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Medien & Phantastik => Sehen, Lesen, Hören => Sehen => Thema gestartet von: Tegres am 27.08.2020 | 00:03

Titel: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 27.08.2020 | 00:03
Tenet – spoilerfreie Kritik

Ich habe heute Tenet gesehen und möchte hier spoilerfrei (für jene, die mindestens einen Trailer gesehen haben) meinen Ersteindruck wiedergeben. Aufgrund der Erwartungshaltung an einen Nolan-Film werde ich dabei immer wieder Vergleiche zu anderen Nolan-Filmen ziehen.

Wie man aus den Trailern bereits weiß, geht es bei Tenet um Zeit, doch anders als bei Memento, Inception oder Dunkirk wird die Wahrnehmung von Zeit nicht als Aufhänger der Geschichte oder inszenatorisches Mittel genutzt. Stattdessen geht es wirklich physikalisch um die Zeit. Das bringt naturgemäß Paradoxa mit sich. Wer sich hiervon gestört fühlt, der wird große Probleme mit Tenet haben. Blendet man den Paradoxa-Aspekt hingegen aus, kann man der Geschichte gut folgen, wobei sich einige Aspekte sicherlich erst beim zweiten oder dritten Sehen erschließen. Dem grundlegenden Verständnis und dem Genuss des Films tut das aus meiner Sicht aber keinen Abbruch. Ich perönlich finde die Umsetzung der Zeitthematik im Film genial, könnte mir aber vorstellen, dass das der große Knackpunkt in der Tenet-Bewertung wird.
Wie ebenso bereits aus den Trailern hervorgeht, hält sich Tenet nicht mit kleinen Dingen auf. Es geht hier nicht wie Inception, Prestige oder Memento um das Schicksal weniger Personen, sondern wie bei Interstellar um das große Ganze. Das führt ein wenig zu einem James-Bond-haften Aufbau mit einem Helden und einem Bösewicht, wird dabei aber trotz der krassen Prämisse nie pulpig sondern bleibt nolanesk nüchtern.

Diese Nüchternheit spiegelt sich auch in den Figuren wider. Das Schauspiel ist entsprechend zurückhaltend, was mir persönlich gefiel. Im Zentrum stehen weniger die Figuren und ihre Gefühle, sondern die Geschichte. Den immer wieder vorgebrachten Vorwurf der Emotionslosigkeit an Nolan – den ich ehrlich gesagt nie ganz verstanden habe – könnte man hier noch am ehesten anbringen. Tenet ist weder ein Psychogram wie Prestige oder The Dark Knight Rises noch ein beziehungsgetriebener Film wie Interstellar oder Inception. Hier steht eine Mission im Vordergrund, die unbedingt erfüllt werden muss. Dabei kommen immer wieder die humanen Prinzipien des Protagonisten zum Tragen, sodass der Zuschauer eine starke Verbindung aufbaut. An die anderen Protagonisten von Nolans Filmen kommt er jedoch nicht heran. Die anderen Figuren sind etwas schwächer, wenn auch solide. Dies trifft ebenfalls auf den Antagonisten zu, der sehr klassisch dargestellt wird, eine starke Präsenz zeigt und für ein klares Gut-Böse-Schema sorgt. Dies tut diesem Film gut, denn eine moralisch komplexe Geschichte neben der inszenatorischen und erzählerischen Komplexität würde den Film überfrachten.

Die erzählerische Komplexität entsteht neben dem oben genannten Zeit-Thema auch durch das hohe Tempo vor allem zu Beginn des Films. Hier war es mir an manchen Stellen zu rasant. Dies lag nicht daran, dass ich der Geschichte nicht folgen konnte. Vielmehr fühlte sich die Handlung aufgrund vieler Ortswechsel hektisch an. Ausnahmsweise hätte ich deshalb einen 5 bis 10 Minuten längeren Film besser gefunden.
Ab und zu sorgt die Komplexität für gewisse Erklärdialoge, die in einem Maße zwischen Inception und Interstellar präsent sind. Als störend habe ich sie nicht erfunden. Nolan genießt da aus meiner Sicht das Privileg, aufgrund der komplexen Prämissen und Geschichten vom Grundsatz „Show, don’t tell.“ abweichen zu dürfen, zumindest in gewissen Maßen. Die Geschichte bleibt dabei stets spannend und für mich ohne Hänger. Ein paar Kleinigkeit hier und da gäbe es anzumerken, aber diese verlieren sich aus meiner Sicht im Großen und Ganzen.

Neben all dem ist Tenet – wie zu erwarten – visuell beeindruckend und in diesem Zusammenhang mit Inception oder Interstellar zu vergleichen. Die Phrase „Hier gibt es Szenen, wie man sie nie zuvor gesehen hat.“ ist bei Tenet nicht hohl, sondern eine zutiefst zutreffende Beschreibung. Allein dafür lohnt es sich den Film im Kino zu sehen. Die Action ist besser inszeniert, als in den Batman-Filmen oder Inception, was den Film abseits jeglicher Story bereits zu einem herausragenden Action-Film macht. Die Prämisse der Geschichte spiegelt sich in beeindruckender Weise in der Inszenierung wider. Die Trailerbilder mit rückwärts verlaufenden Ereignissen geben nur einen ersten Vorgeschmack darauf, was Nolan noch alles aus dem Hut zaubert.

Alles in allem bin sehr zufrieden mit dem Film und werde ihn mir sicherlich noch ein zweites Mal anschauen, dann in OV. Er ist kein Meisterwerk, wird den Erwartungen als guter und beeindruckender Film jedoch gerecht. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Coltrane am 27.08.2020 | 17:14
Danke. Das bestärkt mich in dem Entschluss endlich mal wieder das Kino aufzusuchen.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: First Orko am 27.08.2020 | 18:55
Klasse Review, vielen Dank dafür! Kommt sehr überlegt rüber und distanziert von potentiellen Hype, macht aber neugierig  :d Überlege mir den Film so ganz ohne Trailer einfach mal anzugucken  :think:
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Seraph am 29.08.2020 | 17:52
Meine Meinung in Kurzform - (als Nolan-Fanboy) leider enttäuschend.
Der Clou des Films (Zeit-Inversions-Shizzle) war mir zu komplex, um das irgendwann noch logisch nachzuvollziehen.
Story und Figuren bleiben blass.
Coole Choreos (aka Hallway-Fight aus Inception) gab es ein, zwei, aber auch das waren keine "Mindblower".
Der Plot ist viel zu hektisch und schnell, teilweise hätte man Nebenfiguren einfach weglassen können, um dem Film ein wenig mehr Ruhe zu gönnen.

Positive Highlights: Branagh als Bösewicht, die Kampfszene im Lager, der Soundtrack.


Eine ausführliche Review kann ich in Ruhe gerne noch nachliefern.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: ghoul am 1.09.2020 | 09:42
Der Film hat ja außerdem noch einen versteckten Witz, der esoterisches Wissen o.ae. voraussetzt. Ein Facepalm-Effekt für wenige Zuschauer.
Ich habe mittendrin aufgelacht, obwohl das ja meine allererste Assoziation mit dem Filmtitel war.
Ich will hier aber nicht spoilern.
 ;D
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 1.09.2020 | 10:33
@ghoul: Meinst du
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: ghoul am 1.09.2020 | 10:43
Jetzt hast du doch gespoilert. Ja.  ;D

Eine ziemlich trashige Idee, um da drumherum einen Film zu drehen. Und dann einen Hochglanz-Nolan-Film! Toll wäre es gewesen, diesen Plot an John Carpenter zu geben, mit nur einem winzigen Bruchteil von Nolans Budget. Was ist uns da für ein schöner B-Movie entgangen!
 ~;D
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Issi am 1.09.2020 | 11:09
Meine Meinung in Kurzform - (als Nolan-Fanboy) leider enttäuschend.
Der Clou des Films (Zeit-Inversions-Shizzle) war mir zu komplex, um das irgendwann noch logisch nachzuvollziehen.
Story und Figuren bleiben blass.
Coole Choreos (aka Hallway-Fight aus Inception) gab es ein, zwei, aber auch das waren keine "Mindblower".
Der Plot ist viel zu hektisch und schnell, teilweise hätte man Nebenfiguren einfach weglassen können, um dem Film ein wenig mehr Ruhe zu gönnen.

Positive Highlights: Branagh als Bösewicht, die Kampfszene im Lager, der Soundtrack.


Ich muss mich Seraph in vielen Punkten anschließen.
Branagh grandios. Der Rest naja.
(Bin im Kino zwischendurch kurz eingeschlafen).

Eine interessante Idee ansich, macht noch keinen coolen Film.
(War letzten Donnerstag drin)

Fand den Anfang tatsächlich sehr vielversprechend, bis zur Mitte auch unterhaltsam.
Danach gefühlt zu lange (Emotionale Bindung zwischen Zuschauer und Figuren teilweise zu schwach, Ein interessante Überraschung oder Wende blieb am Schluss leider aus)
Meinen Mitkuckern ging es ähnlich.

Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Vasant am 1.09.2020 | 11:15
Ich bin bei dem Film erschlagen, leicht verwirrt und auch ein bisschen enttäuscht aus dem Kino gekommen.

Die Geschwindigkeit, die Seraph schon erwähnte, fand ich auch recht fix bis stellenweise fast schon hektisch, aber es ging für mich. Durch Nolans Vorlieben, was den Ton angeht, wird die rasante Geschwindigkeit kombiniert mit Dialog, der auch an Stellen, wo es wichtig ist, nicht auf Verständlichkeit frisiert ist – da brüllen sich Leute über Wind und Wellen an, grunzen durch Atemschutzmasken und ähnliches. Ich hab's auf Englisch geschaut und kann zur deutschen Synchro nichts sagen. Aber auch da: Es ging. Ich hab zwar ständig den Eindruck gehabt, dass ich etwas verpasse oder nicht verstanden habe, aber ich konnte dem Film trotzdem folgen.

Ich will auch die Tonmischung des Films gar nicht groß kritisieren. Das Kino hat gewackelt, aber ich konnte danach noch hören :D Ich betrachte mich als recht lärmempfindlich und fand's insgesamt von der Lautstärke her erträglich. Die Tongestaltung selbst fand ich prima.

Erwartet habe ich Bond – einigen Interviews zufolge war das ja auch eigentlich Ziel von Nolan –, bekommen habe ich ne Hälfte Bond, ein bisschen Bourne und dann ne Portion Kriegsfilm. Das hat mir nicht so gefallen.

Die Schauspieler fand ich super. Auch wenn die Figuren stellenweise n bisschen sparsam rüberkamen (eine wichtige Figur hat ohne Erklärung nicht mal einen Namen, wtf) und ihre Motivationen in den besten Fällen gar nicht erläutert wurden, waren sie doch toll gespielt.

Die Zeitreisethematik hat mich eigentlich interessiert und auch die Grundidee des Films dazu fand ich gut. Leider hab ich eher den Eindruck gehabt, dass das hauptsächlich für coole Szenen und dolle Effekte draufging. Sobald es um essentielle Fragen ging, kam da effektiv nur ein "tjo keine Ahnung, aber jetzt müssen wir ballern."  :-\ Und die Szenen selbst haben dann eigentlich auch nur für Verwirrung gesorgt als alles andere. Ich könnte jetzt spontan keine Szene nennen, die inhaltlich großartig durch die Thematik gewonnen hätte und nicht auch gut mit linearer Zeit funktioniert hätte. Bei den meisten Szenen hat das für mich inhaltlich nichts großartig beigetragen.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 1.09.2020 | 11:24
Ich könnte jetzt spontan keine Szene nennen, die inhaltlich großartig durch die Thematik gewonnen hätte und nicht auch gut mit linearer Zeit funktioniert hätte.
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Vasant am 1.09.2020 | 11:31
Das ist mir auch grad eingefallen  ;D und dann fiel mir direkt dazu auf, wie blöde ich die resultierende Szene danach fand... Grmpf.
Bei dem Film macht drüber nachdenken echt keinen Spaß, wenn man immer nur auf „ja, der Teil vom Film war wohl doof“ kommt.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: ghoul am 1.09.2020 | 11:44
Und auch aus diesen Gründen wäre eine Carpenter-B-Movie-Version passender gewesen!   ;D
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Zed am 4.09.2020 | 14:30
Ich habe mir gestern in 2,5 Stunden zugegebenermaßen unterhaltsamen Stunden beweisen lassen lassen, dass mein IQ deutlich unter 150 liegt.

Nolan macht einen Film für Mensamitglieder, und alle anderen dürfen auch zuschauen.

Ne, ich bin immer noch ein bisschen sauer.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 11.09.2020 | 23:40
Ich habe den Film heute nochmal gesehen, diesmal auf Englisch ohne Untertitel. Vieles wurde mir jetzt klarer, aber ein paar Detailfragen hinsichtlich der im Film etablierten Physik bzw. Logik bleiben. Da aber nunmal mit der Zeit rumgespielt wird, lässt sich das nicht vermeiden. Meine oben genannte Bewertung von 4/5 hat sich dafür nochmal bestätigt. Auch beim zweiten Mal war der Film audiovisuell beeindruckend sowie ungemein spannend. Das schnelle Pacing zu Beginn hat mich nicht mehr so gestört.
Falls ihr den Film das erste Mal auf Englisch gucken solltet, empfehle ich OmU, da in einigen Szenen die Dialoge sonst nur schwer zu verstehen sind.

Hier übrigens zwei Graphen zu Tenet:
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Vash the stampede am 12.09.2020 | 04:50
Ein guter Film. Schwer zu verstehen. Schwer zu folgen. Aber gerade deshalb gut. Und definitiv ein Film zum wieder schauen.
Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Zed am 12.09.2020 | 09:43
Kacke ist auch nur eine Art invertierte Nahrung.

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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 12.09.2020 | 10:42
Ich werde ein paar der Fragen zu beantworten, die sich meines Erachtens nach durch aufmerksames Zuschauen beantworten lassen. Andere Fragen werde ich nicht eindeutig beantworten können, was einfach an der immer paradoxiebehafteten Zeitthematik liegt, dennoch gebe ich dazu meinen Senf ab.
Ein paar Fragen zu Tenet
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Zed am 12.09.2020 | 13:58
Danke Tegres, dass Du meine immer ernsthaften, aber manchmal zusätzlich auch pubertären Fragen beantwortet hast. Ich sehe aber nach wie vor Widersprüche. I am still lost in discrepancies.
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Vasant am 13.09.2020 | 10:03
Ich mach mal mit!

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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Zed am 23.09.2020 | 20:14
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Titel: Re: Tenet - der neue Film von Christopher Nolan
Beitrag von: Tegres am 29.10.2020 | 23:32
Ich war heute nochmal in Tenet, diesmal im IMAX. Die 14€ haben sich gelohnt. Der Film macht mir einfach wahnsinnig viel Spaß und der Ton im IMAX ist einfach bombastisch, zum Glück ohne zu laut zu sein.