinde Rhomoon. Ihre Blicke fallen auf einen nahen Baum in voller Blüte, in dem die Vögel singen. Mit einem Schlag aber erheben sie sich in die Luft und fliegen eilig davon.

Der zweite Advokat sieht genauer hin und entdeckt hinter dem Gebüsch unter dem Baum ein paar Gestalten. Er ruft: „Seid gegrüßt! Was macht ihr da hinter der Hecke?“ Dann hört er eine Stimme flüstern: „Der Orakelmann ist dabei, es ist also das Rind, das sich in der Seide so großspurig aufgespielt hat!“ Ein Sirren erklingt und in der Nähe des zweiten Advokaten und Mujeebs fallen ein paar Schleudergeschosse zu Boden. Mujeeb sagt erstaunt: „Schau mal, sie bewegen sich!“ Der zweite Advokat blickt zu Boden und spricht: „Stierzecken! Sie schießen mit Stierzecken auf uns!“ Wütend senkt er seine Hörner und rennt in Richtung der Hecke. Drei oder vier Angreifer laufen davon, einem aber konnte der zweite Advokat den Fluchtweg abschneiden. Der Mann presst sich angstvoll an den Stamm des Baumes und blickt seinen Angreifer angstvoll an. Ein kurzes Gespräch entsteht.

„Warum greift ihr uns an!“

„Die anderen haben gehört, dass du in der Seide aufrührerische Lieder gesungen und hinterher großspurige Reden geschwungen hast. Sie wollten dich dafür bestrafen!“

„Ist das alles? Warum bist du dabei?“

Zitternd erzählt der Fremde: „Gaureeshankar Azam hat es mir befohlen. Er erzählt immer mal wieder etwas über frech gewordene Rinder. Außerdem verteilt er diese kleinen Viecher.“ Mit diesen Worten deutet er auf einen Beutel, in dem er wahrscheinlich noch weitere Stierzecken aufbewahrt.

Der zweite Advokat fühlt sich müde. Er sagt: „Verschwinde und lass dich hier nicht wieder blicken.“ Der Fremde läuft davon. Schließlich zieht Mujeeb Gashkari mit dem zweiten Advokaten weiter. „Kennst du Gaureeshankar Azam?“, fragt der Minotaur den Orakelmann. Mujeeb schüttelt den Kopf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:03
Saibhang, der erste Advokat, trifft am Vormittag in der Gaststätte „Zum friedlichen Mungo“ ein und setzt sich an den Tisch zu Ashtavede. Sie warten noch eine Weile vergeblich auf ihre Freunde. Schließlich sagt Saibhang: „Mir scheint, wir bleiben unter uns. Gibt es irgendwelche neuen Informationen über das Rinderopfer?“ Ashtavede antwortet: „Es wird morgen Abend bei den drei Inseln im ewigen Fluss stattfinden. Es wird auch Kekse geben, wie besprochen habe ich aber veranlasst, dass keiner der Kekse einen Kern der gefleckten Zitrone enthält.“ „Gut“, sagt Saibhang. Da von den Verbündeten der beiden Minotauren niemand mehr auftaucht, verabschieden sie sich freundlich und ziehen auf getrennten Wegen davon.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:05
Im Dschungel verlassen Lokapriya, der Philosoph, und der Anführer mit ihren beiden soeben entdeckten Holzkistchen den sumpfigen See und begeben sich zu ihren Gefährten ans trockene Ufer. „Es sind außergewöhnliche Umstände, die uns zusammenführen!“, meint der zweite Soldat und fragt den Anführer und Lokapriya: „Was führt euch in den Dschungel?“ Der Anführer berichtet von seinem Versuch, die drei Holzsammler vor dem Tod im Amphitheater zu bewahren. Er erzählt von seiner Gefangenschaft, seinem Ausbruch und dem Ruf des Dschungels, der ihn und seine drei Schützlinge schließlich ereilte. Lokapriya behauptet, er sei auf einer spirituellen Reise. Noch einmal vergewissern sich die Minotauren der Informationen der Stillen Stimme, noch einmal bekräftigen sie, dass sie während einer Versammlung im ewigen Fluss keinen Menschen ermorden wollen – schon gar nicht für eine so zweifelhafte Kraft wie die Stille Stimme. Lokapriya sagt: „Die Helle Stimme haben wir ja soeben erleben dürfen. Sie sieht für mich nicht nach einer guten Alternative aus. Es fehlt noch eine letzte. Vielleicht könnte es auch vorteilhaft sein, wenn wir die drei Stimmen zusammenführen könnten. Ich bin jedenfalls im Dschungel, um mehr über diese übernatürlichen Wesenheiten herauszufinden.“ Der zweite Soldat nickt: „Im Moment würde ich mich am liebsten aus allem heraushalten. Wie soll ein Minotaur in diesem Durcheinander Stellung beziehen?“ Lokapriya meint: „Das müssen wir vielleicht schneller, als uns lieb ist. Früher oder später werden wir wahrscheinlich Entscheidungen treffen müssen und es ist gut, wenn wir bis dahin noch etwas mehr erfahren.“

„Und ihr?“, fragt der Anführer die beiden Soldaten. „Was führt euch in den Dschungel?“ Der erste Soldat antwortet: „Wir suchen den Belugha-See. Dort sollen Leopardenlibellen leben, die Porfirio Empyreus, unser Herr, als Heilmittel benötigt.“ „Es ist zumindest ein konkretes Vorhaben!“, meint der erste Soldat. „Einem Orakelspruch nach folgen wir dabei dem Wind. Wollt ihr ein Stück mitkommen?“ Nach kurzem Überlegen stimmen die anderen Anwesenden zu und machen sich auf den Weg. Die sieben Minotauren befeuchten immer wieder ihre Zeigefinger und halten sie in die Luft. Entschlossen geht der zweite Soldat voran.

Nach einer Weile gelangen sie in einen Teil des Dschungels, in dem sie immer häufiger Kletten von ihren Kleidern und ihrem Fell abpflücken müssen. Es wird so schlimm, dass sie sich nur mühsam ihren Weg durch die Klebepflanzen bahnen können. Der erste Soldat spricht aus, was die anderen denken: „Lasst uns umkehren. Wir können immer noch dem Wind folgen, wenn wir erst einen großen Bogen um dieses Gebiet gemacht haben. Auf diesem Weg werden wir jedenfalls nicht mehr lange weitermachen können.“ Seine Gefährten stimmen zu und kehren um.

Nachdem die Minotauren den Bereich mit den Klettenpflanzen verlassen haben, erwartet sie eine weitere seltsame Begegnung. Durch die Bäume erblickt der zweite Soldat eine Pflanze, die in ihren Umrissen einem großen Hirsch ähnelt und deren Fell wie Kiefernnadeln aussieht. Sie hält ihren Kopf gesenkt, sodass sich ihr Geweih in den Dschungelboden zu bohren scheint. Der zweite Soldat schaut genauer hin. Im Bauchfell dieses Pflanzenhirsches befindet sich ein großes, merkwürdiges, purpurnes Samenkorn mit schwarzen Punkten. Ganz in seiner Nähe liegen bemalte Koksnusshälften. „Ein Grab?“, murmelt er. „Bohrt dieses Wesen seine Äste in ein Grab?“ Schon kurz darauf aber beginnt sich die Pflanze zu regen. Sie zieht ihre Zweige aus dem Boden und nähert sich mit gesenktem Kopf den Minotauren. Zunehmend nimmt sie Fahrt auf und schon bald wird dem zweiten Soldaten bewusst, dass dieses Wesen in Kürze versuchen wird, ihm sein Geweih in den Bauch zu rammen. Er schreit auf und seine Gefährten kommen ihm zu Hilfe. Der Anführer und einer der Holzsammler werfen sich seitlich gegen die Kreatur, die erzittert und umkippt. Fast wie bei einer Explosion fegen ein Haufen Kiefernnadeln durch die Luft. Dann ist es plötzlich ganz still. Nachdenklich hebt der zweite Soldat das auf dem Boden liegende Samenkorn auf und schaut es an. Auf diese Begegnung kann sich niemand einen Reim machen.

Lokapriya zieht sein Kästchen aus der Tasche, öffnet es und entnimmt ihm die kleine Amphore. Entschlossen entkorkt er sie. Alle schauen zu, wie sich eine kleine, graue Wolke bildet, die wie ein Miniaturwirbelsturm um sich selbst zu kreisen scheint. Lokapriya spricht: „Sei gegrüßt, Synesia Empyreus! Kannst du uns erzählen, wer hier begraben liegt, was dieses Wesen hier wollte und was es mit diesem Samenkorn auf sich hat?“ Der Wirbelsturm fährt über die alte Grabstätte hinweg, dreht sich ein paarmal in der Luft und spricht dann: „Hier ist seit langer Zeit ein Bote begraben. Er war im Auftrag seines Herrn, eines Geschichtenerzählers, auf dem Weg zu einem Dschungelbewohner, den er unter dem Namen Mamsir kannte und dem er eine Papyrusrolle bringen sollte, auf der der Geschichtenerzähler eines seiner Werke festgehalten hatte. Leider ist dieses Papyrus schon längst im Boden des Dschungels aufgegangen. Diese Pflanze, der ihr begegnet seid, ernährt sich, indem sie die Persönlichkeit von Toten in diesem Samenkorn speichert, das ihr gefunden habt. Ich nehme an, es befindet sich die Essenz des Botens in ihm. In Dégringolade galten solche Samenkörner zu meiner Zeit als Spezialität. Vielleicht ist es immer noch so. Wer das Samenkorn verzehrt, hat eine Weile die Persönlichkeit des Toten bei sich zu Gast… zumindest bis zum nächsten Verdauungsvorgang.“ „Dank sei dir, Synesia!“, sagt Lokapriya, worauf die graue Wolke sich immer schneller dreht und schließlich in allen Himmelsrichtungen auseinanderfliegt.

„Was machen wir damit?“, fragt der zweite Soldat und deutet auf das Samenkorn. „Lasst es uns über dem Grab einpflanzen!“, schlägt Lokapriya vor. „Immerhin enthält es die Persönlichkeit eines Verstorbenen, der es verdient hat, in Ruhe gelassen zu werden.“ Die anderen Minotauren sind einverstanden und versenken das Samenkorn in der Erde des alten Grabes. Dann ziehen sie weiter, immer dem Wind nach.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:07
Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat sind auf ihrer Tour wieder zurück zum Vadhm gelangt. Am Ufer des ewigen Flusses stehen Bäume in voller Blüte, in denen die Vögel singen. Unter ihnen bietet sich den Fahrenden eine idyllische Szenerie. Ein wohlhabender Mann sitzt dort auf einem Teppich und lässt sich von zwei Sklavinnen mit Weintrauben füttern. In der Nähe befinden sich drei Leibwächter, einer davon ein Minotaur. Schon will der zweite Advokat mit dem Minotauren ein unverfängliches Gespräch beginnen, da erkennt er den Herren: es ist Kanta Planudes, der sich in der Seide schon öfter abfällig über „den Bienenfresser“ Mujeeb geäußert haben soll. Mutig ergreift der zweite Advokat die Gelegenheit und geht auf den Mann zu. Kanta Planudes lässt sich auf ein kurzes Gespräch ein und fegt mit ein paar Handbewegungen jegliche Kritik zur Seite. Mujeeb will er nie beleidigt haben, was gehe ihn überhaupt sein Geschwätz von gestern an, und dieses Verzehren von Bienen sei ja wohl auch reichlich seltsam! Der zweite Advokat erklärt geduldig, dass die Bienen Teil eines Rituals seien. Mujeeb Gashkari versetze sich dadurch in die richtige Stimmung, seinen Kunden hilfreiche Orakelsprüche zu verkünden. Kanta Planudes ist milde interessiert. Irgendwann verlangt er aus reiner Neugier, Mujeeb solle auch ihm einen Orakelspruch präsentieren. Ehrfürchtig nähert sich der Orakelmann dem hohen Herren. Der zweite Advokat reicht Mujeeb und Kanta Planudes Becher mit Zuckerwasser, Essstäbchen und die Büchse mit den Bienen. Leicht angewidert tut es Kanta Planudes dem Orakelmann gleich, ertränkt eine Biene im Zuckerwasser und zerkaut sie. Er zieht vier Holzplättchen, die Mujeeb lange betrachtet bevor er verkündet: „Die Umwelt wird euch euren Taten nach beurteilen!“

Kanta Planudes ist nicht allzu beeindruckt, aber er überlegt eine Weile und sagt dann: „Hört mal, ihr beiden… würdet ihr auch einen Auftrag für mich ausführen?“ Der zweite Advokat will wissen, worum es geht und so erzählt Kanta Planudes: „Wie ihr wisst, besitze ich einen Olivenhain. Es ist der einzige Olivenhain in ganz Dégringolade! Das liegt daran, dass es nicht einfach ist, hier Oliven anzubauen. Oliven lieben Trockenheit… und nun schaut euch unsere Nachmittagsmonsune an! Eine absolute Katastrophe! Der einzige Grund, warum mein Olivenhain überhaupt Früchte trägt, liegt darin, dass er auf einem Hügel liegt. Wenn es dort regnet, fließt das Wasser schnell ab. Wäre es nicht schön, wenn es noch etwas mehr Oliven in Dégringolade gäbe?“ Erwartungsvoll schaut Kanta Planudes Mujeeb Gashkari und den zweiten Advokaten an. Der Orakelmann und der Minotaur nicken eifrig. Kanta Planudes erzählt weiter: „Wie es der Zufall will, liegt unweit meines Olivenhains ein weiterer Hügel. Er gehört Messenio Burcanus, der dort ganz gewöhnlichen Kaffee anbaut. Ein paarmal habe ich mit Messenio schon darüber verhandelt, den Hügel zu kaufen. Ich würde dort gern einen weiteren Olivenhain pflanzen. Messenio will aber nicht verkaufen und zeigt sich störrisch. Wenn er nun aber durch einen besonders dramatischen und beeindruckenden Orakelspruch eine desaströse Vorhersage für seine Kaffeepflanzen und die Zukunft seines Geschäfts zu hören bekäme, dann gäbe er seinen Kaffeeanbau vielleicht auf… Könntet ihr nicht vielleicht so eine Voraussage treffen?“

Der zweite Advokat zeigt sich zurückhaltend.: „Herr, das Orakel wird sich kaum geschäftlichen Interessen beugen… aber wir werden Messenio Burcanus einen Besuch abstatten. Vielleicht lässt er sich auf einen Orakelspruch ein. Vielleicht lässt sich der Orakelspruch auch in eurem Interesse interpretieren. Vielleicht ist Messenio Burcanus auch irgendwelchen anderen Vernunftgründen gegenüber aufgeschlossen.“ Kanta Planudes scheint aber bereits ermüdet zu sein. Das von ihm eingefädelte kleine Schmierentheater hat bereits seine volle Konzentration erfordert. Jetzt will er einfach noch ein paar Weintrauben essen. Er sagt: „Seht zu, was ihr erreichen könnt. Hinterher erzählt ihr mir, was dabei herausgekommen ist! Lasst mich nicht zu lange warten!“ Mit ein paar Verbeugungen entfernen sich Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat von Kanta Planudes.

Ein paar Stunden später stehen sie vor einem großen Haus am Rande Rhomoons, direkt neben einer hügligen Kaffeeplantage. Der zweite Advokat nähert sich dem Eingangstor zum Grundstück und wird von einer der beiden dort befindlichen Minotaurenwachen angesprochen. Der zweite Advokat fängt mit ein paar unverfänglichen Erkundigungen über die Kaffeepflanzung an und fragt irgendwann nach dem Besitzer des Anwesens. Die Wachen nennen ihm Messenio Burcanus´ Namen, reagieren ansonsten aber zurückhaltend. Dann zeigt der zweite Advokat auf Mujeeb Gashkari und erklärt, dass dieser in der Lage sei, durch ein Orakel Aussagen über die Zukunft zu machen. Die Wachen sind etwas interessierter. Schließlich fragt er, ob es möglicherweise im Hause ein Interesse an derlei interessanten und vergnüglichen Orakelsprüchen geben könnte. Die beiden Minotaurenwachen schauen sich an. Schließlich sagt eine von ihnen: „Das ist ein Fall für den Verwalter. Wartet einen Moment!“ Eine Weile steht der zweite Advokat mit Mujeeb Gashkari unverrichteter Dinge an der Straße. Dann aber kommt die Wache zurück und berichtet: „Hört zu, ihr beiden! Übermorgen gibt der Herr eine Gesellschaft. Der Verwalter ist einverstanden, wenn ihr zu diesem Zeitpunkt erscheint und eure Dienste als Abendunterhaltung anbietet. Ihr erhaltet dafür drei Samenkörner. Vielleicht steckt euch der ein oder andere Gast auch noch etwas zusätzlich zu.“ Der zweite Advokat ist erfreut und sagt: „Die Orakelsprüche lassen sich umso präziser deuten, je mehr wir wissen! Könnt ihr uns nicht noch ein paar Details über den Herrn Burcanus berichten?“ Zuerst zieren sich die beiden Wachen ein wenig, dann aber beginnen sie zu erzählen. Im Großen und Ganzen scheint Messenio Burcanus ein typischer Vertreter seines Standes zu sein: Er liebt den Luxus seines Wohlstandes, ist zumindest zu schwacher Selbstironie fähig, trifft manchmal willkürliche Entscheidungen, zeigt sich seinen Bediensteten gegenüber nur hin und wieder unnötig grausam und liebt seine Kinder. Irgendwann sind die Wachen ein wenig in Fahrt geraten und verraten dem zweiten Advokaten und Mujeeb Gashkari noch ein kleines Geheimnis: „Dreimal ist Messenio Burcanus schon in seinem Zimmer dabei beobachtet worden, wie er vor einem Spiegel in der Uniform eines Generals aus dem Immerkrieg posierte. Auch wenn die Rede auf die Schlachten im Dschungel kommt, hört er stets mit leuchtenden Augen zu. Es sieht so aus, als träume er davon, selbst ein berühmter Feldherr zu sein.“ Der zweite Advokat zeigt sich erfreut, bedankt sich für das Gespräch und verabschiedet sich. „Das war doch recht aufschlussreich“, raunt er Mujeeb zu. Der Orakelmann nickt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:11
Saibhang, der erste Advokat, steht am späten Nachmittag am Eingang der Seide und begrüßt die ersten Gäste, dann aber auch den Fischer, der von seinem Karren ein paar Bottiche mit Nachtfischen ablädt. „Hilfst du mir?“, fragt der Mann. „Diese Dinger sind ziemlich schwer!“ Saibhang schafft gemeinsam mit dem Fischer die Bottiche in den Innenhof und beginnt, die Fische in die Becken umzusetzen. Dabei erkundigt sich der Fischer: „Was ist eigentlich mit dem Rind, das hier in der Nähe fischt? Hat das nicht bisher hier in der Seide die Nachtfische geliefert?“ Saibhang nickt und sagt: „Der Minotaur hat sich hier schon länger nicht mehr blicken lassen. Ich weiß nicht, wo er steckt.“ „Kann ich also davon ausgehen, dass ich in Zukunft der Lieferant der Nachtfische bin? Du musst wissen, dass ich ein paar Sicherheiten brauche… meine Familie… verstehst du?“ Saibhang nickt: „Ja, solange du zuverlässig lieferst hast du den Job.“

Wenig später ertönt ein paar Zimmer weiter ein Entsetzensschrei. Ein Freier läuft davon und verlässt panikartig die Seide. Saibhang sieht nach dem Rechten und stellt fest, dass sich im Zimmer von Halifa irgendetwas Sonderbares ereignet hat. Vorsichtig zieht er den Makramee-Vorhang zur Seite und blickt in einen völlig verqualmten Raum. Halifa windet sich auf dem Boden und kämpft hustend gegen eine Rauchvergiftung an. Saibhang hat den Eindruck, dass der Qualm merkwürdigerweise die Form eines großen, aufgeblähten Menschen angenommen hat. Schnell eilt er in den Raum und zieht Halifa nach draußen auf den Gang, wobei er selbst zu husten beginnt. Der Qualm ist wirklich sehr dicht. Als er Halifa endlich im Gang vor ihrer Tür ablegen kann, schaut Masumi aus dem Nachbarraum und sagt: „Du kannst sie eine Weile bei mir aufs Bett legen. Ich habe noch keine Gäste.“ Saibhang zieht die röchelnde Halifa in Masumis Zimmer, legt sie dort aufs Bett und gibt ihr etwas zu trinken. Langsam erholt sich die Frau wieder. Dann berichtet sie: „Ich habe Räucherstäbchen angezündet, aber irgendetwas hat nicht gestimmt.“

Saibhang eilt zurück in Halifas Zimmer und bahnt sich einen Weg durch den Qualm. Mit halb zugekniffenen und tränenden Augen erkennt er drei glühende Räucherstäbchen, die Halifa wie üblich in eine mit Erde gefüllte Schale gesteckt hat. Saibhang zieht die Räucherstäbchen aus der Erde, steckt sie kopfüber wieder hinein und löscht so ihre Glut. Dann eilt er hustend nach draußen in den Gang und geht zu Haygaram Ooryphas, der gerade vor einem großen Teller Muscheln sitzt und zu Abend isst. Saibhang erzählt ihm von seinem Erlebnis in Halifas Zimmer und der Besitzer des Etablissements runzelt mit der Stirn: „Kommt mein Haus denn gar nicht mehr zur Ruhe? Eine Katastrophe jagt die andere! Wenn das Mädchen außer Gefahr ist, dann schau nach, wie das passieren konnte! Hinterher will ich genau wissen, was du herausgefunden hast. Geh jetzt, ich esse!“ Saibhang verbeugt sich und verschwindet.

Nach einer Weile ist es möglich, sich in Halifas Zimmer genauer umzusehen. Saibhang schaut sich die Räucherstäbchen an. Eines scheint sich auf irgendeine Weise von den anderen zu unterscheiden. Saibhang zieht die Stäbchen aus der Schale mit Erde heraus und sieht genau hin. Da fällt ihm auf, dass das gelbe Holzstäbchen, an dem der aromatisierte Bambus befestigt ist, in einem Fall seltsam gemasert ist. Saibhang kratzt ein wenig am Holz und stellt fest, dass sich unter dem Gelb noch eine grüne Farbschicht befindet. Saibhang kratzt am Holz der anderen Stäbchen. Dort befindet sich unter dem Gelb keine weitere Farbschicht mehr. Jetzt schnuppert Saibhang an den Stäbchen und stellt fest, dass das doppelt gestrichene Stäbchen auch einen etwas anderen Geruch ausströmt.

Saibhang geht nach nebenan in Masumis Zimmer und zeigt Halifa seine Entdeckung. Halifa macht große Augen und sagt: „Die gelben Stäbchen duften nach Loban. Sie locken die Ahnen an, die es sich in der Erde oder im Holz bequem gemacht haben. Meistens handelt es sich dabei um die Geister liebevoller Vorfahren, die den Raum mit segensreichem Frieden erfüllen. Die grünen Stäbchen duften nach Bergamotte. Eigentlich wirken sie belebend, aber was geschieht, wenn sie mit Loban-Duft gemeinsam verbrannt werden, weiß ich nicht.“ Saibhang überlegt und sagt dann: „Es sieht fast so aus, als hätte euch jemand ein grünes Stäbchen als gelbes unterjubeln wollen. Vielleicht war es jemand, der weiß, was mit herbeigerufenen Ahnen geschieht, die durch Bergamotte in Stimmung gebracht werden. Habt ihr Feinde, Verehrteste? Könnt ihr euch vorstellen, wer so etwas getan haben könnt?“ Halifa gibt dem Minotauren zu verstehen, dass sie bei dieser Anstellung häufig mit Eifersucht und ähnlichen Unannehmlichkeiten zu tun habe. Bei weitem am unangenehmsten war in dieser Hinsicht Kanta Planudes, der ja erst kürzlich hier alle Grenzen der Zurückhaltung überschritten habe. Ob er aber über solche Dinge Bescheid weiß? Weitere Indizien habe sie jedenfalls nicht. Saibhang nickt und verabschiedet sich. Er muss Haygaram Ooryphas erzählen, was geschehen ist, und nachdenken.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:16
Am späten Nachmittag erreichen sieben Minotauren im Dschungel ihr Ziel. Immer dem Wind nach teilt sich vor ihnen plötzlich das allgegenwärtige Grün des Dschungels und gibt den Blick frei auf einen klaren, stillen See. Ein winziger Luftzug erzeugt ein leichtes Kräuseln auf dem Wasser, das in der tief stehenden Sonne zu funkeln scheint. Lokapriya, der Philosoph, die drei Holzsammler und der erste Soldat kümmern sich um den Bau eines kleinen Lagers, in dem die Wanderer übernachten können. Der Anführer will mit dem zweiten Soldaten eine kleine Erkundungstour ans Wasser unternehmen.

Am Ufer schauen sich die beiden Minotauren nach Leopardenlibellen um und entdecken größere Insektenschwärme, die fast unbeweglich mitten auf dem See über dem Wasser stehen. „Sieht aus, als bräuchten wir ein Floß“, meint der zweite Soldat, aber noch ehe der Anführer nicken kann, macht er eine Entdeckung. Im schattigen Seeufer sind Bewegungen zu erkennen. Große, dunkle Gestalten schwimmen dort hin und her, von denen Lichtstrahlen ausgehen, die sich manchmal für den Bruchteil einer Sekunde zu aggressiv grellen Blitzentladungen bündeln. „Das sieht bedrohlich aus“, sagt der Anführer und schon steigen die ersten dieser Kreaturen aus dem Wasser. Sie sehen aus wie große, menschenähnliche Hunde, die zum Gang auf den Hinterbeinen in der Lage sind. Von ihren Stirnen aus strahlt das bereits im Wasser aktive Licht. Eine der Kreaturen schaut sich nach dem zweiten Soldaten um, der ins Gebüsch springt, aber doch noch von einer Blitzentladung gestreift wird. Anführer und zweiter Soldat fliehen und versuchen ihre Gefährten am entstehenden Lager zu erreichen. Die hinter ihnen hereilenden Hundemenschen schießen ihnen so viele Lichtblitze hinterher, dass die Fliehenden den Eindruck haben, vor einem Gewitter davonzulaufen.

In der Nähe des Lagers bekommen die Holzsammler relativ früh mit, dass ihre Hilfe benötigt wird. Sie eilen auf die Hundemenschen zu und brüllen laut, worauf die Hundemenschen kehrt machen und flüchten. Der zweite Soldat reibt sich seinen Oberarm, von dem ein verbrannter Geruch ausgeht. Allzu groß ist die Verletzung aber nicht. „Wir sollten Wachen aufstellen und aufpassen!“, sagt der Anführer. Schließlich kommt die Nacht, die aber ereignislos verstreicht.

Am nächsten Morgen beginnen die Minotauren mit dem Bau eines Floßes. Die drei Holzsammler wollen zurückbleiben und auf das Lager aufpassen. Der zweite Anführer überlegt laut, ob die Libellen wohl lebend gefangen werden sollten. Die Holzsammler bauen daraufhin aus einem Stück Stoff und ein paar gebogenen Zweigen eine Art Korb, in dem die Insekten lebendig verstaut werden können. Gegen Mittag staken und rudern der Anführer, die beiden Soldaten und Lokapriya in die Mitte des Sees. Die dort befindlichen Insekten sind tatsächlich gelbschwarze Libellen. Sie sind zwar schnell, andererseits sind es auch wieder so viele, dass die Minotauren immer ein paar erwischt haben, wenn sie mit ihren Keschern aus Bananenblättern nach ihnen schwenken. Den Minotauren läuft in der Mittagshitze der Schweiß, irgendwann aber haben sie den Eindruck, dass sich genug Leopardenlibellen in ihrem Korb befinden.

Gerade wollen sich die Flößer gut gelaunt auf die Rückfahrt machen, da sehen sie erneut eine Bewegung im Wasser. Diesmal sieht es so aus, als hebe sich der gesamte Boden des Sees und käme dem Floß entgegen. Angstvoll starren alle vier Minotauren ins Wasser, da erhebt sich schließlich ein gewaltiger Plattfisch aus dem Wasser, vielleicht zwanzig Schritt durchmessend. Knapp unter der Wasseroberfläche verharrt er im Wasser, nur seine beiden Augen ragen aus den Fluten und schauen das Floß der Minotauren interessiert an.

Lokapriya ist der erste, dem es gelingt, ein paar Worte von sich zu geben. Er fragt: „Wer bist du?“ Daraufhin formt sich in den Hirnen aller Flößer ein und dasselbe Wort: „Belugha“. „Bist du der Hüter dieses Sees?“, fragt Lokapriya. „Ich bin der Vater der Flussdelphine“, glauben die Minotauren in ihren Hirnen zu vernehmen. Offenbar ist das gigantische Fischwesen unter ihrem Floß zu irgendeiner Art von Gedankenübertragung fähig. So entspinnt sich ein interessantes Gespräch.

Lokapriya: „Der Vater der Flussdelphine? Gibt es denn hier im See Flussdelphine?“

Belugha: „Nein. Meine Kinder sind schon seit vielen Jahren ausgerottet. Ihre Städte sind längst verlassen.“

Der Anführer: „Ausgerottet? Aber ich habe in Dégringolade oft gesehen, wie sie sich in den Fluten tummeln.“

Belugha: „Das sind nur meine Träume, die durch die Flüsse hinunter ins Meer schwimmen.“
Die Augenlider des riesigen Plattfisches klappen daraufhin ein paarmal zu und öffnen sich wieder. Dann fließen zwei gewaltige Tränen ins Wasser.

Der Anführer: „Träume? Ich habe gesehen, wie gefangene Flussdelphine durch die Gegend geschleppt wurden. Sie kamen mir sehr real vor.“

Belugha: „Du hast an sie geglaubt! Deshalb besaßen sie für dich auch Realität! Es waren trotzdem nur meine Träume. Viele Männer glauben daran, dass sich ihre Liebesfähigkeit steigert, wenn sie meine Kinder verspeisen. Tatsächlich scheinen sie dann im Bett auch zu großen Taten fähig zu sein. Sie glauben daran. Fragt aber ihre Frauen, dann werdet ihr erkennen, dass auch das nur ein Traum ist.“

Eine Weile lang denken die vier Minotauren über die Worte des Fischriesen nach. Dann stellt Belugha eine Frage. Er will wissen, was die Minotauren an seinen See führt. Der erste Soldat berichtet ihm von den gefangenen Leopardenlibellen, deren Säfte dem kranken Porfirio Empyreus helfen sollen. Belugha rät daraufhin, die Tiere lebend aufzubewahren, da ihre toten Körper schnell austrocknen. Die Minotauren bedanken sich für diese Information.

Nach einer Weile fragt Lokapriya Belugha nach den Stimmen. Belugha weiß, dass es sich um Wesen handelt, die ein besonderes Interesse an Minotauren haben. Hin und wieder lassen sie sich wohl am Rand des Sees blicken, aber Belugha hat nicht viel Kontakt zu ihnen. Lokapriya spricht mit Belugha auch über die Hundemenschen mit dem Licht in der Stirn. Er erfährt, dass sie Gheana heißen. Sie seien von Menschen ursprünglich gezüchtet worden, um Flussdelphine zu fangen. Hinter ihren Ohren befänden sich kleine Kiemen. Wer in ihre Lichtblitze hineinschaue, verliere die Gewalt über seinen Körper und sei gelähmt: eine leichte Beute für die Gheanas. „Es ist schon komisch“, sagt Belugha. „Heute jagen sie nur noch Träumen hinterher. Dabei werden sie dann aber auch denen gefährlich, die sie gezüchtet haben.“

Wieder denken die Minotauren eine Weile über die Worte Belughas nach. Schließlich übernimmt der zweite Soldat das Gespräch.

Zweiter Soldat: „Belugha, hast du Kontrolle über deine Träume?“

Belugha: „Ich träume vor allem von meinen Erinnerungen an eine glückliche Vergangenheit: Von den Mustern, die meine Kinder im Spiel auf ihrer Haut verändern konnten, von unseren alten Liedern, von den Spielen im Wasser, vom Theater. Es sind Dinge, die noch immer mein Herz bewegen. Daher tauchen sie in meinen Träumen auf und verselbständigen sich dann… wie es in Träumen eben so ist.“

Wieder klappt Beluga mit seinen Augenlidern und vergießt zwei große Tränen in das Wasser des Sees. Dann setzt der zweite Soldat das Gespräch fort.

Zweiter Soldat: „Höre, Belugha! Heute Abend findet in Dégringolade, der großen Stadt, eine Versammlung statt. Viele Minotauren werden sich gemeinsam in den ewigen Fluss stellen und ihre Friedfertigkeit und Demut demonstrieren. Es kann trotzdem sein, dass es zu Gewalt kommt, denn nicht alle hegen Sympathie für die Minotauren. Wäre es nicht möglich, dass du in deinen Träumen deine Kinder zur Versammlung den Vadhm herunterschickst? Ihr Anblick könnte möglicherweise für eine verspieltere und entspanntere Stimmung sorgen und Kontrahenten milde stimmen! Vielleicht können sie sogar Gewalt verhindern!“

Belugha: „Ich werde an eure Versammlung denken, bevor ich einschlafe. Vielleicht gelangt deine Bitte in meine Träume.“

Dann verabschieden sich die Minotauren von Belugha, der daraufhin sehr langsam und vorsichtig in die tieferen Bereiche des Sees zurücktaucht. Die Minotauren paddeln zurück ans Ufer.

Nun kommt Bewegung in die Minotauren. Da die Leopardenlibellen gefangen sind, hält sie nichts weiter im Dschungel. Der zweite Soldat sagt: „Wenn wir uns beeilen, können wir vielleicht zum Rinderopfer wieder zurück in der Stadt sein.“ Die anderen nicken und packen ihre wenigen Habseligkeiten ein. Dann beschließen sie, auf dem Floß flussabwärts zu fahren.

Die Fahrt verläuft ohne größere Probleme. An einer Stelle verzweigt sich der Fluss in viele Nebenarme und bildet ein Netz vor Wasserstraßen. Hier werden die Flößer unsicher. Schon bald erblickt Lokapriya aber am Ufer einen goldenen Schimmer. Die Minotauren steuern ihr Floß darauf zu und entdecken erneut die goldene Schildkröte. Sie scheint durch ruckartige Bewegungen mit dem Hals in eine bestimmte Richtung zu deuten. Auf Ansprache hingegen reagiert sie nicht. Das Floß wird in die angegebene Richtung gesteuert, woraufhin am Nachmittag Dégringolade in Sicht kommt.

Auf ihrem Floß passieren die Minotauren das Tor von Bari-Ein. Es ist die größte Pforte im Süden der Stadt und gewährt sowohl dem Fluss als auch einer wichtigen Handelsstraße den Zugang. Einen Moment lang müssen die Minotauren auf penetrante Fragen von Wachen und Zöllnern antworten, dann dürfen sie passieren. Während die Sonne untergeht fahren sie durch das Stadtzentrum und nähern sich der Gemeinde Lehekhesh, wo das Rinderopfer stattfinden soll. Gespannt schauen die Flößer ans Ufer und erkennen hin und wieder ein paar Bekannte. Es scheinen einige Minotauren unterwegs zu sein. Lokapriya ruft: „Schaut mal dort am Nordufer, ist das nicht Saibhang?“ Wenig später deutet der Anführer auf das Südufer und sagt: „Und das ist doch der Bruder, der auf den Orakelmann aufpasst!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 02:21
Während sich bei Lehekhesh im ewigen Fluss Minotauren versammeln, unterhalten sich am Tor von Bari-Ein die Wachen und Zöllner.

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Wieder ein Tag vergangen. Spannende Dinge scheinen sich an anderen Orten zu ereignen.

Der dümmliche Minotaur mit dem bronzenen Nasenring: Hier ist nie etwas los.

Der alte Minotaur mit der silbernen Mähne: Da war immerhin diese Nussschale mit etlichen Minotauren. Ich möchte wissen, wie die den Weg durch die Stromschnellen gefunden haben.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Der Schneckengärtner von Porfirio Empyreus meinte, ihnen habe eine goldene Schildkröte den Weg gewiesen.

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Seit wann scheren sich goldene Schildkröten um derart abgerissenen Typen? Ich hätte sie um ein Haar nicht passieren lassen!

Der alte Minotaur mit der silbernen Mähne: Sei nicht so grantig, Mann. Sie wollten in die Stadt, nicht hinaus.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Dieser Schneckengärtner hat noch einiges mehr erzählt. Wie was das noch mit diesem Hirsch aus Kiefernnadeln?

Der Zöllner mit den gichtigen Händen: Das war dummes Geschwätz. Wahrscheinlich haben die Rinder einfach ein paar Schnecken geklaut und es sich dann im Dschungel gutgehen lassen! Neulich erst gab es doch auch einen Waldbrand im Dschungel. Haben diese Rinder nicht von irgendeiner Lichterscheinung gesprochen? Vielleicht waren das ja die Brandstifter!

Der alte Minotaur mit der silbernen Mähne: Nanana, das ist doch reine Spekulation!

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Spannende Dinge scheinen sich an anderen Orten zu ereignen.

Die junge Zöllnerin mit den traurigen Augen: In der Seide soll es heute auch wieder Ärger gegeben haben.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: In diesen Reichenvierteln ist doch auch nichts los!

Die junge Zöllnerin mit den traurigen Augen: Doch, ein Freier ist schreiend davongelaufen. Es soll einen Brand gegeben haben. Jedenfalls soll eine ganze Weile lang schwarzer Qualm über dem Haus zu sehen gewesen sein.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Das ist doch auch nichts Neues mehr! Sie haben da außerdem jetzt diesen Saibhang als Bordellier. Der wird sich schon um die Angelegenheit kümmern.

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Die Seide ist glücklicherweise weit weg. Schnüffeln muss ich hier schon genug.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Messenio Burcanus soll demnächst eine Gesellschaft geben. Er hat Mujeeb Gashkari, diesen Orakelmann, zur Unterhaltung engagiert.

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Was für ein Blödmann! Dieser Orakelmann verkündet doch immer dasselbe! Er hat diesen einen Spruch auf Lager, der sich auf alle Situationen anwenden lässt. Der Rest ist billiges Brimborium!

Der alte Minotaur mit der silbernen Mähne: Dass die Orakel schon zur billigen Volksbelustigung verkommen ist jedenfalls kein gutes Zeichen.

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Wer weiß, ob das so lustig ist. Der Bruder, der dem Orakelmann ein wenig Unterstützung liefert, hat jedenfalls nicht nur bei Messenio Burcanus vorgesprochen. Er soll zuvor bei Kanta Planudes gewesen sein!

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Die Villa von Messenio Burcanus ist glücklicherweise weit weg. Mir reicht schon das Schnüffeln hier am Tor von Bari-Ein.

Die junge Zöllnerin mit den traurigen Augen: Was haben die Rinder auf dem Floß in ihrem Korb gehabt? Leopardenlibellen?

Der Minotaur mit den Seepferdchentätowierungen: Ja. Und sie mussten keinen Zoll dafür bezahlen.

Der Zöllner mit den Brotkrümeln im Bart: Zollfrei ist nur Karpfenspeichel! Wenn mir aber ein paar Rinder irgendwelche wüsten Geschichten von geträumten Flussdelphinen erzählt und ich merke, dass sie nicht ganz richtig im Kopf sind, dann fällt es mir schwer ihnen auch noch hohe Zollgebühren abzunehmen. Ich habe verlangt, dass sie eine dieser Leopardenlibellen freilassen… quasi als Zeichen des guten Willens.

Der alte Minotaur mit der silbernen Mähne: Du hast ihnen nichts abgenommen? Das ist ja erstaunlich! Schade, dass ich gerade Pause hatte. Ich hätte das sehr spannend gefunden.

Der dümmliche Minotaur mit dem bronzenen Nasenring: Hier ist ständig etwas los!
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Jiba am 21.04.2021 | 07:15
Gestatte mir die Frage: Schreibst du diese Dinge aus dem Gedächtnis auf? Zeichnest du sie auf und bringst sie hernach in diese Form? Oder ereignen sie sich gar nicht im Spiel und du gestaltest hier einen anderen Teil der Spielwelt, der auf die Ereignisse am Tisch reagiert?
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 21.04.2021 | 07:35
Doch, doch, es ist ein Spielbericht. Hier steht, was in unserem Spiel geschieht. Ich schreibe es aus dem Gedächtnis auf und schmücke es ein bisschen aus. Die blumigen Beschreibungen sind von mir und fallen so nicht im Spiel. Die Handlung entspricht aber dem Spielverlauf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:48
12

Fünfeckig und sechseckig
sind die Hautsegmente des Rhinozeros´
sind die Fliesen auf dem Boden meiner Kammer

Summend und quietschend
gibt das Rhinozeros seine Stimmung zu erkennen
zeigt mein Wasserkessel seine Freude über grünen Tee

Anmutig und würdevoll
erprobt das Rhinozeros im ritualisierten Kampf seine Hörner
siegen maskierte Tänzer über das Böse

Ohnmächtig und gebrochen
erwartet das Rhinozeros seine Jäger
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:50
Ich präsentiere das Foto einer vergoldeten Maske und erzähle eine kurze Geschichte dazu.

Alljährlich werde in der Stadt das Fest der schlüpfenden Schildkröten begangen, bei dem auf den Straßen gesungen und süßes Gebäck verteilt werde. Menschen mit Blumen im Haar umarmten sich und die Oberhäupter der Stadtteile trügen Goldmasken.

Ich fordere meine Mitspieler auf, an ein Ereignis zu denken, das sich beim vergangenen Fest der schlüpfenden Schildkröten ereignet hat.

Wir erzählen einander ein wenig von zerbröselten Eierschalen, die als Konfetti verwendet werden, von Rosenwasser und dem Anblick der vielen Blumenblüten, die den Fluss hinabtreiben.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:53
Als sich das Floß mit dem Anführer, den drei Holzsammlern, dem Philosophen Lokapriya und den beiden Soldaten auf Lehekesh zu bewegt, bietet sich den Minotauren ein großartiger Anblick: vor den drei Inseln, deren Brücken die letzte Möglichkeit vor der Mündung des Vadhm für eine Flussüberquerung ohne Boot darstellen, stehen weitere Minotauren im Fluss. Es sind vielleicht 300, so viele, wie noch keiner der Gefährten an einem Ort zusammen gesehen hat. „Das Rinderopfer!“, brummt der erste Soldat. „Hoffentlich geht alles gut!“ „Es sieht jedenfalls großartig aus!“, sagt einer der jungen Holzsammler, worauf der Anführer das Floß an das Flussufer steuert. „Ich sehe Ashtavede“, sagt Lokapriya. „Er steht genau im Zentrum unserer Brüder!“ Die Floßfahrer befestigen den Korb mit den Leopardenlibellen am Floß, verlassen ihr Gefährt und waten durch das Wasser auf ihren Bekannten zu. Keiner der Minotauren im Fluss spricht auch nur ein Wort. Nur einer der Holzsammler sagt zum Anführer: „Es ist so still!“, worauf ihm der Anführer zuflüstert: „Wir ehren die stille Stimme! Schweige jetzt!“  Schließlich sind sie nahe genug an ihn herangekommen und stellen erfreut fest, dass sich auch Saibhang, der erste Berater, nur ein paar Schritt weiter befindet. Lokapriya nickt ihm freundlich zu.

Saibhang sieht sich um und erkennt, wie an einigen Stellen kleine Körbe mit Gebäck herumgereicht werden. Er wendet sich an Ashtavede: „Hast du veranlassen können, was wir vereinbart haben?“ Ashtavede nickt und sagt: „In keines der Gebäckstücke wurde der Kern der gefleckten Zitrone hinein gebacken. Ihr könnt beruhigt zugreifen!“

Auch der zweite Soldat macht eine Entdeckung. Nicht weit von ihm steht im Fluss eine Gestalt, die zwar auf den allerersten Blick als Minotaur durchgeht. Wer genauer hinschaut erkennt aber sehr schnell, dass es eine Person ist, die einen Minotaurenumhang über den Kopf gezogen hat. „Ist alles in Ordnung, junger Herr?“, fragt der zweite Soldat. Der Verkleidete nickt und verrät sich damit selbst. „Ayatashatru“, sagt der zweite Soldat. „Weiß euer Vater, dass ihr hier seid?“ Die Unterhaltung aber wird nicht fortgeführt, denn ein leises Raunen geht durch die Reihen der Minotauren.

Zu beiden Ufern des Flusses ziehen Soldaten auf: Menschen und auch ein paar Minotauren, insgesamt vielleicht 80 Bewaffnete. Es sind Bogenschützen, die ihre Schusswaffen zur Hand nehmen und spannen. Ein Ausrufer tritt an einer Flussseite vor und ruft: „Im Namen von Blephora Empyreus: Ich fordere alle Menschen, die sich verkleidet unter den Minotauren befinden mögen, auf sich zu demaskieren und aus dem Fluss zu steigen!“ Nicht weit von den Gefährten entfernt beginnen zwei Gestalten in ähnlichen Umhängen zu schluchzen. Dann laufen sie auf ein Flussufer zu und ziehen sich dabei die Minotaurenumhänge über die Köpfe. Der Anführer wendet sich dem verkleideten Ayatashatru zu und sagt: „Ihr wollt also bleiben? Das ist mutig! Ihr steigt in meiner Achtung, Herr!“ Der zweite Soldat aber schaut missmutig drein und spricht: „Junger Herr! Das hier kann euch das Leben kosten!“ „Werden sie schießen?“, lässt Ayatashartu seine zitternde Stimme unter dem Umhang erklingen. Der zweite Soldat sagt: „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das hier im Moment kein Aufenthaltsort für euch ist. Ihr solltet nach Hause gehen. Ein Pfeil im Bauch ist wenig spaßig.“ Einen Moment lang zögert Ayatashatru noch. Dann sagt der zweite Soldat: „Schaut eure Freunde an, junger Herr! Sie wussten, wann das Spiel vorbei ist. Wollt ihr, dass sie morgen an eurer Beerdigung teilnehmen?“ Auf diese Frage hin beginnt sich Panik in Ayatashatru breitzumachen. Er begreift die Gefahr, in die er sich selbst gebracht hat, beginnt zu schreien und rennt außer sich vor Angst auf das Flussufer zu. Die dortigen Bogenschützen glauben es mit einem durchgedrehten Minotaur zu tun zu haben und richten ihre Bögen auf Ayatashatru. Irgendwann erreicht der Jüngling das Ufer und einer der Soldaten verpasst ihm mit einem Knüttel einen Schlag auf den Kopf. Ayatashatru stürzt zu Boden, wie ein gefällter Baum.

Dann hebt der Ausrufer seine Arme. Die Bogenschützen machen sich schießbereit und richten ihre Bögen auf die Minotaurenversammlung im ewigen Fluss. Es sieht alles danach aus, als würde es in Kürze zu einem Blutbad kommen. Einen kurzen Moment liegt eine Spannung in der Luft, wie sie im Inneren eines Zyklons herrscht. Plötzlich aber geht ein erleichtertes Lachen durch die versammelten Minotauren und auch die Bogenschützen am Flussufer verziehen ihre Münder zu einem Grinsen. „Was ist los?“, fragt der Anführer den ersten Soldaten, doch dieser zuckt nur mit den Schultern. Einen Moment sind die Gefährten irritiert und können sich auf den plötzlichen Stimmungsumschwung keinen Reim machen. Dann aber merkt der zweite Soldat, dass Saibhang sich wie die anderen auch zu amüsieren scheint. Er fragt: „Saibhang, worüber lachst du?“ „Seht ihr nicht wie die Flussdelphine in den Wellen spielen? Sie schlagen die tollsten Kapriolen!“ Die Gefährten blicken angestrengt in die Fluten, können aber nichts erkennen. Schließlich sagt Lokapriya: „Erinnert euch an Belugha! Die Flussdelphine sind seine Träume – wir glauben nicht mehr an sie!“ Saibhang versteht nicht, wovon die Rede ist und will wissen, wie er dieses Gespräch verstehen soll. Seine Freunde aber schauen ein wenig enttäuscht in die Fluten. „Wie schade!“, flüstert der Anführer.

Eine Weile lang erfreuen sich die meisten der Anwesenden am fröhlichen spiel der Flussdelphine. Dann aber macht sich erneut der Ausrufer am Flussufer bemerkbar. Er ruft: „Wir verzichten auf einen Beschuss der aufrührerischen Versammlung, wenn sich eure Rädelsführer zu erkennen geben. Geschieht das nicht, wird keine von euch lebend das Ufer reichen!“ Es dauert keinen Augenblick, da hebt Ashtavede seine Arme und schreitet würdevoll auf das Flussufer zu und steigt aus dem Wasser.

Dann überschlagen sich mit einem Mal die Ereignisse. Viele Minotauren rufen: „Nein! Nicht Ashtavede!“ Der Ausrufer blickt dem tätowierten Minotauren entgegen und ruft: „Ashtavede also! Bindet ihn! Fesula wartet auf ihn!“ Im Anschluss an diese Worte erschüttert ein vielstimmiges Brüllen die Luft. Etwa zwei Dutzend Minotauren ereilt der Ruf des Dschungels. Sie rennen auf das Flussufer zu. Viele von ihnen stürzen von Pfeilen durchbohrt in den ewigen Fluss. Einige von ihnen erreichen das Ufer, fegen ein paar Bogenschützen zur Seite und rennen in die Stadt. Das Wasser des Flusses ist aufgewirbelt, als würde es kochen. Die verbliebenen Minotauren sind in heller Panik. Die anwesenden Gefährten fühlen sich alle, als lägen schwere Steine in ihren Mägen. Lokapriya und der erste Soldat versuchen sich nützlich zu machen und führen ein paar Teilnehmer der Versammlung in den Schutz der in der Nähe befindlichen Flussinseln.

Saibhang macht den Eindruck, als habe auch er den Ruf des Dschungels gehört. Einen Rest Kontrolle über sich scheint er aber noch zu besitzen. Er rennt, aber nicht blindwütig in Richtung Dschungel, sondern auf Ashtavede zu, den er befreien will. Der Anführer ruft dem zweiten Soldaten zu: Folgen wir ihm! Vielleicht können wir Ashtavede noch retten!“ Die drei Minotauren pflügen durch die Fluten und erreichen das Flussufer.

Saibhang hat als erster Ashtavede erreicht. Sein ehemaliger Vorgesetzter allerdings wird schwer bewacht. Ein halbes Dutzend Krieger setzen dem heranstürmenden Minotaur mit Speeren zu und können ihn schnell überwältigen. Auch Saibhang wird gefangengenommen. Der Anführer und der zweite Soldat haben in diesem Moment die Flussböschung erreicht und können beobachten, was geschieht. Dann aber fällt der Blick des zweiten Soldaten auf eine jämmerliche Gestalt, die nicht weit entfernt im Dreck liegt und leise stöhnt. Es ist Ayatashutra, dem inzwischen jemand den Minotaurenumhang ausgezogen hat und danach für die Soldaten wohl nicht mehr interessant war.

In diesem Moment erlebt der zweite Soldat eine kurze Vision. Er sieht in das Gesicht Ayatashatrus und erkennt darin plötzlich dessen Vater Porfirio Empyreus. Das Gesicht des Herrn aber ist gelblich fahl – das Gesicht eines Toten! Der zweite Soldat zuckt zusammen und sieht plötzlich wieder Ayatashatru, der soeben beginnt sich den Schädel zu reiben und zu jammern. „Was ist los?“, fragt ihn der Anführer. Der zweite Soldat sagt: „Ich glaube, ich muss den jungen Herrn nach Hause bringen. Ashtavede ist zu gut bewacht. Wir kommen nicht an ihn heran.“ Der Anführer nickt und sagt: „Ich werde versuchen herauszubekommen, wo sie ihn hinbringen. Vielleicht bietet sich dort eine Gelegenheit.“ „Ja“, antwortet der zweite Soldat. „Wenn du es weißt, komm nach Hause und sag uns Bescheid! Vielleicht können wir mit gründlicher Vorbereitung doch noch etwas ausrichten.“

So endet das Rinderopfer. Einige Gefangene Minotauren werden weggebracht. Ashtavede und Saibhang werden abgeführt. Der Anführer schleicht ihnen hinterher. Die Teilnehmer der Versammlung sind in verschiedenste Richtungen geflohen. An den Flussufern liegen Tote. Der zweite Soldat hilft Ayatashatru auf, holt den Korb mit den Leopardenlibellen vom Floß und stützt den jungen Weg auf seinem Weg nach Hause. Lokapriya und der erste Soldat gehen am gegenüberliegenden Flussufer an Land und wandern betrübt die Uferstraße entlang. Der Fluss ist vom Blut der Minotauren rot gefärbt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:54
„Hör mal“, sagt ungefähr zur gleichen Zeit ein Minotaur auf dem Markt im Viertel Kantairon zu dem Räucherstäbchenverkäufer Hitesh. „Ich kann Haygaram Ooryphas erzählen, dass du offensichtlich irgendetwas zu verbergen hast. Was dann passiert, wird dir sicher nicht gefallen. Du kannst mir aber auch erklären, warum eine unserer Damen ein Räucherstäbchen entzündet hat, dessen grüner Stil nachträglich gelb angestrichen wurde.“ Es ist der Minotaur, der erst kürzlich Vater wurde, dessen Familie inzwischen im Gasthaus zum friedlichen Mungo untergekommen ist und der Dank Saibhangs Fürsprache wieder Arbeit in der Seide gefunden hat. Saibhang hat ihm vor seinem Besuch des Rinderopfers alles erzählt, was er über das seltsame Geschehen im Zimmer Halifas herausgefunden hat, und ihn damit beauftragt, den Hinweisen weiter nachzugehen. Dem Räucherstäbchenverkäufer tritt Schweiß auf die Stirn. Der Minotaur nimmt den Kragen seiner Kurta und hebt ihn in die Höhe. Hitesh spricht: „Nun, es ist wahr. Ich beliefere Halifa üblicherweise mit Räucherstäbchen. Kürzlich hatte ich einen Kunden, der mich nach den Gefahren der Räucherstäbchen befragte. Er hat mir hinterher befohlen, bei meiner nächsten Lieferung an Halifa ein wenig Sabotage zu betreiben. Also habe ich zu den Lobanstäbchen eines aus Bergamotte gesteckt und – damit das nicht weiter auffällt – seinen Stil umgefärbt.“ „Der Name?“, fragt der Minotaur. Nach einigen angestrengten Atemzügen stößt der Räucherstäbchenverkäufer schließlich hervor: „Kanta Planudes!“ Der Minotaur lässt Hitesh zu Boden fallen und kehrt mit grimmigem Gesicht zur Seide zurück.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:55
Nach der Rettung einiger desorientierter Teilnehmer des Rinderopfers kehren der Philosoph Lokapriya und der erste Soldat zusammen nach Rhomoon zurück. Schweigend laufen sie auf der Straße am Flussufer und suchen nach einer Möglichkeit mit dem schrecklichen Erlebnis umzugehen. Nach einigen Kilometern kommt an der Straße ein Verkäufer vor einer Garküche in Sicht. Der erste Soldat fragt Lokapriya: „Hast du Hunger?“ Lokapriya schweigt noch immer, deutet aber zu dem Aquarium, das der Mann neben seinem Grill aufgebaut hat. Eine kleine Gruppe neugieriger Kunden hat sich um ihn versammelt und die beiden Minotauren hören ihn sprechen: „Seeschlangen, Leute, Seeschlangen! Die Tiere sind ganz frisch aus dem Meer gezogen und werden vor euren Augen zubereitet. Für ein Samenkorn bekommt ihr ein Gericht, nach dem ihr euch noch tagelang die Finger lecken werdet!“ Die beiden Minotauren blicken zum Aquarium und sehen dort ein paar sich windende schwarzweiß geringelte Schlangen. Lokapriya und der erste Soldat sind nach den vergangenen Erlebnissen nicht allzu experimentierfreudig, sehen dem Treiben aber noch eine ‚Weile zu. Einer der Menschen vor dem Verkäufer verlangt nach einer Mahlzeit, worauf der Mann ins Wasser, einer der Schlangen herausnimmt, ihr einen Stock über den Schädel zieht, sie häutet, ihr den Kopf abtrennt und ihre Innereien entnimmt. Dann aber stutzt er und zieht einen kleinen, ganz verschluckten Fisch aus dem Leib der Schlange. Strahlend präsentiert er ihn seinem Kunden: „Schaut her! Hier zeigt sich, dass die Gejagte selbst eine Jägerin ist. Ja, es ist oft nicht einfach, zu unterscheiden! Jäger oder Gejagter? Herrin oder Sklavin? Vorfahr oder Nachkomme? Geliebter oder Liebender? Behälter oder Inhalt? Ihr schüttelt mit dem Kopf? Weil der Kopf für dieses Problem zu klein ist, nehme ich an. Ich sage euch, mit diesen geistigen Kapazitäten wird euer Schicksal nicht anders als das dieses Fisches sein! Wer das Problem aber durchschaut, der kann vielleicht irgendwann zur Schlange werden!“ Während der Verkäufer das Schlangenfleisch grillt und seine Gewürze bereitstellt, sehen sich Lokapriya und der erste Soldat an: „Ein philosophischer Garküchenverkäufer – seltsam!“, meint Lokapriya. Schließlich zuckt der erste Soldat mit den Schultern und die beiden Minotauren ziehen weiter.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:56
Erschöpft erreicht der zweite Soldat das Haus von Porfirio Empyreus. Noch immer stützt er den leise stöhnenden Ayatashatru, dessen Aufenthalt im Fluss ihm eine handfeste Erkältung beschert hat. Der zweite Soldat ist froh, dass dieser Weg zu Ende geht. Er bringt Ayatashatru in sein Massagezimmer, reibt seinen Schädel mit einer kühlenden Eukalyptustinktur ein und wartet, bis der junge Herr eingeschlafen ist. Dann macht er sich auf den Weg zum Herrn des Hauses.

Porfirio Empyreus sieht auch nicht allzu gesund aus. Der zweite Soldat grüßt seinen Herrn. Porfirio zeigt sich erfreut ihn zu sehen und will wissen, ob er Leopardenlibellen gefunden hat. „Ja, Herr“, sagt der Minotaur mit ernstem Gesichtsausdruck. Porfirio dankt ihm kurz, schaut sich die Insekten kurz an und meint: „Was geschieht jetzt mit diesen Libellen? Ich möchte gern so schnell wie möglich mit der Behandlung beginnen, weißt du? Ich hoffe, mich dann wieder verstärkt meinem Schneckengarten widmen zu können. Ich kann dann auch wieder an Gesellschaften denken! Ach, es ist, als befände ich mich schon auf halbem Weg ins Grab! Nun also, Rind, was ist zu tun?“ Der zweite Soldat denkt an die Strapazen, die er im Dschungel während der Beschaffung der Leopardenlibellen durchgemacht hat, er denkt daran, wie er sich um Porfirios Sohn Ayatashatru gekümmert hat und wirft dann dem unvernünftigen, selbstbezogenen und vergnügungssüchtigen Mann vor ihm einen kurzen, kalten Blick zu. Dann sagt er: „Herr, ich denke, die Behandlung sollte ein Arzt in die Wege leiten. Ich weiß nicht, wie das geht.“ „Also ein Arzt! Ja, Rind! Lass einen holen. Du musst es nicht selbst machen, du siehst abgekämpft aus. Vielleicht schickst du die Wäscherin… Vorher habe ich aber noch eine Frage.“ Der Minotaur schweigt und wartet. „Erinnerst du dich? Als du fortgezogen bist, wusstest du den Weg nicht. Trotzdem bist du fündig geworden. Wie ist dir das gelungen?“ „Nun Herr“, antwortet der zweite Soldat. „Ich hatte wohl ein wenig übernatürliche Unterstützung.“ „Und diese übernatürliche Unterstützung… Rind… könnte es nicht sein, dass sie mir auch einmal nützlich werden könnte?“ “Das mag sein, Herr!“ „Dann sorge doch dafür, dass mir diese Unterstützung demnächst auch einmal zu Teil wird, ja?“ „Ja, Herr.“

Einen kurzen Moment denkt der zweite Soldat an Mujeeb Gashkaris Rat, im Dschungel dem Wind zu folgen, dann aber fällt ihm wieder die Katastrophe beim Rinderopfer ein. Er sagt: „Herr, da wäre noch etwas. Habt ihr von der Versammlung der Minotauren im ewigen Fluss gehört?“ „Da gab es eine Versammlung? Hatten die Rinder keine Arbeit?“ „Herr, ich habe dort im Vorübergehen euren Sohn Ayatashatru getroffen!“ „Ayatashatru? Was wollte der denn da?“ „Er hat sich dort in große Gefahr begeben, Herr!“ „Ist er verletzt?“ „Nur ein wenig erkältet.“ „Gut. Dann lasse jetzt den Arzt holen, Masseur! Beeile dich!“ „Ja, Herr.“ Als der zweite Soldat sich auf den Weg zur Wäscherin macht, kommt es ihm vor, als müsse er einmal laut brüllen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:57
Vorsichtig verfolgt der Anführer einen Trupp Soldaten durch Dégringolade. Es sind zehn Soldaten und ein Kommandant, die Ashtavede und Saibhang gebunden haben und irgendwohin bringen. An einer Häuserecke schreckt der Anführer zusammen, denn hinter ihm erklingt plötzlich aus nächster Nähe eine leise flüsternde Stimme: „Was für ein Glück! Wir haben euch gefunden, Flussgesegneter!“ Der Anführer sieht sich um und erblickt seine drei Holzsammler, die sich freudestrahlend hinter ihm aufgebaut haben. „Leise!“, zischt ihnen der Anführer zu. „Wir verfolgen Ashtavede und Saibhang. Vielleicht können wir sie befreien.“ Die Holzsammler nicken: „Sicherlich, Flussgeweihter! Wir werden sehr vorsichtig sein!“

Die Soldaten ziehen mit den Gefangenen weg vom Vadhm, am Turm der Helden vorbei und steigen schließlich über eine steile Straße in ein höhergelegenes Stadtviertel auf. Der Blick über Dégringolade und das dahinter befindliche Meer ist von hier aus beeindruckend, die Luft ist klar und rein, die Häuser gleichen Villen. Der Anführer hat keinen Zweifel: hier wohnen die Mächtigen und Begüterten Dégringolades.

Schließlich verschwindet der Trupp Soldaten in einer Villa. Ashtavede und Saibhang werden in das Haus gebracht. Der Anführer und die Holzsammler verbergen sich hinter einer nahe gelegenen Mauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite und beobachten das Haus. Etwas später verlässt ein einzelner Mann das Haus. Der Anführer schärft den Holzsammlern ein, weiter aufzupassen. Er selbst verfolgt den Mann. Als dieser allerdings wieder zum Fluss zurückkehrt und die Brücken bei den drei Inseln überschreitet, kehrt der Anführer zu seinen Schutzbefohlenen zurück. Er hat nicht den Eindruck, dass ihm die Verfolgung dieses Mannes irgendwie weiterhelfen kann.

In der Abenddämmerung kehrt der Mann zurück. Der Anführer und die drei Holzsammler sehen, dass er zwei Minotauren dabei hat, die einen Käfigwagen hinter sich her ziehen. Dieser Wag wird auf das Gelände der Villa gezogen. Der Anführer beginnt nachzudenken und erklärt den jungen Holzsammlern: „Der Ausrufer am Fluss hat gesagt, Ashtavede soll nach Fesula gebracht werden. Soviel ich weiß ist das ein gewaltiges, grauenerregendes Gefängnis mitten im Dschungel, viele, viele Meilen von Dégringolade entfernt. Es ist dafür berichtet, dass die dort Inhaftierten furchtbare Qualen erleiden müssen. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass Ashtavede und Saibhang dorthin gebracht werden. Es gibt im Süden der Dégringolades, in der Gemeinde Hidokshan ein Tor, das „Tor von Fesula“ genannt wird. Wenn die Soldaten sich mit Ashtavede und Saibhang in diesem Gitterwagen auf den Weg machen, verlassen sie die Stadt wahrscheinlich durch dieses Tor. Dort in der Nähe könnten wir wahrscheinlich einen Befreiungsversuch wagen. Allerdings wäre ein wenig Unterstützung hilfreich. Kann nicht einer von euch zum Haus des Porfirio Empyreus gehen und den beiden Soldaten dort sagen, dass sie möglichst schnell dorthin kommen sollen?“ „Sicherlich, Flussgeweihter!“, antwortet einer der Holzsammler. „Das will ich gerne tun!“ Der junge Minotaur verabschiedet sich und verlässt die Gruppe.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 00:58
Eine Weile nach ihrer Begegnung mit dem philosophischen Garküchenverkäufer trennen sich die Wege des Philosophen Lokapriya und des ersten Soldaten. Lokapriyas Weg führt zu der Totenhalle, in der die Urne der Synesia Empyreus steht. Wie beim letzten Mal ist der Ort völlig verlassen. Bis auf den leichten Wind, der hin und wieder einen der Fensterläden zum Klappern bringt, ist es still. Lokapriya ist mit seinen Gedanken noch beim vergangenen Blutvergießen am ewigen Fluss. Trotzdem kommt er seiner Pflicht nach. Er geht zur Grabstätte der Synesia, holt ihre Schatulle aus seinem Bündel und stellt es vor ihrer Urne ab.

Dann schaut er sich um: Nichts hat sich verändert. Trotzdem spürt der Minotaur einen tiefen Frieden, der für eine Weile von diesem Ort auszugehen scheint. Es ist, als habe der Tod seinen Schrecken verloren. Zum ersten Mal seit dem Rinderopfer kann Lokapriya wieder an etwas anderes denken… an die Zukunft vielleicht sogar. „Ich werde Gouliza im friedlichen Mungo einen kleinen Besuch abstatten!“, beschließt der Minotaur und ein wenig getröstet verlässt er die Halle.

Etwas später sitzt Lokapriya vor einem heißen Tee in der Schenke und spricht mit Gouliza. Ihr und ihrem Minotaurengeliebten geht es gut, aber sie erschrickt, als sie von den schlimmen Ereignissen am ewigen Fluss hört. Gouliza nimmt Lokapriyas Hand und sagt: „Es ist schlimm für dich, nicht wahr? Was willst du jetzt machen?“ „Was soll ich schon machen?“, fragt Lokapriya. „Ich überbringe Botschaften.“ Gouliza nickt und sagt: „Vielleicht habe ich eine neue Kundin für dich. Bist du interessiert?“ Lokapriya nickt und Gouliza erzählt.

„Die Frau heißt Bhanumati und wohnt am Rand von Hidokshan. Sie hat einen groben und eifersüchtigen Mann geheiratet, der sie streng bewacht. Im Moment scheint es besonders schlimm zu sein. Sie hat schon ein paar Wochen nicht mehr das Haus verlassen. Dabei rennt ihr die Zeit davon. Bhanamuti ist eine großartige Bäckerin und hat sich so danach gesehnt, während des Festes der schlüpfenden Schildkröten ihr Können als Aushilfe in der berühmten Bäckerei Salloum unter Beweis stellen zu können. Zu diesem Fest ist dort Hochbetrieb und für die Vorbereitungen werden dort ein paar zusätzliche Hilfen angestellt. Allerdings ist es schon in zwei Tagen soweit! Bhanumati rechnet sich noch eine letzte Chance aus: Sie ist dabei ein paar ihrer unglaublichen Sarawak zu machen. Wenn jemand diese Kuchen gewissermaßen als Probestück zur Bäckerei bringen könnte, dann sind die Bäcker dort vielleicht schon überzeugt. Könntest du das nicht übernehmen, Lokapriya?“ Lokapriya ist einverstanden und macht sich auf den Weg.

Gegen Abend erreicht der Philosoph den Rand der Gemeinde Hidokshan. Dank Goulizas Beschreibung findet er das Haus von Bhanumati und ihrem Ehemann schnell. Neben dem Haus befindet sich eine geräumige Holzwerkstatt, vor der ein paar Fässer stehen. Ein Bretterzaun schirmt hinter dem Haus einen Garten mit einem kleinen Gartenhäuschen ab. Lokapriya schreitet entschlossen auf die Tür zu und klopft an. Ein finster aussehender Mann öffnet und sieht den Minotauren fragend an. Lokapriya sagt: „Ist Bhanumati zu sprechen?“ „Nein“, grunzt der Mann und will die Tür schon wieder schließen, da kann ihm der Philosoph noch für einen Moment über die Schulter blicken und sieht im hinteren Bereich des Raumes eine Frau stehen. Sie gibt Lokapriya mit Gesten zu verstehen, dass er ein wenig Geduld haben soll. Lokapriya sagt zu dem Mann: „Schade. Dann versuche ich´s ein andermal“

Kurz darauf steht Lokapriya auf der Straße und beobachtet Bhanumatis Haus. Als die Dämmerung einsetzt bemerkt er, dass jemand das Haus verlässt und in den Garten geht. Eine Frauenstimme summt leise eine alte Weise. Lokapriya geht auf de Bretterzaun zu und spricht: „Mir wurde berichtet, ihr braucht einen Boten?“ „Komm nach hinten, da gibt es eine Gartentür“, flüstert Bhanumati. Im hinteren Bereich des Gartens drückt Bhanumati dem Philosophen drei Samenkörner und ein vielleicht unterarmgroßes Bündel in die Hand. Lokapriya bedankt sich. Dann sagt Bhanumati: „Du wirst in der Bäckerei Salloum um diese Tageszeit niemanden mehr antreffen. Wenn du willst kannst du aber im Gartenhaus übernachten, da gibt es ein paar warme Decken. Pass nur auf, dass dich mein Gatte nicht entdeckt!“ Lokapriya nickt. Bhanumati verabschiedet sich und der Philosoph bereitet sich ein kleines Lager zwischen Werkzeugkisten und Kisten mit getrockneten Feigen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 01:00
Am nächsten Morgen verlagern sich die Geschehnisse um die Gefährten in den Süden Dégringolades. Am Vormittag erreicht der Anführer mit zwei der jungen Holzsammlern Hidokshan. Zu ihrer Überraschung treffen sie auf einem breiteren Weg den Philosophen Lokapriya, der sie grüßt. Er hat ein Stoffbündel unter dem Arm und scheint eigene Wege zu verfolgen.

Gegen Mittag erreichen der Anführer und die Holzsammler das Tor von Fesula. Die Torwachen nehmen keine Notiz von ihnen und so verlassen die vier Minotauren ungehindert die Stadt und gehen ein paar hundert Schritt die Straße entlang. An einer geeigneten Stelle verbergen sie sich im Dschungel, beobachten ein paar Reisende und warten.

Wenig später kommt es zu einem erstaunlichen Wetterphänomen. Die Sonne und der Himmel nehmen eine rot-orangene Färbung an und ein furchtbarer Sturm fegt durch die Luft. „Flussgeweihter!“, ruft einer der Holzsammler. „Seht doch dort!“ Drei Minotauren kämpfen sich durch den Sturm die Straße entlang. Es sind der dritte Holzsammler und die beiden Soldaten aus dem Haus von Porfirio Empyreus. „Kommt hier ins Gebüsch!“, ruft der Anführer und winkt sie herbei. Die Begrüßung ist herzlich und trotz des einsetzenden Regens sind die Anwesenden über schlagkräftige Unterstützung froh.

Dann beginnen von allen Richtungen furchtbare Donnerschläge zu erklingen und in ein paar der Urwaldriesen schlagen Blitze ein. Die Holzsammler schauen angstvoll den Anführer an, der sie aber beruhigt: „Dieses Unwetter spielt uns in die Hände! Wenn Ashtavede und Saibhang heute diese Straße entlang transportiert werden, dann werden wir sie befreien und müssen in diesem Sturm kaum mit weiteren Gegnern aus der Stadt rechnen.“ Nach diesen Worten schlägt ein Blitz in der Nähe der Minotauren ein und erfüllt den Ort mit grellem Licht. Während sich die Holzsammler und die Soldaten die Augen zuhalten, erinnert sich der Anführer an das Metallgerüst mit den Spiegeln, dass er bei seinem letzten Ausflug in den Dschungel dem Kästchen im Moorsee entnommen hat. Er befestigt es hinter seinen Ohren und stellt fest, dass ihm die gleißenden Blitze nicht mehr viel ausmachen.

Wenig später erkennen die Gefährten das, worauf sie gewartet haben:  Der Gitterwagen wird von zwei weiteren Minotauren die Straße entlang gezogen. In ihm befinden sich Ashtavede und Saibhang. Zwei Wachen gehen dem Wagen voran. Ein Kommandant namens Swarang Pandey flucht über das Gewitter und treibt die Minotauren zur Eile an.

„Drei Menschen und zwei Minotauren: das ist zu schaffen“, sagt der Anführer. „Wir versuchen es mit einem Ablenkungsmanöver“. Er nimmt zwei seiner Holzsammler zur Seite, stürmt mit ihnen aus dem Gebüsch und führt einen halbherzigen Scheinangriff auf die Begleiter des Gitterwagens durch. Swarang Pandey brüllt die Minotauren an: „Lasst den Wagen stehen und zeigt´s dem Geschmeiß!“ Doch nach ein paar Schlägen ergreift der Anführer mit den Holzsammlern gemeinsam die Flucht, nicht ohne seine Gegner immer wieder mit Schmährufen zu bedenken. „Los jetzt, beeilt euch, hinterher!“, brüllt Swarang Pandey und verfolgt die Angreifer in den Dschungel. Die beiden Wachen bleiben allerdings beim Gitterwagen. Sie scheinen erfahrene Veteranen zu sein, wirken relativ gelassen und schauen sich Rücken an Rücken mit kampfbereiten Speeren aufmerksam um.

„Es hilft nichts“, sagt der zweite Soldat zum ersten Soldaten und dem verbliebenen Holzsammler. „Jetzt oder nie!“ Die drei Minotauren springen aus dem Gebüsch und rennen auf den Käfigwagen zu. Ashtavede und Saibhang rufen ihnen aufmunternde Worte zu. Dennoch verlangsamt sich der Lauf der Angreifer. Die Wachen schauen sie derart verwegen und furchtlos an, dass sich die Minotauren gerade zu fragen beginnen, ob ihr Plan gut genug war. Die beiden Krieger scheinen jedenfalls bestens aufeinander eingespielt zu sein. Etwa zehn Schritt von ihnen entfernt kommen die Minotauren zum Stehen. Während Donner kracht und starker Regen auf die Reisenden niederprasselt mustern sich beide Seiten lange.

Auch die Flüchtenden im Dschungel haben es schwerer als geglaubt. Der Sturm ist hier fast noch schrecklicher, denn er bringt handfeste Gefahr: Bäume stürzen um, Blitze schlagen ein. Immer wieder überwinden die Fliehenden umgestürzte Baumriesen, bis schließlich Swarang Pandey und die beiden gegnerischen Minotauren den Anführer und seine Holzsammler schon fast eingeholt haben. In diesem Moment kommt den Gefährten allerdings der Zufall zu Hilfe. Ein besonders verheerender Blitz zuckt durch die Luft. Er läuft am Ende in vielen Verästelungen aus und eine dieser Feuerlanzen – vielleicht auch nur ihr Lichtschein – scheint direkt auf den Anführer zuzuschießen. Der Anführer wendet in dem Moment seinen Schädel, worauf der Strahl von den blanken Flächen seines Metallgestells widergespiegelt wird. Die Reflexion trifft direkt Swarang Pandey, der glaubt der Anführer sei in der Lage mit seinen Blicken Blitze zu verschießen. Laut schreiend fällt er zu Boden und zittert. Die ihm unterstehenden Minotauren geben die Verfolgung auf und kümmern sich um ihn. Der Anführer und die beiden Holzsammler versuchen daraufhin ungesehen die Straße nach Fesula wiederzufinden.

Für die Kämpfer bei dem Gitterwagen scheint die Zeit stillzustehen. Es ist, als seien die getauschten Blicke zu magischen Fesseln geworden, die beide Seiten bewegungsunfähig gemacht haben. Im strömenden Regen stehen sich die Krieger gegenüber und niemand wagt einen ersten Schritt. Viel später erst kündigt ein Krachen im nahen Unterholz die Rückkehr des Anführers und seiner Holzsammler an. Aber noch während diese Verstärkung auf den Käfigwagen zu rennt um den Kampf zu entscheiden, schlägt mit großem Krach ein gewaltiger Blitz in das Dach des Käfigs ein. Blitze züngeln an den Gitterstäben entlang zu Boden und scheinen die Gefangenen nicht zu verletzen. Sie haben allerdings zur Folge, dass der Wagen schließlich umkippt und sich das Gitter vom Boden losreißt. Ashtavede und Saibhang sind in Freiheit.

Lange Zeit mussten die beiden Gefangenen in ihrem Käfigwagen untätig den dramatischen Geschehnissen um sie herum zusehen. Nun stellt sich heraus, dass ihr Gemüt unter ihrer Ohnmacht gelitten hat. Für Saibhang fühlt es sich so an, als wachse der Stein, den er seit dem Rinderopfer in seinem Blättermagen spürt noch um ein Vielfaches an. Mit einem gewalttätigen Schrei stößt er eine der Wachen beiseite und stürzt in den Dschungel. Sein Brüllen ist so markerschütternd, dass Ashtavede und die beiden Soldaten ihm folgen. Der Anführer nutzt geistesgegenwärtig das Durcheinander um mit seinen Holzsammlern den beiden Wachen zuzusetzen und sie zu vertreiben.

Im strömenden Regen kehrt der Anführer mit seinen Holzsammlern nach Dégringolade zurück. Einer seiner Schutzbefohlenen sagt: „Du hattest Recht, oh Flussgeweihter! Die Elemente habe uns unterstützt!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 20.05.2021 | 01:03
In der Nacht kehren die Minotauren, die sich unter der Führung des Kommandanten Swarang Pandey im Dschungel verirrt haben, endlich wieder ins Haus ihres Herrn zurück. In der Küche berichten sie zitternd bei einer Kanne Tee von ihren Erlebnissen und hören sich auch die Berichte ihrer Kollegen an.

Der traumatisierte Minotaur mit dem rötlichen Fell: Was für ein Blutbad! Das hätte nicht geschehen dürfen! Ich musssagen, Ashtavede war nicht ganz unschuldig daran. Er hat die Menschen gereizt!

Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Ja, immer mehr Gewalt bestimmt unseren Alltag. Auf der Straße nach Fesula sind wir heute von unseren eigenen Brüdern überfallen worden!

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Es wird nicht das letzte Blut gewesen sein, dass in Dégringolade vergossen wird.

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Ihr seid unverbesserliche Pessimisten. Ich habe heute gesehen, wie zwei Minotauren unter eigener Lebensgefahr ein paar orientierungslose Brüder am Fluss vor den Bogenschützen in Sicherheit gebracht haben. Es gibt noch immer Solidarität unter Minotauren!

Der traumatisierte Minotaur mit dem rötlichen Fell: Dennoch war es ein großes Unglück, was dort passiert ist. Die Menschen werden schon nervös, wenn nur ein paar Minotauren unterschiedlicher Herren ihre Zeit miteinander verbringen. Diese Versammlung heute war einfach zu viel für sie.

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Sie selbst halten natürlich Versammlungen ab, wie sie es für richtig halten!

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Die meisten Menschen haben Angst vor uns. Deswegen versuchen sie uns zu kontrollieren.

Der Minotaur mit den Adlertätowierungen und der Hakenhand: Ich habe aber gehört, es habe auch einige von ihnen in Verkleidung unter den Minotauren gegeben.

Der traumatisierte Minotaur mit dem rötlichen Fell: Das stimmt. Einer von ihnen wurde hinterher verletzt davongetragen.

Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Wenn die Menschen nicht solche Feiglinge wären, hätten wir heute bei dem Überfall die Angreifer schlagen können. Swarang Pandey hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Unsere Gegner trugen Holzknüppel!

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Was soll das? Sie haben die Stille gebrochen. Das war keine Heldentat!

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Es wird immer schwerer, die Regeln der Stille einzuhalten.

Der Minotaur mit den Adlertätowierungen und der Hakenhand: Weise und tapfer sollen wir sein. In diesen Zeiten schließt das eine meist das andere aus.

Der traumatisierte Minotaur mit dem rötlichen Fell: Es gilt für uns eben, abzuwägen, was schwerer wiegt. Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit?

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Frömmigkeit! Ich hörte davon, dass der Philosoph Lokapriya der Ahnenverehrung größtes Gewicht beimisst. Das scheint mir ein Bereich zu sein, an den wir viel zu selten denken.

Eine Weile herrscht Stille.

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Was ist mit den Gefangenen geschehen?
Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Sie hörten den Ruf des Dschungels und sind im Urwald verschwunden. Wir können froh sein, dass wir zumindest wieder zurückgefunden haben.

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Der Käfig wird jedenfalls ein paar Tage Reparatur benötigen.

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Letztlich können wir froh sein. Diesmal mussten wir nicht gegen unsere Brüder kämpfen.

Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Weil sich Swarang Pandey wie ein Rindvieh benommen hat.

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Was hast du gegen Rinder? Es gibt doch kaum einen erhebenderen Anblick als eine große Rinderherde.

Der traumatisierte Minotaur mit dem rötlichen Fell: Ich weiß nicht… das waren heute sehr viele Minotauren im ewigen Fluss. Wenn ich daran denke, verschwimmt alles vor meinem inneren Auge. Dutzende von uns wurden abgeschlachtet… sollen wir jetzt zur Tagesordnung übergehen, als sei nichts geschehen?

Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Irgendwann werden wir losschlagen müssen. Das kann nicht mehr lange so weitergehen. Ich spüre den Aufstand schon als Kribbeln in den Spitzen meiner Hörner.

Der Minotaur mit dem traurigen Gesicht: Das darf nicht geschehen! Unsere Stille wäre ein für allemal gebrochen. Wir hätten unsere eigene Kultur zerstört.

Der Minotaur mit den Adlertätowierungen und der Hakenhand: Vielleicht sollten wir in den Dschungel ziehen, weg von den Menschen.

Der Minotaur mit dem langen, struppigen Spitzbart: Vielleicht haben die Menschen nach diesem Ereignis ja auch ein Einsehen!

Lange Stille.

Der zornige Minotaur mit den leuchtenden grünen Augen: Irgendwann werden wir losschlagen müssen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:02
13

Wenn die Schildkröten schlüpfen
wird überall in den Straßen der Stadt
gesungen und süßes Gebäck gegessen.
Alle umarmen sich
und tragen Hibiskusblüten im Haar.

Es gibt orangene, weiße, gelbe
und fliederfarbene.

Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:03
Ich zeige ein Bild mit aufgeschnittenem Sarawak-Kuchen aus Malaysia.

Wir betrachten die mit Lebensmittelfarbe behandelte grelle Außenhülle und die im Anschnitt erkennbaren kunstvoll zu geometrischen Mustern formierten inneren Teigschichten.

In einigen Köpfen entsteht eine Vorstellung, wieviel Arbeit und Geschick es braucht, um so etwas herzustellen.

Anerkennendes Murmeln ist zu hören.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:05
Nach seiner Nacht in Bhanumatis Gartenhaus begibt sich Lokapriya, der Philosoph, mit seinem Bündel zur Bäckerei Salloum. Auf dem Weg begegnet er dem Anführer und zwei seiner jungen Holzsammler, die ihm einen verschwörerischen Blick zuwerfen. Ihr Weg führt zum Stadttor, Lokapriya aber grüßt lediglich und setzt seinen Weg fort. Schnell erkennt er, dass es sich bei Salloum um eine der führenden Bäckereien in Dégringolade handelt: Die Kunden stehen in einer Schlange bis auf die Straße und es dauert eine ganze Weile, bis Lokapriya mit einer Verkäuferin sprechen kann. Er erzählt, dass er ein Probestück dabei hat, mit dem sich eine Bekannte als Aushilfskraft für das Fest der geschlüpften Schildkröten bewerben möchte. Die Bedienstete ruft einen Bäcker, der aus einem Durchgang erscheint und Lokapriya in die Backstube mitnimmt.

Auf dem Weg dorthin läuft Lokapriya durch einen Flur und bestaunt die Zutaten, die sich in Säcken, Fässern und Regalen an den Wänden befinden. Dann aber stutzt er für einen kleinen Moment: Er blickt auf eine kleine Schale im Regal und sieht, dass sich in ihr eine Handvoll Kerne der gefleckten Zitrone befinden. Hat die Bäckerei Salloum auch die Backwaren für das Rinderopfer hergestellt?

Schließlich erreicht Lokapriya mit dem Bäcker die eigentliche Bachstube. Der Bäcker nimmt Lokapriyas Bündel entgegen, wickelt Bhanumatis Sarawak-Kuchen aus, betrachtet zufrieden die ebenmäßige Außenhülle und meint: „Dann wollen wir mal sehen!“ Mit einem großen Messer schneidet der Bäcker einen Kuchen an und schaut ins Innere. Die Teigschichten sind derart filigran und verschachtelt in den Kuchenleib gefaltet, dass sie wie ein faszinierendes Kaleidoskop aussehen. Lokapriya begreift, dass er etwas Außergewöhnliches zu Gesicht bekommt und schaut gespannt den Bäckermeister an, der eine ganze Weile schweigend vor dem Kuchen steht. Schließlich sagt er: „Das ist ein Kunstwerk! Wir dürfen uns glücklich schätzen, wenn der Hersteller dieser Kostbarkeit bei uns arbeitet. Lauf sofort los, Rind, und sage Bescheid, dass wir hier einen Arbeitsplatz zu vergeben haben!“ Lokapriya nickt, aber es liegt ihm noch etwas anderes auf der Zunge. Daher sagt er: „Herr, habt ihr die Gebäckstücke für die Minotaurenversammlung im ewigen Fluss hergestellt?“ „Ja“, sagt der Bäcker abwesend. Er bewundert noch immer Bhanumatis Sarawak. Nach einer kurzen Pause sagt er: „Warum fragst du?“ „Nun, Herr, mich interessiert, ob ihr diesmal einen Kern der gefleckten Zitrone in eines der Gebäckstücke hineingegeben habt.“ „Wir hatten Anweisung, das nicht zu tun. Daran haben wir uns auch gehalten.“ „Braucht ihr denn dann diese Kerne dort im Regal noch, Herr?“, fragt Lokapriya. Der Bäcker probiert ein kleines Stück von Bhanumatis Sarawak, macht ein genießerisches Gesicht und sagt schließlich: „Wir haben sie nur einmal für diese Rinderversammlungen gebraucht. Unwahrscheinlich, dass sie noch einmal benötigt werden. Wenn du mich fragst, war das auch eine reichlich dumme Idee: einen Kern der gefleckten Zitrone im Teig verstecken! Nach diesem Blutbad am Vadhm sieht es aber so aus, als gäbe es so bald keine Rinderversammlungen mehr. Von mir aus also kannst du die Kerne haben. Sie sollen dein Botenlohn für diesen wunderbaren Sarawak sein.“

Lokapriya geht ans Regal. Er will die Kerne aus der Schale in seine Hand kippen und mitnehmen. Dabei passiert ihm aber ein Missgeschick: er bleibt mit der Schale am Regal hängen und die Kerne der gefleckten Zitrone fallen in einen darunter stehenden Sack Mehl. Der Bäcker beginnt zu schimpfen: „Pass doch auf, du Rindvieh! Sieh zu, dass du die Kerne da wieder herausfischst! Sie können gefährlich sein!“ „Ist mir schon klar“, brummt Lokapriya vor sich hin und gibt sich alle Mühe, die Kerne aus dem Mehlsack wieder herauszubekommen. Geraume Zeit später steht er über und über mit Mehl bestäubt auf der Straße. Was er mit den Kernen der gefleckten Zitrone anstellen soll, weiß er noch nicht. Daher steckt er sie erst einmal ein. Bis er zu Bhanumatis Haus zurückkehren kann vergeht aber noch eine ganze Weile, denn ein überraschend heftiger Wolkenbruch ergießt sich über Dégringolade und beendet eine Weile lang das geschäftige Treiben in den Straßen von Hidokshan.

Am späten Nachmittag kann Lokapriya endlich aufbrechen und zu Bhanumati gehen. Aus der Böttcherwerkstatt ihres Mannes sind Hammerschläge zu hören. Lokapriya klopft an die Haustür und Bhanumati selbst öffnet. Der Philosoph sagt: „Ich darf euch ausrichten, dass ihr eine Anstellung bei Salloum habt. Freut euch!“ Tatsächlich strahlt Bhanumati für einen kurzen Moment über das ganze Gesicht. Dann aber sagt sie: „Jetzt wird es Zeit, dass mein Gatte davon erfährt.“ Lokapriya nickt, sieht aber auch den ängstlichen Blick in den Augen der Frau und sagt dann: „Es gibt Unwetter, die man nicht beeinflussen kann!“ Er verabschiedet sich und geht. Zwei Häuserecken weiter hört er, wie zwischen Bhanumati und ihrem Mann ein lauter Streit ausbricht. Nachdenklich zieht Lokapriya davon.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:05
Nach ihrem Ausbruch ziehen Ashtavede und Saibhang, der erste Advokat, mit den beiden Soldaten durch den Dschungel. Bei der Expedition übernimmt der zweite Soldat die Führung, verliert aber schon bald jegliche Orientierung. Mit zunehmender Verzweiflung kämpfen sich die Minotauren durch das Gestrüpp. Da streckt der zweite Soldat plötzlich seinen linken Arm aus und bedeutet seinen Gefährten innezuhalten. Ein paar Schritte vor ihm zeigt sich an einem gewaltigen Baum eine merkwürdige Erscheinung. Zwischen dessen Lianen windet sich der nackte Oberkörper einer weiblichen Gestalt. Ist es eine Menschenfrau oder ein Trugbild aus dem Pflanzenreich? Der zweite Soldat ist sich nicht ganz sicher und nähert sich vorsichtig. Kurz darauf ist aus der Richtung des Baumes ein merkwürdiges Rascheln zu hören und plötzlich scheint die Rankenfrau kleine, mit Widerhaken versehene Lianen auf die Gruppe abzufeuern. Überrascht sehen sich die Minotauren um und müssen entsetzt feststellen, wie einige dieser Lianen in ihrer Nähe in Baumstämme einschlagen und dort scheinbar sofort Wurzeln treiben. „Sieht nicht gut aus!“, ruft der zweite Soldat. „Nichts wie weg!“

Hastig eilen die Minotauren durchs Unterholz. Nach einer Weile scheinen sie außer Gefahr zu sein und kümmern sich gegenseitig um ihre Gefährten. Offenbar ist niemand von einer der Lianen getroffen worden. „Ich kann diesen Dschungel nicht ausstehen“, meint der zweite Soldat. „Das scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen“, antwortet Ashtavede.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:07
Am Vorabend des Festes der geschlüpften Schildkröten treffen Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat am Rand der Gemeinde Rhomoon bei Messenio Burcanus ein, um auf dessen Gesellschaft als Abendunterhaltung ihre Dienste anzubieten. Im Hause des Kaffeepflanzers ist eine illustre Gesellschaft zusammengekommen. Mujeeb und der zweite Advokat bekommen ein wenig zu Essen und lauschen einem Geschichtenerzähler. Dann erscheint Messenio, der Gastgeber, in einem imposanten Aufzug. Er ist in der Art eines Feldherrn gekleidet und bewaffnet. Offenbar kennt der Geschichtenerzähler Messenios Interessen und schwenkt geschickt auf Schilderungen aus dem Immerkrieg über. Hin und wieder wirft sich Messenio zu den blutrünstigen Erzählungen von Dschungelschlachten und Feldzügen durch mückenverseuchte Regenwälder in Pose. Er scheint den Feldherren der Erzählungen fast nachstellen zu wollen. Einige Gäste schauen ihm interessiert zu, andere sind irritiert oder belächeln ihn ein wenig. Der zweite Advokat versucht ein paar Worte an ihn zu richten, die knapp, aber mit einem feundschaftlichen, etwas kumpelhaften Ton erwidert werden.

Dann ist Mujeeb Gashkari und der zweite Advokat an der Reihe die Gesellschaft zu unterhalten. Natürlich hat der Hausherr den Vortritt und bekommt als erster ein Orakel. Mujeebs Spruch für Messenio Burcanus lautet: „Wenn ihr euer Können einsetzt, um Ereignisse zu euren Gunsten zu beeinflussen, werdet ihr von der Umwelt neu beurteilt werden!“ Messenio ist zufrieden mit dem Spruch und sieht ihn als Ermutigung, seine Fertigkeiten als Feldherr unter Beweis zu stellen. Er versorgt Mujeeb und seinen Assistenten mit Getränken, lobt sie vor seinen Gästen und erreicht dadurch, dass sich noch einige andere ein Orakel verkünden lassen. Mujeeb nimmt an diesem Abend relativ viele Samenkörner ein, da er aber auch zur Vorbereitung der Orakel viele giftige Bienen zerkaut, ist er hinterher völlig benebelt und legt sich erschöpft auf ein Kissenlager.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Gesellschaft zu lockeren Gesprächen übergegangen. Der zweite Advokat lauscht ihren Berichten und hört dann plötzlich, wie ein Mann von Kanta Planudes, dem „Nachbarn mit dem Olivenhain“, berichtet. Seinen Worten zufolge treibe sich hier in der Gegend seit einigen Tagen zwielichtiges Gesindel herum. Eine dieser zweifelhaften Figuren sei erst kürzlich mit einem Sack voller Samenkörner aus dem Haus des Olivenbauern gekommen. Der zweite Advokat spricht den Gast auf seinen Bericht an und erfährt noch, dass es sich bei dem Finsterling um einen gewissen Gaureeshankar Azam aus Takaundanyi gehandelt haben soll. Der zweite Advokat nickt grimmig. Er weiß, dass Gaureeshankar Azam der Mann ist, der anderen Stierzecken zusteckt, damit sie damit Minotauren peinigen können.

Am Ende der Feier bekommt der zweite Advokat noch für einen kurzen Moment die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Hausherrn. Er gewinnt den Eindruck, dass es sich um einen halbwegs passablen Angehörigen der oberen Schichten handelt. Sicher ist Messenio Burcanus verschroben, vielleicht auch etwas irre, aber er spricht fast wie zu einem Menschen mit ihm und fordert ihn öfter auf, sich etwas zu essen zu nehmen. Die Gelegenheit wäre da, dem Mann im Sinne Kanta Planudes zu einem Feldzug in den Dschungel zu überzeugen. „Will ich das denn überhaupt?“, fragt sich aber der zweite Advokat. „Kanta Planudes ist doch viel unsympathischer als dieser harmlose, gutmütige Spinner hier“. Daher lobt der zweite Advokat einfach noch ein wenig die Kaffeeplantage seines Gastgebers, packt seine Sachen zusammen, schultert den dösenden Mujeeb und begibt sich mit ihm ins Haus der Diener. Er sucht dort für sich und den Orakelmann einen Schlafplatz und wacht erst am späten Vormittag wieder auf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:07
Gegen Abend kämpfen sich Saibhang, der erste Advokat, Ashtavede und die beiden Soldaten noch immer durch den Urwald. Alle vier Minotauren sind damit beschäftigt, zusammenzubleiben und einen sicheren Weg einzuschlagen. Daher fällt auch nicht sofort auf, dass es Ashtavede offensichtlich nicht gut geht. Irgendwann sagt er aber: „Macht langsam mit mir!“ Saibhang sieht sich beunruhigt nach ihm um und merkt, wie ihm die Hände zittern. „Ashtavede, was ist los mit dir?“, will er wissen. Der tätowierte Minotaur aber setzt sich stöhnend an einen großen Baum und schweigt. Eine genauere Untersuchung ergibt, dass Ashtavede fiebert und unter Schüttelfrost, vielleicht sogar leichten Krämpfen leidet. Eine Weile verschwindet er hinter dem Baum und müht sich mit seiner Verdauung, mit der es auch nicht zum Besten steht. „Ich nehme an, er ist von einem bösen Geist besessen, der ihm das Sumpffieber gebracht hat“, sagt der zweite Soldat. „Wie gefährlich ist das für uns Minotauren“, fragt der erste Soldat. „Ich bin nicht sicher, aber wir sollten wohl ein Lager hier aufschlagen“, meint der zweite Soldat.

Wie sich ein solcher Geist vertreiben lässt, weiß keiner der Anwesenden. Die Nacht verbringen sie deshalb in große Blätter gewickelt. Abwechselnd wachen die Soldaten und Saibhang und hören dabei dem nächtlichen Dschungel und dem stöhnenden Ashtavede zu.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:08
Der Anführer ist inzwischen wieder in seine Fischerhütte am Vadhm zurückgekehrt. Er bereitet gerade mit seiner Herde eine leichte Suppe zu, als eine junge Frau von der Straße aus auf seine Kochstelle zutritt. Es ist das Küchenmädchen Tasleem aus dem Amphitheater, die ihn bei seiner Flucht unterstützt hat. Mit ernstem Gesichtsausdruck setzt sie sich zu den Minotauren ans Feuer und sagt: „Ich habe dich gefunden, Rind! Sicherlich erinnerst du dich, dass du mir noch einen Gefallen schuldest.“ Der Anführer will wissen, wovon sie spricht, und so hilft sie seinem Gedächtnis auf die Sprünge: „Du hast mir versprochen, dafür zu sorgen, dass vergangene Schmach gerächt wird. Der Schuldige ist dein Nachbar: Ayatashatru!“ Mit diesen Worten greift in ihren Rucksack und holt ein Bündel hervor, das sie vor dem Anführer aufrollt. Vor ihm liegen schließlich ein Blasrohr und eine handvoll Pfeile, deren Spitzen mit einer grünlich harzigen Substanz bestrichen sind. Tasleem sagt: „Das Werkzeug zur Rache habe ich bereits mitgebracht. Du musst es nur verwenden und wir sind quitt.“ Die Holzsammler und der Sänger schauen den Anführer mit großen Augen an, der aber nicht ganz so einverstanden mit dem Vorhaben Tasleems zu sein scheint. Er fragt: „Worum geht es überhaupt? Was hat dir der junge Herr getan?“ Tasleem erzählt widerwillig, dass sie eine Liebesbeziehung zu Ayatashatru hatte, die von seiner Seite aus den verwerflichsten Gründen beendet wurde. Der Anführer will, wissen, was sich Ayatashatru zu Schulden kommen lassen hat und Tasleem erzählt davon, wie er bei ihren zweisamen Treffen immer mehr von irgendwelchen abnormalen Vorstellungen besessen gewesen sei. Er gab sich grob, irgendwie animalisch und tat ihr weh, auch wenn sie darüber klagte. Am Ende verlangte er, beim Liebesspiel mit ihr einen Minotaurenumhang zu tragen. Das sei zu viel für sie gewesen. Tasleem beendet ihren Bericht: „Weil dieser verwöhnte Abschaum der Gesellschaft mit mir nicht seine perversen Gelüste befriedigen konnte, hat er mich ausgespuckt wie scharfen Rettich. Letztlich hat er auch dein Volk beleidigt. Daher muss er sterben. Niemand macht mit mir das, was er getan hat! Nimm das Blasrohr und beschieße ihn! Damit hast du deine Rettung bezahlt.“

Der Anführer beginnt auf Tasleem einzureden. Er zeigt zwar Verständnis für Tasleems Verletztsein, rät ihr aber, sich einfach nach einem anderen Mann umzusehen. Ayatashatru könne schließlich auch nichts für seine Veranlagung. Tasleem sagt: „Höre, Rind: Er hat mich nicht verlassen, er hat mich in meiner Würde verletzt. Das ist unverzeihlich!“ Der Anführer beginnt daraufhin Tasleem auf die Verhältnismäßigkeit ihrer Reaktion hinzuweisen: „Er hat dir wehgetan, mag sein. Du aber willst ihn ermorden lassen!“ Im Folgenden entsteht Streit, der von den anwesenden Holzsammlern und dem Sänger besorgt mitverfolgt wird. Tasleem zeigt sich störrisch und weist den Anführer darauf hin, dass er in ihrer Schuld stehe. Am Ende fragt sie ihn erregt, was er sich eigentlich einbilde: Er sei ein armseliger Minotaur, den sie aus dem Kerker befreit habe, wo bliebe da seine Dankbarkeit? Aber auch der Anführer wird lauter und erzählt ihr, dass er wegen irgendwelcher Liebesgeschichten niemals zum Mörder werde. Tasleem rollt ihr Blasrohr und ihre Pfeile wieder zusammen und brüllt: „Du wirst sehen, was du davon hast, du davongelaufener Sklave!“ Der Anführer brüllt zurück: „Ich sterbe lieber im Amphitheater, als für ein eingebildetes Küchenmädchen zum Mörder zu werden!“ Dieser Verlauf des Gesprächs allerdings wirft den Anführer aus der Bahn. Es fühlt sich für ihn so an, als bilde sich in seinem Netzmagen ein schwerer Stein. Einen Moment lang stützt er sich auf einen seiner Holzsammler. Der Sänger fragt ihn bang: „Ist euch nicht gut, Flussgesegneter?“ Dann aber brüllt der Anführer so laut er kann, stößt Tasleem zur Seite und stürmt in Richtung Dschungel davon.

Tasleem, die Holzsammler und der Sänger schauen sich an. Schließlich sagt der Sänger zu der jungen Frau: „Er hat den Ruf des Dschungels gehört. Es ist besser, wenn ihr jetzt geht.“ Schweigend steht Tasleem vom Feuer auf und geht ohne ein weiteres Wort davon.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:13
Am nächsten Morgen scheint es Ashtavede etwas besser zu gehen. Er sagt: „Hier zu bleiben führt zu nichts. Ich will sehen, ob ich nicht ein Stück mit euch weitergehen kann.“ Etwas mühsam richtet er sich auf und setzt sich mit Saibhang, dem ersten Advokaten, und den beiden Soldaten in Bewegung. Schon bald wird allerdings deutlich, dass Ashtavede seine Krankheit noch nicht überwunden hat. Er stützt sich immer wieder mit einer heißen, feuchten Hand auf die Schulter des zweiten Soldaten und zittert auch ein wenig. Besorgt schauen sich die Expeditionsteilnehmer nach ihrem Freund um.

Etwas später erreichen die Minotauren mitten im Dschungel eine morastige Wiese mit vielen kleinen, roten Blumen. Während sie sich mit Ashtavede über das Feld schleppen erklingt plötzlich eine Stimme, die aus allen Richtungen zu kommen scheint: „Das sieht nach schlechter Vorbereitung aus! Wie seid ihr nur in diese ungünstige Lage geraten?“ Die Minotauren schauen sich um, sehen aber niemanden, und halten inne. Der zweite Soldat spricht: „Wer spricht? Gib dich zu erkennen!“ Die Antwort lautet: „Ich spreche. Das muss reichen. Traut ihr euren Ohren nicht? Habt ihr mahuwa-Schnaps getrunken? Was seid ihr für eine armselige Truppe!“ Der zweite Soldat sagt: „Du magst Recht haben, kannst du uns aber irgendwie behilflich sein? Wir haben einen Kranken dabei, der offenbar von einem übelwollenden Geist besessen ist.“ Die Stimme spricht: „Das Glück ist mit den Trotteln! Geht einfach noch ein paar Schritt weiter. Am Ende des Feldes gibt es ein paar Tümpel, in denen es von Blutegeln nur so wimmelt. Ihr müsst ein paar dieser Tierchen auf den Leib eures kranken Gefährten setzen. Sie werden den bösen Geist aus ihm heraussaugen.“

Während der zweite Soldat für Ashtavede eine geeignete Ruhestelle sucht, suchen Saibhang und der erste Soldat auf dem immer schlammiger werdenden hinteren Teil der Wiese nach den erwähnten Blutegeln. Schließlich erreichen sie drei kleine Tümpel, in denen es von diesen Lebewesen nur so wimmelt. Die beiden Minotauren fischen etwa ein Dutzend der Egel aus dem Wasser, kehren zu Ashtavede zurück und setzen sie ihm auf den Leib. Es dauert nicht allzu lang und Ashtavede fällt in eine gnädige Ohnmacht.

Der zweite Soldat schaut sich erneut auf der Wiese um, aber es ist noch immer niemand zu sehen. Er sagt: „Wir danken dir, aber willst du uns nicht verraten, mit wem wir es zu tun haben?“ „Euch muss man alles ganz genau erklären, nicht wahr? Ich bin die rote Stimme, und offensichtlich ist es meine Aufgabe, Minotauren zu helfen, die nicht selbst auf sich aufpassen können.“ „Oh!“, sagt Saibhang, „die rote Stimme! Wir durften bereits die stille und die helle Stimme kennenlernen!“ „Ihr seid dankbar dafür? Habt ihr nicht gemerkt, dass die beiden völlig idiotisch sind?“ „Nun“, sagt Saibhang verlegen, „bist du nicht in gewisser Weise verwandt mit ihnen? Wir wollten dir nicht zu nahetreten.“ „Und deshalb verstellt ihr euch und redet dummes Zeug? Ihr scheint mir auch nicht besser zu sein als die anderen Stimmen. Wahrscheinlich seid ihr ihnen schon komplett auf den Leim gegangen.“ Der erste Soldat versucht dem Gespräch eine Wendung zu geben und sagt: „Es ist also wahr? Ihr seid in gewisser Weise verwandt?“ „Ich kann es leider nicht völlig von mir weisen, Söhnchen! Wir drei sind das, was vom Geist eures Stammvaters übriggeblieben ist. In gewisser Weise bewegen wir uns über, unter und in den Minotauren. Dass ihr allerdings hier mit mir sprechen könnt, habt ihr allein meiner Mildtätigkeit zu verdanken.“ „Oh, vielen Dank auch dafür!“, beeilt sich der erste Soldat zu versichern.

Saibhang übernimmt das Gespräch und sagt: „Die stille und die helle Stimme hatten in gewisser Weise beide eine Art Botschaft für uns. Gibt es etwas, was du uns mitteilen willst?“ „Reicht es nicht, dass ich euren Kameraden rette?“, fragt die rote Stimme. „Mein Hinweis wird ihm das Leben retten, über euer Verhalten habe ich bisher nichts gesagt. Vielleicht sollte euch das zu denken geben!“ „Wie meinst du das?“, fragt der zweite Soldat. „Was soll ich armseligen Kreaturen wie euch raten?“, fragt die rote Stimme. „Schaut euch an, wie ihr hier in den Dschungel hineingeraten seid! Völlig ohne jede Vorbereitung! Und jetzt wollt ihr irgendeinen Rat von mir, der alle eure Probleme löst? Wie verblendet seid ihr eigentlich?“ „Nun, wir nehmen auch einen kleinen Tipp. Wenn er uns einen Schritt weiterbringt, sind wir bereits dankbar!“

Die rote Stimme lässt ein verächtliches Schnauben ertönen. Dann aber sagt sie: „Einverstanden. Ich werde euch eine kleine Geschichte aus einer fernen Vergangenheit erzählen. Mehr könnt ihr nicht verlangen.“ Erwartungsvoll setzen sich die Minotauren neben den schlafenden Ashtavede und hören zu. „Vor langer Zeit lebte Schaschbukkaho im Dschungel. Er war ein mächtiger Krieger und Herrscher, stark und mutig, niemand kam ihm gleich. Schaschbukkaho hielt die Pflanzen im Zaum und wies den Tieren feste Reviere zu. So hatte alles seine Ordnung und die Welt konnte weiter existieren. Dann aber schickten die Menschen aus der Stadt viele Krieger in den Dschungel und bekämpften die dort lebenden Kreaturen, sich selbst und auch Schaschbukkaho. Lange blieb Schaschbukkaho siegreich und tötete viele Gegner. Schließlich aber unterlag er und wurde von seinen Gegnern in Stücke gerissen. Schaschbukkaho aber war noch nicht gänzlich tot, in seinen Gliedern befand sich noch Leben. Einige der Glieder wälzten sich in den Fluss und wurden in die Stadt geschwemmt. Andere blieben im Dschungel und beschworen in sehnsuchtsvollen Rufen ihre Einheit. Aber auch, wenn es später zu Begegnungen kam, wurde Schaschbukkaho nie wieder das, was er einmal war. Seine Kraft war verloren und die Welt, so wie er sie kannte, war ebenfalls verloren. Heldenhafte und mutige Taten können ihren Untergang verzögern, aufhalten lässt er sich aber nicht.“

Die Minotauren sehen sich an. Sie runzeln ihre Stirn oder pressen ihre Lippen zusammen. Schließlich sagt der zweite Soldat: „Das klingt nicht sehr vielversprechend, rote Stimme. Willst du damit sagen, dass wir den Untergang von Dégringolade nur aufschieben können?“ Ein verächtliches Lachen ist zu hören. Dann sagt die rote Stimme: „Ich sprach von heldenhaften und mutigen Taten und habe ernsthafte Zweifel daran, dass ausgerechnet ihr dazu in der Lage seid.“

Saibhang überlegt eine Weile und sagt dann: „Wir Minotauren leben nach den Gesetzen der Stille, so wie es für unser Volk in Dégringolade üblich ist. Was uns die anderen Stimmen geraten haben, klang aber danach, dass wir diese Gesetze brechen müssen. Wie stehst du zu diesen Regeln?“ Die rote Stimme sagt: „Ihr habt diese Gesetze doch ohnehin nie eingehalten! Ständig steht ihr vor irgendwelchen Entscheidungen, wisst nicht mehr ein noch aus und dreht dann durch! Ihr könnt die Gesetze der Stille im Hinterkopf behalten, sie sollten euch aber nicht davon abhalten, Entscheidungen zu treffen!“ Nachdenklich nicken Saibhang und die beiden Soldaten.

Schließlich sagt die rote Stimme: „Ich habe mich jetzt lange genug mit euch armseligen Kreaturen abgegeben. Morgen früh wird es eurem Gefährten besser gehen. Kehrt zurück in die Stadt! Der Dschungel scheint kein geeigneter Aufenthaltsort für euch zu sein. Und wenn ihr die Wiese verlasst, achtet auf die Seilfallen der Äußeren! Die Gegend hier ist nicht ganz ungefährlich!“ „Wir danken dir, rote Stimme“, sprechen schließlich Saibhang und die beiden Soldaten fast gleichzeitig. Dann rollen sie sich in große Blätter und schlafen ein.

In der Nacht erwacht Saibhang. Irgendetwas krabbelt über ihn hinweg. Er entzündet ein Holzscheit und sieht am Rande der Wiese eine goldene Schildkröte, die auf ihn zu warten scheint. Ein wenig nachdenklich betrachtet er seine schlafenden Gefährten, rüttelt dann kurz am ersten Soldaten und sagt ihm: „Ich verschwinde einen Moment, bin aber gleich zurück.“ „Mhm“, murmelt der erste Soldat mit halb geöffneten Augen schläfrig vor sich hin. Saibhang nähert sich der Schildkröte, die sich nun in Bewegung setzt. Saibhang folgt ihr eine ganze Weile lang durch den nächtlichen Dschungel. Schließlich bleibt das Tier stehen. Saibhang schaut sich um und sieht nicht weit entfernt einen Hügel, dessen Fuß auf der Saibhang zugewandten Seite von einer kleinen Felswand gebildet wird. In dieser Wand befindet sich eine Spalte, aus der helles Licht fällt.

Saibhang nähert sich vorsichtig dem Licht und glaubt den Eingang zu einer Art Höhle gefunden zu haben. Als er einen ersten Schritt ins Hügelinnere macht, begrüßt ihn eine Stimme: „Tritt näher, mein treuer Diener!“ Saibhang macht ein paar Schritte mehr und kann jetzt das Innere der Höhle einsehen. Das Licht ist hier so hell, dass Saibhang mit den Augen zwinkern muss. Nur mit Mühe kann er im Höhleninneren eine würdevoll erscheinende Gestalt erkennen, die offenbar auf einer Art Thron sitzt. Das gleißende Licht scheint die Gestalt zu umfließen und verhindert es, dass Saibhang genauere Details erkennen kann. Schließlich spricht die Gestalt zu ihm: „Sei gegrüßt, mein Sohn! Du hast den Ort gefunden, der das Ende deiner Leiden verheißt!“

Saibhang begreift relativ schnell, wem er hier gegenübersteht. Es ist die helle Stimme, von der ihm die beiden Soldaten bereits erzählt haben. Und was ihm die helle Stimme erzählt, ähnelt auch den Worten, die sie vor einiger Zeit an den Anführer, den Philosophen Lokapriya und die beiden Soldaten gerichtet hat. Sie will die Ungerechtigkeiten der Menschen von Dégringolade beseitigen und braucht dafür Saibhangs Hilfe. Ihr Plan ist es, während einer der Gladiatorenkämpfe im Aphitheater von Dégringolade auf der Ehrentribüne ein verheerendes Feuer zu entfachen, in dem die sich dort regelmäßig versammelnden „schändlichsten Bewohner der Stadt“ vernichtet werden. Dafür aber brauche sie einen Gehilfen, der sie unbemerkt ins Amphitheater bringt. Schließlich fordert sie Saibhang auf: „Nimm aus dem Regal eine der Wasserflaschen und entkorke sie. Ich werde meine Essenz im Inneren der Flasche konzentrieren. Öffne die Flasche dann erst wieder, wenn du dich während einer Veranstaltung im Amphitheater befindest. Denke an all die Demütigungen, die die Menschen dir während deines bisherigen Lebens zugefügt haben! Denke an die Brüder, deren gewaltsamen Tod du mit ansehen musstest, an die Füße, die nach dir traten und die Verbeugungen, zu denen du selbst den Unwürdigsten gegenüber gezwungen warst. Handle beherzt und verhilf mir, der hellen Stimme, zur Herrschaft, auf dass ein goldenes Zeitalter für euch Minotauren anbreche!“ Gebieterisch deutet die Lichtgestalt daraufhin auf ein Wandregal in dem ein leerer Trinkschlauch liegt.

Saibhang überlegt einen Moment, dann tritt er an das Regal heran, nimmt den Schlauch heraus und entkorkt ihn. Das Licht bündelt sich daraufhin in einer kleinen Kugel, die so hell ist, dass Saibhang sein Gesicht abwenden muss. Dann wird es plötzlich dunkel. Saibhang sieht sich um und erkennt, dass nur aus der Öffnung des Trinkschlauches ein Lichtstrahl in die Höhle fällt. Schnell verkorkt er den Schlauch woraufhin es völlig finster wird. Saibhang holt tief Luft, dann nähert er sich vorsichtig der Höhlenwand und tastet sich an ihr entlang zurück ins Freie.

Unter dem Sternenlicht entzündet er erneut ein Holzscheit, muss aber feststellen, dass die goldene Schildkröte nicht mehr aufzufinden ist. Er seufzt, denkt einen Moment nach und kehrt dann in die Höhle zurück. In den Regalen hat er ein paar Pergamente gefunden, die er sich jetzt noch ein wenig genauer ansieht. Eines von ihnen enthält einen dieser Sprüche, von denen die Gefährten schon ein paar gefunden haben. Saibhang liest:

Der Wald achtet nicht auf das Tier.
Beständig rauscht er.
Was liegt an?   
Hör zu!


Einen Moment denkt er nach, dann zuckt er mit den Schultern, steckt das Pergament ein und versucht durch den Urwald hindurch den Rückweg zur Wiese mit den roten Blumen zu finden. Nach einigen hundert Schritten hört er plötzlich über sich eine erstickte Stimme: „Hilfe! Hilf mir!“ Saibhang schaut nach oben und sieht den Anführer, der offenbar das Opfer einer Seilfalle geworden ist. Mit etwas Mühe klettert Saibhang auf einen der schlanken Bäume und schneidet den Anführer los.

Der Anführer erzählt Saibhang von seinem Erlebnis mit Tasleem, bei dem er die Kontrolle über sich verloren hatte und den Ruf des Dschungels hörte. Saibhang nimmt ihn mit zur Wiese mit den roten Blumen. Ashtavede und die beiden Soldaten schlafen. „Die drei werden Augen machen, wenn sie morgen erwachen“, sagt Saibhang zum Anführer. Dann legen sich auch er und der Anführer schlafen. Saibhang knotet die Trinkflasche sicher an seiner Kleidung fest und schläft schon bald ein.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:15
Am nächsten Tag findet in Dégringolade das Fest der schlüpfenden Schildkröten statt. Lokapriya, der Philosoph, begibt sich mit vielen anderen Menschen und Minotauren an die Mündung des ewigen Flusses um dort zu beobachten, wie die frisch geschlüpften Schildkröten ihren Weg ins Meer antreten. Viele Menschen tragen Blumen im Haar und festliche, bunte Kleider. Der Duft süßen Gebäcks zieht durch die Straßen. Die Menschen lachen, singen und umarmen sich. Angestellte Minotauren arbeiten auch heute für die Menschen Dégringolades, aber weil die meisten Menschen freudig erregt sind, kommt es an einem Tag wie diesem auch zu weniger bösen Worten und Schikanen. Daher freuen sich auch die Minotauren auf dieses Fest.

An der Flussmündung angekommen sieht Lokapriya den kleinen Schildkröten hinterher, bis er etwas Ungewöhnliches entdeckt. Ein einzelnes Schilkrötenbaby scheint eine falsche Richtung eingeschlagen zu haben. Statt dem Meer steuert es die Straßen Dégringolades an. Schon folgt ihm Lokapriya, um seinen Kurs zu korrigieren, da fällt dem Minotauren auf, wie zielstrebig sich das Jungtier verhält. Lokapriya beschließt, ihm noch einen Moment zuzusehen.

Nach einer Weile erreicht die kleine Schildkröte ein paar verlassene Läden, deren Besitzer sich am heutigen Tag allesamt an der Flussmündung aufhalten. Das Tier klettert auf das Gestell eines Gewürzhändlers, auf dem sich ein Teil seiner Ware befindet. Lokapriya sieht, wie das Tier nach einem Stück Sternanis schnappt und in seine Richtung hält. „Für mich?“, fragt Lokapriya und nimmt die sternförmige Gewürzfrucht entgegen. Die Schildkröte setzt ihren Weg fort. Etwas später müht sich die Schildkröte und klettert auf den Wagen eines Obsthändlers. Mit ihrem kleinen Panzer versucht sie eine halbe Orange in Lokapriyas Richtung zu bewegen. Nachdenklich nimmt der Philosoph die Frucht entgegen und betrachtet die gleichmäßig um das Zentrum angeordneten Segmente der Frucht. Die Schildkröte setzt ihren Weg fort und gelangt schließlich an den kleinen Stand einer Kräuterfrau. Hier gräbt sie eine Weile zwischen verschiedenen Blättern herum und hält dem Philosophen schließlich ein großes Blatt Kapuzinerkresse entgegen. Lokapriya betrachtet das rundliche Blatt und die sternförmig zusammenlaufenden Adern. „Konzentrische Kreisfiguren? Willst du mir etwas sagen, kleines Tier?“, fragt der Minotaur, aber die Schildkröte zieht weiter. Schließlich erreicht sie den Turm der Helden. Lokapriya schaut sich neugierig um, Gerdatosa, der Turmwärter ist aber nirgends zu sehen. „Er wird ebenfalls an der Flussmündung sein und den schlüpfenden Schildkröten zusehen“, denkt sich der Philosoph. Dann sieht er, wie die kleine Schildkröte versucht, die Tür des Turmes aufzustemmen. „Du willst da hinein?“, fragt Lokapriya. Er zieht die Tür auf und wundert sich, dass sie nicht abgeschlossen war. „Ein paar Schildkröten schlüpfen und die ganze Stadt wird leichtsinnig“, murmelt er vor sich hin, folgt dann aber der Schildkröte ins Innere. Das Tier müht sich die Treppen hinauf, was Lokapriya kaum mit ansehen kann. Er sagt: „Ich nehme dich mit nach oben. Da willst du ja offensichtlich auch hin.“ Mit der Schildkröte in der Hand steigt er bis zur Turmspitze hinauf und schaut sich erst einmal um.

Neben der Tür, die auf die Turmplattform führt, befindet sich in die Wand graviert ein steinernes Gesicht, wie es an mehreren Häusern Dégringolades zu finden ist. Dieses hier besitzt allerdings eine besonders tief ausgehölten Mund. „Ein Mund der Wahrheit“, denkt Lokapriya und runzelt mit der Stirn. Er weiß, dass Menschen sich erzählen, derartige Steingravuren bissen Lügnern die Hand ab, wenn sie sie in den Mund steckten. Dann wirft er einen Blick vom Turm und wundert sich. Er hat das Gefühl, der Turm sei viel höher, als er von unten aussieht. Der Ausblick ist grandios und bietet eine Sicht weit über den Dschungel hinweg. Lokapriya atmet tief ein und hält plötzlich inne. Die Landschaft scheint an einer Stelle eine Grenze zu besitzen. Vor der Grenze wirkt das Grün intensiver, hinter ihr blasser. Lokapriya verfolgt diese Grenze mit seinen Augen und stellt fest, dass sie in einem großen Bogen verläuft. Dann fallen ihm weitere ähnliche Grenzen auf, auch in Dégringolade selbst verlaufen ein paar von ihnen. Schließlich erkennt er, dass das ganze Land, was ihm hier zu Füßen liegt, in konzentrischen Kreisen unterteilt scheint. Das Zentrum aber liegt nicht in Dégringolade, sondern an irgendeiner relativ fernen Stelle im Dschungel. „Was ist das für ein Ort?“, fragt Lokapriya die kleine Schildkröte. Leider erhält er keine Antwort. Stattdessen macht sich die Schildkröte an Lokapriyas Tragebündel zu schaffen. „Was machst du da?“, fragt der Minotaur und breitet seine Habseligkeiten vor der Schildkröte aus. Die Schildkröte kriecht daraufhin auf seinen geschnitzten Holzball mit den unzählbaren ineinandergeschachtelten Bällen zu, schlüpft durch ein paar der verzierten Öffnungen hindurch und ist irgendwann verschwunden. Es sieht so aus, als habe sie sich auf ihrem Weg ins Innere der wundersamen Kugel in Luft aufgelöst. Lokapriya schaut an unterschiedlichen Stellen ins Innere der Kugel, schüttelt sie auch ein wenig, aber die Schildkröte bleibt verschwunden. „Seltsames Tier“, denkt er. „Ich hätte gern noch eine Erklärung gehört.“ Dann aber erblickt er erneut das in die Wand gravierte Steingesicht und spricht: „Du sollst die Wahrheit erkennen können. Kannst du sie auch verkünden?“ Nach einem kurzen Zögern fasst er entschlossen in den Mund des Reliefs. In diesem Moment klingt die Stimme Synesia Empyreus in seinem Schädel, die Stimme der Verstorbenen, deren Geist Lokapriya eine Weile in einer Amphore mit sich führte. Lokapriya hört: „Er war im Auftrag seines Herrn, eines Geschichtenerzählers, auf dem Weg zu einem Dschungelbewohner, den er unter dem Namen Mamsir kannte und dem er eine Papyrusrolle bringen sollte, auf der der Geschichtenerzähler eines seiner Werke festgehalten hatte.“

Verwundert schüttelt Lokapriya den Kopf. War das eine Erinnerung? Diese Worte kannte er. Es waren die Worte Synesia Empyreus, die sie nach seiner Begegnung mit dem seltsamen Wesen aus Kiefernnadeln zu ihm gesprochen hatte. Lokapriya war damals mit dem Anführer und den beiden Soldaten auf ein Grab im Dschungel gestoßen, in dem sich die Überreste des erwähnten Boten befanden. „Der Bote ist tot“, überlegt Lokapriya, „der Geschichtenerzähler wahrscheinlich auch… und dieser Mamsir? Vielleicht sollte ich versuchen mehr über ihn herauszufinden.“ Nachdenklich verlässt Lokapriya den Turm der Helden. Das Fest der schlüpfenden Schildkröten ist fast vorbei und Lokapriya beschließt daher, nach Rhomoon zurückzukehren. Brummelnd zieht er durch die milde Abendluft am ewigen Fluss entlang.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 6.07.2021 | 01:17
Während die geschlüpften Schildkröten auf das Meer zu kriechen schauen ihnen sechs zufällig beieinanderstehende Minotauren hinterher und unterhalten sich dabei über die neuesten Ereignisse.

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: War das nicht Lokapriya, der Philosoph?

Der albinistische Minotaur mit der Kindertrage auf dem Rücken: Ich denke schon. Warum ist er schon gegangen?

Der bettelnde, invalide Minotaurenveteran aus dem Immerkrieg: Habt ihr´s nicht gesehen? Er ist einer geschlüpften Schildkröte in die Stadt gefolgt.

Der schläfrige Minotaureneunuch des Opilio Rhangabe: Ich kann das gut verstehen. Hier herrscht ein entsetzlicher Trubel.

Der junge Minotaur aus der Metzgerei Karwasra: Trubel? Die Leute freuen sich! Es ist das Fest der schlüpfenden Schildkröten!

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Und es kommt gerade recht, nach der Katastrophe beim Rinderopfer.

Der bettelnde, invalide Minotaurenveteran aus dem Immerkrieg: Das stimmt. Der Vadhm war vom Blutvergießen ganz rot, wir dürfen aber nicht die schönen Dinge des Lebens vergessen. Ich erinnere mich, dass ich während meiner Zeit im Dschungel auch bezaubernd schöne rote Blumen beobachten und von heilkräftigen Blutegeln profitieren durfte.

Der junge Minotaur aus der Metzgerei Karwasra: Lokapriya hatte für den herzerwärmenden Anblick der schlüpfenden Schildkröten offenbar nicht viel übrig. Ich würde zu gern wissen, warum er das Fest verlassen hat.

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Ich habe keine Ahnung. Gestern allerdings habe ich meinen Herrn zu einer Gesellschaft des Messenio Burcanus begleitet. An dem Abend wurden auch viele spannende Geschichten über den Dschungel erzählt. Meistens ging es dabei um den Immerkrieg.

Der bettelnde, invalide Minotaurenveteran aus dem Immerkrieg: Lass gut sein!

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Ist recht. Es war allerdings auch der Orakelmann, Mujeeb, und sein Gehilfe da. Sie haben Messenio ein Orakel vorgelegt und ihn dazu gebracht seine Geschichten vom Krieg zu unterbrechen und stattdessen von seiner Kaffeeplantage zu sprechen.

Der junge Minotaur aus der Metzgerei Karwasra: Wie soll das funktioniert haben? Ich dachte, Mujeeb hat nur noch einen einzigen Spruch auf Lager!

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Das ist besser geworden. Er hat die Gesellschaft eine ganze Weile lang unterhalten.

Der bettelnde, invalide Minotaurenveteran aus dem Immerkrieg: Gut so. Es gibt erbaulichere Themen als den Immerkrieg.

Der Minotauren-Dachwächter vom Theater des Saemauug Empyreus: Frauen beispielsweise! Neben der Villa des Porfirio Empyreus haust doch dieser Fischer! Er hatte Besuch von diesem jungen Ding, das vor einiger Zeit mit dem Sohn Porfirios ein Techtelmechtel hatte.

Der albinistische Minotaur mit der Kindertrage auf dem Rücken: Das ist das Mädchen, das in der Küche des Amphitheaters arbeitet, nicht wahr?

Der schläfrige Minotaureneunuch des Opilio Rhangabe: Wahrscheinlich hat sie sich von ihm getrennt, weil er andauernd mit diesem Minotaurenumhang herumläuft.

Der junge Minotaur aus der Metzgerei Karwasra: Wahrscheinlich war sie enttäuscht und würde gern mal einen echten Minotauren kennenlernen

Die übrigen Minotauren lachen. Das Kind in der Trage des albinistischen Minotauren fängt an zu schreien. Es bekommt eine Hyazinthe zum Spielen und beruhigt sich irgendwann wieder.

Der Minotauren-Dachwächter vom Theater des Saemauug Empyreus: Das Mädchen hätte mit dem Fischer ja einen recht stattlichen Minotauren näher kennenlernen können! Stattdessen hat sie wohl irgendwelche Forderungen gestellt, die der Bruder nicht erfüllen wollte. Beide müssen recht aufgebracht gewesen sein. Sie haben jedenfalls ein ziemliches Geschrei veranstaltet.

Der bettelnde, invalide Minotaurenveteran aus dem Immerkrieg: Ich habe gehört, der Fischer habe den Ruf des Dschungels gehört.

Der Minotauren-Dachwächter vom Theater des Saemauug Empyreus: Das stimmt. Ich weiß ja nie, was ich dazu sagen soll. Die Brüder setzen ohne Not ihre Leben aufs Spiel… aber dass sich da ein Minotaur von so einem frechen Ding nicht alles bieten lässt, gefällt mir durchaus.

Der albinistische Minotaur mit der Kindertrage auf dem Rücken: Der Fischer muss aufpassen! Aus solchen Situationen entsteht Rache und Unheil! Was ist, wenn das Mädchen nachtragend ist und irgendwelche Geschichten erzählt?

Der schläfrige Minotaureneunuch des Opilio Rhangabe: Was soll dann schon sein? Schlimmstenfalls gibt es einen Minotauren weniger.

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Lasst uns versuchen noch ein paar dieser Gebäckstückchen zu ergattern! Wir haben genug Probleme gewälzt!

Der junge Minotaur aus der Metzgerei Karwasra: Das stimmt. Manche Probleme muss man eben schlucken.

Der Minotaur mit den Hyazinthen an den Hörnern: Manche Gebäckstückchen auch.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:01
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Wenn du aus dem Dschungel zurückkehrst,
ist die Stadt noch dieselbe wie zuvor.

Du bist es nicht.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:02
Ich verteile in Teig gebackene Bananenblüten.

Richtig lecker ist das nicht, aber fremdartig.

Auf der Suche nach Vergleichen kommen Artischocken in den Sinn, dann erzähle ich kurz von den winzigen Bananenfrüchten, die sich zwischen den Blättern bilden.

Eine Weile kauen wir schweigend.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:03
Nach einer Nacht auf einer morastigen Wiese mit roten Blumen im Dschungel erwachen Ashtavede, der erste Advokat, der Anführer und die beiden Soldaten und beginnen sich über ihre nächsten Schritte zu beraten. Die Minotauren sind einig, dass sie wieder nach Dégringolade zurückkehren wollen. Für Ashtavede und Saibhang stellen die Stadttore allerdings ein Problem dar. Sie dürften als Sträflinge bekannt sein, die auf ihrem Transport zum Gefängnis von Fesula entlaufen sind. Wahrscheinlich werden sie gesucht. Also beschließen sich die Minotauren zu trennen. Saibhang, der erste Advokat, sagt: „Wenn die Stadt in Sicht kommt, werde ich mit Ashtavede versuchen mit einem Floß in die Mündung des Vadhm zu gelangen. Auf diese Weise können wir die Tore mit ihren Wachen umgehen. Einen tüchtigen Flößer könnten wir dabei allerdings auch noch gebrauchen.“ Der Anführer erklärt sich einverstanden sie zu begleiten. Die Soldaten planen auf dem normalen Weg in die Stadt zurückzugehen. Wohin aber müssen sie sich wenden, um zur Stadt zurückzukehren? Der zweite Soldat schlägt aufs Geradewohl eine Richtung ein, die anderen folgen ihm.

Dann aber bedeutet er seinen Gefährten stehenzubleiben und zu schweigen. In einiger Entfernung sind Schritte, Rufe und ein verdächtiges Stöhnen zu hören. Die Minotauren verbergen sich im Unterholz und warten auf die Verursacher der Geräusche. Schließlich zieht auf einem kleinen Pfad vor ihnen ein Trupp von fünfzehn Soldaten aus dem Immerkrieg vorbei. Sie haben vier gefesselte Gefangene dabei, deren Haut orangerot gefärbt ist. Einer von ihnen ist ein Minotaur, die drei anderen sind Menschen. Einer der Soldaten schwingt eine Peitsche und traktiert die Gefangenen damit. Die Gefangenen stöhnen unter den Hieben und ächzen unter Zwang bei jedem Treffer Sätze wie „Ich freue mich, ihre Bekanntschaft zu machen“, oder „Vielen Dank, geschätzter Gefährte!“ Viele der Soldaten schauen sich das Schauspiel höhnisch an. In ihrer Mitte geht ihr Anführer, der Edison Angelus genannt wird.

Ashtavede verzieht angewidert das Gesicht. Saibhang aber flüstert: „Die Gefangenen sind Äußere! Den mit dem stolzen Gesicht habe ich bereits kennengelernt: es ist Mohan Gopi, einer ihrer Anführer.“ „Sie sollen sicherlich versklavt werden“, meint der zweite Soldat und fügt hinzu: „“Wir können sie nicht befreien. Fünzehn Gegner sind zu viel für uns. Wir können ihnen aber folgen. Ich nehme an, sie sollen in Dégringolade verkauft werden.“

Also schleichen die Gefährten vorsichtig hinter dem Trupp her. Früher oder später macht der zweite Soldat aber eine Beobachtung: „Sie versuchen uns abzuschütteln. Irgendjemand hat gemerkt, dass wir sie verfolgen und versucht uns loszuwerden.“ „Vielleicht führen sie uns auch in einen Hinterhalt?“, meint der erste Soldat. Die Mintauren beschließen, die Verfolgung aufzugeben und lassen sich zurückfallen.

Wenig später beginnt der zweite Soldat immer wieder aufmerksam nach oben zu schauen. Er sagt: „Ich glaube, die Bäume werden kleiner. Möglicherweise sind wir bereits am Rand des Dschungels.“ Diese Annahme ist korrekt. Wenig später erblicken die Minotauren vom Rand des Dschungels die Stadt, in der sie aufgewachsen sind. Der erste Soldat bemerkt: „Meinen Glückwunsch, Bruder! Und zu diesem hoffnungsvollen Anblick lehnst du dich ausgerechnet an einen Eukalyptusbaum.“ Erstaunt schaut sich der zweite Soldat um und nickt: „Eukalyptus ist Bestandteil vieler meiner Massageöle, der Saft ist meine Essenz.“ „Hat sie einen Namen, diese Essenz?“, fragt der erste Soldat. „Myrtakaya, die Wohlriechende“, sagt der zweite Soldat. „Hört sich so an, als hättest du dir selbst einen Namen verliehen“, meint Ashtavede. „Ich werde dich Myrtakay rufen.“ Die anderen Minotauren nicken zufrieden.

Dann aber ist der Moment des Abschieds gekommen. Die Soldaten nähern sich der Stadt, der Anführer, Ashtavede und Saibhang ziehen am Rand des Dschungels entlang Richtung Meer, wo sie mangels geeigneter Werkzeuge mühsam aus ein paar Stämmen ein Floß bauen. Letztlich gelangen beide Gruppen ohne weitere Zwischenfälle in die Stadt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:05
Nach der Feier bei Messenio Burcanus kehrt bei Mujeeb Gashkari und dem zweiten Advokaten wieder Alltag ein. Mann und Minotaur ziehen in Dégringolade durch die Straßen und bieten Passanten an, ein Orakel zu erstellen.

Nach einem wenig ereignisreichen Vormittag schaut Mujeeb seinen Assistenten interessiert an und fragt: „Und jetzt, Rind? Was grübelst du? Du denkst über das Schicksal deines Volkes nach, stimmt´s? Irgendwann musst du aber auch einmal zu einer Entscheidung kommen!“ Der zweite Advokat antwortet: „Ich bin hin und hergerissen, Mujeeb! Manchmal glaube ich, ich sollte mich um eine Gefährtin bemühen und eine Familie gründen, aber mir fällt dann gleich wieder das Leid der Frauen ein, die sich an einen Minotauren binden. Dann denke ich, vielleicht sollte ich versuchen, im Immerkrieg zu Ruhm und Ehre zu kommen. Ich will der erste Minotaur werden, der zum Feldherrn aufsteigt! Das Kriegshandwerk hat allerdings auch seine Schattenseiten.“

Mujeeb Gashkari nickt und sagt: „Du stehst vor wichtigen Entscheidungen. Mit fällt dazu ein Kindermärchen ein, das die Mütter ihren menschlichen Sprösslingen in Dégringolade erzählen. Ich werde es dir erzählen.

Gopal und Yad waren zwei Prinzen. Sie lebten im Schloss ihrer Eltern ein einsames Leben. Da sagte ihr Vater, der König: „Wir haben euch unterrichtet, so gut wir konnten. Nun seid ihr alt genug, um auf eigene Faust die Welt zu entdecken. Es steht ein Stern am Himmel, der neuen Unternehmungen Glück verheißt. Brecht daher bald auf und kehrt zurück, wenn auch der Stern zurückkehrt. Ich will dem erfolgreicheren von euch unser Schloss und Reich vermachen.“ Da zogen die Brüder in die Ferne: Gopal in den Westen, Yad in den Osten.

Gopal trat in die Dienste eines fremden Herrschers und lernte das Kriegshandwerk. Er schlug viele siegreiche Schlachten und wurde schließlich sogar zum obersten Befehlshaber des Herrschers ernannt. Sein hartes Leben hinterließ Spuren an seinem Körper. Er ergraute früh, seine Augen verloren ihren Glanz und um seine Mundwinkel bildete sich ein gnadenloser Zug. Yad begab sich auf eine lange Wanderung. Er lernte eine Frau kennen, mit der er einen Sohn zeugte, der ebenfalls Yad genannt wurde. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Fahrender durch kleine Reparaturarbeiten und der Unterhaltung der Menschen, denen er begegnete. Eines Tages traf Yad im Dschungel auf einen Wakwak und starb. Sein Sohn aber setzte seine Wanderung fort.

Dreißig Jahre nach dem ersten Erscheinen des glückverheißenden Sternes erschien er ein zweites Mal. Gopal macht sich auf den Rückweg, und auch Yad, dem sein verstorbener Vater davon erzählt hatte, machte sich auf den Weg zu seinem Großvater. Als die beiden Männer bei dem betagten Greis ankamen fragte dieser: „Gopal, was hast du aus deinem Leben gemacht?“ Gopal sagte: „Ich bin ein großer Heerführer und von allen Bürgern meines Landes geachtet. Ich stehe in der Gunst meines Herrschers und alle Feinde neigen ihr Haupt vor mir. Sind mir noch einige Siege vergönnt, wird mein Name in den Geschichtsbüchern stehen und Unsterblichkeit erlangen!“ Gopals Vater nickte, dann wandte er sich Yad zu: „Du musst mein Enkel sein, so sehr ähnelst du meinem Sohn Yad. Erzähle mir, was aus ihm geworden ist!“ Yad sprach: „Dein Sohn ist tot. Er gab seine Essenz aber an mich weiter. Ich bin heute so alt wie er, als er dich verlassen hat. Wie er bin ich auf Wanderschaft. Wie er verdiene ich meinen Lebensunterhalt durch Kesselflicken und Geschichtenerzählen. Yad ist ebenso unsterblich wie Gopal.“

Gopal aber lachte und fragte ungeduldig: „Entscheide dich Vater, wer erbt dein Schloss?“ Da sah der Greis zuerst den vom Krieg gezeichneten Gopal ins vernarbte Gesicht und dann seinen hübschen, aufrechten Enkel Yad an, überlegte einen Moment und stürzte dann zu Boden. Er starb, ohne sich entschieden zu haben.


Eine Weile lang sitzt der zweite Advokat stumm vor Mujeeb und denkt nach. Dann sagt er: „So möchte ich nicht sterben, Mujeeb! Da ich mich nicht entscheiden kann, werde ich das Los entscheiden lassen. Die leere Hand steht für die Familie, die Hand mit dem Samenkorn für den Immerkrieg.“ Daraufhin hält der Minotaur dem Orakelmann seine beiden Fäuste entgegen und Mujeeb deutet auf die rechte. Der zweite Advokat öffnet sie. Es kommt ein Samenkorn zum Vorschein. Wieder überlegt der Minotaur eine Weile. Schließlich sagt er: „Wenn ich Dégringolade verlasse, was wird dann aus dir?“ „Oh, mach dir keine Sorgen um mich. Es gibt eine ganze Menge nichtsnutzige Rindviecher in den Straßen Dégringolades, die mir ein wenig zur Hand gehen können. Ich komme schon zurecht! Wenn du wirklich in den Immerkrieg ziehen willst, solltest du zum Platz vor dem Amphitheater in Khostalush ziehen. Dort bieten sich immer wieder Söldner an, die neue Anstellungen suchen.“ Der zweite Minotaur legt dem Orakelmann seine Hand auf die Schulter und sagt: „Danke, Mujeeb. Du machst mir den Abschied leicht. Ich werde dich nie vergessen!“ „Ich werde dich daran erinnern, wenn du als siegreicher General zurückkommst!“, sagt Mujeeb mit einem Grinsen im Gesicht. Dann gehen der zweite Advokat und Mujeeb Gashkari getrennte Wege.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:08
Nach einigen Botengängen wendet sich der Philosoph Lokapriya schließlich wieder der Gemeinde Rhomoon zu und stattet der Gaststätte Zum friedlichen Mungo einen Besuch ab. Erstaunt erblickt er im Schankraum Bhanumati, die Frau, der er erst kürzlich zu einer Aushilfsanstellung bei der Bäckerei Salloum verholfen hat. Ihr Gesicht wirkt verquollen, ihr Blick entschlossen.

„Eine Bäckerin im friedlichen Mungo, was für eine Überraschung!“, sagt Lokapriya. „Was ist mit dir geschehen?“ Bhanumati erklärt: „Mein Ehemann war nicht begeistert davon, dass ich bei Salloum arbeite. Wir hatten eine Auseinandersetzung.“ Lokapriya erschrickt ein wenig, dann fragt er: „Wie ist sie ausgegangen?“ Bhanumati sagt: „Ich kann nicht mehr zurück. Es ist gut, wie es ist. Eine Entscheidung ist gefallen. Bei Salloum hat man mir eine kleine Abstellkammer zur Verfügung gestellt. Ich kann dort übernachten. Die Leute dort behandeln mich gut. Ich hoffe nur, dass mich mein Gatte in Frieden lässt. Derzeit habe ich Angst, auf die Straße zu gehen.“ „Und doch bist du hierhergekommen?“, fragt Lokapriya. Bhanumati errötet etwas und antwortet: „Du hast gesagt, du wärest öfter hier. Ich habe gehofft, dich hier zu treffen, Lokapriya. Du bist ein starker Minotaur. In deiner Gegenwart wird mein Gatte sich sicherlich nicht trauen, mir etwas anzutun.“ „Wie stellst du dir das vor?“, fragt Lokapriya. „Die Abstellkammer in der Bäckerei Salloum ist groß genug für uns beide“, sagt Bhanumati und fasst Lokapriya am Arm. „Wünschst du dir nicht auch ein wenig mehr Sicherheit? Ich habe schon mit dem Bäckermeister gesprochen. Du könntest deine langen Botengänge aufgeben und die Backwaren austragen.“ Mit einem hoffnungsvollen Blick sieht Bhanumati Lokapriya an. Der Minotaur schnaubt ein wenig und sagt: „Ich muss darüber nachdenken. Ich kann das nicht von heute auf morgen entscheiden. Lass mir einen Moment Zeit. Ich komme vorbei und sage Bescheid, das verspreche ich dir.“ „Meine Gedanken sind bei dir, Lokapriya!“, sagt Bhanumati. Sie blickt ihm lange in die Augen und fügt hinzu: „Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Jetzt kehre ich zur Bäckerei Salloum zurück.“ „Auf bald!“, sagt Lokapriya, aber es ist ihm nicht ganz wohl dabei.

Kurz nach dem Abschied von Bhanumati betreten andere Bekannte des Philosophen den friedlichen Mungo. Es sind Ashtavede, Saibhang und der Anführer, die ihr provisorisch zusammengezimmertes Floß inzwischen irgendwo in Dégringolade ans Ufer gezogen haben und sich in einer ruhigen Atmosphäre einen Plan für ihr weiteres Vorgehen überlegen wollen. Dass sich Lokapriya auch in der Gaststube aufhält, kommt ihnen gerade Recht.

Der Anführer: „Ich bin davon überzeugt, dass die Lösung für unsere Probleme im Dschungel liegt. Warum sonst sollte er uns immer wieder rufen?“

Ashtavede: „Das ist gut möglich. Denkt an die rote Stimme, die uns von Schaschbukkaho erzählt hat!“

Lokapriya: „Was habt ihr erlebt? Erzählt mir davon!“

Nachdem ihm die Rückkehrer aus dem Dschungel von ihren jüngsten Erlebnissen erzählt haben, beginnt Lokapriya laut zu denken: „Schaschbukkaho? Der Name bedeutet „Sechs Ochsen“. Später wird sein Körper in sechs Teile zerstückelt, die aber eine Art Eigenleben behalten. Die Legende sagt, dass wir von vier knabenhaften Minotauren abstammen, die aus dem ewigen Fluss gezogen wurden. Waren das bereits Körperteile von Schaschbukkaho?“

Saibhang: „Gut möglich. Die rote Stimme behauptet auch, die drei Stimmen seien das, was vom Geist unseres Urvaters übriggeblieben sei. Offenbar wurde auch sein Geist zerrüttet.“

Lokapriya: „Ich habe schon ein paarmal darüber nachgedacht, ob es nicht vorteilhaft sein könnte, wenn die Stimmen auf irgendeine Weise zusammengeführt werden könnten. Ich habe nur keine Ahnung, wie das zu bewerkstelligen ist.“

In diesem Moment öffnet sich die Tür der Schankstube und der zweite Advokat tritt ein. Der Anführer grüßt ihn erfreut: „Hallo Bruder, wo hast du Mujeeb gelassen?“

Der zweite Advokat setzt sich zu den andren Minotauren und sagt: „Ich habe eine Entscheidung getroffen und Mujeeb verlassen. Ich will zum Zentrum nach Khostalush, vor das Amphitheater, wo die Söldner sind und ihre Dienste anbieten. Wenn es das Schicksal gut mit mir meint, werde ich mir im Immerkrieg einen Namen machen!“

Lokapriya: „Was ist das für eine Idee? Willst du dir das Blut von den Mücken aussaugen und die Glieder von Macheten zerhacken lassen? Wir organisieren ein Rinderopfer um unsere Brüder vor dem Elend des Krieges zu bewahren und du begibst dich freiwillig hinein?“

Zweiter Advokat: „Mein Ziel ist es, den Immerkrieg für die Minotauren zu drehen. Vielleicht kann ich die Minotauren nach ein paar Siegen von meinen Führungsqualitäten überzeugen! Vielleicht kann ich eine Streitmacht zusammenstellen, die nicht für die Sache irgendwelcher Tyrannen, sondern für sich selbst kämpft!“

Die anderen Minotauren werfen dem zweiten Advokaten zweifelnde Blicke zu.

Ashtavede: „Ich halte deine Idee für ausgemachten Blödsinn. Immerhin scheint aber auch für dich der Dschungel das Ziel zu sein. Unser Weg führt vielleicht noch eine Weile lang in dieselbe Richtung.“

Lokapriya nickt: „Zum Fest der geschlüpften Schildkröten stand ich auf dem Turm der Helden und hatte einen merkwürdigen Blick auf den Dschungel hinter Dégringolade… fast wie eine Vision. Der Dschungel und die Stadt schienen aus konzentrischen Kreisen zu bestehen und das Zentrum war irgendwo ein ganzes Stück weit weg mitten im Wald. Vielleicht gehört auch der Name Mamsir zu dieser Vision. Ich erinnerte mich an ihn. Zu diesem Mann war der Bote unterwegs, dessen Grab wir vor einiger Zeit im Dschungel gefunden haben.“

Anführer: „Dieser Bote ist aber doch schon lang tot!“

Lokapriya: „Und doch scheint der Empfänger seiner Botschaft noch irgendeine Rolle zu spielen. Dieser seltsame Blick vom Turm der Helden beschäftigt mich. Ich würde mich gern auf den Weg zu diesem Zentrum machen, aber wie lässt es sich finden?“

Saibhang: „Wenn sich irgendjemand im Urwald auskennt, dann sind es die Äußeren. Wir sind auf unserem Rückweg eine Weile lang hinter einem Trupp aus dem Immerkrieg hergeschlichen. Sie hatten vier versklavte Krieger der Äußeren dabei. Ich vermute, sie werden als Sklaven verkauft, vielleicht sogar auf demselben Söldnermarkt im Zentrum, zu dem unser Freund unterwegs ist.“

Saibhang nickt dem zweiten Advokaten zu und fährt fort: „Zumindest dorthin scheinen alle unsere Wege zu führen. Wollen wir uns auf den Weg machen?“

Anführer: „Ich muss vorher noch einen Abstecher machen und nach meiner Hütte sehen. Dort warten die Holzsammler und der Sänger auf mich. Wenn ich mit ihnen gesprochen habe, werde ich nachkommen.

Die Minotauren nicken, drücken Nagur Mulukutla, dem Wirt, ein paar Samenkörner in die Hand und machen sich auf den Weg.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:09
Die beiden Soldaten haben bei der Rückkehr nach Dégringolade keine größeren Probleme überwinden müssen. Als sie sich aber dem Haus von Porfirio Empyreus nähern, merken sie schon aus einiger Entfernung, dass irgendetwas nicht stimmt. Auf der Straße vor der Villa stehen ein paar Menschen, einige lachen und zeigen mit den Fingern auf das Anwesen, andere rufen „Flittchen!“ oder ereifern sich. Auch ein paar Kinder sind unter ihnen, die Müll und Dreck auf das Grundstück werfen. Ein Fremder schlägt hin und wieder mit einer Metallstange gegen die Gartenmauer.

Die beiden Soldaten nähern sich vorsichtig und bemerken, dass sich am Haus selbst etwas verändert hat. Das steinerne Gesicht über der Eingangstür, das bisher noch jedem, der sich der Haustür näherte, einen rätselhaften Blick zuwarf, hat seine Augen geschlossen. „Wie konnte das geschehen?“, fragt der Myrtakay, zweite Soldat. Der erste Soldat antwortet ihm: „Es heißt ja, die Steingesichter befinden sich an den Häusern, in denen Angehörige der Empyreus-Sippe leben.“ „Dann ist Porfirio verstorben?“, fragt der Myrtakay. „Könnte sein“, antwortet der erste Soldat. „Wenn das der Grund für die geschlossenen Augen des Steingesichts ist, wirft das allerdings ein interessantes Bild auf die Väter von Saaronis Kindern.“ Myrtakay überlegt kurz und murmelt: „Fünf Knaben und zwei Mädchen – und keines davon ein Empyreus?“

Dann aber bahnen sich die Soldaten einen Weg durch die Leute auf der Straße und nähern sich dem Eingangstor zum Grundstück. Schnell wird ihnen bewusst, dass jemand für die Verteidigung des Hauses gesorgt hat. Am Tor befinden sich zwei bewaffnete Minotauren, im Vorgarten ein dritter. Myrtakay begrüßt die Torwachen und fragt nach den vergangenen Ereignissen. Einer der Minotauren am Tor bekommt große Augen und sagt aufgeregt: „Ihr hier? Es ist gefährlich für euch hier zu sein! Man verdächtigt euch, am Tod von Porfirio Empyreus schuld zu sein! Verschwindet besser!“ Diese Information versetzt Myrtakay allerdings in großen Zorn. Er schüttelt die Torwache und lässt nicht eher ab von ihr, bis sie ihm alles erzählt hat. So hört er, dass Porfirio Empyreus kurz nach ihrem letzten Verschwinden verstorben ist. Das Steingesicht über der Eingangstür habe daraufhin seine Augen geschlossen, was dem Ruf von Porfirios Gattin Saaroni erheblich geschadet habe. Sie verbarrikadiere sich derzeit im Haus und organisiere die Verteidigung ihres Besitzes. Porfirios Todesursache sei derzeit noch nicht ganz geklärt. Porfirio habe die Essenz der Tigerlibellen konsumiert und sei wohl davon ausgegangen, gegen die schädliche Wirkung des Konsums von Schnecken gefeit zu sein. Nach seiner angeblichen Heilung habe er exzessiv Schnecken zu sich genommen. Einige Leute meinten, die Schnecken hätten ihn umgebracht, es gäbe aber auch Stimmen, die behaupten, die von den Minotauren abgelieferten Tigerlibellen seien unwirksam gewesen oder sogar vergiftet worden. Da die Soldaten kurz darauf Porfirios Haus verlassen haben und niemand wisse, wo sie sich aufhalten, sei der Verdacht auf sie gefallen. Myrtakay erzürnt bei diesem Bericht erneut. Er brüllt die Wache am Tor an: „Ich muss den Urheber dieser Verleumdung finden und dingfest machen! Welcher Lügner hat das Gerücht in die Welt gesetzt, unsere Tigerlibellen könnten als Mordwerkzeug verwendet worden sein?“ Der Torwache sagt: „Auch das weiß ich nicht sicher. Es heißt aber, dass sich Ekrem, der dritte Sohn des Hauses, darum bemüht, den angeblichen Mord an seinem Vater aufzuklären.“ „Ekrem?“, fragt Myrtakay. „Der ist doch gerade einmal acht Jahre alt!“ „Du weißt, wie Gerüchte entstehen!“, antwortet die Torwache. „Inzwischen ist er nicht mehr der einzige mit dieser Meinung.“ Die beiden Soldaten schauen sich an. Dann zuckt Myrtakay hilflos mit den Schultern und sagt: „Was soll ich machen? Soll ich einem Achtjährigen den Kopf abreißen? Soll ich einen Achtjährigen dazu zwingen, seinen Blödsinn als reine Phantasie zu deklarieren? Das scheint mir völlig sinnlos zu sein.“

Die beiden Soldaten entfernen sich ein paar Schritte vom Haus Porfirio Empyreus und schauen dem Treiben vor dessen Tür einen Moment lang ohnmächtig zu. „Ich glaube, unsere Arbeit hier ist beendet!“, sagt der erste Soldat. Myrtakay nickt langsam.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:10
Ein paar Meter weiter macht ein anderer Minotaur eine ähnlich schwerwiegende Entdeckung. Der Anführer kehrt nach der Beratung in der Taverne „Zum friedlichen Mungo“ zu seiner Fischerhütte zurück, findet allerdings alles in Schutt und Asche. Während seiner Abwesenheit hat offensichtlich irgendjemand sein Heim zerschlagen und sogar teilweise niedergebrannt. Von den Holzsammlern und dem Sänger fehlt jede Spur. Nach dem ersten Schreck beginnt der Anführer im Dreck zu wühlen, um brauchbare Überreste oder ein paar Hinweise auf die Zerstörung zu gewinnen. Grimmig muss er jedoch erkennen, dass hier jemand ganze Arbeit gemacht zu haben scheint. Vieles wurde absichtlich demonstrativ unbrauchbar gemacht.

Dann findet der Anführer unter einigen Tonscherben eine, in die jemand das Wort „Fesula“ hineingeritzt hat. „Das Gefängnis im Dschungel!“, denkt der Anführer. „Was hat das zu bedeuten? Wie kommt diese Scherbe hierher? Ist sie eine Botschaft? Sind die Zerstörer meiner Hütte aus Fesula?“ Aber der Anführer findet keine Antwort auf seine Fragen. Traurig betrachtet er noch eine Weile seine zerstörte Hütte und beschließt dann, wie mit seinen Gefährten abgesprochen, sich auf den Weg ins Zentrum von Dégringolade nach Khostalush zu machen.

Zuerst allerdings schaut er nach, warum sich vor dem benachbarten Haus des Porfirio Empyreus Menschen versammelt haben. Er trifft dabei auf die beiden Soldaten, die ihm ihre Geschichte erzählen. Der Anführer revanchiert sich mit einem Bericht über sein zerstörtes Heim. Danach beschließen die beiden Soldaten, ihm zum Platz vor dem Amphitheater zu folgen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:12
Saibhang, der erste Advokat, Lokapriya, der Philosoph und der zweite Advokat befinden sich mit Ashtavede auf dem großen, zentralen Platz vor dem Amphitheater in Khostalush. Unterschiedliche Interessen führen sie an diesen Ort, zunächst aber suchen sie nach den Äußeren, die die von Myrtakay, dem zweiten Soldaten, angeführte letzte Dschungelexpedition verfolgt und wieder aus den Augen verloren hat. Die Minotauren beobachten die Söldner und Sklaven, die hier auf einem Podest zur Schau gestellt als Kanonfutter für den Immerkrieg, als Leibwächter, Gladiatoren oder ähnliche Zwecke ihre Besitzer wechseln. Äußere sind allerdings nicht unter ihnen zu entdecken.

Die Gefährten beginnen daraufhin die am Rand des Platzes befindlichen Händler und Sänftenträger zu befragen. Im Schatten des Turms von Yala Ashrouf stößt Lokapriya nach langer Zeit endlich auf einen Bogenmacher, der nach der Arbeit den Heimweg antritt. Der Mann erzählt ihm: „Als ich heute morgen hierherkam, standen diese orangenen Wilden auf dem Podest: zwei Krieger und ein Rind. Sie wurden an das Amphitheater verkauft, soweit ich das mitbekommen habe. Ich erinnere mich, weil der eine von ihnen eine Szene gemacht hat. Er rief nach einem weiteren Mann aus dem Dschungel, der sich aber in einem Gitterwagen befand und nach Fesula gebracht werden sollte. Mohan Gopi, ich werde euch nicht vergessen, rief der Wilde mehrere Male. Dann wurde er mit den anderen Buschmännern ins Amphitheater gebracht.“ Lokapriya dankt dem Mann für diese Information und erzählt seinen Gefährten davon.

Der zweite Advokat erzählt: „Den Anführer wollen sie foltern, die anderen im Amphitheater im Schaukampf sterben lassen! Ich befürchte, wir kommen nicht mehr an sie heran!“ Saibhang aber spricht: „Vielleicht kenne ich doch noch eine Möglichkeit. Wartet auf mich, ich will es zumindest versuchen!“

Saibhang wendet sich dem Amphitheater zu und spricht mit einem Mann, der den Eintritt kassiert und das Publikum für die Abendveranstaltung einlässt: „Guter Mann, ich bin der Bordellier des Etablissements Die Seide in Rhomoon. Wir brauchen dringend ein paar Wachen, aber ich bin zur Versteigerung der Söldner zu spät gewesen. Gibt es nicht die Möglichkeit, gegen einen guten Betrag ein paar Gladiatoren auszulösen?“ „Wo denkst du hin, Rind! Die Gladiatorenkämpfe sind die Endstation! Hier kommt niemand wieder heraus.“ „Bedauerlich“, sagt Saibhang. „Ihr müsst wissen, dass es erst kürzlich zu Unruhen in unserem Haus kam und sich die Damen nun ängstigen!“ „Tut mir leid, ich kann da nichts machen“, sagt der Mann und fährt nach kurzem Überlegen fort: „Allerdings hätte ich nicht übel Lust, eurem Haus einmal einen Besuch abzustatten. Leider übersteigen die Preise in einem Etablissement wie dem eurem meine Rücklagen. Ich verdiene als Einlasser des Amphitheaters leider nicht viel.“ „Vielleicht können wir da handelseinig werden!“, meint Saibhang. „Ich denke da an ein sehr gefälliges Mädchen, das mir noch einen kleinen Gefallen schuldet! Sicherlich kann ich sie dazu überreden, ein bisschen nett zu dir zu sein. Dafür würde ich mir gern mal eine Aufführung hier im Amphitheater anschauen.“ „Ein Rind will sich einen Gladiatorenkampf ansehen?“, ruft der Einlasser. Dann aber hält er inne und fügt hinzu: „Mir soll´s Recht sein. Wenn dir jemand dumme Fragen stellt, sagst du, dass du ein Leibwächter bist und dein Herr für den Moment ungestört sein will.“ Saibhang nickt, dann wird er eingelassen und mischt sich in den Besucherstrom, der in das Amphitheater führt.

Im Theater selbst versucht sich Saibhang erst einmal zu orientieren. Er befindet sich in einer Tribüne mit Stehplätzen. Das Publikum macht einen wohlhabenden Eindruck, zu den Allerreichsten gehören die Menschen hier aber nicht. Vielleicht fünfzig Schritt entfernt und über die übrigen Tribünen hinaus reichend erhebt sich der Block mit den Ehrenplätzen. Ein Baldachin weht über den dort sitzenden Zuschauern. Dazwischen befinden sich Menschenmengen, Ordner und eine kaum überwindbare Abtrennung zweier Tribünen. Saibhang hat wenig Hoffnung, die Tribüne der Ehrenbürger Dégringolades zu erreichen. Dann widmet er seine Aufmerksamkeit dem Geschehen in der Arena. Saibhang beobachtet zu seinem Entsetzen, wie im Sand ein Minotaur von drei Raubkatzen zerfleischt wird. Als er das Brüllen der hungrigen Jäger und die Schreie des Sterbenden hört, greift er entschlossen zu seinem Wasserschlauch und reißt den Korken aus dessen Verschluss.

Die Katastrophe lässt nicht lang auf sich warten. Licht strömt aus der Flasche und schießt kurze Zeit später fast explosionsartig ins Freie. Wie ein Kugelblitz fegt die Gestalt der hellen Stimme knatternd über die entsetzten Zuschauer hinweg und setzt alles in Brand, was ihr im Weg steht: Gewänder, Haare, Sitze und mehr. Unter den Zuschauern bricht Panik aus. Menschen versuchen zum Ausgang zu gelangen und trampeln hysterisch über unter ihnen befindliche Mitmenschen hinweg. Hysterische Schreie erklingen, der Bereich der Verwüstung weitet sich rasant aus. Saibhang hat Mühe, nicht selbst der Menge und dem Feuer zum Opfer zu fallen. Er strebt den Ausgängen zu und erreicht sie mit Mühe und Not. Einen letzten Blick wirft er auf die Ehrentribüne. Enttäuschenderweise scheinen die Verheerungen an diesem Ort nicht allzu schwerwiegend zu sein. Dann begibt er sich in den Tunnel unter den Rängen, der zum Hauptausgang führt. Hier kann er sehen, dass Menschen in Panik aus verschiedenen Bereichen des Amphitheaters zusammenströmen. Saibhang freut sich, als er sieht, dass auch Gefangene und wilde Tiere die Situation nutzen, dem Theater zu entfliehen. Schließlich aber steht er vor einer Wand von Menschen und fühlt kurz darauf einen stechenden Schmerz in seiner Schulter. Jemand hinter ihm hat versucht, sich den Weg freizukämpfen. Blutend fegt Saibhang seinen Hintermann zur Seite und versucht voranzukommen. Ein paar Menschen weichen entsetzt vor ihm zurück, da er mit seinem blutüberströmten Körper einen abstoßenden Eindruck erweckt.

Vor dem Amphitheater warten Ashtavede, Lokapriya und der zweite Advokat auf Saibhangs Rückkehr. Statt dem ersten Advokaten können sie jedoch zunächst einmal den Anführer und die beiden Soldaten begrüßen, die es in den Abendstunden bis Khostalush geschafft haben. Lokapriya hat die Neuankömmlinge gerade über die neuesten Entwicklungen und Saibhangs Verschwinden im Inneren des Amphitheaters informiert, als das Chaos losbricht. Erst ist ein unglaublicher Lärm zu hören, der aus dem Inneren des Gebäudes nach draußen dringt, dann sind Flammen zu sehen, die aus dem Gebäude herausschlagen. „Da gehen schlimme Dinge vor sich!“, sagt Ashtavede. „Ich hoffe nur, Saibhang ist nicht darin verwickelt!“ Schließlich erscheinen die Fliehenden am Ausgang: blutende, verletzte Zuschauer, Gladiatoren und wilde Tiere stürzen ins Freie und verteilen sich, soweit sie dazu noch in der Lage sind, in allen Richtungen. „Ist das nicht einer der Äußeren?“, ruft plötzlich Myrtakay, der zweite Soldat. Ashtavede zieht den noch immer orangebemalten Mann zur Seite. Es dauert nicht allzu lang und auch der zweite Mann und der Minotaur sind gefunden. Die Situation vor dem Amphitheater wird dabei allerdings immer brenzliger, denn mit den Gefangenen erreichen auch Minotauren den Platz. Viele dieser Minotauren sehen sich einer Extremsituation ausgesetzt, mit der sie nicht umgehen können. Sie beginnen zu brüllen, trampeln über halbtote Menschen hinweg und folgen mit gesenkten Hörnern dem Ruf des Dschungels.

Endlich erreicht auch Saibhang den Ausgang. Er hat viel Blut verloren, kommt noch bis zu seinen Gefährten, bricht dann aber bewusstlos vor ihnen zusammen. „Wir müssen hier weg!“, ruft Ashtavede. Lokapriya schnappt sich den verlassenen Wagen eines Händlers und legt Saibhang auf die Ladefläche. Zusammen ziehen die Minotauren und die Äußeren den ersten Advokaten durch Dégringolade. Am nahegelegensten Stadttor bleibt ihnen nichts anderes übrig als sich mit einer bereits dezimierten Wachmannschaft ein Gefecht zu liefern. Glücklicherweise fliehen die demoralisierten Wachen schnell. Etwas später befinden sich die Gefährten im Dschungel.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:12
Beim ersten Halt im Dschungel sagt Ashtavede: „Drei Äußere konnten wir befreien.“ Er nickt den beiden Männern und dem Minotauren mit den orangegefärbten Körpern grimmig zu. „Einer allerdings fehlt uns noch.“ „Mohan Gopi“, sagt der zweite Advokat. „Ihr Häuptling.“ Ashtavede nickt. Der Anführer sagt: „Wir haben einen Gefährten, der dringend Hilfe und Ruhe braucht. Das Gefängnis Fesula ist weit. Ich fürchte, wir können uns kaum um Mohan Gopi kümmern.“ „Das werde ich übernehmen“, sagt Ashtavede. „Ich war schon einmal auf dem Weg nach Fesula. Vielleicht ist das mein Schicksal. Wenn ich kann, werde ich den Mann befreien.“ Die Äußeren schauen den tätowierten Minotauren erstaunt an. Dann sagt der Anführer: „Ashtavede, ich wünsche dir viel Glück. Wahrscheinlich führt unser Weg zunächst zu den Äußeren. Vielleicht finden wir auch das Zentrum dieser konzentrischen Kreise, die Lokapriya gesehen haben will. Wer weiß? Wir würden uns glücklich schätzen, wenn wir dir einmal wieder begegnen würden. Pass auf dich auf!“ Ashtavede umarmt der Reihe nach die Anwesenden, dann zieht er davon.

Während die Äußeren beginnen, ein Feuer für die Nacht zu machen, blickt Lokapriya, der Philosoph, seine Gefährten an und sagt: „Ein Anführer, ein Soldat, ein Advokat, Myrtakay, Saibhang und Lokapriya… Schaschbukkaho! Vielleicht verbindet uns mehr, als uns bisher bewusst war!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 24.07.2021 | 00:15
In der Nacht finden ein paar Minotauren vor dem ausgebrannten Amphitheater zusammen. Auf dem davor befindlichen Platz wurde ein Notlazarett errichtet, in dem sie eine Weile lang ihre verwundeten Herren umsorgt haben. Jetzt sind ihre Schutzbefohlenen eingeschlafen und die Minotauren erzählen sich gegenseitig von den Schrecken des vergangenen Tages.

Der Minotaur mit dem abgerissenen Ohr: So viel Unglück an einem Tag! So viele Tote an einem Tag!

Der Minotaur mit der qualmenden Tonpfeife: Es werden nicht mehr Minotauren gewesen sein als bei der Versammlung am Fluss!

Der Minotaur mit dem Brandzeichen am rechten Oberarm: Dafür sind heute auch viele Menschen gestorben.

Der erste Minotaur mit der Sänfte: Die ganz hohen Herrschaften sind allerdings nochmal mit einem Schrecken davongekommen.

Der Minotaur mit der großen Brandwunde: Nicht alle! Ich habe gehört, Porfirio Empyreus sei gestorben.

Der zweite Minotaur mit der Sänfte: Er soll ein merkwürdiger Mann gewesen sein, eigensüchtig, naiv und unbeholfen, aber auch mit einem guten Kern.

Der erste Minotaur mit der Sänfte: Und jetzt scheint es so zu sein, dass alle Kinder seiner Frau unehelich sind!

Der Minotaur mit dem abgerissenen Ohr: Wenn alle Frauen ihren Männern treu wären, wäre das auch nicht gut!

Der zweite Minotaur mit der Sänfte: Neun uneheliche Kinder kommen mir trotzdem seltsam vor!

Der Minotaur mit der großen Brandwunde: Das Gerücht kam ja zustande, weil das Steingesicht über deren Hauseingang die Augen geschlossen hat. Können wir denn sicher sein, was das bedeutet? Vielleicht hat es damit auch eine ganz andere Bewandnis!

Der Minotaur mit dem abgerissenen Ohr: Stimmt es, dass da sogar ein Minotaur vor der Tür Ärger gemacht hat?

Der erste Minotaur mit der Sänfte: Das war Myrtakay, der ehemalige Masseur von Porfirio Empyreus. Er konnt aber beruhigt werden. Sonst hätte es da wahrscheinlich auch noch ein Blutbad gegeben.

Der zweite Minotaur mit der Sänfte: Da ist schon genug passiert! Neben dem Haus am Fluss haben sie dem Fischer die Hütte abgebrannt!

Der Minotaur mit der qualmenden Tonpfeife: Wer macht denn so etwas?

Der Minotaur mit dem Brandzeichen am rechten Oberarm: Feuer scheint zu einem beliebten Mittel geworden zu sein, Probleme zu beseitigen.

Er zeigt auf das qualmende Amphitheater hinter sich.

Der Minotaur mit dem abgerissenen Ohr: Wie geht es deinem Herrn?

Der Minotaur mit dem Brandzeichen am rechten Oberarm: Es hätte schlimmer kommen können. Ich denke, ich werde ihn am Morgen nach Hause bringen können.

Der Minotaur mit der qualmenden Tonpfeife: Habt ihr mitbekommen, dass auch Saibhang, der ehemalige Bordellier aus der Seide, abtransportiert wurde? Ich nehme an, er ist bei dem Aufruhr umgekommen.

Der Minotaur mit der großen Brandwunde: Seine Freunde haben ihn mit einem Wagen vor die Stadt gekarrt. Vielleicht wollen sie ihn im Dschungel bestatten!

Der Minotaur mit dem Brandzeichen am rechten Oberarm: Da wäre ich nicht so sicher. Saibhang hat auch schon das Rinderopfer überlebt.

Der Minotaur mit dem abgerissenen Ohr: Er soll genau an dem Ort gewesen sein, von dem die Katastrophe ausging.

Der erste Minotaur mit der Sänfte: Ganz erstaunlich, dieser Bruder! Er ist wie das Auge eines Taifuns.

Der Minotaur mit dem Brandzeichen am rechten Oberarm: Der Sturm scheint allerdings vorbei zu sein.

Erneut zeigt er auf das qualmende Amphitheater hinter sich.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:32
15

Nachts trägt der Wind Geisterstimmen herbei,
die von ungekannten Gefahren erzählen.

Lautlos werden Fensterläden geöffnet,
die Namen von Freunden geflüstert
und so dem Wind sein nächstes Ziel angewiesen.

Was sind ein paar durchwachte Nächte
gegen die Hoffnung?
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:33
Für die letzte Runde habe ich keine Einführung vorbereitet, aber wie es der Zufall will bringt einer meiner Mitspieler Glückskekse mit. Drei werden geöffnet und offenbaren vielversprechende Inhalte:

- Es ist Zeit mit entfernten Lieben zu sprechen. Erzähle ihnen, was es Neues gibt!
- Du wirst schwierige Zeiten überstehen.
- Morgen ist ein guter Tag, etwas Neues zu beginnen.

Wir werfen uns ein kurzes Lächeln zu.

Unsere Vision beginnt.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:36
Nachdem sich Myrtakay um den verwundeten Saibhang gekümmert hat, nehmen die übrigen Minotauren und die anwesenden Äußeren am abendlichen Lagerfeuer Platz. Die Äußeren werfen ihren Rettern erwartungsvolle Blicke zu. „Und nun?“, fragt einer der Männer. Der zweite Advokat räuspert sich und behauptet, sich nun einer Truppe im Immerkrieg anschließen zu wollen. Die Äußeren runzeln mit der Stirn oder wenden sich etwas ab. Der Anführer meint, sie sollten sich um einen Ort bemühen, an dem sie auf Ashtavede warten können. Lokapriya behauptet, zuallererst das Zentrum des Waldes finden zu wollen. „Vielleicht können wir ja auch dort auf Ashtavede warten.“ Der Philosoph fragt die Äußeren, ob sie das Zentrum des Waldes kennen. Der Minotaur behauptet, er kenne es und könne die Anwesenden dorthin führen. Die beiden Menschen nicken. „Also gut“, meint Myrtakay. „Morgen machen wir uns auf den Weg.“

Den gesamten nächsten Tag marschieren die Gefährten durch den Urwald. Dank ihrer kundigen Führer können sie die meisten Gefahren umgehen, der verletzte Saibhang verlangsamt ihren Marsch aber doch erheblich. Am Abend kommt eine Palisadenwand in Sicht. Lokapriya und der zweite Advokat erkennen, dass sie sich vor dem Fort der Äußeren befinden. Der Philosoph meint zu den Äußeren: „Ihr habt uns zu euch nach Hause geführt. Das war so nicht abgemacht!“ Einer der Männer meint: „Das ist das Herz des Waldes. Wir haben euch dorthin geführt, wo ihr hinwolltet. Wenn es Ashtavede wirklich gelingen sollte, unseren Anführer Mohan Gopi zu befreien, wird er ihn außerdem wahrscheinlich zuerst hierherbringen. Ihr seid am richtigen Ort.“ Lokapriya und der zweite Advokat sind nicht überzeugt davon und murren ein wenig. Weil die Nacht einbricht, betreten aber doch erst einmal alle Anwesenden das Fort.

Wie schon beim ersten Besuch erweist sich die Kommunikation mit den Äußeren als schwierig. Auf dem Hof des Forts fragt der Anführer nach einem Werkzeugschuppen und bekommt den Weg zu einem Vorratslager gezeigt. Ein Äußerer bittet den ersten Soldaten um Unterstützung beim Holzhacken, geht dann aber mit ihm zu einer Gruppe, die aus Schilfblättern Körbe flechtet. Der Anführer fragt im Vorratslager nach einem Werkzeugschuppen und bekommt den Weg zum Schlafraum der Kinder gezeigt. Lokapriya erkundigt sich nach der Art des Zusammenlebens der Äußeren und bekommt erzählt, alle Äußeren lebten in einem Zustand völliger Freiheit. Direkt danach behauptet aber ein Mann mit lustlosem Gesichtsausdruck, er sei jetzt für eine Wache eingeteilt. Der Anführer fragt im Schlafraum der Kinder nach einem Werkzeugschuppen und bekommt den Weg in die Küche gezeigt.

Nach kurzer Zeit ist Lokapriya von der nicht zustande kommenden Kommunikation völlig entnervt. Der zweite Advokat hilft eine Weile in der Küche aus und bekommt Arbeitsanweisungen, die ihm völlig sinnlos erscheinen. Immerhin kann er mit anhören, dass sich die anwesenden Äußeren untereinander völlig normal unterhalten. Diese gestörte Kommunikation wird offenbar nur gegenüber den Neuankömmlingen betrieben. Als der zweite Advokat seinen Gefährten von seinen Beobachtungen erzählt, beschließt der Anführer, den direkten Weg zu gehen. Während der abendlichen Runde am Lagerfeuer spricht er einen Äußeren auf deren Verhalten an: „Warum sprecht ihr mit uns auf diese sinnlose Art und erzählt uns Lügen?“ Der Äußere antwortet: „Glaube mir, es ist besser für euch!“ „Es ist besser für uns angelogen zu werden?“, fragt der Anführer. „Wir schützen euch vor der Wahrheit“, fügt der Äußere hinzu. Der Anführer schüttelt mit dem Kopf und weiß nicht, was er sagen soll.

Weil die Minotauren aus Dégringolade abgesehen von den Kommunikationsproblemen gut behandelt werden und Saibhangs Wunden noch nicht ganz ausgeheilt sind, bleiben sie einige Tage im Fort. Zweimal versuchen der Anführer, der zweite Advokat und der zweite Soldat kleine Expeditionen auf eigene Faust zu unternehmen. Die Äußeren lassen sie ziehen. Die Minotauren nehmen einen Eimer mit Pech mit und markieren ihren Weg durch Zeichen an den Bäumen des Dschungels. So versuchen sie ohne fremde Hilfe das Zentrum des Waldes zu erreichen.

Bei der ersten Expedition nehmen die Minotauren am Ende ihres ersten Expeditionstages ein trillerndes Tiergeräusch wahr, kurz darauf schreit eine Frau und ein Minotaur brüllt. Der zweite Advokat eilt voran und hält dann plötzlich inne. Vor ihm wird der Rücken eines gewaltigen, zwei Meter großen Pfeilgiftfrosches sichtbar. Hinter dem Riesenfrosch ist die Frau und der Minotaur auszumachen, die der Frosch wohl bereits als Beute ins Auge gefasst hat. Der Minotaur hat einen spitzen Stock in der Hand, der mit etwas Glück als improvisierter Speer verwendet werden kann. Der zweite Advokat schaut sich um, sieht weitere passende Äste auf dem Boden liegen, liest sie auf und wirft sie seinen nachfolgenden Gefährten zu. Dann stürzt er mit einem Kriegsschrei auf den Frosch zu, rennt auf seinem Rücken hinauf zu seinem Kopf und stößt dem Monstrum seinen Speer ins Auge. Zischend schnellt die Zunge des Riesenfrosches nach vorn und versprüht eine Wolke von gelbgrünen Speicheltropfen. Der Minotaur an der Seite der Frau schreit auf und fasst sich an seinen Arm. Von der Seite nähert sich kurz darauf Myrtakay und bohrt seinen improvisierten Speer in das andere Auge des Frosches, der daraufhin zuckend zusammenbricht. Der Anführer versetzt dem gewaltigen Tier den Todesstoß.

Nach ihrem Sieg erkennen die Minotauren, wen sie gerettet haben. Es ist Gouliza und ihr Minotauren-Geliebter, der ehemalige Wärter vom Quell des Vertrauens. Myrtakay behandelt die Wunde des Minotauren und meint: „Die Schmerzen kann ich ein wenig lindern, aber eigentlich brauchst du Ruhe. Wenn ihr diesen mit Pech gezeichneten Wegmarkierungen folgt, kommt ihr an ein Fort der Äußeren. Dort könnt ihr hoffentlich ein wenig ausruhen.“ Das Paar bedankt sich und berichtet von seinen Erlebnissen. Am Morgen nach der Katastrophe im Amphitheater hätten sich an einigen Orten in Dégringolade Menschen zusammengerottet, die die Minotauren für den Brand verantwortlich machten. Eine dieser Gruppen nahm sich die Gaststätte Zum friedlichen Mungo vor, die bekannt für ihre tolerante Haltung gegenüber Minotauren war. Das Haus, in dem Gouliza mit ihrem Geliebten Zuflucht gefunden hatten, wurde so ein Opfer der Flammen. Nur unter Schwierigkeiten konnten die beiden das brennende Haus verlassen und den wütenden Angreifern entkommen. Gouliza konnte dabei hören, wie einer der Brandstifter zu einem anderen meinte: „Azam kann zufrieden mit uns sein!“. Nach diesem Ereignis hätten sich Gouliza und ihr Geliebter einen Tag lang durch die Stadt geschlagen. Dann aber wurde bekannt, dass in vielen Stadtteilen eine nächtliche Ausgangssperre für Minotauren verhängt worden ist, worauf sie sich entschlossen hätten, ihr Glück im Dschungel zu suchen.

Azam, sagte der Brandstifter?“, fragt der zweite Advokat. „Das ist doch sicherlich Gaureeshankar Azam, der Mann der Stierzecken verteilt, Schlägertrupps auf Minotauren loslässt und sich im Haus von Kanta Planudes herumdrückt!“ Der Anführer und der zweite Soldat nicken grimmig. Sie setzen ihre Expedition fort, haben aber am Ende des Tages noch nichts erreicht. Am nächsten Morgen treten sie frustriert den Heimweg an und erreichen am Abend wieder das Fort der Äußeren.

Nach dem Ende dieser Expedition geht es Saibhang etwas besser. Er nimmt daher an der zweiten Expedition teil und begleitet Myrtakay, den Anführer und den zweiten Advokaten. Die Expedition verläuft problemlos, bringt aber auch keine neuen Erkenntnisse. Im Lager führen die Kommunikationsprobleme mit den Äußeren zu immer neuen absurden Situationen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:39
Nach einer knappen Woche ertönt am Vormittag ein Ruf von einer der Wachen: „Mohan Gopi ist zurück! Der Häuptling ist da!“ Und tatsächlich ist es so. Das Tor des Forts öffnet sich und Mohan Gopi betritt sichtlich geschwächt aber glücklich das Fort seiner Leute. Sofort werden Fässer mit vergorener Ziegenmilch in den Hof gerollt und ein Fest hergerichtet. Alle Anwesenden wollen Mohan Gopi die Hand schütteln und ihn umarmen. Der Mann lächelt, wirft aber auch dem ein oder anderen Gefährten bereits einen achtsamen Blick zu.

Als das Fest eine Weile im Gang ist, tritt der Anführer auf Mohan Gopi zu und fragt ihn: „Mohan Gopi, bis du auf deinem Weg zurück irgendwann Ashtavede, einem Minotauren mit vielen bunten Tätowierungen, begegnet?“ Mohan Gopi erzählt: „Ich konnte mich aus dem Käfigwagen, der mich nach Fesula ins Gefängnis bringen sollte, befreien, als er einen Unfall hatte. Als der Wagen gegen einen Baum schlug, brach eine der Gitterstangen. Ich konnte ins Freie, nahm einer meiner Wachen ihr Messer ab und kämpfte mich durch meine Widersacher hindurch in den Dschungel. Dort ergriff ich die Flucht. Irgendwann erreichte ich einen kleinen See, an dem sich ein Minotaur befand, der eine grüne Zigarre rauchte. Wir verbrachten ein paar Stunden miteinander und freundeten uns an, am Ende sagte er aber, er sei der Bordellier des Freudenhauses Die Seide gewesen und habe seinen Beruf an einen Konkurrenten namens Saibhang verloren. Er meinte weiterhin, wenn ich ihm etwas Gutes tun wolle und irgendwann einmal diesem Saibhang begegnete, dann solle ich den Minotauren umbringen. Er hoffe auf diesem Weg seinen Job zurückerlangen zu können.“

Der Anführer blickt Mohan Gopi ungläubig an. „Ich kann das kaum glauben, Herr!“, sagt er. „Ashtavede und Saibhang sind freundschaftlich miteinander verbunden!“ „Möglicherweise sind sie nicht offen zueinander gewesen“, meint Mohan Gopi daraufhin.

Für den Rest des Festes beraten sich die Minotauren aus Dégringolade. Saibhang hält sich bedeckt. Sein Name wird vermieden. Keiner der Freunde kann sich vorstellen, dass an Mohan Gopi die Wahrheit gesagt hat. Myrtakay merkt ein paarmal, dass der Führer der Äußeren ihm und seinen Gefährten immer wieder argwöhnische Blicke zuwirft. Offensichtlich unterhält er sich auch mit einigen seiner Vertrauten über sie. Seine Gesprächspartner werfen den Minotauren aus Dégringolade ebenfalls ein paar misstrauische Blicke zu und nicken.

„Was sollen wir tun?“, fragt Lokapriya. „Mir scheint, bei der Suche nach dem Zentrum des Waldes können wir auf keine Hilfe der Äußeren rechnen. Wir werden uns wahrscheinlich selbst auf den Weg machen müssen.“ „Wir können auch gemeinsam in den Immerkrieg ziehen“, meint der zweite Advokat. „Beim Kampf mit dem Riesenfrosch habe ich gemerkt, was für ein Potential wir Minotauren verschenken, wenn wir uns immer nur passiv verhalten.“ Schon will Lokapriya etwas erwidern, da sagt Goulizas Minotauren-Geliebter: „Dieser Mohan Gopi lügt uns an, weil er uns nicht vertraut. Vielleicht sollten wir ihn einfach mal im Quell des Vertrauens baden gehen lassen.“ „Das ist in Dégringolade!“, meint Lokapriya. „Da kommen wir gerade her und es führt uns keinen Meter näher an das Zentrum des Dschungels heran.“ „Die Unterstützung von Mohan Gopi könnte das Vorhaben aber sehr beschleunigen“, meint der Quellwächter. Eine Weile denken die Gefährten über den Vorschlag nach. Dann meint der Anführer: „Wir machen es. Lasst uns mal sehen, ob wir eine günstige Gelegenheit dafür finden.“

Diese Gelegenheit ergibt sich noch in derselben Nacht. Das Fest verläuft fröhlich und alkoholreich, am Schluss sind die meisten Äußeren betrunken oder schon im Bett. Mohan Gopi hat so viel getrunken, dass er irgendwann neben dem Lagerfeuer einfach umkippt. Die Minotauren aus Dégringolade warten noch ein wenig, bis auch die letzten Feiernden gegangen sind, dann nähern sie sich dem Häuptling der Äußeren. Der Anführer umfasst seinen Körper und zieht ihn nach oben. Mohan Gopi stöhnt ein wenig. Mit Hilfe des zweiten Soldaten greift der Anführer unter die Arme des Betrunkenen und schafft ihn Schritt für Schritt in Richtung Ausgang. Irgendwann wird Mohan Gopi etwas munterer und beschwert sich lallend, bekommt aber sofort noch ein paar Schlucke vergorene Ziegenmilch verabreicht. Vor dem Tor regt sich erneut der Widerstand des Äußeren, worauf die Gefährten mutiger werden. Der Führer der Äußeren wird gefesselt und geknebelt, dann in den Dschungel geführt. Nach einer Weile suchen sich die Entführer ein Versteck und verbergen sich dort mit Mohan Gopi für den Rest der Nacht.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:41
Am nächsten Tag schleppen die Minotauren den Anführer der Äußeren weiter durch den Urwald. Auf ihrem Marsch wird darüber diskutiert, wie sie als gesuchte Verbrecher und Aufrührer Dégringolade betreten sollten. Auch die Frage, ob das am besten tagsüber oder in der Nacht geschieht, wird erörtert. Am Abend ist die Metropole erreicht und die Freunde erblicken vom Waldrand aus die Mauern Dégringolades. Myrtakay sagt: „Wir versuchen es nachts. Vielleicht ist es in den Straßen doch etwas sicherer als bei Tag, selbst wenn die Ausgangssperre für Minotauren noch in Kraft sein sollte. Bleibt die Frage nach der Passage eines Stadttores. Ich schlage vor, wir geben uns als Diener von Mohan Gopi aus. Unser Freund hier wird den Mund halten und uns das Reden überlassen. Höre, Mohan Gopi, wenn du irgendwie die Torwachen auf uns aufmerksam machen solltest, erzählen wir ihnen, dass du auf einem Gefangenentransport nach Fesula getürmt bist, dann sind wir alle dran. Hast du verstanden?“ Schicksalsergeben nickt Mohan Gopi. Seine Augen blicken ins Leere. Myrtakay nimmt ihm seine Fesseln ab.

Mit bangen Herzen nähert sich die Gruppe dem nahegelegensten Stadttor Dégringolades. Als sie vom Licht der Fackeln am Tor beleuchtet werden, mustern sie die Torwachen aufmerksam. Der befehlshabende Hauptmann sagt: „Wer seid ihr und wo kommt ihr mitten in der Nacht her?“ Der Anführer sagt: „Wir kommen aus dem Dschungel und führen unseren Herrn nach Hause!“ „Mitten in der Nacht?“ „Wir haben uns verirrt und waren tagelang unterwegs. Unser Herr, Zeno Empyreus, hat Furchtbares durchgemacht und sollte schnellstmöglich der Obhut seiner Lieben überstellt werden.“ Der Hauptmann der Torwache mustert den schweigenden, scheinbar teilnahmslosen Mohan Gopi. Offenbar erkennt ihn niemand als gefährlichen Feind der Stadt. Der Hauptmann sagt: „Euch ist bekannt, dass es eine nächtliche Ausgangssperre für Minotauren gibt?“ „Herr“, erwidert der zweite Soldat. „Wir bringen unseren Gebieter nach Hause und werden für den Rest der Nacht unser Gesindehaus nicht mehr verlassen.“ „Wenn ihr in eine Straßenpatrouille hineingeratet, kann ich für nichts garantieren.“ „Wir werden aufpassen, Herr!“ „Dann geht!“

Erleichtert betreten die Minotauren und Mohan Gopi nächtliche Stadt. Der Geliebte Goulizas kennt sich aus und führt die Gruppe auf schnellstem Weg zum Quell des Vertrauens. Ein Brandgeruch hängt in der Luft und durch die Nachtluft ziehen hin und wieder Rauchschwaden. Irgendwann erblickt der erste Soldat in einiger Entfernung ein Licht auf der Straße. Die Gefährten nähern sich vorsichtig und erblicken eine Straßensperre mit einem Lagerfeuer. Vier gerüstete Krieger befinden sich am Feuer und halten Ausschau.

„Sie wachen über die Ausgangssperre“, behauptet Goulizas Geliebter, „aber seid unbesorgt! Der Quell des Vertrauens ist nicht mehr weit und ich kenne einen kleinen Umweg.“ Über ein paar kleine Gässchen erreichen die Minotauren schließlich das Wasserbecken. Das Wächterhäuschen scheint verwaist zu sein, aber noch immer flankieren marmorne Löwenstatuetten die Stufen, die zum Wasser hinabführen und auch der kleine Wasserfall stürzt am rückseitigen Rand wie eh und je in das Becken. Goulizas Geliebter erklärt: „Üblicherweise betritt man zu zweit das Becken, schreitet hindurch und stellt sich dann unter den Wasserfall. In der Regel vertrauen die beiden Badenden hinterher einander.“ Die Gefährten schauen sich an und der Anführer sagt: „Ich denke es ist eine Aufgabe für einen Philosophen.“ Lokapriya nickt und sagt: „Komm, Mohan Gopi! Wir gehen baden!“

Gemeinsam steigt der Führer der Äußeren mit Lokapriya ins Wasser. Mensch und Minotaur waten durch das Becken bis zum Wasserfall und stellen sich in die schäumende Gischt. Dann hört Lokapriya Mohan Gopi rufen: „Ich denke, ich habe da das ein oder andere klarzustellen!“ Lokapriya ruft zurück: „Ich werde dir wohlwollend zuhören!“ Die beiden kehren zu ihren Gefährten zurück und steigen Hand in Hand über die Stufen zwischen den marmornen Löwen wieder aus dem Becken heraus. Goulizas Geliebter sagt: „Lasst uns den Ort verlassen, er ist zu auffällig! Ich kenne in der Nähe ein Haus mit einem Hühnerstall im Garten, in dem wir eine Nacht verbringen können.“

Während die Bewohner des Stalles leise gackern richten sich die Minotauren und Mohan Gopi im Finsteren ein. Das Mondlicht scheint nur schwach durch einige Ritzen und erlaubt es den Minotauren gerade eben noch, die Silhouette des Häuptlings zu erkennen. Mohan Gopi sagt: „Es tut mir leid, dass ich euch mit Misstrauen begegnet bin! Ihr müsst wissen, dass wir Äußeren den Leuten aus der Stadt gegenüber voreingenommen sind. Sie bringen den Immerkrieg in den Dschungel und ihre Rede ist voller Falschheit und Lüge. Warum sollte das bei euch anders sein? Als ihr zum ersten Mal bei uns wart, habt ihr unser Fort bei Nacht und Nebel verlassen, indem ihr ein Loch in unsere Außenmauer gesägt habt. Für uns sah das nicht nach einem Vertrauensbeweis aus! Wenn wir Leuten aus der Stadt begegnen, nehmen wir zu unserem Schutz üblicherweise deren Verhalten an. Wir erzählen ihnen Lügen und dummes Zeug. Und wenn wir können, sabotieren wir ihre Kriegshandlungen im Immerkrieg. In eurem Fall hätten wir uns wohl anders verhalten sollen, aber ich habe die Hoffnung, dass es noch nicht zu spät ist.“ Lokapriya blickt Mohan Gopi ernst in die Augen und behauptet: „Du hast Recht, auch wir sind euch nicht mit Vertrauen begegnet.“ Mohan Gopi fährt fort: „Das Bad im Quell des Vertrauens hat meinen Blick auf euch verändert. Ich will euch die Wahrheit über meine Befreiung erzählen. Nach zwei Tagen im Käfigwagen auf dem Weg nach Fesula lauerte Ashtavede meinen Beschützern auf. Er rollte einen großen Felsblock auf den Weg, der die ersten drei oder vier meiner Wachen erschlug. Dann stürzte er wie ein Taifun auf die Gruppe herab, zerbrach einen der Gitterstäbe meines Käfigs und bekämpfte meine Widersacher. Ich beteiligte mich an dem Kampf, sobald ich mich durch die Öffnung im Gitter hindurchzwängen konnte. Zusammen konnten wir ein paar von ihnen unschädlich machen und dann fliehen. Nach dieser Tat wanderten wir eine Weile zu zweit durch den Dschungel. Vielleicht wisst ihr, dass Ashtavede ein begabter Sänger und Komponist ist. Auf unserem Weg arbeitete er immer wieder an einer kleinen Melodie, die nach und nach zu einem hübschen Lied wurde. Schon bald konnte ich mitsingen, aber immer wenn ich ihn fragte, wie die Worte zu dieser Melodie lauteten, zuckte er mit den Schultern und behauptete, er wisse es nicht. Eines Nachts legte ich mich zum Schlafen nieder und hörte plötzlich Ashtavede schreien. Ich sprang auf und konnte gerade noch sehen, wie der Minotaur von einem davonfliegenden Wakwak verschleppt wurde. Ashtavedes Körper hing völlig leblos in den Klauen der Bestie. Ich bin überzeugt davon, dass er sein Ende gefunden hat. Danach schlug ich mich allein bis zu unserem Fort durch.“

Die Erzählung von Ashtavedes Ende geht den meisten Minotauren recht nahe. Besonders Saibhang wischt sich mehrfach das Gesicht und seufzt einige Male schwer. Nach einer längeren Stille fragt der erste Soldat: „Mohan Gopi, habt ihr Äußeren eigentlich jemals darüber nachgedacht uns zu opfern?“ „Opfern?“, fragt Mohan Gopi. „Du meinst auf einem Altar mit einem Zeremonienmesser? Nein. Bei ihrem ersten Besuch haben wir aber darüber nachgedacht, ob wir Lokapriya, Saibhang und den zweiten Advokaten nicht als Lockmittel verwenden, durch das wir im Immerkrieg den ein oder anderen Trupp in einen Hinterhalt führen könnten.“  Wieder ist es eine Weile lang still im Hühnerstall. Schließlich fragt Lokapriya: „Kennst du das Zentrum des Waldes, Mohan Gopi?“ Der Philosoph erzählt dem Führer der Äußeren von seiner Vision auf dem Turm der Helden, woraufhin Mohan Gopi berichtet: „Ich weiß von welchem Ort du sprichst, Lokapriya. Ich kann euch auch dorthin führen. Ein paarmal war ich in der Nähe, aber ich habe den Ort nie betreten. Irgendwie schien es mir, als gehöre ich nicht dorthin. Vielleicht hatte ich sogar ein wenig Angst davor. Wenn ihr aber meint, den Ort finden zu müssen, werde ich ihn euch zeigen.“ Lokapriya sagt: „Morgen verlassen wir die Stadt. Dann kannst du uns Ashtavedes Melodie beibringen!“ Mit einem Lächeln auf dem Gesicht finden die Minotauren in den Schlaf.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:42
Da es tagsüber keine Ausgangssperre für Minotauren gibt, bereitet es den Gefährten keine weiteren Probleme, am nächsten Tag Dégringolade wieder zu verlassen. Einige Tage ziehen sie mit Mohan Gopi durch den Dschungel und erreichen dann das Fort der Äußeren. Hier verabschiedet sich Goulizas Geliebter von ihnen. Er will mit Gouliza der Gemeinschaft der Äußeren beitreten und verabschiedet sich herzlich von seinen Wohltätern.

Mit Mohan Gopi ziehen die Gefährten noch eine Weile länger durch den Urwald. Dabei lernen sie Ashtavedes letzte Melodie, die sich als recht anspruchsvoll erweist. Mohan Gopi singt sie auf Muhmuhmuh oder irgendwelche anderen Nonsense-Silben und die Gefährten tun es ihm gleich, so gut sie können. Schließlich gelangen sie an den Rand einer größeren Lichtung. „Wir sind da“, meint Mohan Gopi. Die Minotauren erblicken eine Hütte und um sie herum ein paar Felder und ein paar Ziegen. Ein kleiner Bach fließt durch das Gras. „Idyllisch“, meint der erste Soldat und seine Gefährten nicken. „Ich werde nicht mitkommen“, sagt Mohan Gopi. „Ich sagte es ja bereits: Mir scheint der Ort nicht für mich bestimmt zu sein. Vielleicht aber findet ihr dort, was ihr sucht. Ich wünsche euch jedenfalls von ganzem Herzen alles Gute.“ Lange umarmt Mohan Gopi Lokapriya und auch die anderen Minotauren verabschieden sich herzlich von ihm. Dann rascheln ein paar Zweige und der Äußere ist im Dschungel verschwunden.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:43
Wenig später stehen die Minotauren aus Dégringolade vor der Hütte auf der Lichtung. Aus dem Inneren des Gebäudes sind wohlvertraute Geräusche von klapperndem Geschirr zu hören. Der Anführer klopft und wenig später öffnet sich die Tür. Ein großer, alter Mann mit faltiger Glatze und langem Ziegenbart öffnet und schaut die Minotauren fragend an. Der Anführer spricht: „Wir kommen aus Dégringolade und suchen das Zentrum des Waldes. Kann es sein, dass wir am Ziel sind?“ Der Mann bittet seine Besucher hinein, streckt seine Erbsensuppe mit etwas Wasser und lädt sie zu einer bescheidenen Mahlzeit ein. Seine Hütte besteht aus einer Feuerstelle mit ein paar Schränken und Truhen, einem großen Tisch mit ein paar Sitzgelegenheiten und einer Schlafstelle. Das hintere Ende der Hütte dient den Ziegen als Stall. Bei Tisch erzählen und erfahren die Minotauren einiges. Lokapriya berichtet von seiner Vision auf dem Turm der Helden, woraufhin der alte Mann behauptet, die Minotauren seien dann wohl am rechten Ort. Dann stellt er sich ihnen als Mamsir vor. Lokapriya nickt und berichtet ihm, dass sie im Dschungel das Grab eines verstorbenen Boten gefunden hätten, der offensichtlich auf dem Weg zu ihm gewesen ist, sein Ziel aber nicht mehr erreicht hatte. Mamsir meint: „Ja, hin und wieder finden Boten hierher. Es kann auch gut sein, dass einige ihren Weg nicht bis zum Ende gehen können. In letzter Zeit ist es still geworden. Ich habe schon lang keinen Besuch mehr gehabt.“ Lokapriya meint: „Der Bote, von dem ich gesprochen habe, ist bereits viele Jahrzehnte tot, vielleicht sogar Jahrhunderte! Wie alt seid ihr, Mamsir?“ „Ich weiß es nicht“, erwidert der alte Mann. „Und was tut ihr?“, will der zweite Advokat wissen. „Warum kommen Boten zu euch?“ Mamsir erzählt ihnen im Folgenden, dass er ein Schriftgelehrter und Geschichtenerzähler sei. Die Boten würden ihn mit Inspirationen und Stoffen für neue Geschichten versorgen, die er dann aufschreibe. „Bedauerlicherweise“, behauptet Mamsir, „leide ich schon seit einer ganzen Weile unter einer Schreibblockade. Ich habe mit einem Epos begonnen, für dessen Fortgang mir einfach überhaupt keine Idee kommen will.“ Der zweite Advokat schaltet sich ein: „Das hört sich für mich nach einem ähnlichen Problem wie bei Ashtavede an. Der Minotaur hat eine Melodie erfunden, für die ihm aber kein Text einfiel!“ Mamsir sagt: „Ah, das klingt nach einer Herausforderung! Kennt ihr die Melodie? Seid so gut und singt sie mir doch vor!“ Eine Weile lang erklingt Ashtavedes Melodie, auf „Muhmuhmuh“ gesungen und hin und wieder von ein paar meckernden Ziegen begleitet.

Am Abend kann Mamsir erfolgreich mitsingen. Lokapriya meint: „Mit eurer Geschichte können wir euch vielleicht helfen“ Mamsir nickt, geht an einen seiner Schränke und öffnet ihn. Die Minotauren aus Dégringolade sehen etliche Schriftrollen: Mamsirs Werke. Der Einsiedler greift eine von ihnen und rollt sie auf seinem Esstisch aus. „Schaut her“, meint Mamsir. „So weit bin ich bisher, aber irgendwie geht es nicht weiter.“ Lokapriya schaut dem Alten über die Schulter und liest seinen Freunden laut vor, was Mamsir geschrieben hat. Je weiter die Minotauren Mamsirs Geschichte hören, desto stärker wird ihre Verblüffung. Sein erstes Kapitel handelt von einem Angestellten in einem Freudenhaus, der ein paar tote Nachtfische aus einem Wasserbecken fischen muss. Das nächste berichtet von einem Schneckengärtner, der auf der Gartenmauer seines Herrn ein seltsames Sgraffito entdeckt. Danach ist von einem Masseur die Rede, der ein paar Blessuren eines jugendlichen Draufgängers behandelt. Das vierte Kapitel handelt von einem Fischer, der den Gesängen der Flussdelphine zuhört. Im letzten Kapitel ist von einem Boten die Rede, der von einem Freudenmädchen einen Liebesbrief empfängt und dem Mann, zu dem es sich hingezogen fühlt, überbringen soll. Mamsir erklärt: „Ich habe noch einen Orakelmann mit seinem Gehilfen im Kopf, irgendwie ist mir aber jegliche Erfindungsgabe abhandengekommen.“ Dann bemerkt er die verblüfften Gesichter seiner Gäste und meint: „Aber was habt ihr denn?“ Der Anführer meint: „Es sieht so aus, als hättet ihr hier Episoden aus unserem Leben aufgeschrieben. Wir sind erstaunt!“ Auch Mamsir selbst ist erstaunt und meint: „Das seid ihr? Dann seid ihr Schaschbukkaho?“ Vor Verblüffung staunen sich alle Anwesenden eine Weile lang mit offenen Mündern an. Lokapriya sagt: „Und ihr? Wer seid ihr?“ Mamsir antwortet: „Scheinbar bin ich euer Erzähler! Oh, und wenn das so ist, dann könnt ihr mir doch vielleicht ein wenig mehr aus eurem Leben berichten! So komme ich dann möglicherweise mit meiner Erzählung doch noch voran!“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:47
In den folgenden Tagen erzählen die Minotauren Mamsir von ihren Erlebnissen. Der Einsiedler will alles ganz genau wissen, fragt oft nach weiteren Details und notiert emsig alles, was ihm erzählt wird. Schnell wird absehbar, dass sich die Arbeit noch Wochen wenn nicht Monate hinziehen wird. Mamsirs Hütte und Felder unterhalten ihn, aber nicht noch sechs Besucher, von denen jeder auch noch vier Mägen besitzt. Die Minotauren müssen daher bei der Nahrungsbeschaffung mithelfen. Tagsüber jagen sie Wild im Dschungel, kümmern sich um Mamsirs Tiere oder suchen nach essbaren Pflanzen und Wurzeln, abends helfen sie dem Einsiedler bei der Fortsetzung seines Epos.

Viele Tage später ist alles erzählt. Mamsirs Epos ist in der Gegenwart angelangt. Saibhang sagt: „Damit ist unsere Geschichte aber noch nicht abgeschlossen. Wir sind nicht zufrieden mit der Situation in Dégringolade und möchten dort etwas verändern.“ Mamsir lächelt und sagt: „Wir werden sehen.“

In der Nacht merkt der ein oder andere Minotaur im Halbschlaf, wie Mamsir im Schein einer kleinen Öllampe am Tisch sitzt und ein paar Wörter aufschreibt. Am nächsten Morgen kann er sich nicht daran erinnern. Die Schriftrolle findet sich aber auf dem Esstisch. Gespannt lesen alle Anwesenden, was Mamsir in der Nacht quasi schlafwandlerisch notiert hat:

„Dann sang Schaschbukkaho an heiligem Ort folgendes Lied, wodurch er alle drei Stimmen gleichermaßen ehrte:

Du glaubst schon lang ein Rind zu sein,
und nicht etwa Mensch oder Schwein.
Du glaubst zum Recht führt Strategie
Und bist statt Vieh doch nur Phantasie.

Doch auch dein Schöpfer hat dies Problem,
als Teil der Welt er sich einst gefiel,
doch denkt er nach, wird ihm unbequem:
ist selbst auch nur ein Gedankenspiel.

Du glaubst schon lang ein Rind zu sein,
und nicht etwa Mensch oder Schwein.
Du glaubst zum Recht führt Strategie
Und bist statt Vieh doch nur Phantasie.

Sei hohle Kugel statt großer Held!
Bist wie die Haut einer Zwiebel nur,
doch schaff in dir eine neue Welt:
erzählen kannst du auch als Figur.

Du glaubst schon lang ein Rind zu sein,
und nicht etwa Mensch oder Schwein.
Du glaubst zum Recht führt Strategie
Und bist statt Vieh doch nur Phantasie.“


„Ein Satz und der Text eines Liedes“, meint der zweite Soldat. „Was nun?“ Mamsir antwortet: „Passt der Liedtext vielleicht zu der Melodie, die ihr mir mitgebracht habt?“ Die Minotauren probieren es aus und stellen fest: Das funktioniert.

Dann meint der Anführer: „Und nun? Schaschbukkaho sind offensichtlich wir sechs. Wir singen das Lied an einem heiligen Ort und ehren dadurch die Stimmen. Wollen wir das überhaupt? Und selbst wenn: Von was für einem Ort ist die Rede?“

Lokapriya meint: „Ich weiß nicht, wovon das Lied handelt. Was bedeutet dieser seltsame Text? Singen wir über uns, wenn wir das Lied singen? Sind wir nur Phantasie? Mamsir hat behauptet, er sei unser Erzähler. Heißt das, er ist unser Schöpfer? Und ist auch er nur – wie es der Text behauptet – ein Gedankenspiel? Wessen Gedanken sind da gemeint? Wenn jeder erzählen kann, aber gleichzeitig auch Figur sein kann, wer ist dann der Ursprung aller Erzählung? Wer ist real?“

„Spielt doch keine Rolle“, meint Myrtakay. „Wir können singen und wir können erzählen. Die anderen Fragen können wir sowieso nicht beantworten! Lasst uns doch lieber überlegen, was wir jetzt unternehmen!“

Die Minotauren beraten ein wenig und gelangen zum Schluss, dass sie zumindest versuchen wollen, dem Eingangssatz Folge zu leisten. Die Stimmen mögen wahnsinnig sein, sie sind aber auch getrennt. Vielleicht nehmen sie Vernunft an, wenn sie zusammengeführt werden, vielleicht verdreifacht sich ihr Wahnsinn. „Vielleicht finden wir es heraus, wenn wir an einem heiligen Ort unser Lied singen“, meint der erste Soldat. Die Minotauren nicken, überlegen, welche heiligen Orte sie kennen, und sprechen zuerst Mamsir auf seine Hütte an. Mamsir meint: „Oh nein, das hier ist kein heiliger Ort. Es ist einfach nur meine kleine, armselige Hütte. Außerdem habt ihr das Lied doch eben gerade gesungen. Konntet ihr irgendwelche mysteriösen Stimmen wahrnehmen? Ich jedenfalls nicht. Ich denke, ihr braucht einen anderen Ort.“

Dann gehen die Minotauren die bemerkenswerten Orte durch, die sie in letzter Zeit kennengelernt haben. Lokapriya fasst die Überlegungen zusammen: „Wir sehen also drei Möglichkeiten: Den Belugha-See, den ewigen Fluss und den Turm der Helden.“ „Wenn das so ist“, meint Myrtakay „probieren wir die Möglichkeiten doch einfach der Reihe nach durch!“ Die Minotauren sind einverstanden. Sie wollen mit dem Belugha-See beginnen. Mamsir ist bereit, sie dorthin zu führen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:48
Am Belugha-See nehmen die Minotauren Abschied von Mamsir. „Was wird nun aus deinem Epos?“, fragt Lokapriya. Mamsir meint: „Ich weiß es nicht, aber mit eurer Hilfe habe ich die Geschichte doch sehr weit vorangebracht. Den Schluss muss ich vielleicht allein finden.“ Der alte Mann erhebt die Hand zum Gruß und macht sich auf den Rückweg.

Dann beginnen die Minotauren am Seeufer ihr Lied zu singen. Der gewaltige Belugha taucht aus dem Wasser auf und lobt ihren Gesang, von den Stimmen ist aber nichts zu sehen. Nachdem die Minotauren Belugha erzählt haben, was sie hier tun, meint dieser: „Na, die Stimmen sucht ihr hier vergebens. Ich glaube, sie sind einverstanden damit, den See mir zu überlassen. Sie zeigen sich hier fast nie. Ihr könnt aber schon einmal anfangen zu erzählen. Vielleicht hilft euch das ja auf eurem Heimweg nach Dégringolade!“ Lokapriya beginnt daraufhin von einem Floß zu erzählen, dass ihn und seine Gefährten den Vadhm hinab zur Stadt zurückbringt. Tatsächlich haben die Minotauren schnell Holz gefunden und zusammengebunden. Der Rückweg geht erfreulich schnell vor sich. „Haben wir das deiner Erzählung zu verdanken oder ist es der Segen des großen Belugha, der uns hier begleitet?“, fragt der zweite Advokat Lokapriya. Der Philosoph zuckt mit den Schultern.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:49
Schließlich kommt Dégringolade in Sicht. Wie bereits vor einiger Zeit erreichen die Minotauren das Stadtgebiet, indem sie auf ihrem Floß das Tor von Bari-Ein durchfahren. Die Stadt sieht mitgenommen aus. Der Dschungel ist erschreckend weit über den Stadtrand hinweg gewuchert. In der Stadt sind Gebäude eingestürzt. Wurzeln bohren sich aus den Wegen und machen sie an einigen Stellen unpassierbar. Als die Minotauren durch Rhomoon fahren, halten einige von ihnen nach ihren früheren Wohnungen Ausschau. Die Hütte des Anführers ist nicht wieder aufgebaut worden. Es sieht so aus, als wären einige ihrer Überreste vom Fluss weggespült worden. Die Seide und das Haus des Porfirio Empyreus stehen noch. An den Grundstücksmauern von Porfirios Villa patrouillieren schwergerüstete Wachen und verleihen dem Anwesen das Aussehen einer Festung.

Später erreichen die Minotauren die drei Inseln. Es ist der Ort, an dem einst das Rinderopfer stattfand. Die Minotauren verlassen ihr Floß, stellen sich ans Ufer des ewigen Flusses und singen ihr Lied. Schon bald aber laufen ein paar Menschen zusammen und schimpfen. Sie fühlen sich von dem Gesang belästigt. Als ein paar von ihnen mit Gemüse werfen und ein paar Bewaffnete auf die Minotauren zukommen, verschwinden diese.

Der Weg zum Turm der Helden ist nicht weit. Kurz bevor sie den davor befindlichen Platz erreicht haben, ist aber ein lautes Wehklagen zuhören: „Oh nein!“, ruft da jemand voller Verzweiflung. Die Minotauren beschleunigen ihren Schritt und sehen, wie Gerdatosa, der Verwalter des Turms der Helden, mit schmerzverzerrtem Gesicht eine geisterhafte Gestalt an einem der Tische vor dem Turm erblickt. Es ist Halifa, die ein Pergament auseinanderfaltet und deutlich vernehmbar zu lesen beginnt:

„Ich bin nicht die Zukunft

Du kannst mir die Finger küssen,
sie aber nicht zu Gitterstäben machen.

Deine Liebeserklärung flog durch dunkle Wolken,
erreichte mich spät,
ließ sich zwischen ein paar Erinnerungen nieder
und verteilte sich schließlich in meinem ganzen Körper.

Schuld ist das Pochen in der Brust.
Wir haben uns von unseren Ängsten erzählt und
noch bevor du mein nachtschwarzes Herz erreichtest,
war ich ein Gefangener des Lichts,
das die Milchstraße deiner Augen aussandte.

Später, wenn du dafür in Stimmung bist,
werde ich dir gewissenhaft das Allheilmittel verabreichen,

aber vergiss das Heim,
das du in meiner Handfläche zu erkennen glaubst.

Ich bin nicht die Zukunft.

Gerdatosa.“


Der Geist Halifas blickt mit Tränen in den Augen ins Nichts und sagt: „Gerdatosa, Liebster, wenn du Recht hast, dann habe ich keine Zukunft mehr. Ich werde eine traurige Heldin abgeben!“ Sie verschwindet im Turm, kommt wenig später auf der Turmspitze wieder zum Vorschein und stürzt sich herab.“

Gerdatosa und auch die Minotauren schauen sich das Geschehen mit wachsendem Grauen an. Der Anführer ist allerdings der erste, der sich aufrafft und seine Gefährten zur Vernunft ruft. „Freunde, wir haben hier einen Auftrag. Lasst uns den Turm besteigen!“ „Nun gut“, meint Lokapriya. „Ich muss dann eben hinterher mit dem Turmverwalter noch ein Gespräch führen.“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:51
Wenig später stehen die Minotauren auf dem Turm. Sie alle können die konzentrischen Kreise sehen, die die Stadt und den Dschungel zu gliedern und ihr Zentrum ungefähr dort zu haben scheinen, wo sich Mamsirs Hütte befindet. Dann singen die Minotauren ihr Lied. Der zweite Advokat scheint schon bald auf außergewöhnliche Weise beseelt zu sein. Inmitten der Minotauren erscheint außerdem die bereits bekannte Lichtgestalt, deren Äußeres sich aufgrund ihrer Helligkeit kaum erkennen lässt. Schließlich bemerken die Minotauren, wie sich die Steine des Turmes zu ihren Füßen rötlich färben. „Die drei Stimmen“, meint Lokapriya. „Sie sind alle hier.“ „Und die helle Stimme in unserer Mitte – nickt sie nicht wohlwollend mit ihrem Kopf?“, fragt Saibhang. Ob das stimmt oder nur Einbildung ist, weiß aber keiner seiner Freunde genau zu sagen.

Dann endet das Lied der Minotauren und auf den ersten Blick scheinen die Stimmen zu verschwinden und alles sieht so aus, wie es war. Dennoch fühlen sich die Minotauren in einem außergewöhnlichen Zustand. „Es ist etwas in mir, das ich nie zuvor gespürt habe!“, meint der zweite Soldat und seine Gefährten nicken, weil sie ähnlich fühlen.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:53
„Lasst uns zu den Besuchern des Turms hinabsteigen!“, meint Lokapriya. So geschieht es. An den Tischen am Fuß des Turms der Helden sitzen wie so oft Gäste, die jetzt, nach Einbruch der Dämmerung, das Treiben der geisterhaften Helden aus früheren Zeiten beobachten. Nur Gerdatosa sitzt noch immer voller Schmerz allein an einem der Tische und weint große, salzige Tränen. Lokapriya geht zu ihm und fragt: „Was ist geschehen, Gerdatosa?“ Der Mann mit den hübschen Blumentätowierungen auf den Armen sagt: „Ich war ein paar Tage bei meiner Schwester in Kantairon. Als ich zurückkam, hörte ich davon, dass sich irgendjemand vom Turm der Helden gestürzt haben soll. Ich wusste nicht, wer es gewesen ist. Eben erst ist meine geliebte Halifa hier als Geist erschienen. Offenbar hat sie der Turm in die Reihe seiner Helden aufgenommen. Ich musste ihre Todesszene mit ansehen. Diese Verse aber, die sie gelesen hat – die habe ich nie geschrieben! Ich bin gar kein Mann, der Verse dichtet! Diesen Brief muss ihr irgendein übelwollender Mann untergeschmuggelt haben!“ „Das hört sich für mich so an, als stecke Kanta Planudes dahinter“, meint Saibhang. „Er scheint sich auf besonders grausame Weise an der Frau gerächt zu haben.“

Lokapriya legt Gerdatosa, dem Turmverwalter, seine Hand auf die Schulter und will ihn trösten. Dann aber verfolgen seine Gedanken eigene Wege. Er denkt an die Schicksale, die er in der Seide kennengelernt hat, an seine unterdrückten Brüder, an die brennenden Häuser, an die platzenden Steine, an den wuchernden Urwald und die nächtlichen Straßenwachen. Er denkt an das fehlgeschlagene Rinderopfer, das brennende Amphitheater und die die Leichen der im Dschungel gefallenen Soldaten, die von Termiten zerfressen werden. Und nach einer ganzen Weile erhebt sich Lokapriya, wendet sich an die Besucher auf dem Platz vor dem Turm der Helden und erzählt.

Lokapriya berichtet von einem eifersüchtigen Mann, der gewalttätig wird, hinterher aber seine Frau um Vergebung bittet. In seiner Erzählung tauchen danach auch Menschen auf, die Minotauren um Vergebung für vergangenes Leid bitten. Der Hass zwischen Menschen und Minotauren scheint plötzlich völlig sinnlos zu sein.

Die Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden hören dem Philosophen aufmerksam und überrascht zu.

Dann ergreift der zweite Advokat das Wort und erzählt ebenso. Er berichtet vom Gesang der Flussdelphine, der so süß tönt, dass die Vorstellung, jemand könnte diese gesegneten Kreaturen zu einem Aphrodisiakum verarbeiten, völlig abwegig erscheint. In seiner Geschichte werden auch die Kerne der gefleckten Zitrone erwähnt. Ihre Verwendung als Gift, das Personen im ewigen Fluss ertrinken lässt, erscheint in seiner Geschichte als ebenso schreckliches Missverständnis, wie alle anderen Opferungen, die aus welchen merkwürdigen Ritualen auch immer an Personen begangen werden.

Die Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden hängen inzwischen an den Lippen des Vortragenden. Es ist unübersehbar, dass auch sie der Meinung sind, hier ereigne sich etwas ausgesprochen Wichtiges.

Als nächstes erzählt Saibhang. Er schildert eine Szene, in der viele Menschen mit Minotauren gemeinsam in den Quell des Vertrauens und danach Hand in Hand wieder heraussteigen. Am Ende seiner Erzählung beenden die Menschen gemeinsam mit den Minotauren den Immerkrieg im Dschungel.

Mit weit aufgerissenen Augen nicken die Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden zu Saibhangs Geschichte. Es scheint eine wunderbare Idee zu sein, wovon der Minotaur spricht.

Es folgt die Erzählung Myrtakays. Er erzählt von Personen, die nur aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit bevorzugt oder eben auch benachteiligt werden. Der Held seiner Geschichte ist ein Fünfzehnjähriger an der Schwelle zum Erwachsenenalter, der trotz eines schlechten Rufes Selbstbewusstsein gewinnt und es sich nicht bieten lässt, dass ihn andere herumkommandieren oder schikanieren. Der junge Mann betätigt sich im Folgenden als Arzt, der Eukalyptus und Karpfenspeichel als Heilmittel verwendet. Es gelingt ihm, die Lebensqualität seiner Mitmenschen zu steigern und den friedlichen Umgang miteinander unter ihnen zu fördern.

Die Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden murmeln lange beifällig, nachdem er seine Geschichte beendet hat.

Dann beginnt der erste Soldat zu sprechen und erzählt davon, wie die Schnecken aus den Gärten der Reichen verschwinden und in den Dschungel kriechen. In seiner Geschichte hören die Menschen auf Drogen zu nehmen und sind danach viel besser dazu in der Lage Verantwortung zu übernehmen und mitfühlend zu handeln.

Die Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden beginnen daraufhin vorsichtig zu klatschen. Ihre Gesichter nehmen einen entspannten Ausdruck an, dennoch hören sie weiter gespannt zu.

Die letzte Erzählung stammt vom Anführer. Er berichtet von einer Gruppe junger Holzfäller, die von einem Fischer lernen Selbstverantwortung zu übernehmen.

Auch diese Geschichte wird von den Menschen auf dem Platz vor dem Turm der Helden begeistert aufgenommen. Sie klatschen lange, einige jubeln sogar. Irgendwann aber kehrt Stille ein. Das Publikum der Minotauren merkt, dass keine Erzählung mehr folgt. Und nach einer langen Weile beginnen die Anwesenden den Platz zu verlassen und sich dabei darüber zu unterhalten, was sie gehört haben. Ein paar Gesprächsbrocken können die sechs Minotauren aufschnappen:

„Naja, das waren eben ein paar Geschichten.“

„Ja, aber es waren schöne Geschichten!“

„Und sie wurden mit so einer Leidenschaft vorgetragen!“

„Aber es waren nur ein paar dahergelaufene Minotauren!“

„Ja, aber sie haben gut erzählt!“

„An einigen Stellen konnte ich mich richtig gut in die Figuren hineinversetzen! Stellt euch vor, sogar in die Minotauren!“

„Das waren ein paar Hirngespinste, verpackt in aufrührerische Reden, die wir da gehört haben!“

„Das kann man so sehen, ich fand die Erzählungen aber herzerwärmend und anrührend.“

„Und ich will mir ein paar der Geschichten merken, damit ich sie meinen Kindern weitererzählen kann.“
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:54
Zuletzt bleiben die sechs Minotauren auf dem Platz vor dem Turm der Helden zurück. Sogar der Turmverwalter Gerdatosa ist verschwunden. Niemand hat mitbekommen, wann er gegangen ist. Die Minotauren merken, dass der besondere Moment vorbei ist. Die Stimmen scheinen wieder verschwunden zu sein.

„Wir schauen mal, wie es im Haus von Saaroni und Ayatashatru aussieht“, meinen die beiden Soldaten.

„Und ich will versuchen meine Hütte wieder aufzubauen“, sagt der Anführer.

„Ich mache mich auf die Suche nach Mujeeb“, meint der zweite Advokat.

„Ich werde mal nachfragen, ob meine Dienste in der Seide immer noch gefragt sind“, meint Saibhang.

„Und ich will sehen, ob nicht jemand ein paar Botschaften überbringen lassen muss“, sagt Lokapriya.

Eine Weile schauen sich die Minotauren an und rühren sich nicht.

„Was meinst du, Lokapriya“, meint der Anführer schließlich. „War alles umsonst?“

„Wir werden sehen“, meint Lokapriya. „Es war auf jeden Fall einen Versuch wert.“

Die sechs Minotauren grinsen sich an, erheben die Hände zum Gruß und ziehen ihrer Wege.
Titel: Re: [The Clay That Woke] Landschaft mit dem Sturz des Ikarus
Beitrag von: Chiarina am 23.08.2021 | 23:55
Ich danke meinen Mitspielerinnen und Mitspielern für diese außergewöhnliche Runde, die ich wohl nie vergessen werde.