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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielberichte => Thema gestartet von: Chiarina am 17.10.2020 | 18:31

Titel: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 17.10.2020 | 18:31
"Ghost / Echo" ist ein kleines Erzählspiel mit minimalen Regeln und einem Settingfragment auf zwei Seiten. Es lässt sich hier (http://www.onesevendesign.com/ghostecho/) downloaden. Ich wollte es immer ausprobieren, weil ich Leerstellen, die sich erst während des Spiels füllen, spannend finde. Vier Spieler haben sich darauf eingelassen.

Eigentlich ist das ein typisches OneShot-Spiel, aber weil wir nicht mehr ganz so jung und immer ziemlich langsam sind, werden wir wohl zwei oder drei Sitzungen brauchen.

Tag 1

Alles ist weiß, grau und schwarz. Die durchscheinende Frau greift in ihre Taschen und sucht etwas. Ein deutlich vernehmbares Klackern und Schaben erklingt. Die Bewegungen der ätherischen Frauengestalt werden schneller und hastiger.

Drei junge Frauen und ein junger Mann mit dem üblichen Mund-Nase-Schutz schauen sich um. Sie stehen in einem Gasthaus. Außer ihnen und der seltsamen Frauengestalt ist niemand anwesend. Eine Tür führt nach draußen, außerdem ein Fenster, das allerdings aufgrund herabgelassener Jalousien nicht preisgibt, was sich hinter ihm befindet. Im Raum befinden sich ein paar Tische und Stühle, zur Linken eine Theke, über der ein Schriftzug den Namen des Ortes verrät: „The Nail and Bottle“.

Wieder ertönt das Klackern und Schaben. Die jungen Menschen schauen sich den Fußboden an, der aus großen Findlingen besteht. Einer der Steine ist verrutscht und hat sich über einen anderen geschoben. An seinem ursprünglichen Platz ist körniger Sand zu sehen. Noch einmal erklingt das Klackern und Schaben. Ein anderer der großen Steine bewegt sich scheinbar von selbst, löst sich aus seiner Verankerung, schiebt sich über einen benachbarten Stein. Die Frauengestalt scheint in Panik zu geraten und fördert zwei oder drei kleine, verkorkte Reagenzgläser zutage und sucht nach weiteren Gegenständen in ihren Taschen.
Nach und nach geraten die Steine auf dem Fußboden immer schneller in Bewegung. Sie türmen sich übereinander, rutschen auf die jungen Menschen und die geisterhafte Frau zu und formen sich zu einer überlebensgroßen Steingestalt. Hastig drückt die Frau den angsterfüllten jungen Menschen acht Reagenzgläser in die Hand. Eine Stimme ertönt in deren Köpfen: „Nehmt einen dieser Trünke, bevor ihr wiederkommt, dann behaltet ihr eure Erinnerungen.“

Zwei der jungen Frauen reißen die Tür der Gaststätte auf und eilen nach draußen. Sekunden später prasseln die Steine der unheimlichen Figur zu Boden und verbarrikadieren die Tür. Die geisterhafte Frauengestalt flieht. Die letzte junge Frau versetzt dem Fenster der Gaststätte einen harten Tritt. Glas zerbricht, die Jalousien splittern, kurz bevor die steinerne Gestalt nach ihr schlägt, springt sie aus dem Fenster. Dem jungen Mann ist es währenddessen gelungen, ein paar Steine vor der Tür zumindest soweit fortzuräumen, dass sie sich einen Spalt weit öffnen lässt. Unbeobachtet drückt er sich ächzend nach draußen.

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Als hätte jemand den Kanal gewechselt, stehen die vier jungen Menschen mit einem Mal an der Straße auf einem breiten Gehweg. Die plötzliche Farbe raubt ihnen fast den Atem. Ein paar Bänke und Tische befinden sich hier zwischen kleinen Bäumen in Blumenkübeln. Es ist Abend und ein paar Leute sitzen in kleinen Gruppen mit dem üblichen Abstand zueinander vor ihren Weingläsern. Mit großen Augen schauen sie die überraschend erschienene Gruppe an. Eine der drei Frauen sieht durch die offene Eingangstür nach drinnen und stellt fest, dass es sich bei dem Gebäude auch um eine Gastwirtschaft handelt, eine andere allerdings als die, die sie eben verlassen haben. Ein einsamer Wirt steht hinter den Tresen und putzt ein paar Gläser. Im Schankraum sitzen nur drei Gäste. In Zeiten der Epidemie bleiben die meisten zu Hause. „Lasst uns verschwinden, sonst gibt´s noch Ärger“, sagt der junge Mann zu seinen drei Gefährtinnen. Im Weggehen schauen die vier jungen Menschen sich um und versuchen herauszufinden, wo sie sind. Im Fenster der Gastwirtschaft hängt ein ausgeschaltetes Neonschild mit den Worten „Weinstube im Nordend“.

Noch ziemlich konfus begibt sich die Gruppe in eine kleinere Seitenstraße. Eine der drei Frauen hat offensichtlich asiatische Wurzeln. Sie fasst sich an ihr Handgelenk und verzieht das Gesicht. Der Sprung durch das Fenster hat sie verletzt. Sie passieren ein Mietshaus, das soeben saniert wird und einen Durchgang zu einem Hinterhof besitzt. Die vier jungen Menschen verschwinden in den Schatten, nehmen ihren Mund-Nase-Schutz ab und atmen einmal tief durch. Nach einer Weile beginnt die Frau in Lederjacke zu sprechen: „Wir kennen uns irgendwoher, oder? Wart ihr nicht im Wartezimmer von Dr. Schnitzler?“

Sie hat Recht. Die vier jungen Menschen waren Freiwillige, die sich zu einem Testverfahren für einen Impfstoff bereiterklärt haben. Frau Dr. Schnitzler ist die Epidemiologin, die die Testreihe durchführt. Die junge Frau in Lederjacke schaut auf ihr Smartphone und sagt: „Verrückt! Das ist zwei Tage her! Ich habe keine Ahnung, was in der Zwischenzeit geschehen ist!“

Es stellt sich heraus, dass sie damit nicht allein ist. Alle Mitglieder der vierköpfigen Gruppe haben keine Erinnerung mehr an die letzten zwei Tage. Das Letzte, an das sie sich erinnern können, ist ihr gemeinsamer Aufenthalt im Wartezimmer von Dr. Schnitzler.

Das asiatische Mädchen ergreift das Wort: „Ich bin Mantis. Eigentlich besteht mein Leben im Wesentlichen aus Kung-Fu, aber vor kurzem ist mein Sensei krank geworden und ich habe mich irgendwie verpflichtet gefühlt, etwas dagegen zu tun. Ich habe im Netz von dieser Testreihe gelesen und mich gemeldet.“

Die junge Frau in der Lederjacke sagt: „Ich bin Alex. Ich verdiene mein Geld mit Kurierfahrten. Besonders viel bringt das nicht ein. Als ich von der Testreihe gelesen habe, dachte ich, dass ich dadurch an schnelles Geld kommen könnte.“

Die dritte Frau trägt legere Kleindung und eine Jeansjacke. Sie sagt: „Ich bin Jenny, studiere Kunstgeschichte, jobbe in einer Bar und bekomme keinerlei Unterstützung. Ich bin auch wegen dem Geld dabei.“

Schließlich meldet sich der junge Mann zu Wort: „Ich heiße Jo und studiere Medizin. Ich finde, in diesen Zeiten sollte man als Medizinstudent bei den neuesten Entwicklungen vorne mit dabei sein. Diese Suche nach dem Impfstoff interessiert mich, deshalb habe ich mich gemeldet.“

„Und jetzt?“, fragt Alex. „Lasst uns dem Labor von Frau Schnitzler mal einen Besuch abstatten“, meint Mantis. „Es ist das Letzte, an das wir uns erinnern können. Ich habe die Adresse hier in meinem Smartphone gespeichert.“ Alex sagt: „Gute Idee! Da müsste auch noch mein Auto stehen.“

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Jo ruft ein Taxi. Die drei Frauen schauen ihn neugierig an. Er sagt: „Lasst nur! Papa zahlt – wenn er auch sonst nichts tut!“ Das Taxi bringt die vier jungen Menschen in die Hanauer Landstraße. Dr. Schnitzlers Labor befindet sich in einem Hinterhaus. Die Gruppe durchquert eine Durchfahrt und löst einen Bewegungsmelder aus. Im Hinterhof beginnt eine Lampe zu leuchten. Es ist etwa 20:00 Uhr. Im Labor wird nicht mehr gearbeitet. Nur in einer direkt neben dem Labor befindlichen Werbeagentur ist noch Licht. Mantis klingelt und sagt: „Wir sind wegen der Pizza da!“ Eine männliche Stimme antwortet: „Pizza? Wir haben keine bestellt!“ Mantis sagt: „Sie ist für das Labor, aber da öffnet niemand.“ Der Mann antwortet: „Für das Labor? Ist das euer Ernst?“ Mantis bejaht. Daraufhin sagt der Mann: „Das ist mysteriös… aber kommt doch herein. Ich denke, ich muss euch etwas erzählen.“ Mantis schnappt sich Alex und verschwindet im Haus. Alex raunt Jo und Jenny zu: „Passt hier auf und wartet!“ Jenny nickt.

Im ersten Stock führt die Treppe direkt auf das Labor zu. Seine Tür ist mit einem Polizeiband versiegelt. Alex schaut Mantis mit großen Augen an und flüstert: „Und jetzt?“ Ein paar Meter weiter befindet sich eine offenstehende Tür, an deren Rahmen ein junger Mann lehnt. Er sagt: „Ich möchte wirklich wissen, wer in diesem Moment für das Labor eine Pizza bestellt hat. Kommt doch herein!“ Alex und Mantis erfahren von ihm, dass es vor zwei Tagen einen Todesfall im Labor gab. Offensichtlich war es die Leiterin des Labors. Die Polizei war da, hat ihren Leichnam abtransportiert und alle Hausbewohner verhört. Im Labor wird derzeit nicht mehr gearbeitet. Wer jetzt eine Pizza an das Labor liefern lässt, muss sich wohl einen schlechten Scherz erlaubt haben.

Mantis hofft, dass Jo und Jenny die Sache in die Hand nehmen, wenn sie den blauäugigen Grafiker nur lange genug ablenkt. Sie verwickelt den freundlichen Mann in ein Gespräch und hört, dass er zu der Sorte künstlerisch ambitionierter junger Menschen gehört, die aber leider acht Stunden täglich Fotos und Texte für Werbekataloge zusammenstellen. Es ist dem Mann sichtlich anzumerken, wie sehr ihn sein Beruf nervt und dass er die Gelegenheit nutzt, mal richtig Dampf abzulassen. Verständnisvoll hören ihm Mantis und Alex zu und sehen sich am Schluss sogar noch seine privaten Projekte an: lebensgroße Halbreliefs von sich selbst im Morgenmantel und seltsamen Gesten, die er bei sich zuhause und bei einigen Freunden an den Wänden angebracht hat. Mantis meint: „Interessant. Ich habe eine Bekannte im Kunstbetrieb. Wenn du mir deine Karte gibst, erzähle ich ihr, was du machst. Vielleicht meldet sie sich!“ Der junge Mann schreibt Mantis seine Email-Adresse auf und drückt sie ihr in die Hand. Dann sagt er: „Wo ist eigentlich eure Pizza? Die will doch jetzt niemand mehr, oder?“ Mantis stottert: „Äh. Wir haben noch gar keine dabei. Wir wollten erst noch die Bestellung aufnehmen.“ Der junge Mann murmelt: „Dafür seid ihr hier her gefahren?“ Aber Mantis und Alex sind schon wieder auf dem Weg nach draußen.

Jo und Jenny warten in der Zwischenzeit im Hinterhof. Als ihnen die Wartezeit zu lang wird, schiebt Jo eine Mülltonne herbei und klettert auf den Fenstersims im ersten Stock. Die Fenster sind gekippt und mit etwas Mühe gelingt es Jo, eines von ihnen zu öffnen. Kaum ist er im Labor verschwunden, geht im Hinterhof erneut das Licht an. Jemand nähert sich! Jenny gibt vor, ihr Kätzchen zu suchen und maunzt zwischen den Mülltonnen herum. Ein älterer Mann im Unterhemd tritt auf sie zu und fragt: „Was machst du hier?“ Jenny sagt: „Meinen Kater suchen! Wer sind sie denn?“ Der Mann erzählt ihr, er sei der Nachtwächter für das Gebäude und habe das Licht im Hinterhof gesehen. Eine Weile schaut er Jenny bei ihrer Suche zu. Dann sagt er: „So wird das nichts. Einen Moment, ich hole eine Taschenlampe.“ Etwas später sucht Jenny gemeinsam mit dem Nachtwächter des Gebäudes einen nichtexistenten Kater. Irgendwann gibt der Nachtwächter auf und sagt: „Tut mir leid. Sie können gern noch weitersuchen, aber ich glaube, das ist sinnlos. Wenn Sie fertig sind, klingeln sie im vorderen Haus bei Schröder und bringen Sie mir die Taschenlampe zurück.“ Dann lässt er Jenny allein.

Währenddessen knipst Jo im Labor von Dr. Schnitzler eine kleine Arbeitslampe an, die er fast auf die Tischplatte drückt. Der Raum wird in ein sehr düsteres Licht getaucht. Jo sieht, dass das Labor ein Tatort ist. Die Polizei hat die Umrisse eine Leiche auf den Boden gezeichnet und ein paar Schildchen aufgestellt, um den Fundort irgendwelcher Beweisstücke zu markieren. Die Sachen befinden sich allerdings nicht mehr vor Ort. Jo inspiziert noch ein paar Akten und Unterlagen. Besonders viel findet er nicht, aber an zwei Stellen findet er einen Verweis auf „gesondert festgehaltene Informationen“. Es gelingt Jo auch, ein paar Nummern der letzten Anrufer abzurufen. Dr. Schnitzler scheint Gesprächspartner in aller Welt gehabt zu haben.

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Etwas später finden sich an der Hanauer Landstraße wieder alle vier Mitglieder der Gruppe zusammen. Jo erzählt, was er herausgefunden hat. Eine Weile überlegen die jungen Menschen. Schließlich schaut Jo in sein Smartphone und sagt: „War die Tote wirklich Dr. Schnitzler? Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir zu ihrer Privatwohnung fahren.“ Die Adresse ist über das Netz erhältlich. Alex fährt ihre drei Gefährten in ihrem Auto zum Günthersburgpark. Hier bewohnt Dr. Schnitzler das oberste Geschoss einer gediegenen Altbauwohnung. Zwei Wohnungen sind dort zusammengelegt worden und bieten einen großzügigen Ausblick auf den nahen Park. „Wow“, sagt Alex. „Hier würde ich auch einziehen.“ „Und ich würde die Wohnung auch sichern“, sagt Jo und deutet auf eine Kamera, die den Eingang überwacht. Es ist inzwischen 22:30 Uhr und im ganzen Haus brennt kein Licht mehr. Mantis meint: „Vielleicht ist das doch keine so gute Idee. Lasst uns etwas essen gehen, ich habe Hunger.“ Ein paar hundert Meter weiter befindet sich ein argentinisches Steakhaus, das seine Küche gerade noch geöffnet hat. Die drei Frauen schauen Jo erwartungsvoll an, dieser seufzt und sagt dann: „Jaja, ich übernehme das.“

Beim Essen klickert Jo auf seinem Smartphone herum und ruft dann: „Ach, sieh mal einer an!“ Er hat die Webseite des Labors von Dr. Schnitzler entdeckt. Dort sind auch ihre Mitarbeiter vorgestellt. Eine ältere Sekretärin und ein junger Laborassistent. Jo sagt: „Den Typen kenne ich. Er hat mit mir studiert, ist ein paar Semester älter und hat als HiWi mit uns ein paar Übungen gemacht. Er muss vor etwa einem Jahr sein Physicum gemacht haben!“ Mantis sagt: „Hast du noch seine Telefonnummer?“ Jo schaut nach und findet sie. Dann ruft er an.

Der Laborassistent heißt Andreas Stichling und reagiert auf Jos Anruf etwas beunruhigt. Als er nach den Vorfällen im Labor befragt wird, sagt er: „Jo, das ist fast ein bisschen viel für nachts am Telefon. Wollen wir uns nicht morgen Mittag auf einen Kaffee treffen?“ Jo ist einverstanden. Er verabredet sich mit Andreas am Café Liebfrauenberg.

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„Und jetzt?“, fragt Jenny. „Ich habe keine Lust jetzt allein nach Hause zu gehen. Ich wohne in einer WG mit drei Mitbewohnern. Einer ist im Moment im Urlaub. Wollt ihr nicht bei mir übernachten?“ Die anderen sind einverstanden. Alex fährt die Gruppe zu Jenny ins Ostend. Bei einer Flasche Wein sprechen die vier noch einmal über ihre Erlebnisse: über die seltsame Schwarz-Weiß-Welt mit der durchscheinenden Frau und dem Steingolem, über den Todesfall im Labor von Dr. Schnitzler und über ihre weiteren Pläne. Auch ein paar andere Themen kommen zur Sprache und so stellt sich heraus, dass alle Anwesenden schon einen Elternteil verloren haben.

Jenny erzählt eine traurige Geschichte von ihrer Mutter, die bereits verstorben ist, als sie noch ein Teenager war, von ihrer Stiefmutter, die ihren Vater völlig vereinnahmt hat, und vom Gefühl der Einsamkeit, das sie manchmal befällt. Alex Mutter hatte Krebs und nach ihrem Tod hat ihr Vater zu trinken begonnen. Jos Mutter lebt ebenfalls nicht mehr. Sein wohlhabender Vater versorgt ihn finanziell, ansonsten hat er fast nichts mehr mit ihm zu tun. Mantis schließlich hat ihren Vater verloren. Ihr Sensei ist ein Stück weit Ersatz für ihn gewesen… jetzt aber ist er Opfer der Epidemie geworden und liegt im Krankenhaus. Ob und wie er die Krankheit übersteht, weiß noch niemand so genau.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 17.10.2020 | 18:33
Tag 2

Nach einem guten Frühstück setzen die vier Gefährten ihre Masken auf und fahren gegen Mittag mit der S-Bahn zur Hauptwache. Sie wollen sich mit dem Laborassistenten Andreas Stichling treffen. Als sie mit der Rolltreppe aufwärts fahren und die B-Ebene verlassen, hält Mantis plötzlich inne. In ihrem Kopf glaubt sie eine Stimme zu hören. Als belausche sie zufällig irgendein Gespräch, kommt ihr der Satz „…ich bin ja jetzt mit dir hier am Heartbreak Square“ in den Sinn. Mantis hält sich bei Jo am Arm fest und flüstert entsetzt: „Jo, ich höre Stimmen!“ Jo sieht sich um und sagt: „Vielleicht einer der Passanten?“, aber Mantis schüttelt den Kopf und antwortet: „In meinem Kopf!“ Einige Passanten werfen der Gruppe mitleidige Blicke zu. Eine ältere Frau schimpft laut: „Immer diese Drogen!“ Jenny und Alex schauen Mantis betroffen an, Jo aber blickt aufmerksam umher und sagt einige Male leise: „Hallo? Hallo?“ Schließlich hört auch er etwas und ein Satz kommt ihm in den Sinn: „Ja, wir sind hier am Heartbreak Square – und wir sind nicht allein.” Jo fragt: „Wer ist denn da?“ Da wendet sich der unsichtbare Sprecher ihm zu und sagt mit lockender Stimme: “Wir sind die Stimmen der Vergessenen. Wir spüren deine Anwesenheit, unsichtbarer Beobachter, warst du nicht erst kürzlich im “Nail and Bottle”? Du musst in die Tiefe, wenn du etwas Interessantes erleben willst!” Jo und Mantis blicken zurück, die Rolltreppe hinunter, und fühlen sich von der B-Ebene auf mysteriöse Weise angezogen. Jo sagt schließlich: „Lasst uns ein paar Schritte zurück gehen!“ Als die Gruppe die Zwischenebene auf dem Weg zu den S- und U-Bahnen erreicht hat, hören Mantis und Jo wieder Stimmen: „Ihr wollt zu uns, nicht wahr? Willkommen! Ihr seid willkommen! Ihr müsst zu den Booten, wo der Steg über das Wasser führt, dorthin, wo die Kraft entsteht, dorthin, wo sich der Motor befindet!“ „Mantis? Jo?“ ruft Alex. „Alles o.k.?“ Es scheint, als müsse sich Jo gewaltsam von dem Ort lösen. Er schreitet mit großen Schritten und Mantis im Schlepptau erneut auf die Rolltreppe zu und entfernt sich von dem Ort. Erst 30 oder 40 Meter weiter lässt die Anziehungskraft der Hauptwache langsam nach. Jo und Mantis müssen sich einen Moment lang auf eine Bank setzen und Atem holen. Sie erzählen Jenny und Alex, was sie gehört haben. Irgendwann packt Mantis ihr Smartphone aus und beginnt zu googlen. „Boote – Steg – Kraft – hm… im Gutleutviertel steht direkt am Main das Heizkraftwerk West. Dort gibt es keinen Steg, aber immerhin führt daneben eine Eisenbahnbrücke über den Main. Es gibt dort ein neues Edelrestaurant namens „Druckwasserwerk“. „Es ist ein Versuch wert“, meint Jo, „aber erst einmal sind wir verabredet.“

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An einem Tisch vor dem Café Liebfrauenberg wartet Dr. Schnitzlers Laborassistent auf Jo und seine Bekannten. Jo erzählt ihm, dass er aus irgendeinem Grund einen Filmriss hat und fragt ihn, ob das etwas mit der Testreihe zu tun haben könnte. Andreas Stichling sagt: „Schon möglich. Das Präparat ist noch nicht auf alle möglichen Nebenwirkungen getestet. Eine gewisse Vergesslichkeit ist durchaus denkbar.“ Jo sagt: „Ich weiß nicht, ob man von Vergesslichkeit reden kann. Uns fehlt die Erinnerung an die letzten zwei Tage. Wir haben alle vier dieselbe Lücke.“ Der Laborassistent schaut seine Gesprächspartner groß an. Jo sagt: „Irgendetwas stimmt nicht, Andreas. Hast du eine Ahnung, ob wir das Präparat überhaupt schon bekommen haben?“ Andreas weiß nicht, was er sagen soll. Schließlich stammelt er: „Keine Ahnung. Vielleicht weiß es die Sekretärin. Die Sache mit Frau Schnitzler habt ihr mitbekommen, oder?“ Jo nickt und fragt: „Weißt du, wie es passiert ist?“ Andreas verneint: „Die Polizei hat mich nur darüber informiert, dass sie im Labor plötzlich aus ungeklärten Umständen tot zusammengebrochen sei.“ Schließlich sagt Jo: „Ich habe davon gehört, dass Frau Schnitzler ihre wichtigsten Forschungsergebnisse an irgendeinem besonderen Ort hinterlegt hat. Weiß du da Genaueres?“ Andreas sagt: „Sie hat alles in ein kleines Notizbuch eingetragen. Das hat sie immer mit sich geführt… vielleicht weiß die Sekretärin, wo es abgeblieben ist.“ „Wenn du es herausfindest, dann erzähle es mir bitte“, sagt Jo, „es ist wichtig für uns, Andreas!“. Andreas nickt. Etwas später verabschieden sich die Gefährten von dem Laborassistenten.

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Am Nachmittag fahren die vier Gefährten zum Heizkraftwerk West und erkunden das weitläufige Gelände. Direkt am Fluss befindet sich ein Verladekran, der gerade stillsteht. Auf seinem Sockel sitzt ein Arbeiter, der die Beine baumeln lässt und in ein Butterbrot beißt. Die Gefährten erfahren, dass der Mann Nils heißt und der Kranführer ist. Mantis erzählt ihm eine Geschichte von einem Filmriss, während dem sie irgendwann ihren Autoschlüssel verloren hat. Sie fragt Nils, ob er sie vielleicht irgendwann in den letzten zwei Tagen hier auf dem Gelände gesehen hat. „Zwei Tage?“, fragt Nils. „Was soll denn das für ein Filmriss gewesen sein? Wahnsinn!“ Aber Mantis redet ihm gut zu und bekommt schließlich ein paar Antworten: Nils hat hier keinen der vier Freunde gesehen. Allerdings ist er nur zur Spätschicht hier. Vorher sitzt Otto auf dem Kran. Mantis bringt Nils dazu, bei Otto anzurufen. Sprechen soll sie aber selber mit ihm. Auch Otto weiß nichts von volltrunkenen Passanten, die in den letzten zwei Tagen auf dem Gelände gewesen wären. Immerhin aber zögert er ein wenig und sagt: „Beim Steuerwerk ist manchmal irgendetwas los, wenn ich komme. Und ich komme ja früh, mitten in der Nacht sozusagen! Da sind jedenfalls manchmal seltsame Lichter, manchmal höre ich Hunde bellen, Autos und so etwas… dass das etwas mit euch zu tun hat, glaube ich aber nicht. Das geht auch schon etwas länger als zwei Tage.“ Mantis bedankt sich bei Otto und Nils, dann entfernt sie sich mit ihren Freunden und erzählt ihnen, was sie gehört hat. „Wir schauen zumindest einmal vorbei“, sagt Jo.

Direkt an den Gleisen liegt eine große Halle, auf deren westlichem Teil sich eine Kuppel befindet. Die Freunde sind zur Arbeitszeit hier und befinden sich auf dem Werksgelände. Für mehr als einen flüchtigen Blick reicht es nicht. Sie können erkennen, dass eine metallene Außentreppe zur Kuppel hinaufführt. Dort befindet sich wohl die erwähnte Steuerwarte. Die darunter befindliche Halle sieht mehr oder weniger stillgelegt aus. Ebenerdig führt eine Tür in das Gebäude, an der erneut ein Spruchband zu finden ist, dass den Zutritt verbietet. Auch hier hat die Polizei offenbar Untersuchungen durchgeführt. Das muss aber schon länger her sein. Das Spruchband ist schon alt und vergammelt und hängt in Fetzen vom Türrahmen herab. Der Eingang scheint auch etwas vernachlässigt zu sein. Unkraut wächst vor der Tür, die mit diversen Graffitis verziert ist. Ein paar Meter rechts davon befindet sich eine Rampe, die offenbar in eine Tiefgarage führt.

Einige Arbeiter werfen den Freunden argwöhnische Blicke zu und geben ihnen zu verstehen, dass sie hier verschwinden sollen. Daher beschließen sie, im nahegelegenen Druckwasserwerk etwas trinken zu gehen und die Lage zu besprechen.

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Während sie auf ihre Getränke warten ruft Jo einen Bekannten an, der bei der Rundschau arbeitet. Er erzählt ihm von der gesperrten Halle und bittet ihn, mal im Zeitungsarchiv nachzuschauen, ob es irgendwelche Informationen über dort stattgefundene, vergangene Ereignisse gibt. Es dauert eine ganze Weile, dann ruft Jos Bekannter zurück und erzählt ihm, dass er lediglich eine kleine Meldung in einer drei Jahre alten Ausgabe gefunden habe. Es hieß damals Schlepperbanden hätten dort offenbar Flüchtlinge versteckt und die Polizei ermittle. Wie die Sache weitergegangen sei, hat der Rundschau offenbar nie jemand berichtet.

Jenny erinnert sich daran, dass ihr Bruder Uwe einen Freund bei der Polizei hat. Sie ruft Uwe an und bittet ihn seinen Freund über die Angelegenheit zu befragen. Das bedarf ein wenig Überredungskunst. Schließlich aber lädt sie Uwe und seinen Freund Mike zum Essen ein und Uwe ist bereit. Eine Stunde später ruft er etwas verunsichert zurück. Er erzählt Jenny, dass Mike einen Kollegen nach den Ereignissen am Heizkraftwerk West gefragt hat und die Antwort erhalten habe, es hätte nie ein Vorkommnis am Heizkraftwerk gegeben. Mike habe daraufhin die Zeitungsmeldung erwähnt, sein Kollege habe aber nur mit der Schulter gezuckt und sei dabei geblieben: Es habe nie ein Vorkommnis am Heizkraftwerk gegeben.

„Mysteriös“, meint Alex. „Wir sollten heute Nacht nochmal hier vorbeischauen.“ Die Freunde trennen sich vorläufig und gehen nach Hause um zu duschen und sich dunkle Kleidung anzuziehen. In der Dunkelheit fahren sie zurück und treffen sich am Heizkraftwerk West.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 22.12.2020 | 21:15
Zunächst gilt es, auf das Werksgelände zu gelangen. Die vier Freunde folgen einem kleinen Zufahrtsweg. Links von ihnen befindet sich der vom Main kommende Schienendamm in Richtung Main-Neckar-Brücke, auf der anderen Seite befindet sich ein kopfhoher Gitterzaun, der den Bereich abriegelt. Schließlich erreichen sie ein Tor, dass sich offensichtlich nur elektronisch öffnen lässt. Mantis klettert geschickt auf das Tor und will schon zur anderen Seite wieder herabspringen, da läuft ein bellender Wachhund auf die Eindringlinge zu. Glücklicherweise hat Jo noch ein paar Snacks dabei, die auch ein Hundeherz höherschlagen lassen. Mit etwas Mühe und Mantis Hilfe überwinden ihre drei Freunde das Tor, machen einen großen Bogen um den abgelenkten Hund und nähern sich dann dem Steuerwerk.

Jo inspiziert den Eingangsbereich und stellt fest, dass ein Fenster in der Nähe der Zugangstür im Erdgeschoss nur gekippt ist. Irgendwann gelingt es ihm, das Fenster ganz zu öffnen, dabei bricht es allerdings aus seiner Fassung und fällt in das Innere des Gebäudes. Die vier Freunde erschrecken, klettern dann aber durch die Öffnung. Sie stellen fest, dass das Glas nicht zerbrochen ist. Das Fenster ist nur an einer Ecke aus seinen Streben gebrochen. Es lässt sich wieder einsetzen und sieht dann halbwegs intakt aus, auch wenn es jetzt von außen leicht aufgedrückt werden kann. Jo setzt es wieder ein und versucht es so aussehen zu lassen, als hätte es den kleinen Unfall nie gegeben.

Dann sehen sich die vier Eindringlinge im Inneren des Gebäudes um. Sie haben kleine Taschenlampen dabei. Andere Lichtquellen benutzen sie nicht. Der Raum, in dem sie sich befinden, ist eine Werkstatt, in der scheinbar schon eine Weile nicht mehr gearbeitet wurde. Auf einem der Tische liegt ein Haufen mit alten, angerosteten Werkzeugen, unter anderem auch ein Vorschlaghammer und eine Art Brecheisen. Noch interessanter sind aber ein paar Plastikfässer, die in einer Ecke des Raumes stehen. Alex dreht den Deckel eines dieser Fässer ab und schaut hinein. Im Fass befinden sich viele kleine Säckchen mit einem weißen Pulver. Jo pfeift und sagt: „Sieht aus, als wären wir auf eine größere Menge Rauschgift gestoßen! Warum interessiert das die Polizei nicht?“ Die drei Frauen haben darauf auch keine Antwort. Alex schraubt den Deckel wieder auf das Fass.

Die Freunde passieren eine Tür und geraten in einen Technikraum. Hier befindet sich die Stromversorgung des Werkes. Große Kabelstränge und Sicherungskästen bestimmen den Raum. Noch ein Raum weiter gelangen die Freunde in den Generatorenraum, in dem diverse Kabel über Räder laufen und verschiedene Achsen antreiben. Die Freundesehen sich um und entdecken eine Tür, die offenbar zu einem Treppenhaus führt. Vom ersten Stock ist leise Radiomusik zu hören. Jo vermutet, dass sich über das Treppenhaus die Steuerwarte im 1. Stock erreichen lässt.

Dann entdeckt Mantis etwas Seltsames: In einer Ecke des Generatorenraumes hat jemand einen Kreidekreis auf den Boden gezeichnet. Das Stück Kreide liegt noch neben dem Kreis. In den Kreis hat jemand „The Nail And Bottle“ hineingeschrieben. Jenny sagt: „Sieht irgendwie so aus, als hätte ich das geschrieben… schaut her, der Punkte über dem „i“ ist ein kleiner Kringel! So mache ich das auch immer.“ Eine Weile betrachten die vier Freunde ratlos den Kreidekreis. Dann beugt sich Jo zu ihm hinab, um ihn genau zu inspizieren. Plötzlich scheint es ihm, als blicke er von oben durch die Decke in das Gasthaus, in dem er vor mehr als zwei Tagen sein Bewusstsein zurückerlangt hat. In der Gaststube steht der bereits bekannte Steingolem, der den Beobachter offensichtlich irgendwie spürt. Er dreht sich langsam um und stößt einen markerschütternden Schrei aus. Jos Freunde hören nichts. Für sie sieht es lediglich so aus, als fahre Jo vor irgendetwas zurück, verliere das Gleichgewicht und schlage mit dem Hinterkopf auf den Boden des Raumes auf. Einen kleinen Moment dauert es, bis Jo wieder zu sich kommt. Dann erzählt er den anderen von seiner Beobachtung. Alex und Jenny sind schockiert, Mantis aber ist neugierig geworden, beugt sich wie Jo tief zum Kreidekreis hinab und versucht irgendetwas in seinem Inneren zu erkennen. Schon bald gewinnt auch sie einen Einblick in „The Nail an Bottle“, dem Gasthaus, in dem ihr Abenteuer begann. Der dort befindliche Steingolem scheint aber vorgewarnt zu sein. Blitzschnell dreht er sich in ihre Richtung und fährt mit seiner Faust in Richtung Decke direkt auf Mantis zu. Hastig fährt auch sie zurück und sitzt dann mit ihrem Hintern auf dem Boden des Generatorenraumes.

Die vier Freunde überlegen, wie sie weiter vorgehen. Alex fragt, ob es nicht besser sei, die Polizei zu informieren. Sie erinnert Jo, Jenny und Mantis an die Fässer mit dem Rauschgift. Jo meint: „Vielleicht wissen die schon Bescheid… ich glaube, das lassen wir besser. Wir brauchen einen guten Plan und wahrscheinlich auch noch ein paar Informationen. Lasst uns erstmal schlafen gehen. Was wir hier unternehmen, kann viel zu leicht in einer Katastrophe enden!“ Wie schon in der vorangegangenen Nacht fahren alle vier zu Jennys WG und übernachten dort.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 22.12.2020 | 21:20
Tag 3

Am nächsten Vormittag besprechen die Freunde ihr weiteres Vorgehen. Von besonderem Interesse ist die Sekretärin von Frau Dr. Schnitzler. Mit ihr hat noch niemand gesprochen, und zumindest sollte die Frau wissen, ob die Textpersonen das Serum überhaupt schon bekommen haben. Erneut wird die Webseite des Labors aufgerufen. Die Sekretärin heißt Erna Zwick und steht erfreulicherweise im Telefonbuch. Jo ruft an und kann die Frau nach etwas gutem Zureden zu einem Treffen überreden. Die Freunde setzen sich in die U-Bahn und fahren zu ihr.

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Frau Zwick ist eine konservative ältere Dame in beigem Strickpullover und mit toupierten Haaren. Sie erzählt den vier Freunden, dass sie die letzten Patienten von Frau Dr. Schnitzler gewesen sind. Jo erschrickt und sagt: „Und danach wurde sie umgebracht? Kann es sein, dass wir polizeilich gesucht werden?“ Dazu kann Frau Zwick nichts sagen, es ist ihr aber anzumerken, dass ihr die ganze Angelegenheit sehr zu schaffen macht. Frau Zwick bestätigt den vier Freunden, dass sie den Impfstoff injiziert bekommen haben. Jo spricht Frau Zwick auch auf das Notizbuch von Frau Dr. Schnitzler an. Frau Zwick erzählt ihm, dass die Polizei das Notizbuch nicht gefunden habe. Sie habe sich selbst darüber gewundert, denn eigentlich habe Frau Dr. Schnitzler das Büchlein immer bei sich gehabt. Schließlich fragt Jenny Frau Zwick, ob sie ihr nicht ein Bild von Frau Dr. Schnitzler zeigen könne. Frau Zwick wühlt in einem Fotoalbum herum und fördert schließlich ein Bild zutage, dass zur Einweihung von Frau Dr. Schnitzlers Labor aufgenommen wurde. Als die vier Freunde das Bild sehen, wird ihnen bewusst, dass es sich bei der Frauengestalt in der Gaststätte „The Nail And Bottle“ um eben jene Medizinerin gehandelt hat. Die vier Freunde danken Frau Zwick und verabschieden sich von ihr.

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Auf der Straße beschließen die Freunde, zunächst in ihren eigenen Wohnungen nach dem Rechten zuschauen. Wenn sie wirklich polizeilich gesucht werden sollten, dürften die Beamten längst bei ihnen gewesen sein. Die Freunde gehen getrennte Wege. Mantis aber fährt auf ihrem Weg nach Hause mit Jenny in der U-Bahn an der Hauptwache vorbei und als sich die Schiebetüren des Waggons öffnen und viele andere Fahrgäste ein- und aussteigen, dringen wie aus einer anderen Welt erneut Satzfragmente an ihr Ohr. Wieder hört sie Stimmen, die vom Heartbreak Square sprechen und Mantis auf eine Kraft und damit verbundene Motoren aufmerksam machen. Mantis denkt an den Generatorenraum im Heizkraftwerk West, nimmt ihr Handy und ruft ihre Freunde an. Jo und Alex waren bereits in ihrer Wohnung und konnten nicht feststellen, dass sie auf irgendeine Weise durchsucht worden ist. Als sie hören, was Mantis erzählt, verabreden sie sich erneut. Sie wollen sich für eine neue Untersuchung ein wenig Ausrüstung besorgen.

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Die vier Freunde besuchen zunächst ein paar Outdoor-Läden und Sportgeschäfte. Sie kaufen Kletterschuhe, Sonnenbrillen, ein Seil, Karabiner, Verbandsmaterial, eine kräftige Handlampe und Wasserflaschen. Die drei Frauen besorgen sich außerdem noch Eishockeyhelme. Hinterher werden auch noch ein paar Energieriegel und etwas Schokolade besorgt. Alex erinnert ihre Freunde an den Kreis im Generatorenraum und sagt: „Lasst uns auch noch etwas Kreide besorgen!“ Die vier finden lediglich ein Set „Hello Kitty“-Straßenkreide. Jo nimmt hellrosa, Jenny helllila, Mantis dunkelrosa und Alex bleu. Die gesamten Ausgaben übernimmt Jo – wenn auch etwas widerstrebend.

Dann beginnen die Freunde konkrete Pläne zu entwickeln. Offensichtlich sind sie in der Zeit, an die sie jegliche Erinnerung verloren haben, im Generatorenraum des Heizkraftwerks West gewesen. Jenny muss dort mit Kreide einen Kreis auf den Boden gemalt und „The Nail And The Bottle“ hineingeschrieben haben – warum auch immer… Dann sind die vier Freunde über den Kreis in die schwarzweiße Welt gelangt und mit der offensichtlich bereits verstorbenen Frau Dr. Schnitzler zusammengetroffen. Inzwischen kennen die Freunde zumindest dem Namen nach noch einen weiteren Ort dieser fremdartigen Welt: den Heartbreak Square. Es gibt möglicherweise mehrere Orte, an denen man von der einen in die andere Welt gelangen kann. Es wäre gut, in der Schwarzweißwelt erneut mit Frau Dr. Schnitzler zusammentreffen zu können um etwas über ihren Impfstoff herauszufinden.

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Nach diesen Überlegungen stellen sich die vier Freunde an ein Gleis an der Hauptwache, ziehen einen Kreidekreis, schreiben „Heartbreak Square“ hinein, trinken die Flüssigkeit aus einem der Reagenzgläser, die sie von Frau Dr. Schnitzler in der Schwarzweißwelt erhalten haben und betreten das Kreisinnere. Nichts geschieht. Alex meint: „Vielleicht gibt es zwar mehrere Ausgänge aus der Schwarzweißwelt, aber dorthin kommt man nur im Heizkraftwerk West?“ „Kommt auf einen Versuch an“, sagt Jo.

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Es ist früher Nachmittag als die vier Freunde erneut dorthin fahren. Auf dem Werksgelände haben die vier Freunde keine Probleme mit Wachhunden mehr, dafür aber dringen laute Stimmen an ihr Ohr, als sie sich dem Steuerwerk nähern. Hinter einer Hausecke versteckt können sie den Streit am Eingang des Gebäudes mit anhören. Ein paar Männer scheinen entdeckt zu haben, dass irgendjemand ihr Rauschgiftlager gefunden hat. Sie streiten darüber, wie sie jetzt weiter vorgehen. Schließlich können die vier Freunde beobachten, wie die Männer die Fässer in ein Auto packen und davonfahren. Alex fotografiert mit ihrem Handy heimlich das Nummernschild. Dann ist es still auf dem Gelände.

Auf dem bereits bekannten Weg steigen Jo, Jenny, Alex und Mantis durch das Fenster ein und arbeiten sich zielstrebig zum Generatorenraum vor. Jenny wischt aus dem Kreis die Worte „The Nail And The Bottle“ aus und schreibt mit ihrer „Hello Kitty“-Kreide „Heartbreak Square“ hinein. Dann setzen die drei Frauen ihre Eishockeyhelme auf. Mantis erklärt sich bereit, voranzugehen. Sie schaut sie ihre Freunde an, schluckt, macht einen beherzten Schritt in den Kreis und ist plötzlich verschwunden. Alex folgt ihr. Plötzlich aber greift Jo in seine Tasche und dann an seinen Kopf. Er hält das letzte seiner Reagenzgläser von Frau Dr. Schnitzler in der Hand, bedeutet Jenny zu warten und sagt: „Nehmt einen dieser Trünke, bevor ihr wiederkommt, dann behaltet ihr eure Erinnerungen… so hat es uns Frau Dr. Schnitzler geraten. Wissen wir, wie lange die Wirkung vorhält? Vielleicht sollten wir direkt vor unserem Eintritt in die Schwarzweißwelt unseren letzten Trank zu uns nehmen! Sicher ist sicher!“ Daraufhin entkorkt er sein letztes Reagenzglas und trinkt die darin befindliche Flüssigkeit. Jenny tut es ihm nach. Dann treten auch diese beiden in den Kreidekreis.

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Die vier Freunde treten aus einer Höhle heraus und stehen auf einem größeren Platz. Aus der Umgebung ist alle Farbe verschwunden, die Welt, in der sie sich befinden besteht aus Schwarz und Weiß. Einige Gestalten sind hier unterwegs, die Umhänge mit weit über den Kopf gezogenen Kapuzen tragen. Am Rand des Platzes stehen nicht näher identifizierbare Gebäude, zwischen einigen von ihnen verlaufen mehr oder weniger enge Gassen oder breitere Wege. Am Rand des Platzes stehen ein paar Bänke. Mantis und Alex sind völlig verwirrt und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Jo und Jenny aber ahnen, was mit ihnen geschehen ist. Sie nehmen sie an die Hand und führen sie zum Rand des Platzes. Dabei kommen sie allerdings einer der verhüllten Gestalten in die Quere. Die Figur hebt ein wenig seinen Kopf und sendet plötzlich von dort, wo ihre Augen zu vermuten sind, zwei bläuliche Lichtstrahlen aus. Das Licht trifft Alex und brennt auf ihrer Haut, verletzt sie aber nicht ernsthaft. Schnell springen die vier Freunde aus dem Weg der Gestalt und nehmen auf einer der Bänke Platz. Auch Jo und Jenny sind schockiert, irgendwann aber beginnt Jo ein paar wichtige Erklärungen abzugeben. Er sagt zu Mantis und Alex: „Sicherlich erinnert ihr euch an das Labor von Frau Dr. Schnitzler. Wir haben uns alle vier für den Test eines Impfstoffes gemeldet. Ich nehme an, das Letzte, an das ihr euch erinnern könnt, ist unser Zusammentreffen im Wartezimmer der Medizinerin.“ Es dauert eine ganze Weile, bis Alex und Mantis auf dem neuesten Stand sind. Wie erwartet, haben sie beim Eintritt in die fremde Schwarzweißwelt jegliche Erinnerung an ihre Abenteuer verloren. Jo und Jenny aber erinnern sich noch – wahrscheinlich, weil sie die Flüssigkeit aus dem Reagenzglas getrunken haben. Während Jo spricht setzt Jenny ihre neue Sonnenbrille auf und fühlt sich aus irgendeinem Grund plötzlich überraschend selbstsicher und souverän. „Erstaunlich, was eine Sonnenbrille ausmachen kann“, denkt sie bei sich.

Während Jo seinen Bericht abschließt, werden erneut verhüllt Gestalten auf die Freunde aufmerksam. Zwei der Verhüllten nicken sich einander zu und blicken zusammen in Richtung der Bank, auf der Jo, Jenny, Alex und Mantis sitzen. Diese Gestalten lassen beide gleichzeitig bläuliche Lichtstrahlen von ihren Augen aus aufleuchten und dort, wo diese Strahlen gebündelt auf eine Oberfläche auftreffen, scheint sich ihre Kraft zu potenzieren. Nur um Haaresbreite verfehlen sie Jo und brennen stattdessen eine tiefe Furche in die Bank, auf der er sitzt. Entsetzt springen die vier Freunde auf und rennen davon. Die beiden Verhüllten schicken ihnen noch einmal blaue Lichtstrahlen hinterher, die aber erneut ihr Ziel knapp verfehlen. Schließlich erreichen die Freunde ein paar andere vermummte Gestalten, die aber scheinbar noch keine aggressiven Absichten ihnen gegenüber hegen. Hier in der Menschenmenge ist es für ihre Gegner nicht so einfach, ihnen gebündelte Lichtstrahlen hinterherzuschicken. Die vier Freunde lassen sich einen Moment in der Menge treiben und bemerken, dass sich viele der vermummten Passanten auf die Höhlen zubewegen, aus denen sie ursprünglich gekommen sind. Sie beschließen, den Weg des geringsten Widerstandes zu nehmen und zu diesen Höhlen zurückzukehren.

Zehn oder fünfzehn Schritt vor den Höhlen versperrt Jenny allerdings eine weitere vermummte Gestalt den Weg. „Wen haben wir denn hier?“, lässt eine bedrohlich klingende Stimme in ihrem Kopf vernehmen. Jenny spürt, wie sie ihre neu gewonnene Selbstsicherheit wieder verliert. Sie versucht erst verzweifelt, sich irgendwie geschickt um die Gestalt herumzudrücken, muss aber bald einsehen, dass das nicht funktioniert. „Mir scheint, du bist an einem Ort, an dem du dich nicht aufhalten solltest!“, lässt die bedrohliche Stimme in ihrem Kopf vernehmen. Jenny schaut sich nach ihren Freunden um, die aber offenbar schon vorausgeeilt und nicht mehr ohne weiteres zu erreichen sind. Eine andere Hilfe ist nicht in Sicht. „Du wirst gleich sehen, wie wir mit solchen Unbefugten verfahren!“, hört Jenny ihr Gegenüber in ihrem Kopf sprechen. Als aber die Gestalt langsam und bedrohlich ihren Kopf hebt, weiß Jenny plötzlich, dass der Moment gekommen ist, an dem sie ihr weiteres Schicksal selbst in die Hand nehmen und alles auf eine Karte setzen muss. „Und du wirst sehen, wie ich damit umgehe!“, zischt sie der Gestalt entgegen. Sie kneift hinter ihrer Sonnenbrille ihre Augen zusammen, bis sie zwischen ihren Lidern nur noch durch einen kleinen Spalt hindurchsieht und schießt ihrem Gegner zu ihrem eigenen Erstaunen einen bläulichen Lichtstrahl entgegen. Die Gestalt vor ihr ist genauso überrascht wie sie selbst, lässt ein kurzes „Was?“ in ihrem Kopf erklingen, bewegt sich aber kaum noch. Jenny nutzt die Gelegenheit, huscht unter den Armen der Figur vorbei und rennt auf die Höhlen zu, von deren Eingang aus sich ihre Freunde nach ihr umsehen. Endlich steht Jenny neben ihnen und sagt: „Ich bin o.k., weiter!“ Als die vier Freunde in einer der Höhlen verschwinden, merken sie plötzlich, wie die Umgebung wieder Farbe annimmt. Wenig später schauen sie irritiert in die Augen einer Frau, die an einem Stand Brötchen und Gebäck verkauft. „Bedient wern hier nur Leut mit Maske!“, schnauzt sie Jo an und schüttelt ein wenig über die Eishockeyhelme, die die drei Frauen noch immer tragen. Die Freunde sind in der B-Ebene der Hauptwache angekommen.

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Nachdem sie ihre Orientierung ein Stück weit zurückgewinnen konnten beschließen sie, vorerst zu Jennys WG zurückzukehren. Dort finden sich auf dem Küchentisch zwei Papierstückchen. Das eine ist eine Nachricht von Jennys Mitbewohner und enthält folgende Worte: „Ich habe den Zettel auf dem Schlüsselbord gefunden. Brauchst du ihn noch?“ Besagter Zettel liegt direkt daneben. Er enthält in Jennys Handschrift die Worte: Anvilwerks, Library. Jenny kann sich nicht erinnern, diesen Zettel jemals geschrieben zu haben. Die Freunde vermuten daher, dass das während der zwei Tage geschehen ist, an die sie keine Erinnerung mehr hat… und dann könnte es sich eventuell auch um einen weiteren Hinweis auf die Welt in Schwarzweiß handeln.

Mantis schlägt vor, weitere Erkundigungen einzuholen: „Inzwischen wissen wir ja, dass diese Gestalten an der Hauptwache einigermaßen gesprächig sind. Wir müssen nicht in die Schwarzweißwelt, aber vielleicht können wir trotzdem morgen ein kleines Gespräch mit ihnen führen!“ Jo, Jenny und Alex sind einverstanden, gehen aber erst einmal schlafen.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 22.12.2020 | 21:21
Tag 4

Am nächsten Morgen fahren die Freunde mit der S-Bahn zur Hauptwache. Sie steigen aus und schauen sich um. An den Gleisen wird gebaut. Die Wände sind zum großen Teil mit Sichtblenden abgetrennt. Mantis läuft an den Blenden entlang und schaut interessiert in die zwischen ihnen befindlichen Ritzen. Irgendwann vernimmt sie eine Stimme in ihrem Kopf: „Ihr seid uns entkommen! Bedauerlich!“ Mantis erstarrt, dann aber antwortet sie: „Sagt mal: The Nail & Bottle… der Heartbreak Square… was sind das für Orte? Könnt ihr mir das verraten?“ Die Stimme in ihrem Kopf antwortet: „Wir sind bereit, dir Informationen zu liefern, aber wir verlangen eine Gegenleistung!“ „Welche?“, fragt Mantis. „Einen von euch. Schickt ihn durch den Kreis zu uns!“ Eine Weile schweigt Mantis und überlegt. Ihre Freunde starren sie interessiert an, können ihre Unterhaltung aber offensichtlich nicht mit anhören. Mantis erklärt ihnen: „Sie wollen einen von uns, dann erzählen sie mehr!“ Jo sagt: „Erzähle ihnen, dass unser Opfer später kommt.“ Mantis nickt und beginnt zu handeln: „Ihr bekommt, was ihr verlangt. Jetzt aber antwortet!“ Die Stimme in Mantis Kopf spricht: „The Nail & Bottle und der „Heartbreak Square“ sind Orte unserer Welt, an denen die Membran besonders dünn ist.“ „Und der Steingolem?“, will Mantis wissen. „Er ist ein Ortswächter. Wesen wie ihn gibt es auch am Heartbreak Square“, tönt es in Mantis´ Kopf. „Kann man irgendwie unbemerkt an ihm vorbeikommen?“, fragt Mantis, muss sich dann aber den Schädel halten, weil ihr ganzer Kopf von einem grauenhaften Lachen erfüllt ist. Schließlich hört sie: „Niemand kommt ungesehen an einem Wächter vorbei, aber schau dir deine kleine Freundin an! Sie kann sich doch offenbar sehr gut zur Wehr setzen!“ Mantis stellt noch eine Frage zu Anvilwerks, die Stimme in ihrem Kopf gibt ihr aber zu verstehen, dass sie genug erzählt hat. Sie wird erst wieder sprechen, wenn Mantis ihren Teil des Abkommens erfüllt hat.

Die vier Freunde fahren mit der Rolltreppe zur B-Ebene hinauf, setzen sich auf eine Bank und beginnen zu beraten. Natürlich werden sie niemanden diesen seltsamen Wesen ausliefern. Gut wäre allerdings, wenn sie in der Schwarzweißwelt irgendwie Frau Dr. Schnitzler treffen und in Erfahrung bringen könnten, wo ihr Notizbüchlein steckt. Allerdings besitzen nur noch Alex und Mantis ein Reagenzglas mit dem Trank, der verhindert, dass sie beim Übergang in die Schwarzweißwelt ihre Erinnerung verlieren. Wenn sie wirklich zu viert dorthin reisen sollten, brauchen sie Zeit, um den beiden Reisenden ohne Trank vor Ort zu erzählen, was geschehen ist und in was für einer Situation sie sich befinden. Bei ihrem bisher einzigen Treffen war Frau Dr. Schnitzler im Gasthaus „The Nail And Bottle“. Allerdings wacht da inzwischen der Steingolem, und der ist ziemlich schnell und aggressiv… wahrscheinlich zu schnell für zwei Leute, die gerade alle ihre Erinnerungen an die entscheidenden letzten Tage verloren haben. Ihr Erlebnis am „Heartbreak Square“ war gefährlich und ein Anlass für einen nochmaligen Besuch dieses Ortes ist nicht so leicht zu erkennen. Immerhin scheint es da noch einen dritten Ort zu geben, an dem sie noch nicht waren. Jenny holt den kleinen Zettel aus ihrer Hosentasche und streicht ihn glatt: Anvilwerks, Library. „Etwas Besseres fällt mir im Moment nicht ein“, sagt sie.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 3.01.2021 | 23:15
Wieder fahren die vier Freunde erst einmal in Jennys WG, die inzwischen zu einer Art Hauptquartier der Freunde geworden ist. Ein Weile lang werden an dem Abend noch Pläne geschmiedet, dann gehen die vier ins Bett. Am nächsten Vormittag ruft Jo zuerst einmal Andreas Stichling, den Laborassistenten von Frau Dr. Schnitzler an und fragt ihn, ob er etwas über die Todesursache seiner Chefin in Erfahrung bringen konnte. Stichling zögert lange, bis er redet. Schließlich erzählt er aber, dass Nelly, eine gemeinsame Studienkollegin, derzeit in der Pathologie jobbt und ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit davon erzählt hat, dass bei der Obduktion von Frau Dr. Schnitzler Gift gefunden wurde: „Nowitschok, wie bei diesem russischen Dissidenten, du weißt schon, der Typ von der Tagesschau!“ Jo ist fassungslos: „Wie? Wo sind wir da nur hineingeraten?“ Stichling schwört ihn darauf ein, niemanden von dieser Information zu erzählen. Auch er habe das nur unter vorgehaltener Hand erfahren. Dann legt Jo auf und erzählt Mantis, Alex und Jenny, dass Frau Dr. Schnitzler vergiftet wurde.

Die vier überlegen, was geschehen sein könnte. Vielleicht ist Schnitzler nach ihrem Durchbruch von ihren Geldgebern ermordet worden, damit sie ihre Informationen nicht an Dritte weitergibt? Haben die Mörder jetzt ihr Notizbuch? Vielleicht ist alles schon zu spät. Vielleicht aber auch nicht. „Und daher fahren wir jetzt zum Heizkraftwerk West!“, sagt Jo. Die drei Frauen nicken und packen ihre Ausrüstung zusammen. Besonders auf die Eishockeyhelme, die Sonnenbrillen und die Kreide wird geachtet. Der Plan sieht vor, dass Jenny den vorletzten der noch vorhandenen Trünke zu sich nimmt und ihre drei Freunde, die nach dem Übergang in die Schwarzweißwelt garantiert wieder ihr Gedächtnis verloren haben dürften, über die vergangenen Ereignisse informiert. Damit das möglichst rasch geschehen kann, schreiben sich Mantis, Alex und Jo kleine Zettelchen, auf denen steht, dass sie sich gegenseitig vertrauen. Auf dem Weg zum Heizkraftwerk West machen die vier auch noch ein Reihe Gruppenfotos in einem Passfotoautomat. Jeder von ihnen steckt eines der Bilder in sein Portemonnaie. Schließlich erreichen sie das Heizkraftwerk.

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Der Zugang ist diesmal wenig problematisch. Wachhunde lassen sich nicht blicken, die Drogenhändler scheinen an diesem Ort nicht mehr tätig zu sein. Schnell öffnet Alex das bereits defekte Fenster im Erdgeschoss und die Gruppe steigt ins Innere.

Wenige Minuten später erreichen die vier jungen Leute den Generatorenraum. Jenny wischt die Worte „Heartbreak Square“ aus, dann schreibt sie „Anvilwerks“ hinein. Jo geht auf die Knie und mustert die Kreisfläche. Kann er durch sie hindurch in die Schwarzweißwelt sehen? In diesem Moment geht die Tür vom Treppenhaus auf. Ein Mann erscheint und leuchtet mit einer Taschenlampe in den Generatorenraum. Er sagt mit aufgeregter Stimme: „Was ist denn hier los?“ Dann springt Mantis auf ihn zu, kickt ihm ins Gesicht und schleudert ihn gegen die Wand des Raumes. Bewusstlos sinkt der Mann zusammen. Die vier Freunde schauen sich den Eindringling an. Er sieht nicht nach Security aus, eher ein einfacher Arbeiter, der während seiner Nachtschicht irgendetwas gemerkt hat. Alex sagt: „Beeilt euch, wir sollten hier weg sein, bevor der Mann wieder aufwacht.“

Jo startet einen zweiten Versuch und mustert den Boden des Kreises. Nach und nach wird er immer durchsichtiger, bis Jo schließlich hinunter in einen schwarzweißen Raum schauen kann. Es scheint eine Vorhalle zu sein, in der sich zwei oder drei Figuren aufhalten: die bereits bekannten Bewohner der Schwarzweißwelt mit Umhängen und weit über die Köpfe gezogenen Kapuzen. An einer Seite des Raumes befindet sich ein Eingang zu einer dahinter befindlichen Halle. Dort stehen vier gleichermaßen verhüllte Gestalten und fordern die Besucher auf, sich in ein Gästebuch einzutragen. Plötzlich schaut eine der Pförtnergestalten nach oben und Jo direkt in die Augen. Unter der Kapuze erkennt Jo seine verstorbene Mutter. Überrascht schreckt er zurück und fällt rücklings im Generatorenraum zu Boden. „Meine Mutter!“, ruft er entsetzt und erzählt dann, was er gesehen hat.

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Trotz dieser Überraschung beschließen die Freunde, an ihrem Plan festzuhalten. Jenny nimmt einen der Tränke aus den Reagenzgläsern zu sich, dann betreten alle vier nacheinander den Kreis und werden dadurch auf die Ebene der Schwarzweißwelt versetzt. Sie schauen sich um und stellen fest, dass es sich bei den vier Gestalten am Eingang zu der Halle allesamt um ihre verstorbenen Eltern handelt: Mantis´ verstorbener Vater, Jos, Alex´ und Jennys verstorbene Mütter, sie alle winken, zeigen sich überrascht aber auch erfreut über das unerwartete Auftauchen ihrer Kinder. Jos Mutter ruft: „Wollt ihr in die Bibliothek oder seid ihr hier, weil ihr uns besuchen wollt?“ Mantis´ Vater sagt: „Schön euch zu sehen, aber wie kommt ihr eigentlich hierher?“ Schon gehen Jo und Mantis verdattert auf ihre verstorbenen Eltern zu, da werden sie von Jenny aufgehalten: „Stopp! Ich weiß zwar auch nicht genau, was hier geschieht, aber immer noch mehr als ihr!“ Daraufhin weist Jenny ihre Freunde auf das Foto und die Botschaft in ihren Hosentaschen hin und klärt sie über die Ereignisse der vergangenen Tage auf. Trotz der Vorbereitungen dauert es lang, bis die Freunde begreifen, in was für einer Situation sie sich befinden.

Schließlich nähern sich alle vier vorsichtig ihren verstorbenen Eltern, die ihnen berichten, dass sie für den heutigen Tag einen Job als Einlasskontrolle in der Bibliothek Anvilwerks bekommen haben. Ihre Kinder erfahren, dass sie die Bibliothek betreten können, wenn sie ihre Unterschrift in dem Gästebuch hinterlassen. Jo blättert ein wenig in dem besagten Buch und entdeckt einen Eintrag vom vergangenen Tag: Dr. Irmgard Schnitzler. Dann fragt er seine verstorbene Mutter, ob sie weiß, wo sich die medizinischen Fachbücher befinden. „Auf der linken Galerie im zweiten Stock“, sagt sie. Jo setzt daraufhin seine Unterschrift in das Gästebuch, seine Begleiterinnen tun es ihm nach. Die Freunde verabschieden sich von ihren verstorbenen Eltern und betreten die Halle.

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Es handelt sich um eine altertümliche, wenngleich auch riesige Bibliothek. Schon im Erdgeschoss befinden sich etliche Bücherregale, das Ganze setzt sich über Wendeltreppen zu mindestens fünf oder sechs Galerien in der Höhe noch weiter fort. Auch ein Abstieg in ein Kellergeschoss ist zu sehen. An verschiedensten Stellen befinden sich Lesebereiche, in denen sich Sitzgelegenheiten um Kamine gruppieren. In den Kaminen brennt ein behagliches Feuer – allerdings ist auch dies alles in Schwarzweiß gehalten. Hin und wieder sind die bereits bekannten vermummten Gestalten zu sehen, die sich abgesehen von ihrem unheimlichen Äußeren so verhalten, wie es von Bibliotheksbesuchern zu erwarten ist: Sie taxieren die Regale, blättern in Büchern oder sitzen lesend vor einem der Kamine. Niemand scheint die Freunde auf ihrem Weg durch die Halle zu beachten. Mantis fragt: „Warum waren unsere verstorbenen Eltern am Eingang?“ Jo zuckt mit den Achseln und sagt dann: „Lasst uns mal Dr. Schnitzler danach fragen.“

Die vier Freunde steigen eine der Wendeltreppen hinauf und erreichen dann die zweite Galerie links. Neben zwei Lesenden findet sich hier auch eine Gestalt, die mit gesenktem Kopf reglos auf einem Hocker sitzt. Jo geht auf sie zu und spricht sie an: „Kennen wir uns zufällig?“ Langsam hebt die Figur den Kopf und tatsächlich sieht Jo wie vermutet Frau Dr. Schnitzler an. In einem längeren Gespräch erfahren die Freunde einiges von ihr:

Frau Doktor Schnitzler hat ihre Forschungen von den Amerikanern und den Russen finanzieren lassen. Als beide Geldgeber kurz vor Beginn der Testreihe ihres Präparats einen Exklusivvertrag verlangten, hat sie sicherheitshalber ihr Notizbuch mit allen relevanten Informationen in die Stadtbibliothek Frankfurt gebracht. „Ich habe es in einem Pianosongbuch von Modern Talking versteckt. So etwas leiht heutzutage ja niemand mehr aus!“ Jo nickt: „Gutes Versteck! Und dann?“ Frau Dr. Schnitzler erzählt weiter, dass ihr Impfpräparat abgesehen von den Immunstoffen noch Bestandteile ihrer DNA enthielt. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, aber ich musste es einfach ausprobieren.“ Ihre weiteren Erklärungen sind selbst für den Medizinstudenten Jo fast vollständig unverständlich. Im Endeffekt scheint es so gewesen zu sein, dass das Spezialpräparat den vier Freunden als erste Testpersonen injiziert wurde. Die Impfung hat sie auf irgendeine merkwürdige Art und Weise mit der Existenz von Frau Dr. Schnitzler verbunden. So erfuhren sie von ihrem Übergang in die Schwarzweißwelt und auch von einer Möglichkeit dorthin zu gelangen.

„Als ihr im „Nail and Bottle“ aufgetaucht seid, war klar, dass ihr keine Erinnerung mehr daran hattet, warum ihr überhaupt den Weg in die Schwarzweißwelt angetreten habt“, sagt Frau Dr. Schnitzler. „Bevor ich euch vom Versteck meines Notizbuches erzählen konnte, musste ich einiges erklären. Leider war dafür keine Zeit mehr. Der Steingolem erforderte augenblickliches Handeln. Ich drückte euch also lediglich die Trünke gegen das Vergessen in die Hand und wünschte euch alles Gute.“ „Woher hatten Sie so schnell solche Tränke? Sie sind doch noch gar nicht so lang hier?“, fragt Jo. Frau Dr. Schnitzler erzählt: „In der Nähe des Nail and Bottle ist die Keplerapotheke. Ich kenne den Besitzer.“ „Eine Apotheke im Totenreich?“, ruft Jo. „Wer sind die Kunden?“ „Ja“, sagt Frau Dr. Schnitzler, „die Langeweile ist das Schlimmste hier! Das werdet ihr auch noch erleben.“ „Warum das?“, will Alex wissen. „Wir gehören doch gar nicht hierher!“ „Ihr habt euch aber bei Anvilwerks ins Gästebuch geschrieben“, antwortet Frau Dr. Schnitzler. „Das bedeutet, dass ihr diese Bibliothek nie wieder verlassen könnt. Ich selbst bin gestern hier her gelockt worden und habe erst hinterher gemerkt, dass es kein Zurück mehr gibt. Als ich mich den Pförtnern am Ausgang näherte, um das Gebäude zu verlassen, haben ihre mächtigen Blicke gereicht, um mir jeglichen Willen zu rauben. Seitdem sitze ich hier und warte darauf, dass die Ewigkeit endet.“ „Aber da unten am Ausgang, das sind doch unsere Eltern!“, ruft Jenny. Frau Dr. Schnitzler schaut sie traurig an: „Ja, ihr gehört nicht hierher und eure Eltern habe heute hier Pfortendienst. Mag sein, dass es sich in eurem Fall anders verhält. Allzu viel Hoffnung habe ich aber nicht.“ „Wir sollten es zumindest versuchen… solange unsere Eltern noch dort unten sind!“, ruft Mantis worauf sich die Gruppe gemeinsam mit Frau Dr. Schnitzler auf den Weg ins Erdgeschoss macht.

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Dann nähern sich die Freunde ihren verstorbenen Eltern. Jenny und Mantis gehen voran. Mantis´ verstorbener Vater ruft ihr zu: „Kindchen, du darfst diesen Ort nicht mehr verlassen, bitte halte dich vom Ausgang fern!“ Trotzdem schreitet die Gruppe weiter voran. Jennys Mutter ruft: „Kein Schritt weiter, Jenny! Zwing uns nicht dazu, erzieherische Maßnahmen ergreifen zu müssen!“, aber noch immer schreitet die Gruppe weiter voran. Da nickt Mantis´ Vater Jennys Mutter zu. Beide richten ihren Blick auf Jenny. Aus ihren Augen schießen grelle blaue Lichtstrahlen, die sich um ein Haar gebündelt in Jennys Körper eingebrannt hätten. Im letzten Moment springt allerdings Frau Dr. Schnitzler vor und wirft sich schützend vor Jenny. Als die Lichtstrahlen Frau Dr. Schnitzler treffen, explodiert ihr Körper mit einem lauten Knall. „Nichts wie weg hier!“, ruft Mantis und rennt mit ihren Freunden in den hinteren Bereich der Bibliothek, wo sie zwischen zwei Regalen Zuflucht suchen. Offenbar werden sie hier nicht von ihren Eltern verfolgt.

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Die Freunde sehen sich um. Sie befinden sich in einer weiteren Leseecke mit brennendem Kamin. Eine vermummte Gestalt steht an den Regalen, zieht hin und wieder Bücher heraus, blättert und stellt die Bücher dann wieder zurück. Mantis sagt: „Wir müssen uns wehren. Gegen unsere eigenen Eltern!“ Jenny sagt: „Diese Kreatur da am Eingang, das ist nicht meine Mutter!“ Jo sagt: „Du hast doch am Heartbreak Square diese Gestalt mit einem eigenen Lichtblitz vertrieben. Reicht das nicht vielleicht schon?“ Jenny zuckt mit den Schultern.: „Ich habe einfach nur meine Sonnenbrille aufgesetzt und gedacht >Dir zeig´ ich´s!< Das ist alles“ Jenny setzt ihre Sonnenbrille auf und bekommt ein verkniffenes Gesicht. Ein greller, blauer Lichtstrahl schießt aus ihren Augen auf das Bücherregal. Abgesehen davon geschieht nichts. Die lesende Gestalt murmelt ärgerlich: „Lasst doch bitte den Unsinn, das hat doch keinen Sinn!“ Jo nutzt die Gelegenheit und beginnt ein Gespräch: „Darf ich wissen, wer Sie sind?“ „Man nennt mich den Geheimrat“, sagt die Gestalt. „In meinem vergangenen Leben hieß ich Johann Wolfgang von Goethe.“ Jo ist überrascht und erfährt noch einiges mehr. Auch Goethe wurde hier her gelockt. Er hatte erfahren, dass es hier eine abgeschlossene Fassung von Schillers Demetrius zu lesen gebe. Da konnte er nicht widerstehen und musste hin. Inzwischen hat er in einer unendlichen Lektüre bereits alle Schriften dieser Bibliothek gelesen. Etwa ein Drittel der Schriften lese er bereits zum zweiten Mal. Schon früh habe er miterleben müssen, wie es hier zugehe. Hin und wieder verliert einer der Lesenden die Geduld, versuche zu entkommen und werde dann von den Pförtnern in die Luft gejagt. „Aber wo gelangen sie hin? Sie sind doch schon tot!“, ruft Jo. Goethe lächelt müde: „Wissen Sie, ich bin ein unglaublicher Feigling. Ich möchte es lieber nicht erfahren! Und so schlimm ist Lesen nun auch wieder nicht! Fragen Sie die zwanzig oder dreißig Mitverstorbenen, die sich ebenfalls noch hier aufhalten! Ich bin nicht allein mit meiner Meinung.“ Daraufhin wendet sich die Kreatur wieder dem Bücherregal zu. Hin und wieder entfährt ihr beim Lesen ein verächtliches Lachen.

Die Freunde schauen sich an und beginnen einen Plan zu schmieden. Jennys blauer Lichtstrahl richtet keinen großen Schaden an, aber die zerstörerischen Wirkungen des blauen Lichts, die sie bisher miterleben konnten, wurden immer durch mehrere Lichtstrahlen gleichzeitig verursacht. Vielleicht ist dieses Verfahren ein Versuch wert! Jo wendet sich erneut dem Geheimrat zu und berichtet ihm von ihrer Lage. Er endet seinen Bericht mit einer Bitte: „Wenn Sie diese zwanzig oder dreißig Toten von hier zusammentrommeln könnten und wir alle gemeinsam gegen die Pförtner vorgehen, wenn sich dann alle unsere Blicke in die Körper unserer Eltern bohren, dann können vielleicht auch wir Erfolg haben und schließlich Anvilwerks wieder verlassen!“ Goethe blickt ihn zweifelnd an. Dann sagt er. „Seinem Schicksal entkommt man nicht! Schon gar nicht mit diesen seltsamen Helmen!“ Er zeigt auf die Eishockeyhelme von Mantis, Jenny und Alex. Dann lächelt er milde und fährt fort: „Aber gut! Ihr seid Stürmer und Dränger! Wie Prometheus, sozusagen! Ich will sehen, was ich tun kann. Wartet.“ Langsam und mit schüttelndem Kopf begibt sich der Geheimrat in einen anderen Bereich der Bibliothek.

Gespannt warten Jo, Alex, Mantis und Jenny auf die weiteren Ereignisse. Schließlich bemerken sie eine Gruppe von sieben verhüllten Gestalten, die sich auf ihre Leseecke zu bewegen und schließlich vor ihnen stehen bleiben. „Nun“, sagt Jo. „Goethe?“ „Der Geheimrat lässt sich entschuldigen“, spricht eine andere verhüllte Gestalt. "Die bevorstehende Unruhe ist ihm zutiefst zuwider. Er hat aber immerhin uns informiert und wir sind hier, um an ihrem Experiment teilzunehmen. Gebündeltes Licht, hieß es. Stimmt das?“ Jo nickt. Mantis sagt: „Sieben. Besser als nichts. Lasst uns einen kleinen Test machen!“ Die anderen sind einverstanden. Jo fragt die Gestalt, die mit ihm gesprochen hat: „Darf ich erfahren, wer Sie sind?“ „Siegmund Freud ist mein Name. Ich interessiere mich für Personen, die gegen ihre Eltern vorgehen.“ Jenny will etwas sagen, aber Mantis zieht sie am Arm und deshalb schweigt sie.

Dann startet die Testreihe. Jo sagt: „Sehen sie dort die Gesamtausgabe der Werke von Bert Brecht? Auf mein Zeichen schauen wir alle entschlossen dorthin und versuchen sie mit unseren blauen Lichtstrahlen zu zerfetzen.“ Alle Anwesenden nicken. Als Jo das Zeichen gibt, werden Brechts Werke zwar nicht genau getroffen, die Wirkung von elf blauen gebündelten Lichtblitzen ist aber so zerstörerisch, dass das gesamte Bücherregal in die Luft fliegt.

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Schuldbewusst blicken Jo, Alex, Mantis und Jenny zum Eingang, wo sich ihre verstorbenen Eltern langsam und bedrohlich zu ihnen umwenden. „Das war sehr unartig!“, ruft Alex´ Mutter und steuert mit den anderen drei Pförtnern auf die vier Freunde zu. Jo sagt zu den vermummten Gestalten in seiner Nähe: „Ihr seid zu siebt, nehmt die beiden rechten! Wir versuchen es mit der Pförtnerin ganz links.“ Nur Jenny zögert ein wenig und schluckt. Siegmund Freud legt ihr daraufhin eine eiskalte Hand auf ihre Schulter und sagt: „Ja, die Trennung ist oft recht schmerzhaft, früher oder später muss sie aber vollzogen werden!“ Jenny schluckt und nickt tapfer.

Die vermummten Gestalten machen mit Mantis´ Vater und Alex´ Mutter kurzen Prozess. Auf den Körpern der Pförtner bündeln sich mehrere Lichtstrahlen und lassen sie mit lautem Knall zerplatzen. Der koordinierte Angriff der vier Freunde lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Nach einigen Lichtblitzen bekommt Jos verstorbene Mutter ihren Sohn zu fassen und umhüllt ihn mit ihrem gewaltigen, geisterhaften Busen. Erst jetzt treffen die drei Lichtblitze seiner Freunde gleichzeitig die Gestalt und lassen Jos verstorbene Mutter mit einem Knall explodieren, der dem jungen Mann einen sofortigen Hörsturz verursacht.

Nur Jennys Mutter ist noch übrig und hält weiter auf ihre Tochter zu. Siegmund Freud sagt zu ihr: „Ich vermute, es ist in diesem Fall nicht unwichtig, dass sie selbst den mütterlichen Einfluss besiegen. Lassen sie uns die Arbeit also nicht ganz allein machen. Kommen Sie! Mit Mut zur Sache!“ Jennys Gesicht nimmt einen entschlossenen Ausdruck an. Ihr blauer Lichtstrahl trifft gemeinsam mit einigen Blicken der verstorbenen Bibliotheksbesucher auf ihre Mutter und zerfetzt sie in tausend Stücke. „Bravo!“, ruft Siegmund Freud „Und nun auf in die Freiheit!“ Die geisterhaften Gestalten wanken auf den Ausgang zu, der zum ersten Mal seit Ewigkeiten unbewacht ist. Mit leicht erhobenem Kopf erblicken sie die schwarzweiße Straße, die vor dem Eingang zu Anvilwerks verläuft.

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Jenny, Jo, Mantis und Alex treten auch ins Freie. Sie allerdings stehen plötzlich vor der Frankfurter Stadtbibliothek. „Aha“, sagt Mantis. „Dann mal hinunter in die Musiksammlung!“ Das Pianosongbuch von Modern Talking ist schnell gefunden, auch Frau Dr. Schnitzlers Notizbuch findet sich dort. Die vier Freunde nehmen es mit in Jennys WG.

Dort angekommen schaut sich Jo das Büchlein an und muss gestehen, dass er nicht allzu viel versteht. „Am Ende meines Studiums vielleicht!“, sagt er. „Im Moment ist das aber noch eine Nummer zu hoch für mich.“ Was nun?, fragen sich die Freunde und wägen verschiedene Möglichkeiten ab. Nach einigem Hin und Her beschließen sie, das Notizbuch dem Robert Koch Institut zu übergeben und gleichzeitig so viel Öffentlichkeit zu erreichen wie es möglich ist. „Öffentlichkeit bedeutet Sicherheit“, sagt Mantis. Alle nicken.

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Epilog 1, ein Tag später: Im Tätowierladen Bodyarts verlangt Jenny den Schriftzug „Mutter“ auf ihrem Oberarm. Ob sie aufgrund der Schmerzen oder aufgrund ihrer Erlebnisse Tränen vergießt, kann niemand sagen.

Epilog 2, drei Tage später: Ein kleiner, drahtiger Mann verlässt das Bürgerhospital und nimmt Mantis in den Arm. Mantis drückt fest zu, dann aber zuckt sie zurück und sagt: „Du weinst ja, Sensei!“

Epilog 3, 2 Monate später: Nach einer Lesung bei Hugendubel signiert Alex etliche Exemplare ihres Bestsellers „Kurierfahrt in den Tod“.

Epilog 4, 40 Jahre später: Jo steht als alternder Mediziner zum letzten Mal vor einem Festpublikum um feierlich einem jungen Nachwuchsmediziner die Schnitzler-Medaille zu überreichen.
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: LushWoods am 4.01.2021 | 07:12
Nur kurz: Ich lese hier sehr gerne mit. Schöne Spielberichte und krass was ihr aus diesem Mini-RPG rausholt.  :d
Titel: Re: [Ghost / Echo] Passing the River
Beitrag von: Chiarina am 5.01.2021 | 18:10
Danke für das Feedback, ich habe mich gefreut!
Leerstellen inspirieren mich und regen meine Kreativität an.
Wir werden sicherlich noch weitere dieser Mini-RPGs spielen.