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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielberichte => Thema gestartet von: Jenseher am 18.03.2022 | 22:09

Titel: [AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Beitrag von: Jenseher am 18.03.2022 | 22:09
Einleitende Worte: Ich habe mich entschieden hier die Mitschriften unseres Spiels zu veröffentlichen. Die Mitschriften können dabei von verschiedenen Spielern angefertigt worden sein. Genauso kann das Spiel unter verschieden Meistern stattgefunden haben. Also wundert Euch bitte nicht, wenn sich der Erzählstil, wenn sich der Stil des Spiels oder wenn sich die Welt hier und dort ändert. Die Regel ist, dass bei uns die Spieler die Mitschriften selbst anfertigen (natürlich freiwillig).

Die Berichte gibt es leider nur ohne Bilder der Mitschriften, was schade ist. Ich besitze aber für die Bilder nicht die Urheberrechte.


Hier noch etwas zum Hintergrund und zu den Regeln, die wir verwenden:

System: AD&D 2nd Edition, Player’s Option (AD&D 2.5) (https://en.wikipedia.org/wiki/Player%27s_Option:_Skills_%26_Powers)
Verwendete Bücher: Player’s Handbook (TSR2159) (https://www.tsrarchive.com/add/add-2e-core-phb.html), Dungeon Master Guide (TSR2160) (https://www.tsrarchive.com/add/add-2e-core-dmg.html), Skills and Powers (TSR2154) (https://www.tsrarchive.com/add/add-opt.html), Combat and Tactics (TSR2149) (https://www.tsrarchive.com/add/add-opt.html), Spells and Magic (TSR2163) (https://www.tsrarchive.com/add/add-opt.html), Monstrous Manual (TSR2140) (https://www.tsrarchive.com/add/add-2e-core-mm.html), High Level Campaigns (TSR2156) (https://www.tsrarchive.com/add/add-opt.html)
Schwierigkeitsgrad: Je nach Meister, leicht bis schwer
Charaktergenerierung: 84 +1d6 Punkte für die Attribute, frei in den Rassengrenzen verteilbar
Gesperrte Rassen: Alle Planescape Rassen
Gesperrte Klassen: Monk, Psionicist
Teilnehmende Charaktere: Siehe Spielbericht.
Gesperrte und veränderte Zauber: Haste, Disintegrate, Stoneskin, Find Familiar, Enlarge und Zauber aus dem „Cult of the Dragon“ (https://www.tsrarchive.com/fr/fr-for.html)
Ort: Euborea (Prime Material World)

Und zu guter Letzt bitte ich Euch zu beachten: Die Darstellungen aus dem Spiel spiegeln in keiner Weise Moralvorstellungen oder Gesinnungen einzelner Spieler oder der Gruppe wider. Alle Charaktere, wie auch die Geschichte, sind natürlich fiktiv.​

/*** Edit ***/
Hier sind die Abenteuer zu den einzelnen Sitzungen:

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Sitzung 01 - Der Anfang
Beitrag von: Jenseher am 18.03.2022 | 22:10
Tief unten im Felsgestein herrscht die ewige Dunkelheit. Ein Reich seltsamer Farben und Geschöpfe eröffnet sich für jene, die die Dunkelheit durchblicken können. Wie ein weit verzweigtes Netz von Wurzeln ziehen sich Kavernen und Schächte. Was Wasser und erzwungener Wille fortlaufend formt, birgt gleichsam Reichtum und Leere, Kälte und Feuer, Leben und Gift sowie Hoffnung und Verderben.

Neire von Nebelheim richtete sich zitternd auf. Er war für sein jugendliches Alter von 15 Jahren groß gewachsen und von schlanker, anmutiger Gestalt. Er hatte ein Geräusch gehört und drehte seinen von langen gold-blonden Locken eingerahmten Kopf in die Richtung des steinernen Tunnels. In der Dunkelheit schimmerte seine weiße makellose Haut. Er war in Kleidung aus feinstem dunklen Chin’Shaar Leder gehüllt; ein roter Umhang mit schwarz-goldenen Stickereien bedeckte seine Schultern. Jetzt konnte er die Gestalt sehen, die sich ihm vorsichtig näherte. Neires Hand glitt von seinem Degen, den er hatte ziehen wollen. Es war der Söldner den er erwartete. Eine grobschlächtige Gestalt eines muskulösen Elfen trat ihm entgegen. Grünliche Augen waren in dem vernarbten Gesicht zu erkennen, an dem schulterlange silberne Haare fettig klebten. Besonders prominent wirkte das fehlende Ohr. Neire vernahm den säuerlichen Geruch von Bier und Schweiß, der von der mit Dolchen bewaffneten Gestalt ausging und erhob zitternd seine lispelnde Stimme: „Seid ihr… seid ihr der Söldner den ich erwarte?“

Seit einiger Zeit gingen Halbohr, so hatte sich der elfische Söldner vorgestellt, und Neire durch den Tunnel. Neire hatte einen Vertrag unterzeichnet, den ihm Halbohr mit einer drohenden Bestimmtheit reichte. Innerlich hatte Neire gezittert vor Wut, doch er hatte auch Angst vor dem Söldner. Zudem war sein neuer Begleiter nicht besonders gesprächig. Mehrfach hatte Neire bereits versucht ein Gespräch zu beginnen, das Halbohr mit barschen Kommentaren unterband. Der Tunnel wand sich mal aufwärts, mal abwärts. Die Zeit, die hier unten verging, war schwer abzuschätzen. Plötzlich drehte sich Halbohr um und suchte nach einer Felsspalte. Der Söldner hatte ein Geräusch gehört und duckte sich, um mit den Schatten zu verschmelzen. Auch Neire drehte sich um und versuchte sich hinter den Söldner zu ducken. Aus dem Gang hinter ihnen waren jetzt leise Schritte zu vernehmen. Eine Gestalt bewegte sich auf das ungleiche Paar zu; eine Gestalt, die nur schwer von den Schatten zu trennen war. Gehüllt in schwarze Kleidung, waren nur zwei gelblich schimmernde Augen unter der Kapuze zu sehen. „Tretet hervor und zeigt euch, oder Halbohr wird euch töten.“ Die lispelnde Stimme Neires durchbrach die angespannte Stille des Tunnels. Neire drückte zitternd Halbohr nach vorne. Jedoch entspannte sich die Situation, als die Gestalt die Hand von ihren Waffen entfernte und die Kapuze zurückzog. Es offenbarte sich ihnen ein nicht-menschliches Gesicht mit grauer Haut und spitzen Ohren; die Spuren von dunkelelfischer Abstammung waren zu sehen. Die Gestalt, die sich als Uthriel Al’Lael vorstellte, schien Neire und Halbohr nicht feindselig gesonnen zu sein und so entwickelte sich ein Gespräch. Ein Gespräch das alsbald abrupt unterbrochen wurde, denn der Gang begann leicht zu vibrieren; ein Knirschen und Knacken ging durch den Stein. In weiter Ferne konnte Uthriel das Strömen von Wasser vernehmen, das sich rasch näherte. „Kommt mit uns wenn ihr leben wollt.“ Die Worte von Halbohr hallten eindringlich durch den Gang, als er Neire unsanft packte und durch den Gang die Flucht ergriff. Weg von dem Geräusch, weg durch die bebende Erde.

Müde und erschöpft betrachteten die drei Streiter die gewaltige Höhle, die sich vor ihnen auftat. Stundenlang waren sie durch die Dunkelheit gelaufen und dem Tunnel gefolgt. Irgendwann hatten sie Uthriel verloren, doch er war wieder zu ihnen aufgeschlossen. Vor ihnen lag jetzt eine Höhle, die nicht gänzlich zu durchblicken war. Teils baumgroße Riesenpilze ragten hier und dort auf. Mit gezogenen Waffen bewegten sie sich vorsichtig an der rechten Felswand entlang. Immer wieder blickten sie sich hastig um. Von dem entfernten Wassergeräusch war schon lange nichts mehr zur hören gewesen. Sie hatten bereits die Hälfte der Höhle durchquert, deren Ende sie jetzt sehen konnten, als plötzlich Kampfesschreie um sie herum ertönten. Kleine Kreaturen, kaum größer als die Länge eines Schrittes, stürzten sich herab auf Neire, Halbohr und Uthriel. Sie waren mit kruden kleinen Waffen ausgerüstet. Ihre flachen Gesichter waren gekennzeichnet durch breite Nasen, spitze Ohren und weite Mäuler, mit scharfen kleinen spitzen Zähnen. Neire schrie vor Angst, als drei Angreifer auf ihn zustürmten. Er ging in die Defensive und sah aus den Augenwinkeln, wie Halbohr bereits mit schnellen Angriffen die ersten Gegner niederstreckte. Auch Uthriel führte wie Halbohr seine Waffen beidhändig mit tödlicher Präzision. Der Kampf wurde grimmig und mit äußerster Brutalität geführt. Als Neire zwei seiner Angreifer mit seinem Schlangendegen erstochen hatte, begann die Furcht, das Adrenalin sich in Übermut und Mordlust zu wandeln. „Halbohr, fangt mir eines dieser des Lebens unwürdigen Kreaturen“, rief er in einem Befehlston in der Sprache der Unterreiche. Doch Halbohr schien ihn nicht zu verstehen. Die Kreaturen ergriffen die Flucht und wurden größtenteils rücklings erstochen. Gerade wollte Halbohr zum tödlichen Stich auf die Gestalt ansetzen, die vor ihm gestolpert und halb in einer Felsspalte versunken war, als Neire seine Stimme erneut erhob. „Halbohr, bringt mir diese Kreatur lebend.“ Er sprach jetzt in der gemeinen Zunge, die Halbohr verstand. Gemeinsam drückten sie die fast wehrlose Gestalt auf den Stein, nahmen das Seil entgegen, das ihnen Uthriel reichte und begannen sie zu fesseln.

Der Goblin stammelte, brabbelte in einer unbekannten gutturalen Sprache. Er saß auf dem Boden, gefesselt an einen Riesenpilz. Sein Anblick erfüllte Neire mit einem tiefen Hass. Die fliehende Stirn, die dumm daher glotzenden Augen, die Angst die offensichtlich war. Neire strich sich seine Locken zurück und hob arrogant sein Kinn. Nein, keiner seiner Mitstreiter betrachtete ihn, würdigte seine Schönheit vor dieser abscheulichen Kreatur. Halbohr und Uthriel durchsuchten die Leichname nach Habseligkeiten. Hervor zog er seine linke Hand, die er bisher unter seiner gesegneten Robe versteckt hatte. Das Fleisch der Finger war jetzt verheilt, doch die Verbrennungen mussten grausam gewesen sein. Neire begann die Gestalt mit seiner linken Hand zu würgen, während er auf sie in der Sprache der Unterreiche einredete. Der Goblin stammelte weiter vor sich hin und wich seinem Blick aus; erregter als vorher. „Wer hat euch geschickt. Wer ist euer Herrscher?“ Nein, keine Antwort. Nur die Worte „Mutter“ und „Essen“ konnte er verstehen. Es schien zwecklos zu sein. Er stand auf und begann eine Fackel aus seinem Rucksack hervorzuholen. Alsbald begann das Licht des rußigen Feuers den unterirdischen Pilzwald zu erhellen. Lange Schatten formten sich. Schatten und Feuer, Feuer und Schatten. Neire nahm die Fackel und begann den Kopf der kleinen Kreatur zu entzünden. Schon schlugen die Haare Flammen hervor, die Gestalt fing an in Todesqualen zu schreien. Neire lächelte und dachte an die immerbrennenden Fackeln, die er im Palast entzündet hatte. Eine tiefe kindliche Freude erfüllte ihn. Feuer und Schatten, Schatten und Feuer. Der Ring, der ihm vermacht wurde, brannte schmerzhaft, aber wohltuend an seiner linken Hand. Er fühlte sich lebendig. Vergessen waren Qual und Trauer. Er dachte an die Runen im Feuer, an die Geheimnisse verborgen in den Schatten. Das Feuer glühte rötlich in seinen nachtblauen Augen.

Sie hatten im Pilzwald gelagert und begannen jetzt den Felstunnel zu erklimmen. Hier und dort mussten sie klettern, große Felsbrocken umgehen. Es ging fortan nach oben und die Luft begann langsam kühler zu werden. Eine Zeitlang ging das jetzt so. Gerade hatten sie eine Felswand überwunden, als sie vor sich eine kleine Höhle sahen. Der Tunnel endete dort. Sie konnten eine Leiter erkennen, die zu einer Öffnung in der Decke führte. Jedoch war die Öffnung durch einen Felsblock versperrt. Neben der Leiter war ein Hebel im Fels zu erkennen. Halbohr trat hervor, nickte seinen Mitstreitern wortlos zu und betätigte den Hebel. Der Fels über der Öffnung begann sich knirschend zu bewegen als er den Hebel betätigte, doch kaltes Wasser brach in Massen herab und flutete die Höhle. Als der Strom langsam abebbte begann Halbohr die Leiter hochzuklettern. Kühle Luft strömte ihm entgegen, Regen prasselte auf sein Haupt. Er blickte hinaus aus den Tiefen der Erde und sah über ihm einen wolkenverhangenen, bleiernen Himmel. Auf dem Block, der sich wegbewegt hatte, brannte eine bläuliche Flamme. Er war in einem kleinen Tümpel emporgestiegen, dessen Wasserstand nun in die Erde hinabgestürzt war. Um ihn herum sah er lichtes Gehölz, jetzt, im Regen und Zwielicht, undurchsichtig. Als er sich umdrehte, bemerkte er aus den Augenwinkeln ein rötliches Aufleuchten.​
Titel: Sitzung 02 - Der Aufstieg
Beitrag von: Jenseher am 21.03.2022 | 23:49
Zwischenwelten hatten schon immer eine besondere Anziehungskraft auf mich. Im Kraftgemenge der sich auf ewig verschiebenden Elemente entstehen und zerbrechen Mengen zu Untermengen. Die Ausprägungen sind vielfältig, gefährlich und wunderschön, folgen offensichtlich keinen Gesetzen und führen zu immer neuen Lebensbedingungen. Kulturen – seltsam und gewöhnlich – bizarr und erbarmungslos – blutrünstig und schaffend – kommen und gehen. Der suchende Geist scheint vom Wandel an seine Extreme gebracht. So erinnere ich mich zurück an meine Zeit in der obsidianenen Stadt. Gefangen zwischen Eis und Feuer, gehüllt in die Schatten des Dampfes und der rötlichen Flammen, lag sie seit Ewigkeiten unter dem großen Gletscher…​

Verborgen unter Nebeln und Eis, unbekannter Unterreichsforscher


Halbohr zog sich in den strömenden Regen hinauf. Der Ort, den er betrachtete, hatte etwas Magisches an sich. Es berührten sich Unterreich und Oberwelt hier. Er drehte sich um und versuchte kauernd das Zwielicht zu durchblicken. Um ihn herum lag der Morast des jetzt geleerten Tümpels. Dahinter konnte er kleine, von lichtem Wald bewachsene, Erhebungen sehen. Hügelgräber einer längst vergangenen Zeit? Als er sein narbiges, kantiges Gesicht in Richtung des kleinen Altars drehte, hörte er ein Geräusch in der Dunkelheit. Plötzlich konnte er rötlich glühende Punkte von Augenpaaren sehen, die sich im Morast auf ihn zubewegten. Er reagierte schnell, erhob sich in Kampfposition und zischte: „Kommt hinauf… ein Hinterhalt“. Keinen Moment zu spät hatte er sich bewegt, denn schon zischte ein schwerer bronzener Speer an ihm vorbei, der mit einem schmatzenden Geräusch im Schlamm versankt. Halbohr sah jetzt bleiche Knochen auf ihn zu waten. Sie trugen die Reste von zerbrochenen oder verrosteten Rüstungen. Archaische Helme bedeckten bleiche Schädel, in denen rotglühende Augenpaare voller Hass nach Leben hungerten. Ein Stück weit watete er selber in den Schlick und zog seine Dolche in Erwartung des nahenden Kampfes.

Uthriel und Neire folgten Halbohr hastig die Stufen hinauf. Gedämpft durch das Geräusch des prasselnden Regens waren deutlich Kampfgeräusche zu hören. Sie sahen die in einen dunklen Filzmantel gekleidete Gestalt von Halbohr, die nur schemenhaft erkennbar war. Eine Handvoll Skelette hatte den Söldner bereits umringt; weitere rückten nach. Neire blickte abwechselnd in die Tiefe des Schachtes, abwechselnd zu den Kreaturen. Sie würden ihnen bestimmt nicht folgen, unter die Erde. Zurück in die sichere Dunkelheit… Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Eine skelettene Gestalt bedrängte jetzt auch ihn. Er duckte sich unter dem Schlag hinweg und vernahm den Geruch von Erde und Fäulnis. Neben ihm hatte Uthriel bereits eine der Kreaturen zu Fall gebracht. Seine schwarze Kleidung war mit Schlamm und Dreck besudelt; er stand fast knietief im Morast. Nur ab und an war sein nicht-menschliches Gesicht zu sehen. Im Zwielicht funkelten seine gelblichen Augen auf. Die drei Gefährten drängten sich jetzt Rücken an Rücken. Sie versuchten ihr Gleichgewicht zu bewahren und zur selben Zeit gezielte Angriffe auszuführen. Unermüdlich stachen sie zu; wieder und wieder durchschnitten ihre Klingen die Luft und trafen auf bleiche Knochen. Die Knochen der lebenden Toten schienen hart zu sein; hart wie verwitterter Stein.

Als der Steinblock samt blauer Flamme sich zu bewegen begann überkam Neire die Angst. Er wollte zurück, hinab in die Tiefe, in die Sicherheit. Er stieß das Skelett mehrfach von sich, das ihn bedrängte. Dann blickte er in Tiefe. Doch der Steinblock hatte sich bereits geschlossen. Der Rückweg war versperrt, der Tunnel nicht mehr zu sehen. Verzweifelt stieß Neire seinen mit Schlangenmustern verzierten Degen nach vorne. Der zum Kopf geführte Schlag bohrte sich durch das rot-glühende Auge des Skeletts und er hörte den Schädel knacken. Die Kreatur sank vor ihm im Morast nieder. Er sah keine weitere feindselige Gestalt in seiner direkten Nähe und drehte sich blitzartig zu Halbohr um. „Was sollten wir tun? Halbohr, … Halbohr, gebt Befehle!“ Der Söldner drehte sich nicht um zu ihm, doch er hörte die Stimme Halbohrs ihm antworten. „Bringt euch in Sicherheit, dort die Anhöhe… Ich werde euch folgen.“ Neire konnte zwar nicht sehen wo der Söldner hingezeigt hatte, doch er begann durch den Morast zu waten. Er schaute sich um, aber keine der Kreaturen war hinter ihm her. Als er sich bereits die Böschung hinaufzog hörte er den Schmerzschrei von Uthriel. Er blickte abermals zurück. Wasser lief in seine Augen und er keuchte. Halbohr kam bereits auf ihn zu. Verschwommen sah er Uthriel die verbleibenden Kreaturen bekämpfen. Er musste wohl verletzt worden sein. Neire zog sich weiter durch Matsch und Gras den Abhang hinauf, richtete sich auf und begann sich umzublicken. Die Bäume um ihn herum glänzten dunkel im Zwielicht des prasselnden Regens. Er konnte keine Bewegung ausmachen. Hinter sich hörte er Halbohr bereits den Abhang hochklettern. Neire sah wie der Söldner sich zu Uthriel umdrehte und hörte seine Stimme: „Uthriel, folgt uns, wenn ihr leben wollt.“ Neire kauerte sich unter einen Baum und betrachte den dunklen Wald. Er spürte, dass Halbohr neben ihm aufgeschlossen war. Gemeinsam blickten sie in die Dunkelheit, suchten nach einem möglichen Pfad. Plötzlich sah Halbohr zwischen den Bäumen weitere rötliche Augenpaare aufleuchten. Sie näherten sich ihnen rasch. Diesmal mussten sie kämpfen. Halbohr stellte sich fünf weiteren Skeletten. Neire versuchte derweil die Gestalten zu umgehen und von hinten anzugreifen. Erneut entbrannte ein Kampf. Als der verletzte Uthriel zu ihnen stieß, begann sich langsam das Blatt zu wenden. Gemeinsam streckten sie schließlich die letzte Gestalt nieder. Erst jetzt sahen Neire und Halbohr, dass Uthriel aus zwei tiefen Wunden blutete.

„Habt ihr Angst vor dem Feuer?“ Neire hatte sich zu der an einem Baumstumpf ruhenden Gestalt von Uthriel hinabgebeugt; seine leise lispelnde Stimme war kaum zu hören im Geräusch des Regens. Als Uthriel mit fragendem Blick seinen Kopf zu Neire wendete, begann der Jüngling zu lächeln. „Die Macht meiner Göttin fließt durch mich. Sie heißt Heria Maki. Sie ist Feuer, wie sie Schatten ist.“ Die weiße glatte Haut Neires glitzerte im Zwielicht; Ströme von Wasser liefen über sein Gesicht, tropften von seinen hellen, gelockten Haaren herab. Bevor Uthriel antworten konnte, führte Neire weiter aus: „Ich kann euch helfen, helfen eure Wunden zu schließen. Doch ihr müsst das Feuer akzeptieren, …, so sagt, habt ihr Angst vor dem Feuer?“ Uthriel schien einen Moment zu zögern. Doch er begann den Kopf zu schütteln, „Nein, ich habe keine Angst vor Feuer.“ Einen Augenblick schien die Zeit einzufrieren, im prasselnden Regen. Dann weitete sich das Lächeln Neires zu einem überzogenen Grinsen. Seine in der Mitte gespaltene Zunge fuhr über seine perfekten Zähne, als wolle er den Regen aufsaugen. Neire zog seinen linken Arm unter seinem jetzt durchnässten Umhang hervor. Er legte das vernarbte Fleisch der grausam verbrannten Hand behutsam auf die Wunde von Uthriels Seite. Seine rechte Hand begann seltsame Runen in die Luft zu zeichnen. Schlangenartige Laute der Beschwörung wurden vom Regen verschluckt. Einen kurzen Moment meinte Uthriel einen rötlichen Schimmer in den Augen von Neire zu sehen. Wie glühende Magma, durchzogen von schattigen Furchen. Dann kam der Schmerz. Wie Feuer schoss es durch seine Seite. Als ob glühender Stahl die Wunde berührte. Uthriel begann zu zittern, doch er zog die Zähne zusammen. Er spürte eine tiefe, sich chaotisch wandelnde, Macht in ihn eindringen. Als Neire von ihm abließ hatte sich die Wunde fast vollständig geschlossen.

Als die merkwürde Gruppe sich völlig durchnässt unter dem gewaltigen Baum niederließ, war das Zwielicht nicht gewichen. Sie waren einige Stunden querfeldein marschiert. Halbohr hatte die Richtung angegeben. Sie waren auf und ab gegangen, durch die von kleinen Hügeln durchzogene Landschaft. Keine weiteren Skelette waren ihnen begegnet und irgendwann hatten die Worte von Neire das Rauschen des Regens durchbrochen. Wieder und wieder hatte er Halbohr mit seinen Fragen belästigt. Ob er schon einmal einen Menschen umgebracht hätte; ob es ihm Spaß bereitet habe. Ob er bereits gefoltert hätte. Schließlich war Halbohr in Stille verfallen – dem Söldner war das Unbehagen anzusehen gewesen, doch er hielt sich stoisch an seinen ausgehandelten Vertrag. Als Neire seinem Unmut, seiner schlechten Laune freien Lauf ließ, hatte sich schließlich Uthriel eingemischt und Neire zur Stille ermahnt. Das hatte gewirkt. Jetzt kauerten sich die drei Streiter an die alte knorrige Eiche, die ihnen wenigstens ein wenig Schutz vor dem Regen gab. Sie nahmen wortlos ein karges Mahl ein. Das Gespräch, welches sie geführt hatten, nachdem Uthriel den Baum hinaufgeklettert war, war verstummt. Nur Wald und Hügel hatte er gesehen. Ein Land, begraben unter Zwielicht und überschüttet von Regen. Wortlos hüllten sie sich in ihre Wanderdecken und versanken in ferne Gedanken und unruhige Träume.​
 
Titel: Sitzung 03 - In Regen und Dunkelheit
Beitrag von: Jenseher am 24.03.2022 | 21:57
Neire kniete auf dem moosbewachsenen nassen Waldboden. Er hatte seinen Oberkörper entblößt, um sich in einer Pfütze zu waschen. Gerade blickte er selbstverliebt in das Spiegelbild, das er im Wasser sah und das durch den Regen immer wieder verzerrt wurde. Er war schlank, anmutig und drahtig; sein jetzt nasses, gelb-goldenes Haar fiel in Locken von seinem Kopf und umrahmte seine hohen Wangenknochen, seine gerade Stirn. Seine milchig weiße Haut schimmerte im diffusen Zwielicht. Sein gesamter linker Arm war jetzt entblößt und jeder konnte es sehen. Neire schaute sich kurz um und sah tatsächlich, dass Uthriel seinen Arm betrachtete. Bis einschließlich zur Schulter führten die grauenvollen Verbrennungen, die die Haut dunkel vernarben hatten lassen. Doch dort sah er auch das rötliche Funkeln. Die drei Fingerkuppen-große Rubine waren symmetrisch in die Haut seiner linken Schulter eingelassen und mit dem Fleisch verwachsen. Auch jetzt erfüllte Neire eine freie und ungebundene Freude, als er die drei Herzsteine betrachtete. Er blickte in das Wasser der Pfütze und begann wie in alter Gewohnheit nach den Runen zu suchen. Doch kein Glühen sah er, nur Dunkelheit und Schwärze. Bevor die Traurigkeit, die Sehnsucht erneut in ihm aufkam, raffte er sich auf. Er musste ein Gebet zu seiner Göttin sprechen.

Es wurde langsam dunkler, als Neire auf seine beiden Gefährten zuschritt. Er trat heran zu Uthriel, der sich unter die knorrige alte Eiche kauerte. Sie hatten alle eine unruhige Rast verbracht. Nur wenig Unterschlupf hatte der Baum geboten. Jetzt waren Kleidung und Decken bis auf die Knochen durchnässt. Von Uthriel waren im Zwielicht nur schattenhafte Umrisse zu erkennen. Gelbliche Augen schimmerten unter der Kapuze seines Mantels; seine dunkle Haut und die feinen Gesichtszüge ließen sein zu Teilen dunkelelfisches Blut erahnen. „Uthriel, seid ihr noch verletzt?“ Uthriel vernahm den süßlich-modrigen Geruch des seltsamen Parfüms, das Neire nach dem Waschen aufgetan hatte. Er nickte wortlos und deutete auf seine Seite, wo der dunkle Fleck von Blut unter dem Verband zu erkennen war. „Ich kann euch erneut die Macht meiner Göttin zukommen lassen, doch sie verlangt eine Gegenleistung. Lasst uns zusammen ein Gebet sprechen.“ Das Prasseln des Regens überdeckte die Stille, die in diesem Moment eintrat. Uthriel schien einen Moment zu zögern. Dann nickte er. „Gut, so soll es sein. Sprechen wir das Gebet zu Ehren der Göttin.“

Neire und Uthriel hatten sich beide auf das nasse Moos gekniet. Neire hatte seine linke Hand auf die Wunde gelegt und blickte ernst in die Augen von Uthriel. „Sprecht mir nach Uthriel, zu Ehren der Göttin.“ Der Regen fiel weiter in Strömen herab, als Neire zu sprechen begann. Das schattenhafte Licht hatte sich in eine rabenschwarze Nacht aufgelöst.

„Preiset die schwarze Natter, als Abbild unserer Göttin. Weinet nicht um die verglimmenden Feuer, weinet nicht um die erlischende Glut. Denn die Dunkelheit birgt ihre Ankunft. Schatten ist das Licht unserer Göttin und Flammen der Morgen ihrer Heiligkeit.“

Uthriel sprach die Worte Satz für Satz nach. Er blickte in Neires Augen und sah jetzt deutlich das rötliche Schimmern, das sich dort gebildet hatte. Wie funkelnde Magma, durchzogen von dunklen Rissen. Er spürte den Schmerz, wie von glühendem Eisen in seine Seite eindringen. Doch abermals fühlte er die chaotische Macht, die ihn durchflutete. Wie das Aufbrausen einer Feuersbrunst, wie flüsternde, wabernde Schatten. Seine Wunden begannen sich auf wundersame Weise zu schließen. Auch Neire spürte die Macht, doch ein sonderbares Brennen ging von dem Ring aus, den er an seiner linken Hand trug. Es war, als ob sich die silbernen Venen in dem schwarzen Stahl des Rings verformen würden. Ein leichtes Glühen war zu sehen, ein Schatten, der sich ausbreitete. Neire sah, dass sich eine neue Rune geformt hatte, die er kannte. Es war die Rune des mächtigen Dieners. Jetzt erhob sich Neire und trat auch zu Halbohr heran. Der grobschlächtige elfische Krieger mit dem silbernen Haar betrachtete mit weit geöffneten Augen die Dunkelheit des Waldes. Erkennbar waren die vielen Narben, die Halbohr als Erinnerung an vergangene Kämpfe trug. „Halbohr, ich sehe ihr seid verletzt. Meine Göttin, Heria Maki, kann auch euch helfen.“ Neire lächelte Halbohr generös zu. Als Halbohr zustimmend nickte, legte Neire seine Hand auf die Wunde und begann alte Gebete in einer seltsamen Sprache zu zitieren. Seine gespaltene Zunge brachte zischelnde Laute hervor. Doch nach kurzer Zeit brach der Jüngling ab und begann höhnisch zu lachen. „Das habt ihr davon Halbohr. Die Macht der Göttin wirkt bei euch nicht. So lange, wie ihr euch wie ein Schwächling hinter dem Vertrag versteckt, kann ich euch nicht helfen. Verbrennt den Vertrag als ein Opferzeichen und ich kann euch helfen.“ Natürlich hatte Neire die Täuschung geplant und Halbohr in die Irre geführt. Er hatte überhaupt nicht versucht die Macht der Göttin zu beschwören. Doch Halbohr schien ihm zu glauben. „Ich werde den Vertrag nicht verbrennen, er dient zu meiner Absicherung.“ Als Neire Halbohr antworten wollte, hörten die Gefährten einen entfernten Schrei leise durch den Wald hallen. Sie konnten nicht sagen, wie weit der Schrei weg war. Er hörte sich zuerst wie der eines Raubvogels an, doch wurde dann zu einem halbmenschlichen. „Wartet hier, ich werde dem Schrei nachgehen“, sagte Halbohr flüsternd und kaum durch den Regen zu erhören. Neire und Uthriel nickten zustimmend, zogen leise ihre Waffen und blickten dem Elfen nach, der schleichend in die Dunkelheit verschwand.

Halbohr bewegte sich leise durch die schwarze Nacht. Er mied größere Pfützen und umgestürzte Bäume. Weiter in die Richtung, wo er das Geräusch gehört hatte. Bald schon konnte er Kampfeslärm hören. Die Sicht auf das Geschehen wurde ihm durch einen umgestürzten Baum genommen. Er schlich sich im toten Winkel der aufragenden Wurzel weiter auf das Geräusch zu. Die Dunkelheit konnte er mit seinen elfischen Augen durchblicken. An der Wurzel ging Halbohr in Deckung und lugte vorsichtig hervor. Er sah im Regen das Aufglimmen von rötlichen Augen. Eine Reihe von Skeletten hatte einen, in eine Lederrüstung gehüllten, Krieger umzingelt. Neben den humanoiden Skeletten, die Speere und Rüstungsteile trugen, sah er außerdem tierische Kreaturen aus bleichen, vermoderten Knochen, die einst wohl große Hunde oder Wölfe gewesen sein mussten. Halbohr beobachtete die Szenerie und entschied sich abzuwarten. Der Kampf entwickelte sich gegen den Krieger. Sein Oberschenkel wurde von einem Speer durchbohrt und er stürzte zu Boden. Schon drangen die tierischen Skelette auf ihn ein. Der Krieger versuchte sich noch einmal aufzuraffen, stieß einen Schmerzensschrei aus. Dann brach er hernieder und sein Körper begann wild zu zucken. Die Skelette drangen weiter auf ihn ein, als würden sie nach jedem Funken kostbaren Lebens, nach jedem Tropfen Blut lechzen. Halbohr hielt sich verborgen und entschied weiter abzuwarten. Abzuwarten, bis die Kreaturen von der Leiche abließen. Doch wieder und wieder stachen die Speere zu; wieder und wieder rissen die Hunde Stücke von Fleisch aus der Gestalt. Plötzlich zuckte Halbohr zusammen als er eine Hand auf seiner Schulter spürt. Als er sich umdrehte, hörte er die zischelnde Stimme Neires. „Was ist mit der Gestalt, lebt sie noch? Sollen wir eingreifen?“ „Nein, wartet ab Neire. Ich werde mich von rechts anschleichen,“ antwortete der Söldner. Neire kauerte sich jetzt an die Stelle an der Halbohr verweilt war. Auch Uthriel war mit Neire den Geräuschen nachgegangen. Er versteckte sich hinter einem knorrigen Baum. Neire und Uthriel sahen die Gestalt des Söldners durch die Dunkelheit in Richtung des Kampfes huschen. Als sich Halbohr in Position gebracht hatte, näherten sich auch Neire und Uthriel aus verschiedenen Richtungen. Halbohr startete den Überraschungsangriff aus der Dunkelheit und rammte seinen Dolch von hinten in den Schädel einer Kreatur. Die Kreatur begann niederzusinken, das rötliche Glühen verschwand aus den Augen. Doch jetzt begannen sich die verbleibenden Kreaturen Halbohr zuzuwenden. Ein wilder Kampf entbrannte, als auch Neire und Uthriel sich auf die Skelette stürzen. Hin und her wogten die Angriffe, die die Streiter ausführten. Einige der Skelette wendeten sich nun Neire und Uthriel zu. Als einer der Speere Neire in der Brust traf, erfüllte sein heller Schrei den Kampfplatz. Doch sahen Neire und Uthriel wie Halbohr von zwei Speeren durchbohrt wurde und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck zu Boden ging. Die beiden Streiter standen jetzt alleine gegen die verbleibenden Skelette. Sie konnten nicht sehen, ob Halbohr noch lebte.

Mit einem kräftigen Hieb seines Langschwertes trennte Uthriel den Kopf des Hundeskelettes ab. Das das letzte Paar glühender Augen verglimmte. Neire und Uthriel blickten sich rasch um. Es waren keine weiteren Gestalten mehr zu erkennen. Zwischen den verrotteten bleichen Knochen sahen die beiden die leblose Gestalt von Halbohr im Regen liegen. Er hielt noch immer seine beiden Dolche umklammert, sein grimmiges Gesicht war mit Blut bedeckt. Neire näherte sich Halbohr und kniete nieder. Er legte die leicht gewellte Klinge seines Degens mit dem von Schlangen verzierten Griff auf den Boden und prüfte seinen Gefährten nach Lebenszeichen. Ein schwacher Puls war noch zu erfühlen, jedoch sah Neire einen Blutstrom aus einer der Speerwunden strömen. Er begann ein Leinentuch aus seinem Rucksack zu holen und die Wunde zu verbinden. Seine Gedanken waren jedoch bei dem Vertrag, der seiner Meinung nach ihn knechten, seinen Geist unterwerfen sollte. Neire dachte zurück an die Gemächer des Turmes von Trellentorm, an die er sich nur noch verschwommen erinnern konnte. Da war es wieder, …, das Hämmern des glockenartigen Nachhalls in seinem Schädel. Ich muss ihn finden, …, muss ihn finden und vernichten. Ist das meine Aufgabe, ist das das Schicksal der Stadt? Neire drehte den Körper Halbohrs um. Er vernahm den süßlichen Geruch von Schweiß, der von dem elfischen Söldner aufstieg. Seine Hände waren noch mit dem Blut Halbohrs bedeckt, als er in dessen Rucksack nach dem Schriftstück zu suchen begann. Schließlich zog er mehrere Siegeldokumente hervor, unter denen er auch den Vertrag sah. Wut flammte in Neire auf. Er nahm das Stück Papier, schloss seine Augen und dachte an das brodelnde Magma und die sich ewig wandelnden Runen aus Schatten. Er beschwor die Macht seiner Göttin, so wie die Priester es ihm gezeigt hatten. Doch jetzt begann sich die Flamme tatsächlich zu formen. Wilde Freude erfasste ihn, als er sah wie das magische Feuer aus seiner linken Hand aufstieg. Er nahm den verhassten Vertrag und führte ihn dem Feuer seiner Göttin zu. Schon bald begannen sich die Seiten in Rauch und Asche aufzulösen.

Neire erhob sich und blickte zu Uthriel. „Habt ihr etwas gefunden?“ Uthriel hatte die Überreste der Skelette untersucht und den Inhalt des Rucksacks offenbart, den der jetzt tote Krieger bei sich trug. Neire betrachte die Gegenstände, unter denen er nichts besonders Wertvolles ausmachen konnte. Schließlich sah er die Rolle einer Kordel und es kam ihm eine Idee. Er musste grinsen. „Uthriel, …, Halbohr hat heute nicht sein Wort gehalten. Er wollte mich beschützen, doch er wurde von diesen Kreaturen niedergemacht. Nur die Macht meiner Göttin konnte ihn vor dem sicheren Tod bewahren.“ Uthriel blickte Neire fragend an. Er war noch immer über den Inhalt des Rucksacks gekniet: „Was wollt ihr mir sagen Neire, worauf wollt ihr hinaus?“ Neire trat zu Uthriel und nahm die Kordel und eine Sichel an sich, die der tote Krieger trug. „Wartet Uthriel, …, wartet; ihr werdet es schon sehen.“ Neire führte die Sichel zum Leichnam hinab und begann eines der Ohren des unbekannten Kriegers abzuschneiden. Die Haut war merkwürdig ledrig und widerstand den ersten Schnitten. Als er das Ohr abgetrennt hatte, trat er zu Halbohr und fing kindlich an zu lachen. Er erinnerte sich zurück an die guten Zeiten; als sie als Kinder der Flamme ihre schlafenden Kameraden geneckt hatten; als sie ihnen obszöne Symbole ins Gesicht gemalt hatten. Er nahm das abgetrennte Ohr und die Kordel und legte die Narbe an Halbohrs Kopf frei. Als er die silbernen Haare zur Seite gerafft hatte, drückte er das blutige Stück Fleisch auf die Stelle des fehlenden Ohrs und begann die Kordel um den Kopf zu binden. Höhnisch grinsend richtete er sich auf und blickte zu Uthriel: „Von heute an könnte er Zweiohr oder Vollohr heißen. Was meint ihr Uthriel?“

Neire und Uthriel begannen durch den Wald zu laufen. Sie hatten Geräusche aus dieser Richtung gehört; Geräusche von den sie glaubten, dass sie leiser wurden. Die Furcht, dass sie etwas belauscht hatte, trieb sie an. Sie hatten Halbohr im Regen liegengelassen und waren vorsichtig in die Schwärze der Nacht vorgedrungen. Als sie die Spuren gefunden hatten, waren sie sich sicher; jemand hatte sie beobachtet und flüchtete jetzt. Dann waren sie schneller und schneller gelaufen. Hatten hier und dort angehalten und gehorcht. Gerade hatten sie einen kleinen Hügel überquert, als sie verschwommen Bewegungen sahen. Vor ihnen flüchteten kleine Humanoide Gestalten, die von Moos und Flechten überwachsen waren. In ihrer Mitte war eine pflanzenartige Kreatur, in der Größe eines Hundes erkennbar. Keinen Kopf konnten die beiden ausmachen; als würde eine aus Dornenranken gewachsene Pflanze wandeln. „Halt!“ Neires Stimme durchbrach das gleichförmige Geräusch des Regens. Beide Streiter hatten ihre Waffen gezogen. Die Kreaturen verlangsamten ihre Flucht und drehten sich um. Doch Neire und Uthriel hörten einen schrillen hohen Schrei des Pflanzenhundes, als die Gestalten zum Angriff ansetzen. Ein wilder Kampf entbrannte, in dem die Klingen von Uthriel und Neire anfangs die Ranken der wandelnden Pflanze nicht durchdringen konnten. So konzentrierten sie sich auf die Humanoiden und töteten einen nach dem anderen. Als sie schließlich die Pflanze umzingelt hatten, durchschnitt das Langschwert von Uthriel den Rankenpanzer und zerteilte die Kreatur. Einen weiteren der flüchtenden Humanoiden machen sie rücklings nieder. Sie untersuchten noch die Leichen, doch dann kam ihnen der Gedanke: Wo war Halbohr? Im Eifer des Gefechts hatten sie die noch immer bewusstlose Gestalt liegengelassen. Hastig machten sich die beiden auf den Rückweg.​
Titel: Sitzung 04 - Feuer und Geborgenheit
Beitrag von: Jenseher am 28.03.2022 | 21:14
Der Wald war in Dunkelheit getaucht. Das an Laub- und Nadelbäumen hinablaufende Wasser schimmerte. Strömender Regen ließ hier und dort Rinnsale und Pfützen entstehen. Ein Schleier von Nässe betäubte die Sinne und wurde regelmäßig unterbrochen von größeren Tropfen, die sich aus dem Unterholz lösten. Die ungleichen Gefährten hatten sich am Kampfplatz versammelt. Um sie herum waren neben den Überresten von Skeletten ein frischer Leichnam zu sehen; ein Krieger mit blutbefleckten blonden Haaren. Sein Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Eingeschlagen war sein Schädel, zerfetzt sein Brustkorb, abgetrennt war ein Ohr, geplündert seine Habseligkeiten.

Halbohr hustete Blut, als er zu Bewusstsein kam. Schmerzen überall. Irgendetwas drückte auf die Narbe seines vor langer Zeit verlorenen Ohres. Seine grünlichen Augen erfassten verschwommen die Umgebung. Direkt vor ihm sah er das Gesicht des schönen Jünglings, das fast sein gesamtes Sichtfeld versperrte. Neire hatte sich zu Halbohr niederkniet und ihm kleine Ohrfeigen geben. Als der elfische Söldner aufwachte, lächelte Neire ihn an. Obwohl Neire sein Bestes tat um fröhlich auszusehen, sah man ihm doch die Strapazen der vergangenen Tage an. Der Regen und die Kälte begannen nicht nur ihm zuzusetzen. Halbohr jedoch war dem Tode immer noch nahe. Seine Arme zitterten als er vorsichtig nach seinem Ohr tastete. Seine Stimme war vielmehr ein Flüstern: „Was ist passiert.“ „Ihr wart dem Tode nahe“, antwortete Neire. Er legte einfühlsam eine Hand auf Halbohrs Schulter. „Nur mit der Kraft meiner Göttin konnte ich euch zurückholen.“ Er ließ einen Augenblick zwischen den Worten, die er wählte. „Zuerst war meine Kunst wirkungslos, doch dann, …, doch dann konnte ich euch helfen.“ Seine Stimme kam ins Stocken, sein Lispeln und der starke Akzent einer fremden Sprache waren jetzt besonders deutlich zu hören. „Meine Göttin forderte Tribut; der Vertrag musste sich in Flammen auflösen.“ Neire versuchte so freundlich wie möglich zu wirken, doch der elfische Söldner ächzte auf, knirschte mit den Zähnen. „Auch wenn Schrift vergangen ist, haben die Worte bestand,“ flüsterte Halbohr gegen den Regen. Neire schüttelte energisch seine nassen gold-blonden Locken und erwiderte: „Nein, alles was IHREN Flammen übergeben wurde, existiert nicht mehr. Solange Ihr Euch an Gesetze klammert, werdet Ihr schwach bleiben.“ Er führte weiter fort. „Wendet Euch IHR zu, nur so kann ich Euch beim nächsten Mal helfen.“ Halbohr blickte Neire hasserfüllt an. „Vielleicht wird es kein nächstes Mal für Euch geben.“

Uthriel beugte sich über den Rucksack des toten Kriegers und suchte weiter nach geheimen Fächern. Das Leder war nass und schwer. Er beachtete Halbohr und Neire nicht weiter. Als er ein fein gearbeitetes spitzes Jagdmesser hervorzog, blickte er auf und hörte Halbohr durch den Regen zischen. „Was ist das? Wer hat das gemacht?“ Halbohr hatte das blutige Ohr samt der Kordel von seinem Kopf gelöst und hielt es vor sich. Neire war aufgestanden und wich vorsichtig über die Reste der Skelette zurück. „Wir, wir dachten es würde euch helfen, …, vielleicht anwachsen... Im Unterreich gab es Heiler, die abgetrennte Gliedmaßen anwachsen lassen konnten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“ Halbohr blickte Neire immer noch feindselig und ungläubig an, ließ sich dann aber erschöpft zurücksinken und schloss seine Augen. Er sah nicht, dass Neire sich zu der Gestalt des toten Kriegers herabgebeugt hatte.

Neire betrachtete den Kopf des blonden Mannes. Wie hatte wohl das Gesicht einst ausgesehen? Gleichzeitig war er geekelt und doch fasziniert von der roten Suppe aus Haut, Knochen und Zähnen. Eines der Augen war hervorgequollen und betrachtete ihn unentwegt. Regenwasser strömte hinab und vermischte sich mit dem Blut. Er bewegte einige der Knochenplatten, indem er seine Finger eindringen ließ. Darunter kam Gehirnmasse hervor. Seine Gedanken schweiften zurück in eine jetzt ferne Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die er in den letzten Tagen verdrängt hatte. Fackelschein und Gerüche von seltsamen Gewürzen. Chin’Shaar Fleisch. Als besondere Delikatesse hatte er davon gekostet. Einmal gab es sogar einen halb-geöffneten Schädel mit rohem Chin’Shaar Gehirn. Er hatte sich damals nicht getraut davon zu kosten. Versunken in Gedanken hatte Neire bereits eines der Gehirnstücke in seinen Mund geführt. Er vernahm den Geschmack von Eisen als er zu kauen begann.

Sie waren eine lange Zeit den Spuren durch die Dunkelheit und den Regen gefolgt. Neire hatte immer wieder versucht Halbohr aufzumuntern. Doch Halbohr hatte nur schmerzhafte Laute von sich gegeben. Dem elfischen Söldner schien es immer schlechter zu gehen. Irgendwann war der Wald dichter geworden und Halbohr hatte begonnen zu schwanken, zu stolpern. Neire hatte versucht ihn zu stützen, doch Halbohr hatte sich nicht helfen lassen. Schließlich war er gestürzt und Neire und Uthriel hatten ihn rückwärts an einen Baum gesetzt. Halbohr hatte gezittert und war kaum noch ansprechbar gewesen. Er schien zu fiebern. Neire und Uthriel hatten dann vereinbart, dass Uthriel den Spuren weiter folgen sollte. Eine lange Zeit war Uthriel jetzt schon fort und Neire hatte aufgehört auf Halbohr einzureden. Zudem hatte er in Halbohrs Augen etwas Grünliches gesehen, wie die Spuren von Moos. Er grübelte gerade, ob er den Begleiter mit dem Teil dunkelelfischen Blutes jemals wiedersehen würde, als er eine Stimme aus dem Wald hörte. „Neire, Halbohr, eine Hütte, …, verlassen und nicht weit von hier. Kommt…“

Sie waren Uthriel durch den Wald gefolgt, bis an einen Abhang. Neire und Uthriel hatten Halbohr unter den Armen gepackt und ihn durch den Wald gezogen. Hinter dem Abhang hatten sie die kleine Jagdhütte gesehen. Das Holz des Spitzdaches schimmerte nass in der Dunkelheit. Wie Uthriel gesagt hatte, schien die Hütte verlassen, aber nicht unbewohnt zu sein. Neire und Uthriel hatten schließlich die verschlossene Türe aufgerammt. Im Inneren hatten sich ihnen ein kleiner Ofen, zwei Stuben und eine karge, aber nützliche Einrichtung offenbart. Sie hatten die Räume durchsucht und Uthriels wachsame Augen waren auf eine geheime Falltür, unter einem Bett einer der Stuben gestoßen. Stufen hatten sie hinabgeführt in zwei aus dem Felsen geschliffene Kellerräume. Eine Quelle, Vorräte und die Spuren von Ausweidungen hatten sie aufgefunden. Schließlich waren sie mit Vorräten nach oben zurückgekehrt und hatten die Geheimtüre hinter sich verschlossen. Jetzt brannte ein kleines Feuer in dem gusseisernen Ofen; in einem Kochtopf brutzelte eine Suppe aus Trockenfleisch und Pilzen. In Halbohr war langsam wieder etwas Leben zurückgekehrt. Doch er konnte sich kaum noch wachhalten. Er hatte sich wortlos in einen der kleineren Räume zurückgezogen und war in seiner nassen Kampfausrüstung auf dem Strohlager niedergesunken. Die Flammen des Feuers spielten jetzt mit den Schatten. Eine wohlige Wärme hatte sich in dem Raum verbreitet in dem Neire und Uthriel saßen. Neire betrachtete Uthriel. Er sah das Gesicht mit der steingrauen Haut, den spitzen Ohren. So lange er auch grübelte, er konnte das Alter seines Begleiters nicht abschätzen. Uthriels gelblich schimmernde Augen wirkten nicht müde. Im Gegensatz zu Halbohr schien er Neire erfahrener und robuster zu sein. Zudem hatte er mit Neire das Gebet zu seiner Göttin gesprochen. Ich sollte ihm von der Göttin erzählen, ihren wahren Namen nennen. Vielleicht ahnt er es schon. Er scheint aus dem Unterreich zu kommen. Neire blickte in Richtung des Raumes in dem Halbohr schlief. Von dort hörte er leise Schlafgeräusche. „Uthriel ich muss euch etwas erzählen, etwas anvertrauen. Könnt ihr ein Geheimnis behalten?“ Uthriel betrachtete seinen Gegenüber. Neires lange Locken waren getrocknet und glänzten rot-golden im Lichte der Glut. „Ich kann ein Geheimnis behalten. Was ist es? Sprecht.“ Die Schatten schienen in diesem Moment länger zu werden, als sich Neire in das rötliche Licht wendete. „Meine Göttin ist nicht Heria Maki.“ Er sprach den Namen der rechtschaffenen Feuergöttin mit zischender Verachtung. „Meine Göttin ist Feuer und Schatten, sie ist die Schwertherrscherin, die Flamme des Chaos, sie hat Tausend Namen…“ Wieder war da das Glühen von Magma in Neires sonst blauen Augen zu sehen. „Sie ist die Königin von Feuer und Dunkelheit. Ihr Name ist JIARLIRAE.“

Neire und Uthriel hatten sich bei der Wache abgewechselt. Uthriel hatte die erste Wache übernommen. Wilde Träume hatten derweil Halbohr und Neire gequält. In Neires Traum hatten Wunden Blut hervorquellen lassen. Blut, das in dem Ring verschwand, den er trug. Der Ring wurde schwerer und neue Runen bildeten sich. Runen des Ringes, deren Sinn er nicht erkennen konnte. Halbohr hatte von seiner Kasernenzeit geträumt. Als sein Ohr abgetrennt wurde, spürte er doch eine Art von Unterstützung. Irgendwann hatte Uthriel Neire geweckt. Die Nacht musste jetzt bereits vergangen sein. Neire hatte seine Gebete zu Jiarlirae abgeschlossen und sein Ritual beendet. Er starrte in die Flammen des Ofens und lauschte dem Knistern der Glut und dem Prasseln des Regens. Plötzlich hörte er ein Geräusch von splitterndem Glas. Stöhnen und Ächzen drangen von draußen durch den Regen. Verrottete Hände begannen durch die Fenster zu fassen und an die Türe zu trommeln. Hastig sprang er auf, alarmierte Halbohr und Uthriel und streifte sich das dunkelelfische Kettenhemd über. Uthriel war als erster an der Türe und begann diese zu sichern. Doch vergeblich. Das Holz begann schon zu splittern, als sich die ersten Kreaturen hereindrängten. Die Leiber halb verrottet, gierten leblose Augen nach dem Fleisch der Lebenden. Ein Gestank von Verwesung machte sich in der Hütte breit, als die nassen Körper willenlos nach vorne drängten. Neire beschwor einen Degen aus purem Feuer und so begannen Uthriel und er die Türe in erster Reihe zu sichern. Halbohr warf von hinten mit Dolchen. Ein heftiger Kampf entbrannte und Körper um Körper wurde zu Fall gebracht. Doch der Strom toter Leiber ebbte nicht ab. Als das Licht von Neires Flammenklinge bereits erloschen war, sahen die drei Gefährten die Fremden, die sich durch Regen und Matsch näherten. Ein in eine Rüstung gekleideter Ritter, von zwei Schritten Größe schwang eine gewaltige Hellebarde. Ihn begleiteten zwei kleinere Krieger; ein Elf und eine Dunkelelfin. Die Hautfarbe der Dunkelelfin war schwarz wie die Nacht. Auf dem Waffenschurz des Ritters erkannte Neire das Wappen der Stadt Fürstenbad. Zwei nach oben schauende Fische, Rücken an Rücken mit aufgerissenen Mäulern auf weißem Grund. Als der letzte der Untoten bekämpft war, watete der Ritter durch den Matsch und baute sich vor Neire und Uthriel auf. Seine Stimme klang donnernd durch die Nacht: „Unleben muss vernichtet werden. Seid ihr auf unserer Seite?“
Titel: Sitzung 05 - Der Fels der nicht war
Beitrag von: Jenseher am 2.04.2022 | 09:23
Durch die halb zerbrochene Türe offenbarte sich der Blick in den strömenden Regen; in einen urtümlichen Wald, der von einem wolkenverhangenen Himmel in zwielichtige Dunkelheit gehüllt wurde. Kalte, nasse Luft drang in das Innere der Jagdhütte. Der kleine hölzerne Raum, der den Streitern als scheinbar sicherer Rückzugsort gedient hatte, war jetzt in einem chaotischen Zustand. Holzsplitter, Glasscherben und umgestürzte Möbel bedeckten den Boden. Der gesamte Türbereich war von halb verwesten Leichen bedeckt. Der Gestank war allgegenwärtig. Blut und Leichensäfte glitzerten am Boden und an Wänden, im Lichte der langsam verglimmenden Glut.

Neire stolperte über die Leichen zurück. Er versuchte, so gut wie es ging, seinen verbrannten Arm hinter dem Rücken zu verstecken. Noch immer schmerzte die blutende Wunde, die er sich selbst im Kampf mit der flammenden Klinge zugefügt hatte. Er atmete schwer und beugte den Kopf unterwürfig, als der Ritter in der silbernen Rüstung ihn betrachte. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Halbohr aus dem hinteren Teil des Raumes herüber humpelte. Den elfischen Söldner hatte es wieder hart getroffen. Wunden und Schmutz bedeckten seinen Körper und Haare. Neire und Uthriel antworteten dem Ritter nicht, doch Halbohr erhob seine Stimme: „Wir sind auf eurer Seite, Fremder.“ In diesem Moment trat eine weitere Gestalt über die Leichen hinweg und in den Raum hinein. Die kleine Frau der Größe eines heranwachsenden Kindes, mit platinblondem Haar und kohlrabenschwarzer Haut erhob die Stimme. „Seht ihr es nicht? Sie sind nicht die Urheber.“ Die Dunkelelfin mit dem plumpen Gesicht trug einen silbernen Stab und betrachte Uthriel, Halbohr und Neire der Reihe nach. Ihr war ein niederträchtiger Ausdruck anzusehen. Die Spannung, die über dem Raum lag, schien sich dennoch zu lösen. Die Streiter sahen, wie der Ritter seinen bereits halb geöffneten Helm vom Kopf zog. Eine Aura von Zuversicht und Geborgenheit ging von ihm aus. Er lächelte den Gefährten zu. „Nun, wir sind euren Spuren gefolgt, haben die Leichenreste gesehen, die ihr hinterlassen habt. Ihr haben meinen Respekt, wenn ihr es mit all diesen untoten Kreaturen aufgenommen habt.“ Er lächelte die drei an. Seine blauen Augen wirkten aufgeweckt; die schwarzen kurzen Haare, die unter seinem Helm gelegen hatten, dampften nass. „Aber entschuldigt bitte meine Unhöflichkeit. Ich vergaß, mich vorzustellen. Mein Name ist Rasmus. Paladin, in den Diensten der Stadt Fürstenbad.“ Er blickte sich um. Doch ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort. „Dies sind meine Gefährten. Loec, vom Volk der Waldelfen und Rowa, vom Volk der Dunkelelfen.“ Erst jetzt sahen die drei Gefährten die dritte Gestalt aus der Gruppe der Fremden, die bei den Leichen der Türe stand. Der Waldelf war größer als Rowa und trug unscheinbare, der Umgebung angepasste Jagdkleidung. Unter seinem schulterlangen braunen Haar, sah man die Ringe eines Kettenhemdes glänzen. Loec hatte einen Bogen geschultert und trug einen Speer, dessen silberne Spitze in der Dunkelheit funkelte. Jetzt erhob Halbohr seine Stimme und antwortete auf die Vorstellung: „Es freut mich euch kennenzulernen. Mein Name ist Halbohr. Wir sind eine Jägergilde und hier gestrandet. Wir wurden von den Untoten überrascht.“ Neire hatte den Moment der Ablenkung genutzt und war bereits in den hinteren Teil des Raumes zurückgewichen. Hastig und so unauffällig wie möglich begann er seine Kleidung über das dunkelelfische Kettenhemd zu streifen. Er spürte den wohligen Geruch des Chin’Shaar Leders. Mit wachsender Zuversicht begann er sich umzudrehen. Er versteckte den linken Arm unter dem heiligen Umhang seiner Göttin.

Sie hatten die Leichen aus dem Raum geräumt und die Eingangstüre behelfsmäßig repariert. Uthriel hatte dabei herausgefunden, dass die Rüstungsteile der jetzt toten Leiber Muster einer alten Zeit trugen. Eine Zeit, die er auf 500-600 Jahre in der Vergangenheit schätzte; eine Zeit, in der diese Gegend von Kriegen überzogen wurde. Währenddessen hatte sich Rasmus um die Wunden von Halbohr gekümmert. Rowa hatte begonnen die Hütte abzusuchen und war auch auf die Geheimtüre gestoßen. Nun saßen sie alle am Feuer, das Neire mit trockenen Holzscheiten wieder entfacht hatte. Obwohl die Fenster noch immer zerschlagen waren, hatte sich wieder eine wohlige Wärme in der kleinen Hütte gebildet. Gerade zog Rasmus einen schweren Lederschlauch hervor und ließ seine mächtige Stimme ertönen: „Wer von euch trinkt einen Becher Wein mit mir? Ich lade euch alle ein.“ Neire nickte in freudiger Erwartung und begann alsbald Becher zusammenzusuchen. Schon goss Rasmus jedem einen vollen Becher ein. Nur Loec und Rowa verwehrten das Geschenk. Als sie den ersten Becher geleert hatten, schenkte Rasmus eine zweite Runde nach, an der nur er und Neire teilnahmen. Auch Halbohr und Uthriel lehnten jetzt ab. Rasmus nahm nochmals einen großen Schluck und begann zu erzählen. „Ihr müsst wissen, wir dienen einem alten Bund. Das bringt solch seltsame Gefährten wie uns zusammen.“ Loec und Rowa blickten missmutig auf ihren Anführer. „Aber vereint sind wir im Kampf gegen das Unleben. Irgendwo muss es einen Quell geben, einen Ursprung für diese Seuche.“ Er sah, dass Neire bereits seinen zweiten Becher geleert hatte, hielt kurz inne, um seinen ebenso zu leeren und schenke dem Jüngling und sich selbst eine weitere Runde nach. „Ja, dieses Jahr, in diesen Zeiten ist es besonders schlimm. Gerade Grimmertal scheint davon betroffen zu sein… und dann dieser Regen… ha…“ Als Rasmus zu fluchen begann, dachte Neire nach. Er hatte den Namen Grimmertal schon einmal gehört. Er erinnerte sich daran, von einer dünn besiedelten Region im Süden von Fürstenbad gehört zu haben, eine Region, mit wenigen kleinen Ortschaften und umso mehr Jagdhütten. Eine Region, in der ein Dorf selbst Grimmertal hieß. Als Neire nachdachte, hatte Rasmus seine Ausführungen bereits fortgeführt und der Name Klingenheim war gefallen. Auch diesen Namen hatte Neire bereits gehört. Doch nichts Gutes war ihm in Erinnerung geblieben. Er hatte gehört von einem Hort zwielichtiger Gestalten, die umgänglich als Abschaum bezeichnet wurden; von Tagelöhnern und leichten Damen, von Glücksspiel und Gewaltexzessen.

Neire hatte bereits seinen dritten Becher geleert und sah, dass Rasmus ihn jetzt angrinste. Er schenkte ihm nochmal nach und fragte: „Was ist mit euch Junge? Woher kommt ihr und was hat euch mit diesen ungleichen Gefährten zusammengebracht?“ Neire spürte jetzt den Rausch. Adrenalin begann zudem durch seine Adern zu pulsieren, als er die Augenpaare sah, die auf ihn gerichtet waren. Ich muss unerkannt bleiben, ich darf meine Suche nicht gefährden. Sein Magen rutschte plötzlich hinab und das Denken wart ihm schwer. Immer wieder kam ihm die Suche in den Sinn. Er ließ den Kopf hängen und fing an zu weinen. Keiner sah die Tränen, da sein Gesicht bedeckt war von seinen blonden Locken, die jetzt rötlich in des Feuers Glut schimmerten. Er begann schluchzend zu sprechen und so gut es ging seinen schweren Akzent und seine zischende Aussprache zu verbergen. „Ich komme ursprünglich aus Fürstenbad. Doch wurde ich entführt. Schon als Kind… vom Volk dieser dort.“ Er blickte auf und musterte Rowa. Tränen schimmerten in seinen blauen Augen und liefen über die reine weiße Haut seiner Wangen hinab. „Meine Mutter haben sie getötet, doch ich konnte entkommen.“ Als Rasmus den Arm auf seine Schulter legte, schluchzte er umso lauter auf. Er hörte die dunkle, jetzt fast andächtige Stimme von Rasmus: „Ich verstehe, ihr habt einiges mitgemacht. Doch es müssen Kräfte in euch schlummern, so habt ihr doch die Flucht aus dem Unterreich geschafft.“ Rowa machte in diesem Moment ein zischendes Geräusch und schaute Neire hasserfüllt an. Sie erhob ihre Stimme in der Sprache der Dunkelelfen. „Ich sehe es doch, ihr lügt!“

Sie hatten danach noch einige Zeit am Kamin gesessen und Geschichten ausgetauscht. Gerührt von Neires Schicksal, hatte Rasmus ihm immer wieder Wein nachgeschenkt. Erzählt hatte Rasmus zudem von der Geschichte des alten Bundes, der nach den Kriegen zwischen den verschiedenen Völkern errichtet wurde. Schließlich hatte Halbohr die Begegnung mit dem Jäger ausgeplappert und auf die Frage hin, ob sie den Leichnam beerdigt hatten, herrschte kurz Schweigen. Die Stimmung war fast gekippt; das Misstrauen von Rowa und Loec hatte überhandgenommen. Dann hatte Neire von der Krankheit von Halbohr und von seinem Zustand berichtet; dass es sich um einen Notfall gehandelt hatte. Das hatte die Fremden beruhigt. Das Gespräch war dann um eine mögliche Route nach Grimmertal gekreist. Als sie bereits einige Wege erörtert hatten war Neire angetrunken aufgestanden. „Ich habe genug, ich kann das nicht mehr. Ich weiß gar nicht, wie lange ich jetzt auf der Flucht bin. Wollt ihr uns nicht nach Grimmertal begleiten Rasmus?“ Rasmus hatte kurz überlegt, seine Kameraden angeschaut und dann tatsächlich zustimmend genickt.

Neire blickte durch den Nebel von Feuer. Das Gesicht war kurz dagewesen und doch zwischen der flimmernden Hitze verschwunden. Er spürte die Flammen auf seiner Haut brennen; es war als ob sie mit ihm spielen wollten. Hatte er seinen Geist geöffnet? Hier und dort sah er das Feuer dunkle Schatten formen; doch so sehr er sich auch bemühte, seine Runen konnte er nicht sehen. Jetzt hörte er die Flammen hinter ihm knistern und knacken. Ein Raunen, das sich zu einer bekannten Stimme formte. Er drehte sich um und da war es wieder. Das liebliche Gesicht, nach dem er sich so gesehnet hatte. Rötlich wallendes Haar umspielte ihre prominenten Wangenknochen. Die Zeremonienrüstung aus Kupferplatten schimmerte sanft im Antlitz der allgegenwärtigen Glut. Sie lächelte ihm zu, so dass er ihre spitzen Eckzähne und die Schlangenzunge sehen konnte. Ihre Augen funkelten wie brennende Rubine; ein Jedes geteilt durch eine schlangenhafte Spur vertikaler Dunkelheit. Er wollte nach ihr greifen, sie umarmen. Doch je näher er kam, desto weiter schwebte sie davon. Der Schmerz wurde größer und größer…
Neire wachte weinend in der dunklen Kammer auf. Er hatte sich zuvor geheilt und wollte eigentlich nur etwas meditieren. Er musste wohl eingeschlafen sein. Die Emotionen waren so allgegenwärtig, so überwältigend, dass er im Weinen verkrampfte. Er murmelte mehrfach ihren Namen: „Lyriell, oh Lyriell…“ Jetzt sah er die dunkle Silhouette von Uthriel, der in seinem Raum gewacht hatte. Die Augen des Streiters halb-dunkelelfischen Blutes schimmerten leicht gelblich in den Schatten. Er trat zu Neire heran und frage: „Was ist mit euch, habt ihr geträumt? Wer ist Lyriell?“ Neire blickte auf und erwiderte: „Meine einzige Liebe. Sie ist nicht mehr… sie ist jetzt im Reich meiner Göttin.“ Schließlich hatten sie sich aufbruchbereit gemacht. Neire hatte die Gebete zu seiner Göttin gesprochen. Noch immer fühlte er neben den Auswirkungen der Trunkenheit, die Traurigkeit. Uthriel hatte gesehen, dass Neire fast willenlos die Kruste von der frisch vernarbten Wunde seines linken Armes abkratze, während er Formeln einer fremden Sprache zischelte. Das ging so lange, bis das Blut hervorquoll und über seinen von Brandnarben gezeichneten Arm herabrann. Die Stücke Kruste hatte Neire immer wieder gegessen. „Seid ihr bereit? Wir wollen aufbrechen.“ Neire und Uthriel hörten neben dem Klopfen an die Türe die Stimme von Halbohr. Sie schnallten sich kurzerhand ihre Rucksäcke auf und sahen beim Verlassen des Raumes, dass der Rest ihrer neuen Mitstreiter bereits aufbruchbereit war. Alle nickten sich zu und verließen wortlos einer nach dem anderen die kleine Jagdhütte, in den noch immer an anhaltenden Regen. Nur Neire blieb im Raum zurück und bewegte sich auf den Ofen zu. Als Uthriel in das Zwielicht schritt, sah er aus den Augenwinkeln wie Neire ein glühendes Holzscheit mit der bloßen Hand seines linken, verbrannten Armes herausnahm. Er murmelte dabei etwas vor sich hin, das Uthriel nicht verstehen konnte. Der Geruch von verbrannter Haut verteilte sich ihm Raum, als die Glut sich in Neires Fleisch fraß. Doch Neire lächelte unter den Schmerzen; die Glut schimmerte rötlich in seinen nachtblauen Augen.

Sie gingen jetzt schon einige Zeit durch Regen und Wald. Halbohr und Loec dienten ihnen als Vorhut und Spurenleser. Neire hatte sich mit Rasmus unterhalten. Schmutz und Dreck schienen von dem Paladin wie auf eine übernatürliche Weise abzufallen. Das Gespräch hatte sich schließlich um Götterglauben gedreht und Neire hatte von Heria Maki erzählt. Das hatte Rasmus beineindruckt. Er hatte berichtet davon, dass die meisten Menschen die wahren Namen der Götter nicht mehr kennen und nur noch Aspekte anbeten würden. Sie unterhielten sich gerade angeregt, als sie im Zwielicht plötzlich die durchnässten Gestalten von Halbohr und Loec sahen. Beide knieten über dem von Laub bedeckten Boden und wiesen auf die Spuren hin. Spuren von großen Wölfen, vielleicht vier oder fünf an der Zahl. Nach kurzer Beratung entschieden sie sich den Spuren zu folgen. Tiefer und tiefer führten die Spuren in Wald, obwohl die grobe Richtung nach Grimmertal nicht verlassen wurde. Schließlich kamen sie an ein Tal, in dem das Wasser in Pfützen und Tümpeln stand. Ein großer Plateau-ähnlicher Fels war im Zwielicht zu sehen. Der Regen schien den Felsen reingewaschen zu haben. Niedergekniet betrachteten sie die Situation am Rande des Abhangs. Kälte und Nässe setzten mittlerweile allen zu. „Die Spuren führen den Abhang hinab, direkt auf den Felsen zu. Kennt ihr ihn? Vielleicht als Landmarke?“ Die Stimme von Halbohr war in Richtung von Rasmus gerichtet, doch der Paladin schüttelte mit dem Kopf. „Nein, noch nie etwas von einem solchen Felsen gehört, als ob er vorher noch nicht dagewesen wäre.“ Sie entschieden sich weiter den Spuren zu folgen und umrundeten den Felsen in großer Nähe. Hoch ragten die Wände neben ihnen auf, an denen Regenwasser herablief. Die Streiter zogen jetzt ihre Waffen und machten sich kampfbereit. Tatsächlich öffnete sich hinter einer Felsnadel eine Spalte, die in einer gähnenden Höhlenöffnung mündete. Vorsichtig und Schritt für Schritt drangen sie weiter in die Spalte vor. Schon bald waren sie aus dem Regen in die Dunkelheit gelangt. Rasmus fasste an seinen Helm und schon strömte ein silbernes Licht von ihm aus, das einen Tunnel erhellte, in dem Steine lagen. Weiter drangen sie vor und der sich langsam verjüngende Gang führte sie leicht hinab. An einer Kreuzung, von der drei Tunnel hinwegführten, horchte Halbohr. Er hörte aus dem linken Gang ein leises Knurren. In Erwartung eines Kampfes schlichen sie weiter voran. Hinter einer Ecke war das Knurren nun von allen zu vernehmen. Rasmus riss seine Hellebarde zum Sturmangriff hervor und stürzte um die Ecke. Neire reagierte als erster und folgte ihm. Er beschwor die Kräfte seiner Göttin. Keinen Moment zu spät, denn die drei gewaltigen Wolfskreaturen, die hinter der Ecke lauerten, wurden in eine Wand von malmenden Flammen eingehüllt. Die Höhle, die sie vor sich sahen, war von humanoiden Knochen gefüllt; Moos wuchs an den Wänden. Eine kurze Zeit nur loderte das Licht der Magmaflammen auf. Dann brach ein erbitterter Kampf los, als der Paladin gewaltige Hiebe auf die Kreaturen verteilte. Auch die weiteren Mitstreiter drängten jetzt nach und warfen sich auf die scheußlich anzusehenden Bestien, die die Größe von kleinen Pferden hatten. Der Kampf schien sich schon zugunsten der Gruppe um Rasmus zu wenden, als Halbohr von einem Biss schwer verwundet wurde. Wie zuvor sank er bewusstlos zu Boden. Zudem griff ein weiterer Wolf aus dem Hinterhalt an und versuchte Neire zu Boden zu reißen. Doch Uthriel drängte entschlossen und heldenhaft an seine Seite und stach auf die Beste ein. Mit gemeinsamen Kräften konnten sie auch die letzte Kreatur erschlagen. Über die Leiber der gewaltigen Leichen eröffnete sich ihnen der Blick auf eine Höhle, in der sie die Jungen der Wölfe sahen. Die Welpen drängten sich, von Furcht getrieben, in die Dunkelheit.
Titel: Sitzung 06 - Die Erkundung
Beitrag von: Jenseher am 7.04.2022 | 21:39
Das silberne Licht von Rasmus Helm drang durch die Höhle und zeigte die gewaltigen Körper von vier erschlagenen Kreaturen. Die Leiber der Kreaturen waren einst prachtvolle, furchteinflößende Tiere gewesen. Jetzt waren die Knochen zerschmettert und drei der vier toten Tiere zeigten starke Spuren von Verbrennungen. Für einen kurzen Moment kehrte Stille ein. Neben dem schweren Atmen des verletzten Paladins – er hatte eine große Bisswunde in der Seite davongetragen – war ein wehleidiges Wimmern aus der sich verengenden Höhle zu hören. In diese Richtung stahl sich Neire davon. Er sah die vier Welpen, die sich, getrieben von Furcht, in eine Ecke der Höhle kauerten. Als er die Jungtiere bereits fast erreicht hatte, hörte er ein Husten hinter sich und drehte sich um. Hinter ihm konnte er die Gestalt der Dunkelelfin Rowa erkennen, die über den elfischen Söldner Halbohr gebeugt hatte und ihm einen Heiltrank einflößte. Sie hatte ihren Kampfstab zur Seite gelegt und Neire konnte ihre blauen Augen im silbernen Licht aufblitzen sehen. Halbohr kam in diesem Moment wieder zum Bewusstsein, doch er sah übel zugerichtet aus. Sein schwarzer Filzmantel war mittlerweile zerrissen und offenbarte zwei Wunden; eine an seinem Hals und eine an seinem Oberschenkel.

Neire drehte sich jetzt wieder um und musterte die Welpen. Sie hatten bereits eine stattliche Größe von etwa einem Fuß der Länge nach. Sie waren niedlich anzusehen, wie kleine Fellbälle von einer silber-grauen Farbe. Doch anstelle von Mitleid beschlich Neire ein Gefühl von Abneigung. Sie versuchen mich zu umgarnen mit ihren treuen, furchterfüllten Augen. Doch nicht für einen Tag wären sie überlebensfähig in dieser Welt. Ich habe mich durchgekämpft, ich war stärker, keine Eltern hatte ich, die sich um mich sorgen. Trotzdem habe ich alleine überlebt. Er dachte an das reinigende Feuer seiner Göttin. Ja, er würde sie opfern. So versunken war Neire in Gedankten, dass er nicht bemerkt hatte, wie Loec sich ihm von hinten genähert hatte. Der Waldelf trug seinen Speer mit der silbernen Spitze. Grünliche Augen blickten Neire ernst an. „Loec, …, wenn wir sie nicht töten werden sie durch die Höhle hinfort laufen und Feinde auf unsere Anwesenheit aufmerksam machen.“ Neire strich sich die noch immer nassen Locken aus seinem Gesicht zurück und wies in die Richtung des Ausganges. Loec packte seinen Speer entschlossen und nickte grimmig. „Ihr habt recht, lasst uns sie von ihrem Schicksal erlösen.“ Er begann den Speer bereits nach vorne zu stoßen und durchbohrte eine der Kreaturen. Seltsamerweise winselten die anderen jetzt umso mehr. Neire konnte die Angst in ihren weit aufgerissenen Augen sehen. Jetzt kochte Wut in Neire auf und er packte eines der Wesen am Nackenfell. Das Wolfsjunge wehrte sich nicht, doch Neire war erstaunt wie schwer die Kreatur schon war. In der Zeit hatte Loec bereits die zweite Kreatur durchbohrt und schwang den Speer in Richtung der Dritten. Neire wendete sich ab und trug das Wolfsjunge hinfort. Er musste Knochen zusammensammeln um ein Feuer zu machen.

„Seht ihr denn nicht, Rasmus, er ist verwundet.“ Rasmus, der sich gerade seine Seite verbunden hatte, schaute auf und sah wie Rowa auf die Wunden von Halbohr deutet. Wieso ist sie auf einmal so führsorglich? Sie denkt doch sonst nur an sich selbst. Er verwarf den Gedanken, bevor er Schlimmeres mit ihm anrichten konnte und richtete sich auf. Als er sich zu Halbohr herabbeugte kam ihm eine Welle von Gestank entgegen. Der elfische Söldner hatte sich anscheinend eine längere Zeit nicht mehr gewaschen. Rasmus blickte die Wunden an und sah, dass dort noch immer Wolfsgeifer klebte. Tief waren die Risse im Fleisch. Er nickte Halbohr zu, blickte ihm ernst in die Augen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. So hatte er es immer bei verwundeten Kameraden gemacht. Doch war Halbohr wert das Artefakt zu opfern? Er hat noch nicht das Gegenteil bewiesen und tapfer gekämpft. Rasmus erinnerte sich an den Kampf zurück. Wie Halbohr ihm zur Seite geeilt war. Vielleicht hatte er ihm das Leben gerettet durch seinen heldenhaften Vorstoß. Er löste unter Schmerzen den großen Rucksack von seinen Schultern; die Stahlplatten seines Panzers schnitten ihm in seine Wunde. Trotzdem lächelte er Halbohr jetzt an. „Nun, lasst mich einmal schauen was ich für euch habe.“ Er griff zu einer kleinen Viole aus dickem Glas. Als er sie hervorholte, schimmerte die enthaltene Flüssigkeit in einem magischen, hell-blauen Licht. „Trinkt dies Halbohr. Es ist pures Leben.“ Er entkorkte die Viole und gab sie Halbohr, der ihn misstrauisch anblickte. Irgendwie amüsierte ihn diese Reaktion. „Trinkt, Halbohr und ihr werdet schon sehen.“ Er sah zu wie der zerlumpte elfische Söldner den unbezahlbaren Nektar des Lebens undankbar hinabstürzte. Tief in seinem Inneren sagte ihm eine Stimme, dass er dennoch das Richtige getan hatte. Was würde die Zukunft wohl bringen?

Neire blickte in die auflodernden Flammen. Er hatte mit einem Knie den Hals des Wolfjungen fixiert und hastig Knochenstücke zusammengesucht. Das Feuer aus den trockenen Knochen brannte höher und höher. Als er sein Knie löste, sah er, dass das Jungtier, der Besinnungslosigkeit nahe, nach Luft schnappte. Er erhob sich und begann den Choral anzustimmen:

„Das Feuer rauscht mit Ihrer Stimme, die Schatten bergen Ihre Weisheit.“

Er wiederholte die Worte wieder und wieder. Die Flammen brannten jetzt höher und spiegelten sich in seinen Augen. Er packte das Tier mit seiner linken Hand am Nacken und war mit den Gedanken bei seiner Göttin. Er blickte hinauf und sah die Schatten an den Wänden der Höhle tanzen. Langsam kehrte das Leben in die kleine Kreatur zurück; er spürte wie sie zu zappeln begann. War das Opfer genug für seine Göttin? Es war ein Leben, eine Seele, die er ihr darreichte. Er begann eine Oktave höher zu singen, mit seiner schönsten Stimme, als er die Kreatur in die Flammen führte. Er spürte die Hitze der Flammen auf seiner Haut, den sengenden Schmerz. Nicht ließ er locker, als das Wesen begann zu schreien, nicht ließ er locker, als es anfing zu zappeln. Der junge Wolf schnappte, doch von Flammen geblendet, ins Leere. Plötzlich begann der Bauch der Gestalt aufzuplatzen und Blut sprudelte hervor. Das Blut wiederum begann wie Öl zu brennen und lief glühend den Arm von Neire hinab. Als es auf seinen Ring traf, fing dieser an zu rötlich zu funkeln. Wie glitzerndes Quecksilber verflossen die Runen zu neuen Formen, als sich eine weitere Rune bildete. Neire sah die Runen deren Bedeutung er nur erahnen konnte. War es die Rune des untertänigen Dieners?

Danach hatte sich Neire zur Meditation zurückgezogen und das Feuer brennen lassen. Er hatte undeutlich gehört, wie Rowa sich mit Halbohr unterhalten hatte. Es hatte sich so angehört, als wäre der elfische Söldner der Konversation nicht besonders zugetan gewesen. Die Dunkelelfin hatte ihn anscheinend auf seine Nahtoderfahrung angesprochen; was er gesehen hätte. Halbohr hatte mit „Ich habe nur Schwärze gesehen“ geantwortet. Auf die Frage hin, an was er glaubte, hatte Halbohr mit „Ich glaube nur an mich selber“ geantwortet. Auf weitere Fragen nach seiner Herkunft war Halbohr gereizt ausgewichen. Schließlich hatte sich die Dunkelelfin abgewendet und Halbohr in ihrer Sprache verflucht. Anscheinend konnte Halbohr Dunkelelfisch nicht verstehen, dachte Neire, der jetzt seine Medition beendet hatte. Das hätte sich Halbohr nicht bieten lassen. Oder war sein Mitstreiter doch schwächer, als er allen anderen vorgaukelte? Neire sah, dass Rowa auf ihn zukam. Ihr Gesicht war für eine Dunkelelfin ungewöhnlich hässlich, gar plump. Sie nickte Neire zu, als sie über die Glut des jetzt ausgehenden Feuers hinwegschritt. „Neire, seid ihr auserwählt?“ Neire wunderte sich über die plötzliche Freundlichkeit, als sie ihm ihren Weinschlauch reichte. „Was meint ihr, auserwählt? Auserwählt von meiner Göttin?“ Er dachte wieder zurück an seine Aufgabe, daran, dass er seine wahren Ziele verbergen musste. „Ja, seid ihr auserwählt von eurer Göttin?“ Neire dachte an Jiarlirae, an die Flammen, an die Schatten. „Ich diene meiner Göttin Heria Maki. Sie ist das reinigende Feuer. Sie kennt kein Gesetz. Nur die zehrenden Flammen.“ Er ließ den Teil mit den Schatten absichtlich hinfort. Als er einen zweiten Schluck aus dem Weinschlauch nahm, lächelte Rowa ihn an. „Auch wenn unsere Göttinnen sich vielleicht nicht ganz verstehen und ich glaube, dass ihr nicht die ganze Wahrheit sprecht, so sollten wir uns dennoch verbünden.“

Sie waren wieder in den Regen aufgebrochen. Halbohr hatte den Höhlenkomplex abgesucht, doch die Tunnel mündeten alle in Sackgassen. Als Halbohr und Neire einen kurzen Moment alleine waren, hatte ihn Neire auf den Fluch der Dunkelelfin angesprochen. Halbohr hatte tatsächlich nicht die Sprache der Dunkelelfin verstanden und jetzt flammte sein Hass auf. Als sie wieder zusammentrafen, hatte Rasmus gesagt, dass sie weitersuchen mussten, dass hier irgendwas schlummern würde. Dass er eine dunkle, böse Präsenz spürte, die über diesem unseligen Orten lag. Als ob seine Worte ein Omen waren, für das, was ihnen widerfahren sollte. Der Regen prasselte ununterbrochen auf sie hinab, als sie weiter um den Felsen schlichen. Rasmus und Loec waren vorangegangen. Sie waren an einem weiteren Tunnel vorbeigekommen, der in den Stein führte. Doch keine Zeit hatten sie gehabt für weitere Untersuchungen. Rasmus war um eine Biegung in die Dunkelheit gestürmt. Als sie dem Paladin folgten sahen sie ein grausames Bild. Zwischen umgestürzten Bäumen, kleinen Felsen und Pfützen näherten sich ihnen dutzende von Skeletten. Behangen mit den Resten von bronzenen Rüstungsteilen sahen sie verschiedene Gruppen von Kreaturen durch die Dunkelheit auf sie zukommen. Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Skeletten hatte Rasmus anvisiert, der seine silberne Hellebarde zum Kampf erhob. Doch Neire reagierte schneller. Mit Worten göttlicher Macht beschwor er eine Kugel aus Magma-artigem Feuer, die inmitten der Skelette explodierte. Knochen wurden zerfetzt und glühende Rüstungsteile flogen durch die Luft. Nur noch eines der Skelette kroch weiter auf Rasmus zu. Doch weitere eilten aus der Dunkelheit nach. Ein unerbittlicher Kampf entbrannte. Die Streiter wussten, dass die Kreaturen nicht aufgeben würden. Sie waren willenlos und geiferten nach dem Leben, vielleicht nach dem freien Willen selbst. Eines der Skelette hatte die Form eines Tieres und war zu Lebzeiten wohl eine große Raubkatze gewesen. Es stürmte auf Loec zu, der sich der Kreatur mutig stellte. Doch Hieb um Hieb wurde er von den Klauen verwundet, sein Bein wurde schließlich fast zerfetzt, so dass er sich nicht mehr fortbewegen konnte. Das Blatt schien sich gegen die lebenden Streiter zu wenden, bis Rasmus heilige Bannkräfte mit Hilfe seiner Hellebarde beschwor. Fast ein Dutzend weitere Kreaturen brachen plötzlich in Knochenhaufen zusammen. Aus den Händen von Rowa schossen Blitze hervor, die einige Kreaturen niedermachten. Gemeinsam eilten Halbohr und Rasmus Loec zu Hilfe und brachten die große Gestalt des tierischen Skelettes zu Fall. Überrascht von der Heftigkeit des Kampfes blickten sich die Helden im zwielichtigen Regen um. Für den Augenblick waren keine weiteren Gestalten zu sehen.
Titel: Sitzung 07 - Das Grab
Beitrag von: Jenseher am 11.04.2022 | 00:01
Unentwegt prasselte der Regen hinab. Das Tal war in Zwielicht gehüllt. Der Fels ragte dunkel und drohend in die Höhe. Nachdem das letzte der Skelette gefallen war, kehrte Ruhe ein. Nur das schmerzhafte Stöhnen von Loec war zu hören. Das Bein des Waldelfen blutete stark und war anscheinend gebrochen. Neire sah, wie Rasmus auf Loec zuging und sich um sein Bein kümmerte. Neire selbst ließ sich auf ein Knie herniedersinken, wobei er dieses auf einem knöchernen Schädel platzierte. Er keuchte noch immer von der Anstrengung des Kampfes und betrachtete jetzt seine Wunden. An zwei Stellen hatten ihm die bronzenen Speere der Skelette tiefe Schnitte zugefügt. Rotes Blut rann über seinen linken vernarbten Arm, mit dem er versucht hatte die Speere zur Seite zu stoßen. Er blickte sich um und sah unweit von ihm Halbohr. Der elfische Söldner hatte sich ebenfalls niedergekniet und wischte sich das regenasse Haar aus dem Gesicht. Halbohr war in diesem Kampf unverwundet geblieben, doch sein Filzmantel war verdreckt und zerrissen. Als Neire in das Wasser der Pfütze unter ihm griff, sah er für einen kurzen Moment in sein Spiegelbild. Er hatte durch die Strapazen der letzten Tage Gewicht verloren. Seine hohen Wangenknochen traten dadurch noch markanter hervor. Seine weiße Haut schimmerte matt. Ab und an löste sich ein Tropfen von seinen gold-blonden gelockten Haaren, die ihm nass bis auf die Schultern herabhingen. Einen kurzen Moment war er wie in eine Trance versunken, doch die donnernde Stimme des Ritters schallte nun durch den Regen. „Bewacht den Platz, es kommen vielleicht noch weitere dieser Kreaturen.“ Neire sah, wie Rasmus Loec stützend in Richtung des Felsen führte. Er richtete sich auf und bewegte sich langsam auf Halbohr zu, der noch immer im Morast niedergekniet war. „Halbohr, was sollen wir tun?“ Neire flüsterte die Worte in Richtung seines Mitstreiters. In diesem Moment hörten sie beide die Stimme von Rowa. „Folgt mir, beide! Wir werden den Rest des Felsen abgehen.“ Die Dunkelelfin war in dunkle, nasse Gewänder gekleidet und blickte sie jetzt grimmig an. „Wollt ihr euch von ihr herumkommandieren lassen?“ Flüsterte Neire in Richtung von Halbohr und tatsächlich nahm sich der elfische Söldner seiner Worte an. „Nein, wir werden die kleine Höhle absuchen, an der wir vorbeigekommen sind“, sagte Halbohr. Sie beide sahen wie Rowa nickte und in Richtung des Felsen verschwand.

Neire und Halbohr machten sich sogleich in Richtung der kleinen Öffnung auf, an der sie zuvor vorbeigekommen waren. Als sie um eine Ecke des Felsen kamen und die Sichtlinie zu ihren Mitstreitern verloren hatten, begann Neire Gebete zu murmeln. Er beschwor die Macht seiner Göttin und strich sich über die Wunden, die sich sogleich zu schließen begannen. Als er den zweiten Heilzauber wirkte, spürte er jedoch, wie die zweite Wunde anfing zu schmerzen. Schwarzer Teer quoll aus der Wunde hervor und tropfte in eine Pfütze, wo er zu brennen begann. Neire starrte gebannt in die Flammen und biss die Zähne zusammen als die Schmerzen durch seinen linken Arm schossen. Er bemerkte nicht, ob nur er oder auch Halbohr die Flammen sehen konnte. In den Flammen erschien plötzlich ein blaues und dann ein schwarzes Auge und betrachtete ihn. Er hielt den Atem an und starrte in das Feuer. In alten Schriften hatte Neire schon einmal von Dämonen mit verschiedenfarbigen Augen gehört. Schließlich brannten die Flammen hernieder und der Schmerz in seinem Arm ließ nach. Die Wunden hatten sich verschlossen. Neire blickte sich um und fragte sich ob nur er diese Dinge hatte sehen können. War es eine Illusion? Vielleicht eine Vision? Er bückte sich zu der kleinen Pfütze und tastete nach dem Wasser. Er spürte, dass das Wasser noch kochend heiß war.

Sie waren durch die Öffnung im Felsen gestiegen und einen kleinen Abhang in die Dunkelheit hinab gerutscht. Als ihre Augen die Dunkelheit durchdrangen, sahen Neire und Halbohr die Höhle kuppelartig über ihnen aufragen. Ihr Atem kondensierte und die Luft schien von tausenden kleiner Sporen erfüllt zu sein, die sich im Luftstrom wiegten. Die gesamten Wände der Höhle waren von einem nass schimmernden Schleimpilz bedeckt, der einen modrigen Geruch verbreitete. Nach kurzer Beratung entschied sich Halbohr die Höhle abzusuchen. Mit seinem Dolch fuhr er durch den Schleim. Er hörte das Kratzen von Metall auf Stein – hinter dem Schleimpilz befand sich Fels. So ging Halbohr die Höhle ab, bis sein Dolch plötzlich ins Leere stieß. „Neire kommt her, ich habe etwas gefunden.“ Die Stimme von Halbohr drang flüsternd durch die Höhle. Neire trat näher heran und sah, wie Halbohr den Schleimpilz wie lebendiges Gewebe zerteilte. Es war als würde der Pilz zucken, als würde er Schmerz empfinden. Durch das Loch sahen die beiden einen dunklen, dünnen Gang im schwarzen Stein aufragen. Er endete an einer Wand aus Ziegelsteinen. „Seht ihr das? Der Gang scheint zugemauert“, sagte Halbohr. Neire hatte seinen Degen gezogen, blickte sich hastig um und versuchte Gedanken zu fassen. War der Tunnel von innen zugemauert worden, um Eindringlinge abzuhalten oder war er gar von außen verschlossen worden? „Ich werde die anderen holen, Neire, ihr wartet hier bis ich zurückkehre.“ Neire, aus seinen Gedanken gerissen, schaute sich unsicher um, nickte allerdings, da er sah, dass der Pilz langsam wieder zuwuchs. Er glaubte nicht, dass von innen Gefahr drohte. Außerdem fühlte er sich in dieser Höhle sicherer. Er nickte Halbohr zu und antwortete: „Geht, aber lasst mich nicht zu lange hier warten.“

Halbohr war den Spuren im Morast gefolgt. In der Felsnische hatte er ihre ungleichen Mitstreiter nicht mehr gesehen. Dort hatte er nur noch die Spuren von Blut entdeckt. So war er weiter um den Felsen geschritten und hatte schließlich durch den Regen gedämpfte Stimmen gehört. Als er um eine Felsnadel gekommen war, hatte er sie gesehen. Gerade hatte Rasmus, gekleidet in einen Plattenpanzer aus silbern schimmerndem Metall, mit seiner Hellebarde auf den Felsen gezeigt. Loec hatte sich gestützt auf einen Ast, sein Bein war bereits bandagiert. Rowa hatte ihn unfreundlich gemustert. Sie hatten ihn begrüßt und so war es für ihn auch zu ersehen gewesen: Große doppelflügelige Türen aus Bronze, halb versunken in der morastigen Erde und durch ein großes Loch freigelegt. Eine Zeit lang hatten sie gemeinsam versucht die Schrift zu entschlüsseln, die auf die Türen eingelassen war. Doch schließlich hatten sie sich von Halbohr überreden lassen in der Höhle mit dem Schleimpilz zu rasten. Jetzt waren sie gerade zurückgekehrt, vollkommen durchnässt vom Regen. Neire sah das silbern-blaue Licht von Rasmus‘ Rüstung ausgehen, als der Paladin den Abhang hinabrutschte. Er hörte die Stimme des Ritters zu ihm sprechen: „Neire, könnt ihr alte Sprachen entziffern? Von meinen ach so gelehrten Mitstreitern ist leider keiner fähig, das zu tun.“ Neire, lächelte und verneinte. So begannen sie alle ihre Winterdecken auf dem unebenen Boden auszubreiten. Loec trank an diesem Abend aus seinem Weinschlauch, wahrscheinlich um den Schmerz des gebrochenen Beines zu vergessen. Auch Rasmus holte seinen Weinschlauch hervor, nahm einen großen Schluck und lud Neire ein. Neire verneinte auch diesmal nicht und nahm dankend ein paar Schlücke. Er sah, dass Rowa in einem Buch las und begann eine Geschichte zu erzählen, die er einst gelesen hatte. Sie handelte von fernen Reichen, die im Stein und in den hohen Wipfeln uralter Eschen errichtet wurden. Von Königen, Kriegern und Prinzessinnen. Vom Aufstieg und vom Fall der Sippen. Von Reichtum und von Verrat. Die Geschichten schienen Loec und Rasmus aufzuheitern. Rasmus lallte bereits stark, als Neire seine Erzählung beendete. Schließlich bot Rasmus an die erste Wache zu übernehmen, was niemand ablehnte. So begaben sie sich alle in ihre Winterdecken und lauschten dem Prasseln des Regens, dessen Geräusch in die Höhle drang. Neire und Halbohr sahen aus den Augenwinkeln wie Rowa instinktiv etwas an ihrem Gürtel prüfte. War es ein Säckchen? Es sah so aus, als wollte die Dunkelelfin die Anwesenheit des Gegenstandes bestätigen.

Nun schienen alle bis auf Rasmus zu schlafen. Neire hatte auf diesen Moment gewartet. Er sah das silbern-blaue Licht von Rasmus‘ Wacht in die Höhle dringen. Der Paladin hatte sich an den höher gelegenen Eingang der Höhle gesetzt, ohne vom Regen erfasst zu werden. Neire war in Gedanken bereits bei den immerbrennenden Fackeln. Er raffte sich auf und schwelgte in Gedanken. Auch wenn ich das Licht der Fackeln nicht in die Welt hinaustrage, so soll es einmal in jeder Nacht die Welt erhellen. Ja, ich werde für immer ein Kind der Flamme sein. Er nahm drei seiner Fackeln und bohrte sie in Anordnung eines Drecks um ihn herum in den Boden. Bevor er sie entzündete nahm er seine Maske und betrachtete sie eine Zeit lang. Sie stellte die Form einer Feuerschlange dar und war mit Gold und Juwelen verziert. Es überkam ihn eine tiefe Traurigkeit als er sich an sie zurückerinnerte. An seine Freunde, die oftmals auch seine Feinde gewesen waren. Wie sie gemeinsam ihre Masken hergestellt hatten. Ja, die Maske des großen Balles hatten sie in die ewige Glut hinabgeworfen, doch seine erste Maske besaß er immer noch. Er zog die Maske auf und entzündete die Fackeln. Seine Stimme zischelte die Runen in der alten Sprache von Nebelheim. Er streifte seinen karmesinroten Kapuzenmantel mit den goldenen Runen ab, entledigte sich seiner Lederkleidung und seines Kettenhemdes. Sein drahtiger Oberkörper kam zum Vorschein, seine Haut war milchig weiß und makellos. Sein linker Arm war jedoch bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und von dickem, dunklem Narbengewebe bedeckt. Im Licht der Fackeln schimmerten die drei Herzsteine, rote Rubine, die mit dem Fleisch seiner Schultern verwachsen waren. Er begann die alten Verse anzustimmen, die ihn die Platinernen Priester gelehrt hatten.

Sie hatten sich aufbruchbereit gemacht. Alle hatten getrunken und gespeist. In Loec war etwas Leben zurückgekehrt. Halbohr hatte Rasmus, Loec und Rowa die geheime Türe im Schleim gezeigt. Daraufhin hatten sie sich entschieden die Ziegelwand einzureißen oder vielmehr diese bis zu einem betretbaren Loch zu öffnen. Halbohr stand vorne und benutze seinen Dolch um einzelne Ziegel zu lösen. Es dauerte einige Zeit bis er eine Öffnung geschaffen hatte, die breit genug war um hindurch zu steigen. Aus dem Inneren drang vermoderte Luft heraus. Keine Geräusche waren zu hören. Als Rasmus das Licht löschte, stieg Halbohr durch den Eingang und erkundete den dort hinter liegenden Raum. Dieser Raum, der durch einen Vorhang verdeckt wurde, stellte sich als königlich eingerichtete Gruft heraus. Von Fresken verzierte Wände waren zu erkennen. Alte Relikte, wie kostbare bronzene Speere und Schilde ragten über den Fresken auf. In der Mitte der Gruft stand ein gewaltiger, golden-verzierter Streitwagen, der einen Sarkophag trug. Zwei steinerne Gänge führten aus dem Grab in die Dunkelheit. Nachdem Halbohr das Signal gegeben hatte, folgte einer nach dem anderen Halbohr in das Grabmal. Zuletzt waren Rowa und Neire übrig. Bevor Rowa durch die Öffnung stieg, fragte Neire: „Rowa, was erwartet uns? Werden wir überleben?“ „Wir werden überleben, doch einen Teil unserer Seele werden wir der Spinnengöttin opfern“, erwiderte Rowa lächelnd. So drangen sie alle in das Grab ein. Neire betrachtete die Schilde und es kam ihm eine alte Legende in den Sinn. Die Sage sprach von Krajan, einem Kriegsherrn und tyrannischem Herrscher, der einem Kult angehörte und ein Reich des Terrors schaffen wollte. Nachdem sie den Wagen geplündert hatten, offenbarte eine Suche eine anliegende Nebengruft. Wände und Decke waren von tiefroter Farbe; Muster von grünen Ranken waren an den Wänden angedeutet. Zwei verschlossene Sarkophage standen einer Grabnische gegenüber, in der eine mumifizierte, hübsche Frau zu sehen war. Halbohr begann die Särge zu untersuchen, konnte aber keine Falle feststellen. So öffneten sie die Särge und fanden in einem ein Skelett und im anderen einen Schädel. Nach einer weiteren Beratung beschlossen sie den Schädel an den Rumpf des Skelettes zu legen. In angespannter Erwartung betrachteten sie den Leichnam. Nichts passierte. Doch plötzlich begann sich die Gestalt zu bewegen. Leben war in sie zurückgekehrt. Ein Kampf entbrannte als die Gestalt sich erhob. Gemeinsam konnte die Gestalt niedergestreckt werden und verbrannte sogleich zu Asche. Neire begann die Überreste in eine Viole abzufüllen, als Halbohr sich der Mumie der Frau näherte und nach dem Dolch griff, den sie in ihrer Hand hielt. In diesem Moment explodierte die Gestalt zu Asche, die sich in Windeseile im ganzen Raum zu verbreiten begann. Die Helden hielten die Luft an und hasteten davon. Sie versuchten der Wolke von Asche zu entkommen.
Titel: Sitzung 08 - Das Grab II.
Beitrag von: Jenseher am 14.04.2022 | 22:28
Dunkelheit – weißer Staub – flackerndes silbernes Licht. Für einen kurzes Moment wurde die Grabkammer in einen Reigen von Chaos getaucht. Die in einer Grabnische sitzende Gestalt der mumifizierten schönen Frau war in einer Aschewolke explodiert, als Halbohr unvorsichtig und gierig nach dem Dolch gegriffen hatte. Jetzt rollte die Aschewolke über die Kammer hinweg. Die Gefährten hielten die Luft an und versuchten sich in Richtung des größeren Grabes mit dem Streitwagen zu retten, doch weiße Asche und Staub drang durch Nasen und Augen in ihre Körper ein. Für einen kurzen Moment stützte sich Neire auf dem Sarkophag ab, den sie kurz zuvor geöffnet hatten. Er röchelte und versuchte zu husten. Fast automatisch kamen ihm die alten Verse in den Sinn, die er mit den Platinernen Priestern gebetet hatte. Er begann so gut es ging zu murmeln. „…die schwarze Natter, … ihren unsterblichen Namen, trinkt euch in die schattige immerwährende Nacht, tanzt im Glanz der schwinden Feuer, tanzt, denn die Zeiten des Kampfes sind vorüber…“ Seine Stimme wurde immer wieder durch Hustenanfälle unterbrochen. Schemenhaft sah er, dass Loec und Rowa an ihm vorbeihumpelten und sich kaum auf den Füßen halten konnten. Instinktiv richtete er sich auf, blickte sich um und folgte ihnen. An der Grabnische, wo einst die mumifizierte Gestalt der Frau zu sehen gewesen war, sah Neire Halbohr. Der elfische Söldner hatte die Augen weit aufgerissen. Halbohrs Kopf, der auf einem muskulösen Nacken saß, bewegte sich unruhig. Sein fettiges, schulterlanges silbernes Haar wurde dabei wild hin und hergeworfen. Neire sah, wie Halbohr in Richtung des Königsgrabes stolperte. Sein Gesicht blickte grimmig drein und die Narbe, die bis zu seinem fehlenden Ohr reichte, war prominent zu erkennen. Halbohr und Neire bemerkten, dass auch Rasmus an ihnen vorbeigeeilt war. Das silberne Licht, das von seiner strahlenden Plattenrüstung ausging, brach sich im Nebel der Asche und erhellte den vor ihnen liegenden Raum. Als beide Streiter sich ihren drei neuen Gefährten anschlossen, erkannten sie, dass sich ihre Umgebung geändert hatte. Die Wände des Ganges zum Grab waren jetzt weißlich getüncht und auf ihnen Szenen einer Wandmalerei zu erkennen, die eine Schlacht darstellte. Auf dem Boden hatte sich weißlicher Nebel verteilt durch den sie jetzt wateten. Plötzlich hörten sie die Geräusche von Wind und von Schlachtenlärm. Eine warme Brise von rußigem Brandgeruch kam ihnen entgegen und unter das silberne Licht mischte sich das Flackern eines Feuers. Halbohr wandte sich zu Neire um, der etwas zurückfiel und weiter vor sich hinmurmelte. Er sah, dass sein junger Begleiter bleich geworden war. Die gold-blonden Locken Neires schulterlangen Haares waren getrocknet und umspielten sein Gesicht. Es lag irgendetwas verträumtes in Neires sternenblau schimmernden Augen. Dann sah Halbohr die langen Eckzähne, die sich in Neires Mund gebildet hatten. In diesem Moment lächelte Neire ihn an. Halbohr wollte gerade etwas sagen, da wurde er von einem Geräusch unterbrochen. Neire und Halbohr traten in das Königsgrab und starrten gebannt auf die sich ihnen öffnende Szenerie: Unter dem archaischen Streitwagen und den bronzenen Pferden brannte ein Feuer; Dampf stieg aus den Nüstern der Tiere und ihre Augen glühten in der Dunkelheit. Auf dem Streitwagen stand eine zwei Schritt große Gestalt, in eine schwarze prachtvolle Rüstung gekleidet, mit bernsteinfarbenen Augen und von weißlicher, fast blasser Haut. Vor dem Krieger kniete eine schöne Frau, mit wallendem Haar. Der Krieger starrte sie an und fing an in einer alten, fremden Sprache zu sprechen. Neire konnte keines der Worte verstehen und dachte nach. Er hatte in alten Geschichten von Krajan, dem Gnadenlosen, dem Schatten, dem Fürst des Blutes gehört. Eine legendäre Gestalt eines Kriegerherrschers, der die Lande mit blutigen Schlachten überzogen hatte. Er sollte eine schwarze, nass-rötlich schimmernde Rüstung getragen haben; an dieses Detail konnte sich Neire erinnern. Die alten Schriften hatten von einer großen Gefahr berichtet, die von ihm ausgegangen war. Vielleicht die größte Gefahr, die diesem Teil der Oberwelt widerfahren war. Schließlich waren die vereinigten Heere von Menschen und Elfen siegreich gewesen. Das heutige Fürstentum Leuvengard war 300 Jahre später auf dem Gebiet dieser historischen Ereignisse entstanden, die jetzt etwa 600 Jahre zurücklagen. Neire konnte seine Gedanken nicht fortführen, da die Stimme der alten Sprache, der Schlachtenlärm und die Hitze auf ihn eindrang. Vor Neire und Halbohr sprachen Loec und Rowa die Worte des Kriegers nach, als ob sie in seinen Bann verfallen wären. Der Krieger zögerte nicht lange und packte den Kopf der Frau, die ihm ihren nackten, schlanken Hals präsentierte. Als er sie biss, konnten sie seine langen Fangzähne sehen. Er trank ihr Blut, ließ sie leblos fallen und starrte die Helden mit rot-verschmiertem Gesicht an. In diesem Moment erinnerte sich Neire an den Namen Shangrila. Eine niedere Blutgottheit, der vor langer Zeit Kulte verschworen waren. Vom ärmeren Teil der Bevölkerung hatten die Anhänger sogar Rückhalt erhalten, da sie des Öfteren Speisungen für diese durchführten. Doch es war keine Zeit mehr für weitere Gedanken. Die Gestalt des Kriegers fing an zu schreien und sprang von dem Streitwagen hinab auf sie zu. Die Dinge überschlugen sich jetzt. Halbohr hatte seine Dolche in beiden Händen erhoben und wich ein paar Schritte zurück. Rasmus, Loec und Rowa machten sich kampfbereit. Neire reagierte am schnellsten und begann die Formeln von Feuer und Schatten zu rezitieren. Er beschwor eine Kugel aus glühendem Magma und wabernden Schatten, die er nach vorne warf. Das gleißende Licht einer gewaltigen Explosion erfüllte das Grab und blendete sie alle für einen kurzen Moment. Die Explosionswelle erfasste auch Rasmus, Loec und Rowa. Für einen Augenblick hörten die Helden ein helles Lachen und sahen im verglimmenden Feuer wie die Gestalt des fremden Kriegers sich in weißen Rauch auflöste. Er mischte sich in den weißen Nebel, der mittlerweile kniehoch das gesamte Grab bedeckte.

Neire bewegte sich wie in Trance auf den brennenden Vorhang zu. Er sah nicht, dass seine Welle des Feuers Rasmus stark verwundet hatte. Er bemerkte nicht, dass Rowa bewusstlos zu Boden sank, nahm keine Notiz davon, dass Loecs langes Haar bis auf ein paar Büschel zu Asche verbrannt war. Vor ihm war der dicke Stoff durch die Wucht der Explosion vollständig in Flammen geraten. Neire blickte in ein Meer von Feuer, das sich vor ihm auftat. Er trat so nah heran, dass die Flammen drohten seine Haut zu verzehren. Er zog seinen linken Arm unter seiner Robe hervor und tastete in das Feuer hin. Die Flammen brannten auf dem vernarbten Fleisch und er vernahm den Geruch von verbrannter Haut. Er blickte in die Glut, in die Muster der Flammen. Die Göttin musste ihm ein Zeichen geben, er musste die Runen erkennen. Doch er sah nichts. Bevor die Verzweiflung in ihm aufkam erinnerte er sich an die alten Bräuche. Er stimmte den priesterlichen Choral an, den er schon zuvor am Grab zitiert hatte. Jetzt sang er mit dem Flammen, mit seiner schönsten Stimme. „Und weinet nicht im Antlitz des Todes, weinet nicht im Grauen der Entropie, denn der Lebenszyklus ist das Chaos und alle Dinge sterben. Denn die Dinge sterben, um sich im Licht unserer Göttin aufs Neue zu entzünden.“ Als der Vorhang an einigen Stellen begann einzustürzen, ließ er seine Augen aus der Starre erwachen. Neire blickte auf seine linke Hand und sah zu seinem Grauen, dass diese zu bleichen Knochen verbrannt waren. Er sank auf die Knie, als ihn eine Woge von geistiger Pein heimsuchte. Hatte ihn seine Göttin verlassen?

Halbohr hatte immer wieder in Richtung von Neire geblickt, als sich die anderen um ihre Wunden gekümmert hatten. Wie als ob er Schlafwandeln würde, war der junge Priester, der sich ihm als Kind der Flamme vorgestellt hatte, willentlich in das Feuer des brennenden Umhangs eingetreten. Anscheinend konnten ihm die Flammen nichts anhaben. Halbohr hörte neben dem Knacken von Flammen immer noch das Stürmen von Wind und das Getöse ferner Schlachten. Auch an seinen anderen Mitstreitern sah er hier und dort seltsame Veränderungen, wie hervorgetretene spitze Eckzähne. War denn die Welt um ihn herum im Chaos versunken, konnte er nicht mehr seinen Sinnen trauen? Er betrachtete Neire, den brennenden Wagen und dann Rasmus, Loec und Rowa. Er konzentrierte sich und versuchte durch den Nebel zu schauen, der auf dem Boden lag. Kurz schloss er seine Augen, dachte zurück an jetzt ferne Zeiten und atmete lange und ruhig aus. Als er die Augen öffnete hatte sich nichts geändert. Leise hörte er flüsternde Stimmen in der Dunkelheit. Als er zu Neire blickte sah er, dass der Junge in den Flammen des Vorhangs auf die Knie gesunken war. Sein rot-goldener Mantel schimmerte übernatürlich im Licht der Flammen, seine Augen waren wie glühende Kohlen. Neire hatte seinen linken verbrannten Arm erhoben und betrachtete diesen mit den weit aufgerissenen Augen eines Verrückten.

Schließlich hatte sich Neire aufgerafft und war zu den anderen zurückgekehrt. Er konnte seltsamerweise seine skelettene Hand rühren, als wäre sie noch immer von Muskeln bewegt. Er hatte auch Halbohr verzweifelt gefragt, ob er sähe was mit seiner Hand passiert war. Doch der elfische Söldner hatte ihn nur verwundert angeschaut. Er war der Verzweiflung nahe. Auch die Moral ihrer neuen Begleiter schien gebrochen. Sie ächzten unter den Brandwunden und husteten den vergifteten Staub, der in ihren Lungen brannte. Zudem hatten sie bemerkt, dass der Eingang, durch den sie gekommen waren, wie auf wundersame Weise verschwunden war. Nur Halbohr schien einigermaßen besonnen, doch der elfische Söldner hielt sich zurück, lauschte und betrachtete die Bewegungen des Nebels in die Dunkelheit hinein. Als die Verzweiflung immer größer wurde hatte sich Neire an Rasmus gewandt. Er sprach jetzt mit stark akzentuierter Stimme einer fernen Sprache. Lispelnd fuhr seine gespaltene Zunge über seine Lippe, als er an die starke Führung der Platinernen Priester dachte: „Rasmus, ihr seid doch der Anführer dieser Gruppe. Also führt uns durch dieses Grab.“ Der Paladin blickte Neire für einen Moment unsicher an. Halbohr hielt sich zurück und beobachtete die Szene genau. Erst jetzt wurde ihm das junge Alter von Rasmus bewusst. Der Paladin hatte sich die meiste Zeit hinter einem Helm aus Stahl verborgen, hatte nach außen eine Fassade der Erfahrung und der kriegerischen Überlegenheit getragen. Rasmus richtete sich ächzend, doch überraschend schnell auf. Er nahm seinen Weinschlauch und trank ihn fast in einem Zug leer. Den Rest des Weins reichte er Neire, der ihn dankend annahm. Jetzt schwang seine sonore Stimme überheblich durch das Grab: „Folgt mir Kameraden, wir werden diesen Ort im Sturm erobern. Folgt mir und ich werde euch zum Sieg führen.“ Halbohr zog sich in diesem Moment ein Stück weiter in die Schatten zurück. Er hatte in seinem Leben einige dieser Führer gesehen. Er wusste, dass Rasmus brechen würde, und dann… dann würde seine Stunde kommen.

Tiefer und tiefer waren sie in das Grab eingedrungen. Schließlich waren sie an einer weiteren Gruft angelangt, in deren Mitte sich eine Stele befand. Auf der Stele war eine bronzene Urne platziert. Hier war schließlich die Stimmung gekippt. Rasmus war weiter vorgeeilt, ohne auf Halbohr und Neire zu achten. Neire plagten zudem weitere Zweifel. Er hatte neben dem Wein, den ihm Rasmus angeboten hatte, etwas von dem Grausud aus dem verborgenen Fach seines Degens genommen. Jetzt hörte er die fremden Stimmen umso mehr in der Dunkelheit zischeln. Zudem spürte er Hitzeströmungen, durch die Gänge ziehen. Hitze die an seinem Geist zehrte, die ihn irgendwo hinlocken wollte. So hatten Halbohr und Neire sich zurückfallen lassen und sich kurz beraten. Sie hatten die drei Gefährten in der Gruft gelassen um die Gänge zu erkunden, an denen sie vorbeigeeilt waren. Dabei hatten sie schließlich zwei weitere Kammern gefunden, von denen eine Kammer eine Türe besaß. Nachdem die beiden Rasmus, Loec und Rowa belauscht hatten und nach einem kurzen Streitgespräch mit Loec, hatten sie sich entschlossen in der kleinen Kammer zu rasten. Die große steinerne Türe war von innen verriegelbar und somit recht sicher. Schließlich hatte Neire sich niedergelassen um Kontakt zu seiner Göttin aufzunehmen.

„Ich kann nicht, sie… SIE antwortet nicht. Die Stimmen… sie sind überall.“ Halbohr betrachtete Neire, der sich hustend aus dem Nebel erhob. Die Augen von Neire glitzerten groß und bläulich in der Dunkelheit, als ob er im nächsten Moment zu weinen beginnen würde. Sie hatten die Kammer verschlossen und Neire hatte bereits das zweite Mal versucht zu meditieren. „Es ist als ob sich der Ort verändert hätte. Die Wandmalereien von Ranken und Knospen. Eben habe ich einen warmen Hauch in meinem Nacken gespürt. Als ob jemand dicht hinter mir stehen würde.“ Als Halbohr den Satz beendete drehte er sich tatsächlich um, doch hinter ihm sah er nur die von Spinnenweben bedeckte steinerne Wand. Neire war sich sicher, dass er während der Meditation kurz eingenickt war. Er konnte sich an ein Bild erinnern, dass er gesehen hatte. Eine von Nebel bedeckte Landschaft, aus der die Spitzen von Fichten aufragten. Dann hatte er sie gesehen. Bleich wie Schnee und mit toten Tieren behangen. Langsam hatte sie sich umgedreht. Ein Teil ihres Gesichtes war von einem Totenkopf bedeckt gewesen. War es eine Krone aus Ranken die sie trug? Er erinnerte sich an die blutroten Augen und den Mund – es musste die Blutgöttin gewesen sein. „Ich habe Lyriell gesehen, in meinem Traum.“ Neire entschloss sich Halbohr anzulügen. „Sie war oft in den Eishöhlen der ewigen Dunkelheit. Sie jagte dort die Chin’Shaar.“ Neires Stimme klang traurig als er sprach. „Doch sie hatte stets den Segen der Göttin.“ Halbohr schüttelte den Kopf. „Neire, wir können nicht weiter warten. Rasmus wird sie in die Dunkelheit führen. Was wenn sie dort etwas freilassen. Wir werden hier in der Falle sitzen.“ Neire nickte lächelnd. „Im Raum mit der Urne habe ich ein Banner gesehen. Rowa las die alten Runen vor, die dort zu sehen waren. Es war von einer Blutgöttin die Rede. Sie ist schwach, eine niedere Gottheit… Von Blinden angebetet, die zu den Sternen aufschauen und sie niemals sehen werden. Halbohr, ich muss es weiter versuchen, Jiarlirae wird mir antworten und wir werden nach der Weisheit in Feuer und Schatten greifen.“ Halbohr betrachtete misstrauisch Neire. Er wusste nicht was er von dem jugendlichen Priester des Feuers und der Schatten halten sollte.
Titel: Sitzung 09 - Das Grab III.
Beitrag von: Jenseher am 20.04.2022 | 13:41
Ein weißer kriechender Nebel lag kniehoch über dem steinernen Boden des Grabes. Das kleine runde Gewölbe, in dem Halbohr und Neire ruhten, war in vollkommene Dunkelheit gehüllt. Dennoch durchdrangen die Augen der beiden Streiter mit übernatürlicher Schärfe ihre Umgebung. Sie hatten die steinerne Türe, die den einzigen Eingang darstellte, von innen verschlossen. Um sie herum ragten dunkle, teils glattgeschliffene Wände auf, die Spuren von Bearbeitung im Felsgestein zeigten. Neire erhob sich ächzend aus seinem Kniesitz und dem Nebel. Er spürte seine Lunge brennen und ihm liefen wechselnd kalte und heiße Schauer über den Rücken. Aus der Leere der Gruft hörte er das Rauschen von Wind und von Wasser, das Keuchen von leidenden Gestalten und das Rasseln von Ketten. Noch immer dachte er an das Bild der fremden Frau, das er in seinem Traum gesehen hatte. Neire blickte in Richtung von Halbohr als er seine Stimme erhob. Seine Augen funkelten nachtblau in der Dunkelheit, als ob er den Tränen nahe wäre. „Oh Göttin von Feuer und Dunkelheit, Dame der Acht Schlüssel, Herrscherin über die niederen Reiche, oh Schwertherrscherin.“ Während er sprach, verfiel er immer wieder in einen merkwürdig zischelnden Singsang und sein Gesicht formte ein verrückt wirkendes Lächeln. Halbohr betrachtete Neire genau und stieß verächtlich die Luft aus. Der Söldner mit dem grobschlächtigen Gesicht wirkte jetzt auffallend nervös. Immer wieder drehte er hastig seinen Kopf und offenbarte so die grässliche Narbe des einstigen Schnittes, die sich bis zu seinem fehlenden Ohr zog. Er hatte kurz zuvor an der Türe gelauscht, doch nur Kettengerassel und ein fernes Stöhnen gehört. „Neire, wir können nicht weiter hierbleiben. Rafft euch auf und bewahrt Haltung.“ Halbohr bemerkte, dass seine Worte kaum zum jugendlichen Priester durchdrangen. Der Jüngling hatte gerade seinen von gold-blonden, schulterlangen Locken bedeckten Kopf gesenkt und betrachtete seine linke verbrannte Hand. Nur langsam sah Halbohr wie Neire seinen Kopf hob und lächelnd in seine Richtung blickte. Für einen kurzen Moment bemerkte Halbohr die spitzen Eckzähne, die sich Neires Gesicht geformt hatten, nachdem sie den Leichenstaub der mumifizierten Frau eingeatmet hatten.

„Beim reinigenden Feuer von Heria Maki haltet ein!“ Die Stimme von Neire drang in das Gewölbe vor ihnen, in dem Neire und Halbohr ihre ungleichen Mitstreiter gehört hatten. Sie waren aus ihrem sicheren Zufluchtsort aufgebrochen und hatten die steinerne Türe vorsichtig geöffnet. Zuerst hatten sie nochmals das Königsgrab aufgesucht und nach dem geheimen Eingang Ausschau gehalten, durch den sie den Komplex betreten hatten. Doch dort, wo sie noch vor kurzer Zeit die alten Ziegel aus der Wand gebrochen hatten, befand sich jetzt von Fresken bedeckter massiver Stein. Die Szenen von Schlachten und großen, Blut trinkenden Kreaturen waren zu sehen gewesen. Insbesondere eine Szene, in der ein Granitblock und eine Flamme zu sehen war, war ihnen als Abstiegsort in das Unterreich bekannt gewesen. Neire hatte lange seine knöcherne Hand betrachtet - die nur er sehen konnte - und versucht seinen Geist zu öffnen. Doch den alten Durchgang hatte er nicht erkannt. Ohne dass sie es bemerkten, schien dieser Ort ihnen eine verfluchte, vielleicht längst vergangene Version der Realität vorzugaukeln. So waren sie schließlich zurückgekehrt und standen jetzt vor der Gruft mit dem goldenen Banner und der Urne; wobei letztere auf einer brusthohen Stehle in der Mitte des Raumes aufgebracht war. Noch bevor die Worte von Neire verhallt waren, drehte sich der Ritter, dessen stählerne Rüstung schimmerte und den Raum in bläulich-silbernes Licht warf, um. Rasmus trug seine gewaltige Hellebarde, doch der Paladin schwankte, als er lallend zur Antwort einsetzte: „Ihr… ihr… ihr seid zurückgekehrt um uns beizustehen, um diesen Ort von allem Bösen zu befreien.“ Sein rötlich-verbranntes, aufgequollenes Gesicht begann einen freundlicheren Ausdruck anzunehmen, als er sprach. Neire nickte ihm zu und antwortete. „Wir sind zurückgekehrt um euch zu helfen. Mit dem reinigenden Feuer von Heria Maki. Doch haltet ein; dieser Ort ist verflucht.“ Neires Blick musterte Loec, der gerade im Begriff war den Deckel der Urne zu öffnen. Der Waldelf hatte seinen Speer geschultert und befand sich offensichtlich in einem mitgenommenen Zustand. Sein vorher schulterlanges braunes Haar war jetzt zu Stummeln verbrannt. Halbohr, der in diesem Moment aus den Schatten hervortrat sah, dass Rasmus kurz seine Miene verdunkelte. „Seht ihr nicht was sich in der Urne befindet? Es ist ein Überbleibsel einer bösen Kraft. Es muss vernichtet werden, bevor es sich wieder erheben kann, um weiteren Schaden anzurichten.“ Der Paladin drehte sich in diesem Moment um und gab Loec einen barschen Befehl. Neire versuchte noch zu intervenieren. Er begann eindringlich zu sprechen: „Wir sind gekommen um euch zu helfen, doch nicht…“ Seine Worte kamen zu spät. Halbohr und Neire sahen, wie Loec bereits den Deckel der Urne löste und ein zischendes Geräusch durch das Gewölbe ging. Es war eine Wolke von grünlichem Gas zu erkennen, die sich rasch im Raum verteilte. Die Ereignisse überschlugen sich nun. Sie sahen, dass Rowa und Leoc aus dem Raum torkelten. Beide rieben sich die Augen, aus denen Blut strömte. „Wir sind hier“, sprach Neire in die Dunkelheit, als er sah, dass Rowa und Loec erblindet schienen. Rasmus aber war zurückgeblieben, atmete heldenhaft das Gift und entleerte die Flüssigkeit aus einer Viole in die Urne. Dann kam auch der Ritter torkelnd aus dem Raum hervor. Für Neire und Halbohr sah es einen Moment so aus, als ob sich in einem seiner Augen ein kleiner schwarzer Tentakel gebildet hätte. Zudem wischte sich Rasmus die blutigen Tränen aus dem Gesicht und leckte das Blut von seinem gepanzerten Handschuh, als ob es Honignektar wäre. Auch seine spitzen Eckzähne waren jetzt wieder zu erkennen. Rasmus, Rowa und Loec ließen sich ächzend nieder oder begannen nach einer Wand zu tasten. So verblieb Neire und Halbohr etwas Zeit die Urne zu untersuchen, denn sie hatten bemerkt, dass das grünliche Gas sich schon bald aufgelöst hatte. In der Urne waren neben Asche und menschlichen Überresten, das Glitzern von rötlichen Edelsteinen zu erkennen. Doch Halbohr wollte diese nicht bergen. Zu groß war sein Respekt vor dem Fluch des alten Grabes. So überkam die Neire die Neugier, denn er vermutete Feuersteine in der Urne. Er hielt die Luft an, als er nach den Steinen tastete und brachte tatsächlich drei Walnuss-große, funkelnde Rubine zum Vorschein, die er sogleich in einer seiner Gürteltaschen verschwinden ließ.

Das Leben kam in den Körper des großen Mannes zurück. Es war wie ein elektrisierendes Prickeln, das durch seine Extremitäten ging. Als ob Arme und Beine eingeschlafen wären. Nur langsam begann er - konnte er - seine Muskeln bewegen. Um ihn herum vernahm er modrige Luft; Schimmelpilz und Erde, Grabesfäulnis. Käfer krochen über sein Gesicht. Noch immer hatte er das Bild des Traumes vor sich, das er fieberhaft in allen Facetten wiederholt hatte; das er für eine lange Zeit nicht hatte überwinden können. Wie lange? Wieso jetzt? Waren das Geräusche, vielleicht Stimmen? Er ließ das Bild der knorrigen, zerborstenen Eiche von sich gleiten, wie eine alte, morsche Rinde. Er dachte nicht mehr an das Wurzelportal, durch das er geschritten war. Die Enge raubte ihm die Gedanken; die Enge trieb ihn in Panik, wie ein tollwütiges Tier. Dann hörte er sie wieder: Stimmen. „Hier,… hierher,…, hört mich jemand?“ Sein Gaumen war trocken und er schmeckte Erde auf seiner Zunge. Er begann gegen den Stein zu treten. In die Richtung, wo die Geräusche herkamen. Schließlich gab es ein Knacken und der Stein brach. Er begann sich frei zu graben. Alles ging so beschwerlich, so langsam. Schließlich brachte er sich hervor in das seltsame Licht, das ihn blendete. Merkwürde Gedanken suchten ihn heim. Wiedergeboren aus der Dunkelheit, wiedergeboren aus der Erde, der Fäulnis. Zurückgebracht in das Leben aus dem Grab. Er tastete nach seinem Speer mit dem heiligen Runenband. Als er diesen hervorzog, spürte er das Gefühl von gewohnter Sicherheit, einer alten Vertrautheit. Noch immer blendete ihn das Licht. Dann hörte er die Stimme: „Er lebt. Kommt und schaut. Es ist ein Überlebender.“ Trotz einer sonoren Kraft, war die Trunkenheit in der Stimme nicht zu überhören. Doch der Akzent war merkwürdig. Er war ihm nicht bekannt. „Lasst mich euch vorstellten. Mein Name ist…“ In diesem Moment wurde die tiefe, trunkene Stimme unterbrochen. „Mein Name ist Neire von Nebelheim und das ist Rasmus, Paladin aus Fürstenbad. Mit uns ist Halbohr, der Söldner. Ja, er besitzt wirklich nur noch ein Ohr. Ihr müsst wissen, wir bringen das reinigende Feuer unserer Göttin Heria Maki an diesen Ort, um ihn von niederen Göttern zu befreien.“ Die zweite Stimme klang knabenhaft, mehr nach einem Singsang, fremd und doch wohlklingend-bezaubernd. Ein Zischen, vielmehr ein Lispeln, war nicht zu überhören. Auch hier erkannte er den seltsamen Akzent nicht, der jedoch ein anderer war, als der der trunkenen Stimme. „Göttin, ha. Sprecht, für euch selbst Priester. Ich diene niemand anderem als mir selbst und meinem eisernen Gesetz.“ Die letztere Stimme, war näher und hatte einen elfischen Akzent. Er holte tief Luft, hustete den Staub aus seiner Lunge und ließ das stumpfe Ende des Speeres auf den Boden pochen, als er sprach: „Mein Name ist Gundaruk.“

Sie waren weiter in den Kerker vorgedrungen und hatten hinter einer Türe einen großen Tempelbereich entdeckt, der von Statuen und Schlachtszenen bestimmt war. Zur rechten Seite hatte sich eine Öffnung befunden, die sie in eine Grabeskammer geführt hatte. In der Mitte ragte eine große Felssäule auf und an einer von Fresken verzierten Wand waren Grabesnischen zu sehen gewesen, die von Steinplatten bedeckt waren und Buchstaben einer alten Sprache trugen. Hier hatten sie die Geräusche gehört und gesehen, wie der Überlebende, so hatte Rasmus ihn bezeichnet, aus einer der Grabnischen hervorbrach. Der Fremde schien geblendet zu sein von dem silber-blauen Licht, das von der Rüstung Rasmus’ ausging. So konnten sie ihn ungestört in seiner vollen Größe betrachten. Er überragte mit seiner hünenhaften Gestalt sogar Rasmus um mehr als eine Kopflänge. Der Fremde trug den Fellmantel einer Wildkatze, mitsamt dem verbliebenen Kopf des Luchses, den er sich als Schmuck bis weit über das Gesicht gezogen hatte. Gundaruk, so hatte er sich ihnen vorgestellt, war in eine Kleidung aus abgewetztem, hartem Leder gehüllt, unter der hier und dort der Stahl eines Kettenhemdes hervorblitzte. Er war von Moos, Erde und von schleimigen Resten eines grünlichen Pilzes bedeckt. Als er langsam begann sich an das Licht zu gewöhnen, konnten Neire und Halbohr grünlich aufblitzende Augen sehen, die die Umgebung mit fortgeschrittener Erfahrung musterten. Gundaruk fuhr sich mit der Hand durch den langen Vollbart, entfernte Erde und Schmutz, als Halbohr mit seinen Ausführungen fortsetzte. „Ich, Halbohr, halte mich nämlich an das Gesetz. Verträge sind da, um sie zu schließen und zu erfüllen. So wie mein Vertrag mit Neire. Verträge sichern gemeinsame Kampagnen. Im Krieg, wie im Frieden. Auch wenn hier jeder seine Lebensgeschichte auszuplaudern scheint, sollten wir uns auf das Wesentliche beschränken; wir sollten uns absichern. Auch ihr, Gundaruk, werdet einen solchen Vertrag mit mir schließen müssen, falls ihr überleben wollt.“ Während er sprach hatte Gundaruk die Streiter betrachtet. Den Jüngling mit dem feinen Gesicht und den gold-blonden Locken schien die Rede sichtlich zu stören. Gundaruk sah, wie Neire seine Augen rollte und bei den letzten Worten von Halbohr begann abfällig zu grinsen. Auch die gekreuzten Finger von Neire waren nicht zu übersehen, die er allerdings so zeigte, so dass sie nur er, Gundaruk, sie sehen konnte. Gundaruk ergriff seinen Speer und drängte an Neire vorbei. Er sah, dass der junge Priester in der feinen schwarzen Lederkleidung und dem roten Umhang mit schwarz-goldenen Stickereien seinem massiven Körper auswich. In diesem Moment richtete er seine Stimme an Neire: „Das wird schon werden, Kleiner.“

Als sie das dumpfe Pochen von Gundaruks Speer gehört hatten, den der Fremde gegen eine der Grabesplatten schlug, war die Stimmung wieder gekippt. Was zuvor als ein latentes Grauen, ein Verdrängen der offensichtlichen Veränderungen ihrer Körper und Umgebungen beschrieben werden konnte, war jetzt fortschreitender Verrücktheit und Panik gewichen. Gundaruk hatte bereits eine weitere Grabplatte zerstört, wobei sie dort nur Überreste in Form eines Skelettes gefunden hatten. Neire hatte sich in dieser Zeit um Rasmus gekümmert, dessen Haut seltsam kalt geworden war. Zudem murmelte der Paladin wirre Gedanken und hatte, so schien es, längst seine Beherrschung, wie auch seine Vernunft verloren. Als Rasmus sich umgedreht hatte und fast ein wenig hilflos nach Loec und Rowa rief, war Panik losgebrochen. Die beiden wald- und dunkelelfischen Mitstreiter waren schon seit einiger Zeit verschwunden und es war keinem aufgefallen. Sie waren dann alle in Richtung der Türe aus schwarzem Marmor gestürmt, die sie noch nicht geöffnet hatten. Neire, Halbohr und Gundaruk waren Rasmus gefolgt und sahen gerade wie er das Portal vor ihnen aufstieß. Dahinter offenbarte sich ein Bild von Größe und von Grauen. Sie erblickten eine kuppelförmige Halle, die die majestätischen Ausmaße eines inneren Sanktums hatte. Die Decke des gewaltigen Gewölbes war von schimmernden Sternen bedeckt, die im silbern-blauen Licht Rasmus‘ Rüstung fluoreszierend schimmerten. In der Mitte war ein Altar aus weißem Marmor zu erkennen, der die Schnitzereien von Humanoiden mit Fratzen und Fanzähnen trug. Hier und dort waren auf dem Altar dunkle Spuren erkennen, die eine längst vergangene, unheilige Benutzung erahnen ließen. Von der gegenüberliegenden Seite, wo Rasmus sich jetzt hinbewegte, sahen sie zwei bronzene Türflügel eines gewaltigen Portals. Von diesem Portal hörten sie wimmernde Laute der Furcht und sahen, dass Loec und Rowa dort lagen. Beide hatten sich in eine embryonal-ähnliche Haltung zusammengerollt und hielten sich die Hände über die Ohren. Auch Gundaruk drängte jetzt an Neire vorbei und betrat den Tempel der niederen Blutgöttin. Seinen scharfen halb-elfischen Augen entging nicht ein Schatten einer verborgenen Türe, die auf der linken Seite des Raumes lag. Als er die Position dieser Türe Neire mitteilte, mahnte der Jüngling Verschwiegenheit. Neire gab Gundaruk zu erkennen, dass sie alle den verfluchten Staub eingeatmet hätten, der sie jetzt unberechenbar machte. Gundaruk vermutete, dass nur er und Neire von der Position der Türe wussten. Er schritt vorsichtig weiter in Richtung des Altares. Als er näherkam, wurde er von Visionen heimgesucht. Gundaruk erblickte den alten Wurzelwald, durch den er so oft geschritten war. Doch eine Welle von Blut strömte auf ihn zu und riss alles nieder, drohte ihn zu zermalmen. Es nahm ihm die Luft zum Atmen. So groß wurde die Furcht, dass er in Panik aus dem Tempel herausstürzte und sein Heil in der Flucht suchte. Halbohr und Neire versuchten zwar ihn aufzuhalten, doch der massive Körper Gundaruks drängte vorbei. Nach kurzer Absprache folgte Halbohr Gundaruk, während Neire weiter in der geöffneten Türe stand und Rasmus beobachtete. Der Ritter schien jetzt völlig den Verstand verloren zu haben. Torkelnd und schwankend schritt er um seine beiden Mitstreiter herum und schrie gellend Befehle, das Grab zu stürmen. Als Loec und Rowa keine Reaktion zeigten, begann Rasmus mit seinen Stiefeln nach ihnen zu treten. Diese Szenerie belustigte Neire. Er dachte an die seltsamen Konventionen des oberirdischen Umgangs, die er von Rasmus in den letzten Tagen gelernt hatte. Doch nun schien Rasmus sie alle abgelegt zu haben und gab seinen niederen Instinkten nach. Als der Paladin zuerst Rowa und Loec nach ihren Weinschläuchen durchsuchte, überkam Neire sogar ein Gefühl der Sehnsucht. Er wollte mitmachen, den Wein trinken, vergessen und sich gehenlassen. Er dachte zurück an seine Zeit in Nebelheim, an seine Zeit mit Lyriell. Als Rasmus beide Weinschläuche leergetrunken hatte, konnte sich der Ritter kaum noch auf den Beinen halten. Jetzt waren auch Halbohr und Gundaruk wiedergekommen. Sie sahen die Szenerie und Halbohr begann zuerst Rowa, dann Loec aus dem Raum zu bergen. Als er die beiden Mitstreiter in den Gang geschleift hatte, hörten sie alle einen gurgelnden Kampfschrei durch das Gewölbe hallen. Rasmus hatte sich in eine Angriffshaltung begeben und stürmte schwankend, sich kaum auf den Beinen haltend, in überwältigender Verrücktheit, auf den Altar zu. Er schwang die gewaltige Waffe mit dem stumpfen Ende voran. Als dieses Ende, welches eine silberne Kugel darstellte, auf den Altar prallte, hörten sie ein Krachen, ein Bersten von Stein und Stahl. Neire hatte den Angriff kommen gesehen und dem Wahnsinn in die Augen geblickt. Er duckte sich hinter der schwarzen Steintüre in die Schatten.
Titel: Sitzung 10 - Das Grab IV. - Tod eines Helden
Beitrag von: Jenseher am 25.04.2022 | 22:21
Sie starrten alle gebannt in Richtung des Altars. Für einen kurzen Moment schien alles still zu stehen. Der Ritter Rasmus war in überbordender Trunkenheit auf das Relikt einer alten, längst vergangenen Zeit zugestürmt. Doch es waren nicht die Altäre der Verrücktheit, die sie vor sich sahen. Die Verrücktheit war in ihnen; in jedem einzelnen. Veränderung der Wahrnehmung, Stimmen und Geräusche; kalte und warme Schauer, die ihnen über den Rücken liefen. Ihr Geist war zermartert, doch sie spürten eine innere Vertrautheit, eine Sehnsucht und ein Gefühl von Sicherheit, als sie den weißen Marmor mit den Fresken von Fratzen vor sich sahen. Das silberne Licht Rasmus‘ schimmernder Rüstung fiel in die Leere der großen Halle und wurde doch reflektiert von einem karmesinroten Himmel glitzernder Sterne. Aus der halb geöffneten Türe war die Silhouette der gepanzerten Gestalt zu sehen, die aus einem Meer von weißem Nebel aufragte. Rasmus schwang die gewaltige Waffe mit dem stumpfen Ende voran. Die silbern schimmerte Kugel krachte auf den weißen Marmor, der hier und dort von den Spuren längst vertrockneter Rinnsale dunkel befleckt war. Das Knirschen und Bersten von Metall und Stein war ohrenbetäubend. Neire, der sich bis jetzt hinter dem geöffneten Türflügel versteckt hielt, torkelte zurück und ließ die schwarze Türe los. Sie sahen, wie sich aus dem inneren Sanktum eine Woge von bräunlich-grünlicher Substanz in alle Richtung ausbreitete. Wie ein volatiles Gas strömte es auf sie zu, hatte Rasmus bereits voll erfasst. Die Woge drang in den steinernen Gang und fuhr über sie hinweg wie schäumende Brandung. Dann verlosch der letzte Strahl des silbernen Lichtes. Der schwarze Türflügel war zurückgefallen und Dunkelheit breitete sich aus.

Schreie und Stöhnen waren von Loec und Rowa zu hören. Beide lagen noch dort, wo der elfische Söldner Halbohr sie hin geschleift hatte. Beide hatten sich vor Furcht in eine embryonale Stellung zusammengerollt. Als sich die Augen von Gundaruk, Halbohr und Neire an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen sie, dass Rowa und Loec die Gesichter verzerrten. Sie begannen sich zudem an ihrer Haut zu kratzen, als wollten sie sich diese vom Schädel reißen. Und tatsächlich waren Bewegungen unter ihrer Gesichtshaut zu erkennen. Als ob eine zweite, fremde Mimik die Kontrolle übernommen hätte und scheinbar zufällige Stellen hier und dort wölbte. Loec hatte sich bereits zwei der Brandwunden aufgerissen. Frisches Blut lief zwischen seinem bis auf Stoppeln verbranntem Haar hinab. Gundaruk, Halbohr und Neire hatten die Woge der Substanz des Altares besser überstanden. Dennoch war eine Mischung aus Angst und Verrücktheit besonders bei Neire und Halbohr zu sehen. Der junge Priester der obskuren Feuergöttin starrte immer wieder auf seine linke Hand, murmelte kaum verständliche zischelnde Laute und deutete dann auf die schwarze doppelflügelige Türe. Derweil blickte sich Halbohr panisch um. Schweiß hatte sich auf Gesicht und Hals des elfischen Söldners gebildet. Nur Gundaruk bewahrte eine innere Ruhe, als er sich zu ihren beiden Mitstreitern hinabbeugte. Er zog sich die schwere Fellmütze des Luchskopfes aus dem Gesicht; seine grünlichen Augen funkelten in der Dunkelheit, als er Loec und Rowa begutachtete. Er tastete nach der steingrauen Haut von Rowas Gesicht, seine große Hand begann ihren Kopf vorsichtig zu drehen. Tatsächlich spürte Gundaruk Bewegungen, die nicht von Muskeln stammen konnten. Als ob etwas unter die Haut der Dunkelelfin gefahren war, etwas das jetzt hinaus wollte. „Neire haltet die Türe auf!“ Gundaruk wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Er hatte über die alten Legenden nachgedacht. Über die alten Runensteine, die ihre Geschichten trugen. Geschichten von den Geistern der Unterreiche, die im Venn hinaufstiegen und sich den Körpern der Lebenden bemächtigten. Er erinnerte sich an alte Weisheiten seines Volkes, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Und Gundaruk wusste um den Zustand der Besessenheit, der Besitzergreifung durch das Fremde, aus der großen Tiefe darunter. Er blickte sich um und sah, dass Halbohr bereits die Türe geöffnet hatte und einen seiner Dolche unter dem Flügel verkeilte. „Geht nicht… nicht dort hinein. Es ist das Heiligtum der niederen Blutgöttin, vielleicht seit Jahrhunderten verlassen. Doch von dem Altar droht Gefahr.“ Als Neire seine Worte beendet hatte, sah Gundaruk, dass der Jüngling am ganzen Körper zitterte. Mehrfach griff Neire zu seinem mit Schlangen verzierten Degen, blickte jetzt sogar in seine Richtung. Seine Augen funkelten dabei bläulich in dem silbernen Licht, das wieder durch den geöffneten Türflügel strömte. Als Gundaruk sich erneut Rowa zuwandte, sah er, dass Halbohr bereits begann sich auf den Altar zuzubewegen.

Der elfische Söldner trug zwei Dolche in den Händen, von denen einer aus purem Silber gearbeitet war. Er watete durch den Nebel und lauschte nach Geräuschen, die er in der Halle vernehmen konnte. Hier war wieder ein Schreien zu hören, dort ein Rasseln von Ketten; doch keine Spur von Rasmus. Der Altar, dem er jetzt näherkam, ragte noch immer unbeschädigt aus dem weißlichen Nebel. Halbohr hielt den Atem an und setzte Schritt für Schritt in Richtung des unheiligen Marmors. Plötzlich war es, als ob der Nebel nach ihm greifen wollte; Hände bildeten sich und verflossen wieder. Er hörte ein Strömen und Plätschern. Er bemerkte zu seinem Grauen, dass eine Fontäne aus Blut aus dem Altar hervorschoss. Halbohr begann zu zittern und wollte in den sicheren Tunnel laufen. Doch sah er einen gepanzerten Handschuh auftauchen, der sich auf dem Altar stütze. Rasmus hatte sich den Helm ausgezogen. Trotz der üblen Brandwunden, die ihn entstellten, blickte er Halbohr mit einer tiefen, trunkenen Zuversicht an. Als der Ritter sich langsam erhob, begann das Trugbild des Blutstroms für Halbohr zu schwinden. Doch nicht enden wollte die Tortur von Wahnvorstellungen. Jetzt hörte Halbohr ein Mahlen von Stein. Er dreht sich langsam in die Richtung und sah, dass sich zu seiner linken Seite ein Teil der Wand begann zu bewegen. Es eröffnete sich eine Türe. Dort, wo vorher keine gewesen war. Oder war es doch die Realität? Auch Rasmus schien die Änderung erkannt zu haben und begab sich mit seiner Hellebarde in eine Angriffshaltung. Das Grauen, das Halbohr verspürte nahm nochmals zu, denn er sah am Rande des silbernen Lichts schattenhafte Kreaturen aus der Öffnung strömen. Augenblicklich begann er sich in die Dunkelheit zu kauern. Er tauchte ein in den weißlichen Nebel und drückte sich an den Altar.

„Irgendetwas stimmt hier nicht… Gundaruk! Seid auf der Hut.“ Die Stimme von Neire war in eine Art zischelnden Singsang verfallen. Tief und fremd war sein Akzent, als er sprach. Neire hatte in Richtung von Halbohr geblickt und ihn aus dem Tunnel heraus beobachtet. Er hatte gesehen, dass der elfische Söldner zum Altar vorgedrungen war und sich plötzlich in den Nebel gekauert hatte. Auch hatte er die Angriffshaltung bemerkt, in die der Paladin sich jetzt begab. Dann waren die Schreie von Loec und Rowa angeschwollen zu einem Höhepunkt. Neire spürte, dass irgendetwas passierte; irgendetwas, dass Rasmus mit seinem Angriff auf den Altar ausgelöst hatte. Er musste jetzt bereit sein, musste die Kräfte von Feuer und Schatten beschwören. Er dachte an die Runen, die er im inneren Auge gesehen hatte, er dachte zurück an Nebelheim: Bei Nirgauz werde ich das lodernde Feuer reiten, bei Firhu gib mir die Gabe der Schatten, bei Zir’an’vaar, ich bin und werde es immer sein. Ein Kind der Flamme.

Gundaruk erhob sich und ließ von Rowa ab. Die Schreie der beiden waren ohrenbetäubend und klangen nach vollkommener Verrücktheit. Er hatte die Worte von Neire kaum gehört und spät reagiert. Als er den Speer erhob und sich schützend vor Neire postierte, merkte er, dass der Jüngling sich verändert hatte. Gundaruk spürte eine Aura, wie die brennende Düsternis. Das schöne, bleiche Gesicht von Neire war erstarrt, seine Augen fassten die Ferne. Neire hatte seine linke verbrannte Hand unter der Robe hervorgezogen und sie so vor sich gestreckt, als ob er etwas Unsichtbares halten würde. Jetzt sah Gundaruk das Glühen in dessen Augen. Als ob die dunkle schwarze Kruste eines glühenden Magmas begann zu reißen. Dann formten sich die Flammen. Die Haut begann zu brennen und es quoll Feuer aus Neires Hand. Der Gang wurde in ein rötliches Glühen versetzt. Feuer und Schatten, Schatten und Feuer. Die Flamme aus Lava begann zu tanzen, als Neire zischend murmelte. Der Jüngling griff mit seiner rechten Hand in die Flamme und zog einen Degen aus purem Feuer hervor. Aus dem rötlichen Licht, welches jetzt den Gang erhellte, blickte Gundaruk in die Dunkelheit. Er deckte mit seinem Speer den Bereich vor ihm. Plötzlich schossen drei Kreaturen vor ihm herab, die sich wie Spinnen an einer Wand fortbewegt hatten. Gundaruk sah bleiche Knochen, über die sich vertrocknete Haut zog. Staubiges zerzaustes Haar fiel von den Köpfen hinab. Die Gestalten gierten nach Blut. Gundaruk konnte ihre langen Eckzähne erkennen, als sie ihn anfielen. Doch vorher stieß er mit dem Speer zu und hörte das Knirschen von Knochen. Einen kurzen Moment später spürte er die Hitze näherkommen und hörte die Stimme von Neire von hinter ihm: „Aus dem Weg Gundaruk.“ Gundaruk machten einen Schritt zu Seite und wurde geblendet von der Feuerwelle, die aus Neires linker Flammenhand nach vorne strömte. Alle drei der Gestalten wurden in ein Meer von Feuer und Schatten gehüllt.

Die Kugel aus Magma explodierte und hüllte den gesamten Gang hinter ihnen in Flammen. Neire spürte, wie die Welle der Macht ihn verließ, als er das Feuer beschwor. Adrenalin schoss durch seinen Körper und verdrängte jedes Gefühl von Angst. Jetzt war er gefangen in der Welt von Feuer und Schatten; die Essenz seiner Göttin elektrisierte jede seiner Bewegungen. Er starrte in die Flamme seiner linken Hand und ließ sich von ihren chaotischen Bewegungen treiben. Sein scharfer Verstand war das Ventil eines elementaren Meeres aus Chaos, eines älteren, urtümlichen Bösen. Es war ein Urmeer, aus dem er schöpfte, ein unendlich dimensionales Gebilde, das nur durch den ewigen Kampf einer Dualität aufrechterhalten wurde – ein Gebilde, dem der Gleichgewichtszustand fremd war. Sie hatten verbissen gegen die drei Kreaturen gekämpft, die Neire und Halbohr als lebendige schöne Gestalten gesehen hatten. Die Kreaturen hatten vor seinen Augen unter den Speerstichen Gundaruks geblutet. Schließlich war Halbohr ihnen zur Hilfe geeilt und hatte ihre Widersacher von hinten angegriffen. Zu dritt hatten sie sie niedergerungen und als sich eine der Gestalten wie von Geisterhand wieder erhob, hatte Neire eine zweite Feuerwelle über sie ergehen lassen. Erst dann waren sie zu Asche verbrannt worden. Die Ereignisse hatten sich danach überschlagen. Sie hatten gesehen, dass Rasmus am Altar gegen vier weitere der Kreaturen kämpfte. Der Ritter war bereits übel mitgenommen und konnte sich aufgrund seiner Trunkenheit kaum auf den Beinen halten. Aus der Dunkelheit hinter Neire und Gundaruk, hatte eine weitere Kreatur angegriffen, die jetzt Loec niederrang und sein Blut trank. Zudem war hinter ihnen ein untoter Krieger aufgetaucht, der Langschwert und Panzer trug und ein knappes Dutzend an Skeletten anführte. Die von Rowa beschworenen Spinnennetze hatten ihn nicht aufhalten können und er drängte jetzt auf Gundaruk zu. Neire hatte in Richtung von Rasmus gerufen. Dass er ihnen helfen sollte; doch der Paladin hatte nicht reagiert. So hatte Neire die Macht von Jiarlirae entfesselt. Für einen Moment wurden alle Geräusche von der Explosion übertönt, alle Sicht von einem grellen Licht genommen. Dann hörten sie alle den Todesschrei von Loec, gefolgt von einem Röcheln. Der waldelfische Begleiter wurde von den Flammen Neires dahingerafft. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, sah Neire glühende Haufen von Knochen zusammenbrechen. Auch die Gestalt, die Loec angegriffen hatte, löste sich in glimmende Asche auf. Nur der berüstete Krieger schritt weiter auf sie zu. Neire und Rowa wichen aus dem Gang in das Sanktum zurück. Gundaruk stellte sich dem Krieger am Eingang zum Kampf. Sie sahen alle, dass Rasmus von den vier Kreaturen am Altar überwältigt wurde. Sie begannen ihre spitzen Hauer in sein Fleisch zu rammen und sein Blut zu trinken. Ein weiteres Mal beschwor Neire die alten Runen, lispelte schlangenhaft den düsteren Singsang. Doch diesmal wendete er sich in Richtung Altar. Die Explosion erschütterte die Halle. Der Altar, der Ritter Rasmus und seine Widersacher verschwanden in einem Reigen aus Feuer. Als die Flammen sich legten, lag der Ritter blutend und verbrannt auf dem Boden. Rasmus hatte sein Leben ausgehaucht. Doch Neire hatte sich bereits dem untoten Krieger zugewendet. Er schwang die Flamme seiner Göttin und den Degen aus Feuer. Erbarmungslos brannten seine glühenden Augen. Nicht hörte er Rowas warnende, fast wehleidige Stimme: „Der Altar! Zerstört den Altar. Nehmt die Viole aus Rasmus‘ Gürtel.“

Gundaruk zitterte und atmete schwer. Er konnte kaum klar denken und fasste sich immer wieder an seinen Hals. Die Klinge des untoten Kriegers war dort tief eingedrungen und warmes Blut rann in Strömen herab. Die Todesangst hatte ihn gepackt. Es schien, als ob er die Kreatur nicht hatte verletzen können. Mechanisch hatte der Untote das Schwert gegen ihn erhoben. Hieb für Hieb. Keinen Schmerz hatte sein Gegner empfunden. Und Gundaruk hatte ihm schwere, tiefe Wunden zugefügt; tödlich für jeden Sterblichen. Für einen Moment sah es aus, als ob der große Mann in sich zusammensinken würde. Der von Blut dunkel gefärbte Fellmantel bedeckte ihn gänzlich. Er dachte an den Duft des Waldes im Sommer, die alten Wurzeln, das Harz von Fichten und Tannen. Doch da war sie wieder, die Wut, die ihn heimsuchte, wie eine Woge innerer Dunkelheit. Schaum bildete sich vor seinem Mund. Er begann zu schreien als sein großer muskulöser Körper sich zu wandeln begann; Sehnen begannen zu springen, Knochen zu brechen. Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, wie geleimt sollen sie sein. Ein gewaltiges Brüllen durchfuhr die Halle, als die Kreatur, in die Gundaruk sich verwandelt hatte, sich erhob. Der Bär nahm Geschwindigkeit auf, als er in Richtung des untoten Kriegers stürmte. In seiner neuen Form sah Gundaruk wie durch einen Tunnel. Er stellte sich auf, blickte auf die berüstete Gestalt unter ihm und ließ sein gewaltiges Gebiss zuschnappen.

Als Rowa die Viole mit dem silbern schimmernden Wasser auf dem Altar zerbrach, war der Marmor in tausende Teile zerbrochen und explodiert. Ein Regen von Steinsplittern hatte sie zerschnitten. Nicht nur die Umgebung hatte sich danach geändert. Geisterhafte Silhouetten hatten sich aus den Körpern von Neire, Halbohr und Rowa gelöst. Geister lange verstorbener Kreaturen dieses Grabes, die in sie eingedrungen waren und die ihrem Verstand übel zugerichtet hatten. Der Nebel hatte sich dann für ihre Augen auflöst, so wie ihre körperlichen Veränderungen. Gemeinsam hatten Halbohr, Neire und Gundaruk – in Bärengestalt – gegen ihren letzten Widersacher gekämpft. Der Untote schien jetzt wie gelähmt und so konnten sie ihn zu Boden bringen. Danach war Ruhe eingekehrt. Halbohr war hinter der neu geöffneten Geheimtüre verschwunden, um die dahinter liegenden Gemächer nach Schätzen zu durchsuchen. Der Bär war in den Gang getrottet und schnüffelte am toten Körper Loecs. Neire hingegen blieb stehen und betrachtete die Halle. Der karmesinrote Himmel mit den silbernen Sternen war jetzt erloschen, der Altar zerbrochen. Mit einer inneren Zufriedenheit betrachtete er das Werk seiner Zerstörung; doch er wollte mehr. Er wusste, er hatte nur die Oberfläche berührt. Die Oberfläche der Geheimnisse, die in den Schatten liegen; das Chaos der Flammen. Er musste die alten Runen der Schwertherrscher entdecken, das Unbekannte verstehen, das Wissen jenseits der Sterne ergründen. Hätte er in dieser Situation einen Spiegel gehabt, so hätte er sich lange betrachtet und seine Fantasie in das Unbekannte entgleiten lassen. Doch er hatte keinen Spiegel. So fiel sein Blick auf Rowa, die sich bereits zu Rasmus hinabgebeugt hatte und ihn zu durchsuchen begann. Neire steuerte seine Schritte in Richtung des Haufens marmorner Scherben, hob arrogant sein Kinn und stellte siegessicher ein Bein auf die Reste des Altars: „Seht ihr nicht die Größe meiner Taten. Wir haben es vollbracht Rowa.“ Er sah, wie die Dunkelelfin mit dem grobschlächtigen Gesicht ihn kurz verächtlich anschaute, dann jedoch weitersuchte. „Es sind unsere Taten, die uns von den anderen unterscheiden. Es ist unser Geist, der uns nach dem Wissen greifen lässt… Doch ihr Rowa… ihr durchwühlt und plündert bereits die Leichen.“ Seine Stimme klang überheblich. Neire fühlte sich unbesiegbar in diesem Moment. Als Rowa ruckhaft aufstand und ein Amulett samt silberner Kette hervorzog, wich dieses Gefühlt jäh. „Ja, ihr habt es vollbracht. Tut doch was immer ihr wollt.“ Rowa stieß zudem einen Fluch auf dunkelelfisch aus, der in Richtung Rasmus ging. Doch Neire verstand die Worte. Auch sah er das Symbol, das sich auf dem Amulett befand. Es war das Hauswappen der Herrscherfamilie Duorg. In den Wirren der Kriege der vergangenen Jahrhunderte hatten sie stetig an Macht verloren. In traditioneller, dunkelelfischer Weise wurde das Haus Duorg von Frauen geführt, die von Ched Vurbal aus ihre niederträchtigen Machenschaften in die Unterreiche trugen. Neire war sich nicht sicher, ob es sich bei Ched Vurbal um eine Stadt oder einen Herrschaftssitz handelte, doch er wusste, dass das Haus vor langer Zeit einen Tempel zu Ehren der Spinnengöttin Lolth errichtet hatte. Den Namen des Tempels kannte er nicht, doch er sollte die Form einer Spinne gehabt haben und in Obsidian und Eisen errichtet worden sein. In den Wirren des Krieges war Ched Vurbal schließlich zerstört oder verschüttet worden. Vom Tempel hatte man seitdem nichts mehr gehört. Sogar an den Namen der Herrscherin konnte sich Neire erinnern: Raxira. Jetzt fiel ihm ein, dass Raxira zwei Geschwister gehabt haben sollte. Einen Bruder Raxor, der seit seiner Jugend als verschollen galt, und eine Schwester Rowa. Neire, sprach nun einfühlsam. Die Überheblichkeit in seiner Stimme war einem sanften Singsang gewichen. „Raxira, ist das eure Schwester, die ihr sucht?“ Er sah, dass Rowa vor Wut zu schäumen begann. Sie zitterte am ganzen Körper und antwortete zischelnd: „Wagt es nicht ihren Namen in euren Mund zu nehmen. Raxira, verflucht soll sie sein.“ Neire senkte unterwürfig seinen Kopf und machte ein paar Schritte zurück. „Ich…“ Er wollte gerade anfangen zu sprechen, als die Luft um Rowa begann zu flimmern. Er sah, wie sich geisterhafte Konturen bildeten. Spektrale Wesen formten sich aus dem Nichts. Es waren riesenhafte durchsichtige Spinnen.
Titel: Sitzung 11 - Das Grab V. - Wiedergeburt
Beitrag von: Jenseher am 2.05.2022 | 22:36
Der große halbkuppelförmige Dom des Grabes war jetzt in Dunkelheit gehüllt. Der Geruch von Schwefel, von verbranntem Fleisch und verkohlten Haaren war allgegenwärtig. Neire ließ seinen Blick kurz über seine Umgebung gleiten und sah, dass marmorne Scherben den Boden bedeckten. Der gesamte Bereich hatte sich plötzlich für ihn verändert und strahlte jetzt einen morbiden Charakter des Verfalls lange verlassener Einsamkeit aus. Er hatte Rowa nie ganz aus seinem Blickfeld gelassen und sah, dass sie immer noch – wutentbrannt und vor Zorn zitternd - das schimmernde Amulett betrachtete, das sie kurz zuvor dem Leichnam des Ritters Rasmus abgenommen hatte. Der kniehohe weiße Nebel war nach der Zerstörung des marmornen Altars vollständig verschwunden und so konnte Neire sehen, wie sich das silbrige, spektrale Wesen lautlos hinter Rowa formte. Neire spürte wie das Adrenalin abermals durch ihn schoss, doch die Aufregung war nicht mehr so groß wie zuvor. Nach dem Kampf war sein zermarterter Geist in einen ruhigen, fast schläfrigen Zustand übergegangen, in dem er mehr Betrachtender als Handelnder war. Er hob seine linke Hand unter der Robe hervor, zeigte und wich zwei Schritte zurück, als er zischelnd die Worte formte: „Rowa, sie ist hinter euch. Eine Spinne!“ Rowa blickte zu ihm auf und er konnte sehen, dass ihr plumpes Gesicht ihn für einen Moment musterte. Dann fing sie in ihrem Zorn an zu lachen. Konnte sie nicht sehen, dass die durchsichtige Spinne hinter ihr begann sich zum Angriff aufzustellen? Neire sah, wie sich die langen Fangzähne des spektralen Wesens in den Rücken von Rowa gruben. Blut sprudelte auf und das Lachen erstickte zu einem Schmerzschrei. Die Dunkelelfin wurde durch die Wucht des Angriffes zu Boden geschleudert. Neire musste handeln. Die Spinne rückte unaufhaltsam auf ihn zu. Er konzentrierte sich und ließ die Kraft ein weiteres Mal die heilige Flamme hervorrufen. Klein und versunken wirkte das tanzende Magmafeuer in der Größe des inneren Sanktums. Neire erhob seine Stimme warnend: „Rowa, seht. Die Flamme meiner Göttin… Flieht!“ Die Dunkelelfin begann jetzt zu kriechen und blickte ihn verachtend an. Sie wollte etwas erwidern, doch hustete nur Blut hervor. Ihr Gesicht schien zudem plötzlich und wie durch übernatürliche Veränderung gealtert. Neire beendete den priesterlichen Singsang der Beschwörungsformeln und rief das Feuer, das Rowa und das durchsichtige Wesen umhüllten. Stichflammen aus Magma schossen aus dem Boden hervor. Ein tiefes malmendes Geräusch war zu hören, wie das dunkle Grollen eines weit entfernen Wasserfalles. Das spektrale Wesen begann sich in einem Glühen aufzulösen. Die Dunkelelfin jedoch schrie in einem hellen Ton, als sie starb. Eine tiefe innerliche Freude durchfuhr Neire, als sie ihr Leben den Flammen gab. Er erinnerte sich an ihre Worte am Eingang zum Grab. Wir werden überleben, doch einen Teil unserer Seele werden wir der Spinnengöttin opfern. Ja, Rowa, ihr habt den euch zustehenden Teil geopfert. Doch ihr gabt ihn nicht der Spinnengöttin. Ihr gabt ihn den Flammen, den Schatten…

Gundaruk und Halbohr waren mit gezogenen Waffen in den Raum gestürmt, als sie Neires Ausruf gehört hatten. Doch die Flammen waren bereits abgeklungen als sie den Kampfplatz erreicht hatten. Nur noch den verbrannten, halb verkohlten Leichnam Rowas hatten sie gesehen, der in einer kochenden Blutpfütze lag. Neire war bereits zu dem Leichnam geschritten und sie hatten gesehen, dass er Rowa die Kette mit dem Amulett abgerissen hatte. Dann waren mehrere Kreaturen aus den Wänden oberhalb und neben der bronzenen Türe erschienen. Zwei weitere der Geisterspinnen und eine Kreatur, die von grauenvoller Schönheit war. Sie war halb durchsichtig gewesen und hatte den Unterkörper einer Spinne sowie den Oberkörper einer Dunkelelfin. Sie hatten die Ähnlichkeit zu Rowas Gesicht bemerkt, doch es schien, als ob das Gesicht die vorteilhafteren Züge von Rowa gehabt hätte. Sie hatten ein schlankes, schmales Antlitz betrachtet, das eine schöne, fast übernatürliche Symmetrie innehatte. Weißliches, langes Haar war vom Kopf hinabgefallen und blaue Augen hatten in der Dunkelheit gefunkelt. Das Wesen hatte die Szenerie betrachtet und war dann beim Anblick von Rowas Leichnam in ein Lachen verfallen. Auf die Worte von Neire: „Raxira, eure Schwester ist tot.“ Hatte sie geantwortet: „Habt Dank, habt Dank.“ Sie war daraufhin mit ihren Spinnen in der Wand verschwunden, doch Gundaruk, Halbohr und Neire hatten ein weiteres Mal ihre Stimme im Nachhall gehört: „Ihr habt mir einen großen Gefallen getan, doch ihr habt etwas das mir gehört… und ich werde es mir holen.“

Halbohr starrte Neire für einen Moment an. Hatte er den jungen Priester falsch eingeschätzt? Er war sich seiner Menschenkenntnis sicher, hatte nie oder selten falsch gelegen. Am Ende hatte er doch immer überlebt… und die anderen? Zu ihren Göttern hatten sie gebetet, hatten sie gefleht. Doch ihr Blut hatte den Sand gerötet, ins Gras hatten sie gebissen. Er, Halbohr, hatte sie überlebt. Er hatte sich auf seine Fähigkeiten verlassen. Jetzt blickte ihn Neire an. Als ob er seine Gedanken erahnen könnte. Das Gesicht des Jungen war lieblich auf den ersten Eindruck, wirkte unschuldig. Doch wie in einem Rausch hatte Neire bereits drei ihrer Mitstreiter ermordet. Und die rötlich glühenden Augen betrachteten ihn jetzt. Die Flamme aus Magma und Schatten in der linken Hand Neires erhellte und verzerrte sein Antlitz. Hatte er, hatte sich Halbohr vertan? Hatte er die Macht der Götter, die Macht von Jiarlirae unterschätzt? Einen kurzen Moment verspürte er den puren Hass und das Chaos, das in den Augen von Neire zu sehen war. Doch Halbohr verdrängte die aufkommende Furcht. Er ist doch nur ein Junge, noch ein halbes Kind. Halbohr erhob beschwichtigend die Hände und sprach ruhig: „Neire, werft das Amulett weg und folgt mir den Tunnel. Sie wird es sich holen. Es ist es nicht wert.“ Für einen kurzen Moment sah Halbohr den Hass in Neires Augen brodeln. Als ob man einem Kind etwas wegnehmen wollte. Doch dann beruhigte er sich. Die Flamme in seiner Hand wurde kleiner und erlosch. Er warf das Amulett in Richtung der bronzenen Türe, nickte ihm zu und folgte ihm. Auch Gundaruk kam ihnen in den Tunnel nach und deckte ihren Rücken. Halbohr kniete sich nieder, lauschte und betrachtete mit seinen grünlichen, fast katzenhaft schimmernden Augen fortwährend den dunklen Dom. Tatsächlich hörte er ein leises Rascheln in der Dunkelheit und sah wie sich erneut zwei geisterhafte Körper begannen aus dem Boden zu schälen. Die durchsichtigen Kreaturen richteten sich über dem Leichnam Rowas auf. Sie trugen ein dunkelelfisches Wappen auf ihren Hinterleibern. Jetzt stürzten sie sich auf den leblosen Körper hinab und begannen ihn mit ihren Hauern zu zerfetzen. Das Knacken von Knochen, das Flatschen von Gedärmen und das Schmatzen von Fleisch war zu hören. Die Zerteilung des Körpers in der Mitte war grausam anzusehen - es war die Zerstückelung von Rowa - unanständig und obszön.

Als der große Mann die geheime Türe zur Gruft zudrückte, hatten sich Neire und Halbohr bereits zur Rast niedergelassen. Gundaruk blickte ein letztes Mal in den stillen Dom des Sanktums, doch er sah keine Bewegung. Der Stein schloss sich nun mit einem Knirschen. Gundaruk drehte sich um und näherte sich dem Raum durch den kleinen Gang. Die Gruft hatte eine ovale Form. Hier und dort ragten Grabesnischen auf. Staubige Knochen von Skeletten bedeckten den Boden. Obwohl Gundaruk so lange geschlafen hatte, fühlte er sich müde. Er dachte zurück an die jüngsten Ereignisse. Sie hatten gesehen wie die Spinnen verschwanden, wie sie gekommen waren. Das Amulett hatten sie noch mitgenommen, doch den zerfetzen Körper Rowas zurückgelassen. Halbohr, Neire und er selbst hatten sich dann in der Gruft niedergelassen und auf Bitten von Neire den schweren Leichnam des Ritters mit sich geschleift. Gundaruk hatte ihnen gesagt, dass er einen Schutzzauber wirken würde. Er erinnerte sich zurück an seine Zeit in Mark und Tal, seine Streifzüge durch Wald und Venn. Er würde die Kreatur aus den Schatten ein weiteres Mal beschwören. Sie hatte ihm schon oft gute Dienste erwiesen. Immer wenn er allein unterwegs gewesen war. Er kniete sich nieder und sog die Luft ein; er hörte und roch den Wald, als wäre dieser noch immer um ihn herum. Er ließ die goldenen Runen des heiligen Bandes an seinem Speer durch seine Hand gleiten und murmelte die Verse in der alten Sprache. Und der Greif antwortete ihm. Gundaruk wusste, dass er ihn nicht sehen konnte, doch in den Schatten spürte er seine Anwesenheit. Der Greif würde über sie wachen, wie er es immer für ihn getan hatte. Dann hatte auch Gundaruk sich niedergelegt und war sofort eingeschlafen. Träume quälten ihn. Immer wieder wachte er schweißgebadet auf. Einmal erinnerte er sich an das Licht von Fackeln. Einmal an Neire, wie er betete. Ein rotes Funkeln ging von Neires entblößter Schulter aus. War es wirklich ein Traum?

Neire hatte lange geschlafen. Auch ihn hatten Träume gequält. Er erinnerte sich an die verschwommene Silhouette einer Frau. Eine Frau mit einem blauen und einem schwarzen Auge. Nach dem Schlaf hatte er die Fackeln entzündet und an das ewige Nebelheim gedacht. Er hatte gebetet und meditiert. Und sie hatte ihn erhört, sie hatte ihn wahrlich erhört. Er spürte es, als er über den alten Formeln brütete. Er wusste, dass ihm jetzt eine große Aufgabe bevorstand. Mit mutigem und geöffnetem Geist musste er voranschreiten. Er dachte über das Grenzreich nach, in das er eindringen würde. Die Seelen der Toten wanderten dort, sie suchten ihren Weg ins Jenseits. In den alten Schriften der Yeer’Yuen’Ti hatte er darüber gelesen. Oftmals wussten die Toten nicht, dass sie tot sind. In diesem Grenzreich, der Schattenmark, verfügten die Seelen doch über normale Leiber. Er fasste sich und ihm kam der rettende Gedanke. Er musste seine Erfahrungen niederschreiben in einem Buch, er musste die Erinnerungen bewahren. Er beugte sich über den großen Leib von Rasmus und legte sorgsam seine Hände um den verbrannten Kopf. Er begann zischelnd den Singsang des Totenliedes zu rezitieren. Halbohr und Gundaruk starrten gebannt auf ihn. Sie sahen, dass Neire sich in einen Kniesitz begeben hatte. Er hatte seinen Oberkörper entblößt und offenbarte den grauenvoll verbrannten linken Arm, an dem die drei mit der Haut verwachsenen Rubine zu leuchten begannen.

Es war das erste Jahr nach meiner Flucht aus Nebelheim als ich in die Schattenmark eindrang. Die Seele des Sünders zu finden war meine Aufgabe, die Seele der schwachen Kreatur zu finden war mein Ziel; die Seele, die nicht finden sollte, was sie suchte. So stieg ich hinab ins Nichts, das mir gepriesen zu sein als dasselbe wie die Fülle. Einen Ort an dem Anfang und Ende vereint ist und SIE so viel größer als Ursache und Wirkung. Der Ort meiner Bestimmung war Nebelheim, in dem das größte Heiligtum dieser Erde liegt: Das innere Auge. Es ist doch hier wo das Gegensatzpaar IHRER Heiligkeit sich zeigt. Feuer und Schatten, Schatten und Feuer. Und doch ist SIE mehr als die Summe aller Teile, SIE war schon immer mehr und SIE wird immer mehr sein.

Ich selbst war es, den ich im inneren Auge sah. Ein kleiner Junge an einem heiligen Ort. Ihm - mir, lief der Schweiß in Strömen vom Gesicht. Ich säuberte den obsidianernen Boden, der glänzte wie ein dunkler Spiegel. Die Luft um mich herum war voll von Wasserdampf. Es war die Hitze des inneren Auges, die hervorquoll und das Schmelzwasser des ewigen Gletschers noch in der Luft verdunsten ließ, bevor es den Boden erreichen konnte. So sah ich in mein Antlitz im schwarzen Obsidian und sah mich selbst, mein jüngeres Ich. Ein Junge mit nacktem Oberkörper und blasser milchig-weiß schimmernder Haut. Erhellt vom dunklen Glanz der immerbrennenden Fackeln. Der Körper noch unversehrt, bis auf die rötlich wulstige Narbe an der linken Seite meines Bauches. Ich war schlank, anmutig und drahtig; für mein kindliches Alter bereits groß gewachsen. Langes, jetzt nasses, gelb-goldenes Haar fiel in Locken von meinem Kopf und umrahmte meine gerade Stirn. Meine Augen schimmerten in tiefstem Nachtblau. Doch ich war nicht hier, um mich selbst zu betrachten. Ich war hier um ihn zu finden, die schwache Seele, ein Nichts und doch eine menschliche Seele. Ich spürte seine Präsenz; ich spürte wie er litt; ich spürte seine Suche, sein Unwissen. Ich rief ihn hervor, bei seinem Namen, bei seinem menschlichen Namen. Dem Namen, der vergessen sein soll, weil dieser, wie seine Seele, Nichts lautete. Ich sah ihn, wie ich ihn sah, als er sein Leben aushauchte. Ich nahm ihn an der Hand und sang ihm ein Lied, ein Lied in der alten Sprache der Yeer’Yuen’Ti. Ein Lied voll von brennender Düsternis und aus dem Licht der schwarzen Sonne:

Kommet und seht, oh lauschet meiner Stimme, gefunden habt ihr mich
Irrt ihr doch durch die ew‘ge Nacht, nicht lebend nicht lebendig, und wisset nicht davon
Noch könnt ihr euch erinnern, an eure Taten, was einst war, so grauenvoll und abartig
Der Weg führt euch nur weiter, die sieben Tore warten, das große Untere
Verdammt, verloren, nie neu geboren, verlassen, vermissend, nie wieder wissend

Er fing an bitterlich zu weinen und ich nahm ihn bei der Hand. Wir näherten uns gemeinsam dem inneren Auge. Die Luft wurde zunehmend wärmer und begann zu strömen. So heiß war es am Rand, dass alles um uns herum zu flimmern begann. Wir knieten uns nieder und blickten in die Tiefe. Es war, als ob keine Wände zu sehen waren. Das große Ungewisse des Gegensatzpaares. Der Geruch von Schwefel und brennendem Stein; brodelnde Magma, chaotisch und sich ständig wandelnd. Hier und dort zogen sich dunkle Krusten zwischen den helleren Stellen entlang. Orangene bis gelbe Farbtöne verliehen dem Unteren einen furchteinflößenden Charakter. Ich sagte ihm, er solle sich nicht fürchten. Ich erzählte ihm von der Herrlichkeit der wahren Göttin und er lauschte meiner Stimme. Dann war da die Stimme einer Frau. Lieblich und furchteinflößend zugleich, flüsterte sie mir zu, was zu tun sei. Und ich sah ein A und ein F in den Rissen des Magmas. Ich blickte ihn an und sagte: „Horcht, ihr seid alleine gestorben und werdet für ewig alleine wandeln. Doch die Flamme und der Schatten waren nie allein. Wendet euch IHR zu und ihr werdet neu geboren werden. Ihr werdet nie wieder alleine sein. Gebt offen und frohmütig eure Seele, versprecht sie IHR und es wird geschehen.“ Erneut fing er an zu schluchzen, blickte hinab in die Tiefe. Ich las die Runen für ihn, wie ich es in Nebelheim schon einmal getan hatte. „Dunkle Schatten sind das Licht unserer Göttin, wer ihr Feuer atmet, der strebet nach den Schlüsseln des Jenseits… Die Rune Nirgauz verheißt loderndes Feuer und gleichwohl eine gute Zukunft. Die Rune Firhu ist die Gabe, die Gabe des Feuers und der Schatten. Die Rune Zir’an’vaar spricht von Hingabe und von Opferung.“ Er lauschte meiner Prophezeiung. „Ihr müsst mir nur nachsprechen. Dreimal,“ sagte ich. Und er nickte. So blickten wir hinab und ich sprach die Worte, die Beschwörungen, die nie ein Ungläubiger erfahren darf:

„Ich rufe Euch Danuar'Agoth, ich rufe euch. Ich rufe Euch, Danuar'Agoth, die weiß-rot-schwarze Flamme.

Ich rufe Euch Hemia'Galdur, ich rufe euch. Ich rufe Euch, Hemia'Galdur, die Hüterin des grün-rot-goldenen Magmas.

Ich rufe Euch Vocorax'ut'Lavia, ich rufe euch. Ich rufe Euch, Vocorax'ut'Lavia, den Henker der letzten Einöde.

Ich rufe Euch Asmar‘fana, ich rufe euch. Ich rufe Euch, Asmar‘fana, die noch ruhende Heldin, Schlächterin von Ur’tor‘braahr.

Jiarlirae, älteste und höchste Göttin, Schwertherrscherin, Königin von Feuer und Dunkelheit, Dame des abyssalen Chaos, Herrin der Acht Schlüssel der brennenden Düsternis.

Damit er losgebunden, frei, befreit von Pein,
erfahre er was Wiedergeburt und nie wieder allein sein sei."


Mit diesem Beschwörungspakt wurde er wiedergeboren als neue Seele, als Seele Jiarliraes. Er war kein Nichts mehr. Sein Name war Bargh, ein Diener Jiarliraes. Glorreich soll seine Zukunft sein, groß seine Taten. Er wird nie wieder alleine sein. Flamme und Schatten werden ihn begleiten.
Titel: Sitzung 12 - Aufbruch nach Grimmertal
Beitrag von: Jenseher am 7.05.2022 | 21:50
Sie alle blickten gespannt auf den von Brandwunden gezeichneten Körper des Ritters. Gundaruk, der seine Fellkapuze tief in sein Gesicht gezogen hatte und sich kniend auf seinen Speer stütze, schaute auf. Halbohrs kantiges Gesicht kam zum Vorschein, als er seinen breiten Nacken drehte und den jungen Priester beobachtete, der sich nun vom Leichnam erhob. Neire sang weiter den fremden Choral und seine Augen funkelten rötlich. Als er sah, dass der gewaltige Oberkörper des Ritters zuckend nach Luft schnappte, verstummte er. Die Extremitäten des Paladins begannen jetzt zu zittern, seine Muskeln zu verkrampfen. Neire warf seine gold-blonden Locken zurück und drehte seinen Kopf zu seinen Kameraden. Ein höhnisches Grinsen verzerrte das schlanke, wohlgeformte Gesicht des jungen Priesters, als er sprach: „Heißt ihn willkommen, er ist wiederauferstanden von den Toten. Ein Wunder Jiarliraes, deren treuer Anhänger er jetzt ist. Sein Name lautet Bargh. Flamme und Schatten werden ihn begleiten.“ Tatsächlich kam langsam Leben in den Körper des Ritters. Er hustete und röchelte schwer, als er sich aufrichtete. Die Haut seines Kopfes war rötlich verbrannt; hier und dort waren noch Reste des einst vollen schwarzen Haares zu erkennen. Neire beugte sich jetzt behutsam hinab, legte Bargh eine Hand auf die Schulter und half ihm auf. Sie konnten sehen, dass ein rötlich-glühender Edelstein sein rechtes Auge ersetzte. Der kostbare Rubin verlieh dem Antlitz des Ritters eine furchteinflößende Aura. „Bargh, steht auf. Wartet, ich helfe euch.“ Die Worte von Neire hatten einen wohlklingenden Singsang inne; fremd und zischelnd, aber emphatisch und melodisch zugleich. Als Bargh sich erhob, hörte ihn Neire sprechen; anteilslos blickte sein verbliebenes blaues Auge in die Ferne. „Mein Kopf, ahh… es ist so schwer…“ Neire nickte ihm zu und dachte an den kleinen Bargh aus Nebelheim zurück; wie sein schmächtiger Körper zu Asche verbrannt war. Trauer erfüllte ihn wie ein nostalgisches Gefühl. Ein Gefühl, das er hegen und pflegen musste; doch da war auch etwas anderes, das in ihm loderte, etwas, das den Selbstzweifel verschwinden ließ: Wir waren dort, als es brannte, als es schmerzte, als das Licht an unserem Fleisch leckte. Gen Himmel, Rauch, eine Wolke unserer Form.

Bargh war von Gundaruk geheilt worden. Einen mächtigen Spruch hatte der kürzlich in einem Grab Erwachte gewirkt; einen Spruch, der die kalte, modrige Gruft für einen kurzen Moment mit dem Geruch von Sommer, Wald und Tannennadeln überzogen hatte. Bargh hatte zuvor röchelnd gehustet. Neben seinem Gesicht und seinen Händen hatten die Flammen anscheinend auch seine Lunge verletzt. Er holte tief Luft und blickte hinauf in das Gesicht der hünenhaften Gestalt, die selbst ihn noch um zwei Kopflängen überragte. Er dachte zurück an den schönen, warmen Ort, das dunkle Obsidian, die nebelhafte Luft und die rötlichen Flammen. Der Name und das Gebet an die Göttin hatten sich in seinen Geist gebrannt, wie ein schattenhafter Traum, der ihn auch jetzt im Wachzustand verfolgte. Bargh lehnte seine Hellebarde zur Seite. Ein kaltes lähmendes Gefühl ging nun von der Waffe aus. Seine einst so vertraute Hellebarde, die ihm plötzlich fremd geworden war. Als ob seine Muskeln sich gegen den heiligen Stahl wehren würden, fingen sie an zu zucken. Er schaute Gundaruk an und sah das goldene Runenband, das um seinen Speer gewickelt war. Irgendetwas war falsch an diesen Runen, irgendetwas störte ihn an dem Geruch des Waldes. „Seid ihr auch ein Anhänger Jiarliraes?“ fragte er mit zunehmend misstrauischer Miene. „Nein, ich …“ antwortete Gundaruk, bevor er von den Worten Neires unterbrochen wurde. „Das ist alles, was von Rowa übriggeblieben ist. Sie hat euch hintergangen Bargh und sie hat dafür gezahlt. Sie diente der schwachen Spinnengöttin. Jeder der nicht Jiarlirae dient, wird unwissend bleiben und einst den Preis dafür zahlen.“ Bargh sah, dass Neire Gundaruk mit arroganter, herausfordernder Miene betrach¬tete. Neire hatte den zerteilten Oberkörper von Rowa an den verbrannten Haaren gepackt und warf ihn ihm zu. Bargh hörte wie Neire fortfuhr. „Ihr seid jetzt frei und ihr könnt tun, was immer ihr wollt.“ Bargh sah den Oberkörper seiner ehemaligen Begleiterin und ein lange unterdrückter Hass begann wie eine lodernde Flamme in ihm zu brennen. Er trat mit seinen gepanzerten Stiefeln auf den Kopf von Rowa. Immer und immer wieder. Schließlich begann der Schädel zu knacken und das Gesicht von Rowa verschwand unter einem Schwall von Blut. Er keuchte und seine Bewegungen wurden langsamer. Für einen Moment verschwand der Schmerz aus seinem Kopf, das Zittern seiner Muskeln legte sich. Für einen Moment fühlte sich frei, befreit von Pein. Er fühlte sich gut… er fühlte sich sehr gut… er fühlte sich wie wiedergeboren.

Sie hatten eine Zeit lang über das weitere Vorgehen beraten und sich entschlossen eine Ortschaft aufzusuchen. Es gab die Wahl zwischen Grimmertal, Klingenheim und Fürstenbad. Sie hatten sich schließlich für Grimmertal entschieden, da es dem Grab wohl am nächsten lag. Sie waren dann aufgebrochen. Auf dem Weg nach draußen hatte Halbohr noch eine weitere Geheimtüre und eine verborgene Kammer, gefüllt mit Skeletten, entdeckt. Sie hatten diese Kammer nur kurz abgesucht und waren durch den noch immer anhaltenden Regen aufgebrochen. Bevor sie das Tal um den glattgespülten, gewaltigen Felsen verlassen hatten, hatten sie noch einmal die Höhle mit den getöteten Wölfen aufgesucht. In den unterirdischen Kammern hatten sie weitere essbare Pilze von Wänden und Boden geschnitten und so ihre Vorräte aufgefüllt. Hier hatten sich Neire und Bargh leise unterhalten und Bargh hatte Neire gefragt, ob sie ihre beiden Mitstreiter im Schlaf töten sollten. Doch Neire hatte ablehnt; er glaubte, dass Halbohr einem größeren Schicksal diente. Es musste so sein, denn er wurde ja von der geheimnisvollen Dunkelelfin als sein Weggefährte auserwählt. Sie waren dann in Regen und Dunkelheit aufgebrochen und hatten das Tal verlassen. Jetzt stapften sie durch den nassen Wald und den aufgeweichten Laubboden. Es musste wohl Nacht sein, denn nur durch ihre an die Dunkelheit angepassten Augen konnten sie das Dickicht um sie herum durchdringen. Es waren keine Geräusche von Tieren zu hören. Nur das Prasseln des Regens. Plötzlich durchdrang die Stimme von Neire den schweigsamen Marsch der Gruppe. „Ach, wie sehr täte mir ein Mahl von Schnecken, Schlangen, Moosen und Farnen jetzt gefallen. In Nebelheim durften die Kinder der Flamme an den Festen teilnehmen. Ihr müsst wissen Bargh, ich war und werde es immer sein: Ein Kind der Flamme.“ Der Regen lief Bargh in Strömen über das verbrannte Gesicht und der gefallene Paladin nickte andächtig. „Manchmal gab es sogar das Fleisch eines Chin’Shaar. Eine Köstlichkeit, die ihr bestimmt einmal essen werdet, sollten wir nach Nebelheim zurückkehren. Und das werden wir. Bestimmt.“ Obwohl Neire leise sprach, sah er, dass auch Halbohr und Gundaruk versuchten seinen Worten zu lauschen. So fuhr er weiter fort mit seinen Geschichten von exotischen Zutaten und rauschenden Festen, tief unter der Erde, tief unter dem Gletscher von Nebelheim. Er sah, dass Bargh an seinen Ausführungen Gefallen fand.

Unter der Wurzel eines umgestürzten Riesen hatten sie schließlich eine trockene Stelle gefunden. Ein kleines Erdloch, das ihnen durch den mächtigen Stamm des Baumes ein wenig Schutz bot. Zuvor waren sie Stunde um Stunde weitermarschiert, bis sie müde und bis auf die Knochen durchnässt waren. Jetzt hatten sie ihre Winterdecken über das feuchte Erdreich ausgebreitet und sich zum Ruhen niedergelegt. Halbohr übernahm die erste Wache. Das Schimmern seiner grünlichen, katzenhaften elfischen Augen war der letzte was sie sahen, bevor sie einschliefen. Halbohr starrte unentwegt in den prasselnden Regen und durch das Gewirr der Wurzel, die über ihm aufragte. Die Zeit verging langsam. Doch er verharrte regungslos. Er hatte dies schon so oft getan. Er betrachtete die Schlieren, die der Regen durch die Nacht zog. Fast war es windstill, doch immer wieder zog eine kleine Böe kalten Windes an seinen Kleidern. Dann sah er sie. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Die Umrisse einer Gestalt zwischen den Bäumen; schemenhaft, menschengroß und am Rande seines Blickfeldes. Für einen Moment bewegte Halbohr sich nicht und hielt die Luft an. Es sah so aus als würde die Gestalt verharren. Dann sah er erneut Bewegung. Langsam verschmolz die Silhouette mit den Bäumen und entfernte sich tiefer in den Wald. Halbohr dachte hastig nach: Ich muss ihr folgen. Doch was ist mit den anderen? Ich muss einen von ihnen wecken. Ich muss Neire schützen… muss mich an den Vertrag halten. Halbohr begann Neire leicht zu schütteln. Es dauerte eine Weile, bis der Junge wach wurde. Seine blauen Augen funkelten ihn in der Dunkelheit an. „Neire, wir wurden beobachtet. Eine Gestalt, nicht erkennbar. Jetzt ist sie hinfort.“ Neire schaute ihn verschlafen und fragend an. Dann sah Halbohr, dass der junge Priester plötzlich wach wurde. „Bleibt ihr hier Neire. Ich werde versuchen der Gestalt lautlos zu folgen.“ Halbohr sah, das Neire nickte und seinen Oberkörper aufrichtete. Er raffte leise seine Decke zusammen, verstaute sie im Rucksack und glitt in den Regen hinaus. Die Tropfen prasselten auf seine Kapuze hinab, als er sich aus dem Wurzelloch zog. Er bewegte sich vorsichtig und spähend zu der Stelle, an der er die Umrisse zuletzt gesehen hatte. Er beugte sich hinab um das Laub zu untersuchen. Tatsächlich konnte er Spuren entdecken; menschengroß, doch Konturen wie von ungleich langen Zehen und einer spitzen Ferse. Die Kreatur musste wohl barfuß gehen, anders konnte er sich die Abdrücke nicht erklären. Als er das Geräusch hinter ihm hörte, blieb sein Körper für einen Moment völlig reglos. Der schwere Filzmantel bedeckte ihn wie einen grauen Felsblock in der Dunkelheit. Nur sein Kopf zuckte herum und offenbarte sein fehlendes, vernarbtes Ohr. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass das Geräusch von Neire kam. Der Junge war ihm offensichtlich gefolgt. Für einen kurzen Moment spürte Halbohr die Wut auf Neire. Konnte der junge Priester nicht zuverlässig seinen Befehlen folgen? Doch vielleicht war es besser so; vielleicht konnte er Neire so besser schützen. Vielleicht war es auch die Macht des Feuers, die er gerne auf seiner Seite wägte. Er nickte Neire zu und flüsterte: „Kommt, ich habe Spuren gefunden.“ Gemeinsam und wortlos folgten die beiden den Spuren durch die Dunkelheit. Irgendwann glaubten sie ein Geräusch gehört zu haben. Wie ein Rascheln, gefolgt von einem Schmatzen von Schlick. Halbohr und Neire wurden jetzt noch vorsichtiger. Die Spuren führten in ein Dickicht von immergrünem Unterwuchs. Hier und dort ragten alte, von Efeu bewachsene Eichen heraus, die ihre blattlosen Kronen wie nasse, vielgliedrige Finger dem dunklen Himmel entgegenstreckten. Plötzlich endeten die Spuren. Halbohr hob seine Hand in alter militärischer Manier und betrachtete seine Umgebung. Er suche nach Augenpaaren, die sie beobachteten. Doch ihm fiel sofort die Abdeckung aus Dornen und Ranken auf, die einen Teil des Bodens bedeckte. Teils waren die Ranken verwelkt und zusammengesteckt. Nur das Auge eines geübten Betrachters konnte das Geflecht als natürliche Tarnung ausmachen. Halbohr war sich sicher, dass darunter etwas verborgen lag. Er deutete Neire an sich zurückzuziehen. Sie mussten die anderen wecken. Sie mussten hierher zurückkehren und die Initiative ergreifen, bevor sie etwas überraschen konnte.

Halbohr schaute sich um und blickte in durchnässte, erschöpfte, aber angespannten Gesichter. Dann griff er vorsichtig in das Geflecht von Dornen und Ranken und begann es hochzuheben. Er konnte nur hoffen alle der Dornen entdeckt zu haben, die mit dem schwarzen todbringenden Gift bestrichen waren. Zuvor waren Neire und er zu ihren immer noch schlafenden Mitstreitern zurückgekehrt. Sie hatten sie schnell und unsanft geweckt. Nur kurz hatten sie beraten. Dann hatten sie rasch ihre Winterdecken eingepackt und waren aufgebrochen, um dem nachzugehen, was sie beobachtet hatten. Alle waren einstimmig gewesen in der Entscheidung. Das Adrenalin hatte sie wachgehalten und sie hatten kurz die Kälte und den Regen vergessen. Halbohr war den Spuren erneut gefolgt und hatte sie an die Stelle geführt, wo er die Abdeckung aus Dornen und Ranken gefunden hatte. Glücklicherweise hatte er das Geflecht nach verborgenen Mechanismen abgetastet und tatsächlich sorgsam präparierte einzelne Dornen gefunden, die mit einer schwarzen Substanz bestrichen waren. Mit diesen Substanzen kannte er sich aus. Eine kurze Probe hatte ergeben, dass es sich um todbringendes Gift handelte, sollte der Dorn in das Fleisch eindringen. Er war sich sicher. Jetzt raschelte das nasse Geflecht, als er es anhob. Er fühlte keinen Schmerz und atmete erleichtert auf. Unter ihm offenbarte sich ein Erdloch, das fast senkrecht in die Tiefe hinab führte. Im oberen Bereich waren noch Wurzeln zu sehen, die im Regen nass schimmerten. Er konnte nicht sagen wie tief es hinab ging, da er kein Ende erkennen konnte. Er drehte sich um und sprach leise: „Die Kreatur muss hier hinabgestiegen sein. Hier enden die Spuren. Wir müssen ihr folgen. Wir müssen zuerst zuschlagen, bevor sie Hilfe holt und uns überrascht.“ Halbohr blickte in grimmige und entschlossene Gesichter. Nur Neire schien etwas ängstlich und runzelte die Stirn, als ob er eine Frage stellen wollte. Doch es herrschte Schweigen. Einzig der prasselnde Regen war zu hören. „Folgt mir hinab in die Tiefe“, flüsterte Halbohr und begann sich hinabzulassen. Schon nach wenigen Griffen an Wurzeln verlor er den Halt und begann hinab zu rutschen. Das Erdreich war weich und glitschig, doch seine Geschwindigkeit begann sich zu verlangsamen. Der Tunnel änderte seinen Neigungswinkel und wurde waagerechter. So kam er schließlich zu einem Halt, stand auf und blickte sich um. Er schaute hinein in eine natürliche Höhle. Hier und dort sah er andere Tunnel hinfort führen. Kleine Erdlöcher wie dieses, durch das er gekommen war. Die große Höhle führte weiter hinab in die Tiefe und er bemerkte in der Ferne des Ganges das fluoreszierende Licht einzelner Flechten dort aufschimmern. Die Luft war kalt und roch nach Erdreich und Moder. Hinter ihm hörte er schließlich Geräusche und sah seine Kameraden auftauchen, die ihm in die Tiefe gefolgt waren. Wortlos schauten sie sich um, tauschten dann Blicke aus. Ein jeder hatte seine Waffe gezogen und sie sahen das Schimmern von Stahl in der Dunkelheit. Sie drangen durch den Haupttunnel hinab in die Tiefe. Der Schacht eröffnete sich schon bald in ein Gewölbe, aus dem sie vielfarbiges mattes Licht dringen sahen. Der Geruch von Moder und Fäulnis nahm zu und vor ihnen öffnete sich eine von einem Pilzwald bewachsene Höhle. Teils hüfthoch waren die Pilze, von denen ein farblich unterschiedliches Glühen ausging. Dieses Schimmern machte die Betrachtung von Einzelheiten schwer; Licht, Schatten und Dunkelheit gingen wie ein Flickenteppich ineinander über. Doch sie sahen drei Ausgänge in die Dunkelheit hinfort führen. Als Gundaruk sich zu einem Pilz hinabbeugte hörten sie das Surren, dass die Höhle erfüllte. Sie waren in einen Hinterhalt geraten.
Titel: Sitzung 13 - Nächtliche Begegnungen
Beitrag von: Jenseher am 13.05.2022 | 22:49
Bargh, Halbohr und Neire hatten ihre Waffen gezogen und blickten sich hastig um. Sie waren der Höhle gefolgt, die tiefer unter die Erde führte. Immer höher ragten die Pilze vom moosigen Grund der Grotte auf und das fluoreszierende Glühen einzelner Flechten und Farne behinderte die Sicht der Gruppe. Sie sahen in diesem diffusen Licht, dass mehrere Kreaturen auf Pilze vor ihnen gesprungen waren und Speere schleuderten. Sie hörten zudem ein hochfrequentes Kreischen von den Gestalten ausgehen, die wie aufrechtgehende Pflanzen aussahen. In den menschenähnlich geformten Schädeln gähnten, anstelle von Augen, zwei schwarze Löcher. Neire, der sich unter der Erde wohler fühlte als im Regen der Oberwelt, reagierte als erster und duckte sich hinter Bargh. Er hörte dumpfe metallene Geräusche, als einige der Speere von den schweren Metallplatten der Rüstung seines Begleiters abprallen. Doch Neire bemerkte ein Aufächzen und sah, dass einer der Speere Bargh am Hals gestreift hatte. Auch Halbohr hatte sich rechtzeitig hinter einen Pilz geduckt und bereits einige seiner Dolche auf die Kreaturen geworfen. Aus den Augenwinkeln sah der elfische Söldner, dass Neire die linke verbrannte Hand unter seiner Robe hervorzog und begann zu murmeln. Die Augen des jungen Jiarlirae Priesters begannen zu glühen und in seiner linken Hand entzündete sich eine dunkle Magmaflamme. Halbohr roch den Geruch von Schwefel und er sah, dass eine grünlich-gelbliche Substanz in der Magmaflamme knisternd verbrannte. Nur einen kurzen Moment dauerte die Beschwörung, dann warf Neire die Kugel aus purem Magma. Die Zeit schien still zu stehen, dann erfüllte eine ohrenbetäubende Explosion die Höhle vor ihnen. Pilze und Pflanzenwesen wurden eingehüllt in des Feuers Brunst und zerfetzt; doch die glühenden Reste der Wesen fielen zu Boden und begannen zu wachsen. Gelb-bräunlich, flechtenähnlich war die Substanz die in den Flammen und im Rauch wuchs. Überall dort wo die Flechte mit dem Flammen in Kontakt kam, erloschen diese sofort. Schließlich kam das Wachstum zwei Schritte vor ihnen zum Erliegen. Die Flechte hatte jetzt einen großen Bereich vor ihnen überwuchert; von den Pflanzenkreaturen fehlte jede Spur.

Sie hatten sich zurückgezogen und am Rand der Höhle Schutz gesucht. Ein Riesenpilz ragte über ihnen auf. Je tiefer sie in die Höhle vorgedrungen waren, desto höher wuchsen die Pilze. Einige Exemplare hatten hier eine Höhe von über zwei Schritt. Halbohr war nach dem kurzen Kampf zum Rand des Bereiches geschritten, der mit der gelb-bräunlichen Flechte bewachsen war. Doch augenblicklich hatte sich eine Kältewelle über ihn aufgebreitet. Blutgefäße waren in seinem kantigen Gesicht geplatzt und er fröstelte. Die Kälte schien von dem, unter Feuereinfluss gewachsenen, Geflecht ausgegangen zu sein. Er war zurückgetorkelt und hatte Neire und Bargh berichtet. Neire hatte nachgedacht: Ihm war tatsächlich etwas zur braunen Flechte eingefallen. Er hatte von diesem Lebewesen gehört, dass es Teile des Unterreichs bevölkerte und empfindlich gegenüber Sonnenlicht war. Die braune Flechte ernährte sich von der Körperwärme warmblütiger Lebensformen. Er wusste allerdings nicht, was gegen diese Kreatur half; nur dass sie resistent gegenüber allerlei Energieformen war. So hatten sie sich niedergelegt und Bargh hatte die erste Wache übernommen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte der Krieger Jiarliraes sie sanft geweckt. Barghs verbrannter Kopf musterte einen Bereich, in dem sich die Höhle in mehrere Tunnel eröffnete. Der rote Rubin, der mit dem Fleisch seines rechten Augensockels verwachsen war, glühte, als er auf einen Bereich grünlich fluoreszierender Moose deutete. „Dort, schaut. Schatten die sich bewegen.“ Halbohr und Neire betrachteten die Höhle, doch sie sahen nichts. Nach wenigen weiteren Augenblicken des Starrens in das diffuse Licht, erklang die flüsternde Stimme Barghs ein zweites Mal. „Sie bewegt sich. Jetzt ist sie dort!“ Neire und Halbohr blickten in die Richtung, in die der gepanzerte Handschuh Barghs deutete und jetzt sahen auch sie die schattenhafte Gestalt, mit der Form eines Pflanzenwesen. Neire überwand seine Furcht und erhob zischelnd seine Stimme. „Ihr dort, wir sehen euch. Kommt hervor oder Bargh wird euch töten.“ Er sprach in der allgemeinen Zunge des Unterreichs und zeigte mit seiner verbrannten Hand auf die Gestalt. Abermals hörten sie ein leises, hochfrequentes Fiepen. Sie sahen, dass sich die Kreatur in Richtung eines Tunnels zu bewegen begann. Als Halbohrs scharfes elfisches Ohr Geräusche aus dem Tunnel hörte erhob er seine Stimme. „Ich höre Schritte, ein Surren und ein Klacken, wie von vielen. Sie kommen! Wir müssen angreifen.“ Bargh und Neire nickten wortlos und zogen ihre Waffen. Gemeinsam folgten sie rasch, aber vorsichtig dem Wesen, doch schon kurz vor dem Höhlentunnel sahen sie die Kreaturen, die aus der Dunkelheit auf sie zukamen. Weitere aufrecht schreitende, lebende Pflanzen, von denen einige mit der braunen Flechte überwachsen waren. Andere waren größer und hatten grünlich glühende Augen. Ein weiterer Kampf entbrannte und sie warfen sich gegen die ihnen entgegenkommenden Horden. Bargh ließ sein Schwert mit steigender Präzision mehrere Gegner fällen und Halbohr griff aus dem Hinterhalt an. Neire beschwor Blitze aus purer Schwärze und grausamer Magie; dann stimmte er einen gebetsartigen Gesang an Jiarlirae an, der fortan durch den Tunnel hallte. Weitere Ströme von Gegnern kamen jetzt auch aus den Seitengängen. Darunter waren schwarze, hässliche Riesenspinnen, die die Größe von ausgewachsenen Wildschweinen hatten. Neben der Vielzahl von Gegnern bereitete den Streitern vor allem die Kälte der braunen Flechte Probleme, die um sie herum war und ihre Bewegungen verlangsamte. Doch mit vereinter Kampfkraft und nach dem weiteren Aufschimmern einer Magmaexplosion konnten sie die letzte der Kreaturen besiegen.

Schließlich hatten sie sich wieder unter dem Riesenpilz niedergelassen und das Licht von drei Fackeln erhellte die Lamellen über ihnen in einem fast magischen Licht. Neire hatte die Fackeln um Bargh und ihn selbst in einem Dreieck in den Boden gesteckt. Jetzt warf der Schein lange unwirkliche Schatten. Bargh betrachte Neire, der seinen Oberkörper entblößt hatte. Hier und dort traten Sehnen und Muskeln hervor. Der Jüngling sah nicht besonders stark, aber drahtig und durchhaltefähig aus. Die drei rot schimmernden Rubine, die mit der Haut von Neires linker Schulter verwachsen waren, erweckten ein vertrautes Gefühl in ihm. Eine tiefe innere Sehnsucht nach Wissen und Macht. Neire nickte ihm zu und sprach: „Bargh, weit weg sind wir von den immerbrennenden Fackeln von Nebelheim, doch jetzt ist ihr Licht und Schatten bei uns, leitet uns und wir wollen beten…“
Titel: Sitzung 14 - Wiedersehen mit Rowa
Beitrag von: Jenseher am 19.05.2022 | 21:34
„Also preiset die schwarze Natter, feiert ihren unsterblichen Namen, trinkt euch in die schattige immerwährende Nacht, tanzt im Glanz der schwindenden Feuer, tanzt, denn die Zeiten des Kampfes sind vorüber. Und weinet nicht im Antlitz des Todes, weinet nicht im Grauen der Entropie, denn der Lebenszyklus ist das Chaos und alle Dinge sterben; denn die Dinge sterben um sich im Licht unserer Göttin aufs Neue zu entzünden.“ Beide Anhänger Jiarliraes hatten sich im Licht der Fackeln niedergelassen und eine Art Singsang begonnen. Die Stimme von Neire intonierte einzelne Verse in einem Choralgesang, die Bargh dann nachsang. Die Flammen der Fackeln zuckten und zitterten in chaotischen Formen und die Betenden warfen lange Schatten in die Höhle. Unter dem Dach des Riesenpilzes hatte die Szenerie etwas Gespenstiges. Halbohr hatte sich derweil an die Höhlenwand gekauert und beobachtete die beiden. Er konnte jetzt sehen, dass Neire sich vor Bargh hinkniete und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Die drei Rubine, die im verbrannten Fleisch von Neires Schulter verwachsen waren, begannen sanft zu glühen. Halbohr spürte, dass der Jüngling eine unwirkliche Macht entfesselte. Der Gesang verstummte und er hörte fremde arkane Worte. Dann sah er, dass sich das Gesicht von Bargh veränderte. Zuvor geöffnete Wunden begannen sich zu schließen. Ein Lächeln fuhr über das Gesicht von Bargh und er erhob seine Stimme. „Jiarlirae, Herrin, auf ewig bin ich dir verpflichtet.“ Er wiederholte diese Worte mehrfach und Halbohr sah, dass auch sein Juwel, welches den Sockel seines rechten Auges gänzlich ausfüllte, rötlich schimmerte. Der Rubin in dem von frischen Brandnarben bedeckten Gesicht verlieh Bargh eine furchteinflößende Aura. So ging das Schauspiel noch eine Zeit lang weiter, bis Neire die Fackeln einsammelte und die Flammen mit der bloßen Hand erstickte. Halbohr sah, dass Neire dabei in seine Richtung blickte und ihm zulächelte. Er schien als ob der junge Priester ihm etwas sagen oder zeigen wollte. Doch Neire drehte sich schließlich um und begann sich zu Rast niederzulassen.

„Halbohr wacht auf, euer Ohr! Es ist etwas passiert… euer Ohr ist hinfort.“ Instinktiv griff sich Halbohr an sein fehlendes Ohr, obwohl er die Missetat von Neire bereits spürte. Schon im Halbschlaf begriff er, dass ihm übel zugespielt wurde. Er blickte in das Gesicht des Jünglings und sah die makellosen weißen Zähne von Neire in der Dunkelheit aufschimmern. Das Lächeln von Neire war inniglich und nicht falsch, doch Halbohr fühlte eine Wut in ihm aufsteigen. So dachte er doch an den Vertrag und unterdrückte die Gefühle. Er war gebunden an die Abmachung mit der Dunkelelfin, deren Namen er nicht kannte. Auch war er gebunden an das Übereinkommen mit Neire, auch wenn der Priester der Chaosgöttin den Vertrag verbrannt hatte. Doch das war nicht sein, das war nicht Halbohrs Problem. Der Vertrag war immer noch gültig; er sollte bis in alle Ewigkeit gültig sein. Bis er, bis Halbohr ihn auflösen würde. Halbohr richtete seinen Oberkörper auf, als er seine Müdigkeit bekämpfte. Seine Wunden und die Kälte setzten ihm immer noch zu. Er biss die Zähne zusammen und dachte kurz an Neire: Ein Junge, der nicht weiß wo er hingehört. Er ist getrieben und hat seine Flausen. Er ist nicht falsch. Nur hören muss er, mir gehorchen. Ich muss ihn erziehen, damit er besser dienen kann. Damit sich der Vertrag erfüllt. Doch vorsichtig muss ich sein. Damit er mich nicht verbrennt, so wie er die anderen verbrannt hat. Halbohr richtete sich auf und blickte in das unschuldige, kindliche Gesicht, das er sah. Das Gesicht von Neire war eingerahmt von gold-blonden Locken als er sprach. Ein Gesicht, das man lieben musste. Neire nickte ihm lächelnd zu und erhob seine Stimme: „Halbohr es ist eure Wache. Macht euch bereit und wacht über uns. Ich werde mich schlafen legen.“ Eine kurze Pause setzte ein, in der Halbohr mit den Zähnen knirschte. Dann streckte er seinen müden Körper und stand langsam auf. Er fühlte die Verletzungen der Kälte, die von der braunen Flechte ausgegangen waren. Die Kälte steckte noch immer in ihm und schmerzte in seinen Gelenken. Doch er setzte sich an die Höhlenwand und blickte über seine Kameraden. Er sah Neire auf Zehenspitzen aufgestellt in die Lamellen des weißlichen Riesenpilz greifen, der über ihnen thronte. Seine Hand war von Schleim bedeckt, als er sie wieder hervorzog. Neire hatte eine dicke, vom Sekret des Pilzes bedeckte, schwarze Fliege gefangen, die jetzt zwischen seinen Fingern summte. Halbohr sah, wie der Jüngling das monströse Insekt der Größe einer Walnuss mit einer Mischung aus Neugier und Ekel betrachtete. Er beobachtete wie Neire begann sadistisch zu lächeln, als er dem Tier die Flügel ausriss. Jetzt legte er den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund und ließ die Fliege hineinfallen. Halbohr hörte das Knacken des Körpers und ein Schmatzen, als Neire sich, das schleimige Insekt kauend, zum Schlafen hinlegte.

Der Traum war über ihn gekommen wie der andauernde Regen des Gletschers von Nebelheim. Langsam und zäh hatten ihn Bilder und Gefühle heimgesucht. Neire hatte sich erinnert an das monströse Insekt, das er gesehen hatte. Die schwarze Fliege in der Größe eines Menschen hatte eine kupferne Rüstung getragen. Sie hatte ausgerissene Flügel und einen menschlichen Kopf gehabt, doch er hatte ihr Gesicht nicht sehen können. Sie hatte versucht hinfort zufliegen und sie war versunken in den Fluten des andauernden Regens. Nachdem er aufgewacht war, hatte Neire Bargh vom Traum erzählt. Sie beide hatten gerätselt über dessen Bedeutung. Bargh war sich unsicher gewesen in der Deutung. Er wollte jedoch eine göttliche Aufgabe annehmen um sich die Gunst von Jiarlirae zu sichern. Neire hatte dieses Vorhaben begrüßt und Bargh in seinem Bestreben bestärkt. Dann hatten sie alle das schwarze Eichhörnchen entdeckt, dass sich ihnen durch den Pilzwald näherte und sie mit wachen Augen musterte. Schon bevor sie reagieren konnten, begann sich die kleine Kreatur zu wandeln. Zum Vorschein kam die hünenhafte Gestalt von Gundaruk, der sich auf seinen Speer stütze und sie begrüßte. Sie waren jetzt wieder vollständig und brachen auf, um die noch unerforschten Tunnel der Höhle zu durchsuchen. Mehrere Gänge erkundeten sie, doch diese endeten alle in Sackgassen. In einer größeren Höhle ohne Ausgang fanden sie neben menschlichen Knochen Nischen, die mit dunklem Schleim gefüllt waren. Eine kurze Untersuchung zeigte, dass dies die Nester der Spinnen waren, die sie zuvor angegriffen hatten. „Neire, wir sollten den Schleim samt den Eiern verbrennen, bevor sich diese Brut aufs Neue erheben kann.“ Halbohr blickte in Richtung des jungen Priesters als er sprach und wies auf eine der Nischen. Bevor Neire antworten konnte sprach Gundaruk: „Der natürliche Kreislauf der Dinge ist der Tod und die Geburt neuen Lebens. Wir sollten nicht eingreifen und sie sich selbst überlassen. Falls sie überleben, soll es der Lauf der Dinge sein.“ Neire sah, dass Halbohr Gundaruk feindselig anblickte. Auch Neire selbst grübelte über den Worten Gundaruks und konnte keinen Sinn darin erkennen. Seine einzige Erklärung war, dass der ihm immer noch fremde Mensch das Unterreich nicht kannte. Oder er war verrückt geworden, bevor sie ihn aus dem Grab hatten befreien können. „Gundaruk“, sprach Neire ihn mit runzelnder Stirn an, während er überheblich lächelte. „Ihr kennt anscheinend das Unterreich nicht. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren. Und wir sind die Stärkeren. Nichts kann uns aufhalten. Wenn Halbohr die Nester verbrennen will, kann er es tun, weil er es kann.“

Sie hatten sich entschieden weiter die Höhlen abzusuchen, bevor sie die Nester verbrennen wollten. Jetzt standen sie in der letzten Höhle. Es offenbarte sich ihnen ein beeindruckender Anblick. Wände und Boden der Höhle waren zu einem Teil von einem gewaltigen grünlichen Schleimpilz überdeckt. Neire und Halbohr hatten schon einmal etwas über diesen Pilz gelesen. Der längere Kontakt mit dem Schleim sollte lebendiges Gewebe zersetzen. Sie hatten gehört, dass der Pilz von Bewohnern des Unterreiches eingesetzt wurde, um Gefangene oder Sklaven zu quälen, die bei lebendigem Leibe dem Pilz ausgesetzt wurden. Der gesamte Boden der Höhle war von Pflanzen bewachsen, die hier und dort Nester formten. Zudem sahen die Streiter kleine Pilze ein und derselben Gattung wachsen, die verschiedene Farben trugen. Sie erkannten diesen Pilz als bunten Vierling, der die Farben gelb, grün, blau und violett annehmen konnte. Je nach Alter des Pilzes nahm er eine dieser Farben an, wobei gelb einen jungen und violett einen alten Pilz kennzeichnete. Sie wussten zudem, dass die jungen Pilze berauschend, die älteren hingegen tödlich giftig waren. Zu ihrem Erschrecken sahen sie in zwei der Nester Leichname liegen, die schon halb von Pflanzen überwuchert waren. Halbohr, Gundaruk, Neire und Bargh begannen die Höhle und die Nester zu untersuchen und einige der Pilze zu sammeln. Als Bargh und Neire an das erste Nest mit dem Leichnam herantraten, konnte Neire sofort den Leichnam von Rowa erkennen. Der verbrannte, zerteilte Körper und der von den Stiefeln Barghs zertretene Kopf ragte aus den Ranken hervor, die sich hier und dort bereits in das Fleisch des Leichnams gebohrt hatten. Der zweite Leichnam stellte sich jedoch als interessanter heraus. In einem weiteren Nest konnten sie einen männlichen Menschen liegen sehen, der in einen Plattenpanzer gekleidet war, ein Schild bei sich hatte und einen Streitkolben trug. Als Bargh den leblosen Körper betrachte murmelte er: „Ich kenne diesen Mann.“ Er zog den Leichnam aus dem Nest und sie konnten ihn so betrachten. „Das ist Calmer, der stellvertretende Abt des Tempels von Grimmertal“, sagte Bargh zu Neire. Neire betrachtete das Schild und sah ein Auge, dass auf dem Rücken einer ausgestreckten Hand abgebildet war. „Es ist der Tempel des Wächters, eine niedere schwache Gottheit“, sagte Neire. „Ich habe von diesem Tempel gelesen. Er wurde vor einigen Jahrzehnten in Grimmertal erbaut. Der Abt dort ist Terion. Seht Bargh, was mit ihm passiert ist. Seht was denen passiert, die dieser schwachen Gottheit dienen.“ Bargh betrachtete den Körper seines ehemaligen Kameraden abfällig. „Ich diene jetzt Jiarlirae und nicht mehr dieser Gottheit. Mein Schicksal wird ein anderes sein.“ Als sie den Körper durchsuchen zog Bargh plötzlich einen silbernen Schlüssel hervor und lächelte. „Neire, dies ist der Schlüssel zum Tempel. Zu den heiligen Gemächern, zu denen ich keinen Zutritt hatte.“ Auch Neire musste jetzt grinsen. „Bargh, soeben habt ihr noch vom Schicksal gesprochen, jetzt halten wir den Schlüssel zum Tempel des Wächters von Grimmertal in unseren Händen. Es scheint als ob die Göttin von Feuer und Schatten uns ein Geschenk machen wollte. Der Schlüssel zu deren Heiligtum.“ Bargh nickte und der Rubin seines rechten Auges funkelte in der Dunkelheit. „Wir müssen den Körper verbrennen Neire. Vielleicht haben sie einen Trupp losgeschickt, der nach ihm suchen soll.“ Neire nickte und war kurz in Gedanken versunken. Er dachte an den Ruhm den er Nebelheim bringen wollte; er würde die Feuer brennen lassen und den Gletscher zurückdrängen. So sehr träumte er bereits von ihren zukünftigen Taten, dass er fast nicht die Stimme hörte, die ihn aus den Gedanken riss. „Neire, Halbohr, Gundaruk. Ich habe Spuren gefunden. Sie führen in Richtung des grünen Schleimpilzes.“ Bargh hatte sich in seiner schweren silbernen Rüstung niedergekniet. Er deutete auf die Wand vor ihnen die von dem grünen Pilz bedeckt war. Augenblicklich begann die Anspannung der Gruppe zu steigen. Gundaruk hob seinen Speer mit dem goldenen Runenband in eine Kampfhaltung und näherte sich der grünen Wand. Vorsichtig begann er hier und dort in den Pilz hineinzustechen. Zuerst hörten sie das Klingen von Metall auf Stein, jedoch an einer Stelle glitt der Speer ins Leere. Gundaruk zerschnitt den Pilz und die Helden sahen, wie sich dahinter ein schmaler natürlicher Gang auftat, der weiter in die Tiefe hinabführte. Ein sanfter wärmerer Luftstrom kam Gundaruk entgegen. Sie vernahmen den Geruch von Wasser und von Stein. Nach einer kurzen Beratung entschieden sie sich, dem Tunnel zu folgen. Irgendwo von hier mussten die Kreaturen gekommen sein. Sie ließen die beiden Leichname zurück und stiegen weiter hinab in die Tiefe des Erdreiches.
Titel: Sitzung 15 - Das Portal
Beitrag von: Jenseher am 25.05.2022 | 22:24
Tiefer und tiefer waren sie hinabgestiegen. In die Eingeweide der Erde. Die Luft war kälter hier und der faulige Gestank der Pilze und Pflanzen wich einem erdigen Geruch von Wasser und Stein. Sie konnten nicht sagen, wie lange sie durch die vollkommene Dunkelheit geschritten waren; vielleicht waren es nur einige Stunden. Bargh, der die Gruppe in die Tiefe führte, blieb plötzlich stehen und drehte sich dann um. Sein silberner Plattenpanzer schimmerte – trotz einiger Beulen und Kratzer - nass in der Finsternis. Er hatte die heilige Hellebarde, die er nicht mehr führen wollte, über seine Schulter gelegt. Rötlich glänzte der kostbare, makellose Rubin im Sockel seines rechten Auges. „Schaut Neire, eine Höhle. Irgendwo aus der Ferne höre ich ein Summen.“ Für einen kurzen Moment lauschte der Priester der Schatten und Feuer und sein Blick glitt in die Dunkelheit. Neire war hinter Bargh geschritten; Gundaruk und Halbohr waren ihnen in einigem Abstand gefolgt. Vor ihnen tat sich eine große Höhle auf. Lange Tropfsteinzapfen ragten hier und dort aus dem Dunkel hinab. Als ob sie ihre Gegenstücke suchten, die vom Boden der Höhle aufragten; doch nirgends trafen sich die alten Formationen, zu groß war die unterirdische Kammer im Stein. Die Streiter traten vorsichtig an den Eingang heran. Sie sahen kein Ende der Höhle. Neben dem leisen Summen von Insekten hörten sie ein Tropfen und ein durch den Stein gedämpftes Rinnen von Wasser. Neire schritt jetzt an die Seite von Bargh und deutete in die Dunkelheit. Das Fleisch seines linken Armes war grauenvoll verbrannt und durchzogen von tiefen Rissen und Furchen. In der Dunkelheit schimmerte es in ähnlicher Konsistenz wie zu Basalt erkalteter flüssiger Stein. „Seht, Bargh… dort, Leiber. Tote Spinnen.“ Gundaruk und Halbohr waren bereits zu ihnen aufgeschlossen und auch sie konnten das Knäuel von Leichnamen erkennen. „Bleibt ihr hier, ich werde mir das anschauen.“ Die Stimme von Halbohr war leise, aber klang entschlossen. Die muskulöse, gedrungene Gestalt des elfischen Söldners schlüpfte mit erstaunlicher Geschicklichkeit an ihnen vorbei und über den felsigen Untergrund. Die Wunden der Kälte, die die braune Flechte ihm zugefügt hatte, hatten kleine Blasen auf seiner Haut geworfen, die hier und dort schon aufgeplatzt waren. Doch auch wenn Halbohr den Schmerz spürte, er ließ es sich nicht anmerken. Er schlich vorsichtig zu den Körpern der monströsen Tiere. Die meisten der toten Riesenspinnen lagen auf dem Rücken und waren ineinander verschlungen. Es sah so aus, als hätten sie gegeneinander gekämpft; acht Exemplare an der Zahl. Er konnte keine weiteren Spuren, keine Ursache für den Kampf feststellen. Doch er vermutete, dass sie aus den oberen Höhlen stammten. Hier gab es nichts mehr zu entdecken. Er erhob sich und schritt vorsichtig zur Wand zurück, um den Rest der Höhle zu erkunden. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie die große, unübersehbare Gestalt aus dem Eingang hervortrat und sich ihm näherte. Er sah Gundaruks grünlich funkelnde Augen in der Dunkelheit. Der Riese, der ihn um fast das doppelte seiner Größe überrage, trug den silbernen Speer, den er dem toten Loec genommen hatte. Er hatte ihn zu seinem Eigentum gemacht und das gestickte Band mit den goldenen Runen um den Schaft gewickelt. Bei jedem Schritt stützte sich Gundaruk auf den Speer wie auf einen Gehstock, was ein wiederhallendes Geräusch durch die Höhle warf. Halbohr wollte sich gerade umdrehen und Gundaruk ermahnen leise zu sein, da sah er es vor sich aufragen. Ein großes obsidianernes Portal - mehrere Schritte breit und hoch. In das Felsgestein eingelassen, war es verziert von geschwungenen goldenen Runen. Gebannt näherte er sich Schritt für Schritt. Das hatte er nicht erwartet. Der Kontrast von schwarzer Steinkunst zum natürlichen Felsgestein warf einen Bann über ihn; güldene Rätsel der Runen lockten ihn näher. Hinter sich hörte er auch die schweren Schritte von Gundaruk langsamer werden. Das Pochen des Speeres auf dem Stein verstummte. Gemeinsam verharrten sie vor dem Portal und betrachteten die Runen. Kaum bemerkten sie, dass das Summen der Insekten lauter und lauter wurde.

Neire und Bargh hatten sich zu den Leichnamen der Spinnen begeben und betrachteten das Knäuel der toten Körper. „Bargh, wieso sind sie tot? Wieso liegen sie hier?“ Neire, hielt noch immer seinen Degen in der rechten Hand. Die gewellte Klinge blitzte auf in der Dunkelheit. Ein rötlicher Schimmer lag in seinen Augen, als er den Kopf querlegte und nachdachte. Bargh hingegen grummelte und kniete sich in seiner schweren Rüstung hernieder. Er zog seinen Dolch vom Gürtel und begann ihn wie einen Hebel am chitinernen Hinterleib anzusetzen. Er gab ein helles Knacken als er den Panzer des Monsters aufhebelte – ein Knacken, das etwas zu hell war. „Seht, Neire, sie sind von innen vertrocknet. Als ob…“ Bargh dachte nach, doch der ehemalige Paladin mit dem von Brandnarben gezeichneten Gesicht blieb stumm. Schließlich richtete er sich auf, schulterte wieder die Hellebarde und sprach zu Neire: „Ist das der Weg den wir schreiten müssen Neire? Werden wir das Feuer in die Tiefe bringen, um die obere Welt von unten aus anzuzünden?“ Neire, wie aus den Gedanken gerissen, betrachtete Bargh. Er dachte zurück an Nebelheim, an die drohende Gefahr. „Wir müssen Nebelheim retten. Das ist unser Weg Bargh. Das Feuer alleine, wie auch die Schatten, bergen nicht die Geheimnisse unserer Göttin.“ Er dachte an den Dualismus. Nebelheim, das im glühenden Zwielicht in einem ewigen Zweikampf lag. Er dachte an alte Bücher, die er einst gelesen hatte. „Schatten alleine löschen alles Sichtbare. Sie führen zum absoluten Stillstand. Feuer alleine zerstört alles Lebende, es löscht alles Gewesene aus. Die Geheimnisse von Jiarlirae liegen im Chaos. Chaos ist Leben und Zerstörung. Und Jiarlirae - Sie ist mehr. Mehr als die Summe aller ihrer Teile.“ Neire sah, wie Bargh an seinen Lippen hing. Er fuhr fort mit seiner Rede und das Lispeln seiner gespaltenen Zunge verstärkte sich. „Tief unter dem Meer, Bargh, liegen absolute Schatten, ein Reich von Düsternis und Kälte. Nur durch das Feuer aus der Erde, in einem Tanz von glühendem Gestein und Dunkelheit, wird das Leben, werden Inseln geboren. Sie werden geboren um vielleicht wieder zerstört zu werden. Dieses sind die Geheimnisse von Feuer und Schatten, sie werden unseren Weg begleiten.“ Er sah wie Bargh ihn anlächelte, ja fast gerührt war von seiner Rede. „Neire, ihr sprecht wahrlich tiefe Worte. Ich bitte euch, lasst mich an eurer Weisheit teilhaben.“ Sie hätten sich weiterunterhalten, sie hätten über die Geheimnisse von Feuer und Schatten gerätselt und der größten Göttin unter den Göttern gehuldigt, hätten sie nicht das Summen gehört und den Lichtschein bemerkt, der von einem Teil der Höhle ausging.

Zuerst war das Summen lauter geworden und sie hatten hier und dort ein Flattern gehört. Dann hatten sie die Motten gesehen, die sich in chaotischen Flugmustern auf sie hinabsenkten. Näher und näher waren ihnen die riesenhaften Insekten gekommen. Sie hatten die Größe von Fledermäusen gehabt und zuerst schienen sie sie spielend zu umkreisen. Zwei wabernde Trauben hatten sich gebildet. Eine um Gundaruk und Halbohr, die am Portal standen. Eine weitere um Bargh und Neire, die sich dem Portal näherten. Neire schritt hinter Bargh und duckte sich immer wieder unter dem Summen hinweg. Er war jetzt so nah am Portal, dass er die goldenen Schriftzeichen lesen konnte. Es war allerdings keine Sprache, die er lesen konnte. Eher ein Gesamtkunstwerk mit Einflüssen der Tiefensprache, Dunkelelfisch und der Drachensprache. Er war sich sicher, dass es eine Warnung war. Gefahr und Tod. Nicht so sicher war er sich bei einigen Runen, die Jäger oder Gejagter bedeuten konnten. Gerade wollte er seine Stimme erheben, als die ersten Insekten um sie herum begannen rötlich zu glühen. Das Geräusch des Flatterns wurde nochmals stärker. Gebannt blickten sie alle auf das Schauspiel, auf die rötlich glühenden Flügel in der Dunkelheit. Doch irgendetwas passierte mit ihrem Geist. Als ob sie in eine Art Trance geraten würden, sobald sie den Bewegungen der Motten folgten. Neire lächelte und schüttelte den Dämmerzustand ab. Er dachte an die Muster im inneren Auge, die er so lange betrachtet hatte. Jedoch sah er zu seinem Erschrecken, dass Bargh wie gebannt auf die Kreaturen blickte. Schaum bildete sich vor seinem Mund und er erhob das Langschwert wie zu einem Angriff. Neire wich instinktiv vor seinem Begleiter zurück und glitt in die Dunkelheit. Derweil war um Gundaruk und Halbohr bereits ein Kampf entbrannt. Wieder und wieder stießen die beiden nach den glühenden Insekten, die um sie herum wuselten. Fast jeder Stich mit dem Speer und dem Dolch tötete eines der Wesen, doch stets nahm eine neue Kreatur die Position der Getöteten ein. Zu ihrem Grauen sahen sie, dass das Portal neben ihnen sich begann zu öffnen. Eine Zeitlang blickten sie in die Dunkelheit und kämpften weiter, doch dann trat eine Kreatur hervor. Eine humanoide Gestalt mit langen Armen und grauer Haut. Gekleidet war sie in eine zerfetzte Hose. Die Hände wären klauenartig und der Schädel eingeschlagen. Unmöglich konnte die Gestalt, die etwas kleiner als Gundaruk war, noch am Leben sein. Auch schienen bei näherer Betrachtung einzelne Körperteile wie zusammengewürfelt; so als ob sie verschiedenen Leichnamen entnommen worden wären und zu dieser Kreatur zusammengesetzt.

Gundaruk keuchte und stach wieder in die Dunkelheit. Er versuchte nicht mehr in das rötliche Licht zu blicken, das von den Flügeln der Höhlenmotten ausging. Sein Körper fühlte sich immer noch wie eingerostet an. Wie lange habe ich wirklich in diesem Grab gelegen? Doch er hatte keine Zeit zum Nachdenken. Er blickte in Richtung der Gestalt, die sich jetzt vor dem geöffneten Portal aufgebaut hatte. Dann hörte er das Krachen von Metall. Gundaruk sah wie Bargh mit der Gestalt zusammengestoßen war. Bargh war in einen Kampfrausch gefallen und Schaum rann von seinem Mund hinab. Sein Langschwert war tief in den Hals der Kreatur gefahren. Einem Menschen hätte er wohl den Kopf abgehackt. Doch Gundaruk sah keine Wirkung. Wie in Zeitlupe hob die Gestalt ihre Fäuste und ließ sie auf Bargh herunterfahren. Das unschöne Geräusch einer ausgekugelten Schulter war zu hören und das Knirschen von Metall. Gundaruk stach weiter nach der nächsten Motte. Dann hörte er die Luft neben ihm explodieren. Zwei Kugeln aus glühendem Feuer hatten das humanoide Monster getroffen. Als der Lichtschein sich legte, sah Gundaruk, dass die Gestalt immer noch stand und Flammen auf ihrem Körper brannten. Sie schien unbeeindruckt zu sein, keinen Schmerz zu empfinden. Gundaruk blickte hinter sich und sah Neire auf sie zukommen. In seiner linken Hand brannte eine Flamme aus tanzendem Schattenmagma und seine Augen glühten rötlich. Sein liebliches Gesicht war jetzt von Zorn erfüllt und er rief gegen das Summen der Insekten an: „Tötet es, tötet das Monster.“ Als Gundaruk den priesterlichen Gesang eines disharmonischen Chorales aus Neires Mund hörte, spürte er den Mut in ihm aufkommen. Er erkannte die Todesgefahr, die von der Kreatur ausging. Sie oder ich. Ich muss schneller sein. Er näherte sich und sah, dass auch Halbohr ihm folgte. Mit all seiner Kraft stieß er den silbernen Speer in den Leib. Das Fleisch begann sich dunkel zu verfärben und platzte auf. Leichenwasser und gelber Eiter drangen aus der Kreatur hervor. Das Wesen drehte sich sofort zu ihm um und begann ihn anzugreifen. Gundaruk sah aus den Augenwinkeln, dass auch die Angriffe Halbohrs die Kreatur nicht verletzen konnten. Halbohr wich bereits zurück. Alles kam Gundaruk jetzt so langsam vor. Wie durch einen Nebel hörte er die hasserfüllte Stimme Neires. Der Jüngling schrie Halbohr hinter ihm an: „Ihr seid ein Feigling Halbohr, flieht ihr doch vor dem Kampf. Denkt an den Vertrag.“ Dann kam die rechte Faust des Wesens auf ihn hinab. Gundaruk versuchte auszuweichen und einen Angriff mit dem Speer auszuführen. Doch er war zu langsam. Er spürte wie ihm die Luft aus den Lungen wich, als die Faust ihn an der Seite traf. Er schnappte nach Luft und biss die Zähne zusammen. Der faulige Gestank des Monsters ließ ihn sich fast übergeben. Doch da war ein Widerstand, als er den Speer tiefer und tiefer in den Brustkorb stieß. Bis die silberne Spitze aus dem Rücken heraustrat. Das Wesen vor ihm begann zu zittern und auf die Knie herabzusinken.

Sie alle hatten keine Wahl gehabt. Sie mussten Bargh folgen. So waren sie dem Krieger Jiarliraes nachgeschritten, der wie in einer Art Trance durch das Portal gewandelt war. Nachdem Gundaruk in einem Zweikampf auf Leben und Tod das Monster niedergerungen hatte, waren plötzlich die rot schimmernden Motten verschwunden. Wie durch äußere Einflüsterung beschworen, hatte sich Bargh ruckartig in Richtung des Portals zugewendet. Jetzt folgten sie ihm in das, was dahinter war. Ein breiter Tunnel führte sie bereits einige Zeit hinab in die Tiefe. Sie versuchten auf Bargh einreden, doch er zeigte keine Reaktion. Irgendwann sahen sie die Wand aus Schatten vor ihnen aufragen. Der Tunnel, der hier zunehmend waagerecht wurde, war von der zwielichtigen Dunkelheit in der völligen Düsternis durchzogen. Hinter der Grenze der Schatten war die Umgebung nur schemenhaft zu durchblicken. Sie erahnten eine weitere Höhle, in der ein Thron stand. Es sah so aus, als ob eine Gestalt auf dem Thron sitzen würde, doch sie konnten weder Einzelheiten sehen, noch konnten sie erkennen ob die Gestalt auf dem Thron sich bewegte. Bargh war in den Bereich der Schatten hineingeschritten und hatte sich niedergekniet. Gundaruk, Halbohr und Neire blieben in einigem Abstand zu den Schatten stehen und beobachten Bargh. Er schien wie aus einem Traum zu erwachen. „Neire, wo bin ich? Was ist passiert?“ Einen kurzen Moment herrschte Stille, dann antwortete Neire. „Bargh, ihr seid hier hinabgegangen, wie benommen. Wir sind euch gefolgt. Kommt zu uns, tretet heraus aus den Schatten.“ In diesem Moment hörten sie alle die weibliche Stimme, die aus dem Gewölbe hallte. Sie sprach in der Sprache der Unterreiche, die nur Neire verstehen konnte. „Tretet herein in die Schatten oder ihr werdet gejagt.“ Neires Herz begann zu rasen, als er in die Schatten blickte. Er versuchte das Zittern seiner Hände so gut wie es ging zu verbergen, als er mit lispelnder Stimme antwortete: „Wer seid ihr, die ihr uns in die Schatten hineinbittet?“ Einen kurzen Moment herrschte Stille. Dann antwortete Bargh erneut: „Ich bin Bargh und ich bin mit Neire gekommen.“ Neire, flüsterte derweil leise Worte zu seinen Kameraden. „Sie will, dass wir in die Schatten schreiten.“ Dann hörten sie alle erneut die Stimme. Diesmal zitterte sie vor Zorn. „Tretet ein in die Schatten oder ihr werdet in Furcht davonlaufen.“
Titel: Sitzung 16 - In die Schatten
Beitrag von: Jenseher am 31.05.2022 | 22:19
Neire stand in dem breiten Gang aus obsidanernem Stein. Sie waren Bargh hierhin gefolgt. Der gefallene Paladin saß jetzt etwa zehn Schritt von ihnen entfernt in den Schatten. Er hatte sich niedergekniet und ließ seinen von Brandwunden bedeckten Kopf hängen. Sein Plattenpanzer schimmerte silbern in der Düsternis. Gerade war die zornige weibliche Stimme verhallt, die sie aufforderte in wabernde Wand aus Schatten zu treten. Für ihre übernatürlichen Augen, die auch die totale Dunkelheit dieser Höhlenwelt durchblicken konnten, war es so, als ob der Bereich vor ihnen in ein Zwielicht getaucht wäre. „Bargh, hört ihr mich. Sollen wir in die Schatten treten?“ Neire flüsterte die Worte in die Dunkelheit, doch er vernahm keine Reaktion von Bargh. Es war Halbohr, der dem jungen Priester Jiarliraes zunickte und den ersten Schritt in die Dunkelheit machte. Neire sah, dass im Blick des Elfen mit dem grobschlächtigen Gesicht Ratlosigkeit und Verwirrung zu lesen war. Doch auch eine innere Entschlossenheit. Das letzte was Neire von Halbohr sehen konnte, war sein zerrissener Filzmantel. Dann wurde auch dieser von der Dunkelheit verschluckt. Plötzlich war es unheimlich still im Tunnel. Neire blickte sich um. Er war jetzt allein und kam sich klein, verlassen und schwach vor. Ich will nicht gejagt werden, nicht gejagt werden wie ein verfluchter Chin’Shaar. Doch ich kann auch nicht fliehen; ich darf Bargh nicht zurücklassen. Die Gedanken warfen ihn in eine innere Unruhe und seine Hände begannen leicht an zu zittern. Doch auch die Neugier regte sich in ihm. Was wohl für Geheimnisse in den Schatten zu finden waren. Er musste handeln. Schließlich machte er den Schritt und glitt hinein in die Dunkelheit.

Einen kurzen Moment taumelte Halbohr, denn der Boden war aus purer Schwärze und schien aus anderer Konsistenz als der Stein des Tunnels zu sein. Er kam ihm vor, als würde er über einen glatten Spiegel schreiten. Als Halbohr Kontrolle über seine Schritte erlangt hatte, ging sein Blick nach vorne. Jetzt konnte er den Thron besser erkennen. Er sah, dass sich dort eine Gestalt in völliger Nacktheit räkelte. Die Frau die dort breitbeinig saß, hatte eine steingraue, unversehrte Haut und war schlank. Er konnte ihr Alter nicht abschätzen. Schneeweißes langes Haar fiel von ihrem Kopf und blaue Augen funkelten in der Dunkelheit. An den Thron gelehnt sah er einen kostbaren Bogen dunkelelfischer Machart, der mit einer Spinne am Griff verziert war. Halbohr blickte sich nach Neire um, den er durch den Schleier der Schatten sah. Der Jüngling wirkte verängstigt; sein liebliches Gesicht, eingerahmt von den langen, gold-blonden Locken, war in ein Grübeln verfallen. Halbohr konnte erkennen, dass Neire vor Anspannung zitterte. Doch jetzt machte er tatsächlich die Schritte nach vorne um schloss auf zu ihm. Als sie beide die Höhe von Bargh erreicht hatte hörten sie die Stimme der Frau, die lieblich und nicht aus einer bestimmten Richtung herkommend klang. Vielmehr hörte es sich an, als wäre die Stimme überall im Raum und um sie herum. „Ihr seid in mein Reich eingedrungen. Habt ihr mir Geschenke mitgebracht oder ist er euer Geschenk an mich?“ Halbohr sah wie sie auf Bargh zeigte, der noch immer wie benommen dort kniete. Er war sich nicht sicher wie er reagieren sollte und blickte zu Neire, der eine weite Verbeugung machte und antwortete.

Neire erinnerte sich zurück an die Zeit in der Bibliothek von Nebelheim. Er hatte Bücher über die dunkelelfische Kultur gelesen. Von Zeiten, in denen die Dunkelelfen Handel mit Nebelheim getrieben hatten, hatte er gehört. Er betrachtete die Gestalt vor sich und er war sich sicher schon einmal von ihr gehört zu haben. Vielmehr hatte er ein Portrait von ihr gesehen. Es musste sich hierbei um die Dunkelelfin Aria Prias handeln. Sie war einst eine grausame Herrscherin des Dunkelelfenreiches und als Gründerin mehrerer dunkelelfischer Häuser bekannt gewesen. Bereits vor etwa 800 Jahren trat ihr Name in Erscheinung. Neire erinnerte sich zudem an drei ihrer Titel: Erste Kaiserin, Geißel des Reiches und Gründerin der Häuser. In der jüngeren Zeit des Reiches sollte sie von der politischen Bühne ver¬schwunden sein und die Fäden aus dem Verborgenen gezogen haben. Auch war sie als Anhängerin der Göttin Lolth bekannt gewesen. Ihr Bogen war eine legendäre Waffe, die magische Pfeile aus verschiedenen Energieformen generieren konnte. Neire führte eine tiefe Verbeugung aus und lächelte, als er mit wohl überlegten Worten antwortete: „Große Herrscherin, wir sind unserem Kameraden hier hinabgefolgt. Uns erschien es so, als ob er von einer fremden Macht hierhin gerufen worden wäre.“ Als er seinen Kopf erhob, bemerkte Neire, dass auch sie ihn anlächelte und ihre Stimme erhob. „Ich sehe ihr wisset wie ihr mir begegnen sollt und auch macht ihr mich neugierig. Doch beantwortet meine Frage: Habt ihr mir Geschenke mitgebracht?“ Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen. Gerade suchte Neire nach einer Antwort, als Halbohr ihm zuvorkam: „Wir haben einige Dinge die euch interessieren könnten und wir könnten nützlich für euch sein, doch welche Geschenke begehrt ihr?“ Neire hörte ein Zischen als Antwort und sah wie die Kaiserin sich aufstellte und nach dem Bogen griff. „Ihr beginnt mich zu langweilen, Männchen; ihr stellt die falschen Fragen. Stärke ist die einzige zu respektierende Fähigkeit bei euch, einem Männchen. Und ich bin geneigt herauszufinden über welche Stärke ihr verfügt, wenn ich euch jage.“ Neire sah, dass sie Halbohr abfällig musterte, der ihrem Blick trotzig standhielt. Wut kam in Neire auf. Er kennt sich mit höfischen Sitten nicht aus und weiß anscheinend nicht, dass solche Fragen Herrscher in Verlegenheit bringen. Er sollte lieber schweigen. Dachte Neire und warf Halbohr ebenfalls einen verachtenden Blick zu. Jetzt musste er die Wogen glätten. Neire verbeugte sich abermals tief und sprach in seiner lispelnden, zischelnden Weise die Sprache der Unterreiche. „Große Herrscherin, ich komme von weit her. Aus Nebelheim. Vielleicht interessieren euch die jüngeren Entwicklungen des Hauses von Duorg und deren Zöglingen Rowa und Raxira. Und da war noch ein Amulett; eine Insignie des Hauses.“ Die Miene der Kaiserin helle sich wieder etwas auf und sie ließ den Bogen sinken. „Nebelheim, so… Rowa, Raxira und Raxor. Armselige Kreaturen, die einen lächerlichen Anspruch auf den Vorsitz ihres schwachen Hauses erheben. Was wisst ihr über sie, was wisst ihr über das Spinnenamulett?“ Neire bemerkte, dass Aria Prias ihn anlächelte. Er hatte anscheinend ihre Neugier geweckt. Abermals antworte er in der Sprache der Unterreiche. „Wir sind einige Zeit mit Rowa gereist. Jetzt ist sie tot. Sie wurde ermordet von ihrer Schwester Raxira. Wir haben gesehen wie sie von durchsichtigen Spinnen zerstückelt wurde. Das Amulett hat Raxira an sich genommen und sie verschwand, wie sie gekommen war – plötzlich.“ Neire sah, dass Aria seinen Worten lauschte. Bevor sie etwas erwidern konnte, setzte er ein weiteres Mal an. „Große Herrscherin, ihr spracht von der Jagd. Wir würden es vorziehen nicht gejagt zu werden. Lieber würden wir selber jagen.“ Neire hörte ein Lachen der Dunkelelfin auf seine Ansprache hin. „So… ihr würdet lieber selber jagen… Nun, dann soll es so sein. Ihr werdet für mich jagen oder ich werde euch jagen. Bringt mir das Amulett der Mutter der Spinnen. Findet Raxira und tötet sie. Bringt mir zudem den Schädel aus purem Gold, ein Relikt aus einer alten Zeit und ihr werdet eine Belohnung von mir erhalten.“ Neire hörte die Worte, die mit einer befehlenden Bestimmtheit gesprochen wurde. Er wusste, dass sie keine Widerworte dulden würde. „Große Herrscherin, wo sollen wir suchen? Wie sollen wir Raxira finden? Sie verschwand mit ihren durchsichtigen Spinnen auf geisterhafte Weise.“ Abermals lachte Aria, bevor sie antwortete. „Ja, Raxira und ihre kleinen Haustiere. Versucht es in der alten Festung Faust. Ich kann es mir vorstellen, dass sie sich dort aufhält. Die Feste liegt in nordöstlicher Richtung von hier. Etwa 50 Meilen sind es bis dort. In den oberen Gemäuern sollen sich niedere Kreaturen eingenistet haben; doch Faust verfügt über ein Netz von unterirdischen Verliesen, Tunneln und Gängen. Dringt dort ein und beginnt eure Suche dort.“ Neire nickte und blickte in Richtung Halbohr. Anscheinend konnte auch der elfische Söldner ihre Worte verstehen. Doch irgendetwas irritierte Neire an Halbohrs Blick. Die grünen elfischen Augen musterten starrend einen bestimmten Bereich hinter dem Thron. Als Neire antworten wollte, sprach die Kaiserin abermals zu ihnen. Diesmal hatte ihre Stimme einen herausfordernden Ton. „Ihr seid an Geheimnissen interessiert. So sehet was sich unter den Schatten verbirgt.“ Neire bemerkte augenblicklich, wie der Schatten des Bodens begann zu verschwinden. Als würden sie durch Kristallglas blicken, sahen sie unter sich eine gewaltige Höhle aufragen, in denen die Ruinen einer untergegangen Dunkelelfenstadt lagen. Feenhafte magische Lichter, sogenannte Dunkelfeuer, brannten wie immerwährende Elmsflammen von den Überresten. Ein markantes Gebäude schien immer noch intakt zu sein. War dies der Tempel der Spinnengöttin? War das Ched Vurbal? Neire konnte seinen Augen nicht trauen und erhob seine Stimme. „Beeindruckend, große Herrscherin, sind das die Ruinen von Ched Vurbal?“ Die Antwort von Aria Prias kam sofort und sie verneinte seine Frage nicht. „Woher kennt ihr diesen Namen? Ihr überrascht mich erneut. Aber genug des Ganzen, geht jetzt bevor ich meine Meinung ändere. Verlasst den Tunnel zur rechten Seite durch die Höhle und nehmt den ersten Gang der hinausführt. Irgendwann gelangt ihr in eine Höhle mit einer Spalte. Versucht nicht das Gas einzuatmen, das dort aufsteigt. Verlasst diese Höhle durch den einzigen Ausgang und gelangt durch einen Tunnel in ein Gewölbe mit einer Steele. Dort gibt es zwei Möglichkeiten. Durch einen offensichtlichen Gang gelangt ihr an die Oberfläche durch ein altes Grab. Ein verborgener Gang führt zu einer kleinen verlassenen Feste. Geht!“ Neire verbeugte sich ein weiteres Mal und sprach: „Wir werden euch nicht enttäuschen und wir werden zurückkehren. Große Herrscherin, ihr seid bestimmt unsterblich; ich würde also annehmen, dass Zeit keine Rolle für euch spielt?“ Arias Stimme klang kraftvoll, nicht zornig, als sie antwortete. „Lasst euch nicht zu viel Zeit. Die Jäger seid jetzt ihr.“ Neire nickte, verbeugte sich ein weiteres Mal und trat durch die Schatten zurück. Er sah auch, dass Bargh und Halbohr ihm folgten. Seine Gedanken galten jedoch Aria Prias und ihrem Dasein über den Ruinen von Ched Vurbal. Anscheinend beobachtete sie ihre Stadt und den Tempel von oben. Würde sie Eindringlinge jagen, die die Ruinen oder den Tempel von Ched Vurbal betreten? Kaum hörte er ihre höhnischen Worte nachhallen: „Die Frauen taten was sie konnten; die Männchen litten was sie mussten.“

Halbohr lauschte den Gebeten von Neire und Bargh. Sie hatten die Behausung von Aria Prias verlassen und waren dem Gang aus der großen Höhle gefolgt. An einer Quelle im Stein hatten sie eine kleine Rast eingelegt und Neire hatte einige Zeit meditiert. Neire hatte die Schulter von Bargh eingerenkt und die Schreie des Kriegers von Jiarlirae waren im Tunnel erschallt. Auch hatte Neire sich den schweren Wunden angenommen, die das seltsame Wesen Bargh im Kampf zugefügt hatte. Jetzt konnte Halbohr hören wie sie ihre Gebete beendeten und Bargh seine Stimme erhob. „Neire, was ist passiert? Ich kann mich an nichts erinnern. Nur an eine Leere. Und da war eine Frau mit schwarzer Haut und weißem Haar, die meinen Geist quälte. Eine verfluchte dunkelelfische Hexe.“ Neire sah Bargh mit großen Augen an. „Ja, ihr Name ist Aria Prias. Sie hat uns erniedrigt und jetzt sollen wir für sie arbeiten. Sie wird dafür mit ihrem Leben bezahlen; sie wird brennen und wir werden ihr Gehirn essen.“ Halbohr sah wie Bargh Neire verwundert anblickte. „Ihr Gehirn essen? Wird es uns irgendwelche Kräfte geben?“ „Ich weiß es nicht Bargh. In Nebelheim waren Gehirne eine Delikatesse. Chin’Shaar Gehirn gab es auf den höchsten Festen.“ Halbohr sah, wie Neire bei den Worten wehleidig in die Ferne blickte. „Erzählt mir mehr Neire, wer waren diese Chin’Shaar?“ Bargh war anscheinend fasziniert von den Worten Neires. „Es sind Verfluchte, eine Rasse, halb Spinne, halb Mensch. Vierarmig, hinterlistig und von den Herrschern von Nebelheim verbannt auf ewig in den Eishöhlen zu leben. Dort werden sie von den Kupfernen Kriegern der Stadt gejagt.“ Halbohr bemerkte die Gier nach Wissen in den Augen Barghs. „Erzählt mir mehr Neire. Wer sind diese Kupfernen Krieger?“ Halbohr sah, wie Neire seinen Kopf in seine Richtung drehte während er sprach. „Alles zu seiner Zeit Bargh. Zuerst müssen wir unseren Weg hier hinausfinden. Halbohr wird uns führen.“ Halbohr nickte und erwiderte. „Lasst mich ein Stück vorschleichen und folgt mir.“ So glitt er in die Dunkelheit. Hinter sich hörte er immer wieder die Stimmen von Bargh und von Neire.

Eine Zeit lang waren sie dem Tunnel gefolgt, der sich tatsächlich in eine Höhle öffnete, in der sie eine dünne Felsspalte aufragen sahen. Gas stieg dort auf und die Luft roch nach Schwefel. Nach kurzer Beratung durchquerten sie die Höhle und hielten dabei die Luft an. Jedoch entging den wachsamen Augen Halbohrs nicht die Türe, die an der rechten Wand der Höhle im Stein verborgen war. „Neire, Bargh, ich habe dort eine Türe im Felsen gesehen. Sollen wir sie untersuchen?“ Die Miene Neires hellte sich auf und Halbohr konnte die Neugier sehen, als er antwortete. „Ihr habt wachsame Augen Halbohr. Ja, lasst uns schauen, was sich hinter dieser Türe verbirgt. Und… Halbohr, haben eure wachsamen Augen etwas Besonderes im Gemach von Aria Prias entdeckt?“ Halbohr nickte tatsächlich. „Ja, dort war etwas in den Schatten. Ein reptilienartiges Auge und Schuppen habe ich gesehen. Von gewaltiger Größe, wie die eines Drachen.“ Bei diesen Worten horchte Neire auf. Ein Drachen und eine dunkelelfische Kaiserin. Wo hatte sie das Schicksal hingeführt? Neire dachte nach. Er hatte von verschieden Drachen gehört, die im großen Krieg auf der Seite der Dunkelelfen gekämpft hatten. Von farbigen Drachen und von Tiefen- sowie Schattendrachen hatte er gehört. Doch von einem Drachen und Aria Prias hatte er nichts gehört. So entschlossen sie sich die Höhle zu durchqueren und die Türe zu öffnen. Abermals hielten sie die Luft an und Halbohr führte sie an der Spalte vorbei. Tatsächlich konnten sie die Türe entriegeln und sahen dahinter einen engen, staubigen Gang liegen. Fünf Stufen führten hinab. Sie folgten dem Gang dahinter, der in das Felsgestein geschliffen worden war. Nach etwa fünf Dutzend Schritt endete dieser an einer weiteren Türe aus Stein. In der Mitte war ein Schlüsselloch zu erkennen, von dem freskenhafte Strahlen in einem Kreis hinfort führten. Neire hatte eine solche Symbolik schon einmal gesehen und brachte sie mit einem Gefängnis in Verbindung. „Tretet zurück, ich werde die Türe untersuchen“, hallten die Worte Halbohrs, als er begann seiner Dietriche hervorzuholen. Neire und Bargh traten zurück und Halbohr kniete sich an die Türe. Er bemerkte die Falle, die sich dort befand. Jetzt durfte er keine Fehler machen. Mit ruhigen Händen platzierte er die feinen Werkzeuge und begann den Mechanismus zu drehen. Augenblicklich hörte er das Schnappen von Bolzen im Stein und das schmatzende Saugen von Luft, die in das Innere eindrang.
Titel: Sitzung 17 - Das Gefängnis im Unterreich
Beitrag von: Jenseher am 6.06.2022 | 22:05
Halbohr hielt noch für einen kurzen Moment die Luft an. Das Schnappen der Bolzen im Stein der Türe war längst verklungen, da atmete er auf. Er konnte einen modrigen Geruch vernehmen, der von der anderen Seite der Türe in den schlanken, trockenen Gang gedrungen war. Weit hinter sich hörte er die Stimmen von Bargh, Gundaruk und Neire. Er war hier auf sich allein gestellt und ein weiteres Mal hatten ihn seine Fähigkeiten vor Schlimmerem bewahrt. Halbohr begann die Türe aufzudrücken. Es gab ein Knirschen, als die schwere Steinplatte sich langsam zu bewegen begann. Katzenhafte grünliche Augen lugten neugierig hervor und der bullige Söldner mit dem fettigen, schulterlangen Haaren begann seine beiden Dolche zu ziehen.

Die Gruppe um Bargh, Gundaruk und Neire hatte sich langsam durch den schmalen Tunnel bewegt. Besonders der hünenhafte Gundaruk hatte Probleme mit der Enge. Jetzt waren sie zur Türe gelangt und sahen, dass Halbohr bereits einige Schritte hindurch gegangen war. Sie blickten in eine sechseckige Halle, die in den Felsen geschliffen worden war. Der Staub und die abgestandene Luft ließen erahnen, dass hier längere Zeit keine Seele mehr weilte. Zur Linken konnten sie Erhöhungen aus Stein erkennen, auf denen Decken lagen; zur gegenüberliegenden Seite Regale und ein Sitztisch aus Stein. Doch vielmehr wurde ihr Blick auf eine kleine steinerne Säule gezogen, die aus vier unterschiedlich langen Segmenten bestand und in einer Halbkugel endete. Schriftzeichen waren auf dem unteren, längsten Segment zu sehen. Nach oben hin verjüngten sich die Segmente. Die Halle hatte keine Ausgänge und so traten sie ein und begannen mit der Durchsuchung.

„Die Türe habt ihr aufbekommen ohne gleich in Ohnmacht zu fallen. Aber die Schriftzeichen? Kennt ihr sie?“ War es eine innere Wut die Neire spürte, als er begann Halbohr zu sticheln? Vielleicht war es auch Neid auf dessen Fähigkeiten mit dem Dietrich. Ich habe ihm bereits zugeschaut, wie er Schlösser mit spielender Leichtigkeit knackt. Ich muss ihn weiter beobachten um mir seine Fähigkeiten anzueignen. Neire dachte an Nebelheim; was er mit solchen Fähigkeiten dort für Unfug hätte treiben können. Zugang zu den verschlossenen Bereichen der großen Bibliothek hätte er sich verschafft. Was hätte dort für Wissen gewartet… Neire bemerkte, dass Halbohr ihn zwar abfällig musterte, aber ihm nicht antwortete. „Ich werde euch auf die Sprünge helfen, auch wenn das eine klare Verletzung eures Vertrages ist. Denn eigentlich werdet ihr für solche Dienste nach Vertrag bezahlt.“ Neire hob in arrogante Miene sein Kinn und betrachtete Halbohr mit einem neckischen Lächeln. „Ah, Neire“, stöhnte Halbohr. „Ein Vertrag, den ihr verbrannt habt und dessen Wirksamkeit ihr angezweifelt habt. Wir können ihn gerne auflösen.“ Jetzt war es Halbohr, der ihn grimmig angrinste. Die Wut wuchs augenblicklich in Neire. Er stampfte mit einem Fuß auf den Boden, so dass er Staub aufwirbelte. Doch dann dachte er nach. Halbohr musste sich an den Vertrag halten, obwohl er durch das ewige Feuer von Jiarlirae bereits aufgelöst wurde. „Nein, Halbohr! Wir können den Vertrag nicht auflösen, weil er bereits durch die Flammen Jiarliraes aufgelöst wurde und nicht mehr existiert. Also haltet euch an euren Vertrag und dient mir so, wie es sich gehört!“ Neire sah, dass jetzt Halbohr vor Wut kochte und er lachte kindlich auf. Doch plötzlich war da der besänftigende Geruch von Wald und von Harz. Die Gestalt von Gundaruk drängte sich zwischen Neire und Halbohr. Gundaruk klopfte mehrfach mit dem Speer auf dem Boden, als er Worte der Beruhigung murmelte und beide auseinander drückte.

Nachdem sie den Raum abgesucht hatten, hatte Halbohr gehandelt. Einer musste es ja tun und er würde sich an den Vertrag halten. Umso größer sollte sein Anteil an den Schätzen sein. Er redet zu viel und handelt nicht; und wenn er handelt, dann sind es meist unsinnige, jugendliche oder grausame Taten, dachte Halbohr. Neire hatte eine Zeit lang von den dunkelelfischen Zahlen Null, Eins, Zwei und Drei gesprochen, die auf dem unteren Segment der Säule eingraviert waren. Zudem hatte sich der junge Priester ausgelassen über die ach so abscheulichen Rätsel dieser Kreaturen und dass Nebelheim über dem Ganzen stand. So hatte er, Halbohr, gehandelt und das zweite Segment von unten gedreht. Tatsächlich war es beweglich gewesen. Es hatte eine Erschütterung eines Mechanismus im Stein gegeben und ein Teil des Bodens war, zugunsten einer hinabführenden Treppe, in die Tiefe geglitten. Jetzt schritt Halbohr mit Gundaruk die Stufen hinab, während Neire und Bargh den oberen Bereich sicherten. Die Gedanken ließen ihn nicht los. Was wenn er wieder einen seiner kindlichen Streiche im Kopf hat? Was wenn er an einem weiteren Segment dreht? Halbohr kehrte sich um und flüsterte in die Dunkelheit hinauf: „Neire, wartet mit dem Drehen von anderen Segmenten. Wartet, bis wir euch ein Signal geben.“ Täuschte es ihn oder hörte er diesmal das schäbige Lachen von Bargh? Halbohr, der voraus ging, war jetzt am Fuße der Treppe angelangt und sah einen kleinen Gangabschnitt, zu dessen Rechten er eine Türe bemerkte. Auch dieses Portal war aus Stein und trug die Freske der Strahlen, in Form von radialen Linien. Kein Schlüsselloch war auf dieser Türe zu sehen, jedoch entging Halbohr nicht die gegenüberliegende Wand, gezeichnet von Kratzspuren; es sah so aus, als ob diese beweglich im Stein wäre. Gerade wollte er seine Stimme erheben, da hörte er erneut das Knirschen von Stein und sah, wie sich die schwere Türe vor ihm wie von Geisterhand öffnete. Die Wut stieg in weiteres Mal in Halbohr auf. Kann der Junge nicht einmal auf mich hören? Oder ist es Bargh gewesen? Ich habe sein verrücktes Lachen gehört. Es machte keinen Unterschied. Die beiden schienen unzertrennbar, nachdem Neire ihn zuerst ermordet und dann von den Toten zurückgeholt hatte. Das verbrannte Gesicht des Kriegers und der glühende rote Rubin im Auge von Bargh bereite Halbohr schon seit längerem Unbehagen. Doch Bargh konnte sich wohl aufgrund seiner damaligen Trunkenheit nicht an seine Ermordung erinnern.

Sie waren danach vorsichtig weitergeschritten und hatten hinter der geöffneten Türe eine karge Zelle entdeckt. Die Wände waren von Kratzspuren überzogen gewesen und in einer Ecke lag der skelettierte Leib einer großen Schlange mit einem menschlichen Schädel. Es hatte so ausgesehen, als ob die Kreatur schon seit Jahrhunderten hier unberührt liegen würde. Gundaruk hatte die Knochen durchsucht und ein Futteral mit einer Schriftrolle fremder arkaner Symbole, drei Tränke in unterschiedlichen Farben und eine kleine Kiste mit einer Kristallkugel gefunden. Gundaruk und Halbohr hatten sich dann kurz mit Bargh und Neire ausgetauscht, um zu erfahren, dass das dritte Segment auf die Eins bewegt worden war. Schließlich waren sie wieder hinabgestiegen und hatten Bargh und Neire gesagt, sie sollten das zweite Segment auf die zweite Position bewegen. Nach der Betätigung durch Bargh und Neire hatten Gundaruk und Halbohr abermals gesehen, dass sich die Wand vor ihnen in den Boden hinabbewegte. Sie waren einer weiteren Treppe in die Tiefe gefolgt. Jetzt standen sie in einem unteren ebenerdigen Gang und einer Türe zur Rechten. Die Freske der Strahlen, in Form von radialen Linien war auch dort zu sehen – kein Schlüsselloch. Gundaruk, der hier gebückt ging, erhob seine tiefe laute Stimme eines alten Akzentes: „Neire, Bargh… dreht das dritte Segment auf die zweite Position.“ Er lauschte auf eine Antwort, doch an deren Stelle hörte er das Knirschen von Stein und sah, dass auch diese Türe nach innen aufschwang. Dann ging alles ganz schnell. Sie bemerkten gerade noch die karge Zelle und die Kreatur die sich dort bewegte. Kaum hatten sie ihre Waffen erhoben, schon stürmte ein Krieger auf sie zu, der zwar von kleiner, schlanker Statur, doch umso mehr furchteinflößend war. Die Gestalt vor ihnen war berüstet mit Ketten und Panzer, mit Säbel und Picke. Unmöglich konnte sie noch leben. Die linke Schädelhälfte war eingeschlagen und Augen glühten wie aus weißlichem Eis in der Dunkelheit. Halbohr stand an der Türe, als die Gestalt bereits mit dem Säbel auf ihn einstach. Blut sprudelte aus seiner rechten Schulter auf, doch er versuchte ihr den Weg zu blockieren und schrie: „Neire, schließt die Türe. Dreht das Segment zurück.“ Tatsächlich ging einen kurzen Moment später ein Rucken durch die Türe. Der Angriff mit der Picke krachte funkensprühend gegen die Steinwand und die Gestalt verlor das Gleichgewicht. Sie wurde bereits im Angriff von der Türe erfasst und im Fallen über den Boden nach vorne gedrückt. Halbohr und Gundaruk nutzten den Vorteil aus und stachen mehrfach mit ihren Waffen auf die Kreatur ein. Gerade unter Gundaruks mächtigen Angriffen splitterten mehrere Knochenstücke ab. Die Gestalt schien einen Augenblick wie gelähmt, unfähig sich unter dem Regen der Angriffe zu erheben. Doch dann erhob sie sich, stärker als zuvor. Sie sahen, dass das weißliche Glühen der Augen jetzt beißend für ihren Blick war. Gundaruk und Halbohr bereiteten sich auf das Schlimmste vor, doch plötzlich explodierte die Luft vor ihnen. Sie wurden geblendet von zwei Magma-artigen Geschossen schattenhafter Flammen, die in die Kreatur gefahren waren. Das Skelett der Gestalt begann von innen her zu brennen. Für einen kurzen Moment war die Hitze unerträglich. Dann hörten sie das Knacken und Knistern der flammenden Knochen als der skelettene Krieger vor ihnen zusammenbrach. Nur noch den Jubel von Bargh konnten sie vernehmen, der vor Neire niedergekniet war und bereits dessen Tat lobpreiste. Da war es wieder, das rötliche Funkeln in den Augen des Jünglings, dem Kind der ewigen Flamme. Sie hörten die lispelnde Stimme von Neire und den fremden Akzent: „Bargh, bringt mir seinen Leichnam.“ Es dauerte nicht lange, da hatte der große Krieger in dem silbernen Plattenpanzer den Befehl befolgt und Neire starrte auf die noch qualmenden Überreste. Er blickte zuerst Bargh, dann Gundaruk, dann Halbohr an: „Wie schwach sie doch sind“, sagte Neire, der durch die Strapazen der Reise abgenommen hatte und hagerer wirkte als zuvor. „Er trägt die Wappen des Hauses von Duorg und ein Herrschersymbol. Es ist Raxor, der Bruder von Rowa und Raxira. Jetzt habe ich zwei der Geschwister ermordet und Raxira wird die Nächste sein.“ Neire wandte sich Bargh zu und seine überhebliche Miene wandelte sich in ein freundliches Lächeln. „Nebelheim hat den Krieg gegen das Dunkelelfenreich gewonnen. Es war schon immer stärker und wärt ewiglich, doch es ist in Gefahr. Wir müssen weitersuchen, suchen nach den Schlüsseln in die brennende Düsternis.“

Halbohr stand vor der segmentierten Säule. Ja, er hatte die Macht des Feuers gespürt, als Neire die untote Kreatur vernichtet hatte. Das Kind der Flamme, wie er sich selbst nannte, war auf unheimliche Art und Weise stärker geworden. Als ob er Feuer- und Schattenmagie seiner Göttin nach Belieben kanalisieren könne. Doch bei aller Macht des Jungen. Das war zu viel, das konnte Halbohr sich nicht bieten lassen. Sie hatten nach dem Kampf das zweite Segment ein weiteres Mal gedreht – auf die dritte Position. Tatsächlich hatte sich eine neue, untere Treppe in die Tiefe geöffnet. Gundaruk und Halbohr waren hinabgeschritten und hatten eine Dritte dieser schlüssellochlosen Türen gefunden. Bevor sie unten ankamen, hatte Gundaruk bemerkt, dass er glaube, die Gefahr stiege an mit zunehmender Tiefe. Sie hatten dann unten gewartet, hatten geschrien und gerufen. Neire möge das dritte Segment weiterdrehen. Doch nichts war passiert. So war er, Halbohr, hinaufgeschlichen. Hier hatte er Bargh und Neire angetroffen. Beide saßen um ein kleines Feuer aus angezündeten Decken, sprachen ihre Gebete und waren selbst nicht ansprechbar. Ein weiteres Mal musste er handeln. Seine Hand berührte das dritte Segment, dass noch auf der zweiten Position stand. Dann sah er das vierte und letzte Segment, die Halbkugel, die immer noch auf Position Null ruhte. Was ist eigentlich seine Funktion? Ich sollte es ausprobieren. Was kann Gundaruk da unten schon passieren? Und wenn schon, dieser merkwürde Krieger kam aus einem Grab und scheut sich eine Seite zu ergreifen. Außerdem wollte er meinen Vertrag nicht unterschreiben. Halbohrs Hand glitt zum letzten, oberen Segment. Er begann augenblicklich die Halbkugel zu drehen: Eins… Zwei… Drei. Auf der dritten Position hörte ein entferntes Vibrieren im Stein und sah, zu seiner Bestürzung, dass sich das dritte Segment auf Position Drei mitdrehte. Zudem flimmerte neben ihm ein Bereich von Wand zu Wand für einen kurzen Moment in magisch, bläulichem Schimmer auf. Was hatte er getan?

Gundaruk stand vor der Türe in völliger Dunkelheit. Er stützte seinen großen Körper auf den Speer und dachte nach. Das Band der goldenen Runen gab ihm Zuversicht; Zuversicht trotz seiner aussichtslosen Lage. Werde ich mein Volk, werde ich meine Freunde, meine alten Kameraden wiedersehen? Wie viele hundert Jahre habe ich in diesem Grab gelegen? Immer wenn er sich umblickte, spürte er Angst und Erregung Adrenalin durch seinen Körper schießen lassen. Er blickte wieder auf das Runenband. Neire hatte etwas erzählt über die Kristallkugel. Der Junge, so seltsam er ihm auch vorkam, schien über große Weisheit und Schriftwissen zu verfügen. Er hatte gesagt, die Kristallkugel sei ein Objekt legendärer Macht. Ein Gegenstand, der von Königen und Kaisern besessen wurde. Ein Gegenstand, der sie in die Besessenheit getrieben hatte. Ein Gegenstand, mit dem man Raum und vielleicht sogar Zeit durchblicken könne. Die Gedanken ließen Gundaruk nicht mehr los. Vielleicht konnte er durch die Kugel in sein Land blicken, sein Volk sehen. Fels und See, Wald und Moor. Die Hallen und Haine meiner Ahnen. So sehr war er in Gedanken versunken, dass er aufschreckte. Er hörte das Knirschen von Stein und sah wie die Türe sich nach innen öffnete. Vor ihm gierte die Dunkelheit des Portals und seine Gedanken drehten sich um drei Sätze im Kreis: Wo ist Halbohr? Hat er mich hier zurückgelassen? Hat der elfische Söldner mich verraten?
Titel: Sitzung 18 - Bargh, der Drachentöter
Beitrag von: Jenseher am 12.06.2022 | 22:59
Das klackende Geräusch und das Vibrieren des Steines riss Neire aus seinem fast Trance-ähnlichem Zustand. Er richtete sich langsam auf und blickte sich um. Neben ihm kniete Bargh, der weiter die Verse ihres Gebetes an die große Göttin aufsagte. Der Krieger Jiarliraes war gekleidet in seinen silbern schimmernden Plattenpanzer, auf dem einige Scharten schwerer Schwerthiebe zu sehen waren. Neires Blick glitt unweigerlich an der Silhouette seines Gefährten und Dieners vorbei, als er sich umdrehte. Der Kopf des ehemaligen Paladins trug die jetzt verheilten, rötlich schimmernden Brandwunden Jiarliraes Feuer, die hier und dort sein ehemals volles Haar ausgedünnt hatten. Bargh hatte die Augen geschlossen und so war der rote Rubin, der sein rechtes Auge ersetzte, nicht zu sehen. Als Neire sich in Richtung der segmentierten Säule umgedreht hatte, sah er, dass Halbohr zu ihnen aufgestoßen war und gerade von der Säule abließ. Die Wut fuhr augenblicklich durch Neire, als er den elfischen Söldner betrachtete. Er widersetzt sich meinen Anweisungen und stört unser Gebet. Für viel weniger wurden Frevler in Nebelheim hingerichtet. Die Decken, die sie zuvor angezündet hatten, waren heruntergebrannt und warfen einen Schimmer von rötlicher Glut durch den von Rauch erfüllten sechseckigen Raum. Obwohl Neire von der Glut des Feuers hinfort blickte, spiegelte sich doch der rötliche Glanz in seinen Augen. Er zog seinen Degen mit der gewellten Klinge und dem schlangenverzierten Griff. Halbohr hatte ihm immer noch den Rücken zugedreht. Neire legte seinen Kopf quer und ein verrücktes, mordlustiges Lächeln war in seinem schönen Gesicht zu sehen. Er setzte den Degen zu einem Stich an und machte einen leisen Schritt in Richtung von Halbohr. In diesen Moment hörte er jedoch das Ächzen von Bargh und bemerkte, dass der Krieger sich begann aufzurichten. Neire ließ augenblicklich den Degen sinken, als sich Halbohr umdrehte: „Halbohr! Ihr seid zurückgekehrt von unten. Was habt ihr getan?“ Er sah, dass der Söldner einen Blick von Freude im Gesicht hatte. Vielleicht hat er die Funktion der Säule verstanden, doch das ändert nichts an seinem Frevel. „Wir hatten gerufen, ihr möget die Säule drehen Neire. Doch nichts ist passiert.“ Kurz nachdem Halbohr geantwortet hatte, war Bargh an seine Seite getreten. Neire blickte hinüber zu ihm und murmelte abfällig und in zischelnden Singsang. „Er ist ein Ungläubiger und er weiß nicht was Pietät ist.“ Kurz darauf drehte er sich wieder Halbohr zu. „Und Gundaruk? Wo ist er?“ Es dauerte nicht lange, bis Halbohr antwortete. „Er ist unten geblieben und bewacht die Türe.“ „Also traut ihr ihm, Halbohr?“ Neire sah, dass sich Halbohrs Miene veränderte und langsam wieder diesen indifferenten, militärisch-nichtssagenden Blick annahm. „Ich traue ihm genauso wenig, wie ich euch traue Neire.“ Neire spürte, dass ihn diese Worte zutiefst trafen. Habe ich ihm nicht bereits zweimal das Leben gerettet? Er sollte mir unterwürfig dienen, mir zujubeln. Er sollte beten zu Jiarlirae, beten für seine arme, schwache, für die ewige Verdammnis bestimmte Seele. Neire blickte Halbohr an und sprach jetzt langsam und eindringlich. „Habe ich euch nicht bereits zweimal das Leben gerettet? Alleine das verpflichtet euch schon mir zu trauen und zu dienen. Und Gundaruk, was hat er schon für euch getan?“ Er sah, dass seine Worte Halbohr erreichten, doch da war plötzlich die hünenhafte Gestalt von Gundaruk, die am Einstieg der hinabführenden Treppe auftauchte. Neire sah seine grünlich pulsierenden Augen in der Dunkelheit und hörte die Stimme in dem fremden, veralteten Akzent: „Kommt, schnell. Die untere Türe hat sich geöffnet.“

Sie hatten daraufhin alle ihre Waffen gezogen und waren in die Tiefe zurückgekehrt. Den oberen Raum hatten sie unbewacht gelassen. Stufe um Stufe waren sie vorsichtig hinabgeschritten. An jeder Ecke hatten sie gelauscht. Auf der Hut vor dem, was auch immer sie dort vielleicht freigelassen hatten. Doch es war ihnen nichts begegnet und als sie an der untersten Türe ankamen, sahen sie, dass diese weit geöffnet war. Dahinter führte eine steile Treppe hinab. In der Tiefe erahnten sie eine größere Halle, die sie von ihrer Position nicht einsehen hatten können. Halbohr hatte aus der Tiefe ein schweres rhythmisches Atmen gehört. Nach kurzer Beratung war Halbohr als erstes die Stufen hinabgeschlichen. Bargh und Neire sowie Gundaruk waren ihm schließlich gefolgt.

Halbohr stand am Fuße der Treppe und blickte in den grünlichen Nebel vor ihm. Der wabernde Dunst bedeckte den steinernen Boden des dunkelelfischen Gewölbes, das sich vor ihm auftat. Die Halle, vor langer Zeit in das Felsgestein geschliffen, hatte riesige Ausmaße. Sie war so groß, dass er sie nicht vollständig durchblicken konnte. In der Mitte sah er eine viereckige Konstruktion aus Metall- oder Steinplatten aufragen. Ähnlich einer Pyramide verjüngte sich das Ungetüm nach oben hin und endete in einer Plattform kurz unter der Decke der Halle. Dort sah Halbohr dunkle breite Metallrohre vom Gewölbe in das Konstrukt hineinführen. Außerdem waren den detailversessenen Augen des elfischen Söldners nicht die beiden Türen entgangen, von denen eine auf der Rechten und eine andere auf der Linken zu sehen war. Halbohr hatte den Boden vor sich abgetastet und war sich sicher, dass dort keine Falle auf ihn wartete. So befestigte er das Stück Filz seines Mantels als Atemmaske über seinem Mund und machte den ersten Schritt in die Halle hinein. Er bewegte sich auf das Konstrukt zu, in dessen Mitte er eine vieleckige Vertiefung sah, die er als Mechanismus für einen komplizierten Schlüssel vermutete. Angst bereitete ihm das tiefe Atmen, das er noch immer hörte. Es schien aus dem Inneren des Konstruktes zu kommen, wie auch das grünliche Gas, dass er durch einen faustbreiten Riss auf der rechten Seite der Konstruktion austreten sah. Halbohr begann vorsichtig die Vertiefung zu untersuchen, die sich tatsächlich als ein Schloss herausstellte. Die Komplexität des Mechanismus war beeindruckend. Eine Falle konnte er hier allerdings nicht finden. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Gundaruk sich zu seiner Rechten und Neire und Bargh zu seiner Linken um das Konstrukt und an den Türen vorbeibewegten. Halbohr ließ von dem Schloss ab und folgte leise Gundaruk um die rechte Seite herum. Hinter dem Konstrukt war eine Rückwand der Halle zu erkennen. Gundaruk war bereits vorgeschritten und hatte sich mit Bargh und Neire vor einem mehrere Schritte hohen und breiten Portal getroffen, das in der Mitte der Wand zu sehen war. Trotz der fast unmenschlichen, abnormalen Größe von Gundaruk überragte das Portal den Speerkrieger etwa um das Doppelte. Halbohr schlich sich näher heran und sah, dass Neire mit dem vernarbten linken Arm auf das riesige Symbol deutete, dass über den beiden Türflügeln zu sehen war – eine silberne Spinne mit glühend blauen Augen. „Sehet, es ist das Hauswappen der Familie von Duorg. Es muss sich um ihren Kerker, um ihr Gefängnis handeln.“ Halbohr konnte erkennen wie die Hand von Neire in die verschiedenen Ecken des silbernen Musters zeigte. Erst jetzt sah er den Schimmer eines bläulichen, magischen Vorgangs, als ob er im Netz dieses Symbols verankert wäre. Er hörte Neire fortfahren: „Wahrscheinlich ist es eine magische Schutzbarriere, wie wir sie zuvor in dem oberen Raum gesehen haben. Die Duorgs, falls noch welche von ihnen übriggeblieben sind, möchten nicht, dass wir hier eintreten.“ Halbohr war mittlerweile zur Gruppe aufgeschlossen und sah, dass Bargh seine Stimme erhob. Es fiel ihm sofort auf als dieser begann zu sprechen. Ein leises Lispeln war auch von Bargh zu hören. Zudem bemerkten die feinen Augen von Halbohr, dass Blut aus den Mundwinkeln von Bargh lief. „Die Türen scheinen alle verschlossen, doch wir könnten versuchen das Wesen, das dort atmet zu töten. Wir könnten es durch den Riss angreifen.“ Halbohr konnte sehen, dass auch die Zunge von Bargh gespalten war. Anscheinend hatte er sich selbst verstümmelt und die Spitze zerbissen oder aufgeschnitten. Die Wunde schien noch frisch zu sein. „Bargh, wart ihr schon einmal fischen?“ Die seltsame Frage Gundaruks ließ Bargh und Neire aufhorchen. Halbohr fühlte, dass plötzlich irgendeine Art Anspannung um seine Gefährten war. „Was meint ihr Gundaruk? Fischen? Ja, als Kind war ich einmal fischen.“ Das konnte ja dann noch nicht so lange her gewesen sein, dachte Halbohr, als er den Krieger Jiarliraes betrachtete. Wie alt mochte Bargh wohl sein, 18, 19 Jahre vielleicht. Durch die Brandwunden im Gesicht sah er jetzt etwas älter aus. „Nun, dann solltet ihr ja wissen, dass man Fische nicht fängt, in dem man einfach blind ins Wasser sticht.“ Halbohr hörte die Antwort von Gundaruk und sah, dass Bargh und Gundaruk sich jetzt bedrohlich gegenüberstanden. „Ich habe einen Mechanismus gefunden, der es öffnen könnte.“ Halbohr wies mit seinem linken Dolch in Richtung des Konstruktes als er sprach. Er sah wie Neire zwischen den beiden hervorkam und ihn anlächelte. „Gut gemacht, Halbohr. Wir sollten jedoch bedacht vorgehen. Ich befürchte, dass dies mehr von diesem grünlichen Nebel freisetzen wird. Untersucht einmal meine Hand Gundaruk. Ich habe sie eben in den Nebel gehalten.“ Halbohr schaute jetzt zu wie Neire seine vernarbte linke Hand zu Gundaruk hinaufstreckte, der sie behutsam untersuchte. Es dauerte einige Zeit bis der Speerträger antwortete. „Neire, das sind die ersten Anzeichen einer leichten Verätzung. Das Gewebe beginnt abzusterben und es bilden sich weiße Stellen. Ähnlich wie bei einer Säure.“ Halbohr betrachtete weiter Neire, der anscheinend nachdachte. „Ich kann meine Göttin anrufen um euch vor Säure zu schützen. Doch es wird eine Zeit dauern. Lasst mich meine Vorbereitungen treffen, dann werde ich euch schützen und Halbohr kann den Mechanismus betätigen.“ Neire blickte jetzt auch in seine Richtung und Halbohr nickte. Auch wenn er nicht glaubte, dass der Segen der Göttin ihm helfen würde, so würde es ihm ja auch nicht schaden. Halbohr blieb in den Schatten zurück als der Rest der Gruppe sich in den Gang über der Treppe zurückzog. Er würde die Zeit nutzen um nach Fallen und geheimen Verstecken zu suchen. Er ahnte noch nicht, dass ihm der Segen von Jiarlirae das Leben retten sollte.

Neire hatte die Schutzzauber auf Halbohr, Gundaruk und Bargh gewirkt. Jetzt wiederholte er ein weiteres Mal die Worte und legte sich die linke Hand auf die Brust. Er spürte für einen kurzen Moment das Brennen von Feuer, das in seinen Körper eindrang. Wie der Schmerz bis in die Finger und Zehenspitzen lief. Dem Glühen, das von seiner Hand ausging, folgten Schatten, die sich über seinen Körper ausbreiteten. Er lugte in Richtung von Halbohr und sah, dass der elfische Söldner sich bereits an dem Mechanismus zu schaffen gemacht hatte. Jetzt musste er das Gebet sprechen, sollte es zu einem Kampf kommen oder nicht. Verloren wäre der Segen keinesfalls, den er hier entfesseln würde. Das Gebet würde diesen Ort reinigen. Die Macht Jiarliraes würde hier eindringen. Neire stimmte die Verse des liturgischen Gesanges an, so wie es ihn die Platinernen Priester gelehrt hatten. Er dachte dabei zurück an die Lehrstunden bei Mordin. An seine Aura der Weisheit, an seine schlangenhaften wachen und fordernden Augen. Wie er mit ihnen gesungen hatte – den Anwärtern, die alle Kinder der Flamme werden wollten. Für einen kurzen Moment fühlte er eine innere Wehmut, als er an diese Stunden zurückdachte. Er hatte Mordin immer als höheres Wesen bewundert und der Platinerne Priester hatte etwas Majestätisches gehabt: Die geschickte Anmut seiner Bewegungen; der drahtige menschliche Torso mit der schimmernden Rüstung, getragen von dem breiten Unterleib einer Schlange… Neire beendete den Zauber und die disharmonischen Klänge erfüllten die von Chlorgas geschwängerte Luft. Halbohr war noch an dem Mechanismus zu Gange, doch es war ein vielfarbiges Licht zu sehen, das aus der Öffnung des Schlüssellochs kam. Da war auch ein Rasseln von Metall, das lauter und lauter wurde. Tatsächlich begann sich das Konstrukt zu bewegen. Zuerst fing es langsam an, doch dann begannen einzelne Metallteile wie eine Lawine nach unten zu rutschen. Wie als ob geführt, verschwanden sie im Boden und machten den Blick frei – den Blick frei auf etwas Grauenvolles. Nein, er konnte seine Augen nicht davon lösen. Wie erstarrt stand Neire dort an seiner Wand und betrachtete die Kreatur, die sich hinter den Platten verborgen hatte. Augenblicklich wurde er an Nebelheim zurückerinnert. An das große Fest, an die Menschenschlange des wahren Blutes, die das neue Zeitalter einst einläuten sollte. Doch dies war keine Menschenschlange die er dort sah. Die Kreatur war falsch. Besiegt, gefoltert, verstümmelt und in Ketten gelegt. Sie konnte keine Menschenschlange sein, denn sie diente den Duorgs. Tränen liefen über seine Wangen hinab, als Neire das Wesen betrachtete. Der Drache schimmerte grünlich in der Dunkelheit. Elegant waren seine Schuppen anzusehen, doch er war abgemagert. Viel schlimmer noch. Schwanz und Flügel waren abgehackt und gewaltige schwarze Ketten mit Widerhaken besetzen Nägeln in seinen Körper getrieben worden. Die einst stolzen Zähne seines Mauls waren zur Hälfte zertrümmert und die Kreatur schien in ein dickes Rohr verbissen zu sein, das zur Decke hinaufführte. Doch nur auf den ersten Blick. Ketten hatten den Kopf der Kreatur so fixiert, dass sie ihn nicht von dem Rohr wegbewegen konnte. Augenblicklich wandelte sich die tiefe Bestürzung, die in der Erinnerung an die Menschenschlange begründet war, in Wut und Hass. Eine Schlange die sich unterjochen hat lassen. Ein unterlegenes, abscheuliches Gewürm. Ich werde dich töten, töten für den Ruhm der wahren Menschenschlange. Neire erhob seine zischelnde Stimme, die sich jetzt vor Wut fast überschlug: „Sehet, die falsche Schlange. Unterjocht und gebrochen. Sie dient nicht Nebelheim. Tötet sie, mordet im Namen Jiarliraes. Für den Ruhm von Ziansassith.“ Der Gesang des Gebets beflügelte seine Worte und er sah, dass sie angriffen. Bargh, Halbohr und Gundaruk. Doch die Kreatur, deren Augen milchig schimmerten und bereits vor langer Zeit ausgestochen waren, begann sich zu wehren. Tief bäumte sie ihren Körper auf und die Ketten klirrten. Dann stieß sie ihren totbringenden Atem aus. Eine Gaswolke, die den Raum wie eine Welle durchfloss und sich an den Wänden brach. Halbohr und Gundaruk waren mitten im Gas. Der göttliche Segen stand ihnen bei, doch Halbohr sank ohnmächtig zusammen in den grünlichen Schwaden. Gundaruk war noch auf den Beinen und kämpfte tapfer weiter. Dann beschwor Neire die Magie des Feuers, die Mächtigste, die er hatte - vergeblich. Die Luft explodierte um die Kreatur und vertrieb das Gas, aber der Drache schien immun zu sein gegen sein Feuer. Doch war da Bargh. Er schoss mit seiner Armbrust und der Bolzen bohrte sich durch das Auge tief in das Gehirn der Kreatur. Ohne großen Kampf und wildes Gezucke ging sie hernieder und hauchte ihr Leben aus. Als ob sie den Tod herbeigesehnt hätte. Neire jauchzte und frohlockte. Er lief augenblicklich zu Bargh, legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn an. Dann sprach er eines der heiligsten Gebete, welches er in Nebelheim erlernt hatte. Denn sie hatten heute etwas Großes vollbracht. Sie hatten die falsche Menschenschlange getötet:

Ziansassith war die Menschenschlange des wahren reinen Blutes. Er stieg hinab zur schwarzen Natter, Abbild unserer Göttin. Er war der treueste Anhänger Jiarliraes und gab sein Leben, damit Feuer und Schatten weiter existieren können. Feuer ist sein Reich, Schatten seine Seele. Vollendet seine Herrlichkeit, in seiner Form als Yeer’Yuen’Ti.

Neire sah, dass Bargh gerührt war von seiner Lobpreisung und er fuhr fort. „Bargh, heute ist ein großer Tag. Wir haben die falsche Menschenschlange getötet. Ihr habt sie getötet. Bargh. Ab heute seid ihr ein Drachentöter. Bargh, der Drachentöter.“

Bargh und Neire hatten eine Weile frohlockt in den sich auflösenden Schwaden des ätzenden Atems. Sie hatte auch gesehen, dass Gundaruk den immer noch bewusstlosen Halbohr nach oben trug, um ihn in dem sechseckigen Raum auf eines der steinernen Betten zu legen. Sie beide hatten ihm geholfen, den Körper des bulligen Elfen die steile Treppe hinaufzuziehen. Gundaruk wollte sich um Neires bezahlten Beschützer kümmern und er hatte ihnen aufgetragen, ihm eine Drachenschuppe mitzubringen. Jetzt war Gundaruk verschwunden und sie waren alleine mit dem Leichnam der Kreatur in der großen Halle. Nachdem sie den leblosen Körper abgesucht hatten, kletterte Neire auf den Kopf und seine Stimme hallte durch den unterirdischen Saal: „Bargh, schaut. Ich habe etwas gefunden.“ Er wartete bis Bargh an den massiven Kopf herangetreten war und zeigte auf das Auge. „Seht, ihr habt durch euren tödlichen Schuss in das Auge einen Zugang geöffnet.“ Ein Gefühl von Ekel überkam Neire, als er begann seine linke Hand in das Auge einzuführen. Das Innere war noch warm und roch nach Eiter. Er spürte Sehnen und Muskeln. Als er den Arm fast bis zum Ellenbogen in das Auge hineingesteckt hatte ertastete er das Gehirn der Kreatur. Doch die Substanz war nicht weich, wie er es kannte. Er griff zu und riss ein fast faustgroßes Stück hervor. Das Gewebe war auch nicht blutig, sondern grau und hatte den Gestank von Fäulnis inne. Der Geruch und der Anblick erzeugte einen leichten Würgereiz, doch Neire biss in die Substanz, kaute und würgte es hinunter. Dann reichte er den Rest lächelnd zu Bargh, hinab, der ihn beobachtet hatte. „Bargh, kostet von dem Gehirn der Kreatur. Wir haben sie besiegt und werden uns ihre Kräfte aneignen.“ Bargh nickte und fing an den Rest zu verzehren. Derweil hatte der Jüngling auf dem Kopf platzgenommen und blickte wohlwollend auf seinen Kameraden hinab. Natürlich glaubte Neire nicht, dass sie sich durch das Essen des Gehirns irgendwelche Kräfte dieser Kreatur aneignen würden. Doch es würde Bargh vorbereiten auf Nebelheim. Und es würde ihn entfremden – entfremden von seinem alten Leben. Die Vergangenheit musste für ihn ein für alle Mal unerreichbar sein. Jetzt war er ein Drachentöter, ein Krieger Jiarliraes, geküsst von der brennenden Düsternis.

Gundaruk zog den massiven Körper Halbohrs die Stufen hinauf. Er dachte nach. Wie Halbohr ihn in der Dunkelheit hatte warten lassen. Dann war ein Mechanismus betätigt worden, der die Tür geöffnet hatte. Hatte Halbohr in Kauf genommen, dass er dort unten alleine war. Hätte er ihn im Stich gelassen? Die Gedanken von Gundaruk kreisten nicht lange um das Erfahrene. Mit seinen Kameraden war er im Krieg gewesen. Doch verraten worden war er nie. Die Bilder des Krieges waren jetzt zurückgekehrt in seinem Kopf. Grauenvolle Wunden und Blut. Wie er Überlebende mit der Kraft der Natur geheilt hatte. Er hatte ihnen geholfen, doch einige hatten für immer Verstümmelungen behalten. Auch wenn Halbohr ihm seine Hilfe bis jetzt nicht gedankt hatte, wusste Gundaruk, dass er ihm jetzt helfen musste. Er kannte die Gedanken von Leistung und Gegenleistung nicht. Unter seinen Leuten hatte jeder ohne zu fragen für den anderen gehandelt. Gundaruk war mittlerweile in dem sechseckigen Eingangsraum angekommen und legte Halbohr behutsam auf eines der Steinbetten. Er bemerkte Verätzungen an Halbohrs exponierter Haut und den Atemwegen. Gundaruk holte einige getrocknete Blüten hervor, die er mit einer Handvoll Wasser einweichte. Dann rief er, zu den Göttern der Haine und der Quellen, der Eichen und der Buchen, dem ewigen Kreislauf der Natur. Er sah, dass die Blätter verwelkten als er Halbohr den Trank einflößte. Seine Magie wirkte und es kehrte Leben zurück in seinen Begleiter.

Eine Zeitlang hatte Gundaruk bei Halbohr gesessen und nachgedacht. Immer wieder war seine Hand in seine Tasche geglitten und hatte den glatten, kalten Kristall berührt. Doch er erinnerte sich an die Worte von Neire, der vor Verrücktheit und Besessenheit gewarnt hatte. Dann waren Bargh und Neire zurückgekehrt und hatten ihm die Schuppe gegeben, nach der er sie gefragt hatte. Lange hatte er das Stück des Leibes betrachtet und immer wieder in den Händen gedreht. Die Schuppe war so leicht, und doch härter als jeder Stahl… Halbohr war noch immer bewusstlos und so hatte er sich kurz mit Neire beraten. Sie hatten entschlossen eine Zeit in diesem Raum zu rasten. Bis es Halbohr besser ging. Gundaruk hatte die erste Wache übernommen. So lauschte er den Stimmen von Bargh und Neire, die zwischen drei Fackeln saßen und seltsame Verse beteten. Das Licht warf lange tanzende Schatten in den Raum und erhellte Neires nackten Oberkörper. Gundaruk starrte fasziniert auf den Jüngling und betrachtete den verbrannten linken Arm. Die Narbe Neires zog sich bis zum Oberarm. Dort funkelten drei rote Juwelen, als ob sie mit der Haut des Armes verwachsen wären. Gegenüber sah er den Feuerrubin in Barghs rechtem Auge schimmern. Gundaruk blickte abwechselnd zu seinen neuen Mitstreitern und dachte zurück an seine alten Kameraden. Er sehnte sie sich so herbei, die alte Zeit – seine Zeit.
Titel: Sitzung 19 - Die Reise durch das Unterreich
Beitrag von: Jenseher am 18.06.2022 | 22:27
Halbohr ließ den Kopf hängen und zog röchelnd die Luft ein. Seine Lunge schmerzte. Es gab zudem ein rasselndes Geräusch, das er aus dem Inneren hören konnte. Der ätzende Atem der Kreatur hatte ihm zugesetzt. Doch in seinem Fiebertraum, der ihm während seiner Ohnmacht widerfahren war, hatte er auch das Gefühl von Hoffnung verspürt. Als ob er den Geruch von Laub und Harz vernommen hätte. An mehr konnte er sich nicht erinnern. Er betrachtete das verätzte Fleisch seiner Hände und Arme. Die Haut war an einigen Stellen weiß geworden und begann bereits sich zu pellen. Er saß jetzt teilnahmslos dort und ein Gefühl der Verzweiflung machte sich in ihm breit. Wieder war es ein Kampf gewesen, der ihn fast das Leben gekostet hatte. Bevor er in Ohnmacht gefallen war, hatte er den Segen der seltsamen Chaosgöttin gespürt, ohne deren Beistand er vielleicht nicht mehr am Leben wäre. Konnte er wirklich den vertraglich zugesicherten Schutz leisten? Der Jüngling hatte ihm bereits mehrere Male das Leben gerettet. Als ob Neire seine Gedanken erlesen könne, hörte er plötzlich dessen Stimme: „Halbohr, ihr seht so traurig aus. Grübelt nicht über den Tod. Ihr hattet kein Glück heute. An einem anderen Tag wird es wieder anders aussehen.“ Er blickte auf und sah, dass Neire ihn freundschaftlich anlächelte. Doch irgendwie traute er den Worten nicht und vermutete einen bösen Spott. Als er jedoch keine weitere Reaktion des jungen Priesters sah, nickte er ihm freundlich zu. Neire erhob erneut die Stimme: „Ihr solltet vielleicht einen Witz erzählen Halbohr. Das wird euer Gemüt sicherlich aufheitern.“ Halbohr schwieg. Er kannte einige soldatische Scherze aus der vergangenen Zeit, doch diesen waren unangebracht hier und spiegelten nicht seine Laune wider. „Es gab eine Zeit, da habe ich ihnen die Kehlen aufgeschlitzt. Denen, die Witze machten.“ Erwiderte er barsch. Er hörte das helle Lachen von Neire. „Kehlen aufschlitzen, das ist der Witz, eure Freude. Das ist doch ein Anfang Halbohr!“ Er sah, dass auch Bargh sich jetzt ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Nach einer kurzen Zeit des Schweigens hörte er wieder die zischelnde Stimme fremder Intonation: „Wie wäre es hiermit? Ihr werdet Halbohr genannt, ja? Euch fehlt ein Ohr, ja? Wieso sollten andere mehr Ohren haben als ihr? Das ist doch ungerecht. Schneidet sie einfach ab Halbohr. Jedem, den ihr seht. Vielleicht eins, vielleicht zwei. Das ist doch viel besser als Kehlen aufzuschlitzen.“ Neire lachte jetzt mit seiner knabenhaften Stimme und Bargh stimmte ein. Auch Halbohr konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Der Junge hatte keine schlechten Ideen. Doch was sollte er dann mit den ganzen Ohren machen?

Sie hatten noch mehrere Tage gerastet in dem sechseckigen Raum. Die blaue Barriere hatte sie geschützt, doch gesehen hatten sie keine Kreatur. Wenn sie nicht geschlafen, gebetet oder meditiert hatten, hatten sie die wässrigen Pilze gegessen, von denen Bargh immer die doppelte Portion verschlang. Auch hatten sie sich unterhalten. Über dies und das und ihre Reise nach Grimmertal. Bargh hatte von einem Handelsposten berichtet, dessen Betreiber Rannos und Grimag waren. Als Bargh eine plötzliche Fieberkrankheit entwickelte, hatte ihn Neire mit der Kraft seiner Göttin geheilt. Dann waren sie aufgebrochen und hatten das dunkelelfische Gefängnis hinter sich gelassen. Ihr Weg führte sie nach der Beschreibung der Herrscherin durch die Tunnel der ewigen Dunkelheit. Nach stundenlangem Fußmarsch waren sie schließlich durch eine zerbrochene Türe in eine große unterirdische Halle geschlüpft, in deren Mitte sie die steinerne Steele sahen. Neben der zweiten doppelflügeligen Türe hatte Halbohr die Geheimtüre entdeckt, die nach der Aussage der Herrscherin zu einer kleineren Feste, mit Anschluss an die Oberwelt, führen sollte. Schließlich hatten sie sich für diesen Weg entschieden und die Geheimtüre und eine weitere Türe dahinter geöffnet. Jetzt standen sie am Eingang eines Raumes, aus dem ein sanftes mattes rötliches Licht hervordrang.

Neire betrachtete Halbohr, wie er geschickt in den Raum glitt, der sich vor ihm auftat. Schon zuvor hatte er die Bewegungen des Elfen studiert, als er mit seinen Dietrichen das Schloss der steinernen Türe geöffnet hatte. Der Raum war sechseckig in den Stein geschliffen und besaß einen gegenüberliegenden Ausgang. Einrichtung, wie Betten, Hocker, Tisch und Truhen, waren allesamt aus Stein. Sogar eine steinerne Wanne stand dort, in der Neire Wasser aufschimmern sah. Aber Neires Blick fokussierte sich auf den Bereich des rötlichen Glühens. Er sah dort eine kleine Feuerschale, in der drei brennende Kohlestücke lagen. Als er sich der Schale näherte, spürte er die wohlige Hitze, die von dort ausging. Seine Kameraden Bargh und Halbohr durchsuchten derweil den Raum. Neires Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Er erinnerte sich an Bereiche des Palastes von Nebelheim, die mit immerbrennendem Feuer versehen waren. War das eine ähnliche Magie? War sie göttlich? Er wurde erst aus den Gedanken gerissen, als Halbohr sich an der zweiten Türe zu schaffen machte. Noch immer dachte er daran Halbohr aufzumuntern. Vielleicht durch ein kleines Spiel. „Halbohr, lasst uns ein kleines Spiel spielen, eine Wette.“ Er sah, dass der elfische Söldner an der Tür kniete und sich jetzt zu ihm umdrehte. Neire holte eine Platinmünze hervor und schnippte sie in die Luft. „Um ein Platinstück… Wer die brennenden Kohlen länger in der Hand halten kann hat gewonnen.“ Neire bemerkte, dass Halbohr grinste. Mit überheblicher Stimme antwortete er. „Ich habe gesehen, dass das Feuer in euch ist. Wie sollte ich gegen euch gewinnen können?“ „Er hat Angst, Bargh. Angst ein kleines Spiel zu spielen.“ Neire dreht sich zu Bargh und lachte höhnisch. Dann nahm er ein Stück Kohle in seine linke, vernarbte Hand. Augenblicklich durchfuhr ihn ein Schmerz und er vernahm den Geruch von verbranntem Fleisch. Doch auch genoss er den Schmerz, denn es war ihm, als ob er diesen kontrollieren könnte. Dann warf er das Stück zu Halbohr. „Schnappt!“ Doch Halbohr machte keine Bewegung und die Kohle fiel auf den Boden. Der Söldner schien jedoch in Wallung zu kommen. Verärgert zog er einen seiner Dolche und warf diesen auf Neire. Kurz vor ihm prallte der Dolch auf den steinernen Boden und er versuchte ihn dort mit dem Fuß zu fixieren. Das gelang ihm nicht ganz. Die Klinge brach am Griff ab schlitterte durch den Raum. Den Griff hatte er unter seinem Stiefel fixiert. Neire bückte sich und zog den Griff hinauf. Er warf ihn Halbohr zu und sprach. „Hier Halbohr. Mein Teil der Wette ist erfüllt. Ihr schuldet mir ein Platinstück.“

Sie waren danach dem Tunnel gefolgt, der sie hinter der Tür aus dem Raum führte. Es war langsam bergan gegangen. Nach einiger Zeit waren sie dann an das Ende des Tunnels gekommen, an dem acht kleinere Löcher in schlankere Gänge mündeten. Der Geruch von Moder und Fäkalien war hier allgegenwärtig gewesen. Glücklicherweise hatten sie Spuren gefunden, die in einen der Gänge führten. Neire hatte nach Pflanzen und Pilzen gesucht und in einer Nische Grabmoos entdeckt. Eine Flechte, die das Verrotten von Leichen beschleunigte. Auch konnte aus Grabmoos ein Gift hergestellt werden, das die Blutung von Wunden förderte. Sie hatten das Grabmoos verstaut und waren den Gängen gefolgt, die nun steiler nach oben führten. An vielen Abzweigungen vorbei waren sie, den Spuren nach, an eine Engstelle gekommen, die sie nur mühevoll passieren konnten. Dann hatten sie die Spuren verloren. Doch der Tunnel vor ihnen wurde wieder breiter und war ebenerdig. Nichts war zu hören. Moos wuchs hier und dort und Unrat bedeckte den Boden. Der Gestank von Fäulnis und Fäkalien war überwältigend. Sie bissen die Zähne zusammen und traten ein in den noch unerforschten Bereich.
Titel: Sitzung 20 - Die Verlassene Feste
Beitrag von: Jenseher am 24.06.2022 | 22:57
Um sie herum war der Geruch von Fäulnis, Moder und Verfall. Die Luft schien zu stehen in dem Tunnel. Außer Halbohr mussten sich alle bücken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Der Gang war zwar breiter geworden, doch neben Pestilenz und Fäkalien war es, als würde sie das Gewölbe selbst zerdrücken. Bargh war voran gekrochen. Auf einen Bereich zu, an dem sich der Tunnel gabelte. Der Krieger, mit dem von Brandwunden bedeckten Kopf, musste sich immer wieder niederknieen. Jetzt stützte er sich gerade auf sein Langschwert und drehte sich um, um nach seinem Gefährten Neire zu sehen, der dicht hinter ihm folgte. Für einen kurzen Moment blitzte der rote Rubin auf, der das rechte Auge von Bargh ersetzt hatte und mittlerweile mit dem umliegenden Fleisch verwachsen war. Hinter Neire folgten Halbohr und zu guter Letzt Gundaruk, der mit einiger Mühe die engen Tunnel überwunden hatte. Halbohr bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Selbst Neire, der zuvor immer wieder versucht hatte Dreck und Fäkalien von seinem roten Umhängemantel zu entfernen, zuckte zusammen und starrte in die Dunkelheit. Sie hatten von vorne ein Geräusch gehört. Wie ein Knacken von Knochen. Für einen kurzen Moment kehrte wieder Stille ein. Dann sahen sie Bewegungen, die sich zu den Geräuschen gesellten. Kreaturen, die sich aus dem Unrat des Bodens schälten. Sie geiferten nach Leben und begannen augenblicklich durch den Tunnel auf sie zuzustürmen. Von der Größe waren sie gewachsen wie kleine Menschen, doch ihre Haut war gräulich-blass, ihre Kleidung hing in Fetzen hinab und lange Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. Die Gesichter waren eingefallen und entstellt und überlange Zungen lechzten nach Blut. Die Kreaturen rannten unkontrolliert auf sie zu. Dabei behinderten sie sich gegenseitig, warfen andere zu Boden oder stießen sie gegen die Wände. Bargh hob zum Schutz sein Schwert, doch die erste Kreatur hatte ihn bereits erreicht. Schläge und Bisse prasselten auf Krieger Jiarliraes hernieder, der durch die Brutalität der Angriffe wie gelähmt schien. Für einen kurzen Moment war das siegessichere Geheul der Ghule zu hören, von deren Zähnen und Klauen Barghs Blut floss. Doch nur für einen kurzen Moment. Eine Woge rötlichen Feuers hüllte plötzlich den Tunnel in Flammen, entzündete die ersten Gestalten und trieb sie ein Stück zurück. Schon eilte Halbohr nach vorne und führte mehrere tödliche Angriffe aus. Sie wussten, dass die Kreaturen nicht nachgeben würden, dass sie weder Zweifel noch Furcht kannten. Sie mussten den Kampf annehmen, denn eine Flucht durch die engen Tunnel war ihnen verwehrt. So intensiv war die Schlacht, dass sie nicht bemerkten, dass Gundaruk sich in einen großen Luchs verwandelt hatte.

„Halbohr… Gundaruk! Stellt euch vor Bargh und schützt ihn; er ist wie versteinert und kann sich nicht wehren.“ Sie hatten die erste Welle der Kreaturen niedergestreckt und hörten in dem sich gabelnden Tunnel bereits weitere Geräusche. Neire zitterte am ganzen Körper als er sprach. In seinen Augen war noch immer der rötliche Glanz und er hatte für eine kurzen Moment den Gestank des Tunnels vergessen. Er starrte zuerst Halbohr an, dann das große, elegante Tier, in das sich Gundaruk verwandelt hatte. Doch keiner befolgte seinen Befehl. Halbohr regte sich nicht und stand hinter ihm. Gundaruk war ein paar Schritt nach vorne gegangen und lugte in den rechten Tunnel hinein. Neire wiederholte den Befehl ein zweites Mal, doch seine Mitstreiter beachteten ihn nicht. Jetzt wuchs der Zorn in ihm. Ungläubige. Beide sind nur durch mich am Leben und mir zu Gehorsam verpflichtet. Sie sollten im Gegenzug Bargh mit ihrem Leben verteidigen. Neire trat ein paar Schritte auf den linken Tunnel zu. Er blickte in die Dunkelheit, hörte die Geräusche. Nur durch den Zorn konnte er seine Angst überwinden. Seine Gedanken waren bei Bargh, der sich noch immer nicht bewegen konnte und gegen eine der rauen Wände gesunken war. Haben sie so auch in den Eishöhlen gekämpft? Bestimmt haben sie dort keine Kameraden zurückgelassen, den Chin’Shaar zum Fraß vorgeworfen. Sie sind dort zu Kupfernen Kriegern geworden. Bargh ist auf seinem Weg zum Krieger Jiarliraes. Bargh darf nicht versagen. Ich muss ihn beschützen. Neire war ein paar Schritte auf den linken Tunnel zugegangen. Er spürte, dass Halbohr ihm gefolgt war. Jetzt konnte er die Geräusche hören. Ein Geifern und ein Schnappen. Leiber, die sich gegenseitig beim Fortkommen hinderten und doch auf sie zu hasteten. So stand der Junge alleine im Tunnel, den gewellten Degen mit dem Schlangengriff zitternd in Hand. Schon kamen die ersten Kreaturen um die Ecke gestürmt. Wie Hunde krochen sie allen Vieren voran. Doch die Gesichter waren nur im Entferntesten menschlich. Blutleer eingefallen und monströs entstellt. Neire versuche sie mit seinem Degen zurückzuhalten. Die langen Zungen schnappten ihm entgegen. Er spürte kaum den Schmerz, als eines der Wesen ihm in den Arm biss. Augenblicklich begann sich eine paralysierende Kälte auszubreiten, die seine Muskeln lähmte. Doch dann war da das Feuer. Es breitete sich von den drei Herzsteinen aus, die er in der linken Schulter trug. Es schmerzte. Die Pein war elektrisierend. Sein linker Arm begann in der Dunkelheit zu glühen, als ob von einer fluoreszierenden Schicht bedeckt. Neire wusste, dass er einen weiteren Segen von seiner Göttin erhalten hatte. Er beschwor die Flamme aus Schatten und Feuer in seiner linken Hand und murmelte die Beschwörungsformeln. Als das Feuer aus Magma aus dem Boden schossen und die Ghule, seine Mitstreiter und ihn einhüllten schrie er trotzig die Worte, die sich in den arkanen Singsang mischten: „Gehorcht… meinem… Befehl!“

Noch als die Verwandlung vollzogen war leckte sich Gundaruk seine Wunden. Das Verhalten des Tieres, der Verwandlung, war noch in ihm und er handelte instinktiv. Er erinnerte sich an den Kampf in Luchsform wie an einen Traum. Er hatte leise die Kämpfenden umschlichen und von hinten angegriffen. Zwei Ghule hatte er mit seinen Klauen und Bissen niedergerissen. Noch immer schmeckte er das faulige Blut in seinem Mund. Gundaruk spie aus und blickte sich um. Er befand sich in einer Höhle aus mehreren Findlingen, voll von Unrat, Fäkalien und Knochen. Wie ein unheiliger natürlicher Dom, eine Kapelle der Ghule, war das Innere anzusehen. Hier und dort konnte er Nester der Kreaturen sehen, doch keine Regung. Neires Feuer hatte die letzten Ghule in Flammen aufgehen lassen. Auch er war, wie Halbohr, von den Flammen des Jiarlirae Priesters erfasst worden. Gundaruk blickte sich um und sah an einem Felsen den elfischen Söldner sitzen. Halbohr schlug sich gerade die letzten Flammen aus, die von seinem verdreckten Mantel brannten. Gundaruk beugte sich nieder zu Halbohr und begann seine Wunden zu untersuchen. Er rezitierte den Runengesang seiner Vorfahren. Den Gestank konnte er nicht vertreiben, doch er sah zu seiner Erleichterung, dass die alte Heilkunst auch an diesem Ort wirkte. Die Wunden Halbohrs begannen sich langsam zu schließen. Jetzt, als er bei Halbohr kniete, begann Gundaruk zu sprechen. „Was hat sich Neire, was hat sich dieser Bengel eigentlich dabei gedacht?“ Er legte dabei eine Hand auf Halbohrs Schulter. Der Dolchkämpfer wich jedoch seinem Blick aus und murmelte unverständliche Worte. Für einen kurzen Moment herrschte Stille und Gundaruk kümmerte sich um seine eigenen Wunden. „Dieser Bengel hat euch aus dem Grab befreit und euer Leben gerettet. Vergesst das nicht Gundaruk! Ihr solltet ein wenig Dankbarkeit zeigen und meinen Befehlen folgen.“ Gundaruk drehte sich augenblicklich um, als er die Stimme hörte. Neire war zwischen zwei Findlingen aufgetaucht und grinste ihn an. Noch immer war ein rötlicher Schimmer in den Augen des Jungen. Die goldenen Locken schienen nicht vom Schmutz berührt worden zu sein. Wenn er so lächelte sah sein Gesicht so lieblich, so unschuldig aus. „Das Grab in dem Felsen, ja. Woher wollt ihr das wissen, Neire? Woher wollt ihr wissen, dass ihr mich gerettet habt?“ Gundaruk sah, dass der Junge jetzt wütend wurde. Neire stampfte mit einem Fuß auf dem Boden. „Wissen Gundaruk? Durch mich spricht Jiarlirae, die Größte unter den Göttern. Ich habe den Schlüssel zu Feuer und Schatten. Ich kenne die Namen der Erzdämonen der Hölle. Fragt mich nicht nach meinem Wissen.“ Gundaruk sah, dass jetzt auch Bargh in der Öffnung erschien. Der gefallene Paladin wurde anscheinend angestachelt durch die Rede Neires. Bargh fing an zu schreien. „Ist es soweit Neire? Ist jetzt die Zeit zu handeln?“ Gundaruk sah, dass sich die Miene von Neire änderte. Plötzlich hob er beschwichtigend seine linke vernarbte Hand. „Lasst ab, Bargh. Es sind Ungläubige. Dennoch müssen sie wissen, dass sie das Leben eines heiligen Krieger Jiarliraes zu schützen haben.“ Bargh war noch immer sichtlich erregt und schlug mit seinem Panzerhandschuh in das Felsgestein der Wand. In seinem verbliebenden Auge konnte Gundaruk einen fanatischen Blick erkennen. „Lasst es zu… lasst die Flammen euch verbrennen. Erst tut es weh, doch dann werdet ihr die Macht spüren.“ Als Bargh sprach, überschlug sich fast seine Stimme und das Lispeln der erst kürzlich gespaltenen Zunge war nicht zu überhören. Ohne die Miene zu verziehen, drehte sich Gundaruk um und verließ die Höhle von Unrat. Er kannte den Blick von Fanatikern und wusste, dass die Auseinandersetzung mit ihnen keinen Sinn machte.

Halbohr war noch immer an den Felsen gelehnt und hatte die Szene beobachtet. Gerade als er sich erheben wollte, trat Neire an ihn heran. „Halbohr, die Sache mit dem Feuer tut mir leid, aber ich hatte keine andere Wahl. Wenn ihr das gesehen hättet, was ich gesehen habe, hättet ihr nicht anders gehandelt.“ Halbohr runzelte die Stirn und dachte nach. Irgendwie glaubte er Neire nicht ganz. „Was habt ihr gesehen Neire? Wieso sollte ich euch glauben?“ Neire legte ihm sanft einen Arm auf die Schulter. „Halbohr, ich bin ein Kind der Flamme. Ich habe die Runen im Magma des inneren Auges betrachtet. Mein Leben lang. Die Runen aus Feuer und Schatten, sich ewig verändernd. Sie bergen die Geheimnisse des Chaos, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; die Magie von Jiarlirae.“ Halbohr stieß verächtlich die Luft aus. „Wenn ihr die Zukunft lesen könnt Neire, dann erzählt mir doch, was uns erwartet in dieser verlassenen Feste.“ Neire nickte und nahm den Arm von seiner Schulter. „Ich wusste, dass sie nicht verlassen war. Vielleicht hat uns die Herrscherin angelogen, vielleicht hat sie auch die Kontrolle über ihr Reich verloren. Es macht keinen Unterschied.“ Halbohr nickte und dachte zurück an die Begegnung mit der seltsamen Dunkelelfin, die sie auf die Jagd nach dem goldenen Schädel geschickt hatte. Dann bemerkte er, dass Neire nur über die Vergangenheit gesprochen hatte. „Und was ist mit der Zukunft, was erwartet uns in den nächsten Tunneln?“ Halbohr spürte, dass Neire die Antwort nicht leichtfiel. „So funktioniert es nicht Halbohr. Man kann diese Fähigkeit nicht herausfordern. Die Dinge entfalten sich von selbst, wie eine Flamme, die ewig tanzend mit der Dunkelheit ringt. Die Geheimnisse liegen im Schatten und im Feuer.“ Neire machte eine kurze Pause. „Ich sollte diese Macht nicht verschwenderisch einsetzen. Alles hat seinen Preis.“ Jetzt war es Halbohr, der anfing zu grinsen. Er hatte so etwas schon oft gehört. Alte Kameraden hatten Weissager aufgesucht und dort ihre Münzen gelassen. Gebracht hatte es ihnen nichts; sie hatten alle ins Gras gebissen. Als ob Neire seine Gedanken ahnen konnte, erhob er erneut das Wort. „Selbst wenn ich es wollte Halbohr, ich weiß nicht, ob ich euch helfen könnte. Es ist wie mit der Heilung, ihr müsst glauben, beten zu Jiarlirae… Eine große Zukunft könnte auf euch warten. Ihr könntet mit mir nach Nebelheim zurückkehren. Wir würden dort herrschen und ihr werdet alles haben, Halbohr. Gold, Juwelen, Frauen, Sklaven, was auch immer euch gelüstet.“ Halbohr konnte nicht leugnen, dass die Gedanken an die ferne, unterirdische Stadt seine Fantasie schweifen ließen. Der seltsame Jüngling, der an diesem Ort auf ihn einredete, war dort aufgewachsen. Halbohr glaubte sogar, dass Neire in Bezug auf Nebelheim die Wahrheit sprach. Der Reichtum und die Macht mussten unermesslich sein. Doch sie hatten andere Dinge zu tun. Gerade waren sie aus den Katakomben aufgestiegen und Neire schien nicht zu wissen, was hier noch auf sie wartete. So erhob sich Halbohr und schritt auf den Gang zu. Er drehte sich noch einmal um zu Neire und flüsterte. „Nebelheim ist weit weg, Neire. Wir haben hier andere Dinge vor uns und ihr könnt nicht sagen was uns erwartet. Also achtet auf eure Flammen.“

Sie waren danach weiter vorgedungen durch die Tunnel und hatten eine große unterirdische Gruft erreicht. Dort hatten sie sich in die Schatten geduckt, da sie ferne Stimmen und ein Rasseln von Ketten gehört hatten. Als die Stimmen sich entfernt hatten, waren sie in das Gewölbe vorgedrungen und hatten es durchsucht. Doch sie hatten nur leere Särge und ein verschlossenes Gitter gefunden. Dahinter war ein Gang zu sehen gewesen, in dem Fackeln brannten. Nachdem Halbohr das Schloss geknackt hatte, waren sie weiter durch den Tunnel geschlichen und standen jetzt an einer Gabelung. Im rechten Tunnel waren Stufen zu erkennen gewesen, die in die Tiefe führten. Kurz berieten sie sich über das weitere Vorgehen. Sollten sie dem rechten Tunnel folgen und einen Hinterhalt möglicher Bewohner aus der Tiefe riskieren oder den linken Tunnel nehmen, von dem sie nicht wussten ob er sie an die Oberwelt führen würde.
Titel: Sitzung 21 - Die Verlassene Feste II
Beitrag von: Jenseher am 2.07.2022 | 00:48
Von dem Feuer aus Knochen stieg der Geruch von gebratenem Krebsfleisch auf. Das monströse Ungetüm, das sie in den Tiefen erlegt hatten, war vor dem dunklen See zusammengesunken. Hier, in der unteren Halle, hatte Gundaruk große Stücke von Fleisch aus der Kreatur geschnitten. Neire hatte ein Feuer aus den Knochen der Opfer errichtet, die das Wesen irgendwann einmal verspeist hatte. Sie hatten sich zuvor in den dunklen Fluten des kleinen unterirdischen Sees gewaschen und ihre Kleidung gereinigt. Jetzt brutzelten die großen Stücke, die sie in die Flammen gelegt hatten und verbreiteten einen angenehmen Geruch. Für einen Moment vergaßen die Helden die Strapazen, die sie seit der Flucht durch Regen und Unterreich erlitten hatten. Sie genossen schweigend das köstliche Fleisch, das einen schweren, salzigen Geschmack hatte. Bargh verschlang wie gewohnt die doppelte Menge. Doch sie wussten, sie konnten hier nicht länger bleiben. Sie erinnerten sich an die Stimmen, die sie zuvor gehört hatten. Da waren die brennenden Fackeln im Gang gewesen, die erst kürzlich erneuert worden waren. Als sie schließlich aufbrachen, blickte Gundaruk ein letztes Mal zurück auf die Knochen und den Moder: „Es kommt mir vor, als wären wir am Ort des Abfalls gelandet.“ Sprach er und blickte die Treppe hinauf. Neire lächelte ihn in diesem Moment an und flüsterte. „Auch wenn wir uns an einem Ort des Abfalls befinden… so werden wir einst aufsteigen, wie glühende Juwelen am Nachthimmel; wir werden die Welt überkommen.“

Neire blickte an Bargh vorbei in den von Fackeln erhellten breiten steinernen Gang. Halbohr war schon vor einiger Zeit vorgeschlichen. Jetzt war er entweder in der Dunkelheit oder hinter einer Ecke des unterirdischen Weges verschwunden. Neire nickte Bargh zu und sah, dass der Krieger Jiarliraes sich vor ihm in Bewegung setzte. Leise klirrten die Kettenglieder, die die schweren Platten seiner Rüstung zusammenhielten. Neire schlich hinter seinem Mitstreiter und konnte dessen verbrannten Schädel im Fackellicht sehen. Der Kopf von Bargh war völlig haarlos und die Haut immer noch gerötet. Schließlich erreichten die beiden das geöffnete Portal, an dem der Gang einen Knick machte. Dahinter sah Neire eine weitere Türe zur Linken und schemenhaft die gekniete Gestalt von Halbohr. Der elfische Söldner blickte zu ihnen auf und hatte den Zeigefinger auf den Mund gelegt. Mit einer Kopfdrehung deutete er auf die geschlossene Türe. Neire trat vorsichtig dort hin und legte ein Ohr an das Holz. Er hörte gedämpfte menschliche Stimmen, Schritte und Gelächter. Augenblicklich stieg die Aufregung in ihm. Wieso sollten hier Menschen hausen, so nah bei den Monstern und untoten Geschöpfen? Vielleicht waren es Räuber, Geflüchtete oder eine Art Kult? Vielleicht waren es aber auch Suchende, so wie er selbst. Er war sich sicher, dass sie ihn mit offenen Armen empfangen würden. Sie mussten sich nach einer Abwechslung sehnen. Sie würden seiner Schönheit zugetan sein, seinem Witz und seinen weisen Worten lauschen. Neire schaute zu Halbohr und deutete eine Klopfbewegung an. Er sah, dass Halbohr ihn zuerst fragend anschaute, aber dann mit den Schultern zuckte. Jetzt drang das Geräusch des dumpfen Holzes durch den Tunnel: Drei kurze feste Schläge. Für einen Moment herrschte Stille. Dann konnte Neire Schritte hören, die sich näherten. Es gab das Geräusch eines zurückgezogenen Riegels, dann glitt die Türe knirschend auf. Neire bemerkte, dass Halbohr sich bereits in die Schatten zurückgezogen hatte, als das Licht aus dem Inneren hervordrang. So stand der junge Priester alleine im Gang und musterte seinen Gegenüber. Ein noch recht junger Krieger war ihm entgegengetreten. Er trug ein Schwert und einen Schuppenpanzer, über dem ein Waffenschurz zu sehen war. Dort war ein großes blaues Auge, umgeben von gelben Flammen dargestellt. Ein okkultes Symbol, das Neire nicht kannte. Vielleicht war es neueren Ursprungs. Für einen kurzen Moment herrschte eine gespannte Stille. Blaue Augen funkelten Neire misstrauisch an. Dann nahm der Jüngling tief Luft und hob sein Kinn. Er versuchte sein Zittern zu kontrollieren und sprach mit zischelnder Stimme eines fremden Akzentes. „Mein Name ist Neire. Wir sind von weit her gekommen um uns euch anzuschließen. Doch wir verlangen eine Bezahlung.“ Neire hielt in der rechten Hand den gewellten Degen mit dem Schlangengriff; doch nicht in einer feindseligen Pose. Er strich sich mit seinem verbrannten Arm die gold-blonden Locken zurück, die ihm ins Gesicht gefallen waren. Doch das Gesicht des Kriegers vor ihm verzerrte sich und er begann zu schreien. „Alarm, Alarm… Eindringlinge.“ Neire sah bereits, dass in dem langen, Fackel-erhellten Tunnel dahinter Bogenschützen ihre Positionen eingenommen hatten. Wut stieg in ihm auf. Hatte er nicht freundlich mit dem Krieger gesprochen. Sich sogar höflich vorgestellt. Ich muss es wie die Platinernen Priester tun. Ich muss sprechen mit der Stimme der schwarzen Natter. Tragen das betörende Feuer der Schatten. „Ich bin als Suchender gekommen und wollte euch meine Fähigkeiten anbieten. Sehet, was das Kind der Flamme im Stande ist zu tun.“ Neire hatte bereits seine linke Hand nach vorne gestreckt. Mit dem Ballen nach oben, wie man einen Apfel halten würde. Schon begann die Flamme aus Magma und Schatten zu züngeln, als ob sie aus seiner Haut selbst brenne. Er sah, dass die Krieger gebannt in das tanzende Licht blickten. Neire murmelte jetzt die zischelnden Worte uralter Gebete aus Nebelheim. Es waren die Verse des Abgrundes, die Reime aus der Düsternis. Schon blickten die Krieger gebannt in die Flammen und konnten ihre Augen nicht mehr lösen. Neire begann mit seinem einflüsternden Singsang: „Ihr dienet mir. Geleitet mich zu eurem Anführer. Tuet, was ich sage.“ Die zwölf Worte hallten vor Macht und die Augen Neires brannten wie glühende Kohlen. Doch zwei der Krieger widersetzten sich seinem Befehl. Neire konnte nichts tun, als sie sich zum Angriff bereit machten. Er bemerkte jetzt, dass Bargh zu ihm aufgeschlossen war und begann Schritt für Schritt in den Tunnel zu vorzudringen. Tatsächlich eskortierten ihn die Krieger. Dann hörten sie weitere Stimmen und Schreie. Sie kamen aus einer Windung, die sie nicht einsehen konnten. Neire begann abermals den alten Hohegesang zu rezitieren. Nun waren es die Gebete der Menschenschlange des wahren Blutes. Er entfesselte damit die Wut der Anhänger des Chaos - der Getreuen Jiarliraes. Schon sah Neire Geifer aus dem Mund von Bargh laufen. Der große Krieger stürzte sich auf den ersten Widersacher, der seinem bezirzendem Schlangenfeuer standgehalten hatte. Mordlüstern durchbohrte er dessen Brustkorb. Der Kristall, der das rechte Auge von Bargh ersetzte, schimmerte jetzt rötlich, als ob eine dunkle Flamme in ihm brennen würde. Sie rückten gemeinsam vorwärts und der zweite Widersacher flüchtete sich tiefer hinein, in die Behausung der Anhänger des brennenden blauen Auges. Auch Halbohr war plötzlich zu sehen und eilte voraus bis zur Ecke. Dort begann er mehrere Dolche in den Raum zu werfen, der sich hinter der Biegung auftat. Als sie die Ecke erreicht hatten erblickte Neire die Halle und die feindlichen Krieger. Ein halbes Dutzend Gestalten konnte er sehen. Jetzt rief er zu Bargh und denen, die in des Feuers Bann waren: „Greift an. Tötet sie, denn sie haben euch verraten.“ Sie stürzten nach vorne und ein grausames Gemetzel begann. Bargh war wie in einem Kampfrausch. Neire lächelte und hielt die Chaosflamme der alten Göttin in die Höhe. Er trieb sie an und betrachtete das Blutbad. Den Abriss zu Leichen, zertrümmert und zerbrochen, den Haufen der Eingeweide – feucht und dampfend; durchtrennte Sehnen, verstümmelte Gesichter und abgerissene Haut. Heftiges Scheiden, ernsthaftes Hacken – Todesgeräusche erfüllten die Luft.

Halbohr hatte den Kampf wie einen Traum erlebt. Alles war so langsam passiert und doch so schnell vorrübergegangen. Als Söldner kannte er dieses Gefühl aus vergangenen Schlachten, doch einen Kampf, der in dieser Brutalität geführt wurde, hatte er noch nicht erlebt. Begonnen hatte es durch den okkulten Gesang von Neire. Der liturgische Choral hatte ihm Kraft gegeben und er hatte die Macht des Chaos gespürt. Seine militärische Disziplin hatte er verloren, doch jeder seiner Angriffe war anders gewesen. Sie hatten alle ein Überraschungsmoment gehabt, waren geglückt und hatten ihn vor größerem Schaden bewahrt. Darüber hinaus waren sie tödlich gewesen und hatten ihn weiter angestachelt. Als ob er durch die Mordlust von Bargh mitgerissen worden wäre. Dann war der Krieger aus einer hinteren Türe erschienen und Halbohr hatte ihn direkt als Anführer erkannt. Ein Mann von hoher, aber nicht übergroßer Statur, mit blondem Haar und feinen Gesichtszügen. Kaum war er erschienen, wurde er von Neire angegriffen. Eine Kugel aus dunklen Magmaschatten verbrannte ihn; nekrotisierte seine Haut. Danach flüchtete der Mann, durch die Türe, durch die er gekommen war. Jetzt, nachdem Bargh und er alle feindlichen Krieger getötet hatten, standen sie vor eben dieser Türe, die metallverstärkt und versehen mit einem Schlüsselloch war. „Reißt sie nieder, brecht sie auf!“ Halbohr hörte die Worte von Neire und spürte für einen Moment die Freude selbst dem Befehl Folge zu leisten. Doch er hielt sich zurück. Er sah das Feuer in den Augen des Jünglings. Neire hatte offensichtlich ein weiteres Mal seinen Verstand verloren und war von purer Mordlust angetrieben. Halbohr hörte das gewaltige Krachen, als Bargh seinen gepanzerten Körper gegen die Türe warf. In diesem Moment gab es ein Leuchten, das von der Türe ausging. Das Portal hielt stand, doch eine betäubende Magie, getragen durch das silberne Licht, strömte auf ihn. Er spürte wie sich sein elfisches Blut sträubte, hörte die Stimmen aus der Ferne. Jetzt überschlugen sich die Dinge. Bargh torkelte zurück und schrie wie verrückt. Ich muss sie zur Vernunft bringen. Wir müssen zusammen kämpfen und zusammen werden wir die Eingeweide der Erde verlassen. Wie in einem plötzlichen Wachheitszustand richtete Halbohr die Stimme an Neire und Bargh. „Neire, Bargh! Wo ist Gundaruk? Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Wir müssen ihn suchen. Vielleicht befindet er sich in Gefahr.“ Halbohr starrte Neire eindringlich an, doch das Kind der Flamme schien nicht zu reagieren. Als sich Halbohr umdrehte, hörte er erneut den zischelnden Singsang von Neire. Diesmal war das Feuer in den Augen des Kindes der Flamme intensiver. Halbohr eilte den Tunnel zurück. Weiter und weiter. Das letzte was er sah, war das Brennen, das aus den Augen Neires hervorbrach und alles in seinem Weg zerstörte.

Vielleicht war es ein Instinkt, der Kontrolle über das Handeln von Gundaruk nahm. Erfahrung kam durch Wissen und durch Anwendung. Stärke war keinem in die Wiege gelegt. Sie kam durch den Kampf, das Fallen und das Wiederaufstehen. Instinkt war die Summe aus allem, aus Erfahrung und Weisheit und - vor allem - aus dem Lernen vergangener Fehler. Vielleicht war es dieser Instinkt, der Gundaruk dazu bewog einen anderen Weg zu nehmen und an der noch unerforschten weiteren Türe zu lauschen. Er sah seine Kameraden in den fackelerhellten Gang verschwinden und ihn erfüllte ein Gefühl von Wehmut. Dieses Gefühl war jedoch nicht in dem Verhalten seiner neuen Freunde begründet. Es war vielmehr eine Erinnerung die ihn plagte. Eine Entscheidung, die er damals in einer Schlacht getroffen hatte und die zu viel Leid geführt hatte. Vielleicht war es dieser Instinkt, der nun sein Unterbewusstsein bewog diese Entscheidung erneut zu treffen – in der Hoffnung das Schicksal möge sich diesmal zu einem Besseren wenden. Seit dem Verlassen des Grabes war Gundaruk wieder völlig allein. Er umklammerte den elfischen Speer und betrachtete das Runenband aus Gold, das den ewigen Ruhm und den Glauben seiner Vorfahren trug. Diese Betrachtung führte zu einer tiefen Zuversicht, die ihm Halt gab. Dann war da plötzlich der Schrei. Er hörte den Alarm Ruf aus den Tunneln und machte sich kampfbereit. Hinter der Türe waren jetzt lautere Geräusche zu vernehmen. Gundaruk hatte sich bereits angriffsbereit gemacht, als der Kampf begann. Die Türe wurde aufgerissen und er sah dahinter riesenhafte Kreaturen, in der Form von aufrecht gehenden Hyänen. Nahkämpfer stürmten heran – in der unterirdischen Halle bemerkte er Bogenschützen. Ein Gemetzel begann, als er den Speer wie eine Nähnadel des Schicksals bewegte. Nur waren es die Fäden des Lebens die er durchtrennte. Wie in einem Rausch kämpfte Gundaruk. Bis zur totalen Erschöpfung. Angriff um Angriff führte er, Leib um Leib fällte er. Er spürte nicht die vielen kleinen und tieferen Wunden. Hier verletzte ihn ein Morgenstern, dort eine Axt. Er sah die Bilder einer Schlacht aus seiner Jugend. Schneebedeckte Berge, ein Tal und einen See. Die Burg auf der kleinen Insel war dem Untergang geweiht, sollte er sie nicht verteidigen. Er hatte die Übermacht an Gegnern bereits dezimiert und er schwelgte bereits in dem Sang seines Landes – die Steine, Eichen, Haine und Runen. Dann kam der Schlag. Kreaturen waren durch die hintere Türe durchgebrochen. Er hatte sie zu spät bemerkt. Die Wurfaxt senkte sich tödlich auf seinen Kopf. Er spürte, wie seine Glieder weich und warm wurden, als er zusammenbrach. Seine letzten Gedanken waren bei seinem stolzen Volk.

Titel: Sitzung 22 - Die Verlassene Feste III
Beitrag von: Jenseher am 9.07.2022 | 00:23
Leise und schnell bewegte sich der elfische Söldner durch den Fackel-erhellten Tunnel. Er wusste nicht wo Gundaruk sich befand, doch er ahnte, wo er sein musste. Halbohr folgte seinem Instinkt und seiner taktischen Ausbildung als Söldner. Als er um die Ecke blickte, sah er, dass die zuvor verschlossene Türe jetzt geöffnet war. Dahinter war ein weiterer Raum zu sehen, in dem sich ein Knäuel von grünlichen und hyänenähnlichen Kreaturen befand. Diese standen aufrecht und schlugen auf etwas ein; etwas, das auf dem Boden lag. Sein Instinkt hatte Halbohr nicht betrogen. In dem Knäuel sah er für einen kurzen Moment den blutverschmierten Kopf von Gundaruk. Halbohr wusste, dass er jetzt handeln musste. Falls Gundaruk noch lebte, würden die blutrünstigen Geschöpfe nicht lockerlassen; sie würden auf ihn einschlagen bis er sich nicht mehr regte. Dann würden sie ihn zerreißen und bei rohem Leibe verspeisen. Doch Halbohr wusste, dass auch sein Leben auf dem Spiel stand. Den Kampf mit fast einem Dutzend Gegner konnte er nicht aufnehmen. Er packte seine Dolche fester und trat aus den Schatten in das Fackellicht. Seine gerufenen Laute ahmten die gesprochenen Worte der Kreaturen in einem Spott nach und er sah wie sie sich umdrehten. Jetzt spürte er das Adrenalin; sein Herz begann zu pochen. Doch seiner militärischen Ausbildung nach, musste er sie an einem anderen Ort stellen. Einem Ort, den er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Halbohr wartete einen Moment und zog sich dann mit hastigen Schritten in den Gang zurück. Er lockte die Gestalten die ihm folgten in die Dunkelheit, doch er sah nicht wie viele ihm folgen. Auch ließ er Gundaruk seinem Schicksal zurück. Doch so war nun mal der Krieg. Es mussten Entscheidungen getroffen werden und Entscheidungen bedeuteten nun mal Leben oder Tod.

Flammen schlugen aus dem versperrten Portal. Rauch und Asche strömten ihm entgegen. Das Kind der Flamme ließ den grausamen Strahl von rötlicher Magmafarbe abebben. Das Feuer loderte noch in seinen Augen. Vor ihm hatte Neire die Türe in fast zwei Stücke verbrannt. Die Flammen prasselten aus dem Holz und um das geschmolzene Metall. Sie drohten Neire zu verzehren. Doch den jungen Priester schien das nicht zu irritieren. Er hob seinen mit gold-blonden Locken umspielten Kopf und machte einen Schritt in Richtung der Türe. In diesem Moment konnte ihn nichts aufhalten und er fühlte sich unbesiegbar. Neire hob die schattenhafte Chaosflamme in seiner linken Hand und zeigte mit seinem gewellten Degen auf die Türe. „Voran Bargh, Drachentöter Jiarliraes, voran!“ Angetrieben von seinem schlangenhaften Singsang ließ Bargh seinen niederen Instinkten freien Lauf. Schweiß lief mittlerweile vom haarlosen und von Brandwunden gezeichneten Kopf des noch jungen Mannes. Der Krieger Jiarliraes warf das massive Gewicht seines silbern schimmernden und von Scharten gezierten Plattenpanzers gegen die brennende Türe, die augenblicklich zerfetzte. Im Glutregen sahen Neire und Bargh nun das dahinter liegende Gemach. Kein Ausgang war zu erkennen und ein Feuer loderte in einer kleinen Schale. Die Einrichtung war kostbar. Viele Teppiche und Wandbehänge schimmerten in seltenen Fliederfarben. In die nähere Betrachtung fiel ein großer Wandspiegel, vor dem eine kristallene Vase auf einem kleinen Tisch stand. In diesem Gefäß waberte eine rötliche Flüssigkeit wie Nebel. Im hinteren Teil des Raumes bemerkten sie zudem einem kleinen Altar mit einer silbernen, acht-beinigen Spinne. Eine schwarze Kerze war an jedem Bein entzündet. „Kommt hervor ihr Gewürm!“ Die bedrohliche Stimme Barghs überschlug sich fast vor Wut, als der etwa 19 Jahre alte Krieger wutentbrannt in den Raum eindrang. Neire sah wie Bargh auf das Bett zusteuerte, das eine verdächtige Wölbung angenommen hatte. Mehrere Stiche und Hiebe ließ er auf das Bett niedergehen, so dass weiße Federn aufgewirbelt wurden und sich mit dem dunklen Rauch vermischten. Neire trat währenddessen an die Vase heran und ließ den Feuerstrahl aus seinen Augen wieder auflodern. Unter dem Knistern und Knacken der Vase, auf die der Strahl gerichtet war rief er zu Bargh: „Durchsucht den Raum, unterm Bett, im Schrank und hinter dem Schankeck. Der feige Bastard darf uns nicht entkommen.“ Neire konzentrierte sich auf die Flammen, sein Feuer erhitzte das Gefäß, das bereits glühte. Nur aus dem Augenwinkel sah er, dass der von ihm bezauberte letzte verbliebene Krieger ihn nun angriff. Neire ließ das Feuer seiner Augen nicht von der Vase weichen und führte zwei schnelle Angriffe mit dem Degen. Beide trafen ihr Ziel, der zweite umso tödlicher. Mit aufgeschlitzter Kehle ging der Krieger im Schuppenpanzer nieder.

Jetzt lauerte Halbohr in den Schatten und bewegte sich nicht. Wie eine Vogelspinne konnte er so verharren – stundenlang. Er hatte gelernt plötzlich hervorzuzucken, das Momentum auf seiner Seite. Ein wahr gezielter und ein recht dosierter Angriff aus dem Hinterhalt konnte den mächtigsten Gegner fällen. Um Ehre hatte er nie gekämpft. Ehre war für starke Schwache. Sie fühlten sich stark, doch endeten schwach, wenn er sie ermeuchelt hatte. Aus dem Raum, in den sich der vermeintliche Anführer zurückgezogen hatte, bemerkte Halbohr Feuerschimmer und Rauch hervordringen. Zudem hörte er die Schreie von Neire von dort. Doch jetzt kamen sie. Er erlauschte Schritte aus dem Tunnel und sah bereits die ersten Kreaturen auftauchen. Die Grünlinge gingen voran. Halbohr betrachtete sie aus dem Verborgenen und studierte wunde Punkte. Sie waren groß und muskulös, von gedrungenen Gesichtern und mit spitzen Ohren. Nein, Orks waren es nicht. Dafür waren ihre Köpfe zu flach, ihre Nasen zu platt. Eher hatten sie Ähnlichkeiten mit Goblins, jedoch diesen in Größe und Stärke um ein Vielfaches überlegen. Hinter den vier Gestalten, folgten zwei der Hyänenkreaturen. Als die Feinde sich zum Kampf bereit machten, nutzte Halbohr seine Gelegenheit. Aus den Schatten schoss er nach vorne und rammte der ersten Hyänenkreatur den Dolch von hinten in den Hals. Das Wesen sank augenblicklich zu Boden, in einer leisen Bewegung, die von ihm geführt wurde. Die zweite Kreatur hatte ihn noch nicht bemerkt und wurde Opfer eines weiteren hinterhältigen Angriffes. Zwei Gestalten drehten sich jetzt zu ihm um, gierig nach Blut und Morgensterne in den Händen. Dann schoss plötzlich der brennende Strahl von Magma aus der Kammer des Anführers. Es musste Neire gewesen sein, dachte Halbohr. Der Kopf eines Wesens wurde in Flammen gehüllt und grausame Schreie erfüllten die unterirdische Wachstube. Nur einen Augenblick später sah Halbohr den dunklen Krieger mit dem rotschimmernden Rubinauge auftauchen. Wie in einem Blutrausch schlug Bargh der verbrannten Kreatur den Kopf ab und stach bereits die nächste nieder. Sie hatten die Feinde jetzt in einem Zangengriff; eine militärische Wendung, die nur den Sieg bedeuten konnte. Halbohr spürte noch immer die Mordlust des Gesanges der alten Chaosgöttin. Gemeinsam mit Bargh rang er die letzten Kreaturen nieder. Doch es waren nur sechs. In dem Knäuel bei Gundaruk hatten seine soldatisch geschulten Augen acht Gegner gezählt. Er durfte keine Zeit verlieren und drehte sich wortlos um, um den Tunnel hinabzustürmen. Was hatten die zwei verbliebenen Kreaturen mit Gundaruk angestellt?

Sie hatten das Gemach in ihrem Kampfrausch abgesucht, aber es glich eher einem Schlachtfeld. In blinder Wut hatten Neire und Bargh die glühende Vase zertrümmert. Erst hatte Neires feuriger Magmastrahl sie zum Glühen gebracht, dann hatte Bargh sie mit seinem Schwert zerschmettert. Der rötliche Nebel war aus dem Inneren gewichen und durch das Feuer aufgelöst worden, wie in einem Glitzern von Sternen. Doch vom Anführer der Wachleute gab es keine Spur. Verzweiflung überkam Neires Gemüt und er blickte sich langsam um. Um sie herum sah er die Spuren der Verwüstung. Das Feuer an der Eingangstüre war bereits ausgegangen. Ja, sie hatten eine Menge Schätze gefunden. Darunter eine mit Diamanten besetzte Goldkette und fast ein Dutzend wertvolle Feueropale. Doch Neire dachte an die Kupfernen Krieger und die Jagd in den Eishöhlen. Er erinnerte sich an die dunklen Geschichten. War damals eine der Kreaturen entkommen, konnte das einen Hinterhalt für die Kupfernen Krieger bedeuten. Ganze Expeditionsgruppen waren wegen eines solchen Grundes nicht zurückgekehrt. Er durfte nicht versagen. Er dachte an Lyriell. Was würde sie jetzt tun? Schon war die Aggression des Kampfes und die Mordlust vergessen. Er fühlte sich nicht mehr unbesiegbar, sondern klein und schwach. Kaum nahm Neire Notiz von Halbohr, der den schwer verwundeten Gundaruk in den Raum schleifte. Neben den vielen Schnittwunden trug Gundaruk auch Bissspuren. Drei der Wunden sahen entsetzlich aus, dort wo die Zähne der Kreaturen das Fleisch herausgerissen hatten. Die aufrecht gehenden Hyänen hatten anscheinend bereits begonnen Gundaruk zu verspeisen. Neire hatte sich dem Schreibtisch zugewendet. Er sah dort mehrere Briefe und eine markierte Karte. Die Briefe waren größtenteils Korrespondenzen. Ein Teil der Briefe belegte einen Schriftwechsel mit einem Heiligtum der vier Mächte. Ein sogenannter Lareth, vermutlich der verschwundene Anführer, forderte besseren Nachschub von diesem Heiligtum, das sich in der Nähe von Klingenheim befinden musste. Auch wurde über das jüngste Wetter gespottet. Ein anderer Teil der Briefe kam von der Dunkelelfin Raxira. Sie warf Lareth vor ein falsches Ziel im Namen der Spinnengöttin zu verfolgen. Er solle sich lieber um Ched Vurbal kümmern. Gemeinsam müssten sie den Kampf gegen Akatea Abyssa aufnehmen, die als geschuppte Pest verunglimpft wurde und den Zugang zum Nest der versteinerten Spinne versperrte. Den Namen Akatea Abyssa kannte Neire nicht, aber das Nest der versteinerten Spinne konnte er als Ched Vurbal interpretieren. In seiner Verzweiflung überstürzten sich die Gedanken in Neires Kopf: Die geschuppte Pest kann ein abwertender Ausdruck für einen Drachen sein. Halbohr hat doch von einem Drachen erzählt, oder vielmehr von Schuppen, die er im Gemach der Herrscherin gesehen hatte. Vielleicht ist die Herrscherin nicht diejenige, für die sie sich ausgibt. Vielleicht haben wir unter der Erde bereits Akatea Abyssa getroffen. Doch diese Gedanken brachten Neire keinen Mut. Er dachte an Raxira und ihre Beziehung zu Lareth. Anscheinend beteten sie beide zur schwachen Spinnengöttin. Vielleicht hatte Raxira Lareth etwas gegeben, durch das er sich hatte erretten können – teuflische dunkelelfische Magie. Vielleicht war er in Windeseile durch Raum und Zeit gereist, um sich in der Feste Faust und an der Seite von Raxira zu materialisieren. Sie mussten herausfinden, wer Akatea Abyssa war und was es mit diesem Heiligtum der vier Mächte auf sich hatte. Tatsächlich hatte Neire schon einmal von letzterem gehört. Ein Tempel der vier Elemente, der vor etwa 40 Jahren zerstört wurde und in der Nähe von Klingenheim lag. Neire blickte sich um. Halbohr kümmerte sich um Gundaruks Wunden und Bargh näherte sich dem kleinen Schankeck im Raum. Auch er sehnte sich nach den Festen von Nebelheim, den Getränken – dem Rausch. Doch er musste weiter untersuchen. Er murmelte die zischelnden Formeln und betrachtete den Spinnenaltar. Er bemerkte eine mittelstarke Magie der Veränderung, doch nichts weiter. Auch anderswo im Raum war keine Magie zu entdecken. An diesem Punkt gab er auf. Das Lachen und der angetrunkene Gesang von Bargh waren bereits laut zu hören. Neire gesellte sich zu ihm und trank. Die Getränke waren fein und hochprozentig. Sie tranken und lachten. Sie grinsten sich gegenseitig an, als sie ihre blutverschmierten Körper sahen. Doch es war das Blut der Feinde was an ihnen haftete. Das Gelage ging so eine Weile und es war Bargh, der in einem Übermut die erste Kristallkaraffe gegen eine Wand schleuderte. Das kostbare Gefäß zerbrach und der wertvollere Inhalt wurde über die Wand verteilt. Neire macht es Bargh nach und sie beide fielen in einen jugendlichen, unbedarften Freudentaumel von Zerstörungswut. Als das letzte Gefäß zerstört war, torkelte Neire bereits und sah verschwommen seine Umgebung. Er wusste, dass auch dieses Fest ein Ende haben würde. So wie damals in Nebelheim; beim Abstieg der Menschenschlange des wahren Blutes. Und da war er wieder; der Schmerz der Erinnerung. Er torkelte zum Spiegel und betrachtete sich. Dahin war seine Schönheit. Mit zischelnder trunkener Stimme sprach er zu sich selbst: „Kind der Flamme, paah. Ein Nichts bist du. Klein und schwach. Du hast versagt in Nebelheim und du wirst wieder versagen.“ Neire dachte an das letzte Bild von Lyriell und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Er schlug mit geballter Faust in sein Ebenbild und sah sich selbst in Scherben zu Boden gehen.

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Halbohr hatte Gundaruk gerade noch rechtzeitig aus dem Raum gezogen. Neire hatte sich plötzlich und ohne erkennbaren Grund in einen Wutrausch gesteigert. „Hinaus!“ hatte er trunken gebrüllt. Auch Bargh war davon getorkelt. Dann war das Gemach des Anführers in verstetigtem Magmafeuer explodiert. Gleißende magische Flammen und Dunkelheit. Kein Mensch konnte diese Hitze überleben. Doch nach einiger Zeit war Neire aus den Flammen erschienen. Mit feurigen Augen und gold-blondem schimmerndem Haar. Er hatte Lobpreisungen zu Jiarlirae gerufen und zum Kampf angespornt. Neire und Bargh hatten dann die Pferde gesattelt und mit Proviant ausgestattet. Als sie an Halbohr vorbeiritten, hatte Neire seinen fragenden Blick bemerkt und war seiner Frage zuvorgekommen. „Wir haben Dinge zu tun Halbohr, doch wir werden zurückkommen. Wir tragen die Chaosflamme der höchsten Göttin und erforschen die tiefsten Geheimnisse ihrer Schatten. Tut euren Teil Halbohr. Denkt an euren Vertrag.“ Mit diesen Worten warf ihm Neire die goldene Juwelenkette zu und verschwand mit seinem Kameraden Bargh durch den fackelerhellten Gang.
Titel: Sitzung 23 - Die Verlassene Feste IV
Beitrag von: Jenseher am 18.07.2022 | 12:11
Es schwelte die Hitze der Flammen, die von Neire in den Baracken-Räumen der alten Feste entfacht wurden. Die Räume stanken erbärmlich nach dem Ruß verbrannten Holzes, Stoffes und Fleisches. Die riesige Gestalt Gundaruks lag in einer unruhigen Ohnmacht auf einer der Liegen. Sein Leib war gezeichnet durch Wunden, die die Speere der Hyänen Kreaturen ihm zugefügt hatten. Doch der Elf Halbohr wollte ihm keine Rast gönnen. Der grobschlächtige Söldner wog die Möglichkeiten ab, die sie hatten und vor allem die, die ihre Feinde hatten. Unsanft weckte er Gundaruk aus seinem Schlaf: „Gundaruk, wacht auf! Schlafen können wir später! Der Anführer der Wächter ist entkommen, wer weiß, wen er auf uns hetzt. Wir müssen ihn jagen, bevor er uns jagt!“ Halbohr war sich nicht sicher, ob er seinen Mitstreiter tatsächlich überzeugen konnte oder ob Gundaruk einfach zu geschwächt war, um anderer Meinung zu sein. Der kürzlich in einem Grabe erwachte große Mann aus einer fernen Vergangenheit beschwor die Kräfte der Natur. Die tiefsten Wunden begannen sich zu schließen. „Wo sind Neire und Bargh?“ fragte Gundaruk, nachdem er sich wunderte, dass die beiden Anhänger Jiarliraes nirgendwo zu sehen waren. Die einzige Antwort, die Halbohr darauf geben konnte, war: „Wer weiß schon, auf welche Irrwege die beiden sich begeben.“

Da alle Wächter der von ihnen erstürmten Gemächer als verwesende Leichen zu Boden lagen, entzündete niemand mehr die Fackeln in den Gängen. Dies wollte Halbohr nun ausnutzen und die Dunkelheit zu seinem Gefährten machen. Tatsächlich dauerte es auch nicht lange, und die Gänge lagen in tiefer Schwärze vor Halbohr und Gundaruk. Sie folgten dem Verließ zu der Halle in der Gundaruk gegen die Kreaturen gekämpft hatte. Blut bedeckte den ganzen Boden und ein Leichengestank lag über der Kammer. Als Halbohr eine der Türen in diesem Raum öffnete, stutzte er. Direkt dahinter war nichts weiter als blanker Stein. Kein Mechanismus oder versteckte Öffnungen waren zu sehen. Verwirrt verließen die beiden den Raum und folgten weiter den dunklen Gängen. Immer wieder hielt Halbohr inne und versuchte, Geräusche des Anführers der Wächter auszumachen, doch es herrschte nur Stille. Sie folgten den unterirdischen Tunneln und passierten eine Abzweigung, die mit einem schweren Eisengatter versperrt wurde. Hier kehrten sie um und erreichten einen weiteren Raum, der gefüllt war mit Zielscheiben und Puppen aus Stroh. In einigen kleinen Nebenräumen waren Zellen zu sehen, die wohl für Rekruten errichtet worden waren, die sich Verfehlungen bei ihrem Wachdienst eingehandelt haben. Im geistigen Auge Halbohrs blitzen bei dem Anblick Bilder seiner Vergangenheit auf. Er dachte zurück an Tage, als er noch nicht seinen Namen angenommen hat. Wie lange er in diesen Übungsräumen verbracht hatte und verdammt gewesen war, mit dem unfähigen Abschaum zu üben. Seine einstigen Kameraden, die ihr Glück oder - wie er selbst – vielleicht ihre Flucht im Soldatentum gesucht hatten. Eine der Türen in diesem Raum öffnete sich an eine blanke Felswand, doch diesmal sah Gundaruk einen leichten Schimmer. Es war ein feiner silberner Draht, der von der Ture in den Stein verschwand. Vermutlich ertönte irgendwo eine Alarm-Glocke, wenn ein Unwissender versuchte, diese Türen zu öffnen. Gundaruk und Halbohr gingen wieder zurück, als Halbohr in einem der Gänge feine Rillen entdeckte. Wieder fanden sie eine der verborgenen Türen die sie hier schon öfters entdeckt hatten. Hinter der Türe verbarg sich ein schmaler Gang, der an einer Konstruktion aus zwei großen hölzernen Rädern endete. Lag nicht auch das Gatter in der Nähe? Mit vereinten Kräften drehten sie ein Rad, was entfernt an das Steuerrad eines Schiffes erinnerte. Und tatsächlich hörten sie nicht weit das Schleifen von Metall auf Stein. Sie verließen den geheimen Raum und gingen zurück zu dem Gatter, dessen Gitterstäbe in Öffnungen in der Decke verschwunden waren. Treppenstufen zeigten den weiteren Weg nach oben. Gundaruk und Halbohr gelangten jetzt in einen Bereich der Feste, an dem die Wächter bisher kein Interesse gehabt hatten. Die Gänge und Räume hier schienen schon seit langer Zeit nicht mehr betreten worden zu sein. In einem Raum, dessen Wände mit alten staubigen Spinnweben bedeckt waren, hielt Gundaruk inne. Auch hier befanden sich feine Rillen in einer Wand und er entdeckte eine weitere verborgene Türe, die die beiden aufdrückten. Dort hinter führte eine Wendeltreppe nach oben. Entfernt konnten sie den schwachen Schein von Sonnenlicht ausmachen. Die Wendeltreppe endete an einer hölzernen Türe. Leise gingen die beiden Abenteurer auf diese zu, hatte Halbohr doch hinter der Türe Geräusche von Stimmen vernommen. Mit einem leisen Knirschen öffneten sie die Türe. Was sie dahinter erblickten überraschte nicht nur die beiden. Sie kamen in große Halle, deren Wände aus schwarzem Stein, mit Verzierungen aus Elfenbein bestand. Dieser Ort war jedoch in einem verwahrlosten Zustand. Eine Wand war völlig weggebrochen und offenbarte den Blick nach außen. Hinter Schlieren von Regen konnten sie den Zwielichtigen Saum des Waldes aufragen sehen. Doch was sie wirklich überraschte, waren die Gestalten, die um einen Topf auf einer Feuerstelle kauerten. Etliche Menschen, die noch nicht viele Winter erlebt hatten, waren hier versammelt. Jedoch schienen sie nicht zu der Wächterschar aus den unteren Stockwerken gehören. Jedenfalls trugen sie keinerlei Wappen. Gundaruk und Halbohr tauchten direkt hinter ihnen aus der Türe auf. Halbohr dachte einen Augenblick über eine Verhandlung mit den Gestalten nach, aber er wollte die Gelegenheit direkt nutzen und keine Risiken eingehen. Also stieß er seinen Dolch in die Kehle einer der Gestalten, die einen gold-glänzenden Streitkolben in der Hand hielt. Blutend und röchelnd fiel der Mann zu Boden. Auch Gundaruk zögerte nicht. Er stieß mit seinem Speer nach vorne und bohrte die Spitze in den Leib einer anderen Gestalt. Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe von den beiden Abenteurern niedergemacht wurde. Sie konnten so gut wie keine Gegenwehr leisten. Sie atmeten die kalte Regenluft und begannen die Fremden zu untersuchen. Der Streitkolben aus Gold trug eine Inschrift: „Gold ist der Weg zum Reichtum; Macht ist Gier“. Alles in allem schienen Halbohr und Gundaruk in eine Gruppe von Grabräubern gelaufen zu sein, die dachten, die alte Feste wäre ein leichter Ort um an Reichtümer zu gelangen. Die eingestürzte Wand offenbarte auch, dass es vermutlich sehr einfach war über die Trümmer in diesen Turm zu klettern. Die beiden schritten weiter durch die obersten Stockwerke der alten Feste. Das Bild des Verfalls zog sich hier weiter fort. Sicherlich schien es mal ein prächtiger Ort gewesen zu sein, doch der Zahn der Zeit und die Zerstörung einiger Kriege hatte viele der Räume zusammenfallen lassen. Sie blickten in einen Innenhof, der übersäht war mit Schutt. Durch die eingestürzten Mauern konnten sie auf den überschwemmten Wald schauen, von dem die Feste umgeben war. Der Blick hatte etwas Trostloses und Einsames.

Plötzlich hörte Halbohr von einem der Türme ein Grollen, wie Stein auf Stein. Sie folgten dem Geräusch und kamen zu einem weiteren Turm. Auch hier war eine der Wände durch das Alter eingestürzt und lag offen. Plötzlich stieß durch die Öffnung der gewaltige Schädel einer abscheulichen Echsenkreatur. Schwarze Augen blickten wütend auf Gundaruk und Halbohr herab und gelbliche Reißzähne verbargen den tief-schwarzen Schlund der Kreatur. Mit ihren langen Krallen zog sie ihren Körper näher. Ihre grün-gelben Schuppen glänzten selbst in dem Zwielicht des vorherrschenden Regens. Das Maul der Kreatur öffnete sich und versuchte den Leib Gundaruks zu verschlingen. Der Gestank war betäubend, voll von Tod und Verwesung. Doch fast zeitgleich nutzen Halbohr und Gundaruk genau diesen Moment. Halbohr stieß mit seinem Doch in das Maul der Kreatur und die Klinge fand die weiche Stelle des Gehirns der Echse. Der Speer Gundaruks fand ebenfalls seinen Weg und schwarzes Blut sprudelte den beiden entgegen. Mit einem letzten Kreischen fiel die Kreatur in sich zusammen. Der leblose Leichnam rutschte an den Trümmern der gebrochenen Wand herunter. Das einstmals stolze Geschöpf, verschwand in die nasse, dunkle Tiefe des Burggrabens.
Titel: Sitzung 24 - Das Tal hinter den Hügeln
Beitrag von: Jenseher am 24.07.2022 | 00:36
Immer wieder peitschte der Regen auf sein durchnässtes Fell hinab. Doch der Jagdtrieb ließ kaum andere Gedanken und erst recht keine Pause zu. Er dachte nicht viel nach. Die menschlichen Erinnerungen kamen und gingen, wie der Geruch, der während der Verfolgung mal stärker und mal schwächer wurde. Der große Wolf trabte beharrlich durch das Unterholz; er verausgabte sich nicht, doch er durfte auch die Spur nicht verlieren. Hier und dort musste er Pfützen umkreisen oder einen reißenden Bach überspringen. Denn der anhaltende Regen hatte den Wald gezeichnet. Wasser waren angeschwollen, Pfützen zu Tümpeln geworden, Bäume umgestürzt und Fäulnis hatte sich ausgebreitet. An einigen Stellen drohte der Nebel, der die Hügel hinabsickerte, die Geruchsspur zu verwischen. Gundaruk wusste nicht, wie lange er Halbohr bereits gefolgt war. Der Regen hatte längst das dunkle Blut der Echsenkreatur abgewaschen, das ihn im letzten Kampf besudelt hatte. Er konnte sich verschwommen erinnern, dass Halbohr mit den Worten „Ich habe etwas gesehen. Folgt mir!“, plötzlich aus der Feste und in Richtung des umliegenden Waldes verschwunden war. Er war ihm gefolgt. Doch Halbohr war schneller gewesen. So hatte er sich in Tierform gewandelt und einen gewissen Abstand zum elfischen Söldner gewahrt. Die letzten Stunden war es dann fast kontinuierlich bergauf gegangen. Der Regen hatte langsam nachgelassen. Jetzt lichteten sich die Bäume und hier und dort ragten Felsen auf. Ein Wind war zu verspüren, der unangenehm an seinem nassen Fell zog. Gundaruk war sich zudem nicht mehr sicher, ob er den Geruch von Halbohr weiterhin erriechen konnte. Er begab sich in einen langsameren Trott, der plötzlich zu einem jähen Stillstand kam. Vor ihm ging es eine Felsklippe hinab. Doch darunter und dahinter konnte er weiter blicken. Unter dem Zwielicht des bleiernen Himmels sah er ein bewaldetes Tal vor ihm aufragen. Eingerahmt von Hügelketten führte es in die Ferne, in der er Felder und einen Fluss erahnen konnte. Gundaruk wusste, dass er in Wolfsform nicht über die Klippen klettern konnte. Er bereitete sich auf den erneuten Schmerz der Verwandlung vor und kauerte sich auf den Boden. Die Fähigkeit war schwer zu ertragen, doch er hatte keine andere Wahl. Nach nicht allzu langer Zeit waren graue Fellreste das Einzige, das der noble Wolf auf dem Felsen zurückließ. In die Lüfte empor flatterte eine übergroße Krähe, deren Schreie das unerforschte Tal erfüllten.

„Schau Bargh, ein Tal. Es ist riesig.“ Neire war in diesem Moment fasziniert von der immensen Größe der Oberwelt. Für eine Zeit konnte er seinen Blick der überwältigenden Weite nicht entziehen. Er kommandierte sein Pferd zu seinem Stillstand. „Ich weiß nicht wo wir sind Neire. Eine Gegend, in der ich nie war.“ Der Jüngling hörte die Worte Barghs gegen das Rauschen des Wasserfalls, der hinter ihnen aus der Klamm strömte und dann über die Felsen vor ihnen in die Tiefe stürzte. Sie waren der Eingebung von Neire gefolgt und hatten die Pferde vorsichtig durch die steile Klamm manövriert, die sich ihnen im Verlauf des Quellflusses offenbart hatte. Neire trug schon seit einiger Zeit seine Gesichtsmaske, die er noch aus Nebelheim hatte. Die Maske stellte eine Feuerschlange dar. Sie war sein erstes Werk als Kind der Flamme gewesen und mit kostbarem Gold und Edelsteinen verziert. Neire blickte durch die Augenschlitze zu Bargh und sah, dass der Krieger Jiarliraes immer wieder seine Maske betrachtete. Bargh hatte den roten Rubin, der sein rechtes Auge ersetzte, mit einer Binde verdeckt. Trotz seines jugendlichen Alters strahlte der von Brandnarben gezeichnete Anhänger der Chaosgöttin eine dunkle Zuversicht aus. Mit ihm bildete Bargh eine kleine verschworene Einheit, getrieben durch die Gier nach Geheimnissen und verankert im Glauben an die Schwertherrscherin. Neire nickte Bargh zu, bevor er zu ihm sprach. „Bargh, wir werden schon bald mit der Fertigung der Maske anfangen. Sie wird ein Kunstwerk werden; euren ruhmreichen Taten gerecht. Jiarlirae wird sie sicherlich gefallen. Ihre Gunst wird euch zu Teil werden.“ Neire sah wie Bargh lächelte und verträumt in die Landschaft blickte. Er nahm jetzt seine Maske ab und fügte hinzu. „Jedoch solltet ihr euch überlegen, welches Motiv ihr wählen wollt. Es ist eine wichtige Entscheidung und ihr sollt sie treffen.“ Erst jetzt sah Neire aus den Augenwinkeln die große, dunkle Krähe, die über ihnen ihre Kreise zog. Er nahm die Zügel in die Hand und steuerte sein Pferd vorsichtig vorwärts. „Kommt Bargh, wir werden sehen, wer der Herr dieses Landes ist.“

Bargh und Neire waren dem Fluss gefolgt. Langsam waren Fels und Wald einer Graslandschaft gewichen. Aus der Talsohle konnten sie Felder und Wiesen sehen. Kleine Punkte in der Ferne waren nun als Bauern zu erkennen, die anscheinend die Felder bewirtschafteten. Es war ein leichter Nieselregen zu spüren, doch das Tal war geschützt vor Wind. Es war zudem wärmer geworden. Sie waren schließlich auf eine Straße getroffen, die parallel zum Fluss lief. Das eintönige Geräusch der beschlagenen Hufe der Pferde verfolgte sie jetzt schon eine Zeit lang. Die Pflastersteine der Straße glänzten nass und abgewetzt. Als sie eine alte, steinerne Brücke erreichen, die den hier zu einem kleineren Strom angewachsenen Fluss überspannte, sah Neire ein weiteres Mal die dunkle Krähe, die in den letzten Stunden ihre Kreise über ihnen gezogen hatte. Das übernatürlich große Tier hatte sich auf einem vereinzelt aufragenden Steinpfeiler der Brücke niedergelassen und betrachtete sie mit funkelnd grünen Augen. Neire dachte nach. Die Krähe… sie begleitet uns schon einige Zeit. Als ob sie uns den Weg weisen wollte. Das muss ein Omen sein. Tatsächlich hatte er bereits gelesen über die Bedeutung des plötzlichen Erscheinens fremder Tiere. „Bargh, schaut. Die Krähe. Sie ist uns gefolgt. Ein Zeichen der Göttin. Das Glück ist auf unserer Seite.“ Neire sah, dass Bargh nickte und antwortete, während sie über die Brücke ritten. „Neire, ich habe nachgedacht. Die Maske soll einen Drachen darstellen, grün und voller Dunkelheit schimmernd.“ Neire strich sein nasses gold-blondes Haar zurück und lächelte. „So soll es sein Bargh. Wir haben die Schuppen und den Zahn der Kreatur, die von euch ermordet wurde. Doch wir benötigen Smaragde. Dann können wir das Werk beginnen.“ So setzten sie ihren Weg weiter fort. Als sie an eine Weggabelung kamen, blickte Neire auf. Tatsächlich sah er die Krähe auf der linken Seite kreisen und so wählten sie diesen Weg. Leise rezitierten sie die alten Gebete aus Nebelheim. Neire hatte begonnen Bargh die Sprache der Yeer’Yuen’Ti zu lehren. Bargh sprach bereits einige Sätze. Nur an der Intonation musste er noch feilen. Die Aussprache bereitete ihm Probleme – trotz seiner bereits gespaltenen Zunge.

Ganz langsam, aber stetig waren die beiden Gestalten nähergekommen. Sie kamen Neire und Bargh entgegen. Der ältere der beiden Männer war in ein rotes Gewand gehüllt und zog einen kleinen Karren. Sein einst volles schwarzes Haar zeigte hier und dort graue Stellen. Trotz des verhangenen Himmels strömte ihm der Schweiß in Strömen vom Kopf. Der jüngere Mann war von muskulöser Statur, in ein Wams aus gehärtetem Leder gekleidet und trug eine Kriegspicke. Sein Schädel war kahlrasiert - sein Blick gelangweilt, doch seine Augen funkelten wachsam. Als Bargh und Neire die beiden passierten, nickten die Fremden ihnen unterwürfig zu. Ihr Gesichtsausdruck ließ eine Mischung aus Neugier und Ehrfurcht erahnen. Neire kommandierte sein Pferd zu einem Stillstand, blickte nicht wirklich hinab und erhob die Stimme. „Mensch… was zieht ihr dieses Gefährt umher? Ist das ein Spiel?“ Für einen kurzen Moment herrschte eine gespenstige Stille. Dann antwortete der ältere Mann auf die gezischelten Worte fremder Intonation. „Mein junger Herr… wir spielen das Spiel der Münze, wenn ihr so wollt.“ Er lächelte freundlich während er sprach. Auch der Söldner mit der Kriegspicke fing an zu grinsen. „Es sind Händler Neire. Sie verkaufen Waren gegen Münzen.“ Neire sah, dass Bargh die beiden grimmig anblickte, während er ihm den Witz erläuterte. Neire musste grinsen, doch der ältere Mann erhob erneut die Stimme. „Ihr seid wohl nicht von hier, Jungherr, kommt ihr vielleicht aus den Küstenlanden?“ Neire wägte kurz seine Antwort ab. „Wir sind aus Fürstenbad. Sagt mir, wohin führt diese Straße?“ „Fürstenbad ist mir nicht bekannt. Diese Straße führt nach Kusnir, Jungherr. Die Ortschaft ist nicht mehr weit von hier.“ Neire dachte nach. Er hatte tatsächlich in alten Chroniken von Nebelheim bereits von Kusnir gehört. Die Ortschaft war Teil des einst wohlhabenden Herzogtums Berghof. Berghof, hinter einer Wetterscheide liegend, war als fruchtbares Tal beschrieben, das sich mehrere Tagesreisen weit erstreckte. Es war von Mittelgebirgen und Bergketten umgeben, die dem Talkessel eigene Wetterbedingungen bescherten. In längst vergangenen Zeiten hatte es einen Konflikt mit den im Süden gelegenen Küstenlanden gegeben. Ein Bergpass, in den Chroniken als Adlerweg benannt, war besonders umkämpft gewesen. Doch es hatte keinen Gewinner gegeben. Der Konflikt war schließlich zu einem kalten Krieg geworden und die Küstenlande waren verfallen. Berghof war zwar besser weggekommen, doch auch hier war das Herrschergeschlecht zugrunde gegangen. Zudem war das alte Herzogtum von Auswanderung betroffen. Neire wurde von einem Krähen jäh aus den Gedanken gerissen. Es sah, dass sich das dunkle, große Tier, das sie jetzt schon einige Zeit verfolgte, auf den Beuteln des Karrens niedergelassen hatte. Hektisch beäugten die fremden Männer das Tier. „Es ist ein Omen. Das Erscheinen einer schwarzen Krähe verspricht euch Glück“, sprach Neire zu den Fremden, doch er sah, dass der Söldner die Krähe mit seiner Kriegspicke versuchte hin fortzuscheuchen. Tatsächlich erhob sich das Tier mit einem weiteren Schrei in die Lüfte und ließ sich jetzt auf dem Hals von Neires grasenden Pferdes nieder. Augenblicklich bemerkte Neire sein Reittier in Panik verfallen. Mit einem Wiehern begann es zu steigen. Neire klammerte sich im Sattel fest. Wütend auf den Söldner versuchte er das Pferd in Richtung des Wagens zu lenken. Er sah, wie der Söldner auswich und sich ins Gras warf. Die Krähe war bereits in die Luft gestiegen, als Neire das Pferd unter Kontrolle brachte. „Achtet auf euer Tier, Jungherr!“ Die Stimme des jüngeren Mannes war eindringlich und er hielt die Kriegspicke vor sich. Neire blickte arrogant auf ihn hinab, während er mit einem Lächeln im Gesicht antwortete. „Ihr solltet die Omen der Götter achten, Mensch! Die Krähe kommt aus der Dunkelheit und fliegt über das Feuer hinfort. Sie ist ein Bote von Heria Maki, der Göttin des reinigenden Feuers.“ Neire sah, dass Bargh beim Namen von Heria Maki spöttisch zu grinsen begann. So betrachteten sie wortlos die beiden Knechte, die vorsichtig an ihnen vorbeizogen.

Die Krähe hatte sie bis nach Kusnir verfolgt. Dort waren sie die Hauptstraße entlanggeritten und hatten nicht mehr nach dem Vogel Ausschau gehalten. Bei ihrem Ritt durch Kusnir hatten Neire und Bargh dann wohl für genügend Gerüchte und Gespräche kommender Tage gesorgt. Spielende Kinder waren ihnen gefolgt und die bäuerliche, größtenteils übergewichtige Bevölkerung hatte sie voll Staunen und Ehrfurcht betrachtet. Schließlich hatten sie am Ende der Straße und in der Nähe des Sees, an dem Kusnir lag, das örtliche Gasthaus gefunden und ihre Pferde in einem offenen, überdachten Stall untergebracht. Für eine kurze Zeit hatte Neire versucht die seltsamen Runen zu entziffern, die mit rötlicher Farbe in das Gebälk des Stalls gepinselt waren. Doch sie waren arkaner Natur und er konnte sie nicht deuten. So waren sie schließlich in die Schankstube eingetreten; Bargh, schwer beladen mit den Satteltaschen, voran. Aus dem Inneren strömte ihnen ein angenehmer Geruch von gebratenem Fleisch und Bier entgegen. Der abgedunkelte Raum hatte die Größe einer kleinen Halle und war von Öllampen erhellt. Vier große hölzerne Pfeiler trugen die Decke des Raumes. Hinter den Tischen und Bänken, von denen die meisten leer waren, war der flackernde Schein eines Kaminfeuers zu erkennen. Dort stand ein dicker Mann mit einer Glatze, gekleidet in einen fettigen Lederschurz. Er schien nicht Notiz zu nehmen von Neire und Bargh, drehte er doch einen gewaltigen Spieß, der den Körper eines ganzen Rindes trug. Immer wieder griff der Mann in ein Gefäß und zerbröselte ein Gewürz über minutiös ausgesuchte Stellen des Rinds. An einem weiteren Tisch konnten Neire und Bargh eine Gruppe von drei Bauern verschiedenen Alters erkennen, deren angeregtes Gespräch nach ihrem Eintreten plötzlich verstummt war. In einer Ecke saß zudem eine einzelne Gestalt, die in Gedanken versunken einen Humpen Bier trank. Dieser Mann war älter, von muskulöser Statur und gekleidet in ein Lederwams. Eine Axt steckte in seinem breiten Ledergürtel. Neire, der sich zuerst hinter Bargh verborgen hatte, trat jetzt hervor und genoss die von Ehrfurcht und Neugier erfüllten Blicke der Gruppe von Bauern. Sie suchten sich einen Platz in der Nähe der Flammen des Kamins. Als der Mann am Spieß sie nicht beachtete blickte Neire in das Feuer und zischelte in dessen Richtung. „Mensch… bringt uns zwei Bier und eine Mahlzeit von dem Fleisch.“ Er sah, dass der Spießdreher aufschreckte und einen kurzen Moment in seine Augen blickte, in denen das rötliche Feuer schimmerte. „Oh, entschuldigt, meine Herren. Natürlich bringe ich euch das Bier und eine Mahlzeit. Äh… das mit den Kupferstücken regeln wir später.“ In diesem Moment krachte der gepanzerte Handschuh von Bargh auf den Tisch. „Und bringt mir die doppelte Portion, verdammt!“ Schon bald wurde ihnen das Bier gebracht und sie tranken in gierigen Zügen. Neire betrachtete interessiert den Raum und fragte sich, ob alle Menschen der Oberwelt ein solch erbärmliches Leben fristeten. Als der Wirt mit drei großen Tellern gebratenem Fleisch zu ihnen kam, zwei davon für Bargh, zeigte Neire auf den brutzelnden Körper des Rinds. „Mensch… was ist das für ein Tier?“ Doch noch bevor der Wirt antworten konnte, flog mit einem Krachen die Eingangstüre des Raumes auf. Unter der Türe duckte sich die riesenhafte Gestalt von Gundaruk hindurch. Hier und dort war er immer noch gezeichnet von tiefen Wunden des letzten Kampfes in der verlassenen Feste. Er steuerte auf den Tisch von Bargh und Neire zu und baute sich vor ihnen auf. „Gundaruk, es freut mich euch zu sehen. Setzt euch zu uns und trinkt so viel ihr könnt. Trinkt mit uns auf die glühende Nacht der ewigen Stadt, wo Feuer, Dunkelheit und Stein eins ist“, sprach Neire und lächelte ihm zu. Gundaruk zog seine Luchsfellmütze zurück, erwiderte das Lächeln und ließ sich niedersinken. „Neire… ich sehe ich seid so schön… äh, ich meine natürlich so eitel, wie je zuvor. Bargh… ihr solltet vielleicht an eurem Haarschnitt arbeiten!“

Titel: Sitzung 25 - Von farbigen Pilzen und Mutproben
Beitrag von: Jenseher am 29.07.2022 | 22:06
Der große Schankraum war eingehüllt in eine schummrige Atmosphäre. Durch die geschlossenen Fensterläden drangen hier und dort vereinzelte Lichtstrahlen. Erhellt wurde der Raum jedoch hauptsächlich von milchigen Öllampen. Bargh, Gundaruk und Neire saßen an einem der Tische, nahe des großen Kaminfeuers. Auch Gundaruk hatte mittlerweile sein Essen erhalten und so widmeten sie sich genüsslich dem knusprigen Fleisch. Bargh hatte bereits zwei große Humpen des faden Biers getrunken und einen seiner beiden Teller hastig geleert. Jetzt ließ er sich etwas zurücksinken, verlangsamte seine Ess- und Trinkgeschwindigkeit und ließ ein lautstarkes Rülpsen von sich. Während Bargh sich nicht besonders für die weiteren Gäste zu interessieren schien, blickte sich Neire immer wieder im Raum um und betrachtete die Gesellschaft der drei Bauern sowie den vereinzelt sitzenden älteren Mann. Neire fragte sich, ob alle Bewohner der Oberwelt ein solch tristes und trostloses Leben fristeten. Ob ihre einfältigen Geister nicht in der Lage waren von Größerem zu träumen. Als Gundaruk den fettleibigen Wirt ein weiteres Mal zu ihrem Tisch rief, erhob er zischelnd seine Stimme. „Mensch… seid ihr alle eines kargen Geistes Kinder? Seid ihr Sklaven in diesem Lande?“ Der Wirt, der die vier randvoll gefüllte Bierhumpen auf ihren Tisch gestellt hatte, wollte sich bereits wieder seinem Spieß widmen. Er zuckte auf bei Neires Frage und blickte unterwürfig zu Boden - als wollte er nach einer Antwort suchen. Eine Antwort auf zwei Fragen, von denen er mindestens eine nicht richtig verstand. „Junger Herr, Sklaven sagt ihr? … Nein Sklaven gibt es hier nicht… ähh… vielleicht in den Küstenlanden. Dort gibt es sicher Sklaven. In den Küstenlanden… Sklaven, ja.“ Neire war bereits gelangweilt während er sprach und musste grinsen über die armselige Kreatur, doch Bargh erhob seine tiefe Stimme. „Dann trinken wir auf die freien Menschen von Kusnir, freie Menschen wahrlich…“ Seine Stimme erfüllte den Raum und klang seinem Trinkspruch genehm, doch Neire ahnte den Spott, als er in das Gesicht von Bargh blickte. Weiter kam der Krieger Jiarliraes allerdings nicht. Ein Bauer mittleren Alters hatte sich bereits erhoben, forderte seine beiden Kameraden auf es ihm gleichzutun und erwiderte Barghs Trinkgruß: „Auf die freien Menschen von Kusnir, Freunde! Gesellt euch gerne zu uns, wir machen Platz und die nächste Runde geht auf uns.“

Neire betrachte die drei Bauern und den in sich gesunkenen älteren Mann. Sie hatten ihre Tische am Feuer des Kamins zusammengestellt und der Wirt hatte eine weitere Runde des faden Bieres gebracht. Neire hatte sich bis jetzt zurückgehalten und die vier Fremden mit einer Mischung aus Neugier und latenter Arroganz gemustert. Der mittelalte Bauer hatte sich erneut gehoben und leicht verbeugt, bevor er zu sprechen begann. „Gestattet mir uns euch vorzustellen, edle Herren. Mein Name ist Siguard Einhand, das ist mein jüngerer Bruder Lorkan und der ältere hier heißt Lorn… Ach ja, dann ist da noch der, der das miesepetrige Gesicht zieht. Er ist unser Dorfvorsteher, Kurst.“ Tatsächlich nickte der ältere, korpulente Mann mit dem speckigen Lederwams ihnen zu, als er seinen Namen, Kurst, hörte. Für einen kurzen Moment lang herrschte Schweigen, dann war die zischende Stimme von Neire zu hören. „Es wäre unhöflich, wenn wir uns nicht vorstellen würden… Mensch. Das ist Gundaruk. Er war tot, doch er ist aus dem Grab in das Reich der Lebenden zurückgekehrt. Hier sitzt Bargh, der Drachentöter. Mein Name ist Neire.“ Die Bauern hatten sie - bis auf Kurst - mit bewundernden Augen angestarrt. Sie schienen auf etwas zu warten, als Neire sich zuletzt vorstellte und so fuhr er fort. „Ich diene Heria Maki, sie ist Schatten und bringt das Feuer. Sie belohnt die Rechtschaffenen und bestraft die Frevler.“ Tatsächlich sah Neire, dass Kurst seinen bereits wieder hinabgesunkenen Kopf ein weiteres Mal erhob und irgendetwas in seinen Augen aufblitzte, als er den Namen Heria Maki und die Rechtschaffenen hörte. „Trinken wir auf Heria Maki!“ sprach Bargh, während er versuchte ein Grinsen zu verbergen. Siguard, bereits deutlich lallend, war der erste der reagierte. „Auf Herio Mako! Wir trinken auf sie.“ Jetzt musste auch Neire lachen. Vielleicht ahnen sie es und spüren die Schwäche von Heria Maki. Würden sie so den Namen der Schwertherrscherin in den Mund nehmen, würde ich sie auf diesem Spieß rösten. Neire malte bereits das Bild in seinen Gedanken, wie die Bauern dort bei lebendigem Leibe brennen würden. Doch er mochte sie auch irgendwie. Er mochte ihre trunkene Einfalt. Und sie hatten bereits über Heria Maki gespottet, indem sie ihren Namen fehlerhaft gelallt hatten. Während er noch nachdachte, sprach Siguard bereits weiter. „Ich habe auch große Taten vollbracht, müsset ihr wissen, edle Herren. Ich habe die blauen Teufel gejagt. Bis in ihren Bau. Gejagt und getötet habe ich sie.“ Neire hatte in alten Schriften von blauen Teufeln gehört. Niederträchtige Wesen mit bläulich schimmernder Haut, die in Hügeln und Mittelgebirgen lebten. Sie waren böse und hinterlistig und so glaubte er den Worten von Siguard nicht ganz. „Es ist schon eine Schande, dass jetzt der Bau wieder bewohnt ist.“ Beide Bauern nickten, während Siguard fortfuhr. „Ein übles Wesen hat sich dort eingenistet. Es hat bereits unser Dorf überfallen. Sogar eine ganze Familie wurde getötet. Sogar Frauen und Kinder. Könnt ihr das glauben? Sogar Kinder.“ „Es ist ein Skulk, der in unserem Land sein Unwesen treibt. Diesem Unwesen muss ein Ende bereitet werden. Doch die Söldner, die Krieger sind alle hinfort. Es ist ein Fluch.“ Kurst, der seine tiefe, klare Stimme erhoben hatte, ließ jetzt wieder den Kopf sinken und grübelte weiter. „Wie hoch sind eure Verluste, Kurst. Könnt ihr nicht die Natur um Hilfe bitten?“ Gundaruk, hatte sein Luchsfell von seinem Kopf zurückgezogen und seinen haarlosen großen Schädel offenbart. Er blickte auf Kurst hinab und seine Worte waren fast fordernd. „Wir haben viele Tote zu beklagen. Ich muss gestehen, ich habe sie nicht gezählt. Doch die Natur? Früher gab dort etwas, wie ein Schimmer über dem See, den Feldern und den Hainen… Ehlonna. Sie beschützte das Land und gab uns reiche Ernten. Doch sie ist fort. Nun müssen wir selber zurechtkommen. Es braucht Ritter oder rechtschaffene Krieger hier. Vielleicht könnt ihr uns helfen, ihr dient der rechtschaffenen Göttin des Feuers, ja?“ Neire sah die Verzweiflung im Blick des alten Mannes, doch das erregte kein Mitleid in ihm. Es waren eher die Geheimnisse des Skulks, die ihn reizten. Von dieser Kreatur hatte er nämlich noch nichts gehört. „Wir sind auf der Suche nach Geheimnissen, Mensch. Ich habe die roten, arkanen Runen gesehen, die in eurem Dorf im Holz zu sehen sind,“ antwortete Neire, dessen seltsamer Singsang und Akzentuierung trunkene Blicke auf sich zog. Auch konnte man immer wieder seine gespaltene Zunge sehen, wenn er sie zwischen den Worten über seine weiß glänzenden Zähne gleiten ließ. „Dann könnt ihr also die Zeichen lesen? Es war der Skulk, der sie mit dem Blut seiner Opfer dort hinterließ.“ Die Worte von Kurst, der seinen lethargischen Zustand längst verlassen hatte, klangen verzweifelt und eindringlich. Neire bemerkte, dass der Dorfvorsteher zudem begann zügiger an seinem Bier zu trinken. „Wir können euch helfen, Mensch. Doch Heria Maki benötigt ein Brandopfer. Ihr solltet uns nach getaner Aufgabe belohnen und wir werden dieses Brandopfer verrichten. Grüne Edelsteine, wie Smaragde oder Jade, nehmen wir gerne an.“ Kurst dachte einen Moment nach. „Grüne Edelsteine haben wir leider nicht. Doch wir haben Edelsteine. Ich kann euch aus dem Familienerbe bezahlen. Rubine und sogar ein paar Diamanten.“ Neire blickte zu Bargh und sah, dass sein Begleiter nickte. Auch Gundaruk schien nichts gegen das Vorhaben einzuwenden. „Dann soll es so sein, Mensch. Ihr werdet uns morgen den Weg weisen und wir werden uns der Sache annehmen. Doch lasst uns trinken jetzt! Wirt, bringt uns eine Fiedel oder eine Harfe. Wir wollten singen und feiern!“ Die Bauern begannen zu jubeln und auch Kurst leerte seinen Humpen in einem Zug. Als der Wirt mit neuen Bierhumpen zum Tisch kam und den Besitz einer Fiedel oder Harfe verneinte, hatte Neire bereits mehrere kleine Stücke eines gelblichen Pilzes auf den Tisch fallen lassen. „Und lasst uns das fade Gesöff mit diesem Gewürzpilz aufbessern. Diese Pilze verleihen einem Getränk das gewisse Etwas.“ Zu seiner Überraschung sah Neire, dass Lorkan, der jüngste der Bauern, bereits einen Pilz verschlungen hatte und den Humpen zu mehreren gierigen Schlücken ansetzte. Nur Siguard schien ablehnend gegenüber dem Vorschlag zu sein. „Kommt Siguard oder habt ihr etwa Angst. Selbst euer Dorfältester hier will mit uns anstoßen.“ Tatsächlich nahm auch Gundaruk jetzt einen Pilz, stand auf und blickte auf den zögerlichen Bauern hinab. „Nun gut, dann lasst uns trinken!“ Neire beobachtete belustigt, wie sie gierig das Bier tranken und bereits ein neues forderten. Er würde ihnen schon zeigen wie man richtige Feste feiert. Nach einiger Zeit des trunkenen Austausches – Lorkan konnte fast nicht mehr reden und schwankte im Sitzen – erhob Neire wieder seine Stimme. „Mensch, ihr sagtet ihr habet die blauen Teufel bekämpft. Ihr müsst wahrlich mutig sein. Aber so mutig, dass ihr euch traut ein Spiel mit mir zu spielen?“ Neire hatte auf Siguard gezeigt, bei dem der Alkohol bereits deutliche Wirkung zeigte. „Ein Spiel meint ihr, eh? Natürlich spiele ich ein Spiel mit euch.“ Neire fing an zu grinsen und strich sich seine gold-blonden Locken zurück. Er zog zwei Platinstücke nebelheimer Prägung hervor und legte sie auf den Tisch. Eine leichte Wehmut befiel ihn, als er das Wappen von Nebelheim auf den Münzen glitzern sah; den Chaosstern, der dort in die Andeutung der Menschenschlange des wahren Blutes eingeflochten war. „Es ist ein Spiel zu Ehren der Göttin, Heria Maki. Wenn ihr die Münze länger in der Hand halten könnt, seid ihr der Sieger und dürft die beiden Stücke behalten. Vielmehr noch bestätigt die Göttin eure Rechtschaffenheit mit der Reinheit des Feuers.“ Sie sahen alle, dass Siguard seine Faust auf den Tisch knallen ließ. „Ist das das Spiel? Natürlich werde ich gewinnen.“ Noch während er lachte stand Neire auf, nahm die Münzen und schritt zum Feuer. Er blickte dabei zu Bargh und sah, dass der Krieger ihm zunickte. Neire nahm eine Ascheschaufel und stieß die beiden Platinmünzen vorsichtig unter die Glut der dicken Holzscheite. Er trat zurück und blieb hinter den Tischen stehen. „Erhebet euch für das Spiel, Menschen. Wir werden in Kürze beginnen.“ Tatsächlich erhoben sich die Bauern. Bargh, der jetzt eine Hand auf sein Schwert gelegt hatte stellte sich an den Kamin. Die Flammen schimmerten auf seinem silbernen Plattenpanzer. Neire spürte, dass der Pilz jetzt seine volle Wirkung entfaltete. Wärme raste durch seine Arme und verstärkte die Wirkung des Rausches. Doch nicht in geistes-vernebelnder Form. Die Farben um ihn herum waren nicht mehr so trist. Das Feuer glänzte wie tanzende Schatten und transparente Arme aus Flammen. Die vier Säulen des Raumes hörte er ächzen, die hölzernen Wände flüstern. Auch die Bauern waren wie in einem tiefen Rausch. Kurst torkelte schwankend hin und her und rief abgehackte Worte. Lorkan war bereits an einem Tisch zusammengesunken und Lorn, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, sprach Worte des Abschiedes und verschwand. Neire spürte, dass sein Geist sich langsam öffnete. Er trat an das Feuer und beförderte die Platinstücke auf die Schaufel. Sie funkelten glühend wie kleine Sterne und zogen im Rausch lange feurige Fäden mit sich mit. Neire schwankte zu Siguard hinüber und reichte ihm die Schaufel. Nur aus den Augenwinkeln sah er, dass Kurst, in einem Anfall von blindem Wahnsinn, nach einer der brennenden Münzen greifen wolle. Doch er zog die Schaufel rechtzeitig zurück und der alte Mann torkelte ins Leere. Als Siguard zögerte sprach Neire. „Stimmen eure Geschichten, ist euer Heldenmut wahr? Oder seid ihr doch ein Feigling? Ein Feigling, der selbst weit unter eurem Dorfältesten steht.“ Neire deutete dabei in Richtung von Kurst, der in ein paar Stühle gefallen war und gerade versuchte sich aufzurichten. Die Blicke lagen jetzt auf Siguard. Gundaruk stand hinter ihm und Bargh rückte bedrohlich näher. Noch immer zögernd begann der Bauer nach der Münze zu greifen. Auch Neire zog jetzt seine linke, grausam verbrannte Hand hervor. Im letzten Moment realisierte Siguard die Brandwunden an Neires Arm. Doch es war zu spät. Er hatte das glühende Metall bereits ergriffen und es brannte sich zischend in seinen Handballen hinein. Einen Moment lang versuchte er die Münze zu halten, doch der Schmerz war zu groß. Er ließ sie fallen und brach auf die Knie. Neire hielt seine Münze hoch. Sie brannte in seinem Fleisch und er genoss den Schmerz. Er blickte in die Flammen und suchte nach Zeichen. Seine Augen funkelten wie brodelndes, dunkles Magma, als er vor dem Kamin zu tanzen begann. Er sang den Choral einer fremden zischelnden Sprache und Bargh stimmte ein. Der Schankraum um ihn herum versank in einem feurigen Traum aus Licht und Schatten. Zeichen im Feuer sah er nicht, doch er dachte an die Münze und das Wappen von Nebelheim, dass der Bauer nun für immer mit sich herumtragen würde. Eine innere Freude erfüllte ihn als er den Gedanken sponn. Er musste sein eigenes Symbol weben. Es musste die Runen des Chaos tragen und die Dualität weisen. Er dachte an Schatten und Feuer.

Als Gundaruk wach wurde hämmerte sein Kopf. Sie hatten zu dritt in einer kleinen Dachkammer übernachtet, die der Wirt mit improvisierten Strohlagern für sie hergerichtet hatte. Er erinnerte sich nur noch schemenhaft an den letzten Abend. Die Bauern waren einer nach dem anderen im Suff zusammengebrochen und hatten schließlich schlafend auf dem Boden des Schankraumes gelegen. Als Neire seinen Tanz beendet hatte, hatten sie nach dem Nachtlager verlangt und der Wirt hatte den Raum verlassen. Neire war zu den Bauern getreten und hatte Bargh aufgefordert ihm zu helfen sie zu entkleiden. Als die Bauern schließlich nackt dort lagen, hatte Neire sich ein Stück erkaltete Kohle geholt. Er hatte begonnen obszöne Zeichnungen auf die Körper zu malen, die andeuteten, dass die Bauern sich gegenseitig verspottet hätten. Bargh und er hatten immer wieder gelacht und weiter Bier getrunken. Auch Gundaruk hatte die Szene belustigt. Er erinnerte sich an vergangene Abende im Krieg. Als sie nach einer siegreichen Schlacht in den immer noch warmen Ruinen einer abgebrannten Burg gezecht hatten. Die Menschen waren immer zuerst umgefallen, während er der letzte gewesen war. Ja, der Krieg. Er war grausam gewesen, doch er hatte die Abende ausschweifender, die Freundschaften und Gefühle intensiver gemacht. Schließlich war der Wirt zurückgekehrt und hatte gefragt was passiert war. Neire hatte geantwortet. Er hatte erklärt, dass die Menschen die Fassung verloren hätten. Dass ihnen der Alkohol zu Kopf gestiegen sei. So hatte schließlich er, Gundaruk, die nackten Leiber vor die Türe des Gasthauses geschleift. Das ganze Dorf sollte schließlich sehen, was den Zechern widerfahren war. Tatsächlich hatte er irgendwann im Halbschlaf das Lachen und das Applaudieren einer Menge gehört, die sich anscheinend vor dem Gasthaus gesammelt hatte. Gundaruk richtete sich auf und kleidete sich an. Die Luft in der engen Kammer war schlecht und er erinnerte sich schwach an das Ritual der Fackeln, dass das Kind der Flamme am letzten Abend noch durchgeführt hatte. Er raffte seine Sachen zusammen und ging durch das Gasthaus ins Freie. Von den Bauern war keine Spur mehr zu sehen. Die Sonne war bereits aufgestiegen und brach hier und dort durch die Wolken hindurch. Er vernahm den Geruch des Sees und der Felder und zog tief die Luft ein. Er spürte noch immer den Alkohlrausch und die Wirkung des bunten Vierlings. Die Farben waren so intensiv, das Sonnenlicht so lieblich. Es war, als ob seine Sinne geschärft, als ob er immer noch in Tierform verwandelt wäre. Er konnte sogar den Duft von Gras und Kräutern riechen, die an den Rändern der Straße wuchsen. Gundaruk fasste den Gedanken und begann zu suchen. Hier und dort pflückte er Kräuter, als er durch das Dorf schritt. Nach einiger Zeit kam er zum Gasthaus zurück, mit einem Bündel von Pflanzen. Er bemerkte, dass dort Bargh und Neire zu sehen waren, die gerade ihre Pferde sattelten. „Ah, Gundaruk. Da seid ihr.“ Neire winkte ihn heran und er bückte sich unter das Dach des Stalls. Neire trat jetzt näher und begann zu flüstern. „Gundaruk, ich habe die Runen Kraft meiner Göttin untersucht. Eine schwache Magie, doch ich konnte die Bedeutung erahnen. Es ist wie eine Botschaft, wie ein Hilferuf.“ Gundaruk sah Falten auf Neires gerader Stirn. „Die Worte befreit mich und Träger konnte ich entziffern. Vielleicht ist von einem alten Gegenstand die Sprache. Vielleicht von einem alten Fluch, um dessen Träger es hier geht.“ Gundaruk nickte und dachte nach. Auch er hatte von alten Geschichten gehört. Legendäre Gegenstände die in vergangen Zeiten erschaffen wurden. Oftmals hatten sie ihre Träger ins Verderben gestürzt. Geschichten rankten sich nicht nur um ihre Erschaffung, sondern auch um ihre Vernichtung. „Lasst uns erst einmal zu Kurst gehen und ihn nach dem Weg fragen.“ Gundaruk deutete zudem auf die Gräser, die er in beiden Händen trug. „Ich habe außerdem etwas vorbereitet, um ihnen zu helfen. Vielleicht ist ja doch noch ein Teil von Ehlonna hier, der mir antworten wird.“ Er sah jedoch, dass ihn Neire angewidert anschaute, als er den Namen erwähnte. „Die Götter sind schwach Gundaruk… nur die Schwertherrscherin, nur Jiarlirae…“ Gundaruk zuckte mit den Schultern. Er musste es versuchen. Was in der Zeit passiert war, seit er in diesem Grab gelegen hatte? Er musste es selbst herausfinden. Nach kurzer Zeit kamen sie über den Lehmweg zum Steinhaus des Dorfvorstehers. Es war neben dem Gasthaus das zweite Haus aus Stein, dass es in Kusnir gab. Bargh trat hervor und schlug mit seinem gepanzerten Handschuh gegen die hölzerne Eingangstüre. Doch das dumpfe Donnern provozierte keine Reaktion. Ein weiteres Mal, jetzt noch lauter dröhnte der Schlag. „Kurst, alter Säufer! Kommt hervor.“ Nach kurzer Zeit waren tatsächlich Geräusche zu hören und ins Sonnenlicht trat der gezeichnete alte Mann. Noch immer waren die verwischten Symbole der Kohle an seinem von Schlamm besudelten Oberkörper zu sehen. Zudem konnte Kurst anscheinend kaum seinen Hals bewegen. „Was wollt ihr?“ ächzte er mit heiserer Stimme. „Kurst. Weißt uns den Weg zum Bau. Wir werden heute aufbrechen,“ sprach Neire. Sie lauschten den abgehackten Worten des Dorfvorstehers. Als er seine Beschreibung beendete, trat Gundaruk hervor. „Kurst, ich habe Kräuter und Pflanzen gesammelt und werde versuchen eure Göttin anzurufen. Vielleicht wird Ehlonna euch helfen und weitere reiche Ernten schenken.“ Kurst starrte ihn einige Zeit an. „Tut was ihr nicht lassen könnt, Gundaruk. Ich weiß, ihr meint es gut mit uns, doch Hoffnung habe ich nicht.“ Damit trat der Mann in die Schatten zurück uns ließ die Türe hinter sich zufallen. Gundaruk begann mit seinem Speer Kreise in das Gras des kleinen Platzes zu zeichnen. Er verstreute die Kräuter und murmelte die Gebete zu Ehlonna. Neire und Bargh beobachteten ihn wortlos vom Rücken ihrer Pferde. Gundaruk beendete das Ritual, doch er spürte keine Antwort, keine göttliche Resonanz. Er war sich auch nicht sicher ob der Zauber gewirkt hatte. So brachen sie auf und folgten der Beschreibung. Gundaruk ging neben den beiden Pferden her. Nach einiger Zeit gelangten sie an einen Fluss und dann in einen Wald, in dem das Wasser schneller dahinschoß. Das Gurgeln erfüllte die von Vogelstimmen erfüllte Umgebung. Die Sonne stand mittlerweile hoch am bewölkten Himmel und vertrieb langsam die Nässe des gefallenen Regens. Gundaruk sah, dass Neire immer wieder den Wald und die Sonne betrachtete. „Neire, der Wald. Er scheint euch zu gefallen.“ Bemerkte Gundaruk und deutete mit seinem Speer in das schattige Unterholz. „Die Oberwelt ist groß und der Wald ist voller Schatten. Er scheint die Sonne zu verschlucken.“ Gundaruk nickte und antwortete bedacht. „Die Sonne und der Wald. Die Sonne dringt nicht tief hinein, doch der Wald benötigt die Sonne. Fast wie euer Dualismus von Schatten und Feuer. Vielleicht kann ich Ehlonna zurückbringen, vielleicht hat sie dieses Land nur vergessen.“ Gundaruk sah, dass sich die Miene Neires augenblicklich verfinsterte. Die Neugier und Freude in seinem Gesicht waren hinfort. „Ah, dieser Name einer schwachen Kreatur. Vielleicht solltet ihr ein paar Menschen opfern, den Boden mit ihrem Blut tränken und sie dann essen. Vielleicht ist es das, was Ehlonna braucht.“ Gundaruk blickte ausdruckslos in das spottende Gesicht Neires. Es überkam ihn ein seltsames Gefühl, wie ein dunkler Bote. Ein Gefühl, dass er nicht deuten konnte, dass ihn abstieß, aber auch seine Neugier weckte.
Titel: Sitzung 26 - Der Bau
Beitrag von: Jenseher am 5.08.2022 | 22:41
Durch die Baumwipfel drangen Sonnenstrahlen des von Quellwolken überzogenen Himmels. Die Luft war klar und es roch nach nassem Wald. Um sie herum war das Gluckern des Bachlaufs zu hören, der den dichten Wald wie eine Schneise durchzog. Sie hatten mit den Pferden am kleinen Fluss haltgemacht. Die Tiere grasten jetzt dort und tranken das klare Wasser, das aus den nahen bewaldeten Bergen stammen musste. Eine Zeitlang waren sie dem Fluss in die Richtung der Hügel gefolgt, deren rollende Höhen sie immer wieder dunkel über dem Wald hatten aufragen sehen können. Neire zog die Luft ein und betrachte vom Rücken seines Pferdes seine Mitstreiter. Er genoss jeden Moment in der ihm fremden Oberwelt, in der er sich von Tag zu Tag sicherer fühlte. Ab und an war ein Vogel im Unterholz zu hören, mal konnte er Eichhörnchen sehen, die von Baum zu Baum sprangen. Neire blickte einen kurzen Moment zu Bargh. Der Alkohol und die Pilze der gestrigen Nacht hatten das Gesicht des jungen Krieger Jiarliraes gezeichnet. Das linke Auge, das Bargh nicht mit der Binde überdeckt hatte, wirkte glasig. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn und auf seinem von Brandnarben bedeckten, haarlosen Schädel gesammelt. Als ob Bargh seine Gedanken erahnen konnte, drehte sich der einstige Paladin auf seinem Reittier sitzend um und griff in eine der Satteltaschen. Bargh förderte einen von den Weinschläuchen hervor, die sie aus der verlassenen Feste mitgenommen hatten. „Neire, nehmt einen Schluck. Der Wein wird unsere Laune steigen lassen.“ Neire beugte sich zu Bargh hinüber und nahm wortlos den Schlauch entgegen. Auch er spürte eine Leere in seinem Kopf, die immer wieder plagende Gedanken hervorrief. Er trank mehrere Schlücke des würzigen Tranks bevor er in Richtung Gundaruk nickte. „Gundaruk, was ist mit euch? Probiert den Wein aus der verlassenen Feste, er ist wirklich vorzüglich.“ Neire wollte zu Gundaruk hinabreichen, doch der große Krieger verneinte kopfschüttelnd. „Wir sollten uns auf unsere Aufgabe konzentrieren. Ich will klar denken können, um meine Umwelt richtig wahrzunehmen. Ich will auf alle möglichen Ereignisse vorbereitet sein.“ Neire reichte den Schlauch wieder Bargh hinüber, der gierig einige tiefe Züge nahm. „Ahhh… Gundaruk,“ sprach Bargh in abfälligen Worten und wischte sich den an seinem Kinn herunterlaufenden Wein mit seinem Panzerhandschuh hinfort. „Ein paar Schlücke Wein haben auch vor einem Kampf nie geschadet. In einer Kneipenschlägerei, wie auch in einem Gemetzel, kann eine leichte Trunkenheit von Vorteil sein.“ Um seine letzten Worte zu unterstreichen schlug sich Bargh mit dem Handschuh gegen die silberne Brustplatte seines leicht verbeulten Plattenpanzers. Neire spürte jetzt die Wirkung des Alkohols und seine Laune stieg. Er blickte zu Gundaruk, der sich mittlerweile in einen Kniesitz begeben und seine Luchsfellmütze von seinem kahlen Schädel gezogen hatte. „Gundaruk, wie lange wart ihr eigentlich in diesem Grab gefangen? Kann es sein, dass ihr dort das Leben und das Feiern vergessen habt?“ Mit einer Kopfbewegung deutete Neire lächelnd auf den Wein. „Ich weiß es nicht Neire. Sagt, welches Zeitalter, welches Jahr haben wir jetzt?“ Neire war erstaunt von der Ernsthaftigkeit in Gundaruks grünen Augen. Der immer noch ein wenig fremde, große Krieger schien anscheinend wirklich nicht zu wissen, wie lange er dort verbracht hatte. „Es ist das Zeitalter von Ziansassith. Ziansassith, Menschenschlange des wahren Blutes.“ Als Neire den Namen des vergangenen Herrschers von Nebelheim zischelnd aussprach, meinte er für einen Augenblick den Wind in den Wipfeln rascheln. Es war, als wollten ihm die Lichtstrahlen der Sonne einen Weg in die Schatten weisen.

Sie waren eine Weile dem Fluss gefolgt, der sie langsam bergauf führte. Gundaruk war voraus gegangen, während Bargh und Neire ihm auf ihren Pferden folgten. Neire hatte während der Reise erzählt und ihre Umgebung kommentiert. Er – Gundaruk - hatte unweigerlich zuhören müssen. Doch er hatte sich langsam an den Jüngling mit den gold-blonden Locken gewöhnt, der sich selbst Kind der Flamme nannte. Teilen des Gespräches zwischen den beiden hatte er allerdings nicht folgen können. Er hatte bemerkt, dass Bargh und Neire sich immer öfter in einer fremden Sprache unterhielten, die ihn an einen zischelnden Singsang erinnerte. Er hatte bereits vermutet, dass Neire Bargh in einer fremden Lautung unterrichtete. Bargh schien bereits einige Sätze zu beherrschen. Als die Sonne höher stieg, war der Weg am Fluss schließlich steiler geworden. Auch hatten sie mehrere kleinere Stromschnellen umrunden müssen. Schließlich waren sie auf eine große Lichtung gestoßen, die von bewaldeten Hügeln umrundet war. Hier hatten sie abgesattelt und Bargh hatte Spuren entdeckt, die von dem Hügel in ihre Richtung geführt hatten. Die Spuren waren von den Stiefeln von vier Gestalten zu identifizieren gewesen, von denen eine leichter war. Sie hatte weniger tiefe Abdrücke hinterlassen. Auch konnte Bargh feststellen, dass die Spuren wohl relativ frisch waren – weniger als einen Tag alt. Gundaruk dachte einen Moment nach und erinnerte sich an alte Geschichten aus dem Krieg. Vielleicht sind es Späher, die wie wir den Bau erkundschaften. Doch dann müssten doch auch Spuren in diese Richtung führen. Vielleicht haben sie sich aus einer anderen Richtung angeschlichen und sind dann hier am Fluss in Richtung Kusnir weitergereist. Wir sollten jedenfalls auf der Hut sein. In der Ferne, in die Bargh die Richtung der auf sie zukommenden Spuren deutete, hatte Gundaruk das Bollwerk einer Einzäunung gesehen. Ein Wall von angespitzten Baumstämmen ragte vom höheren Teil der Lichtung hervor. Von dort war keine Bewegung zu sehen gewesen. Seine Erfahrung hatte Gundaruk instinktiv handeln lassen. Er hatte Neire mit den Worten „Könnt ihr euch noch an die Krähe vor Kusnir erinnern, Neire?“ angegrinst. Doch mit dröhnendem Kopf und steifem Nacken war der Schmerz der Verwandlung noch unerträglicher gewesen. Zuerst hatte sich alles gedreht, als er sich in der Gestalt der großen schwarzen Krähe in die Lüfte erhob. Doch dann hatten mehr und mehr die Instinkte des Tieres Kontrolle übernommen. Jetzt hob er sich höher und höher. Die Winde und Luftströmungen trugen ihn hinauf. Seine scharfen Augen überblickten die Lichtung, die anscheinend gerodet war. Modernde Baumstämme und Geäst bedeckten den größten Teil des Schlags. Den Fluss sah er von hier oben wie ein glitzerndes Band. Dieser machte eine große Schleife um die Lichtung und verschwand dann im Wald der höheren Hügel. Vorsichtig näherte sich Gundaruk dem primitiven Wall. Er sah dort Speere aufragen, wie die von Wachen. Doch keine Bewegung. Auf der Hügelkuppe war zudem ein kleiner Turm zu erkennen, der als einstöckige Plattform aus Baumstämmen errichtet war. Auch von dort war keine Bewegung zu erkennen. Gundaruk zog langsam einen langen Kreis über den Turm und in Richtung des Flusstals. Dann sah er plötzlich das gähnende schwarze Loch im Hang des Hügels. Unweit des Lochs konnte er zudem eine Bresche im Wall erkennen. Doch auch dort war keine Bewegung zu sehen. So kehrte er wieder zurück. Seine Krähenlaute hallten durch das einsame Tal und kündeten von seiner Ankunft.

Bargh und Neire hatten die Pferde am Rande der Lichtung ein Stück in den Wald geführt. Sie hatten ihnen gut zugesprochen und sie dort zum Grasen zurückgelassen. Daraufhin waren sie zum Fluss zurückgekehrt und hatten auf die Rückkehr der Krähe gewartet. Neire hatte die Zeit genutzt und sich am Fluss gewaschen. Gerade schaute er in das klare, quirlige Wasser hinab, das sein Antlitz immer wieder verzerrte. Der Wein und der Rausch des bunten Vierlings ließen das Sonnenlicht tausendfach brechen. Als ob jede Blase im Wasser ein kleiner funkelnder Stern wäre. Neire war so bewegt von dem Schauspiel, dass er an Nebelheim zurückdachte. Er dachte an Lyriell. Ihr Gesicht vom kostbaren Goldstaub glitzernd erhellt. Die langen roten Haare schimmernd in den Flammen des Festes – gleich einer Corona über ihm aufragend. Er erinnerte sich, wie sie von ihm gegangen war. Wie sie in der Tiefe verschwand. Tränen rollen über Neires Wange und er murmelte ihren Namen. In diesem Moment spürte er den Panzerhandschuh auf seiner Schulter. Er hörte die Stimme Barghs. „Neire, ihr sagtet ich sei wie ein Bruder für euch. Eigentlich geht es mich nichts an. Doch als dieser Bruder frage ich euch. Was bedrückt euch? Wer ist Lyriell?“ Neire blickte zu Bargh auf und seine blauen Augen schimmerten glasig. „Sie war meine erste und einzige Liebe, Bargh. Doch nun ist sie fort. Sie ist in das Reich der Göttin eingekehrt und für immer vereint mit Feuer und Schatten.“ Als Neire sprach, blickte er den gezeichneten Krieger vor ihm an. Er wusste, er lebte im jetzt und Lyriell war weit weg; vielleicht für immer fort. „Bargh. Wir müssen Nebelheim retten. Lyriell war nur der Anfang. Sie öffnete mir die Augen. Der nächste Schritt ist eure Aufgabe und wir müssen zuerst eure Maske herstellen.“ Neire, bemerkte, wie Bargh nickte und ihn mit fanatischem Blick anschaute. „Was immer wir tun müssen Neire, ich bin bereit.“ Neire drehte sich um und ließ seinen Blick über das Tal schweifen. „Also, wo ist diese verdammte Krähe?“ Kaum hatte er die Worte beendet, hörten sie die Schreie des großen Tieres. Sie sahen, dass Gundaruk unweit von ihnen landete und sich qualvoll verwandelte. Als der große Krieger sich schließlich erhob und ihnen von seinem Flug über das Lager berichtete, war Neire hervorgetreten und hatte eine schwarze Feder von seiner Schulter gehoben. Gundaruk hatte dabei auf ihn hinabgeblickt und die Worte „Ihr dürft die Feder behalten Neire“, gesprochen. Neire hatte dabei genickt und an alte Prophezeiungen und Flüche gedacht. Wer sollte schon wissen, welchen Zweck diese Feder einst erfüllen würde. Doch schon hatte Bargh das Wort ergriffen, der voll Tatendrang in Richtung des Walls zeigte. „Lasst uns aufbrechen. Wir werden niedermachen, was sich uns in den Weg stellt. Wir werden sehen, ob dieser Skulk ein würdiges Opfer für Jiarlirae ist.“ Neire nickte, stimmte mit Bargh ein kurzes Gebet an und schloss sich dem einstigen Paladin an. Er freute sich um den Tatendrang von Bargh, der sich in einem urwüchsigen Fanatismus und wallendem Hass seine Bahn brach. Es erinnerte ihn an den Dualismus von Schatten und Feuer – so dachte er an Jiarlirae, seine Schwertherrscherin, Königin von Flammen und Dunkelheit, Dame des aufsteigendes Chaos des Abgrundes.

Bargh hatte sie mit sich gezogen. Er war furchtlos den Hang hinauf und hineinmarschiert in das Erdloch, das sich im Eingangsbereich wie ein gestützter Minengang vor ihnen auftat. Geruch von Nässe und Stein waren ihnen entgegengekommen, wie auch ein Schwall kühlerer Luft. Ein paar Schritte hinab war es dunkel geworden und sie hatten die gehauenen Steinwände aufschimmern sehen können. An einer Kreuzung hatte Neire schließlich ein Geräusch gehört. So hatten sie den Gang zur Rechten sowie den Gang geradeaus nicht weiter beachtet und waren nach links abgebogen. Wenige Schritte in dem Tunnel, hörten sie alle plötzlich ein Krachen. Bargh war in diesem Moment auf ein Brett getreten, das er im schmutzigen Boden nicht gesehen hatte. Die morschen Bohlen brachen und er drohte in die Tiefe zu stürzen. Doch Neire fasste nach ihm und so konnte er sich gerade noch zurückwerfen. Seine Stimme hallte - viel zu laut - durch den Tunnel „Wer auch immer… diese Bastarde… dafür werden sie bezahlen!“ Als sie ihren Weg über die Fallgrube fortsetzten hörte Neire plötzlich ein Geräusch. Sie konnten eine kleine Höhle sehen sowie einen Tunnel, der nach rechts abbog. Das Geräusch schien aus dem Tunnel zur Rechten zu kommen. Doch Bargh war bereits dort hineingeeilt und Gundaruk gefolgt, der jetzt als erster ging. Was nun kam waren Ereignisse, die sich in der Dunkelheit überschlugen. Eine riesenhafte graue Raubkatze sprang aus einem weiteren unterirdischen Raum hervor, der die Größe einer kleinen Halle hatte. Gundaruk torkelte überrascht zurück, doch Bargh und Neire drängten voran. Neire bemerkte sofort eine weitere Kreatur, die am linken Eingang des Gewölbes in den Schatten lauerte. So stieß er zu mit seinem Degen. Bargh wandte sich ebenfalls der in den Schatten lauernden Gestalt zu und ließ sein Langschwert hinabfahren. Der Kampf war kurz und blutig. Zuerst fiel das humanoide Wesen aus dem Schatten – es hatte grobe Gesichtszüge, eine grünlich-graue Haut und Reißzähne. Dann brachten die Angriffe das Riesenpuma zur Strecke. Die Helden keuchten auf und betrachteten das Gewölbe vor ihnen. Neben vielen kleineren Nischen war ein weiterer Ausgang zu sehen. Gegenstände und Einrichtung füllten in einer Unordnung die unterirdische Halle. Wortlos begannen sie ihre Suche. Immer wieder blickten sie in der Dunkelheit nach weiteren Gegnern. Schließlich fand Bargh eine kleine Schatulle, die er sofort öffnete. Hervor kam grünlicher Nebel, der ihn aufhusten ließ. Für einen Moment röchelte er und spuckte ein paar Tropfen Blut. Doch dann weckte das Schimmern von wertvollen Gegenständen seine Aufmerksamkeit. Außerdem war eine vergilbte Karte zu sehen, die sich in der kleinen Truhe befand. Ein näherer Blick auf die Karte offenbarte kleine gekritzelte Runen der normalen Sprache: Villa und Skulk.

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Titel: Sitzung 27 - Der Bau II
Beitrag von: Jenseher am 12.08.2022 | 22:40
Die Kreatur in der Höhle brüllte in einem hohen Krächzen. Der Schrei ging Neire durch Mark und Bein. Er war mittlerweile zu Bargh und Gundaruk aufgeschlossenen und konnte durch den schmalen Spalt im Stein hindurchsehen. In der Kammer, in der das Wesen in seinen Exkrementen und auf den Knochen seiner Opfer saß, waren sonst keine Ausgänge zu erkennen. Die Kreatur richtete sich auf und drehte sich langsam um. Sie hatte den Unterkörper eines Bären. Der Kopf war von Federn bedeckt und durch einen langen, gefährlichen Schnabel geziert. Neire handelte instinktiv. Er fing an seltsam zischende Laute zu murmeln und zerrieb Schwefel und Fledermausdung in seiner Hand. Als die Kreatur auf sie zu schnellte, warf er die Kugel aus rötlichem Feuer. Eine gewaltige Explosion von Magma erfüllte die Höhle und ließ den Eulenbär für einen Moment aus Neires Blickfeld verschwinden. Er spürte, wie die Flammen in den Tunnel hinausschossen in dem sie standen. Dann hörte Neire einen dumpfen Aufschlag. Als das Feuer sich legte sah er, dass die riesenhafte Kreatur grässlich verbrannt am Boden lag. Sie hatte ihr Leben in den Flammen Jiarliraes ausgehaucht. Neire bückte sich und trat hervor in die noch brennenden Flammen der Felskammer. Einen Moment lang dachte er zurück an die vergangenen Stunden. Sie hatten Höhle um Höhle des Baus untersucht. Ein Wirrwarr von Gängen hatten sie vorgefunden, doch keine weiteren Kreaturen. Schließlich hatten aus einem Gang die Geräusche der in Ketten gelegten Kreatur gehört. Neire fragte sich, wer den Eulenbär wohl versklavt hatte. Er bewegte mit einem seiner Stiefel die schweren Gliedmaßen. Doch er sah keine Symbole an den Ketten. Auch eine Untersuchung des Raumes ergab keine weiteren Ergebnisse. So drehte er sich um und kehrte zu seinen Kameraden zurück. Bargh nickte ihm respektvoll zu und sprach ein Gebet zu Ehren der Göttin. Neire stimmte ein in den zischelnden disharmonischen Choral. Nur kurz hielten sie inne um zu beten. Dann brachen auf und erkundeten weitere Gänge, die unerforscht in der Dunkelheit lagen.

Gundaruk ließ seine Augen über den von Wolken überzogenen Himmel gleiten. Sie waren gerade aus den unterirdischen Sälen des Baus aufgestiegen. Weitere Gänge und Kammern hatten sie entdeckt, doch keine Kreaturen. Ein Tunnel hatte sie am Fluss ins Freie geführt, doch sie waren wieder zurückgekehrt in die Erde und hatten weitergesucht. Schließlich hatten Gundaruks geübte Augen eine geheime Türe entdeckt. Vielleicht war es der Teil seines elfischen Blutes, der ihm dies ermöglicht hatte. Sie hatten die kleine Kammer hinter der Türe durchsucht und einen wertvollen elfischen Tarnumhang gefunden. Neire hatte erzählt von einem solchen Gegenstand schon einmal in alten Legenden gehört zu haben. Als alle Gänge erkundet waren, hatten sie sich entschlossen aufzubrechen und der Karte zu folgen, die sie hier unten gefunden hatten. Gundaruk betrachtete die bewaldeten Hügel und die Felsen. Eine malerische Landschaft, die von der jetzt etwas tiefer stehenden Sonne in ein prachtvolles Licht gehüllt wurde. Das Rauschen des Windes war zu hören und aus der Ferne drang das sanfte Geräusch der Stromschnellen des Flusses. Er nickte Bargh und Neire zu, die hinter ihm aus der Tiefe in die Sonne hervorkamen. Besonders Neire schien das helle Licht nicht zu vertragen und kniff die Augen zu. Bargh hatte bereits die Augenbinde umgelegt und den roten Rubin seines rechten Auges verdeckt. „Also reisen wir der Karte nach, Neire? Zu dem Punkt, wo Villa und Skulk steht?“ Neire blinzelte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Noch immer waren Reste des getrockneten Blutes in seinen gold-blonden Locken zu sehen. Seine Kleidung war hier und da von Schlamm und Spinnweben bedeckt. „Gundaruk, ihr habt euch tapfer geschlagen dort unten. Und eure verborgenen Fähigkeiten das Verdeckte zu erkennen haben sich euch ausgezeichnet.“ Gundaruk wusste nicht genau worauf Neire hinaus wollte und so zögerte er einen Moment. Doch schon fuhr der junge Priester fort. „Wir wissen nicht ob wir den Skulk bereits getötet haben, Gundaruk. Lasst uns zu unseren Pferden zurückkehren und nach der Villa suchen.“ Auch Bargh nickte und zeigte mit seinem rechten Panzerhandschuh in die Richtung des Waldsaumes der unteren Lichtung. So setzten sie sich alle in Bewegung. Gundaruk bemerkte, dass Bargh immer wieder nach Spuren Ausschau hielt und sich für einen Moment niederkniete. Nach kurzer Zeit kamen sie am Waldrand an und fanden dort die Pferde – friedlich grasend. Als Neire ihm ein weiteres Mal den Weinschlauch anbot um auf seine Taten anzustoßen, verneinte er nicht. Der Wein aus der verlassenen Festung hatte tatsächlich einen vorzüglichen Geschmack. Auch verdrängte er die langsam aufkommende Müdigkeit. Sie setzten ihre Wanderung am Fluss fort. Dann wurde langsam das Licht der Sonne weniger und die Schatten länger. Plötzlich hörte Gundaruk ein Knacken im Wald. Wie ein Zweig, der durch Bewegung zerbrochen wurde. Nach seinem warnendem Hinweis sattelten Neire und Bargh augenblicklich ab und ließen die Pferde zurück. Sie drangen in Richtung des Geräusches vor, weg vom Fluss. Zuerst sahen sie nichts, doch im dichteren dunkleren Wald konnten sie die Silhouette einer Gestalt erkennen, die einen Bogen trug. Knöcherne Gesichtszüge, eine gedrungene Stirn und platte Nase sowie spitze Eckzähne ließen eine Ähnlichkeit zu dem Bewohner des Baus erkennen, den sie dort erschlagen hatten. Gundaruk zögerte nicht lange. Er beschwor die Natur zur Bewegung. Jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Neire und Bargh bewegten sich auf den Bogenschützen zu. Doch hervor stürmten zwei Krieger, mit Langschwert und Dolch bewaffnet - dem Aussehen nach dem Bogenschützen ähnlich. Doch ihr Fortkommen kam jäh zum Erliegen. Ranken und Wurzeln begannen zu greifen wie dunkle Schatten. Der Wald knackte und raunte. Die Krieger ächzten und schrien. Gundaruk sah, wie eine vierte Gestalt hervortrat. Die ältere Frau war zwar nicht größer als die Krieger, aber fettleibig und häßlich. Warzen bedeckten ihr unförmiges Gesicht und sie hinkte beim Gehen. Ein intensiver Kampf entbrannte. Die Frau beschwor faule Magie und für einen Moment wirkte es, als wolle Bargh der Flucht ergreifen. Doch der heilige Krieger riss sich zusammen. Dann ließ Neire die Macht seiner Göttin Chaos und Verderben über die Kreaturen bringen. Schattenhafte Blitze und Feuerkugeln aus Magma ließen die Körper ihrer Gegner zerplatzen. Gundaruk sah, dass der Junge die Flamme von Chaos und Schatten in seiner Hand hielt. Seine Augen glühten wie Kohlen in der Dunkelheit.
Titel: Sitzung 28 - Verstümmelte Leichen
Beitrag von: Jenseher am 20.08.2022 | 09:17
Neire ließ sich verzweifelt niedersinken. Die Flamme in seiner linken Hand brannte unkontrollierbar hernieder. Er spürte einen ziehenden Schmerz von seinen Herzsteinen im linken Arm ausgehen. Das Gefühl von Ohnmacht breitete sich in ihm aus. Er wagte es nicht sich umzublicken. Barghs verbliebenes lebendes Auge betrachtete ihn forschend. Er spürte, dass sich etwas verändert hatte. Er spürte den Verlust des Feuers. Kälte, die vom Boden aus an ihm hochkroch. Doch er konnte sich nicht erheben; verharrte er doch wie gelähmt. Tränen rannen über seine Wangen. Er versuchte die alten Gebete zu rezitieren, doch sie klangen farblos und falsch. Da war auch etwas, etwas anderes. Die tiefer stehende Sonne drang nicht mehr weit durch den dichten Wald. Nur vereinzelte Strahlen durchbrachen das Dickicht. Alles mischte sich in einem idyllischen Licht aus knorrigen Bäumen und Schatten. Auch das entfernte Rauschen des Flusses verwusch dieses Bild. Neire war sich sicher. Zwischen in Bäumen sah er Thaakaz, die Rune von Nebel und Dunkelheit. Die Rune schmiegte sich gegenüber von Neire und Bargh in ein Tor von Bäumen. Auch Bargh war an diesem Abbild beteiligt. Er stand in der Sonne und brach einen Teil der Strahlen. Einen Moment lang sammelte Neire seine Gedanken. Soll es heißen…? muss ich den Weg des Feuers verlassen? Soll ich den Weg des Schattens wandeln? Es musste so sein. Das Schwinden seiner Fähigkeiten hatte er bis jetzt nicht erlebt. Und ein Zeichen dieser Intensität hatte er nur ein einziges Mal zuvor gesehen. Neire erhob sich langsam. Er spürte den gepanzerten Handschuh von Bargh sanft auf seiner Schulter. Er hörte, dass der gefallene Paladin mit ihm betete. Doch weiter liefen die Tränen an seinen Wangen hinab. Er fühlte sich wieder wie das, was er eigentlich war. Ein fünfzehn Jahre alter, schwacher und unerfahrener Junge. Kaum nahm er Notiz vom siegreichen Ende des Kampfes; er betrachtete nicht die zerkochten und aufgeplatzten Körper seiner Widersacher. Er hatte seine geliebte Flamme verloren und würde nun in den Schatten wandeln.

Gundaruk richtete sich ruckhaft auf. Ein Traum des vergangenen Krieges hatte ihn geplagt. Er hatte auf die Angreifer mit seinem Speer eingestochen, doch sie waren immer näher gerückt. So war der Traum weitergegangen und hatte ihn gequält. Er hatte diese Angewohnheit. Aus den vergangenen Tagen des Krieges. Beim Aufwachen schnell an der Waffe zu sein. Meist nach viel zu kurzem Schlaf. Doch er hatte sich an dieses Leben gewöhnt und es hatte ihm das ein oder andere Mal zu einem taktischen Vorteil verholfen. Doch jetzt spürte er, dass irgendetwas ihn behinderte. Irgendein Ding um ihn herum. In der Nacht brauchten seine grünen Augen eine gewisse Zeit, um die Dunkelheit auch ohne Licht zu durchblickten. Dann sah er das Zelt, das er bei seinem wüsten Aufstehen mit sich gerissen hatte und er erinnerte sich an den letzten Abend. Sie hatten nach dem Kampf die Gegenstände der Kreaturen geplündert und ein kostbares Langschwert sowie einen seltenen Dolch gefunden. Sie waren dann aufgebrochen und hatten nach der Karte navigiert. Die Stimmung von Neire war nach dem Kampf in ewiges Trübsal abgesunken. Der Junge kam ihm auch ängstlicher vor, als zuvor. Und Gundaruk kannte Neire jetzt schon einige Zeit. Als die Sonne hinter den Hügeln verschwand hatte Bargh eine kleine Lichtung erspäht und sie hatten dort ihr Lager aufgeschlagen. Bargh und Neire hatten Wein getrunken. Tatsächlich war Neires Stimmung etwas besser geworden. Doch noch immer hatte er eine tiefe Melancholie ausgestrahlt. Schließlich war Gundaruk in sein Zelt gekrochen und Neire hatte die erste Wache übernommen. Gundaruk riss das Zelt von seinem riesenhaften Leib und blickte sich um. Er war instinktiv mit seinem Speer aufgestanden, den er immer an seiner Seite hatte. An einen Baum gelehnt schlief Bargh, in seinem silbrigen Plattenpanzer. Doch von Neire war keine Spur zu sehen. Hatte der Jüngling sie unbewacht zurückgelassen? Gundaruk kam nicht weiter mit den Gedanken. Von hinten spürte er ein Stechen in seiner Milzgegend und keuchte auf. Doch es war keine Waffe die ihn traf. Eher, als ob ein Kind ihn kitzeln wollte. Als er sich umdrehte sah er tatsächlich schemenhaft Neire in den Schatten stehen. Der Junge hatte sich den elfischen Tarnumhang umgelegt und war kaum von der Umgebung zu unterscheiden. Nur als er seine Kapuze zurückzog und seine gold-blonden Locken offenbarte, erblickte Gundaruk Neires Gesicht. „Ihr solltet nicht so leichtfertig und unachtsam sein, Gundaruk. Die Schatten bergen oft nicht nur Geheimnisse, sondern auch unangenehme Überraschungen!“ „Ah, Neire“, erwiderte Gundaruk. Er hatte sich erschrocken und sogar kampffertig gemacht, doch irgendwie erfreute ihn der kindliche Humor von Neire. Er blickte auf den Lockenschopf hinab und brummte: „Ja, wir werden sehen was euch überraschen wird, Kleiner.“

Sie waren am nächsten Morgen aufgebrochen. Die Nacht war ohne weitere Ereignisse verstrichen. Auch an diesem Tag hatten sie Sonne und Wolken begleitet. Der Weg am Fluß war schließlich steiniger geworden und hatte sie dann zu einem Steilufer geführt. Sie hatten sich für den kleinen Kieselstrand entschieden, der dann immer breiter geworden war. Nach einer Zeit, es war immer noch in den Morgenstunden gewesen, hatten sie in der Ferne einen Leichnam entdeckt. Eine nähere Untersuchung offenbare einen grausam ermordeten Mönch des Gelehrten Gottes Oghma. Die linke Gesichtshälfte war von Krallenspuren zerfetzt und einer seiner Arme endete in einem rot verkrusteten Stumpf. Sie hatten sich dazu entschieden den blutigen Fußspuren zu folgen und waren schließlich an eine Öffnung in der Steilwand gelangt. Zwei Statuen von steinernen Greifen waren zu sehen gewesen. Eine hoch oben in der Wand und eine andere vor einem hölzernen Vorbau. Als sie sich weiter näherten, hatten sich die Statuen in lebende Wesen mit rotglühenden Augen verwandelt. Der Kampf war kurz und intensiv gewesen. Ein Wesen hatte sie im Nahkampf angegriffen, während das andere sie im Sturzflug attackiert hatte. Doch mit vereinten Kräften hatten sie beide Wesen niedergestreckt. Ihr Weg hatte sie dann in die große Öffnung unter dem hölzernen Vorbau geführt. Dahinter offenbarte sich ihnen eine Höhle. Die einstige Wohnhöhle des Mönchs war gänzlich verwüstet. Zudem war der grauenvolle Anblick einer umgekehrt aufgehängten Gestalt zu sehen, deren Haut abgezogen war und deren Gliedmaßen abgetrennt wurden. Noch war kein Fäulnisgeruch vernehmbar. Die Blutspuren sahen frisch aus. Eine Untersuchung des Gemachs offenbarte einen weiteren Ausgang, ein umgestürztes Pult und Schriftzeichen: „Auf der Heide Schwerter machen ihren garstigen Tanz und Sensen auf dem üppigen Feld - Feuer webt einen tödlichen Kranz, doch die Feder allein ist, was im Bann mich hält.“ Sie blickten sich immer wieder hastig um, während sie die Schriftzeichen entzifferten.
Titel: Sitzung 29 - Ruine des Herrenhauses
Beitrag von: Jenseher am 25.08.2022 | 21:38
Gundaruk hatte sich am kleinen Feuer niedergekniet, das der junge Priester entzündet hatte. Er hatte eine Zeitlang meditiert. Nun löste sich sein Blick aus der Erstarrung. Er betrachtete den Raum der kleinen Höhle. Sie befanden sich in der Kammer im Stein der Felswand. Das Licht der morgendlichen Sonne drang durch die Öffnung unter dem Vorbau und brach sich im Rauch des Feuers. Der Rauch hatte den penetranten Geruch von Blut verdrängt, der das Gemach zuvor erfüllt hatte. Wie eine Warnung hing dort der Körper der gehäuteten Leiche. Der verstümmelte Mann konnte noch nicht lange tot sein, denn sein Blut tropfte auf den verwüsteten Boden. Doch Gundaruk ließ sich von diesem Anblick nicht ablenken. Er begann einen Singsang alter Worte anzustimmen. Während er die Tropfen von Wasser und den getrockneten Dung den Flammen übergab, leuchteten die Runen des Waffenbandes golden auf. Schließlich stützte er sich auf den Speer und erhob sich. Die Flammen des Feuers kamen ihm plötzlich fern und fremd vor. Der Rauch offenbarte das Gras der Pflanze, die jenseits der Höhle im fortführenden Tunnel wuchs. Neire hatte das Grasgewächs als Dörrkraut identifiziert: Eine Pflanze, die eine niedere Intelligenz besaß und ein instinktives Verhalten aufweisen konnte. Die Grashalme des Dörrkrauts besaßen kleine Nadeln, deren Gift Muskelkrämpfe verursachen konnte. Zudem hatte er von einer Kultivierung des Dörrkrauts in alten Zivilisationen berichtet. Aus den Halmen wurde gar wertvoller Papyrus für Bücher und Schriftrollen hergestellt. Gundaruk wendete sich dem Kraut zu und sprach langsam und bedächtig. „Hört mich an, Dörrkraut. Berichtet mir. Von dem, was sich hier zugetragen hat.“ Für einen kurzen Moment herrschte Stille. Doch dann spürte er die Visionen von Bildern auf ihn einwirken. Wie das Echo eines Chores vieler einzelner Stimmen vermischten sich die Bilder und erzeugten so Unschärfe. Gundaruk erblickte die Höhle in aufgeräumtem Zustand. Dort war ein Mann mittleren Alters zu erkennen, gebeugt über das Pult; Schreibfeder in der Hand. Dann sah er die steinernen Greifen in die Höhle hineinstürmen. Rote Augen leuchteten im Fackellicht und das Gemetzel begann. Die Visionen endeten mit dem Bild der gehäuteten Gestalt, deren Gedärme auf den Boden hinabhingen – der jetzige Zustand. Gundaruk drehte sich um zu Neire. „Die Greifen kamen in die Höhle und haben ihn so zugerichtet.“ Neire nickte und antwortete. „Fragt es nach dem Rätsel, nach Schwertern und Sensen, nach Feuer und der Feder.“ Gundaruk manövrierte seinen Geist ein weiteres Mal in Richtung der Pflanze. „Dörrkraut, was hat die Feder für eine Bedeutung?“ Tatsächlich antwortete die Kreatur mit weiteren Visionen. Er sah die Bilder des Mannes, der die Schreibfeder vor sich hielt und so durch den Tunnel schritt. Das Dörrkraut zog sich zurück, als würde es eine Art Ehrfurcht vor der Feder verspüren. Nachdem Gundaruk Neire und Bargh von der Antwort berichtet hatte, dachten sie über das Rätsel nach. Das Feuer webt einen tödlichen Kranz musste eine Warnung vor dem Entzünden des Dörrkrauts sein. Die Feder schien das Wesen zu bannen und einen Gang durch den Tunnel zu ermöglichen.

„Das Buch ist eine Art Ahnengeschichte. Es berichtet vom Geschlecht der Arthogs, einer Sippe von schwachen Bastarden und Sklaven.“ Neire sprach den Namen mit herablassender Abscheu und hatte den Zusatz selbst hinzugefügt. Sie hatten sich um das Feuer versammelt, nachdem sie mit einer erhobenen Schreibfeder den Tunnel erforscht hatten. Tatsächlich war das Dörrkraut zurückgewichen. Hinter dem Tunnel hatten sie eine kleine Bibliothek entdeckt und eines der Bücher mitgenommen. Jetzt saßen sie um das Feuer und Neire begann die Geschichte des Herrschergeschlechts vorzulesen. Es wurde berichtet von einem Herrschaftssitz. Das Herrenhaus der Arthogs sollte sich am See von Splendow befinden, unweit von Kusnir. Tatsächlich stimmte dieser Hinweis mit der Markierung der Karte zusammen, die sie im Bau gefunden hatten. Das Buch beschrieb auch das Wappen der Familie von Arthog. Es stellte einen Handschuh dar, an dessen Ringfinger sich ein Ring befand. Neire hatte schon einmal von diesem Wappen gehört. Der Handschuh stellte ein magisches Artefakt dar, dass die Familie selbst erschaffen und dann zu ihrem Wappen gemacht hatte. Der Handschuh diente wohl dem Schutze des Fürstentums und war als Wächter benannt. Neire dachte zurück. Er erinnerte sich an die Runen im Blut. Es war von einem Träger die Rede gewesen. Vielleicht hatte dies etwas mit diesem Handschuh zu tun. Das Buch endete schließlich mit der Erwähnung des letzten Herrschers. Er hatte beim Volk kein großes Ansehen genossen und den Familienbesitz in den Küstenlanden verprasst. Mit ihm war das Geschlecht der von Arthogs schließlich untergegangen. Nachdem Neire die letzten Worte gelesen hatte, verließen sie den Ort. Sie brachen in Richtung des Herrenhauses auf, bewegten sich zurück über den Strand und dann schließlich in den Wald hinein. Hier fand Bargh die Spuren der vier Kreaturen, die sie auf dem Weg vom Bau ermordet hatten. Sie entschieden sich den Spuren zu folgen und erreichten schließlich eine Lichtung. Inmitten dieser Lichtung und auf einer Landzunge zum See, sahen sie die Ruinen des Herrenhauses. Es stellte eine Mischung zwischen einer gotischen Kathedrale und einer Wehrburg dar und verfügte über Vorgebäude, die einen kleinen Hof umschlossen. Die Spuren der vier Kreaturen endeten am Ufer und in einiger Entfernung des Herrenhauses. Anscheinend hatten sie sich nicht getraut den inneren Hof aufzusuchen. Vielleicht hatten sie aber auch von hier das Gebäude eine Zeitlang observiert. Langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Eingang. Eine steinerne Treppe führte hinauf in den Hof. Neire, in seinem Tarnumhang fast nicht zu erkennen, schlich vor und warf einen Blick in das Innere. Er sah zur rechten Seite zwei monströse Gestalten, die über dem blutigen Leichnam eines menschlichen Opfers verweilten. Beide gingen aufrecht auf Hinterbeinen, doch sie besaßen ein bläuliches Federkleid. Ihre Köpfe jedoch erinnerten an Hirsche und waren von schwarzen Federn bedeckt. Spitze Reißzähne kamen aus ihren blutverschmierten Mäulern und an ihren Köpfen waren verdrehte Hörner zu erkennen. Sie hatten bereits die gesamte Brust ihres Opfers aufgerissen und pickten gerade das Herz heraus. Aus den Schatten heraus hörte Neire die schweren Schritte von Gundaruk und Bargh nahen. Als die Wesen sich umdrehten hatten sie ihn anscheinend nicht erkannt. Der Kampf brach los und die Wesen gingen in einen Sturmangriff über. Neire nutze seine Chance und bewegte sich in den Rücken einer der Kreaturen. Hinterlistig stieß er den Schlangendegen in die Stelle, wo er glaubte das Wesen sei am verwundbarsten. Die gewundene Klinge blitzte auf in der Sonne und drang tief in den Körper ein. Auch Gundaruk stach in diesem Moment mit dem Speer zu und die erste der Kreaturen ging zu Boden. Die zweite Kreatur rangen sie mit vereinten Kräften nieder. So blickten sie sich hastig um, ob der Kampfeslärm weitere Angreifer geweckt hatte. Neire nutze abermals seinen Tarnmantel und verschwand in den Schatten.

Es war nicht besonders warm, doch die Strahlen der Mittagssonne brannten auf ihren Gesichtern. Sie hatten sich der Türe genähert, die den Eingang in den Herrschaftssitz versperrte. Drei große Riegel waren dort zu sehen. Zwei davon trugen noch ein Schloss. Das Schloss des dritten Riegels war entfernt worden – mit einem unguten Ausgang für die diebische Kreatur, die dort noch immer lag. Allerdings musste dies schon vor einer Weile passiert sein, denn von der Gestalt war nur noch ein Skelett übrig. Sie hatten die Räume der Gebäude durchsucht. In einem Haus hatten sie drei Nestlinge der zuvor bekämpften Kreaturen gefunden, die an drei Leichen fraßen. Sie hatten die Nestlinge getötet und kleinere Wertgegenstände bei den Leichen gefunden. Die anderen Häuser waren leer gewesen oder die Einrichtung war vor langer Zeit zerstört worden. Doch Gundaruks elfisches Blut hatte erneut ein geheimes Fach erspäht, was sich in einem Holzbalken im Gebälk befand. Hier hatten sie eine kleine Truhe entdeckt. Nach kurzer Untersuchung hatte Neire auf die Falle hingewiesen, die die Truhe sicherte. Neire hatte die Falle schließlich entschärft und sie hatten einige wertvolle Edelsteine gefunden. Doch jetzt mussten sie in das Innere der Ruine vordringen. Neire blickte ein letztes Mal in die Sonne und zog seinen Tarnmantel enger. Er brachte seine Dietriche hervor und begab sich in den Schatten der Türe. Seine Hände zitterten als er sich den Schlössern näherte.
Titel: Sitzung 30 - Ruine des Herrenhauses II
Beitrag von: Jenseher am 1.09.2022 | 22:22
Er fühlte wieder. Da waren Sonnenstrahlen auf seinem Schädel. Schweißperlen hatten sich auf dem vernarbten Gewebe gebildet und rannen hinab. Da war ein quälendes Jucken. Taubes Gewebe begann sich erneut mit Leben zu füllen. Es fühlte sich heiß und pulsierend an. Er wollte sich kratzen, wollte seine Haut zerreißen. Doch dafür war keine Zeit. Er beherrschte sich, wie er sich auch in seinem alten Leben beherrscht hatte. Disziplin war über allem gewesen, Disziplin war das eiserne Gesetz – wie das Sonnenlicht auf den Stahl fiel, wie der Tod im Leben die einzige Konstante war. Bargh betrachtete Neire. Sein neuer Begleiter und einziger Freund war an die Türe herangetreten. Der Tarnumhang ließ den jungen Priester mit den Schatten verschmelzen. Es war, als ob das Sonnenlicht ihn meiden würde. Bargh betrachtete Neire genau. Der Jüngling hatte bereits eines der zwei verbliebenen Schlösser geknackt und widmete sich dem letzteren. Doch Bargh hörte den zischelnden Fluch, in der Sprache von Nebelheim. Er sah, dass Neire sich umdrehte und in seine Richtung blickte. Das von gold-blonden Locken umrahmte Gesicht des Kindes der Flamme war verzerrt von Hass und Enttäuschung. Bargh wusste, dass er jetzt reagieren musste. Er trat hervor und rammte den Knauf seines Schwertes auf das schwere Schloss. Es gab ein Knacken als die schwere metallene Konstruktion brach. Die doppelflügelige Türe vor ihnen war jetzt frei. Bargh schob einen Türflügel zurück und erhob sein Schwert. Sie erblickten im näheren Bereich der Türe keine direkte Gefahr. Hinter dem Portal eröffnete sich ein Gang, der nach wenigen Schritten in eine Art Herrschaftssaal mündete. Im Zwielicht sahen sie eine Doppelreihe von Statuen und einen Thron, der von goldenen Adlern umringt war. Doch da war auch Bewegung. Bargh sah zwei Kreaturen, gebeugt über einen Leichnam. Mit ihren Zähnen rissen sie große Stücke Fleisch aus dem leblosen Opfer. Fast instinktiv ließ Bargh sein Langschwert in der Scheide verschwinden und zog die Armbrust hervor. Er legte einen Bolzen ein und begann zu zielen. Nur kurz nach dem schnappenden Geräusch schlug der Bolzen in das faulige Fleisch der dort fressenden Gestalt. Doch kein Schmerzensschrei war zu hören. Langsam richteten die Gestalten sich auf und kamen wankend auf sie zu. Aus den Schatten der Halle kamen zwei weitere, so dass es insgesamt vier Angreifer waren. Noch einen Bolzen schoss Bargh auf die Kreatur, bevor diese den Eingang erreichte. Dann ließ er die Armbrust fallen und zog sein Schwert. Der Gestank von Leichenfäulnis war plötzlich allgegenwärtig. Die Kreaturen mussten einst Menschen gewesen sein. Jetzt war ihre Haut verfault. Hier und dort konnten sie freigelegte Sehnen und Knochen sehen. Doch die Gestalten drangen nicht in den Nahkampf vor. Sie blieben am Eingang des Türflügels stehen und begannen zu würgen. Hervor brachen sie einen Schwall von grünlich ätzenden Leichensäften und versuchten Bargh damit zu treffen. Dort wo die grünliche Flüssigkeit ihn berührte, spürte er ein Brennen und Jucken auf seiner Haut. Ein wilder Kampf brach los, als sich Bargh und Neire den Kreaturen entgegenstellten. So intensiv war der Gemenge, dass sie nicht erkannten welch Ungeheuer dort aus der Ferne herangeschwebt kam. Aus der Ruine näherte sich lautlos ein Laken, das von Staub und Spinnenweben bedeckt war. Unter dem Laken glühte ein Paar von grünen Augen. Als sie das Wesen sahen, war kaum Zeit zu reagieren. Bargh versuchte noch einen Ausfallschritt zu machen, ohne die untoten Geschöpfe vor ihm aus den Augen zu verlieren. Doch das Wesen begann sich über ihn zu stülpen. Seine Arme wurden unweigerlich an den Körper gedrückt. Die Rüstung knackte hier und dort und er schnappte ein letztes Mal nach Luft. Dann war plötzlich alles wie in Trance für ihn. Seine Umgebung nahm er nebelhaft verschleiert wahr. Er hörte die Schreie von Neire und erinnerte sich an seinen Abstieg in die Unterwelt. Er sah das Bild von Feuer und Schatten, vernahm das Strömen und das Zischen. Er blickte hinein in die Glut im Inneren Auge. „Bargh, folgt mir. Wir müssen zurückweichen.“ Nur verschwommen drang die Stimme an ihn heran. Es war Neire, der an ihm zog und zerrte. Seine Vision löste sich langsam und er schnappte nach Luft. Doch wie er sich auch anstrengte, versperrte das Wesen ihm den Atem. Ein weiteres Mal versuchte er sich gegen die Kreatur zu stemmen. Er sah neben sich Neire auftauchen. Der Junge zog an dem Laken. Mit all seiner verbleibenden Kraft stemmte er sich Bargh gegen die Kreatur. Tatsächlich gab es ein Knacken und einen Ruck. Die Kreatur glitt von ihm hinab. Als er tief Luft holte, sah Bargh, dass sie bereits über den ganzen Hof zurückgewichen waren. Die Ghule kamen ihnen langsam nach. Das Wesen schwebte noch immer über ihm. Bargh zog sein Schwert und hieb auf das Wesen ein. Die Wut und der Hass gaben ihm Kraft. Einer seiner Hiebe schlitzte das Laken der Länge nach auf. Er sah, dass die Kreatur leblos zu Boden glitt. Der Hass trieb Bargh weiter an, als er sich den Ghulen stellte. Neire kämpfte an seiner Seite doch drang jetzt in den Rücken der Kreaturen vor. Gemeinsam töteten sie ein Wesen nach dem anderen. Doch seine Gedanken waren noch immer bei Feuer und Schatten. Das Bild der Vision hatte sich wieder in seinen Geist gebrannt. Und da war die Stimme Neires. Schon einmal hatte ihn der junge Priester zurückgeholt. Zurückgeholt hatte er ihn von den Toten.

Neire blickte ein letztes Mal aus der verborgenen Türe, bevor er sie hinter sich zuzog. Sie hatten ihre Spuren verwischt und wollten sich in dem kleinen Gemach ausruhen. Die Türe schloss sich mit einem leisen Klicken. Neire atmete auf und dachte zurück. Sie hatten das obere Geschoss des Herrenhauses durchsucht und dabei einige Bücher und diesen geheimen Raum gefunden. In dem getarnten Gemach hatte sie eine metallene Schlange angegriffen. Nachdem sie das Wesen getötet hatten, waren ihnen die Bücher aufgefallen, die auf Schreibpulten aufbewahrt wurden. Sie hatten ein Buch als ein Zauberbuch und ein anderes Buch als eine Anleitung identifiziert. Die Anleitung schien an Magier gerichtet, einen Gefährten zu finden. Danach waren sie in den Keller des Hauses vorgedrungen. Neire war vorangeschlichen. Weiter unten hatten sie eine geisterhafte Erscheinung von mehreren grünen Glühwürmchen entdeckt, die sie angegriffen hatten. Bargh hatte gegen die Kreaturen gekämpft. Doch jedes Mal, wenn er eines der Wesen getötet hatte, war ein weiteres nachgekommen. Schließlich hatten sie die Flucht nach oben ergriffen. Neire war danach wieder hinabgeschlichen. Hinter den Wesen hatte er ein Kellergewölbe entdeckt, aus dem zwei weitere Gänge hinfort führten. Dort hatte er eine Sphäre totaler Dunkelheit gesehen, die einen Durchmesser von zwei Schritten hatte. Neire begab sich zur Ruhe, doch dachte er an die Dunkelheit dort unten.
Titel: Sitzung 31 - Hinein in ein selbst geschaufeltes Grab
Beitrag von: Jenseher am 8.09.2022 | 21:46
Um sie herum war das steinerne Gewölbe. Neire und Bargh wussten nicht genau, wie lange sie sich bereits hier niedergelassen hatten. Es drang kein Licht in die geheime Kammer, deren Eingang sie behutsam geschlossen hatten. Neire hatte sich immer wieder um die Wunden von Bargh gekümmert. Unter den Verbänden, die jetzt seinen Oberkörper bedeckten, war die Haut des Kriegers von den grünlichen Glühwürmern aufgerissen worden. Doch der Blutstrom war bereits verronnen und eine Kruste hatte sich gebildet. Neire ließ ab von Bargh und wendete sich seinen Fackeln zu. Der große Krieger hinter ihm war in einen leichten Schlaf gefallen und so widmete Neire seine gesamte Aufmerksamkeit dem Ritual. Es hatte etwas Magisches, wenn er die Fackeln aufstelle. Der Geruch von Teer, die Freude auf den kommenden Schein des Feuers, die Erwartung des Tanzes der Schatten. Als die ersten Funken seines Feuersteines den Schaft berührten war die entstehende Flamme zerbrechlich und klein. Doch schon bald loderte das Feuer auf. Neire entzündete die beiden anderen Fackeln und positionierte sich in der Mitte des Dreiecks. Seine Gedanken waren im Inneren Auge von Nebelheim. Er konnte förmlich die Glut spüren, die Hitze, die von unten aufstieg. Doch das Feuer, in das er blickte war weit weg. Die Schatten waren vorgedrungen und tanzten in wabernden Formen. Für einen kurzen Moment dachte er Geräusche zu hören – wie ein fernes polyphones Schreien von vielen Kinderstimmen. Die dunkle Kugel tauchte vor seinem geistigen Auge auf. War es ein Wesen, das er dort unten gesehen hatte? Er betete nun schneller die Verse zu Ehren der alten Göttin. Sollte die Kugel ein Wesen sein, so musste sie sich unterwerfen. Ihr, der Schwertherrscherin, Königin von Feuer und Dunkelheit.

Bargh hob sein Schwert und blickte in den dunklen Tunnel. Sie hatten eine längere Zeit in dem Gemach verbracht. Er hatte die meiste Zeit geschlafen und Neire hatte sich um seine Wunden gekümmert. Als er wach gewesen war, hatte ihm Neire aus dem Buch vorgelesen, das sie in einem verlassenen Gemach des Herrenhauses gefunden hatten. Es stellte eine Abhandlung über den Fischfang dar. Von den verschiedensten Angeltechniken über den Fang mit Netzen bis zur Reusenherstellung, deckte das Buch das Gebiet umfassend ab. Er erinnerte sich auch an die feinen Zeichnungen, die Neire ihm immer wieder gezeigt hatte. Dann waren sie wieder aufgebrochen. Sie hatten den Leichengeruch im Herrschersaal nicht weiter beachtet und waren hinabgestiegen. Bargh war auf sich allein gestellt. Neire hatte die andere Treppe genommen und war in den Schatten verschwunden. Jetzt sah er die grünen Würmer aus Licht auf ihn zurasen. Sie waren hinter einer Öffnung im Tunnel erschienen. Von dort, wo Neire ihm von der Kugel der Dunkelheit berichtet hatte. Bargh stieß seine glänzende Klinge nach vorne. Es war als ob er kurz einen Widerstand spürte. Das erste von zwei Wesen brach in sich zusammen. Doch hinter der anderen Kreatur sah er bereits zwei neue Lichterscheinungen um die Ecke eilen. Kaum spürte er den Schmerz, als die grünlichen Flammen an seinem Fleisch rissen. Immer wieder stieß er zu, ließ den magischen Stahl tanzen. Irgendwann hörte er die Stimme von Neire. „Bargh, die Dunkelheit. Ein Wesen… Die grünen Lichter gehen von ihm aus.“ Er sah wie nach seinem Hieb die letzte Kreatur vor ihm sich aufzulösen begann und bewegte sich in Richtung der Öffnung. Tatsächlich erkannte er dort hinter das Kellergewölbe. In einer Nische konnte er die Kugel aus Dunkelheit sehen, wie von Neire beschrieben. Drei grüne Flammenwürmer zuckten um die Sphäre, als wollten sie diese schützen. Bargh hob sein Schwert und drang in die Kammer hinein. Er hörte die Worte von Neire durch das Gewölbe hallen. „Düsternis, werft euch hernieder vor Jiarlirae, denn sie ist Feuer und Schatten - wie sie über Flammen und Dunkelheit steht. Sie ist mehr als die Menge der Teile.“ Bargh bemerkte, wie die Kugel zu verschwimmen begann; die Lichter fingen an zu zucken. Als ob die Kreatur Angst vor ihm verspüren würde. Wut und Hass brach sich Bahn und seine Klinge schnellte nach vorne.

Hier unten war der modrige Geruch stärker gewesen. Der morbide Charme der unterirdischen Halle hatte sie einen Moment in regungsloser Betrachtung gefesselt. Dann hatten sie sich durch das vorgetastet, was wie ein alter unterirdischer Hafen aussah. Der Ausgang schien durch einen Geröllsturz versperrt und das Wasser stand niedrig am Höhlenkai. Die Wände glitzerten nass in der Dunkelheit. Moose und Pilze bedeckten den alten gehauenen Fels. In der Mitte des steinernen Saales und oberhalb des modrigen Wassers hing ein Boot. Es wurde gehalten von rostigen Ketten, die über einen Riegel zu einer gewaltigen Winde geleitet wurden. Neire legte seinen Rucksack ab und zog ein Seidenseil hervor. Er begann sich an den Ketten hinauf in das Boot zu ziehen. Oben angekommen fädelte er ein Ende durch das Scharnier, warf es hinab und begann das andere Ende um seine Brust zu knoten. Als er den sichernden Zug von Bargh spürte, ließ er sich in das Boot hinab. Die alten morschen Bohlen knarzten, als er sich durch den Rumpf bewegte. Auf den ersten Blick konnte er nichts finden. Bei genauerer Betrachtung bemerkte er die verborgene Schatulle, die unter einer Planke eingelassen war. Sie war lang und schmal. Als er sie öffnete sah er das Blitzen von kostbarem Stahl. Er zog einen Degen hervor, der die Runen und Insignien der Familie von Arthog trug. Eine unversehrte Klinge, so scharf wie ein frisch geschliffenes Jagdmesser. Freudestrahlend griff Neire unter die gewölbte Parierstange und führte Waffe. Kaum merkte er das Gewicht des kostbaren Fundes. Nachdem sich Neire wieder hinabgelassen hatte, verließen sie den unterirdischen Hafen und folgten dem letzten Gang, den sie noch nicht erkundet hatten. Er stellte sich als Rundgang heraus, doch in der Biegung des Tunnels war eine aufgebrochene Stelle zu erkennen. Steine lagen dort und ein Geruch von modriger, abgestandener Luft drang in den Tunnel. Sie untersuchten die Stelle und entschieden sich den Tunnel zu erkunden. Der erste Abschnitt war eng. Dann verbeiterte sich der Tunnel im Felsen. Neire hörte aus der Entfernung ein Klopfen, wie von Meißeln und gedämpfte Stimmen. Sie passierten einen abzweigenden Gang, dann konnte Neire, der leise vorschlich, die beiden Kreaturen sehen, die am Ende der Sackgasse hockten. Sie arbeiteten mit ihren Meißeln an einem Loch, das in die Tiefe führte. Die Kreaturen waren klein wie Kinder, hatten eine bläuliche Haut, verkrüppelte Beine und einen fassähnlichen Oberkörper. Ihre deformierten Köpfe offenbarten abgestumpfte, grausame Gesichtszüge. Neires Herz klopfte rasend, als er sich in den Schatten näherte. Er hielt seinen neuen Degen unter dem Tarnmantel versteckt und versuchte keine Geräusche zu machen. Die Kreaturen schienen sich zu streiten und brüllten sich gegenseitig an. Die fremde Sprache konnte er nicht verstehen. Als er in den Rücken der ihm näherstehenden Kreatur kam, zielte er auf das Herz und ließ die Waffe hervorschnellen. Der Degen drang tief in das Fleisch ein und die Kreatur hustete Blut. Eine Welle von Adrenalin und Mordlust elektrisierte Neire. Für einen kurzen Moment dachte er an Lyriell, an ihre Jagdgeschichten aus den Eishöhlen. Doch zu seinem Erstaunen lebte die verletzte Kreatur vor ihm noch. Beide Gegner griffen ihre Steinpicken und machten sich kampfbereit. Alles kam Neire wie in einem Traum vor. Hinter ihm hörte er die schweren Schritte von Bargh. Der erste Streich des Drachentöters zerteilte die bereits verletzte Gestalt fast. Gemeinsam streckten sie den zweiten Angreifer nieder. Jedoch bemerkte Neire, dass das Wesen noch atmete. Er schritt um das Loch, zog seine Kapuze zurück und stellte abfällig seinen Stiefel auf den wulstigen Kopf. „Seht sie an Bargh. Unwertes Leben. Abschaum im ewigen Antlitz unserer Göttin. Sie haben Feuer und Schatten nicht verdient. Selbst der Abglanz ihrer Herrlichkeit ist für sie eine Vergeudung. Sterben sollen sie.“ Neire strich sich die gold-blonden Locken zurück und fixierte die Halsschlagader der Kreatur. Langsam stieß er den Degen nach vorne. Blut quoll hervor und Bargh begann zu grinsen. Dann ließ er den kleinen Leichnam in die Grube rutschen. Es gab ein dumpfes Geräusch und ein Knacken von Knochen, als der Körper den Boden traf. Hinein in ein Grab, dass sie sich selbst geschaufelt hatten.
Titel: Sitzung 32 - Die verlorenen Kinder von Raxivort
Beitrag von: Jenseher am 15.09.2022 | 21:57
Leise drang ein zischelndes Flüstern durch den grob gehauenen Tunnel. Neire hatte hinter dem Ledervorhang auf Bargh gewartet. Jetzt tauschten sich beide kurz aus, um ihr weiteres Eindringen in die sich verzweigenden Gänge zu planen. „Bargh, ich habe Stimmen gehört. Wie von einer Ansammlung dieser Kreaturen.“ Kurz war das von gold-blonden Locken umrahmte Antlitz von Neire zu sehen, als er zu Bargh flüsterte. Der große Krieger mit dem roten Rubin im rechten Augensockel nickte schweigsam. Sein Blick galt dem weiteren Tunnel. Neire deutete in den Gang, aus dem er keine Geräusche gehört hatte. „Lasst mich vorschleichen und folgt mir. Sobald Kampfesgeräusche aus meiner Richtung zu hören sind, greift an!“ Ohne weitere Worte hüllte sich Neire wieder in seinen Umhang und verschwand in die Dunkelheit. Auf seinem Weg bückte er sich hier und dort, um nach möglichen Fallen zu schauen. Doch die Gänge waren noch nicht sehr alt. Anscheinend hatten die Kreaturen noch keine Zeit gehabt, hier Fallen anzulegen. Nach ein paar Biegungen endete der Tunnel an einem weiteren Vorhang aus Leder. Dort hinter war eine große Felsenkammer zu sehen – mehr als ein Dutzend Schritte im Durchmesser. Die Kammer war gefüllt mit Fässern und Bottichen. Bündel und Säcke waren hier und dort zu sehen. Ein leichter Verwesungsgeruch ging von der Höhle aus, auf deren gegenüberliegender Seite Neire einen zweiten Ledervorhang bemerkte. Leise schlich er durch die Kammer und lugte hinter den Vorgang hervor. Es tat sich ein weiteres, kleineres steinernes Gemach auf. In chaotischer Unordnung war hier wertloser Plunder aufgeschichtet. Auch in dieser kleineren Höhle versperrte ein Ledervorhang den Ausgang. Als Neire keine Bewegung feststellen konnte, schlich er sich auf die andere Seite. Hinter dem Vorhang sah er einen Gang um eine Ecke hinfort führen. Er entschied sich auf Bargh zu warten. Als der Krieger Jiarliraes schließlich den Raum betrat flüsterte Neire ein weiteres Mal. „Bargh, wartet. Ich werde beide Räume nach verborgenen Ausgängen absuchen.“ Die Schatten, die Neire umhüllten und mit ihm spielten, begannen sich erneut zu bewegen. Er suchte hinter dem Krimskrams, der teils hoch aufgestapelt war. Nichts konnte er finden. Nur einen Moment war er unachtsam. Es gab ein Knacken von Porzellan, als die verstaubte Vase am Boden zerbrach. Augenblicklich spürte er sein Herz höherschlagen. Er erstarrte für einen Moment zu Eis und begann zu horchen. Die gedämpften Stimmen hörte er noch immer aus der Ferne. Doch es war, als ob einige der Stimmen lauter wurde. Dann hörte er Schritte, die sich vorsichtig näherten. Aus dem Tunnel, den sie noch nicht erkundet hatten. „Rasch Bargh! Bewegt euch hinter den Vorhang zurück und wartet auf mein Signal. Ich höre Stimmen.“ Neire schlich auf die Öffnung mit dem Ledervorhang zu. Er kauerte sich dort hin und versuchte lautlos zu verweilen. Lauter und lauter wurden die Schritte. Zuletzt hielt er seinen Atem an und sah zwei weitere dieser hässlichen Kreaturen in den Raum vordringen. Die erste der beiden streifte den Vorhang vorsichtig zur Seite. Die zweite folgte. Beide trugen Knüppel. Gelbliche Augen schimmerten in einer Mischung aus Angst und Niedertracht in der Dunkelheit. Neire wartete noch einen Moment. Als die letzte der nun drei Kreaturen an ihm vorbeischritt, zuckte er hervor und rammte ihr den Degen in den Rücken. Für einen Moment war ein Ächzen zu hören - die Kreatur schnappte nach Luft. Dann sank der fassähnliche Oberkörper leblos zu Boden. Nur einen Augenblick später war Bargh zur Stelle. Er schnellte nach vorn und ließ sein Schwert tanzen. Bevor die Kreaturen Alarm schlagen konnten, hatten Bargh und Neire ihr tödliches Werk vollbracht. Sie blickten abfällig und angeekelt auf die kleinen Leiber, die dort lagen.

Im Rausch des Kampfes wirkte alles so unwirklich. Das Zittern seiner Muskeln war jedoch real und der Tremor wurde immer stärker. Wo verdammt nochmal ist nur Neire, was hat er vor? Bargh versuchte auf die Kreatur zuzugehen, die hier hinter einem weiteren Vorhang erschienen war. Die Gestalt war wie die anderen klein, hatte jedoch ihr Gesicht mit einer rötlichen Farbe kriegerisch verziert. Sie war in einen Waffenrock gekleidet und hatte einen Stab getragen, den sie jetzt fallengelassen hatte. Die Worte, die auf Bargh eindrangen, waren machtvoll und überwältigend. Der Zauberwirkende zeigte auf ihn; starrte hasserfüllt in seine Richtung. Muskeln verkrampften und spannten sich an. Die Kraft wich aus seinen Beinen. Seine Rüstung drohte ihn niederzuwerfen. Je mehr er sich versuchte dagegen zu wehren, desto schlimmer wurde es. Er flüsterte mit schwacher Stimme ein Gebet zu Jiarlirae, als seine Bewegung zum Erliegen kam. Er blickte sich um. Neire… Sie waren in den unterirdischen Tempel der Kreaturen vorgedrungen. Dort hatten sie einen Priester, mehrere weibliche Geschöpfe, Kinder und drei Wachen angetroffen. Er war vorangestürmt und hatte sich den Kriegern gestellt, während er Neire aus den Augen verloren hatte. Dann hatte er bemerkt, dass der Priester, der eine Krone aus Schilf und ein Amulett trug, auf dem eine bläulich-brennende Hand abgebildet war, plötzlich Blut hustete. Die Frauen, die den ansonsten nackten Priester bewundert und hier und dort betastet hatten, wichen in panikerfülltem Entsetzen zurück. Zum Vorschein kam der Degen von Neire, der die Brust des höchsten Tempeldieners von hinten durchdrungen hatte. Für einen Moment waren die Schatten um die große Statue aus Schilf länger geworden. Als ob die schwache Gottheit dieses Schicksal nicht akzeptieren würde. Dann war der Leib leblos zu Boden gesunken. Neire war wieder in den Schatten verschwunden. Zuletzt hatte Bargh gesehen, dass eines der flüchtenden Kinder aus der wabernden Dunkelheit von einem Degen aufgeschlitzt wurde. Die Worte vor ihm wurden jetzt lauter. Er drohte auf die Knie zu sinken, konnte die Last nicht mehr halten. Doch dann stockten die rhythmischen Verse. Die Geräusche wurden zu einem Gurgeln und verstummten in dem Maße, wie er an Kraft zurückgewann. Wieder sah er Neire, der die Kreatur von hinten mit seinem Degen niedergestreckt hatte. Für einen kurzen Moment konnte er den von blonden Locken eingerahmten Kopf sehen, der zwischen den Schatten auftauchte. War es für ihn jetzt ein Spiel? Wo war die Angst, die Verzweiflung des Kindes der Flamme hin?

„Bargh, steh auf. Wir müssen weiter. Ich habe das Symbol des Priesters entschlüsselt. Es ist eine alte, aber schwache Gottheit, die sie anbeten. Raxivort. Der Diener eines Dämonenfürsten. Er wachte einst über die Schätze der Hölle. Dann raubte er, was er mitnehmen konnte und floh. Um der Wut des Herrschers der Hölle zu entgehen, schuf er diese Rasse nach seinem Abbild als seine Kinder. Die Xvart. Er tarnte sich fortan als einer der ihren, in einer schier endlosen Menge.“ Neire zischelte die Worte eindringlich. Er blickte auf seinen Begleiter. Bargh kniete zwischen einem knappen Dutzend toter, kleiner Leiber. Es waren die Krieger dieses unterirdischen Volkes, die sich Welle um Welle gegen sie gestellt hatten. „Ich… ich kann nicht. Es sind die verhexenden Worte dieser bemalten Kreatur gewesen, die mir meine Kraft geraubt haben.“ Neire legte jetzt seine verbrannte Hand auf die Schulter des Kriegers. „Wir müssen weiter, ihr solltet mir vertrauen wie einem Freund, gehorchen wie einem Bruder, der für euer besseres Werden strebt. Denkt an die Geheimnisse von Feuer und Schatten.“ Der Ton in Neires Stimme war gefährlich. Immer wieder wich er auf Worte der fremden Sprache von Nebelheim aus. Er sah wie Bargh langsam seinen verbrannten Kopf in seine Richtung drehte. Er spürte die Freundschaft, die unerbittliche Kameradschaft, doch auch irgendeine Art Furcht vor ihm. „Neire, ihr sprecht von einem Bruder. Wo ist die Maske, die mir dieser Bruder versprochen hat?“ Bargh erhob sich bei diesen Worten ächzend. „Die Maske ist nicht vergessen. Wir werden sie gemeinsam erschaffen. Doch es muss von euch kommen Bargh. Was sollen die weiteren Bestandteile sein?“ In diesem Moment sah Neire für einen Moment den Wahnsinn in Barghs gesundem Auge; er gierte nach der Weisheit der Göttin. „Das schwarze Juwel aus der Sphäre der Dunkelheit. Es soll das rechte Auge der Maske werden.“ Für einen kurzen Moment vergaßen sie beide die Umgebung um sich. Neire nickte in einer fast feierlichen Art. Die Idee von Bargh war so einfach, wie sie grandios war. Das schwarze Juwel sollte das Auge der Maske werden. Die lebendige Dunkelheit sollte den fleischverwachsenen Feuerkristall berühren.
Titel: Sitzung 33 - Die verlorenen Kinder von Raxivort II
Beitrag von: Jenseher am 22.09.2022 | 21:34
Bargh blickte durch die mit Unrat beschmutzte Wohnhöhle der Kreaturen. Sie hatten die mit Blut bedeckte Kammer hinter sich gelassen und dem Haufen von Leichen keine weitere Beachtung geschenkt. Neire hatte ihm gesagt, er habe Geräusche gehört. So war er dem Jüngling gefolgt, in der Annahme, dass zu jeder Zeit ein weiterer Angriff über sie kommen könnte. Doch nichts dergleichen war passiert und sie hatten schließlich die Frauen und Kinder gefunden, die sich in eine Ecke des Gewölbes kauerten. Die Frauen schienen wie gelähmt von einer Panik und drückten ihre Kinder an die Steinwand hinter sich. Bargh war sich auch hier nicht sicher, ob mit einem Hinterhalt zu rechnen war. Er blickte sich abermals um. Die Höhle hatte mehrere Ausgänge. Von der Mitte war ein Glühen eines Kohlefeuers zu sehen, über dem ein großer gusseiserner Kessel stand. Seitlich davon konnte er zwei Gruppen von verrotteten Sitzgelegenheiten ausmachen – aber keine Bewegung. Plötzlich bemerkte er eine Regung vor sich. Er griff bereits nach seinem Schwert als er sah, dass die gold-blonden Locken von Neire zum Vorschein kamen. Wie aus dem Nichts war der junge Priester aus den Schatten aufgetaucht. Gelbliche Augenpaare blickten nun nicht mehr in seine Richtung, sondern zu Neire, der seinen Tarnmantel ablegte. Ein Weinen und Zischeln war zu hören, wie auch ein Krächzen goblinoider Wortfetzen, die Bargh nicht verstehen konnte. Die Frauen und Kinder waren jetzt dicht aneinandergedrängt – ein Haufen winselnder, in Lumpen gekleideter Gestalten, deren nackte Haut in blau-rötlichen Tönen in der Dunkelheit schimmerte. Ihre deformierten Schädel, ihre fassähnlichen Oberkörper, waren bereits den Kindern anzusehen, die ihren Müttern in der Hässlichkeit um nichts nachstanden. „Ergebt euch! Kniet euch nieder und euch wird nichts geschehen.“ Die Stimme von Neire frohlockte in einem seltsamen zischelnden Singsang der gemeinen Sprache der Oberwelt. Wimmern und Weinen schienen lauter zu werden, die Panik nahm zu. Doch Bargh spürte nur aufkommenden Zorn und eine tiefe Wut. Was gibt er sich mit diesen Kreaturen ab? Wir sollten sie alle töten und keine Zeit verschwenden. Sie sind es nicht wert. Er sollte an meine Maske denken. Ein Pulsieren kam von seinem rechten Auge; dort wo der Rubin mit dem Fleisch des leeren Sockels verwachsen war. „Bitte… bitte… Gnade, am Leben lassen, Herr… Gnade… leben lassen.“ Bargh konnte in dem Winseln tatsächlich Sprachfetzen hören. Einige der Frauen hatten sich auf die Knie begeben und reckten ihre Hände flehend empor. Jetzt sah er wie sich Neire zu ihm umdrehte und ihn angrinste. „Bargh, nehmt das Seil und fesselt sie. Hände auf den Rücken.“ Seine Wut nahm etwas ab. Er ahnte, dass das Neire irgendetwas mit den Gestalten vorhatte. So schritt er zu dem Knäul und begann die kleinen Leiber zu fesseln. Der Gestank, der von diesen ausging, war kaum auszuhalten. Nur aus den Augenwinkeln sah er, dass Neire sich am Kessel zu schaffen machte und kleine Holzschalen mit dampfendem Brei füllte. Doch da war etwas, das der junge Priester in die Schalen streute. Er konnte es nicht genauer sehen. Als er die Kreaturen an einer Wand aufgestellt hatte, brachte Neire den Brei. „Esst… leben lassen. Gnade. Esst! Raxivort will es so.“ Neires Stimme war freundlich doch bestimmend. Bargh sah, dass er auf die Schalen zeigte. Zögerlich fingen die Frauen an zu essen. Doch ohne ihre Hände war es vielmehr ein tierisches Fressen, wie aus Näpfen. Gierig stürzten sie sich über den Brei. Ihren hungrigen Kindern schenkten sie keine Aufmerksamkeit mehr, drängten sie gar zur Seite. Erst als die letzte Schale ausgeleckt war, hoben sie ihre Köpfe und ließen sich auf einen Kniesitz sinken. In diesem Moment sah Bargh seinen jungen Kameraden zufrieden nicken.

„Nun warten wir Bargh. Wir warten und wir werden sehen, welch Schicksal die Schatten der Göttin weben.“ Neire keuchte. Das Schleppen von verschiedensten Holzstücken war anstrengend. Der Haufen in der Tempelhöhle hatte mittlerweile eine beachtliche Größe erreicht. Sie hatten das Holz aus allen Teilen des Komplexes herangeschafft, nachdem sie den Rest der unterirdischen Tunnel und Hallen durchsucht hatten. Tatsächlich hatten sie keine weitere Kreatur mehr angetroffen. Dann hatten sie die Frauen und Kinder in die große Höhle mit den rötlichen Steinwänden gebracht und mit ihrer Arbeit begonnen. Neire wischte sich den Schweiß von der Stirn und drehte sich zu den Frauen und Kindern um. Die Frauen lagen und saßen vor der Felswand. Teilnahmslos starrten ihre Blicke in die Ferne. Aus ihren breiten, mit scharfen Zähnen besetzten Mäulern drang weißlicher Geifer hervor – zog lange Sabberfäden. Selbst auf die immer wieder klagenden und flehenden Versuche der Kinder, mit ihren Müttern zu kommunizieren, zeigten sie keine Reaktionen. Es war, als ob ihr Geist in eine Traumwelt abtaucht war. Neire konnte nur erraten was sie dort sahen. Der bunte Vierling hatte jedenfalls seine volle Wirkung entfaltet. Neire hatte heimlich einen halben Pilz der grünen Sorte kleingeschnitten und ihn für jede der Frauen in den Brei gemischt. Schon nach kurzer Zeit hatte sich der Drogenrausch angekündigt. Dann waren die Frauen nicht mehr ansprechbar gewesen. Er drehte sich um zu Bargh, dem der Schweiß in Strömen vom vernarbten Haupt rann. „Bargh, lasst uns die drei Leichen hierhinziehen. Dann ist die Statue dran.“ Neire zeigte auf das gesteckte Konstrukt aus Schilf, das rudimentär ein übergroßes Abbild der Kreaturen darstellte. Sie zogen die leblosen Körper des Anführers, des Zauberkundigen und des Priesters heran und setzten sie aufrecht an die drei von der Statue abweisenden Seiten des Holzhaufens. Dann widmeten sie sich der Statue. Es gab ein Knistern und Knacken von Schilf, als die Statue nach vorne fiel. Sie kam auf dem großen Haufen zu liegen. Jetzt mussten sie mit dem Ritual beginnen. Neire trat an Bargh heran und reichte ihm einen Weinschlauch. „Trinkt, Bargh. Wir müssen eins werden mit Flammen und Schatten. Unser Geist soll scharf sein. Hell und aufopferungsvoll erweitert.“ Er sah wie Bargh gierig trank und öffnete das geheime Fach am Ende seines alten Degens. Dort glänzte der Grausud, den er aus Nebelheim mitgebracht hatte. Er reichte Bargh eine kleine Fingerkuppe davon. „Nehmt etwas von dieser alten Substanz. Es wird euch helfen. Und ihr werdet Dinge sehen - der Göttin näherkommen.“ Auch er trank von dem Wein und nahm eine Fingerspitze Grausud zu sich. Augenblicklich war der Kampf und die Umgebung um ihn herum vergessen. Für einen Moment schossen farbige Blitze durch sein Blickfeld und vermischten sich mit einem warmen, durchströmenden Gefühl, das bis in seine Extremitäten drang. Er sah die Farben lange glühende Fäden ziehen, als ob die Welt um ihn herum wunderbar verlangsamt wäre. Fast in Trance entblößte Neire seinen Oberkörper. Er wies Bargh an dasselbe zu tun. Dann stülpten sie sich die Masken über. Seine war die aus Nebelheim. Eine Feuerschlange, mit Gold und Juwelen verziert. Die Maske von Bargh war die Haut des skalpierten Pumas, die sie noch nicht weiter bearbeitet hatten. Als Neire nach der Farbe griff, die sie in den Höhlen gefunden hatten, glaubte er eine Präsenz zu spüren. Es war wie ein Sprechen von Schatten oder vielleicht die ätherische Stimme von Bargh. Er sah die Muster im Stein, die Farben. Doch sie bewegten sich nicht. Etwas fehlte. Sie verwendeten die weiße Farbe, um die Runen von Jiarlirae auf ihre eigenen Oberkörper zu zeichnen. Dabei sangen sie die alten Gebete Nebelheims. Dann führten sie die gefesselten Gestalten vor den Holzhaufen. Die Frauen gingen teilnahmslos mit, doch die Kinder schienen in eine wilde Panik zu verfallen. Bargh hatte zuvor jedes Kind an jeweils eine Frau gefesselt. Insgesamt waren es sieben Frauen mit einem Kind und eine Frau mit zwei Kindern. Vor dem Haufen rissen sie den Gestalten die Lumpen vom Leib. Neire nahm die rote Farbe und begann alte Runen auf die Oberkörper der Kreaturen zu zeichnen. Dabei sang er die Verse des Chorals an die Schwertherrscherin:

„Preiset die schwarze Natter, als ein Abbild unserer Göttin, deren Name Jiarlirae ist. Weinet nicht um die verglimmenden Feuer, weinet nicht um die erlischende Glut, die Glut von Nebelheim. Denn die Dunkelheit birgt ihre Ankunft, Schatten ist das Licht unserer Göttin und Flammen der Morgen ihrer Heiligkeit.“

Als das Werk vollbracht war führte Bargh die einzelnen Paare der Kreaturen auf das Schilf hinauf. Teils sträubten sich die Kinder, doch sie waren tollpatschig und fast beraubt ihrer Kraft. Sie schrien noch immer aus vollen Kehlen. Doch die Schreie hörte Neire kaum. Seine Sinne waren betäubt von tanzenden Farben und einem dunklen, chaotischen Rauschen. Er wähnte sich wieder in Nebelheim, im Inneren Auge. Er spürte die Hitze, die aufsteigende Glut, das brodelnde Chaos. Die sich ewig verändernden Formen und Muster in der Tiefe. Er hörte die Stimmen aus weiter Ferne, das Flüstern in Schatten und flüssigem Stein. Als er die Fackel anzündete begann er singen:

„Die weiß-rot-schwarze Flamme steht über dem schwachen Gott, deren Kinder sich gierig dem Opfer hingeben. Sie huldigen Euch Danuar'Agoth, sie huldigen Euch… Ihr tut was Ihr möchtet, sie reihen sich ein, sie sollen Euch grün-rot-goldenes Opfer sein. Oh Hemia-Galdur, oh Hemia-Galdur… Bewegen sich Schatten in Feuers Bann, auf dass sich die Heldin erheben kann, Oh Asmar’fana, oh Asmar‘fana. Der Henker der Ödnis, so kommet hervor, sein Frohlocken sich nicht mehr im Winde verlor, im heulenden Winde, oh Vocorax'ut'Lavia.“

Nach jedem Vers zündete Neire eine der Ecken des Scheiterhaufens an. Schon rasch züngelten die Flammen empor und ein wohliger Schein begann mit den Schatten zu spielen. Doch da waren wieder die Schreie. Auch einige der Frauen setzten in den Chorus der Todesangst ein, als die ersten Flammen an ihnen leckten. Neire wurde wie aus einem Traum gerissen. Er spürte Wut. Können sie nicht ihr Schicksal genießen? Sie werden eins mit Feuer und Schatten. Was kann es denn Schöneres für sie geben? Für einen Moment vergaß Neire sein Ritual und äffte die Stimmen in kindlicher Manier nach. Dann bemerkte er, dass Bargh wie gebannt in die Flammen schaute. Licht und Schatten neckten sich teuflisch auf seiner weiß getünchten Tiermaske. Das Bild eines Ritters einer alten Hochkultur, der nun Teil eines archaischen Opferkultes geworden war. Jetzt fing Neire an zu tanzen. Er spürte die Flammen und die Dunkelheit. Das was zuvor gefehlt hatte, waren die Flammen gewesen. Sie waren jetzt bei ihm. Er spürte die Geheimnisse, die auf ihn warteten. Und er spürte Sie, seine Schwertherrscherin, Jiarlirae. Sie war hier.

Das Pochen war dumpf. Neire schlug dreimal mit dem Knauf seines Degens an die Türe. Der Regen prasselte auf ihn hinab. Um ihn herum und durch die Schlieren des Schauers konnte er die hölzernen Häuser von Kusnir sehen. Hinter ihm wartete Bargh im Sattel seines Pferdes. Neire wollte sich bereits umdrehen, da hörte er die dumpfen Schritte jenseits der Türe. Es gab das Knirschen eines Schlüssels und die Pforte wurde aufgezogen. Im Licht einer getragenen Lampe sah Neire den Dorfvorsteher, der so griesgrämig wie eh und je dreinschaute. „Kurst. Wir sind zurückgekehrt. Und wir haben euren Skulk erschlagen. Jetzt wollen wir unsere versprochene Beute.“ Kurst hatte ihn anscheinend wiedererkannt und in Erinnerung an die vergangene Nacht sein Gesicht verzogen. Doch nun hellte sich seine Miene auf. „Ihr habt das Wesen getötet? Das Wesen, das unser Dorf heimgesucht hat? Sagt wie sah es aus? Was habt ihr gesehen?“ Neire erinnerte sich zurück. Er war um den Scheiterhaufen getanzt, bis dieser heruntergebrannt war. Dann hatten sie ihre Sachen zusammengesucht und waren aufgebrochen. Sie hatten einen versteckten Ausgang gefunden, doch Neire hatte ein Wimmern gehört. In einer weiteren, bis dahin unentdeckten Höhle, hatten sie ein Wesen gesehen. Die Kreatur war sichtlich im Zustand der geistigen Verrücktheit gefangen und schien harmlos. Ihr haarloser Körper war ausgemergelt, doch drahtig gewesen. Ihre Haut hatte hier und dort die Töne von Stein angenommen, ähnlich dem Tarnumhang, den Neire trug. An ihrer Hand hatte die Gestalt einen weißen Handschuh getragen, über dessen Ringfinger ein goldener Ring steckte. Neire hatte die Kreatur aus den Schatten heraus getötet. Er hatte für einen kurzen Moment das Gefühl gehabt, dass etwas in seinen Kopf eindringen würde. Er hatte den Handschuh auf alte Flüche hin untersucht und festgestellt, dass diesem eine Art Intelligenz innewohnte. Eine Intelligenz die ihnen nicht wohlgesonnen war. So hatte er den Arm der Gestalt mit einigen Hieben vom Körper getrennt und ihn Bargh gegeben, der ihn in seinem Rucksack verstaut hatte. Als Neire Kurst vom Aussehen der Kreatur erzählte, änderte sich die misstrauische Miene des Alten nicht. „Vertraut ihr mir nicht, Kurst? Wir haben sogar seine Hand abgeschlagen. Die Hand des Skulks mitsamt…“ In dem Moment hörte er das Räuspern von Bargh. „Wir haben sie hier Kurst. Ich kann sie euch zeigen.“ Bargh sprach mit lauter Stimme durch den Regen und lenkte sein Pferd einige Schritte näher. Doch Neire sah bereits wie Kurst ängstlich lächelte und einen Schritt hinter die Schwelle zurückwich. „Nein… ähm… ich glaube euch. Die Hand abgehackt… wie fürchterlich. Wartet hier. Ich hole euch eure versprochenen Schätze.“ Es dauerte einige Zeit bis Kurst mit einer kleinen Schatulle von Juwelen zurückkam. Als er sie Neire übergab, begann er erneut zu sprechen. „Ihr müsst wissen, dass wir fähige Krieger wie euch hier gebrauchen können. Ihr seid in Kusnir immer willkommen. Gerade jetzt in diesen Zeiten. Seit einigen Tagen gab es keine Händler mehr, die den Pass überquerten. Und gerade das war doch eine sichere Route. Die Adlerburg schützt dort den Weg.“ Neire hörte interessiert zu, bei den Nachrichten des Alten. Doch innerlich blickte er auf Kurst hinab. „Kurst, eures Glückes Schmied müsset ihr selber sein. Die Schwachen verblassen in den Geschichten. Auf andere solltet ihr euch nicht verlassen.“ Er sah, dass Kurst für einen Moment nachdachte, bevor er antwortete. „So wie wir uns auf euch verlassen haben, Neire? Ihr habt uns vor dem Skulk gerettet.“ Neire knirschte mit den Zähnen. In diesem Moment hätte er Kurst am liebsten hier und jetzt ermordet. Doch wer war er schon? Ein Kind der Flamme. Fremd in der Oberwelt und fremd in ihren menschlichen Bräuchen. Er drehte sich wortlos um. Dieses Mal hatte der alte Mann gewonnen. Doch er würde wiederkommen. Er würde wiederkommen und die Welt würde brennen.
Titel: Sitzung 34 - Aufbruch zur Adlerburg
Beitrag von: Jenseher am 29.09.2022 | 21:59
„Mensch, bringt mir Fleisch vom Spieß und Bier!“ Bargh hörte die zischelnde Stimme der Intonation eines fremden Dialektes. Die Worte von Neire trugen eine tiefe Forderung, die ihr Ziel in Form eines aggressiven Gebärdenspiels heimsuchte. Für Bargh wirkte die Szenerie belustigend. Er spürte noch immer ein bedrückendes Gefühl durch den Exzess des letzten Abends. Sie waren nach ihrer Rückkehr in das Gasthaus von Kursnir eingekehrt. Sie hatten größtenteils schweigend Bier um Bier getrunken. Mehr von dem faden Getränk, als es dem Anlass entsprochen hatte. Doch auch jetzt spürte Bargh die Auswirkungen des Grausuds – der seltsamen Substanz von der ihm Neire am gestrigen Tag eine Kostprobe geben hatte. Mit jedem Schluck Wein den er trank wurde die Wirkung wieder stärker. Als ob die Substanz eine Art Gedächtnis hätte, das nur aktiviert werden musste. Die Farben waren nun schon blendend und betäubend. Die Bewegungen zogen strahlende Fäden. Bargh nahm den Schankraum vernebelt war. Morgendliches Licht drang durch die Fensterläden und brachte Profanes zum Glitzern. Selbst Staubkörner blitzen wie kleine Sterne. Er schmunzelte. Da war die fettleibige Gestalt von Walfor, mit der Neire sprach. Die Szene hatte für ihn eine ihn eine Art Distanz, die der Rauschzustand erschuf – ähnlich einer Theatervorführung. „Junger Herr, wir haben kein Fleisch, keinen Spieß. Alles leer, alles aufgegessen. Nur Brot und Schmalz, junger Herr.“ Bargh beobachtete, wie sich Walfor vor Neire verbeugte, als ob er das fehlende Fleisch des Spießes entschuldigen wollte. In dem von Öllampen erhellten Raum, der von vier Holzpfeilern getragen wurde, war die fettleibige, glatzköpfige Gestalt mit der ledernen Schürze eine beindruckende Erscheinung. Der Wirt des Gasthauses strahlte eine Art natürliche Unsicherheit aus, die nur durch seine Gewohnheit und durch die Wiederholung seiner Aufgaben überspielt wurde. Bargh sah, wie sein jugendlicher Begleiter sein Haupt schüttelte. Neire hatte sich am Morgen gewaschen und seine gold-blonden Locken schimmerten noch nass im Zwielicht. „Nein Mensch, ich will Fleisch. Schlachtet mir ein Tier und bringt mir den Spieß. Verliert keine Zeit.“ Bargh sah, dass Walfor anfing zu zittern, als Neire gesprochen hatte. Das Doppelkinn des überwichtigen Wirtes bildete lange, schwabbelnde Falten, als er sich in Gedanken zurückzog. „Nur Brot und Schmalz, junger Herr. Nur Brot und Schmalz. Wir haben nichts anderes. Esst, es ist gut, esst.“ Bargh sah, dass Neire nickte. Sein jüngerer Begleiter gab dem Wirt weitere Anweisungen, die dieser stupide wiederholte. Zudem war da der Hass in den Augen des jugendlichen Priesters, als Walfor den Wunsch seines Begleiters verneinte. Nachdem er mit Neire wieder allein am Tisch war, erhob er das Wort. „Neire, glaubt ihr, dass Walfor uns die Speisen vorenthält?“ Bargh gluckste. Er sah, wie Neire sich bei seiner Frage umdrehte und Walfor beobachtete. Er winkte ihn tatsächlich heran. Sie aßen mittlerweile vom Schmalz und tranken das fade Bier. „Walfor, das ist gut. Habt ihr das selber gemacht? Was ist Schmalz?“ Bargh bemerkte, wie das Gesicht von Walfor bei der Frage zu zucken anfing. Seine Gesichtsmuskeln drückten anscheinend seine fehlende geistige Kapazität aus. Wellen dieser Zuckungen breiteten sich über sein gewaltiges Doppelkinn aus. „Was meint ihr Junger Herr? Das ist Schmalz. Gemacht von Walfor. Walfor machen Schmalz. Wie immer.“ Bargh lachte laut auf. Er mochte den Wirt. Er hatte eine lange Zeit nicht einen solch nützlichen Idioten gesehen. Damals in Fürstenbad ja, aber das war eine andere Geschichte. Wieder erhob Neire das Wort. „Ja, Walfor, ich habe verstanden. Ihr spielt ein Spiel mit uns. Wir wollen aber ein Spiel mit euch spielen. Ihr sollet tanzen für uns. Ihr sollet euch im Kreise drehen und uns von eurem Schmalz erzählen.“ Bargh spürte den Hass, den Neire mit seinen Worten flüsterte. Doch Walfor, gesegnet mit einer überraschenden Einfältigkeit, blickte Neire mit großen Augen an. „Ist das ein Spiel junger Herr? Tanzen kann ich, ja sehr gut. Walfor kann tanzen. Ja…“ Bargh sah, das Walfor seinen massiven Körper an ihren Tisch drückte. „Ja, ein Spiel. Mensch. Ein Spiel in dem ihr reich werden könnt.“ Bargh lehnte sich zurück. Er beobachtete die Szene und bemerkte, dass Neire einige Silbermünzen hervorzog. Neire ließ diese auf den Tisch fallen. Für einen kurzen Moment füllte ein klingendes Geräusch die karge Halle. „Wie viele Münzen sind diese, Walfor. Nennt mir die Zahl, doch wagt nicht zu zählen.“ Bargh blickte auf die schimmernden Geldstücke, die auf den Tisch fielen. Sie hatte eine seltsame Prägung. Runen und ein Schlangenmuster. Bargh begann automatisch die Münzen zu zählen. Es herrschte für einen kurzen Moment eine Stille, bevor Neire erneut sprach. „Mensch, ihr schummelt. Ihr sollt nicht zählen. Ihr sollt mir nur eine Zahl nennen.“ Tatsächlich hatte Bargh bereits die Zahl der Münzen auf Acht bestimmt. Walfor hatte derweil seinen gewaltigen Bauch an den Tisch gedrückt und versuchte anscheinend die Münzen zu zählen. „Nennt uns eine Zahl. Und schummelt nicht. Ihr sollt nicht zählen.“ Der dicke Mann sah seine Chance, doch er zählte noch weiter. Mit seinem Mund machte er lautlose Bewegungen. Erst dann nannte er eine Zahl. „Drei Münzen. Drei sind es“. Bargh sah Neire lachen und stimmte ein. Mittlerweile hatte er sein Bier getrunken und genoss die Vorstellung in seinem Zustand der Trunkenheit. „Das ist falsch und ich habe gesehen, dass ihr geschummelt habt.“ Für einen Moment war das Lachen hinfort. Bargh blickte wieder zu Neire, der Walfor musterte. „Wir spielen ein anderes Spiel. Dreht euch für jede Münze einmal im Kreis. Acht Mal!“ Diesmal reagierte Walfor mit einem zurückgebliebenen Grinsen. „Ich mag eure Spiele junger Herr und ich kann sehr gut tanzen. Sehr gut tanzen kann ich.“ Walfor begann sich tatsächlich im Kreis zu drehen. Seine Bewegungen waren flapsig und träge. Sein Fett schwabbelte asynchron im Schritt seiner Bewegungen. Bargh war von dem Schauspiel wenig angetan und fragte sich, wie lange der fettleibige Schwachsinnige ihnen noch etwas vorgaukeln solle. Als Walfor eine weitere Drehung machte, war es ihm zu viel. Er gab Walfor einen kräftigen Tritt in den Hintern. Der ungeschickte, übergewichtige Wirt stolperte und fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. In diesem Moment sah Bargh Neire hervorspringen, der seinen Degen zog und sich über Walfor beugte. „Ihr habt doch geschummelt, Mensch. Ihr seid Abschaum. Ein Spielverderber. Ich könnte es jetzt beenden, euer armseliges Leben.“ Bargh spürte die Gewalt die Neire ausübte. Er hätte den Wirt gerne selber getötet, doch er sah, dass Walfor anfing zu weinen. Die fettleibige Gestalt rollte sich auf dem Boden zusammen, unfähig andere Dinge wahrzunehmen. Als Bargh sich langsam erhob und das Gasthaus verlassen wollte sah er, dass Neire die Münzen vom Tisch hob. Er ließ sie langsam auf Walfors zitternden Körper hinabfallen.

„Schaut dort. Verbrannte Gebäude. Ist das Gannwegen?“ Neire zeigte auf Ruinen in der Ferne. Von einigen Häusern stieg noch dunkler Rauch auf. Ihre beiden Begleiter konnten die Gebäude anscheinend noch nicht sehen. Sie waren ohne Pferde und nur die erhöhte Sitzposition machte Neire den Blick möglich. Die beiden Söldner hatten sie ein Stück hinter Kusnir getroffen. Beide hatten gerade mit Kurst gesprochen. Die beiden hatten vom Dorfvorsteher ein Säckchen mit Münzen erhalten und waren mit den Worten verabschiedet worden, in Gannwegen und der Passstraße Adlerweg nach dem Rechten zu schauen. Da Barghs und Neires Weg auch in diese Richtung führte hatten sie sich den Söldnern angeschlossen. Auf Neires Frage hin, wem sie dienen würden, hatte der ältere der beiden mit, wir dienen dem Herrn der Münze geantwortet. Neire hatte sie seitdem Sklaven der Münze genannt. Jetzt schienen beide beunruhigt und zogen ihre Kurzschwerter. Der Ältere von beiden hatte kurzes braunes Haar und nannte sich Rognar. Er trug wie sein jüngerer Begleiter Wulfgar ein Lederrüstung. Wulfgar machte den aufgeweckteren Eindruck. Der Söldner hatte lange blonde Haare, die bis zu den Schultern hinabfielen. Er drehte sich zu Neire um. „Das kann nur Gannwegen sein. Ein kleines Dorf von Holzfällern.“ Neire blickte nochmals in die Richtung. Der bewölkte Himmel hatte sich über den Vormittag etwas gelichtet. Jetzt sah er das Tal vor sich aufragen, das sich in eine Landschaft von schroffen Bergen hin verjüngte. „Dann lasst uns nach Gannwegen reiten und dort nach dem Rechten schauen.“ Sprach Bargh und setzte sein Pferd in Bewegung. Neire folgte ihm. Auch die beiden Söldner bewegten sich vorwärts. Eine unruhige Anspannung lag auf ihren Gesichtern. Als sie nach einiger Zeit an den ersten Gebäuden vorbeikamen, sahen sie die verkohlten Leichen. Einigen waren Gliedmaßen abgehackt worden. Andere trugen Spuren eines Kampfes. Es war keine Bewegung zwischen den Häusern zu sehen, die noch nicht lange abgebrannt waren. In der Mitte des Dorfes fanden sie einen Leichnam der anders beschaffen war. Die Kreatur war nicht menschlich, doch von humanoider Gestalt. Sie hatte ein Fell und den Kopf eines Hyänenwesens. Bargh erinnerte sich an den Kampf in der verlassenen Feste, der Gundaruk fast das Leben gekostet hätte. Die Kreaturen, denen sie dort begegnet waren sahen dieser hier sehr ähnlich. Während Neire noch nachdachte, lenkte Bargh sein Pferd an das seinige heran. „Neire, ich habe am Rande des Dorfes Spuren entdeckt. Spuren von diesen Kreaturen. Sie führen in diese Richtung.“ Bargh zeigte auf die Berge in der Ferne. „Das kann nicht sein. Dort befindet sich die Adlerburg, die das Tal und den Pass bewacht. Eine ganze Schar berüsteter Wachen befindet sich in der Burg.“ Neire blickte sich um. Die zweifelnde Stimme kam von Wulfgar, der ihrem Gespräch anscheinend gelauscht hatte. „Zweifelt ihr meine Worte an?“ Bargh hob seine Armbrust ein Stück höher, als er zu Wulfgar sprach. „Äh… nein, Herr Drachentöter. Ich meine nur… die Adlerburg und diese Kreaturen. Das passt nicht zusammen. Wir müssen Kurst Bericht erstatten.“ Neire gefiel das nicht. Sie wollten sich anscheinend davonstehlen und Hilfe holen. Er flüsterte Bargh zu. „Sie sollen mit uns kommen oder sie sollen sterben.“ Bargh nickte und baute sich auf seinem Pferd auf. Seine Stimme war jetzt laut und bestimmend. „Nein, ihr werdet mit uns kommen. Wir werden der Sache nachgehen. Ihr untersteht jetzt meinem Kommando. Schließt euch uns an. Befehlsverweigerung wird mit dem Tode bestraft.“ Für einen kurzen Moment herrschte eine beklemmende Stille. Alle hatten ihre Waffen gezogen. Dann nickte Rognar. „Gut dann werden wir mit euch kommen. Wir werden uns eurem Befehl nicht verweigern, Herr Drachentöter.“ Neire konnte das Missfallen in den Augen der Söldner sehen, als Rognar sprach. Bargh nickte und zeigte in Richtung der dunklen Berge. „Wir brechen sofort auf. Unser Weg führt uns zur Adlerburg.“ So ließen sie die verbrannten Ruinen von Gannwegen zurück und folgten weiter dem Adlerweg, in Richtung der Höhen.
Titel: Sitzung 35 - Ein Fest ohne böses Erwachen
Beitrag von: Jenseher am 6.10.2022 | 13:59
„Dort seht. Die Burg… Das muss die Adlerburg sein.“ Neire ließ für einen Moment die Zügel fallen und zeigte mit seinem rechten Arm auf das imposante Bauwerk, welches das kurvige Tal überragte. Die Wolken waren schon seit den Vormittagsstunden aufgebrochen und jetzt schimmerte die Mittagssonne über einem klaren blauen Himmel. Die faszinierende Bergwelt offenbarte die alte Trutzburg, die sich an den Stein der Felswand klammerte, gar mit ihm verwachsen zu sein schien. Über einem gewaltigen Fundament waren mehrere Ebenen zu sehen. Eine Wehrmauer und Türme. Neire ließ seinen Blick für einen Moment auf dem Bauwerk ruhen, dann musterte er die Söldner Rognar und Wulfgar, die vor ihnen gingen. Die beiden schienen den Fußmarsch am gestrigen Tage gut verkraftet zu haben. Die Unterkühlung, die ihnen in den Morgenstunden anzusehen war, hatten sie durch ihre Bergwanderung hierher überwunden. Nachdem sie Gannwegen am letzten Tag verlassen hatten, waren sie dem Adlerweg gefolgt, der sie entlang des Tales immer höher in die Berge geführt hatte. Schließlich war der Abend hereingebrochen und sie hatten an einer Felswand ihr Lager aufgeschlagen. Am Abend hatte Bargh dann einen Weinschlauch herumgehen lassen. Sie hatten zuerst schweigend getrunken. Doch dann hatten Wulfgar und Rognar einige alte Geschichten erzählt. Besonders Rognar war dem Wein zugeneigt gewesen und war am nächsten Morgen nur schwer wach geworden. Neire hatte in den frühen Stunden mit Bargh zu seiner Göttin gebetet, die er nach außen hin als Heria Maki anpries. Natürlich hatten sie die Verse an die Schwertherrscherin gerichtet. Doch Wulfgar und Rognar schienen sich nicht mit den alten Göttern auszukennen, noch hatten sie daran gedacht mit ihnen zu beten. Nach einigen weiteren Stunden des Fußmarsches hatte sich ihnen dann der Blick auf die Adlerburg eröffnet. „Ja, das ist die Adlerburg. Was sagt ihr dazu, Herr Drachentöter? Ein Bollwerk gegen die Küstenlande.“ Rognar streckte beim Sprechen seine Brust hervor. Sein Stolz um das alte Herzogtum Berghof war so offensichtlich, wie die Falten seines Gesichtes sein fortschreitendes Alter verrieten. Neire blickte zu Bargh, doch der grummelte nur etwas vor sich hin. „Wir sollten vorsichtig sein. Vielleicht befinden sich die Kreaturen, die Gannwegen verwüstet haben in der Burg.“ Sprach Neire und blickte von seinem Pferd zu Rognar hinab. Dieser fing augenblicklich an zu lachen. „Mein Junger Herr… ihr müsst wissen… Die Adlerburg, sie ist uneinnehmbar!“ Wieder war da der Stolz in seinem Gesicht und eine tiefe Zuversicht. Neire nickte und sprach. „Dennoch sollten wir vorsichtig sein. Lasst mich die Burg auskundschaften und wartet hier, was sagt ihr Bargh?“ Als Bargh nickte, sattelte Neire ab und begann den ausgetretenen und abgewetzten Adlerweg entlangzuhuschen. Hinter einer Felsnadel warf er sich den Tarnumhang über und verschmolz mit den Schatten. Obwohl die Sonne hoch stand, waren die Felsen steil. So konnte er immer wieder den notwendigen Schatten finden, in dem er sich sicherer fortbewegte. An einer Gabelung des Weges nahm er die linke Abzweigung, die über Stufen im Felsen zur Burg hinaufführte. Der Weg wandelte sich schnell in einen Stieg und dann in einen Hohlweg, der durch hohe Felsen führte. Schließlich endete der Weg an einem großen Portal aus eisenverstärktem Holz – einem verschlossenen Fallgatter. Vorsichtig schlich Neire näher und konnte in der Wand Schießscharten erkennen. Schon bald vernahm er den hundeartigen Geruch von fauligem, nassen Fell. Hinter den Schießscharten war ein düsterer Burgraum zu sehen, in dem mehrere der Hyänenkreaturen saßen und Wache hielten. Neire ahnte, dass sie hier nicht weiter vordringen konnten. So schlich er den Weg zurück und nahm diesmal die rechte Gabelung. Dieser Weg stellte sich als Fortführung des Adlerwegs heraus, der um den unteren Teil der Burg herumführte. Als er die Steinwände des Fundamentes erreichte, die neben ihm meterhoch aufragen, wurde er wieder vorsichtig. Nicht viel weiter, kam er an eine gewaltige Türe aus massivem Stein. Meterhoch ragten die beiden Türhälften auf. Über der Türe war das Wappen der Arthogs zu sehen: Der Handschuh samt Ring über dem Ringfinger. Neire verweilte nicht lange und schlich weiter. Hinter einer Ecke sah er eine Öffnung. Hier musste sich eine ähnliche Steintüre wie die zuvor gesehene befunden haben, doch die Flügel waren jetzt geöffnet. Langsam näherte er sich. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass die Türe eingebrochen war. Spuren von Gewalt waren zu erkennen. Dahinter sah er im Zwielicht eine unterirdische Halle, in deren Ecken Rüstungen schimmerten. Für einen kurzen Moment dachte er an eine Sinnestäuschung, doch er erkannte tatsächlich von den Rüstungen gehaltene Waffen, die wie von Geisterhand in der Luft schweben. Für einen kurzen Moment wurden die Windgeräusche um ihn herum geringer. Er lauschte und konnte aus weiter Ferne Rufe und Schreie durch das Gebäude hallen hören. Wie von einem großen Gelage. Neire hüllte sich tiefer in seinen Tarnmantel. Er hatte genug gesehen und gehört. Er drehte sich um und begab sich auf den Rückweg zu seinen Kameraden.

Wieso hatten sie sich nur auf diesen Auftrag eingelassen. Ja, Kurst hatte sie reichlich in Münzen bezahlt, doch darauf hätte er jetzt gut verzichten können. Er wollte kein Held sein, dafür war er bereits viel zu alt. Sollten doch andere die Drecksarbeit machen. In Gannwegen war es eine Situation auf Leben oder Tod gewesen. Der Drachentöter, wie er von dem seltsamen Jungen genannt wurde, hatte ihnen mit dem Tode gedroht, sollten sie sich ihm nicht anschließen. Und so hatten er und Wulfgar zähneknirschend eingewilligt. Obwohl sie der Jüngling fortlaufend als Sklaven der Münze beleidigte hatte. Nun hatte sich jedoch alles geändert. Nachdem sie eine Zeit auf Neire gewartet hatten, hatte sie der junge Priester zur Burg geführt. Sie waren alle so gut es ging geschlichen und hatten sich hier und dort im Schutze der Felsen getarnt. Als er den zerstörten Eingang gesehen hatte, war eine uralte Sicherheit gebrochen, ein tiefer Stolz gewichen. Die Adlerburg kannte er noch aus Kindermärchen. Ihre Uneinnehmbarkeit war für ihn ein Zeichen der Überlegenheit des Herzogtums von Berghof gewesen. Rognar spürte, dass er am ganzen Körper zitterte. Doch an eine Flucht war nicht zu denken. Er blickte zurück in den Saal mit den animierten Rüstungen. Sie hatten sich bis jetzt nicht bewegt. Vor ihm hörte die verhasste, zischelnde Stimme aus der Dunkelheit. Diesen fremden Akzent hatte er noch nie gehört. „Folgt mir durch den Gang. Entzündet eine Fackel. Ich habe eine geheime Treppe nach oben entdeckt.“

Neire ließ seine Mitstreiter in der Dunkelheit der Wendeltreppe zurück. Er hatte ihnen zugeflüstert ihre Fackel auszulöschen, da er Geräusche gehört hatte. Er näherte sich vorsichtig dem kehligen Schnarchen, das er von oben vernahm. Auch die Schreie und Rufe des Gelages wurden jetzt lauter. Irgendwann erreichte er eine Türe. Die Wendeltreppe ging weiter nach oben. Hinter der Türe hörte er die Geräusche. Leise öffnete er das kleinere hölzerne Portal. Dahinter war ein unregelmäßig geformter Burgraum zu erkennen. Licht drang durch Schießscharten und erhellte das Gewölbe kaum. Der Gestank, der ihm entgegenkam, war kaum auszuhalten. Neben Schweiß und verrottetem Fell, roch er Alkohol. Zudem konnte er erkennen woher das Schnarchen kam. Auf hölzernen Pritschen lag ein halbes Dutzend der Hyänenkreaturen. Fellige Humanoide mit einem furchterregenden tierischen Kopf. Sie alle schienen hier ihren Rausch auszuschlafen. Hinter einer weiteren Türe hörte er das Gelage. Neires Herz begann augenblicklich zu pochen, als er mit gezogenem Degen Schritt für Schritt durch den Raum machte. Zuerst verriegelte er leise die zweite Türe. Dann postierte er sich vor dem ersten der Wesen. Einen kurzen Moment dachte er an Lyriell und ihre Geschichten aus den Eishöhlen. Dann verwarf er die Gedanken. Er beruhigte seine zitternde Hand. Er musste handeln, jetzt war die Gelegenheit. Für euch sollte es ein Fest gewesen sein, ein Fest ohne böses Erwachen. Er visierte das Herz des ersten Wesens an. In dem Moment als er zustach legte er die Hand auf das Maul der Kreatur. Wie in einem Traum, wie in einer Zeitlupe nahm er seine Umgebung wahr. Tief hatte sich der Degen hineingebohrt. Warmes Blut sprudelte in Strömen hervor. Er musste das Herz getroffen haben. Die Gestalt zuckte noch und versuchte nach Luft zu schnappen. Doch schon wurden ihre Bewegungen geringer. Neire dachte an seine Göttin. Die Angst und das Adrenalin hatten sich zu einem Kampfesrausch gewandelt. Seine Bewegungen wurden mechanisch. Er schlich sich zum nächsten Wesen. Erneut setzte er den Degen an. Rigoros und unmissverständlich war der Imperativ des Mordens. Blut sprudelte auf, als er den Hals des Wesens durchschnitt. Wieder und wieder setzte er zum tödlichen Stich an. Bis die letzte der Kreaturen ihr Leben aushauchte. Er jetzt bemerkte er das Blut durch das er watete. Es bedeckte bereits einen großen Teil des Bodens. Neire betrachtete sein Werk und das Zwielicht durch das er wandelte. Seine Göttin musste ihn jetzt sehen, denn er war eins mit den Schatten.
Titel: Sitzung 36 - Der Kampf um die Adlerburg
Beitrag von: Jenseher am 16.10.2022 | 21:42
Er stand im zwielichtigen Raum und lächelte sie an. Bargh spürte, dass ihre Mitstreiter Rognar und Wulfgar mit ihren Ängsten und Ekeln zu kämpfen hatten. Er befürchtete, dass sie von dem sich offenbarenden Bild überwältigt wurden. Vor ihnen stand der lächelnde Neire in einer Lache von Blut, die den gesamten Boden des irregulär geformten Burggemachs bedeckte. Er hatte anscheinend die betrunkenen Hyänenkreaturen im Schlaf ermordet. Als Rognar und Wulfgar die Stirn runzelten, zuckte Neire mit den Schultern und schüttelte sein blutbespritztes, gold-blondes Haar. Es hatte den Anschein, als ob er niemals einer anderen Kreatur ein Haar krümmen konnte. Doch Bargh wusste um Neires Fähigkeiten der Schatten und er war stolz auf das, was sie erreicht hatten. Bargh sah, dass Neire den Finger auf den Mund legte und flüsterte. „Folgt mir und haltet eure Schwerter bereit. Hinter der Türe halten sie sich auf.“ Erst jetzt bemerkt Bargh den Geruch von Schweiß und nassem, verrottetem Fell, der in diesem Gemach lag. Dieser Geruch wurde nur von dem schweren Hauch von Alkohol und Blut überdeckt, der sich kürzlich über dem Raum ausgebreitet hatte. Als Neire zur ungeöffneten Ausgangstüre trat, hob Bargh sein Schwert. Auch er hörte jetzt die gedämpften Geräusche des Gelages durch die Pforte dringen. Neire trat zu Türe und begann diese vorsichtig zu öffnen. Bargh betrachtete Rognar und Wulfgar in diesem Moment genau. Er würde jeden Moment von Feigheit mit dem Tode bestrafen. Zwar hatte er in der Vergangenheit keine Hinrichtungen vollführt, doch nach den jüngsten Ereignissen fühlte er eine Art inneren, schwelenden Hass, der ihn dazu befähigen würde. Neire öffnete die Türe vollständig lautlos. Dahinter offenbarte sich ihm der Blick auf ein Gelage. Der Gestank von Schweiß, nassem Tierfell und Alkohol strömte ihm entgegen. Mehr als ein Dutzend der großen muskulösen Humanoiden mit dem Hyänenkopf saßen in einem weiten Saal der Burg. Die Bänke und Tische waren um einen großen Kessel angeordnet, dessen röhrenförmiger Auslass über einem Eisengitter im Boden endete. Der Lärm, den die Kreaturen machten, war ohrenbetäubend. Neben einem Brüllen war hier und dort tiefes oder höheres Bellen zu hören. Nachdem Bargh die Worte zum Angriff erhoben hatte, stürmten Rognar und Wulfgar voran. Er folgte und spürte das Adrenalin, das in ihm das Feuer des Kampfrausches entfachte. Neire hatte er für den Moment aus den Augen verloren. Bargh ließ sein Schwert auf die Gestalt hinuntersausen, die sich ihm entgegenstelle. Er sah Blut aufspritzen, doch das Hyänenwesen drang weiter auf ihn ein. Einige der Kreaturen schienen überrascht zu sein von ihrem plötzlichen Angriff. Andere griffen bereits nach ihren Äxten und sprangen heran. Er wurde jetzt von mehreren der Bestien bedrängt. Aus den Augenwinkeln sah er die Klinge, die sich plötzlich durch die Brust des Anführers bohrte, der am anderen Ende der Tische saß. Das musste Neires Werk sein, dachte er sich. Doch er hatte keine Zeit weitere Gedanken zu fassen. Kaum spürte er den Schmerz der Axt, die ihn durch seine Rüstung in die Seite schnitt. Der Kampf wurde jetzt zu einem Getümmel, in dem er in alle Richtungen um sich schlug. Hier brachte er eine weitere der Kreaturen zu Fall. Immer wieder krachten die Äxte der Hyänenwesen gegen seine Rüstung. Er war in einem wilden Kampfrausch verfallen, der ihn den Gestank und die kleinen Verletzungen vergessen ließ. Um ihn herum lagen bereits die Leichname mehrerer Kreaturen, als plötzlich die Türe aufging und weitere Wesen in den Raum stürmten. Sie umringten ihn, schlugen mit ihren Äxten zu. Dann sah er den blutigen Stahl von Neires Degen den Rücken einer der Kreaturen durchdringen. Gemeinsam kämpften sie gegen die Übermacht und um ihr Leben.

Neire schlich sich weiter durch die Gänge der Adlerburg. Bargh und er hatten nach dem Kampf gegen die Hyänenwesen ihre Wunden verbunden und danach die Burghalle abgesucht. Neire selbst war unverletzt geblieben. In den Schatten seines elfischen Mantels hatten ihn die Wesen zumeist nicht sehen können. Doch Bargh, Rognar und auch Wulfgar hatten einige tiefe Schnitte der Äxte zu beklagen gehabt. Sie hatten bei den Kreaturen einige Goldstücke gefunden, die Bargh mit lobenden Worten des Heldenmutes an Rognar und Wulfgar übergeben hatte. Besonders Wulfgar schien an den Worten Gefallen gefunden zu haben. Danach hatte sie Neire zurückgelassen und hatte zunächst die Treppe nach unten erkundschaftet, die aus einem weiteren Erker dieser Halle hinabführte. Weiter unten hatte er einen Verteidigungsraum gefunden, in dem wohl die Flüssigkeit aus dem Kessel abgeleitet werden konnte sowie einen Ausgang auf die Verteidigungsanlagen. Danach war er zurückgekehrt und hatte sich der Türe gewidmet, aus der sie von den weiteren Kreaturen angegriffen wurden. Dort hatte er einen Wachraum, das geschlossene Eingangsgatter und einen unterirdischen Pferdestall gefunden, in dem sich noch drei abgemagerte Tiere befanden. Jetzt schlich er gerade die enge Wendeltreppe hinauf; der einzige noch verbleibende unerforschte Teil des Schlosses. Er hatte Bargh, Rognar und Wulfgar angewiesen ihm nach kurzer Zeit zu folgen. Von weiter oben hatte er zwar leise, aber klar die Geräusche von gutturalen Stimmen gehört. Schließlich kam er an eine Türe, die in die Wand der rechten Seite eingelassen war. Die Wendeltreppe führte weiter hinauf. Neire hielt kurz die Luft an und lauschte an der Türe. Klar konnte er die Atemgeräusche und ein Geifern von hinter der Türe hören. Einen kurzen Moment dachte er nach. Sein Herz pochte und er verspürte eine Furcht. Doch er wusste auch um seine neuen Fähigkeiten und die Schatten, die seine Göttin von ihm forderte. So stieß er langsam und möglichst leise die Türe auf. Für einen Moment hörte er Schritte und Rufe eines Angriffs. Doch dann war die höhere bellende, fast kreischende Stimme, die die Kreaturen anwies. Er drückte sich in die Schatten und wartete auf seine Mitstreiter.

Wulfgar hatte die Worte des Drachentöters nicht vergessen, als er die Treppe hochging. Er, ein Held von Berghof? Der Gedanke füllte ihn mit Stolz. Er spürte die Unsicherheit bei seinem alten Mentor Rognar, doch er ließ sich davon nicht abringen. Er musste sich jetzt als Held seines Volkes beweisen. Es ging nur Vorwärts, niemals mehr Rückwärts. Als er in den Raum blickte, dessen Türe geöffnet war, sah er die Hyänenkreaturen. Es war als ob sie auf sie warteten. Hinter den Kreaturen konnte er eine weibliche Gestalt sehen, die in einer Hand einen Stecken und in der anderen Hand eine brennende Pfeife trug. Er wusste, dass es jetzt um Leben und Tod ging und so stürzte er sich in den Kampf. Die Kreaturen kamen auf ihn zu und er fühlte die Wunden der Äxte. Neben ihm kämpften Rognar und Bargh. Das letzte was er sah war der Degen, der sich von hinten durch das Herz der Hexe bohrte.
Titel: Sitzung 37 - Der Kampf um die Adlerburg II - Teil I
Beitrag von: Jenseher am 21.10.2022 | 22:10
Bargh keuchte schwer. Er fühlte sich so an, als würde sein Brustkorb jeden Moment zerbersten. Zudem konnte er kaum atmen, da die Luft von dem beißenden Gestank des Pfeifenrauches der Hexe erfüllt war. Nur langsam hob er den Kopf und blickte sich um. Teils strömte noch pulsierend das Blut aus den Wunden der getöteten Hyänenwesen. Die Unordnung, die in dem ansonsten einladenden Speisegemach der Burg geherrscht hatte, wurde nach ihrem Kampf durch die Leichen verstärkt. Neire und er hatten die Wunden von Wulfgar bereits hastig verbunden, um ein Ausbluten des jungen Kriegers zu verhindern. Wulfgars Kopf lag in einer Lache von Blut, die auch seine langen blonden Haare durchnässt hatte. „Er wird nicht aufwachen, nicht in der nächsten Zeit.“ Die zischenden Worte Neires hörte Bargh hinter sich. Als er sich langsam umdrehte, sah er, dass der jugendliche Priester zu Rognar getreten war und auf ihn einredete. Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgelegt und zeigte ein sorgsames Gesicht. Rognar schien jedoch kaum zu reagieren. Er hielt immer noch sein Schwert hoch und suchte nach weiteren Angreifern. In Anbetracht der Lage, stand er anscheinend unter einer Art Schock. Er sah, dass Neire mit den Schultern zuckte und sich ihm näherte. „Ich werde mich weiter umschauen Bargh, ich befürchte, dass uns noch weitere dieser Kreaturen angreifen werden. Bleibt ihr hier und werft einen Blick auf Rognar.“ Bargh nickte langsam und raffte sich mühevoll auf. Die kurze Anstrengung und die Wärme des Raumes, die von dem Kochfeuer im Kamin ausging, hatten ihm den Schweiß in die Augen getrieben. Auch spürte er die Panzerplatten seiner Rüstung gegen die Wunden drücken, wobei in letztere der Schweiß hineinlief. Schließlich näherte er sich Rognar, der jetzt in Richtung Kamin gegangen war. Der Gestank des Pfeifenrauches verzog sich langsam und der Geruch der köchelnden Suppe war zu vernehmen. „Rognar, reißt euch zusammen. Es werden nicht die letzten Kreaturen gewesen sein und das ist ein Befehl! So ist das im Krieg. Entweder sie oder wir. Menschen sterben…“ Bargh sah, dass der Söldner kurz aufzuckte. Dann glitt sein wirrer Blick wieder in die Schatten des Gemaches. Bargh packte Rognar und rammte ihn unsanft gegen die Wand. Er spürte den älteren Mann am ganzen Körper zittern. „Verdammt nochmal reißt euch zusammen und kümmert euch um euren Kameraden. Kümmert euch um Wulfgar.“ Erst als Bargh ihn bedrohlich schüttelte reagierte der verletzte Krieger. „Wulfgar, was… wo?“ Bargh ließ von ihm ab. Als Rognar seinen Kameraden sah, schritt er zu ihm und kniete sich auf den Hyänenleichen nieder. „Ach Wulfgar, ihr… ihr wolltet ja nicht hören. Das passiert nämlich, wenn man den Helden spielen will.“ Bargh lachte auf und er erinnerte sich an alte Gedanken und Lehren, die in seinem Gedächtnis auftauchten. „Hah, solches Geweine nenne ich Feigheit. Ihr könnt hier glorreich sterben und eure Namen werden auf ewig in Berghof einen gewissen Klang haben. Am Ende zählt nur der Tatenruhm.“ Bargh trat mit gezogenem Schwert hinter den Söldner. Rognar beachtete ihn allerdings nicht und schluchzte weiter. „Was bringt es mir hier tot zu liegen, was ist schon mein Name wert. Ich will leben…“ Angewidert von den Worten hob Bargh sein Schwert. Er hat der Göttin gefrevelt. Auch wenn es die falsche war. Er hat keine Ehre, keinen Drang nach Großem. Ein Opfer für Jiarlirae sollte er sein. Bargh hatte bereits sein Schwert zum köpfenden Schlag erhoben, da hörte er abermals die Stimme von Neire. „Bargh hierher; ich habe etwas entdeckt. Eine Kammer mit Leichen.“ Er ließ sein Schwert sinken und schritt um die Leichen der getöteten Kreaturen herum. Als er Neire erreichte, flüsterte der Jüngling in sein Ohr. „Bargh, einer von ihnen ist noch am Leben. Es ist ein heiliger Krieger, Diener von Torm. Sein Name ist Akran.“ Augenblicklich waren da die Erinnerungen an sein altes Leben. An einen seiner früheren Lehrmeister: Akran. Oh wie er ihn schon damals gehasst hatte. Ja, da war die Sache mit dem Übungskampf gewesen. Einem Mitschüler hatte er damals den Kiefer gebrochen und mehrere Zähne ausgeschlagen. Daraufhin hatten ihn die anderen Schüler versucht zurechtzuweisen. Doch er hatte auch sie angegriffen. Er gegen drei. Es hatte keine Toten gegeben, doch er hatte sie schwer verletzt. Akran hatte ihn danach gezüchtigt und mehrere Tage in das Hungerverlies gesteckt. Konnte es sein, Akran hier? Bargh stürzte an Neire vorbei auf die kleine Zelle zu, die sich in dem Gang auftat, der aus diesem Saal hinfort führte. Es kam ihm der Gestank von Fäkalien, Erbrochenem und Eiter entgegen. In der Zelle saßen, wie zusammengepfercht, mehrere nackte und schwer verletzte – wenn nicht gar bereits tote – Gestalten. Sie waren mit Ketten an die Wände gefesselt. Die Gestalt die noch atmete erkannte er sofort als Akran. Doch jetzt war sein alter Lehrmeister von kleinen eiternden Wunden übersäht, sein Gesicht zur Unkenntlichkeit angeschwollen. An der rechten Hand waren nur noch drei Finger und an der linken Hand nur noch ein Finger zu sehen. Die fehlenden Finger waren abgehackt oder ausgerissen worden. Zudem hatte er eine Nadel durch die Backe getrieben, von der ein langer Faden hinabhing. Bargh kochte innerlich. Auf diesen Moment hatte er eine lange Zeit gewartet. Doch er spürte auch eine Art weit entferntes Mitleid für seinen alten Lehrermeister. Er suchte eine einigermaßen trockene Stelle auf dem von Fäkalien bedeckten Boden und kniete sich nieder.

Neire hatte bereits das von Blut besudelte Stück Pergament gelesen, das mit dem Garn an das Fleisch von Akrans Gesicht genäht gewesen war. Er hatte dies vorsichtig und leise entfernt, so dass der heilige Krieger nichts davon mitbekommen hatte. Dann hatte er das Siegel aus Wachs studiert und die Runen entziffert. Es hatte sich wie ein Befehl gelesen:

„Hiermit entsende ich den ehrenwerten Krieger Akran, der angewiesen worden ist Rechtschaffenheit, Kampfeswillen und Ehre in die Adlerfeste zu tragen und diese vor Unholden zu schützen. Ihm wird auferlegt sich der Gerichtbarkeit der Besatzung der Burg zu unterwerfen, solange es der Auftrag erfordert. Ferner wird ihm zugetragen, mit dem Schwert der Reinheit über Fäulnis und Verderbtheit zu richten. Er möge die Macht und den Mut unseres hohen Herrn Torm in die alten Hallen zurückbringen. Es spricht, Luzius der Ungebrochene, Oberster Herr des Tempels der Ehre.

Neire war bereits angewidert gewesen, als er den Text gelesen hatte. Er hatte keinerlei Mitleid gespürt mit der geschundenen Gestalt, die, einem schwachen Gott dienend, sich selbst in dieses Schicksal manövriert hatte. Doch dann hatte er sich entschieden Bargh von dem heiligen Krieger zu berichten. Gemeinsam wollte er eine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen treffen. Doch dazu war es nicht gekommen. Bargh war an ihm vorbeigestürzt und Neire war ihm gefolgt. Jetzt blickte Neire in die kleine Kammer voller nackter, verstümmelter Leichen. Bargh hatte sich mittlerweile über Akran gebeugt und begann zu sprechen. Neire bemerkte, dass sein Begleiter die Spitze seines Schwertes am unteren Rippenbogen von Akran platziert hatte. Neire verfiel in Gedanken als er dem Gespräch lauschte.
Titel: Sitzung 37 - Der Kampf um die Adlerburg II - Teil II
Beitrag von: Jenseher am 23.10.2022 | 11:02
Es war das erste Jahr nach meiner Flucht aus Nebelheim, als ich durch die seltsamen Lande der Oberwelt ritt. Die einst schwache Seele ward wiedergeboren. Er war mir wie ein Bruder geworden. Stark im Glanz Jiarliraes, glorreich im Ruhm seiner Taten. Doch er blickte zurück in die Schatten seiner Vergangenheit, die bis jetzt ein für ihn undurchdringbares Geheimnis bedeuteten. In ihm loderte ein Feuer, das er als Fackel des Hasses vor sich hertrug. Ich lauschte den Worten, die sie sprachen, als er den verlorenen Ritter traf:

Bargh: „Akran, wacht auf. Was zum Teufel hat euch in diese Lage gebracht?“
Akran: „Ahhhh… mein einstiger Schüler, kann es sein? Oder ist das eine weitere Illusion von euch Bastarden?“
Bargh: „Wagt es nicht meinen alten Namen zu sprechen. Ihr habt euren Pfad gewählt und er führt euch in Leid und Verderben. Ich bin jetzt Bargh, der Drachentöter und ich diene der größten unter allen Göttern. Jiarlirae ist mehr als Feuer und Schatten, mehr als die Summe aller Teile!“
Akran: „Haha, der kleine Säufer mit dem schwachen Geist. Ich wusste, dass ihr euch abwenden werdet. Dass ihr dem wahren Torm nicht würdig seid, war abzusehen. Ich hätte euch weiter züchtigen sollen.“
Bargh: „Einen Teufel hättet ihr sollen. Ich bin in die Hölle hinabgestiegen und ich bin wiedergeboren worden. Ich habe die wahre Macht gesehen, für die ich bestimmt bin, zu dienen… Doch eine Gelegenheit will ich euch geben Akran. Wendet euch ihr zu, Jiarlirae. Wendet euch ihr zu und erkennet ihre wahre Macht. Verpfändet eure Seele an Feuer und Schatten.“
Akran (lacht… versucht dann zu spucken): „Ein kleiner feiger Säufer wart ihr und der werdet ihr auch bleiben.“
Bargh (dreht Gesicht von Akran mit Panzerhandschuh zur Seite): „Dann sollt ihr ihn nicht mehr erleben, unseren glorreichen Ritt. Wir werden reiten und der Krieg wird toben – wir werden reiten und du wirst sterben. Wir werden reiten durch die verglimmende Asche dieser Welt.“ (Bargh stößt die Klinge unter dem Rippenbogen Richtung Herz. Ein Aufseufzen ist von Akran zu hören).


Wulfgar zitterte am ganzen Körper als er nach vorne stürmte. Seine tiefe Wunde an der Seite drohte wieder aufzubrechen. Sie hatten mehrere Tage in einem verlassenen Wachturm der Burg verbracht. Eine Zeit in der sie sich von den Vorräten ernährt hatten, die sie hier gefunden hatten. Bargh und Neire hatten sich immer wieder um seine Wunden gekümmert, hatten seine Verbände erneuert. An die ersten zwei Tage konnte sich Wulfgar kaum erinnern. Am ersten Tag hatte er wohl in einem Koma gelegen. Am zweiten Tag hatte er hauptsächlich geschlafen. Doch die Wunden hatten sich nicht entzündet und so waren sie wieder aufgebrochen, die oberen Gemächer der Burg zu erforschen. Zuerst schienen die Gemächer wie verlassen gewesen zu sein. Doch dann waren sie auf den Saal des einstigen Anführers der Burg gestoßen. Dort hatten sie eine menschengroße Gestalt an einem Schreibtisch gesehen, die schwärzliche Augen, Reißzähne und einen wulstigen Schädel hatte. Dunkles schütteres Haar fiel ihr bis über die Schultern. Die muskulöse Kreatur hatte einen Handschuh an einer ihrer Hände getragen, der von Metallplatten besetzt war. Doch anstatt sich dem Kampf zu stellen hatte die Kreatur einen schwarzen Edelstein zertrümmert und „Fahre zur Eins!“ gemurmelt. Dann hatte sie sich mit dem Juwelenstaub in Nichts aufgelöst. In diesem Moment hatten sie das gutturale Schreien und mächtige Schritte aus dem Raum gehört. Eine fast drei Schritt große Kreatur kam ihnen entgegen. Fettleibig und muskelbepackt. Unter einem übergeworfenen gelblichen Fell war dunkle Körperbehaarung zu sehen. Aus einem runden Schädel funkelten zwei schwarze Augen voller Hass – aus dem Hauer-besetzten Maul geiferte die Kreatur lange Fäden von Sabber. Als der Kampfschrei des Drachentöters den Raum durchdrang reagierte er mechanisch. Doch Bargh stürmte bereits auf die Gestalt zu, bevor er reagieren konnte. In diesem Moment sah er einen Degen von hinten durch den Wanst des Monsters dringen. Blut sprudelte auf. Fast im gleichen Moment trafen zwei Hiebe von Bargh die Kreatur. Der erste durchschnitt die Haut der Seite, doch der zweite traf eine Halsschlagader. Unter einem Aufsprudeln von Blut brach das, was Wulfgar aus alten Legenden als Oger kannte, zuckend zusammen.
Titel: Sitzung 38 - Der Kampf um die Adlerburg III
Beitrag von: Jenseher am 27.10.2022 | 21:54
Es war Ruhe eingekehrt in den oberen Gemächern der Burg. Neire, dem das Blut noch immer in den Ohren pulsierte, hielt zitternd seinen rot verschmierten Degen und blickte sich um. So gut es ging lauschte er nach weiteren Zeichen von Angreifern. Doch aus dem nobel eingerichteten Saal des einstigen Obersten der Adlerburg hörte er nur das Rauschen des stärker gewordenen Windes, der sich an den Schießscharten brach. Er stieg hinweg über den riesenhaften Leichnam des Unholdes und begann das Gemach zu betrachten. Wunderschöne gestickte Wandteppiche, die stilisierte Jagdszenen darstellten, bedeckten die Wände. Im schwachen Licht war ein verzierter Schreibtisch zu sehen, der sich in einer Ecke des Raumes befand. Neire bewegte sich auf das edle Möbelstück zu und begann dieses zu untersuchen. Als er keine Fallen finden konnte, öffnete er die unverschlossenen Schubladen. Neben einigen Schätzen fand er zwei leichte Schreibfedern und ein altes Buch, dem er augenblicklich seine Aufmerksamkeit widmete. Wie aus der Ferne vernahm er jetzt die Stimmen von Bargh, Wulfgar und Rognar, die sich über die Rüstungen berieten, die sie hier entdeckt hatten. Er vertiefte sich in das Pergament. So konnte er schon bald feststellen, dass es sich um eine Anleitung für ein magisches Gefängnissystem der Burg handelte. Die Zellen waren in imaginären Orten untergebracht, die wohl weder von dieser Welt waren, noch eine stetige Abbildung von Raum und Zeit besaßen. Eine lebende Seele konnte mithilfe eines speziellen schwarzen Kristalls in eine Zelle gebannt werden, indem zum Beispiel die Worte fahre zu Eins gerufen wurden. Neire wurde sofort klar, dass sich die Kreatur anscheinend in eine dieser Zellen gebannt hatte, um ihnen zu entgehen. Doch auch die Hervorrufung von einst gefangen gesetzten Seelen war vorgesehen. So sollte es weiße Kristalle geben, die in der Mitte einer doppelten Spirale platziert, einen Gefangenen befreien konnten. Diese Spirale sollte sich in einem bemalten Raum befinden. Zur Befreiung musste zum Beispiel komme hervor aus der Eins gerufen werden, um den Mechanismus in Gang zu setzen. Neire stöberte im Buch und las noch einige weitere Seiten, die lange Listen von Inhaftierten und Freigelassenen beinhalteten. Dann entschied er sich dazu seine Kameraden von dem Fund zu unterrichten und auf die Suche nach dem bemalten Raum zu gehen.

Fackellicht durchdrang den achteckigen Raum. Der Geruch von brennendem Teer hatte sich bereits ausgebreitet. Neire näherte sich vorsichtig der Säule, auf die sein Kamerad gezeigt hatte. Bargh hatte diese mit seinem schweren Panzerhandschuh abgeklopft und dabei war der alte Putz nach innen weggebrochen. Dann hatte er Neire den Vortritt gelassen. Eine vorsichtige Suche nach Fallen offenbarte keine Gefahr. Er begann das bröckelige Gestein weiter zu entfernen. Dahinter war ein kleiner Hohlraum zu sehen, in dem eine von goldenen Verzierungen bedeckte Holzschatulle ruhte. Vorsichtig griff Neire hinein und zog das seltsam leichte Objekt hervor. Er öffnete das Kästchen, doch er sah keinen Boden. Es war, als ob das Licht der Fackel dort verschluckt werden würde. Langsam griff er durch die Öffnung hindurch und tatsächlich verschwand sein Arm fast bis zur Schulter im Inneren. Er hatte von solchen Zaubern schon einmal gehört. Dimensionsmagie, die den Ort verzerrte – kleine Türen ins Jenseits an Gegenstände band. Tief im Inneren des Objektes ertastete er einen kleinen Beutel, dessen genauere Untersuchung vier milchig schimmernde Kristalle hervorbrachte. Das musste also der Ort mit dem geheimen Vorrat der Wiederhervorrufungssteine sein. Also könnte auch vielleicht der Raum mit der Spirale nicht weit sein. Er betrachte die Wände, die mit einer Art Rundumblick des Herrenhauses der Familie Arthog bedeckt waren. Sie zeigten den Familiensitz der einstigen Herrscher von Berghof in der Vergangenheit. Der Zahn der Zeit hatte noch nicht an den Gemäuern genagt. „Ich habe die Kristalle. Es muss hier irgendwo sein. Lasst uns weitersuchen.“ Sprach Neire und deutete auf die Wände des Raumes. Jetzt bewegten sie sich alle an die verbliebenen Bilder und begannen sie abzutasten. Es herrschte eine bedrückende Stille. Diesmal war es Neire, der fündig wurde. Einer der Rahmen ließ sich bewegen, als würde er von Scharnieren gehalten. Vorsichtig zog Neire das geheime Portal auf. Dort hinter konnte er einen kreisrunden Raum erspähen. Im Fackellicht glitzert ein Muster auf dem Boden. Zwei in sich verschachtelte Spiralen mit jeweils vier Armen sowie schwarzer und weißer Färbung. In der Mitte war eine kleine Mulde zu sehen. Er betrat mit Bargh den Raum und blickte sich nach Rognar und Wulfgar um. „Wir werden diese Kreatur aus der Zelle befreien. Bewacht ihr den Eingang. Keiner soll entkommen.“ Er sah, wie die beiden ihre Schwerter zogen. Auch Bargh machte sich angriffsbereit. Neire zog zitternd vor Aufregung einen der weißlichen Kristalle hervor und legte ihn in die Mitte. Dann begann er zischelnd die Worte zu murmeln: „Komme hervor aus der Eins.“ Nachdem er das letzte Wort gemurmelt hatte, ließ er sich unter seinem Tarnmantel in die Schatten sinken. Zuerst passierte nichts, doch dann begann der Stein zu schmelzen wie ein Stück Butter in einer Pfanne. Weißer Nebel stieg auf. Dann wurden Konturen sichtbar. Vor ihnen erschien, ohne Zweifel, die Gestalt aus dem Gemach des Obersten der Burg. Sie hatte beide Hände zu Fäusten geballt. Vom schwarzen Handschuh fehlte jede Spur. Ihre schwärzlichen Augen waren zusammengekniffen und glänzten, wie von einer Tollwut erfasst, hasserfüllt. Ihr grobschlächtiges Gesicht schaute sich ruckartig um. Bargh reagierte und stach mit seinem Schwert zu. Blut strömte auf und die Gestalt begann zu schreien. Dann rammte ihr Neire den Degen von hinten in den Rücken. Er hatte Glück und durchbohrte das Herz des Wesens. Blutspuckend brach der einstige Handschuhträger vor ihnen zusammen. Nach einer kurzen Beratung entschieden sie sich weitere Kreaturen aus den Zellen hervorzurufen. Neire legte einen der verbliebenen Kristalle in die Mulde und begann erneut zu murmeln: „Komme hervor aus der Vier.“ Wieder begann der Edelstein zu schmelzen. Aus dem Nebel stieg jedoch diesmal eine größere Kreatur hervor. Sie besaß zwei Köpfe, Krallen und eine bräunliche Hautfarbe. Das Monster war in einen Pelz gekleidet, den es wie eine Schürze trug. Tatsächlich konnte Neire sehen, dass sich die Gestalt den Handschuh übergestreift hatte. Das Wesen fing an zu brüllen als Bargh sein Schwert nach vorne schnellen ließ. Zwei mächtige, doch gezielte Hiebe schnitten tiefe Wunden; brachten dunkles Blut hervor. Dann stach Neire in den Rücken des Wesens. Auch diesmal hatte er Glück und sein Degen drang tief hinein. Unter einem weiteren Stich ging die Kreatur zu Boden, doch sie konnten sehen, dass das Monster noch atmete. Neire beugte sich hinab und durchbohrte abermals den Brustkorb mit einem Stich. Erst jetzt sah er, dass sich einige Wunden bereits wie von Geisterhand geschlossen hatten. „Rognar, reicht mir die Fackel zischelte er.“ Nur langsam und von Furcht fast gänzlich übermannt, näherte sich der ältere Söldner. Neire nahm die Fackel und begann den Pelz des Wesens zu entzünden. Es setzte ein Zucken ein, als die Flammen die Haut berührten. Bereits geschlossene Wunden brachen wieder auf und weiteres Blut strömte hinaus. Der geheime unterirdische Raum wurde von einem penetranten Gestank von verbranntem Fleisch erfüllt. Jetzt hörte Neire plötzlich eine Stimme in seinem Kopf, wie ein wehleidiges Klagen. Doch er konnte kein Geschlecht, kein Alter ausmachen. Hört mich an. Helft mir und nehmt mich auf. Ihr könnt mein Träger sein und ich kann euch Macht geben, große Macht. Alles wonach euch gelüstet kann euer sein. Neire blickte sich überrascht um, doch die Stimme schien aus Richtung des schwarzen Handschuhs zu kommen. Er brauchte einige Zeit um sich an die alten Geschichten und Legenden zu erinnern. Der schwarze Handschuh war ursprünglich als Waffe in den Küstenlanden erschaffen worden – erschaffen, um die Adlerburg zu vernichten. Doch für diese Aufgabe benötigte er einen mächtigen Träger. Auch würde er versuchen seinen Träger zu einer willenlosen Marionette zu machen. Diese Marionette sollte den Erschaffern des Handschuhs dann dienen. Neire dachte einen weiteren Moment nach, dann fing er an zu sprechen. „Wem dient ihr, Stimme? Wer ist euer Herr?“ Ich diene meinem Träger und nur meinem Träger. Meine Erschaffer, die mächtigen Magier der Küstenlande, sind längst tot. Neire war nicht zufrieden mit dieser Antwort. Für einen kurzen Moment hatte er darüber nachgedacht den Handschuh aufzunehmen. Doch jetzt waren seine Gedanken bei seiner Göttin und seinem alten, geliebten Nebelheim. „Ich diene meiner Göttin, der Schwertherrscherin. Sie gibt mir die Macht, die ich brauche. Sie hält die Schlüssel zum Jenseits.“ Neire ging zu Bargh und flüsterte ihm zu, ihm den weißen Handschuh aus dem Rucksack zu geben. Als Bargh diesen hervorholte, kam Neire Fäulnisgeruch entgegen. Noch immer steckte der abgehackte Arm des Skulks im weißen unbefleckten Leder. Auch von diesem Handschuh spürte Neire Regungen ausgehen. Doch es waren keine Worte die er vernahm. Vielmehr das Gefühl von Eile, vergleichbar mit einer Art Atemnot. Als ob eine große Katastrophe lauerte und weiteres Warten in den Zustand der Lähmung und damit in den sicheren Tod führen würde. So nahm er den weißen Handschuh am verfaulten Arm und schritt auf die noch schwelende Kreatur zu. „Ihr dient nicht Ihr. Ihr werdet Ihr nicht dienen. Jiarlirae ist Feuer und Schatten und sie ist mehr als das.“ Neire hörte jetzt eine flehende Stimme vom schwarzen Handschuh ausgehen. Doch… ich kann. Ich kann ihr dienen. Jiarlirae. Ich kann ihr dienen. Doch die Worte kamen zu spät. Neire hatte bereits den weißen Handschuh in den schwarzen geführt. Als ob sich beide die Hände gäben. Augenblicklich fuhr ein Lichtblitz durch den Raum. Die Zeit schien stillzustehen. Der Raum wurde in Nebel gehüllt. Und dann war da die Adlerburg, wie aus der Ferne betrachtet – ein Trugbild, eine Illusion? Zwei riesenhafte Nebelgestalten entwuchsen den milchigen Schwaden um die Burg. Eine weiß, die andere schwarz. Sie hoben ihre Fäuste und begannen zu kämpfen. Doch es konnte keinen Sieger geben und beide gingen in einem gleißenden Licht auf. Als Neire wieder die Augen öffnete, sah er, dass beide Handschuhe langsam zu Asche zerfielen. Nur die vier Juwelen aus dem Handballen des schwarzen Handschuhs blieben übrig. Er drehte schweigend zu Bargh um, der die Illusion anscheinend nicht gesehen hatte und nickte ihm zu. War das Geheimnis um die magischen Erschaffer aus den Küstenlanden gelüftet?

Es war etwas wärmer geworden und die Sonne brach hier und dort durch die Wolken. Bargh war mit Neire in Richtung der Küstenlande geritten. Sie hatten Rognar und Wulfgar in der Burg verabschiedet und er hatte sie aus seinem Kommando entlassen. Beide wollten in das Herzogtum Berghof zurückkehren. Sie würden dort wohl als große Helden gefeiert werden und die Legende von Bargh, dem Drachentöter verbreiten. Er hatte sich im Spiralraum über die Großzügigkeit von Neire gewundert, hatte doch sein junger Begleiter den beiden Söldnern einen der verbliebenen Edelsteine überlassen. Erst nachher hatte Neire ihm die Wahrheit erzählt. Er hatte bei diesem Edelstein einen unsichtbaren Fluch entdeckt. Sein Träger sollte den Stein nicht mehr loswerden können und im Kampf würden sich alle Gegner dem Träger zuwenden. Neire hatte Rognar und Wulfgar die Wahl gelassen und Rognar hatte gierig zugegriffen. Abschließend hatte der Söldner von dem Wert gesprochen und was er sich davon alles kaufen würde. Jetzt musste auch Bargh über diese Wendung lachen. Sie hatten sich danach mit weiterer Verpflegung der Burg ausgerüstet und waren dem Adlerweg in für sie unerforschte Gebiete gefolgt. Neire waren auf dem Weg weitere Details über den Tempel der Ehre eingefallen. Der Tempel solle sich nicht auf dem Festland, sondern auf einer Insel im Meer befinden. Zudem waren die im Tempel ausgebildeten Priester und Soldaten wohl eine Ordnungsmacht, die in den Küstenlanden ihre Verbreitung gefunden hatte. Bargh hatte darüber eine Zeit gegrübelt. Allerdings hatte es Jiarlirae gut gemeint mit ihm. Nach ihrem Sieg auf der Adlerburg hatte ihm Neire einen der grünlichen Juwelen gegeben, den er jetzt bei sich trug. Schon nach kurzer Weil hatten sich seine Wunden geschlossen und er fühlte sich stärker als je zuvor. Nach einer weiteren Nacht am Fluss hatten sie das Gebirge langsam verlassen. Irgendwann hatten sie in der Ferne ein Dorf gesehen, dem sie sich jetzt näherten. Ein rudimentärer Erdwall und eine Palisadenmauer aus angespitzten Holzstämmen stellten die Wehranlage des Dorfes dar. Vor dem geschlossenen Eingangstor waren drei Krieger zu sehen, die eine starre Haltung angenommen hatten. Alle drei trugen einen leuchtend gelben Waffenschurz. Als sie sich bis auf etwa zwanzig Schritte genähert hatten, hob der mittlere Mann seine Hand. „Halt im Namen des Magistraten von Dreistadt, halt! Es gibt keinen Zutritt zu diesem Dorf, keinen Zutritt nach Mühlbach!“ Einen kurzen Moment frage sich Bargh, was hier wohl passiert war, dann bemerkte er den feinen dunklen Rauch, der hinter dem Wall aufstieg. Sie beteuerten, kein Interesse am Zutritt zu haben und weiterreisen zu wollen. Damit senkte sich die Anspannung der Soldaten deutlich. Bargh und Neire konnten in Erfahrung bringen, dass die Männer Diener des Tempels der Ehre waren – Diener des Gottes Torm. In dem Dorf hatte die Pest gewütet und alle verbliebenen Bürger dahingerafft. Aus diesem Grund war jeder lebenden Seele der Zutritt zum Dorf verwehrt. Bargh hob zum Abschied die Hand, doch innerlich dachte er an seinen alten schwachen Lehrmeister, an den Tod von Akran. Er malte sich aus, wie diese Männer durch seine Hand sterben würden.
Titel: Sitzung 39 - Auf zu neuen Ufern
Beitrag von: Jenseher am 3.11.2022 | 14:17
Neire und Bargh hatten ihre Pferde um den Palisadenwall gelenkt, um das Dorf Mühlbach zu umgehen. Die Wachen hatten ihnen noch einen Moment nachgeblickt, sich aber dann wieder ihrer Aufgabe gewidmet. Noch immer war der leichte Verwesungsgeruch zu vernehmen, der zusammen mit dem dünnen Rauch von dem Dorf ausging Die Sonne stand schon hoch und es musste später Vormittag sein. Die Strahlen hatten jedoch langsam an Kraft verloren, als ob sich der Herbst langsam anbahnen würde. Umgeben war Mühlbach von einer kargen Landschaft, die zu einem Teil aus kleinen verkrüppelten Kiefern und zum anderen Teil aus kargem Sand sowie einem Bruchland bestand. Mittlerweile waren im Palisadenwall einige handgroße Spalte zu sehen, die einen Blick in das Innere von Mühlbach erlaubten. Als sie die Wachen aus den Augen verloren hatten, drehte sich Neire zu Bargh um. „Wartet einen Moment, Bargh. Ich werde einen Blick durch die Stämme wagen.“ Sprach Neire und sattelte elegant von seinem Pferd ab. Er sah seinen Begleiter wortlos nicken und näherte sich dem Wall. Sein Blick offenbarte ihm ein kleines Dorf, das aus schilfbedeckten Holzhütten bestand. Nur ein prominentes Gebäude stand in der Nähe des Flusses und war als Mühle mit einem Anbau zu erkennen. Neire konnte auch feststellen woher der Verwesungsgeruch kam. Hier und dort sah er Leichen zwischen den Häusern liegen. Die Leiber hatten aufgedunsene Oberkörper und waren teils grausam von Beulen und Eiter gezeichnet. Zwischen den Häusern konnte er zudem leichten Rauch von niedergebrannten Feuern aufsteigen sehen. Sonst bemerkte er keine Bewegung. Augenblicklich fing sein Herz an zu pochen als sich in seinem Kopf der Gedanke formte. Was sollte er sich auch diesen oberweltlichen Regeln unterwerfen... „Bargh, ich werde mich einmal umschauen. Falls ich nach einer kleinen Weile nicht zurück bin, lasst die Pferde zurück und folgt mir“, raunte er jetzt in den leichten Wind und zog sich den Tarnmantel über. Geschickt kletterte Neire über den Zaun und ließ sich auf der anderen Seite hinabsinken. Er versuchte sich, soweit es ging, in den Schatten der Gebäude zu bewegen. Schon bald kam er an dem ersten Leichnam an, konnte jedoch neben den Zeichen der Krankheit keine Besonderheiten feststellen. Vielmehr betrachtete er immer wieder die Einfachheit der Hütten und fragte sich, ob alle Orte der Oberwelt in dieser primitiven Weise errichtet worden waren. Als Neire so für einen Moment verweilte, hörte er ein Geräusch in dem Rauschen des Baches, das sehr leise, aber markant war. Wie ein Reißen von Fleisch und ein schmatzendes Schlingen. Er entschied sich diesem weiter nachzugehen und schlich auf die Mühle zu, von wo er glaubte das Geräusch zu hören. Am Anbau angekommen, bemerkte er eine geschlossene Türe, aber geöffnete Fenster. Das Schmatzen war jetzt deutlich aus dem Inneren zu hören und der Gestank von Verwesung war hier penetranter. Neire zog sich lautlos durch das Fenster in den verlassenen Wohnraum. Er hörte das Geräusch von einer Treppe, die in den Keller hinabführte. Vorwärts schlich er und je weiter er vorankam, desto penetranter wurde der Leichengestank. Die Kellertreppe, die dort hinabführte, war aus einfachem Lehm. Das Schmatzen kam von unten. Er tastete sich vorsichtig voran und versuchte den Würgereiz zu unterdrücken. Schließlich konnte er die Dunkelheit durchblicken. Als er um den Treppenabsatz herumschaute, sah er einen einfachen, in den Lehm geschlagenen, Kellerraum. Das Kopfende des Raumes war mit einem Berg von Leichen bedeckt. Eiter und Wundsekret rann von den menschlichen Körpern hinab und hatte bereits eine kleine Pfütze gebildet. Der Gestank war nicht zu ertragen. Doch in dem Raum sah er Bewegungen. Drei entstellte Leichname krochen auf dem Haufen herum und schlugen lange Hauer in das tote Fleisch. Die Kreaturen erinnerten nur noch im Entferntesten an Menschen. Sie trugen Reste von Kleidung, waren von Beulen und aufgedunsenen Körpern gezeichnet und hier und dort kam der blanke Knochen hervor. Es schien sich um eine Familie des Grauens zu handeln. Neben einem Mann, waren eine wohl noch schwangere Frau und ein Säugling zu sehen, wobei letzterer noch seine Nabelschnur hinter sich herzog. Die Untoten glitten hinweg über die Toten in einer vergänglichen Anmut, während sie das schwache Fleisch zerrissen. Der Gestank und die Szenerie erzeugten in Neire eine Art Lähmung, die zum einen in dem Terror des Anblicks und zum anderen in der morbiden Faszination des Todes beruhte. Er beneidete die Kreaturen nicht, die die Hingabe zu Jiarlirae nicht kannten. Kreaturen, die den Dualismus von Feuer und Schatten nicht zu ergründen versuchten. Als er einen Schritt in den Raum machte, spürte er, dass er sich übergeben musste. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte das Erbrochene hinunterzuwürgen – keinen Laut zu erzeugen. Er zitterte am ganzen Körper. Tatsächlich gelang es ihm langsam Kontrolle zu gewinnen und Abstand von dem Schauspiel zu nehmen. Der Geist der Sehnenden Jiarliraes stand über allem. Der Wille triumphierte, auch über dem Tanz der Toten.

Bargh hatte einige Zeit lang auf Neire gewartet. Er hatte gegrübelt über seinen alten Lehrmeister. Er hatte sich gefragt, ober er ihn nicht auch eher hätte töten können. Doch damals war er ein geistiger Sklave gewesen. Ein Sklave des Gottes, dem die Diener des Tempels der Ehre sich hier ergaben. Niemals… nein, niemals hätte er eine andere Entscheidung getroffen, als seinen ehemaligen Meister in der Adlerfeste zu ermorden. Er hatte es genossen, jeden einzelnen Moment. Einzig die Beleidigungen nagten noch immer an seinem Selbstbewusstsein. Als er das Zischen hörte, drehte er sich ruckhaft um, doch instinktiv wusste er, dass es sich um die Stimme Neires handelte. „Bargh, es gibt dort Kreaturen – nicht lebendig und auch nicht tot. Im Gebäude der alten Mühle. Sie hätten mich fast erkannt und dann…“ Bargh sah, dass Neire am ganzen Körper zitterte und sich geschickt auf sein Pferd zog. Neire lenkte sein Pferd hinfort, weiter an dem Wall entlang und blickte sich nach ihm um. „Neire, was dann…? Was wäre gewesen?“ „Vielleicht… vielleicht wäre ich jetzt einer der ihren, ein alter Fluch… doch ich glaube nicht, dass der Geist der Anhänger Jiarliraes derart unterlegen ist… Bargh… lasst uns beten zu unserer Göttin… und lasst uns dabei Wein trinken!“ Bargh sah, dass Neire bereits einen Schlauch aus der Satteltasche seines Pferdes hervorgezogen hatte und einen tiefen Schluck nahm. Sein junger Begleiter, dem die Angst noch immer anzusehen war, reichte ihm lächelnd den Schlauch und er nahm ihn gerne an. Mehre tiefe Züge des kostbaren Getränks aus der verlassenen Feste schlang er in sich hinein. Währenddessen ritten sie weiter an dem Wall von Mühlbach entlang. Als sie auf der gegenüberliegenden Seite des zuvor passierten Eingangs in das Dorf ankamen, sahen sie zwei Krieger, die hier Wache standen. Es war ein ungleiches Paar: Der Anführer älter und in einen gelben Schurz mit Kettenhemd gekleidet. Der zweite Wächter war jünger, vielleicht gerade volljährig und trug eine Lederrüstung. Als sie sich näherten, hob der ältere Krieger die Hand und rief ihnen bestimmende Worte zu: „Haltet ein! Das Dorf ist für einen…“ „Ja, wir wissen es schon. Mühlbach ist gesperrt für Reisende. Wir haben bereits mit Weismar am anderen Eingang gesprochen. Ihr könnt euch eure Worte sparen.“ Bargh spürte den aggressiven Unterton in Neires zischelnder Stimme, als sein Begleiter den älteren Wächter unterbrach. „Wem dient ihr hier, der euch das befiehlt? Wem dient ihr Menschen?“ Bargh bemerkte, dass beide Wachen irritiert waren vom Singsang und von der zischelnden Stimme Neires. Doch nach einem kurzen Moment der Stille erhob der Ältere das Wort. „Wir dienen Clavius, dem Herrscher von Dreistadt. Lang möge er leben.“ Sie waren mittlerweile bis auf einige Schritte an die beiden herangeritten und Bargh bemerkte die Spannung. „Ihr Menschen seid Sklaven, ihr dient, doch ihr dient einem falschen Herrn. Nennt mir seinen Namen!“ Bargh fühlte, dass Neire jetzt, angetrieben durch den Alkohol und die fanatische Zuneigung zu Jiarlirae, den Angriff suchte. Er sah, dass der jüngere der beiden Anstalten machte sein Schwert zu ziehen um anzugreifen, doch von dem älteren Krieger zurechtgewiesen wurde. Diesmal sprach der ältere Krieger wieder. „Wir sind Krieger des Tempels der Ehre. Wir dienen dem Magistraten von Dreistadt, doch unser oberster Herr ist Torm. Er ist unser Herr der Ehre, des Gesetzes und der Rechtschaffenheit. Nichts für Vagabunden wie ihr es seid…!“ Bargh spürte wie Neire begann wie von einer Mordlust zu kochen. Aber auch er wollte die armseligen Kreaturen vor ihnen zerquetschen, sein Schwert durch ihre schlaffen Leiber stoßen. Bevor er antworten konnte, erhob Neire wieder das Wort. „Nicht Torm sondern Clavius ist euer wahrer Herr, menschliche Sklaven. Torm ist nicht mehr als ein Bastard… Wein ist nichts für euch! Wein ist ein Getränk der Götter, nichts für schwache Geister wie Torm und erst recht nichts für seine Sklaven!“ Bargh sah wie Neire vor den beiden vorbeiritt und den edlen Wein aus dem Weinschlauch in den Dreck ergoss. Bargh war zum Kampf bereit. Er scheute weder das Gemetzel, noch den Tod. Doch er spürte tief in ihm, dass Neire nur aufstachelte. Sein junger Begleiter wollte die Krieger von Torm zu einem Angriff provozieren. Fast gelang ihm diese Provokation, doch der jüngere Krieger wurde erneut zurecht gewiesen von seinem Meister, alsbald er seine Waffe erhob. Bargh spürte den abgrundtiefen Hass stärker werden. Er zog sein Schwert und hob es bedrohlich über seinen Kopf. Doch die beiden Krieger bewegten sich kein Stück weit auf sie zu. Sie bewahrten beide ihre Haltung - Schwerter in den Händen und zum Kampf bereit. So zogen er und Bargh weiter. Weiter Richtung Dreistadt. Sie durchritten die karge Landschaft der Küstenlande und blickten sich nicht mehr um.

„Könnt ihr ein Geheimnis bewahren? Könnt ihr?“ Neires bereits angetrunkene Stimme lispelte stärker und sein angeschwollener Singsang machte die Worte, die er in der gemeinen Sprache murmelte, fast unverständlich. Finnger, ein Bürger von Dreistadt mit dem Neire jetzt sprach, nickte eifrig und rückte mit seinem Ohr näher an Neires Gesicht. Sie füllten gerade die Humpen für die kleine Gesellschaft von Bürgern auf, die sich zu ihnen an den Tisch gesellt hatte. Ariold, der Wirt des Gasthauses hatte sie zuerst unfreundlich und dann immer langsamer bedient. Zuletzt hatte er sich taub gestellt, bis ihn sein Begleiter Bargh dann mit den Worten „Was ist mit euch passiert? Seid ihr als Kind auf den Kopf gefallen oder nur gegen eine Steinwand gerannt?“ zurechtgestutzt hatte. Danach hatte ihnen Ariold zwar Essen gebracht, hatte sich dann jedoch zurückgezogen. Jetzt füllten sie gerade die Humpen und das plätschernde Geräusch des Bieres ließ Neire zurückdenken an den weiteren Teil ihrer heutigen Reise am Fluss Richtung Dreistadt. Sie waren eine Zeitlang durch die karge Landschaft geritten, die von Sträuchern, Sand und Marschland gekennzeichnet war. Von einer Moräne aus hatten sie schließlich die Küste gesehen, an der die Stadt lag. Dreistadt war von imposanten Wehranlagen geschützt und nur die drei Türme ragten aus dem Inneren der Stadt über die Mauern hinweg. Die Portale waren geöffnet gewesen und so waren Neire und Bargh in die Stadt geritten. Im Inneren hatten sie größtenteils arme und verwahrloste Bürger gesehen. Viele Häuser waren verrammelt gewesen oder hatten einen verlassenen Eindruck gemacht. Dreck und Unrat lag auf den Straßen herum. Zuerst hatten sie eine Frau nach den Örtlichkeiten gefragt. Dann waren sie zum kleinen Markt gelangt, auf dem eine größere Ansammlung von Menschen zu sehen gewesen war. Hier waren sie von einem Obdachlosen auf ein paar Groschen angesprochen worden. Er hatte ihnen nur in einer Seitengasse und in paranoidem Gehabe von dem Joch des Tempels der Ehre erzählt. Dass die Priester und Krieger sich ihren Schutz teuer bezahlen ließen. Dass sie in der Stadt nicht besonders beliebt waren. Der stark nach Alkohol und schweiß riechende Mann mit dem nackten Oberkörper, der sich ihnen als Dagwin vorgestellt hatte, hatte ihnen schließlich den Weg in das Gasthaus gewiesen und ihnen von dem Wirt Ariold erzählt. Er hatte ihnen auch berichtet, dass Ariold wohl eine große Menge an Schutzgeld an den Tempel der Ehre bezahle und nicht besonders gut auf dessen Gefolgsleute zu sprechen war. So waren sie schließlich im Gasthaus eingekehrt. Sie hatten gegessen und Bier getrunken, bis sie schließlich mit der lokalen Gesellschaft ins Gespräch gekommen waren. Das Gespräch hatte sich um dies und das gedreht, bis Neire einen möglichen Krieg gegen das Herzogtum Berghof angesprochen hatte. Damit war eine rege, trunkene Diskussion angefacht worden. Neire hatte bereits eine Runde an Bier ausgegeben und holte jetzt mit Finnger die nächste. Er begann nun wieder zu flüstern und musste für einen Moment sein Schwanken kontrollieren. „Vergesst Heria Maki. Sie ist nur eine schwache Göttin des Feuers. Ich diene Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Schatten. Sie ist der Schlüssel zu Geheimnissen und Macht. Sie hält die Schlüssel zum Jenseits.“ Neire blickte in das trunkene Gesicht seines Gegenübers, der, soweit es ihm möglich war neugierig schaute. „Wir suchen nach den Geheimnissen der Magier der Küstenlande“. Finnger lachte. „Die alten Sagen, die Magier… Sie sind längst zu Staub zerfallen.“ Neire grinste. „Dann lasst uns auf diesen Staub trinken!“

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Titel: Sitzung 40 - Unsere (silberne) Herrin, sie leitet Euch, sie weißt, den Weg
Beitrag von: Jenseher am 12.11.2022 | 23:22
Das einfache Gemach war völlig abgedunkelt. Es musste später Nachmittag sein, denn Neire hatte bereits die ersten Geräusche aus dem weiter unten liegenden Schankraum gehört. Kaum nahm er Notiz von Bargh, der auf einem der einfachen Holzbetten saß, seine Augenbinde abgenommen hatte und ihn betrachtete. Es war jetzt schon einige Zeit her, dass sie aufgestanden waren. Doch er spürte noch immer den Alkohol des gestrigen Abends in seinem Atem. Sie hatten noch länger in der Schenke verbracht. Die beiden Freunde von Finnger hatten schließlich den mit Tischen zugestellten Schankraum mit schwerer Schlagseite verlassen. Finnger war noch länger geblieben, aber schon bald in einen Zustand geraten, in dem er mit halb geöffneten Augen seltsame Dinge gebrabbelt hatte und sich kaum noch am Tisch halten konnte. Auch Neire erinnerte sich an den Rest des Abends nur noch verschwommen. Sie hatten versucht den Wirt Ariold auf die Schutzgelderpressung des Tempels der Ehre anzusprechen. Doch der Wirt hatte stoisch seine neutrale Position eingehalten. Auch auf Finngers betrunkene Rufe - Ariold, diese Bastarde beklauen euch. Ist es nicht so? Ist es nicht so, Ariold? - hatte die in entferntester Weise an einen Aasvogel erinnernde Gestalt des Wirtes nicht geantwortet. Sie waren dann irgendwann in Richtung ihres Gemaches getorkelt, das sie über eine Außentreppe erreichen konnten. Neire hatte die erste Nachtwache übernommen. Am nächsten Morgen hatten sie einige Besorgungen in Dreistadt gemacht und waren schließlich in ihr Gemach zurückgekehrt. Jetzt blickte Neire auf seine zitternden Hände, mit denen er den violett schimmernden Pilz in der kleinen Pfanne umrührte. Ein bitterer, leicht beißender Gestank hatte bereits den gesamten Raum erfüllt. Die Flamme des Lampenöls brannte heiß unter dem Topf. Immer wieder musste er ein plötzliches Aufkochen verhindern. Er durfte sich hier keine Fehler erlauben. In alten Schriften hatte er schon über die violette Version des bunten Vierlings gelesen. Als älteste Variante des Vierlings war dieser für sein starkes Gift berüchtigt. Schon die bloße Berührung der unzubereiteten Pilze konnte tödlich sein. Einigen Sammlern war dieses Schicksal bereits zuteilgeworden. Neire ließ den Sud immer wieder aufkochen, der schon dickflüssiger geworden war. Nur noch wenige Augenblickte, dann war die richtige Konsistenz erreicht. Er dachte zurück an seine Zeit in Nebelheim. Wie er in den alten Wälzern der Bibliothek des inneren Auges gestöbert hatte. Farne, Kräuter und Pilze hatten ihn schon immer interessiert. Doch er hatte nur in Büchern über sie gelesen; hatte sie nie zu Gesicht bekommen. Jetzt kochte der Sud wieder auf. Er hob rasch den Topf von der Flamme und rührte um. Das musste die richtige Zähflüssigkeit sein. Behutsam hob er eine seine vorbereiteten Violen auf und begann den schwarzen Extrakt abzufüllen. Wie flüssiger Teer zog die Substanz lange Fäden. Die Arbeit musste behutsam erfolgen. Kein Tropfen durfte daneben gehen. Diese und noch eine weitere Viole konnte er füllen. Er nickte lächelnd über sein vollbrachtes Werk und dachte bereits an seinen Degen, den er damit bestreichen würde. Vielleicht bis zu zwanzig Menschen würde er mit dem gewonnenen Extrakt töten können.

Bargh nickte Neire zu, der jetzt wieder den Raum betrat. Die Hände Neires zitterten nicht mehr so stark und ein Teil der Anspannung war abgefallen. Bargh sah, dass er die gesäuberten Töpfe des Sturmkochers trug, den sie zuvor beim Schmied von Dreistadt gekauft hatten. Er hatte dann Neire ruhig und interessiert bei seiner Arbeit zugeschaut. Doch innerlich war er aufgewühlt gewesen. Fast als ob Neire Gedanken lesen konnte, kam er auf ihn zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Immer wieder hatte er sich gefragt, wieso Neire nicht an seine Maske dachte. Hatte er es ihm nicht versprochen? Er blickte in das schlanke, von gold-blonden Locken umrahmte Gesicht seines Mitstreiters und konnte blaue Augen auffunkeln sehen. Neire stelle die Töpfe ineinander und begann feierlich zu sprechen. „Bargh, es ist die Zeit gekommen uns eurer Maske zuzuwenden. Lasst uns damit anfangen.“ Bargh jubelte innerlich auf. Es wich seine verkaterte Depression im Antlitz des neuen Erstrebens. Er sah, dass Neire bereits die skalpierte Haut des riesigen Bergpumas hervorgeholt hatte. Hastig wühlte er in seinem Rucksack nach den grünlichen Schuppen des von ihm getöteten Drachen. Er sah auch das Neire einige der Drachenschuppen auf den kleinen Nachttisch gelegt hatte. Zudem zog sein junger Begleiter den wertvollen schwarzen Opal hervor, den sie im Herrenhaus der Arthogs dem Herz des Wesens aus Dunkelheit entrissen hatten. Während Bargh sich noch um die Anordnung von Schuppen und Opal kümmerte, bearbeitete Neire die Pilze und das Harz zu einem Sud. Er nutze dazu die gesäuberte Pfanne, die er im metallenen Rahmen des Sturmkochers über die Ölflamme gebracht hatte. Nur durch die Hitze verschmolz das Harz mit dem zerkleinerten Pilz. „Schaut, Bargh. Wenn die alten Schriften Recht haben, wird dieser Sud, einst abgekühlt und ausgetrocknet, die Flächen aneinanderhalten, als wären sie verschmolzen.“ Bargh blickte Neire bewundernd an. Er mochte den Geruch von Harz und Pilz. Schon bald begann Neire die ersten Schuppen zu verkleben. Bargh stimmte dabei einen Gesang an die Schwertherrscherin an, in den Neire einfiel. So verbrachten sie Schuppe um Schuppe auf der Maske und zuletzt den großen schwarzen Opal, über der Position des rechten Auges.

„Bleibt ihr hier Bargh. Ich werde mir den Turm einmal genauer ansehen. Falls ich beim ersten Sonnenlicht nicht zurück bin, brecht die Türe auf.“ Neire flüsterte zischelnd in das Ohr Barghs und deutete auf den runden Turm, der unweit von ihnen knappe zehn Schritt hoch aufragte. Aus dem Turm sahen sie das Licht des Leuchfeuers ausgehen, das ab und an seine Richtung und Farbe änderte. Neire hatte kein Muster in diesen Änderungen gesehen, die sie bereits am ersten Abend ihrer Ankunft bemerkt hatten. Jetzt ließ er Bargh zurück und schlich im Schatten seines Tarnmantels über die kleine Gasse, die zu Wehrmauer und Turm führte. Von jenseits des Turmes konnte er die Wellen der Brandung rauschen hören. Eine Brise von Salz erfüllte die Luft und vermengte sich mit dem Geruch des unweiten Fischmarktes. Die Nacht war noch nicht weit vorrangeschritten, aber der bewölkte Himmel war bereits stockduster. Als er an der alten, aus dicken Steinquadern errichteten Mauer ankam, leitete er seinen Blick nach oben. Zum Meer hin hatte der Turm in seiner Spitze große Öffnungen. Wie Säulen, die das silberne Licht über die nächtlichen Fluten wiesen. Da war es wieder. Als er nach oben schaute pulsierte das Licht, sprang von Silber zu giftigem Grün und anschließend zu Violett. Er wollte dem nachgehen. Vorsichtig suchte er Halt in den engen Ritzen der Quader. Die Wand ragte senkrecht über ihm auf. Langsam zog sich Neire nach oben und begann sicherer zu werden, je höher er kam. Der Boden der Gasse war schon weit unter ihm, als seine Hand das Gesims der Leuchtkammer berührte. Über ihm war gleißendes Licht. Er kniff die Augen zusammen und zog sich über den Rand. Als er vorsichtig zu blinzeln begann, konnte er das Innere des oberen Gemachs erblicken. Vor ihm eröffnete sich ein Turmraum, dessen Rückseite von einem Halbkreis glänzender, menschengroßer Spiegel gesäumt war. Vor den Spiegeln war die Lichtquelle auszumachen. Von zwei goldenen Ketten getragen hing ein glühender Oktaeder-förmiger Kristall über einem Becken. Das Becken war mit rötlich-porösem Bimsgestein gefüllt, brannte jedoch nicht. Das Licht kam aus dem Edelstein selbst. Dort… da war es wieder. Während Neire langsam auf die Spiegel zu schlich, wechselte der Kristall abermals seine Farbe und Strahlrichtung. Neire suchte das Gemach ab. Neben einer Falltür nach unten, konnte er hinter den Spiegeln Ölkannen finden. Eine nähere Untersuchung des Kristalls offenbarte eine schwarze Schrift, die sich in geschwungenen Lettern über den Ring zog. Unsere silberne Herrin, sie leitet euch, sie weißt, den Weg. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor in der Zusammensetzung der Worte, in der Kommasetzung. Für einen kurzen Moment blickte er in die Flammen und da war etwas. Als ob eine Präsenz ihn betrachten würde. Als ob das Licht, von einer niederträchtigen Intelligenz beseelt, blicken würde. Er hatte genug gesehen und machte sich wieder an den Abstieg. Er ließ sich die Brüstung hinab, doch diesmal konnte er keinen geeigneten Halt finden. Wieder und wieder probierte er andere Stellen, doch zwecklos. So schlich er sich hinter die Spiegel und wartete dort. Vielleicht würde eine Wache nach dem Feuer schauen. Lange wartete er und als schließlich der Morgen graute, musste er handeln. Nochmals versuchte er sein Glück. Diesmal hatte er eine Stelle weiter außen gefunden. Er fand ausreichend Halt im Stein und kletterte hinab. Zu Bargh angekommen berichtete er ihm von seinen Erlebnissen. Gemeinsam schlichen sie, so unauffällig wie möglich, zurück zu ihrem Gasthaus. Während der Rückkehr spürte Neire bereits ein Dröhnen in seinem Kopf. Ein rhythmisches Pochen, das immer stärker wurde. Zudem brannte sich der magische Schutzring an seiner linken Hand in sein Fleisch. Es quälte und bohrte ihn bereits jetzt der Gedanke und er wusste, dass er sich vergangen hatte an Nebelheim. Das Ritual der Fackeln hatte er vergessen. Er, Neire, Kind der Flamme.

Das Licht war gleißend und blendete ihn. Doch er musste kämpfen und stürzte nach vorne. Hinter ihm hörte er noch die Falltür mit einem Krachen zustürzen. Bargh schwang sein Langschwert gegen die Kreatur aus grünlich-hellem Licht, die sich vor ihm aus dem Kristall gelöst hatte und sich ihm summend näherte. Er spürte eine elektrisierende Aura auf seiner Haut. Die Feuerkugel war etwa einen Schritt im Durchmesser und bestand aus waberndem, kaltem Licht. Sie schwebte in rasanter Geschwindigkeit auf ihn zu. Er reagierte schneller und ließ sein Schwert in einem tödlichen Schnitt durch die Kreatur fahren. Hatte das Licht ihn geblendet, gar getäuscht? Keinen Widerstand spürte er und musste den Schwung des Schlages abfangen. Jetzt sah er Neire von hinten auf die Kreatur einstechen, doch auch der Degen seines Begleiters fuhr ins Leere. Was war das für ein Zauber, der sie im obersten Raum des Leuchtturmes erwartete? Eigentlich hatten sie ihren Einbruch sorgfältig geplant. Neire hatte den gesamten Tag wie in einem Fieber im Bett verbracht. Er hatte schweißgebadet Gebete zu seiner Göttin gemurmelt und wie in einem Wahn von Nebelheim gesprochen. Von dem alten Fluch, der über der Stadt lag und den es zu ergründen galt. Dass er die immerbrennenden Fackeln des Inneren Auges entzünden musste – Nacht für Nacht. Neire hatte von sich als Auserwähltem gesprochen, diese Aufgabe zu übernehmen, um Nebelheim von seinem Schicksal zu retten. Nach Einbruch der Nacht hatte sein junger Begleiter dann das Ritual der Fackeln durchgeführt. Danach hatte sich sein Zustand verbessert. Sie hatten gegessen und dabei eine Zeitlang geplant. Dann waren sie zum Leuchtturm aufgebrochen. Kurz hatten sie Wachen auf der Stadtmauer gesehen, die wie sie das Lichtschauspiel des Leuchtfeuers verwundert betrachtet hatten. Als diese über den Wehrgang in die Dunkelheit verschwunden waren, hatte Neire die Türe aufgebrochen. Er hatte Bargh den Weg ins Innere gewiesen, wo eine lange runde Treppe aus Stein weit nach oben führte. Bargh hatte die Treppe genommen und Neire war wieder über die Außenmauer nach oben geklettert. Als Bargh die Falltür nach oben gestoßen hatte, hatte sich das Licht aus dem Kristall gelöst und war in eine Lebensform übergegangen, die ihm nun gegenüberstand. Immer wieder hackte und stach er mit seinem Schwert in Richtung des Lichts. Er verfehlte stets. Dann ging die glühende Kugel in den Gegenangriff über. Er spürte einen Schlag, das Verkrampfen seiner Muskeln und für eine kurze Zeit die Luft aus seinen Lungen weichen. Bargh torkelte benommen zurück. Doch Neire nutzte den Moment und stach in das Herz des Wesens. Für einen Augenblick war ein höheres Surren zu hören. Jetzt dränge auch er wieder heran und attackierte. Eine Zeitlang kämpften sie so. Als das Wesen sich vor einem der Spiegel platzierte, zerstörte Neire diesen mit einem Hieb des Degens. Danach wendete sich die lichtene Kugel Neire zu. Jetzt war sein Moment. Bargh drang nach vorn und ließ das Schwert niederfahren. Er zielte so, als ob er die Kreatur verfehlen würde – mit genügend Vorhalt. Und tatsächlich spürte er den Widerstand, als das Schwert sich in das faulige Herz der Erscheinung bohrte. Das Herz, das unsichtbar hinter gleißendem Licht verborgen war. Elmsflammen zuckten in einem letzten Todesschrei auf. Augenblicklich verdimmte der Schein und ein schwarzer Klumpen fiel mit einem Flatschen auf dem Boden. Dort wo die nach elektrisch verbrannter und verfaulter Haut stinkende Masse sich verteilte, sah Bargh jetzt Gegenstände liegen. Er ächzte und blickte sich um. Hinter ihnen lag die große, entvölkerte Stadt, die auf einst ruhmreiche Zeiten zurückblickte. Es war dunkel geworden um sie herum. Er hörte das Rauschen der nächtlichen Brandung unterhalb der Klippen des Turmes. Bargh trat zwischen die Säulen und blickte in Richtung Süden. Dort musste der Tempel der Ehre liegen. Der rote Kristall in der rechten Augenhöhle seines verbrannten, haarlosen Schädels schimmerte matt in der Düsternis.

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Titel: Sitzung 41 - Der Turm des Magistraten
Beitrag von: Jenseher am 18.11.2022 | 22:07
Durch die gotischen Säulen des jetzt dunklen Leuchtturmes pfiff der Wind des Meeres. Der Geruch von Algen und Salz war in der Luft. Bargh hatte sich mittlerweile niedergekniet und versorgte seine Wunden. Immer wieder blickte er in Richtung des Tempels der Ehre. Die Wut und der Hass auf seinen alten Orden wollten nicht weichen. Unter dem wolkenverhangenen Nachthimmel sah er nur Dunkelheit. Neire war zu ihm getreten und half ihm beim Anlegen der Verbände. Doch Bargh konnte nur das von den gold-blonden Locken eingerahmte Gesicht des Jünglings erkennen. Der Rest von Neires Körper war durch den elfischen Umhang in Schatten gehüllt. „Was tun wir jetzt Neire? Wir sollten diesen Ort verlassen.“ Neire nickte, während er antwortete. „Ja, ich habe bereits eine Idee.“ Bargh atmete noch immer tief von der Anstrengung des Kampfes und richtete sich jetzt auf. Er folgte Neire zu dem stinkenden Haufen von Haut und Fleisch, der von der Kreatur übriggeblieben war. Er beugte sich hinab und begann die Gegenstände in seinem Rucksack zu verstauen. „Bargh! Ich habe ein Geräusch von unten gehört. Stimmen. Vielleicht Wachen, die sich nähern.“ Bargh spürte die Aufregung in der jetzt zischelnden Stimme von Neire. Er verstaute hastig den letzten Beutel mit Münzen, dann richtete er sich auf. Neire hatte die noch geöffnete Falltür bereits geschlossen und sich in die Schatten gekauert. Bargh hörte nur noch die Stimme in der Dunkelheit. „Versteckt ihr euch hinter einem der Spiegel. Ich werde an Falltür lauern.“ Bargh packte sein Schwert, erhob sich und begab sich hinter einen Spiegel.

„Ich habe es dir doch gesagt. Es war keine gute Idee. Die Sache war von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Der junge Wächter des Tempels der Ehre bewegte sich vorsichtig die Stufen des Turms hinauf. Er hatte sein Kurzschwert gezogen und zitterte am ganzen Körper. „Ja… aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Seid still und geht. Vorwärts.“ Der ältere Soldat des Tempels stieß seinen jüngeren Gefolgsmann unsanft nach vorne. Die Dunkelheit war dicht und fast undurchdringbar. Sie trugen trotzdem keine Fackel bei sich. Es gab ein Knarzen als der Jüngere das schwere Holz der Luke nach oben drücke. Hervor kam ein pausbackiges Gesicht eines Mannes, der vielleicht etwas mehr als 20 Winter gesehen hatte. Furcht stand in seinen Augen, als er das Zwielicht abtastete. Dann zog er sich über die Stufen nach oben. Ihm folgte der Ältere, der von muskulöser Gestalt war und dessen haarloser Schädel einige Narben trug. Der Jüngere war bereits zum Becken mit dem Kristall vorgedrungen, als sich die Masse von Schatten hinter dem Älteren zu bewegen begann. Keiner von beiden sah das Funkeln des Stahles, als der Degen sich von hinten durch den oberen Torso bohrte. Der Stich war präzise und tödlich. Der Ältere spucke gurgelnd Blut, als er, nach Luft schnappend, wie ein nasser Sack zu Boden sank. Der Jüngere blickte sich panisch um, doch er sah keinen Gegner. Auch die blutige Klinge verschwand geisterhaft in den Schatten. Was ist das nur für eine schwarze Magie, dachte er sich und drehte hastig den Kopf. Da war sie plötzlich, die Erscheinung. Ein Ritter stand vor einem Spiegel, seine Silhouette von den anderen Spiegeln wiedergegeben. Ein roter Kristall schimmerte glühend in seinem rechten Auge. Er hatte ein Schwert erhoben und kam auf ihn zu. Der verbrannte Schädel des Ritters brannte vor Hass, seine narbige Haut schrie nackte Gewalt. Was war das nur für ein Alptraum? Dafür war er nicht ausgebildet worden. Er wollte um Gnade betteln, doch er konnte nicht. Er wollte laufen, doch er konnte nicht. Der Ritter hatte ihn längst erreicht und die Klinge seines Hasses senkte sich unaufhaltsam hinab. Er spürte noch den warmen Strom an seinem Bein hinab gehen, als er sich einnässte. Dann kam der Stahl. Kalt und unbarmherzig griff er nach seinem Leben.

Sie hatten die beiden Wachen auf die Brennsteine und unter dem großen Kristall platziert. Bargh hatte die Schwerter so in ihre Körper gesteckt, als ob es aussah als ob sie sich gegenseitig getötet hatten. Dann hatte Neire gesagt er sollte sich auf den Weg zum Gasthaus machen. Neire wollte sich um alles andere kümmern. Jetzt stand Neire alleine in dem dunklen Gewölbe des alten Turms. Er hatte eine Karaffe von dem zähflüssigen Öl in Hand. Für einen kurzen Moment dachte er nach. Dann begann er das Öl langsam über Boden und Spiegel zu verteilen. Karaffe um Karaffe verteilte er so. Bis der gesamte Boden und alle Spiegel bedeckt waren. Er stellte sich vor einen Spiegel und begann das Öl zu entzünden. Zuerst wollte die träge Substanz nicht richtig Feuer fangen. Doch dann flackerten bläuliche Flammen auf. Neire folgte dem Schauspiel fasziniert. Die kindliche Freude, die er in diesem Moment verspürte, erfüllte ihn mit Glück. Er blickte in den Spiegel und zog seine Kapuze zurück. Er dachte zurück an Nebelheim. An seine Zeit als Anwärter. Als er noch den obsidianernen Boden putzen musste. Er dachte wehmütig zurück und erinnerte sich an ihre Stimme. Er wusste auch jetzt noch genau was Lyriell, die Kupferne Kriegerin, damals zu ihm gesagt hatte, als er sein Spiegelbild im Obsidian betrachtet hatte. Er flüsterte die Worte in die Flammen, so als ob er mit seinem Spiegelbild sprechen würde. „So klein und schon so selbstverliebt. Dabei hast du noch nicht die große Prüfung hinter dir, Anwärter.“ Er wusste auch noch, was er geantwortet hatte. „Ich habe keine Angst vor der Prüfung. Ich habe bereits mein Schicksal im inneren Auge gelesen.“ Auch jetzt betrachtete er sich in dem langsam größer werdenden Feuer. Das blau der Flammen war schon in ein gelb übergegangen. Sein Gesicht war nicht mehr so eingefallen wie zuvor, wie in den langen Regennächten am Wolfsfelsen. Wie lange das wohl schon her war? Er hatte die Tage nicht gezählt, die nach seiner Flucht aus Nebelheim vergangen waren. Jetzt hatten sie eine Aufgabe. Für Bargh. Doch dann? Was würde danach passieren. Er durfte Nebelheim nicht vergessen. Er sah eine einzige Träne über seine Wange rollen. Doch war es der Gedanke an Lyriell und Nebelheim, der seine Emotionen entfachte oder weinte er um seine Schönheit – das Kind der Flamme, das sich in Feuer und Schatten ewiglich jugendhaft geborgen wähnt. Er wusste es nicht. Er drehte sich rasch um. Der Spiegel begann sich bereits zu verbiegen. Er entzündete noch die Steine im Becken und schlich sich in Richtung Falltür. Als er den Geruch von verbranntem Fleisch vernahm, zog er sich die Kapuze über und ließ sich über die Stufen in die Dunkelheit hinab. Hinter ihm prasselten die Flammen des Ölfeuers und er hörte das Brechen des ersten Spiegels. Doch seine Gedanken waren in Nebelheim und bei seiner Lyriell. Sie war jetzt im Reich der schwarzen Natter. Dort wo der Stein flüssig brannte. Dort wo die Dunkelheit Runen in das brodelnde Magma zeichnete.

Bargh stand auf dem Pier und blickte auf die drei Männer im Ruderboot hinab. Er hielt sich im Hintergrund während Neire mit den beiden sprach. Sie waren am letzten Abend unerkannt in das Gasthaus zurückgekehrt. Aus der Ferne hatten sie das Feuer brennen sehen können, das auch am heutigen Tag noch im Turm wütete. Doch Wachen des Tempels der Ehre schienen keine Versuche zu machen das Feuer zu löschen. Er wollte gerade wieder seinen Blick dem Turm zuwenden, als einer der Jungen im Boot Neire abermals ansprach. „Seid ihr eigentlich auch auf dem Weg zum Tempel der Ehre? Wollt ihr euch dem Orden anschließen, wie wir es tun wollen?“ Die Sonne brach gerade wieder durch die Wolken und ließ das Wasser des Hafens grünlich schimmern. „Nein, wir suchen, wie bereits gesagt, ein Boot, das nach Fürstenbad fährt. Aber das scheint es ja hier nicht zu geben. Auch wissen wir ja nicht ob sie uns im Tempel überhaupt nehmen würden.“ Der etwas verwahrlost aussehende Junge deutete jetzt auf ihn und lachte, während sein Freund anfing leise zu murmeln. „Müsst ihr eigentlich immer jeden ansprechen?“ Doch der Junge mit den verfilzten Haaren und fauligen Zähnen ließ sich nicht beirren und erhob erneut das Wort. „Der da sieht aus wie ein stattlicher Krieger. Natürlich würden sie einen Krieger nicht abweisen.“ Bargh musste jetzt auch lachen, obwohl er die neue Gesprächigkeit von Neire nicht mochte. Er klopfte sich mit seinem Panzerhandschuh auf die Augenbinde, die den Rubin überdeckte und sprach. „Nun, ich sehe ja mit einem Auge nur noch halb so viel. Ich bin mir nicht sicher ob sie dort so etwas gebrauchen können.“ Der Junge dachte kurz nach, dann antwortete er erneut. „Naja, wenn ihr halb so viel sehen könnt, aber dafür doppelt so feste zuschlagt, solltet ihr keine Probleme haben.“ Jetzt sah er auch Neire lachen, der den Jungen zynisch anschaute. „Weise Worte.“ Der Junge grinste und deutete auf seinen Kopf, indem er Barghs vorherige Geste imitierte. „Jaha, hier oben ist ganz schön viel los, ja… ganz schön viel los hier oben.“ Jetzt fiel der ältere Mann mit der Glatze dem Jungen ins Wort. Er hatte die Taue schon gelöst und schaute Neire und ihn an. „Also wollt ihr jetzt mit? Ich habe noch zwei Plätze frei.“ „Nein, wir wollten nach Fürstenbad. Wie schon gesagt.“ Antwortete Neire. Das Boot legte daraufhin ab, während sich Neire und er in Richtung Fischmarkt begaben. Vielleicht werden wir uns wiedersehen, dachte Bargh. Dann wollte er sehen, was in dem Kopf des Bastards los war. Er würde dort schon nachschauen. Sein Schwert würde ihm dabei helfen.

Neire ächzte, als er den leblosen Körper auf den Boden fallen ließ. Sie waren nach ihrem Besuch auf dem Fischmarkt wieder in das Gasthaus zurückgekehrt, wo sie den Rest des Tages verbracht hatten. Auf dem Fischmarkt hatten sie einen Fischer, der sich Bregor nannte, überzeugt, mit ihnen auf Fischfang zu gehen. Sie wollten sich am nächsten Abend, oder am darauffolgenden Abend mit ihm treffen. Im Gasthaus hatten sie dann in ihrem Raum gewartet bis es Nacht wurde. Die Zeit bis dahin hatten sie mit Gebeten an ihre geliebte Göttin verbracht. Nachdem Neire dann sein Fackelritual durchgeführt hatte, waren sie aufgebrochen. Im Schutz der Dunkelheit waren sie bis zu einem Turm der Stadtmauer gelangt, in dem sich eine Türe befand. Sie hatten die Türe aufgebrochen und hatten geplant so lange zu warten, bis die Wachen den Wehrgang über ihnen passiert hatten. Neire hatte sich auf der Wehrmauer in die Schatten gekauert. Doch der Plan hatte nicht funktioniert. Die Wachen waren nicht an ihnen vorbeigegangen, sondern waren in den Wachraum hinabgestiegen. In diesem Moment hatte Neire zugeschlagen. Die erste Wache hatte er von hinten mit seinem Degen ermordet und so leise wie möglich fallen lassen. Dann hatte er auch die zweite Wache gemeuchelt. Jetzt lagen beide Wachen in einer Lache von Blut unter der hölzernen Wendeltreppe. Neire blickte Bargh an und flüsterte keuchend. „Es ist Zeit für unsere Masken. Der Weg über die Mauer ist frei. Lasst uns herausfinden welche Geheimnisse die Magier der Küstenlande hinterlassen haben.“ Bargh nickte freudig und zog seine Maske mit dem grünen Drachenschuppen und dem schwarzen Opal hervor. Die Maske machte ihn unheimlich. Auch Neire zog sich die Maske der Feuerschlange über, die er noch aus Nebelheim hatte. Gemeinsam schlichen sie sich über die Mauer, bis sie die drei alten Türme genauer sehen konnten. Die drei Türme waren alle zylinderförmig. In den beiden kleineren Türmen konnte Neire Licht sehen. Der große Turm schien verlassen zu sein. Sie ließen sich an der Mauer hinabgleiten. Neire kletterte, während Bargh Kraft seines Ringes wie von Zauberhänden getragen in die Tiefe sank. Dann schlich sich Neire auf den großen Turm zu. Er sah zwei Eingangsportale. Große Türen waren mit blumenförmigen Mustern verziert. Beide besaßen ein Schloss, das von einem Muster umgeben war. Eine Untersuchung nach Fallen offenbarte kleine Löcher und einen gespannten Faden im Schloss. Neire begann vorsichtig das Schloss zu knacken, indem er den Faden mied. Und tatsächlich hörte er ein Knirschen, als sich das Schloss bewegte. Er kehrte zurück zu Bargh. Gemeinsam drangen sie in das Innere vor, das sich als verlassen herausstelle. Staub bedeckte den Boden, als ob jahrelang kein Besucher mehr die Halle betreten hätte. Die stattliche Halle war mit kunstvollen Bildern ein und desselben Mannes ausgestattet. Selbst die Decke war von einem Bild von ihm bedeckt. Der Mann trug feuerrotes gelocktes langes Haar und hatte leuchtend blaue Augen. Nachdem sie die Türe hinter sich zugezogen hatten flüsterte Neire verächtlich. „Was für ein menschlicher Abschaum. Wir sind Diener Jiarliraes. Wer ist mehr?“ Sie berieten sich daraufhin kurz. Bargh wollte unten warten, während Neire die Treppen untersuchen wollte. Er schlich sich vorsichtig die Stufen hinauf in ein darüberliegendes Herrschaftsgemach. Die Decke war bemalt mit einem strahlenden Himmel von Sonnenschein. Kostbare Einrichtungsgegenstände und gotische Möbel füllten die Halle. Auch hier war ein wertvoller Teppichboden zu sehen. Sogar ein verzierter Badezuber war neben dem prunkvollen Himmelbett zu sehen. Doch Neire erstarrte wie zu einer Eissäule, als er in Richtung eines Schminktisches blickte. Dort saß eine Gestalt vor einem zerbrochenen Spiegel. Zuerst konnte er nicht genau erkennen, ob es sich um eine Leiche handelte. Die greisenhafte Gestalt hatte schwarze Stellen von verfaulter Haut auf ihrem Kopf, auf dem Neire noch hier und dort Stellen des roten lockigen Haares sah. Doch da war es. Er hatte bemerkt, dass sich der Brustkorb der Gestalt gehoben hatte. Als ob diese atmen würde. Es folgten keine weiteren Atemzüge. Neires Herz begann höher zu schlagen. Er zog langsam den Degen unter seinem Umhang hervor. Langsam schlich er auf die Gestalt zu. Für einen Moment war er unachtsam und streifte beim Losgehen die Kante einer Kommode. Doch das kleine Geräusch war genug um die Gestalt hochschrecken zu lassen. Zuckend begann sich diese zu bewegen. Ruckhaft blickte der Kopf in seine Richtung. Er konnte eine große Kette erkennen, die um ihren Hals gelegt war. Dort war das Wappen der Stadt zu sehen. Neire hörte einen hellen Schrei, der von der Kreatur ausging. Er blickte in matte graue Augen. Das Grinsen des Wesens offenbarte faulige Zähne. Nachdem Neire kurz eingefroren war schlich er trotzdem weiter. Von unten hörte er schon die Schritte von Bargh nahen. Auch die Gestalt schien das abzulenken. Schließlich kam er im Rücken des Greises an. Die Kreatur hatte gerade begonnen seltsame Formeln zu murmeln, als er zustach. Tief drang der Degen und die arkanen Formeln verhallten ins Leere. Auch Bargh warf sich der Gestalt jetzt entgegen. Der Streich von Bargh drang tief in den Hals hin und der Mann vor dem zerbrochenen Spiegel hauchte mit einem letzten schrillen Schrei sein Leben aus.
Titel: Sitzung 42 - Feuer und Dunkelheit in Dreistadt
Beitrag von: Jenseher am 24.11.2022 | 21:58
Die Ruhe nach dem Todesschrei des fauligen Greises war gespenstig. Die Gestalt war jetzt in sich zusammengesackt und ein Fäulnisgeruch ging von ihr aus. Neire und Bargh schauten sich in dem Gemach um, das von dem durch die gotischen Fenster eindringenden Mondlicht erhellt wurde. Neben dem schweren Atmen von Bargh waren keine weiteren Geräusche zu hören. Aufgewirbelte Partikel reflektierten hier und dort das silberne Licht und erzeugten eine nebelhafte Distanz zu dem vergangenen Prunk. Von der Heftigkeit des Kampfes immer noch überrascht, nickte Neire Bargh zu und beugte sich langsam über den Leichnam hinab. Der Jüngling, von dem momentan nur Schatten zu sehen waren, begann die leblose Gestalt zu durchsuchen. Bis auf einen verzierten Ring und die große goldene Kette mit dem Wappen der Stadt, fand er aber nichts. Plötzlich horchte Neire auf. Durch die Fenster hatte er aufgeregte Stimmen von draußen gehört. Wachen hatten sich dem Turm genähert. „Vergesst es. Bis hierhin und nicht weiter. Zutritt verboten.“ Hörte Neire die erste Stimme sagen. Er zog seine Kapuze etwas zurück und strich die Haare von seinem Ohr. Seine gold-blonden Locken schimmerten im Mondlicht - die Maske der Feuerschlange trug glänzende Juwelen. „Ja, aber… habt ihr es nicht gehört? Der Schrei?“, antwortete eine andere Stimme. „Jeder hat es gehört. Doch für uns geht es hier nicht weiter. Befehl ist Befehl.“ Eine Zeitlang lauschte Neire den Stimmen, bis er zwei neue Stimmen hörte. „Ihr da, was macht ihr hier?“ Fragte ein älterer Mann in barschem Ton. „Irgendetwas stimmt hier nicht. Habt ihr nicht den Schrei gehört?“ Antwortete die Stimme von vorher. „Ja, haben wir. Aber für euch ist jetzt Schluss hier. Geht zurück auf euren Streifgang.“ Die beiden Wachen schienen sich zu fügen und langsame Schritte begannen sich zu entfernen. Jetzt war es an der Zeit das Gemach zu durchsuchen. Bargh und Neire machten sich vorsichtig an die Vielzahl von Schubladen und Kästen, die der Hallen-artige Raum zu verbergen hatte.

Vorsichtig ließ sich Neire an der Außenfassade des Turmes hinab. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Über ihm brach ab und an der Mond durch die Wolken. Es war bereits etwas kälter geworden. Als er sich in das weiche, nasse Gras hinabsinken ließ, konnte er bereits die Schatten der beiden Wachen erkennen, die sich vor dem Eingangsportal des Magistratenturms postiert hatten. Dunkel ragten die beiden anderen Türme auf, aus dessen Schießscharten ein Lichtschimmer zu erkennen war. Neire schlich sich vorsichtig auf die Gestalten zu, die nun in sein Sichtfeld kamen. Nur einen kurzen Moment dachte er an die Schätze, die sie bei der Durchsuchung des Gemachs gefunden hatten. Es waren einige Juwelen und Schmuck gewesen sowie ein magischer Ring und magisches Amulett. Ein Gegenstand hatte jedoch in besonderer Weise seine Aufmerksamkeit erregt. Es war eine Dose mit gefülltem Gelee gewesen, auf deren Rückseite er das eingravierte Bild einer wunderschönen Frau gesehen hatte. Diese Frau hatte er als die Göttin Sune identifiziert. Doch als er für einen kurzen Moment seine Augen abgewendet hatte, war das Bild einer inneren Wandlung unterzogen gewesen. Als ob das Gesicht sich verzerren würde, zu einem boshaften und niederträchtigen Grinsen. Er hatte das Gelee untersucht und tatsächlich nur normale Kräuter für Haut und Gesichtspflege festgestellt. Doch sein Gespür für Flüche hatte ihn gewarnt. Irgendetwas stimmte mit der Substanz nicht. War die Substanz vielleicht für den Wandel des Magistraten verantwortlich? Er verwarf den hastigen Gedanken und schlich sich weiter durch Schatten. Als er im Rücken der ersten Wache ankam, zog er den Mantel enger und bereitete den Degen zum tödlichen Stoß vor. Er war jetzt bis aufs Äußerste gespannt. Dann ließ er den Degen nach vorne schnellen. Er spürte den Widerstand des Kettenhemdes, doch die Glieder sprangen entzwei durch die Wucht des Stoßes. Sein Degen traf das Herz und die Wache im gelben Umhang ging zuckend zu Boden. Die andere Wache blickte sich erschreckt um und setzte zu einem Schrei an. Doch auch diesmal war Neire schneller. Er bewegte sich einen Schritt hinter die Gestalt und griff abermals an. Der Degen drang vom oberen Teil des Rückens durch den Hals. Ein feiner Strahl von Blut sprühte hervor und die Gestalt begann zu röcheln. Doch schwer verletzt konnte die Wache sich auf den Beinen halten. Der noch junge Mann fing an zu schreien. „Hilfe, kommt herbei, eine Abscheulichkeit, schwarze Kunst…“ Neire sah bereits aus den Augenwinkeln die zwei weiteren Wachen zu Hilfe eilen. Auch sie trugen Kettenhemden und farbige Mäntel. Einer der beiden hatte einen grünen Mantel, der andere einen grauen. Sie konnten ihn anscheinend nicht ausmachen und stürzten sich in den Nahkampf. In diesem Moment schwang die Tür des Turmes auf. Bargh trat heraus. Die Maske der grünen Drachenschuppen und des schwarzen Opals bedeckte sein Gesicht. Mondlicht glitzerte auf seinem Plattenpanzer. Er hob sein Schwert und tötete die verletzte Gestalt mit einem tiefen Schnitt. Ein heftiger Kampf entbrannte jetzt mit den beiden neu eingetroffenen Wachen. Sie wehrten sich mit all ihrer Kraft, wurden dann aber von Bargh und Neire niedergestreckt.

Bargh drehte sich um. Er sah nicht viel von Neire, doch er wusste ungefähr, wo sich der Jüngling mit dem Schattenmantel befand. Neire machte sich gerade an dem Türschloss des zweiten Turmes zu schaffen. Sie hatten den ersten der beiden erleuchteten Türme bereits erkundet. Die Eingangstüre war auch mit einem Schloss versehen gewesen, das Neire geknackt hatte. Im Inneren hatten sie eine hohe, runde Halle vorgefunden, an deren Wänden sich gefüllte Bücherregale befanden. Sie hatten dort zwei Leitern und einen Kronleuchter gesehen, in dem ein kleines Feuer brannte. Die Bücher und Schriftrollen waren daraufhin von ihnen untersucht worden. Neire hatte zudem immer wieder gehorcht, ob Gefahr im Anmarsch sei. Doch er hatte eine längere Zeit nichts gehört. Die Bücher waren teils einfache Geschichten und Romane gewesen. Doch sie hatten auch schriftliche Aufzeichnungen des Handels des Magistraten gefunden. Auch der Gelee-artige Gesichtsaufstrich war als Schachtel von Sune vermerkt gewesen, nur ohne die Angabe eines Verkäufers. Es waren aber einige interessante Dinge vermerkt. So war zum Beispiel von einer Münze von Tymora die Rede, die als Fälschung gekennzeichnet war und vor kurzer Zeit an den Müller von Mühlbach verkauft wurde. Bargh hatte sich dabei an die Geschichte von Neire erinnert. Was er in dem Keller von Mühlbach gesehen hatte. Ein Stern von Selune wurde gekauft und auch die Schachtel von Sune war vermerkt gewesen. Zu guter Letzt hatten sie eine alte Karte der Tempelinsel gefunden, auf der einige Ruinen eingezeichnet waren. Sie hatten daraufhin den Raum verlassen und sich dem letzten der drei Türme zugewandt. Jedoch mochte Bargh die anhaltende Ruhe nicht. Irgendetwas musste hier faul sein oder wollte er nur weiter töten? Er blickte am Turm vorbei in Richtung Stadt. Die Wolken waren mittlerweile vollständig aufgerissen und so konnte er dunkle Umrisse der Stadtmauer im silbernen Mondlicht sehen. Er hörte ein Flüstern aus Richtung der Türe. „Bargh, der Weg ist frei. Lasst uns sehen was sich in diesem Turm befindet.“ Bargh machte einen Schritt zur bereits halb geöffneten Tür und schaute in den Turm. Sein von Blut verschmiertes Schwert schimmerte dunkel unter dem Vollmond. Es kam ihm der Geruch von Lebensmitteln und Rauch entgegen. Das Gemach wurde erhellt von einer Feuerschale, die durch Ketten getragen von der Decke hinabhing. Hier und dort sah er Säcke mit Getreide, Körbe mit Nüssen und Wurzeln, Trockenfleisch und Würsten. Auch einige Fässer waren zu sehen. Eine kleine Treppe führte in ein oberes Stockwerk. Er spürte, dass Neire an ihm vorbeischlich und folgte ihm in das obere Gemach. Er kam in einen weiteren kreisrunden Raum, über dem er das Dachgebälk sehen konnte. Offene Schießscharten waren in jede Himmelsrichtung in den Stein gelassen. In einem Halbkreis standen ein Dutzend schwere Truhen. Jede einzelne war kniehoch und etwa einen Schritt lang. Die Truhen waren mit schweren Eisenstreben verstärkt. Überall waren große Vorhängeschlosser zu sehen. Augenblicklich hörte er die Stimme von Neire. „Bargh, ich werde nach den Schlössern sehen. Achtet ihr auf die Treppe nach unten.“ Er nickte und postierte sich an den Eingang des Raumes. Von unten sah er das Licht der brennenden Schale schimmern. Sie sollten nur kommen, dachte er sich. Er würde schon mit ihnen fertig werden. Junge Burschen, die den Dienst an der Waffe noch nicht lange begonnen hatten. Nicht wie er, ja… Hinter sich hörte er die ersten Schlösser knacken. Neire hatte bereits zwei Truhen geöffnet, die aber beide leer waren. Bei der dritten und der vierten Truhe hatten sie mehr Glück. Gold und Edelsteine zog Neire hervor und ließ sie in seiner magischen Schatulle verschwinden. Als Neire sich bereits der fünften Schatulle gewidmet hatte, hörte Bargh in Fluchen. Das Kratzen des Dietrichs auf Metall war zu hören. Dann ging alles ganz schnell. Zuerst war da ein kleines Summen, wie das eines Gongs. Tief und hoch zugleich. Es pulsierte und wurde lauter und lauter. Das Geräusch schwoll in rasanter Geschwindigkeit an - bis es ohrenbetäubend wurde. Aus dem Schloss sprang zudem etwas hervor. Eine kleine schwarze Kugel, die sich in einem Bogen dem Boden näherte. Als die Kugel den Boden berührte breitete sich in kürzester Zeit eine schwarze Schicht einer viskosen Substanz über die Steine des Gemachs aus. Bargh sprang zurück und sah auch, dass Neire sich bereits auf eine Truhe gerettet hatte. Das Geräusch war jetzt so laut, dass sein Trommelfell zu bersten drohte. In was für eine List war Neire da hineingetappt? Bargh hielt sich die Panzerhandschuhe auf die Ohren, doch es half nichts. Dann verstummte das Geräusch. Plötzlicher als es gekommen war. Bargh hörte nur noch ein hohes Fiepen in den Ohren. Dann war da Neires Stimme, entfernt und schwach: „Bargh, wir müssen handeln. Geht und entzündet die beiden anderen Türme. Flieht danach durch die Dunkelheit. Wir sehen uns im Gasthaus wieder.“ Bargh lächelte Neire an, doch seine Maske überdeckte seine Gesichtszüge. Die Türme sollten brennen und mit ihnen die Leichen. Endlich konnte er handeln. Wortlos nickte er Neire zu und verschwand über die Treppe ins untere Geschoss.

Neire schlich geduckt durch den Raum. Es stieg bereits Rauch von den Getreidesäcken auf. Hier und dort züngelten die ersten Flammen auf. Er spürte in diesem Moment die Dualität von Feuer und Schatten in ihm. Er war so aufgeregt, doch auch von einem tiefen inneren Glück erfüllt. Gerade hatte er die Eingangstüre zum Turm verschlossen, um ein Eindringen der Wachen zu verhindern. Nachdem Bargh ihn verlassen hatte, war er vorher mit den anderen Truhen beschäftigt gewesen. Er hatte eine nach der anderen geöffnet. Irgendwann hatte er Schreie gehört und einen Trupp von Wachen durch die Stadt eilen sehen. Sie mussten aus der Hafengegend gekommen sein und bewegten sich in Richtung der drei Türme, von denen zwei bereits in Flammen standen. Das Feuer, das Bargh gelegt hatte, hatte sich rasch ausgebreitet. So hatte Neire sich beeilt und die letzte Truhe geöffnet. Diese war leer gewesen. Aus den anderen Truhen hatte er jedoch einige Schätze bergen können, die er in seiner magischen Schatulle verstaut hatte. Er schlich sich in das Dunkel des oberen Gemachs und lugte durch die Schießscharten. Die Wachen waren mittlerweile durch das Gatter der kleineren Mauer gebrochen, die den Teil des Magistratenturms abschirmte. Die Gestalten irrten zwischen den beiden brennenden Gebäuden hin und her und riefen sich neue Befehle zu. „Holt Wasser!“, „Die Türme brennen. Rettet den Magistraten.“ „Das Feuer ist zu groß, wir können nicht hinein.“ „Dann holt Wasser, ihr dort.“ Neire entschloss sich die Gunst der Verwirrung zu nutzen und an dem Turm hinabzuklettern. Als er sich an der Mauer hinunterließ hörte er plötzlich einen schaurigen Schrei. „Leichen, unsere Kameraden, sie sind alle tot. Wo sind die Mörder? Welche Abscheulichkeit.“ Dieser Ausruf stachelte ihn irgendwie an. Er hatte geplant diesen Ort im Schutze der Schatten zu verlassen. Doch jetzt reifte ein neuer Plan. Auf der Rückseite des Turmes kauerte er sich nieder und begann den dunklen Giftextrakt des bunten Vierlings auf seinen Degen zu streichen. Dann schlich er sich um den Turm und beobachtete die Szenerie. Beide Gemäuer standen bereits vollkommen in Flammen. Das Feuer schlug aus Schießscharten hervor und tobte pfeifend durch die Vollmondnacht. Wie in einem Albtraum rannten die Wachen auf und ab. Wie kleine Ameisen bewegten sie sich wirr. Neire kauerte in den Schatten und wartete auf seinen Moment. Er schaute in das Feuer und versuchte Formen in den Flammen zu entdecken - die Runen seiner Göttin. Doch er sah nur die alles vernichtenden Flammen. Da wusste er, dass er töten musste. Als sich zwei der Wachen auf den dritten Turm zubewegten, um nach Wasserfässern zu suchen, kam seine Gelegenheit. Der ersten Gestalt rammte er hinterhältig seinen Degen in den Rücken. Tödlich verwundet sank diese zu Boden. Im prasselnden Feuer hatte der Kamerad der Wache noch nichts bemerkt. Und so wurde auch er ein Opfer eines weiteren Angriffs. Neire zog sich wieder zurück und wartete ab. Es dauerte nicht lange und die toten Wachen wurden entdeckt. „Wir werden angegriffen.“ Schallten die Stimmen über den Platz. „Schwärmt aus und sucht sie!“ Neire wartete bis er zwei weitere Wachen sah, die jetzt von den brennenden Türmen in die Dunkelheit schritten. In ihren jugendlichen Gesichtern war Angst zu sehen. Er hatte das Gift auf seinem Degen erneuert und meuchelte die erste der Gestalten. Doch bei der zweiten traf er nicht richtig das Herz. Schwer verletzt, doch um sich schlagend, wimmerte die Wache, als sie um ihr Leben kämpfte. Und wieder zog sich Neire zurück. Er trug abermals Gift auf seinen Degen, ließ die Wache weiter ins Leere schlagen und schlich den letzten beiden Wachen nach. Der erste Angriff tötete eine der beiden Wachen mit der Wirkung des Giftes. Der zweiten stach er, nun in einem Mordrausch, dreimal in den Rücken, bis der leblose Leib zu Boden fiel wie ein nasser Sack. Nun schlich er sich zur bereits verletzten Wache, die er von hinten meuchelte. Er atmete keuchend auf. Noch immer war das hohe Fiepen in seinen Ohren. Sein Degen schimmerte nass im Licht des Feuers und seine Maske war von Blut bedeckt. Auch der dritte Turm hatte mittlerweile angefangen zu brennen und lodernde Flammen schossen aus den Schießscharten hervor. Jetzt musste er seine Spuren verwischen. Neire begann die Leichen, eine nach der anderen, in Richtung des Bibliothekturms zu ziehen. Dort wickelte er sich in einen Umhang und warf sie ins Feuer. Nur einen Leichnam verschonte er. Diesen Leichnam brachte er zu den Klippen. Er begann mit einem weiteren Kurzschwert in die drei Wunden des Rückens zu stechen. In der dritten Wunde ließ er das Schwert stecken. Die Taschen der Gestalt füllte er mit Münzen, die er auch in der rechten Hand platzierte. Dann blickte er sich nochmals um und betrachtete sein Werk. Die drei Türme brannten mittlerweile lichterloh. Er wendete sich ab und floh durch die Schatten hinfort. Die Flammen waren nach Dreistadt gekommen und mit ihnen die Schatten. Er hoffte, dass die Königin von Feuer und Dunkelheit stolz auf ihn sein würde. Die Welt sollte brennen und er würde IHR Prophet sein. Die Runen werde er lesen in der feurigen Düsternis.
Titel: Sitzung 43 - Die Insel des Tempels
Beitrag von: Jenseher am 5.12.2022 | 11:53
Neire huschte durch die leeren Straßen. Es war noch kühler geworden. Der Vollmond ließ die Häuser und die Stadtmauern wie schattenhafte Konturen aufragen. Neire war noch immer voll von Adrenalin. Ein Gefühl von tiefem Glück suchte ihn heim, immer dann, wenn er sich umschaute. Hinter ihm brachen gewaltige Flammen von der kleinen Anhöhe des abgesperrten Bereichs des Magistraten. Die drei Türme innerhalb der inneren Mauer der Stadt standen jetzt völlig in Flammen. Die dichten Rußwolken waren als dunkle Säule im Mondlicht zu sehen. Der Brand war wohl noch weit über Dreistadt hinweg zu erblicken. Vielleicht bis zum Tempel der Ehre. Frohlockend jauchzte Neire innerlich auf. Das war sein… das war ihr Werk gewesen und es würde Aufmerksamkeit erzeugen. Er hoffte, dass der nächtliche Mord an einem Dutzend Wachen und die Brandstiftung eine Reaktion provozieren würde. Er hoffte, dass der Tempel der Ehre reagieren würde und seine besten Wachen nach Dreistadt schicken würde. Dann sollte der Weg frei sein für sie. Frei für die Rache von Bargh und die Gunst von Jiarlirae. In diesen Gedanken schwelgte er, als er langsam die Außentreppe des Gasthauses hinaufschlich. Dort stand Bargh, sein Begleiter, der ihn noch nicht erkannt hatte. Im verbrannten Gesicht, in dem verbliebenen Auge des einstigen Ritters, spiegelte sich die ferne Feuersbrunst. Neire sah, dass Bargh lächelte, als er in diese Richtung blickte. Mit seiner gespaltenen Zunge formte er Worte. Worte in der heiligen Sprache von Nebelheim, die ihrer Göttin, der Königin von Feuer und Dunkelheit, huldigten.

Bargh sah Neire ächzen. Der Jüngling fasste sich noch immer an seinen Oberschenkel. An die Stelle, wo er im gestrigen Kampf verletzt wurde. Bargh erinnerte sich an den letzten Abend. Nachdem Neire zurückgekommen war, hatten sie seine Wunden versorgt und ein wenig Wein getrunken. Dann war Neire in einen tiefen Schlaf gesunken und er hatte die erste Nachtwache übernommen. Er hatte bemerkt, dass Neire immer wieder im Schlaf gemurmelt hatte. Schließlich hatte er sich kaum noch wachhalten können und Neire hatte ihn abgelöst. Jetzt, als er langsam aufwachte, vernahm er den beißenden Geruch des bunten Vierlings. Neire hatte das alchemistische Besteck in ihrem Gemach aufgebaut und der dunkle Sud köchelte in den bauchigen Glasviolen. Er begann langsam die Stahlplatten seiner Rüstung anzulegen und schaute Neire zu. Sein Begleiter hatte den Schattenmantel abgelegt und schien in tiefe Konzentration verfallen zu sein. Immer wieder strich sich Neire die gold-blonden Locken zurück, wenn er sich zu seinen Gefäßen hinabbeugte. Bargh stand ruckhaft auf. Er wusste um die Gefährlichkeit des bunten Vierlings violetter Farbe. Er durfte Neire nicht stören. So bewegte sich durch die Tür und den kleinen Flur auf das hölzerne Podest, auf dem die äußere Treppe endete. Es offenbarte sich ihm der mittägliche Blick über Dreistadt. Ein kühlerer Wind war aufgekommen und jagte tiefliegende Wolken aus Richtung des Meeres heran. Für einen Moment stand er da und zog die nach Salz riechende Luft ein. Dann ließ er seinen Blick über Häuser und Stadtmauern schweifen. Die Straßen von Dreistadt waren heute leerer als zuvor. Und dennoch konnte er Bewegung und einige Stände auf dem Markt sehen. Im Bereich der drei Türme des Magistraten bemerkte er dunklen Rauch aufsteigen, der trotz des starken Windes nur schwer auseinandergetrieben wurde. Die grüne Graskuppe um die verkohlten Gebäude war an einigen Stellen schwärzlich verbrannt. Auch konnte er kleine Gestalten erkennen, die zwischen den Gebäuden umherschritten. Als er die Szenerie eine längere Zeit betrachtete, sah er, dass sich eine Gruppe von drei Personen in Bewegung setzte und den ummauerten Hügel in Richtung des stadteinwärts liegenden Tores verlassen würde. Bargh stand noch eine Zeitlang auf der Außentreppe und beobachtete die Gruppe. Tatsächlich bewegten sich die drei Wachen, die Bargh aus der geringeren Entfernung als solche identifizieren konnte, in Richtung des Marktplatzes. Er drehte sich um und begab sich in den Raum zurück. Er wusste, dass er Neire darüber informieren sollte.

„Bargh, geht ihr hinab ins Gasthaus. Ihr wisst was ihr zu tun habt. Ich werde mich um unsere Sachen kümmern.“ Bargh sah, dass Neire auf ihre Rucksäcke deutete, die sie an ihre Betten gelehnt hatten. Er legte kurz die Hand auf sein Schwert und ging dann los. Zu Neire murmelte er nur die Gebetsformel: „Und preiset das schwarze Licht unserer Göttin, auf das die Dinge sich aufs Neue entzünden.“ Dann verließ er die Türe in Richtung der Außentreppe. Er bemerkte, dass er keinen Moment zu lange gezögert hatte. Die Wachen waren bereits vom Markt aufgebrochen und näherten sich dem Gasthaus. Bargh dachte zurück. Er hatte Neire im Gemach vorgefunden, sein Alchemistenbesteck zusammenpackend. Als er ihm von den Wachen erzählt hatte, die sich dem Marktplatz näherten, hatte Neire nervös reagiert. Sein junger Begleiter hatte hastig seine Sachen zusammengerafft und war anschließend auf die Außentreppe geschlichen. Eine Zeit hatte er dort verbracht und gelauscht. Dann hatte er sich umgeschaut und zu ihm geflüstert, dass die Wachen nach Fremden suchen würden. Die Bürger waren befragt worden, ob sie irgendetwas auffälliges gesehen hätten. Bargh und Neire hatten sich daraufhin kurz beraten. Neire wollte sofort fliehen, doch Bargh hatte seinen Begleiter überzeugt zu bleiben und zu handeln. Er war sich sicher, dass sie mit den drei Wachen fertig werden würden. Und er wollte jeden der Tempeldiener ermorden. Neire hatte schließlich eingewilligt und so hatten sie hastig ihr Vorgehen abgestimmt. Als Bargh jetzt die Stufen der äußeren Treppe hinabging, sah er, dass die Wachen ihn bereits bemerkt hatten. Jetzt durfte er keine Fehler machen. Innerlich pulsierte sein Herz, doch er versuchte so ruhig wie möglich zu wirken. Er ging um das Gasthaus herum und öffnete den Haupteingang in die Schankstube. Im Inneren sah er hinter der Unordnung einer Anhäufung von Stühlen und Tischen den Wirt Ariold. Die hagere Gestalt blickte kurz auf und machte den gewohnt desinteressierten Eindruck. Doch Bargh konnte sofort die innere Anspannung ihres Gastgebers erkennen - der Rest war von Ariold gespielt. Er bewegte sich langsam auf den Wirt zu, der dort in gekrümmter Haltung verweilte. Hinter der Theke konnte er ein ledernes Bündel erkennen. Als ob Ariold eine plötzliche Abreise planen würde. Bargh nickte dem Meister der Schankstube zu, als er an die Theke trat und nach einem Humpen griff. Er begann den Hebel des Fasses zu öffnen, das dort stand, während er sprach. „Ariold, schön euch zu sehen. Habt ihr schon gehört was in der Stadt passiert ist? Ein Brand der drei Türme, wie grauenvoll.“ Er musste selbst bei seinen Worten grinsen und konzentrierte sich wieder auf das Bier, das schäumend in seinen Humpen lief. „Natürlich habe ich schon davon gehört,“ sagte Ariold, der jetzt etwas von der Theke und in Richtung seines Bündels zurückwich. Bargh nahm gerade einen großen Schluck, setzte den Humpen ab, deutete auf das Bündel und sprach jetzt lauter. „Auf der Flucht Ariold? Bleibt ruhig verdammt nochmal.“ Bargh spürte die Furcht, als der Wirt zusammenzuckte. Trotzdem antwortete Ariold direkt. „Wie lange seid ihr jetzt hier? Und was ist passiert seitdem? Brannte nicht zuerst der Leuchtturm und dann die drei Türme?“ Bargh musste wieder lachen und wollte gerade antworten, als er das Geräusch der Türe hörte, die unsanft aufgeworfen wurde. Er zwinkerte Ariold mit seinem gesunden Auge zu, bevor er sich umdrehte. Das schäumende Bier in der Hand, fing er augenblicklich an zu schwanken. Die Binde bedeckte den Rubin seines rechten Auges und sein kahler, von Brandnarben gezeichneter Schädel, schimmerte vom Schweiß im Halbdunkel. Dann drehte er sich wieder zur Theke, beachtete die Wachen nicht mehr und schenkte nach. „Wie ist euer Name und was ist euer Anliegen in Dreistadt?“ Die Stimme schallte durch Gasthaus, als die drei Wachen eintraten. Zwei von ihnen waren älter und trugen grüne Umhänge und Kettenhemden. Die jüngere Wache war muskulös. Unter dem gelben Umhang trug der Wächter des Tempels der Ehre einen Lederpanzer. Bargh drehte sich gespielt torkelnd um. Er krachte dabei mit seiner Rüstung gegen die Theke. „Ah, Freunde. Kommt zu mir und trinkt einen mit. Heute wollen wir feiern…“ Seine lallenden Worte schienen nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen. Abermals brüllte die Wache im grünen Umhang ihren Befehl. Jetzt noch lauter und intensiver. Bargh bewegte sich langsam auf die drei Gestalten zu und rempelte dabei ein paar Stühle um. „Trinken will ich und ich geb‘ euch einen aus. Heute bin ich in Feierlaune. Was ist mit euch, häh?“ Als er näher kam hob der älteste der drei abwehrend die Hand und bellte wieder: „Halt, keinen Schritt weiter Fremder. Wie ist euer Name und was ist euer Anliegen in Dreistadt?“ Bargh lachte gespielt betrunken auf. Aus den Augenwinkeln vernahm er, dass die beiden hinteren Wachen anscheinend ein Geräusch gehört hatten und sich umdrehten. Er sprach jetzt umso lauter. „Das habe ich euch doch schon alles gesagt. Mein Name ist Bargh und ich möchte saufen hier, versteht ihr? Bier trinken, das will ich. Das ist mein Anliegen in dieser Stadt.“ Der ältere Mann mit dem grauen, kurzen Haar schien mit seiner Antwort nicht zufrieden zu sein. Immer noch hielt er die Hand hoch, blickte zu Ariold und schrie: „Ihr da, Wirt! Kommt zu uns herüber und berichtet… und zwar schnell.“ Bargh wusste, dass er jetzt handeln musste. Die beiden hinteren Wachen hatten sich wieder umgedreht und er ahnte, dass Neire sich bereits im Raum befinden musste. „Lasst doch den alten Mann aus dem Spiel, er soll mir nur sein Bier verkaufen. Der Wirt hat mir bis jetzt gute Dienste geleistet.“ Bargh lallte jetzt lauter und setzte nach, bevor der Anführer antworten konnte. „Kennt ihr eigentlich Akram? Das solltet ihr vielleicht oder?“ Für einen Moment schien der Anführer seine Fassung verloren zu haben. Er dachte nach. „Ja, Akram. Woher kennt ihr ihn,“ antwortete er etwas leiser. In diesem Moment sah Bargh, dass sich die Schatten hinter dem Mann in Bewegung setzten. Eine stählerne Klinge eines Degens blitzte in der Dunkelheit auf. Er begann sein Schwert zu ziehen, als er nüchtern sprach. „Akram ist tot und ihr werdet sterben wie er.“ In diesem Moment warf Bargh den Krug mit dem Bier in Richtung des Gesichts der Wache. In dem Regen von schäumendem Bier war eine Klinge zu sehen, die sich durch den Rücken des Wächters bohrte. Neires Degen hatte das Herz zwar verfehlt, doch der Extrakt des violetten Vierlings breitete sich in Windeseile in seinem Körper aus. Schwarz wurden die Adern des Anführers und er brach zitternd zusammen. Augenblicklich entbrannte ein Kampf, der von Bargh mit blindem Fanatismus und der Absicht zu töten geführt wurde. Bargh war im Angriff schneller als sein Gegner und hackte den anstürmten jüngeren Krieger mit zwei Angriffen in der Hüfte fast entzwei. Über den zu Boden sinkenden Leichnam schritt er auf die letzte Wache zu, die von Neire von hinten angegriffen wurde. Gemeinsam nahmen Neire und er den Krieger des Tempels in die Zange und zeigten keine Gnade.

Ariold kauerte nach Luft schnappend auf dem Boden und wurde von Neire bedrängt. Der Geruch von Tod und Blut war um sie herum. Der Priester Jiarliraes hatte die Kapuze des Schattenmantels zurückgezogen und den Degen an den Hals des Wirtes gelegt. Sein schönes jugendliches Gesicht war von Wut und Hass verzerrt und seine gespaltene Zunge fuhr über seine blassen Lippen. „Mensch… wir wollen nur ein Spiel spielen. Wie steht es mit euch? Wollt ihr nicht mit uns spielen?“ Ariold zitterte, als er in das von gold-blonden Locken gezierte Gesicht mit der geraden Stirn und den hohen Wangenknochen blickte. Die großen nachtblauen Augen Neires betrachteten ihn forschend. Langsam erhob er die Stimme. „Ja… natürlich, Herr…“ „Wir sollten uns natürlich respektvoll verhalten, wie Brüder und Schwestern eben zueinander sind… ja?“ Ariold wusste wohl nicht ganz wie ihm geschah und antwortete zustimmend. Wieder erhob Neire die Stimme. „Nun, ihr sagtet, ihr wollt nach Norden fliehen, doch wir kommen dorther. Das Dorf Mühlbach wurde von der Pest verwüstet. Ein dummer Bauer hat eine Münze von Tymora gekauft und damit ihr unseliges Schicksal besiegelt.“ Ein Funken Hoffnung wich sichtlich aus dem Gesicht von Ariold. Neire drang weiter auf ihn ein. „Doch der Pass nach Berghof ist frei. Wir sind im geheimen Auftrag des Herzogtums hier. Ihr könntet dorthin reisen und ein neues Leben beginnen. Wir könnten euch freies Geleit über den Pass gewährleisten. In Kusnir befindet sich sogar ein Gasthaus, das auf euch wartet. Ein minderwertiger Sklavenbastard namens Walfor könnte ein würdiger Diener für euch werden. Was sagt ihr dazu?“ Ariold versuchte nach Worten zu suchen, doch es war nur ein Stammeln und Brabbeln zu hören. „Ich sage euch etwas Mensch. Ich gebe euch diesen Ring, als Zeichen unserer Anerkennung. Und ihr reitet mit unseren Pferden in das nächste Dorf an der Küste. Dort werdet ihr sie für uns hüten. Wenn wir sie uns wiedergeholt haben, werden wir euch den Weg nach Berghof zeigen.“ Neire lächelte Ariold an, zog seinen Degen etwas zurück und Ariold antwortete. „Ja, ich kenne ein Dorf. Stadwilla liegt unweit von hier an einem gestauten Fluss. Fischer und Bauern leben dort. Ich werde dort auf euch warten.“ Neire lächelte jetzt freundlich und schob den Ring aus kostbarem Silber über den Finger von Ariold. Als er wieder sprach, drückte er nochmals den Degen enger und zischelte: „Und wir mögen keine Spielverderber, Mensch… Wisst ihr was mit ihnen passiert? Sie werden aussortiert und müssen auf ewig in den Eishöhlen hausen.“

Das Boot schaukelte im Wind. Es war bereits dunkel geworden. Dicke tiefliegende Wolken waren über ihnen und ließen das silberne Licht des Vollmondes nur erahnen. Trotzdem sah er die Klippen des Eilands aus dem Meer ragen. Die Insel des alten, erloschenen Vulkans war verboten für ihn. Der Tempel der Ehre herrschte dort und seiner Priester bedurfte es stets an neuen Rekruten, nicht aber an neugierigen Besuchern. Bregor fragte sich, worauf er sich eigentlich eingelassen hatte, als er das Werk des jungen Fremden betrachte. Die Seile waren verknotet und verheddert. Es war, wie er vermutet hatte. Nett reden konnten die Fremden, doch vom praktischen Handwerk verstanden sie anscheinend nichts. Nur Buchwissen… ansonsten warme Luft, dachte er sich. Das Boot drehte sich gerade in eine Welle und er musste schnell sein. Die beiden Fremden, die sich ihm als Bargh und Neire vorgestellt hatten, hatten ihn zudem dazu gedrängt in neue Gewässer zu fahren. Nahe der alten Vulkaninsel. Darauf hatte er sich eingelassen. Es würde sich jetzt zeigen, ob sie recht gehabt hatten. Doch er dachte auch an seine Familie. An die hungrigen Mäuler, die er zu stopfen hatte. Und er dachte an seine Frau. Vielleicht hatte sie heute wieder unnötige Sachen vom Markt gekauft. Im ersten Moment und in der Kälte des Windes spürte Bregor, dass ihn irgendetwas am Rücken kitzelte. Er wollte sich kratzen, doch wie gelähmt war er und ein Gefühl von Kälte breitete sich über seine gesamte Brust aus. Als er das Blut in seinem Mund schmeckte, merkte er, wie er langsam kopfüber ins Wasser fiel. Aus den Augenwinkeln konnte er die rote Maske einer Feuerschlange sehen, dann umschlang in das kühle Nass. Die letzten Gedanken waren bei seinen geliebten Fischen, die er Tag für Tag, Jahr für Jahr aus den Tiefen gezogen hatte. Doch wer würde seinen Körper hinaufziehen? In welchem Netz würde er landen? Als die Dunkelheit auf ihn zu kam, trat er ihr mit offenen Armen entgegen. War dort der Schimmer eines glühenden Funkens zu sehen oder war es das große Nichts, dass sich für ihn eröffnete? Langsam erstickten seine Bewegungen und sein Sinn, als er in die Tiefe sank. Alles um ihn herum war wie roter, dunkler Samt. So weich und warm.

Bargh hatte die Ruder übernommen und stemmte sich gegen die Wellen. Der Wind war gleichbleibend stark geblieben und die Wogen trugen Schaumkronen. Neire reinigte den Stahl seines Degens vom dunklen Blut des Fischers. Sie beide blickten immer wieder in die Dunkelheit. Dort lag sie, die verhasste Insel. Schwarze Felswände ragten hinauf in den Nachthimmel und verschwanden in den unruhigen Wolken. An den Ufern konnten sie hier und dort einen dichten Wald erkennen. Auch waren Strände sichtbar, deren hellerer Sand matt in der Düsternis glänzte. Als das Boot mit einem Knirschen auf den Untergrund lief, sprang Neire als erster in das Wasser hinab. Bargh folgte ihm auf das Eiland. Sie wussten, dass es jetzt kein Zurück mehr geben würde. Sie hatten sich lange vorbereitet. Und doch mussten sie das Boot verstecken, beten und für eine paar Stunden Schlaf finden. Im Dunkel des Morgens wollten sie angreifen. Tief in ihrem Inneren wussten sie, dass Jiarlirae mit ihnen war.

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Titel: Sitzung 44 - Der Tempel der Ehre
Beitrag von: Jenseher am 11.12.2022 | 15:17
Das leiste Rauschen der Brandung war zu hören. Die Geräusche kamen von dort, wo der silberne Mond sich in den dunklen Wellen brach. Bargh und Neire waren bereits einige Zeit unterwegs. Sie hatten die Insel im Schatten des Waldes durchquert. Keine Geräusche von Tieren waren dort zu hören gewesen – nur das Zirpen von einigen Grillen und das Summen von Insekten. Während ihrer Wanderung hatten sie immer wieder nach Spuren oder Besonderheiten Ausschau gehalten, die die dunklen Felswände ihnen offenbaren könnten. Doch sie hatten nichts finden können. So war die Nacht, nach ihrer kurzen Ruhe und dem darauffolgenden Fußmarsch, fortgeschritten. Eine kühlere Luft strömte von den schroff aufragenden Felshängen aus dunklem Gestein und mischte sich mit dem Algen- und Salzgeruch des Meeres. Sie waren an eine Stelle gelangt, an der Waldboden und Bäume dem spröden Felsgestein wichen. Vorsichtig erklommen sie den kleinen Grad, der zur Rechten hinab ins Meer und zur Linken hinauf in die Dunkelheit der Wand führte. Es eröffnete sich ihnen der Blick in ein steiles Tal, das die Felswand durchschnitt. Im Mondlicht konnten sie das Innere des Vulkankraters aufragen sehen, in das das Tal sich zog. Am Meeresufer war ein Steg zu erkennen an dem einige kleine Boote lagen. In die Aushöhlung des Berges führte eine Art Pfad. Wie über Jahrzehnte oder Jahrhunderte ausgetrampelt und glattgeschliffen, sah der Weg aus. Er führte in den inneren Bereich des Kraters. In einen Bereich, in den die Felswände ihnen den Blick versperrten.

Neire zog sich langsam an der Außenmauer des dunklen Turmes hoch. Er war in das Innere des Kraters vorgedrungen. Auf dem Weg hatte er eine Reihe von alten schwarzen Steinstatuen passiert. Krieger, die sich auf jeder Seite des Weges gegenüberstanden und ihre Schwerter kreuzten. Der innere Bereich des erloschenen Kessels war von einer Anordnung von Ruinen übersäht, die um das Gebäude des Tempels aufragten. Bei diesen Ruinen hatte es sich um grobe Bauten gehandelt. Steinplatten, die über Aushöhlungen im Boden aufgeschichtet wurden. Das Tempelgebäude hatte einen anderen Baustil gehabt. Eine breite Wehrmauer war um einen inneren Turm errichtet. Treppen führten auf diese Mauer hinauf und von dem oberen Ring als kleine Brücken zum inneren Turm. Als Neire vorsichtig die Treppe zur Mauer erklommen hatte, konnte er von der inneren Wand der Wehrmauer Licht aus Schießscharten hervordringen sehen. Es schien sich also um eine Wohnmauer zu handeln. Dann hatte er sich entschieden den Turm zu erklimmen, der über ihm aufragte. Er mied das große Eingangportal und blickte sich nochmals um. Doch von den beiden Wachen, die er auf einer Patrouille gesehen hatte, fehlte jeder Spur. Das Erklimmen der Steine war nicht leicht. Der Stein war kalt geworden, in der fortgeschrittenen Nacht. Er musste in den kleinen Ritzen der Blöcke Halt finden. Doch gekonnt zog er sich höher und höher. Schließlich schlang er den Arm über die Kante und zog sich hinauf. Nur der blanke Stein war hier oben zu sehen. Er dachte an Bargh, der am Ufer zurückgeblieben war und kauerte sich nieder. Immer wieder ließ er seinen Blick über den Kessel und in Richtung Dreistadt schweifen. Aus der Richtung der Stadt konnte er das Licht des verbliebenen Leuchtturmes erkennen. Ein Gedanke reifte in ihm heran. Vielleicht sollte er hier oben bleiben. Es gab keinen Aufgang und auch bei Tag würde ihn keiner hier sehen. Nur Bargh müsste am Strand warten. Neire ging für einen Moment in sich und versank in völliger Starre. Da hörte er die gedämpften Stimmen vom Stein unter ihm. Die erste klang unruhig und besorgt. „Ich mache mir Gedanken. Wir sind nicht gut geschützt. Die Mauern sind nicht bewacht.“ Die zweite Stimme antwortete unmittelbar. Zwar etwas entfernter und gedämpfter, doch Neire konnte die Worte gut verstehen. „Fürchtet euch nicht. Unser Fürst wird heute über uns wachen. Und morgen werden sie aus Dreistadt zurückgekehrt sein.“ In diesem Moment begann Neires Herz höher zu schlagen. Er wusste, dass dies ein Zeichen von Jiarlirae war. Die Gunst seiner Göttin war mit ihnen. Er begann sich über die Mauer zu beugen und starrte in den schwarzen Abgrund. Langsam suchte er nach Halt und ließ sich in die Tiefe hinab.

„Wir müssen handeln Bargh. Noch diese Nacht und im Schutze der Dunkelheit.“ Bargh blickte in das junge Gesicht, das von gold-blonden Locken umrahmt war. Sonst war nichts von Neire zu erkennen. Augenblicklich griff er nach seiner Maske und spürte das Adrenalin sich in seinem Körper ausbreiten. „Nein, wartet Bargh. Wir müssen zuerst die Substanz zu uns nehmen. Reicht mir den Weinschlauch.“ Bargh zog den Rucksack von seinen Schultern und brachte das lederne Reservoir zum Vorschein, in das sie den Wein gefüllt hatten. Neire nahm ihn entgegen. Sein Mitstreiter hatte die kleine Viole mit der dunklen Substanz bereits geöffnet und nahm einen Schluck von dem zähen Pilzextrakt. Dann spülte er diesen mit einem Schluck Wein hinunter. Bargh tat es Neire danach gleich. Nachdem sie ihre Masken angelegt hatten, brachen sie auf. Neire hatte ihm zuvor berichtet, dass er die Wachen belauscht hatte, die im Außenbereich auf Patrouille waren. Es stand wohl ein Wachwechsel bevor und die Zeit war jetzt günstig. Je näher sie dem Inneren des Kraters kamen, desto stärker spürten sie die Wirkung des Suds. Das Mondlicht schien intensiver zu werden. Fast wohltuend und betäubend blendend. Das Schwarz der Dunkelheit nahm hier und dort Töne von dunklem Violett an. Es war, als könnte er diese Farben hören. Bargh hatte sein Schwert gezogen und schaute immer wieder auf das silberne Licht, das sich in der Klinge spiegelte. Sie umrundeten vorsichtig die Wehrmauer und erklommen eine Treppe. Aus dem Innenhof des Tempels waren jetzt Befehle zu hören. Ab und an durchdrang das Surren eines Pfeils die Nacht. Anscheinend trainieren sie in diesen frühen Morgenstunden, dachte sich Bargh und blieb weiter hinter Neire, der die Wehrmauer auskundschaftete. Neire öffnete leise eine Falltür, unter der eine Wendeltreppe in das Innere der Mauer hinabführte. So verschwanden sie aus dem Mondschein in das Fackellicht, das sie von unten sehen konnten. Der Raum, der sich vor Bargh auftat, war groß und hatte die Krümmung der Wehrmauer. Fackeln brannten an den Wänden und hölzerne Übungspuppen für den Schwertkampf waren hier zu sehen. Bargh sah Neire nicht mehr, doch hörte dann ein Flüstern. „Bargh ich werde in diese Richtung gehen. Folgt mir und lasst euch etwas Zeit.“ Bargh nickte und betrachtete die bogenförmige Öffnung, die in den nächsten Raum führte. Nach einer kurzen Weile folgte er Neire. Im nächsten Raum sah Bargh bereits Neires Werk. Eine Gestalt in einem grünen Umhang lag vor einer Werkbank in einer großen Lache von Blut. Sie umklammerte immer noch das Schwert und den Hammer, mit dem sie wohl gearbeitet hatte. Bargh beachtete die ältere Wache nicht weiter und schritt langsam vorwärts. Der darauffolgende Raum war eine Art Waffenkammer. Hier waren keine Spuren des Kampfes zu sehen. Als Bargh den Raum fast durchquert hatte, hörte er ein Aufächzen aus dem nächsten Raum hinter dem Durchgang. Es folgten hastige Schritte. Er wusste, dass er handeln musste. Er begann in Richtung des Raumes zu stürmen. Keinen Moment zu spät. Hinter einer Ansammlung von Tischen sah er einen Leichnam einer Wache liegen. Doch eine weitere Wache zog gerade ihr Schwert. Noch bevor Bargh mit dem Krieger des Tempels der Ehre zusammenstieß, fing die Wache an zu schreien. „Alarm, Alarm. Eindringlinge.“ Einen Augenblick später krachte er mit dem Krieger zusammen. Ein brutaler Kampf entbrach, auf Leben und Tod. Weitere drei Angreifer des Tempels der Ehre drangen nur wenig später aus dem Außenbereich in das Gemach herein. Sie mischten sich in das Getümmel. Irgendwo musste Neire hier doch sein, dachte Bargh, als er sich unter den ersten Schwerthieben hinwegduckte. Dann sah er den tanzenden Degen aus den Schatten zustechen. Der Fackelschein war so intensiv, das Blut so rot. Er spürte kaum den Schnitt des Kurzschwertes, das in seine Hüfte biss. Bargh hackte und stach. Seine Angriffe drangen durch die Rüstungen seiner Feinde. Ein Widersacher nach dem anderen fiel. Bis da nur noch die Farben und deren Eigentöne waren. Eine Kammer gefüllt mit Fackelschein, Leichen und rotem Blut – eine Epitome der aufsteigenden Dunkelheit.

Neire schlich über die Brücke auf den schwarzen Turm zu. Er hatte zuvor sichergestellt, dass auch alle Diener des Tempels der Ehre tot waren. Bei einem der Gegner, gegen die sie im Gemach in der Wehrmauer gekämpft hatten, war das nicht der Fall gewesen. So hatte er sich hinabgebeugt und ihm langsam seinen Degen durch die Brust gestoßen. Er wusste nicht wieso, doch er hatte bei dem jugendlichen Gesicht mit den blonden Haaren an Halbohr denken müssen. Ihr einstiger Mitstreiter, sein persönlicher Beschützer, war jetzt schon länger nicht mehr aufgetaucht. Neire hatte auch einen kurzen Moment darüber nachgedacht, Halbohr eines der Ohren des Wächters mitzubringen. Doch schließlich hatte er den Gedanken verworfen. Nun graute langsam der Morgen über der Insel und der fast wolkenlose Himmel schimmerte in einem grünlich-blauen Licht. Der Mond war bereits untergegangen und hier und dort schimmerten noch ein paar hellere Sterne. Neire betrachtete das doppelflügelige Portal des schwarzen Turmes. Beide Türhälften teilten das Symbol von Torm. Zitternd begann Neire die Türe leise zu öffnen. Er wusste, dass Bargh handeln würde, sollte ihm etwas zustoßen. Die Türe begann sich zu bewegen, doch sie schwang nur langsam auf. Im Inneren des Turmes konnte er eine hohe Halle erkennen, die wohl den gesamten Turm auf Breite und Höhe erfüllte. Der Geruch von Weihrauch und Myrrhe strömten ihm entgegen. In der Mitte befand sich ein Zylinder aus schwarzem Stahl, der vielleicht über etwas mehr als die Hälfte der Höhe aufragte. In einem Kreis um die Wände des Saales waren Statuen von dunklen Steinkriegern zu sehen, die in Richtung des schwarzen Zylinders blickten. Vier Treppen aus Metall führten spiralförmig in die Höhe, um auf der oberen Plattform des schwarzen Zylinders zu enden. Alle Treppen waren von Ketten getragen, die in der Höhe, des von Fackelschein erhellten Raumes, verschwanden. Doch auch Bewegung konnte Neire ausmachen. Zwei Gestalten verharrten dort in regloser, fast meditierend-andächtiger Pose. Einer der beiden Ritter hatte sich auf Bodenhöhe vor dem schwarzen Zylinder postiert. Er trug ein großes Schwert, dass er ähnlich der Haltung der Statuen, beidhändig vor sich hielt. Der Ritter war in eine strahlende Rüstung gekleidet und hatte einen Umhang von heller violetter Farbe. Sein kahler Schädel offenbarte ein grobschlächtiges Gesicht mit langen Narben an beiden Wangen. Die zweite Gestalt war nur schemenhaft zu erkennen. Ein weiterer Ritter eines vielleicht religiöseren Ranges? Er befand sich auf dem Zylinder zwischen einer Reihe von Stehpulten. Auch er trug einen Harnisch aus Stahlplatten, doch die Farbe seines Umhangs schimmerte in einem Violett. Neire konnte zudem erkennen, dass dieser Wächter des Tempels der Ehre buschige Augenbrauen und einen Bart hatte. Er trug einen Kriegshammer, den er auch in der Pose der Steinstatuen vor sich hielt. Schon dachte Neire nicht erkannt worden zu sein, da erhob die weiter obenstehende Gestalt ihre Stimme:
Ich sehe euch nicht Eindringlinge. Aber ich weiß, dass ihr hier seid. Ihr seid es, die uns viele Sorgen bereitet habt in Dreistadt. Ich kann euch sagen, dass ihr vom Himmelreich unseres Herrn weit entfernt seid. Es wird euch nicht die Erlösung zuteilwerden, die den getreuen Dienern unseres ewigen Fürsten zuteilwurde. Diese ehrenvollen Diener, die ihr in Dreistadt feige niedergeschlachtet habt. Zeigt euch und wir werden euch ein ehrenvolles Ende bereiten.
Neire betrachtete in diesem Moment die Fackeln, die im Luftzug zu Flackern begannen. Da konnte er es sehen. In Schatten und Feuer waren die Runen zu erkennen. Er spürte den Atem seiner Göttin und wusste, dass das Feuer zurückgekehrt war. Er lauschte den Tönen der Runen, der Musik von Flamme und Düsternis. Für einen Moment führte ihn die Erinnerung zurück ins Innere Auge von Nebelheim. Zu den prachtvollsten Festen und dem großen Maskenball. Plötzlich war da das Murmeln von Stimmen und Musik in seinem Kopf, das anschwoll zu einer Kakophonie, zu einem Rauschen und Zischen, das dann eins wurde mit dem Wasser des Eises, das aus der Dunkelheit durch die große Öffnung in die Flammen des Auges tropfte. Langsam verdrängte er die Gedanken. Die Reminiszenz an die Atmosphäre damaliger Tage, geschwängert von Neugier und Lust, von berauschtem Glück und einer vernebelten Traurigkeit, von schattenhafter Niedertracht und lodernder Gier. Vorsichtig schlich er Schritt für Schritt zurück zu seinem Kameraden Bargh, der dort in der Dunkelheit des grauenden Morgens lauerte.
Titel: Sitzung 45 - Die Eroberung des Tempels der Ehre
Beitrag von: Jenseher am 17.12.2022 | 17:51
Im Licht des grauenden Morgens hatten Bargh und Neire ihre Blicke auf den Turm gerichtet. Vor dem grün-bläulich schimmernden Horizont ragte das schwarze, zylindrische Konstrukt monströs auf. Hinter der gewölbten Steinbrücke konnten sie die geöffnete Türe sehen. Fackellicht drang aus dem Inneren hervor. Auch aus dieser Entfernung konnten sie im sanften Wind des kühlen Morgens den Geruch von Weihrauch vernehmen, der aus dem Inneren des Turmes entwich. Das Zirpen der Grillen war hier völlig verstummt und eine unheimliche Stille lag über allem. Die Gebete, die Neire begann zu singen, klangen zuerst schwach und fragil. Doch mit jedem Wort, mit jeder Silbe, schwoll die Macht der fremden Formeln an. Der Gesang war von einer schlangenhaften Sprache, zischend und mit unmenschlicher Intonation. Als Neire die Hervorrufung beendet hatte, nickte er Bargh zu. Es war an der Zeit zu handeln und sich den Führern des Ordens im Kampf zu stellen. Neire sprach leise zu Bargh, bevor er losging. „Bargh, bleibt zurück und lauert hinter dem geschlossenen Türflügel. Sobald einer von ihnen die Flucht ergreift, schlagt zu.“ Bargh nickte. Er ahnte, dass Neire bereits einen Plan hatte.

Neire schlich Schritt für Schritt auf die geöffnete Türe hinzu. Er musste sich zusammenreißen und verwendete all die ihm zu Verfügung stehende Kraft, um seine Angst zu überwinden. Sein Herz raste. Das Flackern der Fackeln, die er im Inneren sah, kam ihm so intensiv vor. Als wären sie von einem Leben erfüllt, als würde seine Schwertherrscherin ihm zuflüstern. Als er durch die geöffnete Hälfe des Portals blickte, sah er die Gestalten dort verharren. Sie hatten beide die Augen geschlossen und hielten ihre Waffen vor sich, als ob sie in das Gebet eines Kriegers vertieft wären. Die Gestalt vor der Säule trug einen Panzer aus poliertem Stahl. Sie war muskulös, von haarlosem Kopf und grobschlächtigem Gesicht. Zwei Narben waren auf ihrer Wange zu sehen. Die zweite Gestalt konnte Neire nun besser erkennen. Der Priester stand hoch oben auf der Säule hinter einem Pult, auf dem ein großer aufgeschlagener Wälzer zu erkennen war. Auch er war geschützt durch einen glänzenden Panzer. Der Mann war älter, von dunklem Bart und buschigen Augenbrauen. Als Neire bereits einige Schritte in den Raum geschlichen war, erhob der glatzköpfige Krieger mit dem beidhändig getragenen Schwert erneut die Stimme. „Zeigt euch, Eindringliche. Wir können euch nicht sehen, doch wir wissen, dass ihr hier seid. Zeigt euch und findet euer ehrenvolles Ende im Kampf.“ Neire spürte die Wut und die Anspannung. Er sah jetzt die Runen im Feuer der Fackeln. Runen der Dunkelheit. Er musste handeln, es waren die Zeichen von Jiarlirae. Er begann augenblicklich seine linke Hand hervorzuziehen und konzentrierte sich auf das Feuer und die Schatten. Zuerst war die Flamme klein. Doch schnell wuchs das magmafarbene Licht, das auf seiner Handfläche, tanzend mit der Dunkelheit, brannte. Neire bemerkte zu seinem Erschrecken, dass der Krieger jetzt seine blauen Augen öffnete und in seine Richtung blickte. Er hob das Schwert und kam auf ihn zu. Neire versuchte seine Kräfte zu sammeln. Er wollte die schwarze Kunst seiner Göttin beschwören. Doch der Krieger war schneller. Von der oberen Plattform hörte Neire gerade den anschwellenden Gesang von Gebeten, als der Diener des Torm ihn angriff. Einem ersten Hieb konnte er noch ausweichen, dann schlug das Schwert ihm in die Seite. Das dunkelelfische Kettenhemd hielt zwar ein tieferes Eindringen ab, doch die Glieder wurden weit in sein Fleisch getrieben. Die Luft blieb ihm weg und er wollte wegrennen. Und doch musste er kämpfen; er musste sich konzentrieren. Die Macht, die Neire durch die kleine, gebrechliche Flamme beschwor, war gewaltig. Magisches Feuer schoss plötzlich aus dem gesamten Boden des Turmes hervor und hüllte den Krieger und ihn ein. Alles um ihn herum, auch die steinernen Statuen der schwerthaltenden Krieger, verschwanden im rötlichen Glühen. Der Angreifer vor Neire schrie, als sein Fleisch begann zu kochen, seine Rüstung begann zu glühen. Doch Neires Widersacher dachte nicht an eine Flucht. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte ehrenvoll weiter. Auch als seine Rüstung sich bereits begann aufzulösen. Nieten platzten ab durch die Hitze und der Panzer brach hier und dort auseinander. Neire konzentrierte sich, um dem nächsten Angriff auszuweichen. Er spürte die Hitze um ihn herum. Doch als Kind der Flamme, als wahrer Diener seiner Göttin, konnte ihm das Höllenfeuer nichts anhaben. Er wollte gerade eine weitere Macht hervorrufen, als der Krieger vor ihm von den Flammen verzehrt wurde. Mit einem erstickenden Todesschrei fiel der, von grauenvollen Brandwunden geschändete, Leib zu Boden. Aufgrund der Hitze begannen sich augenblicklich seine Muskeln zu versteifen. Jetzt richtete Neire seinen Blick nach oben. Er sah den Priester dort zurücktreten. Doch die Flammen der Feuerwand reichten nicht so weit hinauf. Neire beschwor drei Bälle aus glühendem Magma, die er in Richtung des Priesters warf. Sie zogen funkensprühende Spuren, als sie aus dem Feuer der Flammenwand heraustraten. Alle drei Geschosse fanden ihr Ziel. Neire hörte von oben den Todesschrei, als der zweite Widersacher in seinem Feuer starb. Ein Gefühl von Glück durchfuhr Neire. Er ließ die Flammen der magischen Hitzewand langsam erlöschen. Der Nachhall des Feuers blendete ihn einen Moment. Die Farben hatten sich in seinem Rauschzustand tief in seinen Geist gebrannt; er hörte ihre fremden, schrillen Töne. Fast wie aus einem Traum erweckt schreckte er auf, als er Bargh neben sich sah. Sein Gefährte hob das Schwert und begann den Kopf des verbrannten Kriegers abzuhacken. Bargh sprach dabei spottend die Worte. „Ha… ja! Damit habt ihr nicht gerechnet. Zeigt euch, Eindringlinge, hahaha… zeigt euch, damit wir euch ein Ende bereiten können. Hahaha… hier habt ihr euer Ende.“ Dann trat Bargh mit seinen Stiefeln gegen den Kopf, so dass dieser durch die, jetzt mit Ruß bedeckte, Halle des Turmes rollte. Neire zog die Kapuze zurück und lächelt Bargh zu. Er deutete auf eine der metallenen Treppen, die von Ketten getragen, auf die Plattform der mittigen Säule führte. „Bargh, durchsucht den Leichnam. Ich werde nach dem zweiten Priester schauen.“

Er wusste nicht, wie tief er hier hinabgestiegen war. Vielleicht befand sich der Tunnel unter dem Meeresspiegel. In weiten Abständen erhellten Feuerschalen die Gänge, die aus einem älteren Gestein als der obere Turm erbaut waren. Zuvor waren sie beide auf das Podest gelangt. Bargh hatte dort den zweiten Leichnam spottend geschändet, in dem er mit seinen schweren Stiefeln den Kopf zertreten hatte. Sie hatten dann auf dem Podest einen geheimen Mechanismus entdeckt, der eine Falltür offenbart hatte. In der Säule hatte sie ein Schacht in die Tiefe geführt – über steinerne Sprossen, die aus den Wänden herausragten. Am unteren Ende des Schachtes war eine steinerne Halle zu sehen gewesen, in die eine Strickleiter hinabführte. Neire hatte gehorcht und irgendwo aus einem Tunnel Schritte und aus einem weiteren Tunnel ein schwaches Wimmern gehört. Er hatte sich entschieden, in Richtung der Schritte zu schleichen. So hatte er sich im Schutze seines Mantels den Geräuschen genähert. Jetzt sah er zwei Wachen, die sich dem Ende des Tunnels näherten, um dort eine Tür zu überprüfen. Als sich eine der beiden Gestalten über das Schloss beugte, war Neire in den Rücken der anderen vorgedrungen und sah seine Chance. Er trat hervor und rammte der Wache den Degen in den Rücken. Augenblicklich begann der Giftextrakt des bunten Vierlings zu wirken. Die Adern des Wächters verfärbten sich dunkel und dieser brach zusammen. Einen kurzen Moment später war Neire bei der anderen Gestalt und stach mehrfach zu. Durch die Morde der letzten Tage hatte Neire an Sicherheit und Erfahrenheit im Kampf gewonnen. Auch jetzt fand sein Degen das Ziel und er tötete die zweite Gestalt mit mehreren Stichen. Unter den Ordensmänteln beider Leichname breitete sich eine Lache von Blut aus.

Bargh kniete sich nieder. Tief waren die Schnitte der Schwerter, die seinen Körper verwundet hatten. Wie von einer geisterhaften Kraft geführt, hatten die animierten Rüstungen angegriffen. Ihre Schläge waren präzise geplant, von einer tödlichen Wucht, gewesen. Beide Gestalten hatten ihn angegriffen. Neire war zu diesem Zeitpunkt nicht zu sehen gewesen – verborgen durch seinen Schattenmantel. Doch Bargh hatte seine Anwesenheit, seine Macht gespürt. Gemeinsam hatten sie schließlich die bewegten Rüstungen besiegt. Noch bevor sie in den Raum eingedrungen waren, hatte Neire die Schutzmagie, die er in diesem tiefen Kerkerraum entdeckt hatte, gebannt. Die Kraft Jiarliraes war stark gewesen und so konnten sie unbehelligt in das Gewölbe vordringen. Jetzt kniete Bargh nieder. Neire hatte ihm geholfen, Verbände über seine Wunden zu legen. So hatten sie die größten Blutungen gestoppt. Neire murmelte Worte eines Chorals, in der Sprache von Nebelheim. Er legte Bargh seine schwärzlich verbrannte Hand auf die Wunde. Das Gefühl eines wohltuenden Brennens verbreitete sich in seinem Körper. Bargh spürte, dass die heilende Magie der Göttin seine Wunden schloss. Bevor er sich aufrichtete, dachte er einen Moment zurück. Sie hatten eine nicht geringe Zahl von Räumen und Gängen abgesucht, bevor sie diese unterirdische Halle gefunden hatten. Sie hatten unter anderem einen Raum mit Schatztruhen und ein Gemach mit Aufzeichnungen gefunden. Gegenstände waren wie eine Art Handelsregister aufgelistet gewesen. Neben der Münze von Tymora, hatten sie weitere Einträge gefunden. Über einen Kristall, das Feuer von Sune, waren Notizen vermerkt. In einem weiteren Verließ, dass von Eisengittern versperrt war, hatten sie Fässer entdeckt. Nachdem Neire das Schloss geöffnet hatte, waren die Fässer von ihnen untersucht worden. Der beißende Geruch hatte Neire an eine alte Geschichte erinnert. Eine alte Schlachtenbeschreibung war ihm eingefallen, in der ein Bollwerk mit Hilfe einer solchen Substanz gesprengt wurde. Nur noch eine weitere Wache hatten sie hier unten angetroffen, die von Neire hinterrücks erstochen wurde. Jetzt, nachdem er sich langsam aufgerichtet hatte, ging sein Blick zu dem kleinen Tunnel, der den einzigen Ausgang aus diesem Raum darstellte. Bargh hörte die flüsternde Stimme von Neire und konnte für einen kurzen Moment einen Schatten feststellen, der in Richtung des Tunnels huschte. „Folgt mir… lasst uns schauen, was dieser Raum bewachen und verbergen sollte.“ Bargh nahm sein Schwert auf, rückte seine Gesichtsmaske zurecht und folgte Neire. Der Gang führte ihn zuerst in die Dunkelheit. Doch nach einiger Zeit waren vereinsamte Lichtpunkte von Feuerschalen zu sehen. Im Gegensatz zu dem seltsamen, kalten Ölfeuer, auf das sie schon im Leuchtturm gestoßen waren, ging von den Flammen dieser Schalen eine intensive Hitze aus. Dann öffnete sich der Gang in eine halbkreisförmige Höhle. Die gegenüberliegende Wand war von schroffem Felsgestein. Gleißende Lichter aus Feuerschalen hüllten die steinerne Halle in punktuelle Lichtkegel. An Stellen, wo sich keine Schalen befanden, waberten dicke Schatten. Irgendetwas hörte Bargh aus der Höhle. Wie ein zischelnder Chor von Stimmen, die nach ihm riefen. Dann sah er es dort liegen. Eine feine Klinge, ein schwarzes Schwert. Die Stimmen hörte er von dort Raunen. Bargh ging langsam auf das Schwert zu. Die Klinge besaß eine Blutrinne, in Form einer dicken Ader. Durch den schwarzen Stahl konnte er kleine Verästelungen sehen, als ob sich diese Ader auffächerte. Dieses Geflecht endete an der Schneide. Bei genauerer Betrachtung sah es so aus, als ob dort irgendeine Flüssigkeit zum Vorschein kommen würde, die sich dann augenblicklich in Rauch auflösen würde. Als er nach dem Schwert hinabbeugte, bemerkte er die glatte Parierstange und das gerade, schwarze Griffstück. Beide wie aus einem Guss geformt. Am Ende des Griffstücks war ein schwarzer Edelstein zu sehen, in dem er die Konturen eins dunklen Herzens vernahm. Bargh ergriff das Schwert und augenblicklich fuhr eine Welle von dunkler Macht durch seinen Körper. Es war, als ob das Schwert hier auf ihn gewartet hätte, als ob die Waffe als natürliche Erweiterung seines Armes zu ihm passen würde. Licht und Schatten flackerten um ihn herum. Jetzt hörte er das Raunen der Stimmen und den seltsamen Singsang zu Ehren seiner Göttin. Er kniete sich nieder und riss die Klinge über seinen Kopf. Der gerade Griff hatte sich tatsächlich den Konturen seiner Hand angepasst, als ob das Schwert sich durch ihn formen lassen könnte. Er wusste jetzt, dass seine Stunde als Krieger Jiarliraes gekommen war. Dann nahm er die Klinge hinab und betrachtete das Spiegelbild seiner Maske im Stahl. Leise zischelte er die Worte GLIMRINGSHERT. So würde er das Schwert nennen. Es trug den Atem von Jiarlirae und die Saat von Flamme und Düsternis – es war Glimringshert, das glühende Herz aus Schatten.
Titel: Sitzung 46 - Feuer und Dunkelheit im Tempel der Ehre
Beitrag von: Jenseher am 23.12.2022 | 22:45
Bargh hielt Glimringshert einhändig vor sich. Noch immer hörte er das Raunen und einen Singsang von der Klinge ausgehen. Nachdem sie das schwarze Schwert aus dem geheimen Bereich des Tempels geborgen hatten, waren Neire und er in den letzten Bereich des Verlieses vorgedrungen, den sie noch nicht erkundet hatten. Auf dem Weg durch die, in das graue Felsgestein gehauenen, Tunnel, hatte ihn Neire auf das leise Wimmern aufmerksam gemacht, das er aus dem noch unerforschten Bereich vernahm. Sie kamen gerade um die Ecke, als Bargh den Schein von Feuer erblickte. Fackeln erhellten einen sich nach links und rechts eröffnenden Raum, der nicht viel weiter in die Tiefe ging, als ein breiter Gang. Ein leichter Geruch von Fäkalien und Verwesung strömte Bargh entgegen. An der gegenüberliegenden Wand waren Zellen zu sehen, die von rostigen Gitterstäben versperrt waren. An der Wand der rechten Seite waren zudem ein verlassener Hocker und ein Tisch zu erkennen. Bargh sah, wie Neire sich den Mantel zurückzog; so kamen die gold-blonden, gelockten Haare seines jungen Begleiters zum Vorschein. Neire deutete mit ernster Miene zur linken Seite. Auch Bargh zog sich nun die Maske vom Schädel und schritt in Richtung des Wimmerns. Als seine schweren Schritte im Verließ widerhallten, verstummte das Wimmern abrupt. Sie kamen zu einer Zelle, in der eine kleine Gestalt in der Dunkelheit hockte. Bargh sah die junge Frau, fast noch ein Mädchen, die nun zu ihnen aufblickte. Sie trug ein verdrecktes Kleid, dünne Beinkleider und war barfuß. Der Geruch von Fäkalien und Verwesung war hier stärker. Als die junge Frau aufblickte, sah Bargh die Angst in ihren grünlich schimmernden Augen. Lange, feuerrote, leicht gelockte Haare fielen schwer auf ihre Schultern. Haare und Gesicht waren von einer Schicht von Dreck bedeckt, doch darunter konnte Bargh Schönheit erahnen. Neben einer urtümlichen Wildheit, stellte Bargh eine Angst in ihrem Blick fest. Für einen Moment ließ er seine Gedanken schweifen und das fremde Mädchen erschien verändert vor seinem inneren Auge. Sie trug eine goldene Krone, Edelsteine und Goldschmuck. Über der Krone brannte ein Feuer, um das Dunkelheit und Schatten tanzten. Geisterhaft umströmte nachtblaue Magie ihren schlanken Körper. Das Bild verschwand allerdings augenblicklich. Neire war an das Gitter herangetreten und begann zu sprechen. „Was macht ihr hier in dieser Zelle? Ist das ein Spiel, das ich nicht kenne? Habt ihr mit ihnen gespielt?“ Zuerst konnte Bargh eine Verwirrung in ihren Augen sehen. Doch dann lächelte sie ihn und Neire an. „Wer seid ihr? Ihr gehört nicht zu ihnen, oder? Ich meine die Wächter der Insel.“ Bargh lachte kurz auf und auch Neire stimmte ein. Das Mädchen wich wieder etwas vom Gitter zurück. „Nein, wir gehören nicht zu ihnen… auch wenn das nicht immer so war“, antwortete Bargh. Er bemerkte, dass die Gefangene ihm fasziniert lauschte. „Wir spielen ein anderes Spiel. Ein Spiel von Feuer von Schatten. Sagt, wollt ihr dieses Spiel mit uns spielen?“ Als Neire die Frage stellte, bemerkte Bargh eine Art Wildheit in ihren trotzigen Augen. Doch sie antwortete überhastet, freudig und in einem jugendlichen Übermut. „Ja, natürlich… ich werde mit euch spielen. Das Spiel von Feuer und Dunkelheit sagt ihr? Hmmm… ich habe bereits ein anderes Spiel gespielt. In Dreistadt. Es war das Spiel des Nehmens von anderen. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen.“ Noch während sie sprach, begann Neire jetzt seinen Dietrich hervorzuziehen und das Schloss am Gitter zu öffnen. Als sein junger Begleiter das Gitter aufzog, sah Bargh das Mädchen hinaushasten. Der Geruch von Schweiß und Fäkalien kam ihm entgegen. Als die jetzt Freigelassene in Richtung des Tunnels lief, blickte sie sich um und sagte. „Kommt und folgt mir. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Bevor sie vielleicht zurückkommen.“ Bargh hörte Neire mit erzürnter, lauterer Stimme antworten. „Halt! Wir geben hier die Befehle. Und wir spielen das Spiel nach unseren Regeln. Kommt erst einmal zurück. Ihr seht aus, als könntet ihr einen Schluck Wein vertragen.“ Bargh sah, dass Neire ihm zunickte und er begann den Weinschlauch aus dem Rucksack hervorzukramen. Als er bemerkte, dass das Mädchen ihn dabei genau beobachtete, zwinkerte er ihr zu und fragte. „Wir haben euch noch nicht gefragt. Wie ist eigentlich euer Name?“ Er sah, dass sie ihn anlächelte und sprach. „Mein Name ist Zussa. Und ja, ich würde gerne einen Schluck Wein trinken.“ Neire trat an ihn heran und nahm ihm den Weinschlauch ab, während Zussa sich mit ihrer Zunge über die Lippen fuhr. „Nun Zussa.“ Sprach Neire und bewegte sich auf sie zu. „Mein Name ist Neire. Neire von Nebelheim. Ich bin ein Kind der Flamme und ein Diener der Schwertherrscherin, der Königin von Feuer und Dunkelheit, Jiarlirae, geheiligt möge ihr Name sein. Mein Begleiter hier ist mir wie ein Bruder. Er ist ein heiliger Krieger unserer Göttin, der Drachentöter und wandelte einst im Reich des Jenseits, nach seinem Tode ins Fegefeuer hinab. Er wurde von meiner Göttin errettet, ein Wunder… und nun schreitet Bargh, so sein Name, wieder unter den Lebenden.“ Bargh sah, dass Zussa an Neires Lippen hing, mit großen geöffneten Augen. Er hatte auch bemerkt, dass Neire etwas von dem Grausud aus dem Geheimfach seines Schlangendegens geholt hatte – kaum mehr ein kleiner Tropfen der Substanz, der auf der Kuppe seines Zeigefingers zu sehen war. Neire hielt Zussa den Finger hin, während er sprach. „Diese Substanz wird eure Stimmung heben und euren Geist für das Spiel öffnen. Nehmt sie zu euch und spült das Ganze mit ein paar Schlücken Wein herunter.“ Zussa wirkte zuerst etwas unruhig. Sie roch an Neires Finger, öffnete dann ihre Lippen und leckte mit ihrer Zunge über Neires Finger. Für Bargh machte diese Szene einen seltsamen Eindruck, hier, im Antlitz von Tod und Verwesung. Doch er ahnte schon, worauf Neire Zussa vorbereiten wollte. Er schwieg, während Zussa nach ein paar kräfigen Schlücken Wein an zu erzählen fing. Sie blickte ihn dabei an. „Bargh, auch ich habe Erfahrungen mit dem Feuer gemacht. Der Herr der Nachbarsfamilie hat sich einst über mich lustig gemacht. Über meine roten Haare. Ich war so wütend, dass ich ein Feuer hervorbeschworen habe. Seine Scheune ist abgebrannt. Mit einem seiner Schafe. Ich habe mich dabei auch selbst verletzt. Danach musste ich das Dorf verlassen, fliehen.“ Als ob Zussa ihre Worte unterstreichen wollte, hob sie ihre mit Brandnarben bedeckten Fingerkuppen. Immer noch starrte sie fasziniert auf seinen haarlosen Schädel – die Spuren des Feuers. „Seid ihr so hierhin gekommen? Weil ihr aus eurem Dorf fliehen musstet?“ Die Wut verschwand jetzt aus dem Gesicht von Zussa und eine Art Schwermut stellte sich ein. „Ja, so war es. Keiner konnte mir helfen. Nicht mal meine Eltern. Ich wurde als Hexe bezeichnet und so floh ich nach Dreistadt. Dort hatte ich nichts und musste auf den Straßen leben. Schließlich nahm ich mir einfach was ich brauchte. Ja, das war mein Spiel. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Doch eines Tages haben sie mich erwischt und hierhin gebracht. Sie haben mich hinabgeworfen und in diese Zelle gesteckt.“ Jetzt war die Schwermut in ihren Augen wieder Wut und Trotz gewichen. Bargh bemerkte zudem, dass Neire, der den größten Teil des letzten Gesprächs ruhig beobachtet hatte, das Wort ergriff. „Zussa sagt, seid ihr eine große Kriegerin? Dort wo ich herkomme, gibt es die Kupfernen Krieger, eine Kaste von Rittern.“ Zussa schüttelte vehement den Kopf. „Kriegerin, nein. In meinem Dorf waren wir einfache Schafhirten. Ich habe nichts anderes gelernt. Doch das Feuer konnte ich beschwören. Fragt micht nicht, wie ich das damals geschafft habe, aber heute kann ich es sogar kontrollieren.“ Bargh sah, dass Neire das Interesse an Zussa verlor, während sie sprach. Er erinnerte sich, dass Neire einfache Menschen als niedere, wertlose Sklaven betrachtete. Lediglich mit dem letzten Satz zur Feuerbeschwörung konnte Zussa Neires Aufmerksamkeit wieder gewinnen. „Nun, wir sollten mit unserem Spiel beginnen. Hier habt ihr einige Pilze zur Stärkung. Folgt uns durch die Gänge.“ Neire reichte Zussa einen Beutel mit Pilzen, den sie hastig entgegen nahm. Noch während sie aufbrachen sah Bargh, dass Zussa die ersten Pilze bereits in ihren Mund befördert hatte und sie gierig verschlang.

Neire reichte Bargh den Weinschlauch. Er hatte bereits einen Tropfen Grausud zu sich genommen und von dem Wein getrunken. Jetzt sah er, dass Bargh es ihm gleich tun würde. Es dauerte nicht lange, dann setzte der Rausch ein. Alles schien verlangsamt und glitzernd, als ob jede Bewegung schimmernde Fäden ziehen würde. Wellen von wohlfühlendem Prickeln liefen duch Arme und Beine und wenn er seine Gliedmaßen verdrehte, verstärkte der Effekt sich für eine kurze Zeit. Auch Zussa hatte nach einer weiteren Kostprobe verlangt, doch Neire wusste, dass sie das Mädchen mit den Feuerkräften noch brauchen würden. Er wusste auch, dass eine zu hohe Dosis von Grausud eine narkotisierende Wirkung haben konnte. So hatten sie ihr die Substanz verweigert und sie hatte sich, ohne zu nörgeln, gefügt. Mehrere Schlücke hatte sie noch aus ihrem Weinschlauch genommen. Im Halbdunkel des Lochs von Felsplatten vor dem Tempel blickte Neire in die Richtung seiner beiden Mitstreiter. Auch Bargh legte die einsetzende Müdigkeit ab. Grausud konnte Wunder bewirken, wenn es um lange Phasen von Wachheit ging. Dennoch sahen beide, Bargh und Zussa, mitgenommen aus. Sie hatten eine lange anstrengende Arbeit hinter sich. Zuerst hatten sie die Fässer mit dem beißend riechendem Inhalt von der Kammer zum Schacht getragen. Dann hatten sie zwei Seile aneinander geknotet. An ein Seilende hatten sie jeweils mehrere Fässer befestigt, die Bargh dann hinaufgetragen hatte. Neire hatte sie dann auf der oberen Plattform entgegengenommen und hinabgetragen. Schließlich hatten sie die Fässer aufeinandergestapelt, eines davon geöffnet und mit Stoff bedeckt. Aus den Vorratsräumen der Außenmauer hatten sie zudem Lampenöl herangetragen, mit dem sie den Stoff getränkt hatten. Dann hatte Zussa den Einfall gehabt eine Bahn von Stoff hinauszulegen, die sie dann auch mit Lampenöl getränkt hatten. Ihre letzte Vereinbarung war wie folgt getroffen worden. Sollten die verbleibenden Wachen aus Dreistadt eintreffen, würden sie warten bis diese in den Turm hineinschritten. Dann sollte Zussa handeln und mit ihrem Feuer die Fässer entzünden. Neire verfiel wieder in Gedanken und trank am Weinschlauch. Er spürte, dass ihn das Feuer und die Schatten verlassen hatten. Er hatte Bargh das nicht wissen lassen und er ließ es sich auch nicht anmerken. Er wusste, dass er jetzt der schwarzen Kunst nachgehen musste. Es waren die letzten Geheimnisse, die er so erlernen konnte und die ihn hoffentlich zum größeren Verborgenen führen würden. Immer wieder blickte in Richtung von Bargh und Zussa, die sich leise unterhielten. Es störte ihn, dass die beiden wohl Gefallen aneinander gefunden hatten; dass nicht er im Mittelpunkt stand. Sie ist nicht Lyriell. Sie ist keine Kupferne Kriegerin. Sie ist eine niedere Sklavin und sie stammt von Schafszüchtern ab. Es wird sich schon noch zeigen, ob sie es wert ist. Ob Jialiraes Gunst ihr zurteil werden kann. Mit diesen Gedanken verbrachte Neire einige weitere Zeit, bis er die Schritte hörte. Es musste wohl noch Vormittag sein, denn die Sonne stand noch nicht in ihrem Zenit. Er konnte drei Stiefelpaare hören, die sich beharrlich näherten. Auch Bargh und Zussa waren jetzt aufmerksam und hatten sich vorsichtig erhoben. Sie hielten sich hinter den natürlichen Felswänden, so dass sie hier nicht entdeckt werden konnten. Jetzt sahen sie die drei Wachen in ihren Sichtbereich schreiten. Sie steuerten auf eine der Steintreppen zu, die sie auf den äußeren Ring führten. Zwei junge Burschen. Der eine muskulös, der andere kräftig gebaut. Sie hatten grüne Mäntel. Der Anführer war älter und trug einen blauen Mantel. Vorsichtig schlichen sie sich die Treppe hinauf. Als sie aus ihrem Sichtbereich verschwanden, flüsterte Neire. „Jetzt Zussa, folgt mir, vorsichtig.“ Zussa zögerte einen Moment, Furcht war in ihren Augen. Doch dann gab sie sich einen Ruck. Sie folgte Neire leise und behende in Richtung der Treppe, die sie beide erklommen. Vom Ende der Treppe konnten sie über die gewölbte Brücke in den Turm sehen. Alle doppelflügeligen Portale standen jetzt sperrangelweit offen. Die Wachen waren gerade dabei in das Innere des Turmes vorzudringen. Einen kurzen Moment zögerten sie, als der Anführer auf das Lampenöl getränkte Band zeigte. „Was ist das? Was ist hier passiert? Verteilt euch und bringt mir eure Lageberichte.“ Neire sah wie die beiden jüngeren sich verteilten. Er musste innerlich lachen. Auch in dieser Situation hielten sie sich stur und stupide an ihre Befehle. Für weitere Gedanken reichte es bei diesen niederen Sklaven anscheind nicht. Als der Anführer vor den Fässern stand, murmelte Neire zu Zussa: „Jetzt Zussa, beschwört euer Feuer. Nehmt Rache an diesen Bastarden, deren schwache Seelen wir Jiarlirae weihen.“ Zussa, am ganzen Körper zitternd, sprang auf, ging wenige Schritte nach vorne und beschwor das Feuer. Für einen kurzen Moment wurden ihre Augen schwarz. Dann konnte Neire von dort ein Glühen erkennen. Sie schleuderte mehrere Feuerkugeln, die sich über dem Inneren des Turmes herabsenkten. Augenblicklich entzündete sich das Lämpenöl und einen Sekundenbruchteil später das Faß. Dann spürten sie die Druckwelle, die sie von den Stufen schleuderte. In ihren Ohren war ein Fiepen und eine Stichflamme von Feuer raste über sie hinweg. Als sich Neire langsam aufrichtete kam ihm die infernalische Hitzewelle entgegen. Er sah den Turm dort, als weißlich glühende Feuersäule. Als ob die schwarzen Steine selbst Feuer gefangen hätten. In das Fiepen in seinem Ohr drangen auch andere Geräusche. Das dunkle Krachen von brechendem Stein. Tatsächlich begannen die rot glühenden Steine langsam in sich zusammenzustürzen. Neben ihm waren jetzt auch Bargh und Zussa aufgetaucht. Zussa starrte in ihrem Rausch gebannt in die brennenden Flammen. So standen sie dort einige Zeit und beobachteten schweigend. Dann fing Neire an zu singen und zu tanzen. „Lasst und feiern, lasst uns tanzen, in der ewigen Nacht ohne Morgen. Preiset die schwarze Natter als Abbild unserer Göttin, deren Name Jiarlirae ist. Weinet nicht um die verglimmenden Feuer, weinet nicht um die erlischende Glut, die Glut von Nebelheim. Denn Dunkelheit birgt ihre Ankunft, Schatten ist das Licht unserer Göttin und Flammen der Morgen ihrer Heiligkeit.“ Er nahm zuerst Zussa und tanze mit ihr, doch sie wollte nicht richtig. Dann wendete er sich Bargh zu. So tanzten sie im Antlitz des Feuers. Sie tranken den Wein und feierten in der Nacht ohne Morgen; unter der brennenden Fackel der Ruine von Torm. Neire sprach den Reim der Königin von Feuer und Düsternis. Neire sang vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes; das brodelnde Magma flüssigen Gesteins schimmerte in ihren dunklen Augen.

Das Boot nahm langsam Fahrt auf. Zussa war bereits in einen Schlaf verfallen. Sie alle hatten sich kaum noch auf den Beinen halten können. Sie konnten die ferne Küste sehen. Hinter ihnen stieg Rauch aus dem Vulkan. Neire sah Bargh eindringlich an, bevor er sprach. „Wir fahren nach Stadwilla. Dann müsst ihr nach Norden reiten. Nehmt Zussa mit euch. Jialirae hat eine andere Aufgabe für mich geplant; ich habe es in meinen Träumen gesehen. Hört genau zu, denn ich habe euer Schicksal gesehen…“ Bargh nickte trunken und der Jüngling mit den gold-blonden Locken fuhr lächend fort.
Titel: Sitzung 47 - Der Weg nach Wiesenbrück
Beitrag von: Jenseher am 29.12.2022 | 17:31
Es sind inzwischen schon vier Tage vergangen, seit meiner denkwürdigen Rettung aus den Verliesen der Tempel-Festung. Die Aufregung, die ich gespürt hatte, als wir durch die Gänge hasteten und als ich die Feuer beschwor, die den gewaltigen Turm in Rauch und Feuer aufgehen ließen, verblasste schnell. In diesen vier Tagen reisten wir nach Norden, passierten die Adlerburg und durchquerten Berghof. Der große Krieger Bargh und der Jüngling Neire hatten anscheinend einem Mann namens Ariold aufgetragen, ihre Pferde in das Dorf Stadwilla zu bringen, um dort auf sie beide zu warten. Nun ja, die Pferde waren tatsächlich dort, von Ariold fehlte jedoch jede Spur. Ich vermute es wird nicht gut für ihn enden, wenn die beiden ihn wiedersehen sollten.

Wir machten Rast in dem Ort Kusnir. Dort wartete ein alter Bekannter von Bargh und Neire, ein grimmiger und langweiliger Elf, der sich wohl Halbohr nennt. Seinem Ohr nach zu urteilen, dem irgendwann mal die Spitze abgeschnitten wurde, ist der Name auch ziemlich offensichtlich. Hier in Kusnir erreichte uns auch die Einladung, welcher Halbohr und Bargh folgen und mich damit zu einem tagelangen Marsch durch Kälte und Nässe der nördlichen Berge zwingen sollten. Das Ziel war offenbar eine Beerdigung. Irgendeine Mutter hatte ihren Sohn verloren; als ob das nicht ständig passieren würde. Siguard Einhand war der Name des Toten. Ein Name, der Neire und Bargh bekannt war. Kein Wort stand dort, woran der Sohn gestorben war, nur dass Bargs und Neires Anwesenheit explizit erwünscht sei und dass wir uns eilen mussten, um rechtzeitig anzukommen. Also machten wir uns auf den Weg. Neire hatte allerdings andere Pläne. Er sprach mit Bargh unter vier Augen und ritt auf seinem Pferde anderen Zielen entgegen.

So waren es also ich selbst, Bargh und Halbohr, die in die nördlichen Gebirge aufbrachen. Unser Ziel war ein kleines Bergdorf in den Schneebergen. Schon allein der Name verhieß keine Freude und ich sollte mich auch nicht irren. Der Weg in die Berge war lang und beschwerlich. Meine Füße taten weh vom Laufen und auch als Bargh mir sein Pferd gegeben hatte, wurde es nicht besser. Jetzt waren es nicht die Füße, sondern Rücken und Hintern, die schmerzten. Der Wind war kalt und nass, die Welt auf einem Rücken eines Pferdes war trist und langweilig und die Anspielungen von Bargh, wie er bei unseren Nachtlagern immer näher rückte und erzählte von den Geheimnissen seiner Herrin, halfen meiner Laune nicht sich zu bessern. Sicherlich, er ist ein starker Krieger und man kann mit ihm bestimmt viele Abenteuer erleben und überleben, aber er macht mir ehrlich gesagt auch etwas Angst.

Am vierten Tage kamen wir schließlich über eine Hügelkuppe, auf deren Spitze wir hinab in ein kleines Tal blicken konnten. Dort hatte sich bereits eine kleine Gruppe von Menschen versammelt, allesamt gekleidet in dunkle Gewänder. Einige führten Laternen mit sich, die dieses Plateau in ein schwaches Licht hüllten. Uns offenbarte sich eine Art Bergfriedhof; wir konnten Grabsteine sehen. Mir schauderte kurz, zum einem wegen den einsetzenden Sturmböen und dem Schneeregen, die wieder Kälte in meine Knochen trieben. Zum anderen auch vor dem Gedanken, eine Ewigkeit trauernden Menschen zuhören zu müssen, die über irgendein Leben berichteten, was mich nicht im Geringsten interessierte. Dies schien auch ein Schwarm von Krähen zu denken, der merkwürdig ruckhaft davonflog. Die seltsamen Tiere suchten wohl ihr Heil in der Flucht und flogen schneebedeckten Gipfeln entgegen, die jetzt von dunklen Wolken umhüllt waren.

Wir kamen näher zu der Begräbnisstätte und sahen, dass die Leute sich um ein bereits ausgehobenes Grab versammelt hatten. Eine ältere Frau wimmerte leiste - die ganze Zeit. Ein anderer Mann, auch etwas älter und seine grauen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, erhob seine Stimme und begrüßte die Einwohner von Wiesenbrück, so der Name des Dorfes, aus dem dieser Siguard stammte. Er ist wohl in Kusnir umgekommen, wo ich selbst noch vor wenigen Tagen etwas Ablenkung in dem Gasthaus und dem einfältigen Wirt dort genießen durfte. Siguard hatte sogar einen Abschiedsbrief verfasst, den der Mann mit dem Pferdeschwanz gerade vorlas. So wurde ich über den Ort seines Todes eines Besseren belehrt:

„Es ist nun eine Weile her, dass ich nach Wiesenbrück zurückgekehrt bin. Es ändert nichts, ich liebe meine Familie, hier und in Kusnir. Doch mein Leben hat sich geändert, seit ich den jungen Priester getroffen habe. Die Runen im Fleisch, die Träume und die Sehnsucht. Die Suche nach der versunkenen Stadt, nach Feuer und Schatten, treiben mich durch den Nebel. Doch das Licht am Ende des Tunnels ist ein anderes. Es birgt einen alten Verrat und doch eine Erlösung. Die Sünden der alten grauen Rasse werden für euch der Untergang sein. Die Pest der blauen Teufel, die sie in die Welt entließen. Für mich zeigt sich das Licht der Göttin, über dem alten Irrling. Und so muss ich durch die Dunkelheit gehen, bis das Licht wieder scheint. Es wartet SIE auf mich, die Königin von Feuer und Düsternis, die Dame des Abgrundes.“

Die Worte erinnerten mich direkt an die Geschichten von Bargh und Neire, von ihren Erzählungen über ihre eigene Herrin, Jiarlirae, und über Nebelheim, wo Neire aufgewachsen ist. Der ältere Mann erzählte weiter, dass dunkle Zeiten sich anbahnten und sie sogar das berühmte Fest von Wiesenbrück absagen mussten. Die Leute fingen an, Erde auf die Holzkiste zu werfen, als ob der Tote dann darin besser schlafen würde. Bargh und Halbohr gingen zu der älteren Frau hin und heuchelten etwas Mitgefühl.

Plötzlich hörte man ein Brüllen, als sich auf einem Felsvorsprung die riesige Gestalt eines Bären aufbäumte. Rosiger Schaum hatte sich um das Maul gebildet. Der Bär sprang mit einem Krachen von dem Vorsprung hinab und stürzte sich auf die Menge. Panik brach in der Trauergesellschaft aus und der ältere Mann rief in die Richtung von Bargh und Halbohr, ängstlich um Hilfe flehend. Die beiden reagierten auch sehr schnell, Halbohr zog einige seiner Dolche und Bargh seine merkwürdige Klinge, die aussah als ob sie Schatten bluten würde. Die Kreatur brüllte abermals laut auf. Ich selbst habe mich hinter einen Grabstein geduckt und dachte mir, Bargh und Halbohr würden dies bestimmt auch so überleben. Die beiden bekamen auch unerwartete Hilfe, als einer der Jäger, die auch als Trauergäste geladen waren, hervortrat. Eine dürre Gestalt war es, in einem dicken Ledermantel und Fuchsfellen gekleidet und eine Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Er zog einen geölten Säbel und bewegte sich hinter die Kreatur.

Zusammen konnten sie das Wesen zu Fall bringen, doch man hörte bereits ein weiteres Brüllen und aus dem Unterholz stürmten zwei dieser, vor Wut wahnsinnigen, Tiere auf sie zu. Ich blieb weiter in Deckung, doch das unheimliche Flüstern in meinem Kopf war wieder zu hören. Ich habe es immer noch nicht geschafft, irgendetwas von dem Flüstern zu verstehen, noch weiß ich, wem diese Stimme gehört. Einzig klar ist, dass dieses Flüstern auch mich zu hören scheint und mir Macht gibt. So auch jetzt, als die beiden tollwütigen Bären sich vor Bargh, Halbohr und dem Jäger aufbauten und ein Tier seine messerscharfen Krallen in den Leib Halbohrs bohrte. Ich habe inzwischen gelernt, was ich der Stimme zuraunen muss, damit sie mir hilft. Dieses Mal sorgte sie dafür, dass sich in meinen Händen eine blendende und heiße Lanze aus purem Feuer bildete. Blitzschnell blickte ich über den Grabstein und schleuderte die Lanze auf einen der Bären, der sogleich mit einem beängstigenden Heulen in Flammen aufging und zuckend zu Boden sackte. Die andere Kreatur fiel den Klingen der drei Kämpfer zum Opfer und auch diese verfiel seltsamen Zuckungen in ihrem Tode.

Wir blickten uns um und waren inzwischen alleine auf dem Friedhof - die anderen Trauergäste waren schon beim ersten Brüllen geflüchtet. Der fremde Jäger zog seine Kapuze zurück und stellte sich als Atahr vor. Ich sah seine merkwürdige schwarze Haut, spitze Ohren, fliederblaue Augen und langes weiß-glattes Haar. Atahr war kleiner als ich, doch kein Kind mehr. Sein schlankes, nobles Gesicht strahlte Lebenserfahrung aus. So eine Kreatur hatte ich bisher noch nie gesehen. Ich dachte erst, die Schwärze wäre vielleicht eine Art Kriegsbemalung, die er auf seine Haut gebracht hätte, doch es fühlte sich tatsächlich nach normaler Haut an. Vielleicht stammt er von einem seltenen Bergvolk ab, dass sich nur in Gegenden aufhält, die ich vorher noch nicht betreten hatte. Für die anderen schien sein Anblick nichts Besonderes zu sein.

Halbohr nutzte die Gelegenheit und blickte sich um. Doch wir waren allein und so öffnete er den Sarg, der schon mit etwas Erde bedeckt war. Dort lag sie, die Leiche des Siguard Einhand. Jetzt erkannte Bargh die Gestalt wieder und erzählte uns von einem Trinkspiel, zu dem sie ihn in Kusnir überredet hatten. Von diesem Trinkspiel zeugte noch eine Narbe auf seiner Handfläche, die grob die Umrisse einer Münze, das Bildnis einer Menschenschlange und einen Chaosstern zeigte. Und an beiden Handgelenken hatte er tiefe Schnitte entlang seiner Adern. Es sah so aus, als ob er seines Lebens überdrüssig geworden war und diesem selbst ein Ende bereitet hatte.

Wir beschlossen, ebenfalls in das Dorf Wiesenbrück aufzubrechen. Als ich hörte, dass es auch ein großes Fest zu Ehren des Toten geben würde, gefiel mir dieser Vorschlag auch sehr gut. Das Dorf selbst befand sich in einem größeren Tal und eine Straße führte über eine kunstvolle steinerne Brücke direkt auf die Mitte des Dorfes zu. Dort stand ein großes Gebäude mit einem riesigen alten Baum in der Mitte. Es sah fast so aus, als wäre der Baum in diesem Haus gewachsen und irgendwann durch das Dach des Hauses gebrochen. Wir hörten aus diesem Haus laute Stimmen und rochen schon den angenehmen Geruch von gebratenem und gewürztem Fleisch. Auch spürte ich die Wärme, die aus dem Inneren kam. Nach Tagen in kalter Nässe, war diese Wärme noch viel schöner als der Geruch des Essens und ich freute mich schon, wieder etwas Spaß haben zu können. Der Galgen seitlich des Weges hielt drei im Wind baumelnde, verrottende Körper. Dieser Anblick war zwar nicht sehr einladend, aber was kümmert es mich, welche Regeln hier offenbar gelten.

So traten wir in das Gebäude ein und der Geruch, die Wärme und die Geräusche überzogen uns. Als die Bewohner uns erblickten, wurden wir gebührend empfangen. Sie jubelten uns zu und klatschten laut in die Hände. Ich wunderte mich - einzig wegen der paar wilden Tiere, die wir für sie erlegt hatten? Sehr wehrhaft schienen sie hier nicht zu sein. Ich blickte in die müden Gesichter und sah Dankbarkeit. Der Wirt, ein Mann namens Raimir Gruber, führte uns zu einem Tisch, vorbei an dem großen Baum, der hier in der Mitte der großen Halle stand und dessen Rinde mit vielen verschiedenen Schnitzereien versehen war. Am Tisch neben uns saß die Mutter des Toten und der ältere Mann, der den Abschiedsbrief dieses Siguard vorgelesen hatte. Leider hatten sie hier keinen Wein, aber der Wirt pries sein Bier an, gebraut aus dem kalten Gletscherwasser des Flusses Fireldra, der vor den Toren des Dorfes fließt. Bargh zögerte nicht lange und hatte schon bald einen großen Humpen vor sich stehen, den er mit kräftigen Zügen in sich hineinschüttete. Ich wollte dem nicht nachstehen, sonst denkt er am Ende noch ich wäre ein kleines Kind. Dennoch wäre mir Wein lieber gewesen.

Halbohr und Atahr sind langweilige Gefährten. Sie unterhielten sich nicht mit mir. Atahr machte sich schon bald auf und sprach in der Menge mit einigen Leuten, die ihm Geschichten erzählten über Tiere, die plötzlich wild und unberechenbar wurden. Atahr erkannte dies als eine Art Krankheit, die die Tiere in eine wilde Raserei versetzte. Aber auch Menschen schienen davon nicht ausgenommen zu sein, da es wohl auch Geschichten gab über Dorfbewohner, die plötzlich und ohne Vorwarnung andere erschlugen. Das war dann wohl die Erklärung für die baumelnden Kadaver am Strick des Galgens.

Halbohr setzte sich, unhöflich wie er ist, einfach an den Tisch zu der trauernden Mutter und dem älteren Mann, der sich als der Dorfvorsteher Eirold Mittelberg vorstellte. Diese berichteten ihm, dass Siguard nach seiner Rückkehr aus Kusnir anfing sich merkwürdig zu verhalten. Er führte obskure Rituale durch und erzählte über die Legende des alten Irrlings, über die er auch in seinem Abschiedsbrief geschrieben hatte. Offenbar eine Geschichte über ein altes Portal der Grauelfen welches sich in der Irrlingsspitze, einem markanten Berg, den wir auch auf dem Weg hierher sahen, erbaut wurde. Wohin dieses Portal führt weiß keiner, aber dass es wohl verschlossen wurde und auch nicht mehr geöffnet werden kann. Eine andere Geschichte erzählte von einem Licht am Himmel, dass man hier auch Linnerzährn nennt. Als ich das hörte, musste ich direkt ein einen bestimmten Kometen denken, der alle 23 Jahre am Himmel zu sehen ist und danach wieder verschwindet. Dieses große Fest des Dorfes, was abgesagt wurde, wurde wohl erstmalig genau dann abgehalten, als dieser Komet zu sehen war. Aber sollen sie ruhig weiter an ihre alten Legenden und Geschichten glauben.

Bargh schien an all den Gesprächen in keiner Weise interessiert zu sein. Humpen über Humpen trank er sein Bier und war bester Laune. Ich fand es anfangs auch sehr lustig, doch langsam rückte er immer näher und legte seine Hand um mich und versuchte mich zu küssen. Sicher ist er ein statthafter Mann und starker Krieger, aber etwas an ihm macht mir noch Angst. Vielleicht ist es sein verbrannter Schädel, vielleicht dieser merkwürdige Edelstein an Stelle seines Auges, jetzt natürlich verdeckt durch seine Augenbinde. Ich kann es gar nicht sagen, was mir an ihm Angst macht. Vor allem, da er auch etwas über diese Stimmen und dieses Flüstern, was ich in meinem Kopf höre, zu wissen scheint. Ich stand auf und mischte mich ebenfalls in die Menge, ließ ihn alleine zurück. Alleine schien es ihm aber auch langweilig zu werden. So suchte er einige Dirnen mit denen er sich vergnügen konnte. Soll er doch, diese Weiber wird er am nächsten Morgen wieder vergessen haben und ich werde es sein, mit dem er sein Wissen teilen wird.
Titel: Sitzung 48 - Vorboten
Beitrag von: Jenseher am 6.01.2023 | 22:09
Finstere Träume ließen mich in der Nacht aufschrecken. Ich träumte, dass ich mit Halbohr und Bargh in den Wäldern auf Reisen war und wir unser Nachtlager aufgeschlagen hatten. Das Feuer prasselte und ich musste wohl im Traum selbst eingeschlafen sein. Mein Kopf fiel nach vorne in die Flammen und meine Haare fingen direkt Feuer. Ich erinnerte mich, dass ich im Traum schrie und mich wälzte, obwohl ich seltsamerweise keine Schmerzen spürte. Mit einer Mischung aus Entsetzen und ekelhafter Faszination betrachtete ich mich selbst, wie das Feuer von meinen Haaren auf mein Gesicht übergriff. Ich konnte fühlen, wie die Haut und das Fleisch von mir abfielen, wie eines meiner Augen durch das Feuer aus meinem Schädel hervorplatzte. Immer noch waren da keine Schmerzen. Was mich aufwachen ließ, war das Gefühl, dass irgendetwas aus meinem Bauch seinen Weg zu meinem Mund fand und dort herauskroch.

Mit diesem Schrecken fuhr ich aus meinem Bett. Ich erinnerte mich im Gasthaus zum alten Nussbaum zu sein. Das Erste was ich tat, war in meinen Mund zu greifen. Ich ertastete, ob sich irgendetwas darin befand. Erst danach fühlte ich mein Gesicht und meine Haare. Aber da war nichts. Ich war hellwach, obwohl der Morgen gerade erst graute. An weiteren Schlaf war aber nicht mehr zu denken. Ich öffnete die Fensterläden und sah, dass es über Nacht geschneit hatte. Schneebedeckte, schroffe Berge glitzerten im märchenhaften Schimmer der Spätherbstsonne. Ich atmete die klare und frostige Luft und hoffte, dass wenigstens das Frühstück etwas Gutes an diesem Morgen brächte. Das sollte sich leider als falsch herausstellen.

Nachdem ich mich gewaschen hatte, begab ich mich in die Schankstube mit dem alten Stamm. Das Mädchen des Wirtes reichte mir gebratenen Speck und Eier. Allein der Geruch des Essens brachte meinen Magen zur Rebellion. Die Magd stellte sich mir als Tochter von Raimir, als Edda Gruber vor. Und das Mädchen wollte nicht aufhören zu plappern; jedes Wort dröhnte wie ein kleiner Hammerschlag in meinem Kopf. Vielleicht waren es die Träume oder der fehlende Schlaf, aber ich befürchtete, dass ich, wenn sie weiterredete, ihren Kopf auf die Tischplatte schlagen müsse. Ja, sie sah vielleicht eine Freundin in mir. Aber was sollte sie mit ihren vielleicht 13 Wintern schon gesehen haben? Jedenfalls nicht das, was ich bereits erlebt hatte. Als Halbohr etwas später die Stufen herunterkam, war es schon fast eine Erlösung; hoffte ich doch zumindest das kleine Etwas loszuwerden. Seinen Augenringen zu urteilen schien er keine bessere Nacht als ich gehabt zu haben. Ich fragte mich, ob ihn auch Träume gequält hatten. Vielleicht, wie er selbst in dem Grab läge, was er am Tag vorher noch untersuchte. Vielleicht sah er, wie er dort lebendig begraben wird?

Halbohr hatte selbst morgens nicht besseres zu tun, als fasziniert die Schnitzereien längst vergangener Zeiten in dem riesigen alten Nußbaum zu betrachten. Dabei fragte er die Frau des Wirtes, Ilga Gruber, aus. Offenbar hatten sich über die Zeit viele Bürger von Wiesenbrück in diesem Baum verewigt und ihren Angebeteten Herzchen und schlüpfrige Sprüche hinterlassen. Einzig tief am Stamm des Baumes, wo die ältesten Schnitzereien waren, fand Halbohr etwas Interessantes. Dort waren Runen, die ihn an die elfische Schrift erinnerten. Ein Stück darüber fand er fünf Namen im Holz: Niroth, Adanrik, Kara, Faere und Waergo; umringt von einigen religiösen Symbolen, die mich an den Schutzpatron Torm erinnerten. Bei diesem Gedanken hatte ich bildhafte Erinnerungen. Von dem Turm auf der Insel und den weißen Flammen, die diesen verschlangen.

Der Wirt, Raimir Gruber, kannte sogar einige Geschichten über die fünf Namen im Stamm. Er selbst war wohl noch ein Kind, als das Dorf das große Fest feierte. Er erzählte von einer schönen Frau mit roten Haaren und feiner, schneeweißer Haut, die Lieder sang und zwei Männern vom stämmigen Volke. Offenbar war dies eine Gruppe von Abenteurern, die mit dem Erscheinen des Linnerzährn eintrafen. Sie wollten zur Irrlingsspitze aufbrechen, doch nach ihrem Auszug aus Wiesenbrück verschwanden sie spurlos.

Gerade wollte Raimir noch mehr erzählen, als plötzlich die Türe des Gasthauses aufgestoßen wurde. Die erbärmlich aussehende Gestalt des Kriegers Bargh trat herein, wobei stolpern die bessere Wortwahl gewesen wäre. Offenbar war er immer noch betrunken. Seine Augenbinde, hinter der er den roten Edelstein versteckte, trug einen dunklen Blutfleck. Doch das bereits mit dem Fleisch verwachsene Juwel war jetzt nicht zu sehen. Lallend erzählte er, dass die beiden Dirnen, mit denen er sich in der Nacht vergnügen musste, versucht hatten, ihm den Rubin aus der Augenhöhle zu schneiden. Es dauerte nicht lange und die beiden Weibsstücke, Reldra und Fära, kamen herein. Sie waren ihm anscheinend gefolgt. Auch sie waren noch betrunken und sie wollten wohl den Fang des gestrigen Abends wiederholen. Reldra griff sich in den Schritt und führte obszöne Gestiken durch. Fära hob einhändig eine ihrer Brüste und streckte ihre Zunge heraus, um ein lüsternes Lecken anzudeuten. Beide lachten in einem hässlichen, trunkenen Ton. Ich musste mich fast übergeben, doch Halbohr schien, völlig unberührt von dem widerlichen Anblick, die entstehende Szene zu seinen Gunsten auszulegen. Gespielt verärgert trat er den beiden entgegen und drohte ihnen hinsichtlich ihrer Tat mit dem Strick. Auch Raimir, der das Schauspiel mit einem gewissen Erstaunen betrachtete, stimmte dem zu. Davon ließen sich die beiden beeindrucken und zogen es vor wieder zu verschwinden. Halbohr wollte sich jedoch nicht damit zufriedengeben und Gerechtigkeit walten lassen. Das sagte er zumindest Raimir. Ich selbst glaubte aber, dass es ihm Freude bereiten würde, wenn er die beiden Weibsstücke am oberen Ende eines Galgens baumeln sehen würde. Also ging Halbohr schnurstracks zu Eirold, dem Dorfvorsteher.

Ich vermute, dass er versuchte Eirold von seinen Plänen zu überzeugen. Was die beiden alles besprochen haben kann ich nicht sagen, aber es dauerte länger. Während Halbohr also noch unterwegs war, betraten zwei von Schneeflocken bedeckte Männer das Gasthaus. Es hatte wohl wieder begonnen zu schneien. Beide Männer waren offenbar Jäger; der eine mit einem Bogen bewaffnet und der andere mit einem Schwert. Der Mann mit dem Schwert baute sich vor Bargh auf. Dieser Jäger schien wohl nicht ganz bei Sinnen zu sein, denn er forderte Bargh zum Zweikampf heraus. Als Grund nannte er den Beischlaf mit seiner Frau. Ich musste kurz in mich hinein kichern, als diese mickrige Gestalt im Vergleich zum großen Bargh dort stand. Als sich herausstellte, dass die beiden Weibstücke die Frauen dieser beiden waren, wurde es immer lustiger. Jetzt kehrte auch Halbohr wieder zurück. Jedoch verstand er entweder die Komik dieser Situation nicht oder er hatte einfach keinen Sinn dafür. Er stellte sich hinter den Bogenschützen, zog seine Dolche und beobachtete schweigend.

Bargh kämpfte immer noch mit seinem Kater. Es schien mir, als hätte er gar nicht das Verlangen, von seinem Tisch aufzustehen. Gierig schlang er das Frühstück hinein, das ich ihm überlassen hatte. Doch der Jäger ließ nicht locker, beleidigte seine Ehre und forderte ihn erneut heraus. Dann erhob sich Bargh. Ich hätte gerne gewusst, was im Kopf des Fremden vorging, als der Krieger Jiarliraes ihm entgegenstand und er nun den Kopf heben musste. Auch als Bargh seine merkwürdige Klinge zog, die aus dem Stahl Schatten zu bluten schien, arbeitete es in seinem Gesicht. Allerdings hatte er keine Zeit mehr seinen Fehler zu erkennen. Bargh schwang sein Schwert, dessen Schatten sich mit dem Schlag in züngelnde Flammen aus heißem Feuer verwandelten. Mit einem kräftigen Hieb stieß er das Schwert in den Leib und mit einem schnellen zweiten Schlag hieb er dem armen Wicht das Bein unterhalb der Hüfte ab. Der Tölpel konnte nicht einmal mehr schreien als der Tod ihn mitnahm. Der andere Jäger schien mehr Verstand zu haben. Als er sah, wie sein Freund in feurigen Wunden zu Boden ging, suchte er sein Heil in der Flucht. Halbohr hielt ihn zwar noch einen Moment fest, doch er wand sich wie ein Wurm und verschwand aus dem Gasthaus. Wie sich später herausstellte auch aus dem Dorf, mitsamt den beiden Frauen.

Nach diesem ereignisreichen Morgen verlief der Tag ziemlich langweilig für mich. Halbohr stellte einige Besorgungen an, Bargh schlief seinen Rausch aus und ich selbst versuchte meinen Magen zur Ruhe zu bringen. Als wir abends wieder im Gasthaus saßen, hörten wir von draußen plötzlich ein Gewirr von Stimmen. Auf dem kleinen Platz vor dem Wirtshaus hatten sich etliche Menschen versammelt und starrten in den Himmel. Es war wärmer geworden und der Schnee hatte begonnen zu tauen. Zudem war es aufgeklart, so dass wir ein malerisches Bild erblickten. Dort, zwischen den Sternen und hell leuchtend wie ein zweiter Mond, sahen wir ein Licht am Himmelszelt: Direkt über dem größten schneebedeckten Berg, über der pyramidenförmig aufragenden, gefährlich steilen Irrlingsspitze, thronte der Linnzerzährn, eine leuchtende Kugel in einem unnatürlichen gelblichen Licht. Die Menschen schienen von dem Anblick in einen Bann gezogen zu sein. Auch Bargh, der in der Erscheinung ein Zeichen seiner Göttin sah. Ich muss gestehen, dass dieser Anblick faszinierend war; und wer weiß, vielleicht hat Bargh sogar Recht, dass seine Herrin der Feuer und Schatten dort, auf der Spitze des Berges, auf unsere Welt hinab schreiten will. Und vielleicht, nur wirklich vielleicht, kann sie mir Fragen beantworten. Fragen, die ich mich selbst nicht traute laut zu stellen.

Wir erfuhren von den Leuten weitere Legenden über den Linnerzährn und die Irrlingsspitze. Es heißt, dass sich ein Portal in den Berg nur dann öffnet, wenn der Linnerzährn sein Licht über ihn ergießt. Ich überlegte kurz und erschrak: Offenbar bleibt er nur wenige Wochen am Himmel und verschwindet dann wieder für die nächsten 23 Jahre. Eile war also geboten, wenn ich meine Antworten erhalten wollte.

Wir hielten uns nicht lange auf. Schnell packten wir unsere Rucksäcke mit Verpflegung. Bargh übergab sein Pferd in die Obhut von Raimir Gruber und so machten uns auf den Weg. Wieder durch die Dunkelheit, wieder durch Kälte, wobei es wesentlich wärmer geworden war, seitdem der Komet am Himmel stand.

Wir verließen das Tal des Dorfes und folgten dem Fluss. Die Nacht sah gespenstisch aus in dem gelben Licht. Der Schimmer überstrahlte inzwischen sogar den Mond und die Felsen, denen wir uns näherten. Alles verwandelte sich in eine unwirkliche Kulisse – so als ob die Farben einem Spiel aus Licht und Dunkelheit gewichen wären. Als wir uns weiter der Felswand näherten, die einen Engpass zwischen Weg und dem Fluss Fireldra darstellte, wurde unser Pfad von einigen großen Felsbrocken unterbrochen. Halbohr sagte, er würde von dort ein merkwürdiges Schmatzen hören. Also schlich er sich über die Felsbrocken weiter nach vorne. Aber schon nach kurzer Zeit kehrte er wieder zurück. Eine riesige Kreatur befand sich wohl auf dem Weg, hinter den Felsbrocken. Mir schauderte zwar etwas, aber Bargh würde wohl auch mit so einer Kreatur schnell fertig werden. Vorsichtig schlichen wir uns alle an die Kreatur an. Als Halbohr von einer großen Kreatur sprach, erwartete ich etwas, das vielleicht einen Kopf größer als Bargh war. Was ich aber dort sah ließ mein Blut gefrieren. Die Kreatur, bei genauerem Hinblicken offenbar weiblich, war nicht nur groß, sondern wirklich gewaltig. Bestimmt vier bis fünf Schritt hoch, fett, und von einer abscheulichen Hässlichkeit, die einem den Magen nochmals umzudrehen vermochte. Sie kniete vor einem Haufen von Leichenteilen und biss gerade genüsslich in ein Bein irgendeiner Kreatur. Sabber und Schleim tropfte herab. Uns hatte sie den Rücken zugewandt. Plötzlich ging alles schnell. Halbohr stieß seinen Dolch der Gestalt in die Rückseite; Bargh stürmte heran und ließ sein Schwert sausen. Ich selbst beschwor die mir unbekannte Macht, auf dass sie mir flammende Speere schenke.

Die Kreatur torkelte auf den Abgrund neben dem Felspfad zu, als Stahl und Feuer tiefe Wunden in sie rissen. Sie stürzte in die Tiefe und in Richtung der reißenden Wasser der Fireldra. Doch noch im Todeskampf blickte sie flehend auf den Vorsprung, der bergwärts von dem in den Felsen geschlagenen Weg emporragte. Ich selbst verstand es nicht, doch Bargh und Halbohr zogen mich in den Schutz der Felswand. Als ich dem Blick der Kreatur folgte, sah ich es: Dort, am Rand der Felswand und etwa vierzig Schritt über uns, standen drei weitere dieser Kreaturen. Doch diese waren noch größer. Und tatsächlich, die Gestalt, die wir erschlagen hatten, hatte etwas Kindliches an sich gehabt. Dort oben befanden sich die Eltern und vielleicht ein Bruder, die mit wütendem Brüllen den Tod ihrer Tochter beobachtet hatten. Die Mutter schien ihren Verstand verloren zu haben, blutiger Schaum und Geifer bildete sich um ihr riesiges Maul, fast wie die Tollwut der Bären auf dem Friedhof. Ohne Vernunft ließ sie sich einfach auf uns fallen, um uns mit ihren Massen zu zermalmen. Zum Glück verfehlte sie uns um Haaresbreite. Wir hörten das Knacken von Knochen, das Reißen von Sehnen, als sie auf das Geröll schlug. Halbohr nutzte den Moment und schnitt ihr die Kehle durch, während sie versuchte sich aufzurappeln. Im halbdunklen Zwielicht des Kometen sah ich ihren gewölbten, fleischigen Körper zu Boden sinken, wie ein nasser Sack. Ein dunkler Blutregen sprühte aus ihrer zerschnittenen Kehle und blutige, geborstene Knochenstümpfe ragten aus ihren Fettmassen hervor. Wir saßen in der Falle und die einzige Flucht ging weiter den Felsenweg entlang. Also stürmten wir vorwärts über die Felsbrocken und liefen in ein Waldstück. Bargh gab kurze Befehle. Er wies mich an einen Felsen zu erklimmen, während Halbohr sich verstecken sollte und die Gestalten hinterrücks erlegen sollte.

Es sollte auch nicht lange dauern, bis das Donnern der trampelnden Schritte der Riesen zwischen den Bäumen hallte. Einige der alten Fichten begannen sich zu biegen, als der erste der beiden zwei verbleibenden Monster - ich kann nicht sagen ob es ein Bruder oder der Vater war - näherkam. Der Riese trampelte auf Bargh zu, der sich wiederum am Fuße des Felsens postiert hatte. Ich konnte dort hinabschauen und glaubte, in meinem Grauen unseren Untergang zu sehen. Doch Bargh kanalisierte die Macht seiner Herrin direkt in den Stahl seiner Klinge und auch ich bat wieder meinen unheimlichen Verbündeten um Unterstützung. Mit unseren Feuern konnten wir auch dieses Geschöpf erledigen. Plötzlich erstrahlte ein feuriger Schein vom Gipfel der Irrlingsspitze. Der obere Teil des schneebedeckten Berges schien mit einem Mal in Flammen zu stehen und eine gewaltige feurige Säule schoss dem Kometen Linnerzährn entgegen. Einen Moment später krachte der gewaltige Donner des Schauspiels auf uns herab und brachte unsere Ohren zum Klingeln. Wir konnten die Hitze der Flammen spüren. Selbst hier, wo wir doch noch so weit weg waren.

Die dritte Kreatur schien davon nicht beeindruckt zu sein. Sie stürmte auf uns zu, blind vor Wut und Haß. Diese Wut und diese Raserei, wir konnten sie alle spüren. Ich konnte deutlich sehen, wie sich auch vor den Lippen Barghs Schaum bildete. Halbohrs Gesicht verzerrte sich, doch er konnte sich noch kontrollieren. Auch ich spürte die Wut - entfernt wie ein leiser Schrei, schwach aber dennoch furchtbar anzuhören. Bargh hieb mit seinem Schwert auf die letzte Gestalt. Immer und immer wieder, selbst als diese schon zu Boden gegangen war. Mit den letzten Hieben hackte er ihr den Kopf vom Hals, als ob er einen Baum fällen würde.

Unser Blut gerät mehr und mehr in Wallung. Jeden Schritt, den wir auf die unheilvolle Spitze der Schneeberge zutun, ein wenig mehr. Ich gestehe: Ich fürchte mich. Nicht vor Monstern oder Wegelagerern. Das sind Ängste, die schnell wieder vorbeigehen. Nein, ich fürchte mich vor dem, was mich dort erwarten könnte. Ich fürchte mich vor den Antworten, die ich erhalten könnte. Ich weiß nämlich selbst noch nicht, ob mir diese auch gefallen werden.
Titel: Sitzung 49 - In die Dunkelheit
Beitrag von: Jenseher am 14.01.2023 | 10:00
Das geisterhafte Licht des Linnerzährn schien durch die Fichten auf uns herab und warf seine langen und unheilvollen Schatten über die stinkenden Leiber der Riesen. Ich konnte auf meiner Haut die Macht spüren, die von dem Schimmer ausging. Überall prickelte es und es war nicht der Kampf und auch nicht die Nähe meines geheimnisvollen Verbündeten. Kein einziger Tierlaut war zu hören, nur das Rauschen des Flusses, der durch die Schneeschmelze immer mehr anschwoll. Zudem das ständige Grollen der Flammen, die fortlaufend aus den Gipfeln der Irrlingsspitze schossen und förmlich von dem Kometen aufgesogen wurden.

Wir folgten dem Weg weiter bergauf, während der Fluss neben uns langsam zu einem reißenden Strom angeschwollen war. Je weiter wir ihm folgten, desto tiefer wurden die Fluten. Selbst einige Bäume konnten dem Wasser nicht mehr standhalten und wurden, mitsamt ihren Wurzeln, einfach mitgerissen. Wahrscheinlich wäre es Selbstmord, wenn wir versuchen würden hinüber zu schwimmen. Wir mussten aber auf die andere Seite, wenn wir weiter in die Richtung der Irrlingsspitze gehen wollten.

Während wir nach einigen Stunden der Wanderung am Fluss eine Pause eingelegt hatten, schlich von hinten eine schwarz gekleidete Gestalt auf uns zu. Halbohr bekam es direkt mit der Angst zu tun und versteckte sich hinter einem Baum. Doch es war nur die Gestalt Atahrs. Offenbar hatte er es vorgezogen, uns alleine mit den Riesen fertig werden zu lassen. Hier, in dem Licht des Linnerzährns, sah seine schwarze Haut aus wie dunkler Stein. Für mich wirkte es, als wolle Atahr einen Spaziergang machen. Seine federnden Schritte und sein Wanderstock ließen ihn schon fast fröhlich wirken. Doch wenn man genau hinschaute, sah man auch in seinem Gesicht die Anspannung, die Wut und ich denke auch das Kribbeln, das wir alle spürten.
Nachdem das Gefühl des Kampfes abgeklungen war, wurde es wieder ersetzt durch das eintönige Wandern. Immer weiter ging bergauf. Doch es fühlte sich an, als ob wir der Irrlingsspitze keinen Schritt näherkommen würden. Die Nacht wurde immer tiefer, obwohl ich das gar nicht so genau sagen konnte, da das Licht der Linnerzährns alles in sein gelbes feuriges Licht tauchte. Bargh und Halbohr fingen schon an sich eine Lagerstätte zu suchen. Dabei hatte ich ihnen schon so oft gesagt, dass wir uns beeilen müssten. Vor allem wollte ich das Laufen endlich hinter mir haben; auch wenn meine Füße langsam zu schmerzen begannen. Aber anscheinend meinten sie es ernst und suchten sich einen Unterschlupf unter einem großen Felsen und einigen Wurzeln. Und alleine weitergehen wollte ich auch nicht.

Zum Glück hatte Bargh noch etwas von seinem Weinvorrat. Der Wein tat gut, wesentlich besser als das Bier in dem Gasthaus. Der Wein wärmte meinen Bauch und meinen Kopf. Trotz des in Flammen gehüllten Berggipfels war es immer noch bitterkalt. Bargh erzählte Atahr von einer alten Geschichte, die er erlebt hatte. Offenbar hatte er schon früher mit dem elfischen Volk mit der dunklen Haut zu tun. Aber seine Geschichte hörte sich so an, als wenn es keine schöne Begegnung gewesen wäre. Er nannte sie Dunkelelfen und anscheinend beten sie Spinnen an, wie widerlich! Auch Bargh war dies wohl zuwider, denn er begann ein Gebet zu seiner Göttin anzustimmen. Als er sein Schwert zog, aus dessen Klinge immer noch die Schatten zu bluten schienen, war es, als ob selbst das unwirkliche Licht des Linnerzährns etwas dunkler würde. Es war, als ob alles um ihn herum in leichte Schatten getaucht würde. Ich ertappte mich dabei wie ich ihn fasziniert anstarrte. Diesen Krieger mit all seinen Muskeln und seinen Narben. So stimmte ich ein in sein Gebet, obwohl ich die Worte nicht kannte und damals auch noch nicht verstand. Aber was mich wirklich wunderte war, dass mein Verbündeter, den ich sonst nur spürte, wenn ich ihn um Hilfe anflehte, irgendwie viel näher war als sonst.

Mit grübelnden Gedanken legte ich mich in meine Ecke dieses Loches und schlief direkt ein. Doch wieder störten unruhige Träume meinen Schlaf. Ich träumte, dass ich irgendwo im Dreck lag und tausende kleine Kreaturen über meinen Körper liefen. Ich war starr vor Angst und konnte mich nicht mehr bewegen. Die kleinen Kreaturen krabbeln über meine Arme und über meine Brust. Als ich spürte, wie die ersten über meine Augen liefen, schreckte ich hoch. Doch schien es diesmal kein Traum gewesen zu sein. Eine Schar von Ratten stürmte über unser Lager hinweg. Vielleicht wurden sie von dem reißenden Fluss, der in der Nacht noch weiter angeschwollen war, aufgeschreckt und retteten sich vor den Fluten. Wir lagen wohl im Weg. Ich ekelte mich vor den kleinen stinkenden Leibern und ihrem hohen und schrillen Quietschen. Wie ein unaufhaltsamer felliger Strom schwemmten sie über uns und verschwanden im ansteigenden Bergwald. Die Sonne war schon aufgegangen, also war es sinnlos sich nochmal hinzulegen. Eine weitere Nacht, die viel zu früh zu Ende gegangen war. Das kalte und karge Frühstück machte die Sache nicht besser. Also blieb uns nichts anderes übrig als weiter zu ziehen.

Der Fluss schien in der Nacht etwas von seinem Wasser in das Tal hinab getragen zu haben. Jedenfalls stand die Fireldra nicht mehr so hoch wie noch am Abend vorher. Vermutlich hatten wir den Höchststand verschlafen. Die Leute in Wiesenbrück werden sich wundern, wenn ihre Deiche brechen. Wenn die Wassermassen und die mitgerissenen Bäume diese bersten lassen. Für uns war es gut, denn immerhin konnten wir jetzt leichter über den Fluss auf die andere Seite wechseln. Der Fluss hatte sich eine felsige Schlucht gegraben und hier und dort lagen einige, vor langer Zeit umgestürzte, Bäume über den Felsen. Atahr war offenbar ziemlich geschickt. Er nutzte einen Baum um auf die andere Seite zu klettern und band ein Seil dort fest. Über das Seil sollten wir wohl leichter auf die andere Seite gelangen. Halbohr dagegen fehlte einiges an Geschick. Er rutsche auf einer nassen Stelle auf dem Moos aus und hing kopfüber an einem Ast. Obwohl er nur einige Schritt über den schäumenden Fluten baumelte, musste ich kichern. Der bullige elfische Söldner machte nämlich einen unvorteilhaften Eindruck, als er um sein Leben kämpfte. Auch Atahr tuschelte etwas zu Bargh und ich hörte ihr Lachen. Doch die rauschenden Fluten der engen Felsenschlucht schluckten jedes Wort. Schließlich schaffte es Halbohr aber auch auf die andere Seite und wir konnten endlich unsere Wanderung fortsetzen.

Unser Weg wurde langsam immer steiler. Je höher wir kamen, desto kälter wurde es. Der Schnee, der weiter unten schon geschmolzen war, lag hier noch dicht über dem Wege. Selbst das Feuer des Kometen schaffte es nicht diesen zu schmelzen. Langsam aber sicher kamen wir den Felsen der Irrlingsspitze immer näher; wir stapften mittlerweile durch tiefen Schnee. Die Bäume lichteten sich zudem. Als die Sonne am höchsten stand und ihr Licht sich mit dem Licht Linnerzährns mischte, konnten wir sehen, dass unser Weg an einer Felswand endete. Dort eröffnete sich ein großes Portal mit Flügeln, Bolzen und Scharnieren wie aus dunklem Glas. Das immerwährende tiefe Grollen der Flammen war hier lauter und inzwischen konnten wir die Feuer riechen. Welche Urgewalten mochten wohl oben an der Spitze herrschen?

Vorsichtig näherten wir uns dem gähnenden Loch in die Dunkelheit. Halbohr, sich wohl seiner Fertigkeiten der Schurkenzunft besinnend, zog sich seine Schneeschuhe an und schlich leise einige Schritte voraus. Er sah tief im Schnee eingegraben eine Hand irgendeines armen Teufels hervorstehen, der wohl im letzten Todeskrampf versucht hatte sich frei zu graben. Er legte die Hand frei und fand unter der Schneedecke die Leiber von zwei, vielleicht drei Menschen deren Fleisch schon längst zu Eis erstarrt war. Atahr und Halbohr schlichen jetzt beide weiter zur Öffnung des Portals. Links und rechts davon türmten sich Geröll und Steine, doch der Weg direkt vor der Öffnung war frei. Die Schneefläche lag glatt davor. Das Grollen des Feuers schien jetzt nicht mehr nur von oben zu kommen, sondern auch aus dem Innern, irgendwo tief in der Schwärze, die sich hinter dem Portal eröffnete. Oder war das nur ein Echo? Atahr fasste seinen Mut zusammen und ging einige Schritte in den Tunnel hinein. Halbohr wartete auf Bargh und mich, bis wir bei ihm waren. Als ich zum ersten Mal in den dunklen Tunnel hineinblickte, bekam ich es wieder mit der Angst zu tun. Ich ließ mir natürlich nichts anmerken. Ich wollte nicht das kleine Kind sein, um das sich alle kümmern müssen und dem niemand etwas zutraut. Also nahm ich meinen Mut zusammen und schritt hinter Halbohr und Bargh ebenfalls hinein. Wenn sich uns jemand in den Weg stellt wird er schon die Klinge von Bargh zu schmecken bekommen.

Ich konnte Atahr schon gar nicht mehr sehen, denn das Licht drang nur wenige Schritte vom Eingang herein. Bei diesem Gang hatten sich die Erbauer wohl richtig Mühe gegeben. Der Stein sah so aus, als ob er in feinster Arbeit aus dem Fels gehauen wurde. Ich sah Halbohr noch in dem schwachen Licht, wie er über den Boden kroch und die feinen Steinritzen mit seinen Fingern abtastete. Wieder musste ich leicht in mich hinein kichern. Verstand ich doch noch nicht, was Halbohr wieder vorhatte. Doch da hörte ich von weiter vorne, vermutlich war es Atahr, einen unterdrückten, kurzen Schmerzenslaut. Und nur einen Moment später erhob sich Halbohr und hielt seine Hände hoch. Ich selbst konnte zwar nichts sehen, in dem schwachen Licht, doch er flüsterte uns zu: Dass hier überall auf den Boden unsichtbare Stachel liegen würden. Vermutlich war Atahr genau in einen dieser Stachel hineingetreten.

Vorsichtig gingen wir weiter ins Ungewisse. Ich ließ mich von Bargh durch die Dunkelheit führen, während Halbohr den Boden für uns freiräumte. Nach einigen Schritten, ich kann mich gar nicht mehr erinnern wie viele, stockten wir. Unser Weg wurde vor uns versperrt. Von einer Mauer aus dunklen Steinen, die bis zur halben Höhe des Ganges gebaut wurde. Auf der Mauer, die bestimmt drei Schritt hoch war, ragten eiserne Speerspitzen nach oben, um die nochmal ein stacheliger Draht gewickelt war. Wenn wir weiterwollen, müssten wir hier hinüber.

Alles roch nach einer Falle, doch Atahr schien wieder seinen Mut beweisen zu wollen. Er kletterte als erster die Mauerstücke nach oben und zwischen den Speeren vorbei. Dahinter sah er, dass sich der Gang in eine breite und große Halle eröffnete und in der Mitte der Halle eine weitere dieser befestigten Mauern stand. Doch Atahr konnte nur für einen Sekundenbruchteil einen Blick erhaschen. Plötzlich tauchten hasserfüllte Augen aus dem Nichts der Dunkelheit auf. Vier gewaltige Kreaturen waren plötzlich vor Atahr. Auf der anderen Seite der Mauer. Die Gestalten waren so riesig, dass sie selbst diese große Mauer spielerisch überragten. Mit eingefallenen Gesichtern und spärlichen grauen Haaren bedeckt, blickten sie auf Atahr und uns hinab und erhoben lange Lanzen. Atahr war starr vor Schreck als die grau-blauen Augenpaare der Kreaturen auf ihn starrten. In einer hässlichen Sprache, die ich nicht verstand, schrien sie irgendetwas. Sie rammten ihre Lanzen auf Atahr und durchbohrten ihn. Immer noch von Dunkelheit umgeben konnte ich zwar nichts sehen, aber ich hörte die Schreie Atahrs. Ich konnte mir vorstellen, wie die gespaltenen Klingen der Lanzen durch sein Fleisch drangen.

Bargh schrie mich an, ich solle meinen Verbündeten anflehen und diese Kreaturen verbrennen. Doch wie? Ich stolperte im Dunkeln und musste mich an ihm festhalten um nicht gegen die Wände zu laufen. Er schrie mich weiter an und ich schrie zurück. Ich war wütend und wusste nicht warum. Es waren nicht die Kreaturen; es war nicht, weil Bargh mich anschrie. Es lag einfach an diesem Ort und ich war wütend auf alles und jeden. Doch dann schrie Bargh, ich solle eine Fackel aus seinem Rucksack entzünden. Diesmal wusste ich, dass ich wütend auf mich selbst war. Dass jemand wie Bargh mich an so etwas erinnern musste.

Ich nahm also die Fackel und entzündete sie. Meine Augen waren für einen Moment geblendet, doch dann sah ich sie auch, diese riesenhaften, ekelerregenden Kreaturen, uns alle überragend. Atahr lag inzwischen regungslos vor der Mauer. Zwar konnte ich jetzt sehen, aber hell wurde es in dem Tunnel immer noch nicht. Die Wände selbst schienen das Licht in sich zu schlucken, so dass von der Flamme der Fackel nur ein schwacher Schimmer übrigblieb.

Mein Zorn brannte in mir und so sollten auch die Kreaturen verbrennen. Ich rief zu meinem Verbündeten und er schenkte mir flammende Speere die ich auf die Kreaturen schleuderte. Bargh feuerte mit seiner Armbrust tödliche Bolzen. Seine Geschosse und meine Feuer fuhren in die Verteidiger hinein, zerfetzten ihre Kehlen und verbrannten ihr Fleisch. Als sie tot umfielen, passierte jedoch etwas Merkwürdiges. Die toten Kreaturen schienen zu schrumpfen. Was übrig blieb, war nur ein Bruchteil von dem, was eben noch uns töten wollte. Sie erinnerten mich eher an die Geschichten des stämmigen Volkes der Unterberge.

Die letzte der Kreaturen fiel in sich zusammen, als ein weiter Bolzen von Bargh sich durch ihr Auge bohrte. Halbohr schloss zu Atahr auf, der zwar tiefe Wunden trug, aber noch am Leben war. Wir kletterten über den Wall und es gab jetzt keinen Weg zurück. Es konnte keinen Weg zurückgeben. Halbohr ging wieder voraus und näherte sich dem zweiten Wall. Uns war allen klar, dass dies eine Falle war und tatsächlich, als Halbohr gerade auf den zweiten Wall hochklettern wollte, erschienen ein weiteres Mal, wie aus dem Nichts, mehr dieser riesenhaften Kreaturen. Diesmal waren wir jedoch vorbereitet. Zwar hieben sie ihre Lanzen tief in den Körper Halbohrs, der sich nicht rechtzeitig weg ducken konnte, doch Bargh und ich gewährten ihnen keine Gnade.

Ihre stinkenden Leiber schrumpften zusammen, wir ihre Kameraden zuvor. Dort lagen sie nun in ihrem Blut. Ihre bleiche Haut, durchsetzt von blauen Venen, ihre ausdruckslosen Augen und ihre grauen und weißen Haare. Ihr Aussehen machte auf mich den Eindruck, als hätten sie das unterirdische Reich nie verlassen. Ihre fauligen Zähne und der modrige Gestank nach Erde und Stein, ließen mich an die Wurzeln alter kranker Bäume denken. Doch keine Zeit für weitere Gedanken. Der Weg unter die Irrlingspitze, in die Innereien des Berges, schien frei zu sein. Dann aber hörte Halbohr mit seinem guten Ohr leises Flüstern und Atmen. Gezischelte Töne der Sprache dieser Kreaturen. Wer konnte schon wissen, wie viele dort noch auf uns lauerten und welches Schicksal uns hier erwartete.
Titel: Sitzung 50 - In die Tiefe
Beitrag von: Jenseher am 21.01.2023 | 19:03
Gebannt starrten wir auf die flackernden Lichter, die meine Fackel über die Barrikaden warf. Das Spiel der Schatten, was die Speere und das Drahtgeflecht erzeugten, war gespenstisch anzusehen. Ich konnte dabei zuschauen, wie die dunklen Mauern dieser Halle das Licht in sich aufzusaugen schienen. Der Anblick ließ mich erschaudern. Trotz der Kälte trat mir der Schweiß auf die Stirn. Die vielen Male, bei denen ich die Hilfe meines Verbündeten erbeten hatte, kamen mit einem Preis. Meine Kräfte waren am Ende.

Um uns herum lagen die zusammengeschrumpften Leiber der getöteten Angreifer und verströmten einen Geruch des Moders verfaulter Höhlen. Die Leiber, die noch vor wenigen Momenten riesengroß erschienen und uns mit ihren Speeren aufspießen wollten, waren jetzt klein. Sie reichten selbst Halbohr nur noch bis zur Brust. Bargh und Halbohr begannen die blass-häutigen Kreaturen zu durchsuchen. Sie fanden ein kleines Amulett, das einen daumennagelgroßen Kristall in der Mitte hielt, der aussah wie eine Kriegspicke. Anscheinend kannte Bargh dieses Symbol und erzählte uns, dass es das Symbol von Laduguer war. Offenbar eine Gottheit dieser Kreaturen. Laduguer, so berichtete Bargh, stand für die absolute Gehorsamkeit eines Kriegers, als auch für den Hass gegen alle anderen Rassen. Nun, für uns wohl umso besser. Sollen sie sich doch in ihrem blinden Gehorsam allesamt in das Schwert von Bargh stoßen, dann könnten wir endlich weiterkommen. Ich dachte wieder kurz an die Worte von Halbohr, dass er Stimmen und Atmen gehört hatte. Wie lange wollten die beiden denn noch die stinkenden Kadaver durchsuchen? Wir müssen weiter, verstehen sie das denn nicht?

Doch auch ich erkannte, dass Halbohr noch schwer verwundet war von dem Stoß der Stangenwaffe und vermutlich einen weiteren Kampf nicht lange überleben würde. Auch Bargh bemerkte dies und bot an die Wunden mit Hilfe seiner Herrin schließen zu lassen. Im Gesicht Halbohrs arbeitete es, da er wohl nicht sonderlich darauf erpicht war, irgendwann einmal den Preis entrichten zu müssen, den diese Hilfe mit sich bringt. Ich hatte noch immer nicht verstanden, warum Halbohr sich darum so zierte. Wenn es ihm hilft und es ihm Vorteile bringt, warum sollte er nicht die Hilfe der Schwertherrscherin annehmen? Ich hatte sowohl bei Bargh und Neire gesehen, welche Macht sie einem offenbar gewährt. Aber Halbohr dachte pragmatisch: Wenn er die Hilfe nicht annähme, würde er sterben. Also willigte er ein und sprach zusammen mit Bargh ein Gebet auf Jiarlirae und pries ihre Dunkelheit und ihre Flammen. Halbohr musste seine Hand auf die Klinge Barghs legen und die Schatten, die aus dem Stahl bluteten, sahen so aus als würden sie direkt in das Fleisch Halbohrs eindringen. Ich glaubte kurz ein Zischen zu hören und Halbohr zuckte dabei auf. Doch seine Wunden begannen sich tatsächlich zu schließen. Als ein Blutstropfen von ihm auf den Boden fiel, sah es so aus, als würde dieser zu einer kleinen Schattenwolke verdampfen, als er den kalten Stein berührte. „Alles hat seinen Preis, auch eine elfische Seele“ waren Barghs Worte.

Ich betrachtete nachdenklich das Amulett der Kreaturen. Als ich damals von Zuhause geflohen bin, hätte ich nie gedacht, was für merkwürdige Geschöpfe ich kennenlernen sollte. Leise in Gedanken flüsterte ich den Namen: Laduguer…

Als ob meine Worte selbst das Unheil heraufbeschwören würden, hörte ich keuchende Geräusche von der zweiten Palisade. Riesige Rüstungen bewegten sich auf uns zu und ein ganzer Trupp der Kreaturen rückte in militärischer Manier näher. Einige schwangen ihre gigantischen Lanzenwaffen, andere abscheuliche Kriegspicken. In zwei Reihen versuchten sie Halbohr und Bargh in die Zange zu nehmen. Ich reckte den Kopf empor und blickte in die fahl-blassen Gesichter, die von bläulichen Venen durchzogen wurden. Panik überkam mich. Während Bargh und Halbohr sich den Gegnern stellten, versuchte ich aus dieser Halle zu fliehen. Ich sah die kalten, mordlustigen Augen mir folgen. Dann widmeten sich die Kreaturen wieder Bargh und Halbohr. Doch entweder durch die Kälte oder durch meine Erschöpfung konnten meine Finger keinen Halt an der Mauer finden. So blieb mir nur noch übrig mich in einer dunklen Ecke zu verstecken und auf das Beste zu hoffen.

Halbohr und Bargh kämpften tapfer. Die Klinge von Bargh spie nicht nur Schatten sondern auch Feuer in die geschlagenen Wunden. Den Kreaturen schien alleine der Anblick auf das Schwert Schmerzen zu bereiten. Und auch Halbohr schaffte es mit seinen Dolchen eine Schneise in die Pickenträger zu schlagen. Kreatur um Kreatur fiel zu Boden und auch diese schrumpften auf eine mitleidige Größe zusammen, als sie ihren letzten Hauch taten.

Schwer keuchend und aus tiefen Wunden blutend gelang es den beiden schließlich, auch die letzte dieser Abscheulichkeiten niederzustrecken. Halbohr wurde dabei besonders mitgenommen. Auch wenn es mir eigentlich egal war, glaubte ich nicht, dass er lange überleben würde. Doch sah ich auch in seinem Gesicht die Raserei auftauchen, die ich sonst eher bei Bargh bemerkt hatte.

Wir schleppten uns weiter durch die Hallen, wobei schleppen für mich zutraf. Jeder Schritt schien eine Meile lang zu sein und schmerzte bis in meinen Kopf hinein. Nach mehreren Gängen verließen wir schließlich diese gemauerten Hallen und gelangten in eine große, natürlich gewachsene Höhle. Das Licht meiner Fackel konnte nicht einmal die Decke erhellen. Einzig das Tropfen von Wasser aus der Entfernung ließ uns einen Eindruck erhaschen, wie weit diese Höhlen sich durch die Dunkelheit zogen. Vielleicht war dies eine Art Mine, denn ich erkannte Adern von verschiedenen Metallen und Kristallen im Stein. Unsere Füße bewegten sich auf nassem, moosigem Untergrund vorsichtig in die Höhle hinein. Einige Schritte voraus fanden wir eine steinerne Türe, die inmitten der Felswand eingelassen war. Vorsichtig und mit zitternden Händen untersuchte Halbohr die Türe und öffnete sie. Dahinter fand er einen kleinen gemauerten Raum, aus dem eine weitere Türe herauszuführen schien. Doch Halbohr traute dem Schein wohl nicht und das war auch gut so. Ein perfider Mechanismus war in die hintere Türe eingebaut, hinter der nur blanker Stein war. Offenbar wollten die Erbauer, dass man die zweite Türe öffnete. Dann hätte sich wohl der ganze Raum mit großen Steinblöcken verschlossen und wäre mit irgendetwas geflutet worden - auf dass man hier jämmerlich ertrank. Halbohr deaktivierte den Mechanismus und es schien so, als wenn wir hier etwas Ruhe finden konnten.

Ich ließ mich direkt an eine Wand dieses Raumes sinken. In meinem Kopf drehte sich alles und selbst die Augen taten mir weh. Halbohr und Bargh wollten noch einen großen Felsblock untersuchen. Sollten sie doch. Ich konnte und wollte keinen Schritt mehr machen. Es dauerte auch nicht lange und die beiden kamen wieder zurück. Offenbar hatten unter dem Felsblock noch die knöchernen Überreste einer Hand herausgeschaut. Sie hatten den Felsen zur Seite gerollt und fanden darunter das zerschmetterte Skelett einer humanoiden Gestalt eines Kriegers. Dieser hatte wohl erkannt, dass sein Tod nahte und seine letzten Gedanken auf Pergament geschrieben, welches unter den Knochen lag:

„Der JENSEHER hat den Quell seines Sehnens unter der Irrlingsspitze gefunden. Wenn sich einst das Tor in die Anderswelt öffnet, mag Niroth unreine Mächte beherrschen. Mächte, weit jenseits von schwarzer Kunst. Mächte, die den sterblichen Geist in die ewige Nacht treiben. Das Tor ist die Quelle seiner Macht; es reicht in ein fernes Reich hinter den Sternen – unverständlich für unseren Geist und wider jeden gesunden Verstand. Es gibt nur einen Weg: Niroth muss sterben und das Anderstor muss wieder seinem ursprünglichen Fokus zugeführt werden. Die Schlüssel sind die drei Kristallstücke, die wir einst aus den entlegensten Winkeln der Welt zusammenführten. Doch wir haben uns in IHM geirrt. Gnade unserer Seelen…"

Sie fanden auch einen Ring, auf dem der Name Adanrik in alten Runen eingraviert war. Ich erinnerte mich an die Geschichte, die Halbohr in den Ritzereien des alten Nußbaums in der Taverne gelesen hatte. Offenbar hatte sich die Gruppe, die 23 Jahren vor uns hier eindrang, zerstritten. Vielleicht hatte Niroth etwas gefunden was es wert war, sich seiner Kameraden zu entledigen.

Als die beiden wiederkamen und die Türe hinter sich verschlossen, war ich schon in einem halben Dämmerschlaf verfallen und auch Halbohr und Bargh konnte man ansehen, dass sie sich nach einer Rast sehnten. Ich hoffte diesmal endlich eine erholsame Ruhe zu finden, was mir wohl auch im ersten Moment beschert wurde. Doch als ich aufwachte und einige Stücke von den widerlichen eingetrockneten Pilzen aß, die Halbohr mir gab, fing plötzlich meine Hand an zu zittern. Mein Magen drehte sich und mit einem brennenden Würgen gab ich die paar Bissen wieder von mir. Auch Bargh verhielt sich komisch, sein Kopf zuckte immer zur Seite, doch schien er es nicht zu bemerken. Es war fast schon rührend, wie er sich um mich sorgte. Er glaubte, es würde mir helfen, wenn ich mit ihm zusammen zu seiner Herrin bete. Vielleicht mochte er dabei Recht haben, für den Moment dachte ich mir einfach nur, dass mich die Worte auf andere Gedanken bringen und meinen Magen etwas beruhigen können. So rammte er sein Schwert der Schatten und des Feuers in den Boden und zusammen sprachen wir seine heiligen Worte, die ich immer besser mit ihm sprechen konnte.

Halbohr hätte ruhig mit uns beten können, vielleicht hätte das auch seinen rastlosen Geist etwas beruhigt. Stattdessen brach er auf und erkundete die dunklen Höhlen, obwohl er immer noch viele offene Wunden an seinen Körper trug. Aber gut, soll er doch, wenn er hinterrücks überfallen wird, wissen wir wenigstens was auf uns wartet.

Halbohr verschwand in dem Netz von Tunneln, während Bargh und ich am Eingang unseres Unterschlupfes warteten. Es dauerte fast eine Ewigkeit, die ich damit verbrachte dem Atmen von Bargh zu lauschen und mir die Beine in den Bauch zu stehen. Dann tauchte Halbohr wieder aus der Dunkelheit auf. In seinem gegerbten Gesicht warf meine Fackel tiefe Schatten. Er erzählte uns kurz, dass sich vor uns ein weites Höhlensystem ausbreitete. In einer Kammer hatte er drei riesige Skelett-Kreaturen gesehen, in deren hohlem Brustkorb eine gleißende Flamme brannte. Er war klug genug sich von diesen fern zu halten. Auch fand er Verstecke der Vertreter des stämmigen Volkes, von wo aus sie uns erwartet hatten und uns überfallen konnten.

Und schon verschwand er wieder in der Dunkelheit und ließ uns erneut zurück. Diesmal wollten wir jedoch nicht mehr tatenlos herumstehen. Bargh zog mich an meinem Arm und zusammen folgten wir in die Richtung, in die Halbohr gegangen war. Was sich für Halbohr als glücklicher Zufall herausstellte. In der Ferne hörten wir plötzlich Kampfeslärm. Bargh stürmte voraus und fand Halbohr, wie er vor einer skeletthaften Gestalt zurückwich. Der Angreifer war gekleidet in alte, verstaubte Roben. Ein rötliches Glühen brannte in den leeren Augenhöhlen und die knöchernen Finger streckten sich nach Halbohr aus. Bargh trat der Gestalt entgegen und rammte sein Schwert in die Knochen. Mit nur zwei Hieben zerbarsten die alten Gebeine und fielen in den Staub der Höhle.

Doch auch jetzt wollte Halbohr nicht auf uns warten, sondern schlich erneut in die Dunkelheit hinein. Wieder dauerte es lange und wieder mussten wir wartend zurückbleiben. Bis dann, nach einer halben Ewigkeit, Bargh meinte etwas zu hören. Irgendwelche Geräusche, aber weiter weg, weshalb er nicht sicher war, was er dort hörte. Ich selbst konnte zwar nichts vernehmen, doch bei dem Gedanken was Halbohr in der Dunkelheit aufgeschreckt haben könnte, wurde es mir wieder mulmig im Magen. Bargh zog mich mit und schritt in die Richtung der Geräusche. Wir passierten einen kleinen Seitenarm. Kamen die Geräusche hierher? Ich war mir nicht sicher, aber Bargh erkundete den Tunnel. Die Luft hier schien plötzlich viel kälter zu werden und ich bekam eine Gänsehaut. Vor uns lag eine geöffnete Türe, aus der geisterhafte Nebel von kalter Luft herausströmten. War Halbohr schon hier und hatte die Türe geöffnet oder hatte etwas anderes sie geöffnet? Wir sahen dahinter einen kleinen Raum, in welchem an Wand und Decke Fresken eingearbeitet wurden. Diese Fresken zeigten ein Inferno von Knochengestalten, die offenbar in ihrem eigenen Fegefeuer verbrannten. In dem Raum standen vier Sarkophage, die jedoch allesamt zerschmettert waren. In gesamten Raum waberten dicke Schatten über den Boden.

Bargh wollte gerade auf diese Türe zu gehen, als wir hinter uns Halbohrs Befehl „Halt!“ hörten. Der Söldner trug einige neue Wunden. Offenbar hatte er wieder Bekanntschaft mit einigen Kreaturen gemacht. Doch sein Ruf kam im richtigen Moment. Gerade als Bargh seinen Fuß wieder zurückzog, öffnete sich der Boden unter ihm und offenbarte ein gähnendes Loch. Dort erwarteten ihn aufblitzende Spitzen von Stacheln oder Speeren. Doch es war bereits zu spät. Die Düsternis des Bodens verdichtete sich und heraus wuchsen vier Gestalten. Wabernde Schatten umwoben die Kreaturen wie Umhänge, doch glaubte ich dahinter Gestalten mit einer Ähnlichkeit zu Atahr zu erkennen. Auch diese merkwürdig schwarze Haut, aber völlig verfault und mit glühenden Augen in dem Schädel. Sie glitten über das Loch im Boden und griffen uns mit ihrem verfaulten Klauen an. Die Kälte, die von ihnen ausging, war fürchterlich, doch ließen Bargh und Halbohr sich davon nicht beeindrucken. Sie stürmten nach vorne und hackten durch ihre verfaulte Haut. Als die erste der Kreaturen zu Boden fiel, lösten sich die Schatten um sie herum auf. Was übrig blieb war ein stinkender Haufen von Knochen. Eine weite fiel und ich fand neuen Mut. Ich flehte meinen Verbündeten an und er schenkte mir flammende Pfeile die ich auf die Wesen schleuderte. Eine weitere und schließlich die letzte Kreatur verwandelte sich in Knochen. Langsam verschwand auch die Kälte.

Ab jetzt gingen wir zusammen, auch wenn es Halbohr vielleicht nicht gefallen würde. Aber wir konnten es uns nicht leisten. Wer weiß schon, was uns in den weiteren dunklen Tunneln noch alles erwarten würde.
Titel: Sitzung 51 - Die Minenstadt
Beitrag von: Jenseher am 28.01.2023 | 13:15
Immer noch fühlte ich die Kälte dieses Mausoleums, wie sie mir die Haare zu Berge stehen ließ. Vielleicht waren es aber auch die Bilder an den Wänden der kleinen Kammer. Die Bilder des Infernos, das dort durchaus sehr detailliert dargestellt wurde. Halbohr suchte gerade seine Dolche aus den Knochenhaufen zusammen. Als er sich bückte verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzhaften Fratze. Einige der alten Wunden, aber euch neue, von denen wir immer noch nicht wussten woher sie stammten, platzen wieder auf.

Ich blickte auf das kleiner werdende Licht meiner Fackel. Jetzt weiter durch die dunklen Höhlen zu streifen, wäre vermutlich unser Tod. Zumindest der von Halbohr. Also beschlossen wir uns, noch für eine Nacht (war es überhaupt Nacht?) in den kleinen Raum zurückzuziehen, den wir schon einmal für unsere Rast genutzt hatten. Dort angekommen, betete Bargh zu seiner Herrin und bot Halbohr an, in sein Gebet einzustimmen. Es war schon interessant anzusehen. Erst sah es so aus, als ob Halbohr den Glauben von Bargh einfach nur ablehnen würde. Aber entweder sah er es ein, dass es Vorteile mit sich bringen würde oder er begann seine Meinung zu ändern. Tatsächlich betete er mit Bargh und zuckte kurz zusammen, als der Krieger mit dem verbrannten Gesicht ihm seine Hand über das verstümmelte Ohr legte. „Freien Geistes bin ich bereit in Feuer und Schatten zu schreiten und einen Teil von mir zu geben. Jiarlirae, oh Schwertherrscherin. Ich huldige ihren Namen“. Erst die tiefe Stimme von Bargh. Dann die kratzige Stimme Halbohrs. So priesen sie ihren Namen und an der Stelle, an der Bargh das Ohr Halbohrs anfasste, fing es leicht an zu zischen. Kleine Rauchschwaden stiegen dort auf. Doch Halbohr verspürte anscheinend keine Schmerzen. Im Gegenteil: Einige seiner Wunden begannen sich zu schließen, als ob sie mit einem heißen Eisen kauterisiert würden.

Während der Rast suchten mich wieder unheilvolle Träume heim. Diesmal waren es keine Ratten oder anderes Getier. Diesmal träumte ich, dass ich in der Höhle lag. Begraben von Splittern eines dunklen Glases. Überall auf meinem Körper kroch grüner Schleim meine Haut empor. Ich spürte das leichte Kribbeln und in meinem Unterbewusstsein wurde mir klar, dass dieser Schleim mich langsam aber sicher verdaute. Was noch schlimmer war: Ich fühlte weder Schmerz noch Angst, sondern eine Art von Glücksgefühl mit jeder Zelle, die sich auflöste und Teil des Schleimes wurde.

Der Schrei von Bargh ließ mich aus dem Traum hochschrecken. Er selbst schlief noch und es sah so aus als, ob er im Traum ertrinken würde. Als er aufwachte, war er völlig verwirrt und stammelte davon, dass er in einem See von Schlamm versunken wäre. Ich wusste nicht, was mich mehr beunruhigte: Bei lebendigem Leibe von irgendeinem Schleim verdaut zu werden oder dass es mir nichts auszumachen schien. Ich hoffte nur, dass wir möglichst schnell wieder aus den Höhlen herauskommen und ich die Antworten finde, die ich schon so lange suchte. Ich wusste noch nicht, wie sehr ich mich irren sollte.

Wir verließen ein weiteres Mal unser Versteck in der kleinen Kammer. Dies bedeutete ein weiterer Tag weniger Zeit für uns, bis der Schein des Linnerzährns wieder verblassen würde. Halbohr schlich sich auf seinen Elfenfüßen aus unserem Versteck. Bargh und ich waren wieder dazu verdammt, in der Dunkelheit auf Zeichen von ihm zu warten. So stapften wir weiter durch Höhlen und Tunnel, bis Halbohr irgendwann wieder zu uns zurückkehrte. Er sagte, er habe eine Höhle gefunden, die zur Hälfte völlig mit Schlamm bedeckt wäre. Offenbar verbirgt sich in unseren Träumen ein Funken Wahrheit. Und so musste ich direkt an den Traum Barghs denken. Aber die Neugierde von Bargh war anscheinend viel größer als das mulmige Gefühl, was der Traum ihm gab. Obwohl ich eher glaubte, dass er einfach zu stolz war auch nur das leichteste Anzeichen von Angst zu zeigen. Halbohr und Bargh vergaßen auch jetzt wieder, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Sie begannen die Höhle zu untersuchen.

Tatsächlich war der hintere Teil der großen Kaverne ein einziger See mit Schlamm. Gebannt starrten wir auf die Oberfläche. Doch nichts rührte sich, nicht mal die geringste Bewegung. Halbohr nahm einen Trank, von dem er der Meinung war, dass er ihm das Atmen unnötig machen würde. Ich hielt es immer noch für unsinnig und unnötig, aber wenn er meint sich in den Schlamm stürzen zu müssen, soll er doch. Er band sich ein Seil um seinen Körper und mit einem widerlichen Platschen ließ er sich in den stinkenden braunen Schlamm herab. Es dauerte eine Zeit, bis er sich wieder aus dem Schlamm-See erhob - ein Klumpen aus Dreck und Matsch. Nur in entferntester Weise war Halbohr zu erkennen. Allerdings kam er nicht mit leeren Händen. Offenbar war irgendwo auf dem Grund des Schlamms ein Paar Armschienen aus einem merkwürdigen Glas verborgen gewesen. Dieses dunkle, rauchige Glas kam mir bekannt vor. Leicht durchsichtig, aber hart, war es schwer wie Stahl.

Halbohr machte sich notdürftig etwas sauber, wobei er jetzt fürchterlich nach modrigem Matsch und Nässe stank. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie wir alle mittlerweile rochen. Hatten wir doch bereits seit einigen Tagen kein richtiges Bad mehr genommen. Halbohr verschwand wieder in die Dunkelheit, doch diesmal dauerte es nicht so lange bis er wiederkehrte. Offenbar hatte er einen Gang gefunden, der an einer Steintüre endete. Von dort hatte er Gestalten hören können. Durch eine Art Guckloch hatte Halbohr diese als unheimliche Vertreter des stämmigen Volkes identifiziert. Wir schmiedeten einen Plan, so dass wir uns vorsichtig an diese Türe anschleichen wollten und versuchen würden sie zu überraschen. Soweit so gut. Tatsächlich kamen wir unbehelligt in die Nähe der Türe. Trotz eines Leuchtkristalls, der den Gang in ein schwaches kühles Licht hüllte. Halbohr machte sich daran das Schloss dieser Türe zu öffnen. Ich hielt meinen Atem an und versuchte mich zu konzentrieren als langsam die Türe aufgezogen wurde.

Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Nur einen Wimpernschlag später standen wie aus dem Nichts vier weitere dieser hässlichen Kreaturen in der Türe und zielten mit großen Armbrüsten auf uns. Halbohr konnte gerade noch von der Türe aufschauen, als das Surren der Bolzen durch den Tunnel hallte. Einige davon trafen Halbohr und Bargh, doch ich glaubte, dass Bargh nur darauf gewartet hatte. Das heimliche und vorsichtige Vorgehen ward wider seine Natur. Mit einem Brüllen stürmte er nach vorne. Seine Klinge aus Schatten und Feuer hoch erhoben. Der merkwürdige Stahl traf auf das fahle, von bläulichen Venen durchzogene Fleisch der Gestalten und die Schatten entzündeten sich. Schreiend fielen die ersten unserer Gegner, während ich selbst mit der Hilfe meines Verbündeten dafür sorgte, dass sich ihre Kehlen zusammenschnürten. Röchelnd standen sie dort, als Halbohr seinen Dolch mit den nordischen Runen in ihre Kehle rammte.

Bisher lief es gut für uns, keiner dieser niederen Kreaturen konnte uns das Wasser reichen. Doch dann machten sich die anderen in dem Raum angriffsbereit und wie schon so oft nutzten sie ihre Kraft, um sich auf enorme Ausmaße zu vergrößern. Mit ihren gigantischen Stangenwaffen stürmten sie auf uns zu. Ich wich Schritt für Schritt zurück und sah aus dem Augenwinkel eine kleine Gestalt hinter mir. Erst dachte ich diese feigen Kreaturen wollten uns umzingeln. Aber dann fiel mir auf, dass die Gestalt anders aussah. Er war klein, hatte aber nicht diese von bläulichen Venen durchzogene blasse Haut. Nicht nur sein Gesicht war rundlicher, sondern auch ein Bauch war zu erkennen. Die Gestalt murmelte irgendetwas. Ich wollte die anderen warnen, als plötzlich vor uns der gesamte Raum in einer gewaltigen Feuersbrunst unterging. Wir spürten die Hitze auf dem Gang und wir hörten die Schreie der Kreaturen, als sie bei lebendigem Leibe verbrannten. Einige versuchten an Bargh und Halbohr vorbeizukommen, doch die beiden stießen sie wieder zurück in die Flammen, wo sie das Schicksal ihrer Kameraden teilen konnten. Bei dem Anblick stimmte Bargh ein verrücktes Lachen an und stellte sich den brennenden Kreaturen entgegen. Vermutlich um sicherzugehen, dass keiner hier lebend herauskam. Seine massige Gestalt warf vor den Feuern einen langen Schatten in den Gang und die lodernden Flammen schienen ihn nicht zu berühren. Es war, als bog das Feuer um ihn herum, während mir selbst, obwohl ich noch weiter weg stand, die Haut von der Hitze brannte.

Doch so schnell die Flammen gekommen waren, so schnell ebbten sie wieder ab. Übrig blieben die rauchenden, stinkenden Kadaver dieser Höhlenbewohner. Auch die Gestalt, die ich wegen des Feuers aus den Augen verlor, erschien wieder vor mir. Tatsächlich konnte dies kein Angehöriger der gleichen Rasse sein. Er war dicklich und älter und machte auf mich einen eher verwirrten Eindruck. Seine schon ergrauten Haare standen wirr von seinem Kopf ab und die dicke Nase ragte inmitten eines faltigen Gesichtes hervor. Er fing an etwas zu brabbeln. In einem merkwürdigen Kauderwelsch. Dabei zuckten sein Mund und sein Kiefer mit jeder Silbe, als wenn er ihn nicht unter Kontrolle hätte. Nachdem wir ihn alle fragend anstarrten, dämmerte es ihm offenbar, dass wir ihn nicht verstehen konnten. Er fing an in der gemeinen Zunge zu sprechen. Auch das war schwer für uns zu verstehen, da seine Worte und seine Aussprache eine eigenartige Färbung hatten.

Der Fremde stellte sich als Ortnor Wallenwirk vor. Nun, das waren auch erstmal die einzigen sinnvollen Worte, die aus seinem Mund kamen. Danach hatte er nichts Besseres zu tun, als mich zu beschimpfen - diese kleine hässliche Missgeburt. Nannte mich Mädchen, dumm und dilettantisch. Ich hatte nicht wenig Lust diesem kleinen Wicht zu zeigen, wie dilettantisch ich bin, wenn ich ihn kochen ließe. Oder noch besser, soll er mal richtige Bekanntschaft mit Bargh machen. Bargh schien meine Gedanken zu erraten. Er trat vor den Wicht in all seiner Größe und Stärke und nahm ihn wie ein Spielzeug in seinen großen und starken Händen. Die Schatten, die sein Schwert blutete, lechzen wohl wieder nach einem Opfer und begannen bedrohlich die Gestalt von Ortnor einzuhüllen. Auf einmal wurde er ganz freundlich und wir waren keine Dilettanten, Nichtskönner, Idioten oder Dummköpfe mehr. Ich halte für mich fest: Ortnor ist ein Wicht und ein Feigling zugleich. Ich hoffte, dass Bargh in zerquetschen würde, doch leider beruhigte sich der heilige Krieger Jiarliraes wieder und ließ ihn herab.

Ortnor erzählte uns, dass wir wohl gerade vor einem Außenposten dieser Kreaturen standen, die er als Duergar bezeichnete. Er selbst stamme von einem Volk, das er die Svirfneblin nannte. Offenbar hatten die beiden Völker schon seit langer Zeit eine Blutfehde, denn er ließ während seiner Erzählungen keine Gelegenheit aus, die Duergar als Abschaum zu beschimpfen. Er erklärte uns, dass sich hinter diesem Vorposten eine noch recht junge Minenstadt erstrecke, die tief in den Berg der Irrlingsspitze hineinführe – von ihm Unterirrling genannt. Dort bauten die Duergar ein Erz ab, dass er als Ne‘ilurum bezeichnete. Es war jenes merkwürdige Glas, aus dem auch die beiden Armschienen gefertigt wurden, die sich inzwischen an meine Unterarme schmiegten. Und, so fuhr er fort, stehe diese Minenstadt auch nur in den Diensten eines wohl noch größeren Reiches, dass er Urrungfaust nannte. Er hatte auch den Namen Waergo gehört, ein Krieger aus der Gruppe der Abenteurer, die sich vor 23 Jahren vor uns aufgemacht hatten, die Geheimnisse des Berges zu enträtseln. Jedoch war wohl dieser Waergo von seinem eigentlichen Plan abgekommen und hatte sich stattdessen zum Anführer der Minenstadt hochgearbeitet. Das besondere hierbei war, dass er nicht zum Volk der Duergar, sondern zum stämmigen Volk der Schneeberge gehörte. Diesem Volk begegneten die Duergar wohl seit jeher mit Hass und Verachtung. Von den Geschichten über den Linnerzährn und das Portal wusste er auch nichts Genaueres. Nur die Legenden über das graue Volk waren ihm bekannt, das sich in längst vergessener Vergangenheit ein Domizil im Irrling baute. Und die Legende des Eingangsportals nach Unterirrling, das sich nur öffnen sollte, wenn der Linnerzährn sein Feuer auf den Berg spie.

Er bot uns an uns zu begleiten, doch als er seinen Plan erklärte, kochte ich vor Wut. Er meinte, ich solle mich als minderbemittelte Sklavin ausgeben und dass er mich zum Verkauf anbieten würde! Was dachte dieser kleine Wicht sich nur! Ich würde mich von ihm bestimmt nicht rumschubsen lassen oder gar anfassen lassen. Was diese Kreaturen auch immer mit Sklavinnen machen würden. Ich dachte mir schon, dass Halbohr diese Idee vermutlich wunderbar finden würde, doch Bargh würde bestimmt auf meiner Seite sein. Mit Halbohr hatte ich tatsächlich Recht. Natürlich fand er es toll. Vielleicht sehnte er sich insgeheim danach, selbst der Sklavenherr zu sein. Doch ich täuschte mich in Bargh. Er ließ sich von Halbohr und diesem Ortnor überreden. Auf mich wollte ja keiner hören. Vermutlich hätte Bargh mit mir zusammen auch alleine all diese Kreaturen abschlachten können. Na gut, wenn sie es so haben wollten, sollten sie alleine klarkommen. Ich würde ihnen nicht mehr helfen, sondern die Sklavin spielen. Ortnor holte ein Tuch aus seinem Rucksack und schleuderte es in die Luft, wo es wie durch Zauberhand hingen blieb. Er schlüpfte dahinter, wie durch einen Vorhang. Man hörte hinter dem Vorhang ein Poltern und rumpeln, und nach einiger Zeit kam Ortnor wieder zum Vorschein, mit einigen alten Lumpen. Wer weiß woher er die hatte. Sie zogen mir die nach Öl stinkenden Lappen über und nahmen die Sachen, die ich bei mir trug. Lächerlich! Ich sollte eine Prinzessin aus der Oberwelt spielen und Ortnor würde mich auf einem Sklavenmarkt verkaufen wollen. Bargh und Halbohr sollten zwei Söldner darstellen, die Ortnor beschützten.

Ortnor führte uns durch den Vorposten hindurch in das Gangsystem. Schon bald stießen wir auf die ersten Ausläufer der Minenstadt. Vorbei an Schienen für Lorenwagen, sahen wir die ersten Arbeiter der Duergar. Sie schlugen mit ihren Meißeln das dunkle, glasartige Erz aus dem Felsen, das sich hier wie in Adern durch den Stein zog. Die Arbeiter selbst schienen sich nicht wirklich für uns zu interessieren, doch trafen wir schon wenig später auf Soldaten, die die Arbeiterschaft bewachten. Diese waren schon wesentlich interessierter. Jedoch trat Ortnor zu ihnen und sprach mit ihnen in der merkwürdigen Sprache, die anscheinend hier unter den Bergen gesprochen wurde. Was auch immer er ihnen sagte, es reichte offenbar. Die Soldaten ließen uns unbehelligt weiterziehen. Er führte uns näher in Richtung der Minenstadt und wir traten an einer Höhle vorbei, wo drei riesige achtbeinige Kreaturen an den Felsen gekettet waren. Vor ihnen lagen die Überreste von anderen kleinen Kreaturen, die diese schwarzhaarigen Spinnen genüsslich mit ihren Kieferzangen verschlangen.

Die Luft schien wärmer zu werden, als wir weiter durch die gehauenen Gänge schritten. In verrauchten Felsenkammern sahen wir die ersten Hochöfen, Hier verarbeiteten die Duergar ihr kostbares Erz. Es konnte kein Feuer sein, womit sie die Öfen betrieben, sondern irgendetwas anderes. Von den Essen ging ein gleißendes Licht aus, dass mir nach der langen Zeit in der Dunkelheit in den Augen brannte. Sie machten aus dem Erz Ne‘ilurum Stangen, die sie in großen Körben weiter lieferten. Dort war auch ein Apparat, den Ortnor als Aufzug bezeichnete. Damit konnte man offenbar nach oben oder nach unten fahren. Halbohr und Ortnor diskutierten, wie sie weitergehen sollten. Anscheinend wusste Ortnor auch nicht, welcher Weg zum Sklavenmarkt führte. Jemanden nach dem Weg fragen, wäre eine denkbar schlechte Idee gewesen. Sie entschieden sich einfach darauf zu warten, bis jemand den Aufzug in Gang brachte. Was auch bald geschah. Nachdem weitere Körbe dort eingeladen wurden, begann einer der Duergar wieder zu wachsen. Diese Fähigkeit scheint ihnen zu eigen zu sein, wie anderen das Laufen. Sie setzen es nicht nur für den Kampf ein. Der Duergar wuchs auf beachtliche Größe an und griff ein Seil über der Kabine des Aufzugs. Ein Seil, das wir nicht erreichen konnten. Dann setzte sich der Apparat rumpelnd in Bewegung. Keiner von uns konnte sagen wohin er uns führen würde und ob wir jemals wieder das Tageslicht erblicken würden.
Titel: Sitzung 52 - Waergo von Naarbein
Beitrag von: Jenseher am 6.02.2023 | 21:00
Wir lauschten dem Rumpeln und Knarzen der Apparatur, die sich in die Tiefe bewegte. Ab und an gab es ein kleines Krachen, als die hölzerne Plattform ins Wanken kam. Die riesenhaften Gestalten der Duergar rissen wechselseitig an dem Seil, so dass der Aufzug an den steinernen Schacht schlug. Ich selbst war noch gekleidet in die dreckigen und stinkenden Lumpen, die mir der kleine Wicht Ortnor übergestülpt hatte. Ich war mir sicher: Er, aber auch Halbohr hatten ihre Freude, wenn sie mich so erniedrigen konnten. Natürlich wusste ich, was sie damit bezweckten. Ich bin nicht dumm und verstand den Plan sehr wohl. Aber hätte nicht auch jemand anderes den Sklaven spielen können? Halbohr zum Beispiel? Einmal war ich mir sicher, dass ich dem runden Gesicht von Ortnor ein hässliches Grinsen entnehmen konnte. Ich blinzelte ihm böse zurück, gerade lang genug um ihm klar zu machen, dass er keine Spiele mit mir treiben konnte. Nur einen Vorteil sah ich in den stinkenden Lumpen. Mein eigener Geruch überdeckte jetzt den Schweißgestank der Tiefenzwerge.

Mit einem lauten Poltern und einem letzten Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Wir hörten Geräusche von Hämmern und Schmiedearbeiten aus dieser Ebene. Durch die sich öffnenden Türen sahen wir hinter den dunklen Tunneln das Schimmern weiteren Hochöfen. Ortnor ging wieder voran, Bargh und Halbohr nahmen mich in ihre Mitte. Der Tunnel führte uns vorbei an mehreren kleinen Essen und Lagerstätten, wo sie ihr kostbares Ne‘ilurum in Stangen lagerten. Die meiste Zeit starrte ich meine Stiefel an, wie sie über den verrußten Boden stapften. Ortnor konnte ich nicht anblicken, sonst wäre ich vermutlich vor Wut geplatzt. Wir kamen schließlich zu einer weiteren Steintüre und hörten alle dahinter ein Gewirr von hunderten verschiedenen Stimmen sowie das Klimpern von vielen Münzen, die anscheinend den Besitzer wechselten. Ortnor hatte wohl etwas mit seiner Angst zu kämpfen. Er fing wieder damit an, uns als unfähig zu beleidigen. Ich sah deutlich das Aufblitzen von Wut in Halbohrs normalerweise eher gelangweilt dreinblickenden Augen. Wer weiß, welche Bilder er sich in seiner Vorstellung gerade auftaten - für Ortnor waren sie bestimmt nicht schön. Ich grinste heimlich in mich hinein, als Bargh aber auch schon mit seinen kräftigen Armen die steinerne Türe öffnete.

Als die Türe aufschwang wurden wir überwältigt vom Geruch und Geräusch einer wahren Masse von Duergar, Menschen und anderen Kreaturen. Grünliches, künstliches Licht, getragen von großen Steinsäulen, warf die Szenerie in einen fremden Anblick. Vor uns eröffnete sich eine riesige Halle, übersäht mit Zelten, Regalen und kleinen Emporen. Überall waren die seltsamsten Kreaturen, die die Tiefen der Eingeweide der Erde ausspucken konnten. Eine Geruchswolke von Kräutern, Tieren und Getränken waberte auf uns zu. Die Häute der Zelte und der Stände sahen aus wie schwarze Spinnfäden die zu dunklen, fast durchsichtigen Planen zusammengewebt wurden.

Ortnor schritt wieder voran, Bargh und Halbohr nahmen mich in die Mitte. So wir traten in die Halle ein. Es war fast so, als würden wir eine andere Welt betreten. Der größte Teil der Gestalten schien dem Volk der Duergar anzugehören. Ich fühlte ihre Blicke auf mir. Wie sie mich und auch die anderen mit ihrem überheblichen Hass anstarrten. Es gab hier auch einige wenige Menschen und auch einige Verwandte von Atahr. Elfen mit ihrer fast schwarzen Haut, violetten Augen und weißen Haaren. Als wir an einer Kreatur vorbeikamen, ist mir vor Furcht aber fast das Herz stehen geblieben. Diese Kreatur war anders als alles, was ich bisher gesehen hatte: Das humanoide Geschöpf hatte keinen Mund, sondern nur abscheuliche Tentakel, die dort emporzuckten, wo man normalerweise einen Mund vermutete. Rote, hasserfüllte Augen starrten mich an. Sie starrten nicht nur in meine Augen, sondern sie schienen direkt in meinen Verstand hineinzustarren. Und die Gestalt schien nicht nur zu starren, sondern es war mir, als wenn sie einfach nur zum Vergnügen mit meinem Verstand spielen würde. Zum Glück wurde dieses Wesen von einem anderen Besucher dieses Marktes abgelenkt und sein Blick ließ von mir ab. Zügig schritten wir weiter.

Wir bewegten uns zwischen den Ständen hindurch. Alles was das Herz begehrt und auch nicht begehrt wurde hier feilgeboten. Es gab verschiedenste Stände mit Kräutern, Nahrungsmitteln, Waffen und Rüstungen. Auch einfache Gegenstände wie Schüsseln und Töpfe, Teppiche oder nur kleine Pilze, die kunstvoll beschnitten wurden. An einem Stand gab es merkwürdige kleine Gerätschaften, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, was man damit anfangen könnte. Als Bargh diese sah meinte ich in seinen Augen diese Lüsternheit zu sehen, die ich von ihm eigentlich nur kannte, wenn er betrunken war. Viele der Gegenstände, auch einfache Würfel oder andere Spielgeräte, waren aus dem Erz gefertigt, das sie hier unter dem Irrling abbauten. Und wir sahen auch Stände, an denen sie tatsächlich arme Wichte als Sklaven anboten. Einschließlich verschiedener Gerätschaften, um diese im Zaum zu halten. Über uns konnten wir erkennen, dass diese Halle eingerahmt war von einer Empore. Dort gab es keine Stände mehr, aber stattdessen sahen wir, dass dort weitere dieser gewaltigen achtbeinigen Biester entlang schritten. Auf Sätteln trugen die Spinnen Duergar, die mit wachsamen Augen den Markt beobachteten.

Ortnor erblickte auf dem Markt weitere Gestalten seiner Art. Diese, Svirfneblin nannte er sie, glaube ich, wirkten in diesem Getümmel etwas fehl am Platz, fehlte ihnen doch dieser immerwährende Hass auf alles andere. Die drei boten uns einen Unterschlupf in ihrem Zelt an, während Bargh und Halbohr sich weiter auf dem Markt umsahen. Also ließen sie mich allein zurück, in den Händen dieser kleinen Wichte. Na schön, wenn sie meinen. Allerdings wusste ich schon, dass ich für nichts garantieren könnte, wenn Ortnor wieder mit seinen Tiraden über meine Fähigkeiten anfängt. Zumindest von Bargh hätte ich besseres erwartet, aber auch er wurde vom Rausch des Handels gepackt.

Eine gefühlte Ewigkeit verging die ich damit verbringen musste, diesen kleinen dicklichen Kreaturen zuzuhören, wie sie in ihrer merkwürdigen Sprache schwatzten. Ich verstand zwar kein Wort, war mir aber sicher, dass sie sich insgeheim über mich lustig machten, wie ich dort in ihrem Zelt saß, in meinen stinkenden Lumpen. Natürlich würden sie es sich nicht trauen, offen über mich zu lachen. Aber jedes Mal, als sie zu mir blickten und sich wieder umdrehten, war ich mir fast sicher ein Lachen zu hören und ein Grinsen zu sehen. Plötzlich vernahm ich von außerhalb des Zeltes das laute Schlagen einer Türe. Ich hörte eine tiefe und dröhnende Stimme, wie sie schimpfte und offenbar Duergar-Wachen anbrüllte. Merkwürdigerweise aber in der gemeinen Zunge. Die Stimme lallte dabei und ich stellte mir vor, wie ein völlig betrunkener Duergar dort polterte und tobte. Halbohr, der zusammen mit Bargh zurückkehrte, erzählte später, dass ich gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Allerdings war es kein Duergar, sondern ein Vertreter des stämmigen Volkes der Oberwelt. Doch erzählte Halbohr, dass seine Haut aussah, als wenn er kurz vor dem Tode wäre. Über und über war sein Gesicht mit eiterndem Schorf bedeckt. Die roten Haare wuchsen nur noch an einigen Stellen und unter seiner linken Schädelhälfte sah es so aus, als ob dort Maden oder anderes Getier krochen. Aber trotz seines Aussehens oder seiner Herkunft hatten die anderen Duergar Angst vor ihm und gehorchten jedem Wort. Dies musste dann wohl Waergo von Naarbein sein, einer der Abenteurer, die vor 23 Jahren wie wir aufbrachen um die Geheimnisse der Irrlingsspitze zu erkunden. Waergo hatte sich dann aber zum Anführer der Minenstadt von Unterirrling gemausert. Wenn auch der Rest der Geschichten stimmte, vor allem der Brief, den wir bei der zerschmetterten Leiche in der Höhle gefunden haben, dann hat Waergo einen der Schlüssel, um das Portal zu öffnen? Oder zu justieren? Mir wurde wieder klar, wie wenig wir eigentlich wussten, was es mit diesem Portal auf sich hat. Aber sei es wie es ist, unser Weg kreuzt den von Waergo. Ich war mir sicher, dass er uns nicht einfach so passieren ließe.

Halbohr sagte, er habe gesehen wie Waergo torkelnd auf die Empore stieg und dann hinter einer Türe verschwand; vielleicht sein Gemach. Ortnor hatte daraufhin eine Idee: Offenbar besaß er die Fähigkeit, sich durch Zeit und Raum zu bewegen und von einer Stelle direkt zu einer anderen Stelle zu gelangen. Allerdings müsse er sein Ziel einmal gesehen haben. Halbohr wurde auserkoren, dies zu ermöglichen. Er solle sich an den riesenhaften Spinnenreitern und den anderen Wachen vorbei schleichen und entlang der Empore bis zu der Türe gelangen. Diese solle er einmal kurz öffnen. Ortnor würde an der Wendeltreppe, die zu der Empore führte, warten. Dort habe er eine gute Übersicht, auch auf die Empore. Sobald Halbohr die Türe öffnete, würde er seine Fähigkeiten einsetzen und sich selbst, Bargh und mich dorthin bringen. Ich sah es in Halbohr Gesicht arbeiteten. Grübelnd kratzte er sich an den vernarbten Überresten seines Ohres und ich konnte sein Zögern tatsächlich verstehen. Alleine vorbei an den Wachen und wer weiß was sonst noch. Dass Ortnor erwähnte, eher nebenbei, dass es Geschichten gab, in deren einige Wachen sogar unsichtbar waren, machte die Sache nicht einfacher. Allerdings wurde es Halbohr schnell klar, dass wir keine andere Möglichkeit hatten. Also stimmte er zu und machte sich bereit.

Er mischte sich unter die Besucher des Marktes und verschwand aus unseren Blicken. Ab und zu sahen wir ihn zwischen den Schatten der Säulen auftauchen, wie er auf die Empore kletterte. Ich versuchte seinen Bewegungen zu folgen. Wirklich schaffte er es, sich geschickt von Nische zu Nische und von Schatten zu Schatten zu drücken. Einmal sah ihn ganz kurz auftauchen, wie er mit einem eingefrorenen Blick in die Leere starrte. Ich folgte seinen Augen, konnte aber nicht wirklich etwas erkennen, was ihn erschreckt hatte. Vielleicht war da ein kleines Flimmern in der Luft, mehr aber nicht. Hatte er einen unsichtbaren Spinnenreiter gehört? Ein weiteres Mal tauchte er auf. Direkt neben der Türe, die zu dem Gemach von Waergo führte. Ortnor hielt sich bereit und auch Bargh und ich selbst hielten die Luft an. Wie in Zeitlupe sahen wir, wie sich die Türe langsam öffnete. Wir hörten, wie Ortnor neben uns arkane Formeln murmelte. Es war genau abgepasst: Wir konnten gerade noch von dem Markt einen kurzen Blick auf den Raum werfen, als wir von der Magie Ortnors durch die Dimensionen geschleudert wurden. Es fühlte sich merkwürdig an, als ob irgendetwas einen packen würde, durch einen dichten Nebel schleudern und unsanft auf den Boden werfen würde. Ich brauchte einen Moment um wieder klar denken zu können, doch dann sah ich mich tatsächlich in dem Raum stehen und Bargh und Ortnor neben mir.

Das Zimmer, in dem wir auftauchten, war von einer Art Vorhang getrennt der aus dunklen Schuppen irgendeines Tieres der Unterreiche gemacht wurde. Doch war es nicht Waergo, der uns in dem Raum erwartete, sondern einer seiner Untergebenen. Der Duergar saß an einem Tisch und studierte irgendwelche Papiere. Wir sahen schon, wie Halbohr sich in den Rücken der Gestalt schlich, als diese mit unserem Erscheinen aufsprang. Plötzlich ging alles sehr schnell. Der Duergar konnte zwar noch nach Waergo rufen, doch das Schwert von Bargh hieb auf die Gestalt ein. Sein Blut spritze auf, als der Hieb tief in seinen Leib drang. In einem letzten Akt des Todes schaffte er es, seinen Speer, der neben ihm lag, Bargh ebenfalls tief in die Brust zu rammen. Bargh schrie vor Schmerzen, doch entfachte der Schmerz auch seine Wut. Mit einem Gebrüll holte er aus und richtete seinen Widersacher mit seinem Schwert. Die Schatten der Klinge begannen sich zu entzünden und hüllten den schwarzen Stahl in einen Schein von Feuer. Der Hieb traf den Duergar am Hals und fuhr ohne zu stoppen durch ihn hindurch. Das Klatschen, als der abgetrennte Kopf auf den Boden aufschlug, hatte fast schon etwas Belustigendes. Bargh keuchte schwer von dem Stich des Speeres, doch Halbohr verlor keine Zeit und schob den Vorhang etwas zur Seite. Dahinter offenbarte sich ein weiterer Raum, mit einem Tisch, auf dem wir etwas ähnliches wie eine Karte sahen, mitsamt mehreren platzierten Figuren. Auch hier war alles aus Ne‘ilurum gefertigt. An einigen Stellen waren zudem mit weißer Farbe Augen und Tentakel auf den Tisch gemalt. Doch konnten wir uns von der zur Schau gestellten Dekadenz nicht ablenken lassen. Wir hörten das Poltern hinter einer weiteren Türe. Diese war zwar auch aus Stein, jedoch war sie mit schwarzer Farbe angemalt, so dass sie sich deutlich von dem restlichen Gemach unterschied. Die Türe flog auf und heraus kam die Gestalt Waergos. Jetzt sah auch ich das, was bisher nur Halbohr erzählte. Früher mag es wohl mal ein stattlicher Vertreter seiner Rasse gewesen sein. Jetzt konnte man es nur noch erahnen. Sein rotes Haar wuchs nur noch an einigen wenigen Stellen. Der Rest sah aus, als wenn er bei lebendigem Leibe verwesen würde. Schorf und Eiter bedeckte die kahlen Stellen und unter der Haut pulsierte es so, als ob wirklich irgendetwas unter der Haut leben würde. Das waren wohl die sogenannten „Hauttiere“, die von Waergos Gesicht speisten und vor denen uns Ortnors neue Freunde gewarnt hatten.

Mit grimmigem Gesicht erhob Waergo seine Axt und sein Schild. Das Ne’ilurum, aus dem beides geschmiedet war, glitzerte beängstigend in dem schwachen Kerzenlicht des Raumes. Auch seine Rüstung bestand aus den Platten dieses seltsamen Unterreicherz. Er stellte sich Bargh, doch haftete sein Blick auf Ortnor und seine Augen lechzten nach dem Blut des Svirfneblin. Bargh versuchte den Moment auszunutzen und erhob sein geweihtes Schwert. Die Schatten begannen sich wieder zu entzünden und feuriger Odem tropfte wie Magma hinab. Barghs Muskeln spannten sich, als er die Klinge auf Waergo hieb, doch dieser brachte seinen Schild hervor. Waergos Lachen ging in dem Geräusch von Stahl unter, als das Schwert an dem Erz abprallte. Aber Bargh stand ihm nicht alleine gegenüber. Halbohr schaffte es sich hinter Waergo zu bewegen und stach zielsicher seine Dolche zwischen die Lücken seiner Rüstung, während ich selbst meine feurigen Pfeile auf ihn schleuderte. Waergo wendete sein Gesicht zu Halbohr und spie ihm ins Gesicht. Ich dachte erst, er wolle ihn nur verhöhnen, doch dann sah ich, dass sich in seiner Spucke eine weiße dicke Made befand, die jetzt versuchte durch die Glieder des Kettenhemdes von Halbohr zu gelangen. Dieser streifte sie, zum Glück für ihn, schnell genug ab und zertrat sie auf dem Boden.

Es entbrannte ein erbitterter Kampf. Waergo erwies sich als mächtiger Krieger. Geschickt wehrte die Hiebe von Bargh und auch die glitzernden Kugeln, die Ortnor auf ihn schleuderte, ab. Letztere zerplatzen mit einem Knall auf seinem Schild und liefen wie schwarzer Schleim herunter. Wieder und wieder hieb Waergo mit seiner Axt nach Bargh und viel zu oft schnitt die schwarze Klinge aus Ne‘ilurum in das Fleisch des Kriegers hinein. Ein besonders kräftiger Streich traf ihn in den Arm. Bargh schwankte und für einen Moment sah es so aus, als könnte er nicht einmal sein Schwert halten. Doch der schwarze Griff des Schwertes schmiegte sich wie von selbst um seine Hand. Aber auch Waergo wurde unseren Hieben und meinem Feuer verletzt. Es war Halbohr der ihm den hinterhältigen Todesstoß versetzte. Sein Dolch fand seinen Weg zwischen den Panzerplatten seiner Rüstung direkt in sein Herz. Er röchelte und fiel mit dumpfem Aufschlag auf den Boden - in die Lache seines eigenen Blutes.

Zeit zum Verschnaufen blieb uns jedoch keine. Schon kurz nachdem das letzte Zucken von Waergos totem Körper aufhörte, hörten wir von außen schon die Rufe der Wachen. Wir erstarrten alle, sahen wir uns doch schon mit der gesamten Minenstadt konfrontiert. Aber obwohl Ortnor ein widerlicher kleiner Wicht war, handelte er blitzschnell. Er schaffte es seine Stimme so zu verstellen, dass sie wirklich der von einem der Duergar ähnelte. Irgendetwas rief er in ihrer Sprache. Was es war konnte keiner von uns verstehen, aber offenbar gaben sich die Wachen damit zufrieden und kamen nicht in den Raum hinein. Dennoch durften wir keine Zeit verlieren. Schnell schafften wir die beiden toten Körper zusammen und versuchten zumindest die gröbsten Spuren des Kampfes zu beseitigen. Halbohr und Bargh zogen die beiden in das Gemach von Waergo hinein. Dieses Gemach schien das Zimmer eines Wahnsinnigen zu sein: Wände, die Decke, der Schrank, der hier stand und Stuhl und Bett waren mit schwarzer Farbe bemalt. Nur ein Tierfell auf dem Boden war aus reinstem Weiß, so dass es einen fast blendete. Eine weitere Türe führte aus dem Raum heraus. Doch wäre es Selbstmord gewesen, jetzt einfach ins Ungewisse zu stürmen. Bargh blutete aus einer Vielzahl von Wunden und konnte sich kaum auf den Beinen halten.

Mehr durch Zufall bemerkten wir lockere Bretter auf der Rückseite des Schrankes. Dahinter eröffnete sich eine geheime Kammer. Diese war zwar recht klein, aber nicht leer: Einige Säckchen lagen auf dem Boden und da war eine kleine abgeschlossene Schatulle, die kunstvoll mit Marmor verziert war. Halbohr vergaß wohl für den Moment die Gefahr, in der wir schwebten und widmete sich den Gegenständen. Dem Schloss der Schatulle schaffte er es zwar nicht habhaft zu werden, jedoch fand er in den Säckchen neben einer gewaltigen Menge von Münzen und Edelsteinen und einen kleinen Stab, der in Gänze aus einem roten Saphir bestand. Augenblicklich begannen Ortnors Augen zu blitzen: Dies war wohl eine der drei Kristallkomponenten, die auch in dem Brief von Adanrik erwähnt waren. Zumindest waren die Strapazen also nicht umsonst. Wir verschanzten uns zusammen mit den Leichen in der kleinen Kammer, verwischten unsere Spuren und brachten die Bretter wieder an. Mein Herz blieb fast stehen als, wir nach einiger Zeit wieder Stimmen hörten. Wachen der Duergar, die sich mit der Erklärung von Ortnor wohl nicht mehr zufriedengaben und nachschauten, was geschehen war. Doch fanden sie nichts oder ließen sich nichts anmerken. Wir hielten alle den Atem an und lauschten den Schritten und leisen Stimmen, bis sie nicht mehr zu hören waren. Ich kann nicht von mir sagen, dass ich besonders erleichtert war. Wusste ich doch nicht, was sie vielleicht gefunden haben und welche Schlüsse sie daraus zögen. Unsere Nerven waren alle bis zum Zerreißen gespannt. Ortnor begann sogar mit sich selbst zu sprechen. Besser gesagt, mit sich selbst zu streiten. Ob er die Karte in dem Tisch des Vorraums verstehen würde und dass er leise sein sollte. Wenn sein Verstand verliert, sollten wir uns von ihm trennen. Bevor er uns mit seinem Wahnsinn mitreißt. Aber später, erst mussten wir hier herauskommen. Ob es besser oder noch schlimmer werden würde, würde sich schon bald zeigen.
Titel: Sitzung 53 - Der Tag meines Erwachens
Beitrag von: Jenseher am 13.02.2023 | 19:11
Eingepfercht lagen wir in der kleinen versteckten Kammer, hinter dem Gemach von Waergo. Ab und zu hörten wir noch ein paar Laute der Soldaten, die die Kammer durchsuchten, doch auch diese Geräusche versiegten igendwann. Zumindest fürs Erste schienen sie sich beruhigt zu haben und nicht weiter nach Waergo zu suchen. Bargh versorgte seine Wunden. Als er seine blutenden Verbände abnahm, sah ich im schwachen Licht, welches durch die Bretter des Schrankes drang, dass sich bereits einige Schnitte geschlossen hatten. Es war fast als ob man zusehen konnte, wie neues Fleisch und Haut über die tiefen Einstiche wuchs.

Nachdem er seine verbleibenden Wunden gereinigt hatte, legte Bargh die Platten der Rüstung aus Ne’ilurum an, die er dem toten Anführer abgenommen hatte. Auch nahm er Waergos Schild, der aus Erz dieses Minenreiches geschmiedet war. Ortnor ging unruhig in der Kammer hin und her, immer noch mit sich selbst diskutierend. Es war, als ob er mit sich selbst streiten würde. So lamentierte er über unsere nächsten Schritte und drang sich selbst zum Weitergehen. Für mich ist er ein kleiner Wicht, aber was das angeht, hatte er Recht. Wenn wir hier noch länger säßen, alle zusammen auf kleinstem Raum und ich mir seine kleine Gestalt mit den wirren Haaren und dem ständigen Zucken noch weiter anschauen müsste…Der Gedanke ihm zu zeigen was ich tatsächlich kann, erschien mir von Minute zu Minute schöner.

Zum Glück für ihn war Bargh bald fertig und wir traten wieder durch die Rückseite des Schrankes in das vollständig schwarz angemalte Gemach von Waergo hinein. Wir wendeten uns der Türe zu, die vermutlich einen Nebeneingang in das Gemach darstellte. Dann passierte etwas Merkwürdiges: Ich hörte plötzlich ein Flüstern von Stimmen. Im ersten Moment dachte ich es wäre wieder Ortnor, der mit sich selbst redete oder Bargh, der etwas zu mir sagte. Doch es war nicht nur eine Stimme, sondern eine Vielzahl. Leise flüsterten sie in meinen Kopf. Manche redeten Vorwärts, manche klangen so, als ob sie Rückwärts sprechen würden. Auf eine Stimme konnte ich mich konzentrieren und die anderen Stimmen schienen dies zu merken und folgten der einen Stimme wie ein Echo: „Tötet das Fremde, tötet das Niedere, vernichtet die Starren und die Unverrückbaren!“ Das Flüstern hatte nichts Beängstigendes an sich. Im Gegenteil: Ich spürte ein Gefühl des Glücks, wie in einem Rausch. Konnte es sein, dass zum allerersten Mal mein Verbündeter, jene geheimnisvolle Macht, die zwar immer in meiner Nähe aber nie richtig fassbar, direkt zu mir sprach?

Halbohr war es, der mich wieder in das hier und jetzt zurückriss. Er machte sich gerade an der Türe zu schaffen und öffnete sie vorsichtig. Wir konnten alle eine gedämpfte Stimme hören. Sie hielt eine Art Predigt, wobei es sich für mich fast schon nach Hoffnungslosigkeit klang. Ich lauschte eine Weile der Stimme: "Wir müssen jetzt Stark sein; wir sind seiner Heiligkeit verpflichtet. Ehrenhaft wie unsere Vorfahren werden wir einst in sein Reich schreiten. Dort herrscht er grimmig von seinem Thron aus purem Eisen. Sein Name soll geheiligt sein. Wir nennen ihn Laduguer, unser höchster Gott; Gott des Krieges und der Waffen. Er spricht durch mich und da von Waergo keine Spur zu finden ist, übernehme ich die Kontrolle über die Stadt." Offenbar werden die Lücken in der Herrscher-Reihenfolge sehr schnell geschlossen. Wir schlichen uns leise die Treppe hinab, die sich hinter der Türe anschloss und ich hörte wieder das Flüstern in meinem Kopf. Wieder waren es mehrere Stimmen, wobei mir jetzt klar wurde, dass es eigentlich nur eine Stimme war die aber vielmals sprach. Wieder die Worte wie anfangs, doch jetzt mischten sich andere Worte mit hinein: "Folget der Flamme und der Düsternis, folget ihrem jüngsten Kind". Konnte die Stimme Bargh damit meinen? Zu dieser Zeit nahm ich es jedenfalls an, also folgte ich den Spuren des großen Kriegers, besser gesagt den Geräuschen seiner Stiefel. Denn als die Türe sich hinter uns schloss tauchten wir wieder in eine tiefe Dunkelheit ein und ich traute mich nicht, Bargh nach einer Fackel zu fragen.

Wir passierten einen kleinen Vorraum und kamen an eine weitere Türe. Die Stimme des Predigers war deutlich dorthinter zu hören und das Flüstern in meinem Kopf schien stärker zu werden. Es machte mir immernoch keine Angst, sondern füllte mich mit Mut. Stumm sah ich in Barghs Augen und konnte sehen, dass auch er etwas spürte. Vielleicht sogar ähnliche Stimmen. In seinem rechten Rubinauge loderte ein grimmiges Feuer. Wissend blickten wir uns an. Ein Wissen, das den anderen verborgen blieb. Halbohr erkannte, dass Bargh kurz davor war in den Raum dahinter zu stürmen. Ihm war klar, dass uns nichts davon abhalten konnte, also machte er sich bereit uns zu folgen.

Bargh stieß die Türe auf und schwang seine Klinge von Schatten und Feuer. Vor uns eröffnete sich eine unterirdische Kapelle, wo jene des stämmigen Volkes der Unterreiche ihrer Gottheit huldigten. Eine langgezogene steinerne Halle, an deren Kopfende sich ein Altar aus einem schwarzen Block befand. Vielleicht aus Obsidian, vielleicht aber auch aus Ne'ilurum. Vor dem Altar brannte in einer Grube ein Feuer, dessen Flammen merkwürdig dunkel züngelten. Überall standen massive Säulen, in denen das Konterfei eines alten stämmigen Gesichtes eingearbeitet wurde, das grimmig dreinblickte. So stellten sich die Duergar wohl ihr Idealbild vor. Hinter dem Altar stand der Prediger, diesmal aus Fleisch und Blut. Mit schütternen, fettigen Haar blickte er in die Kapelle. Dort waren vier weitere Duergar, die seinen Worten lauschten. Ein Priester mit seinen Schülern, vermutete ich. Der Priester trug ein Kettenhemd aus Ne'ilurum, eine schwarze Robe mit dem Symbol des zerbrochenen Armbrustbolzen und neben sich gelehnt, einen großen Kriegshammer, aus Ne'ilurum. Noch hinter den Schülern erblickte ich vier weitere Gestalten - allesamt Spinnenreiter. Sie hatten ihre abscheulichen Tiere vor den großen Portalen positioniert, die vermutlich wieder zum unterirdischen Markt führten, wenn mich meine Orientierung nicht täuschte. Ich blickte in Richtung des Priesters und spürte fast schon schmerzhaft die Falschheit und die Schwäche, die er vertrat. Ich war mir sicher, dass auch Bargh dies spürte. Mit einem Brüllen stürmte er voran auf den Priester hinzu. Seine Klinge lechzte danach diese Falschheit zu bezwingen und die Schatten gierten danach sich zu entzünden. Mit zwei schweren Hieben die eine Spur von Feuern hinter sich herzogen rammte er das Schwert Glimringshert in den Leib des Priesters. Die Gottheit des Fremden vermochte ihn nicht zu schützen. Sah man doch zuletzt die pure Furcht, die sich in seinen Augen widerspiegelte. Mit einem dumpfen Geräusch sank sein Leichnam zu Boden.

Dennoch waren wir hier noch nicht fertig. Es gab schließlich noch weiter Anhänger, von denen wir diese Welt reinigen mussten. Ich beschwor Flammen aus meinen Fingern und fühlte, als ich die Worte sprach, meinen Verbündeten, wie nah er mir war. Weitere Kreaturen badeten in den Feuern und schrien vor Schmerzen. Auch Halbohr und Ortnor waren nicht untätig und kümmerten sich um die Spinnenreiter. Der kleine Wicht vermochte es, einen Strahl aus Blitzen zu beschwören, der durch etliche Spinnen fuhr und diese rauchend zu Boden sinken ließ. Mit einer wundervollen Genugtuung, sah ich den letzten der Akolythen an seinem Blut ersticken, als Halbohr seinen Dolch durch seine Kehle trieb. Da war sie wieder, die Stimme, das Flüstern. Vermutlich war sie die ganze Zeit da gewesen, doch konnte ich sie erst jetzt wieder hören: „Findet den See aus Blut und befreit was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!“ Ich folgte dem Klang des Flüsterns. War ich anfangs noch etwas vorsichtig, so gab ich mich dieses Mal dem Singsang hin. Ich stellte mir die Stimme vor, wie sie zu mir sprach. Ich konnte fast fühlen wie aus dem Flüstern eine Hand wuchs, die mich führte in Richtung Bargh. Willig und gehorsam ließ ich mich führen und ging zu Bargh, der gerade noch mit einem der Spinnenreiter stritt. Dieser schaffte es gerade noch sein Horn zu heben und einen lauten Ton daraus zu blasen, bevor auch er niedergestreckt wurde. Aber die Spinnen, die Priester und die anderen Duergar waren mir egal, es gab für mich nur das das Flüstern der Stimme. Sanft nahm ich Bargh an die Schulter und gab die Worte wieder, die mir zugeraunt wurden: „Öffnet den Geist und folgt meinem jüngsten Kind, der da ward geschaffen als Euboreas Prophet, der da ward geschaffen als kindlicher Prophet der Flammen!“ In Barghs Augen schimmerte Erkenntnis auf, erkannte er doch in den Worten nicht sich selbst, sondern Neire. Der Kampf ums herum tobte weiter; es kamen gerade weitere der Duergar in die Kapelle hineingestürmt, angelockt von dem Ton des Horns. Halbohr und Ortnor traten ihnen entgegen, doch Bargh und mir war dies einerlei. Es war, als ob wir eine Art Verbindung hatten, die die anderen wohl niemals verstehen würden.

Beide blickten wir den dunklen Altar an und ohne wirklich miteinander zu redden, wusste jeder was zu tun war. Bargh erhob seine Klinge und als ob der Stahl es selbst schon nicht mehr erwarten könnte, fing das schwarze Herz in dem Kristall am Knauf von Glimringshert wild an zu pochen. Es war, als wenn es vor Erregung schneller schlagen würde. Die Schatten aus den Adern in der Klinge pulsierten stärker und entzündeten sich, sobald sie aus der Klinge hervortraten. Mit einem gewaltigen Schlag hieb Bargh das Schwert auf den Altar. Die Ohren klingelten mir, als sich erst ein gewaltiger Riss in dem Obsidian ausbreitete und dann der ganze Altar mit einem Krachen auseinander barst. Aus dem Riss stieß eine Wand von Flammen hervor, die den ganzen Raum ausfüllte. Bargh hob schützend sein Schwert vor sich. Die Wand von Flammen teilte sich vor uns und konnte uns nicht mehr berühren. Die anderen hatten weniger Glück. Ich hörte das Schreien, sowohl der Verstärkung, als auch von Ortnor und Halbohr. Aber auch das war mir einerlei. Wenn sie nicht stark genug waren den Flammen zu widerstehen, war es ihr Problem. Der Riss des Altars zog sich weiter bis zu der Wand dahinter und es begannen einzelne Steine aus dem Riss heraus zu fallen. Wir sahen sich eine Öffnung auftun. Anscheinend gab es hier noch eine weitere versteckte Kammer. Ich blickte durch die immer größer werdende Öffnung und mein Herz raste. Die ganze Kammer war aus schwarzem Obsidian gefertigt und mit einem blutroten Marmor verziert. Am hinteren Ende war, halb in der Wand, halb hervorstehend, ein gewaltiges steinernes Herz angebracht; ebenfalls aus Marmor und mit glänzenden Streifen. Es wirkte so, als ob es pulsierende Adern wären. Weitere Steine fielen von der Öffnung, die jetzt endlich groß genug war damit wir durchgehen konnten. Fast wie in Trance bewegte ich mich weiter, zog Bargh mit mir. Auch jetzt kam mir dieser Ort und diese Zeit wie in einem Traum vor, alles war verschwommen aber auf eine unerklärliche Art und Weise auch unglaublich klar.

Wir näherten uns dem Herzen und sahen wie das, was ich als glänzende Streifen erkannte, wirklich Adern darstellte. Auch das Pulsieren war keine Spielerei von Licht und Schatten. In diesen Adern schlug eine unheimliche, aber falsche Macht. Ich konnte mir vorstellen, wie die Priester des schwachen Gottes Laduguer ihre Anhänger auf dem Altar opferten und ihr Blut und ihre Seelen hier speicherten. Die Schreie und Rufe sowohl unserer beiden Gefährten, als auch ihrer Gegner, gerieten immer mehr in den Hintergrund. Feierlich gab ich die Worte der flüsternden Stimme wieder, war es doch für mich klar, was zu tun war: “Findet den See aus Blut und befreit was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!” Bargh vernahm meine Worte und auch er verstand sie: Er holte aus und stieß sein Schwert mit einem kräftigen Ruck in das pulsierende, steinerne Herz. Als die Klinge mit einem Knacken den Stein durchbohrte, ergoß sich gleich einer Explosion eines Sprühregens ein Schwall von Blut über uns. In dem Blut spürten wir die Kraft und die Macht der Seelen, die an das einstige Opfer gebunden war. Das warme Blut rann mir über den ganzen Körper und gab mir ein Gefühl der Geborgenheit und der Kraft, wie ein erfrischendes Bad, nur hunderte Mal stärker. Gleichzeitig fühlte ich aber auch die Heimsuchung der gefangenen Seelen. Das Flüstern sprach: “Öffnet die Tore des Geistes, lasst hinein was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!” Ich fürchtete mich, vor allem vor den tausenden von Gedanken, die die Seelen kundtaten - gleich Todesschreien. Doch ich vertraute dem Flüstern, das trotz der vielen Seelen klar war; viel stärker als das, was in dem Blut gefangen war. Also tat ich, wie mir das Flüstern hieß.

Eine größere Kraft hatte ich bisher noch nie in mir gespürt. Es war wie ein gewaltiger Rausch. Ich folgte im Geiste dem Flüstern und es leitete mich, wie ich die Kraft der Seelen in mich aufnehmen konnte. Jede einzelne nahm ich und verschlang sie. Jede einzelne schrie noch einmal auf, doch ihre Schreie verhallten im Nebel zwischen Sein und Nichtsein. Und mit jeder Seele die ich verschlang verschlang ich auch ihre Energien und nahm sie in mich auf. Wie ein elektrisierendes Kribbeln füllte sich mein Körper, Seele für Seele. Und mit einem Mal war mir alles völlig klar: Mein geheimnisvoller Verbündeter, diese unheimliche und mir unbekannte Macht, die stets über mich wachte und meine Schritte lenkte, war Jiarlirae, die Schwertherrscherin selbst. Jetzt, wo ich die Seelen gekostet hatte offenbarte sie sich mir und ich verstand: Ich war noch nicht bereit für dieses Wissen, doch sie trat an mich heran als Flamme in der Düsternis. Dieser Gedanke gebahr in mir ein Glücksgefühl, was ich nicht vermag in Worte zu fassen. Ich tanzte im Blut des aufgeschlitzten Herzes. Ich kostete die Essenz, ich badete im Saft und kannibalisierte Seelen, die jetzt die meinen und damit IHRE waren.

Langsam fiel mir auf, dass die Kampfgeräusche abgeebbt waren. Wie aus einem tiefen Traum kam ich wieder in die wirkliche Welt zurück. Ich blickte mich erstaunt um, was passiert war. Die Duergar starrten stumm und voller Furcht in die Kammer hinein, wo Bargh und ich standen, völlig von dem Blut ihres Heiligtums bedeckt. Aber so sollte es sein, sie sollten erkennen, wie schwach und unbedeutend sie eigentlich waren. Lächelnd trat ich ihnen entgegen. Halbohr und Ortnor, die drauf und dran waren beste Freunde zu werden, waren sich ihrer Sache wohl nicht so sicher. Inzwischen waren weitere der Duergar in die Kapelle eingetreten. In einer militärischen Formation marschierten sie herein, was besonders auf Halbohr einen gehörigen Eindruck machte. Jetzt verhandelten sie mit den blasshäutigen Wichten. Es ging um freies Geleit. Ich ließ sie reden und lächelte mit meinem blutverschmierten Gesicht jeden einzelnen an. Nach kurzer Zeit schienen sie sich geeinigt zu haben. Was mir eigentlich direkt klar war, denn man konnte die Furcht in den Augen der Duergar deutlich zwischen dem Hass auf uns sehen. Sie nahmen uns in ihre Mitte und zusammen in diesem großen Pulk schritten wir durch die Hallen dieser Minenstadt. Ich fragte mich, mit einem Grinsen im Gesicht, welche Reden und welche Lieder sie uns widmen würden. Wir kamen sogar an ihrer Zuchtstätte vorbei, wo sie diese widerwärtigen Spinnenkreaturen aufzogen. Ein älterer Vertreter der Duergar hatte sichtlich sein Leben einzig dieser Aufgabe gewidmet. In einer Geräuschkulisse von dem Knistern vieler Spinnenbeine starrte er uns finster an, während kleinere Spinnen auf seinem Körper und auf seiner Axt krabbelten.

Aber auch ihn ließen wir zurück und traten durch einen dieser Wachräume, die wir schon einmal passierten, als wir in ihre Minenstadt eindrangen. Mit diesem letzten Vorposten verließen wir ihr Reich und gelangten wieder in die Höhlen der Irrlingsspitze. Wie zuvor waren da diese merkwürdigen Wände, die das Licht zu schlucken schienen. Halbohr schlich sich voran und erkundete die Höhlen vor uns. Es dauerte eine Zeit, dann kam er zurück und berichtete von einem Schmatzen, was er in einer Höhle vor uns hörte. Wir folgten ihm, bis wir die Höhle sahen, die er meinte. Es waren jedoch eher mehrere Höhlen, die ineinander gewachsen waren. Mir gab er noch den leuchtenden Kristall den wir gefunden hatten, bevor wir in die Minenstadt kamen. Doch als das Licht in die Höhlen eindrang, erblickte ich nichts Angenehmes: An der Wand der Höhle hausten Kreaturen, wobei man diese nicht mal mit Sicherheit als Kreaturen bezeichnen konnte. Es waren eher Berge aus Fleisch, aus denen an verschiedenen Stellen Münder, Köpfe, Arme und Beine herauswuchsen. Mit plumpen Bewegungen kamen sie auf uns zu. Ihnen folgte ein Gestank, von Eiter und Fäulnis. Sie versuchten ihre Mäuler um Bargh zu schließen, doch seine Rüstung aus Ne’ilurum konnten sie nicht durchdringen. Barghs Schwert und die Dolche von Halbohr konnten sie schnell erledigen. Der Gestank den sie verbreiteten, als ihr schwarzes Blut auf den Steinboden tropfte, brachte mir fast einen Würgereiz hervor. Doch kaum als die letzte der Kreaturen sich nicht mehr regte, vernahmen wir von weiter hinter der Höhle weitere Geräusche. Diesmal jedoch wie eine Vielzahl von Kreaturen. Und schon sahen wir sie: kleine Humanoide, muskulöser, drahtiger Statur. Mit wirren rötlichen Augen starrten sie wie gebannt in das Licht, dass ich bei mir trug. Wie wild erhoben sie ihre knöchernen Knüppel, Krallen, Messer oder was sie sonst an Waffen gefunden hatten. Wie eine Woge pelziger Meereswellen aus Krallen und Zähnen strömten sie auf uns zu. Ich konnte kaum zählen wieviele, aber es waren bestimmt über 50 dieser kleinen Wesen. Blindlings, kreischend und ohne Sinn oder irgendeinen Verstand, strömen sie auf mein Licht zu, vorbei an Bargh und an Halbohr.

Es war ein wahres Gemetzel. Immer mehr kamen aus der Dunkelheit und immer mehr fielen unseren Klingen und meinen Feuern zum Opfer. Ihre Leichen türmten sich in der Höhle, doch sie kannten keine Furcht oder waren vielleicht dem Wahnsinn verfallen. Auch dachte ich an wilde Tiere, die auf ein schmerzendes Licht zuströmten. Wir keuchten alle inzwischen. Halbohr hatte einige Wunden davongetragen. Dort, wo die Kreaturen ihre Krallen in sein Fleisch schlugen. Doch schließlich machten wir auch den letzten Gegner nieder und unser Weg ward frei. Wir mussten weiter, ich spürte es. Zwar konnte ich das Flüstern nicht mehr hören, doch fühlte ich, dass es der Wille meines Verbündeten, der Wille von Jiarlirae war, der uns weiter in die Tiefen der Irrlingsspitze rief.
Titel: Sitzung 54 - Die blauen Teufel
Beitrag von: Jenseher am 19.02.2023 | 16:26
Der Gestank der Leichen erfüllte die Höhle, in den Tiefen unter der Irrlingsspitze. Die Körper von dutzenden kleinen Kreaturen lagen teilweise übereinander in ihrem Blut. Sie waren muskulös und drahtig, hatten spitze, raubtierhafte Zähne, von Hass verzerrte Gesichter und zotteliges schwarzes Haar und Fell. Doch der eigentliche Gestank ging nicht von ihnen aus, sondern von den Fleischhaufen, die sich eben noch wabernd auf uns zu bewegten und versuchten uns mit ihren verschiedenen Mäulern zu fassen. Bargh und Halbohr triefte der Schweiß von der Stirn. Der große statthafte Krieger, in seiner Rüstung aus dem dunklen Ne’ilurum Erz, atmete schwer. Bargh hatte seine Klinge der Schatten und Feuer erhoben, auf deren Schneide die Reste von Fleisch und Fell der Kreaturen klebten. Der rote Kristall, der sich in seiner leeren, rechten Augenhöhle befand, starrte in die Dunkelheit und erwartete weitere der seltsamen Wesen. Auch Halbohr richtete sein gutes Ohr in die dunklen Felsgänge und horchte, doch es geschah nichts. Offenbar hatten wir sie alle erledigt. Es hätte gut laufen können, aber der kleine Wicht Ortnor musste sich wieder hervortun und mich kritisieren. Irgendwann wird es so weit sein und ich werde seinen verrückten Schädel über meinem Feuer rösten.

Das musste noch warten, denn Halbohr schlich sich allein in die Dunkelheit. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zurück. Er erzählte uns, dass er in einer Höhle vor uns weitere Geräusche gehört hatte. Atmen und Schnarchen von kleinen Kreaturen, noch viele mehr dieser Biester. Ortnor meinte wieder uns kommandieren zu müssen. Dass wir diesen Teil der Höhle noch durchsuchen müssten. Ich sah es im Gesicht Halbohrs arbeiten und konnte mir vorstellen, wie er mit dem Gedanken spielte den Schädel des Gnoms zu zerschmettern. Normalerweise war mir die Meinung Halbohrs ziemlich egal, aber dieses Mal konnte ich mit ihm mitfühlen. Als Halbohr sich nicht rührte, versuchte er es bei Bargh. Auch dieser war kurz davor sein Schwert in Ortnor zu rammen. Doch auch er hielt sich zurück, vielleicht versprach er sich etwas davon. Also untersuchten sie auch den restlichen Teil der Höhle. Das Einzige, was sie fanden, waren leere Hauthüllen von anderen Kreaturen. Anzusehen wie Insektenkokons und überzogen von einem kristallisierten Schleim. Offenbar nisten sie sich in die Körper anderer ein, wachsen dort, bis sie irgendwann aus diesen schlüpfen. Bargh murmelte etwas von “blauen Teufeln” und dass er sie schon einmal gesehen hätte. Bei näherer Betrachtung hatten die Hauthüllen tatsächlich eine seltsame, fassähnliche Form des Oberkörpers. Ihre Haut war durch die Reste von Venengeflechten bläulich gefärbt. Vielleicht meinte Bargh die Ereignisse in Berghof, jener Region nördlich der Adlerfeste. Ortnor meldete sich zu Wort. Offenbar war es ein krankhaftes Verhalten, alles verbessern zu müssen. Seiner Meinung nach, hätte die Graue Rasse, wie er sie nannte, diese Kreaturen in diese Welt gebracht. Völliger Blödsinn, dachte ich mir und glaubte eher Bargh, dass diese Kreaturen vor einiger Zeit schon von Berghof hier in diese Höhle gesiedelt hätten.

Zusammen schlichen wir uns vorsichtig in eine noch größere Höhle. Wir mussten mit unseren Schritten hier besonders vorsichtig sein. Je näher wir kamen, desto mehr Reste von Knochen lagen auf dem Boden. Wenn wir unvorsichtig schritten, würde sich vermutlich die ganze Horde auf uns stürzen. Was es nicht einfacher machte, war die Tatsache, dass die Felsen hier nässlich schimmerten. Als ob ein Film von Schleim diese bedeckte. Hinter einem Tropfstein sahen wir die ersten. Wie fellige Knäuel kauerten sie sich zusammen und schliefen. Etwas weiter in die Höhle hinein, der nächste Knäuel und noch einer. Wir konnten nicht alle sehen, aber es waren bestimmt hunderte dieser Kreaturen. Ortnor konnte von mir denken was er wollte, aber mir war sehr wohl bewusst, was mein Licht bei den Kreaturen bewirkte. Aber das konnte ich auch für mich nutzen. Also verbarg ich meinen leuchtenden Kristall in Tücher und nahm den Trank von Bargh zu mir, der mich dazu in die Lage versetzte, im Dunkeln zu sehen. Es war zuerst ein merkwürdiges Gefühl. Plötzlich sah ich die dunklen Höhlen in einem unwirklichen Lichterspiel glitzern. Wie Strömungen glitten die sonst unsichtbaren Strahlungen über den Stein und machten ihn sichtbar für mich. Halbohr bereitete sich ebenfalls vor. Beinahe lautlos schlich er sich zum ersten Knäuel der schlafenden Kreaturen. Ein jeder der muskulösen Brustkörbe hob und senkte sich gemächlich. Langsam beugt sich Halbohr über sie, sein Dolch gezückt. Mit einem schnellen Hieb durchschnitt er die erste Kehle. Es gab nur ein leises Röcheln, das Halbohr schnell erstickte, in dem die Schnauze der Kreatur zu drückte. Es folgte die nächste und die nächste, bis das gesamte Knäuel nur noch aus den blutenden Leichnamen bestand. Nachdem er mit diesem Haufen fertig war schlich er sich zum nächsten. Auch hier erlag eine Kreatur nach der anderen seinem Dolch, während wir nur zusehen durften. Doch dann bewegte sich eine der Kreaturen im Schlaf und sein Dolch glitt an dieser vorbei. Mit einem lauten Klingen schabte der Stahl in den nassen Stein. Das Geräusch hallte zigfach von den Höhlenwänden zurück.

Die Kreaturen wurden mit einem Mal wach und fauchten uns an. Das war unser Zeichen. Was folgte war ein gnadenloses Gemetzel. Wir kämpften um unser Leben, in diesen seltsamen Schleimhöhlen. Von überall, aus den tiefsten Winkeln der Höhle tauchten weitere Kreaturen auf. Anfangs versuchte ich noch diese zu zählen, doch als ich bei fünfzig angekommen war gab ich es auf, strömten doch immer mehr auf uns zu. Bargh schwang sein Schwert, Halbohr hieb wie wild mit seinen beiden Dolchen auf diese ein, Ortnor schleuderte Steine auf die Kreaturen und ich verbrannte sie mit Haut und Haaren. Doch sobald wir Lücken in den Strom gerissen hatten, wurden diese sofort wieder mit weiteren aufgefüllt. Sie versuchten uns zu umzingeln und zu Boden zu reißen. Ich nahm den leuchtenden Kristall aus meinen Taschen. Das Licht blendete mich für einen Moment als ich ihn hervorbrachte und in eine andere Ecke der Höhle schleuderte. Einige der Kreaturen reagierten, so wie ich es mir gedacht hatte. Wie Insekten liefen sie dem Licht entgegen, als ob es eine Beute wäre und versuchten ihn zu zerstören. Bargh und Halbohr nutzen die Gelegenheit und konnten weitere der wahnsinnigen Geschöpfe zu Boden strecken. Doch wie in einem Alptraum strömten weitere nach. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie sich an Bargh klammerten. Doch waren sie dem großen Krieger nicht gewachsen. Er schüttelte sie einfach wieder ab. Halbohr dagegen hatte nicht so viel Glück. Sie umringten ihn und rissen ihn auf den Boden. Wie ein wildes Rudel Wölfe hackten sie mit ihren Krallen und Mäulern auf seinen Leib und rissen ihm die Bauchdecke auf. Ich hörte ihn aufschreien vor Schmerzen, doch ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Ich kämpfte um mein eigenes Leben. Es erinnerte mich an die Felder aus meinem Dorf, wie Bargh und ich uns durch die Kreaturen schnitten und brannten. Damals, als ich noch einen anderen Namen trug. Als ich noch nichts wusste und bevor sie mich Hagazussa schimpften. Wir sahen, wie sich drei größere dieser Kreaturen unter die Masse mischten. Wie Felsen in einem Fluss, strömten die kleineren an ihnen vorbei. Sie schienen sie zu lenken. Auch Ortnor war inzwischen umzingelt und wurde zu Fall gebracht. Doch anstatt sich wie Halbohr seinem Schicksal zu stellen, nutzte der Feigling seine magischen Künste und löste sich einfach in Luft auf, so dass die Kreaturen, die auf ihm lagen, auf den Boden fielen und weiter ohne jegliche Intelligenz auf den Felsen hackten und bissen. Dort, wo eben noch der kleine Gnom lag. Ich blickte kurz zu Halbohr hinüber. Dieser blutete inzwischen bedenklich und ich glaubte auch, dass ich einige seiner Innereien durch die Höhlenluft riechen konnte. Auch bewegte er sich nicht mehr. Ich sah, dass eine der Gestalten, als sie Halbohr biss, irgendetwas wie eine Made oder einen Wurm auf Halbohr spie, der sich seinen Weg durch die offenen Wunden in seinen Körper bahnte.

Langsam aber sicher lichteten sich die Reihen der in einen Wahnsinn verfallenen, kreischenden Geschöpfe. Ich sah auch Ortnor wieder. Der Feigling hatte sich hinter einer Felsnadel versteckt. Hinterrücks beschwor er ein weiteres Mal seine Magie und schleuderte grell gleißende Blitze auf die Verbliebenen. Fast alle waren inzwischen niedergestreckt, die letzte der Kreaturen fiel der Klinge Barghs zum Opfer, als er den Oberkörper beinahe halbierte.

Schwer keuchend und mit von Blut tropfendem Schwert ging Bargh zu Halbohr hinüber. Der Elf lag ebenfalls in einer Pfütze von Blut, halb bedeckt von getöteten Kreaturen. Die kreischenden Geschöpfe hatten ganze Arbeit geleistet. Sein Oberkörper war von Rissen der Klauen übersäht und teilweise hingen seine Innereien heraus. Schnell brachte Bargh mit einem Verband die Blutungen zum Stillstand. Er packte Halbohr wie einen nassen Sack und schliff ihn hinter sich her. Wir mussten eine Stelle finden, wo wir seine Wunden genauer untersuchen konnten. Zum Glück erinnerte sich Ortnor, dass er eine kleine Nische in einer anderen Höhle gesehen hatte. Das musste wohl reichen. Unsanft trug Bargh Halbohr dorthin und wir alle bereiteten uns vor, etwas zu verschnaufen. Halbohr wachte zwar ab und an aus seinem Zustand auf, aber wenn er wach war, blickten seine Augen mehr in die Leere als anderswohin. Wenn er schlief wälzte er sich hin und her, so dass einige seiner Verbände immer wieder verrutschten. Nicht dass ich Mitleid mit ihm hätte. Wenn er einfach nur wie ich selbst verstehen würde, wer der Initiator unserer Reise ist, wäre es vermutlich anders ausgegangen. Aber ich konnte mir vorstellen, dass er keine sanften Träume haben würde, wie vermutlich keiner von uns in diesen Tiefen.

Unsere Rast wurde jäh unterbrochen, als drei riesige Gestalten in unser Versteck eindringen wollten. Diese Kreaturen waren abscheuliche Abnormitäten. Einer hatte einen dritten Arm, der schlaff an seiner Seite hing, einer anderen wuchs ein kleiner halb ausgebildeter Kopf aus der Schulter, der uns dümmlich anglotzte. Bargh und ich setzten ihnen zu, Ortnor war immer noch in seiner geheimen Kammer verschwunden und dabei, die Halterung für das Schild von Bargh zu vollenden. Als er den Krach hörte, steckte er seinen Kopf aus dem extra-dimensionalen Bereich, den er geschaffen hatte. Wütend blickte er zu Halbohr. Was ich verstehen konnte, aber es steht dem kleinen Wicht nicht zu so zu urteilen. Er trat heraus und beschwor mit einer krachenden Explosion eine Wand aus Flammen, in denen die Kreaturen zugrunde gingen. Überheblich blickte er uns an, als ob wir ihm Dank schulden würden. Als dieser nicht kam, versuchte er sich wieder wichtig zu tun und dass wir nicht lange hinter dieser Wand aus Flammen bleiben könnten, ohne zu ersticken. Aber mit Freuden konnte ich ihm dies nehmen, da ich wusste, dass wir bestimmt mehrere Stunden ohne Probleme hierbleiben konnten. Als ich es Bargh sagte, blickte er mich wütend an und ich lächelte nur sanft zurück.

Nach einigen Stunden kam Halbohr wieder zu Bewusstsein. Die tief geschlagenen Wunden in seinen Körper sahen bedrohlich aus. Bargh bot an, zusammen mit Halbohr für die Gunst der Schwertherrin zu beten. Ich rechnete schon damit, dass Halbohr wieder irgendwelche Ausflüchte oder sonstige Gründe fand, um es abzulehnen. Er fand sie auch, doch konnte jeder, wahrscheinlich sogar Ortnor, erkennen, dass Halbohr seinen eigenen Worten nicht glaubte und schon fast erleichtert dreinblickte, als er dann doch zustimmte. Zusammen beteten die beiden und die feurige Macht Jiarliraes begann sein Fleisch zu durchströmen. Alsbald begannen sich seine Wunden zu schließen. Ich sah deutlich in seinen Augen die Befriedigung, die er spürte, fast wie ein Süchtiger, der nach langer Zeit wieder seine Kräuter und Gewächse zu sich nehmen konnte. Ich kicherte leise in mich hinein bei den Vorstellungen wie es mit Halbohr weitergehen könnte. Auch als ich sein Ohr sah, musste ich fast laut auflachen, konnte mich nur noch im letzten Moment zurückhalten. Die Narbe, an der sein Ohr abgeschnitten wurde, sah schon lange nicht mehr aus wie eine Schnittwunde. Anfangs waren die Änderungen nur subtil, aber jetzt, nachdem er wieder die Macht Jiarliraes gekostet hatte sah sie aus als hätte jemand mit einem heißen Schürhaken sein spitzes Ohr einfach weggebrannt. Das witzige an der Sache war, dass er es offenbar immer noch nicht gemerkt hatte.

Nach einer weiteren Nacht (war es eine Nacht oder ein Tag, ich kann es gar nicht sagen) brachen wir wieder in gewohnter Manier auf, Halbohr schleichend voran, wir anderen in einigen Schritten Abstand. Bargh gab mir zum Glück eine Fackel, so dass ich nicht in der Dunkelheit umherirren musste, war doch der Kristall von den Kreischlingen zerstört worden. Wir folgten dabei den Spuren der Duergar, die Bargh und Halbohr im leicht feuchten Höhlenboden fanden. Sie führten uns zu einer neuen Höhle, die man schon fast als wunderschön bezeichnen konnte.

Die Höhle leuchtete in einem blassem, purpurnem Lichtschein, trotz dieser merkwürdigen Eigenschaft des Felsens, der das Licht zu verschlucken schien. Der Lichtschein wurde von der spiegelnden Oberfläche eines kleinen Teiches mit kristallklarem Wasser wiedergegeben. Das Spiel der Wellen auf dem Wasser setzte sich als Lichtspiel in der Höhlendecke fort. Das Licht kam von einem Teppich von Pilzen, die mir teilweise bis zu den Knien reichten. Ihre Fruchtkörper und die Lamellen strahlten das kalte, purpurne Licht aus. Ich betrachtete mir diese Pilze genauer. Irgendwo hatte ich davon schon einmal gehört. Dann fiel es mir plötzlich wieder ein: Sie wurden Düsterheit genannt. Man konnte sie verarbeiten, dass daraus ein starkes Rauschgift entstand, das den Geist betäubte. Aber viel interessanter war, dass es eine verheerende Wirkung auf Organismen hatte, die unter Mutationen litten und wohl auch auf die Kreischlinge, so sagte man zumindest. Halbohr wurde direkt hellhörig. Er fing an viele dieser Fruchtkörper zu sammeln und verschwand damit in dem magischen Versteck von Ortnor. Zusammen wollten sie die Pilze verarbeiten, zu einem Öl, was sie dann auf ihre Klingen streichen konnten. Hinter dem magischen Vorhang hörte man das Brodeln von Kesseln und das Klappern von Gerätschaften. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, aber zum Glück leistete Bargh mir Gesellschaft, denn die Langeweile begann wieder an meinem Geist zu nagen. Ich war nicht dumm. Mir war klar, dass es eigentlich tölpelhaft war so zu denken, schließlich konnte keiner die Gefahren, die hier unten lauerten, verneinen. Aber etwas trieb mich weiter an und sorgte dafür, dass ich rastlos und unstet wurde. Ich wollte weiter und immer weiter in die Tiefe, den Geheimnissen und deren Offenbarungen entgegen.
Titel: Sitzung 55 - Die blauen Teufel II
Beitrag von: Jenseher am 25.02.2023 | 20:36
Das leise Rauschen der leichten Luftströmung schaffte ein schwaches und immerwährendes Flüstern in unseren Ohren. Ab und zu meinte ich, dass sich auch kaum hörbare Schreie unter dieses Flüstern mischten. Meine Nerven waren zu angespannt und ich dachte, dass ich anfange Gespenster zu hören. Jedes Tropfen von Wasser, was auf diesen kleinen Teich hier in der Höhle hinabfiel, ließ mich zusammenzucken. Es waren nicht diese Kreaturen, die wir zu hunderten abgeschlachtet hatten. Auch das fahle Licht der Pilze, die hier wucherten, beruhigte mich nicht wirklich. Es war meine eigene Anspannung und Aufregung. So war ich doch zum einen noch nie in dem Reich unterhalb der Reiche und hatte, zum anderen, auch vorher auch nie ein Ziel gehabt. Dieses Ziel hatte ich jetzt und es war in greifbarer Nähe.

Nachdenklich betrachtete ich meine Reisegefährten. Bargh würde bis zum Schluss an meiner Seite bleiben, waren unsere Ziele doch fast deckungsgleich. Bei Halbohr war ich mir nicht sicher. Zwar tat er immer so, als wenn er die Wahrheit nicht kennen würde - oder wollte - doch jedes Mal, alsbald Bargh die Macht der Herrin nutzte, um Halbohrs Wunden zu versorgen, sah ich in den leicht gelblichen Augen des Elfen die Erleichterung und auch das Verlangen, etwas von dieser Macht zu kosten. Wahrscheinlich würde er ohnehin den Weg nicht überleben. Ortnor, so glaubte ich damals, würde überleben. Der kleine Wicht mit seinen wirren Gesichtszuckungen und Verrenkungen und seiner überheblichen Art, kannte etliche Kniffe, die ihm jedes Mal dem Tod ein Schnippchen schlagen ließen. Aber wenn er uns weiter so herumkommandiert, würde wohl Bargh als erster seine Kniffe auf die Probe stellen.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Halbohr plötzlich anfing wie wild an seinem geschundenen Körper herumzutasten. Er riss sich sein Kettenhemd vom Leib und jetzt sah ich es auch: Unter der fahlen, gerade neu gewachsenen Haut der Wunde wölbte sich etwas, kaum zu erkennen. Diese Wölbung fing an zu Zucken und sich zu bewegen, von seinem Rumpf hoch in Richtung seines Kopfes. Ich sah Schmerz und Panik in seinem sonst so kontrollierten Blick und er versuchte die Stelle abzudrücken, wobei sein Versuch kläglich scheiterte. Vielleicht traf meine Vermutung, dass er bald sterben würde, schneller zu als ich dachte. Ich glaube, ich habe meinen Gedanken laut ausgesprochen, doch es hörte ohnehin keiner auf mich. Halbohr fing an vor Schrecken zu keuchen und bettelte Bargh an, es heraus zu schneiden. Die Schmerzen ließen seine Arme zittern und Tränen liefen aus seinen Augen hinab. Ich blickte auf Barghs große Klinge von Schatten und Feuer. Es wäre ein interessantes Bild gewesen und es wäre von Halbohr wohl nicht viel übriggeblieben, hätte er es herausgeschnitten. Das sich bewegende Etwas, vielleicht ein Wurm, war jetzt bei seinem Brustkorb angelangt und bahnte sich seinen Weg weiter Richtung Hals. Die anderen, auch Ortnor, standen ratlos um ihn herum. Das alles raubte uns nur Zeit. Soll er doch schneller sterben, dann könnten wir endlich weiter, dachte ich mir. Man sah deutlich die Verzweiflung im Gesicht Halbohrs als er begann wie verrückt seinen Rucksack auszuschütten. Hastig griff er nach einem Fläschchen, in das er Gift der Düsterheit-Pilze gefüllt hatte. Die pulsierende Auswölbung war jetzt bei seinem Hals angekommen und schien weiter in Richtung seines Kopfes zu wollen. Kurz hielt er inne, wusste er doch nicht, wie dieses Gift auf seinen Körper wirken würde. Doch als die Bewegungen unter seine Haut wieder stärker wurden, stürzte er den Inhalt seinen Rachen hinunter.

Schon kurz nachdem er es herunterschluckte, begannen seine Augen leicht glasig in die Leere zu gucken und die Wölbung an seinem Hals begann größer zu werden. Ein weißlicher Wurm, mehr Made als Wurm, bohrte sich durch seine Haut. Offenbar schien die Substanz tatsächlich ihre Wirkung zu entfalten und der Wurm, von einem tierischen Instinkt getrieben, versuchte zu entfliehen. Doch schon als die ersten Glieder aus dem Hals erschienen, begann die Haut des Wurms zu dampfen und sich aufzulösen. Wie weißer Schleim floss die Made an seinem Körper herab. Halbohr, noch immer in die Leere starrend, schien nicht wirklich etwas davon mitzubekommen. In seinem Traum hatte er andere Erlebnisse. Von dem Wurm war nicht mehr übrig, als etwas dampfender Matsch und Halbohr kehrte ins hier und jetzt zurück. Er sank kraftlos in sich zusammen. Eigentlich war es schade, wäre es doch für uns eine einmalige Gelegenheit gewesen, zu sehen, ob wirklich eine dieser kleinen Kreaturen aus Halbohr hervorgebrochen wäre. Jedenfalls hätte ich es gerne erfahren. Aber vielleicht ein anderes Mal.

Bargh war es auch nicht entgangen, dass Halbohr Träume oder vielleicht auch Visionen hatte. Als er Halbohr bat davon zu berichten, schilderte dieser ihm ein Bild von einer Sonne, irgendwo in der Schwärze des Alls. Doch die Sonne konnte nicht scheinen, da sie umschlungen war, von schwarzen Tentakeln. Halbohr versuchte in seiner Vision diese Tentakel loszureißen, was ihm nicht gelang. Doch dann sammelte er seine Kräfte und riss Tentakel für Tentakel los. Die Sonne wurde frei und es war keine normale Sonne. Er beschrieb eine schwarze Scheibe, die nur am Rand, wie eine Korona, ihr Licht und ihr Feuer ausstrahlten. Barghs Augen wurden größer und er sagte, er wisse jetzt, warum Neire ihn hierherschickte. Die Sonne konnte nur ein Symbol unserer Herrin Jiarlirae sein und sie war gefangen. Wir mussten sie befreien, ihre Macht befreien. Waren nicht auch auf dem Kartentisch von Waergo Tentakel zu sehen gewesen?

Halbohr fühlte sich bald wieder stärker, nachdem Bargh sich um seine Wunde gekümmert hatte. Ab und an blickten seine Augen glasig in die Leere. Ich wusste ja, dass diese Pilze für die mutierten Kreaturen hier tödlich waren. Bei normalen Menschen verursachten sie allerdings Halluzinationen. Halbohr sammelte seine Sachen wieder ein und machte sich auf den Weg, die weiteren Höhlen vor uns auszukundschaften. Es dauerte nicht lange, da hörten wir aus der Dunkelheit vor uns seine Rufe. Er war wohl auf irgendetwas gestoßen. Ich zündete meine Fackel wieder an und zusammen eilten wir den Rufen entgegen. Wir sahen gerade noch, wie sich eine widerliche Kreatur aus einem Haufen Schutt grub. Diese Kreatur war keine, wie wir sie bis jetzt gesehen hatten. Ihr Körper glich einer Kugel aus Fleisch, die von schwarzem Schleim bedeckt war. Statt Arme, wuchsen aus der Mitte der Kugel mehrere Stiele, die teilweise in Augen endeten. Andere Stiele hatten Münder, die mit messerscharfen Zähnen nach Halbohr schnappten. Und wieder andere dieser schnappenden Stiele hatten sich um die Griffe von Schwertern gewunden. Bargh zögerte nicht lange und stürmte auf das Wesen zu. Er hatte beide Klingen gezogen: Die Klinge der Schatten und Feuer und die Knochenklinge. Zusammen mit einer Lanze der Energie, die Ortnor beschwor, platzte der sphärische Körper der Kreatur auf. Doch gerade als wir dachten es würde wieder Ruhe einkehren, erschien eine zweite Kreatur. Eine wabernde Masse von Fleisch die aussah, als ob sie von der Höhlendecke auf die geplatzte Sphäre tropfen würde. Sie verbreitete einen fürchterlichen Gestank nach Fäulnis und Verwesung. Doch diesmal waren wir alle bereit und die Kreatur konnte uns nicht lange widerstehen. Die Fleischmassen, durch welche Macht sie auch immer zusammengehalten wurden, zerflossen wieder in einen stinkenden Brei.

In dem Haufen sahen wir einige glitzernde Gegenstände, wovon einer besonders unsere Aufmerksamkeit anzog. Es war ein kleiner Stecken, der durchweg aus einem grünen Smaragd geschliffen war, ähnlich dem Rubin-Stecken, den wir Waergo abgenommen hatten. Dies war offenbar der zweite Portal-Schlüssel, hier einfach so unter dem Dreck begraben. Halbohr nahm ihn schnell an sich und steckte ihn ein. Auch einen Stecken, den die Kugel-Kreatur in ihrem Tentakel hielt, fand ich sehr interessant. Offenbar beherbergte der kleine blaue Diamant an dessen Spitze magische Energien, die entladen werden konnten.

Weiter ging unser Weg, Halbohr wieder einige Schritte voraus. Diesmal jedoch nicht, bevor alle ihre Waffen mit dem Gift der Pilze bestrichen hatten. Wir durchschritten viele weitere Gänge die uns jedoch alle nur im Kreis herumführten. Irgendwann sah Halbohr dann eine kleinere Höhle. Dort hausten die Abnormitäten der Troll-Kreaturen, denen wir schon früher begegnet waren. Sie waren auf abscheuliche Weise verunstaltet. Einer der Kreaturen wuchs ein zweites Herz aus der Brust; eine andere hatte einen langen, schlaff nach unten hängenden Arm, der aus dem Rücken herauswuchs. Aber allen war die bestialische Intelligenz gleich, die in ihren Augen brannte. Sie schienen auf etwas zu warten und umringten eine primitive Trommel, die zwischen ihnen stand. Wir folgten den Spuren Halbohrs, als wir ebenfalls diese Kreaturen sahen - nicht jedoch Halbohr. Bargh stürmte mit beiden Klingen voran, auf denen die dunkle Substanz des Giftes wie Öl schimmerte. Seine Klinge traf den ersten der Trolle. Als das Gift das Blut des Trolls berührte blähte sich sein gesamter Körper wie eine Seifenblase auf. Der Kopf wurde immer größer bis er mit einem lauten Knall zerplatzte. Das schwarze stinkende Blut ergoss sich auf Bargh. Jetzt tauchte auch Halbohr auf. Offenbar wollte der Feigling erst abwarten und die Kreaturen auf Bargh hetzen. Er warf seine Dolche auf die anderen Kreaturen und auch bei diesen entfaltete das Gift eine ähnlich tödliche Wirkung. Doch einer der Trolle schaffte es noch mit seinem Klöppel auf die Trommel zu schlagen. Das dumpfe Geräusch ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen, so wie es durch die Tunnel vielfach zurückgeworfen wurde. Was es bedeutete war mir sofort klar: Sie riefen nach Verstärkung. Zum Glück erkannten es auch die anderen und wir zogen uns in einen Tunnel zurück. Sollten doch die Trolle, die ohnehin gerade so in den Tunnel passten uns einer nach dem anderen serviert werden.

Und so geschah es auch, doch mit der Masse an Kreaturen hatte ich nicht gerechnet. Es schien, als ob hier ein richtiger Stamm hausen würde. Immer mehr strömten aus der Dunkelheit auf uns zu und immer mehr fielen unseren Klingen und den Feuern, die mir meine Herrin schenkte, zum Opfer. Bei jeder Kreatur, die zu Boden ging, wichen wir einen Schritt zurück. Die nachrückenden Trolle zeigten jedoch kein Bedauern für ihre gefallenen Stammesbrüder und trampelten einfach über die zerplatzten Leichname nach. Wieder war es eine schweißtreibende Arbeit; wieder schien der Strom nicht abzuebben. Zwischen den mutierten Abscheulichkeiten erkannten wir jedoch eine Kreatur, die etwas größer und sichtlich um einiges fetter schien. Offenbar die Mutter dieses Stammes. Jedenfalls deuteten die obszönen und fetten Brüste darauf hin. Auch sie wurde von den Mutationen nicht verschont und ein zweiter Schädel wucherte aus ihrem Hals hervor, der aber wie ein nasser Sack bei jedem Schritt herunterbaumelte. Sie versuchte ihre gewaltigen Pranken auf Halbohr herabsausen zu lassen, doch wie in einer Ironie rutschte sie auf den Überresten ihrer eigenen Kinder aus und fiel zu Boden. Bargh nutzte die Gelegenheit und hieb die Schattenklinge so fest in ihren Hals, dass beide Köpfe nur noch an einem Hautfetzen zusammenhingen.

So dauerte es nicht mehr lange, bis auch die letzte Kreatur das Schicksal der Sippe teilte. Doch Halbohr hörte immer noch Geräusche. Offenbar war noch nicht die ganze Sippe niedergemacht worden. Nach unserem weiteren Vorstoßen erblickten wir eine Höhle, die eingerichtet war wie ein Thronsaal. Jedenfalls das, was diese primitiven Kreaturen wohl als Thron verstanden. Zusammen mit Haufen von Kot und Unrat stand dort ein aus einfachen Balken errichteter Stuhl, der eine erhabene Position ausstrahlen sollte. Lächerlich, was in den einfältigen Geistern der Kreaturen vorgehen mochte. Doch zwischen den Haufen Dreck sahen wir die letzten Überbleibsel des Stammes, anscheinend etwas, was man als Kinder bezeichnen könnte, aber auch nicht viel mehr als Tiere. Bargh wendete sich bereits anderen Dingen zu, doch ich wollte, dass diese Krankheiten vollständig ausgemerzt werden. Wer weiß, wie schnell die kleinen Biester heranwachsen würden. Bargh tat mir den Gefallen und streckte auch den letzten der kindlichen Trolle nieder. Um sicher zu gehen, dass diese auch tatsächlich nicht wieder aufstehen nutzte er die Flammen seiner Klinge, um auch die Überreste zu vernichten. Schließlich hatten wir gesehen, dass die Geschichten wahr waren, die man sich über Trolle erzählte.

Weiter durch die Dunkelheit kamen wir in eine größere Höhle, deren Boden durchzogen war von einem breiten Spalt im Felsen. Gähnende Leere und absolute Schwärze, soweit das Licht meiner Fackel reichte. Einige Tunnel zweigten hier ab. Einer von diesen führte zu einem dichten Wald voller Pilze, doch waren es diesmal andere als die Düsterheit Pilze. Zwar leuchteten auch sie in einem unwirklichen Licht, doch verströmten sie einen merkwürdigen Geruch. Halbohr setzte zwar einige Schritte dort hinein, aber schon nach einigen Metern kehrte er wieder zurück. Diese Pilze waren ihm nicht geheuer. Aus einer anderen Höhle hörten wir alle leise Stimmen zu uns dringen. Keine bestialischen Geräusche wie das Grunzen der Trolle oder das Kreischen der kleineren Kreaturen. Es waren Stimmen, die sich unterhielten. Ich verstand die Sprache zwar nicht, aber es klang wie die Sprache der Duergar. Vielleicht war es ein weiterer Außenposten der Minenstadt? Halbohr wollte gerade in diese Richtung kundschaften, als wie aus dem Nichts der gewaltige behaarte Leib einer acht-beinigen Kreatur aus der Felsspalte auftauchte. Halbohr war so überrascht von dieser riesenhaften Spinne, dass die Dolche zitterten, die er mit beiden Händen gepackt hatte. Doch zum Glück für Halbohr reagierte Ortnor erstaunlich schnell. Er schleuderte eine seiner Kugeln auf die Riesenspinne und traf sie genau auf den Schädel, der über Halbohr aufplatzte, gerade als sie ihre scharfen Kieferzangen über seinen Kopf schließen wollte. Ortnor kannte diese Kreaturen, zumindest erzählte er uns von Märchen, die er gehört hatte. In diesen Märchen sollten diese Spinnen, Flüsterspinnen nannte er sie, ihre Opfer mit ihrem Gift lähmen und in tiefe Höhlen ziehen, wo sie dann genüsslich verspeist werden konnten.

Halbohr sammelte sich wieder und schlich sich in den Tunnel, in dem wir die Stimmen der Duergar hörten konnten. Doch stellte er sich offenbar etwas ungeschickt an, denn einer seiner Stiefel stieß gegen einen kleinen Kiesel, der laut klickend über die Felsen rollte. Aus der Entfernung sahen wir, wie er sich jetzt offen in den Gang stellte und beide Arme nach oben hielt. Für mich sah es so aus als ob er sich feige ergeben würde, doch die beiden Duergar die sich ihm näherten schienen selbst in keiner guten Lage zu sein. Einer der beiden hatte eine tiefe Wunde an der Seite und konnte sich nur noch humpelnd bewegen. Der andere trat Halbohr entgegen. Laut rief Halbohr, dass wir freies Geleit hätten. Beide Geschöpfe des Unterreichs verstanden natürlich kein Wort von dem, was er sagte, doch Ortnor trat vor und half aus. Er erklärte ihnen, dass wir passieren durften. Die beiden Duergar hatten hier im Tunnel ein provisorisches Lager aufgeschlagen und waren gerade dabei sich über einem kleinen Feuer fettiges Fleisch zu kochen. Die beiden sagten Ortnor, dass sie sich verlaufen hätten, als sie geschickt wurden, um Düsterheit-Pilze zu sammeln. Weiter vorwärts wollten sie nicht, sagten sie doch, dass dort der Horror lauerte. Jedenfalls war es das, was Ortnor uns übersetzte. Zurück wollten sie aber auch nicht, fürchteten sie doch die Kreaturen. Die Kreaturen, um die wir uns bereits gekümmert hatten. Eigentlich sollten die beiden uns auf den Knien danken. Vermutlich waren sie entweder zu stolz oder zu dumm, das zu erkennen.

Plötzlich hörten wir hinter uns ein Hüsteln und diesmal zuckten wir alle zusammen, als dort eine Gestalt auftauchte. Es war eine menschliche Frau, die in einer mit Pfauenfedern geschmückten Robe gekleidet war. Wobei diese völlig überzogen war mit verstaubten dicken Spinnfäden. Auch im schwarzen Haar und am Körper der schlanken Gestalt klebten die dicken Fäden. Leicht torkelnd, als ob sie am Ende ihrer Kräfte war, kam sie auf uns zu und ich roch ihr Parfüm von Blumen aber auch den Geruch von etwas anderem, beißend riechendem. Sie musterte uns und den toten Leib der Spinne der noch in der Höhle lag. Vor allem musterte sie Bargh und der Blick den sie ihm zuwarf gefiel mir gar nicht. Sie stellte sich als Meeredite vor, eine ehemalige Sklavin, die sich dann in Urrungfaust hochgearbeitet hatte und jetzt dem König von Urrungfaust diente: Granryk von Werunstein. Als der Name fiel murmelte Ortnor etwas, das wie Bastard klang, doch Meeredite schien über die Bemerkung einfach hinweg zu hören. Ihr Auftrag war es, in der Minenstadt von Unterirrling nach dem Rechten zu sehen, hatten doch Gerüchte Urrungfaust erreicht, Waergo hätte die Kontrolle über die Stadt verloren. Nun, das Problem hatten wir offenbar auch gelöst, wobei unsere Lösung ihr vermutlich nicht gefallen hätte. Ihr diese Erkenntnis zu offenbaren, würde ich mir für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren. Auch Halbohr war nicht dumm genug ihr davon zu erzählen. Sie wunderte sich nämlich schon, dass Waergo uns einfach so durchgelassen hatte, war es doch seine Aufgabe die Minenstadt zu sichern, sobald das Erscheinen Linnerzährns die Portale öffnete, die in den Berg hineinführten. Und auch sie erzählte von irgendwelchen Schrecken, die jenseits der Tunnel vor uns warteten. Alleine hatte sie wohl zu viel Angst, deshalb bat sie uns, sich uns anzuschließen. Als Ortnor das hörte polterte er. Er wollte keinen im Rücken haben, den er nicht kannte und erst recht keinen Diener aus Urrungfaust. Doch ein paar eindringliche Worte Barghs, zusammen mit einem strengen Blick, brachten ihn schließlich zur Einsicht, denn Ortnor wusste sehr wohl, dass er nur ein kleiner Wicht ist. Und wir brauchten jemanden, der sich in den dunklen Tiefen auskannte. Wir brauchten jemanden, der sich besser auskannte als Ortnor.
Titel: Sitzung 56 - Das Portal
Beitrag von: Jenseher am 4.03.2023 | 21:25
Mein Herz pochte. Vielleicht war es noch die Aufregung des Kampfes mit der gewaltigen Spinnenkreatur. Doch ich war mir fast sicher, dass es eher an Meeredite lag. Sie sah zwar wesentlich älter aus als Bargh, und als ich ohnehin, aber in ihrer mit Pfauenfedern verzierten Robe und ihrem schlanken Gesicht könnte sie es bestimmt schaffen einige einfältige Buben zu bezirzen. Bei Bargh versuchte sie es jedenfalls. Selbst sein vernarbtes Gesicht und der rote, mit seiner Haut verwachsene Edelstein in seiner leeren Augenhöhle schreckte sie nicht ab. Vielleicht war es ja auch genau das, was sie an ihm anziehend fand. Aber sie wusste nichts über ihn, geschweige denn, was ihm wichtig war. Für mich war eines klar: Ich konnte ihr nicht trauen. Auch wenn Ortnor sie anblickte, sah ich in seinen älteren Augen das Misstrauen. Nur für Halbohr schien sie völlig uninteressant zu sein. Ich vermutete es lag einfach daran, dass sich der Elf immer nur für eine Sache interessieren konnte und momentan war dies der weitere Weg. Was sonst noch an Geschehnissen vor sich ging, konnte oder wollte er nicht sehen.

Wir folgten den Höhlen vorbei an den beiden Duergar, die immer noch dabei waren, die Brühe aus Fleisch heiß zu machen. Der verletzte Duergar brabbelte irgendetwas in seiner Sprache zu Halbohr, was Ortnor übersetzte als Bitte um Heilung. Halbohr zuckte jedoch nur mit den Schultern und ging weiter. Wir folgten dem Tunnel in eine weitere Kaverne von deren Decke einzelne lange Tropfsteine über die Jahrhunderte wuchsen. Schon als ich in die Höhle eintrat spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Ich war etwas verwundert, doch dann sah ich woher es kam: Der Ausgang der Höhle war versperrt mit einer Wand aus widerlich stinkendem grünem Schleim. Allerdings war es nicht nur einfach Schleim, sondern er schien sich in sich selbst zu bewegen, wie Wirbel von zähem Wasser. Als ich die Substanz etwas länger betrachtete, konnte ich deutlich die Konturen von einzelnen Gesichtern und Körpern erkennen. Einige dieser Gesichter waren jedoch bis auf den Schädel zerfressen. Diese Wand bewegte sich zwar nicht, doch sahen wir keinen anderen Ausgang. Wir hatten keine andere Wahl, als weiter vorwärts zu dringen. Keiner glaubte daran, dass diese Wand sich nicht doch heimlich auf uns zu bewegen könnte. Halbohr und Bargh zogen ihre Waffen und auch Meeredite zog einen Degen, der ebenfalls aus diesem merkwürdigen stahlharten Kristall des Ne‘ilurum gefertigt war. Halbohr schleuderte einen seiner Dolche auf die Wand. Das Gift was sich noch darauf befand, schien auch hier seine Wirkung nicht zu verfehlen. An der Stelle, in der der Dolch im Schleim verschwand, gab es ein Blubbern und ein Zischen und einzelne Schleimtropfen sprudelten wie Blut hervor. In dem Moment schälte sich aus dem grünlich fluoreszierenden Schleim der Teil eines Körpers heraus. Er sah aus wie ein Mensch, aber schien nur noch einen Oberkörper zu besitzen. Eine Frau mit langen schwarzen, teilweise zerfressenen Haaren und leicht spitzen Eckzähnen. Sie stöhnte auf vor Leid und blickte mit einem verbliebenen Auge uns an. Als ihr Blick auf Ortnor fiel, konnten wir die schwache und verzweifelte Stimme hören: „Ortnor, seid ihr es?“

Ich war sichtlich verwirrt, kannten die beiden sich wirklich und wenn ja, war er vielleicht schuld an ihrem Schicksal? Die einzige Antwort Ortnors war Angriff, doch das war kaum nötig, denn Halbohr und Bargh rammten bereits ihre Klingen in die Schleimwand und auf die immer wieder heraustretenden Schädel. Als Barghs Klinge Glimringshert den Schleim durchtrennte, sahen wir tatsächlich dahinter einen Durchgang, der tiefer in den Berg führte. Doch die Wand war nicht wehrlos. Wie ein Hagel schossen dutzende Klauen auf Bargh und versuchten mit ihrem Krallen durch seine Rüstung aus Ne‘ilurum zu dringen. Doch der starke Krieger duckte sich hinter sein Schild und ging zum Gegenangriff über. Aus einer anderen Stelle zuckten blitzende Entladungen auf und formten sich zu einem Strahl, der auf Halbohr schoss. Wie ein Peitschenschlag fuhren die Entladungen in sein Fleisch, versengten seine Haut und ließen seine Muskeln verkrampfen. Ich selbst löste mich schnell aus dem anfänglichen Grauen. Mutig schritt ich der Wand entgegen und bat Jiarlirae um ihre Gunst. Mit den sengenden Flammen, die ich aus meinen Fingern formte, verbrannte ich die obersten Schichten des Schleims. Barghs Schwert brachte jetzt auch reinigende Flammen hervor und zusammen schafften wir es, dass der Schleim sich erst verfestigte und dann wie poröser Stein in kleinen Brocken zusammenbrach. Es war auch nicht nur der Schleim der sich auflöste. Mit einem Mal fielen angefressene Körperteile und Schädel heraus und landeten auf dem Boden. Auch der Körper der Frau erschien wieder. Als ich sie betrachtete, verkrampfte ich vor Schrecken. Nur noch ein Teil des Oberkörpers war übrig, ab der Hüfte sah man die Reste von Beinstümpfen. Der Rest schien durch Säure aufgelöst, ebenso wie Stellen am Bauch und am Kopf. Sie war so gut wie tot und es war die größte Gnade, die ihr zuteilwerden konnte. Doch sie sprach noch, schwach aber friedlich. Sie sprach, als ob sie schon tot wäre, nur ihr Körper davon noch nicht wüsste: „Haltet ihn auf; er hat mich zu dem gemacht, was ich bin, zu diesem Schicksal verdammt. Niroth, er konnte mich nicht beschützen, sein Sklave ist er geworden. Ich flehe euch an, tötet ihn, tötet Maargaun von Urrunger. Keine andere Sprache wird er verstehen. Vergesst nicht. Ich tat alles, doch konnte nicht, seine Augen, seine Augen, fürchtet seine Augen. Vergesst mich nicht, vergesst nicht meinen Namen - Faere.“

Mit ihrem Namen schloss sie ihr verbliebenes Auge. Für einen Moment spürte ich so etwas wie Bedauern neben dem Grauen, doch dann klärte sich mein Verstand wieder; war es doch vermutlich ihre eigene Schwäche die sie in diese Situation brachte. Ich konnte meinen Kopf wieder richtig benutzen und ich musste stark sein. Wir hatten es bis hierhin geschafft mit der Kraft von Jiarlirae. Ich durfte keine Angst vor dem Grauen haben. So führten mich meine Gedanken zurück nach Wiesenbrück – zu den Namen im Baum. Diese Frau war das Überbleibsel aus der Gruppe der Abenteurer, die 23 Jahre vor uns aufgebrochen sind und ihre Namen in dem Baum im Gasthaus verewigt hatten. Adanrik hatte sein Ende unter dem Felsen gefunden, der ihn erschlagen hatte. Für das Schicksal von Waergo hatten wir selbst gesorgt. Auch Adanrik hatte von Niroth in seinem Brief gesprochen, doch schien sich dieser eher gegen ihn gewandt zu haben. Vielleicht hatte sich die Gruppe in zwei Lager aufgeteilt oder jeder von ihnen ist sich gegenseitig an die Gurgel gegangen. Da waren noch Kara und Niroth selbst übrig, doch der Name Maargaun sagte mir nichts, dieser stand nicht auf dem Baum. Vielleicht hatte der Jenseher, den Adanrik erwähnte etwas damit zu tun? Ich konnte nicht mehr richtig denken. Meine Gedanken drehten und kreisten sich. Der Gestank des Schleimes vernebelte meine Sinne. Meeredite schlenderte wieder auf Bargh zu und fing an zu säuseln. Dieses Miststück, soll sie ihn doch in Ruhe lassen. Vernebelt durch den Gestank krochen wunderschöne Bilder in mir hoch, wie ich ihren brennenden Leib sah und ihr Schreien hören konnte. Das Bild war zwar nur kurz, aber dennoch lieblich. Zum Glück für sie, schien auch Bargh unbeeindruckt und schritt durch den jetzt offenstehenden Ausgang. Halbohr hielt ihn aber kurz an und zusammen beugten sie sich über den Boden. Sie flüsterten miteinander, leider verstand ich davon nichts. Doch als wir weitergingen sah ich mir ebenfalls die Stelle an. Waren dort Abdrücke in dem Schleim, Abdrücke wie von Stiefeln, wie Meeredite sie trug? Ich war mir nicht sicher, aber vielleicht hatten Halbohr und Bargh diese Spuren entdeckt. Jetzt wurde mir jedoch klar: Meeredite lügt und man kann ihr nicht trauen, noch weniger als Ortnor.

Hinter der Öffnung änderten sich die Tunnel. Es war kein natürlicher Höhlenfels mehr, sondern die Wände waren kunstvoll aus dem Stein geschliffen. Auf jeden Fall sahen sie sehr alt aus. An den Wänden war eine Art Pilz oder irgendein Gewächs zu sehen, dass den Stein und den Boden überwucherte. Dieses Gewächs sonderte Schleim ab, der inzwischen den ganzen Boden bedeckte. Ein saurer Geruch, wie nach Essig erfüllte die Luft. Wir folgten Halbohr, der wieder einige Schritte vorauskundschaftete. Plötzlich tauchte direkt hinter Bargh eine riesenhafte Monstrosität auf. Eine Kreatur, die zum unteren Teil den Körper eine Spinne oder einer Krabbe hatte. Der obere Teil bestand aus einem Haufen von Fleischsäcken mit durchsichtiger Haut. In den Fleischsäcken befanden sich eine Vielzahl an Gehirnen. Anstelle eines Mauls wuchsen der Kreatur Tentakel. Vor Schreck fuhr ich zusammen und erstarrte, doch Bargh konnte nichts erschüttern. Mit einer schnellen Reaktion hieb er Glimringshert auf die Kreatur, dessen Klinge sich noch im Schwung mit grellen Feuern entzündete. Das Schwert fuhr tief in den Leib hinein und durchschnitt die Hautsäcke. Dem gewaltigen Hieb konnte die Kreatur nichts entgegensetzen und ergoss einen Strom aus verrotteten Gehirnen. Ich dachte an meine Herrin und unseren Weg. So schritten wir weiter in die Dunkelheit.

Die Gänge schienen früher, vor langer, langer Zeit gar majestätisch gewesen zu sein. Wenn man sich den Schlamm wegdachte, konnte man noch Spuren davon erkennen. Die Gänge führten durch mehrere kuppelartige Dome, zwei davon riesig in ihren Ausmaßen. Aber alles war mit diesem Gewächs und dem Schleim bedeckt, der Leben in sich selbst zu tragen schien. An einigen Stellen im Boden sammelte sich der Schleim in kleinen Löchern, die Blasen bildeten und dann mit einem lauten Schmatzen aufplatzten. In einem der Dome stand wohl früher mal eine Statue, doch es war nur noch der Sockel zu erkennen. Dort wo man die Statue vermuten würde, befand sich nur ein Haufen Schlamm und Schleim. In einem anderen Dom stand die Statue noch, doch war sie vollständig überzogen mit dem Schleim. Man konnte noch die Konturen darunter erkennen und ab und zu ein bläuliches Aufglitzern. Für mich sah das Gebilde aus wie ein aufgetürmter Haufen Steine, der Ähnlichkeiten mit einer Gewitterwolke hatte. Aber Ortnor war plötzlich außer sich. Wie ein Kind freute er sich über dieses Ding und unterhielt uns mit einem Monolog über die Schönheit und Perfektion dieser Kunst, die wohl schon tausend Jahre alt sei. Dabei klangen seine Worte verrückt und er machte wieder komische Kaubewegungen mit seinem Mund. Ich betrachtete mir nochmal diese Statue und bemühte mich wirklich. Doch es blieb dabei, für mich war nicht mehr als ein Steinhaufen.

Halbohr schlich jetzt wieder einige Schritte voraus. Der Gang, in den er eintrat, hatte links und rechts kleine Nischen. Als er sich gerade über eine Nische beugte, sahen wir am Rande des Fackelscheins, wie plötzlich eine Kreatur hinter Halbohr auftauchte. Als ob sie auf einmal aus dem Nichts erschien. Diese Kreatur bestand aus einem dicken Tentakel, der sich an einem Ende in viele kleine aufteilte. Einige dieser Tentakel hatten Mäuler, andere Klauen. Am anderen Ende besaß der große Tentakel ein Maul, in dem messerscharfe Zähne blitzten. Die Kreatur packte Halbohr mit ihren Tentakeln und wollte ihn so in ihr Maul ziehen. Bargh reagierte zuerst und stürmte auf das Wesen zu, doch auch Halbohr war nicht wehrlos, obwohl bereits ein Bein und ein Arm fest von den Tentakeln gehalten wurde. Er stieß den mit Düsternis bestrichenen Dolch in die Kreatur. Als das Pilzgift in das Wesen eindrang, konnten wir sehen, wie sich die Zellen einzeln aufblähten und schließlich platzten, was eine große klaffende Wunde hinterließ. Bargh brachte der Kreatur schließlich den Todesstoß.

Währenddessen ging ich zu der Nische vor der Halbohr innegehalten hatte. Irgendetwas schien mich dorthin zu ziehen, aber ich spürte, dass es nichts Schlechtes war. In der Nische sah ich, halb unter einem Stein verborgen, etwas glitzern. Ich griff danach und spürte, dass in dem Gegenstand eine Macht lag. Eine Macht, die sich anfühlte als ob sie direkt von Jiarlirae stamme. Entschlossen zog ich den Gegenstand unter dem Stein hervor. Als ich meine Hand öffnete, befand sich darin eine kleine Onyx Statue, in der Form eines Drachen. Zwar war die Kraft darin erschöpft, doch hörte ich in meinem Kopf die Worte, die notwendig waren, um die Feuer der Statue zu einem neuen Leben erwachen zu lassen.

Der majestätische Gang führte uns weiter und wir sahen den Schleim weichen. Ich fragte mich, was für seltsame Kreaturen uns noch erwarten würden. Stattdessen wuchs vor uns ein Gras auf dem Boden. Aber kein grünes Gras wie zuhause, sondern silbriges Gras, mit Blättern scharf wie Messer. Ich erinnerte mich, dass ich schonmal Geschichten über so ein Gras gehört hatte, dass dies von einer anderen Welt stamme. Es war nicht einfach nur ein Gewächs, sondern es hatte ein gewisses Maß an Intelligenz. Normalerweise war es friedlich, doch wenn man es zerstören wollte, schnitten einem die Halme tief ins Fleisch. Vorsichtig setzten wir Fuß für Fuß und achteten darauf, möglichst wenig Schaden zu verursachen. Es funktionierte auch. Die Grashalme schmiegten sich zwar um unsere Beine, doch schnitten sie nicht. Vor uns sahen wir, wie mitten im Gang und zwischen den Halmen, eine große Wucherung auftauchen. Diese Schleimwucherung war fast menschengroß und hatte nach oben hin eine Auswölbung. Sie bewegte sich nicht, daher hielten wir erst einmal inne. Doch die Halme schoben uns mit sanftem Druck weiter. Halbohr war dies nicht geheuer und er wollte zurückgehen. Da zuckten die Halme nach vorne und schnitten tief in seine Unterschenkel hinein. Die Wucherung drehte sich. Es sah jetzt mehr wie ein Pilz aus, von dessen Oberfläche Schleim in Massen triefte. Ortnor schrie einen Schrei des Entsetzens, während der Druck der Grashalme immer stärker wurde und uns dem Pilz entgegentrieb. Bargh blieb davon unbeeindruckt und hieb mit seinem Schwert in die Wucherung hinein. Doch diesmal zeigte die Klinge nicht die Wirkung, auf die er hoffte. Zwar durchschnitt sie die Masse, aber fast ohne Widerstand trat sie dampfend aus der anderen Seite wieder hinaus. Halbohr zog einen seiner Dolche, wahrscheinlich der letzte, dessen Klinge noch mit der dunklen Flüssigkeit des Düsterheitpilzes benetzt war. Er warf den Dolch mit der Schneide voran in den Polypen und ein weiteres Mal wurde ich Zeuge jenes Schauspiels, als das Gift seine Wirkung zeigte. Der Pilz schien zu wachsen. An einigen Stellen platzte schon die Haut auf und stinkender Schleim spritzte auf Bargh. Schließlich konnte der Körper den Druck nicht mehr halten und mit einem Knall platzte das fremde Wesen auseinander. Widerlicher Schleim - oder war es Blut – besudelte uns. Mit einem Mal ließ der Druck des Grases nach und die Halme schmiegten sich wieder friedlich um unsere Beine.

Als die Wucherung aufplatzte, offenbarte sie auch die Überreste älterer Opfer. Ich stellte mir für einen Moment vor, wie ein dummer Wanderer in den Polypen getrieben würde und von diesem langsam und bei lebendigem Leibe gefressen würde. Aber für uns hatte es etwas Gutes, dass bereits Schwächlinge in diese Falle tappten. Einige glitzernde Edelsteine befanden sich dort. Die Reste eines Totenschädels trugen in den Augenhöhlen roten Kristall. Doch dann sah ich, dass es keine ganzen Kristalle waren, sondern geschliffene kleine Kristallscheiben. Als ich mir diese vor die Augen setzte, konnte ich wieder die Strömungen der verschiedenen, für das normale Auge unsichtbaren, Strahlungen sehen. Der Gang endete an einer schwarzen Türe aus Stein. Halbohr nutzte seine Dietriche und die Türe schwang auf. Wir wurden kurz geblendet, als in dem Gang dahinter ein pulsierendes Licht auftauchte, das langsam anschwoll und dunkler wurde. Das Licht kam von einer Schiene aus Metall, die sich über der Decke entlang zog. Im völligen Kontrast zu den zuvor überwucherten Gängen, war dieser Gang schon fast als sauber zu bezeichnen. Kein Schleim, keine merkwürdigen Gewächse; einfach nur blanker Stein. Und alt war er. Halbohr konnte zwar einige Reste von Spuren entdecken, doch sagte er, dass diese mehrere hundert Jahre alt wären. Seit dieser langen Zeit waren wir die ersten, die einen Schritt auf diesen Stein setzten.

Mehrere Räume zweigten von diesem Gang ab. In einem Raum, vielleicht früher mal ein Schlafgemach, jetzt jedoch verrottet und zerfallen, fand Halbohr einen kleinen leuchtenden Kristall. Wie gebannt starrte er dort einige Zeit hinein bis er ihn wieder weglegte. Ich dachte erst er hätte eine tiefgreifende Vision gehabt, doch es waren nur langweilige Bilder irgendeiner Familie, die es irgendwie geschafft hatte, sich als Bilder in dem Kristall zur Schau zu stellen. Halbohr berichtete von einer Frau und ein Mann, zusammen mit ihrem kleinen Blag. Sie posierten vor einer alten elfischen Stadt. Es waren farbig-strahlende, gläserne Minarette zu sehen gewesen, die den blauen Himmel durchbohrten. Zudem hatte er einen fliegenden Wal erspäht, der sich, wie aus einem glitzernden Metall, durch die Luft bewegte. Es war wohl eine Vision der mysteriösen Stadt Nysthandarith gewesen, die Halbohr in dieser Vision gesehen hatte. Zwar konnte Halbohr eine weitere schwarze Türe nicht öffnen, doch fanden wir noch einen Raum. Was auch immer dieses Gemach darstellen sollte, auf einem Tisch lag ein merkwürdiges Gebilde einer eisernen Kugel, um die sich feine Fäden aus Kristall spannten. Ein Summen ging von der Kugel aus und sie pulsierte im Gleichtakt mit dem Licht des Ganges. Keiner von uns hatte den blassesten Schimmer, was das sein sollte. Sogar Ortnor, normalerweise von sich tönend, wie fähig er wäre, konnte damit nichts anfangen. Bestimmt eine Ewigkeit verbrachte er aber mit der Untersuchung. Schließlich schaffte er die Kugel in sein Versteck, das er immer noch an seinem Gürtel trug. Meeredite blickte verblüfft, als Ortnor die seidene Decke in die Luft warf, die dort dann wie von Zauberhand hängen blieb und den Weg zu seiner geheimen Werkstatt offenbarte.

Wir traten wieder auf den Gang zurück und folgten ihm. Eine weitere schwarze Türe versperrte den Weg, doch hatte diese kein Schloss, sondern ein Rad mit dem man sie öffnen konnte. Was sich dort hinter befand verschlug mir die Sprache. Ein kreisrunder Raum, an dessen Rändern sich sechs kleine Plattformen befanden. Auf jeder Plattform war jeweils einer dieser merkwürdigen sphärischen Gegenstände befestigt, doch bei zweien war das Licht erloschen. Was sich in der Mitte befand, war wirklich erstaunlich. Genau zwischen den Kugeln schwebte senkrecht ein Runde Scheibe. Aber nicht wie ein Spiegel, sondern vielmehr, als ob sie aus flüssigem Silber bestehen würde. Langsam drehte sie sich in ihrer Mitte. Die Scheibe war so dünn, dass wir sie nicht mehr sehen konnten, wenn sie sich zu Seite drehte. Ortnor vergaß jegliche Vorsicht und trat einfach in den Raum, der Scheibe entgegen. Wie hypnotisiert starrte er die spiegelnde Fläche an. Ab und zu verschwand sie einen Augenblick, so als ob sie zittern würde. Dann war sie wieder da und drehte sich weiter. Ich spürte wieder dieses seltsame Gefühl. Als ob kalte Schauer über meinen Rücken laufen würden. Mit diesem Gefühl kamen auch wieder die Gedanken und die Wut. Die Wut auf alles war mich behinderte und sich mir in den Weg stellte. Ich wollte mir etwas nehmen - vielleicht einen Hammer - und ihre Köpfe einschlagen. Ich wollte sehen, was sich in ihren Köpfen befand. So stand ich dort in diesem pulsierenden Licht und war wohl einige Zeit nicht bei meinen Sinnen. Als Ortnor sprach, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ortnor meinte, dies sei ein altes Portal, was durch den Raum und vielleicht auch durch die Zeit führen könnte. Doch es wäre schon längst nicht mehr stabil und könnte denjenigen zerreißen, der es durchschritt. Ich hoffte Ortnor würde es trotzdem aus reiner Neugierde versuchen. Es sähe bestimmt herrlich aus, wenn der kleine Wicht noch weiter halbiert wird. Danach könnte ich immer noch seinen Kopf einschlagen. Aber leider tat er es nicht, sondern blickte auf Meeredite, die inzwischen auch eingetreten war. Auch er war sich sicher, dass sie log. In meinem Dorf sagte man früher: Ein Lügner erkennt einen anderen Lügner immer. Als er sie fragte, wer in Wirklichkeit die Macht in Urrungfaust innehatte, wurde Meeredite sichtlich nervös. Ortnor wurde wütend. Er stampfte mit dem Fuß auf dem Boden, zeigte mit seinen dicken Fingern auf sie. Sie würde nie im Leben aus Urrungfaust stammen. Auch Halbohr stimmte mit ein und näherte sich ihr bedrohlich. Schon merkwürdig, brüstete er sich doch sonst immer damit ruhig und überlegt zu handeln. Doch dieses Mal konnte auch er sich nicht im Zaun halten und nannte Meeredite eine Lügnerin. Diese versuchte sich zu winden und redete irgendetwas daher. Das war wohl zu viel für Halbohr. Er zückte seinen Dolch und stürmte auf Meeredite zu. Sein Gesicht war von Angst und Hass verzerrt. Ich starrte gespannt. Fast war es so, als ob es eine Prüfung wäre, welcher von beiden die Stärke beweisen konnte. Eine Prüfung, wer von beiden dem heiligen Weg unserer Herrin Jiarlirae würdig war. Doch vielleicht war es auch dieser Ort, der unsere Geister verzerrte und an unserem Verstand riss. Ich verwarf den letzten Gedanken schnell und wartete… ich wartete auf ein Zeichen meiner Herrin.
Titel: Sitzung 57 - Der Jenseher - Teil I
Beitrag von: Jenseher am 14.03.2023 | 22:03
Ich war erstaunt, als ich die Wut und Raserei in Halbohrs sonst eher lethargischen Augen sah. Mit beiden Dolchen stürmte er auf Meeredite zu. Sein Gesicht sah aus, als wenn er wirklich Schmerzen hätte. Auch ich spürte ständig diesen Druck irgendwo im Nacken. So, wie wenn immer wieder jemand mir einen kalten Hauch in den Nacken bläst. Nur schwach aber beständig. Am Anfang trat es nur gelegentlich auf, aber inzwischen sorgte es dafür, dass man kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Als ob man tagelang nicht mehr geschlafen hätte. Vielleicht war es das Gleiche, was auch in Halbohr vorging und er verlor seine ach so geliebte Kontrolle über sich selbst. Hätte er mal seiner Wut schon früher freien Lauf gelassen und sie nicht eingesperrt. Jetzt wollte sie heraus.

Das von der Sphäre strahlend-pulsierende Licht in diesem Dom, flachte gerade ab und als es wieder heller wurde stand Halbohr plötzlich vor Meeredite. Sie hatte damit nicht gerechnet. Sie riss ihre blauen Augen erstaunt auf und wich zurück. Ortnor stachelte Halbohr zusätzlich an, rief "Lügnerin!". Sein rundlicher Kopf und sein Kiefer zuckten dabei noch wilder als sonst und sein schütteres Haar stand noch mehr ab. Doch Halbohr war blind und taub für uns und stieß seinen Dolch nach ihr. Meeredite hingegen war überraschend geschickt. Mit einer schnellen Bewegung schwang sie ihren Degen aus Ne'ilurum und parierte den Dolch. Ein zweiter Stoß folgte, den sie auch parierte. Ein dritter fand schließlich sein Ziel. Diesmal war sie nicht schnell genug und Halbohrs Dolch drang in ihren Körper ein. Barghs Gesicht erhellte sich auf einmal, der rote Stein in seiner Augenhöhle glühte leich auf. "Tötet sie Halbohr, tötet sie für Jiarlirae!". Meeredite, vorher selbstsicher und arrogant, war auf einmal nicht mehr so selbstsicher, als sie sein eigenes Blut sah. Hilfesuchend blickte sie zu Bargh. Sie versuchte wohl ihn zu bezirzen, wie sie es so oft versuchte hatte. Sicherlich: Jemand anderes könnte sie vielleicht als hübsch bezeichnen, mit ihren langen schwarzen Haaren, aber ich wusste, dass Bargh nicht darauf hineinfallen würde. Dennoch versuchte sie es: "Ich töte ihn für euch, für Jiarlirae. Ich habe Macht in Urrungfaust, habe Einfluss. Ich kann euch Dinge zeigen die ihr noch nicht kennt, Geheimnisse und auch andere Dinge." Mir wurde fast schlecht, als sie bei ihren letzten Worten Bargh zuzwinkerte. Bis dahin war mir das Ergebnis dieses Duells ziemlich egal, wobei ich schon hoffte das Halbohr es schaffte, das Lächeln aus Meeredites Gesicht zu schneiden. Jetzt musste sie sterben und wenn ich selbst dabei nachhelfen müsste.

Ortnor war auch außer sich. Er schrie Halbohr an. Warum er sie nicht schon längst getötet hätte. Dann nahm er einen seiner Steine der in dem pulsierenden Licht leicht schimmerte, wie ein kleiner Mondstein und schleuderte ihn auf Meeredite. Doch auch diesen Angriff parierte sie geschickt mit ihrem Degen und der Stein platzte an der Wand hinter ihr in einer gräulichen schmierigen Substanz auf. Jetzt ließ sie endlich ihre Fassade fallen. Kein Einschmeicheln mehr, keine Überzeugungen mehr. Ihr Gesicht verhärtete sich und sie begann arkane Formeln zu murmeln. Der Degen begann plötzlich wie von alleine aus ihrer Hand zu springen und sich mit tänzelnden Bewegungen durch die Luft zu bewegen. Das Licht der Halle flachte wieder ab. Als es fast wieder dunkel wurde, spürte ich, wie dieses Nagen im Hinterkopf zu einem Pressen und dann zu einem richtigen Schlag wurde. Mir tat der Schädel weh und ich dachte nur noch daran, alles was ich sehe zu verbrennen. Das würde den Schmerz nehmen. Ich versuchte mit aller Kraft meinen Verstand zu behalten und es gelang mir auch. Der Schlag verging, der Druck wurde weniger, war aber immer noch da. Es zehrte an meinem Geist, wie ich es schon erfahren hatte, seitdem wir das Portal in den Berg passiert hatten.

Ich blickte zu Bargh und er setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Offenbar hatte er genug von dem Schauspiel und erhob sein Schwert. Die Flammen zuckten auf, als sich die Klinge senkte und als die brennende Schneide in ihre Seite hieb verschwand ihr Grinsen und wurde durch blanke Angst abgelöst. Barghs Angriff gab mir den Anstoss. Auch ich hatte genug und schleuderte flammende Pfeile auf sie, die ihre ach so schöne Haut versengten. Meeredites Augen weiteten und Entsetzen war zu sehen. Sie murmelte ein kurzes Wort und löste sich in Luft auf. Halbohr schien dies überhaupt nicht zu realisieren. Immer wieder stach er in die Luft, dort wo sie gerade noch stand. Dann auf den Boden und das Kratzen des Dolches wurde durch die Kuppeln gespenstisch wiedergegeben. Es dauerte eine Weile bis seine keuchenden Hiebe langsamer wurden und er sich zu beruhigen schien. Aber Ortnor war immer noch ein nervliches Bündel. Zappelnd und nervös schritt er hin und her und stritt mit sich selbst: "Sie diente nicht Urrungfaust, ich weiß das.… aber wem dann, wem dann...dem, was sich hier befindet! Wir haben keine Zeit! Sie wissen jetzt, dass wir kommen!"

Es schienen die Worte eines Wahnsinnigen, doch zumindest in einer Sache hatte er Recht. Wir mussten uns eilen. Meeredite war enttarnt, zumindest ein Teil ihrer Lügen war offenbart. Und wem sie auch immer diente, sie würde uns nicht einfach ziehen lassen. Und außerdem sollte sie bestraft werden, dass sie sich immer zwischen mich und Bargh stellen wollte. Aber ich wusste nicht, was wir tun sollten. Ich blickte ängstlich auf die sich drehende Scheibe, die immer mal wieder zu zerbrechen schien, dann aber wieder da war. Bargh musste wissen, was zu tun war. Er wusste es auch, doch ein Blick auf Halbohr, der die Verbrennungen der elektrischen Energien überall am Körper trug, ließ ihn innehalten. Er dachte wohl, dass wir auf Halbohr angewiesen wären, was ich aber nicht verstand. Sicher, er konnte sich leise bewegen und einige Schlösser öffnen, doch schien er die Kreaturen der Dunkelheit wahrhaft anzulocken. Aber gut, Bargh wußte schon was er tut. Er bot Halbohr Heilung an, doch nur wenn er sich als Diener unserer Herrin bekennt. Der arme Tölpel, er machte sich selbst etwas vor, als er sich damit herausreden wollte: Dass er ja Neire sein Wort gegeben hatte. In seinem Innern wusste er es wahrscheinlich schon, dass auch er ihr schon längst zu Diensten war.

Wir gingen wieder zurück zu dem Tunnel mit dem silbernen Gras, welches sich weiterhin friedlich um unsere Beine schmiegte. Der Gang, den wir noch nicht erkundet hatten, endete an einer schwarzen Türe aus einer Art Marmor, vielleicht sogar irgendeine Form des Ne‘ilurum. Halbohr hatte wohl hinter der Türe etwas gehört, zumindest sollten das wohl seine Zeichen bedeuten, die er mit den Händen machte. Er beugte sich vor die Türe. Irgendetwas schien ihn stutzig zu machen. Vorsichtig nahm er seinen Dolch und drückte damit die Türe auf. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn sobald die Klinge die Türe berührte sahen wir wie irgendeine Macht von der Türe floss und in seinen Dolch hinein. Doch dort verblasste die Energie schnell. Als er die Türe aufdrückte sahen wir dorthinter einen Raum, der früher vielleicht mal die Bezeichnung königliches Gemach tragen konnte. Der Stein dieses Raumes war schwarz, ähnlich wie die Türe und obwohl ich mich nicht auskannte, konnte ich sagen, dass dieser Raum alt, sogar sehr alt war. Gar nicht so alt waren dagegen die steinernen Stühle und Tische. Irgendjemand, vielleicht gar nicht so lange her, hatte aus diesem Gemach einen Essensraum gemacht. Auf den Tischen standen Schüsseln und in der Mitte ein großer Kochtopf. Der Geruch von gekochtem Fleisch hing schwer in der Luft. Kreaturen sahen wir keine, was auch immer Halbohr gehört haben mochte, war entweder nicht mehr da oder versteckt. Vielleicht hatte Halbohr selbst kein sehr großes Vertrauen mehr in seine Fähigkeiten, hatten sie ihn doch in diesen Tunneln schon sehr oft im Stich gelassen und, viel schlimmer, uns alle in Gefahr gebracht. Jedenfalls ging er schnurstracks zu einer weiteren Türe gegenüber, ebenfalls aus schwarzem Stein. Diese Türe war einen kleinen Spalt geöffnet und Licht schimmerte von dorthinter. Keinerlei Pilze, Schleim oder merkwürdige Gewächse aus fernen Welten wucherten hier hinein.

Als Halbohr einige Schritte getan hatte, traten die Wachen des Raumes, die er zuvor gehört hatte, aus ihrem Versteck hinter der Türe hervor. Weitere dieser schändlichen und feigen Kreaturen der Duergar, die es nicht wagten uns offen gegenüber zu treten. Plump ja, doch Halbohr hatten sie damit hinters Licht geführt. Auch nutzten sie die Magie ihres Blutes und hatten ihre Gestalten aufgeblasen. Halbohr war wohl so überrascht, dass er sich tölpelhaft bewegte. Zwar versuchte er seinen Dolch, auf dem noch schwach der Film des Giftes schimmerte, nach dem ersten zu stechen, doch stolperte er dabei und rammte sich die vergiftete Klinge tief in sein Bein. Die Adern traten blutrot hervor und pochten, als das Gift durch seinen Körper strömte. Doch hielt er sich noch auf den Beinen. Zum Glück für uns hatte Bargh schnell reagiert und stellte sich den Duergar. Diese konnten seiner Macht nicht viel entgegensetzen und einer nach dem anderen fiel schrumpfend in sich zusammen. Die beiden waren so auf die Duergar konzentriert, dass sie es wohl nicht sahen, dass die Türe gegenüber sich öffnete und Meeredite erschien. Oder war es Meeredite? Ihr Gesicht war es zumindest, doch hatte sie auf einmal feuerrotes gelocktes Haar. Ihre Augen waren ganz bestimmt die ihren. Nun war alle gespielte Freundlichkeit verschwunden. Nur noch Haß war zu sehen. Ich konzentrierte mich, die Stimme Jiarliraes zu finden. Sie sollte von ihren Flammen verzehrt warden. Das war das einzige Schicksal, was ihr zustand. Auch sie bewegte ihre Lippen zu arkanen Formeln. Dann geschah etwas Seltsames: Unsere beiden Energien schossen aufeinander zu, doch zeigten sie nicht die Wirkung die ich erwartet hatte. Irgendetwas packte meinen Körper mit Gewalt um wirbelte mich herum, gerade als ich den flammenden Ball schleuderte. Das war das letzte, was ich noch sehen konnte. Dann wurde es schlagartig völlig dunkel. Ich hörte nur noch das Klingen und Keuchen von Bargh und Halbohr, die die Duergar bekämpften. Ich selbst tappte blindlings herum. Jetzt konnten die Geister, die ich aus dem blutenden Herzen in mich aufnahm, ihre Schuld mir gegenüber erfüllen. Ich konnte sie tief in mir hören, ihre Schreie und ihr Flehen. Sollten sie zeigen, ob sie nach ihrem Tode noch zu etwas gut sein könnten. Im Geiste packte ich sie wie ein Riese, der mit seiner großen Hand in ein Nest von Insekten packt. So holte ich sie hervor. Sie sollten mein Schutz werden und vielleicht, wenn sie sich würdig erwiesen, würde ich zumindest einige in das Jenseits, in das Reich meiner Herrin, entlassen.
Titel: Sitzung 57 - Der Jenseher - Teil II
Beitrag von: Jenseher am 19.03.2023 | 10:58
Das Licht kam wieder zurück, gerade als Bargh den letzten Hieb auf den letzten Duergar vollführte. Von Meeredite war nichts mehr zu sehen. Wir stiegen über die Leichen hinweg und eilten zur Türe. Dort hinter hörten wir ihre Stimme, also war es ganz bestimmt Meeredite. „Maargaun, hört endlich auf mich, sie kommen! Unterbrecht das Ritual, unterschätzt sie nicht!“ Der Singsang der hinter der Türe zu hören war, brach kurz ab: „Schweigt Kara! Ich habe besseres zu tun. Das Ritual ist bald beendet, hört ihr nicht ihre Stimmen, spürt ihr nicht ihre Macht? Niroth, kümmert euch um sie!“. Eine dritte Stimme, gebrochen und merkwürdig monoton, antwortete: „Ja, Meister.“ Der Singsang begann wieder. Hier waren also die restlichen der Gruppe, die vor 23 Jahren aufbrachen: Niroth und Kara. Wer hätte es gedacht, dass Meeredite eigentlich zu diesem Gefolge gehörte. Aber Niroth und Kara würden das Schicksal von Waergo, Adanrik und Faere teilen. In ihrem Tode sollten sie wieder vereint werden. Der Singsang wurde untermalt vom Schmatzen und Knurren verschiedenster Kreaturen. Ein harter Kampf erwartete uns.

Wir hielten einen Moment inne. Ich war unsicher und dachte vielleicht sogar etwas ängstlich an unser Schicksal, doch Bargh brachte meinen Mut zurück: „Feuer und Düsternis sind mit uns“, sprach er zu mir. Mehr brauchte es nicht, meine Angst war verschwunden. Etwas anderes hatte sie ausgefüllt. Es war Freude, Hass und ein Verlangen.

Halbohr öffnete die Türe. Dorthinter war eine weitere Kammer, größer als die in der wir standen. Die Kammer sah aus, als ob wir gerade in das schlagende Herz des Berges hinblickten. Breite Adern aus purem Ne‘ilurum flossen durch den Stein und transportierten pulsierende Energien, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Fast, als ob der Linnzerzährn selbst sein Feuer in die Adern hineinpumpte. In der Mitte befand sich eine gleißend helle Sphäre. Wie das Innere eines Herzens schlug die Sphäre und brachte Energien in die Wände. Dort wurde das Licht in Obelisken aus reinem Ne‘ilurum erst aufgesogen und wieder zurück in die Sphäre gespien. Beim Eintreffen war es so, wie wenn man einen Stein ins Wasser werfen würde. Wellen bildeten sich und breiteten sich über die Sphäre aus. Das ganze Spiel aus Licht und Energie war atemberaubend. Überall verstreut standen Tische mit Schriften, Werkzeugen, Tränken. Doch konnten wir uns nicht weiter damit befassen, denn uns erwarteten eine Vielzahl von Kreaturen, die sich in mehreren Reihen uns entgegenstellten. Es waren wieder diese Trolle, mit ihren widerlichen Mutationen und Gliedmaßen, die völlig chaotisch aus ihnen wuchsen. Auch ein Trupp Duergar hielt sich bereit und die Kreaturen die ihre Larven in unsere Körper gespuckt hatten. Und noch weitere die aussahen wie lebende und laufende große Pilze. Auch Meeredite (oder Kara) sahen wir, ebenso wie zwei weitere Gestalten. Einer war ein Mann mit schwarzen Haaren und grünen Augen, von dem ich sagen konnte, dass er mir durchaus gefallen würde, wenn seine Augen nicht völlig ausdruckslos uns anstarren würden. Die andere Gestalt war sehr viel älter mit einem langen Bart und eingefallener Haut. Auf seiner Glatze hatte er sich Tentakel tätowiert, die bis in sein Gesicht und um seine völlig rot schimmernden Augen rankten. An seiner Seite trug er einen Dolch aus dem ständig irgendeine Flüssigkeit strömte und ihn benetzte. Der Mann mit den grünen Augen war bestimmt Niroth und der Alte musste dann Maargaun von Urrunger, der Jenseher sein.

Das Murmeln des Alten hörte auf und er erhob sich. Als ich seine Robe anschaute, war es mir, als würde ich in einer klaren Nacht in die Sterne blicken. Für einen Moment verlor sich mein Blick in endlosen Weiten. Doch nur bis sein verrücktes Lachen erschallte: „Ortnor du Bastard, du wirst sterben!“

Bargh stürmte direkt auf Kara (oder Meeredite) hinzu und ich wusste, dass er sie für ihre Falschheit bestrafen wollte. Doch diese murmelte ein paar Worte und dort, wo wir standen, erschienen plötzlich ein dichtes Gewirr von dicken Spinnfäden. Wir wurden umwickelt und festgehalten. Doch unterschätzten sie mich. Die Magie diese Fäden würde der Magie Jiarliraes nicht standhalten können. Mit ihren Schatten zerrte sie an den Fäden, bis diese erst zerfielen und sich in Luft auflösten. Wir waren wieder frei! Bargh und Halbohr nutzten die Gelegenheit direkt. Halbohr hieb mit seinen vergifteten Dolchen in die Kreaturen hinein. Auch hier tat das Gift der Düsterheitpilze seine Wirkung und mit jedem Schwertstreich zerplatzte eine der Troll-Abscheulichkeiten vor unseren Augen. Währenddessen stürmte Bargh wieder nach vorne und stelle sich Kara. Auch Ortnor drängte heran und beschwor eine Energielanze, die weitere der Kreaturen zerfetzte. Doch dann erhob Niroth einen Stab aus dem sich krachend ein Strahl von Blitzen entlud. Ich schrie vor Schmerzen, als die Energien durch meinen Körper fuhren. Die Seelen in dem unwirklichen Mantel stellten sich zwar entgegen, doch waren sie schwach. Mir wurde kurz schwarz vor Augen und ich taumelte zurück. Jede einzelne Stelle meiner Haut schien zu brennen. Wie ein Feuer, das nicht gelöscht werden konnte.

Die Geräusche von entladenen Energien und Explosionen erschütterten die Halle. Ein Duell von gewaltigen Mächten prallte aufeinander. Zitternd erhob ich mich wieder und sah wie Bargh, Halbohr und Ortnor schon die meisten der Wächter-Kreaturen niedergemacht hatten. Ich wollte weglaufen, doch ich durfte jetzt nicht schwach sein. Es war meine Prüfung und ich musste bestehen, koste es was es wolle – und wenn es mein Leben ist. Ich sah gerade noch wie Maargaun unter einer weiteren Lanze von Ortnor zusammenbrach und Halbohr einen Dolch auf Niroth schleuderte. Sein Ausdruck hatte sich verändert, er blickte erstaunt und auch ängstlich auf das Geschehen. Halbohr schnellte nach vorne. Niroth sah nicht mehr so aus, als ob er kämpfen wollte, doch das war Halbohr egal. Zielsicher rammte er seinen Dolch in seine Kehle. Röchelnd konnte ich noch seine letzten Worte hören: „Der Jenseher hat mich dazu gezwungen. Ich wollte nicht…so lange her. Kara, Faere und die anderen, sind sie tot?“ Er blickte zu Kara und rief nach ihr, doch sie hatte ganz andere Sorgen. Sie trug bereits tiefe Wunden und Bargh stand vor ihr mit seiner geweihten Klinge. Sie rief noch: „Rettet euch, alles ist verloren!“. Offenbar hatte sie noch nicht realisiert, dass sie die letzte Lebende der alten Gruppe war. Doch das sollte sie nicht lange so bleiben. Sie war umzingelt und gleichzeitig trafen die Klinge von Bargh und magische Geschosse von Ortnor in ihren Leib ein. Ohne letzte Worte wurde sie durch die Wucht nach hinten geschleudert und blieb reglos liegen.

Als etwas Ruhe eingekehrt war und wir und um unsere Wunden gekümmert hatten, schleppte ich meinen geschundenen Körper wieder in die Kammer. Halbohr hatte in der Zwischenzeit an einem der Tische etwas entdeckt, nämlich einen weiteren dieser kristallenen Stäbe. Der dritte Stab war aus Bernstein gefertigt. Unter dem Pult sahen wir auch eine kleine runde Apparatur mit drei Einschüben, passend zu den drei kleinen Stecken. Bargh streckte seine Hand Richtung Halbohr aus: „Lasst mich es tun. Ich habe die Dunkelheit in meinen Träumen gesehen.“ Doch Ortnor mischte sich ein. Er wüsste besser was zu tun wäre, nur er könnte es richtig bedienen. Was erlaubte dieser kleine Wicht sich eigentlich. Meine Stimme zitterte immer noch und jede Bewegung tat mir weh. Doch es musste sein, ich musste den anderen erklären, dass nur Bargh es tun kann, nur er hat den Segen der Herrin, nur er ist würdig genug. Ortnor verstand meine Drohung, denn er trat zurück. „Ihr müsst das Portal schließen bevor etwas Schlimmeres hindurchtritt. Richtet die Sphäre in die Dunkelheit. Das wird uns zu den blauen Teufeln führen. Tut es jetzt, sonst müssen wir wieder 23 Jahre warten bis die Kraft des Linnerzährn dieses Portal speisen kann.“ Bargh nickte ihm zu: „Es muss weg vom Licht. Es muss in die Dunkelheit hinter den Sternen weisen.“ Er kniete sich nieder vor die Apparatur. Dass dabei der Körper Maargauns im Weg lag kümmerte ihn nicht weiter. Knackend brachen einige Rippen, als seine gepanzerten Knie sich auf den Körper abstützten. Er führte die Stäbe in die Öffnungen ein und begann unter einem Ächzen und Stöhnen die Apparatur zu drehen. Sein Rubinauge glitzerte und ich fragte mich, was er in der Ferne sähe. In der Sphäre begann eine Veränderung. Risse bildeten sich in dem Licht, Flammen und Schatten begannen miteinander zu tanzen. Der Blick in die Sphäre klärte sich, das Licht wurde langsam weniger. Wir sahen einen Sternenhimmel und eine große Erdkugel, über der der Komet Linnerzährn schwebte. Dann begann sich das Bild zu bewegen. Es raste von der Kugel weg. Weitere Sterne waren zu sehen die immer kleiner wurden, bis sie nur noch kleine Punkte waren. Die kleinen Punkte sammelten sich zu einem großen Nebel der strahlend in der Dunkelheit stand. Aber das Bild blieb immer noch nicht stehen. Der leuchtende Nebel verschwand zu Seite. Die letzten Reste von Licht glitten ans uns vorbei bis nur noch absolute Dunkelheit übrig blieb. Das Bild blieb jetzt stehen und die Schwärze schien grenzenlos. Sie griff auf die Sphäre über und übernahm sie, bis auch sie komplett schwarz war.

Das Geräusch eines tiefen Klackens holte uns wieder in das hier und jetzt zurück. Der Apparat war eingerastet. Bargh und ich blickten in die schwarze Kugel. Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich. Bargh sprach: „Es ist getan. Unsere Göttin wird stolz auf uns sein. Die Düsterheit wird über unsere Welt kommen.“ Er hatte Recht, doch fühlte ich auch, dass diese Prüfung für mich zwar abgeschlossen war, aber eine weitere auf mich warten würde. Ich würde sie freudig empfangen und auch diese meistern. Jetzt aber lächelte ich Bargh zu, denn wir standen hier und der Sieg war unser. Es war dieser Sieg, den wir freudig der Schwertherrscherin widmeten. Welche Geheimnisse sollten unser Lohn sein?
Titel: Sitzung 58 - Höhlen anderer Welten
Beitrag von: Jenseher am 25.03.2023 | 11:09
Ruhe kehrte in der unterirdischen Halle ein. Mit dem Erlöschen des gleißenden Lichtes verlor sich auch das ständige Nagen in unseren Köpfen, das sich zuvor wie ein kleiner Wurm, langsam aber sicher, in unseren Verstand fraß. Dieser Wurm war nun endlich hinfort. Die Sphäre stand in ewiger Dunkelheit vor uns, so als ob sie uns anlächeln würde. Zwar war das Nagen weg, doch ich konnte die knisternden Energien spüren. Der Linnerzährn stand noch über uns und sandte die Feuer hier hinein, in das kristallene Herz des Berges. Die Leichen des Jensehers und seines Gefolges hatten sich gestapelt und warfen lange Schatten. War vorher die Sphäre die Lichtquelle, die alles überstrahlte, kam das Licht jetzt von Fackeln und dem Funkeln der Ne‘ilurum Adern und gab der Höhle ein gespenstisches Aussehen.

Es war, als ob wir das erste Mal seit mehreren Tagen aufatmen konnten. Selbst der kleine Wicht Ortnor Wallenwirk schien sich entspannt zu haben. Zwar zuckte sein rundes dickes Gesicht bei jeder Bewegung, die sein Mund tat, aber tatsächlich lobte er uns. Nicht dass ich etwas darauf geben würde, doch er tat es. Ohnehin wollte ich mich mit ihm nicht beschäftigen. Mein ganzer Körper brannte immer noch von den magischen Blitzen, die Niroth auf mich geworfen hatte. Überall hatte ich offene Streifen, wo die Haut durch die Hitze aufgeplatzt war. Ich wollte schon nachschauen wie weit diese an meiner Brust herunterliefen, als ich merkte, dass die anderen mich anstarrten. Zum Glück war auch Bargh da. Seine breiten Schultern und sein Panzer aus Ne‘ilurum nahm den lüsternen Blicken die Sicht und er wusste wie man sich um Wunden kümmerte. Zusammen priesen wir unsere Herrin, dass sie uns den Sieg geschenkt hatte und uns den weiteren Weg offenbarte.

Halbohr kniete sich auf den Boden vor die schwarze Sphäre und begann zu suchen. Tatsächlich fand er Spuren und zwar viele Spuren von kleinen Kreaturen. Doch waren diese Spuren nicht in den Staub der Steine eingetreten, sondern sie sahen so aus, als ob eine eigene Schicht darüber lag. Eine Schicht die wohl auch nur durch die Schatten der Sphäre selbst sichtbar gemacht wurde. Sie kamen aus der Sphäre hinaus und verteilten sich dann. Ortnor sah sie auch, nachdem Halbohr sie beschrieb. Er meinte, dass das Portal schon früher geöffnet gewesen sein musste und dass es die blauen Teufel waren, die dort aus einer anderen Welt kamen.

Wir untersuchten die restlichen Räume des inneren Bereiches. In einem Gemach fand ich etwas sehr Faszinierendes. Diese Höhle oder besser gesagt Halle sah aus wie ein Theater, zumindest wenn ich die Erzählungen richtig verstanden hatte. Auf einem Podest waren drei leuchtende silbrige Streifen, vermutlich auch aus Ne‘ilurum. In der Decke der Höhle sah ich glitzernde Punkte, die dort zu schweben schienen. Zuerst war ich verwirrt doch dann erkannte ich in den Punkten tatsächlich einen Sternenhimmel. Als ich die Streifen berührte, veränderte sich der Himmel. Eigentlich war es ganz einfach. Schnell konnte ich mit den Streifen jeden einzelnen Stern und jede Galaxie betrachten, die ich wollte. Ich versuchte zu unserer Welt zu steuern und würde auch schnell fündig. Die grün-blaue Kugel schwebte jetzt deutlich erkennbar im Raum und vor ihr das feurige Glühen des Linnerzährn. Rote Runen schimmerten über dem Bild auf und veränderten sich langsam. Halbohr meinte darin Zahlen zu erkennen, die kleiner wurden. Anscheinend die Zeit, die noch verbleibt bis sich das Portal des Berges schließt und auch das Portal in andere Welten nicht mehr geändert werden kann. Wir sahen das, was momentan weit über unseren Köpfen stattfand. Doch mich interessierte noch viel mehr die Vergangenheit, wo Linnerzährn herkam. Ich versuchte mit den Steuerungen die Zeit zurück zu drehen, doch irgendwann verlor ich den Fokus und das Bild wurde schwammig und unscharf. Mein Interesse war dahin und ich verließ den Raum wieder. Sollte doch Ortnor noch etwas dumm herumstehen und mit offenem Mund die Bauwerke bestaunen.

In weiteren Gängen sahen wir, dass die Schleimwucherungen und auch das silbrige Gras anfingen zu vertrocknen und zu verwelken. Diese Abscheulichkeiten konnten in unserer Welt nicht alleine überleben. Jetzt, da das Portal die Schatten unserer Herrin offenbarte, wurde ihnen ihre Lebensader abgeschnitten. Gleiches galt auch für die Kreaturen die den Jenseher beschützten. Während das Fleisch der Duergar langsam verfaulte und den süßlichen Gestank des Todes verbreitete, zerfielen die anderen mutierten Kreaturen in Windeseile. Als wir sie das nächste Mal sahen, waren dort nur noch die Knochen mit ihren Auswüchsen sichtbar. Ein weiterer Raum, den wir fanden, enthielt eine richtige Bibliothek. Zwar standen dort viele Bücher wo ich schon vom Titel sagen konnte, dass sie eher als Gute-Nacht Geschichten taugen würden, doch es waren dort auch interessantere Werke. Ein Buch mit dem Titel „Theorie der Portale“ enthielt genaue Erklärungen über die Tore in andere Welten und wie man sie voneinander unterscheiden kann. Ebenso das Buch „Welten jenseits der Sterne“ griff jene Themen auf und enthielt sogar Beschreibungen über die anderen Welten selbst. Auch andere Bücher enthielten wertvolle Informationen: Zum Beispiel waren es Abhandlungen über den Aufbau von Körpern oder über die Welt der Toten und des Todes selbst. Und dort sah ich auch Bücher, deren Seiten noch komplett leer waren. Hier kam mir die Idee, fast schon das dringende Bedürfnis, meinen Weg aufzuschreiben. Meinen Weg der mich durch die Welten führte und meinen Weg zur Herrin der Feuer und Schatten. Der Weg durfte nicht vergessen werden. Wie er begann, als ich aus meiner Heimat vertrieben wurde. Als ich die Macht der Herrin noch nicht verstand und wie ich ihre Macht und ihre Worte in ferne Welten tragen würde.

Nachdem wir die letzten Räume untersucht hatten und die Hallen inzwischen wie ausgestorben waren, beschlossen wir uns endlich auszuruhen. Diesmal war ich dankbar dafür, mussten wir uns doch nicht mehr beeilen. Sicherlich, es konnte sein, dass die Portale in den Berg sich für die nächsten 23 Jahre wieder schließen würden, aber wir würden vermutlich ohnehin nicht durch die Minenstadt hindurchkommen - jedenfalls nicht ohne sie komplett in Schutt und Asche zu legen. Und einen anderen Weg kannten wir nicht, auch nicht Ortnor.

Die Zeit verging ruhig. Wir machten es uns in einem der Nebenräume gemütlich. Zu essen gab es noch genug, hatten uns doch die Wachen der Duergar dankenswerterweise ihren Eintopf hinterlassen. Auch Wasser gab es reichlich. Wir fanden einen Brunnen, der eine korrumpierte Skulptur eines amorphen Wesens trug. Zwar roch das Wasser die ersten Tage noch etwas modrig und wir konnten Algen in dem Wasser treiben sehen. Doch auch der fremdliche Bewuchs war dabei abzusterben und ich schätzte, dass das Wasser in wenigen Tagen sauber und trinkbar sein würde. Ich nutzte die Zeit sinnvoll. Ich lernte weiter von Bargh über unsere Herrin und wie ich ihren Willen deuten konnte. Und da waren natürlich noch die Bücher, die ich wahrhaft verschlang. Es war, glaube ich, das erste Mal, dass ich wirklich geschriebenes Wissen fand. In meinem Dorf gab es keine Bücher. Ich vermute auch, dass dort die wenigsten überhaupt lesen konnten. Nachdem ich mein Dorf verlies und mich auf meinen Irrwegen herumtrieb, hatte ich keine Zeit, mich länger mit Büchern zu beschäftigen. Ab und zu schaute ich in dem Raum mit dem Sternenhimmel vorbei. Die Zahlen zählten immer weiter runter. Doch ich war ruhig, denn ich wusste, dass mein Weg nicht durch die Minenstadt und durch den Berg führte.

Nach etlichen Tagen war es soweit. Die Zahlen waren heruntergezählt und die Schrift glühte nicht mehr rot. Zwar konnten wir nichts sehen, doch wir fühlten alle, wie das Funkeln und die Energien, die vor allem in dem Raum mit der Sphäre durch das Ne‘ilurum flossen, plötzlich weg waren. Die eintretende Ruhe war gespenstisch und ich traute ihr nicht. Doch man gewöhnte sich daran. Jetzt gab es auch kein Zurück mehr - die Öffnung durch den Berg musste versperrt sein. Wir versammelten uns alle vor der dunklen Sphäre. Langsam trat ich etwas näher und versuchte das Gelernte aus den Büchern anzuwenden. Jetzt, so nah an der Dunkelheit, fühlte ich mich etwas seltsam. Es war, als ob ich selbst normal wäre, aber alles um mich herum ein wenig langsamer. In dem Buch stand man sollte seinen Instinkten trauen. Das tat ich und ich konnte tatsächlich etwas spüren. Auf der anderen Seite musste es Luft zum Atmen geben und man konnte sich wohl bewegen. Auch war ich mir sicher, dass man auch wieder zurückkommen konnte. Bargh konnte mein Zögern wohl sehen, denn er sprach kräftigende Worte: „Wir müssen den Spuren der blauen Teufel folgen. Das, was sich uns entgegenstellt, wird den Flammen Jiarliraes zum Opfer fallen. Wie Schatten niemals verzagen, werden wir nie müde werden, bis unsere Aufgabe erfüllt ist.“ Mehr musste es nicht sein. Ich fing an zu lächeln, sogar zu kichern. Wir hatten den Segen Jiarliraes, wir konnten nicht scheitern. Ich tat den Schritt in die Dunkelheit hinein.

Ein Gefühl des Schwebens erfüllte mich. Ich war wie ein Blatt, das durch die Dunkelheit glitt. Dann ein kurzes, blendendes Blitzen. Erst einzeln, dann in einer schnellen Folge hintereinander. Es war so stark, dass einem die Augen schmerzten. Ein Rauschen war zwischen den Lichtblitzen zu sehen, ein Rauschen wie ein schneller Wasserstrudel. Ich fühlte mich plötzlich wieder schwer, ich sank in irgendeine Richtung, entweder nach oben oder nach unten, ich wusste es nicht. Plötzlich wurde es kalt und ich konnte alte, abgestandene Luft riechen. Das Rauschen wurde viel stärker, aber war es nicht mehr das Rauschen von Wasser, sondern vielmehr wie ein heftiger Sturm. Der Sturm heulte durch irgendetwas und das Heulen war so laut, dass es sich anfühlte als ob einem jemand ein Messer tief in den Schädel trieb. Ich befand mich in einen kleinen sechseckigen Raum. Vorsichtig blickte ich mich um. Die Sphäre aus Schwärze stand hinter mir im Raum, auch wenn sie hier auf dieser Seite etwas kleiner war. Was mir direkt auffiel war, dass ich, obwohl ich die Kristallscheiben in den Augen trug, nicht richtig sehen konnte. Alles war irgendwie verschwommen und unscharf, auch die Strahlungen der Wärme. Ein Keuchen war zu hören und die muskulöse Gestalt Barghs trat aus der Schwärze der Sphäre hinaus. Als das laute Heulen und Kreischen an Barghs Ohren drang musste er sich erst seine Ohren zuhalten. Ortnor und Halbohr folgten uns schließlich durch das Portal.

Wir waren nicht alleine in diesem Raum. An der Wand lehnten die Überreste von Kreaturen. War das alles, was von den blauen Teufeln übriggeblieben war? Zwei der Leichen waren normal verwest und inzwischen eingetrocknet. Sie trugen kleine schwarze Steine auf der Brust. Von den anderen Leichen fehlte jegliches Fleisch. An den Knochen waren auch Kratzspuren zu erkennen, so als ob man das Fleisch dort abgeschabt hatte. Halbohr meinte, dass diese Leichen hier schon seit bestimmt 1.000 Jahren liegen würden. Wenn es etwas wärmer gewesen wäre, wären sie bestimmt schon längst von Getier aufgefressen worden. Ich versuchte mir auszumalen, was hier passiert war. Vielleicht waren die Kreaturen einfach wahnsinnig geworden, in dem Heulen. Das hätte ich ihnen nicht verübeln können. Das Kreischen nagte jede Sekunde an meinem Geist. Selbst die Ohren zuhalten brachte nichts. Vielleicht waren sie auch hier eingesperrt worden und wollten ihr Ende noch etwas weiter aufschieben, auf Kosten des Fleisches der anderen. Als ich darüber nachdachte stieg eine leichte Furcht in mir auf, denn ich hatte bisher keine Ausgänge aus dem Raum gesehen. Doch dann fiel Halbohr etwas auf. Fast unsichtbar fand er einen ganz schmalen Spalt im Stein. Wenn man mit den Fingern dem Spalt folgte konnte man die Umrisse einer Türe erkennen, doch ohne jeglichen Mechanismus oder Hebel um sie zu öffnen. Bargh blickte wieder zurück zu den Leichen mit den schwarzen Steinen. Es sah so aus, als ob sie sich einfach zum Schlaf gelegt hätten, mit den schwarzen Steinen auf der Brust. Ich konnte mir nicht vorstellen woher er das wissen konnte, aber vielleicht hatte er die Hilfe unserer Herrin gehört. Halbohr hatte die Idee, dass die schwarzen Steine etwas mit der Türe zu tun haben könnten, und tatsächlich: Als er einen nahm und sich der Türe näherte, begann diese durchsichtig zu werden, wie ein milchiger Kristall. Es ging zwar etwas schwerer, aber ich konnte meine Hand hindurchstecken.

Halbohr ging voran, danach folgten Bargh und ich. Es war als würde mich die Faust eines Riesen treffen. Heulen und Kreischen waren in dem kleinen Raum schon schlimm gewesen. Doch als ich hinter der Öffnung in einen Tunnel trat, prallte die gesamte Wucht des Windes auf mich ein. Eisig fegte Böen durch einen kreisrunden Schacht. Der Tunnel schien nicht von Menschenhand geschaffen, sondern als ob irgendein Wurm sich hier durchgefressen hätte. Oder es war der Wind selbst, der es durch beharrliche Kraft geschafft hatte sich selbst durch den Felsen zu schneiden. Die Wände waren glattgeschliffen, doch der Tunnel bewegte sich hin und her durch das Gestein. Jede dieser Kurven gab dem Wind ein Echo und trug dem lauten Heulen bei. Ich sank auf die Knie und presste die Hände auf die Ohren. Das war dem Heulen egal, es hämmerte trotzdem in meinen Schädel. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken mehr fassen, jeder Versuch endete in noch stärkeren Kopfschmerzen. Vielleicht hätte der Düsterheitspilz helfen können, gibt er einem doch einen Rausch, der abstumpfen lässt. Doch Halbohr, dieser Tölpel, musste sich ja unbedingt mein letztes Fläschchen auf seine Dolche schmieren. Er hatte sie bestimmt verschwendet, als er damit die Duergar angriff. Ich schrie ihn an, wobei ich gar nicht wusste ob er mich durch das Kreischen überhaupt hören konnte. Ortnor hatte vermutlich doch Recht, er war unfähig. Zum Glück war Bargh da. Er war klug genug mir etwas von der Substanz aufzuheben. Ich träufelte etwas davon auf meinen Finger und massierte es in mein Zahnfleisch. Die Wirkung trat beinahe sofort ein. Alles schien sich etwas zu entfernen, so als ob man das Geschehen wie ein Zuschauer auf einer Bühne betrachtet. Man sieht alles und hört alles, ist aber trotzdem nicht Teil des Geschehens. Meinem Kopf ging es etwas besser, jedenfalls eine Kleinigkeit. Aber ich spürte dennoch das fortwährende Pochen, wenn auch dumpfer. Halbohr und vor allem Ortnor waren ohnehin schon manchmal schwer zu ertragen, aber mit dem Pochen war es eine Qual. Ortnor machte es auch nicht besser. Er rief durch den Wind zu uns herüber und als wir uns umblickten, sahen wir, dass er an der runden Tunnelwand einfach nach oben ging. An was für einen Ort waren wir hier gekommen… Ortnor grinste uns dumm an, als er inzwischen Kopfüber an der Decke des Tunnels stand als ob es das normalste der Welt wäre.

Halbohr fand die Spuren der blauen Teufel wieder und wir folgten ihnen durch die Tunnel. Der Durchgang wurde wieder zu festem Felsen, als wir die schwarzen Steine entfernten. Hoffentlich würden wir die Türe wiederfinden, denn es gab in dem Tunnel keinerlei besondere Merkmale, woran man sich orientieren hätte können. Auch bargen sie kein einziges Zeichen von Leben, nicht mal das kleinste Insekt oder Blatt.

Die Spuren führten uns eine Ewigkeit durch den Stein und an verschiedenen Kreuzungen vorbei. Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, veränderte sich das Kreischen und Rauschen. Ein tieferes, dumpfes Geräusch mischte sich darunter, wie ein Donnern. Auch veränderte sich der Geruch. War es vorher eiskalte, abgestandene Höhlenluft, konnten wir deutlich einen leichten Geruch von Schwefel riechen, der mit jedem Schritt stärker wurde. Irgendwann öffnete sich der Tunnel und was wir sahen, war so unwirklich, dass es nur schwer zu beschreiben war. Wir konnten hinter der Öffnung eine gewaltige Ebene erblicken, wobei es aber nicht wirklich eine Ebene war, sondern eine gigantische Höhle es eher treffen würde. Der Boden der „Ebene“ war an vielen Stellen aufgebrochen und an den Rissen quoll glühendes Magma empor. Ein Regen von Asche und Schnee fegte, vom Wind getragen, zu uns herüber. Doch was uns den Atem raubte war der riesige Vulkan, der sich in der Ferne erhob. Der Vulkan erhob sich jedoch nicht aus dem Boden, sondern er wuchs aus der Wand der Höhle heraus. Wir blickten direkt hinein in den glühenden Schlund. Alle Regeln der Natur schienen hier keine Gültigkeit mehr zu haben. Wir gingen etwas weiter und sahen, dass direkt an der Öffnung des Tunnels eine Gestalt saß. Sie war nicht nur völlig nackt und völlig haarlos, sondern schien auch irgendwie durchsichtig zu sein. Wir konnten sie nur deswegen sehen, weil sich Ascheregen und Schneeflocken auf ihren Körper legten und so ihre Konturen wiedergaben. Sie hockte auf dem Boden und hieb mit einem Dolch wie verrückt auf den Stein ein. Anderswo hätte ich es lustig gefunden - war es doch die gleiche verzweifelte Bewegung die auch Halbohr gemacht hatte, um den Eingang zu dem Portal im Stein zu markieren. Aber diese Welt und vor allem der Wind nahm mir meinen Humor und auch meinen Antrieb. Vorsichtig gingen wir etwas näher und hörten, dass die Kreatur in einer merkwürdigen Sprache etwas brabbelte. Bargh sagte, dass dies die Sprache der Ebenen sei, wo die Götter selbst wandeln. Das Wesen sprach wohl irgendetwas von einem, den er hier vergrub, zu sehen war aber nichts. Vielleicht war die Kreatur auch einfach nur durch das Heulen der Winde verrückt geworden.

Wir gingen an der Gestalt vorbei, die uns auch nicht weiter zu beachten schien. Jetzt standen wir direkt an der Öffnung. Vor uns lag der Boden - oder war es die Decke - der Höhle. Zwischen den Gräben der Lavaströme waren die Überreste einer Festung oder eines Tempels zu sehen. Die Mauern sahen aus, als ob sie schon teilweise von der jetzt kalt gewordenen Lava überflutet wurde und nur noch die Reste der oberen Teile schauten dort heraus. Ohnehin waren sowohl der Vulkan als auch die Lava irgendwie fehl am Platz. Es war viel zu kalt. Das glühende Gestein wurde fast sofort wieder fest, wenn es aus der Oberfläche brach. Der Vulkan wirkte wie ein Eindringling, wie ein Schädling, der versuchte sich hier in dieser Welt mit aller Gewalt zu behaupten, während die Winde ihn wieder vertreiben wollten. Zudem leuchtete das Magma in einem bösartigen Schimmer. Die Rauchwolken, die das Monstrum in der Ferne ausspukte, zuckten von grellen Blitzen und nahmen teils seltsame Formen an.

Wir schritten aus dem Tunnel hinaus mitten hinein in den Kampf der beiden Elemente. Alleine würden wir zerschmettert werden. Doch waren wir nicht alleine, denn Jiarlirae wachte über uns und leitete unseren Weg.
Titel: Sitzung 59 - Höhlen anderer Welten II
Beitrag von: Jenseher am 31.03.2023 | 20:57
Fortwährend heulte der Wind und kreischte in meinem Kopf, wie tausend kleine Nadelstiche. In mein Gesicht fegten Schneeflocken, vermischt mit nach Schwefel stinkender Asche. In dieser Welt, in diesem lebensfeindlichen Kosmos, schien uns alles vernichten zu wollen. Nichts war hier normal, weder die Luft, die Geräusche oder die Schwerkraft. Der riesige Vulkan vor uns wuchs nicht nach oben, sondern zur Seite, so dass wir auf den glühenden Schlund in weiter Entfernung schauen konnten. Das Grollen, was von ihm und der Lava kam, die er ausspuckte, drang mir bis ins Mark. Und das Schlimmste war, dass die anderen in aller Seelenruhe gingen und immer wieder anhielten, um die Spuren zu suchen, denen wir bisher gefolgt waren. Dabei war es doch klar, dass die Spuren zu der Ruine vor uns führten. Entweder waren sie schon so abgestumpft, dass sie überhaupt nichts merkten oder sie verstanden einfach nicht die Gefahr in der wir alle schwebten. Ich beschleunigte meine Schritte doch musste ich immer wieder auf die anderen warten.

Nach einiger Zeit gelangten wir zu den Überresten der Festung. Wir mussten hier und dort über Risse springen, die durch die Lava Ströme in den Boden gerissen wurden. Vor uns lag das zerbrochene Eingangsportal. Ortnor musterte das Gebäude. Sein zerzaustes Haar stand noch wilder von seinem Kopf ab, durch die schreienden Winde. Ich konnte mir vorstellen, wie er sich in seinem Geiste ausmalte, wie das, jetzt teilweise mit erkalteter Lava bedeckte, Gebäude früher mal ausgesehen haben könnte. Ich wurde wieder wütend über diese Zeitverschwendung. Wen interessiert die Vergangenheit, wir waren im Hier und Jetzt. Ich hatte keine Lust mehr zu warten und trat zwischen den geborstenen Türflügeln hindurch. Ich sah zwar noch aus den Augenwinkeln wie Ortnor irgendetwas zu Halbohr sagte und auf mich zeigte, aber was der kleine Wicht und Halbohr dachten war mir egal. Der Herrin sei Dank war es auch Bargh bewusst, dass wir uns eilen mussten und er folgte mir.

Die Tore führten durch einen teilweise auseinandergefallenen Säulengang, der jedoch an einer kahlen Wand endete. Bargh fand die Spuren wieder und sie führten direkt auf den dunklen Basalt zu. Diesmal gebrauchte Halbohr seinen Verstand und hielt einen der schwarzen Steine vor die Wand. Das alte Gemäuer verlor an Substanz und wurde milchig, ähnlich wie die Wand hinter den Schattenportal. Dahinter sahen wir verschwommen einen kurzen Gang, der an einer Wendeltreppe endete und in die Tiefe führte. Die Mauern und die Verzierungen im Stein waren mit nichts vergleichbar, was ich schon jemals gesehen hatte. Wir traten durch den Stein hindurch, der hinter uns wieder massiv wurde. Mit einem Mal verschlang uns die Dunkelheit, doch gleichzeitig verschwand das permanente Schreien des Windes in den Hintergrund. Die Nadelstiche in meinem Kopf ebbten ab und wurden eher zu einem drückenden Schmerz, der aber noch auszuhalten war. Mir wurde etwas übel, aber auch das legte sich bald. Jetzt sah ich in allen Gesichtern unserer Gruppe die Erleichterung. Vielleicht war ich etwas zu vorschnell in meinem Urteil. Sie hatten vielleicht einfach nur die Qual des Windes besser verbergen können. Ortnor schien sogar fast fröhlich, er lobte Halbohr. Ein jeder konnte zwar die Heuchelei hören, doch die Arroganz liegt wohl einfach in seinem Blut.

Als die Wand wieder massiv wurde, drang auch nicht mehr die Kälte von Draußen hinein. Stattdessen trafen wir auf eine gewaltige Welle von Hitze, die irgendwo von unterhalb der Treppe heraufströmte. Die plötzliche Änderung machte mich schwindelig und dass unsere Dunkelsicht hier immer noch nicht richtig funktionierte, machte die Sache nicht besser. Die Treppe drehte sich hinab in die Tiefe. Hinab in eine infernalische Dunkelheit. Sie endete in einem kleinen Raum, in dessen Mitte eine eiserne Statue eines gehörnten Wesens stand. Bargh erkannte darin einen der blauen Teufel, doch war diese Statue viel größer als die Kreaturen. Ich erkannte in der Statue jedoch nicht die blauen Teufel selbst, vielmehr musste eine Gottheit dieser Kreaturen dargestellt sein; vielleicht auch eher eine Art Erschaffer. Sie streckte mit einem diabolischen Grinsen ihren Mund nach vorne als ob sie uns küssen wollte. Am Sockel der Statue war etwas eingraviert, in ihrer künstlichen archaischen Sprache, was Ortnor uns übersetzte: „Hört zu und lauscht und ich werde sprechen“. Doch hörte Halbohr auch von innerhalb der Statue ein dumpfes Vibrieren lauter werden. Das konnte nichts Gutes bedeuten und wir eilten schnell in einen anderen Gang. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz nachdem wir den Raum verlassen hatten konnten wir ein lautes Zischen hören und der Raum füllte sich mit kochend-heißem Dampf.

Halbohr schlich den Tunnel weiter nach vorne, wobei es vermutlich überhaupt nicht notwendig war, denn obwohl das Heulen des Windes weniger geworden, war es immer noch laut. Plötzlich brach unter ihm der Boden auf und er fiel in eine Grube hinein. Direkt in eine sich bewegende Masse von einer beißend stinkenden Kreatur aus schwarzem Schleim. Bargh und Ortnor liefen schnell hinterher und Bargh warf ihm ein Seil hinab, während Halbohr die Kreatur, aus der ätzende Tentakel sprossen, mit seinen Dolchen zur Strecke brachte. Als er wieder am Seil nach oben kletterte, fiel Ortnor wieder in sein übliches Verhalten. Er verspottete Halbohr. Doch dessen Ruhe und Gelassenheit war schon lange nicht mehr so groß, wie sie am Anfang unserer Reise vielleicht war. Sein Gesicht verriet Wut und er war kurz davor Ortnor aufzuspießen. Wohl im letzten Moment hielt er sich noch zurück und schritt zähneknirschend weiter. Aber schon wenige Schritte später erschien plötzlich an einer Ecke eine Gestalt. Offenbar auch einer der blauen Teufel, denn seine Haut schimmerte, aufgrund der sich ziehenden Venengeflechten, tatsächlich leicht bläulich und der faßförmige Oberkörper entsprach der Statue, auch wenn diese Gestalt hier wesentlich kleiner war. Das Wesen trug eine schwarze Robe und schaute uns mit großen Augen an. In einer seltsamen Sprache murmelte es etwas, als Halbohr nach vorne stürmte und die Gestalt packte. Doch als er sie zu fassen bekam löste sie sich auf und aus Rissen in der Wand strömte abermals siedend heißer Dampf. Halbohr schrie kurz auf als seine Haut verbrühte, wahrscheinlich nicht nur vor Schmerz, sondern auch vor Schmach, da er in eine weitere Falle lief. Ortnor hatte einige Worte verstanden die der blaue Teufel murmelte, irgendetwas von einem Rätsel und etwas von einem feurigen Atem. Aber vermutlich bedeutete es gar nichts und diente nur dazu uns in die Falle zu locken.

Wir folgten dem Tunnel weiter bis zu einer steinernen Türe. Die Hitze wurde immer stärker und der Schweiß lief mir in die Augen, was widerlich brannte. Hinter der Türe tat sich eine lange Halle auf, deren Decke vermutlich eingestürzt war. Überall lagen Schutt und auch einige Knochenreste auf dem Boden. Zwischen den Haufen streckten plötzlich mehrere knöcherne Kreaturen ihren Kopf nach oben. Sie sahen aus wie Schlangen, aber ihre skeletternen Schädel waren die von Menschen und ihre Augen glühten rot auf. Der Mund einer der Kreaturen bewegte sich, arkane Formeln rezitierend. Doch Ortnor war schneller. Er beschwor einige Geschosse aus Energie, die in die Kreatur einschlugen. Bargh nutzte den Moment und hieb mit seinem Schwert auf die Köpfe. Die Schatten die aus der Klinge bluteten entzündeten sich und die Hitze verbrannte die knöchernen Schuppen. Eine weitere Kreatur erschien, diesmal war es wieder der Körper eines der blauen Teufel. Doch unser Widersacher trug eine schwarze Robe und hatte eine eingefallene und mumifizierte Haut, die schlaff über dem unförmigen Brustkorb hing. Die Augen glühten weißlich. Auch diese Gestalt sprach, jetzt jedoch in der Sprache der Hochelfen, die Halbohr verstand: „Hinfort mit euch, Eindringlinge! Ich werde es nicht erlauben, dass ihr euch nehmt, was versteckt ist an diesem Ort. Denn ihr gehört nicht hierher, seid nicht meine Kinder. Geht, und ich werde euch nicht töten. Gebt diese törichte Suche auf!“ Ich lächelte in mich hinein. Begriffen die Kreaturen denn nicht, dass ihre Drohungen nur leere Worte waren? Halbohr antwortete der Gestalt, dass all ihre Kinder bereits zu Staub zerfallen wären. Sie fing an magische Energien zu beschwören, doch ein weiteres Mal war Ortnor schneller und schleuderte magische Kugeln auf die Gestalt, um den Spruch zu unterbrechen. Bargh stürmte nach vorne und brachte mit seinem Schwert der Gestalt den feurigen Segen Jiarliraes. Die Kreatur, die weder lebendig noch tot zu sein schien, löste sich in einer Woge aus weißem Staub auf.

Wir gelangten in eine weitere Halle. Als Halbohr die Türe öffnete, strömte uns eiskalte Luft entgegen und für einen Moment wurde mir wieder schwindelig. Die Halle wurde von schwarzen Säulen getragen, in denen schlangenartige Motive eingearbeitet wurden. Am Ende der Halle stand eine Statue des Gottes der blauen Teufel; offenbar aus purem Silber gefertigt. Doch als wir den Blick zur Decke warfen, sahen wir, dass sie mit dicken Spinnfäden bedeckt war. Die Spinnfäden sahen dabei merkwürdig durchsichtig aus, fast so als ob sie nicht wirklich da wären und man hier nur ihre Schatten sehen würde. Dennoch waren wir achtsam und als Halbohr den ersten Schritt in die Halle setzte, landeten mit einem Krachen die riesigen Körper von Spinnen-artigen Kreaturen vor uns. Die Geschöpfe waren merkwürdig durchsichtig. Ähnlich der Spinnfäden waren sie zwar da, aber doch irgendwie nicht wirklich da. Die Kälte kam von diesen Kreaturen und ich konnte meinen schnelleren Atem sehen. Bargh rief Lobpreisungen an unsere Herrin heraus und stürmte mit seinem Schwert auf die erste Kreatur zu, deren Kopf er in zwei Hälften spaltete. Auch ich pries meine Göttin und sie schenkte mir die Kraft, einen Ball aus Magma zu erschaffen, den ich in den Raum warf, wo weitere der Spinnen auf Bargh und Halbohr zustürmten. Die kleine glühende Kugel explodierte mit einem Regen aus Feuer und zerschmetterte mit ihrer Wucht fast alle der Spinnen. Die restlichen fingen Feuer und krümmten sich wie sterbende Insekten zusammen. Gelobet sei Jiarliare!

Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, starrte Ortnor fasziniert die Statue an. Wohl nicht nur wegen der Kunstfertigkeit, sondern eher wegen des Wertes an Silber. Vermutlich überlegte er tatsächlich, wie er das tonnenschwere Konstrukt mitnehmen könnte. Aber wir fanden noch etwas anderes. Nämlich drei kleine Stäbe aus einem dunklen Metall. Laut Ortnor waren sie in der Lage jegliche Magie zunichte zu machen.

Wir folgten den weiteren Gängen. Die Hitze war überwältigend. Es war, als ob die Wände in der Dunkelheit schimmern würden, durch die Wärme. Der Gang endete an einer Steintüre, bei der Halbohr keine Möglichkeit fand sie zu öffnen. Bargh, vermutlich auch langsam ungeduldig, nahm den einfachen Weg. Mit seinem muskulösen Oberkörper warf er sich gegen die Türe, die krachend aus den Angeln gedrückt wurde. Dahinter offenbarte sich uns eine Höhle, die uns den Atem verschlug. Das Gewölbe war riesengroß. An jeder Seite, auch oben und unten, stand jeweils eine Pyramide aus schwarzem Stein. Die Spitzen der Pyramiden waren dabei alle zur Mitte gerichtet. Zwar schien hier niemand mit der Schwerkraft zu spielen, aber es sah so aus als ob die Erbauer dies nachbilden wollten. Das Portal, aus dem wir traten, öffnete sich auch aus der Spitze einer der Pyramiden. Fast wäre Bargh, als er die Türe aufbrach, in die Tiefe gestürzt, aber er konnte sich noch im letzten Moment festhalten. Von der Mitte der Pyramiden sahen wir eine Bewegung. Ich konnte zuerst nicht richtig erkennen was sich dort bewegte, doch als ich meine Augen etwas anstrengte, sah ich eine lebendige Kugel sich auf uns zu bewegen. Diese Kugel trug in ihrer Mitte ein riesiges einzelnes Auge was uns anstarrte. Zusätzliche Augen wuchsen auf Tentakel-Stielen von der Kugel heraus und glotzten uns an. Einer der Augenstiele hatte einen silbernen Ring mit diamantenen Besetzungen. Bargh war noch damit beschäftigt sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, daher reagierte Halbohr schneller. Er schleuderte seine Dolche auf die schwebende Kugel. Einer der Klingen traf genau in die Mitte des großen Auges. Blut und Eiter spritzte heraus und die Kreatur sank langsam hinab in die heiße Luft der Tiefe.

Halbohr nahm Anlauf und sprang hinab. Dank seines Ringes fiel er nicht wie ein Stein zu Boden, sondern schwebte sanft wie eine Feder auf die Spitze der unteren Pyramide zu. Hier machte er ein Seil fest und wir konnten alle hinabklettern. Wir fanden schnell heraus, dass alle sechs Pyramiden ähnlich aufgebaut waren. In jeder war ein Hebel versteckt, der eine verborgene Luke öffnete. Einige Male war Halbohr einfach zu schwach, den verborgenen Eingang zu öffnen, da musste Bargh aushelfen. Die Luken öffneten Kammern, die sich in den Pyramiden befanden. Jede der Kammern war gespickt mit Fallen und Hinterhalten. In einer Pyramide verschwanden plötzlich die Wände und dahinter griffen uns verfaulte Körper der blauen Teufel an. In einer anderen Kammer standen zwei steinerne Sarkophage. Darin lag jeweils eine mumifizierte Kreatur und an den Kopfenden war ein kristallenes Gefäß, in dem sich ein roter Nebel bewegte. Halbohr wollte diese Gefäße wohl genauer untersuchen, doch Bargh war den Untersuchungen überdrüssig. Er zerschlug mit seinem Schwert das erste Gefäß. Als das Glas splitterte, begann sich die Kreatur fauchend zu erheben. Doch Bargh hatte damit gerechnet und sein Schwert fuhr in die Mumie hinein, so dass diese wieder zurück in den Sarg fiel. In einer anderen Kammer fand Halbohr einige versteckte kleine Phiolen. Wir waren erst etwas ratlos was sie bewirken könnten, aber Ortnor entdeckte Schriftzeichen an den Phiolen und konnte sie entziffern: „Trinkt mich und fliegt“. Offensichtlich ein Trank der einem das Fliegen ermöglichte. Das machte die weitere Suche wesentlich einfacher. Wir mussten nicht mehr mit Seilen von Pyramide zu Pyramide klettern, sondern konnten einfach hinüberschweben. Auch wurde damit eine weitere Gemeinheit der Erbauer zunichtegemacht. Halbohr fand in einer Kammer eine Rune. Wenn man an ihr vorbeischritt, so Halbohr, würde die Schwerkraft in der gesamten Höhle umgekehrt werden. Was unten stünde, würde nach oben fallen und dort schmerzhaft aufschlagen. Aber mit den Tränken war die Falle keine Gefahr mehr für uns.

Schließlich gelangten wir in die Pyramide die aus der Decke ragte. Hier gab es keine Kammer, sondern die Luke öffnete sich zu einer Leiter, die uns nach oben führte und schließlich in einen weiteren Tunnel mündete. Der Stein hier war alt und kochend heiß. Ich konnte zwar nicht sagen wie alt, aber es waren bestimmt etliche tausend Jahre. Halbohr fand eine weitere Rune. Zwar ging keine direkte Gefahr von ihr aus, aber irgendjemand oder irgendetwas wäre alarmiert worden. Halbohr schaffte es die Rune im Stein zu drehen, so dass wir ohne Probleme hindurch gehen konnten. Unser Weg endete an einer Türe, die mit einem Schlüsselloch versehen war. Ich war jetzt auf alles gefasst. Seitdem ich hier in dieser unwirklichen Welt wandelte, wusste ich, dass meine bisherigen Erfahrungen nichts waren, verglichen mit denen, die in den Welten jenseits auf mich warten würden. Ich vergaß die Schmerzen und die allgegenwärtige Furcht vor dem Tode. Nur einen kurzen Moment dachte ich an die grünen Wiesen meines Dorfes zurück und ein Lächeln war auf meinem Gesicht zu sehen. Ich sah sie brennen, vernahm den Geruch von schwelendem Fleisch und Haaren. Doch ich war es, der die Flammen rief. Ich rief die Flammen und wartete auf die Düsternis meiner geliebten Schwertherrscherin, Jiarlirae, oh geheiligte Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes.
Titel: Sitzung 60 - Der Stecken der Sterne
Beitrag von: Jenseher am 8.04.2023 | 21:17
Die Hitze war beinahe unerträglich. Immer wieder lief mir der Schweiß in die Augen und selbst die Atemzüge glühender Luft brannten in meiner Lunge. Einzig Bargh schien die Hitze nichts auszumachen. Das junge, mit tiefen Narben verunstaltete, Gesicht des heiligen Krieger Jiarliraes war zwar leicht gerötet, aber die Bäche von Schweiß die an uns allen herab liefen waren bei ihm nicht zu sehen. Er wandelte im Segen unserer Schwertherrin. Der Pfad, den auch ich beschreiten wollte.

Auch Halbohr hatte mit der Hitze zu kämpfen. Als seine geschickten Finger sich an dem Schloss der Türe vor uns zu schaffen machten, musste er immer wieder neu ansetzen, da seine Hände vom Schweiß rutschig wurden. Doch dann stieß er die Türe beinahe geräuschlos auf. Ein kurzes Signal gab er uns, dass wir uns Kampfbereit machen sollten. Hinter der Türe sahen wir einen Raum, der wie der Arbeitsraum eines Alchemisten eingerichtet war. Auf Tischen standen verschiedene Werkzeuge und kleine Fläschchen und Kolben. Die Wände waren behangen mit ledernen Vorhängen auf denen Wälder und Täler gemalt waren. Im Gegensatz zu der unwirklichen Hölle, in der wir uns befanden, war dies ein wahres Paradies. Hinter einem der Tische saß eine Gestalt mit dem Rücken zu uns. Der gleiche fassförmige Oberkörper, die gleiche eingefallene Haut. Ich war mir sicher: Das war die Kreatur, die schon in dem Tunnel auf uns gelauert hatte. Sie hatte uns noch nicht bemerkt und Halbohr versuchte dies auszunutzen. Leise wie eine Katze schlich er der Gestalt entgegen. Mit einem Rucken begann sich Halbohr plötzlich elegant zu bewegen, packte den Kopf und rammte seinen Dolch in den Hals. Nicht nur einmal. Es sah für mich schon so aus wie ein Hacken und ich meinte auch so etwas wie Freude in seinen Augen zu sehen. Nicht mehr der kühle berechnende Halbohr, sondern hier sah er eher so aus wie ein wilder Strauchdieb. Die Kreatur drehte noch ihren Kopf. Die weißlich leuchtenden Augen blitzten in unsere Richtung und aus ihrem Mund kamen schwächliche Worte, wie Raxvort oder Raximort. Doch das Glühen verblasste schnell und die Haut begann sich vor unseren Augen aufzulösen wie brennendes Papier.

Nachdem der Körper zu Boden fiel, kamen wir auch herein. Halbohr wies auf die Vorhänge. Offenbar waren dort hinter kleinere Nischen versteckt. In den Nischen lag jeweils eine hölzerne Trage, auf der ein Leichnam eines der blauen Teufel gebart wurde. Ortnors Augen weiteten sich. Hektisch rief er, dass wir sie zerstören müssten, da sie auf eine Wiederbelebung warten würden. Ich überlegte, ob das überhaupt möglich sein konnte, doch Bargh war nicht der Mann für lange Überlegungen. Er nahm sein Schwert und hieb mit einem Schlag dem ersten Leichnam den Kopf ab. Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn die Finger der Kreatur fingen schon an zu Zucken und das gleiche blasse Glühen breitete sich in den toten Augen aus. Bargh und Halbohr verrichteten schnell ihr Tagewerk an den anderen Leichen bis auch der letzte Leichnam zu Staub zerfiel. Der verbliebene Vorhang verhüllte eine weitere Türe, die uns in die glühende Tiefe führte.

Der Tunnel führte uns zu einer riesengroßen, vollkommen kugelförmigen Höhle. Im unteren Teil war dieses Gewölbe gänzlich ausgefüllt von unzähligen kleinen Bällen aus irgendeinem Metall. Auch hier schlug uns die Hitze entgegen und die Luft der Höhle flimmerte. Kein Ausgang führte heraus, doch an der gegenüberliegenden Wand sah Ortnor Schriftzeichen in einer seltsamen schlangenartigen Schrift. Seine Übersetzungskünste ließen allerdings zu wünschen übrig. Er faselte etwas von „Versteckt, doch sichtbar“ oder „Versteckt, doch klar erblickbar“. Viele weitere Variationen gab er zum Besten, dabei war mir der Kern der Botschaft längst klar. Irgendetwas versteckt sich vor unserem bloßen Auge. Doch unsere Herrin gab mir nicht nur die Macht über Feuer und Schatten, sondern auch die Ströme der Magie zu erspüren. Und tatsächlich, ich sah im oberen Teil der Kugel eine Schicht, die starke Veränderungsmagie ausstrahlte. Halbohr musste dort hinauf klettern und schauen, was sich dort hinter verbarg. Der stolze Söldner, Verteidiger von Königen, wenn man seinen Zeugnissen Glauben schenken durfte, musste jedoch ziemlich von uns überzeugt werden. Dennoch machte er sich auf den Weg. Es gab ein kurzes Zischen als seine Hände in dem siedend heißen Stein der Wand halt fanden und dabei verbrannten. Doch tapfer wie es sich für einen Söldner ziert, versuchte er, mehr schlecht als recht, sich nichts anmerken zu lassen und kletterte die Rundung entlang bis er hinter die magisch schimmernde Ebene drang und dort verschwand.

Als er nach einiger Zeit wieder auftauchte hielt er einen Gegenstand in der Hand. Eine kleine schimmernde Perle. Doch spürten wir alle, dass es keine einfache Perle war. Von diesem Gegenstand ging eine unvorstellbare Macht aus. Fast schon ehrfürchtig flüsterte Ortnor: „Die Legenden sind also wahr. Dies ist ein unbeschreiblich alter Gegenstand. Der Legende nach hat ihn der Herrscher und Erschaffer der blauen Teufel selbst gestohlen, von einem Fürsten der Hölle und ist seitdem auf der Flucht. Der Stein ist von göttlicher Macht, vielleicht hat er sogar mal einem Gott selbst gehört.“ Ich hatte auch von den Legenden gehört, in einer kleinen Passage in dem Buch über die fremden Welten. Der Höllenfürst trug den Namen Graz‘zt und Raxivort, so der Name des Diebes musste sich daraufhin auf allen Welten verstecken. Viele weitere mächtige Gegenstände konnte er stehlen, die ihm enorme Macht gaben. Macht genug um eine eigene Rasse zu schaffen, nach seinem Ebenbild, um auf allen Welten dort in der Masse der Kreaturen unterzutauchen. Auch der Stein war in dem Buch beschrieben und trug den Namen „Stein des Lebens“. Die Macht des Steines lag darin, Seelen die schon ihre weitere Reise angetreten hatten wieder zurück in ihre alten toten Körper zu holen.

Da kein Ausgang aus dieser Höhle hinausführte, gingen wir wieder zurück zu der Statue, die den Dampf ausstieß und erkundeten die anderen Gänge. Fast alle waren gespickt von Fallen. Einer der Gänge wandelte sich in eine Röhre die steil nach unten abfiel. Zwar konnte man sich am Anfang noch gut festhalten, doch Halbohr erkannte, dass ab der Mitte der poröse Vulkanstein nur eine Illusion war. Die ganze Röhre war in Wahrheit spiegelglatt und führte in eine Höhle mit kochendem Wasser. Wir sollten wohl hier herunterrutschen um dann in dem Wasser bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Doch ein Seil machte diese Falle zunichte. In der Höhle selbst schossen aus der Wasseroberfläche immer wieder dampfende Geysire heraus und hüllten alles in einen dichten Wasserdampf. An dicken Ketten hingen über den Geysiren kleine Plattformen aus Stein und führten über den See hinüber. Dies war eine Prüfung unserer Geschicklichkeit. Bargh war als erstes an der Reihe. Es sah gut aus, er sprang von Plattform zu Plattform um kam den Ausgang der Höhle gegenüber immer näher. Doch dann sah ich, dass er strauchelte. Mein Herz blieb kurz stehen als ich erblickte, wie er um sein Gleichgewicht kämpfte und ich glaube, ich habe auch kurz aufgeschrien. Erst schien es als ob er sich noch halten könnte, doch dann kippte sein Oberkörper nach hinten und mit einem kaum hörbaren Platschen versank er im kochenden Wasser. Doch ich war dumm zu glauben, dass unsere Herrin nicht auch hier über uns wacht. Erst tauchte ein Arm auf, dann ein anderer, dann schließlich sein Kopf. Die Hitze konnte ihm auch hier nichts anhaben und er watete, bis zur Brust im kochenden Wasser zur anderen Seite. Die Gewissheit, dass Jiarlirae mit uns ist gab mir Mut und ich sprang auf die erste Plattform. Doch bis zur zweiten kam ich nicht mehr. Ich schätzte die Entfernung falsch ein und sprang in die Leere. Die siedenden Fluten schlossen sich über mir und ich fühlte wie mein Fleisch anfing zu kochen. Ich versuchte zu schreien doch das führte nur dazu, dass das kochende Wasser mir die Kehle hinunterlief. Ich war mir sicher, dass dies mein Ende war. Ich war anmaßend gewesen, dass ich bereits die gleiche Gunst wie Bargh genoss, obwohl ich noch ganz am Anfang meiner Reise stand. Doch dann fühlte ich die starken Arme um mich und ich wurde von Bargh aus dem Wasser gehoben. Geduldig vor Schmach und gelähmt im Antlitz des kochenden Todes, ließ ich mich zur anderen Seite tragen. Doch ich sah, dass auch Halbohr Probleme mit der Entfernung hatte. Auch er verfehlte eine der Plattformen um Haaresbreite. Nur sein Ring verhinderte, dass er auch in das Wasser schlug. Stattdessen schwebte er langsam aber dennoch unaufhaltsam nach unten. Ich sah so etwas wie Panik in seinem Gesicht, als er mit beiden Händen den Griff seines Dolches zusammendrückte. Das Blut, was aus der abgeschlagenen Spitze eines Einhorns quoll, schoss über seinen Körper, der sich im nächsten Augenblick auflöste und am Ausgang der Höhle wieder zum Vorschein kam.

Wir verließen zusammen diese Höhle und traten in den nächsten Raum hinein. Hier stand in der Mitte ein Thron, aus einer Art grünem Marmor geschnitzt. Darauf saß eine skelettene Gestalt. Ihr breiter Brustkorb entlarvte sie als weiterer der blauen Teufel, doch das boshafte kalte Licht, was aus ihrem leeren Schädel strahlte, verriet, dass sie doch etwas mehr war. Als Halbohr in den Raum eintrat, erhob die Gestalt ihre Hand und zeigte mit ihrem knöchernen Finger auf Halbohr. Eine Stimme die aus einer unendlichen Tiefe nach oben zu dringen schien, sprach etwas in ihrer Sprache. Es war eine Frage: „Wer war die zwölfte Frau von Raxivort?“. Ich blickte fragend auf Ortnor, als er es übersetzte. Woher sollten wir das wissen, geschweige denn, warum sollte es uns interessieren? Als keiner etwas antwortete war auch der Kreatur klar, dass wir die Antwort nicht wussten und sie erhob einen kleinen glitzernden Stab aus dem ein Hagel an Energiegeschossen auf Halbohr einprasselte. Doch dieser erwiderte den Gruß mit seinem Dolch und ich antwortete mit gleißenden Feuerpfeilen. Dem konnte die Kreatur nichts entgegensetzen, denn sie war so schwach wie die Kreatur, die sie als Gott anbeteten. Ein Tunnel führte uns in einen anderen Raum, wo wir die Überreste von drei Abenteurern fanden. Deren Knochen lagen in Pfützen von grünlich schimmerndem Schleim, der einen widerlichen Gestank absonderte. Als wir uns einige Schritte in den Raum hinein bewegten, fing plötzlich der Kiefer einer der Skelette sich zu bewegen und wir konnten sehen, dass der Schleim auch in den Knochen hineingekrochen war. Halbohr rammte direkt seinen Dolch in den Schädel der beinahe augenblicklich in sich zusammen fiel. Doch der grüne Schleim sammelte sich auf dem Boden und bildete lange Tentakel. Halbohr stieß nochmal zu. Sein Dolch drang zwar in den Schleim hinein, aber ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Stahl konnte hier nicht helfen, doch ich wusste, dass die Schwertherrin mit uns ist. Ich rief sie an und erbat ihre Hilfe und sie gewährte sie mir, in Form einer Kugel aus glühendem Magma. Ich schleuderte sie den Schleimpfützen entgegen und ließ sie mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag, der sogar für einen Moment das Kreischen des Windes dort draußen übertönte, explodieren. Die Explosion ließ den Schleim zerplatzen und das, was noch übrig war, verbannte zu Asche.

Ein weiter Raum schloss sich an, der an einer Türe endete. Vor dieser Türe hing an einer goldenen Kette ein Stecken herunter, dessen Schaft aus einem in sich verdrehten Metall bestand. An der Spitze befanden sich zwei Krallen, so als ob sie eine Klammer bilden, doch war die Spitze leer. Irgendetwas fehlte noch. Wir gingen etwas näher und sahen, dass es nicht nur einfach ein Metall war, sondern wesentlich wertvoller, vielleicht sogar das sagenumwobene Mithril der Unterreiche. Ortnors Augen fingen an zu glänzen. Er drängte Halbohr, dass er an der Wand hochklettern sollte und diesen Stecken, der bedrohlich über der Türe baumelte, abzuhängen. Doch Halbohr haderte. Offenbar hatte er genug, von Raum zu Raum Artefakte zu jagen. Er verstand immer noch nicht, dass jeder Schritt den wir hier taten nur der Wille Jiarliraes war, den wir ausführten. Er hatte gar keine andere Wahl. Doch nach einigen Worten von Bargh, ließ er sich erweichen. Er kam aber nicht weit, denn als er sich die ersten Schritte hochzog, stürzten aus der dunklen Leere über uns zwei riesige Kreaturen auf ihn hinab. Er schaffte es gerade noch sich zur Seite zu rollen und blickte sich zwei Insekten-artigen Wesen gegenüber. Eines ihrer Augen war verlaufen, doch das andere starrte ihn und auch uns an. Als der Blick auf mich fiel, spürte ich ein Brennen auf meiner Haut. Ich sah, dass sich auf meinem Arm in Windeseile eine Steinschicht bildete. Doch ich konnte dem Blick der Kreatur widerstehen und die Schicht fiel in einer Wolke von Staub zu Boden. Halbohr nutzte den Moment und stieß seinen Dolch in das Maul einer der Kreaturen, als diese gerade ihre Kiefer öffnen wollte. Stinkender Eiter und Blut spritzte auf Halbohr. Ich selbst schickte weitere brennende Pfeile auf die Kreaturen und Ortnor schleuderte Kugeln aus Energie in die Köpfe hinein die herrlich aufplatzten als diese einschlugen.

Als die Kreaturen hinunter fielen riss auch die Kette und der Stecken lag vor uns auf den Boden. Ortnor zeigt auf eine kleine Aussparung, die genau die Größe des Steins des Lebens hatte. Laut Ortnor trug dieser den Namen Stab der Sterne oder auch Stecken der Götter. Offenbar konnte er magische Geschosse beschwören, jedoch andere als die die ich schon kannte, mehr wie glühende Sterne. Die Türe, die wie sahen stellte sich nur als Attrappe heraus, also gingen wir wieder zurück zu der dampfenden Statue.

Wir traten in den letzten Gang hinein. In dem Tunnel erschien uns ein deformierter Schädel und brabbelte etwas in der Sprache der Xvarte. Ortnor versuchte wieder zu übersetzen, doch kam er nicht richtig hinterher. Irgendetwas von letzter Gnade, langer Weg, Recht zur Wahl, sterbliche Seele kann verloren werden. Bevor wir uns einen Reim darauf machen konnten verschwand der Schädel wieder. Wir gingen weiter und kamen an einem quadratischen Raum vorbei. Über dem Boden schwebten neun gleichmäßig angeordnete Globen in der Luft, die aus purer Schwärze zu bestehen schienen. Sie rührten sich kein bisschen, doch man konnte den Schauer deutlich sehen der Halbohr widerfuhr. Vorsichtig ging er wieder einige Schritte zurück und riet uns eindringlich von dem Raum fern zu bleiben. Ein nächster Raum führte in eine Sackgasse die in einer magischen Barriere endete. Auch hier ging es nicht weiter. Es blieb nur noch ein Weg von dem wir schon aus der Entfernung ein hohes Jammern hören konnten. Ich dachte erst, es wäre der Wind über uns, doch war dieses Jammern anders und auch viel näher. Wir kamen in einen Raum der aussah, als hätte dieser lange in einem heißen Feuer gebadet. Die Wände waren mit einer dicken Rußschicht bedeckt und es waren dort die Reste von geschmolzenen Eisenstäben zu erkennen. In der Mitte sahen wie eine Gestalt deren Körper halb durchsichtig war. Die Hitze war immer noch fast unerträglich, doch die Gestalt strömte eine Eiseskälte aus, die mit der Hitze dieser Welt zu konkurrieren schien. Obwohl wir uns leise bewegten schien die Gestalt unsere Anwesenheit zu wittern und drehte den Kopf. Das Gesicht war nur schwer zu erkennen, aber als die Gestalt uns anblickte verzerrte es sich zu einer abscheulichen Fratze und sie riss ihren Mund weit auf. Das Jammern, was von ihr kam, wurde lauter und lauter, bis es sich bis auf unsere Knochen und unser Blut setzte. Mein Kopf drohte zu platzen und ich spürte wie sich meine Eingeweide begannen aufzulösen. Blutstropfen quollen aus meinen Ohren heraus und erst im letzten Moment konnte ich mir die Ohren zuhalten und mich abwenden. Bargh erkannte die Gefahr und stürmte der Gestalt entgegen. Mit einem mächtigen Hieb seines gesegneten Schwertes Glimringshert hieb er auf das Wesen. Die Schatten begannen sich wie flüssiges Feuer zu entzünden und hüllten die Kreatur in Flammen ein. Das Jammern wurde zu einem Klagen von Schmerz, als die Gestalt bei lebendigem Leib verbrannte.

Das Klagen und die Flammen verzogen sich und ich sah, dass es hier nicht weiter ging. Wir müssten wieder zurück zu den anderen Räumen. Ich würde dafür sorgen, dass die restlichen Teile des Artefaktes gefunden werden. Jiarlirae hatte ihren Anspruch darauf erhoben und so sollte es auch geschehen.
Titel: Sitzung 61 - Der Henker der letzten Einöde - Teil I
Beitrag von: Jenseher am 16.04.2023 | 15:25
Das widernatürliche Heulen drang tief durch den Stein dieser unterirdischen Ruine. Die Hitze brachte die Luft um uns herum zum Flimmern und trieb uns den Schweiß in die Augen. Allen, bis auf Bargh. Auf seinem jungen, aber durch die Prüfungen verzehrtem Gesicht, lag nicht eine Schweißperle. Es war, als ob er die Hitze willkommen heißen würde. Halbohr schüttete sich einen Schwall Wasser in seinen ausgetrocknetem Hals und rief krächzend Richtung Ortnor. Der kleine Wicht hatte gerade ein glitzerndes Kettenhemd in der Hand, dass er fasziniert anstarrte. Er brabbelte etwas davon, dass sein Volk dies gemacht hätte. Ich sah in Halbohrs Augen eine Unruhe, die immer stärker wurde, je länger wir hier verweilten. Fast schon nervös spielte er mit dem Griff des Einhorn-Dolches. Dessen nie enden wollendes Rinnsal aus Blut lag inzwischen in einer bräunlich-getrocknetem Schicht auf seiner Hand, vom dem er sich immer wieder einzelne Stücke abkratzte. Vorbei waren die Tage des kühlen und ruhigen Elfs. Jetzt war er ein überreiztes Geschöpf. Er herrschte Ortnor an, dass er sich beeilen solle. Ortnor reagierte darauf, wie er immer reagierte, wenn man ihm unter Druck setzte. Sein Kiefer in dem rundlichen Gesicht zuckte und ich glaubte, er war kurz davor, sich auf Halbohr zu stürzen. Vor Halbohr schien er keinen Respekt zu haben, was Halbohr selbst wiederum in Wut versetzte. Da schritt Bargh dazwischen. Zwar schien ihm dieser Ort nicht wirklich zuzusetzen, aber er wusste, dass uns unsere Herrin eine Prüfung auferlegt hatte und weder Bargh noch ich wollten diese noch weiter hinauszögern.

Wir kamen in einen quadratischen Raum der sich weit nach oben eröffnete. Dort sahen wir auf einer Brüstung steinerne Statuen von teufelsartigen Kreaturen. Aber auch an diesen schien die Hitze zu nagen, denn der Stein sah geschwärzt aus und an einigen Stellen sogar zerlaufen. Als wir in den Raum schritten, begann sich eine der Statuen plötzlich zu bewegen. Mit einem Knacken platzte der Stein auf und die Gestalt erhob ihre Schwingen. Ein rötliches Glühen in den Augenhöhlen erschien und glotzte uns von oben an. Im gleichen Moment hörten wir etwas, wobei ich nicht sicher war ob wir es wirklich hörten oder sich eine Stimme direkt in unsere Köpfe sprach. Es war wieder die Sprache dieser blauen Teufel, doch Ortnor wurde immer besser dabei sie zu verstehen: “Sprich den Namen unseres höchsten Königs, der von unten und von oben kam. Jeden Morgen und jeden Abend und auch jede Nacht. Nur begleitet war er von zwei Schwestern, der Kälte und der Dunkelheit und er war von unsichtbarem Gesicht”.

Offensichtlich ein weiteres dieser Rätsel und Wortspiele der Kreaturen. Sie waren mir zuwider, doch der rötliche Blick der geflügelten Kreatur haftete auf uns und wartete nur darauf, sich auf uns zu stürzen. Also tat ich den Erbauern den Gefallen und überlegte was gemeint sein könnte. Vielleicht hatte es etwas mit dem Linnerzährn zu tun oder generell mit den Sternen? Vielleicht aber auch etwas komplett anderes? Aber nein, dies war eine andere Welt und hatte auch nichts mit den blauen Teufeln zu tun. Halbohr überlegte laut ob es der Mond sein könnte. Bei dem Gedanken musste ich etwas schmunzeln oder hatte er schonmal einen Mond gesehen der dreimal am Tag aufgeht? Allerdings war es schwer einen klaren Gedanken zu fassen; das Heulen drang immer noch durch den Stein und vibrierte in unseren Knochen. Da fiel es mir ein: Der Wind hier heult immer, morgens, abends und nachts. Er bringt Kälte und für den Geist auch die Dunkelheit. Er beherrscht alles in dieser Welt. Ortnor kam auf den gleichen Gedanken und sprach das Wort in der Sprache der blauen Teufel. Als er dies tat, sahen wir alle, wie sich in der Wand die Konturen einer Türe abzeichneten. Und auch die geflügelte Kreatur schien zufrieden zu sein. Ihr Blick erstarrte wieder, das rötliche Glühen verschwand und es legte sich wieder eine dicke steinerne Schicht auf die Kreatur. Ortnor konnte nicht anders und fing an Lobpreisungen auf sich selbst zu verkünden; an alle die es hören wollten oder auch nicht. Diesmal war es auch Bargh zuwider. Zischend befahl er Ortnor still zu sein. Als Barghs Mund sich öffnete, war deutlich seine Zunge zu sehen, die er sich immer wieder aufbiss und inzwischen einen langen Spalt hatte. Ortnor wagte nicht zu widersprechen und war tatsächlich ruhig. Eine sehr angenehme Ruhe, die einen fast das Windkreischen vergessen ließ.

Wir gingen durch die jetzt sichtbare Türe in einen weiteren Gang. Es wurde immer heißer und der Stein dieses Ganges fing an leicht zu glühen. Barghs Schritte wurden schneller. Er sagte, er könne den Ruf Jiarliraes schon fast hören. Ich hielt kurz inne und versuchte zu lauschen, doch nichts. Ich wurde etwas traurig, war ich doch in den Augen meiner Herrin immer noch nicht würdig genug, dass sie direkt zu mir sprach. Doch Bargh konnte mich aufmuntern. Es sei nur eine Frage der Zeit bis sie auch mich kennen würde – bis ich mich als würdig erwiese. Als wir sprachen, sah Halbohr uns nur ungläubig an. Sein Verstand war einfach nicht in der Lage, die größeren Ziele zu erkennen. Er konnte zwar seine weiteren Schritte planen, aber was im Morgen oder im nächsten Leben wartete, war für ihn nicht sichtbar und nicht greifbar. Doch Bargh machte ihm bewusst, dass auch Halbohr sich irgendwann entscheiden müsse, ob er die Wahrheiten akzeptiere oder nicht. Halbohr blickte nachdenklich in die Leere, vielleicht ahnte er schon, dass dieser Punkt schon sehr bald kommen würde.

Am Ende des Tunnels sahen wir schon einen rötlichen Schimmer und die Hitze wurde immer unerträglicher. Als sich der Tunnel in eine große Kammer öffnete, hielten wir vor Erstaunen und auch Schrecken den Atem an. Die Kammer sah aus, als ob sie mitten hineinführte, in einen See aus flüssigem, glühendem Gestein. Einzig eine Art Glas, das die gesamte Höhle umgab, hielt die wabernden Massen des Magmas zurück. Wehe dem, der töricht genug war dieses Glas zu zerstören. In der Mitte der Kammer erwartete uns ein riesenhaftes Wesen, so groß wie ein Haus. Zwar sahen wir keine Flügel, doch der reptilienhafte Körper mit seinen rötlichen Schuppen und dem langgezogenen Maul erweckten in mir Erinnerungen an Legenden, wenn in den Märchen und Geschichten von Drachen gesprochen wurde.

Ich holte schnell den kleinen Würfel aus meinem Gepäck von dem ich wusste, dass er uns vor Hitze schützen könnte. Die Runen, die diesen aktivierten, waren schnell auf der Oberfläche gemalt und als sich die Aura um uns ausbreitete, wurde es mit einem Schlag fast schon kühl. Es hätte keinen Moment später passieren dürfen, denn schon kurz darauf explodierte der Tunnel um uns herum in einer gleißenen Wand aus Feuer. Die Aura des Würfels glühte auf. Sie konkurrierte mit der Hitze, doch sie hielt stand. Bargh nutzte den Moment und stürmte mit seiner gesegneten Klinge der Schatten und Feuer auf die Kreatur zu. Der Drache erwartete ihn schon mit hasserfüllten Augen, hatte er es doch nicht geschafft uns alle bei lebendigem Leib zu verbrennen. Als sein Blick auf uns fiel, spürte ich wieder, wie meine Haut sich veränderte und sich eine Schicht aus Stein begann auszubreiten. Doch hatte ich die Begegnung mit der anderen Kreatur nicht vergessen und wusste, wie ich meinen Geist dazu bringen konnte dies nicht zuzulassen. Auch bei den anderen sah ich, wie sich zwar eine Schicht anfing zu bilden, doch dann auch in Staub abfiel. Bargh hieb auf die Kreatur und als die Schatten in den Körper eindrangen, spritzte Schwefel wie Blut aus der tiefen Wunde auf. Ortnor murmelte arkane Worte und über der Kreatur erschien eine Kugel aus einer zischenden und stinkenden grünen Flüssigkeit, die sich dort ergoss. Ein Brüllen ertönte, als die Schuppen von der Flüssigkeit zerfressen wurden. Barg hieb ein weiteres Mal, direkt auf den langen Hals. Der dunkle Krieger brüllte auf, als er mit seinen muskelbepackten Armen die Klinge in den Hals trieb. Es war als würde der Drache das Brüllen erwidern, doch der Hieb von Bargh war so gewaltig, dass die Klinge den Schädel fast abtrennte. Auf uns spritzte stinkendes Blut hinab und die Kreatur sank zu Boden. Ich konnte nicht anders. Gegen das Blubbern und das Kreischen des Windes rief ich Barghs Namen: Bargh, der Drachentöter. Doch er war bescheiden. Er sank vor der Kreatur auf die Knie und betete, ein Gebet was ich noch nicht von ihm gehört hatte, etwas von einer schwarzen Natter und einer menschlichen Schlange.

Die Aura des Würfels kühlte uns und so konnten wir ungehindert den Hort der Kreatur durchsuchen. Neben vielen Goldstücken und Edelsteinen wurde Halbohr fündig. Er bückte sich nach einer Stelle auf den Boden und als er sich wieder aufrichtete, hielt er in seiner Hand einen grünen Edelstein. Selbst aus der Entfernung konnte ich die Schönheit dieses Steines erkennen und ich spürte, dass von ihm eine besondere Macht ausging. Halbohr starrte ihn wie in einem Traum an. Dies war der Seelenstein, so nannte ihn Ortnor jedenfalls. Ein weiteres Relikt und ein weiterer Bestandteil des Steckens der Götter. Ortnor war völlig aufgeregt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er direkt hier und jetzt die Einzelteile des Steckens zusammengesetzt. Doch keiner von uns war so töricht. Bargh verlangte von Halbohr den Seelenstein, den er ihm auch gab. Jetzt hatten Ortnor, Halbohr und Bargh jeder einen Teil und keiner konnte ohne die beiden anderen Teile die Macht entfesseln.

Wir zogen uns erst einmal zurück in die kühlere Höhle, wo uns diese außerweltlichen Spinnenkreaturen angegriffen hatten; sehr zum Ärgernis von Ortnor, da er zur Eile drängte. Doch wollten wir uns alle vorbereiten, denn keiner wusste, was uns passieren würde, wenn wir den Stab zusammensetzen. Auch trug Halbohr noch einige Wunden. Bargh bot ihm an die Macht der Herrin zu erbitten, um diese zu schließen. Von dem anfänglichen Zögern, was ihm einst anzusehen war, war nichts mehr zu sehen. Es war fast, als hätte Halbohr nur darauf gewartet, dass Bargh ihm das Angebot machte. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung für Halbohr. Doch nein, er würde wahrscheinlich immer der verschrobene und langweilige Soldat bleiben, der er war.

Die Temperatur der Höhle war durchaus ertragbar und ich konnte sogar tatsächlich etwas Schlaf finden. Doch suchten mich merkwürdige Träume heim. Ich träumte von einer Dunkelheit, die plötzlich von dem Blitzen einer Klinge erhellt wurde. Die Klinge schnitt durch die Dunkelheit wie durch Wasser und teilte sie. Während in der Dunkelheit alles starr und still war, konnte sich die Zeit selbst in dem Schnitt entfalten und entwickeln. Ich erwachte und sah, dass auch Bargh wach geworden war. Als ich ihm von dem Traum erzählte, nickte er nur ruhig. Er hatte den gleichen und wusste, dass dies ein Zeichen von Jiarlirae war. Sie sprach zu mir! Jetzt war ich mir sicher, dass ich nicht mehr an mir zweifeln musste. Wenn auch noch viele Prüfungen vor mir lagen, so war ich dennoch würdig.

Frisch gestärkt bildeten wir einen Kreis. Halbohr sollte es sein, der die Teile zusammenfügen würde. Ich hoffte nur, dass er nicht wieder irgendwas Dummes tun würde. Er nahm von Ortnor den Stecken entgegen und ließ die kleine Perle in die Vertiefung am Schaft gleiten. Sie rollte beinahe wie von selbst dort hin und glitt hinein. Ich konnte an Halbohrs Augen sehen, dass er spüren konnte, wie der Stecken an Macht gewann. Dann kam der Edelstein an die Reihe. Auch dieser glitt wie von selbst zwischen die beiden Krallen an der Spitze des Steckens und blieb auch dort haften, obwohl er die Spitzen selbst nicht berührte. Der Stein begann sich wie wild in der Spitze zu drehen und änderte immer wieder seine Farbe. Jetzt konnte ich sogar die Macht spüren, die von dem Stab ausging. Es war, als ob etwas Altes und Kraftvolles erwachen würde; langsam aber unaufhaltsam. Dann, mit einem Mal, wallte eine Woge von purer Macht über uns hinweg. Ich wurde von irgendetwas geblendet und konnte erst nichts mehr sehen. Als sich meine Augen daran gewöhnten, erblickte ich aber nicht den Tunnel oder die Höhlen, sondern ich schaute in ein wundervolles Gesicht, perfekt in allem seinem Wesen. Eine schneeweiße Haut umrahmte stahlblaue Augen. In seiner Gesamtheit verströmte das Gesicht eine Aura von Licht. Plötzlich erhob sich das Antlitz und ich sah, dass es ein Körper in einer glänzenden Rüstung war, der von weißen, engelsgleichen Schwingen davongetragen wurde; doch ob männlich oder weiblich vermochte ich nicht zu sagen. Ich erkannte und fühlte auch, wie die Aura alles verbrennen wollte, was es nicht verstand oder verstehen will. Es war das Gegenteil, die Antithese von Jiarlirae. Die Gestalt erhob sich weiter und ich sah, wie sie über ein gewaltiges Schlachtfeld schwebte. Blitze zucken von einem apokalyptischen Himmel und schwebende, gigantische Konstrukte aus Knochen und schwarzem Stahl waren zu sehen. Unter dem Erzengel trafen zahllose Armeen aufeinander; Armeen von Kreaturen der Hölle, die sich gegenseitig in Massen zerfleischten, deren Strom nie abzuebben schien. Die Engelsgestalt betrachtete für einige Zeit die Schlachten, bis sie dann, den Stab voran wie ein Raubvogel, in die Armeen stürzte und dort wie eine Naturgewalt wütete. Zu Tausenden fielen Scheusale, Teufel wie Dämonen, mitsamt ihren Dienerkreaturen und Konstrukten.

Dann und mit einem Mal verblasste das Bild um mich herum. Es wurde alles schwarz. Das Heulen des Windes setzte mit voller Härte ein und versuchte wieder meinen Geist zu vernichten. Es wurde heller und ich sah, dass wir alle in einer großen Arena standen. Dunkle Ränge umrandeten den Platz, nur eine Stelle der Ränge war mit einem hellen Licht erleuchtet. Über uns wogte ein Himmel, der nicht wie ein Himmel aussah, sondern eher wie ein Fluß von irgendetwas, vielleicht die eigentliche Essenz dieser Welt. Bei dem Licht regte sich etwas und wir sahen, dass dort eine Gestalt hervortrat. Es war die eines der blauen Teufel, zumindest hatte es den gleichen fassförmigen Oberkörper. Doch war dieses Exemplar wesentlich größer. Es wurde begleitet von zwei anderen Kreaturen, mit schwarzem, wildem Haar und dunklen roten Hörnern, die aus dem Schädel wuchsen. Obwohl der blaue Teufel mindestens 20 Schritt von uns entfernt war, konnten wir seine Stimme klar hören, als er sprach: “Schwächliche Geister! Ihr seid gekommen um meinen Schatz zu rauben, den ich einst selbst geraubt hatte. Knieet nieder im Staub, ihr sterblichen Geister und gebet mir, was auf ewig mir gehöret und was ER nie wiederbekommen wird! Knieet nieder und ich werde eure Seelen verschonen!”

Ich war erstarrt. War dies tatsächlich Raxivort selbst? Nein, das konnte nicht sein. Er war zu feige, denn sobald er sich zeigen würde, wären alle Teufel der Höllen auf seiner Fährte. Ich blickte zu Bargh, doch der dunkle Krieger flüsterte in diesem Moment etwas in Halbohrs gesundes Ohr. Augenblicklich veränderte sich Halbohrs Blick und wurde gläsern. Ich verstand: Es war der Preis, den er jetzt zahlen musste für die Macht, die er bereits gekostet hatte. Jetzt musste er Jiarlirae zumindest diesen einen Dienst leisten, ob er nun wolle oder nicht. Dann wandte sich Bargh in Richtung des Lichts und schrie: “Ihr seid versteckt unter vielen, ein Feigling und ein Zögerer. Ihr und eure Dämonenfürsten sind schwächer als Jiarlirae. Ihr werdet in ihrem Glanz zugrunde gehen! Es ist der Abglanz von Feuer und Düsternis, der euer Schicksal spinnen wird.” Wie als ob es sein Stichwort wäre, presste Halbohr den Griff seines Dolches zusammen und als das Blut des Einhorns seinen Körper bedeckte, wurde er durch die unheilige Blutmagie direkt hinter den blauen Teufel getragen. Zur gleichen Zeit begannen sich die Schatten in den Rängen zu bewegen und eine Armee von verschiedenen Kreaturen, besser die Schatten verschiedener Kreaturen, strömte auf uns zu. Bargh gab mit seiner Hand ein kurzes Kommando und stürmte mit einem Kriegsgeschrei dem blauen Teufel entgegen. Ortnor verstand das Kommando. Er murmelte nur eine kurze arkane Formel und die Schatten, die uns bereits erreicht hatten, stürmten ins Leere. Ich wurde mit ihm auf die höherstehenden Ränge getragen. Hier sah ich Halbohr hinter dem blauen Teufel auftauchen. Der falsche Raxivort hatte ihn noch nicht bemerkt. Während einer der beiden Dämonen seinen riesenhaften Krummsäbel nach Bargh hieb, blitzte das Horn des Dolches von Halbohr kurz auf als er es dem falschen Raxivort direkt in sein Herz stach. Seine gelblichen glühenden Augen erweiterten sich, was für mich wie Erstaunen aussah. Er drehte sich zu Halbohr um, doch man sah schon schwarzes Blut aus seinem Mund herauskommen. Er versuchte noch etwas zu sagen, doch war es mehr ein Röcheln. Ein Schatten löste sich aus dem zu Boden fallenden Körper, der wie ein Wurm dahinglitt. Er versuchte zuerst an Halbohr empor und in ihn hinein zu kriechen, doch konnte er ihn Kraft seines Geistes abschütteln. Dann versuchte er es bei mir, doch Bargh war bei mir und die Macht seiner gesegneten Klinge vertrieb den Schatten. Ich hörte einen Ruf voller Schmerz und Leid, aber, als ob er von sehr weit herkommen und immer schwächer wurde. Der Schatten wurde durch die Winde nach oben gerissen und verschwand im Mahlstrom des Himmels.

Die Armee der Schatten löste sich so schnell auf wie sie aufgetaucht war und Bargh stand den beiden Teufeln entgegen. Als seine Klinge tief in den Leib eines der beiden eindrang und schwarzes Blut aufspritzte, wurden aus beiden wimmernde, erbärmliche Kreaturen. Sie knieten sich vor Bargh nieder und fingen an um ihr Leben zu flehen. Angeblich würden sie unsere Herrin kennen und boten ihre Dienste an. Ich konnte erkennen, dass, obwohl sie ihre Gesichter in den Staub drückten, dennoch eine enorme Macht innehatten. Vielleicht sah Bargh es auch, denn er zögerte noch ihnen den Kopf abzuschlagen. Sie versprachen uns allen einige Wünsche zu erfüllen, doch war jedem von uns klar, dass dieser Pakt auch gefährlich sein konnte. Vielleicht war das auch der Grund, warum Ortnor sich daraus enthielt. Er sah es nicht ein mit diesen Teufeln Geschäfte zu machen.

Wir äußerten unsere Wünsche und sie wurden erfüllt, sei es Wissen, Stärke oder Macht. Halbohrs Wunsch war der letzte. Er wünschte sich, dass die Barden und Liedermacher unserer Welt seinen Namen kennen und ihn preisen sollten. Als er den Wunsch aussprach, begannen die beiden Kreaturen scheußlich zu lachen. Ich war mir sicher, dass sie auch diesen Wunsch erfüllt hatten, doch welche Auswirkungen er haben mochte, konnte noch keiner sagen. Mit dem letzten Wunsch und in ihren Lachen lösten sie sich in Staub auf. Doch mit ihnen verschwand auch die Arena um uns herum. Für einen Augenblick wurde es wieder schwarz um mich, dann standen wir wieder alle dort, wo wir in die Tiefe geschritten waren - vor den zerstörten Toren der alten Ruine. Der Vulkan, der allen Gesetzen der Natur zum Trotze, aus der Seite der gigantischen Höhle wuchs dröhnte und spuckte Asche und Feuer, doch das Heulen des Windes war lauter.
Titel: Sitzung 61 - Der Henker der letzten Einöde - Teil II
Beitrag von: Jenseher am 23.04.2023 | 09:42
Wie ein gehetztes Tier rief er uns zu, dass wir uns beeilen mussten. Halbohr und Ortnor blickten ihn etwas ratlos an, doch ich wusste, dass wenn er uns zur Eile ruft, wohl seine Gründe haben musste. Wir hasteten wie gejagdes Wild die Höhlenwand nach oben und traten wieder in die Tunnel ein. Für einen kurzen Moment musste ich innehalten und mich daran gewöhnen, dass ich in jede Richtung nach unten gezogen wurde. Doch dann lief ich weiter. An den teils engen Kurven ging ich einfach an der Wand des Tunnels entlang, oben oder unten spielten hier keine Rolle mehr.

Wir fanden die Markierung die Halbohr hinterlassen hatte schnell wieder. Hier war die versteckte Öffnung zu dem Portal, was uns wieder nach Hause bringen konnte. Halbohr holte den schwarzen Stein heraus und die Wand wurde durchsichtig. Er wollte schon hindurch schreiten, doch Bargh hielt ihn auf. Er sagte, wir müssten noch eine Sache tun und verlangte den Stab von Halbohr. Ortnors Augen wurden vor Schrecken groß, doch bevor er etwas sagen konnte, brüllte Bargh, er solle sich heraushalten. Halbohr zögerte, also zog Bargh sein Schwert und ging weiter auf Halbohr zu. Dieser zückte seinen Dolch, bereit sich zu wehren, auch wenn er natürlich wissen müsste, dass dies zwecklos wäre. Bargh näherte sich weiter und sagte er wolle den Stab mit seinem Blut reinigen. Halbohr rührte sich nicht, doch man konnte sehen wie er überlegte. Schließlich gab er nach und hielt Bargh den Stecken der Götter hin. Ortnor war der Verzweifelung nahe. Er verstand es einfach nicht. Bargh legte den Stecken vor sich auf den Boden und ich kniete mich zusammen mit ihm davor. Der heilige Krieger schnitt mit der Spitze seiner Klinge zuerst in seine Hand und schließlich in meine. Es war ein schöner Schmerz, als sich in meiner Hand ein feiner Riss bildete und mein Blut heraustrat und auf den Stab treufelte. Bargh blickte fragend Halbohr an, ob er sich an dem Ritual beteiligen wolle. Und dieses Mal überraschte mich Halbohr. Ich ging davon aus, dass er wieder irgendwelche Ausreden finden würde oder fadenscheinige Begründungen, doch er willigte tatsächlich ein. Er sagte, er wolle auch einen Heldennamen tragen, wie Bargh und dass ihm die Macht der Herrin dazu verhelfen könnte. Zwar waren seine Ziele immer noch nicht rein, aber zumindest war ihm jetzt klar, welche Macht unsere Herrin hatte. Auch er kniete sich vor den Stecken und auch sein Blut benetzte schließlich den Stahl.

So knieten wir dort im schreienden Wind dieser kalten Hölle; unser Blut benetzte das alte Artefakt. Bargh begann die Verse unserer Göttin zu murmeln und von seiner Gestalt breitete sich eine Dunkelheit aus, die uns alle umfasste. Nur der glühende Rubin in Barghs rechtem Auge war noch zu sehen. Der Wind schien leiser zu sein, so als ob er sich entfernen würde und gleichzeitig wurde Barghs Singsang lauter. Ich sah zwar nichts, doch ich konnte es deutlich spüren. Wir waren nicht mehr allein. Eine Macht von etwas uraltem Bösen hatte sich zu uns gesellt. Ich wagte nicht mich zu rühren. Wir waren dem Bösen völlig ausgeliefert und wenn es wollte, könnte es uns mit einem einzigen Gedanken töten oder noch viel Schlimmeres machen. Der Geruch von Leichen und von Fäulnis breitete sich aus und es wurde etwas heller, wobei es kein natürliches Licht war.

Wir sahen, dass sich drei Kreaturen in dem Tunnel materialisiert hatten; Kreaturen die direkt aus der Hölle entstammen mussten. Eine Gestalt war groß und drahtig, mit schwarzen Haaren und schien in Gänze in weißliche Flammen gehüllt. Aus ihrem Schädel ragten zwei schwarze verdrehte Hörner auf und breite, schwarze, Fledermaus-ähnliche Schwingen entfalteten sich von ihrem Rücken. Die zweite Kreatur erinnerte im ersten Moment an eine Frau, doch hatte sie insgesamt acht Arme die aus ihrem nackten Oberkörper wuchsen. Ihr Unterkörper war der einer Schlange und jeder Arm war in schwarzen Ketten mit Widerhaken bedeckt, die sich in das Fleisch schnitten. Beide der Gestalten waren älter, als man es sich vorstellen könnte. Sie vermochten wohl Dinge gesehen und getan zu haben die ich mir nichtmal in meinen dunkelsten Träumen vorstellen könnte. Die dritte Gestalt war die schrecklichste. Sie trug keinen Kopf. Aus der Öffnung des Halses sprudelte jedoch unablässig ein Strom aus Blut. Sie war mit Muskeln unter einer weißen Haut bepackt, doch überall auf ihrem Leib krochen kleine Maden, die sich an ihrem Fleisch labten. Die Gestalt war an den Armen gepanzert, doch waren die Platten aus schwarzem Stahl mit Nägeln direkt in den Knochen geschlagen. Der fehlende Kopf befand sich im Bauch der Kreatur, wo es uns aus einer absoluten Verrücktheit anblickte. In ihrer Rechten trug sie ein riesengroßes Beil, wie das Beil eines Henkers, wo ich noch Blut herabtropfen sehen konnte. Vielleicht das Blut all der Wesen die sie geköpft hatte? Ich wagte es nicht die Gestalt länger anzublicken und senkte mein Haupt auf den Boden, doch ich erkannte sie aus den Gebeten von Bargh und von Neire. Dies war der Dämonenprinz Vocorax'ut'Lavia, der Henker der letzten Einöde und ein Bote von Jiarliare, vielleicht sogar ein Teil von ihr selbst.

Der Anblick musste für Ortnor einfach zu viel gewesen sein, er wollte nur noch weg, doch nicht ohne seinen Preis. Er sprang nach vorne, mit dem Ziel den Stecken zu ergreifen, der mittlerweile von unserem Blut bedeckt war. Halbohr reagierte einen Moment zu spät. Zwar zuckte sein Dolch auf und versuchte seine Hand aufzuspießen, doch Ortnor war schneller und legte seine schmierigen Finger auf den Stecken. Er begann zu murmeln und wollte sich wohl durch Zeit und Raum davonstehlen, doch der Henker erhob sein Beil und hieb damit in die Luft. Es war, als hätte der Schlag Raum und Zeit selbst durchschnitten. Für einen kurzen Moment spürte ich, dass Flamme und Schatten sich trennten. Es lag irgendetwas dort… etwas Machtvolles, Geheimnisvolles… war es das Urchaos? Mein Geist war wie gelähmt und ich wagte nicht aufzuschauen. Eine Welle von unsterblicher Macht rollte über uns hinweg. Die Zeit selbst schien langsamer zu laufen, doch dann bemerkte ich, dass es nur für uns der Fall war. Ortnor stand dort, die Hand immer noch nach dem Stecken ausgestreckt und war wie eingefroren. Langsam aber unaufhaltsam schritt der Henker auf Ortnor zu und erhob sein Beil. Man konnte die Boshaftigkeit der Klinge spüren, als sie sich senkte und mit einem sauberen Schnitt den Hals von Ortnor durchschlug. Ortnor rührte sich immer noch nicht, obwohl sein Kopf nicht mehr am Hals fest war. Der Henker drehte sich zu Halbohr und auch hier erhob er seine Henkersaxt. Doch Halbohr drehte seinen Kopf, langsam, aber er bewegte ihn. Vielleicht war es das, was den Henker davon abhielt sein Urteil auch bei Halbohr zu vollstrecken. Er ließ seine Axt sinken und griff nach dem Stecken der Götter. Dann hörten wir ein Meer von Stimmen in unserem Kopf, wie tausende Nadelstiche und starker als der kreischende Wind, der im Antlitz der Urmacht verstummt war, doch konnten wir sie verstehen: “Ihr habt euch verdient gemacht. Es wird das Gleichgewicht, das es nicht gibt, nicht verändern. Aber es wird dem aufsteigenden Chaos des Abgrundes dienen. Unsere Herrin ist dankbar.” Er warf drei kleine schwarze Edelsteine in die Luft die dort, sobald sie seine Hand verließen auch in der Zeit einfroren. “Greift nach der Macht von Flamme und Düsternis!”

Bargh, der sein Haupt in Ehrfurcht auf den Boden geneigt hatte, sprach: “Das Portal nach Euborea ist geöffnet. Nehmet den Stein.” und hielt ihm einen der Steine hin, der die geheime Türe zu dem Portal öffnete. “Es ist der Zugang in unsere Welt, für euch, für Jiarliare”. Wir konnten die Zustimmung des Henkers spüren und er nahm den Stein sowie den Stecken an sich: “Es werden Diener folgen, denn eure Taten waren groß.” Mit diesen Worten wurde es wieder dunkel. Ich fühlte, wie sich ihre Auren entfernten und wir waren wieder alleine. Der Körper von Ortnor stand noch für einen Moment neben uns, dann fiel sein Kopf mit einem Poltern auf den Boden und der kleine Wicht brach in sich zusammen. Das Kreischen des Windes setzte wieder ein. Ich blickte an mir hinab und stellte fest, dass ich am ganzen Körper zitterte. Ich schaute zu Bargh und sah in seinen Augen einzig Entschlossenheit. Langsam erhob er sich und half mir auf. Schweigend musterten wir uns und Halbohr schritt ehrfürchtig und bedächtig durch den transparenten Stein. Wir kamen zurück in unsere Heimat und wir ebneten den Weg unserer Herrin. Auf dass sie Flamme und Düsternis nach Euborea brächte.
Titel: Sitzung 62 - Zwischenspiel - Neires Pestlied
Beitrag von: Jenseher am 30.04.2023 | 13:25
Flamme und Düsternis hatten sich von mir abgekehrt. Ich irrte umher in einer Landschaft, die - wie ich mich fühlte – verlassen von der Kraft der Götter war. Ich ritt weiter gen Norden. Dorthin, wo ich meine Brüder und Schwestern im Geiste vermutete. Als ich nach Mühlbach zurückkam, vernahm ich den Würgegriff der Pestilenz, die dieses einfache Land heimsuchte. Ich sah den Rauch vom öden Tal aufsteigen, sah die Gräber - frisch aufgeworfen und lange Schatten werfend in der nahenden Nacht. Ich sah nicht die verhasste Schar der Anhänger des falschen Gottes der einen Hand, einig, doch schwach im Geiste und entzwei nun in Stadt und Tempel. Ihr Gott hatte sie verlassen; die Pest hatte sie dahingerafft. Bang ergriff es mir das klopfende Herz, als ich durch den Palisadenwall ritt. Die rußigen Feuer spien die schwarze Saat in den abendglühenden Himmel. Da war es, dass mein Rappen zuckte, das Leben mir, durch schnaubend‘ Nüstern zurückgebracht schien. Hervor trat ein Fremder, kaum älter als ich. Zotteliges Haar und Sack über der Schulter, in Lumpen gekleidet, war Mühlbach der Ort seiner Begierde. Er senkte den Kopf, erhob das Wort und sprach:

Fremder: „Edler Junker, wohin des Weges? Nichts gibt es in Mühlbach, ihr müsset wissen. Es liegt hier nur brütend der Tod auf dumpfen Lüften.“
Neire: „Du Mensch so hager- hohl und bleich – hast nicht gewimmelt ums‘ finstre Reich? Sprich nun, Menschlein und zögere nicht. Das Weisen von Fremden der Bruderschaft Pflicht.“
Fremder: „Oh Junker, Euch weisen, es wär‘ mir zur Ehr. Kaum der Wahnsinn mehr, ausgestorb‘ner Stätte hier. So saget wohl, was ist euer Begehr.“
Neire: „Ich suchet‘ den Schlund, die gähnende Leere, ein Tor in die Ferne, ein Tor zur Erde. Ein Ort in dem Leichenschweigen herrscht, der nächtlich Sinne bei Tage schärft.“
Fremder: „Oh ich weiß die Statt, die Euer Begehren, im gift‘gen Nebel sie Euch nicht verwehren. Nicht weit von hier die geheime Grotte, die einst Hort der furchtlosen Räuberrotte. So folget mir Junker an diesen Ort, hinfort aus Mühlbach, verteufelt hinfort.“

Der Mensch wollte mich führen, doch ich war allein und musste allein bleiben. So zog ich einen Goldtaler hervor und warf ihn dem Menschlein zu. Begierig nahm er die Münze und mit einem Glitzern in den Augen, berichtete er mir von dem Weg.

Klingrunhall, lag vor mir, wie es der Fremde, wie es Hruune - so hatte er sich vorgestellt – berichtet hatte. Es war ein Schlund, der in die Erde führte. Obszön klaffte das offene dunkle Loch, aus dem warme, übelriechende Luft aus dem Unteren aufstieg. Luft, die meine Erinnerungen an Nebelheim beflügelten. Die Luft sickerte eine Anhöhe hinab und hatte den Unterwuchs des Buchenwaldes dahingerafft. Doch die Kronen der alten Riesen wiegten sich über mir, im leichten Wind. Sie flüsterten mir ein Lied vor; ein Lied von den Bräuchen der Oberwelt. Ein Lied von dem Untergang der einen Hand. Nacht war nun eingekehrt. Ich ritt näher an das Loch und lächelte. Im Inneren ging es einen Abhang in die Tiefe. Unten war eine Tropfsteinhöhle zu erkennen. Ich wollte hinab, doch ich spürte, dass ich nicht konnte. Meine Herrin, die Schwertherrscherin Jiarlirae, hatte ein anderes Schicksal für mich vorgesehen. So ließ ich mich vor dem Schlund nieder, genoss die faulige Luft der Erde und entzündete ein Feuer, das ich aus den Knochenresten, die ich hier fand, entfachte. An diesem Abend, wie auch zuvor, las ich in den geheimen Werken der schwarzen Kunst. Dabei öffnete ich meinen Geist mit dem Rest von Grausud, den ich noch hatte, und dem Wein aus der vergessenen Feste. Ich dachte in Trauer an Lyriell. Es war die gähnende Öffnung des Abgrundes in die Tiefe, die mir Zuversicht gab. Die Knochen von Tieren und von Menschen brannten hell, warfen lange Schatten. So schlief ich ein.

„Jetzt Arva, jetzt! Bindet die Hände auf den Rücken. Zögert nicht.“ Zuerst hörte ich die Stimme, wie in einem Traum. Dann spürte ich, wie mein Kopf in die Erde gedrückt wurde. Sie waren über mir. Hruune und wer sonst noch. Sie waren mir gefolgt und wollten mich im Schlafe überkommen. Ich kämpfte, doch ich konnte sie nicht verdrängen. Ich versuchte nach meinem Degen zu greifen - meine Arme schienen, zu Boden gedrückt, wie gelähmt. Als Hruune schließlich eine Hand löste, um Arva zu helfen, hatte ich die notwendige Freiheit. Ich beschwor die Formeln der schwarzen Kunst mit nur einem Wort der Macht. Als meine freie Hand den Hals von Hruune berührte, drang die Kraft meiner Göttin in seinen Körper ein und düsterne Flammen zerstörten seinen Lebenswillen, zerfetzten Haut und Gewebe. Es war noch Arva, die sich nun auf mich stürzte. Die Nacht war mittlerweile fortgeschritten. Ich sah das Glitzern der Sterne zwischen den dunklen Wipfeln. Mondlicht drang hinab. Wir rangen im Staub, zwischen Schädeln und Gebein. Doch Arva war schwach. Ihr Körper ausgemergelt von der Pest. Ich überkam sie und begann sie zu würgen. Sie schrie nach ihrem Bruder, schrie nach Hruune, doch sein lebloser Körper lag zwischen dem Gebein. Ich blickte in ihre Augen, als ich sie würgte, als sie starb. Ich sah das Schimmern des Mondes dort, den Glanz der Sterne. Es musste doch Weisheit und Wissen geben, in diesem Moment. Doch da war nichts. Nichts als der Tod war hier an diesem Ort und ein Junge, den Flamme und Düsternis verlassen hatten.

Ihre Köpfe brannten im Feuer. Da war der Geruch von schwelendem Haar und Haut. Das Werk war blutig und anstrengend gewesen. Der Degen aus dem Herrenhaus aber scharf; hatte beide Hälse durchschnitten wie Butter. Lediglich die Schädelplatte zu entfernen, hatte sich als mühevoll herausgestellt. Ein Dolch, geführt wie ein Meißel, und ein Stein hatten das Werk vollendet. Ich blickte gebannt auf das rote Innere der Schädel, das im Feuer zu dampfen begann. In fernen, doch vertrauten Bildern starrte ich in die Tiefe, in Hitze und Glut. Den Ort zu erblicken, der meine Wiege war, gelang. Mein Geist stierte in das Innere Auge. Ich sah die immerbrennenden Fackeln. Ich kostete von dem Inneren, das warm war, das sich verfestigt hatte. Da war der Geschmack von Blut und Eisen. Da war nun plötzlich ein Schreien. Wie das ferne Rauschen eines Windes. Ein Auf- und Abebben in allen Tonlagen. Weiblich und männlich, menschlich und unmenschlich zugleich. Und ich hörte die Stimmen von Bargh und von Zussa. Ich vernahm ihre Rufe, ihr Flehen und ihr Sehnen. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich das Feuer im Mondlicht geteilt. Für einen Moment war alles verlangsamt. Ich erkannte Flamme und Düsternis über den abgetrennten Schädeln, darüber das Sternenlicht, die Unendlichkeit. Da war der Name, den ich in Richtung des Abgrundes, in die große Tiefe des Unteren, flüsterte. Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia. Nur für einen Augenblick erkannte ich den Schimmer, die Klinge der großen Axt. Dann wusste ich, was zu tun war, was sie tun mussten. Ich nahm den Dolch und schnitt mir in den verbrannten linken Arm. Das Blut rann ins Feuer und knisterte. Ich hörte das Heulen und ihre Schreie und ich bettelte um ihr Blutopfer. Auf dass sie mich erhörten. Auf dass sie ihr Blutopfer vollbrächten.

Lange noch betete ich und sprach den Namen des Höllenfürsten der niederen Ebenen. Erst als die frühen, schwachen Sonnenstrahlen das dunkle Loch berührten, legte ich mich nieder. Meine Gedanken aber waren bei Bargh und bei Zussa. Ich wusste nun – meine Zeit der Einsamkeit war vorbei. Aufbrechen musste ich nach Norden. Dorthin, wo ich Bargh einst entsandt hatte. Dorthin, wo die Träne des Drachens über dem Berg gesehen ward. Die Träne des Drachens, die in der alten Sprache der ersten Menschen als Linnerzährn bekannt war.
Titel: Sitzung 62 - Wiedersehen im Schrein des Jensehers
Beitrag von: Jenseher am 6.05.2023 | 09:51
Zussa spürte das Gefühl des Schwebens. Sie dachte zurück. Wie sie sich selbst als Blatt vorgestellt hatte, das durch die Dunkelheit glitt. Jetzt verschloss sie nicht mehr die Augen. Sie sah das Aufblitzen, wurde geblendet. Es war, als ob sie den feurigen Schweif von Sternen sähe, die an ihr vorbeirauschten. So schnell wie es einsetzte, war es auch wieder vorbei. Das Geräusch des Wasserstrudels verschwand und mit ihm auch das Kreischen dieser fremden Welt. Sie glitt sanft aus der dunklen Sphäre hervor, deren Schwärze sich wie ein träger Nebel von ihr löste. Und dort stand er und lächelte sie an. Er hatte sich nicht verändert, seitdem sie getrennter Wege gegangen waren. Sie konnte sich nicht mehr besonders an ihn erinnern. Die Erlebnisse auf der Tempelinsel kamen ihr wie ein ferner Traum vor. Ein ferner Traum, geschwängert von zu viel Wein und der seltsamen berauschenden Substanz des Grausud. „Neire, ihr seid hier? Oh, schaut, was wir euch mitgebracht haben.“ Sie starrte den Jüngling an, der jetzt seinen Tarnumhang zurückgezogen hatte. Der Geruch der fauligen Leichen der Tiefenzwerge war in der unterirdischen Portalhalle, deren Wände im Glanz der Ne’ilurum-Adern schimmerten. Doch es störte sie nicht. Neire hatte anscheinend die Kerzen auf den Tischen entzündet, so dass das Herz der Irrlingsspitze in ein Spiel von Licht und Düsternis gehüllt wurde. Als neben Zussa der nun gewaltige Leib von Bargh erschien, wich Neires Lächeln für einen kurzen Moment. Sie sah, dass der Jüngling sich die gold-blonden Locken zurückstrich und Bargh beobachtete. Bargh wiederum schien recht unbeholfen in seiner neuen Größe. Er hatte zwei Karten aus dem Schicksalskartenfächer gezogen, von denen eine die Krabbe dargestellt hatte. Die Karte hatte seinen Körper augenblicklich wachsen lassen und nun überragte sie der unheilige Krieger Jiarliraes, mit einer Größe von etwa zwei und einen halben Schritt. Auch waren Bargh große Raben-artige Schwingen gewachsen, die zusammengefaltet an seinem Rücken erkennbar waren. Bargh ließ den abgetrennten Kopf und den Körper des kleinen Wesens fallen. Er hatte das, was von Ortnor übriggeblieben war, durch das Portal gezogen. Zussa sah, wie Neires Blick nur einen Moment auf Bargh ruhte. Dann lief der Jüngling auf den Riesen zu und sprang ihm in die Arme. Bei diesem Anblick verdrängte Zussa die Kopfschmerzen, die Erinnerung an den schreienden Wind und den Anblick des Dämonenfürsten. Sie merkte, dass ihre Hände zitterten und von roten Brandblasen bedeckt waren. Als Bargh Neire hinabließ, begrüßte auch sie ihn mit einer Umarmung. Sie vernahm sein eigenartiges Parfüm, das nach süßlich, vermoderten Wurzeln roch. „Was habt ihr mir mitgebracht Zussa? Eure Taten müssen wahrlich groß gewesen sein. Ich habe für euch gebetet und eure Stimmen im Traum sowie im geöffneten Geist gehört.“ Sie antwortete Neire, während Halbohr leise aus der dunklen Kugel hervorschritt. „Wir haben diesen Ort erobert, haben ihn befreit von dem, den sie den Jenseher nannten. Durch das Portal sind wir in eine ferne Höllenwelt gelangt, in der wir den Stecken der Götter für Jiarlirae erkämpft haben.“ Halbohr nickte, während sie sprach. Die Unruhe war dem elfischen Söldner anzusehen, der immer wieder Stücke blutiger Kruste von seiner rechten Hand kratzte. Dort trug er den Einhorndolch, aus dem beharrlich ein kleines Blutrinnsal sickerte. „Und dieser Wicht hier - sein Name war Ortnor Wallenwirk - hat uns versucht zu betrügen. Er hat den Verrat mit seinem Leben bezahlt.“ Halbohr sprach und Zussa verdrängte die Szene, an die sie nur mit einem panischen Grauen zurückdenken konnte. Sie bemerkte auch, dass ihre Wut auf Halbohr nicht mehr so stark war wie zuvor. Er hatte sich am Blutopfer beteiligt und war vom Henker der letzten Einöde verschont worden. Sie wendete sich wieder Neire zu. „Und ihr Neire? Welche Spiele habt ihr auf eurer Reise gespielt?“ „Es waren andere die ihre Spiele mit mir spielen wollten, doch ihr letztes Spiel haben sie verloren. Ich habe gelesen und gebetet und ich habe viel an euch beide gedacht.“ Sie sah, dass Halbohr zerschlagen aufstöhnte und einige Schritte in Richtung des doppelflügeligen Portals machte, das den Ausgang der Hallte darstellte. „Ihr könnt euch ja noch eurem sentimentalen Gefasel hingeben. Aber ich habe zu tun. Erinnert euch. Wir haben uns geschworen diesen Ort zu verteidigen und Bargh, ihr sagtet, es werden weitere Anhänger der Schwertherrscherin durch das Portal kommen. Also lasst mich meinen Vorbereitungen nachgehen, denn ich habe viel zu tun. Mir wurde ein großer Name in dieser Welt versprochen und ich werde mich dieser Sache annehmen. Ich habe die Macht von Jiarlirae gesehen und werde ihr folgen. Dieser Ort kann dabei als Brückenkopf dienen. Doch es müssen Vorbereitungen getroffen werden.“ Für einen kurzen Moment war die Wut in Zussa entflammt, als sie Halbohr reden hörte. Bei seinen Worten über ihre Herrin war ihr Zorn so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Halbohr hatte sie bereits verlassen und sie wendete sich ihren Begleitern zu.

~

Neire bückte sich hinab, um seinen Stecken aufzuheben. Der Kampf währte nur kurz, war aber intensiv geführt worden. Die beiden Kreaturen, die sie angegriffen hatten, waren Konstrukte aus zylindrischen Steinen gewesen. Muster aus Ne’ilurum hatten sie überzogen und die Blitze, die Neire aus dem Wurzelstecken beschworen hatte, hatten auf geisterhafte Weise die tiefen Kerben verschlossen, die Bargh ihnen zugefügt hatte. Sie waren zuvor durch das kleinere Portal geschritten. Das einst instabile Weltentor hatte Zussa nach Tagen der Arbeit zumindest soweit wiederhergestellt, dass es für eine kurze Zeit gefahrlos begehbar war. Doch sie hatten gewusst, dass es hinter dem Portal keinen Weg zurückgab. Trotzdem waren sie nach einer kurzen Beratung hindurchgeschritten. Jenseits des Portals hatte sich ein unterirdisches Verlies aufgetan. Die Wände waren mit aufgetragenen Spuren von Ne’ilurum versehen gewesen und sie hatten Fallen entdeckt, die bereits vor langer Zeit ausgelöst wurden. Sie waren über Treppen und Räume schließlich in diese große Halle gelangt, in der sie ein seltsames Konstrukt aus ineinander verschachtelten Vielecken entdeckt hatten. Hier waren sie dann von den Kreaturen angegriffen worden, die jetzt zu zwei kleinen Steinhaufen zusammengebrochen waren. Als Neire in den milchig schimmernden Edelstein blickte, der sich am Ende des Stabes befand, verfiel er wieder in eine Mischung aus einem Grübeln und einem Träumen. Nur die Worte Barghs erweckten ihn aus diesem Zustand. „Neire, was ist mit euch? Reißt euch zusammen, die Gefahr lauert vielleicht noch hier.“ Neire verbrachte den Stecken in seinem Gürtel und verdrängte die Gedanken an die vergangenen Wochen. Er hatte Tage um Tage im Schrein des Jensehers verbracht, um die alten Schriften zu verstehen. Abhandlungen über das Verständnis und die Formung des Willens hatte er sich zu allererst angeschaut. Dann hatte er sich die Bücher der Bibliothek vorgenommen. Er hatte sich in dem alten Gemach von Niroth einquartiert und gelesen. So lange hatte er sich vertieft, dass er Bargh und Zussa vergessen hatte. Jetzt versuchte er die Gedanken an die fernen Welten und Portale, die Geheimnisse im Aufbau der Körper und des Unlebens zu verdrängen. Er blickte Bargh an und antwortete. „Ja, verzeiht. Ich bin nicht ganz ich. Die Reise durch die Minenstadt von Unterirrling und die Bücher haben mich von unserem Pfad abgebracht. Führt ihr uns Bargh. Ihr habt mit Zussa die Welten hinter den Sternen gesehen und ihr tragt Glimringshert, die Klinge von Feuer und Dunkelheit.“ Neire sah, dass Bargh nickte, doch Zussa musterte ihn mit fragender Miene.

Das kalte Wasser lähmte seine Glieder. Es war, als würden tausend kleine Nadeln in seinen Nacken stechen. Bargh hielt sich an dem nassen, glitschigen Felsen des unterirdischen Tunnels fest. Bis auf sein verbranntes Gesicht, war sein Körper vollkommen in das reine, kühle Nass des Höhlenflusses eingetaucht. Nur die Rüstung aus Ne’ilurum trug ihn wie eine Feder, bewahrte ihn vor einem jähen Versinken in den dunklen Fluten. Auf ihrem Weg zu diesem unterirdischen Fluss, waren sie weiter durch die Räume des Kerkers vorgedrungen. Sie hatten eine Statue auf einem Thron entdeckt, die von leidenden Gestalten getragen wurde. Alte Runen der grauen Rasse waren auf die Statuen eingraviert, die Neire übersetzt hatte: „Ich ehre das Handwerk“, „Ich ehre das Opfer“ und „Ich ehre den Meister“ war dort zu lesen gewesen, jedoch hatten sich keine weiteren Geheimnisse offenbart. In einem offenbar neueren Teil des Kerkers hatten sie einige Schätze und alte Schriften entdeckt. Hier hatten sie dann sicher festgestellt, dass es sich bei diesem alten Gemäuer um eine Anlage der grauen Rasse gehandelt hatte. Lediglich das Schicksal der Anlage konnten sie nicht ergründen. Wieso hatten die alten Meister die Mauern verlassen? Wieso waren die neuen Räume in den Stein geschlagen? Über weitere natürliche Höhlen, in denen ihnen aasfressende Würmer aufgelauert hatten, waren sie dann bis zu diesem unterirdischen Fluss gelangt. Nach kurzer Beratung hatte Bargh Zussa und Neire an einem Seil hinabgelassen. Dann war er ihnen, Kraft seiner Rüstung, schwebend wie eine Feder in die Tiefe gefolgt. Nun wand sich der rauschende Fluss durch den glitzernden Felsen. Das Gefälle war glücklicherweise nicht stark. Bargh sah Zussa und Neire vor ihm, wie sie sich, wie er, an den Fels klammerten. Das ging schon einige Zeit so und er begann aufgrund der Kälte zu zittern. Dann gelangten sie an eine Felswand, die das jähe Ende des Flusses darstellte. Das Wasser quirlte und blubberte in dieser kleinen Kammer, als ob Luftblasen aus der Tiefe aufsteigen würden. Bargh hörte die Stimme von Neire, den er, verborgen durch seinen Tarnmantel, nicht ausmachen konnte. „Bargh, diese Wand ist brüchig. Brecht den Stein und macht den Weg frei, in das, was sich dort hinter befindet.“ Bargh sah mattes Licht, das irgendwo von unten kam. Wie durch kleine Löcher. Er näherte sich der Wand, holte aus und schlug mit seinem Panzerhandschuh gegen den Stein. Nicht ein zweites Mal musste er schlagen. Der Stein brach bereits bei seinem ersten Schlag. Das gesammelte Wasser des Beckens strömte plötzlich hervor und spülte sie hinaus in die kalte Luft. Er versuchte sich festzuhalten und nicht hinfort geschwemmt zu werden. Er fand Halt. Als er sich langsam aufrichtete roch er den Geruch von kalter Luft und Wald. Um ihn herum verdeckten dichte Tannen die Sicht. Es herrschte ein beständiger Nieselregen. Der Bach schlängelte sich durch das Unterholz hinfort. Hinter ihm klaffte ein Loch in der Felswand, das dort gerade erst entstanden war. Bargh schaute sich um nach seinen Begleitern und fragte sich, welches Schicksal ihre Herrin für sie vorgesehen hatte.
Titel: Sitzung 63 - Dunkelheit über Aschwind
Beitrag von: Jenseher am 13.05.2023 | 09:32
Zussa hörte das Prusten von Bargh. Von der Woge des hervorbrechenden Höhlenflusses war sie ein Stück weitergetragen worden. Auch sie hatte das geatmete Wasser ausgehustet und einen Würgereiz unterdrückt. Im kalten Schlamm richtete sie sich auf und drehte sich zu dem Geräusch um, dass das Rauschen des größeren Baches deutlich übertönte. Sie sah Bargh dort im Schlamm liegen. Er befand sich ein Stück vor der Felswand, deren poröser Stein über ein breites Stück hinfort gebrochen war. Sie spürte die kalte Luft auf ihrer Haut. Ihre Muskeln fühlten sich wie gelähmt an. Jetzt sah sie auch Neire zwischen zwei Tannen hervorkommen. Er war, wie sie, von Schlamm besudelt, der seinen feinen Tarnumhang sichtbar machte. Er trat zu ihr heran und gemeinsam schauten sie sich neugierig um. Sie waren sich nicht sicher, wo sie gelandet waren. Der Himmel über ihnen war wolkenverhangen und die Zweige der Tannen trugen schwere Tropfen des Nieselregens. Über der Felswand hinter ihnen ragte ein imposantes Gebirgsmassiv auf, dessen Spitzen in der Wolkendecke verschwanden. In der entgegengesetzten Richtung und durch den Tannenwald, war ein Hochplateau zu erkennen, das hier und dort durch Felsnadeln durchbrochen wurde. Dort sah Zussa eine Ansammlung von Zelten und bei näherem Hinsehen auch Bewegung. Die Kälte drückte ihre Laune. Sie zeigte in Richtung der Zelte und sprach mit klapperten Zähnen: „Dort schaut. Wie ein Lager… doch was machen sie hier?“ Sie drehte sich dabei um zu Neire, der sich seine Kapuze zurückgezogen hatte und mit verträumtem Blick am Gebirgsmassiv vorbeischaute. In seiner Blickrichtung schien das Gelände abzuflachen. „Neire, ich rede mich euch. Und mir ist kalt. Lasst uns schauen, was es mit diesem Lager auf sich hat.“ Langsam drehte sich Neire zu ihr um, schöpfte eine Hand von Wasser und wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht. Im Gegensatz zu Bargh und ihr, schien Neire die Kälte nichts auszumachen. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken lächelnd zurück, als er antwortete. „Schaut euch Bargh an. Er kämpft auch gegen die Kälte und er klagt nicht so wie ihr. Er hat den Segen der Göttin und die Flamme sowie den Schatten.“ Zussa spürte zuerst Wut, doch dann Trauer. Es traf sie tief und sie fragte sich, was sie noch alles tun musste, um den Segen der Göttin zu erlangen – wie Bargh. Sie gestand es sich ein. Neire hatte Recht. Bevor sie antworten konnte, begann Bargh zu sprechen. Auch der große Krieger zitterte am ganzen Körper. „Sie hat Recht Neire, wir müssen aufbrechen – müssen uns bewegen. Sonst holen wir uns den Tod hier.“ Zussa sah, dass Neire nickte und den Worten des riesenhaften Kriegers Folge leistete. So brachen sie auf in Richtung des Lagers. Schon bald hörte Zussa Wehleiden und Schmerzschreie aus dieser Richtung kommen. Sie kamen jetzt aus dem Wald hervor. Hier und dort konnte Zussa tiefe Wagenspuren in Moos und Gras erkennen. Der Boden war, nass und von Rädern und Stiefeln, matschig getreten worden. Je näher sie der Ansammlung von Zelten kamen, desto schlimmer wurden Schlamm und Gestank. Nein, das ist kein Lager von Jägersleut oder einer Armee. Armselige Hungerleider, dachte sie sich. Die Schreie kamen näher, der Gestank wurde stärker. Vor einem Zelt sah Zussa einen Mann liegen, dem ein Bein fehlte. Doch die Wunde eiterte und war nur dürftig verbunden. Neben ihr murmelte Neire etwas. „Es sieht so aus, als ob sein Bein ausgerissen worden wäre. Eiter hat sich bereits ausbereitet. Ohne weitere Hilfe wird der Mann in der nächsten Zeit sterben.“ Zussa bemerkte andere Fiebernde. Auch in der Kälte standen ihnen die Schweißperlen im Gesicht. Sie zitterten furchtbar am ganzen Körper und ihre Antlitze waren kalkbleich. Dies war ein Ort der Krankheiten. Blut, Eiter und Fäkalien mischten sich im Schlamm und trotzdem tranken diese Leute aus den Pfützen. Hier und dort sah sie Kinder spielen und hagere kleine Erwachsene, die nicht wie Kinder aussahen. Sie konnte nicht sagen, wie groß das Lager war, doch als sie darüber nachdachte, hörte sie die Stimme von Neire. Der Jüngling hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug die schwarze Robe des Jensehers, auf der Sterne schimmerten. Er beugte sich über eine Frau, die wie verrückt mit ihrem Oberkörper wippte und ein Bündel in der Hand trug. Zussa bemerkte dort das kalte, tote Fleisch ihres Säuglings. Die Frau war vielleicht etwas älter als sie selbst. „Ihr dort, Menschlein, woher kommt ihr und was ist hier passiert?“ Neires Worte zischten als er sprach. Zussa konnte keine Regung erkennen, die Frau schien Neire nicht wahrzunehmen. Doch Zussa bemerkte Schritte im Schlamm hinter ihr. Sie drehte sich um und sah den Greis, der zu ihnen sprach. Altersflecken und Pusteln bedeckten sein Gesicht. Seine grauen, ungepflegten Haare waren von Schlamm besudelt. „Ihr dort… ihr seid doch neu hier? Seid ihr die Krieger, die der Graf geschickt hat? Seid ihr hier um uns zu erretten?“ Bargh wollte gerade zur Antwort ansetzen, als Neire etwas in seine Richtung zischelte. „Wer seid ihr, dass ihr hier die Fragen stellt?“ Zussa spürte, dass der Alte Neire nicht mochte, doch er hatte anscheinend auch keine Angst vor ihnen. „Ich bin Brandur. Ich helfe so gut, wie ich kann. Doch blickt euch um hier. Viele werden es nicht schaffen und einige sind schon tot.“ Der Alte richtete seine Augen nach oben und musterte Bargh bewundernd. Wie gegenüber Bargh, schien er auch ihr nicht feindselig gesonnen. „Woher kommt ihr Brandur und was macht ihr an diesem Ort?“, fragte Bargh. „Ihr neigt zu scherzen, edler Ritter… nein tut ihr nicht. Habt ihr nicht die Pergamente gelesen. Der Graf hat zur Hilfe gerufen. Krieger, wie ihr es seid, werden benötigt, um uns zu beschützen. Wir kommen von weit her. Seht ihn dort… er kommt aus Wesreg. Sie hier kommt aus Hochroch und ich komme aus Aschwind.“ Zussa sah, dass Neire sich bereits abgewendet hatte und eines der Pergamente aufhob, dass dort aus dem zertretenen Schlamm aufragte. Sie fragte sich, was mit der Frau mit dem toten Kind war. Zussa bemerkte selbst keine Reaktion von ihr, als Neire den Zettel mit dem Schlamm an ihrem Umhang abwischte. „Und vor wem seid ihr geflohen Greis, vor wem sind sie geflohen aus Westwacht, Hochroch und Aschwind?“ Bargh sprach jetzt lauter und Zussa bemerkte, dass der Greis einen Schritt zurückmachte. „Es sind die Kreaturen der Hügel und der Berge, selbst größer als ihr es seid, mein Herr. Sie kommen um zu plündern und sie fressen. Stehlen Vieh und Herde. Machen weder Halt vor Gehöft, Dorf oder Stadt. Und… sie machen keinen Unterschied zischen Mann, Weib und Kind.“ Jetzt hatte der Greis Zussas Aufmerksamkeit erweckt und er führte weiter aus – seine Stimme leiser werdend: „Die alten Sagen und Mythen nennen sie Riesen und schaut euch um hier. Einigen haben sie Arme und Beine ausgerissen und aufgegessen. Andere konnten sich nicht retten und wurden gefressen oder verschleppt.“ Zussa drehte sich wieder zu Neire um, der den Zettel gelesen hatte und ihr zunickte. Doch ihr Blick fiel nun auf die Frau, zu der sich hinabbeugte. Ist sie nur dumm oder spielt sie irgendein Spiel… dachte sich Zussa, während Neire weitersprach. „Und welchen Göttern dient ihr, Menschlein?“ „Ha, ich diene keinem Gott. Sie haben uns ohnehin schon verlassen, wenn es sie jemals gab.“ Zussa hörte dem Schlagabtausch des Greises und Neire nur noch oberflächlich zu. Sie ballte eine Faust und schlug die Frau mit den Fingerknochen dreimal auf den Kopf, als ob sie dort an eine Pforte klopfen würde. Neire sprach weiter: „Wir dienen Heria Maki, Menschlein, und auch ihr solltet euch ihr zuwenden. Sie bringt das Feuer, verbrennt das Übel. Ob nun Riesen oder Krankheiten.“ „Wir sind doch schon tot hier und vielleicht sollte sie einmal selbst bei sich anfangen, mit dem Verbrennen. Diese Heria Maki.“ Als Zussa Neire zischeln hörte, spürte sie die Drohung ihres Gefährten. „Spottet nicht über die Götter, Menschlein oder sie spotten über euch.“ In diesem Moment begann Zussa am Oberkörper der Frau zu rütteln und sprach in einem bewundernden, fast schon freudig-kichernden Ton. „Seht! Neire, Bargh. Ihr Spiel habe ich durchschaut. Das Kind ist tot und sie merkt es nicht. Sie merkt es noch nicht einmal.“

„Kommt mit mir! Der da hinten sieht verdächtig aus. Haltet euch zurück und lasst mich machen. Die Herrin ist mit uns.“ Neire sprach und verschnellerte seinen Schritt. Er ging wieder ein Stück zurück; in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie hatten den Greis zurückgelassen und waren durch die Flüchtlingsstadt geschritten. Sie hatten das Elend betrachtet. Unter verlassenen Zelten hatten sie aufgedunsene Leichen liegen sehen. Ein Junge hatte einem, im Schlamm sitzenden Verletzten ein fauliges Stück Brot geklaut und war zwischen den Zelten verschwunden. Die Leute hatten es gesehen, doch keiner hatte etwas gemacht. Dann hatte Bargh den jungen Mann gesehen. Er hatte zu Neire geflüstert, dass ihm etwas komisch vorkam. Der junge, kräftige Bursche war noch nicht ganz volljährig und gehörte hier nicht hin. Es war offensichtlich, dass er etwas zu verbergen hatte. Neire war von hinten an ihn herangetreten, beugte sich hinab zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Bursche drehte sich zuckend herum, wie aus einem Tagtraum hervorgerissen. Neire beruhigte ihn augenblicklich mit zischelnd säuselndem Singsang in seiner Stimme. „Habt keine Angst Mensch, nicht vor uns. Auch wenn ihr etwas zu verbergen habt. Was ist es? Was bedrückt euch?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf mit den kurzen strohblonden Haaren. „Nein, habe nichts zu verbergen. Habe alles verloren… deshalb bin ich hier. Ihr müsst mir glauben mein Herr.“ Neire spürte die Wut in Bargh und der Krieger trat neben ihn. Bargh packte den Fremden am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Höhe – mit spielender Leichtigkeit. Auch Bargh sprach jetzt zischelnd. Er imitierte den Singsang von Nebelheim. „Ihr wagt es zu lügen? Uns zu betrügen? Seht ihr sie, euer Volk? Die Gliedmaßen wurden ihnen ausgerissen, doch sie haben überlebt. Sprecht die Wahrheit oder ich reiße euch hier und jetzt den Arm aus und schlage euch euren armseligen Schädel ein. Mit dem blutigen Ende voran.“ Der Bursche fing an zu zittern. Er stotterte Entschuldigungen vor sich hin. Doch er sprach nicht die Wahrheit. „Lasst ihn hinab Bargh. Ich sehe, er ist uns freundlich gesonnen und so werden wir ihn ebenfalls behandeln.“ Neire kniete sich nieder und blickte dem Fremden tief in die Augen. Er spürte die schwarze Kunst der roten Gläser, die er sich vor einiger Zeit über die Augen gestülpt hatte. Die Welt um ihn herum nahm purpurne Farbtöne an, als er die Macht hervorrief. Seine Stimme war jetzt lieblich. Wie das polyphone Klingen magischer Instrumente versunkener Bergquellen. „Ein Freund würde euch doch nicht schaden, mein Freund. Auch wenn ihr die Wahrheit sprächet. Was ist es Freund, wer seid ihr und was brachte euch hierhin?“ Der Fremde beruhigte sich und nickte. Er starrte wie hypnotisiert in Neires Augen. „Mein Name ist Kadrin und ich bin aus Aschwind geflohen. Oder dem, was von Aschwind noch übrig ist. Als Teil der Miliz sollte ich kämpfen, sollte gehorchen. Doch das wäre der sichere Tod gewesen. Alle, die losgeschickt wurden, starben. Sagt Freund, habe ich mich schuldig gemacht? Werden die Götter mich bestrafen für meinen Frevel?“ Neire sah, wie an Kadrins Wange eine Träne hinabrollte. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken zurück und lächelte dem Burschen zu. „Ihr habt richtig gehandelt Kadrin. Nur die Arglosen klammern sich an Gesetze. Sie werden vergehen und ihr werdet leben. Die Göttin von Flamme und Düsternis lächelt euch zu. Jetzt… in diesem Augenblick.“ Kadrins Miene hellte sich auf und nur kurz hatte Neire das Bild des Söldners Halbohr vor Augen. Wie er blutend, dem Tode nah, in einem Haufen Gebeine lag. Der Vertrag hatte so schön gebrannt damals - gebrannt im strömenden Regen. Und wo war Halbohr jetzt? Hatte ihn seine Göttin Jiarlirae nicht reichlich beschenkt?

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Die Wände des Gemachs waren beschaffen aus Holz. Lange Zeit in Gebrauch und speckig glänzend. Ein Kaminfeuer brachte wohlige Wärme. An den Wänden waren Bücher und Bilder zu sehen. Bilder von Landschaften, aber auch religiöse Motive – Himmel und Hölle, Menschen im Fegefeuer. Eine Gestalt hatte ihnen den Rücken zugekehrt und blickte auf einen massiven Tisch. Dort war eine Karte ausgebreitet und einfache, grob-geschnitzte Holzfiguren waren zu sehen. Größere und kleinere. Der Mann bewegte gerade eine der Figuren, hatte ihr Eindringen aber bemerkt und erhob sein Wort. „Wen bringt ihr mir Randos? Wer wagt es mich zu stören?“ Der ältere Mann, der sie hier hineingeführt hatte, zog seine Augenbraunen hoch. Er hatte bräunliches kurzes Haar und ehrliche, pflichtbewusste Augen. Über seinem Kettenhemd trug er ein Amulett, das ein Auge darstellte. Neire hatte dieses Auge als Symbol des Schutzgottes identifiziert. Die Stimme des Mannes zitterte, als er antwortete. War es Demut, war es Furcht? Nein, es war etwas anderes. Etwas, das Neire nicht identifizieren konnte. „Sie sind gekommen um zu kämpfen, Laschtorn. Sie sagten, sie haben eure Botschaft gelesen.“ Die Gestalt am Tisch drehte sich jetzt um und Neire sah einen jungen Mann vor sich. Ein süßlicher Blumenduft ging von ihm aus und er hatte sich das schwarze, lange Haar mit Fett zurückgekämmt. Neire betrachtete zudem die dunkle, prunkvolle Robe, die hier und dort mit Gold verziert war. „Seht ihr Randos, ich habe es euch doch gesagt. Wir verteilen die Botschaften auf dem Pergament und sie werden kommen.“ Laschtorn blickte sie nicht an, als er sprach. Er nickte Randos zu und drehte sich dann wieder um. „Ihr könnt gehen Randos. Falls sie Fragen haben… Nun, Algorthas, tut etwas Vernünftiges und kümmert ihr euch um sie. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.“ Neire mochte den Mann nicht, der sie nicht beachtete. Doch irgendwie belustigte Laschtorn ihn auch. Es war, als ob seine Autorität nur gespielt war. Als ob sie alle hier wussten, dass er sie ins Verderben führen würde. Aus einem weiteren Flügel des Raumes näherte sich schlurfend eine dritte Gestalt. Der ältere Mann war dicklich, hatte graues, lichtes Haar und war gekleidet in einfachen, grauen Stoff. Er kam Neire fast etwas verängstigt vor, als er, etwas leiser, zu ihnen sprach. „Nun Fremde, mein Name ist Algorthas. Ich werde euch berichten… was hier in der letzten Zeit vorgefallen ist. Doch lasst mich euch fragen. Wer seid ihr und woher kommt ihr?“ Bei dieser Frage dachte Neire zurück an ihre Reise. Sie waren etwa einen und einen halben Tag unterwegs gewesen. Kadrin hatte sie geführt. Er hatte ihnen von einer Sphäre der Dunkelheit berichtet, die sich vor kurzem über Aschwind gelegt hatte. Sie hatten sich daraufhin entschieden dorthin zu reisen. Lange hatten sie sich unterhalten über diese Sphäre. Dann hatten sie die Dunkelheit als Zeichen von - oder als Frevel an - ihrer Göttin gewertet. Die Reise durch dieses grasige, teils felsige, Hügelland war ereignislos geblieben. An einem kleinen See hatten sie gerastet und an einem Lagerfeuer Geschichten mit Kadrin ausgetauscht. Bargh hatte Kadrin schließlich das wertvolle Langschwert anvertraut, dass sie auf ihrer Reise durch das Herzogtum Berghof erbeutet hatten. Dann, als sie Aschwind immer nähergekommen waren, hatten sie die Sphäre gesehen, die wie ein schwarzer Schatten die Stadt verschluckt hatte. Die Sphäre hatte nicht die gesamte Stadtmauer verschluckt und in der Nähe einiger vorgelagerter Gehöfte waren ihnen Wachen begegnet, die sie dann in dieses alte Bauernhaus geführt hatten. Neire war in Gedanken versunken, als er Bargh antworten hörte. „Wir sind von weit her. Sind durch Wiesenbrück gekommen und haben im Zeltlager der Flüchtlinge die Botschaft gefunden. Ich bin Bargh und das ist Neire und Zussa.“ Neire nickte instinktiv mit dem Kopf als er seinen Namen hörte, doch Algorthas begann bereits zu erzählen: „Ja, wo soll ich anfangen. Vor langer, langer Zeit war… nein so viel Zeit haben wir auch nicht. Nun, lasst es mich so sagen. Schon immer gab es die Brutstätten der Riesen. Sie waren schon immer im Jotenwall und in den Kristallnebelbergen. Hier und dort haben sie mal ein Gehöft überfallen. Doch die meisten Angriffe konnten wir abwehren. Aschwind war stolz auf seine Soldaten der Grenzwacht. Die Bauern klagten mal über verlorenes Vieh. Und sehr selten, so bedauerlich es auch war, starb mal ein Mensch. Doch das war selten. Vor 10 Tagen… nein es waren doch eher 14 Tage… nein, jetzt erinnere ich mich. Es war vor 15 Tagen. Da fing es an. Die Riesen haben sich zusammengetan. Aus dem Jotenwall und aus den Kristallnebelbergen. Der Ort Lastweg wurde grausam überfallen und wir hörten auch von einem Überfall auf Wiesenbrück. Auf der anderen Seite der Berge… ja, dort wo ihr hergekommen seid. Die Angriffe wurden immer stärker und wir hatten sie unterschätzt.“ Neire sah, dass Algorthas näherkam und noch leiser wurde. „Wir jagen jetzt hinter ihnen her. Doch wenn ihr mich fragt… es ist das Todesurteil für die Milizen. Einfache Leute, nicht alles Soldaten… Vor zwei Nächten kam dann dieses Gebilde aus Dunkelheit. Es legte sich plötzlich über Aschwind. Als ob es schon immer dagewesen wäre. Nichts kann dort heraus, noch hinein. Wir haben alles versucht. Waffengewalt und magische Künste. Nichts half. Es ist wie verflucht.“ Neire betrachtete den Mann, der Angst vor Laschtorn zu haben schien. Doch er spürte auch das Mißtrauen, das Algorthas in die Fähigkeiten seines Führers hatte. Wie wohl das Schicksal sich diesem schwachen Menschen offenbaren würde?

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Barghs Atem ging ruckhaft. Sein Herz klopfte. Immer und immer wieder sprach er den kleinen Spruchreim an seine Herrin. Er lehnte an der gewaltigen Holztüre, die auf der Rückseite des großen Gebäudekomplexes lag. Inmitten einer Lichtung des dichten Waldes war das trutzige Gebäude wie eine Wohnburg errichtet. Es bestand aus einfachen, schweren Baumstämmen. Ein Hauptgebäude und ein Anbau. Mehrere Schrägdächer. Dort ragte auch ein Turm heraus, der im oberen Teil zu allen Seiten offen war. Der Nieselregen hatte nicht nachgelassen und die Wiese der Lichtung war in ein Zwielicht gehüllt. Alles glitzerte nass, im matten Schimmer. Bargh zuckte auf, als er das Brüllen aus dem Inneren hörte. Schon von weiter weg hatten sie bemerkt, dass Rauch aus dem Gebäude aufstieg. Er dachte zurück an ihren Schwur an Jiarlirae. An ihre letzten Gebete am Lagerfeuer. Nach einer kurzen Verhandlung mit Laschtorn, waren sie aufgebrochen. Bargh war zwar der Meinung, dass Neire sich für ihre Dienste übers Ohr hatte hauen lassen. - Das Kind der Flamme hatte zu schnell zugesagt, als ihnen Laschtorn versprochen hatte, sie dürften die Schätze behalten, die sie bei den Riesen finden würden. Ein Krieger in Fürstenbad, wäre belohnt worden für seine Taten. - Doch in Fürstenbad war Bargh schon lange nicht mehr gewesen und eigentlich war es ihm auch egal. Was waren schon Gold und Edelsteine, wenn er die Gunst von Jiarlirae hatte. Und er hatte Glimringshert, das sich in seine Hand schmiegte. Die schwarze Klinge, die in den Schatten zu ihm flüsterte. Sie hatten Aschwind danach verlassen und waren über eine Brücke in Richtung Jotenwall aufgebrochen. Immer höher waren sie in die Berge gekommen. Eine weitere Nacht war ereignislos geblieben. Nur der Nieselregen hatte nicht nachgelassen. Dann hatte Bargh Spuren gefunden. Sie waren den großen Abdrücken von Stiefeln gefolgt, die sie tiefer und tiefer in einen verlassenen Landstrich geführt hatten. Zuletzt waren sie im dichten Nebel und Nieselregen gewandert. Die Luft war immer kälter geworden. So waren sie schließlich an einen Tannenwald gelangt, in dem die Spuren verschwanden. Hier und dort waren einige Bäume umgeknickt und so war es ihnen ein Leichtes gewesen, die Lichtung zu finden. Bargh holte ein letztes Mal tief Luft. Er hatte die Augenbinde abgelegt und blickte in die Gesichter von Neire, Zussa und Kadrin. Dann stieß er langsam den Atem aus, der in der kühlen Gebirgsluft kondensierte.
Titel: Sitzung 64 - Feste des Nomrus
Beitrag von: Jenseher am 20.05.2023 | 11:05
Sie hatten den düsteren Tannenwald verlassen. Nieselregen strömte beharrlich auf sie hinab. Mit den anhaltenden Schleiern von Nässe hatte sich eine Kälte verbreitet, die nach Gebirgsluft, Wald und Schlamm roch. Sie waren immer wieder im Morast eingesunken, als sie sich vom Waldrand über die Lichtung zur hölzernen Feste geschlichen hatten. Je näher sie kamen, desto offensichtlicher wurde die chaotische Bauweise, der aus groben Baumstämmen errichteten Trutzburg, aus deren Innerem eine Vielzahl von Schornsteinen schwarzen Rauch spien. Sie waren sich sicher, dass sie noch keiner bemerkt hatte. Vor dem großen hölzernen Portal hatten sie einen Moment innegehalten und leise einige Gebete an Jiarlirae gesprochen. Neire und Bargh hatten ihre Masken hervorgeholt und ihre nassen Gesichter mit den verzierten Überdeckungen versehen. Neire hatte dann wieder seine Kapuze übergestreift und war, im Zwielicht des wolkenverhangenen Himmels des späten Nachmittages, nicht mehr zu sehen gewesen. Jetzt hörten sie das Knirschen von Stein, das Arbeiten von Holz. Bargh stemmte sich gegen das Portal, das sich langsam zu bewegen begann. Trotz seiner übermenschlichen Größe von zweieinhalb Schritt, musste er nach oben fassen, um den Querbalken zu erreichen, über den sich dieses Tor öffnen ließ. Durch den breiter werdenden Spalt offenbarte sich ihnen der Blick auf einen, von tiefen Matschfurchen durchwühlten, Innenhof. Der Gestank von nassem Hundefell und von Exkrementen war zu erriechen und sie sahen die großen Wolfshunde, die sie längst gewittert hatten. Die monströsen Tiere waren an eiserne Ketten gefesselt. Sie begannen sich gerade aufzurichten und kamen, knurrend und in einer raubtierhaften Drohhaltung, auf sie zu. Neire sah, dass die Ketten einen großen Bewegungsradius erlaubten und zischelte hastig Worte zu Kadrin: „Tut das Kadrin, was ein Freund für einen Freund tun würde. Beschützt mich und tötet sie. Kämpft für Jiarlirae.“ Noch bevor Bargh von dem Tor abließ und obwohl Kadrin Neire nicht sehen konnte, baute sich der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren im Eingang auf und erhob sein Schwert. Die Angst war im deutlich anzusehen, doch grimmig flüsterte der Fahnenflüchtige hinter sich. „Ein Freund hilft einem Freund und ich werde euch beschützen Neire.“ Raubtierhaft rückten die Wolfshunde näher, die von ihrer Größe Zussa fast überragten. Sie hatten Bargh als Ziel ausgemacht und versuchten den Krieger Jiarliraes zu umkreisen. Plötzlich war da das peitschenartige Knallen einer Entladung von Blitzen. Die Luft flimmerte augenblicklich. Vier der Wolfshunde wurden dahingerafft. Ein fünfter jaulte auf und wich zurück. Jetzt schnellten die zirkelnden Tiere nach vorne und suchten den Angriff. Bargh stieß Glimringshert, seine schwarze, schattenblutende Klinge in Richtung der Wolfshunde und tötete mehrere der Kreaturen. Doch sie verbissen sich in seiner Rüstung. Auf zwei Tiere hieb er mit dem Schild und sie ließen von ihm ab, aber eine Kreatur konnte er nicht von seinem Bein abschütteln. Bargh drohte das Gleichgewicht zu verlieren und die anderen Kreaturen witterten ihre Chance. Dann sahen sie die Speere aus purem Feuer, die die Wolfshunde durchdrangen. Die dürre Gestalt von Zussa hatte die infernalische Macht Jiarliraes kanalisiert und ihr liebliches Gesicht, umrahmt von roten, nassen Locken, war, in des Feuers Schein, verzerrt zu sehen – wie von einer Mischung aus kaltem Schmerz und glücklicher Ekstase. Das Momentum wechselte die Seite und auch Kadrin durchbohrte eines der Wesen mit dem ihm vermachten Langschwert. Sie waren sich alle bereits siegessicher, als sie die warnende Stimme von Zussa hörten. „Dort, die Türe, von rechts. Da kommt etwas. Hört ihr nicht die dumpfen Schritte?“ Sie kämpften weiter gegen die verbleibenden Wolfshunde und achteten jetzt auf die Türe. Die Schritte wurden lauter und lauter und mit einem Mal flog die Türe auf. Es gab ein tiefes, knallendes Geräusch, als Holz auf Holz prallte. Im matten Schimmer von Feuerlicht eines sich dahinter auftuenden Gemachs, sahen sie eine grässliche Gestalt hervortreten. Das Monstrum erinnerte an einen Menschen, war jedoch dreimal so groß wie Neire und besaß einen missratenen Kopf. Eingefallene Augen glotzten dümmlich aus einem rundlichen Gesicht, dessen Hässlichkeit von einer platten Nase bestärkt wurde. Glattes, langes Haar, das hier und dort mal dicker und dünner war, hatte sich der Riese mit Fett nach hinten gestrichen. Er war gekleidet in große, zusammengenähte Lumpen aus gräulich-schwärzlichem Stoff und trug in der rechten Hand eine riesige lederne Peitsche. Als die Gestalt hervortrat, fingen die Wolfhunde an zu heulen, zogen ihre Schwänze ein und wichen zurück. Sie wendeten sich in Ehrfurcht dem Riesen zu und wurden von Bargh und Kadrin niedergemacht. Der Riese erhob jetzt seine Peitsche und ging in den Angriff über. Zussa und Neire hatten diesen Moment erahnt. Die Luft wurde von arkanen Mächten durchschnitten, die durch den Körper der abscheulichen Kreatur fuhren. Die Gewalt war gleichzeitig und so vernichtend, dass die Kreatur ohne einen Schmerzenslaut zusammensackte und mit ihrem hässlichen Gesicht voran in den Schlamm fiel. Hinter der jetzt geöffneten Türe hörten sie erstaunte Laute. Etwas heller als die der peitschenschwingenden Kreatur, aber grotesk und dümmlich.

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Kadrin dachte an seinen neuen Freund. An die lieblichen gold-blonden Locken und das unschuldige, blasse Gesicht des Knaben. Er dachte an die Verheißung von Macht, die Neire ihm versprochen hatte. An die Verheißung von Feuer und Dunkelheit, die er so gerne kosten wollte. Er musste Neire beschützen. Er wusste, dass sein Freund schwach war und seine Hilfe brauchte. Aber er wollte sich auch beweisen. Wollte vergessen machen, was für ein Unheil er über seine Sippe und sein Volk gebracht hatte, als er den Grafen verriet. Also war er in den Raum hineingestürmt, aus dem die peitschenschwingende Gestalt hervorgekommen war. Durch das krude Portal. So klein war er sich vorgekommen. Wie eine menschliche Ameise, die in die Behausung größerer Wesen eindringt. Und da waren sie gewesen. Die sechs Weiber des Peitschenschwingers. Ihre Hässlichkeit war fast noch größer, als die ihres einstigen Beschützers. Sie standen auf dicken, stämmigen Beinen. Überragten ihn um mehr als das Doppelte. Unförmige, fette Brüste hingen hinab und bewegten sich obszön in ihrem schwachsinnigen Reigen. Dünnere, lange Arme fuchtelten einfältig, gestikulierend. Es kam ihm fast vor, als würden sie tanzen, in ihrer primitiven, ungeschickten Art oder war es nur ein angetrunkenes Torkeln? Doch sie grunzten und schwankten, in ihrer dümmlichen Unterhaltung – fast wie die Schwachsinnigen, denen sie damals in Aschwind Met gegeben hatten und sie zum Tanz angestachelt hatten. Ihr langes Haar glänzte schwarz über ihrer fettigen Haut. Und sie beachteten ihn nicht, standen zusammen und tuschelten. Kadrin schlich sich an dem Berg von Lumpen vorbei, der in der Mitte des Raumes aufgetürmt war. Waren das die Kleider seines Volkes. Die Kleider derer, die diese einfältigen Bastarde geraubt hatten? Das Licht eines gewaltigen Kamins hüllte das Gemach in lange Schatten. Er konnte einfache Strohlager sehen, die der Größe dieser Kreaturen nach geformt waren. Er sah seine Gelegenheit. Vor ihm war das Bein einer Riesin zu sehen. Dicker als sein Oberkörper. Das Schwert, das ihm Neire geschenkt hatte, war so leicht und kostbar. Er würde dem Kind der Flamme auf ewig dankbar sein. Von hinten hörte er die gezischelten Laute. „Jetzt, Kadrin. Tötet sie. Tötet sie für Jiarlirae. Tötet sie, beweist euch als IHR Krieger.“ Die Worte seines Freundes schenkten ihm Zuversicht. Er nahm das Schwert und stach zu. Blut quoll aus dem Bein und er hörte ein Grunzen. Dann wendeten sich die Dinge gegen ihn. Er wollte fliehen, als sich die Gestalt zu ihm umdrehte. Sie hatte eine blutende Fleischwunde am Bein, doch sie war nicht tot. Sie war weit vom Tode entfernt. Sie schlug nach ihm. Doch sie schlug nicht so, wie man nach einem Gegner schlug. Er kam sich vor wie eine lästige Fliege, nach der geschlagen wurde. Als die Hand ihn traf, hörte er seine Rippen knacken und er stürzte fast zu Boden. Ihm blieb die Luft weg und er hustete. Doch er kämpfte weiter. Er musste sie töten für seinen Freund, für Neire; er konnte nicht anders. Einen weiteren Stich konnte er in seiner Verzweiflung verbringen. Tief in den Unterleib, dieses widerlich nach Schweiß, Urin und Fäkalien stinkenden Geschöpfes. Dann waren sie über ihm. Die anderen Riesinnen hatten sich aus ihrem Gespräch gelöst. Sie hatten ihn umringt. Er spürte die Brutalität der Schläge. Hörte seine Knochen brechen. Als er zu Boden fiel, sah er, dass sein linkes Ellbogengelenk zertrümmert war und die Spitze eines gebrochenen Knochens dort - blutrot - hervorkam. Ihm wurde schwarz vor Augen. Der nächste Schlag kam bestimmt. Er dachte an seine gütige Mutter und an seinen ehrwürdigen Vater. Wo sie wohl waren. In der Dunkelheit von Aschwind? Dann dachte er ein Neire. An das Lächeln des Jünglings. Wie das Kind der Flamme ihm die Gedanken an den Selbstmord genommen hatte. Den Verrat an seinem Volk, an seinen Eltern, hatte vergessen lassen. Er sah ein brennendes und ein dunkles Auge vor einem purpurnen Abendhimmel. Es musste Jiarlirae sein, die Schwertherrscherin, von der Neire immer gesprochen hatte. Sie würde ihn erlösen. Dunkelheit war um Kadrin und er hörte nicht mehr das scheußliche Knacken seines Genicks, das der nächste Schlag der groben, übergroßen Hand brach.

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„Vielleicht waren es nicht die Weiber des Peitschenschwingers. Vielleicht gehören sie Nomrus und es ist nur eine Frage der Zeit bis er kommt, um sie zu begatten.“ Bargh schaute sie bei diesen Worten an. Unter seiner Drachenmaske konnte sie jedoch nur Gesichtszüge erahnen; war dort ein Grinsen zu sehen? Zussa dachte zurück an ihre Zeit in den Küstenlanden. Als sie noch bei ihren Eltern im Dorf gelebt hatte. Natürlich hatte sie gesehen, wie sich die Pferde begattet hatten. Sie versuchte das Bild nicht auf die Riesen zu übertragen, doch es war bereits in ihrem Kopf entstanden. Die Vorstellung widerte sie an, doch sie wurde das Bild auch nicht mehr los. Sie spie auf den Boden, um nicht zu grinsen und antwortete Bargh. „Igitt, welch‘ Vorstellung… Wieso müsst ihr immer an solche Schweinereien denken, Bargh.“ Auch Neires Lachen war nun irgendwo in der Dunkelheit zu hören. Es war schon eine merkwürdige Situation, dachte sie sich. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper und um sie herum war nur Blut und Tod. Doch sie mochte diese Art des Humors. Sie mochte die Entfesselung ihrer tödlichen Gewalt. Sie mochte es, wenn ihre Gegner in den von ihr beschworenen Flammen der hohen Herrin starben. Wenn sie so schön schrien im infernalischen Feuer. Es war wie ein Rausch, aus dem sie sich nur schwer lösen konnte. Sie erinnerte sich zurück. Als sie den Tempel von Torm zerstört hatte. Sie dachte an Grausud und Wein, an die Farben des brennenden Steins und an Neires Tanz im Morgengrauen. Damals hatte sie noch nicht umgehen können, mit ihren Gefühlen. Doch jetzt war es ihr klar. Schon auf der Insel hatte sie es genossen. Sie hatte Neire und Bargh bewundert. Zussa legte die Gedanken ab und sah sich um im Gemach. Der Geruch von Suppe und Gewürzen war in der Luft. Um sie herum lagen teils verbrannte, aufgeschnittene Leichen. Sie hatten zuerst die sechs Riesinnen des Peitschenschwinger niedergemacht. Kadrins Körper hatten sie liegengelassen; nur Bargh hatte das an Kadrin verliehene Langschwert wieder aufgehoben und verstaut. Zussa hatte Kadrin nicht gemocht. Sie hatte darüber nachgedacht ihn zu töten, doch das hätte Neire bestimmt nicht gefallen. Wie konnte ein solch einfacher Krieger die Gunst von Jiarlirae erlangen. Er hatte versagt und Zussa hatte sich mit Genugtuung über seine Leiche gebeugt und einen Witz gemacht. Dann hatten sie sich an die weitere Durchsuchung der Gemächer gemacht. Sie waren auf eine Kammer gestoßen, aus der ein bestialischer Gestank von Eiter, Urin und Fäkalien hervorkam. Zwei geschändete Kreaturen hatten dort gelegen, die wulstige Gesichtszüge und Hauer von Eckzähnen hatten. Zussa hatte sich vor dem Gemach geekelt, doch Neire und Bargh waren hineingeschritten. Neire verstand anscheinend die Sprache der Kreaturen und hatte herausgefunden, dass es Sklaven eines Nomrus waren. Sie hatten Neire gesagt, dass er stark sei – stark wie sie selbst. Ihre Stärke hatte Neire dann auf die Probe gestellt, indem er seinen Degen langsam in das Herz der Kreaturen gebohrt hatte. Danach waren sie in die Hallen der Nahrungszubereitung gelangt. Hier hatte es ein Gemetzel gegeben, als sich, die, von den anwesenden Riesinnen aufgehetzten, Sklaven gegen sie gestellt hatten. Es waren die Kreaturen, die sie zuvor in der Kammer angetroffen hatten sowie größere Gestalten. Die größeren waren von gelblicher Haut, knollenartigen Nasen und dem Gestank von vergorenem Käse. Sie hatten sogar Bargh überragt, waren jedoch von Glimringshert niedergestreckt worden. Dann hatten sie gemeinsam auch die Riesinnen getötet, die in der Küche ihren Dienst getan hatten. Jetzt hatten sich große Blutpfützen ausgebreitet und der Boden war mit Leichen bedeckt. „Lasst uns keine weitere Zeit verlieren. Wenn sie hier ein Abendmahl vorbereitet haben, wird es wohl so sein, dass es bald auffallen wird.“ Im Zischen der Töpfe und dem Blubbern der kochenden Suppen, hörte Zussa Neires Stimme. Sie nickte und so bewegten sie sich vorsichtig zum nächsten Portal. Bargh öffnete die Tür aus Baumstämmen. Dahinter sahen sie einen breiten Gang, der fast genauso hoch wie die Halle war. In diesem Gang waren das schallende Lachen und Brüllen, das sie aus einem anderen Teil der Festung gehört hatten, nicht mehr so laut. Sie konnten keine weiteren Geräusche hören. So schlichen sie voran und erkundeten drei Schlafgemächer. Zwei der Gemächer waren einfacher, doch im dritten, nobleren Gemach bemerkte Bargh eine seltsame Fackel. Im Gegensatz zu den anderen Fackeln, war diese nicht entzündet. Sie untersuchten vorsichtig die Fackel und Bargh zog ein wertvoll glänzendes Langschwert hervor. Der Knauf stellte den Kopf eines Riesen dar, die Parierstange war wie aus stilisierten Fingern gearbeitet. Sie betrachteten die Klinge im Licht der Fackeln, die die Höhe des Gemachs nicht erhellen konnten und horchten immer wieder nach dem Lachen, dass sie durch die schweren Holzwände dröhnen hören konnten.
Titel: Sitzung 65 - Halle des Nomrus
Beitrag von: Jenseher am 27.05.2023 | 22:15
Schummriges Licht umgab Zussa, Bargh und Neire. Sie hatten die Schlafgemächer verlassen und waren den Geräuschen gefolgt, bis sie zu der doppelflügeligen Türe gekommen waren. Jetzt standen sie dort, lauschten dem hohlen, gutturalen Lachen. Stumpfes Gebrabbel wechselte sich ab mit Jubelschreien und einem obszönen Klatschen von Fleisch. Es hörte sich so an, als ob zwei übergewichtige Ringer gegeneinanderprallen würden. Zussa kam sich verloren vor. Sie starrte das krumme Portal aus Baumstämmen an, das sich über ihr erhob. Sie fühlte sich wie ein kleines Insekt, das hier nichts verloren hatte. Bei dem Gedanken zitterte sie noch mehr am Körper. Wie ein Insekt, das mit seinem feurigen Gift sticht und tötet…es kommt in den Schatten und stielt sich in ihnen davon. Dachte sie sich und versuchte ihre Angst zu verdrängen. In einem Moment von Stille konnte sie aus der Ferne das Prasseln des Regens hören, das stärker geworden war und tief-gedämpft auf das Holz der Festung trommelte. Dann vernahm sie wieder die Geräusche hinter dem Portal. Lauter als zuvor – dumpfe Rufe und dröhnendes Gelächter, freudige, stupide Lachschreie. Sie fing jetzt stärker an zu zittern. Sie trat zu Bargh, strich sich ihre feuerroten Locken aus dem Gesicht und reichte nach seiner Hand. Die Dunkelheit um den großen Krieger gab ihr Zuversicht, nahm ihr die Angst. Sie hatten bereits so viel erlebt zusammen. Sie spürte eine tiefe Zuneigung zu Bargh, wie die Zuneigung zu einem größeren Bruder. Die Art von Zuneigung, die sie für ihren eigenen Bruder nie gehabt hatte. Oder waren da doch andere Gefühle? Der Panzerhandschuh von Bargh war kalt und schwer und sie begann zu flüstern. „Bargh, ich habe mich jetzt vollends unserer Göttin zugewandt. Mein Leben gebe ich in ihre Hand, in Flamme und Düsternis. Ich glaube, ich kann ihren Segen fühlen.“ Bargh lächelte, als er von oben auf sie hinabblickte. Sie spürte jedenfalls, dass er es tat, als sie hinaufsah. Die Maske von grünlichen Drachenschuppen hatte der heilige Krieger über sein Gesicht zogen. Dort glühte der schwarze Obsidianstein rötlich, der den Rubin seines rechten Auges überdeckt. „Ich habe es gesehen Zussa, mit meinem wahren Auge. Ihr habt euch ihr zugewandt und sie wird euch nicht fallenlassen. Doch jetzt müssen wir töten, müssen unwertes Blut vergießen, müssen morden in ihrem Namen.“ Bargh drückte ihre Hand und beugte seinen Kopf zu ihr hinab. Die Klinge Glimringshert vergoss Tränen aus Schatten, die sie wie sanfter Rauch umhüllten. So standen sie dort und der Augenblick hatte etwas Magisches. Bargh hob bei seinen Worten das heilige Schwert, als ob er dem Gesagten stärkeren Ausdruck verleihen wollte. Zussa antwortete: „Aber Jiarlirae, sie ist so fern. Zumindest jetzt. Ich spüre sie, doch sie ist… sie ist weit weg; wie hinter einer dicken, steinernen Wand.“ In diesem Moment sah Zussa Neire aus den Schatten hervortreten. Das Kind der Flamme zog den Schleier des Tarnmantels zurück und offenbarte sein wohlgeformtes, lächelndes Gesicht. Neire trat auf sie zu und legte seine linke, grausam verbrannte Hand auf die ihre und die von Bargh. Seine gold-blonden Locken fielen zurück, als er zu Bargh aufblickte. Doch es war Bargh der ihr antwortete. „Zussa, es war nicht anders bei mir. Die Suche war lang, seitdem ich Neire traf. Seitdem er mich aus der Schattenmark zurückholte, das Wunder Jiarliraes vollbrachte. Doch die Herrin, sie antwortete mir. Und sie führte mich zu Glimringshert, dessen Flamme und Düsternis nun durch mich spricht. Damals hörte ich ihre Antwort und es war, als ob die Klinge schon immer bei mir war – ein Teil von mir war.“ Zussa fühlte die Tiefe, die Ehrlichkeit, die in diesen Worten war. Doch es waren diese Worte, die sie doch so gerne selbst sprechen wollte. Diese innige Verbundenheit im Geiste, die sie spürte. Als ob Neire ihre Gedanken gelesen hätte, hörte sie ihn zischeln. „Seit ich von euch fort war, habe ich nur an euch beide gedacht. Ich habe für euch gebetet, habe nach euch gesehnt. Ähnlich wie ihr, Zussa, habe ich sonst nichts, musste aus Nebelheim fliehen. Es waren sogar viel schlimmere Dinge, die ich tun musste. Schlimmere Dinge als die, die ihr in eurem Dorf tatet. Doch Seht! Jetzt sind wir alle drei vereint. Wir sollten uns freuen, sollten frohlocken und beten, die alten Verse aus Nebelheim. Ich öffnete euch die Augen Zussa, so wie ich es bei Bargh tat und ich sage euch, Jiarlirae wird bei euch sein. Es wird nur Jiarlirae und uns geben.“ Zussa lächelte jetzt. Sie vergaß für einen Moment die Angst und starrte gefesselt in Neires rötlich glühende Augen. Sie mochte es, wenn er zu ihnen – zu ihr sprach. Er war so abwesend gewesen, in jüngerer Zeit. Und Neire konnte so herablassend sein, zu Bargh, wie auch zu ihr. Doch in diesem Moment war das nicht so. Die Verbundenheit war inniger als je zuvor. Als ob sie jetzt die Gedanken ihrer Mitstreiter lesen konnte, zog sie den magischen Stecken hervor und deutete auf das Portal. Bargh und Neire lösten die Umklammerung der Hände und sie flüsterte ihnen zu, einstimmend in Neires zischelndes Gebet: „Ich habe jetzt keine Angst mehr. Unsere Aufgabe ist heilig, doch die Schwertherrscherin, die Königin von Feuer und Dunkelheit verlangt es. Jiarlirae wird bei uns sein; wird uns leiten.“ Sie sprachen zu dritt und im Chor, als Bargh begann das Portal zu öffnen. „Also preiset die Menschenschlange des wahren Blutes, sie, die vorbereitet wird für den Abstieg, sie, die eins ist mit dem Verfall, mit dem Chaos,…“ Zussa hörte weitere Worte nicht, die Neire vorbetete. Bargh drückte langsam einen Flügel des kruden Portals auf und Licht strömte ihr entgegen. Da war auch das Gewirr von Stimmen, Schreien und Rufen. Lichter einer Feuerschale und unzähliger Fackeln, vermochten nicht die Größe der Halle zu erhellen, die sich vor ihr auftat. Der Geruch von gebratenem Fleisch, Feuerrauch, Schweiß und Alkohol war so penetrant, dass sie einen Würgereiz unterdrücken musste. Zudem meinte sie, Exkremente und Urin zu riechen. Sie begann gerade Einzelheiten der Halle wahrzunehmen, deren gegenüberliegende Seite bestimmt vier Dutzend Schritt entfernt war, da hörte sie wieder dieses Klatschen von inertem Fett und kräftigen Fleischmassen, die mit einer rohen, urtümlichen Wucht aufeinanderprallten. Der Lärm war für einen Augenblick ohrenbetäubend, gefolgt von einem Gejohle und gutturalem, nicht ersticken wollendem Lachen. Im rötlich-glühenden Licht der Feuerschale kämpften zwei missratene, über vier Schritte große, Gestalten gegeneinander. Rundliche Köpfe, die von platten Nasen, einer fliehenden Stirn und kleinen, schwarzen, boshaften Augen gekennzeichnet waren. Eine der beiden Kreaturen hatte der anderen eine Ohrfeige mit ihrer flachen Pranke gegeben, die ihren Kontrahenten zum Torkeln brachte, jedoch jeden Kopf eines Menschen augenblicklich zertrümmert hätte. Das Lachen kam hauptsächlich aus der Richtung eines primitiven Thrones, der durch rötliche Stofffetzen in lächerlicher Weise geschmückt war. Auf diesem Thron saß eine fleischige Gestalt, von gewaltigem Wanst. Dies konnte nur Nomrus, der Anführer die Feste sein. Er ruhte behäbig auf seinem Thron aus Baumstämmen und seine Fettschürzen quollen über die Lehnen zu Boden. Nomrus war noch hässlicher, als es seine Untertanen waren. Von haarlosem Schädel, sonnengebräunter Haut, war eine lange Narbe über seiner Brust zu erkennen. Gekleidet war er in ein Fell und er trug eine goldene Kette, die er sich unsymmetrisch und stümperhaft um seine Brust gewickelt hatte. In seinem Lachen begannen sich die trägen Fettmassen zu bewegen. Nomrus‘ Blick wich jetzt von den Kämpfenden und er starrte zur Feuerschale, wo gelbhäutige Dienerkreaturen, der Größe von Bargh, protzige Spieße mit ganzen Rindern drehten. Nomrus war nicht allein. Am Tisch vor dem Thron hatten sich Kreaturen versammelt, die nicht von seiner Rasse waren. Dort saßen drei Riesen, größer als Nomrus. Von steingrauer Haut, drahtig und haarlos. Sie betrachteten den Kampf mit einer Mischung aus Langeweile und Skepsis. Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte auch ein vierter Riese, der vielleicht größte, der hier anwesenden Gestalten. Aufgerichtet musste er wohl sechs bis sieben Schritte groß sein. Er war muskulös, von weißer, matter Haut und mit langen, rötlich schimmernden Haaren und Bart. An seinem Tisch hatte er einen Morgenstern gelehnt, dessen Kugel Zussa fast bis zum Bauch reichte. Jedoch waren das nicht alle der Riesen, die sich hier versammelt hatten. Zur rechten Seite der Halle sah Zussa weitere Bänke und Tische, an denen diese verabscheuenswürdigen Kreaturen von Nomrus‘ Blute saßen. Sie erkannte neben weiteren Dienerkreaturen auch einen Bären, der wohl durch ein Halsband mit langen eisernen Stacheln gebändigt wurde. Zudem hing hinter dem Anführer eine riesige Armbrust an der Wand, die einst als Balliste eingesetzt worden war. Als Bargh die Tür aufgestoßen hatte, überschlugen sich die Dinge. Die Dunkelheit, die um Bargh und sein Schwert war, verdrängte das schwache Licht der ersten Fackeln im Türbereich. Dennoch bemerkte sie einer der gelbhäutigen Oger, der Nomrus gerade einen Krug Bier, in der Größe eines kleinen Waschzubers brachte. Er hielt einen Moment inne und blickte in ihre Richtung. Zussas Herz raste jetzt, sie dachte an die Flucht. Doch da waren die Worte von Neire und Bargh, die Gebete, die in ihrem Kopf nachhallten. Sie bemerkte fast nicht den Schatten von Neire, der sich ein kleines Stück in den Raum bewegte und erste Beschwörungsformeln anstimmte. So schwach und verloren war seine Stimme, im Vergleich zum Lärm der rohen Gewalt, dem niederen Gelage, das sie hier sah. Doch dann war da die Stimme von Bargh. Er begann einen tiefen Choral zu singen, einen Choral vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes. Die Schatten um sie herum begannen zu tanzen und gaben ihr Mut. Gerade machte Zussa einige Schritte nach vorne, da sah sie den kleinen glühenden Funken, der sich wie eine Träne auf den Thron hinzubewegte. Dann zerriss die Explosion von Magmafarben die Luft. Der Thron mitsamt Nomrus, des Ogers und den Riesen, die hier nicht hingehörten, wurde in Flammen gehüllt. Eine Druckwelle riss sie fast von den Beinen. Sie erhob ihren Stecken und beschwor die Blitze, die sich augenblicklich und mit dem Knallen eines Donnerschlags, entluden. Die drei brennenden grauen Riesen raffte die Woge von Macht dahin. Nomrus wurde fast von seinem Thron geschleudert und der Kopf des Ogers knallte leblos und schwarz verbrannt auf die Tischplatte. Innerlich jubelte Zussa. Dann richtete sich der von Brandblasen bedeckte rothaarige Riese auf, nahm seinen Morgenstern und kam auf sie zu. Sie wollte zurücklaufen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. Sie konnte den Kopf des Angreifers nicht sehen, so groß war er. Als die Kugel sie erfasste, hörte sie ihre Rippen knacken und sie wurde, von der Gewalt des Schlages, gegen den geöffneten Portalflügel geschleudert. Sie bekam keine Luft, sie wollte atmen. Da waren Schmerzen und sie hustete Blut. Und da war dieses verdammte Geschöpf, das nicht sterben wollte, in denen von ihr und Neire entfesselten Mächten. Die Kreatur thronte über ihr und erhob unbarmherzig ihren ungeheuren Morgenstern.

Bargh sah den Körper von Zussa gegen den Türflügel schmettern. Im Lärm des Chaos, seiner Gebete und der jetzt einsetzenden Schreie, vernahm er kein Geräusch. Für einen Moment glaubte er Zussa wäre tot. Dann sah er, wie sie sich mühevoll erhob, Blut hustete und wie Tränen aus ihren Augen liefen. Er musste handeln. Die Göttin war mit ihm und Wut und Zorn fraßen sich in seinen Geist, wie loderndes Feuer. Bargh hob sein Schild, machte einen Schritt nach vorn und führte Glimringshert mit tödlicher Präzision. Der Angreifer mit dem Morgenstern hatte Zussa fixiert und so war seine Flanke offen. Das Schwert, das Schatten blutete, fraß sich in den Unterleib der Kreatur und aus der Düsternis der Klinge erwuchs Feuer. Flammen, die die Gedärme des Riesen verbrannte. Das Schwert drang tief in die Seite, fast bis zur Wirbelsäule. Mit hasserfüllten Augen musterte ihn das Wesen, dessen Lebenswille bereits schwand. Wie ein stattlicher Baum in Wanken gerät, fiel die Kreatur, gefällt durch Flamme und Düsternis. Jetzt hörte Bargh wieder Schreie und Rufe. „Zussa zurück… kommt zu mir“, rief Neire hinter ihm. Vor ihm war Chaos ausgebrochen. Nomrus, von grauenvollen Brandwunden bedeckt, gellte dumpfe Befehle. Der Anführer hatte bereits nach der Balliste gegriffen und legte dort einen mannsgroßen Metallbolzen ein. Einige der Riesen hatten sich erhoben und begannen auf den Türbereich zuzulaufen. Bargh ging langsam mit Zussa zurück, deckte seine Mitstreiter mit seinem Schild und sang seinen Choral. Er war wie in einem Rausch - alle Furcht war gewichen. Alles war so langsam und doch so real. Sie kamen auf ihn zu. Einzeln oder im Gemenge. Mit stumpfem Hass in den Augen. Blitze und glühende Geschosse aus Magma zuckten an ihm vorbei und verbrannten ihr Fleisch. Er griff an und sang den Choral von Jiarlirae. Das Gebet beschützte ihn – stachelte ihn zu Heldentaten an. Glimringshert vollbrachte das blutige Werk. Und so stürzten sie hernieder: Mann für Mann - Ungeheuer für Ungeheuer. Die Leichen der fleischigen Kreaturen türmten sich, doch die Nachrückenden brachen darüber hinweg. Bargh hörte das Knacken von Knochen, sah Blut aufspritzen, als stämmige Beine niedertrampelten, was dort lag. Nachdem er die unförmige, übergewichtige Kriegerfrau getötet hatte, bemerkte er die Wut in den Augen der Anstürmenden. Bei einigen tropfte jetzt Geifer und Schaum aus den Mäulern. Doch auch sie trampelten in blindem Hass den Körper der hässlichen Kriegerprinzessin nieder. Die Riesen wurden unvorsichtiger, sie wurden von grausamer Magie verbrannt; diejenigen, die bis zu ihm kamen, tötete er mit schnellen, gezielten Angriffen. Auch der Bär war mittlerweile freigelassen und preschte, wie von einer Tollwut erfasst, heran. Bargh hieb und stach, sang sein Gebet und tötete. Seinen linken Arm konnte er mittlerweile nicht mehr spüren. Er war taub von den beiden Geschossen, die Nomrus in seine Richtung entfesselt hatte. Das Schild aus Ne’ilurum hatte standgehalten und er hatte die Flugbahn der eisernen Speere ablenken können. Dann hörte Bargh ein weiteres Mal das Bersten von Magie. Rötlich funkelnde Geschosse huschten auf Nomrus zu und explodierten in seinem Wanst - Fettschürzen wie Gedärme wurden zerfetzt. Nomrus war tot und so rangen sie auch die letzten Kreaturen nieder. Bargh jedoch sang weiter das Gebet zu seiner Göttin. Er sank auf die Knie und blickte auf den grauenvollen Haufen aus Fleisch, der sich vor ihm auftat. Hier und dort ragten lange, affenartige Arme hervor. Dumme Gesichter, mit aufgerissenen Mäulern und erstarrten Augen. Geöffnete Leiber, von denen der Geruch von schwerem Blut und frischen Exkrementen aufstieg. Es war kein Ort an dem man sein wollte, doch Bargh genoss den Augenblick. Er zog sich die blutverschmierte Maske vom Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug. Das war der Krieg. Der Krieg den er aus tiefstem Herzen liebte - total und vernichtend, wie er sich ihn immer gewünscht hatte. Er wollte nichts anderes mehr kennen. Er widmete die Verse seiner Gebete an den Henker der letzten Einöde und schloss die Augen.
Titel: Sitzung 66 - In die Tiefe
Beitrag von: Jenseher am 3.06.2023 | 14:13
Die infantile Gestalt starrte Neire mit einer Mischung aus Schrecken und Unverständnis an. Es war der größte in der Gruppe der noch jungen Abkömmlinge der Riesen. Fast instinktiv hatte er seine Hände ausgebreitet und drängte die anderen zurück. Neire erkannte, dass die teils kleineren, missratenen Bälger den Anweisungen der Gestalt Folge leisteten und sich wie eine Herde ängstlicher Lämmer in die Ecke drückten. In der Größe des Schlafgemachs machte dieses Spiel einen unwirklichen Eindruck auf Neire. Doch je genauer er sie musterte, desto mehr wurde ihm klar, dass die Gestalten in ihrer Schwachsinnigkeit kein Spiel spielten. Es war mehr wie ein instinktives Verhalten, das ihre Unterwürfigkeit zur Schau stellte und ihnen so ein Überleben sichern sollte. Neire strich sich die gold-blonden Locken zurück und lächelte das zweieinhalb Schritt große Kind an. Er beobachtete auch die anderen dieses Gezüchts genau. Sie waren bereits von seiner Körpergröße und einige überragten ihn teilweise um mehrere Köpfe. Bei den größeren und älteren Gestalten hatten sich Fettansätze gebildet. Neire konnte bei diesen Kreaturen die Ähnlichkeit zu ihren Eltern erkennen. Dünne Arme und stämmige Beine; ein rundlicher Schädel mit fliehender Stirn, platter Nase und kleinen bräunlichen Augen. Gutturale Laute und ein schwachsinniges Wimmern waren von ihnen zu hören. Es mussten auch einige weibliche Exemplare unter ihnen sein, doch Neire konnte den Unterschied nicht erkennen. Von allen ging jedoch ein penetranter Schweißgeruch aus. Ob sie wohl die überlegene Schönheit erkennen können, die ihnen gegenübergetreten ist? Was sie wohl mit mir machen würden, wenn sie nur ihre Furcht überwinden könnten? Würden sie aus Wut auf das Ästhetische, mein Gesicht zerreißen, meinen Körper schänden? Für einen Augenblick ließ Neire die Gedanken schweifen und erinnerte sich an Nebelheim. Was die Platinernen Priester mit den missratenen und missgestalteten Sklavenkindern gemacht hatten. Wie sie der Göttin geopfert wurden. Neire zeigte seine perfekten Zähne, während er lächelte und konzentrierte sich. Die Umgebung um ihn herum nahm langsam andere Farben an. In rötlichen Tönen sah er die Baumstammwände, die kleineren Nachtlager und die achtlos verteilten Stöcke und Holzplanken - von geringer handwerklicher Kunst und wie Schwerter geschnitzt. Neire versuchte die gutturale Sprache zu imitieren und brachte kehlige Rülps- und Grunzlaute hervor. „Ich Freund, gekommen als Freund… ihr folgen… große Halle. Dort Essen für euch.“ Er bemerkte ungläubiges Staunen, große aufgerissene Augen, doch der Schrecken und die Furcht wich. Neire spürte die Macht durch ihn fließen. Er blickte weiter in die Augen und vollführte freundliche Gesten dazu. Nun ließ der Größte der Riesenbrut die Arme sinken und lächelte ihm zu. In seinem, von einem Unterbiss geprägten, Gesicht offenbarten sich grobe, stumpfe Zähne, die bereits Ansätze von Fäulnis zeigten. Dann löste sich eine kleinere Gestalt und kam auf ihn zu. Der Gang der Kreatur, die fast genauso groß wie Neire war, sah noch stolpernd und unbeholfen aus. Fast wie ein Kind, das gerade erst gelernt hatte zu laufen. Die Gestalt reichte ihm ein hölzernes Schwert und blickte ihn blödsinnig grinsend an. Als wollte sie ihn zum Spiel auffordern. Neire nahm das Stück Holz entgegen, drehte sich um und sprach. „Folgt mir… folgt mir. Habt keine Angst. Wir wollen ein Spiel spielen, doch zuerst sollt ihr gefüttert werden.“ Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich der Tross des widerlichen Gezüchts in Bewegung setzte.

Die Halle tat sich vor Neire auf, so wie sie sie verlassen hatten. Der Geruch von Schweiß, Fleisch, Rauch und Alkohol erfüllte zwar noch schwer die Luft, wurde aber überdeckt vom Geruch des Todes. Der groteske Haufen von fleischigen Körpern brachte den Gestank von geöffneten Eingeweiden und von geronnenem Blut. In den langen Schatten der Fackeln wirkten die, im Tode von Hass zerfressenen Gesichter wie fratzenhafte, leere Hüllen. Neire erinnerte sich zurück. Sie hatten sich nach dem Kampf zu einer kurzen Ruhe niedergelassen. In der großen Halle war Zussa auf einen Tisch hinaufgeklettert und hatte zu meditieren begonnen, während Bargh die Spieße der Rinder weitergedreht hatte. Nach einiger Zeit hatte Bargh aber Geräusche gehört und in einem kleinen Gang die Brut der Riesen gesehen, denen sie dann nachgegangen waren. Insbesondere hatte sie Zussa darauf hingewiesen, die Bälger zu töten, damit sie weiter ungestört meditieren konnte. Als Neire die Kreaturen jetzt in die Halle führte, erwachte Zussa wie aus einer Trance. Neire konnte erkennen, dass Zussa den Mund geöffnet hatte, als würde sie dem Schauspiel nicht ganz trauen. Bevor Zussa reagieren konnte, drehte sich Neire den Kreaturen zu. Die ersten hatten den Fleischberg von Leibern erkannt. Sie betrachteten mit fixierten, aufgerissenen Augen und offenen Mäulern die Szenerie. Sie waren anscheinend nicht fähig, die Lage zu begreifen. „Kümmert euch nicht um eure Eltern. Sie schlafen nur. Sie schlafen nur kurz und sind bald wieder wach. Sie haben heute Abend etwas zu viel getrunken.“ Neire unterstrich seine Worte mit den Gesten vom Trinken und von Schlaf. Er lachte nicht bei seinen Worten und sie schienen ihm zu glauben. Doch hinter sich hörte er Zussa glucksen. Neire und Bargh führten die Kreaturen jetzt zum Feuer und wiesen sie an, sich dort niederzulassen. Sie begannen das Gezücht mit der Bärenkette und einem Seil zu fesseln. Neire zischelte wieder Worte von Erklärungen, doch er spürte ihr blindes Vertrauen. Dann wies Neire Bargh an die Kreaturen zu füttern. Er musste sich um seine schwarze Kunst kümmern. Für das Spiel mit den Bälgern sollte später noch Zeit sein.

Sie standen vor großen Stufen, die hinab in die Dunkelheit führten. Von unten stieg ein Geruch von Moder und Stein auf. Sie hatten nach ihrer kurzen Rast den Rest des oberirdischen Teils der Feste abgesucht. Bargh hatte zuvor die Brut der Riesen mit dicken Stücken Fleisch gefüttert, die er aus den Rindern geschnitten hatte. Die Abkömmlinge hatten sie dann, gefesselt und größtenteils schlafend, zurückgelassen. Auf ihrer Durchsuchung waren sie auf keine weiteren Kreaturen gestoßen. Mehrere Schlafgemächer und Vorratsräume hatten sie gefunden. Unter den Schlafgemächern waren auch das des Anführers und das der Kriegerin gewesen, die Bargh getötet hatte. Neben einer Reihe von Edelsteinen und Geschmeiden, hatten sie im Gemach des Nomrus ein Stück Pergament mit den Buchstaben einer Riesensprache entdeckt. Sie hatten die Sprache zwar nicht entziffern können, jedoch hatte Neire ein interessantes Wappen auf dem Pergament entdeckt, das er als Insignie eines dunkelelfischen Hauses deuten konnte. Es war das Abzeichen des Hauses Eil’Serv, das drei Linien innerhalb eines gleichschenkligen Dreiecks darstellte. Die Linien waren orthogonal zu jeder Seite des Dreiecks und trafen sich, jeweils als Streckenhalbierende, im mittleren Punkt. Neire hatte von diesem Haus bereits gehört, konnte sich aber nicht mehr an viele Details erinnern. Das Haus existierte wohl schon mehrere tausend Jahre und hatte, je nach Zeitalter, mal mehr oder mal weniger mehr Macht innegehabt. Bemerkenswert war aber, dass Haus Eil’serv sich wohl von der Spinnengöttin Lolth abgewandt hatte und jetzt einem Gott des elementaren Bösen diente. Obwohl Neire auch diesen Namen kannte, schien sich der Gott in Obskurität zu verbergen. Neire hatte Zussa und Bargh von seinen Erkenntnissen berichtet und sie waren sich einig gewesen, der weiteren Durchsuchung der Festung den Vorzug zu geben. Neben einem alten, verzauberten Runenschild mit einem mittigen Dorn, das durch die Macht der Illusionen verborgen wurde, hatten sie dann eine Geheimtür entdeckt, die ihnen eine Treppe in die Tiefe offenbart hatte. Als sie sich sicher waren, dass sie alle anderen Räume der Festung durchsucht hatten, waren sie an den Ort dieser Treppe zurückgekehrt. Jetzt lauschten sie in die Tiefe. Bargh hatte Klinge und Schild erhoben und begann Stufe für Stufe hinabzusteigen. Die Luft hier unten war etwas kälter. Sie konnten das geschliffene Felsgestein des Jotenwalls erkennen, in das sie die Treppe hinabführte. Der Stein war glatt und geradlinig bearbeitet worden, nur hier und dort ließen ausgebesserten Stellen eine fehlende Handwerkskunst erkennen. Schließlich kamen sie in einen breiten Gang, dessen Decke ein halbes Dutzend Schritt über ihnen aufragte. An die Wände waren dicke Baumstämme gelehnt, die sich auf Querbalken abstützten und die Decke wie eine Art Spitzdach trugen. Sie hörten keine Geräusche und drangen weiter vor, in die Dunkelheit. An einer Ecke deutete Zussa plötzlich auf die nackte Stelle von Felsgestein. „Dort, schaut. Ein Stein in der Wand zeichnet sich vom Rest ab. Seht ihr die Linien und Konturen?“ Bargh hielt augenblicklich inne und drehte sich zur Wand. Tatsächlich konnte er den Stein sehen. Nach einer kurzen Untersuchung, reichte er hinauf und drückte den Stein in die Wand. Sie hörten das metallene Klicken eines Mechanismus. Ein Teil der Konstruktes ließ sich jetzt verschieben und glitt knirschend hinter den Stein der restlichen Wand. Es offenbarte sich ihnen ein breiter und hoher Tunnel, aus dem abgestandene, faulige Luft drang. Ihre geübten Augen konnten die Dunkelheit durchdringen und sie sahen, dass der Gang sich in eine tote Felskammer eröffnete. Einige Kisten und ein zerstörtes Fass waren dort zu sehen. Vorsichtig bewegten sie sich vorwärts, in Richtung der geheimen Kammer. Gerade betrachtete Neire den gelblichen Flechtenbewuchs, der in einer Ecke der Kammer zu sehen war, da hörten Bargh und Neire hinter sich ein Knacken. Der steinerne Boden unter Zussa begann Risse zu bilden und mit einem Mal brach sie hinfort in die Tiefe. Neire schnellte herum. Er versuchte noch nach Zussa zu greifen. Seine Hand reichte in die Tiefe und er selbst suchte seine Balance, gefährlich nah am Abgrund. Im letzten Moment griff Zussa nach seiner Hand. Neire fühlte den Ruck durch seinen Arm gehen, als Zussa gegen die Felswand unter ihm schlug. Er schrie nach Bargh: „Helft mir Bargh, zieht sie hinauf.“ Zussa, sich kaum der Gefahr der Situation bewusst, schaute hinauf zu Neire. Sie hörte das Geräusch von klingendem Ne’ilurum, als Bargh sein Schild in Ortnors Mechanismus verstaute. Dann beugte sich das verbrannte Gesicht mit dem roten Rubin im rechten Auge zu ihr hinab. Ruckhaft wurde ihr Arm von einer übermenschlichen Kraft nach oben gezogen. Erst jetzt – und erst als sie hinter sich die metallenen Spitzen von Speeren am Boden der Fallgrube sah – wurde sie sich der Todesgefahr bewusst, in der sie gesteckt hatte. „Habt Dank Bargh, für meine Rettung“, sprach sie in Richtung des gefallenen Paladins, doch Bargh schüttelte mit dem Kopf. „Dankt nicht mir, Zussa. Dankt Neire.“ Zussa betrachtete Neire und dankte ihm. Ein beleidigter Ausdruck im Gesicht des Jünglings, begann sich langsam in ein Lächeln zu ändern. „Es war das Mindeste, was ich tun konnte, Zussa. Wir alle sind Kinder Jiarliraes, sind wie Brüder und Schwestern. Ist es nicht das, was Brüder und Schwestern für einander tun sollten? Wir sollten bereit sein, unser Leben für den anderen zu geben.“ Zussa wiederholte den Satz für sich, indem sie jedes Wort im Geiste nachsprach. Ja, Neire hatte recht. Sie fühlte sich geborgen und bestätigt in ihrem Glauben. Nur die Königin von Feuer und Dunkelheit, nur die Dame des abyssalen Chaos, konnte Neire dazu angeleitet haben, sie zu retten. Und sie würde das Gleiche für Neire oder Bargh tun. So drehten sie sich um und schritten weiter in Richtung des geheimen Raumes. Jetzt war der vorangehende Bargh besonders vorsichtig und prüfte den Boden vor ihnen. Sie gelangten unbeschadet in den Raum und begannen die Kisten zu untersuchen. Dies war anscheinend die geheime Schatzkammer des Nomrus. Sie fanden säckeweise Gold, Platinum sowie Edelsteine und Geschmeide. Nomrus hatte ein Vermögen gestohlen und hier angehäuft. Zudem konnte Neire zwei weitere Illusionen enttarnen, die Gegenstände verbergen sollten. Die gelbe Flechte stellte sich als getarnter Bereich heraus, in dem kostbare magische Waffen versteckt waren. Auch das beschädigte Fass war eine Attrappe. In ihm war eine Kiste aus schwarzem Kristall verborgen, in der sie eine Karte, eine Kette aus schwarzem Metall und ein Schriftstück in der Sprache der Riesen fanden. Das Schriftstück hatte das Muster einer Art Aufzählung und endete mit einer großen 8. Die Karte stellte in primitiver Art und Weise die Umgebung des Jotenwalls und der Kristallnebelberge dar. Dort waren einige Orte markiert. Besonders tat sich ein Markierungszeichen inmitten der Kristallnebelberge hervor. Gebannt starrten sie auf die Karte und die schwarze Kette. Um sie herum war das Glitzern von Gold, Silber und Juwelen.
Titel: Sitzung 67 - Kerker des Nomrus
Beitrag von: Jenseher am 10.06.2023 | 12:36
Für einen Augenblick verharrten sie hier und atmeten die modrige Höhlenluft. Die unterirdische Felsenkammer war in völlige Dunkelheit gehüllt. Durch die große Höhe hatte der geheime Schatzraum etwas Beengendes. Wie sich wohl die Riesen gefühlt haben mochten, als sie die Schätze hier anhäuften? Wenn sie überhaupt in der Lage gewesen waren, etwas zu fühlen. Neire erhob sich langsam und nahm einen weiteren tiefen Atemzug der fauligen Höhlenluft. Er verwarf die Gedanken an den Anführer der Rasse dieser abscheulichen Kreaturen. Zussa hatte ihn getötet und jetzt gehörten die Schätze ihnen. Sie hatten den letzten Sack mit Platinumstücken hinter dem dunklen seidenen Vorhang verstaut, hinter dem sich der würfelförmige Raum mit Ortnors Labor verbarg. Neire raffte mit einer geschickten Bewegung die Seide zusammen und faltete sie. Der Vorhang hing, wie von Geisterhand getragen, in der Luft, doch an den richtigen Stellen berührt, ließ er sich bewegen und zusammenfalten. Mit dem gefalteten Stoff verschwand auch das Portal im Rucksack von Neire und in ihm die Schätzte des Nomrus. Neire ließ seinen Blick über die Wände schweifen. Große eichene Baumstämme stützten hier und dort das dunkle Gestein, das die Spuren einer alten Bearbeitung trug. Der dunkelgraue Fels war wie von Meisterhand geformt und glattgeschliffen worden. Nur an einigen Stellen zeigten plumpe Ausbesserungen eines helleren Mörtels fehlende Handwerkskunst. Gerade wollte sich Neire Bargh zuwenden, da hörte er die unruhigen Schritte von Zussa. Sie hielt einen Edelstein in der Hand, den sie lustlos und desinteressiert drehte. Ihre langen roten Locken umspielten ihr weißes Gesicht, in dem Sommersprossen zu sehen waren. Nervös kaute sie auf ihren Lippen und machte schlaksige Bewegungen, als sie den Edelstein nach oben warf, um ihn dann wieder zu fangen. „Ihr habt einiges erlebt auf eurer Reise mit Bargh. Ich erinnere mich noch, wie wir euch auf der Tempelinsel aus dem Kerker befreiten,“ sagte Neire. Zussa schaute in diesem Moment zu ihm auf. Ihre grünlichen Augen funkelten wach, als sie ihr Desinteresse ablegte. Dann, wie in Erinnerungen schwelgend, begann sie zu lächeln. „Ja, ich wusste damals noch nicht viel. Ich wusste nicht das, was ich heute weiß und ich hatte Angst, das Feuer zu beschwören. Angst, das Feuer in Richtung der Fässer zu schleudern.“ „Doch ihr habt es getan. Ihr habt das Feuer beschworen und den Tempel des schwachen Gottes entzündet.“ Zussa lächelte bei diesen Worten und wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, da fragte Neire weiter: „Sagt Zussa, als ihr noch in eurem Dorf wart. Als sie euch noch nicht vertrieben hatten. Was war das Merkwürdigste, was ihr jemals dort gesehen habt?“ Zussa legte ihre Hand auf den Griff des Säbels, den sie im Gürtel trug. Sie ließ einen Moment den Kopf sinken, als dächte sie nach. Dann wirbelte ihr feuerrotes Haar herum und sie lachte auf. „Die Nachbarn brachten einmal ein Kind zu Welt. Einen Säugling der nur ein Bein hatte. Das war komisch…“ Sie kicherte in ihr Sprechen hinein, so dass sie kaum zu verstehen war. „Was haben sie dann gemacht mit dem Säugling? Zussa,“ fragte Neire, der Zussa mit großen Augen anschaute. „Was haben sie wohl mit ihm gemacht… natürlich haben sie ihn im Fluss ertränkt. Was sollte er denn auch machen mit einem Bein?“ Neire blickte Zussa, die immer noch in sich hineinlachte, fast etwas traurig an. Auch Bargh hatte in das Lachen von Zussa eingesetzt. Die Aura von Düsternis, die vom übermenschlich großen Krieger Jiarliraes ausging, hüllte sie ein. „Ich finde es schade, Zussa. Das Kind, der Säugling. Was für eine Verschwendung… In Nebelheim gab es ein Geschlecht von inzestuösen, menschlichen Sklaven. Sie wurden von den Platinernen Priestern zur Paarung gezwungen. Viele Säuglinge hatten Missbildungen. Mal fehlte ein Bein, mal ein Arm oder mal ein paar Finger. Sie wurden geopfert im Inneren Auge. So konnten sie wenigstens unserer großen Herrin dienen, mit ihren schwachen Seelen.“ Neires gespaltene Zunge war zu erkennen, als er sich in dem Satz in einen zischelnden Singsang fremder Akzentuierung hineinsteigerte. „Ihr habt recht Neire.“ Jetzt brachte sich Bargh in das Gespräch ein und der rote Rubin funkelte in seinem verbrannten Schädel. „Ihr habt recht, doch horcht her. In Zussas Geschichte geht es um einfachen Pöbel, schwache Geister, die entbehrlich und schnell ersetzbar sind. Ich kann mich an andere Geschichten erinnern. Aus Fürstenbad. Dekadente, reiche Adelige, die ihre missratenen, kleinwüchsigen Bälger aufzogen, anstatt sie zu ertränken. Sie werden schnell weinerlich, nehme ich an. Sie konnten es nicht übers Herz bringen… waahh.“ Bargh spuckte bei diesen Worten aus. „Einigen dieser Zwerge wurden gar Ränke zugeschachert. In der Armee und im Rat der Stadt. Ich würde gerne zurückkehren dorthin. Mit Glimringshert und einer kleinen Armee unserer Herrin.“ Bargh hielt bei den Worten sein schwarzes, Schatten-blutendes Schwert in die Höhe, über dessen düstere Klinge sich Venen, wie ein verzweigtes Geflecht, zogen. Jetzt trat Neire näher heran und nickte Bargh und Zussa zu. „Bedenkt, Zussa und Bargh. Ihr seid wie Schwester und Bruder für mich und ich litt mit euch, als ihr das Blutopfer für Vorcorax’Ut’Lavia – geheiligt sei sein Name - vollbracht habt. Doch ich bin Jiarliraes Prophet in Euborea und IHRE Stimme spricht nur durch mich. Wir werden eine Armee benötigen. Doch wer weiß, ob Fürstenbad unser Ziel ist? Wer weiß, was uns das Schicksal bringen wird? Wir müssen Halbohr diese Schätze bringen. Damit er den Schrein des Jensehers schützen kann. Damit er die Mittel hat, die stämmige Rasse der Minenstadt von Unterirrling für seine Dienste zu erkaufen.“ Bargh und Zussa lauschten seinen Worten, doch als Neire von Halbohr sprach, war beiden Widerwillen und ein latenter Hass anzusehen. Zussa stieß verächtlich die Luft aus. „Halbohr, traut ihr ihm etwa, diesem Bastard? Wir hätten ihn damals töten sollen, als er die Made des Jenreiches in sich trug.“ Neire blickte seine Mitstreiter an und fragte sich, was Halbohr ihnen wohl angetan hatte. „Ich traue ihm nicht Zussa. Doch es gab einen Grund, wieso ihn Lieressandre in meinen Dienst gestellt hat. Es war das Schicksal, die Vorsehung unserer Herrin, dass wir nach meiner Flucht aus Nebelheim zusammenkamen und aus dem Unterreich flohen.“ Neire bemerkte, dass zuerst Bargh und dann auch Zussa zustimmend nickte. „Und bedenkt… ihr habt mir davon erzählt, Bargh. Halbohr will seinen Namen in dieser Welt klingen hören und er trägt das Brandmal unserer Herrin, das ihr ihm gabt. Auch wenn er es vielleicht nicht wahrhaben will, so dient er bereits unserer Herrin. Er tat es bereits auch damals, als ich ihn im Unterreich traf. Jetzt bewegt er sich wie Linnerzährn, als glühendes Feuer auf seinem Weg durch die Dunkelheit. Doch wenn ihr recht habt, dann wird das Schicksal wollen, dass er verschwindet. Vielleicht wird er auch einst wieder auftauchen. Wie die glühende Träne des Drachens, wie Linnerzährn es tat: In und aus den Geheimnissen der Flamme und der Düsternis unserer Herrin, die uns umgeben.“

~

Bargh warf sich gegen das sechs Schritt hohe Portal und begann das grobe, schwere Holz nach vorne zu drücken. Hinter der Türe hatten sie Stimmen in Form eines fast menschlichen Bellens und Knurrens gehört. Ein Bellen und Knurren, dass sich in seinen Lauten sowie seiner Akzentuierung änderte und einer primitiven Sprache glich. Bargh blickte sich ein letztes Mal um, bevor er durch die sich öffnende Türe drängte. Hinter ihm sah er die riesige steinerne Kammer, die hier und dort von Fackellicht erhellt wurde. Er hörte die Formeln des Gebetes, den disharmonischen Choral, den Zussa sang. Er spürte die Macht durch sein Schwert pulsieren, er spürte Zuversicht. Zuvor hatten sie die Schatzkammer des Nomrus verlassen und waren weiter dem Tunnel gefolgt. In einer unterirdischen Halle hatten sie ein Gatter entdeckt aus dem der Geruch von Urin und Fäkalien, nassem Tierfell sowie verrottendem Brot und Fleisch hervordrang. Hinter dem Gatter waren die Geräusche zu hören gewesen, die sie schon in der Schatzkammer vernommen hatten. Auf ihrem Weg zu diesem Gatter hatten sie einen weiteren falschen Stein in der Felswand entdeckt, der ihnen den Zugang zu einer geheimen Tür offenbart hatte. Einen breiten, hohen Gang hatten sie dahinter entdeckt. Dieser Gang war an einer, auf der anderen Seite liegenden Geheimtüre geendet. Zudem waren an einer Steinwand zwei große, verrostete Räder erkennen gewesen, von denen, nach einer kurzen Prüfung, eines das Gatter öffnen konnte. Sie hatten sich weiter auf das Gatter zubewegt und in einem dahinterliegenden Kerker vier große, muskulöse Kreaturen entdeckt, die ein Raubkatzen-ähnliches Aussehen hatten. Die Gesichter der Kreaturen waren als Fratzen, halb menschlich und verzehrt von Hass, zu erkennen gewesen. Eine löwenartige Mähne und breite Fledermausflügel hatten die Kreaturen ausgezeichnet, die sich an den verrotteten Essensresten in der Mitte des Kerkers gelabt hatten. Dabei waren ihre Schwänze wie in einen ekstatischen Tanz verfallen. Neire hatte aus der Dunkelheit seiner Unsichtbarkeit den Kampf eröffnet und rötlich glühende, schattenhafte Geschosse beschworen, die eines der Wesen schwer verletzten. Die stärkste der Gestalten war dann, wie vom Wahnsinn erfasst, in ihre Richtung gelaufen und hatte ihren Kopf gegen die eisernen Stäbe gerammt. Ein kurzer und intensiver Kampf war siegreich für sie verlaufen, doch sie hatten den Segen von Jiarlirae auf ihrer Seite gehabt. Die Kreaturen hatten aus ihrem Rücken und Schwanz knöcherne Splitter auf sie geschossen, die sie nur unter Schmerzen aus ihrem Körper lösen konnten. Doch Bargh hatte sich hinter sein Schild aus Ne’ilurum geduckt und den Hagel von Splittern abgewehrt. Danach hatten sie das Gatter geöffnet und die Kreaturen ihres wertvollen Pelzes wegen gehäutet. Sie hatten zudem eine zweite Schatzkammer gefunden, in der sie neben weiteren Edelsteinen, säckeweise Münzen aus Bernstein entdeckt hatten. Sie hatten die Schätze geplündert und waren durch den geheimen Gang in die große Halle gekommen, von der mehre Gänge und eine Treppe nach oben hinfort führten sowie drei Türen zu sehen gewesen waren. Eine dieser drei Türen hatte Bargh gerade geöffnet. Bargh sah vor sich einen Raum, der mit ledernen Tierfellen ausgelegt war. Eine Reihe von Kreaturen hatte sich an einer großen hölzernen Tafel niedergelassen, auf die sie Humpen und Krüge gestellt hatten. Im Fackellicht waren die muskulösen Silhouetten der humanoiden Gestalten zu sehen, die von einem rötlich schimmernden Fell bedeckt waren. Ihre Gesichter waren raubtierhaft. Sie hatten spitze Ohren und ihr Züge erinnerten an eine ferne Verwandtschaft zu Bären. Ihre Sprache war die eines Grunzen und Knurren. An ihre Schemel und an die hölzerne Tafel hatten sie ihre Waffen gelehnt. Zu sehen waren Speere, Äxte und Morgensterne. Die Kraft des disharmonischen Chorales stachelte Bargh an. Er stürmte in den Raum und ließ die Klinge Glimringshert tanzen. Der ersten Kreatur stach er von hinten durch die Brust und durch ihr Herz. Der zweiten hackte er fast den Kopf ab. Feine Bluttropfen durchsprühten die Luft und benetzten sein Gesicht. In der Überraschung des Angriffs hatten die Gestalten sich kaum bewegt und so rammte er der dritten sein Schild aus Ne’ilurum ins Gesicht. Er hörte das Knacken des Jochbeins und sah, wie sich die Zähne der linken Kauleiste über den Tisch verteilten. Bargh wollte gerade auf die andere Seite des Tisches stürmen, da erblickte er die Welle von Feuer, die sich dunkelrot und fächerhaft ausbreite. Drei der Gestalten schrien auf und wandelten als lebende Fackeln durch den Raum. Weit kamen sie nicht, denn das rötliche Feuer hatte sich wie eine brennende Flüssigkeit über ihr Fell ausgebreitet. Als die Schreie verstummt waren, hörte Bargh durch den Singsang von Zussa weitere Geräusche. Ein Poltern und ein lautes Bellen waren aus einem Gang zu hören, der sich aus dem Gemach öffnete. Und es waren Antworten zu vernehmen. Kehlige Grunzlaute, die dem Bellen ähnlich klangen. Bargh machte einige Schritte zurück, auf die Tür zu. Er schrie Zussa an, sie möge sich hinter ihn stellen. Das Mädchen gehorchte und so baute er sich in seiner Verteidigungshaltung auf. Er erwartete den Gegenangriff der felligen Kreaturen: Und sie kamen aus dem Gang. Sie bewegten sich rasch, doch geordnet. Der Hass war in ihren dunklen Augen zu sehen, aber er war einer eisernen Disziplin untergeordnet. Zum Vorschein kam ein Anführer. Fast so groß wie Bargh selbst, war er gekleidet in einen Lederpanzer, der von schweren eisernen Nieten besetzt war. Er trug ein großes, schartiges Bastardschwert. Für einen Augenblick, in dem Bargh in seiner Position wartete, kam ihm alles so langsam vor und er wollte voranstürmen, wollte die Kreaturen niedermachen. Doch tief in ihm wahrte er die Instinkte seiner militärischen Ausbildung. Die endlosen Stunden im Tempel von Fürstenbad. Die kommandierten Krieger trugen Teile von Rüstungen über ihrem rot-braunen Fell. Der Gestank von räudigem Bären verdrängte jetzt den Geruch von verbrannten Haaren und Fleisch. Sie bildeten bewaffnete Paare, mit Speeren und Streitkolben, Morgensternen und Äxten. Fast zwei Dutzend Kreaturen waren jetzt in den Raum vorgedrungen. Dann rief der Anführer zum Angriff. Bargh konnte die Worte nicht verstehen, aber er erkannte den militärischen Befehl. Die Kreaturen zucken nach vorn, doch es war zu spät. Keiner von ihnen sah den glühenden Funken, den Neire von der anderen Seite des Raumes warf. Bargh wusste was das bedeutete und hob das Schild höher. Die Explosion, die den Raum erschütterte, war heftiger als jede vorherige. Magmaflammen zuckten über sein Schild hinweg, für einen Moment hörte er nur noch ein hohes Fiepen. Bargh wurde zurückgeschleudert und drückte Zussa nach hinten. Als sich die Flammen legten sah er vor sich zerfetzte Leiber. Finger, Arme und Beine waren durch die Explosion abgerissen worden. Der Boden der Halle war von brennenden Leichen bedeckt. Durch das Fiepen hörte Bargh ein Schreien, eine vertraute Stimme. „Bargh, dreht euch um. Er kommt. Hinter euch.“ Es war Zussa die ihn anrief, die an seiner Rüstung zerrte. Bargh drehte sich um und sah, was dort kam. Eine der Türen hatte sich hinter ihm geöffnet und dort waren drei Kreaturen erschienen. Eine gewaltige Gestalt, hässlicher anzusehen, dennoch ein Artgenosse des Nomrus. Kratz- und Bissnarben bedeckten seinen Körper. Er hatte einen Buckel und trug ein Kettenhemd. Graues, schütteres Haar fiel in Büscheln von seinem Kopf und aus seinem linken, weißlichen Auge rann Eiter heraus. Mit der Gestalt waren zwei menschengroße, abscheuliche Affen erschienen, die bereits auf allen Vieren auf sie zu rannten. Ihr jaulendes Brüllen erfüllte die große Halle. Bargh drückte Zussa hinter sich und erwartete den Angriff. Er sah, dass das mongoloide Gesicht des alten Riesen anfing zu grinsen, als er sich in Bewegung setzte. Er stürmte heran und hob seine Axt. Als die Kreaturen schon fast bei ihm waren, hörte Bargh das Knallen eines Donnerschlages und sah die invertierte Schattenmagie, die in elektrisch zuckender Düsternis die Gestalten durchfuhr. Den Affen schälte der Blitzschlag aus schwarzem Licht die Haut von Gesicht und sie waren sofort tot. Der Riese schrie vor Schmerz und sein Grinsen wandelte sich in dümmlichen Hass. Für einen Moment konzentrierte sich der Riese auf den Blitz. Bargh schnellte schräg nach vorn und schnitt der Kreatur durch den Unterleib. Glimringshert glitt wie durch Butter und die Gedärme des Ungeheuers ergossen sich über den Boden. Im Lauf schwankte der Alte und krachte mit dem Kopf gegen die Felswand. Es gab ein unschönes Knacken, als sein Genick an der Steinwand brach und die Kreatur, wie ein nasser, gewaltiger Sack Fleisch, zu Boden sank.
Titel: Sitzung 68 - Kerker des Nomrus II.
Beitrag von: Jenseher am 23.06.2023 | 21:28
Vor ihnen offenbarte sich der dunkle Tunnel, aus dem sie ein Hämmern und ein Klingen von Metall hörten. Bargh, Zussa und Neire betraten den hohen Gang, der von der größeren und emporragenden Halle hinfort führte. Hinter ihnen und in einiger Entfernung, sahen sie die drei Anhänger Jiarliraes den massiven Leichnam des buckligen Axtschwingers, der die, von Neires schwarzem Blitz verbrannten, Affenkreaturen unter sich begraben hatte. Nach dem Kampf hatten sie, schwer atmend, eine Zeit innegehalten und sich zwischen den zerfetzen und verbrannten Leichnamen der Grottenschrate niedergelassen. Sie hatten gebetet und Neire hatte in seinen Büchern der schwarzen Kunst studiert. Dann hatten sie die Gemächer der Grottenschrate und die Behausung des Axtschwingers durchsucht. Die Behausung des Axtschwingers war mit vielen verschiedenen Fellen ausgelegt gewesen, zwischen denen Neire drei besonders wertvolle Felle entdeckt hatte. Am Eingang in die Behausung des Axtschwingers hatten sie dann die Geräusche aus dem nahegelegenen Tunnel gehört, denen sie jetzt nachgingen. Sie folgten dem, in den Stein des Jotenwalls geschliffenen, unterirdischen Weg, der sie um Ecken führte. Auch hier war die Decke an einigen Stellen mit dicken Eichenstämmen abgestützt worden. Sie bewegten sich langsamer und so leise wie möglich, als das Klingen der Hämmer lauter wurde. Als sie an eine Ecke kamen, konnten sie in eine große Halle blicken, die augenscheinlich aus dem Stein gebrochen wurde. Die Luft war von einem nebelhaften Steinstaub erfüllt. Sie sahen zwei riesenhafte, drahtige Gestalten - muskulös, haarlos und von gräulicher Haut. Die Gestalten trugen Meißel und Hämmer und brüllten ab und an Befehle in der gemeinen Zunge. Die Empfänger dieser Befehle waren ausgemergelte, doch kräftige Kreaturen. Sie hatten etwa Neires Größe, doch sie waren in Lumpen gekleidet. Eine grünliche Haut war von einer Staubschicht bedeckt. Sie hatten dunkles, zotteliges Haar, wulstige Gesichtszüge und Hauer, die aus ihren Mäulern hervorragten. „Grabt dort, schneller!“ Die Stimme eines der Riesen schallte durch die Kammer. Die Gestalten hatten Bargh noch nicht bemerkt, da sie ihm den Rücken zugedreht hatten. Zudem trug der heilige Krieger die Düsternis Jiarliraes, die Glimringshert um ihn verbreitete. „Bewegt euch!“ Die Stimme donnerte jetzt wütend und die kleineren Kreaturen zuckten in Furcht davon. Wie wahnsinnig fingen sie an zu graben, hievten große Steinbrocken hinfort. Bargh sah jetzt die zwei Peitschen, die in einer offenen Kiste lagen. Er konnte zudem die teils noch blutigen Striemen auf der Haut der Sklaven erkennen. Der Krieger Jiarliraes hob sein Schild und wartete auf den Angriff von Neire. Lange musste er nicht harren, denn ein glühender Funken von Magma bewegte sich rasend über ihn hinweg. Eine Explosion von rötlich-orangenem Feuer erfüllte die Kammer vor ihm. Er wurde von der Druckwelle zurückgeworfen. Einige der Sklaven wurden augenblicklich zerfetzt, doch in den Flammen der Explosion drehten die Riesen sich herum und zogen ihre Hämmer. Bevor Bargh angreifen konnte, zuckte Zussas weißlich-bläulicher Blitz durch die hünenhafte Gestalt vor ihm. Er stach zu und Glimringshert fällte den gewaltigen Leib. Auch die zweite, vom Feuer verletzte, Kreatur konnte er mit einem schnellen Angriff töten. Er wendete sich zu Neire und Zussa um. Warnend war sein Ausruf, als er auf den Tunnel zeigte. „Dort ein weiterer Riese. Seid auf der Hut.“ Schwere, donnernde Schritte kamen näher. Bargh positionierte sich am Eingang, um die Kreatur zu überraschen. Dann erschien die fast sechs Schritt große Gestalt, die wie ihre Artverwandten von steinerner Haut war. Der Riese trug einen Steinbrocken, von der Größe eines kleineren Pferdes. Jetzt hievte er den Felsklotz über die Schultern, um ihn auf Bargh zu schleudern. Bargh schnellte hervor und ließ Glimringshert tanzen. Blut spritze über ihm auf. Mit zwei tiefen Schnitten öffnete er die Bauchdecke der Kreatur. Die Magie von Neire und Zussa tat ihr übriges. Neires schattenhaft glühende Kugeln schlugen in den Schädel des Riesen, der augenblicklich zu wanken begann. Wie ein gefällter Baum, brachen einst lebende Knochen und Muskelmassen zu Boden.

~

In der Hitze und im Licht der Schmiedeessen blickten sie hinab auf zwei weitere Leiber gewaltiger Kreaturen. Die beiden Toten hatten muskulöse, aber gedrungene Leiber. Ihre Haut war dunkel wie Kohle. Ihre Gesichter hatten selbst im Tode ihren grimmigen Ausdruck behalten. Beide Antlitze hatten harte, reliefreiche Formen und eine hohe Nase. Jedoch war ihnen eine niederträchtige Intelligenz anzusehen gewesen. Während ein Leichnam glatzköpfig war, zeichnete den anderen Toten rotes kurzes Haar aus. Der Kampf war, wie zuvor der Kampf gegen die Steinriesen, kurz und mit einer tödlichen Gewalt geführt worden. Bargh hatte sich, so gut es ging, vorgeschlichen. Neire und Zussa, aber, hatten den Kampf eröffnet und ihre schwarzen Künste entfesselt. Nachdem Bargh die erste Kreatur getötet und die Hammerschläge der zweiten mit dem Schild abgewehrt hatte, war der Krieger Jiarliraes siegreich gewesen. Bargh hatte dem letzten Feuerriesen seine dunkle Klinge in den Oberschenkel gerammt und so fast sein Bein abgehackt. Danach hatte Zussa, getrieben von einer zuvor noch nicht dagewesenen Mordlust, die orkischen Diener getötet. Einige der ausgemergelten Essenhelfer hatten versucht zu fliehen und waren von Zussa aufgespießt worden. Die letzten beiden der acht Diener hatten sich nun vor ihnen in den Staub geworfen. Zussa trat mit einem diabolischen Grinsen hervor. Ihr rotes Haar glitzerte im Feuerschein, als sie den Säbel hob. „Halt! Ihr stark, wir stark. Ihr Herren und wir Sklaven. Wir gute Diener… euch.“ Die gutturale Stimme des Knieenden war im Knistern des Feuers zu hören, als er zitternd in einer, nur Neire bekannten, primitiven Zunge sprach. Zussa, die Worte nicht verstehend, setzte zum tödlichen Hieb an. „Wartet… wir wissen. Wissen wo andere. Andere sich haben gewehrt, gegen Riesen.“ Jetzt hob Neire den verbrannten Arm und wie aus dem Nichts tauchte sein Gesicht im Feuerschein auf. „Haltet ein Zussa. Er sagt, dass er von anderen Kreaturen weiß. Kreaturen, die sich gegen die Riesen gewehrt haben sollen.“ „Wäah, dieses schwache Gesindel von Sklaven lügt. Lasst mich sie töten Neire,“ sprach Zussa voller Verachtung. Zussa dachte zurück an die Gemächer der Steinriesen. Sie hatten die orkischen Sklaven, die sie in diesen Gemächern getroffen hatten, niedergemetzelt. Bereits hier hatte sich Zussas Mordlust gezeigt. Nachdem sie die Schätze der Steinriesen an sich genommen hatten, waren sie unerforschten Tunneln gefolgt. Hinter hölzernen, haushohen Türen, die von außen verrammelt waren, hatten sie weitere orkische Stimmen gehört. Auch eine verlassene, doch kürzlich genutzte, Folterkammer hatten sie entdeckt. Schließlich waren sie dem Geräusch des Hämmerns gefolgt. So waren sie in die unterirdische Schmiedekammer gelangt, an deren Wänden eine Vielzahl von Speeren, Äxten, Schwertern und Schilden - alle in übermenschlicher Größe - aufgereiht waren. Neire legte bei den Worten Zussas den Kopf schief und dachte nach. Sein Tarnmantel verbarg ihn größtenteils, so dass nur sein Lockenschopf und seine linke Hand zu sehen war. „Vielleicht lügt er Zussa, vielleicht aber auch nicht. Wir werden unser Spiel mit ihm spielen,“ sprach Neire, der auf die andere Gestalt zeigt und eine Bewegung des Kehledurchschneidens machte. Zussa grinste erneut und führte ihren Säbel an die Kehle des stummen Orks. Neire sprach jetzt in der fernen Zunge auf die Kreatur ein. „Ihr lügt doch. Ihr sagt uns nicht die Wahrheit. Wer hat sich gewehrt gegen die Riesen und wo sind sie? Wie viele sind es?“ Die sehnige, abgemagerte Kreatur versuchte anscheinend zu zählen, doch Neire bemerkte, dass sie nur die Zahlen Eins, Zwei und Vier in ihrem Wortschatz hatte. Für einen Augenblick musste auch Neire schmunzeln. Dachte er doch an das Spiel, dass sie mit dem schwachsinnigen Walfor in Kusnir gespielt hatten. Bevor der Ork antworten konnte, zog Zussa ihren Säbel zurück und schnitt der anderen Gestalt die Kehle auf. In einem Röcheln von Blut versuchte sich der Ork aufzurichten, doch er verkrampfte in seinen Mühen. Mit einem dumpfen Geräusch brach der noch zuckende Körper zu Boden. „Ihr Meister, könnt töten, ja… Meister stark. Ich Meister sagen, nicht lügen. Waren vier von uns. Sie von unserer Rasse. Sie kämpfen gegen Riesen. Sie versteckt, hinter Steinen im Tunnel.“ Tatsächlich hatten sie zuvor einen Tunnel entdeckt, der erst kürzlich von Geröll blockiert worden war. Er war sich sicher, dass der Ork die Wahrheit sprach und berichtete Bargh und Zussa. „Lasst uns ihn töten. Er ist wertlos für uns,“ war die kurze Antwort von Zussa und auch Bargh nickte bei ihren Worten. „Vielleicht könnte er uns noch nützlich sein. Doch wir werden unser Spiel mit ihm spielen.“ Neire hatte sich bereits hinabgekniet, richtete mit seiner linken Hand sanft den Kopf des Sklaven auf und schaute ihm in die Augen. Der rötliche Schein des Feuers wurde zu einem Farbenmeer aus violetten Tönen, als er die Kraft der Linsen des Jenseher beschwor. Er sprach in lispelnder, schlangenhafter Weise, als er die Kreatur herausforderte. „Ja, ihr seid stark mein Freund, doch schaut euch an. Jetzt seid ihr schwach. Ausgehungert und ausgemergelt. Sie haben euch belogen und sie haben euch schlecht behandelt.“ Neire reichte dem Sklaven einen Dolch, als er in dessen Augen schaute. „Ihr habt sicher Hunger und die Augen eines Riesen sind eine Delikatesse. Schneidet sie heraus und esst sie!“ Einen Moment sah Neire einen Widerstand. Zuckende Gesichtszüge und ein latentes Grauen. „Ich, nein, oh nein… mag nicht… Auge von Riese. Ich essen Kuh. Ich essen Schwein, ja...“ Neire lächelte dem Ork zu und er hörte Zussa und Bargh lachen. Er blickte die Kreatur weiter an und sah den Widerstand schwinden. „Ja, ihr Freund und ihr Meister. Ich Hunger… Hunger groß.“ Schon stand der Sklave auf und begann ein Auge des Riesen herauszuschneiden. Sie lachten, als sie das Schauspiel sahen. Gierig begann die Kreatur zu schlingen. Blut und Gallerte flossen an seinem Hals hinab. Sie hörten ein Knacken von Knorpel, ein Schmatzen und ein Rülpsen. Doch er machte sich bereits über das nächste Auge her. Mit jedem weiteren Bissen war da auch ein spastischer Würgereiz, der stärker wurde. Doch noch war der Hunger größer und die Kreatur verschlang Stück um Stück, Auge um Auge.
Titel: Sitzung 69 - Kerker des Nomrus III.
Beitrag von: Jenseher am 10.07.2023 | 22:18
Zussa betrachte das abgemagerte Wesen voller Ekel. Die grunzende Kreatur war kaum größer als Neire. Sie unterhielt sich mit dem Kind der Flamme in ihrer merkwürdigen Sprache. Die Laute waren harsch und guttural, tierisch und primitiv. Doch der ehemalige Sklave der Feuerriesen schien Neire jetzt zu gehorchen. Er folgte jedem seiner Befehle und senkte sein wildes, von Hauern besetztes, Gesicht, während er sprach. Nachdem der Ork, dessen Name Gorlag war, die Augen der Riesen gegessen hatte, war er über die Eingeweide seines ehemaligen Herrn hergefallen. Doch der bereits einsetzende Würgereiz war schließlich größer gewesen und so hatte sich Gorlag mehrfach erbrochen. Dieser Anblick hatte Zussa bereits geekelt und sie hätte das Wesen am liebsten getötet. Sie waren dann aufgebrochen und hatten den Kerker des Nomrus über die Treppe verlassen. In der großen Halle hatten sie das gefesselte Gezücht der Riesen so angefunden, wie sie es verlassen hatten. Das große Feuer der Schale war zu einem rötlichen Glimmen heruntergebrannt und das Fackellicht war erloschen. Einige der menschengroßen Bälger – geistig kaum weiterentwickelt als Säuglinge – saßen in ihrem eigenen Urin und in ihren Fäkalien. Auch die älteren Kinder, die bereits von Barghs Größe waren, hatten sich eingenässt. Der Gestank des grotesken Haufens fleischiger Leichen überdeckte jedoch den Geruch, der von den Bälgern ausging. Neire hatte Gorlag befohlen die dümmlichen Sprösslinge zu reinigen. Der Ork hatte sich daraufhin einige alte Felle herbeigeholt. Er begann gerade die Lendenschürze der gefesselten Kinder herunterzureißen und sie mit einem der Felle abzuwischen. Die Kreaturen, die zuvor mit Knochen des Rinds ein Fechtspiel ausgetragen hatten, fingen an zu weinen, als sie unsanft behandelt wurden. Zussa bemerkte, dass Gorlags Mühen zwar energisch, aber ungeschickt wirkte. Der Ork hatte anscheinend noch nie derartige Arbeiten durchgeführt. Sie wendete sich ab und suchte sich einen weiter entfernten Ort, an dem sie ungestört beten konnte. Sie widmete sich ihren Versen und Reimen, die sie den Geheimnissen von Flamme und Düsternis reichte. Allerdings wuchs ihre Wut, als sie immer wieder um ihre Ruhe gebracht wurde. Gorlag hatte mittlerweile große Bierkrüge von den noch intakten Tischen geholt. Er begann den Zöglingen das abgestandene Gebräu einzuflößen, auch wenn sie sich weinend und schreiend dagegen wehrten. Von den Jüngsten waren bereits zwei Gestalten bleich geworden und mussten sich gerade übergeben. Verkrampft versuchte sich Zussa ihren Gebeten zuzuwenden. Sie dachte immer wieder an ihre Maske. Neire hatte sie darauf angesprochen, als sie hinaufgestiegen waren. Sie hatte sich noch nicht entschieden, welche Form ihre Maske haben sollte. Es war eine wichtige Entscheidung, das wusste sie. Doch sie wollte auch keinen Fehler machen. Sie wollte die Gunst Jiarliraes erlangen. Ihre Gedanken kreisten um ihre Göttin. Die Maske musste Flamme und Düsternis ausdrücken. Doch was sollte sie sein, was würde sie wählen?

„Schaut, Zussa, Bargh. Es sind Anweisungen in der Sprache der Riesen. Eine Aufforderung zum Angriff auf menschliche Städte. Ein Aufruf zu Plünderungen. Ich sehe die Namen Gornar, Lastweg und Flein. Allesamt Städte der Stiurmark. Doch die Schrift… sie ist seltsam. Viel feiner, als es eine von diesen schwachsinnigen Kreaturen hätte schreiben können.“ Sie lagerten noch um das Feuer der Schale, das Bargh während ihrer Rast entfacht hatte. Nach seiner Nachtwache und dem Schlaf, hatte sich Neire dem Studium der schwarzen Kunst hingegeben. Dann hatte er nochmals versucht die Schriftzeichen zu entziffern, die sie in Nomrus‘ Gemach gefunden hatten. Diesmal war er erfolgreicher gewesen und er hatte den Text übersetzten können. „Was meint ihr Neire? Wieso sollten sie es nicht selber geschrieben haben? Wer sonst könnte es für sie schreiben? Vielleicht ein Sklave?“ Zussa runzelte die Stirn, als sie Neire antwortete. Für den Augenblick war ihr Desinteresse verschwunden. „Ein Sklave oder ein Gefangener. Das könnte sein. Aber in den Worten liegt eine Bestimmtheit, die unmöglich von ihnen stammen kann. Vielleicht haben auch jene, deren Hauswappen auf diesem Schreiben zu sehen ist, ihre Finger im Spiel. Vielleicht ist es das Haus von Eil‘Serv.“ Neire sah Zussa und Bargh nachdenken. In der Gesprächspause war das Knistern des Feuers zu hören, dessen Geräusche vom Weinen der Riesenkinder durchdrungen wurde. „Und wenn es so wäre, Neire. Was würde es ändern?“ Jetzt erkannte Neire das Interesse von Zussa schwinden. „Nun, es würde sehr viel ändern. Was sollten diese Dunkelelfen für ein Interesse an der Oberwelt haben. Außer längst vergangener Rachegelüste. In den alten Schriften der Bibliothek von Nebelheim habe ich von ihrer Geschichte gelesen. Von einer Verbannung für ihre Taten, in die ewige Nacht des Unterreichs. Seitdem leben sie dort unten und spinnen ihre Racheintrigen.“ „Ja, sie dienen ihrer Spinnengöttin, deren Name Lolth ist,“ antworte Zussa und fuhr in flüsterndem Ton fort. „Ich habe davon gehört. In den Küstenlanden gab es alte Sagen, die von geraubten Kindern erzählten. Kinder die unter die Erde gebracht wurden und für immer verschwanden.“ Neire verkniff sich ein Grinsen. Er dachte an die Geschichte, die er Bargh erzählt hatte, als er ihn damals in der verlassenen Jagdhütte getroffen hatte. Er nickte Zussa und Bargh zu und strich sich die gold-blonden Locken zurück. „Und Aschwind wird nicht erwähnt. Was merkwürdig ist. Für die Riesen wäre Aschwind ein nahegelegenes Opfer gewesen. Doch in Aschwind war diese Sphäre der Dunkelheit.“ „Seht ihr da einen Zusammenhang, Neire?“ Jetzt sprach Bargh, der Zussa und ihn zuvor ruhig betrachtet hatte. „Ich weiß es nicht. Wir wissen zu wenig, um Weiteres zu erraten. Doch vielleicht finden wir in den unerforschten Bereichen des Kerkers Geheimnisse, die uns helfen.“ Bargh nickte und antwortete. „Ja, lasst uns wieder hinabsteigen. Ich bin das Warten leid.“ Auch Zussa fand an Barghs Worten gefallen und sprang schon auf. Neire nickte und wendete sich zu Gorlag. „Wacht über das Gezücht der Riesen, Gorlag. Es darf ihnen nichts zustoßen. Ihr seid mein Freund und werdet mich nicht enttäuschen. Falls ihr Eindringlinge in diese Hallen bemerkt, kommt zu uns hinab und ruft uns zur Hilfe.“ Der orkische Sklave verzerrte sein Gesicht zu einem schweinischen Grinsen. „Nennen mich Gorlag, Freund ihr, großer Freund.“ Neire nickte ihm zu. „Gebt ihnen zu essen und zu trinken. Und ja… wir haben ihnen erzählt, ihre Eltern schliefen nur. Und sie glaubten uns.“ Beim letzten Satz starrte ihn Gorlag verständnislos an. „Eltern von Abschaum nicht schlafen, Eltern aufgeschlitzt… ja… aufgeschlitzt.“

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Bargh spürte die Kälte, die das unterirdische Wasser gebracht hatte. Er beugte sich nach vorn und hustete das kühle Nass aus seinen Lungen. Der Trank, den er und Neire zu sich genommen hatten, war wirkungsvoll gewesen. Sie waren durch den unterirdischen Tunnel getaucht und hatten Wasser wie Luft geatmet. Bevor sie in diesen Bereich des Kerkers gekommen waren, hatten sie weitere unterirdische Gemächer erkundet. Sie hatten einige Lagerräume entdeckt, die allerlei Werkzeuge zur Steinbearbeitung enthielten. Hinter zwei verschlossenen Portalen, hatten sie ein Weinlager gefunden. Der liebliche Geruch des Rebensaftes war in dem Gewölbe gewesen, in dem Fässer gestapelt worden waren. Eine Anzahl von 13 kleineren Fässern hatte Neires Aufmerksamkeit gewonnen. Die hölzernen Gebinde waren nicht sehr groß, doch ihren Inhalt hatte er als besonders gehaltreich und kostbar erkannt. Sie waren mit einem Wachs versiegelt gewesen, das einen eingelassenen Totenkopf trug. Ein lichtloser Tunnel hatte sie dann zu einer Halle geführt, die in ihrer gesamten Größe eine unterirdische Zisterne darstellte. In dem tiefen, klaren Wasser hatten Neire und Bargh dann den Tunnel entdeckt, der dort hinwegführte. Nach einer kurzen Beratung hatten sie sich entschieden diesem Tunnel zu folgen, der sie in eine natürliche unterirdische Höhle mit einem Fluss gebracht hatte. Die Strömung des Quellflusses war nicht besonders schnell gewesen und so hatten sie sich an einem Ufer hinaufgezogen. Als Bargh sich aufrichtete, sah er, dass Neire bereits den seidenen Vorhang von Ortnors Labor entfaltet hatte, aus dem Zussa hervorlugte. Sie hatten keine lange Überredung gebraucht, da war Zussa bereits in den merkwürdigen Raum gestiegen. Die Erwähnung des kühlen Wassers hatte ihr Übriges getan. Bargh richtete sich auf und versuchte ein Zittern, so gut wie es ging, zu unterdrückten. Er blickte sich um in der Dunkelheit. An einigen Stellen hatten sich Stalaktiten gebildet. Das gräuliche Gestein des Jotenwalls schimmerte nass in der Feuchtigkeit des unterirdischen Flusses. Bargh beugte sich immer wieder hinab, um nach Spuren zu suchen. Er durchschnitt die Höhle langsam. Hinter einem Felsbrocken und in der Nähe der Wand wurde er fündig. Es waren Löcher im Felsen und in der Erde. Er erinnerte sich an die Spuren, die er beim Verlassen der Irrlingsspitze gefunden hatte. Und diese Spuren waren sehr ähnlich. Bargh dachte zurück an die Angriffstaktiken der Wesen und blickte instinktiv in Richtung der Decke. Dort sah er sie. Raupen-ähnliche Kreaturen, drei Schritt lang. Von chitinernem, wellenförmigem Panzer, der halb transparent schimmerte. Die Wesen tasteten mit mehreren fleischigen Tentakeln, deren ekstatische Zuckungen jetzt zunahmen. Bargh schrie auf und warnte Neire und Zussa. Keinen Augenblick zu spät. Die Kreaturen ließen sich auf sie hinabfallen und ein wilder Kampf entbrannte. Bargh hieb und stich um sich herum und tötete eine der Kreaturen. Doch weitere stürzten hinab und ließen ihre Tentakel vorschnellen. Bargh hörte magische Geschosse schmatzend in den Körpern der Kreaturen explodieren. Er sah Neires Feuer, das die Wesen verbrannte. Einmal spürte ein brennendes Gefühl, als zwei Tentakel seine Haut berührten. Doch Bargh biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter. So konnten sie schließlich auch die letzte Kreatur töten. Tief atmete er auf und blickte sich um. Er sah keinen Gegner. Nur Neire und Zussa, die beide unverletzt geblieben waren. Sie nickten sich zu und begannen die Höhle zu durchsuchen. Viel fanden sie nicht und so kehrten sie durch den Wassertunnel zurück.

Geifer lief vom Maul der Gestalt, die an eine Kreuzung von einem Menschen und einem Wildschwein erinnerte. Die Augen des Orks zuckten verrückt und er brabbelte wirres Zeug. Neire beugte sich hinab und blickte dem Wesen in die Augen. Was hatte er wohl hinter dem Altar gesehen? Was hatte er gesehen, als er dort in die Nische blickte? Neire dachte einen Moment nach. Was diese Kreaturen wohl tun würden, in dieser Situation. Neire erinnerte sich an erste ihre Begegnung. Sie waren wieder zu den Türen zurückgekehrt, hinter denen sie die Stimmen der Orks gehört hatten. Von dort war jetzt ein lautes Hämmern gekommen. Neire hatte die Rufe. „Meister, wir hier. Nicht vergessen uns. Wir stark… können dienen. Wir dienen Meister,“ gehört, denen eine fortschreitende Verzweiflung anzuhören war. Neire hatte Bargh die von außen durch einen Bolzen verschlossene Tür öffnen lassen. Er hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und sein lockiges, noch nasses Haar nach hinten gestrichen. Dann war er in den Raum geschritten, der sich in der Dunkelheit auftat. Er hatte gelächelt und die silberne Krone mit dem bläulichen Diamanten hatte gefunkelt. „Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und euer Befreier,“ hatte er sie in ihrer Sprache begrüßt. „Jiarlirae wird eure Göttin sein. Sie ist von Flamme und Düsternis, Trägerin der Geheimnisse. Kniet nieder und betet zu ihr oder kämpft und sterbt.“ Die Kreaturen hatten seinen Worten gelauscht. Doch sie waren verzweifelt und ausgemergelt. Ihr Anführer war hervorgetreten und hatte gesagt, sie würden das Kämpfen vorziehen. Neire hatte ihn betrachtet und war sich unsicher geworden. Doch dann war Bargh hinter ihn getreten und die Angst war den Kreaturen anzusehen gewesen. „Ihr seid der Anführer? Dann kämpft. Mann gegen Mann. Dem Sieger wird die Gunst Jiarliraes zuteil. Gewinnt Bargh, werdet ihr niederknien und Jiarlirae anbeten. Gewinnt ihr… nun ja. Dann seid ihr frei. Das soll unser Spiel sein und wir spielen es jetzt und hier.“ Der etwas größere und stärkere Anführer hatte ihn daraufhin abfällig angesehen und geantwortet: „Wir kämpfen, doch kein Spiel. Kampf und Sieg ist Stärke. Wahres Leben, kein Spiel. Leben von Ork ist Stärke.“ Neire hatte Bargh die Worte übersetzt und Bargh hatte gelächelt. Doch der orkische Anführer wähnte seine Gefolgsleute hinter sich. Er forderte sie zum Kampf gegen Bargh auf. Neire hatte sie dann angeschaut, mit rötlich glitzernden Augen. Er hatte die Macht des Jensehers gespürt und mit lispelnder Schlangenzunge gesprochen. Auf dass sie zurücktreten mögen – und sie waren zurückgetreten. Dann hatte Bargh dem Anführer die kostbare Axt aus Ne’ilurum hingeworfen, die den Namen Bewacher hatte und die sie Waergo von Naarbein in Unterirrling abgenommen hatten. Der Orkanführer hatte die Waffe aufhoben und sich kampfbereit gemacht. In seinen Augen war Angst und Verzweiflung zu sehen gewesen, doch mit der Waffe in der Hand auch eine Hoffnung auf den Sieg. Bargh war nach vorn geschritten und hatte unbarmherzig und schnell zugeschlagen. Göttliche Kräfte hatte der Krieger Jiarliraes aus der Düsternis beschworen. Sein in Flammen gehülltes Schwert hatte die Kreatur der Länge nach in zwei Teile gespalten. Fleisch und Blut waren in der Hitze kauterisiert. Beide Hälften waren danach auseinandergefallen. Bargh, mit glühendem Rubin im rechten Auge, hatte das flammende Schwert Glimringshert getragen und die Orks waren auf die Knie gefallen. Neire hatte mit ihnen gebetet und sie in seinen Bann gezogen. Danach waren sie zu den anderen Gefängnisgewölben geschritten und hatten weitere Orksklaven befreit. Auch diese hatte Neire bezaubert. So waren sie schließlich mit einem Trupp von fast vier Dutzend Sklaven aufgebrochen. Sie hatten die Orks die Steine in dem zugeschütteten Gang entfernen lassen. Dann waren sie in das vorgedrungen, was sich dort hinter befand. Die Höhle, die sie dort entdeckt hatten, hatte ein seltsames Gefühl, wie eine latente Panik, in ihnen erzeugt. Ein unterirdischer Tempel war dort im Felsen gelegen, dessen Gewölbe grünlich schimmerte und von vier Steinsäulen getragen wurde. Auf einer Anhöhe war ein gelblich schimmernder Altarstein zu sehen gewesen und eine dunkle Nische dahinter. Neire hatte einen Ork zum Altar geschickt, doch die Kreatur war in Panik und Furcht davongelaufen. Neire hatte einen weiteren Sklaven geschickt, doch diesmal war nichts dergleichen passiert und auf dem Altar war ein Anhänger mitsamt Halskette aus schwarzem Metall erschienen. Die Kette hatte einen Käfer dargestellt. Neire hatte den Orksklaven die Kette einsammeln lassen und war zur Truppe zurückgekehrt, die den Sklaven, aus dessen Maul Schaum lief, zu Boden drückte. Jetzt stand Neire auf, als er feststelle, dass der Geist nicht mehr zu retten war. „Was macht ein Ork mit ihm. Ihm, der verrückt geworden ist,“ fragte Neire die Gestalten. „Wir töten. Er sterben. Er schwach. Kein Ork mehr. Wir Orks, wir stark,“ war die gegrunzte Antwort. Neire nickte und sprach: „So tut es.“ Es sah, wie einer der Orks seinen Kameraden zu würgen begann. Neire sah Mordlust und Genugtuung in den Augen der Kreatur.
Titel: Sitzung 70 - 100 Orks und ein Fest für Jiarlirae - Teil I.
Beitrag von: Jenseher am 16.07.2023 | 00:26
Sie folgten dem Gang durch die Dunkelheit. Hinfort von der seltsamen unterirdischen Halle, deren Anblick bei ihnen ein geistiges Kribbeln und eine Gänsehaut hervorgerufen hatte. Zussa schritt hinter Bargh. Sie glaubte Neire neben sich zu spüren, doch er war durch den Schattenmantel verborgen. Sie drehte sich gerade um und betrachtete mit Abscheu den Tross der Kreaturen, die ihnen folgten. Jetzt waren die Orks glücklicherweise hinter ihr, doch als sie im Gang gewartet hatten, war der Gestank von Schweiß und schlimmeren Körperausdünstungen fast unerträglich gewesen. Zudem konnten einige der Kreaturen nicht aufhören, in ihrer niederen Sprache von Grunzlauten zu brabbeln. Zussa sah in den Kreaturen nicht mehr als Abschaum. Wertlose Sklaven, die sie gerne brennen sehen würde. Sie malte sich bildlich aus, wie sie einen nach dem anderen anzünden würde. Sie konnte ihre Schreie schon hören. Zussa hatte ihr Anliegen schon mehrfach geäußert, aber Neire schien andere Pläne mit ihnen zu haben. Und sie erlaubte es sich nicht, die Stimme von Jiarlirae anzuzweifeln, mit der Neire sprach. So drehte sie sich um, blickte nach vorn und fragte sich, wohin dieser Tunnel führen würde. Neire hatte zuvor angedeutet, dass auf der Karte der Riesen eine Sackgasse eingezeichnet war. Sie waren jedoch auf kein Ende gestoßen. Auch hier war der Tunnel in den Felsen des Jotenwalls geschliffen worden. Von riesiger Höhe, stützten eichene Baumstämme den grauen Stein. Plötzlich war da ein Schimmern in der Dunkelheit. Wie der Schein eines fernen Feuers. Neire mahnte zischelnd Schweigsamkeit und die orkischen Sklaven verstummten. Je weiter sie fortschritten, desto breiter wurden die Wände. Bis sie schließlich auf natürlich geformtes Höhlengestein stießen. Vor ihnen eröffnete sich eine unterirdische Grotte, in die der Gang sie führte. Sie sahen im Licht einer entfernten Feuerstelle Tropfsteinzapfen schimmern, die gleichermaßen an Decke und Boden zu sehen waren. Doch da war auch Bewegung in der Höhle. Zwischen bräunlichen Pilzen, deren Modergeruch zu ihnen strömte, bemerkte Zussa Kreaturen, die sich hinter Tropfsteine duckten. Einige hatten von ihnen Notiz genommen. Andere gingen ungestört ihren Tätigkeiten nach oder saßen am Feuer. Die Gestalten, die hier lebten, waren ausgemergelt und drahtig. Sie waren in Lumpen gekleidet. Ihre Haut schimmerte blass und hatte eine Spur von einem Grünton. Die Köpfe der menschengroßen Kreaturen zeigten eine Verwandtschaft mit wilden Ebern. Große, spitze Ohren standen von hässlichen Schädeln ab und Hauer waren in den Gesichtern zu sehen. Bargh verlangsamte seine Schritte und Neire tauchte aus dem Nichts auf, als er seinen schattenhaften Umhang zurückzog. Zussa verstand nicht die Worte, die Neire zu den befreiten Orksklaven hinter ihnen sprach. Doch wie Neire sich in der Zunge ausdrückte, hörte sich seltsam an. Viel zu melodisch, zischelnd war der Singsang des Jünglings. „Sie sagen, dass es ihre Brüder sind. Orks, die aus der Sklaverei der Riesen geflohen sind. Sie haben sich hier versteckt. Aber sie wissen nicht, wer ihr Anführer ist.“ Zussa hatte Neire aus dem Augenwinkel beobachtet. Sie spürte ihren Herzschlag, das Adrenalin und ließ die Höhle nicht unbeobachtet. Doch noch war keine Regung zu erkennen. Jetzt sah sie, dass Neire Bargh zunickte. Der große Krieger Jiarliraes, den eine Aura von Dunkelheit umgab, nahm sein Schwert und stieß es rhythmisch gegen sein Schild. Helle Klänge von Ne’ilurum drangen durch die Höhle und augenblicklich sah Zussa hektische Bewegungen in den langen Schatten, die das Feuer warf. Um sie herum begannen sich die Orks der Höhle zu sammeln. Sie trugen schartige Waffen oder einfache Werkzeuge, doch sie blickten sie feindselig an. Neire wechselte einige Worte mit ihnen, aber ihre dunklen Augen starrten sie weiter feindselig und hasserfüllt an. Dann waren drei Orks erschienen, die größer und muskulöser als alle anderen waren. Auch entdeckte Zussa bei ihnen weder Wunden, noch Narben von Folter. Die drei waren jeweils mit einer Schlachtenaxt, einem langen, Macheten-ähnlichen Messer und einem Krummsäbel bewaffnet. Zussa bemerkte, dass Neire etwas zitterte bei ihrem Anblick. Doch Bargh baute sich vor Neire auf und gab ihm Sicherheit. Neire unterhielt sich eine Zeit mit den Orks. Dann hatte das Kind der Flamme einen Monolog in der Sprache der Kreaturen gehalten und seine Augen hatten rötlich geschimmert. Der Anführer und seine Gefolgsleute hatten die Waffen gesenkt und sie waren ihnen gefolgt. Die beiden Unteroffiziere des Anführers waren aber feindselig und misstrauisch geblieben. Neire hatte einen Befehl gegeben und sie waren wieder aufgebrochen. Auf dem Rückweg durch den Tunnel hatte Zussa Neire gefragt. „Was habt ihr mit ihnen gesprochen und wann werden wir sie endlich los?“ Neire hatte sie daraufhin unverständnisvoll angeblickt. „Ich habe sie begrüßt und ihnen von ihrer Befreiung durch Jiarlirae berichtet. Ich habe verlangt, mit ihren Anführern zu sprechen. Dann habe ich mit ihrem Anführer, Odzor, gesprochen. Ich habe ihm erzählt, von Nomrus. Dass wir ihn getötet haben und...“ Zussa unterbrach Neire bei diesen Worten. „Ihr habt wohl vergessen, dass ich Nomrus getötet habe“, brachte sie lachend ein. „Ja, ihr habt ihn getötet. Doch sie waren nicht überzeugt. Sie glaubten uns nicht. Sie wollten sogar die Sklaven töten, die wir aus den drei Kammern befreit hatten. Ich erklärte ihnen, dass man manchmal dienen muss um zu töten. Doch sie verstanden es nicht. Also habe ich sie überzeugt, durch die Augen des Jensehers. Jetzt gehorchen sie mir… bis auf Gruk und Urzul, die beiden Unteroffiziere. Sie sollen ihr Schicksal selbst bestimmen.“ Zussa nickte und verbiss sich ihre Wut. Sie hatte eigentlich gehofft die Kreaturen alsbald loszuwerden, doch sie ahnte, dass Neire etwas mit ihnen vorhatte. Sie waren bereits in den zentralen Bereich des Kerkers zurückgekehrt und standen jetzt vor den drei verschlossenen Gefängniszellen, aus denen sie stöhnende Laute und einen Gestank von verwesendem Fleisch und Fäkalien vernehmen konnten. Die Menge der Kreaturen begann bereits unruhig zu werden, als sie die Rufe ihrer Artgenossen aus den Zellen hörten. Bargh hob Neire hinauf zu einem Schloss, das, für sie unerreichbar, in einer Höhe von drei Schritt befestigt war. Neire zog einen langen Schlüssel hervor und begann mit beiden Händen das Schloss zu öffnen. Als Bargh das riesenhafte Portal aus Baumstämmen aufzog, stürmten die ersten Kreaturen hervor. Teils von grässlichen Wunden bedeckt, humpelten sie heran. Der Gestank wurde dadurch nicht weniger und Zussa biss sich wütend auf die Zunge. Sie dachte an Feuer und Dunkelheit. An die schönen Stunden der Reise und ihren Kampf. Barsch war ihr Ausruf, der ihr Ungemach unterstrich. Und Neire erhörte sie. So wandte sie sich um und verließ den Kerker. Sie wollte in der Halle des Nomrus verweilen und sich ihrer Göttin zuwenden. Sie tat, wie ihr gewiesen wurde und dachte an ihre Maske, an Flamme und Düsternis. Sie dachte an Neires Gebete aus Nebelheim. Wann würde sie die okkulte Sprache von ihm lernen?

Neire hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Kreaturen zu zählen, die Odzor nach oben führte. Der Anführer schrie beständig grunzende Befehle in Richtung seine Gefolgsleute. Doch er wendete sich auch zu Neire, um ihm wieder und wieder die gleichen Fragen zu stellen. „Ihr Freund. Guter Freund. Ich auch Freund. Wo tote Riesen, wo Bastard… genannt Nomrus. Ihr zeigen gemordeten Nomrus. Freund versprechen mir.“ Neire nickte und lächelte Odzor an. Der Anführer der Orks war fast einen Kopf größer als er selbst. Sein Schädel war breiter und schweinischer, als die seiner Artgenossen. Eine Glatze zeigte sich hinter der fliehenden Stirn. Die Kreatur wirkte furchteinflößend auf Neire, doch er spürte die schwarzen Kräfte des Jensehers wirken. „Habt Geduld Odzor. Ihr werdet es schon bald sehen.“ Der Anführer gab sich mit seiner Antwort zufrieden, wie ein kehlig-nasales Gurgeln erkennen ließ. Als Neire und Bargh die Halle betraten, empfing sie der Gestank der Leichen, die im Eingangsbereich aufgetürmt waren. Hinter ihnen brach augenblicklich ein Tumult aus. Jubelschreie und tiefes Grunzen zeigten die Freude der Orks, als sie ihre aufgeschlitzten Meister sahen. Im Haufen der Kreaturen brachen sich chaotische Wellen von Hass ihre Bahn. Orks stießen andere um und kletterten auf den Haufen von Leichen. Sie schlugen mit ihren einfachen Hämmern auf Köpfe und rissen Gedärme heraus. Neire war mit Bargh bereits etwas vorgegangen. Er sah, dass Zussa sich im Bereich des verbrannten Thrones niedergelassen hatte, ihn jedoch beleidigt und entrüstet anschaute. Zudem hörte er ein Weinen und Schreien von den gefesselten Zöglingen der Riesen. Ein weiblicher Säugling, wohl kaum älter als ein Jahr, doch bereits so groß wie ein erwachsener Mensch, hatte sich in einen Schreikrampf gesteigert und ihre Stimme war deutlich durch die lärmenden Orks zu hören. Zussa brachte das Schreien aus der Fassung und Neire sah, wie sie auf die Kreatur zuschritt. Sie brüllte dem Kind etwas zu, doch das Schreien wurde dadurch nicht weniger. Zuerst begann Zussa das Riesenmädchen zu Ohrfeigen, doch als das keine Wirkung zeigte, schlug sie mit der Faust zu. Erst als das debile Geschöpf mit blutender Nase nach Luft schnappte, ließ Zussa ab. Die Orks waren mittlerweile in die Halle des Nomrus gestürmt und hatten sich an den Bänken verteilt. Es war ein heilloses Chaos ausgebrochen, als sich einzelne Sklaven um Essens- und Bierreste stritten. Erst als Neire Odzor zu sich rief und ihn aufforderte für Ruhe zu sorgen, ließen sich die Kreaturen nieder. Neire begann seine Worte an sie zu richten. Er sprach von der Schlacht gegen die Riesen und vom Ruhm Jiarliraes. Doch Neires Worte waren auch fordernd. Sie hatten Vorbereitungen zu treffen. Er wusste, dass die Orks ihm Folge leisten würden. Ein Fest zu Ehren der Göttin musste vorbereitet werden. Ein Fest, das keiner von ihnen jemals vergessen sollte.

Sie hatten sich alle an den Vorbereitungen beteiligt. Bargh, Zussa und Neire. Die Orks hatten zu Anfang zwei einfache Befehle erhalten. Die Köpfe der Riesen abzuhacken und die Leiber in die Vorhalle zu schaffen sowie die Küche und die Vorratskammer zu plündern. Bargh hatte derweil das Feuer der großen Schale wieder entfacht und Neire und Zussa waren mit einigen Orks in die Höhlen hinabgestiegen. Dort hatten sie nach Heilkräutern gesucht. Bis auf einige Giftpilze hatten sie jedoch keine Kräuter finden können. Vor einem entfernten Bereich der natürlichen Grotten hatten die Orks sie gewarnt. Dort würden sich gefährliche Kreaturen aufhalten. Sie waren daraufhin zurückgekehrt und hatten sich um die verwundeten Orks gekümmert. Bargh hatte einen Kessel mit Wasser heranschaffen lassen, in dem sie Leinentücher ausgekocht hatten. Dann hatten sie die teils vereiterten Wunden der Orks behandelt. Zussa hatte derweil den Bereich um den alten Thron mit kostbaren Fällen aus Nomrus‘ Gemächern ausgelegt und sich um Sitzgelegenheiten gekümmert. Vor den Stufen der Erhöhung hatte sie zudem die Köpfe der Riesen - etwa drei Dutzend Stück – hinschaffen lassen, die Zussa jetzt wie kleine Säulen ausgerichtet hatte. Bis auf die Kriegerfrau des Nomrus waren alle Leichen geköpft und herausgeschafft worden. Um die brennende Feuerschale saßen die weinenden Bälger der Riesenrasse. Dort hinter waren die Vorräte aufgetürmt. Große Käseräder und zwei mannshohe Kessel mit Suppe. Lange Wurstketten und Räucherfleisch. Riesige Brote und einige der gebratenen Rinderhälften. Hölzerne, eisenbeschlagene Fässer mit Bier, Met und Wein. Das Fest hätte beginnen können, wäre da nicht Gruk gewesen. Während der Vorbereitungen hatte er sich grölend auf eines der Käseräder gestürzt, hatte andere Orks aufgefordert es ihm gleich zu tun. Doch keiner war ihm gefolgt. Selbst Urzul, der bereits einen Schritt in die Richtung der Käseräder gemacht hatte, war zurückgeblieben. Zu groß war seine Verunsicherung gewesen, hatte er doch bemerkt, dass niemand Gruk gefolgt war. So hatte sich Neire abermals an Odzor gewandt. Der Anführer hatte Gruk niedergerungen. Sie wollten ihn hier und vor den Augen aller totgeschlagen haben, doch Neire hatte das abgelehnt. So hatten sie Gruk gefesselt und zu dem Gezücht der Riesen gelegt. Sein Schicksal musste entschieden werden, bevor das Fest begann. Neire war aufgestanden und hatte Odzor um Ruhe befohlen. Es sollte der Anfang sein.
Titel: Sitzung 70 - 100 Orks und ein Fest für Jiarlirae - Teil II.
Beitrag von: Jenseher am 21.07.2023 | 23:01
Es war das werdende Heiligtum von Irrling, der Tempel des Jensehers, von dem uns unsere Göttin hinfort geführt hatte. Tief in die nordwestlichen Lande, die sich dort hinter auftaten. Es war die Festung eines Riesen, die unser Ziel sein sollte. So fanden wir das, was wir suchten. Wir drangen ein in die Gewölbe und der Kampf war lang. Doch wir erschlugen jeden einzelnen dieser plumpen Rasse. Bis auf das Gezücht, ihre Sprösslinge, die wir schonten. Doch gleichwohl zeichneten wir sie - die Abkömmlinge der blinden Rasse - mit Zir’an’vaar, der heiligen Rune von Hingabe und Opferung. Denn die höchste Göttin, die von Flamme und Düsternis, war mit mir und mit meinen Jüngern: Bargh, dem Drachentöter und Zussa, der Hand der Flamme.

Es war in dieser namenlosen Festung, wo das Banner von Jiarlirae offenbart werden sollte. Es war an diesem Ort, wo die Werdung IHRER Prophezeiung einen Klang fand. Es war hier, wo sich die Seelen versammelt hatten, um IHR zu huldigen. Die Seelen waren schwach und unrein, doch es waren Seelen. Die Seelen waren hasserfüllt und opferwillig, sie dürsteten nach Fleisch, Blut und Leben. Es waren die Seelen einer sklavischen Rasse, die versucht hatte, sich zu erheben und doch schwach waren, im Antlitz ihrer einstigen Meister. Es waren ihrer 100 an der Zahl. Doch einer trotzte dem Flüstern in Feuer und Dunkelheit. Einer war bereit sich aufzulehnen und seine Seele in die Waagschale zu werfen.


Eine gespenstige Stille war eingekehrt und der Augenblick war heilig. Das Feuer der Schale knisterte und die Schatten waren lang. Ich, Neire von Nebelheim, Kind der Flamme und Prophet Jiarliraes, trat hervor, in der Flammen Schimmer. Ein Raunen von Bewunderung vernahm ich und einzelne Rufe nach unserer Herrscherin. Doch ich mahnte Stille. Dann bat ich ihn, meinen neuen Diener, Odzor, die Fesseln von Gruk zu lösen. Der Anführer der Orks tat wie befohlen und Erstaunen war in den Gesichtern seiner Gefolgsleute zu erkennen. Ich sprach zu ihnen, in ihrer niederen Zunge. „Sehet, Krieger. Vor euch erhebt sich Gruk, der sich aufgelehnt hat, wider unsere Göttin. Soll er sterben? Ist es euer Wille?“ Die Menge jubelte und rief mir zu: „Ja, tötet ihn. Er soll sterben! Tötet ihn für Jiarlirae.“ Doch erneut hob ich die Hand und es folgte die Stille. „Aber ich sage euch, es liegt nicht an uns über seine Seele zu richten. Die höchste Göttin, sie von Flamme und Düsternis sagt – und lauschet – er solle selber wählen. Den Weg gegen ihre Weisheit oder den Weg der Opferung – offen und freimütig seine Seele zu geben.“ Sie jubelten erneut, denn sie sahen, dass Bargh ihm eine Axt gab. Sie hofften auf den göttlichen Zweikampf, von Gruk und Bargh, dem heiligen Krieger, dem Drachentöter. Doch in all dem Getöse trat Gruk zu mir heran. Er ließ die Klinge der Axt sinken und flüsterte mir zu, so dass nur ich es hören konnte. „Ist es wahr, oh großer Neire? Bereit bin ich meine Seele zu geben. Doch wird SIE, wird Jiarlirae sie akzeptieren?“ Ich rief sie erneut zur Stille, ein drittes Mal. Ich sprach zu ihm, die heiligen Worte, die alle hören konnten. „Sprecht mir nach“, sagte ich. „Dreimal.“ Er nickte und ich begann die Verse zu zitieren. „Bei IHR, Flamme und Düsternis, schwöre ich, Gruk. Ich gebe sie EUCH oh Jiarlirae, ältester und höchster Göttin, Schwertherrscherin, Königin von Feuer und Dunkelheit, Dame des abyssalen Chaos, Herrin der Acht Schlüssel der brennenden Düsternis. Ich reiche EUCH meine Seele. Durch die brennende Düsternis und bis in das Licht der schwarzen Sonne. Ich bin EUER im Jetzt und für alle Ewigkeit.“ Mit einem kleinen Schnitt in seine ausgestreckte Hand, floss sein Blut in den Krug hinab. Ich hob sein Kinn, blickte ihm in seine Augen und sprach. „Einst haben euch die Riesen versklavt. Doch nun sollt ihr keine Meister mehr haben. Ihr dient Jiarlirae; Feuer und Düsternis werden euch leiten.“

Ich winkte Zussa heran, denn ihre Stunde war gekommen. Sie schritt in den Schein der Flammen und die Schatten folgten, wie lauernde Wölfe. Ich nickte ihr zu. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. Sie lächelte und ich wusste, dass sie bereit war. Ich hob ihre Hand und wies sie der Menge. „Sehet, die Hand der Flame. Sehet, Zussa. Sie trägt die Male unserer Göttin und sie soll IHRE Zeichen wie eine zweite Haut tragen.“ Die Kreaturen jubelten ihr zu. Sie sahen die verbrannten Finger von Zussa, sahen sie als eine der ihren. Dann zog Bargh den Auserwählten des Gezüchtes der Riesen heran. Kaum größer als Zussa, war die Kreatur, nicht einmal einen Winter alt. Zussa nahm den Dolch von Bargh. Sie zitterte, als sie den ersten Schnitt machte. Doch sie gewann an Zuversicht, als rotes Blut über das Gesicht des Balgs rann. Helle Schreie erfüllten die Halle und ein Johlen der Menge setzte ein. Zussa schnitt und hebelte. Die Haut des Geschöpfes war ledrig und zäh. Doch dann hielt sie das Gesicht der Kreatur in ihren Händen. Die Maske aus Haut war rot verschmiert, doch sie legte sie auf ihr Gesicht. Es sollte ihre heilige Maske werden. Die Tore werden für Zussa geöffnet sein, wenn sie sich einst in die rauschenden Feste von Nebelheim stürzen wird.

Ich bat sie hervor. Den Drachentöter und die Hand der Flamme. Beide wendeten sich an die Menge. Bargh schritt wortlos in das tosende Feuer der Schale. Er kniete sich nieder inmitten der Glut. Erschreckende Schreie waren zu hören. Dann breitete er seine rabenschwarzen Schwingen aus und sie brannten in einem schwarzen Licht. Er sprang hervor, ergriff sich den Schädel des namenlosen Anführers der Riesen und war ihn ins Feuer. Sein Schrei für Jiarlirae erfüllte donnernd die Halle. Zussa hingegen richtete ihre Worte an die Kreaturen. Sie sprang geschickt von Kopf zu Kopf und ihr Lachen war das von Flammen. Sie sprach von Offenbarung, von Geheimnissen in Flamme und Düsternis. Sie sprach davon, wer wert war, die Geheimnisse zu erfahren. Sie sprach davon, wer vergehen würde im Feuer der Sterne und der Dunkelheit des großen Unteren. Dann richtete ich meine Worte an sie. Ich fragte die Kreaturen, ob sie die Göttin in sich aufnähmen, in all ihrer Gänze, in ihrer Absolutheit von Flamme und Düsternis. Und sie schrien und sie tobten. Sie huldigten Jiarlirae. Und ich fragte sie, ob sie der Menschenschlange frohlockten, der Vernichtung und dem Chaos, die sie einst über diese Welt bringen sollte. Und sie jubelten und sie bejahten. Sie huldigten Jiarlirae. Und ich fragte sie, ob sie den Krieg annähmen, den die kommende Herrschaft der Schwertherrscherin erforderte. Und sie feierten und sie tanzten. Sie huldigten Jiarlirae, sie schrien ihren Namen in Chören und feierten ihr Zeichen. Es war die Offenbarung der Dualität der erweiterten Rune Firhu. Wir malten sie mit dem Blut an die Wand über dem Thron. Es war die Gabe des Feuers und der Schatten. Es waren die acht Arme des Chaos, die sich zu zwei Wegen verästelten. Und da war die schwarze Sonne im Mittelpunkt. Der Ursprung der Dualität und der Schlüssel zu allen Geheimnissen.

Zussa hatte Neire bei seiner Rede beobachtet. Der Jüngling hatte seinen Mantel und seinen Rucksack abgelegt und seine gold-blonden Locken schimmerten rötlich im Schein des Feuers. Im Augenblick eingefroren wirkte Neire wie das Kind, das er war. Doch die Rede, seine Mimik und seine Bewegungen zeigten seine Erfahrung. Nur unterbewusst nahm Zussa die überhebliche Selbstverliebtheit wahr, die Neire ausstrahlte. Für sie war es die Stimme von Jiarlirae, die durch Neire sprach. Er hatte sie schließlich aus dem Kerker gerettet und ihr Dinge gezeigt, von denen sie vorher nicht einmal geträumt hatte. Während sie die Gesichtshaut des Riesenbalgs abgerissen hatte, hatte Neire ihr zugeflüstert: „Je schlimmer die Schmerzen, desto schöner die Erinnerung.“ Sie musste grinsen, als sie zurückdachte, wie sie die Haut abgeschnitten hatte und was für eine leere blutige Hülle von der armseligen Kreatur übriggeblieben war. Sie erinnerte sich zurück, an das, was nach der Rede von Neire passiert war. Sie hatten die drei Größten der Abkömmlinge der Riesen gepackt und einen nach dem anderen auf die Knie gezwungen. Neire hatte jedem der Drei das linke Ohr abgeschnitten und es in die Menge der Orks geworfen. Dann hatte Bargh ein glühendes Langschwert aus dem Feuer gezogen und es gegen das verstümmelte Ohr gehalten. Neire hatte schließlich die Kreaturen in die Menge entlassen, in dem er folgende Worte schrie: „Sehet, sie haben das Mal Halbohrs und sie werden Halbohr, dem kommenden Führer dienen. Quält sie gut, so dass sie auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.“ Die Glieder der armseligen Kreaturen waren noch wie eingeschlafen, als sie sich furchterfüllt umblickten und versuchten dem Mob zu entfliehen. Doch sie wurden von den Orks empfangen. Ein Hagel von Tritten und Schlägen ging über die drei Zöglinge nieder, als sie durch die Halle gejagt wurden. Einige Orks benutzen Messer und fügten ihnen oberflächliche Schnitte zu. Schließlich hatte sich die Szene beruhigt und die drei jungen Hügelriesen hatten sich weinend in eine Ecke zurückgezogen. Zussa beobachtete jetzt die Szenerie der Orks. Sie hatte die Kreaturen vielleicht unterschätzt. Ihre Laune hatte sich zunehmend verbessert, nachdem sie bemerkt hatte, dass die Kreaturen Jiarlirae besonders zugetan waren. Jetzt war die Stimmung jedoch angespannt und Zussa konnte erkennen, dass die ausgemergelten Kreaturen nach Fleisch lechzten. Zussa bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Im Toben und Schreien der versammelten Orks drehte sich Neire um und nickte Bargh und ihr zu. Sie wusste, was zu tun war. Sie hatten vorher darüber gesprochen. Sie trat mit Bargh und mit Odzor an die Feuerschale heran, in deren riesenhafter Breite ein großes Feuer brannte. Bargh hatte die metallenen Bratspieße der Riesen hervorgeholt, auf dem zuvor die Rinder über dem Feuer gedreht wurden. Die eisernen Lanzen waren bestimmt vier Schritt lang und mit einer scharfen Spitze versehen. Bargh packte den ersten gefesselten Zögling der Hügelriesen und führte ihn heran. Zussa begann mit Neire die Körperbegebenheiten der Kreatur zu studieren. Sie erinnerte sich zurück an die Bücher der Anatomie, die sie zuletzt in der Irrlingsspitze gelesen hatte. Es musste jetzt alles schnell gehen. Odzor drückte die schreiende Kreatur zu Boden und sie begannen ihr blutiges Werk. Als sie die Lanze von hinten einführten, begann das Balg in einen Schreikrampf zu verfallen. Wie eine Sau, die zur Schlachtbank geführt wurde. Zussa kannte die Geräusche von Schlachtungen aus ihrem Dorf. Sie hatten die Lanze jedoch falsch vorangetrieben und zu viel Blut strömte zwischen den Beinen der Kreatur hinab. Alsbald begann das Schreien zu ersterben. Auch bei der zweiten und der dritten Gestalt wurde es nicht besser. Doch mit jedem weiteren Abkömmling des Gezüchts, verbesserten sie ihre Technik. Die Pfählung der verbleibenden fünf Kreaturen führte nur zu minimalen Blutungen und so sah Zussa erleichtert, dass die Gestalten noch lebten, als die Bratlanzen über die Dreibeine der Feuerschale gehoben wurden. Was dann kam, erfüllte sie mit ekstatischen Glücksgefühlen. Sie begaffte die Zöglinge, wie sie von den Flammen verzehrt wurden. Sie tanzte um sie herum und genoss den Anblick. Wie die Haare anfingen zu brennen, die Augen platzten. Odzor und ein weiter Ork drehten die Spieße, als die Schreie zu einer grausamen Kakophonie von irdischer Qual anwuchsen. Zussa lächelte und äffte ihre Schreie nach. Sie dachte an die Welt dort draußen, an Städte und Dörfer. Sie stellte sich vor, wie die Welt brennen würde. Wie sie selbst sie anzünden würde. Sie nahm nicht mehr Notiz von dem was dann geschah. Kaum hörte sie Neires helle, zischelnde Stimme, wie er das Fest eröffnet. Kaum bemerkte sie die anstürmenden Orks, die sich rohe Stücke von Fleisch von den noch lebenden Kreaturen abschnitten, die über dem Feuer brannten. Der Anblick hätte sie erfreut, doch sie stierte in die Flammen und dachte an ihre Vergangenheit. Dann zog sie das blutige Stück Haut hervor, das sie selbst nach den Formen ihres Gesichtes geschnitten hatte. Immer wieder stülpte sie sich die Maske über. Sie blickte in die Flammen und dachte an das, was sie mit Neire und Bargh noch erleben würde.

Neire hatte die Worte gerufen. Das Fest war eröffnet und der Mob brach sich seine Bahn. Lodernde Gier und verzehrende Lust rafften die ausgemergelten Kreaturen hin, die wieder und wieder den Namen der wahren Göttin grunzten. Bargh, Neire und Zussa hatten sich auf ihren Fellen niedergelassen, tranken den Wein und schauten dem Spektakel zu. Sie hatten alle von den gebratenen Riesenkindern gekostet, sich dann aber doch entschieden von den Rindern zu essen. Neire hatte schließlich seinen alten Nebelheimer Degen hervorgeholt und allen vom Grausud eine Fingerkuppe angeboten. In dem Geheimfach am Griff der Schlangenklinge war noch eine große Menge der Substanz vorhanden gewesen. Jetzt, im einsetzenden Alkoholrausch und unter dem Einfluss des Grausuds, begannen die Farben zu leuchten und lange feurige Fäden zu ziehen. Sie scherzten einige Zeit, als sie immer wieder einzelne Orks betrachteten, die seltsame Handlungen vollzogen. Gerade schrie Zussa auf: „Bargh, Neire, schaut! Schaut was Gruk dort macht.“ Sie folgten Zussas Finger und sahen Gruk, der sich ein großes Stück gebratenes Fleisch von den Zöglingen abgeschnitten hatte. Doch er hatte es nicht für sich selbst bestimmt. Gruk ging zu den noch lebenden Bälgern mit dem verstümmelten Ohr, begann sie zu schlagen und ihnen das Fleisch ihrer Geschwister zu füttern. Sie alle lachten, als sie das Schauspiel sahen. Neire blickte Zussa und Bargh voller Bewunderung an. „Natürlich hat es nicht den Glanz von Nebelheim. Natürlich ist es kein Fest im inneren Auge. Doch es hat seine eigenen Geschehnisse und Wunder. Ich bin so froh, dass ich das mit euch erleben kann. Auch wenn ich aus Nebelheim fliehen musste und meiner wahren Bestimmung den Rücken gekehrt habe.“ Bargh und Zussa hatten zugestimmt, doch der Drachentöter hatte schneller und schneller getrunken. Schließlich war Bargh aufgestanden und hatte angefangen einige der Köpfe der Riesen ins Feuer zu werfen. Dabei hatte er Beleidigungen an seinen alten Orden gelallt. Als Zussa ihn schließlich beruhigen wollte, war er erstarrt und hatte sie angestiert. „Zussa… wann wollt ihr endlich erwachsen werden. Längst seid ihr kein Kind mehr. Ihr wisst doch… was ich meine… wie es geht.“ Bargh hatte einige vulgäre Hüftbewegungen vollzogen und Zussa hatte ihm aus Wut gegen das Schienbein getreten. Doch Bargh hatte keine Reaktion gezeigt. Schwankend hatte er weiter gelallt. „Ihr müsst euch einmal einen Mann nehmen… ähhh… wisst nicht wie? Dann… Neire, zeigt es ihr. Befehlt diesen verdammten Orks, sie sollten die Frau des Nomrus begatten.“ Neire hatte den Kopf geschüttelt und wollte etwas sagen, doch Zussa hatte angefangen zu schreien. Dann war sie hinfort gelaufen in eines der anderen Gemächer. Neire hatte noch etwas zu Bargh sagen wollen, doch der Drachentöter war der Länge nach zusammengebrochen. Neire hatte sich zu ihm gesetzt. Immer wieder hatten ihm Orks gehuldigt, waren vor ihm auf die Knie gefallen. Doch nach und nach war auch die Letzte der Kreaturen im Suff umgefallen. So hatte Neire ins Feuer gestarrt und nach Runen gesucht. Und er hatte sie gefunden. Firhu war zu sehen gewesen, doch die Rune hatte sich geändert. Es war jetzt sein Symbol das er sah. Es war seine Stunde, denn Flamme und Düsternis waren über Euborea gekommen. Neire schwelgte in Gedanken. Er war bei Jiarlirae und sponn die Zukunft. Sie würden Feuer und Dunkelheit bringen. Und sie würden sie überkommen. Sie waren Treu im Glauben an die Schwertherrscherin. Und wer war mehr als das…

Sein Kopf schmerzte. Er schwitzte kalten Schweiß. Obwohl die Luft kühl und klar war. Äste streiften sein Gesicht und einige Mücken schwirrten um ihn herum, doch er nahm davon keine Notiz. Das letzte, an was er sich erinnern konnte, war, dass Neire Zussa und ihm Grausud gegeben hatte. Danach setzte seine Erinnerung aus. Irgendetwas musste er gemacht haben. Irgendetwas war passiert. Zussa beachtete ihn kaum und wahrte einen gewissen Abstand. Auch Neire war nicht gerade gesprächig. Bargh erinnerte sich nur schemenhaft, dass Neire vor ihrem Abschied lange mit dem Anführer der Orks gesprochen hatte. Dann waren sie aufgebrochen. Bargh konnte die Stille nicht mehr ertragen. So zog er seine Armbrust und sagte: „Lasst uns auf die Jagd gehen. Wer weiß, was wir hier finden.“ Nachdem die Antwort verhalten war, fügte er hinzu. „Was ist eigentlich noch passiert gestern? Bin ich eingeschlafen? Irgendwie kann ich mich nicht mehr erinnern.“ Als Zussa ihre Augen verdrehte und auch Neire nicht reagierte, hatte Bargh genug. „Ach, was solls. Damals in Fürstenbad habe ich mir noch Gedanken gemacht um solche Dinge. Irgendwann bin ich mit blutigen und geschwollenen Händen aufgewacht. Ja, ich war trinken gewesen, in einer Schenke. Im Galgenbogen, soweit ich mich erinnere. Damals habe ich mich geschämt. Meine Oberen haben mich büßen lassen. Doch ich habe nur meine Ehre verteidigt. Habe den Bastard niedergeschlagen. Was konnte ich dafür, dass er tot war? Heute ist es mir egal. Keiner sagt mir, was ich tun soll, was gut oder schlecht ist. Heute gibt es nur noch Bargh und Jiarlirae und natürlich Neire, ihren Propheten.“ Neire und Zussa folgten Bargh schweigsam. Die Worte des Kriegers drangen durch den Wald. Doch nach einiger Zeit wurden auch seine Silben karger, verebbten schließlich gänzlich. So schritten sie dem Abendlicht entgegen und dachten an das, was einst war.
Titel: Sitzung 71 - Ins Herz der Kristallnebelberge
Beitrag von: Jenseher am 27.07.2023 | 21:41
Die Sonne war schon im Westen verschwunden und das Licht dämmerte langsam. Sie waren den Tag über gewandert. Ihr Weg hatte sie an der Ostflanke der Kristallnebelberge entlanggeführt. Die majestätische Landschaft von weißen Gipfeln war immer dann zu sehen gewesen, wenn der wolkige Himmel aufbrach. Einige Gebirgsflüsse hatten sie überquert, die einen relativ niedrigen Wasserstand gehabt hatten. Jetzt waren sie müde und ihre Füße taten weh, von der Wanderung. Als sie die Lichtung im spärlichen Gebirgswald überquerten, zeigte Bargh auf eine Stelle nahe des Waldsaums. Unweit von einem kleinen Bach schien es, als wären zwei Felsen auseinandergebrochen. „Seht ihr den Überhang? Er wird uns einen Unterschlupf für die kommende Nacht geben“, sagte Bargh und wendete sich zu Neire und Zussa. Schweiß glänzte auf dem haarlosen, vernarbten Kopf des Kriegers und er verlangsamte seine Schritte. „Dann soll es so sein“, antwortete Neire. Sie schritten näher zu den Felsen und begannen ihr Lager auszubreiten. Neire und Zussa säuberten ihr Schuhwerk und ihre Kleidung von Morast. Dann schritten sie beide zu dem kleinen Bächlein und begannen sich zu waschen. Sie blickten hinab über die karge Bergwiese. Die östliche Hügellandschaft war in den Niederungen von Nebeln verhangen und ein kühler Bergwind frischte auf. Neire fröstelte in der Kälte des Bächleins, hatte er doch seine Schuhe und Kleidung abgelegt. Zussa kam immer besser mit der Kälte klar. Sie hatte jedoch aus Scham ihre Unterkleider angelassen und wälzte sich so im Wasser. „Was macht Bargh eigentlich, Neire? Er sollte es uns nachtun und den Gestank dieses Abschaumes abwaschen. Seit wir die Feste verlassen haben, haftet uns dieser Geruch an.“ Neire lächelte Zussa zu und trat in Pfütze, in der sie saß. Zussa bekam das Wasser ins Gesicht und schaute ihn vorwurfsvoll an. Doch Neire bemerkte, dass das Mädchen seinen linken Arm betrachtete. Die schwärzlich verbrannte Haut schimmerte rötlich an seiner Schulter. Dort, wo die drei Herzsteine mit seiner Haut verwachsen waren. Bevor Zussa etwas sagen konnte, wendete Neire seinen Kopf und warf seine nassen, gold-blonden Locken zurück. „Riecht ihr nicht den Rauch. Bargh macht ein Feuer. Vielleicht brät er uns etwas von dem Fleisch.“ Zussa schluckte bei dem Gedanken an die Rindshälfte, die sie aus der Feste des Nomrus mitgenommen hatten. So gingen sie zurück zum Feuer und trockneten ihre Kleidung. Bargh hatte tatsächlich etwas von dem Fleisch gebraten. Doch der große Krieger Jiarliraes hatte bereits gegessen und war in einen tiefen Schlaf gesunken. Über seiner Winterdecke hielt er Glimringshert, das schwarze Schatten blutende Schwert. Für einen Augenblick hatte Neire neckische Gedanken, als er Bargh so wehrlos dort liegen sah. Der Hunger und die Müdigkeit waren aber größer. So aß er mit Zussa von dem Fleisch. Sie tranken das klare Gebirgswasser und unterhielten sich leise über Nebelheim. Neire lehrte Zussa die heiligen Worte der Sprache der Yeer’Yuen’Ti. Doch Zussa konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren. Immer wieder fielen dem Mädchen mit den roten Locken und den Sommersprossen die Augen zu. Schließlich wandte sich Neire an Zussa. „Ich werde die erste Nachtwache halten, Zussa. Wir werden ein andermal weitermachen, mit der heiligen Sprache der Yeer’Yuen’Ti.“ Er zischelte die Worte und Zussa schlug nochmals die Augen auf. Dann kuschelte sie sich in ihre Winterdecke und schlief ein. Nachdem er gegessen hatte, stand Neire auf, schritt über die Wiese und versuchte die Müdigkeit zu verdrängen. Er blickte in Richtung der entfernten Berge, die wie weiß gepuderte Riesen in den Nachthimmel aufragten. Er dachte an ihre Aufgabe und an ihre Reise. Er dachte an Nebelheim und an den Schrein des Jensehers, an Halbohr. Und er genoss den Anblick der Oberwelt, ihre grenzenlose Freiheit.

„Neire, schnell, wacht auch.“ Zussas Stimme war warnend und eindringlich. Neire schreckte augenblicklich auf und blickte sich um. Es noch nicht lange hell. Graue bleierne Wolken bedeckten den Himmel. Die Glut des Feuers loderte noch. Zussa grinste ihn mit großen, grünlich funkelnden Augen an. „Was Zussa? Wieso müsst ihr mich jetzt wecken…“ Mürrisch runzelte Neire die Stirn. Das Zwitschern von Vögeln war zu hören und Zussa zeigte in Richtung des Bächleins. „Dort Neire, schaut.“ Neire richtete sich langsam auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte in die Richtung, in die Zussa zeigte. Dort wusch sich Bargh. Er hatte seine Rüstung abgelegt, war nackt und offenbarte seinen, von Brandwunden und Schwertnarben bedeckten Körper. Nachdem Bargh den Schicksalskartenfächer gespielt hatte, war seine Statur auf die Größe eines Ogers angewachsen. Bargh hatte zudem abgenommen. Muskelstränge waren an seinem gesamten Körper zu sehen. Zussa hielt sich die Hand vor den Mund, als sie kichernd auf den nackten Bargh zeigte. Neire atmete zischelnd ein und aus und stieß einen Fluch der Yeer’Yuen’Ti aus, den Zussa noch nicht kannte. „Habt ihr noch nie einen nackten Mann gesehen, Zussa?“ Er sah, dass Zussa errötete und verlegen zu Boden schaute. „Naja, eigentlich nicht. Nur Kinder und Jungen.“ Neire nickte und erinnerte sich an die Feste in Nebelheim zurück. Wie sich die Yeer’Yuen’Ti in der von Alkohol und Drogen geschwängerten Luft ungezügelter Lust hingegeben hatte. Er verdrängte die Gedanken an die Orgie der Massen und zog das Zauberbuch hervor, das einst Ortnor besessen hatte. Sie wollten bestimmt bald aufbrechen und er musste sich der schwarzen Kunst widmen.

Sie waren bereits zwei Tage gewandert und der bleierne Himmel hatte sie begleitet. Es hatte nicht geregnet. Die weißen Gipfel waren jedoch hinter der Wolkendecke versteckt gewesen. Immer höher und höher hatte sie das Tal geführt. Die letzten Bäume hatten sie schon am ersten Tag hinter sich gelassen. Sie waren in eine Wüste aus grauem Fels und Gestein gelangt. Ein reißender Strom grünlich schimmernden Wassers hatte ein Hochtal durchflossen; hatte sich in Schlangenlinien seine Bahn durch die Geröllmoränen gesucht. Bargh hatte nach Spuren gesucht, bevor sie sich niedergelassen hatten. Und er war fündig geworden. Große Abdrücke von Monstrositäten, mit drei Zehen, hatte er entdeckt. Die Abdrücke waren noch nicht alt gewesen und so hatten sie die erste Nacht umso wachsamer verbracht. Irgendwann waren sie von Bargh geweckt worden. Ein eisiger Wind war durch das karge Tal gezogen. Wolken hatten jedes Sternenlicht verschluckt. Sie hatten die Dunkelheit durchblicken können und die Kreaturen gesehen, die sich dort anpirscht hatten. Die Gestalten waren von einer primitiven Intelligenz gewesen, doch sie hatten sich instinktiv geschickt bewegt. Sie waren abgemagert gewesen, von gräulich-grünlicher Haut und dünnen Armen und Beinen. Die Gesichter der drei Schritt großen Kreaturen hatten wie entstellte Fratzen von Menschen gewirkt - lange Fangzähne und Mäuler aus denen Geifer rann. Neire hatte den Vorteil genutzt und das Feuer Jiarliraes hervorgerufen, das die Kreaturen einhüllt hatte. Doch sie waren herangestürmt, vier Stück an der Zahl. Der Kampf war kurz gewesen, doch tödlich. Glimringshert hatte durch die Leiber geschnitten und Bargh hatte einen Troll nach dem anderen niedergemacht. Sie hatten die Leichen entzündet, so gut wie es ging. Den Rest der Nacht hatten sie dann in unruhigem Schlaf verbracht. Am nächsten Morgen war die Reise von ihnen fortgeführt worden. Sie hatten nur die Karte mit der Markierung der Riesen gehabt und waren ins Ungewisse gewandert. In unweiter Entfernung ihres Nachtlagers hatte Bargh dann die Spuren der Trolle entdeckt. Sie waren den Spuren gefolgt und in eine kleine verlasse Höhle gelangt, die sie abgesucht hatten. Nachdem sie die Schätze der Trolle in Ortnors extraplanares Labor geschafft hatten, waren sie weitermarschiert. Höher und höher hatte sie das Tal geführt, welches sich schon bald verzweigt hatte. Die Klamm war enger und steiler geworden und schließlich wurden sie gezwungen zu klettern. Weiter aufwärts hatten sie einen Grat gesehen, an dem das Tal endete, doch im schwindenden Lichte des Abends war es ihnen nicht möglich gewesen den Grat zu erreichen. So hatten sie sich zu einer weiteren Rast niedergelassen. Bargh musste wohl kurz eingenickt sein. Er hatte noch das Bild des Traumes im Kopf. Wie er die Pforte in das Heiligtum von Fürstenbad öffnete. Er hatte gedrückt. Stärker und stärker. Doch das Tor wollte sich nicht bewegen. Dann hatte er das Bersten von Holz vernommen und den Schmerz gespürt. Als er nun aufschreckte, merkte er, dass der Schmerz echt war. Felsbrocken stürzten neben ihm hinab und der große Stein hatte sie nur um Haaresbreite verfehlt. Er fühlte nach den kleinen Steinsplittern, die sich in seine Haut gebohrt hatten. Instinktiv blickte er sich um, schaute hinauf durch das felsige Tal. Im Mondlicht bemerkte er sie. Dort oben sah er die Regung. Eine Gestalt, kaum zu unterscheiden vom glitzernden Schnee, der dort erstmalig auftrat. Die Gestalt war riesenhaft. Das konnte Bargh bereits aus dieser Entfernung erkennen. Muskulös war der Krieger, der bereits einen weiteren Felskoloss hob. Hell-bläulich leuchteten seine Haare im Licht des Mondes und seine Haut schimmerte wie das Eis eines Gletschers. Die Kreatur trug ein Kettenhemd sowie Fälle und ein langer Bart reichte bis auf ihre Brust. Bargh musste reagieren bevor es zu spät war. Er schrie in den heulenden Wind: „Neire, Zussa, wacht auf. Versteckt euch, hinten den Felsen.“ Hastig sprangen die drei auf und begannen nach Deckung zu suchen. Keinen Augenblick zu spät, denn ein weiterer Felsbrocken, diesmal tödlich nahe, brach über ihre Deckung hinweg. Sie lugten aus ihrem Versteck hervor. Sie sahen, dass die Gestalt mit großen Schritten näherkam und nach einem weiteren Felsbrocken griff. Neire murmelte bereits Worte arkaner Macht und richtete sich auf. Durch seinen Schattenmantel war er fast völlig unsichtbar. Die Kugel, die wie eine glühende Träne in Richtung des Riesens schoss, war klein und schwach. Doch nur einen kurzen Augenblick später zuckte Magmafeuer in einer Explosion auf, das die gesamte Gestalt umhüllte. Nach dem verzögerten Donnerhall, hörten sie das Brüllen der Kreatur und das Zischen des nächsten Geschosses. Der dritte Felsbrocken krachte in ihre Deckung und brach fast den gesamten Felsvorsprung ab, hinter den sie sich duckten. Sie drohten mit dem Felsen in die Tiefe zu stürzen. Dann zog Zussa ihren Rubinstab und Neire beschwor seine Kunst. Der Riese, der bereits sein Schwert gezogen hatte, wurde von kleinen, schattenhaften Magmageschossen durchbohrt. Sie sahen, wie er noch einige Schritte weiterging und dann der Länge nach zusammenbrach. Sie wussten nun, dass sie an diesem Ort nicht mehr verweilen konnten. Hastig begannen sie sich aufbruchsbereit zu machen und stiegen weiter in die Höhe. Vorbei an dem Leib der fast sieben Schritt großen Kreatur und entgegen der Schneegrenze.

Höher und höher waren sie gestiegen. Der Morgen graute und der Wind, der sich an dem felsigen Schacht brach, der das Ende des Tals darstellte, war stärker geworden. Sie hatten sich in einer kleinen, geschützten Felsnische niedergelassen, als sie einen größeren Abstand zwischen die Gestalt und ihr Nachtlager gebracht hatten. Zussa und Bargh hatten sich Steigeisen unter ihre Stiefel geschnallt, während Neire in seinen magischen Stiefeln vorangeschritten war. Nach ihrem Frühstück und einer kleinen Rast brachen sie jetzt wieder auf. Entgegen dem Kamm aus Schnee. Der Wind wirbelte dort Flocken hervor. Auf dem harten Firneis kamen sie besser voran, doch die Luft war kalt und dünn. Bargh musste ab und an innehalten und keuchte mit jedem Schritt, den er in seiner Panzerrüstung machte. Schließlich kamen sie über den Grat und blickten und blickten auf die andere Seite. Es ging ein wenig hinab, über spiegelglatte, glitzernde Firnfelder. Im Reigen von tanzenden Eiskristallen, blickten sie auf ein ewiges Reich des Winters. Die hart gefrorenen Schneefelder unter ihnen gingen in einen Gletscher über, der so weit ihre Augen sehen konnten reichte. An einigen Stellen durchbohrten schroffe dunkle Felsen das Eis, das von tiefen Gletscherspalten durchzogen wurde. Weiter entfernt sahen sie Berggipfel aufragen, die in dem Nebel der Wolken über ihnen verschwanden. Neire zeigte auf einen Bereich, der von einer riesigen Gletscherspalte durchzogen wurde. Er schrie gegen den Wind. „Dort! Seht, die Spalte. Ich bin mir nicht sicher, aber das muss der Punkt, die Markierung sein.“ Bargh hatte sich gebückt und richtete sich jetzt wieder auf. „Die Spuren des Riesen führen dort hin. Doch es sind noch weitere Spuren zu sehen. Der Angreifer war nicht allein.“

Die Spuren hatten sie zu Stufen im Eis geführt. Zuvor hatten sie langsam und beharrlich die Eiswüste navigiert. Trotz des nahenden Winters war nicht viel Neuschnee gefallen und die Spalten waren sichtbar gewesen. Auch waren die Spuren der Riesen einem ausgeklügelten Pfad gefolgt, der größere Gletscherspalten umrundete. Sie waren schnell vorangekommen und blickten jetzt in die Tiefe. Die Stufen waren in das Randeis der riesigen Spalte geschlagen. Sie teilten sich in einen linken und einen rechten Weg auf. Sie schritten tiefer und folgten dem linken Weg. Das Heulen des Windes verbarg einen jeden ihrer Schritte. Sie hatten ihre Waffen gezogen, da Bargh sie auf die Spuren hingewiesen hatte, die hier hinab führten. Tiefer in der Spalte wagten sie einen Blick in den Abgrund, der sich zu ihrer Rechten auftat. Der Gletscher schimmerte in seltsamen Blautönen und tief unten sahen sie einen eisigen Boden. Schließlich kamen sie an einen Tunnel, der zur Linken ins Eis führte und sich dort verzweigte. Aus dem Inneren hörten sie sonore Stimmen einer fremden Sprache. Die kuppelförmigen Eisgänge waren von riesenhaften Ausmaßen, so dass sie sich wie kleine Fliegen vorkamen, die in diese kalte, fremde Behausung eindrangen. Hinter einer Biegung sahen sie die Kreaturen auf Eisbrocken sitzen. Eine Eishöhle, die mit Fellen ausgelegt war, tat sich vor ihnen auf. Alle vier Riesen waren mit Äxten bewaffnet und in Kettenhemden gehüllt. Sie hatten lange weißliche Haare und Bärte, die fettig und in Strähnen von ihren Köpfen fielen. Neire hatte sich vorgeschlichen und eröffnete den Angriff aus dem Hinterhalt. Die Höhle wurde von einer Explosion von Magma erfüllt, die die Riesen einhüllte und Teile des Eises schmelzen ließ. Im sich neu gebildeten Nebel stürmte Bargh voran und griff unbarmherzig an. Zussa beschwor die Kraft von Jiarlirae und gemeinsam töteten sie einen nach dem anderen. Doch aus einem der Tunnel hörten sie Schreie und Gebrüll. Drei weitere Kreaturen stürmten heran, die von Neires und Zussas elektrischen Flammen invertierten Lichtes empfangen wurden. Bargh hob unbarmherzig sein Schwert und machte die letzte Kreatur nieder, die ihm ihren Rücken zugedreht hatte und ihr Heil in der Flucht suchte. Keuchend blickten sie sich hektisch um. Der durch das Feuer hervorgerufene Nebel war überall, doch keiner war verletzt. Waren sie bemerkt worden?
Titel: Sitzung 72 - Die Spalte im Eis
Beitrag von: Jenseher am 4.08.2023 | 22:08
Zussa, Bargh und Neire traten näher zusammen. Sie konnten sich kaum sehen, so stark war der durch die Explosion hervorgerufene Nebel und Wasserdampf. Langsam legten sich die Schwaden zu Boden und gefroren dort. Das Eis unter ihnen wurde dadurch milchig weiß und schimmerte in anderen Farbtönen. Sie alle betrachteten die teils haushohen Gänge aus Eis, die aus der Kammer hinfort führten. Sie lauschten dem fernen Kreischen des Windes, der durch die Spalte fegte. Sie blickten in das schummrige Zwielicht, das die grün-bläulich glitzernden Wände hervorbrachte. Als der Nebel sich langsam gelegt hatte, konnten sie die reglosen Körper von verbranntem Fleisch und aufgehackten Bäuchen erkennen. Hier und dort hatten sich große Blutlachen gebildet und Dampf stieg von Innereien auf. Sie hatten Kreaturen zu Fall gebracht, die die Länge von Baumstämmen hatten. Zussa kam näher zu Neire und Bargh. Ihre kleinen Schritte waren staksig, so dürr wirkte die Gestalt der Feuerhexe, die mit ihren Steigeisen über das Eis schritt. Ihr rotes Haar stand in Locken vom Kopf ab und Eiskristalle glitzerten dort. Das gespenstische Licht der Gletscherwände spiegelte sich in ihren grünen Augen. Sie blickte fast etwas mitleidig, doch ehrfurchtsvoll zu Neire, der nach der Entfesselung seiner schwarzen Kunst getaumelt hatte und nun noch immer zitterte. Ein gekünsteltes Lächeln war in ihrem Gesicht zu sehen, als sie sprach. „Das Feuer unserer Herrin hat ihnen nicht bekommen, was meint ihr?“ Neire zog jetzt seine Kapuze zurück und offenbarte sein gelocktes, gold-blondes Haar. Er warf die langen Strähnen über die Schultern und antwortete: „Sie leben hier, an diesem gottverlassenen Ort. Sie streben nicht nach den Geheimnissen. Doch wie überleben sie hier? Von was ernähren sie sich? Von Eis und Schnee?“ Bargh, der auf einem Bein niedergekniet war und interessiert gelauscht hatte, erhob sich jetzt. Er spukte aus, als er mit zischelnder Stimme antwortete. „Wen interessiert das schon. Sie sind tot. Und falls es weitere gibt, werden sie auch sterben.“ Zussa jedoch hatte bei Neires Worten vehement den Kopf geschüttelt. „Ich glaube nicht Neire – Schnee und Eis. Sie fressen die kleineren Riesen. Vielleicht die aus der widerlichen Halle aus Holz.“ Neire musste jetzt lachen und sein Zittern verschwand. „Und die kleineren Riesen? Wen fressen sie? Und wo endet das alles?“ „Naja, die kleineren fressen vielleicht die Orks und die Orks wiederum… hmmm… Vielleicht fressen die Orks die Ortnors.“ Als Zussa das Gesicht verzog, als sie Ortnors Namen aussprach, mussten Neire und Bargh lachen. Aber Bargh hatte sich bereits umgedreht und begann die Riesen zu durchsuchen. Auch Zussa tat es ihm nach. Nur Neire blickte immer wieder ängstlich in die Tunnel. Er schien nach weiteren Kreaturen zu lauschen.

Sie waren ohne eine weitere Rast aufgebrochen. Den Tunnel, in den sich der Riese hatte flüchten wollen, hatten sie nicht weiter untersucht. Andere Tunnel hatten sie in Sackgassen und in die Wachhöhle der zur Hilfe geeilten Riesen geführt. Sie hatten in dieser Eishalle, neben Säcken mit Münzen, einige Vorräte gefunden. Neire hatte dort auf die gewaltigen, gefrorenen Laibe aus Brot gezeigt und Zussas Theorie spöttisch angezweifelt. Danach waren sie über den Eissteig an der Gletscherspalte weitergegangen. Der Wind war frostklirrend gewesen und der Blick hinab hatte eine düstere, bedrückende Tiefe offenbart, die kaum abschätzbar gewesen war. Bald hatte sie der Steig wieder in einen Eistunnel geführt. In eine Höhle, deren Decke große Risse gezeigt hatte. Hier hatten sie im Kreischen des Windes ein deutliches Hecheln gehört. Zussa hatte sie darauf hingewiesen, keine lauten Geräusche zu machen. Sie war besorgt um die Stabilität der Risse im Eis gewesen. So hatten sie behutsam und so leise, wie es ging, ihren Weg fortgesetzt. Die Höhle hatte sich verzweigt und sie waren dem Hecheln nachgegangen. Jetzt sahen sie vor sich die bläulich glitzernde Gletscherhalle, die von Knochen und Schädeln bedeckt war. Inmitten der Knochen lagen zwei riesige Kreaturen. Noble Wölfe, welche die Größe von ausgewachsenen Gäulen hatten. Ihr Fell hatte einen strahlend weißen Schimmer, von beeindruckender Schönheit. Um sie herum tollten drei Welpen. Das Fell der Kleintiere – die bereits so groß waren, wie mittlere Jagdhunde – war gräulich-weiß und weit von der Schönheit des Fells ihrer Eltern entfernt. Die kleinen Tiere tobten spielerisch in der Kälte. Ein Knäuel von Fell und Kulleraugen war zu sehen. Nur ab und an verbiss sich eines der Wesen und wurde mit einem scharfen, intelligenten Blick seiner Eltern zurechtgewiesen. Die Welpen fügten sich sofort und änderten geschickt die Taktik ihres Spiels. Es war fast, als ob man kleinen menschlichen Kindern zusehen konnte, die eine Sprache von Jaulen, Fauchen und Hecheln benutzen. Bargh zögerte bei diesem Anblick nicht und stürmte voran. Der Krieger hob sein Schild und Glimringshert, das schwarze, schattenblutende Schwert. Doch die Winterwölfe wirkten nicht überrascht. Sie sprangen augenblicklich auf und begaben sich in eine Angriffshaltung, in der sie ihre Köpfe senkten und die Sehnen und Muskeln ihrer Läufe spannten. Noch bevor Bargh sie erreichen konnte, spie der rechte Wolf seinen todbringen Atem. Scharfe Eiskristalle und Frostluft griffen nach dem dunklen Krieger, der wiederum sein Schild aus Ne’ilurum hob. Dann schnellte Glimringshert nach vorne und antwortete in der Zunge Jiarliraes. Die Sprache, die das heilige Schwert raunte, war die von Flamme und Düsternis und sie brachte den edlen Kreaturen den Tod. Dem ersten Wolf zerteilte Bargh den Kiefer und den Schädel. Einen weiteren Hieb in Richtung der zweiten Kreatur stach er durch das Maul und durch den Kopf. Beide Leiber brachen hernieder und das dumpfe Fauchen der elterlichen Kreaturen, wich dem panischen Hecheln und Winseln der Welpen. Sie waren in die Ecken der Höhle geflüchtet und sie blickten nach dem dunklen Krieger. Sie betrachteten in Furcht den glühenden Rubin in Barghs rechten Auge.

Das Feuer aus Knochen brannte lichterloh auf dem Eis. Doch die Flammen vereinten sich mit der dunklen Aura von Bargh. So wurde die Höhle in ein Zwielicht gehüllt, das der Höhe der Flammen nicht gerecht wurde. Neire spürte die Macht des Jensehers in seinem Kopf nachhallen. Da war das rötliche Glühen der Linsen, das die Welt in ein seltsames Licht tauchte. Er war in die Geister der Welpen eingedrungen und hatte sie ihm hörig gemacht. Dann hatte er mit ihnen gespielt – eine Zeit. Als Zussa ihn unverständnisvoll angeblickt hatte, hatte Neire sie gefragt. Ob sie nicht auch mit ihnen spielen wolle. Doch Zussa hatte verneint. Sie hatte bestärkt, dass die Kreaturen des Frostes und des Eises waren. Sie hatte gesagt, dass Jiarlirae ein Opfer verlange und dass sie brennen sollten. So hatten sie das Feuer entfacht und die Welpen gefesselt. Zussa, Bargh und Neire beteten. Die alten Verse aus Nebelheim. Vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes und der Menschenschlange des reinen Blutes. Bargh reichte Zussa seinen Dolch und sie hielten die erste Kreatur über das Feuer. Das Wesen schaute Neire mit seinen Kulleraugen an, als wollte es ihn als seinen Freund, vielleicht als seinen Vater, innig bitten, sein Leben zu schonen. Doch Neire kannte nur Verachtung. Einen Moment hatte er sich hinreißen lassen zu dem Spiel. Das Kind in ihm war stärker und der Prophet Jiarliraes war schwach gewesen. Nachdem Zussa ihn zurechtgewiesen hatte, war ihm das nicht mehr passiert. Er betrachtete Zussa. Sie lächelte diabolisch, als sie den Dolch an die Kehle setzte. Einige heftige Schnitte und die kleine Kreatur fing an zu zucken. Die treuen Blicke gingen über in eine Art Ungläubigkeit und dann in Hass. Doch das Jaulen kam zu spät. Das Blut tropfte zischend in die Flammen und verbreitete den Geruch. Erinnerungen an Nebelheim, Erinnerungen an archaische Opferrituale – Erinnerungen an brennendes Blut. Neire spürte die geistige Verbundenheit mit Zussa und Bargh. Der Geruch von verbranntem Lebenssaft brachte das Gefühl von Glück. Er vergaß die Kälte und die Gefahren. Er zischelte die alten Gebete in der Sprache von Nebelheim. Und er streckte seine Hand aus und sammelte das Blut. Seine Rune malte er Zussa auf die Stirn. Sie lachten und frohlocken. Dann opferte Zussa das zweite und das dritte Wesen. Mit dem Lebensblut der Kreaturen malten sie sich die Runen auf die Stirn. Zussa die für Bargh und Bargh die Rune für ihn. Das Ritual war heilig und würde die Göttin erfreuen. Sie hatten Flamme und Düsternis an diesen verlassenen Ort gebracht.

Weiter und weiter – einige eisige Tunnel hatten sie nun erforscht. Die meisten waren in Sackgassen geendet. Doch in einer kleinen Höhle hatte sie eingefrorene Leichen entdeckt, die teils tödliche Wunden trugen. Vorsichtig hatten sie die Gegenstände der Leichname herausgemeißelt, die sie größtenteils in Ortnors extradimensionalen Labor verstaut hatten. Als sie alle Tunnel durchsucht hatten, waren sie zurückgekehrt in den ersten Wachraum, in dem die Leichen der Riesen jetzt zu Eis erstarrt waren. Sie hatten den Tunnel genommen, der sie zu einer Vorratskammer geführt hatte. Dort hatten sie merkwürde Schleifspuren neben einem Fass entdeckt. Unter dem Fass hatten sie dann einen Goldschatz geborgen. Auf ihrem weiteren Weg hatte Bargh dann an einer Verzweigungsstelle nach Spuren gesucht. Im Eis war hier und dort Fels zu sehen gewesen, der sich deutlich von den Wänden abzeichnete. Bargh hatte Spuren der Riesen entdeckt, die hauptsächlich in zwei Tunneln zu sehen gewesen waren. In einem Tunnel hatte er aber die Spuren von Ogern entdeckt, die er aus der Feste des Nomrus wiedererkannt hatte. Sie waren daraufhin diesem Tunnel gefolgt, der sie in eine riesige Höhle geführt hatte. Die Formation war teils aus Eis, teils aus dunklem Felsgestein gewesen und sie hatten ein Schnarchen sowie gedämpfte Stimmen gehört. Neire hatte seinen Mitstreitern zu erkennen gegeben, dass er vorschleichen würde, um sich ein Bild zu machen.

Durch seinen Tarnmantel geschützt, schlich das Kind der Flamme vorwärts. Die Angst brachte das Blut in seinen Ohren zum pulsieren. Doch Neire hatte bereits zu viel mitgemacht, als dass die Angst ihn lähmen könnte. Am Ende der Höhle sah er mehrere Tunnel im Felsen, die, bereits aus der Entfernung sichtbar, nach kurzer Distanz in eine weitere Höhle führten. Dort hatten sich Kreaturen mit Haufen von Fällen bedeckt. Ein tiefes Schnarchen war neben dumpfen, gutturalen Stimmen zu hören. Er schlich weiter voran und wählte einen leeren Tunnel. Der Gestank von vergorenem Schweiß kam ihm entgegen. In der Dunkelheit konnten seine geübten Nebelheimer Augen die gelbhäutigen Kreaturen sehen, die dort standen und wild gestikulierten. Sie waren fast doppelt so groß wie er selbst, hatten lange Arme und affenähnliche Schädel. In der Höhle hatten sie ihr Hab und Gut aufgebahrt. Gefrorene Rinds- und Schweinshälften, wie Kisten und Fässer. Felle und Lederhäute offenbarten weitere Schlaflager. Neire dachte nach. Er sah keinen Ausgang. Er musste das Feuer beschwören, musste die Kreaturen opfern. Sollten sie den Flammen widerstehen, sollten sie fliehen, würde sie Bargh empfangen und ihnen weiteres Feuer bringen. So schlich sich Neire zurück und begann seine Formeln zu rezitieren. Seine Gedanken waren bei seiner Göttin, obwohl die schwarze Kunst diese Verbindung nicht benötigte. Dann entfachte er die Flammen aus Magma. Wie aus dem Nichts schossen sie hervor und erfüllten die Höhle in ein infernalisches Glühen. Neire hörte aufschreckende Schreie und dumpfe Ausrufe, erfüllt von einem ohnmächtigen Hass. Decken begannen zu brennen, doch die Gestalten konnten sich nicht freiwinden. Eine Kreatur wollte aus dem Inferno herausbrechen, doch auf den letzten Schritten begann sie sich ihres Fellumhanges zu entledigen. Dabei schälte sie sich die brennende Haut vom eigenen Leib. In den glühenden Flammen erstarben die Schreie und Neire betrachte den Wasserdampf. Er genoss den Geruch von verbranntem Haar und Fleisch. Er genoss den Brodel, gebracht durch die heißen Flammen. Doch die Flammen und das Eis brachten die Gedanken und Nebelheim. Die Gedanken kamen und sie blieben. Sie erinnerten ihn an die alte Zeit; an das was einst war. So dreht er, Neire, das Kind der Flamme, sich um. Als kleiner Schatten war er zu sehen für Zussa und Bargh. Sie sahen die Tränen, die Neire vergoss. Sie sahen sein Gesicht, das in Schmerz verzerrt war. Er dachte an Nebelheim und so nah es war, war es doch nicht hier. Neire brach auf die Knie und ließ die Flammen erlöschen. Da war kein Feuer mehr. Keine Flamme. Er spürte Nebelheim nicht. Doch da waren die Schatten und der Schmerz. Sie waren hier, mit ihm, an diesem Ort. Und er war IHR Prophet. Und er wusste, was zu tun war.
Titel: Sitzung 73 - Durch Tunnel aus Eis
Beitrag von: Jenseher am 12.08.2023 | 23:20
Das letzte Glühen der Feuer verschwand mit den ersterbenden Flammen. Die Hitze, die Neires Wand aus loderndem Magma entfacht hatte, verflüchtigte sich und der Nebel begann auf den Boden zu sinken. Mit dem Schwinden der Wärme kam die Frostluft. Durch die Frostluft wirkte das grün-bläuliche Schimmern des Gletschers so gespenstig, wie es sie hatte erschaudern lassen, als sie die Spalte hinabgestiegen waren. Bargh und Zussa schritten langsam zu Neire, der dort auf die Knie gesunken war. Das Kind der Flamme hatte den Tarnmantel zurückgezogen und ließ den Kopf sinken. Sie hörten beide ein leises Schluchzen. Der Jüngling, dessen Hände zu Fäusten verkrampft zitterten, schaute auf und Tränen standen in seinen nachtblauen Augen. Die Dampfschwaden hatten sich auf seine langen, gold-blonden Locken gelegt. Eiskristalle glitzerten in seinen Haaren. Für Zussa war die Reaktion von Neire nicht verständlich. Sie hatte innerlich gejauchzt, als sie die Kreaturen im Feuer brennen sah. Sie hatte die verrückten Schreie genossen, als die Leiber in ihren Felllagern verbrannten. Sie hatte triumphiert, denn sie hatte gesehen, dass der letzte Oger zusammenbrach, bevor er das Ende der Feuerwand erreichte. Sie blickte erst Neire, dann Bargh fragend an. „Was ist mit euch Neire, wieso weint ihr?“ Der Jüngling erhob zitternd seine zischelnde Stimme. „Der Nebel und das Feuer. Die Erinnerungen. Ich dachte, ich wäre der Stadt nah, doch ich spürte nichts. Nebelheim ist nicht hier.“ Für Zussa war kein Sinn in den Worten zu erkennen. Bargh baute sich über dem Kind der Flamme auf und in seinen Worten war ungeduldige Bestimmtheit. „Auch, wenn es hier nicht ist, Neire, wir werden es finden. Ihr solltet euch aber das Weinen abgewöhnen, Junge.“

Sie hatten danach die Höhle abgesucht und in einigen Truhen und Säcken einen Schatz gefunden. Der Schatz hatte hauptsächlich aus Gold und Geschmeiden bestanden. Doch sie hatten auch ein Paar Armschienen entdeckt. Der wertvolle Gegenstand war aus Gold und Elfenbein gewesen und ein großer Bernstein war in der Form eines brüllenden Bären kunstvoll eingelassen worden. Neire hatte den Gegenstand als eine Art Wappen erkannt, doch er hatte eine genaue Herkunft nicht deuten können. So waren sie schließlich weitergeschritten und ihr Weg hatte sie in einen von Eis versperrten Bereich geführt. Nachdem sie die Barriere durchbrochen hatten, waren sie in die Gletscherhöhlen dahinter vorgedrungen. Sie hatten in einer von Knochenresten bedeckten Eishalle eine faustgroße, glühende Edelsteinstatue in Form einer Kröte gefunden. Doch bevor sie hatten reagieren konnten, waren sie von mannsgroßen Eiskröten angegriffen worden, die sie mit ihrer frostigen Aura umhüllt hatten. Nach einem kurzen, aber heftigen Kampf, hatten sie die Kröten getötet, den Edelstein an sich genommen und waren in den letzten unerforschten Eistunnel gelangt. Je weiter sie in den Tunnel vordrangen, desto deutlicher konnten sie tiefe, sonore Stimmen einer fremden Sprache hören. Im bläulich glitzernden Eis mehrte sich das Auftreten von dunklem Gestein. Augenblicklich eröffnete sich eine Höhle vor ihnen, deren mittlerer Bereich von einer Felsnadel durchbrochen wurde. Neben einem Feuer befanden sich vier Riesen. Die fast hausgroßen Gestalten waren von gelblichem Haar, blasser Haut, langen Bärten und muskulöser Statur. Sie trugen Kettenwesten, Fälle und übergroße doppelbärtige Äxte. Sie unterhielten sich angeregt und bedienten sich dabei wilder Gesten. Neire eröffnete den Angriff und beschwor die Feuer Jiarliraes. Als die Luft um die Kreaturen explodierte, schwoll der Gesang an, den Bargh und Zussa angestimmt hatten. Ein dumpfes Schreien hallte durch die Höhle, als die Riesen nach ihren Äxten griffen. Doch aus einem seitlichen Tunnel eilten ihnen drei weitere Riesen entgegen. Schnell wendeten sich jetzt auch die vier verbrannten Kreaturen dem Kampf zu und stürmten heran. Doch Bargh trat hervor und eine Aura von Düsternis umgab den Krieger. Er stellte sich den gewaltigen Bergen aus Fleisch und Muskeln. Präzise und tödlich führte er seine Angriffe und er erschlug Riese um Riese. Den Großteil der Angriffe konnte er mit seinem Schild abwehren, doch vier der Kreaturen hatten ihn fast umringt und hieben unbarmherzig mit ihren Äxten nach ihm. Neire und Zussa hörten ein Aufächzen von Bargh. Ihn traf ihn hier und dort der Streich einer Axt. Die Platten der Ne’ilurumrüstung wurden eingedrückt und bald lief rotes Blut an Barghs Panzer hinab. Gleichwohl loderte der Hass in Barghs linkem Auge und der Edelstein glühte in seinem Singsang. Glimringshert verrichtete sein Werk aus Feuer und Schatten und gemeinsam fällten sie die letzte der Kreaturen. Als Bargh nach dem Kampf auf die Knie brach eilten Zussa und Neire heran und stützten ihn. Sie begannen sich um seine Wunden zu kümmern, seine Blutungen zu stillen. Bargh blickte derweil auf die Klinge Glimringshert. Der unheilige Krieger legte seinen Panzerhandschuh auf seine Brust. Alsbald begannen sich seine Wunden zu schließen. Die schwarzen Schatten des Schwertes flossen wie gespenstiges Blut in seinen Körper. Sie alle beobachteten die dunkle Macht des Antipaladins. Sie spürten die Gewalt von Jiarlirae. Sie hatten in ihrem Namen den Tod gebracht. Sie lauschten dem disharmonischen Singsang von Bargh. Er murmelte die Gebete. Fürbitten an den Henker der letzten Einöde.

Neire schlich sich weiter durch den Tunnel. Von vorn roch er den Geruch von Feuer. Er spürte den Hauch von warmer Luft an seinem Gesicht vorbeiziehen. Für einen Moment fühlte er sich durch die Augen des Jenseher getäuscht. Der Gang vor ihm glitzerte rötlich, wie durch den Schein eines Feuers erhellt. Doch es war bereits einige Zeit her, dass er die Macht der Augen des Jensehers entfaltet hatte. Sie hatten nach dem Kampf die Höhle der Riesen durchsucht und die Schätze eingesammelt. Bei den Riesen hatten sie mehrere Armbänder gefunden, die ähnlich denen der Höhle der Oger waren. Dann waren sie dem verbleibenden Felstunnel gefolgt, der aus der Höhle hinfort führte. Nach einiger Zeit waren sie an eine Gabelung gestoßen, an der der Gang nach links ein wenig abfallend in die Dunkelheit führte. Aus dem rechten Gang hatten sie einen kalten Luftzug gespürt und sich entschieden, diesem zu folgen. Nach einiger Zeit waren sie dann auf den Riesen gestoßen, der, auf seine Axt gestützt, hier Wache hielt. Der Riese hatte nicht sofort angegriffen, aber seine Axt erhoben. So hatte Neire ihm die Armschiene gezeigt und die Augen des Jensehers benutzt. Er hatte ihre Macht gespürt – die Welt um ihn herum hatte sich verfärbt. Der Geist des Riesen hatte Neire nicht widerstanden und er hatte seine Axt gesenkt. So hatte ihm Neire einige Befehle gegeben. Doch seine Antworten hatten sie nicht verstehen können. Schließlich hatten sie die Höhle durchschritten. Zwei schlafende Riesen und einen zweiten Wächter am anderen Ausgang hatten sie gefunden. Neire hatte beim zweiten Wächter die Linsen des Jensehers benutzt und auch hier war seine Macht stärker gewesen. Auch diese Kreatur hatte ihre Axt sinken lassen; hatte Neire als vertrauten Freund gesehen und war seinen Befehlen gefolgt. Sie hatten dann die schlafenden Riesen erschlagen, bevor sie ihren Weg durch den Tunnel fortgesetzt hatten. An einer weiteren Gabelung waren sie rechts geschritten und hatten schon bald die Stimmen und den Hauch von Wärme durch den Tunnel gespürt. Neire zog den elfischen Tarnmantel enger und lugte in die Höhle hinein. Dorthin wo der Feuerschein herkam. In dieser felsigen Halle schimmerten die Wände dunkel und nass. Es war kein Eis zu sehen. In der Mitte war eine hölzerne Tafel zu sehen, auf der sich Essenschalen und Krüge befanden. In einer Ecke war ein Kohlebecken zu sehen, in dem ein Feuer brannte. Neben dem Kohlebecken konnte Neire drei große Lager entdecken, die aus aufgehäuften Fellen bestanden. Neben einer gewaltigen Kreatur an der Tafel, befanden sich zwei weitere Riesen auf den Lagern und dösten. Neire betrachtete die Riesen genau. Sie sahen anders aus als die Bewohner des Gletschers. Ihre Gesichter waren kantig, ihre Haut dunkel wie Asche. Gekleidet waren sie mit Brustharnischen, die einen Überwurf in Form einer Stola hatten. Rötliche Farben mischten sich mit dunklen Tönen. Neire konnte bei diesen Riesen, die mit etwa sechs Schritten Größe nicht ganz so groß wie die zuvor erschlagenen Wächter des Gletschers waren, eine gewisse Ähnlichkeit mit den beiden Schmieden der Esse in der Halle des Nomrus erkennen. Für einen kurzen Augenblick kam eine Unruhe in die Bewegungen der am Tisch sitzenden Gestalt. Der Riese ließ den Fleischbrocken, den er mit einem schwertgroßen Dolch aufgespießt hatte sinken, dreht sich um und sprach etwas zu seinen ruhenden Gefährten. Adrenalin schoss durch Neires Körper. Er hatte nicht die Gedanken, um sich zu fragen, ob er ein Geräusch gemacht hatte. Er schritt langsam zurück in den Tunnel und hoffte, dass die Kreaturen ihm nicht folgen würden. Je weiter er sich in die Dunkelheit zurückzog, je sicher war er sich, dass ihm niemand folgte. Er musste Zussa und Bargh warnen.

Zussa sah die Höhle vor sich und die wärmere Luft strömte ihr entgegen. Doch obwohl die Luft etwas angenehmer war, war es sehr kalt hier. Neire war zu ihnen zurückgekehrt und hatte ihnen von der riesigen unterirdischen Halle berichtet. Sie konnte die Decke kaum erkennen, die, in fast einem Dutzend Schritt verborgen, in der Dunkelheit lag. Zussa wartete auf Neires Angriff. So hatten sie es abgesprochen. Sie hielt sich hinter Bargh und dachte voll von Furcht an die Situation zurück, in der sie in Nomrus Halle angegriffen worden war. Es wäre bestimmt ihr sicherer Tod gewesen, hätte Bargh sie nicht beschützt. Jetzt hörte sie den Donnerschlag. Sie sah den Strahl von Blitzen, der augenblicklich die Höhle durchfuhr. Bargh stürmte nach vorne. Er hatte Glimringshert und sein Schild aus Ne’ilurum gezogen. Die Wunden des Kriegers hatten sich wie auf wundersame Weise geschlossen, je weiter sie in die Höhlen vorgedrungen waren. Zussa musste handeln. Ihre Furcht löste sich in diesem Augenblick in einen Überschwang des Handelns. Es war die Schwelle der Furcht, die sie in jedem Kampf überwinden musste. Doch seit ihrer Flucht aus dem Dorf, hatte sie nichts anderes als Gewalt kennengelernt. Sie liebte das Gefühl, wenn sie die Schwelle überwand. Angst, Anspannung und ein Zaudern gegenüber Handlungen, lösten sich dann in Chaos auf. Das musste die Essenz der Göttin sein, dachte sie sich. Sie zog ihren Stecken und beschwor die Geschosse. Alle ihre Angriffe richteten sich auf den wachehaltenden Riesen. Durch die Magie und die Angriffe von Bargh wurde der Riese übel zugerichtet und stürzte zu Boden. Die beiden lagernden Riesen griffen jedoch sehr schnell nach ihren Waffen und stürzten sich in den Kampf. Ein Hass und eine gewisse Ungläubigkeit waren in ihren Augen zu sehen. Ihre langen roten Haare wallten glitzernd im Feuerschein und sie hatten schwarze, breite Schwerter. Sie schlugen nach Bargh, doch vergeblich. Diesmal hatte der dunkle Krieger die Gunst der Göttin auf seiner Seite. Zussa konzentrierte sich. Gemeinsam mit Neire beschwor sie todbringende Magie. Mit einem Lächeln bemerkte sie, dass Bargh mittlerweile seine Angriffe perfektioniert hatte. Er benutzte die Klinge Glimringshert, um die Unterleiber der Reisen - Seite zu Seite - aufzuschneiden. Sie genoss den Anblick ihrer Überlegenheit, wenn die Gedärme sich zu Boden ergossen und die Kreaturen verzweifelt schrien. Doch der Gestank von verbrannten Fäkalien ekelte sie an. Sie fragte sich, wie Neire und Bargh mit diesem Geruch klarkamen. Sie schritt zu den drei Leichen und hielt sich die Nase zu. Sie bemerkte, dass Bargh und Neire sie angrinsten und auch sie musste Lachen. So standen sie um die Schale von brennenden Kohlen und Holz und wunderten sich, warum sie Jiarlirae an diesen Ort geführt hatte. Diese Kreaturen waren keine Anhänger ihrer Göttin, doch es musste einen anderen Grund geben.
Titel: Sitzung 74 - Der Hinterhalt
Beitrag von: Jenseher am 20.08.2023 | 10:40
Ihre kurze Rast war bereits eine Zeitlang her. Nachdem Neire doch Bedenken geäußert hatte, hinsichtlich der Loyalität, der von ihm bezauberten Riesen, waren sie vor ihrer Rast in die Wachthöhle geschritten. Sie hatten die Riesen hinterrücks angegriffen und ermordet. Einen nach dem anderen. Dann waren sie in die Höhle mit der Feuerschale zurückgekehrt und hatten ihre Rast begonnen. Neire hatte sich der schwarzen Kunst hingegeben und Bargh hatte meditiert. Zussa war die Aufgabe der Wache zugefallen und sie hatte sich, abseits des Gestanks der toten Leiber, im kalten Tunnel auf einem Fell niedergelassen. Nach ihrer Rast waren sie aufgebrochen und dem unerforschten Tunnel gefolgt, der sie aus dem Felsen der Kristallnebelberge wieder in das Eis geführt hatte. Nachdem sie wieder in den Außenbereich der Spalte gelangt waren, hatte Bargh Spuren im Eis entdeckt. Verschiedengroße Stiefelabdrücke hatte er gefunden. Einige waren kleiner gewesen und hatten den Riesen der Halle des Nomrus geähnelt. Doch sie hatten in ihre Richtung geführt. Sie waren durch den heulenden Wind der Spalte geschritten und hatten zwei Tunnel untersucht. Der erste Tunnel hatte in die Höhle der Hügelriesen geführt, die jetzt verlassen war. Im zweiten Tunnel hatten sie Stimmen gehört. Neire war vorgeschlichen und hatte die Lage erkundet. Jetzt war er zurück und wendete seine Stimme an Zussa und Bargh. „Es sind Riesen in der Höhle. Doch sie sind von grauer Haut und völlig haarlos. Ähnlich wie die, die wir in der hölzernen Feste getötet hatten. Lasst mich vorschleichen und den ersten Angriff machen. Wartet hier am Eingang des Tunnels.“ Bargh und Zussa nickten und machten sich kampfbereit. Neire schlich sich in der Düsternis davon und war schon bald nicht mehr zu sehen. Nach kurzer Zeit hörten Bargh und Zussa die Explosion. Sie sahen, dass der Tunnel in Magma-ähnliches Licht gehüllt wurde. Dann hörten sie das Brüllen. Dumpfe schwere Schritte kamen näher. Aus ihrer Deckung konnten sie die ersten beiden Kreaturen sehen. Sie waren, wie Neire sie beschrieben hatten. Von steingrauer Haut und völlig haarlos. Ihre Körper waren muskulös, doch drahtig. Brandwunden bedeckten ihre Körper. Sie trugen Felsbrocken der Größe kleinerer Pferde. Wie aus dem Nichts zuckte bläulich der Blitz nach vorn, den Neire mit dem Stecken beschwor. Das Schreien der Kreaturen wurde lauter und brach sich im Wind. Sie wankten, teils schwer verwundet, doch der Hass trieb sie an. Neire nutzte seinen Tarnmantel und huschte in die Dunkelheit des zweiten Tunnels. Nur einen Augenblick später brach der geworfenen Steinbrocken auf das Eis. Große Teile des Stiegs aus Eis brachen in die Tiefe der Gletscherspalte. Zwei weitere Steinbrocken folgten. Dann stürmten die Kreaturen heran. Bargh stellte sich ihnen und er führte Glrimringshert mit bedrohlicher Geschwindigkeit. Mit jedem Schlag fällte er einen der Riesen. Die Wutschreie verstummten, als schließlich die letzte der fünf Gestalten auf das Eis brach. Sie begannen die Kreaturen zu durchsuchen. Zussa jedoch hielt sich die Ohren zu und schritt in die Höhle der getöteten Riesen. Das Kreischen des Windes schien ihr zuzusetzen.

Neire spürte das Blut in seinen Ohren klopfen. Er nahm davon keine Kenntnis. Er zog den Tarnmantel enger und schlich durch den Tunnel. Dorthin, wo er die Stimmen vernommen hatte. Sie waren, nachdem sie die Höhle der Steinriesen abgesucht hatten, weiter den unerforschten Gängen gefolgt. In einem Bereich hatten sie eine Warnrune in einer Wand entdeckt. Dahinter war eine Höhle zu sehen gewesen, die mit der braunen Flechte bedeckt war. Neire hatte von ihren Erfahrungen berichtet und Zussa hatte sich nach einigem Nachfragen zufriedengegeben. Sie hatten den Bereich gemieden und waren gegangen. Schließlich waren sie ein zweites Mal auf einen Stieg aus Eis gelangt, der sie entlang der Spalte geführt hatte. In einem Eistunnel, hatten sie die tiefen Geräusche einer fremden Sprache gehört. Als Neire nun hinter der Ecke des Ganges hervorlugte, sah er eine Halle im Eis und Felsen. Der Schein eines Kochfeuers war zu sehen und mehrere der Gletscherriesen saßen an einem Tisch. Im Vergleich zu den wachenden Riesen, hatten diese Krieger einige Annehmlichkeiten. Neire konnte neben dem Kessel mit einer eingekochten Fleischsuppe, Krüge und Humpen erkennen sowie eine Wasserquelle am Rande der Höhle. Neben drei Riesen, die sich am Tisch unterhielten, schliefen andere in ihren Felllagern. Er zählte in diesem Raum zehn Kreaturen. Auf seinem Rückweg konnte Neire in zwei Seitenhöhlen jeweils vier weitere schlafende Riesen zählen. Seine Anspannung war groß, als er mit zitternder Stimme Bargh und Zussa von seinen Erfahrungen berichtete. „Es sind ihrer Anzahl viele. Doch sie schlafen größtenteils. Das Moment ist auf unserer Seite. Jiarlirae wird uns den Sieg schenken; ich habe es bereits gesehen. Doch wir müssen um ihren Beistand flehen. Die höchsten Gebete sollen uns mit Flamme und Düsternis leiten.“ Zussa und Bargh nickten und begannen ihre Choräle anzustimmen. Bargh sang die Gebete, während Zussa obskure Reime und Verse rezitierte. Dann drangen sie ein in den Tunnel. Ein weiteres Mal beschwor Neire die Kugel aus Flammen. Die Eishöhle wurde in eine Explosion aus Magmafeuer gehüllt, das fünf Riesen verbrannte. Neire schrie zu Bargh und Zussa. „Die Öffnung im Felsen. Dort!“ Sie begannen sich hinter Bargh zu positionieren. Der Krieger Jiarliraes hatte Schwert und Schild gezogen. Neire wusste, dass der Tunnel hinter ihnen in eine Vorratskammer führte. Sie hatten keinen Moment zu spät gehandelt. Schon stürzten die ersten Riesen heran. Ihre Augen funkelten hasserfüllt, wie kaltes Gletschereis. Ihre langen blonden Haare waren teils verbrannt. Sie waren nicht fettleibig, wie die Riesen in der Halle des Nomrus. Sie waren größer, muskulöser und sie steigerten sich in einen Berserker-artigen Wutrausch. Sie trugen Kettenhemden, Fellkleidung und doppelbärtige Äxte, in der Größe von Bargh. Neire beschwor ein weiteres Mal die Flammen. Die zweite Explosion war heftiger als die vorherige und erreichte mehrere der Riesen. Bei einigen platzte die Haut auf, Haare standen in Flammen. Doch ihr Wutgebrüll wurde noch lauter und sie warfen sich in das Kampfgetümmel. Als der Blitzstrahl aus Zussas Stecken sie durchfuhr stürzten zwei Gestalten zu Boden. Jetzt erreichten sie Bargh und die Schlacht begann. Im Tunnel behinderten sich die Riesen. Jeder versuchte andere zur Seite zu drängen und die verhassten Widersacher zu töten. Wieder war Bargh schneller und tötete zwei verletzte Kreaturen mit gezielten Hieben. Die Riesen hörten den Gesang der Göttin. Sie sahen die Dunkelheit um den Krieger Jiarliraes. Es trieb sie an in ihrer Wut. Das Schlagen und das Stechen war grauenvoll. Fast so grausam, wie die Magie, die Neire und Zussa entfesselten. Bargh wurde von drei Axthieben getroffen und blutete aus tiefen Wunden. Je länger der Kampf dauerte, umso mehr wendete sich das Blatt in ihre Richtung. Schließlich machten sie auch die letzte der Kreaturen nieder. Bargh ließ einen Freudenschrei von sich, als er die aufgetürmten Leiber von Fleisch im Tunnel sah. Das Bild war grotesk, doch Bargh kannte kein Mitleid. Die Frostriesen waren sicherlich edle Krieger gewesen. Nur wir tragen Flamme und Düsternis. Nur Flamme und Düsternis, wer oder was ist mehr als das? Wer ist mehr als SIE, die da mehr ist als die Summe aller Teile? Dachte sich Bargh und setzte sich auf einen Kopf einer Gestalt. Er blickte hinab und es war ihm, als ob die Kreatur ihn in ihrem Tode weiter hasserfüllt anstarrte. Er musste lachen, als er dem toten Riesen die Botschaft Jiarliraes ins Ohr flüsterte.

Die Kreatur stürmte mit großen Schritten heran. Sie war von der Größe eines ausgewachsenen Ogers und ihr Körper war von einem schnee-weißlich glänzenden Fell bedeckt. Der Schädel der Kreatur erinnerte entfernt an den eines Menschen. Doch die Konturen glichen auch den von Affen. Die Nase war platt und die Stirn fliehend. Dicke wulstige Lippen offenbarten stumpfe große Hauer, als das Monster mit einem tiefen Grunzen seinen Kampfschrei ausstieß. Die Gestalt trug ein Langschwert, das aus einem weißen Stahl war. Eine Schicht von Raureif hatte sich über das Schwert gelegt und hier und dort hatten Eiskristalle Runenmuster gebildet. Neire sah, wie die Kreatur auf Zussa zulief, doch Bargh begann ihr den Weg abzuschneiden. Der dunkle Krieger Jiarliraes stellte die Gestalt und erhob sein Schwert. Neire erinnerte sich zurück an die kurze Rast in der Höhle der Riesen. Sie hatten über den Sinn der Gruppe der Riesen nachgedacht und waren zuerst von einer Jagdgemeinschaft ausgegangen. Als Bargh dann die Vielzahl weiterer Waffen entdeckt hatte, die von den Riesen in einer Höhle aufgebahrt war, waren sie eher von einem Trupp Krieger ausgegangen. Ihre Rast war aber nur von kurzer Dauer gewesen. Vier fellige große Kreaturen, die der heranstürmenden sehr ähnlich sahen, waren in den Höhlenkomplex eingedrungen und hatten grunzend die toten Riesen begutachtet. Bargh, Zussa und Neire hatten sie angegriffen. Bargh hatte die Kreaturen mit präzisen Hieben getötet. Sie beschlossen nicht länger in der Höhle zu verweilen und den Kreaturen nachzugehen. So waren sie den Spuren gefolgt und in eine höher liegende Höhle gelangt. Hier hatten sie zwei weitere dieser Kreaturen im Kampf gestellt. Doch ihr alarmierendes Grunzbrüllen hatte die Kreatur mit dem Schwert hervorgebracht. Neire und Zussa stießen ihre Klingen in die Leiber. Sie brachten die erste Kreatur zu Fall. Hinter sich sahen sie das Feuer von Barghs Klinge. Er zerteilte den Schwertträger mit zwei kraftvollen Hieben. Dann wandte er sich der letzten Gestalt zu. Glimringshert biss gnadenlos in das kalte Fleisch ihres Widersachers und der letzte Höhlenbewohner sank blutig auf das glitzernde Eis. Sie atmeten ächzend auf und blickten sich um. Nur das Kreischen des Windes war zu hören, der sich an der Spalte brach. Sie begannen die Höhle abzusuchen. Sie wussten, dass die Tunnel sie um die Spalte herumgeführt hatten und sie an die Eisstufen des Eingangs zurückgekehrt waren. Sie wussten, dass sie umkehren mussten. Die Tunnel führten tiefer in das Felsgestein und wer konnte schon wissen, was sich dort verbergen würde.
Titel: Sitzung 75 - Die Höhlen unter dem Gletscher
Beitrag von: Jenseher am 28.08.2023 | 22:30
Zussa ließ sich hinab in die Tiefe. Der jaulende Wind der Eisspalte rief unschöne Erinnerungen in ihr hervor – brachte ihre Hände zum Zittern. Sie fühlte sich unsicher in diesem Pfeifen. Doch es waren nicht die schneidenden Böen, die ihr Probleme bereiteten. Es war etwas in ihr geblieben. Etwas hatte sie für immer befallen, seit sie das fremde Reich hinter der Pforte des Jensehers wieder verlassen hatte. Zussa rammte ihre Steigeisen in das Gletschereis. Sie biss die Zähne zusammen und seilte sich ab. Sie dachte zurück an die Schmähung des heiligen Kriegers Bargh, als sie in der Kälte gezittert hatte. Sie hatte sich durchgesetzt, sich durchgebissen. Seitdem sie der schwarzen Kunst abgeschworen und sich der Göttin von Flamme und Düsternis zugewandt hatte, spürte sie die Kälte nicht mehr, wie einst an jenem Ort. Der schroffe, dunkle Boden der Spalte lag jetzt vielleicht noch 25 Schritte unter ihr. Sie sah dort Bargh und die Dunkelheit, die ihn umgab. Über ihr funkelte das Eis in allen Grün- und Blautönen. Was würde sie dort unten wohl erwarten. Sie verwarf den Gedanken an die ungewisse Zukunft und ließ sich weiter hinab. Neire hatte den Einfall gehabt, in das Gemach der Riesen zurückzukehren, die dort am Feuer verweilt hatten. So waren sie aufgebrochen und hatten die leeren Höhlen ein weiteres Mal durchstreift. Nur Tod hatten sie gesehen. Den Tod, den sie selbst in diese frostigen Hallen gebracht hatten. Dann waren sie aus dem wärmeren Gemach auf den kleinen Stieg aus Eis getreten, der zu beiden Seiten in Sackgassen endete. Sie hatten in die Tiefe geblickt. Etwa 50 Schritte unter ihnen hatten sie die merkwürde Formation aus Eis bemerkt, die ihnen schon von der anderen Seite aufgefallen war. Doch aus ihrer Position hatten sie ein kleines Loch bemerkt, dass aussah, als ob es in einen Tunnel führen würde. Sie hatten sich entschieden in die Tiefe hinabzusteigen. Neire hatte zwei Seile zusammengeknüpft und Bargh war als erster hinabgestiegen. Zussa folgte gerade und Neire wartete noch oben. Als Zussa das Ende des Seiles durch ihre Füße gleiten spürte, überkam sie für einen Moment eine Angst. Doch Bargh ergriff sie sanft und ließ sie zu Boden. Sie begann sich umzublicken. Der Wind war hier unten fast vollständig verstummt, doch die Luft war nun viel kälter. Wenn sie zuvor in das Reich des ewigen Eises herabgestiegen waren, dann musste dies hier das Herz des Winters sein. Der Boden der Spalte war bedeckt von schaurigen Eisformen. Und zu ihrer Linken ragte dieses Konstrukt auf. Aus der Ferne drang das Heulen des Windes und jagte Zussa Schauer über den Rücken. Doch sie fühlte sich hier besser. Besser im Herzen des Winters gefangen, als dem Heulen des Windes ausgesetzt zu sein. Sie warteten auf Neire. Zussa betrachtete fasziniert die Formation aus Eis, die etwas Turmförmiges hatte. Sie sah, dass Bargh derweil nach Spuren suchte. Dann ließ sich Neire hinab und sie alle rückten näher zusammen. „Ich habe Spuren entdeckt. Eine große Schleifspur und viele kleine Löcher zu beiden Seiten. Es erinnert mich an die aasfressenden Kreaturen, die wir auf der anderen Seite des kleineren Portals Jensehers bekämpft haben. Das Portal, was uns hierhin gebracht hat. Doch sie sehen anders aus. Sie liegen weiter auseinander und an einigen Stellen… nun an einigen Stellen sah der Schnee fast wie geschmolzen aus.“ Zussa starrte Bargh an. Der große Krieger hatte kurz innegehalten, bevor er den Satz beendete. Jetzt erhob Neire das Wort. „Wie alt sind die Spuren, Bargh?“ „Nicht alt, vielleicht ein bis zwei Tage. Sie führen auf den Eingang hinzu, den wir von oben sehen konnten.“ Nach Barghs Antwort, fühlte Zussa das Adrenalin. Sie waren nicht alleine hier. Doch ihr Blick ging zu Bargh und der Antipaladin gab ihr Zuversicht. Was immer hier unten lauern sollte, würde sich Glimringshert stellen müssen. Und Zussa wusste, was Bargh mit der Klinge anstellen konnte. Sie wartete auf Barghs Kommando und gemeinsam schlichen sie in Richtung des Tunnels. Die Steigeisen knirschten, als sie über den gefrorenen Schnee, den Firn und das Gletschereis schritten. Sie folgten den Spuren, die sie durch die zerklüftete Landschaft führten. Dann standen sie vor dem Tunnel. Sie starrte in die Düsternis und konnte ihren Blick nicht abwenden, von dem dunklen Loch. Nur das Gesicht von Neire brachte sie von ihren Gedanken ab. Sie sah, wie der Jüngling ihnen zunickte und dann voranschlich. Nur kurz hatte sie die gold-blonden Locken und den Schimmer der Diamantkrone auf Neires Stirn gesehen. Dann folgten auch Zussa und Bargh. Der Tunnel war für Riesen viel zu klein und selbst Bargh musste sich ducken. Sie gelangten in das Innere. In eine Halle aus immerwährendem Eis. Es herrschte hier völlige Dunkelheit und so konnte Zussa die Kreatur erkennen, die sich hier versteckte. Von einem kleineren Berg von Knochen und Gebeinen hörte sie knackende und klickende Geräusche. Dort hatte sich ein Wesen zusammengerollt, das den schlangenartigen Leib eines Tausendfüßlers hatte. Das Monster war riesengroß und von einem bläulich schimmernden, gepanzerten Körper. Zussa erinnerte es an ein riesenhaftes Insekt; an chitinerne Platten. Aus dem Rückenpanzer wucherten seltsame warzenähnliche Strukturen. Der Bauch hingegen war von einer dünneren Haut bedeckt, die nicht ganz die Dicke der seitlichen Platten erreicht hatte. Zussa sah Bargh der Kreatur entgegenstürzen. Es folgte ein Winden, wie das einer Schlange. Hervor kam ein monströser Kopf mit insektenähnlichen Antennen. Dann stellte die Kreatur kleine, gebeugte Knochen auf, die eine Haut – fast wie Fledermausflügel – aufspannten. Ein überlegenes Zischen und ein bizarres Bellen gingen von dem Wesen aus, als Bargh sich ihm entgegenstellte. Doch Zussa reagierte diesmal schneller. Sie hob ihren Stecken und beschwor fünf Kugeln aus brennender Dunkelheit. Sie schlugen in die Kreatur ein. Zussa konnte ihren Augen nicht trauen. Die Geschosse verschmolzen wirkungslos mit dem Körper. Wie eine Brandung, die sich an einem langen Sandstand bricht und sich verliert. Doch dann frohlockte Zussa. Sie sah Bargh, der das Wesen erreicht hatte. Todesmutig erhob der Drachentöter Glimringshert. Er brachte Feuer und Dunkelheit. Seine Angriffe waren grausam und hinterhältig. Zussa schrie freudig auf, als die Kreatur des ewigen Eises unter den Angriffen Barghs zusammenbrach. Der dunkle Krieger hatte mit mehreren Hieben den Kopf zerspalten. Sie dachte an ihre Göttin Jiarlirae. Sie brachten ihre Flamme, ihre Düsternis. Sie würden sie überkommen. Sie sollten brennen oder von ihren Schatten verschlungen werden.

Neire schritt im heulenden Wind hinter Bargh. Die kostbaren Stiefel, die er trug, gaben ihm guten Halt auf dem Eis. Sie hielten auch die Kälte der frostigen Böen ab, die jetzt von hinten auf sie einwirkte. Er bemerkte, dass Bargh mit der Kälte nicht so gut zurechtkam. Seit ihrem Aufstieg zitterte der dunkle Krieger Jiarliraes. Bargh hatte sich in seinen Fellmantel gewickelt, auf dem bereits eine Schicht von Eiskristallen lag. Zussa schritt leichtfüßig vor Bargh. Sie nutzte den Windschatten, den ihr Bargh gab. Gerade drehte sich Zussa um und rief zu Bargh. „Kommt Bargh. Folgt mir oder wollt ihr ewig hier verweilen? Ihr werdet hier vielleicht noch erfrieren.“ Der schalkhafte Ausdruck auf Zussas Gesicht blieb Neire nicht verborgen. Als sich Zussa wieder umdrehte folgte ihr Bargh, doch er stieß Zussa sein Schild in den Rücken. Sanft war der Stoß, doch stark genug um das Mädchen mit dem staksigen Schritt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zussa stolperte, konnte sich aber wieder fangen. Sie funkelte Bargh feindselig an, mit ihren grünlichen Augen. Ihre roten Locken flatterten im Wind. „In Fürstenbad sollen einige Adelige aus ihren Sänften gefallen sein. Aus reiner Bequemlichkeit“, rief Bargh und fing an zu lachen, bevor er den Satz beendete. Doch bevor Zussa etwas antworten konnte, trat Neire hervor. „Das erinnert mich an einen alten Spruch aus Nebelheim, wollt ihr ihn hören?“ „Nein, ich will gar nichts mehr hören“, schrie Zussa in den Wind, aber Bargh nickte bejahend. „Es gibt diese alte Redensart, die besagt, dass giftige Zähne, die nicht tötend beißen, auf eine heimliche Liebe hindeuten.“ Als Zussas bockiger Blick einem fragenden Stirnrunzeln wich, fügte Neire hinzu. „Eine heimliche Liebe, ihr beiden Turteltäubchen.“ Jetzt verstand Zussa, aber auch Bargh den Sinn des Satzes. Zussa rollte ihre Augen, doch die Röte in ihrem Gesicht war unschwer zu übersehen. Sie drehte sich schnaubend um und Neire sah sie im Tunnel verschwinden. Wortlos folgte er dem Mädchen in die kalten, haushohen Gänge in Fels und Eis.

Sie rasteten bereits eine Zeit vor dem Tunnel, der weiter in die Tiefe hinabführte. Sie hatten sich in der Wache abgewechselt und sie waren eine Zeitlang ungestört gewesen. Jetzt wurden sie von Bargh geweckt, der ihnen warnende Worte zuraunte. „Neire, Zussa, wacht auf. Ich höre Schritte im Gang. Sie kommen von unten.“ Neire schüttelte die Müdigkeit augenblicklich ab und begann sich aufzurichten. Er streifte sich den Tarnmantel über und flüsterte zu Zussa und Bargh. „Wartet hier. Ich werde in den Tunnel schleichen. Wartet auf mein Signal.“ Er sah, dass beide nickten. So zog sich Neire die Kapuze über den Kopf und verschwand in die Schatten. Weit musste er nicht in den Tunnel hineingehen. Schon bald bemerkte er die ersten Kreaturen, die ihm dort entgegenkamen. Sie waren von der Größe Barghs. Teils von gelblicher Haut, trugen sie lange Macheten-ähnliche Messer. Ihre Schädel erinnerten an die von Menschen, doch ihre Gesichtszüge waren primitiv. Je näher sie kamen, desto stärker wurde der Geruch von vergorenem Schweiß. Neire lauerte in den Schatten und wartete auf seine Gelegenheit. Als die erste Gestalt fast zu ihm aufgeschlossen war, begann er zu murmeln. Der Führer der Gruppe blieb augenblicklich stehen und begann zu lauschen. Doch er konnten ihn nicht sehen. So beendete Neire seinen Spruch und beschwor die Schockwelle aus invertiertem Licht. Es gab ein lautes Knallen als der schwarze Blitz durch die Kreaturen fuhr. Zwei von ihnen starben augenblicklich. Die restlichen drei Oger wollten gerade ihre Macheten erheben, da war auch schon Bargh bei ihnen. Sein Schwert schnellte hervor und mit jedem seiner Angriffe zerteilte er eine der Kreaturen. Jetzt kehrte Stille ein, im Gang. Nachdem sie die Kreaturen begutachtet hatten, begann Bargh sie in den seitlichen Tunnel zu ziehen, wo sie hergekommen waren. Sie beseitigten, so gut es ging, die Spuren des Kampfes. Dann begannen sie ihre Rast fortzusetzen.

„Seht was wir erreicht haben. Nur gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam können wir sie besiegen. Was auch immer sich uns entgegenstellt.“ Neire betrachtete lächelnd seine Mitstreiter Zussa und Bargh. Er bemerkte, dass er sie mit seinen Worten mitriss. Neire hatte sich während ihrer Rast nicht zurückhalten können und den Ring angelegt, den er in der Höhle des Frostwurms gefunden hatte. Von diesem Ring schien eine unglaubliche Macht auszugehen. Neire hatte herausgefunden, wie sie einzusetzen war. Dreimal hatte er den Ring gedreht an seiner Hand und dreimal hatte er sich gewünscht schöner zu sein. Er spürte, dass die Macht gewirkt hatte. Seine Stimme klang wunderbar angenehm, trotz zischelndem Singsang. Seine Haut glitzerte weißlich und makellos. Er fragte sich, wie er wohl wirken würde auf Zussa und Bargh und er bekam seine Antwort. „Neire, die Rast scheint euch wohl gut bekommen zu haben“, sagte Zussa, die ihn staunend betrachtete. Neire nickte und führte seine Rede fort. Er sprach von ihrer Göttin, von Jiarlirae. Er beschwor ihren Sieg und die Feste, die sie feiern würden. Besonders Bargh schien der Gedanke an ein kommendes Fest zu begeistern. So bemutigten sie sich gegenseitig, bevor sie abermals aufbrachen. Ihr Weg führte sie hinab, in eine riesenhafte unterirdische Felshalle. Auch hier war die Luft kalt, doch sie sahen kein Eis mehr. Mehrere Tunnel führten hinfort, von denen einer mit einer Barriere aus drei großen Findlingen verschlossen war. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte begann Bargh nach Spuren zu suchen. Ihm fielen direkt die frischen Spuren der Oger auf, die allesamt auf einen von Fresken verzierten Bereich im Fels zuführten. Dort waren grobe Bilder von Riesen zu sehen, die in verschiedenen kriegerischen Szenen dargestellt wurden. „Schaut, Neire, Zussa. Die Spuren führen direkt auf diese Wand zu.“ Sie alle starrten jetzt wie gebannt auf die Freske eines Kriegers, der eine Axt über seinen Kopf gehoben hatte. „Dort, seht ihr es nicht?“ Sagte Zussa, als sie flüsternd auf die Axt zeigte. „Es sieht so aus, als könne man die Axt bewegen. Im Stein.“ Jetzt näherte sich Bargh der Stelle. Bevor er nach der Axt griff, schaute er Neire und Zussa an. „Seid ihr bereit?“ Er erhielt ein grimmiges Nicken als Antwort. Langsam begann Bargh die Axt zu bewegen. Er drückte den Stein nach vorn und mit einem Knirschen begann sich der gewaltige Felsblock zu bewegen. Bargh setzte seine gesamte Kraft ein, als er drückte. Ein fast drei Schritte breiter Bereich, mehr als sieben Schritt hoch, glitt zurück. Bargh drückte beharrlich weiter, bis sich zur linken und rechten Seite eine kleine Öffung offenbarte. Er hatte dumpfe Stimmen hinter dem Steinblock gehört. Es eröffnete sich ein von Fackellicht erhelltes Gemach dahinter, von dem er nur einen Teil überblickten konnte. Er nickte Neire zu, der sich seinen Tarnmantel über sein Gesicht zog. Dann wich Bargh aus dem kleinen Tunnel zurück und Neire huschte in den Raum hinein. Die Stimme sprach jetzt ein zweites Mal. Dumpf und grollend und in einem befehlsartigen Ton. Neire war inzwischen durch die gewaltigen Beine der Kreatur geschlüpft. Er hatte auf den Moment gewartet, als sich der Steinblock weiter in den Raum zu bewegen begann. Diesmal musste es eine Kreatur sein, die den Block von der anderen Seite bewegte. Als er sich umblickte, sah der die beiden Riesen. Der eine zog an dem Block und der andere blickte in den Tunnel hinein. Der Blick des Riesen war aber nicht nach unten gewandt. Es schien vielmehr so, als würde er einen seiner Kameraden erwarten. Neire nutzte den Moment. Zitternd beschwor er das Feuer der Göttin. Die Luft um die beiden Riesen explodierte und sie begannen zu schreien. So stark war die Explosion, dass die Flammen am Oberkörper des ziehenden Riesen nicht ausgingen. Zu diesem Chaos von Feuer, dem Geruch von verbrannter Haut und Haaren und dem Brüllen von Schmerz, gesellte sich die Aura der Dunkelheit. Der unheilige Krieger Bargh stürmte heran und er brachte Glrimringshert mit sich. Mit zwei kräftigen Hieben tötete er die erste Gestalt. Dann wendete er sich zu dem knienden Riesen, der versuchte das Feuer auszuschlagen. Tief trieb Bargh seine schwarze Klinge in den Hals. Blut spritzte auf und mit einem Gurgeln brach auch der zweite Riese zu Boden. Neire blickte sich ängstlich um. Vor ihnen verzweigten sich die Tunnel. Er konnte keine Bewegungen sehen. Waren sie bemerkt worden?
Titel: Sitzung 76 - Von Jarl Anwärtern und Gefangenen
Beitrag von: Jenseher am 2.09.2023 | 12:26
Barghs Atem beruhigte sich nur langsam. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und blickte auf seine toten Widersacher hinab. Beide Riesen waren noble, nordische Krieger gewesen. Sie hatten sie wahrlich übel zugerichtet. Von einer Gestalt züngelten Flammen von Haaren und Fell, währenddessen der Riese, der zuerst von ihm getötet wurde, zwei tiefe Schnitte in Bein und Brust aufwies. Mit den ersterbenden Flammen, wurde auch das Pulsieren des Blutes weniger, das aus den gefällten Leibern strömte. Bargh wollte sich gerade zu den Kreaturen hinabbeugen, um sie zu durchsuchen, da sah er das bleiche, von gold-blonden Locken eingerahmte Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen. Neire blickte zuerst ihn, dann Zussa eindringlich an. „Bargh, Zussa, ich höre Schritte. Folgt mir, doch seid auf der Hut.“ Bargh nickte und hob beschwörend Glimringshert vor ihn. Um ihn begann die Klinge die Düsternis anzureichern, die ihren blutenden Schatten entsprang. Der bläuliche Schimmer von Neires Diamantenkrone war bereits verschwunden, da hörte Bargh die stampfenden Schritte durch die Tunnel hallen. Das Licht wurde hier weniger und die Höhle, welche die Größe und Höhe einer kleinen Kathedrale hatte, verzweigte sich in einige hohe Nebengänge. Aus einer dieser Öffnungen drang flackernder Schein, der durch die nahenden Leiber gebrochen wurde. Bargh wendete sich diesem Eingang zu. Er blickte in das Licht. Der rötliche Schimmer ging von den Hinterleibern riesenhafter, schwarzer Käfer aus, die, in Käfigen gefesselt, über eiserne Ketten von der Decke hingen. Auf ihn zu und über Felllager hinweg, stürmten grobschlächtige Kreaturen mit primitiven Schädeln. Der Gestank von geronnenem Schweiß drang ihm entgegen. Die Augen der übergewichtigen, aber dennoch muskulösen Gestalten wirkten hinterhältig und boshaft. Bargh hob sein Schild und setzte gerade Glimringshert zum Schlag an, da sah er den schwarzen Blitz. Invertiertes Licht brannte in seinen Augen. Ein Knallen betäubte seine Ohren. Vier der Kreaturen wurden von der schwarzen Magie Neires dahingerafft, teils grausam verstümmelt. Zwei jedoch überlebten und sanken zuckend und zitternd zusammen. Muskelkrämpfe brachten Knochen zum Brechen und Blut lief aus den Ohren eines Ogers. Die Augen der anderen Gestalt zerplatzten und grässlich heulende Schreie waren zu hören. Das Grauen übermannte die verbleibenden Oger. Sie ließen ihre langen, krummen Macheten sinken. Sie grölten unverständliche Worte und liefen an ihm vorbei. Panik war in ihren schwarzen Augen. Bargh ließ seine Klinge tanzen. Er kannte keine Gnade. Mit jedem Hieb fällte er einen weiteren, der fleischigen Leiber. Blut spitzte auf sein Gesicht und er musste lachen. Doch er konnte seinen Sieg nicht lange genießen. Diesmal war es Zussa, die aus der Dunkelheit des Tunnels warnte. „Bargh, Neire, passt auf. Sie bereiten einen Zauber der Kälte vor.“ Er drehte sich augenblicklich um und sah, dass auf der anderen Seite zwei Gestalten erschienen waren. Zudem hörte er aus einem seitlichen Tunnel, ein Schaben von Stein. Dort waren zwei große Felsbrocken aufeinandergelegt worden, die den Gang blockierten. Bargh stürmte auf die Gestalt zu, welche die Zauberformeln rezitierte. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit zu den Ogern, war aber schlanker. Ihre Haut hatte eine menschenähnliche Farbe. Listige Augen funkelten Bargh aus einem hässlichen Schädel an. Prominent waren die zwei Schwellungen, die bei jeder der Gestalten zu sehen waren. Sie waren wie knöcherne, unter der Haut liegende, Hörner über den Schläfen der Kreaturen. Bargh erreichte den Widersacher und stieß Glimringshert in ihren Körper. Die Klinge gebar eine Flut von Feuer. Bargh zog das dunkle Schwert aus dem Hals und trieb es in den Körper der zweiten Kreatur. Die Waffe drang in den Hals und das Wesen sank zu Boden. Auch eine dritte Kreatur dieser seltsamen Ogerart brachte er zu Fall, bevor sie reagieren konnte. Dann gab es ein dumpfes Knirschen von Stein auf Stein. Der große Felsbrocken brach hinab und dahinter konnte er einen kolossalen Schädel hervorblicken sehen. Der Riese dort offenbarte schneeweiße Haut und Haare sowie helle, blaue Augen. Er musste noch größer sein als die Riesen des Gletschers. Bargh bemerkte, dass sein Gesicht nicht von Hass verzerrt war. Er schien zu beobachten. Eine gewisse Intelligenz war an seinen Augenbewegungen zu erkennen. Und jetzt hörte Bargh die stampfenden Schritte aus einem anderen Tunnel auf ihn zukommen. Der Riese hinter dem Stein schien jedoch zu betrachten, zu warten. Bargh drehte sich um. Durch die Dunkelheit kamen zwei Riesen auf ihn zu. Sie trugen Äxte und waren in Kettenpanzer gehüllt. Beide hatten lange blonde Bärte und Zöpfe. Sie schrien hasserfüllte Worte in ihrer fremden Sprache und stürmten heran. Bargh stellte sich ihnen im Tunnel. Doch er vernahm weitere Schritte aus der Dunkelheit. Als die beiden Axtträger ihn erreichten, bemerkte er zwei Riesen, die Felsbrocken trugen. Bargh duckte sich, hielt sein Schild und zuckte nach vorne. Er spürte die Kälte nicht, welche die Kreaturen umgab. Plötzlich hüllte eine Woge von Flammen die Beine der beiden Kreaturen in Feuer. Neire hatte aus dem Hinterhalt seinen Spruch gewirkt. Dann spie Glimringshert Feuer und mit mehreren schnellen Schnitten fügte er der ersten Kreatur tödliche Wunden zu. Instinktiv dachte Bargh an seine Vergangenheit. An die Lehren aus seiner Ausbildungszeit in Fürstenbad. Er drängte zurück und rief: „Neire, Zussa, hinter die Biegung Sie werden die Felsen werfen. Sucht euch Deckung.“ Er lenkte den Schlag der riesigen Axt der Kreatur ins Leere und bewegte sich in die Eingangshalle mit dem verschiebbaren Felsblock. Dort stellte er sich dem ersten Krieger. Der Riese lachte siegessicher, als er ihm entgegentrat. Er glaubte ihn vor dem Kampf fliehen zu sehen. Die Kreatur überragte Bargh um mehr als das Doppelte. Doch auch diesmal war Bargh schneller. Tief rammte er Glimmringshert in den Bauch der Kreatur. Das Feuer verbrannte die Gestalt von innen und so stürzte der imposante Leib zu Boden. Jetzt drängte Bargh wieder nach vorne und hinter die Ecke. Auch Zussa und Neire standen ihm zur Seite. Gemeinsam griffen sie die letzten Riesen an, die gerade ihre Steine fallengelassen hatten und ihre Äxte zogen. Sie waren schneller und ihre Waffen tödlich präzise. Bargh keuchte mittlerweile, als er sein Schwert aus dem Brustkorb der letzten Gestalt zog. Dann hörte er plötzlich die grollende Stimme, deren Klang bestimmend, aber nicht feindselig war. Der Riese, der hinter den Felsbrocken hervorgekommen war, hatte sich aufgerichtet und betrachtete wachsam. Jetzt hatte er seinen Morgenstern gezogen, dessen Kopf die Größe eines kleineren Wagenrads erreichte. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von einem amüsierten Lächeln in einen grimmigeren Ausdruck geändert. „Habt Dank, ihr habt mir einen Gefallen getan und ihr seid fähig. Ihr habt mir sogar geholfen. Doch jetzt ist es an der Zeit ein paar Insekten zu zertreten.“ Die Stimme brach über sie herein wie das Grollen eins Gewitters. Hier und da war ein Stocken zu hören, als würde der Riese nach den richtigen Worten suchen. Neire zitterte, als er diesen Ton hörte. Dennoch raffte er seinen Mantel zurück, trat hinter Bargh hervor und lächelte die Kreatur an. „Oh, ihr sprecht die Sprache der Menschen. Ihr seid nicht dumm. Doch was ist euer Ziel? Wieso wollt ihr sie tot sehen?“ „Ich bin nicht dumm, nein. Ich, alleine gegen alle diese hier? Nein. Doch jetzt ist es anders. Weniger von denen. Ihr habt sie getötet, hahaha… Ich werde ihn töten und ich werde Jarl sein. Ich, nicht ihr.“ Der Riese griff jetzt nach seinem Morgenstern. Wut blitzte in seinen Augen auf. Hinter sich hörte Bargh das Lachen Neires, in dem er Furcht mitschwingen hörte. „Zussa, er redet wie ein Kind. Wie ein bockiges Kind? Was machen wir mit bockigen Kindern, Zussa?“ Zussa drehte sich Neire zu. Auch ihr war die Angst anzusehen. Sie kicherte verrückt und schrie: „Ein bockiges Kind muss versohlt werden.“ „Dann tötet ihn Zussa.“ Auch Neire setzte jetzt in das verrückte Lachen ein, das auch Bargh ansteckte. Er wusste, er trug Glimringshert und er war der heilige Krieger Jiarliraes. Er musste reagieren, bevor die Kreatur seinen Gefährten etwas antun konnte. Bargh zuckte nach vorne und griff an. In all seiner militärischen Präzision und Schnelligkeit. Der Riese hatte mit diesem Manöver nicht gerechnet und so fand Bargh seine rechte Seite ungedeckt vor. Dreimal senkte sich Glimringshert und zweimal spie das Schwert dunkelrote Flammen. Die rechte Seite des Jarl Anwärters brach schließlich auf und das Monster begann zu wanken. Auch Zussa und Neire stachen jetzt zu; immer und immer wieder. Auch als das majestätische Geschöpf bereits zu Boden gefallen war. Mit einem Röcheln unverständlicher Worte hauchte der Riese sein Leben aus. Bargh setzte sich auf seinen Kopf und atmete auf. Nur Zussa und Neire widmeten sich weiter seinem Leib. Ihre Angriffe hatten längst ihre Tödlichkeit verloren. Es sah so aus, als wollten die beiden ein Kind versohlen. Ein riesiges bockiges Kind.

„Glaubt ihr das etwa, ihr Narren? Nein, zwischen diesen Beinen sind nur starke Kinder hervorgekommen. Nicht solche wie diese Diener des Jarls, die hier hausen.“ Die Worte der gigantischen Frau brachen donnernd über sie herein. Der Druck der Geräusche brachte ihre Trommelfelle zum Klingen. So laut, dass es schmerzhaft war. Neire zog seinen Tarnmantel zurück und verbeugte sich tief. Kurz dachte er an den Riesen mit den milchig-weißen Haaren. Sie hatten nach dem Kampf verschnauft. Dann hatten sie die Leichen und Höhlen durchsucht, in denen sich die Kreaturen aufgehalten hatten. Gold und andere wertvolle Schätzte waren dabei in ihren Besitz übergegangen. Danach hatten sie den Tunnel entdeckt, der mit übergroßen Steinquadern versperrt war. Bargh hatte einen der Felsblöcke nach hinten gedrückt und sie waren über die Barriere geklettert. Sie waren vorgedrungen in eine Höhlenkammer, die auf sie wie ein nobles Gefängnis gewirkt hatte. Im Fackelschein hatte eine Tafel aufgeragt, die bedeckt gewesen war mit allerlei Köstlichkeiten. Das Essen hatte sich aber in einem bereits schlechteren Zustand befunden. Als ob es für eine lange Zeit nicht angerührt worden war. In einer Ecke sitzend und gehüllt in einige Felle, hatten sie die große Riesin gesehen. Der Körper der Gestalt war mit eisernen Fesseln versehen gewesen, die in der Felswand befestigt waren. Als sich Neire aufrichtete blickte er in das Gesicht der Frau. Sie hatte ein hübsches, menschenähnliches Gesicht und einen grünlichen Schimmer auf ihrer weißen Haut. Ihre lockigen Haare fielen in langen Strähnen vom Kopf. Sie waren von einem dunkleren Blond und glitzerten im Fackellicht in einem magischen Türkis. Neire setzte sein charmantestes Lächeln auf und warf seine gold-blonden Locken zurück. „Wer seid ihr und was macht ihr hier? Wenn ihr nicht zu denen gehört…“ Neire sprang erschreckt zurück, als die Gestalt ihren Arm erhob und die Ketten rasselten. Da war wieder dieses Grollen, das ihn im Satz unterbrach. „Es traut sich in meine Höhle und es spricht, das Insekt.“ Als die donnernde Stimme verstummte, bewegte sich Neire wieder hinter Bargh hervor. „Nun, ihr spracht vom Jarl. Wer ist dieser Jarl? Es muss schließlich etwas bedeuten Jarl zu sein, haben wir doch einen eurer Art getroffen. Von Haut und Haar wie Milch. Er wollte auch Jarl sein, doch Zussa tötete ihn.“ Neire deutete auf Zussa. Bargh grummelte zwar etwas bei dieser Übertreibung, legte aber keine Widerworte ein. Zussa hingegen baute sich auf und ließ ihren Säbel durch die Luft fahren.“ Ein dröhnendes Kichern war die Antwort der Kreatur, die auf Zussa zeigte. „Diese rote Fliege, hahaha… wie sagt ihr in eurer Sprache… sie kann doch noch nicht einmal einer Fliege beileibe rücken. Hahaha.“ Zussa jedoch trat mutig hervor, steckte ihre Brust heraus und schrie. „Versohlt haben wir ihn. Ja, versohlt wie ein bockiges Kind.“ „Ja, Mädchen, wie ein bockiges Kind habt ihr ihn versohlt. Ihr könnt ja mal versuchen mit mir zu spielen, mich zu versohlen, kleine rote Fliege.“ Jetzt war es Zussa, die bockig auf den Boden trat. „Nun, für euch mag es wie ein Zahnstocher aussehen, große Riesin, doch auch ein Zahnstocher kann tödlich sein, wird er nur richtig eingesetzt. Aber wir bevorzugen es nicht mit euch zu spielen.“ Neire musste grinsen bei Zussas Antwort und stimmte ein. „Nein Zussa, wir sollten nicht mit ihr spielen. Sie sieht so… sieht so… klobig aus.“ „Ja, richtig klobig“, antwortete Zussa. Dann sprach die Riesenfrau. „Genug des Ganzen. Ich glaube euch nicht, aber habe den Riesen gesehen. Sie nennen sich die Herrscher der Wolken, leben in ihren hohen Schlössen. Sie halten sich für etwas Besonderes, doch ich frage euch, was treibt die Wolken davon? Natürlich… kein flaues Lüften. Ein ausgewachsener Sturm.“ Neire nickte und begann zusprechen, als wieder Ruhe eingekehrt war. „Ich bin mir nicht sicher, ob es euch gefällt hier. Mit all eurem Essen und diesen schönen Ketten. Wieso habt ihr sie nicht längst gesprengt, wenn ihr so stark seid?“ Die Riesin lächelte und sprach jetzt leiser. Ihre Stimme wurde von einer Windböe zu einer Brise. „Kommt her und versucht mich zu befreien. Ich werde Jarl Gramnir niederstrecken. Gemeinsam können wir es schaffen.“ Neire glaubte jetzt die Oberhand zu gewinnen. Er trat mutig einen weiteren Schritt nach vorn und verbeugte sich nochmals. „Wir dienen der Göttin von Flamme und Düsternis, Jiarlirae. Leistet einen Treueeid auf sie. Verpfändet eure Seele. Tut es aus freien Stücken und wir werden euch befreien.“ Die Riesin lachte auf und ihre Worte wurden zu einem Grollen. „Ha, Jiarlirae. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann werden wir sehen, ob ich mich euer Göttin zuwenden werde.“ Neire fühlte die Enttäuschung. Es war, als ob er fortgestoßen werden würde. Wie damals, als er das erste Mal Lyriell begegnet war. Die Gedanken erfüllten ihn mit großer Trauer. Instinktiv reichte er nach der Macht der Augen des Jensehers. Die Welt verschwamm zu rötlichen Farbtönen. „Wir sind als Freunde gekommen und als Freunde könnten wir den Weg hinaus gehen. Schließt euch Jiarlirae an, tut es!“ Wie Engelszungen klangen Neires gelispelte Worte. Er sah, dass die Frau ihm lauschte. Doch ihr Lächeln verwandelte sich in ein abfälliges Grinsen, als sie seiner Verhexung widerstand. „Richtige Freunde brechen diese Ketten. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann sehen wir weiter.“ Neire stampfte mit dem Fuß auf. Tränen flossen über Wangen und Kinn. Er fühlte einen tiefen Schmerz. Er sah Lyriell vor sich. Mit ihren kupferfarbenen Locken. Er erinnerte sich an die blasse, weiche Haut ihres wohlgeformten Gesichtes. Die vertikalen Pupillen ihrer grünen Augen. Als er aufblickte, kannte er nur Schmerz, Hass und Wut. Er schrie und seine Stimme überschlug sich. „Tötet sie Zussa. Tötet sie Bargh. Flamme und Düsternis weben ihr Ende. Das Chaos soll sie überkommen.“ Dann stürmte auch Neire auf das Wesen hinzu. Die Welt um ihn war noch immer rot. Die Szene hatte etwas Gespenstiges. Wie kleine Ameisen, die in überbordender Verrücktheit in ihren Tod rennen würden. Die Riesin richtete sich auf und ballte die Fäuste. Sie sprach herausfordernde Worte. Dann kam die Dunkelheit des unheiligen Ritters über sie. Und mit ihm kamen die Flammen. Neires Traum war rot vor Blut, wie seine Welt rot war. Und Schmerz, Hass und Wut begannen sich in Wohlgefallen aufzulösen.
Titel: Sitzung 77 - Die Hallen Des Jarls
Beitrag von: Jenseher am 9.09.2023 | 14:54
Um sie war das flackernde Licht von Fackeln. Zussa sah die dunklen eisernen Kettenglieder, die die Riesin gefesselt hatten. Sie keuchte, als sie Neire folgte. Sie lachte immer wieder auf. Rötlich-nass schimmerte ihr Säbel. Alles kam ihr wie in einem Traum vor. Das Blut lief in Strömen von dem Leib, der immer noch warm war. Es roch hier nach verbrannter Haut. Sie sah die tiefen Schnitte von Barghs Klinge und musste noch lauter lachen. Was oder wer sollte sie aufhalten? Zussa sah Neire, der sich weiter auf den Kopf der Gestalt zubewegt hatte. Der Kopf der Riesin lag dort reglos und ohne Wunden. Ihr hübsches, nobles Gesicht wirkte fast friedlich. Blass glänzte die Haut und auch das dunkelblonde Haar hatte einen türkisenen Schimmer. Zussas Lachen verwandelte sich in ein Schnauben, als sie zu sich murmelte. „Wie hat sie mich genannt? Kleine rote Fliege? Ha! Kann eine Fliege stechen? Kann sie Feuer und Dunkelheit bringen?“ Sie war jetzt über den gesamten Körper gegangen. Über die tiefen Schnitte, die Barghs Klinge Glimringshert dem Wesen zugefügt hatte. Am Kopf traf sie auf Neire, der seinen Tarnmantel zurückgezogen hatte und das enorme Gesicht betrachtete. Zussa blickte in die großen blauen Augen der Riesin und sagte. „Hat sie nicht schöne Augen Neire? Ich will eines davon.“ Sie begann ihren blutverschmierten Säbel in Richtung des Auges zu führen, da hörte sie Neires zischelnde Stimme. „Wartet Zussa, ich helfe euch.“ Gemeinsam fingen sie an zu schneiden. Neire half ihr, den Säbel zu führen. Doch der Versuch misslang. Das Auge platzte auf und Blut und Flüssigkeit strömte hervor. Zussa schrie auf. „Neire, ihr habt es vermasselt.“ Doch Neires Antwort besänftigte sie. Es war so ein lieblicher Gesang in seiner Stimme. „Es kann passieren Zussa. Wir haben ein solches Wesen noch nie gesehen. Ihre Augen wollten Jiarlirae nicht sehen, unsere Göttin konnte sie nicht begreifen. Seht, das andere Auge. Eine zweite Chance habt ihr.“ Zussa machte sich wieder ans Werk und diesmal gab ihr Neire nur Hinweise. Der Säbel vollzog sein grausames Werk und sie konnte das Auge aus der Höhle lösen. Verwundert nahm sie es in beiden Händen auf. Es war so schwer und so groß. Es war so schön. Doch Zussa wurde klar, dass das Auge nicht das Richtige war. „Ach, Neire, es ist doch viel zu groß“, sagte sie und warf das blutende Etwas achtlos zur Seite. Sie spielte Langeweile vor, doch innerlich spürte sie die Verzweiflung auf der Suche nach ihrer Maske. Neire legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an. Er hatte sich verändert nach ihrem Kampf gegen die Eisschlange. „Schaut, wie schöne Haare sie hat. Sie glitzern grünlich, wie eine Art Perlmutt. Vielleicht wären diese Haare etwas für eure Maske, Zussa.“ Zussa nickte freudig und ihre Miene begann sich aufzuhellen. Sie strich sich mit ihren blutverschmierten Händen durch die Haare. „Ja das ist es Neire. Ihre Haare.“ Sie suche sich eine Stelle mit helleren Strähnen und begann dort zu schneiden. Zuerst tief in die Kopfhaut. Der Säbel war scharf, doch es war eine kraftzehrende Arbeit. Neire half ihr dabei. Dann hielt sie ein Stück blutige Kopfhaut in ihren Händen. Die Haare reichten fast bis zu ihren Füßen und fielen in blonden Locken hinab. „Schaut Neire!“ Zussa frohlockte glückselig. „Dies soll ein weiterer Teil meiner Maske werden.“

Sie hatten danach die Höhle verlassen und waren weiter in die Hallen des Jarls vorgedrungen. Zussa war sichtlich gut gelaunt gewesen. Sie hatte Neire immer wieder Fragen nach seiner nebelheimer Vergangenheit gestellt, die Neire in kurzen Sätzen beantwortet hatte. Nachdem sie eine Höhle mit Fässern und Kisten untersucht hatten, die Nahrungsmittel und Wasser enthielten, waren sie in ihrem weiteren Weg augenblicklich verstummt. Vor ihnen lag eine riesige unterirdische Halle, die durch Fackelschein und Feuerkäfer erhellt wurde. Wie auch zuvor, hingen metallene Käfige an Ketten hinab, in denen die schwarzen Insekten mit den rötlich glühenden Hinterleibern gefangen waren. Auf der linken und rechten Seite der Höhle konnten die Anhänger Jiarliraes zwei Emporen sehen, die aus der Felswand aufragten. Steinerne Treppen führten dort hinauf. Hölzerne Bänke und Tische waren an den Seiten der Höhle zusammengestellt, die auf vergangene, große Feste hindeuteten. Im hinteren Teil der Höhle erblickten sie einen großen Thron, von dem ein Blitzen und Funkeln von Edelsteinen ausging. Der Thron ragte aus dem Bereich einer ausgehöhlten Felserhöhung auf und auch dort war eine Tafel zu erkennen. Im Schatten von Barghs Klinge traten sie vorsichtig näher. Dann sahen sie die beiden Kreaturen, die sich auf der linken und der rechten Brüstung positioniert hatten. Beide Riesen des Gletschers starrten in ihre Richtung – als ob sie sie bereits bemerkt hätten. Doch sie reagierten nicht. So bewegte sich Bargh leise vorwärts, bis er zu einem Felsvorsprung kam. Er nickte Neire und Zussa grimmig zu und stürmte dann los, auf die rechte Brüstung hinzu. Augenblicklich brüllten die Riesen Warnrufe. Beide begannen zwei Felsbrocken hochzuheben, welche die Größe von kleineren Pferden hatten. Bargh hatte jedoch die erste Kreatur schon erreicht. Er duckte sich unter dem Wurf hinweg und stieß mit Glimringshert zu. Das Grollen der Kreatur verwandelte sich jetzt in einen Todesschrei. Der tonnenschwere Leib brach kraftlos in sich zusammen. Keinen Moment zu spät drehte sich Bargh um. Abermals duckte er sich und entging dem zweiten Felsbrocken nur knapp. Dann überschlugen sich die Dinge. Neire beschwor drei glühende Kugeln, die im Körper des zweiten Riesen explodierten. Sie hörten bereits nahende Schritte von zwei weiteren Kreaturen, die hinter dem Thron hervorbrachen. Außerdem stürmten einige Oger auf sie zu, die aus einem Höhlengang flackernden Lichtes drangen. Unter den Gesängen Zussas jedoch, spürten sie die unheilige Kraft, die innere Verbundenheit, die sie furchtlos kämpfen ließ. Neire tötete den verletzten Riesen auf der Empore mit einem dunklen Zauber. Dann stürzten sie Bargh sowie Zussa in das Kampfgetümmel und Neire lauerte in den Schatten. Der Kampf war blutig und erbarmungslos, wussten die Kreaturen doch, dass sie ihnen keine Gnade erweisen würden.

Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und ging auf die Gruppe von Riesinnen und ihre Zöglinge hinzu. Er umrundete den Leichnam der gewaltigen Kreatur; den Gletscherkrieger, der die Frauen und Kinder beschützt hatte. Der Riese war von Bargh niedergestreckt worden und hauchte gerade sein Leben aus. Die Zöglinge kauerten sich in Furcht zusammen. Auch den sechs Riesinnen war eine Mischung aus Furcht und Ungläubigkeit anzusehen, doch sie ballten ihre Hände zu Fäusten. Neire hob den Kopf und lächelte die Kreaturen an. Sein gold-blondes Haar schimmerte und der silberne Stirnreif mit dem großen Diamanten verlieh ihm ein nobles Aussehen. Er verdrehte seine Augen und reichte nach der Macht des Jensehers. Die flackernden Fackeln des Tunnels begannen einen rötlichen Glanz anzunehmen. Dann verschwand die kalte Höhle in einem Schleier aus Purpurfarben. Neire spürte die Macht der Gebete, die Zussa entfesselt hatte. Er blickte die Kreaturen an; er versuchte sie zu umgarnen. Auf dass sie sich an ihn bänden. Reihum ging sein Blick und die Furcht wurde zu Freundschaft. Die Kinder, von denen einige bereits größer als Bargh waren, fingen wieder an zu spielen. Zwei Riesinnen misstrauten seinem Blick. Weiter starrten sie in Barghs Richtung. Musterten ihn hasserfüllt. Dann sprach Neire zu den Riesinnen. Er betrachtete ihre weißbläulich schimmernde Haut. Er bewunderte ihre langen und vollen blonden Haare. „Wir sind gekommen als Freunde. Wir sind gekommen, um euch zu helfen. Doch der Feind ist unter euch. Es sind diese beiden dort. Zögert nicht und tötet sie. Ihr habt den Segen von Jiarlirae.“ Drei der Riesinnen verstanden seine Worte nicht, doch eine drehte sich um, ballte ihre Fäuste und verteilte eine gewaltige Ohrfeige. Im ersten Moment geschockt, wussten die beiden Riesinnen nicht, wie sie antworten sollten. Dann flammte der Hass in ihren Augen auf. Sie konzentrierten sich auf ihre Angreiferin und schlugen auf sie ein. Sie ließen nicht von ihr ab. Auch nicht, als Düsternis und Flamme zu ihnen kam. Der dunkle Ritter hatte ein leichtes Spiel. Bargh ließ die heilige Klinge Glimringshert ihr blutiges Werk vollbringen. Schon brach die erste Riesin tot zusammen. Neire stachelte währenddessen die seine an. Jetzt schlug sie mit der Faust zu. Sie traf den Kehlkopf ihrer Widersacherin und diese ging mit einem röchelnden Fluch auf den Lippen darnieder. Seine Riesin drehte sich wieder zu Neire um. Blut lief von ihrer Nase und es waren Prellungen in ihrem Gesicht zu sehen. Neire lächelte ihr abermals zu: „Ihr habt gutgetan und Schlimmeres verhindert. Verweilt hier und wartet auf unsere Rückkehr. Es soll euch nichts passieren.“

Hinter einem von drei Felsbrocken hatte sie ein Schnauben und ein Kratzen auf Stein gehört. Sie hatten sich entschlossen in diesen Bereich einzudringen und Bargh schob die obersten beiden Steinbrocken nach hinten. Nachdem das Poltern verklungen war, zog der dunkle Krieger sich hinauf und half Zussa nach. Dann hörten sie alle die schweren Schritte näherkommen. Bargh drehte sich um und zog Waffe und Schild. Er blickte hinein in eine Höhle, die von Knochen und Fellresten bedeckt war. Der Gestank von Verwesung und von Fäkalien kam ihm entgegen. Auch Zussa rückte vor und hielt ihren Säbel voran. Neire begann gerade die Steine hinaufzuklettern, da tauchten die ersten beiden Geschöpfe auf. Das Knurren verwandelte sich in ein Brüllen. Weißliches Fell schimmerte in der Dunkelheit und fletschende Zähne waren zu sehen. Beide Bären hatten enorme Ausmaße. Über ihren Schädeln war ein metallenes Geschirr zu sehen, in dem Edelsteine funkelten. Sie begannen sich vor der Öffnung aufzurichten und Bargh anzugreifen. Bargh wiederum stieß sein Schwert nach vorne. Er rammte die Klinge dem ersten Polarbären in die Schnauze, die er durchschnitt. Der zweite Streich drang tief in den Schädel und der schwere Leichnam begann in sich zusammenzusinken. Zussa und Neire griffen nun den verletzten Bären an und stachen in nieder. Doch zwei Kreaturen drängten nach, und nahmen den Platz ihrer einstigen Gefährten an. Sie konzentrierten ihre Angriffe auf Bargh, der wiederum sein Schild erhob. Einen Biss konnte er abwehren, doch zweimal brachen die schweren Tatzen über seine Rüstung. Doch Bargh gab nicht nach. Er rückte nach vorne und der Rubin in seinem rechten Auge schimmerte rötlich. Gemeinsam kämpften sie die beiden Kreaturen nieder. Bargh schnappte nach Luft und ließ sich auf ein Knie hinabsinken. Er hustete Blut und hielt sich die Seite. Dort wo die Tatze in sein Fleisch eingedrungen war. Vorsichtig lösten Neire und Zussa seinen Panzer und begannen die Blutung zu stoppen. Sie wuschen die Wunde mit Wasser aus und zerrieben dort Heilkräuter. Dann begann Bargh ein Gebet zu murmeln. Er legte seine Hand auf seine Brust und sprach die heiligen Worte an den Henker der letzten Einöde. Rötlich glühte sein Panzerhandschuh aus schwarzem Stahl auf und die Wunden begannen sich zu schließen. Sie stiegen hinab und begutachteten ihre Beute. Bargh verlangte, dass sie die Bären häuteten. So zog der Krieger einen Dolch und begann zu schneiden.

Neire betrachtete Bargh, der einen tiefes Stöhnen von sich gab und beide Felsen nach vorn drückte. Nach der Häutung der Polarbären hatten sie auf der anderen Seite der Höhle einen weiteren Ausgang entdeckt, der von zwei aufeinander aufgetürmten Felsen versperrt wurde. Es gab ein Knirschen von Stein und dann ein Poltern, als die Blöcke, die jeweils eine Größe eines Hauses hatten, nach hinten umkippten. Neire ließ seinen Blick in das Licht gleiten, das dort hervorkam. Doch innerlich war er bei Jiarlirae. Er lauschte den Gebeten, die Bargh und Zussa angestimmt hatten. Sie waren dort. Wie das Rauschen der Brandung, das er in Dreistadt kennengelernt hatte. Hinter dem Eingang, den die Steine nun freigegeben hatten, konnte eine Höhle erblicken. Dort waren Schlaflager, Felle und zwei große Tische zu sehen. Augenblicklich zuckte er zusammen, als er die massiven Gestalten bemerkte. Sie waren so groß, dass das Licht der Fackeln nicht ganz zu ihnen hinaufdrang. Grimmige Krieger, in Kettenhemden gekleidet und von hellem Haar und blau-grünlich glitzernder, blasser Haut. Die Riesen brüllen und erhoben ihre doppelköpfigen Äxte. Ein schwerer Steinbrocken sauste an Neire vorbei und auf Bargh zu, doch der Krieger Jiarliraes lenkte die Flugbahn mit seinem Schild zur Seite. Neire musste schneller handeln. Zitternd begann er den Schwefel mit dem Fledermausdung zu zerreiben. Dann entfesselte er seine schwarze Kunst. Für einen Moment schloss er die Augen. Dann sah er das Glühen der Explosion, das die Riesen einhüllte. Die Druckwelle war heftiger als sonst, das Feuer strahlender und schöner. Zwei Riesen schrien in Todesqualen und verbrannten jämmerlich. Verkohlte Leichen sackten zu Boden. Der Rest setzte sich in Bewegung. Doch da war Bargh. Er stürmte an Neire vorbei und nahm den Kampf an. Auch Zussa folgte todesmutig. Sie alle wurden angestachelt durch die Gebete. Und ihre Göttin half ihnen. Jeder Streich war ein Treffer. Jede Wunde tief und grausam. Sie schlachteten die Kreaturen dahin. Sie töteten sie; sie, die nicht kannten die Flamme, noch die Düsternis. Doch Neire kannte kein Mitleid. Er war mit seinem Bruder und mit seiner Schwester. Sie hatten ihre Göttin, sie hatten Jiarlirae.
Titel: Sitzung 78 - Jarl Gramnir
Beitrag von: Jenseher am 16.09.2023 | 12:45
Um Bargh, Neire und Zussa war das Knistern von Flammen zu hören. Kleinere und größere Feuer ließen dunkle Rauchschwaden aufsteigen, die sich in den Höhen der Wohnhöhle verloren. In der Halle war der Gestank des Todes. Übergroße Leiber zeigten teils grausame Brandwunden und tiefe Schnitte. Durch die Hitze hatten sich Muskeln gespannt, so dass die Extremitäten einiger Gletscherriesen in grotesker Weise angewinkelt waren. An anderen Stellen waren Gedärme hervorgequollen, die einen üblen Geruch von frischen Innereien und Blut verbreiteten. Bargh keuchte schwer und Neire zitterte. Doch sie ließen sich keine Ruhe. Nur Zussa schien von einer arroganten Überheblichkeit, als sie mit staksigen Schritten zwischen den Leibern her stolzierte. Sie blickten sich um. Über ihnen taumelten die Käfige der Feuerkäfer. Die Körper derer Rieseninsekten, die im Feuer Neires schwarzer Kunst gebraten worden waren, hatten ihren roten Schimmer verloren. Die chitinernen Platten waren aufgeplatzt. Die Käfer in den Winkeln der Halle waren nicht betroffen worden und von dort drang rötliches Licht. „Bargh Zussa! Ich höre Stimmen. Aus dieser Richtung. Seid auf der Hut.“ Augenblicklich erhob sich Bargh und streckte Glimringshert hervor. Die Düsternis, die vom dunklen Krieger Jiarliraes ausging, gab ihnen Geborgenheit; die Gebete Zuversicht. So bewegten sie sich vorsichtig der dunklen Öffnung zu, aus der Neire meinte die Geräusche gehört zu haben. Sie flüsterten sich gegenseitig Mut zu. Hinter der Öffnung lag ein dunkles Gemach, in dessen rechtem Teil sie eine riesige Tafel und eine Anhäufung von Trophäen sehen konnten. Zur Linken war Lichtschein aus einem Durchgang zu erkennen, der zwei felsige Stufen hinaufführte. Dort waren auch die Geräusche zu vernehmen. Bargh lenkte seine Schritte in diese Richtung. Er bewegte sich in den Eingang, doch er verharrte in den Schatten. Sie konnten jetzt in die Höhle hineinblicken, die sich hinter dem Durchgang auftat. Durch Felle und Möbel machte das riesenhafte Gemach einen nobleren Eindruck. Doch alles war so groß. Im Lichte von Fackeln und dem rötlichen Glühen der Feuerkäfer, sahen sie das letzte Aufgebot der Riesen. Drei Frostriesen mit grimmigem Ausdruck waren dem Eingang zugewandt. Sie trugen Kettenhemden, konische Helme mit Nasenschutz und lange Fellmäntel. Alle waren mit Schilden ausgerüstet, während zwei Speere und einer ein Schwert trug. Hinter dieser grimmigen Wache war Jarl Gramnir und eine Frau zu sehen. Der Jarl hatte einen gewaltigen Bauch, doch er war muskulös. Er war von haarlosem Schädel und offenbarte ein gealtertes Gesicht mit einer langen Narbe, von Wange bis zur Lippe. Ein weißlicher Bart hing bis auf den Bauch hinab. Mit beiden Händen trug er ein Schwert, das selbst für einen Riesen groß war. Gramnir war in einen Kettenpanzer gekleidet und von kostbaren Fellen bedeckt. Zwei Schädel von Polarbären verzierten seine Schultern. Die Frau an seiner Seite war nur unwesentlich kleiner. Sie besaß ein rundliches Gesicht, das von blonden Locken eingerahmt war. Auch ihr war das Alter anzusehen. Sie trug einen, von Fellen verzierten, Lederharnisch und einen breiten Gürtel. Als Neire den Raum sah, begann er augenblicklich seine dunkle Kunst zu wirken. Er beschwor die Mächte des Feuers. Die Riesen jedoch hörten sein Gemurmel. Jarl Gramnir brüllte auf und wies mit dem Schwert in Richtung des Eingangs. Langsam bewegten sich die drei Schildträger nach vorn, nicht wissend was dort in der Dunkelheit lauerte. Sie bewegten sich zu langsam. Die Explosion aus rötlichem Magmafeuer hüllte die Kreaturen ein. Sie schrien und brüllten. Sie sahen den dunklen Krieger Jiarliraes in den Flammen, sahen seinen rot schimmernden Kristall. Jetzt wandelte sich ihr zögerliches Vorrücken in nackte Wut. Bargh wiederum visierte den rechten Riesen an und schnellte nach vorn. Den ersten Schlag konnte das kolossale Wesen noch mit seinem Schild abwehren. Dann fuhr Grimlingshert in den Unterleib. Das Kettenhemd wurde durchtrennt und Gedärme quollen hinab. Der Riese versuchte noch die Eingeweide wieder in seinen Leib zu stopfen; dann brach er zitternd zu Boden. Sie hörten dumpfe Schritte und sahen, dass Gramnir sich nun selbst in den Kampf stürzte. Er baute sich vor Bargh auf und lachte. Er hob sein Schwert und stachelte seine Untergebenen an. Währenddessen begann die Riesin zu murmeln. Sie zeigte auf Bargh und entfesselte ihre Frostmagie. Doch das dunkle Schwert Glrimringshert begann Schatten zu bluten und der Zauber verfloss in diesen. Jetzt griff Gramnir an. Es gab ein Kreischen von Metall auf Metall, als Bargh den ersten Schlag mit dem Schild blockte. Nur knapp verfehlte ihn der zweite Streich. Auch die zwei verbliebenen Riesen griffen nun an. Sie stießen ihre Waffen nach Bargh. Verbrannt durch das Feuer und beeinträchtigt durch die Gebete von Bargh und Zussa gingen auch ihre Angriffe ins Leere. Bargh wiederum reagierte und rammte nun sein Schwert in den Leib des Jarls. Zussa und Neire beschworen Kugeln aus rötlichem Feuer. Das Grauen war in den Augen der beiden Schildträger zu sehen, als Jarl Gramnir blutüberströmt zu Boden ging. Bargh hatte mit einem gezielten Schlag die Kehle des Jarls zerschnitten, als dieser sich von seinem Angriff hatte aufrichten wollen. Die Muskelmassen des fettleibigen Körpers begannen wie wild zu zucken, als sich Gramnir seine Kehle hielt. Dann fiel er nach hinten über. Jetzt griffen sie die beiden verbleibenden Kreaturen an. Bargh zeigte ihnen keine Gnade. Auch Zussa hatte ihren Säbel gezogen und lachte verrückt auf, als sie sich an Barghs Seite auf die übergroßen Gegner stürzte. Nachdem sie die beiden Schildträger getötet hatten, schritten sie der Riesin entgegen. Die Frau hatte ein weiteres Mal ihre Eismagie gewirkt und sich zu vier Ebenbildern vervielfältigt. Sie zog gerade todesmutig ihren Streitkolben. „Wollt ihr leben? Dann legt eure Waffen nieder und leistet einen Schwur auf Jiarlirae“, sprach Bargh. Für einen Moment blickte die Riesin auf Bargh hinab. Sie legte den Kopf schief. Dann stieß sie einen unverständlichen Fluch aus und kam näher. Bargh griff an. Klirrend brach ein Spiegelbild nach dem anderen in sich zusammen. Bargh blockte einen Angriff der Kreatur. Dann stach er mit Glimringshert tief in ihre Brust. Die Flammen verbrannten die Lungen und Rauch stieg aus ihrem Mund auf. Für Neire und Zussa hatte es den Anschein einer feurigen Umarmung. Dann schlug der Leichnam auf den Boden und mit ihr hauchte der letzte Widersacher seinen Atem aus.

Sie hatten danach die Gemächer durchsucht und nach weiteren Riesen Ausschau gehalten. Doch die kalten Höhlen waren verlassen. Dann hatten sie sich an die Plünderung begeben. Sie hatten die Leichen durchsucht und ihnen Gold und Geschmeide sowie ihre Bernsteinarmreifen abgenommen. Danach waren der Trophäenraum und die Schatztruhen von Gramnir untersucht worden. Nachdem sie alles in Ortnors seltsamen Labor verstaut hatten, hatten sie sich den Tunnel angeschaut, den sie hinter den Vorhängen in Gramnirs Gemach gefunden hatten und der in die Tiefe führte. Der Tunnel hatte nach einem geheimen Fluchtweg ausgesehen. Im Stein einer kleinen Aussparung hatte Neire eine versteckte Kiste mit weiteren kostbaren Gegenständen gefunden. Zudem hatte er Zussa und Bargh auf die Metallstäbe aufmerksam gemacht, die in der Decke zu sehen waren. Sie waren herausziehbar gewesen und Neire hatte ein Portal entdeckt. Ein Portal, von dem er sich fast sicher gewesen war, dass es an einen anderen Ort auf dieser Welt führte. Sie hatten sich entschieden im Gemach von Gramnir zu rasten. Das große Bett des einstigen Jarls hatten sie mit weiteren Fellen belegt. Jetzt, nach mehr als einem halben Tag der Ruhe, richtete sich Zussa nervös auf, schritt staksend umher und betrachtete ihre Gefährten. „Neire, Bargh, wir haben die Frauen und Kinder vergessen. Ihr wisst schon. Die, die in der Höhle bleiben sollten. Ob sie noch dort sind? Wir müssten nachschauen.“ Neire begann sein Buch mit dem dunklen, ledernen Einband im Rucksack zu verstauen und richtete sich gähnend auf. „Und dann Zussa? Was wollt ihr mit ihnen machen? Wir haben noch nicht alle Höhlen erforscht. Wir wissen nicht was sich dort verbirgt. Wir sollten sie vielleicht dort lassen. Oder was meint ihr Zussa?“ Zussa dachte kurz nach. Dann warf sie ihre rotblonden Locken zurück. „Oder wir nehmen sie mit… lassen sie vorgehen. Ihr könnt sie befehligen Neire, ja?“ Neire nickte und dachte nach. Er mochte die Entschlossenheit in Zussas Stimme. Er spürte ihre Verbundenheit zu Jiarlirae. Wie konnte sie falsch liegen. „Nun Zussa. Wenn es eure Entscheidung ist, dann nehmen wir sie mit. Lasst uns zur Höhle mit der Geheimtür zurückkehren.“

Neire hatte den Pulk durch die Tunnel geführt. Vorbei an verbrannten und geschändeten Leichen. Vorbei an Tod und Zerstörung. Die Kinder hatten bei ihrer Ankunft ängstlich geblickt. Ein Quengeln und fragende Blicke waren zu sehen gewesen. Dann war Neire hervorgetreten und hatte sie begrüßt. Die Riesinnen hatten ihn angelächelt und die Bälger begannen freudig mit ihm zu spielen. Neire hatte die Kreaturen betrachtet. Selbst den Kleinsten, die bereits etwas größer als er selbst gewesen waren, schien die Kälte nichts auszumachen. Die Jüngsten waren von niedlichem Aussehen gewesen. Mit blonden Haaren und höheren Stimmen. Schließlich hatte er den Aufbruch befohlen. Die Riesin, die ihn hatte verstehen können, hatte Befehle gegeben und so waren sie in die große Eingangshalle mit den Fresken zurückgekehrt. Hier entschieden sie sich für den Ausgang, der von Felsen versperrt war. Bargh zog einen Brocken nach dem anderen heraus. Dahinter konnten sie einen sieben Schritt hohen Gang erkennen, der nach links um eine Ecke führte. Kalte Luft drang ihnen entgegen. Neire schickte den Pulk vor. Die Riesinnen nahmen ihre Kinder bei der Hand. Sie führten sie in die Dunkelheit. Je weiter sie kamen, desto mehr mussten sie tasten. Sie orientierten sich an den Felswänden entlang. Nur langsam folgte Bargh und hinter ihm Neire. Kurz vor der Ecke hörten sie monströse Geräusche hinter der Biegung, die zwischen einem kreischenden Zischen und einem tiefen Brüllen wechselten. Auch spürten sie den eiskalten Windhauch, der ihnen entgegenkam. Neire wagte den vorsichtigen Blick. Hinter der Biegung sah er eine riesige Höhle, die etwa eine Höhe von 15 Schritten erreichte. Frauen und Kinder hatten sich weiter hineinbewegt und stolperten durch die Dunkelheit. Dann hörte Neire das Rasseln von metallenen Ketten. Zwei gewaltige Kreaturen, von weißlich schimmernder schuppiger Haut, richteten ihre Flügel auf. Sie blickten in arroganter Weise auf den Pulk der Frauen und Kinder hinab. Ihre hörnerbesetzten Schädel waren beeindruckend; ihre blauen Augen funkelten boshaft. Sie stießen kalten, weißlichen Dampf aus ihren Mäulern. Krallenbesetzte Füße waren zu sehen. Entfächerte Schwingen, breit wie Häuser. Beide wurden von schweren eisernen Ketten gehalten, die an Ringen um ihre langen Hälse befestigt waren. Neire sah, dass auch Bargh und Zussa die Höhle betrachtet hatten und jetzt zurückwichen. „Ruft Jiarlirae an. Erbittet ihre Hilfe“, sprach Bargh und begann selbst ein Gebet anzustimmen. Neire sah Zussa nicken. Doch diesmal waren die Worte Zussas anders. Es war eine Hymne an den Kampf, an das Urchaos, die Zussa anstimmte. Es fegte alle Zweifel, alle Ängste in Neire hinfort. Auch Bargh schien Ähnliches zu spüren, denn er hob bereits Schwert und Schild und stürmte voran. Als Neire um die Biegung schritt, erkannte er, dass der ihnen nähere Drache bereits nach einem Riesenkind gegiert hatte. Geifer lief von dem dampfenden Maul, das sich jetzt in ihre Richtung wendete. Die hasserfüllten Augen musterten Bargh. Für einen Moment schien alles so langsam. Dann stieß Bargh mit der Kreatur zusammen. Er schlug zu mit Glimringshert. Er brachte die Flamme des Chaos in diese eisige Höhle. Das Brüllen des Wesens stieg an in seiner Frequenz und wurde zu einem Kreischen. Dann rammte Bargh sein Schwert ein zweites und ein drittes Mal in den Körper. Tief in das Herz der Kreatur. Sie alle sahen das noble Geschöpf zusammenbrechen. Jetzt beschwor Neire die Bälle aus Magma. Sie schlugen in den Körper des zweiten Drachens, der etwas weiter weg, auf einer natürlichen Erhebung aus Stein kauerte. Zwei der Geschosse explodierten in dunklen Magmaflammen, rissen tiefe Wunden. Dann stürzte Zussa hervor. Sie hatte einen seltsamen Trank zu sich genommen und ihr Hals hatte angefangen rötlich zu glühen. Sie entfesselte einen Schrei, der selbst den Todesschrei des Drachens überstieg. Rötliche Magmaflammen zuckten aus Zussas Mund und hüllten den noch lebenden Drachen in Flammen. Die Kreatur versuchte dem Feuer standzuhalten, doch sie verbrannte grausam. Sehnen begannen zu knacken, Knochen zu brechen, als sich Muskeln im Todeskampf mit dem Feuer verkrampften. Dann sackte auch der zweite Winterdrache darnieder. Neire drehte sich zu Zussa und zu Bargh. Er wollte frohlocken, er wollte Jiarlirae preisen, doch er spürte auch die Wut – den Drang weiterzumachen. Die Lust am Töten. Neire gab dem Gefühl nicht nach – er hatte andere Dinge mit den verbliebenen Riesen vor. Doch dann war da Bargh. Der Rubin in seinem rechten Auge glühte rötlich, als würde dort ein Feuer brennen. Bargh schritt zur ersten Riesin. Sie sah ihn nicht in der Dunkelheit, sah nicht ihren kommenden Tod. Bargh wütete und fällte den Leib. Einen nach dem anderen. „Bargh haltet ein. Ihr seid nicht bei Sinnen“, rief Neire, doch seine Stimme drang nicht zu dem dunklen Krieger durch. Nach den Riesinnen begann Bargh die Kinder zu töten. Ein dunkles Lachen ging durch die Höhle, gefolgt von hohen Schreien. Glimringshert flackerte auf, als es die Leben raubte. Bargh schnitt und tötete. Es war ein Blutbad. Als Bargh dem letzten verbleibenden Kind den Kopf abgehackt hatte, war Neire zu Zussa getreten. Zussa lächelte ihn an. „Schaut Neire, was für eine Freude er hat.“ Auch Neire hatte seine Stimmung geändert. Er dachte an Bargh und an Jiarlirae. „Vielleicht ist es ein Zeichen Zussa. Vielleicht ist es ein Zeichen Jiarliraes und ihre Stimme, die durch den dunklen Krieger spricht. Wir müssen weitersuchen. Streben nach Flamme und Düsternis und uns mühen Ihrer Geheimnisse.“
Titel: Sitzung 79 - Zum Tempel des Jensehers
Beitrag von: Jenseher am 23.09.2023 | 11:24
Wärmere Luft stieg aus dem abgeschiedenen Tal. Schneebedeckte, schroffe Berge umringten den tiefen Einschnitt in die Landschaft. In der Sohle der Senke glitzerte ein grünlicher See. Za`kvid hielt einen Moment inne und lauschte. Im Wind, der niedrig wachsendes Moos und Gestrüpp bewegte, konnte er keine Geräusche hören. Doch er hatte eine Bewegung gesehen. Irgendwo in der Tiefe vor ihm und in der Nähe der senkrechten Felswand, die sich zur Linken erhob. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber hinter den Gipfeln verschwunden. Die schroffen Spitzen warfen bereits lange Schatten und die Wolkenkanten glühten in lebhaften Rottönen. Za`kvid hatte sich heute entschlossen früher aufzubrechen. Normalerweise wanderte er in der Oberwelt bei Nacht, doch hinter den Bergen hatte der ferne Feuerball seine blendende Wirkung verloren. Za`kvid dachte einen Moment nach. Waren das die Riesen, vor denen er in Aschwind gewarnt wurde? Sollte er sich verstecken? Es war vor zwei Tagen gewesen, da er an der seltsamen Stadt vorbeikam. Eine Sphäre von Dunkelheit hatte er gesehen, die sich über Aschwind gelegt hatte. Er hatte seine Künste des Nebels verwendet, um seine Gestalt zu verändern. Um nicht unter den Menschen aufzufallen. Er hatte sich mit ihnen unterhalten und sie hatten ihm freies Geleit in diesen Landen gegeben. Ihr Anführer Laschtorn hatte ihn aber kaum beachtet und so war Za`kvid von einem Algorthas aufgeklärt worden. Der ältere Mann hatte ihn mitleidig angeschaut, als er ihm davon erzählt hatte, dass die Angriffe weniger geworden wären. Keiner, selbst nicht Laschtorn, hatte gewusst wieso. Dann hatten sie ihn entlassen, mit der Bitte zu kundschaften. Doch der alte, dickliche Mann mit dem grauen, lichten Haar hatte ihm mit einem betrübten Lächeln nachgeschaut, so als würde er bereits um sein Schicksal trauern. Za`kvid verwarf die Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit auf die seltsamen Stufen, die unter ihm im Felsgestein zu sehen waren. Er bewegte sich langsam und vorsichtig hinab. Das Gelände wurde zunehmend steiler und die Stufen, die in Serpentinen in die Tiefe führten, waren höher als seine Körperlänge. Mühevoll musste er sich von einer Stufe auf die nächste hinablassen. Dann sah er sie plötzlich – im Zwielicht tief unter ihm. Ein großer, hünenhafter Krieger und eine kleinere Gestalt. Doch in den Schatten, die sie umgaben, konnte er keine Details ausmachen. Auch konnte er eine dritte Bewegung sehen. Wie als ob die Luft in einem bestimmten Bereich schimmern würde. Za`kvids Herz begann etwas schneller zu pochen. Sie hatten ihn wahrscheinlich schon bemerkt und er musste handeln. Er begann die Zauberverse anzustimmen. Dann stieß er sich ab und sprang in die Tiefe. Wie von sanften Federn getragen sank er hinab. Hinzu auf das dunkle Zwielicht.

„Dort seht! Neire, Bargh.“ Zussa hatte ihren Arm ausgestreckt und zeigte auf die Gestalt, die langsam zu ihnen hinabschwebte. Bargh erhob für einen Augenblick sein Schwert, doch sie alle sahen, dass er ihnen nicht feindselig gesonnen war. Der Fremde hatte die Größe eines Kindes. Genauere Details wurden von einem braunen Mantel verborgen. Als die Gestalt vor Bargh auf den Boden sank, lachte Zussa auf und sprach: „Ihr müsst uns zeigen, wie ihr das macht. Wir könnten ein Spiel zusammen spielen.“ Der Mantelträger begann sich nun aufzurichten und zog seine Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein kleines Wesen, kaum größer als einen Schritt und von aschfarbener Haut. Dunklere Tätowierungen zogen sich über seinen kahlen Kopf. Er war außerdem mit einer Kriegspicke bewaffnet, die er im Gürtel trug. Er musterte die drei Streiter mit zusammengekniffenen Augen. Als ob ihm die verbleibende Helligkeit Probleme bereiten würde. „Zussa… das ist kein Kind. Schaut doch mal genauer hin. Er ist viel älter. Und… wie ihr mir Ortnor beschrieben habt, könnte er von seinem Volk sein.“ Neire war jetzt hinter Bargh hervorgetreten und hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen. Er lächelte dem Wesen freundlich zu, während Zussa kicherte. „Ortnor, ja. Jetzt sehe ich es. Es ist ein zweiter Ortnor, wie lustig. Hoffentlich ist er nicht ganz so schlecht gelaunt.“ Als Neire keine auffällige Reaktion sehen konnte, sprach er den Fremden in der Zunge der Unterreiche an. „Wie ist euer Name Fremder? Kennt ihr einen Svirfneblin namens Ortnor Wallenwirk? Er stammt von eurem Volk ab.“ Jetzt fiel die Anspannung etwas ab vom Gesicht des Fremden und er begann zu sprechen. „Nein, einen Ortnor kenne ich nicht, doch das Reich der ewigen Nacht dort unten ist groß und ich kenne nicht alle Städte meines Volkes. Mein Name ist Za`kvid, doch ihr könnt mich Zack nennen.“ Neire nickt ihm, immer noch lächelnd, zu und sprach seinen Namen in einem zischelnden, schlangenhaften Singsang nach. „Zack… es wäre unhöflich, wenn wir uns nicht vorstellen würden. Das hier ist Bargh, der Drachentöter. Das ist Zussa, die Hand der Flamme. Mein Name ist Neire. Neire von Nebelheim. Wir dienen Jiarlirae, der Göttin von Flamme und Düsternis.“ Neire sah, wie ihn der Fremde für einen Moment anstarrte. Sie hörten das Rauschen des Windes und spürten die wärmere Luft aus dem Tal aufsteigen. Bevor das Schweigen belastend wurde, erhob Neire erneut seine Stimme. „Und ihr Zack? Was macht ihr hier, allein in diesen Landen, in dieser großen Oberwelt. Das Reisen ist gefährlich in den Kristallnebelbergen.“ Zacks Augen folgten Neires ausladender Geste über die Bergkulisse, doch dann blickte er missmutig zu Boden. „Ja, die Oberwelt. Höhlen sind mir lieber… aber ich war in Aschwind und habe die dunkle Kugel gesehen. Sie haben mir von den Angriffen erzählt und mich als Kundschafter angeheuert.“ Jetzt war es Zussa die wieder auflachte. „Dann kommt ihr zu spät, Zack.“ Bargh stimmte ein, bevor Zussa fortfahren konnte. „Jarl Gramnir und seine Anhänger sind tot. Als letztes starben die Frauen und Kinder. Jeder Riese des Gletschers. Jiarlirae ist groß. Sie schenkte uns den Sieg.“ Zack runzelte die Stirn, als er Bargh sprechen hörte. Doch dann zuckte er mit den Schultern. Wieder erhob Neire seine Stimme. „Nun, wenn ihr jetzt nach Aschwind zurückreisen wollt, könnt ihr auch mit uns kommen. Unser Weg führt in diese Richtung. Und vielleicht könnt ihr Zussa und mir einige von euren Ortnor-Listen zeigen?“ Bevor Zack antworten konnte, trat Zussa näher und beugte sich kichernd über Zack hinab. „Ja Zack, zeigt uns eure Ortnor-Listen. Wir können daraus ein Spiel machen.“

~

Zack blickte sich um und dachte zurück an die vergangenen beiden Tage. Sie waren zusammen gereist und hatten sich näher kennengelernt. Die drei Menschen waren freundlich zu ihm gewesen. Neire und Zussa hatten ihn zwar mit ihren kindlichen Fragen gequält, doch die Abwechselung hatte ihm gutgetan. Die Sitten der Menschen waren Zack unbekannt. Seine neuen Gefährten waren aber anders, als er sich Menschen vorgestellt hatte. Sie beteten zu ihrer seltsamen Göttin, von der er noch nichts gehört hatte. Der Jüngling mit den gold-blonden Locken, der sich Neire nannte, hatte am Ende einer jeden Nacht ein Ritual durchgeführt, in dem er sich mit nacktem Oberkörper inmitten dreier Fackeln niederkniete und zischelnde Gebete sang. Zack hatte sich mittlerweile an die Geschichten der Überlegenheit der Göttin Jiarlirae gewöhnt. Er schenkte den religiösen Theorien aber nicht viel Beachtung. So waren sie an Aschwind vorbeigewandert. Ihr Ziel hatte in den nördlichen Kristallnebelbergen gelegen. Dorthin hatte sie Neire geführt. In der Nähe des Flüchtlingslagers, an dem Zack bereits vorbeigekommen war, hatte der Jüngling sie direkt auf ein Bergmassiv hinzugeleitet, dessen schneebedeckte Gipfel im Mondlicht zu sehen gewesen waren. Dort waren sie einem unterirdischen Flusslauf gefolgt, der sie in tieferliegende Höhlen gebracht hatte. Zack hatte alte Überbleibsel einer vielleicht längst untergegangenen elfischen Kultur gesehen. In einem viereckigen Raum aus Stein, der tief im Berg gelegen war, hatte Neire innegehalten. Neire und Zussa hatten sich dort niedergekniet und nach etwas gesucht. Sie beide hatten seltsame Runen in die Luft gezeichnet. Dann hatte Zack die Energie gespürt, die von der Stelle ausging. Seine Haare hatten sich aufgestellt und er hatte eine Gänsehaut bekommen. Neire war durch die Stelle getreten und hatte ihm zu gemurmelt: „Folgt uns Zack, wenn ihr euch traut. Unser Freund Halbohr wird auf uns warten.“ Dann waren auch Zussa und Bargh im Nichts verschwunden. Für einen weiteren Augenblick zögerte Zack. Von diesem Halbohr hatte er bereits gehört. Doch er konnte sich nicht mehr erinnern, wann es das erste Mal war. Es war so, als ob ihm die Gedanken an die großen Taten des elfischen Söldners erst jetzt bewusst wurden. Er fühlte sich sicher hier unter der Erde. Was sollte ihm schon passieren. Er machte einen Schritt durch das unsichtbare Portal. Was dann kam war kurz und gleichsam lang. Er hörte einen Gesang aus der Ferne. Dann spürte er Kribbeln auf der Haut. Es war, als ob er leichter werden würde. Das Licht um ihn herum wurde dunkler. Bis alles aus tiefer Schwärze bestand. Dann war da etwas Warmes. Er fühlte sich schummrig. Zack machte die Augen wieder auf und betrachtete die Höhle. In der Dunkelheit glitzerte etwas in den Wänden. Es war wie diese glasartige Substanz, aus der die Rüstung des Kriegers Bargh geschmiedet war. Doch da war auch die Düsternis, die sich über die Wände ausbreitete. Wie ein Geflecht von Venen zog sie sich durch den Stein. Zack drehte sich um und bemerkte die schwarze Sphäre, die dort zwischen kristallenen Säulen aus dunklem Glas stand. Vor ihm hörte er jedoch Stimmen und so wendete er sich wieder dem Geschehen zu. „Halbohr, ich habe euch fast vermisst. Wir haben euch etwas mitgebracht. Ihr werdet staunen.“ Zack sah gerade noch, dass Neire auf einige Tische zugelaufen war und einer Gestalt in die Arme sprang. Bei der Person, die dort zuvor über eine Pergamentkarte gebrütet hatte, konnte es sich nur um Halbohr handeln. Neires Mitstreiter war in einen verschlissenen Filzmantel gekleidet. Zack bemerkte blutunterlaufene grüne Augen, die forsch und wach ihre Umgebung betrachteten. Halbohr besaß zudem fettige, silberne Haare, die ihm bis auf die Schultern hinabreichten. Dort wo sich einst sein rechtes Ohr befand, war nur noch eine Fleischverwachsung von grausam verbrannter Haut zu sehen. Er trug einen Dolch, aus einem glitzernd-verdrehtem Horn, aus dessen Griff beständig Blut herabrann. „Es ist viel passiert, Neire. Ich war nicht untätig“, sagte Halbohr, der Neires Umarmung abschütteln wollte. Erst als der Jüngling lächelnd von ihm abließ, fuhr Halbohr fort. „Was habt ihr mir mitgebracht?“ Neire und Zussa stimmten jetzt gleichzeitig in ein verrücktes Lachen ein und selbst Bargh gab ein Grunzen von sich. Zack fragte sich, wo er hier war und ob die drei ihren Verstand verloren hätten. Dann griff der Jüngling mit den gold-blonden Locken in seinen Rucksack und antwortete listig: „Wir waren auch nicht untätig Halbohr. Und auch wenn der Vertrag nicht mehr existiert, müsst ihr euch jetzt wohl bis in alle Ewigkeit an diesen Vertrag halten.“

~

Der Wald knackte und krachte. Es waren nicht die Geräusche von morschem Holz. Es waren junge, gesunde Äste. Holz, das splitterte. Bargh, Zussa, Zack und Neire schlichen vorsichtig weiter. Sie waren wie zuvor im Schutze der Dunkelheit gereist. Einige Tage hatten sie sich in den Tiefen der Irrlingsspitze erholt, bevor sie wieder aufgebrochen waren. Zurück wollten sie. Zurück in die Höhlen des Jarl. Zussa hatte den Einfall gehabt. Sie wollte sich die schwarzen Metallstäbe anschauen, die sie hinter der Kammer des Jarl gefunden und als Portal identifiziert hatten. Sie waren bereits die zweite Nacht unterwegs und mussten sich irgendwo im Jotenwall befinden. Dann hatten sie alle die Geräusche gehört. Jetzt bewegten sie sich vorsichtig näher. Das Gehölz war dicht und so konnten ihre Augen die Dunkelheit durchdringen. Je näher sie kamen, desto lauter wurde ein Schnauben und ein Keuchen. Schließlich sahen sie die Schatten von drei monströsen Kreaturen, die auf sie zukamen. Die dümmlich wirkenden Gestalten waren fünf Schritte groß und gekleidet in Felle und Lederlappen. Muskulöse Arme hingen fast bis zum Boden hinab. In den niederträchtigen Gesichtern funkelten kleine schwarze Augen, wie in sehnlicher Erwartung. Immer wieder rauften sie sich ihr krauses, fettiges Haar zurück, das plump über Fettmassen an ihren Nacken fiel. Bargh positionierte sich hinter einem Baum und hatte Glimringshert und sein Schild erhoben. Der vorderste Riese verlangsamte seine Schritte, setzte den großen Sack ab und schnüffelte durch seine platte Nase. Bargh brach in diesem Moment hervor, hob seine schwarze, schattenblutende Klinge und stürmte heran. Die anderen beiden Geschöpfe ließen augenblicklich ihre Säcke fallen und griffen nach ihren Waffen. Zwei trugen dicke Äste. Die dritte eine rostige Klinge. Auch Neire, Zussa und Zack handelten schnell. Zussa stürmte Bargh nach, in einem verrückten Todesmut. Dann stießen der dunkle Krieger und die monströsen Geschöpfe zusammen. Das Gemetzel war kurz und grauenvoll. Feuer und magmaartige Kugeln erhellten den Wald; zeigten nur für Augenblicke die im Tode entstellten Fratzen der niederträchtigen Wesen. Dann senkte sich wieder die Dunkelheit über den Jotenwall. Die dumpfen Schritte und das Knacken von jungem Holz waren verstummt.
Titel: Sitzung 80 - In den Höllenkessel
Beitrag von: Jenseher am 30.09.2023 | 23:12
Ihre Reise hatte sie in den Tunnel des Jarl Gramnir zurückgeführt. Sie hatten das abgelegene Tal in den Abendstunden erreicht und den geheimen Eingang wiedergefunden. Je höher sie gestiegen waren, desto schlimmer war die Kälte geworden, die ihnen entgegengekrochen kam. In der kleinen Steinkammer vor dem Gemach des Jarls hatten sie schließlich die beiden Säulen hinabgezogen, die dort in der Decke versteckt gewesen waren. Nachdem beide Säulen eingerastet waren, hatte der Zwischenraum der Stäbe angefangen zu flimmern. Im schwarzen Gestein war plötzlich ein Glühen von rötlichen Adern zu sehen gewesen. Aus dem Schimmer des Portals war ihnen warme Luft entgegengeströmt, die nach Schwefel und verbrannten Gasen roch. Dann hatten sie sich ein letztes Mal angeschaut. Bargh, Zussa, Neire und Zack. Mit aufmunternden Worten waren sie durch das Portal geschritten. Doch Zack war ihnen nicht gefolgt. Der Tiefengnom wollte wohl andere Wege gehen. Auf der anderen Seite schlug ihnen eine Hitze entgegen. Die Luft war erfüllt mit Asche, die in ihren Augen brannte. Es herrschte ein beißender Gestank von fauligem Gas und von Schwefel. Dunkelheit war mittlerweile eingekehrt, doch der Himmel war von Schwaden verborgen. Die Landschaft um sie herum war wellenhaft und von tiefen Rissen durchzogen. Hier und dort sahen sie ein rötliches Glühen, wie von unterirdischen Lavaflüssen. Der Boden vibrierte ständig. Ein dumpfes Grollen, wie auch ein Zischen, war zu hören. „Dort schaut… ein Eingang zwischen zwei schwarzen Säulen.“ Neire wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die die brennende Asche in seinen Augen verursachte. Die Asche vermischte sich mit den Tränen zu schmutzigen Schmieren. Mit seiner verbrannten Hand zeigte er auf den Hügel aus schwarzem Gestein, der sich vor ihnen auftat. Bargh wollte sich aufrichten, aber er wurde von einem Husten heimgesucht. Nur langsam gewann der Krieger Fassung und begann die Stehlen in den Fels zurück zu drücken, der hinter ihnen aufragte. Sie sahen, dass das Portal sich geschlossen hatte. Die Stehlen waren im Stein verschwunden. „Wir werden uns diese Öffnung anschauen. Folgt mir. Jiarlirae ist mit uns. Ich spüre sie an diesem Ort“, sprach Bargh und zog Schwert und Schild. Im Schutz der Schatten Glimringsherts näherten sie sich dem Portal. Als sie an die Öffnung kamen, offenbarte sich ihnen ein Blick in das Innere des Hügels. Der Tunnel, der dort hinein führte, war etwa vier Schritt breit und acht Schritt hoch. Es schien, als wäre er mit einem härteren, dunkleren Gestein ausgebaut worden. An den Wänden waren Gasfackeln zu sehen, die in einer rötlichen Flamme mit leichtem Grünton brannten. Sie sahen keine Bewegung und schlichen in den Berg hinein. Die Luft war hier noch wärmer. In einiger Entfernung bemerkten sie eine Öffnung und hörten dahinter das Knarzen von Holz. Augenblicklich setzte sich Bargh in Bewegung und stürzte den Gang hinab. Als er an der Öffnung ankam, trat ihm eine Kreatur entgegen. Der Riese hatte eine aschgraue Haut und war knappe fünf Schritt groß. Definierte Muskeln spannten sich, als er die riesige doppelschneidige Klinge hob. Aus dem rundlichen Gesicht blickten Bargh zwei schwarze Kugelaugen abfällig an. Gekleidet war die Gestalt in einen Schienenpanzer aus dicken Metallbändern. Ihr dunkles Haar und ihre Rüstung waren von einer Schicht Ruß besetzt. Noch bevor die Kreatur reagieren konnte, ließ Bargh seine Klinge hervorschnellen. Wieder und wieder schlug er auf das Wesen ein, das nach dem dritten Hieb zusammenbrach. Gemeinsam zogen sie den schweren Leib in die Kammer, aus der der Riese aufgetaucht war. Zussa verweilte an der Tür und horchte. Sie waren sich nicht sicher, ob sie bereits entdeckt worden waren.

~

„Lasst uns Jiarlirae um Hilfe bitten. Lasst uns unsere heiligen Gebete anstimmen. Seid ihr bereit Mädchen?“ „Natürlich bin ich bereit. Worauf wartet ihr noch Bargh. Was trödelt ihr noch hier noch herum?“ Neire musste sich ein Lächeln verkneifen, als er Zussas Antwort auf Barghs Frage hörte. Zussa erinnerte ihn an die Furchtlosigkeit der Kupfernen Krieger in Nebelheim. Oder war ihre bockige Art mit Gefahren umzugehen schon eine verrückte Laune? Nein, es musste ihr Vertrauen in die Göttin Jiarlirae sein. Es musste das sein, was sie im Tempel des Jenseher und im Portal dort hinter gesehen hatte. „Wir sollten jedenfalls nicht zu lange warten. Irgendwann werden sie einen durch den Tunnel schicken. Wir haben keine andere Wahl.“ Neire versuchte sein Zittern zu unterdrücken. Er wollte nicht zeigen, dass er Angst hatte. Nachdem sie sich sicher gewesen waren, dass sie noch nicht bemerkt worden waren, hatten sie den Raum mit dem toten Riesen wieder verlassen. Sie waren dem Gang bis an eine Abbiegung gefolgt. Dahinter hatten sie eine breite, aber unglaublich viel längere Halle gesehen. Die hohe Decke war von schwarzen Obsidiansäulen gestützt worden, die teils die Formen von Kriegern hatten. Rote Wandbehänge mit Stickereien von Kämpfern hatten einige Bereiche der Wände geschmückt. Auch hier hatten die Gasfackeln einen Teil der Halle erhellt, während die Säulen lange Schatten gezogen hatten. In der Mitte der Halle hatten sie zwei Riesen mit jeweils zwei Köpfen gesehen. Die beiden waren in einer Unterhaltung vertieft gewesen – in einer bellenden Sprache, von der Neire einige Wörter verstehen konnte. Am gegenüberliegenden Ende der Halle hatten sie Stufen gesehen, die auf eine Empore hinaufführten. Dieser Bereich war aus einem rötlichen Marmor gewesen und es hatte dort ein Thron aufgeragt. Auf dem Thron hatten sie eine hässliche Gestalt gesehen. Fettmassen hingen von einem muskulösen Körper hinab. Ein rundes breites Gesicht, grauer Hautfarbe hatte verfaulte Zahnstümpfe und eine einst gebrochene – jetzt schiefe – Nase offenbart. Die Gestalt war von fünf Riesen aschender Haut umringt gewesen, die teils in Kettenhemden, teils in Schienenpanzer gekleidet waren. Ein Riese war größer und muskulöser gewesen und hatte einen Kriegshammer getragen. Bargh nickte Neire und Zussa zu und begann seinen Choral anzustimmen. Neire betete die Worte mit. Auch Zussa stimmte nun ein und wirkte ihren Zauber. Neire spürte die Kraft von Flamme und Düsternis, die Bargh und Zussa riefen. Doch es tilgte nicht seine Angst. Er spürte, dass dieser Ort anders war. Er spürte, dass sie nicht scheitern durften. Dann schritt Bargh voran und Neire folgte ihm. Ein gutes Stück weit drang er in die Halle vor, dann hörte sie die Rufe der zweiköpfigen Reisen. Neire konnte wieder Brocken aus der Sprache der Orks erkennen. Etwas wie „Alarm“ und „Angriff“. Die doppelköpfigen Riesen drehten sich zu Bargh. Ihre niederträchtigen Augen brannten vor stupider Boshaftigkeit. Neire versuchte sich zu konzentrieren. Er zitterte vor Furcht. Vom Thron her hörte er ein Lachen und sah, dass der fettleibige Anführer auf Bargh zeigte. Die fünf Riesen um ihn herum zogen ihre Waffen und schritten auf Bargh zu. Der Anti-Paladin drang jetzt in den Nahkampf mit dem ersten doppelköpfigen Riesen. Angestachelt durch die Gebete schwang Bargh übermütig Glimringshert. Die Klinge stach tief in den Leib und der erste Riese hauchte sein Leben aus. Bargh wendete sich der zweiten Kreatur zu. Dann war die Luft von einem schneidenden hellen Ton erfüllt. Neire hatte seine Zauberformeln gefunden. Die Lanze, die er beschwor, war wie ein unsichtbares Feld von Macht. Es durchbrach die beiden Schädel und Zähne des zweiten Riesen und die Kreatur gab ein kreischendes Heulen von sich. Ihre vier Augen zerplatzten und die grausame Magie löschte ihr Leben aus. Neire sah, wie Bargh sich den Riesen zuwendete, die vom Thron kamen. „Zurück Bargh, zurück“, schrie Neire und bewegte sich in Richtung Zussa. Bargh folgte ihm. Das Lachen, das vom Thron kam, hatte aufgehört und so erwarteten sie den Kampf. Die Riesen rückten in einer Formation auf sie zu. Vorsichtig und bedacht. Neire und Zussa nutzten die Gelegenheit. Neire beschwor einen Kugelblitz aus bläulich-gleißendem Licht. Er schlug in den ersten Riesen und sprang dann auf den nächsten weiter. So ging es fort, bis der Blitz die Gestalt am Thron traf. Fast gleichzeitig erhob Zussa ihren Stecken und rief einen Blitzstrahl hervor. Die Riesen zuckten auf und brüllten vor Schmerz, doch sie stellten sich Bargh entgegen. Noch bevor sie ihn erreichen konnten, beschwor Neire ein weiteres Feld der Macht. Zwei Riesen erreichten den Kampf nicht mehr. Zu tief waren ihre Wunden, die Neires und Zussas Magie gerissen hatten. Mit fast spielerischen Schnitten tötete Bargh die drei verletzten Kreaturen. Jetzt sah Neire, dass die fettleibige Gestalt ihren Verstand verloren hatte. Mit Schaum vor dem Mund kam sie auf Bargh zu gerannt. Bargh hob sein Schild und sein Schwert und begann zu lachen. „Kommt her, Bastard!“ Der heilige Krieger Jiarliraes verhöhnte den Thronsitzer in seinem Mordrausch. Doch auch der letzte Riese, im wallenden silbernen Seidenumhang, war schwer verwundet. Noch einmal zuckten die Blitze aus Zussas Stecken durch seinen Körper und er begann zu stolpern. Doch er biss die Zähne zusammen, erreichte Bargh und erhob sein Schwert. Neire kamen die Bewegungen jedoch langsam und schwach vor. Bargh machte einen Ausfallschritt und durchschnitt den Bauch der Gestalt. Die hässliche Kreatur brach mit einem dumpfen, fleischigen Geräusch zu Boden und bewegte sich nicht mehr. Jetzt blickte sich Neire hastig um. Er zitterte am ganzen Körper. Er sah keine weiteren Gegner, doch er hörte die Stimmen und Schreie durch die Tunnel hallen. Sie würden kommen, sie hatten sie bemerkt, da war er sich sicher. Sie würden ihnen keine Gnade zeigen. Doch sollten sie fliehen? Welches Schicksal hielt Jiarlirae bereit?
Titel: Sitzung 81 - Die schwelenden Hallen
Beitrag von: Jenseher am 7.10.2023 | 11:23
Sie waren tief in die fremden Hallen des riesigen Schlackeberges eingedrungen. Die Luft war warm und die beißende Asche raubte ihnen die Atemluft. Doch ihre Gebete, die sie als heilige Gesänge auf die alte Chaosgöttin angestimmt hatten, gaben Zussa, Bargh und Neire Kraft. Trotzdem wichen sie langsam zurück in den Tunnel, aus dem sie hergekommen waren. Neben dem ständigen Vibrieren des Untergrundes, konnten sie die rhythmischen Schritte hören, die sich mit dumpfen Rufen mischten. Sie ließen die letzte der großen, obsidianenen Säulen hinter sich. Das Gewölbe hatte enorme Ausmaße, so dass das rötliche Licht der Gasfackeln die Höhen über den Pfeilern nicht ausleuchten konnte. In der Ferne konnten sie noch die leblosen Körper der erschlagenen Riesen erkennen. Am Eingang des Tunnels kniete sich Bargh nieder und zog seinen Rucksack von den Schultern. Neire und Zussa kümmerten sich zuerst um die Wunden des Kriegers, dann um ihre eigenen Verletzungen. Als Bargh den Rucksack wieder schulterte, sahen sie die beiden Wachen der Riesen in den Saal vordringen. Es war ein älterer Krieger mit einem Speer, der von einem jüngeren Schwertträger begleitet wurde. Der Jüngere, bestimmt einen Kopf kleiner als der ältere Riese, begann mit seinem Schwert auf die toten Leiber zu zeigen und Entsetzen, vielleicht auch Furcht, war in seinen zusammengekniffenen, schwarzen Augen zu sehen. Der Ältere, der eine Rüstung aus Metallbändern trug, murmelte grimmige Befehle. Er versuchte zu flüstern, doch die Worte drangen dumpf und mahlend aus seinem Brustkorb. Der jüngere Riese, der keinen Helm trug und von dessen Kopf rötliches Haar hinabfiel, blickte sich nochmals hastig um. Die Dunkelheit um Bargh verschleierte aber ihre Umrisse und so setzten sich die beiden Wachen langsam in Bewegung. Angestachelt durch die Gebete und das jüngste Gemetzel drehte Bargh seinen von Asche und Schweiß bedeckten haarlosen Schädel zu Zussa und flüsterte: „Jetzt! Wir müssen zuschlagen. Sie haben uns nicht bemerkt.“ In Zussas grünen Augen war ein Funkeln von Wahnsinn zu erkennen und sie lächelte. „Lasst sie uns töten. Jiarlirae ist bei uns.“ Bargh stürmte bereits vor und begann die Kreaturen anzugreifen. Mit mehreren gezielten Schlägen machte er den alten Wächter nieder. Die Augen des jungen Riesens weiteten sich vor Furcht, als er den letzten Befehl des seines sterbenden Altvorderen entgegennahm und die Flucht ergriff. Bargh rammte ihm seine Klinge in den Rücken, doch der schwer verwundete junge Riese schleppte sich tapfer weiter. Dann wurde er rücklings von Zussas und Neires grausamer Magie getroffen. Jaulend und wimmernd hauchte er sein Leben aus. Bargh lachte tief auf und wollte sich gerade umdrehen, da stürmten zwei weitere Wachen aus dem zweiten Tunnel hervor. Beide hatten Speere, die sie zweihändig führten. Auch diese Wachen machten einen unerfahreneren Eindruck. Obwohl sie bereits muskulöse Körper besaßen, waren sie, mit einer Größe von vier Schritt, nicht ganz so imposant wie ihre ausgewachsenen Artgenossen. Sie hatten Bargh noch nicht bemerkt und starrten erstaunt auf die Leichen der Halle. In diesem Moment hörten sie alle die Stimme und konnten erkennen, dass auf der gegenüberliegenden Seite der Halle einer der Vorhänge zurückgezogen worden war. Dahinter war eine Gestalt erschienen, die die Größe der männlichen Exemplare hatte. Grau-dunkle Haut hing in Falten hinab und wurde größtenteils von Wildlederfällen überdeckt. Der Kopf der Riesin starrte Zussa hasserfüllt und dümmlich aus dunklen Schweinsaugen an. Verfilzte rötliche Haare standen vom hässlichen Schädel ab, auf dem Geschwüre zu sehen waren. Die Brüste der Gestalt baumelten offen und obszön zwischen den Fellen. Die Brustwarzen waren jedoch auf Bauchhöhe zu sehen. Die Riesin bellte Kommandos in Richtung der beiden Wachen, bevor sie sich hinter den Vorhang zurückzog. In den Augen der beiden jungen Krieger war jetzt eine Furcht zu sehen, als sie sich umblickten. Dann begannen sie sich in den Tunnel zu laufen. „Zussa, Neire, folgt mir. Sie ergreifen die Flucht, um vielleicht Verstärkung zu holen.“ Die Worte von Bargh drangen durch die Halle. Der Krieger setzte sich augenblicklich in Bewegung und blickte sich nicht um. Bargh wusste, dass er sich auf seine beiden Mitstreiter verlassen konnte. So stürzte er hinein in den langen Säulengang. Beide Krieger hatten sich noch nicht umgedreht. Bargh fiel ihnen in den Rücken und stieß mit seinem Schwert zu. Doch er hatte seine Geschwindigkeit unterschätzt. Sein Schwertstreich ging ins Leere und er stolperte – drohte gar auf seine Klinge zu fallen. Der Aufschlag war hart und sein Schwert wurde unter seinem Schild begraben. Er blickte auf und sah, dass eine der beiden Wachen sich jetzt umgedreht hatte. Der Riese blickte auf ihn hinab, doch er wollte nicht recht triumphieren. Zu verunsichert war er durch die aufgeschlitzten Leichen und die Worte der Frau. Bargh nutzte den Moment, richtete sich auf seinem Schild auf und schwang sein Schwert. Der erste Streich drang tief in das Bein. Der zweite Streich schlitzte den Bauch der Kreatur auf. Gedärme quollen hervor, als der Riese seinen Speer fallen ließ und versuchte wabernde rote Masse in den Körper zurückzudrücken. Doch er wurde schwächer, sein Blick glasig; dann brach er zusammen. Bargh lachte laut und zeigte auf den fliehenden Riesen. „Tötet ihn, zögert nicht. Er will vielleicht Hilfe holen.“ Nur einen Moment später drangen rötlich-glühende Kugeln in die Kreatur. Neire und Zussa ließen ihre Magie wirken. Die Gestalt schleppte sich tapfer weiter. Schritt für Schritt. Sie wurde von einer weiteren Welle arkaner Zaubermacht niedergemacht.

~

„Dort! Die Spuren sind frisch und führen hinter diese Türe.“ Bargh, Neire und Zussa waren der hässlichen Riesin hinter den Vorhang gefolgt, den Bargh mit einem Schwerthieb waagerecht durchtrennt hatte. Dort hinter hatten sie einen hohen Gang entdeckt, der sie an mehreren Türen vorbeigeführt hatte. Bargh war fündig gewesen, als er nach Spuren gesucht hatte. So standen sie vor der einflügeligen Tür, hinter der sie gedämpfte Stimmen, ein Knurren und ein Hecheln hören konnten. Bargh nickte seinen Mitstreitern zu, dann riss er die Tür auf. Vor ihnen eröffnete sich ein weiterer hoher Gang, der, von rötlichen Gasfackeln erhellt, in einen größeren Raum führte. Am Ende des schwarzen Tunnels sahen sie mehrere schwarze Riesenhunde, deren Augen rötlich glühten. Aus ihren Nasen und Mäulern quoll dunkler Rauch. Hinter den Hunden waren vier große Riesen zu sehen, die Speere und Äxte trugen. Bargh schritt langsam in den Tunnel hinein. Die Hunde warteten nicht auf ihr Kommando, sondern stürmten bereits auf ihn zu. Doch die Luft vor ihm wurde plötzlich von einem hochfrequenten Fiepen durchzogen. Er sah, dass Neire neben ihn getreten war. In einem waagerechten Strahl, der von Neire ausging, flimmerte die Luft. Die Welle erreichte augenblicklich die Feuerhunde. Es waren die Geräusche von kackenden Knochen und zerfetzter Haut zu hören. Augen platzten auf und fünf der sechs Monstrositäten sackten tot zu Boden. Der letzte Hund schleppte sich auf gebrochenen Pfoten weiter voran. Als er Bargh erreichte, tötete er die Kreatur mit einem Hieb. Jetzt stürmten die Riesen näher. Wut war in ihren Augen zu erkennen, doch auch eine Vorsicht, wie auch ein ungläubiger Hass. Bevor die Krieger reagieren konnten, zog Zussa ihren Stecken und ihre Gegner wurden in gleißendes, elektrisches Feuer gehüllt. Als der Blitz erstarb, schleuderte einer der Riesen seinen Speer nach Zussa, doch das gefährliche Geschoss schlug in eine Wand. Die Riesen erhöhten ihre Geschwindigkeit und stürmten auf Bargh zu. Noch einmal zuckte die Luft vor Bargh auf. Diesmal waren es elektrische Flammen aus einem invertierten, gänzlich schwarzen, Licht. Zwei der Riesen starben im Antlitz der Entfesselung blendender Macht. Den letzten beiden Wachen stellte sich Bargh im Nahkampf. Seine Klinge Glimringshert gebar Feuer und bevor sie ihn angreifen konnten, streckte er sie nieder. Bargh drehte sich lächelnd zu Neire und Bargh. Der Geruch von verschmortem Eisen und Fleisch zog durch den Tunnel. Doch wo war die hässliche Riesin? Sie musste sich hier verstecken. Bargh bewegte sich vorsichtig voran. Er kontrollierte sein Keuchen. Der Raum, der sich dort auftat war mit vielen noblen Fellen eingerichtet. Auf einer Anhöhe aus Stein war eine Reihe verschiedenster Schädel aufgebaut. Bargh sah keine Bewegungen oder sonstige Lebenszeichen. Seine wachsamen Augen konnten jedoch eine versteckte Türe entdecken. Sie befand sich im linken Teil der Wand. Er bewegte seine Schritte zu diesem Bereich und drehte sich zu Neire und Zussa um, nachdem er den Boden betrachtet hatte. „Schaut! Die Spuren dieses wandelnden Abschaumes. Sie verschwinden an dieser Wand. Es zeichnet sich eine Türe ab.“ Bargh betrachtete seine Mitstreiter. Zussa warf ihr rotes Haar zurück und lächelte boshaft-verrückt. Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und strich sich die gold-blonden Locken aus dem von Asche verschmiertem Gesicht. „Worauf wartet ihr noch Bargh. Sie soll uns nicht entkommen.“
Titel: Sitzung 82 - Königin Hulda Isenbuk
Beitrag von: Jenseher am 14.10.2023 | 11:19
Alles war so schnell gegangen. Sie hatten nicht lange verweilt, in dem fürstlichen Gemach. Die hohe Halle, ausgelegt von noblen Fellen, war vom Geruch des Todes erfüllt gewesen. Als Bargh die geheime Türe geöffnet hatte, hatte Neire Zussa die Worte zugeflüstert: Wo die hässliche Riesin wäre; dass diese mit ihr hätte spielen wollen; ob denn Zussa auch mir ihr spielen wolle? Daraufhin hatten sie ein fernes Geräusch aus dem Tunnel gehört, der sich hinter der geheimen Türe auftat. Sie alle waren hastig gefolgt. Zussa hatte auf Neires Aussage hin verrückt gekichert und fratzenhaft ihre Augen verdreht. So waren sie schließlich um eine Ecke gestürzt, hinter der sie das Licht des Thronraumes durch eine weitere, halb geöffnete, Geheimtüre sahen. Die dumpfen, stapfenden Schritte der hässlichen Riesin waren jetzt deutlich zu hören. Ihr Keuchen hallte wider, als sie über den karmesinroten Marmorboden des Thronbereiches stolperte. Bargh stürmte ihr mit schweren, metallenen Schritten seiner Panzerrüstung hinterher. Die fast fünf Schritt große Gestalt blickte sich jetzt um. In ihren schweinsartigen Augen ihres, sich rattenhaft zuspitzenden Gesichtes war eine Art Furcht zu sehen. Große hässliche Warzen bedeckten die aschgraue Haut ihrer linken Gesichtshälfte und verfilzte rötliche Haare standen vom Schädel ab. Ihr disproportioniert-großer Schädel wendete sich jetzt wieder in Richtung Halle. Als wollte sie dort etwas ergründen. Nur einen Augenblick später hatte Bargh die Riesin eingeholt. Er hieb mit Glimringshert auf ihre Wade und die Klinge brachte einen Schweif von Feuer und aufgehacktem, verkohltem Fleisch. Ein Wimmern ging von der Riesin aus, die ihre Schritte verlangsamte und sich humpelnd umdrehte. Sie war in verschiedenste Felle gehüllt und trug einen silbernen Streitkolben, mit ovaler, dornenbesetzter Spitze. Trotz der Angst in ihren Augen war dort auch Hass zu sehen. Bevor Bargh seine Klinge ein weiteres Mal heben konnte zischelte Neire. „Wartet Bargh. Wartet auf meinen Befehl. Vielleicht will sie ja doch mit Zussa spielen.“ Bargh duckte sich hinter sein Schild und um ihn herum waberte die Dunkelheit. Sie alle sahen, wie die Riesin zitternd den silbernen Streitkolben aus ihrem Gürtel zog und zum Schlag ausholte. Tränen der Verzweiflung - oder war es Hass – rollten lautlos über ihre Wangen hinab.

Neire schälte sich hervor aus den Schatten. Er griff mit den Händen nach dem Mantel. Wie als ob sich ein Portal öffnen würde, wich die Düsternis. Hervor streckte er seinen gold-blonden Lockenschopf, der von der silbernen, schlanken Krone mit dem walnussgroßen, bläulich-schimmerndem Diamanten geschmückt wurde. Er kümmerte sich nicht um sein ascheverschmiertes Gesicht. Er lächelte die Gestalt an, als er sich verbeugte. Er blickte hinweg über ihre Hässlichkeit. Über die Warzen und Geschwüre. Über den disproportionierten Schädel und die verschrumpelten Brüste, deren Brustwarzen dort unanständig auf Bauchhöhe hinabbaumelten. Als Neire sich wieder aufrichtete, war die Welt um ihn herum in einen blutroten Glanz gehüllt. Er spürte den Klang seiner zischelnden Worte, als er im alten Reimschema der Yeer’Yuen’Ti zu ihr sprach. Er benutze die Zunge der gemeinen Menschen und hoffte, dass sie ihn verstand. „Haltet ein oh edle Riesin. Ihr müsset doch von edlem Blute sein. Es ist offensichtlich. Ihr müsset nicht sterben.“ Die verletzte Gestalt entspannte sich zunehmend, als sie fasziniert in Neires Augen blickte. Sie wählte ihre Worte so, als würde sie hier und dort suchen. Als würde ihr die Sprache nicht vollkommen bekannt sein. „Ja, ich Königin. Ich Königin Hulda.“ Neire verbeugte sich ein weiteres Mal. Dann zeigte er mit seinem von dunklen Brandwunden vernarbten Arm auf die fettleibige Leiche des Riesen, den sie auf dem Thron hatten sitzen sehen. „Ihr müsst wissen, wir sind eure Freunde und wollen euch nicht wehtun. Ihr seid verraten worden von diesem dort.“ Königin Hulda folgte der Richtung von Neires Fingerzeig. Dann wandelte sich ihr Gesicht in ein niederträchtiges Grinsen, das ihre fauligen Zähne offenbarte. „Haha, er nicht mich verraten. Er viel zu dumm, viel zu fett. Er dort, fett und dumm, mein König.“ Neire sprach jetzt mit Engelszungen, als er sich leichtfüßig auf Königin Hulda zubewegte. „Und wie ist der Name eures einst wundervoll fetten und dummen Gemahls?“ Hulda hatte ihren Streitkolben in den Gürtel gesteckt und beugte sich zu Neire hinab. Es gab ein seltsames Bild vor dem Thron, vor den dunklen obsidianenen Säulen, als die hässliche Riesin von imposanten Ausmaßen zu dem zierlichen, schönen Jüngling sprach. „Sein Name… Dunrok Isenbuk. Er fett… ja, er dumm… ja, aber er stark. Er guter und großer Krieger, ja!“ Königin Hulda lachte hinterlistig, blickte aber hin und wieder ängstlich in Richtung Bargh. Neire dachte nach. An das Portal, durch das sie gekommen waren. An die älteren Spuren im Gletscher des Jarls, die sie in der Nähe des Portals gefunden hatte. „Königin Hulda. Ihr müsst sicherlich weise sein. Sagt, hattet ihr Besucher in euren Hallen? Hattet ihr Besucher in letzter Zeit?“ Hulda nickte vehement, bevor sie antwortete. „Ja, Besucher waren hier. Besucher sind hier.“ „Und wer hat euch besucht in eurem Palast, oh Königin Hulda?“ Königin Hulda hatte ihr niederträchtiges Grinsen abgelegt, doch ihre Gedanken schienen zu wandern und sie kniff die Augen zusammen. „Kleine Riesen Besucher hier. Kleine Riesen, dumm und fett. Denken, sie wären stark, aber nein. Sie nicht stark. Sie nur viele. Sie kamen aus den kleinen Bergen.“ Königin Hulda sprach jetzt schneller, als wolle sie ihrem neuen Freund ihre Sichtweise auf die jüngeren Entwicklungen darlegen. „Da waren auch große Riesen. Kalte Riesen. Sie aus hohen Bergen, aus kalten Bergen. Sie groß und stark, aber dumm.“ Neire nickte anerkennend und fragte. „Diese Riesen. Sind sie noch hier oder haben sie euch wieder verlassen?“ „Nein und ja. Dumme, fette, kleine Riesen weg. Kalte Riesen noch hier, sind Besucher.“ Neire untermalte seine nächste Frage mit pantomimischen Gesten eines Gelages. „Und eure Gäste. Feiern sie Feste mit euch?“ Königin Hulda schien zu überlegen, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, feiern keine Feste. Oh nein! Sie hier, empfangen Befehle. Bauen Armee, dann angreifen. Sie erhalten Bezahlung. Wir erhalten Bezahlung. Gute Bezahlung. Die aus dem Dunkeln. Sie auch hier. Auch Gäste. Sie zahlen gut. Sie sehr klein, aber sehr schlau. Sie so klein wie ihr.“ Sie schaute dabei Zussa und ihn an. Nur als ihr Blick Bargh streifte, verzog sie wieder ihr Gesicht. Neire ahnte bereits, was mit den Wesen aus der Dunkelheit gemeint war. „Sind es Dunkelelfen? So werden sie genannt. Sie kommen aus der großen Tiefe. Der ewigen Nacht dort unten. Sagt euch der Name Eil’serv etwas?“ Falten bildeten sich im hässlichen Gesicht von Hulda, als sie ihren Kopf schüttelte. „Wem dienen sie? Dienen sie der Spinnengöttin?“, fragte Neire, während er Bargh und Zussa immer wieder Blicke zuwarf. „Nein, Spinnengöttin, dienen nein. Sie dienen anderem Gott. Gott kein Name.“ Neire erinnerte sich zurück an das, was er über das Haus Eil’serv gehört hatte. Erneut fragte er Hulda. „Sagt, Königin Hulda, dienen sie dem elementaren Gott?“ Jetzt verengten sich Huldas Augen und sie nickte vehement. Doch sie schaute sich misstrauisch um, als sie flüsterte. „Ja, Elementegott, sie dienen.“

Sie hatten sich weiter mit Hulda unterhalten und sie nach ihren Gemächern gefragt. Hulda hatte bereitwillig geantwortet und sich bereiterklärt sie dort hinzuführen. Sie hatte ihnen auch von ihren Mägden erzählt, die dort wachen würden. Ihr Weg hatte sie durch die noch ungeöffnete Tür, hinter dem von Bargh durchschnittenen Vorhang geführt. Nachdem Hulda das hohe Portal geöffnet hatte, sahen sie jetzt einen weiteren, von Gasfackeln erhellten, Gang. Allerlei Kisten und Säcke standen hier herum. Vier weibliche Riesen hatten sich im Gang aufgebaut und erwarteten sie mit gezogenen Schwertern. Die Mägde waren muskulöser als Hulda, trugen lederne Harnische wie Kleider und blickten misstrauisch sowie fragend in Huldas Richtung. Zwei der Kriegerinnen besaßen langes, wallendes, rot-blondes Haar, während die beiden anderen kurze schwarze Haare hatten. Gerade als Hulda ihre Hand beschwichtigend erhob, zischelte Neire die Worte. „Hulda, sie respektieren euch nicht mehr. Befehlt ihnen sich niederzuknien und ihre Waffen zu senken.“ Hulda nickte und bellte fremde, barsche Worte. Eine der Riesinnen zögerte zwar, aber dann knieten sie alle nieder und steckten ihre Waffen in ihre Scheiden. Neire zeigte auf die zögernde Kriegermagd und sprach: „Diese, sie hat euch verraten. Geht, Königin und tötet sie. Ihr müsst es tun.“ Wieder spürte Neire die Macht der Augen des Jensehers, als sich Hulda in Bewegung setzte. Sie zog ihren Streitkolben, doch ihre Untergebenen blickten zu Boden. Als Hulda vor der knieenden Riesin ankam, holte sie aus und hieb auf den Kopf. Es gab ein Knacken von Knochen und Blut spritzte auf, als der Streitkolben auf den Schädel prallte. Hulda schlug noch ein weiteres Mal zu, bevor ihre Mägde reagieren konnten. Doch war es ihre verbliebene Kraft – ein letzter Funken eigenen Willens - mit der sie den Schlag in Leere lenkte? Hulda stolperte und mit der Wucht ihrer übermenschlichen Stärke rammte sie sich Streitkolben in ihr noch nicht verletztes Bein. Die Wunde war grausam und reichte bis auf das Schienbein. Hulda begann zu schwanken und brach im Tunnel zusammen. Jetzt stürmten Bargh und Zussa nach vor und vollbrachten ihr blutiges Werk. Keine der Mägde sollte leben.

Sie hatten nach dem kurzen und blutigen Kampf gegen die Mägde die Wunden der Königin verbunden. Dann hatten sie sie auf ein Bett gezogen, obwohl Zussa maulend widerspenstige Worte von sich gegeben hatte. Nachdem sie die Gemächer der Mägde und der Königin nach Schätzen durchsucht hatten, hatten sie die Königin nach dem Gemach ihres Gemahls und seinen Schätzen gefragt. Die Königin war jedoch kaum aus ihrem Koma erwacht, hatte unverständliche Worte gemurmelt und mit ihrem Arm in die Richtung der mit Fellen ausgelegten Halle gezeigt. Auf dem Weg dorthin hatte Zussa dann leise grollende Stimmen und Schritte gehört, die aus dem Bereich der Thronhalle kamen. Sofort flüsterte Zussa: „Neire, Bargh, ich höre Stimmen aus der großen Halle. Seid vorsichtig.“ Zussa sah, dass Bargh augenblicklich reagierte. Er drehte sich um, hob sein Schild und sein dunkles Schwert und schritt in die Richtung des Geräuschs. Sie folgte Bargh. Auch Neire schloss sich ihnen an. Als sie das Loch im Vorhang erreichte, sah Zussa, dass aus dem gegenüberliegenden Tunnel fünf Riesen in die Halle vordrangen. Im Licht der Gasfackeln war die aschgraue Haut der Kreaturen zu erkennen, die etwa fünf Schritt aufragten und in metallene Bänderpanzerrüstungen gekleidet waren. Doch Zussa bemerkte, dass hier etwas anders war. Die vorderen drei Riesen bewegten sich in einer Art Formation. Zu jeder Seite flankierte ein Krieger den Trupp mit einem Schild. Hinter den drei Vorderen, gingen zwei größere und ältere Riesen, die mit langen Speeren und grausamen Schwertern bewaffnet waren. Die beiden Älteren trugen zudem eine kupferne Symbolik aus metallenen Bändern am Gürtel, die vielleicht ihren Rang kennzeichnete. Zussa konnte erkennen, dass der Dreiertrupp auf den Leichnam ihres toten Königs Dunrok Isenbuk zugegangen war. Sie hörte ein Gemurmel und konnte Gesichter erkennen, in denen sich ein erschrockenes, aber kontrolliertes Grauen abspielte. Zussa wollte gerade reagieren, da hörte sie Neire zischeln, dass sie auf sein Zeichen warten sollen. Sie konnte Neire nicht sehen, doch sie spürte ihn an ihr vorbei und in die Halle schleichen. Nur kurz musste sie warten, dann hörte sie ein Kreischen in der Luft, das sich durch die Halle ausbreitete und sich deutlich von dem ständigen Vibrieren im Stein abzeichnete. Der Dreiertrupp wurde von der Welle von Macht erfasst, die Neire dort beschworen hatte. Jetzt trat Bargh in das Loch des Vorhangs und brüllte Verwünschungen. Der Dreiertrupp und einer der Lanzenträger setzten sich augenblicklich in Bewegung. Der fünfte schaute sich suchend um. Auch Zussa sah die Feinde, die sich auf Bargh zubewegten. Vier gegen einen, dachte sie sich. Ich muss die Kraft der Göttin beschwören. Ich muss Jiarlirae anflehen. Zussa fing an zu beten. Sie begann die Kräfte von Flamme und Düsternis zu bündeln. Sie spürte die Geheimnisse des Abgrundes, zum Greifen nahe. Dann waren die Riesen vor Bargh und griffen an. Alles um Zussa herum versank in einem Gewühl von Chaos und Blut. Vor sich sah sie Bargh immer wieder zuschlagen und sein Schild erheben, um Angriffe abzuwehren. Zwischen den Angriffen und in das Gemetzel hinein, zuckten die magmahaften Flammen von Neires grausamer Magie. Und Zussa wusste, dass sie Bargh beistehen musste. So hob sie grimmig ihren Stecken mit dem glühenden Kristall. Sie beschwor Blitze und glühende Geschosse. Denn der dunkle Krieger vor ihr wurde von schmetternden Hieben verwundet. Hiebe, die einen normalen Menschen getötet hätten. Doch Zussa frohlockte als Bargh sich immer wieder erhob, wenn er getroffen wurde. Er war kein normaler Mensch. Er war Bargh, der unheilige Ritter ihrer Herrin, er war über die Ebenen gereist und er hatte Dämonenfürsten gedient, er trug die Klinge Glimringshert, er brachte Feuer und Düsternis, er war der Drachentöter.
Titel: Sitzung 83 - Die Dunkelelfin
Beitrag von: Jenseher am 21.10.2023 | 10:10
Sie drangen tiefer vor in die schwelende Hitze des rumorenden Schlackebergs. Die Wände flimmerten und Schweiß lief ihnen in ihre Augen. Bargh hatte die Tür in den geheimen Tunnel hinter Zussa und Neire verschlossen, nachdem er ihre Spuren verwischt hatte. Sie wussten, dass sie hier ein besonderes Geheimnis entdeckt hatten, waren sie doch von einem versteckten in einen geheimen Bereich gelangt. Der Tunnel vor ihnen war in vollständige Dunkelheit gehüllt. Sie sahen in einiger Entfernung übergroße Stufen in die Tiefe hinabführen. Bargh war wieder vorgegangen und kniete sich nieder, um auch diesen Ort nach Spuren abzusuchen. Neire und Zussa horchten. Dann erhob sich der zweieinhalb Schritt große unheilige Krieger und murmelte leise Worte: „Spuren führen hier hinein und heraus. Große Stiefelabdrücke, wie von diesem König Dunrok. Doch ich habe auch andere Spuren gefunden. Sie deuten auf ein vierfüßiges Wesen mit Krallen hin.“ Bargh bewegte sich jetzt leise und vorsichtiger vorwärts. Auch Zussa und Neire war eine gewisse Anspannung anzusehen. Dann strich sich Zussa ihr schweißdurchtränktes, rot-gelocktes Haar zurück, um abermals ihr Ohr freizumachen. „Bargh, Neire, hört ihr das?“ Flüsterte sie. „Es ist ein Kratzen auf Stein, aus weiter Ferne.“ Sie schritten vorsichtig den Tunnel entlang und die Stufen hinab. Jetzt hörten alle die Geräusche. Vor ihnen eröffnete sich eine hohe natürliche Höhle. Von hier und dort hörten sie ein Zischen, wie von Gas, doch das Kratzen und Knirschen von Zähnen war laut zu hören. Hinter einer Ecke und in einem kleineren Seitentunnel sahen sie das monströse Wesen, das dort mit dicken eisernen Ketten an die Wände gefesselt war. Die Kreatur bewegte sich auf vier muskulösen, angewinkelten Beinen und hatte einen Körper von fast neun Schritt Länge. Es besaß Tatzen-artige Füße, messerscharfe Krallen und ein braun-rotes Fell. Metallbänder schnürten den Torso ein und bereiteten der Kreatur sichtlich Schmerzen. Aus dem Rumpf erhoben sich eine Vielzahl von Hälsen, acht an der Zahl, die in Drachenköpfen endeten. Als ob die Köpfe sich selbst verspeisen wollten, schnappen sie nach ihresgleichen. Nachdem Bargh die Kreatur sah, zögerte er keinen Moment. Er hob Glimringshert und stürmte auf das Wesen zu. Einige Köpfe drehten sich zu ihm herum und begannen zu fauchen. Bargh erblickte ein glühendes Inneres aus dem Rauch aufstieg. Dann hob er sein dunkles Schwert und bedrängte die Kreatur. Die Schatten blutende Klinge fuhr durch die Luft und brachte das Feuer seiner Herrin. Ein Regen von Blut benetzte sein Gesicht, als er vier Hälse abtrennte. Dort, wo sein Schwert gewirkt hatte, wuchs augenblicklich Narbengewebe nach und begann die Blutung zu stoppen. Bargh holte ein zweites und ein drittes Mal aus. Mit jedem Hieb trennte er zwei weitere Hälse vom Rumpf. Das Brüllen der Kreatur fand ein jähes Ende, als die zwei letzten Köpfe auf den Boden fielen. Wellen von Zuckungen gingen noch über den Leib, als wollte dieser davonlaufen. Doch die Bewegungen waren unkoordiniert und erstarben. Dann sackte der gewaltige Leib in sich zusammen. Bargh keuchte auf und kniete sich nieder. Er hörte die Stimme von Neire hinter ihm. „Jiarlirae ist groß und wird euch mit Geheimnissen beschenken. Eure Taten sind groß, Bargh. Seht ihr nicht das Glitzern aus der Höhle? Die Truhen? Es sind die Schätze von Dunrok Isenbuk.“

Bargh ächzte. Er zog sich den letzten der langen Dolche aus seiner Seite. Er spürte die Wirkung des Pergaments, das ihm Neire geben hatte. Die dunklen Ränder an den Dolchen deuteten auf ein getrocknetes Gift hin, doch die alten Worte, die er auf dem Schriftstück gelesen hatte, bewahrten ihn vor Schlimmerem. Bargh richtete sich langsam auf. Es war die letzte Truhe, die er geöffnet hatte. Dort waren beim Öffnen die Dolche hervorgeschossen. Zuvor hatte er seinen beiden Begleitern gesagt, sie sollten Abstand von ihm nehmen. Dann hatte er sich den Kisten gewidmet. Er hatte sich hinter die Truhen postiert und sie rücklings geöffnet. Ein alter Lehrmeister hatte ihm einst diese Herangehensweise verraten. Bargh verwarf die Gedanken an den Lehrmeister. Mochte er doch in der Hölle verrotten. „Es ist die letzte Truhe. Sie ist geöffnet. Kommt her und schaut sie euch an. Es droht keine Gefahr mehr.“ Bargh rief in das dunkle Gewölbe hinein und schon kam Neire herbeigelaufen. Zussa spielte weiter gelangweilt und drehte mit staksigen Schritten Kreise. Sie sprach dabei Worte, die er gegen das dumpfe Rumoren und das Zischen hören konnte. „Ja, Bargh der Drachentöter. Jaja. Hat sich geopfert und alle Truhen geöffnet. Sehr fein. Und jetzt sind wir alle sicher, sooo sicher.“ Bargh knirschte mit den Zähnen. So sehr er das hübsche Bauernmädchen mit den Sommersprossen und den grünen Augen auch mochte, so wenig mochte er ihre jugendlichen Gefühlsanwandlungen. Wieder dachte Bargh zurück. Wie sie das geköpfte Wesen gehäutet hatten. Wie Neire ihm dabei geholfen hatte. Zussa war bereits dort ziellos durch die Höhle geschritten und hatte gebetet. Daher hatte er sich nicht um sie gekümmert. Doch jetzt begann sie wieder Luftlöcher zu starren. „Zussa, Mädchen! Kommt verdammt nochmal her. Hattet ihr nie einen Lehrmeister?“ Er sah, dass Zussa aufhorchte und gespielt widerwillig zu ihnen kam. „Ja, jetzt wo ihr fragt Bargh. Ich hatte einen Lehrmeister. Sein Name war Hilbart. Er konnte mir nicht viel beibringen, nur Lesen und Schreiben… Doch er schlug mich immer mit seinem Stock, dieser Bastard.“ Bargh musste grinsen, als er für einen Augenblick seine Gedanken schweifen ließ. Er sah Hilbart vor sich. Wie er knallend und klatschend den Stock auf Zussas nackten Hintern schnellen ließ. Er musste auflachen, doch da waren wieder die Schmerzen an seiner Seite. Als ob Zussa seine Gedanken ahnte, verzog sie das Gesicht. „Aber wieso wollt ihr das wissen, Bargh?“ „Ein Lehrmeister hat euch anscheinend noch nie Zucht und Ordnung beigebracht. Was sind schon ein paar Stockschläge, eh? Nichts im Vergleich zu dem, was ich durchgemacht habe.“ Bargh sah, dass auch Neire jetzt in sein Lachen einfiel. Der Jüngling richtete sich von der Truhe auf und warf die gold-blonden Locken zurück. „Es muss euch wahrlich gereizt haben, Bargh. So wie ihr mit ihm geredet habt in der Adlerfeste – ja gereeedet…“ Neire verzog beim letzten Teil des Satzes spöttisch das Gesicht und machte die Bewegung des tödlichen Schwertstoßes mit seinem eleganten Degen nach. „Aber Bargh, davon habt ihr mir noch nichts erzählt, davon weiß ich ja noch nichts. Wer war euer Lehrmeister? Was hat er mit euch gemacht? Was habt ihr mit ihm gemacht?“ Jetzt zog Neire Zussa näher und zeigte ihr die Truhe. Das Lächeln in dem von Asche besudelten Gesicht des Jünglings war tief und innig. Es ließ selbst Zussa erröten. „Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag, meine liebe Zussa. Schaut was wir hier gefunden haben. Was für Kostbarkeiten dies sind. Jiarlirae hat uns nicht umsonst hierhin geführt.“ Bargh bemerkte, dass Zussa erst jetzt das Glitzern von Juwelen, von Gold und von Silber wahrnahm. So lachten und so scherzten sie, als Zussa ihnen weitere Geschichten erzählte. Geschichten von ihrem alten Lehrmeister. Gemeinsam brachten sie die Schätze in Ortnors altes extradimensionales Versteck. Bargh jedoch dachte an den Tempel des Jensehers. An die Aufgabe die vor ihnen lag. Und er dachte an Halbohr. Er zweifelte an den Worten des Söldners. Doch Neire hatte bis jetzt in allem Recht gehabt und er hatte sich vielleicht getäuscht in dem grimmigen, einohrigen Elfen.

Sie hatten danach den geheimen Bereich des Königs Isenbuks verlassen und waren in sein Gemach zurückgekehrt. Gerade als Bargh die Tür zugezogen hatte, war Neires Stimme zu vernehmen gewesen. „Bargh, Zussa! Geräusche… Schritte, die sich entfernen.“ Wie aus dem Nichts ragte plötzlich der von Brandwunden gänzlich entstellte linke Arm Neires hervor. Der Jüngling zeigte auf den Ausgang des von Gasfackeln erhellten Gemachs. Bargh war dann vorangestürmt, mit gezogenem Schwert. Neire und Zussa waren ihm gefolgt. Sie alle hörten, dass die fliehenden Schritte schneller wurden. Als sie um eine Ecke bogen, sahen sie die Umrisse einer Gestalt, die sich durch das Loch im großen roten Vorhang bewegte. Bargh beschleunigte seine Schritte nochmals. Als er sich unter dem Vorhang hinweg duckte, konnte er erkennen, dass die Gestalt langsamer wurde. Zwischen den Leichnamen der großen Halle kam sie zum Stehen. Sie drehte sich zu ihm und erhob ihre Hände. Im Vergleich zur Größe des Gewölbes, den obsidianernen Säulen und den sich türmenden Leibern der toten Riesen kam sie Bargh klein und zerbrechlich vor. Von der Größe eines heranwachsenden Kindes, war die Frau, gehüllt in dunkle, enge Leder- und Stoffkleidung. Hier und da ließen Aussparen vernarbtes Gewebe erkennen. Ihr hübsches Gesicht war rundlich und von aschgrauer Haut. Rötliche Augen musterten Bargh wachsam, aber nicht ängstlich. Sie trug einen Gürtel mit einem Wappensymbol und ein vernarbtes Zeichen im Fleische ihrer Schulter. In der rechten Hand hielt sie ein Langschwert, von dem Bargh einen rötlichen Schimmer um eine Linie von Ne’ilurum sehen konnte. Sie steckte ihr Schwert in die Scheide, die sie am Gürtel trug und hob ihre Hände. Als Bargh seine Schritte verlangsamte, begann sie zu sprechen. „Haltet ein Krieger. Ich bin euch nicht feindlich gesonnen.“ Bargh war von der Grobschlächtigkeit ihrer Stimme überrascht, die nicht zu ihrem Aussehen passte. Sie war mittlerweile in Reichweite seines Schwertes und er baute sich über ihr auf. „Was macht ihr hier in dieser Halle. Wer seid ihr? Sprecht oder sterbt durch mein Schwert!“ Neire und Zussa waren jetzt zu ihm aufgeschlossen, aber die Fremde betrachtete Bargh mit einem Lächeln. „Ihr seid ein prachtvolles Exemplar eines Männchens.“ Als Bargh bedrohlich sein Schwert erhob, führte sie hastig aus. „Mein Name ist Triel da'Aleval, aus dem Haus Aleval. Ich bin als Kundschafterin gekommen. Aber ich sehe, ihr habt es mir viel leichter gemacht, wenn ihr diese Riesen getötet habt.“ Jetzt trat Neire hervor und musterte Triel mit einem Lächeln. Über seinen Augen war ein rötlicher Schimmer, als er die Kräfte des Jensehers beschwor. „Ich sehe, ihr seid allein hier, Triel Aleval. Doch ihr könnt uns vertrauen. Wir könnten eure Freunde sein, ihr müsst uns nur vertrauen.“ Eindringlich schaute er die fremde Frau an. Triel erwiderte seinen Blick, wie in einer Trance, doch dann schüttelte sie ihren Kopf. „Was immer ihr versucht, ihr solltet es lassen.“ Neire zischelte bei Triels Antwort boshaft und stampfte mit einem Fuß auf den Boden. „Ihr stellt uns keine Forderungen. Wieso sollten wir euch nicht töten? Hier und jetzt. Ihr gehört der verabscheuungswürdigen Rasse der Dunkelelfen an. Ihr betet zu schwachen Göttern.“ Auch Bargh begann sich bei Neires Worten wieder bedrohlich aufzubauen. „Sagt es nur Neire, gebt nur den Befehl und ich werde sie hier und jetzt ausweiden.“ Zussa begann in diesem Augenblick zu lachen und erntete einen tiefbösen Blick von Triel. „Wartet, ihr müsst das nicht tun. Unsere Wege führen uns vielleicht in die gleiche Richtung. Zumindest eine Zeitlang. Wäre es nicht unsinnig, sich nicht gegen diese Kreaturen zusammenzuschließen?“ „Wem dient ihr. Wer ist eure Herrin? Welchen Göttern huldigt ihr. Ist es die Spinnengöttin?“ Neire zischelte die letzten Worte mit starkem Nebelheimer Singsang. Es dauerte einen Augenblick bis Triel antwortete. Ihre Bewegungen und Sprache wurden mechanisch. Sie legte den Kopf schief und brachte einen monoton gesprochenen Satz hervor. „Ich diene nur meiner Herrin, der Matriarchin von Aleval. Ich diene nur Matriarchin Xune da'Aleval.“ Neire war erbost über diese Antwort und starrte Triel hasserfüllt an. Das Schweigen, das in dem riesenhaften Gewölbe herrschte, wurde durch die Stimme von Zussa durchbrochen. Das Mädchen, das um einiges größer als die Dunkelelfin war, bewegte sich auf Triel zu und zeigte auf ihr Gesicht. Zussa versuchte dort die Haut von Triel zu berühren. Als wolle sie fühlen, ob diese echt wäre. „Schaut, sie hat diese seltsame schwarze Haut. Als ob sie sich mit Farbe angemalt hätte. Wie dieser Atahr damals. Wie habt ihr das gemacht Triel? Was ist das für eine List?“ Sie hörten ein Zischen, als Triel den Arm von Zussa zurückstieß und antwortete. „Lasst das Mädchen. Was tut ihr überhaupt hier? Wie viele Winter habt ihr schon erlebt?“ Zussa trat zurück bei der Frage und zog einen Schmollmund. Sie murmelte leise Verwünschungen. „Sie will nur mit euch spielen Triel. Und ihr solltet sie lassen. Denn oftmals täuscht der äußere Eindruck. Nur eines ist sicher… es ist immer die eigene Schuld, nicht Jiarlirae zu dienen.“ Wieder war da diese mechanische Antwort, die Triel emotionslos abspulte. „Ich diene meiner Matriarchin. Sonst niemandem.“ „Dann dient ihr eben, verdammte Hexe. Ihr werdet es schon sehen. Ich werde sie aufschlitzen und in ihrem Blut baden. Wen ich meine? Wer es sein wird? Wer weiß das schon?“ Zussa blickte boshaft in Richtung Triel und fauchte die Worte in sichtlicher Erregung. Jetzt mischte sich Bargh wieder ein und seine Stimme schwoll, tief und laut: „Schluss mit dem Ganzen. Schluss mit den Drohungen. Entweder wir knüpfen sie jetzt auf oder wir lassen es. Gehen wir nach links oder gehen wir nach rechts… der Spaß endet hier und jetzt: Entscheidet!“

Barghs Worte hatten Wirkung gezeigt. Zussa und Neire hatten ihre kindischen Drohungen und Schmähungen eingestellt, doch Zussa hatte kein Wort mehr gesagt. Als Triel sie abermals nach den getöteten Riesen gefragt hatte und eine Anspielung auf ihre Taten in der Halle des Nomrus und den Eishöhlen des Gramnir gemacht hatte, hatte Neire das weitere Gespräch unterbunden. Barsch hatte er auf die Geheimnisse von Jiarlirae verwiesen und erwähnt, dass er der einzige Prophet der Schwertherrscherin auf dieser Welt wäre. Zudem hatte Neire wieder versucht Triel zu beleidigen. Er hatte die dunkelelfischen Götter verspottet und vom ewigen Ruhm Nebelsheims erzählt, dass vor Äonen den Krieg gegen das Dunkelelfenreich gewonnen hatte. Nur auf den Blick von Bargh hin hatte Neire seine Rede beendet. Von Neire war dann aber der Vorschlag gekommen, die verletzte Königin Hulda aufzusuchen. Neire hatte darauf bestanden, dass Triel der Königin Fragen stellen solle. So waren sie in den Gang vor dem Gemach Huldas zurückgekehrt und hatten gesehen, dass die Königin noch immer auf einer der Pritschen ihrer Mägde ruhte. Neire hatte Hulda sanft geweckt und ihr freundliche Worte zugemurmelt. „Königin Hulda, schaut, wen wir euch mitgebracht haben. Habt ihr dieses Gesicht schon einmal gesehen, in diesen Hallen?“ „Nein, nicht gesehen. Doch sie… klein und dunkel, wie andere Gäste.“ Neire schaute Triel an und zwinkerte ihr zu. „Hätte die Königin etwas anderes gesagt… hättet ihr gelogen, wäret ihr jetzt schon tot.“ „Wieso sollte ich euch anlügen. Wieso sollte ich überhaupt lügen?“ antwortete Triel amüsiert. „Nun, Dunkelelfen lügen, das ist bekannt… So soll es also sein. Stellt eure Fragen an Königin Hulda. Doch adressiert sie mit dem größten Respekt.“ Triel verzog bei Neires Ankündigung das Gesicht, doch dann begann sie zu fragen. „Königin Hulda, eure Majestät, wie viele meiner Art sind eure Gäste und wo halten sie sich auf?“ Triels Grimasse hatte sich jetzt in ein Grinsen verändert, als sie, betont überzogen, die Königin adressierte. „Sie, wie ihr. Aus Dunkel, aus Immernacht. Sie unten, tiefer. Sie drei.“ „Sagt euch der Name Eilserv etwas, eure Majestät. Kennt ihr sie, die dem Gott des elementaren Bösen dienen?“ Huldas Gesicht hatte sich beim Namen Eilserv in Runzeln von alter Haut verwandelt. Doch als Triel das Wappen von Eilserv in die Luft zeichnete und vom Elementargott sprach, nickte Hulda. Wieder blickte sich die Königin der Riesen um und wählte ihre schwachen Worte betont leiser. „Ja, sie… haben dieses Zeichen. Sie dienen bösem Elementegott. Sie drei, sie in der Tiefe.“ „Königin Hulda. War bei den Dreien eine Dunkelelfin, die sich Eclavdra nannte?“ Erst schwieg Huldra, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, keine Eclavdra. Nein.“ „So sagt mir meine Königin. Wofür die Krieger. Wofür zieht ihr in den Krieg? Was ist der Grund?“ Hulda fing bei dieser Frage an zu lachen. Ein Lachen, das schnell zu einem Röcheln erstarb, als sie schmerzhaft anfing zu husten und die Wunden an ihren Beinen betrachtete. „Krieger sammeln. Dunrok Isenbruk großer Anführer. Krieger Menschen schlachten. Menschen schwach. Krieger Dörfer schlachten. Drei aus Immernacht bezahlen… uns bezahlen. Bezahlen sie uns gut… bezahlen sie viel Gold.“ Jetzt war die Unruhe in Triels Augen zu sehen. „Aber wieso? Wieso bezahlen sie euch für diesen Krieg. Was ist der Grund?“ War es der fehlende Respekt gegenüber der Herrscherin oder die Frage, auf die Königin Hulda keine Antwort wusste? Das Lächeln auf dem Gesicht der Riesin erstarb, als sie ihren Kopf auf das Lager zurücksinken ließ und in einen tiefen Schlaf überging. Für einen Augenblick betrachteten sie die verletzte, hässliche Königin der Riesen, dann verließen sie das Gemach.
Titel: Sitzung 84 - Der Gefangene
Beitrag von: Jenseher am 30.10.2023 | 11:10
Triel hatte die Tunnel erkundet, die unerforscht vor ihnen lagen. Die Dunkelelfin war lautlos in der Dunkelheit verschwunden. Sie war jedoch immer wieder zu ihnen zurückgekehrt und hatte von den Räumen berichtet, die sie erspäht hatte. Nachdem sie die kolossale Halle mit den Obsidiansäulen verlassen hatten, waren sie in eine Küche gelangt, die hastig verlassen worden war. Sie hatten dort ein Lager von Bier- und Weinfässern geplündert. Dann hatte Bargh Spuren von fünf Paar riesenhaften Stiefeln entdeckt, die in die von Gasfackeln erhellten Tunnel führten. Sie hatten sich daraufhin entschieden den Spuren zu folgen, um die Geflüchteten abzufangen, bevor sie um Hilfe erbitten konnten. Doch ihr Weg hatte sie tiefer und tiefer in den Schlackeberg geführt und schließlich waren sie an einen hohen Tunnel gelangt, der über Treppenstufen in das Untere führte. Hier hatten sie sich entschieden die Verfolgung aufzugeben und sich weiter den unerforschten Gemächern zu widmen. Bargh hatte, unter Berufung seines alten militärischen Wissens, darauf hingewiesen, dass sie sich den Rücken freihalten sollten. So waren sie durch Gemächer gelangt, die alle verlassen waren. Teils hatten diese Wohnhöhlen wohl zu Wachen gehört, teils zu Frauen und Kindern der Riesen. Alle waren entweder geflüchtet oder hatten sich ihnen im Kampf gestellt. Vor einer noch geschlossenen, sieben Schritt hohen Steintüre, hatte sie Triel dann zur Stille ermahnt. Sie hatte Geräusche gehört und sie flüsterte jetzt: „Dort hinter der Türe. Ein Hecheln und ein Schnappen. Ein Bellen und Knurren. Geräusche, wie von großen Hunden.“ Bargh blickte wortlos und grimmig in die Runde, während der dunkle Krieger Neire und Zussa zunickte. Dann begann er langsam das Portal aufzudrücken. Nur einen Augenblick war das Knirschen der Türe prominent, dann hörten sie alle die Geräusche dahinter. Es drang ihnen ein übler Geruch entgegen – von nassem Hundefell, dreckigem Stroh und von Fäkalien. Sie sahen einen sich verzweigenden hohen Gang. In der Dunkelheit waren riesenhafte spielende Hunde zu sehen, die sich ansprangen und mit ihren Zähnen fletschten. Rote Paare von Augen glühten in der Düsternis und Dampf drang aus ihren Mäulern. Die Kreaturen hatten das Geräusch vernommen und fingen wild an zu bellen. Ihr Spiel änderte sich augenblicklich in wilde Angriffslust, als sie über verwestes Fleisch und die Reste von Körperteilen hinwegsprangen. Bargh machte einen Schritt in den Raum und hob sein Schwert, die Meute erwartend. Dann erfror neben ihm die Luft und ein Kegel von Eis breitete sich aus. Neire, in der Dunkelheit nicht zu erkennen, hatte einen Spruch einer Schriftrolle aus dem Schatz von Dunrok Isenbuk rezitiert. Das Jaulen des Teils der Meute, die sich für den linken Gang entschieden hatte, schwoll für einen Moment, doch dann brachen die Tiere zu Boden; wurden dahingerafft von der immensen Kälte. Als der zweite Teil des Rudels im rechten Tunnel auftauchte, wurde in der Dunkelheit ein weiteres Portal aufgestoßen und in dem Licht des dahinterliegenden Gemachs tauchte eine fast fünf Schritt große Gestalt auf. Gekleidet in einen Waffenrock, war ihr nackter Oberkörper zu sehen, unter dessen Fettmassen sich Muskelberge zogen. Verfilztes, langes rotes Haar fiel abstehend von einem grobschlächtigen Gesicht aschgrauer Haut. Die Gestalt trug eine Peitsche in der rechten Hand, durch deren Leder rostige Nägel getrieben waren. Sie blickte ungläubig auf die bellende Meute, unfähig die Dunkelheit um den unheiligen Krieger zu durchdringen. Dann führte sie ihre linke Hand an den Mund und blies in eine kleine Pfeife. Ein hoher Ton schallte durch das Gemach und die zotteligen schwarzen Bestien verlangsamten ihre Schritte. Doch nur für einen Augenblick, denn sie hatten ihre Beute gewittert und hörten nicht auf ihren Herren. Bargh schien die Situation zu erahnen. Er machte einen weiteren Schritt nach vorne und er lachte den Riesen aus. Die kleinen schwarzen Augen des Monstrums wandelten sich in pure Wut. Jetzt ließ die Kreatur ihre Peitsche klatschen und stürmte heran. Ein weiteres Mal erfüllte grausame Magie die Luft, als Zussa mit dem Stecken Blitze hervorrief. Vier der sechs Hunde starben in dem gleißend weißen Feuer, das auch ihren Herrn einhüllte. Die letzten beiden Hunde wurden mit gezielten Hieben von Bargh niedergemacht, der dann mit dem Riesen zusammenstieß. Doch auch diesmal war der unheilige Krieger schneller. Unbarmherzig schlug er zu mit Glimringshert. Er brachte die Worte seiner Schwertherrscherin: Flamme und Düsternis. Das schwarze Schwert zerschnitt Fleisch wie Bein und die degenerierte Kreatur hauchte ihr Leben aus.

Neire starrte in den langen Tunnel, aus dem sie die Stimmen gehört hatten. Nachdem sie die Gemächer des Hüters der Höllenhunde geplündert hatten, waren sie durch weitere Kammern gekommen. Sie hatten eine gewaltige Waffensammlung entdeckt, in der sich auch zwei Ballisten befunden hatten. Dann hatte sie Triel auf ein leises, tiefes Murmeln hingewiesen, das sie aus noch einem unerforschten Tunnel gehört hatten. Sie waren daraufhin an eine scharte Ecke im Tunnel geschlichen, doch Triel hatte geflüstert, dass das Murmeln plötzlich aufgehört hatte. Neire war im Schutz seines Mantels vorangegangen. Am Ende des von Gasfackeln erhellten Ganges sah er drei kolossale Kreaturen vor einem Gewölbe lauern. Es waren zwei jüngere und ein älterer. Einer der jüngeren Riesen stand in erster Reihe und hatte einen schwarzen Felsklotz geschultert, der ein kleineres Haus in Trümmer hätte legen können. Der ältere Riese hatte graues Haar, das unter seinem Rundhelm hervorstand. Zudem trug er ein kupfernes Wappensymbol an seinem Gürtel. Neire zitterte, als er begann die arkanen Formeln zu murmeln. Er hatte den Spruch noch nie vorher gewirkt und war sich seiner Fähigkeiten nicht sicher. Er mahnte sich zur Hast, denn er bemerkte mit einem Schaudern, dass der jüngere Riese mit dem Langschwert in seine Richtung zeigte. Doch es war zu spät. Die letzten Worte gingen über seine Lippen und die Nussschalen knackten, als sie zu Staub zerfielen. Für einen Augenblick zeigte der Gegner noch in seine Richtung. Dann erhob der ältere plötzlich seine Axt und rammte sie dem jüngeren in die Rippen. Ein Aufkeuchen von Schmerzen war zu hören. Die Klinge drang tief in sein Fleisch. Schrecken zeigte sich in den Augen des Jüngeren. Dann drehte er sich um und kehrte Neire seinen Rücken zu. Auch der andere jüngere Riese drehte sich um und starrte. Ein Kampf auf Leben und Tod entwickelte sich zwischen dem Axt- und dem Schwertträger. Der unbeteiligte Riese ließ den Steinbrocken fallen und zog sein Schwert. Beide Riesen fügten sich grauenvolle Wunden zu. Dann rammte der ältere seine Axt in den Hals des jüngeren. Blut spritzte auf und der jüngere brach, gurgelnd fluchend, in sich zusammen. Der verbliebene jüngere nahm nun den Kampf auf, der nur kurz währte. Er war unverwundet und schneller als der Alte. Er rammte sein Schwert durch die Brust seines einstigen Kameraden, vielleicht Vorgesetzten. Doch als der Alte zusammenbrach schrie nicht er. Von dem jüngeren war ein Heulen zu hören. Ein Heulen, das sich in ein hasserfülltes Brüllen wandelte. Der jüngere fuhr jetzt herum und starrte hasserfüllt, aber ängstlich in den Tunnel. Neire zog sich in die Schatten zurück und verschwand hinter der Ecke zu seinen Kameraden. Aus der Dunkelheit schälte sich plötzlich sein lächelndes Gesicht. Unschuldig eingerahmt von gold-blonden Locken. Mit blauen, glitzernden Augen schaute er seine Mitstreiter erfreut an. „Ihr habt ein kleines Schauspiel verpasst, meine Freunde. Sie dachten sie lebten hier, mit Feuer und Dunkelheit. Doch heute sind wir hier und wir lassen sie tanzen mit Flamme und Düsternis.“ Neire hatte seine Worte kaum beendet, da hörten sie die stapfenden Schritte, die sich ihnen durch den Gang näherten. Sie vernahmen einen Schrei, der sich mehrfach überschlug. Es war die Angst vor dem Ungewissen sowie ein Grauen in der Stimme zu hören. Doch da war mehr; da der Hass der vielen Formen, der die Kreatur zum Handeln zwang. Es war das Chaos von Flamme und Düsternis, die Essenz seiner Göttin.

Der Kampf war kurz und grauenvoll brutal gewesen. Der letzte Riese war in ihren Hinterhalt gestürmt und sie alle hatten ihn angegriffen. Viele Schnitte hatten seinen Körper überzogen. Dann war der gewaltige Krieger zusammengebrochen. Blut hatte sich wie eine Pfütze ausgebreitet im Tunnel. Sie hatten die Leichname und das Gemach durchsucht, das keine weiteren Ausgänge hatte. Weitere Reichtümer hatten sie in Ortnors Labor verstaut. Dann waren sie in einen noch unerforschten Bereich vorgedrungen. Sie waren in eine riesige Halle gelangt, die mit Prunkvorhängen eines Krieges geschmückt war. Hinter einem Seitenvorhang war eine weitere Türe zu sehen gewesen. Dort hatte sie Triel ermahnt leise zu sein. Sie hatte deutlich schabende Geräusche hinter diesem Portal gehört. Nachdem sie die Türe leise geöffnet hatten, waren Neire und Triel in das Gemach dahinter vorgedrungen. Es war ein Raum mit dunklen Möbeln und Tischen gewesen, doch die Einrichtung hatte Menschengröße gehabt. Lebensmittel lagen auf dem Tisch, neben Notizzetteln, die die Runen der Nachtzwergensprache trugen. Zwei kleine eisenverstärkte Holztüren waren mit Riegeln von außen gesichert. Sie erinnerten an kleine Gefängniszellen. Als Triel und Neire sich auf die linke der Türen zubewegten, verstummte augenblicklich das Geräusch. Es war eine Stimme zu hören, die alt und gebrechlich klang. In der gemeinen Zunge der ersten Menschen hauchte sie: „He dort, ist da wer? Helft mir. Lasst mich hier raus, wollt ihr denn bitte?“ Neire hatte ein kleines Guckloch in der Türe erkannt, aus deren Innerem sanftes Licht strömte. Er schlich sich vorsichtig heran und schaute in das Innere. Die Kreatur, die dort in einem eingerichteten Gemach stand, wirkte gelangweilt. Der alte Mann war dürr und knochig. Er war kaum mehr als einen Schritt groß. Ein kahler Schädel thronte über einem markanten Gesicht. Sein langer weißer Bart war in Zöpfen geflochten und ragte ihm bis auf Gürtelhöhe hinab. Gekleidet war er in dunkle Gewänder aus Leinen und Leder. „Ich… ich weiß, dass ihr hier seid. Kommt schon, erbarmt euch und helft mir.“ Neire starrte noch immer auf die Kreatur, deren Gesichtsausdruck nicht zu ihrer Stimme passte. Dann antwortete er. „Ich kann euch helfen, doch wer seid ihr und was macht ihr hier?“ Die Gestalt fing an zu grinsen und schaute zur Türe. Doch der Nachtzwerg konnte ihn anscheinend nicht sehen. „Mein Name ist Umbari und ich bin hier gefangen. Er hält mich hier gefangen – König Isenbuk. Ich bin sein Sklave.“ Neire zog seinen Kopf zurück in die Schatten und lugte aus seinem Mantel hervor. Grinsend nickte er Triel zu, sich zu verstecken. Er spielt ein Spiel mit uns. Nun wir wollen ein Spiel mit ihm spielen. Neire bewegte den schweren Riegel als er sprach. „Wartet Umbari. Ich werde die Türe öffnen.“ Neires Blick entging allerdings nicht der versteckte Mechanismus, der ein Öffnen der Türe auch von innen erlaubte. „Ihr seid also Umbari. Es freut mich euch kennenzulernen.“ Als die Tür aufschwang und das Licht in den dunklen Saal drang, wirkte Umbari gänzlich anders. Jetzt war er in sich zusammengesunken und seine Hände zitterten. Neire fuhr fort. „Der König Isenbuk schickt mich. Er möchte euch sprechen. Ihr sollt mir folgen.“ Umbari hob unterwürfig den Kopf und blickte ihn verzweifelt an. „Will er mich töten? Nein, das soll nicht mein Schicksal sein. Ihr müsst mich befreien. Ihr seid der Neue? Wer seid ihr? Hat er euch auch versklavt? Dann lasst uns lieber fliehen. Fort von hier. Hinfort von diesem schrecklichen Ort.“ Neire versuchte ein aufkommendes Grinsen zu unterdrücken, als er das Spiel von Umbari sah. Er erhob seine Stimme zur Antwort. „Wohin sollten wir denn fliehen? Und wie schnell müssten wir laufen? Nein wir haben doch alles hier und der König beschützt uns. Ich bin der neue Sklave und man nennt mich Triel.“ Als Triel in den Schatten hinter Umbari ihr Gesicht zu einer raubtierhaften Fratze verzerrte, musste Neire fast lachen. Dann sah er, dass Umbari sich plötzlich aufrichtete. Er wirkte nicht mehr gebrechlich und antwortete mit charismatischer Stimme: „Eine Probe mein Junge. Eine Probe. Doch ich sehe, ihr seid auf unserer Seite. König Isenbuk ist stark und er wird siegen. Er will mich sprechen? Habt Dank für euer Kommen, habt Dank. Dann lasset uns keine Zeit mehr verlieren.“ Neire lächelte bei Umbaris Worten. Der Nachtzwerg, der im Lichte der Tür stand, verschwamm in diesem Moment in chaotischen Farben von Purpurrot. Neire trat einen Schritt auf ihn zu, als er versuchte Umbari zu umgarnen. Er hob seine Hand. „Ja Umbari. Lasst uns keine Zeit mehr verlieren. König Isenbuk erwartet euch. Doch vielleicht… vielleicht könnten wir Freunde sein.“
Titel: Sitzung 85 - Wiedersehen mit Königin Hulda
Beitrag von: Jenseher am 3.11.2023 | 22:26
Kalt starrten die Augen des Tiefenzwerges in die Leere. Die dürre Gestalt war in graue, Lederflicken-verstärkte Leinengewänder gehüllt – eine Unterkleidung, wie man sie unter einer Rüstung trägt. Umbaris Augen nahmen wieder Blickkontakt zu Neire auf. Er lächelte und sein Ausdruck wandelte sich, wie von Neugier und forschem Interesse getrieben. Der Augenblick, in dem Neire die Welt in rötliches Licht getaucht sah, ging vorüber. Er spürte, dass ihm sein Gegenüber freundlich gesonnen war. Doch konnte er sich sicher sein? Neire drehte sich um und blickte durch das Gemach. Die Hitze, die auch hier von den Schlackewänden ausging, trieb ihnen allen den Schweiß in die Augen. Das ständige Vibrieren des Gesteins wurde begleitet von einem dumpfen Dröhnen. Zussa sprach zuerst, als sie zu Umbari und Neire trat. Das Licht drang ausschließlich aus der Kammer hervor, die Umbari so kürzlich verlassen hatte. Der Schimmer verlor sich in der Höhe des Gewölbes, was im Kontrast zu den Möbeln in Menschengröße stand. „Neire, habt ihr einen neuen Freund gefunden?“ Zussa zeigte mit ihrem Säbel auf Umbari, als sie verrückt grinste. „Habe ich das, Umbari? Habe ich einen Freund gefunden“, fragte Neire und legte seinen Kopf schief. Sie alle, Neire, Zussa und Bargh, mussten einen grauenvollen Eindruck hinterlassen. Ihre Haare, Haut und Kleidung waren von dunkler Asche besetzt. Sie waren durchnässt von Schweiß und besudelt von getrocknetem Blut. Umbari nickte Neire zu und lächelte. „So ist es. Ihr könnt mich als euren Freund zählen. Es kommt mir so vor, als kennte ich euch bereits längere Zeit.“ Neire nickte Umbari zu, doch Zussa fiel ihm ins Wort, bevor er antworten konnte. „Ich liebe Freunde, auch wenn es die von Neire sind. Freunde erzählen die schönsten Geschichten… Erzählt uns Umbari, erzählt uns alles, was ihr über diesen Ort wisst.“ Umbari schaute verunsichert Neire an, doch der junge Priester nickte. Dann begann Umbari zu sprechen. Er erzählte vom großen Krieg, den König Isenbuk bestritt. Die Vereinigung der verschiedenen Rassen der Riesen unter seiner Führung. Er erzählte ihnen vom Krieg gegen die Menschen und von den unermesslichen Reichtümern, die die Dunkelelfen ihnen bezahlten. Umbari war stolz auf seine Errungenschaften. Auf seine Baukunst der Hallen der Feuerriesen und auf die Kriegsführung, in der er Isenbuk beriet. Mit einem Nicken bestätigte er die militärischen Erfolge, die ohne ihn niemals möglich gewesen wären, weil er König Isenbuk für dumm und träge hielt. Doch Umbari schätze den König als großen Führer. Zussa und Neire stellten ihm viele weitere Fragen. Als es um das Haus Eilserv ging, dass anscheinend hinter allem steckte, trat selbst Triel aus den Schatten hervor und betrachtete Umbari und Neire erstaunt. Die Dunkelelfin hörte aufmerksam zu, als ihnen Umbari berichtete, dass es einen Tempel unter den Hallen von König Isenbuk gab. So rätselten sie über die Sphäre der Dunkelheit über Aschwind, für die auch Umbari keine Erklärung hatte. War es eine Ablenkung? Ein Lockruf für die Rasse der Dunkelelfen sich in einen Krieg zu begeben? Sie rätselten über den unteren Tempel und den Gott der dort angebetet wurde. Bis Zussa die Worte murmelte: „Es ist nicht der Gott des elementaren Bösen. Es ist der Gott der Schleime und Schlicke und er vereint bestimmte elementare Aspekte. Er dient dem tiefen Unteren, in dem er lauert. Sein Name ist Ghaunadaur.“

Zussa blickte erbost in Richtung Neire. Wollte er jetzt auch Umbari mit ihnen ziehen lassen? Sie fühlte eine starke Abneigung gegenüber dem alten Nachzwerg. Umbari hatte sich unter den Feuerriesen vom Sklaven zu einem persönlichen Gelehrten König Isenbuks hochgedient. Wir hätten ihn umbringen sollen, nachdem er uns seine Schätze übergeben hatte. Dachte sich Zussa und warf Triel einen bösen Blick zu. Was konnte er uns danach noch sagen. Zussa hatte fast Recht behalten mit ihren Annahmen, doch auf ihrem Rückweg in ihr geheimes Versteck hatte Neire Umbari die Leichen der großen Halle gezeigt. Der Tiefenzwerg war fassungslos zu seinem alten König gegangen und hatte gemurmelt: „Nein, das kann nicht sein. König Isenbuk… tot. Nur ein mächtiger Krieger, nein, eine ganze Armee, kann das gemacht haben.“ Neire hatte Umbari nach der Nachfolge von König Isenbuk befragt und der Tiefenzwerg hatte Königin Hulda genannt. In diesem Augenblick lächelte Neire Zussa an und sagte „Umbari, wollt nicht ihr König sein? Sehet, der Thron ist leer. Er ist wie gemacht für euch.“ Umbari schüttelte heftig den Kopf und antwortete: „Nein, mein Freund, ich spreche zwar ihre Sprache, aber sie würden mich nicht akzeptieren. Als Sklave, der ich einmal war. Ich bin zu klein, zu alt und zu schwach. Aber gebt mir bitte meine Waffe, meine Rüstung und meine Handschuhe. Bitte, mein Freund. Ich fürchte, wir müssen uns wappnen, gegen das, was dieses Unheil hier angerichtet hat.“ Zussa sah Neire nicken und der junge Priester zog Umbaris Kriegshammer hervor. Dann blickte Neire in ihre Richtung, doch Zussa wollte Umbaris Handschuhe nicht mehr ausziehen. Sie gaben ihr Kraft und sie fühlte sich unbesiegbar. Sie schüttelte den Kopf und hörte Neire antworten. „Nein Umbari, eure Handschuhe haben wir an Zussa verliehen.“ Zu ihrer Verwunderung sprach der Tiefenzwerg versöhnlich: „Ich verstehe mein Freund. Ohne meine Handschuhe kann ich meine Rüstung nicht mehr tragen. Das Alter hat mich schwach gemacht.“ Zussa verkniff sich das Lachen und schluckte ihre Beleidigung gegenüber Umbari hinunter. Sie hörte Neire weiter ausführen. „Ihr wollt wirklich nicht der König der Feuerriesen sein? Nicht einmal auf dem Thron sitzen? Nach allem, was ihr für sie getan habt?“ Umbari dachte nicht lange nach und nickte. „Wieso eigentlich nicht. Sie haben mir alles zu verdanken. Ihre Hallen und die Planung des Krieges. Wieso sollte ich nicht König sein, König für einen Augenblick.“ Zussa lachte laut auf und frohlockte. Sie ahnte das Spiel, das Neire vorhatte. Der Tiefenzwerg begann sich ungeschickt an dem großen Thron hinaufzuziehen. Das Schauspiel hatte bereits etwas grotesk Lächerliches. Zussa prustete und gackerte. Sie konnte sich nicht mehr halten und fühlte, wie sich ihre Bauchmuskeln verkrampften. Sie nahm die Umgebung, die Fleischberge von grausam verstümmelten, toten und verrottenden Leibern, kaum noch wahr. Sie stürmte Umbari hinterher und kletterte behände auf den Thron. Dort setzte sie sich auf eine Armlehne. Neire reichte Umbari den Kriegshammer, den der Tiefenzwerg nur feierlich neben sich aufstellte. Umbari blickte in die Ferne. In die Schatten der großen Säulen, die im Lichte der Gasfackeln flackerten. Zussa sah, dass Bargh auf die andere Seite des Thrones getreten war. Sie hörte die Stimme von Neire. „Sehet den neuen König, der den alten schwachen Göttern entsagt hat. Laduguer und Ghaunadaur kriechen im Staub vor seiner Herrschaft.“ Für einen Moment flackerten die Flammen der Fackeln stärker und die Schatten begannen sich zu bewegen. Zussa hörte Umbari flüstern. „Vorsicht mein Freund Neire. Man sollte die Götter nicht reizen, auch wenn ihnen unser Schicksal egal ist.“ Neire schien die Worte nicht zu hören und so lauschte Zussa dem Kind der Flamme, das seine dichterischen Verse vor dem Throne vortrug. „Nach alter Sitte wird ein König nicht geboren, sondern gemacht. Treu ergeben sind ihm seine Diener. Kupferne Krieger, Platinerne Priester und die Kinder der Flamme. Alle reihen sich ein in sein Opfer. Es ist die Werdung der Menschenschlange des reinen Blutes. Die Werdung und die Vereinigung mit der schwarzen Natter ist seine Bestimmung. Es ist die Essenz des inneren Auges, Jahrtausende alte Tradition von Nebelheim. Denn die schwarze Natter ist das Abbild unserer hohen Dame des abgrundtiefen Chaos.“ Neire pausierte für einen Moment und Zussa spürte die Traurigkeit in seinen Worten. Dann fuhr der Jüngling in seinem zischelnden Singsang fort. „Doch betrachtet, oh Yeer’Yuen’Ti, betrachtet. Die Menschenschlange ist des Blutes falsch, gar nicht mal Schlange sie ist.“ Neire wandte seinen Blick zu Bargh. „Oh, Meisterschnitter wartet nicht. Wisset ihr doch um die Werdung.“ Neire blickte jetzt sie an. „Oh, Kupferne Krieger schreitet voran. Mutig und allein sollet ihr euch ihnen in den Eishöhlen stellen.“ Für einen Augenblick dachte Zussa nach. Neires fordernder Blick verlangte etwas von ihr. Dann sah sie, dass Bargh die schattenblutende Klinge Glimringshert erhob. Sie ließ einen heulenden Schrei von sich. Jetzt wusste sie, was zu tun war. Sie mussten die Menschenschlange vorbereiten. Sie würden sehen, ob das Blute rein war, die Werdung zur Schlange erfolgreich. Neben ihr loderten die Flammen von Glimringshert auf und Funken stoben vom Stein der Armlehne. Bargh hatte seine Klinge herniedergerammt. Dorthin, wo Umbari seinen linken Arm auf die Lehne gelassen hatte. Der Tiefenzwerg ließ einen hellen Schrei von sich, als er seinen verstümmelten Arm hob. Blut spritzte aus dem Stumpen, der in der Hälfte des Unterarmes endete. Gierig zog Zussa ihren Säbel und begann auf Umbaris rechtes Bein zu hacken. Doch die Knochen waren zu dick. Sie spürte die Kraft der Handschuhe, aber es war nicht genug. „Neire, mein Freund, helft mir. Sie sind verrückt geworden. Helft mir Neire.“ Tränen rollten über die Wangen des Nachtzwerges, sein weißer langer Bart war bereits von feinen Bluttropfen bedeckt. Umbari klammerte sich an sein Schicksal, an seinen einzigen verbliebenen Freund. Er flehte Neire an. Genug Zeit für Zussa nach seinem Bein zu hacken. Noch ein, zwei Hiebe und sie hatte den Unterschenkel am Knie gelöst. Sie sah den Unterschenkel samt Stiefel in die Tiefe fallen. Umbaris Schreie erstarben langsam. Dann kam die dunkle Klinge von Bargh und fuhr durch den Schädel des Riesendieners. Barghs Schlag zermalmte den Oberkiefer und trennte Umbaris obere Schädelhälfte vom unteren Teil. Zussa ließ ihren Säbel fallen und griff nach Umbaris Schädelhälfte. Sie war schnell genug und bevor der Schädel zu Boden rollen konnte, drehte sie ihn um. Im Inneren schwappte rötliche Gehirnmasse. Zussa griff hinein und warf Gehirnstückchen in alle Richtungen. Als ob sie Anhänger segnen würde. Von unten hörte sie Neires Stimme. „Oh betrachtet, die Menschenschlange des falschen Blutes. Sie war keine Schlange, nicht würdig der Werdung.“ Zussa setzte sich jetzt neben Umbari und hielt den Schädel in die Höhe. Neben ihr sprühte Blut aus dem Stumpf, der Hälfte des einstigen Kopfes. Die Worte hatten Zussa angestachelt. Die Welt um sie herum versank in Blut. Sie wollte alles und jeden töten. Triel würde die nächste sein. Sie malte sich bereits aus, wie sie es tun würde, als sie schrie. „Schauet… jetzt bin ich die Königin. Umbari war falsch. Kriechet im Staub ihr Riesen. Kriechet zu euren schwachen Göttern.“

Bargh erinnerte sich zurück. Nachdem Zussa sich wieder beruhigt hatte, war das Mädchen hinabgeklettert und hatte Neire den Schädel von Umbari übergeben. Zussas Kopf und Oberkörper waren von einer frischen Schicht Blut überzogen, die ihr ein entfremdendes Aussehen verliehen hatten. Neire hatte beschlossen Runen aus Blut und Gehirn auf den Thron zu malen, die vor dem Verräter Umbari warnten. Im Wortlaut hatte es sich etwa wie - Dem Verräter an der Rasse der Feuerriesen, der für seinen Frevel bezahlen musste – gelesen. Dann hatten sie die Halle verlassen, hatten die noch immer verletzte Königin Hulda eingesammelt und waren in der verborgenen Schatzhalle des einstigen Königs verschwunden. Bargh hatte zuvor versucht, ihre Spuren vor den beiden Geheimtüren zu verwischen. Als sie Königin Hulda vom Tode Umbaris berichtet hatten, war ihre Verstimmung deutlich zu sehen gewesen. Die Königin hatte Umbari als ihren eigenen Sklaven, als wertvoll und klug bezeichnet. Nur als Neire Königin Hulda erzählt hatte, dass Umbari sie alle verraten hatte, hatte Hulda zustimmend genickt. Bargh hatte sich seinen Teil gedacht, bei der Reaktion Huldas. Wahrscheinlich hatten sie den Drahtzieher hinter dem militärischen Bestreben der verschiedenen Rassen der Riesen entdeckt. Zudem war Umbari wohl wirklich für die Konstruktion der Hallen von König Isenbuk verantwortlich gewesen. Nun, er hatte nicht dem richtigen Gott gedient, dachte sich Bargh. Er hielt den Tod Umbaris für eine natürliche und unabwendbare Folge dieser Gegebenheit. Wären sie nicht gekommen, um Umbari ein Ende zu bereiten, dann wäre es irgendwann ein anderer mächtiger Anhänger Jiarliraes gewesen. Bargh hatte während seiner Wache einige Zeit über diesen Gedanken gebrütet. Dann hatte er sich zur Ruhe begeben. Als er aufwachte, fühlte er sich ausgeruht und stark. Das Juwel aus dem schwarzen Handschuh, das er seit der Eroberung der Adlerfeste trug, beschleunigte die Heilung von Wunden auf wundersame Art und Weise. Er tastete, doch da war kein Schmerz. Die teils tiefen Schnitte hatten sich bereits geschlossen. Als Bargh gerade seine alten Verbände entfernt hatte, stand plötzlich Triel neben ihm und flüsterte leiste Worte. „Bargh, weckt die anderen. Ich habe tiefe Stimmen von oben gehört. Stimmen aus dem Thronraum.“ Bargh reagierte sofort. Er durfte nicht zögern. Er hatte bei Neires und Zussas Spiel mitgemacht, hatte sich treiben lassen. Ja, es hatte ihm Spaß bereitet, Umbari zu verstümmeln. Doch es war unvorsichtig und dumm gewesen. Der Nachtzwerg hatte aus voller Kehle seinen falschen Freund um Hilfe angefleht. Wer mochte das gehört haben? Bargh dachte an seine militärische Ausbildung zurück. Er hätte es nicht zu diesem Schauspiel kommen lassen sollen. Sie waren ja schließlich im Krieg hier. „Neire, Zussa, wacht auf. Stimmen von oben. Aus dem Thronraum.“ Zussa wurde langsam wach, doch Neire sprang bereits auf und hüllte sich in seinen Mantel. „Triel hat die Stimmen gehört“, fuhr Bargh fort und zeigte in Richtung der Dunkelelfin. Neire nickte und flüsterte ihm, sichtlich erregt, zu. „Wartet hier mit Zussa und macht euch bereit. Ich werde mit Triel nachschauen.“ Dann verschwand der junge Priester mit der Dunkelelfin in den Schatten der aufsteigenden Treppe. Lange musste Bargh nicht warten. Schon bald hörte er Neires flüsternde Stimme, wie aus dem Nichts neben sich. „Es sind fünf Riesen im Thronraum. Sie untersuchen den Leichnam von Umbari. Furcht und Grauen war in ihren Augen.“ Bargh spürte bereits die Anspannung und Kampfeslust, doch Neire wendete sich an Königin Hulda, die seit einiger Zeit erwacht war. „Kommt Königin Hulda. Folgt mir.“ Bargh, bemerkte, dass die Wunden von Hulda noch nicht verheilt waren. Der Königin ging es zwar etwas besser, doch sie zitterte noch. In der Dunkelheit konnte Hulda nichts sehen. „Bargh, wartet an der Ecke des oberen Tunnels mit Zussa. Hulda wird sie zu uns führen.“ Bargh nickte Neire zu, als der Jüngling mit der Königin über die Treppe verschwand. Langsam bewegte er sich hinauf, durchquerte den Gang und postierte sich an der geheimen Tür. Zussa folgte ihm, doch verlor keine Worte. Sie verharrten dort und eine Zeitlang lauschten sie dem beständigen dumpfen Vibrieren im Stein. Dann hörten sie hastige Stimmen und Gemurmel. Dann näherten sich Schritte. Plötzlich kam die riesenhafte Gestalt von Hulda um die Ecke. Bargh machte sich bereit. Als der erste Riese auftauchte griffen Bargh und Zussa ihn an. Die hintere Gestalt des zweiten Riesen wurde von Triel attackiert. Überrascht in der Dunkelheit, fielen die beiden Riesen schnell ihren Waffen zum Opfer. Aus der Ferne hörten sie ein hohes Summen, wie von Neires Magie. Bargh stürzte mit Zussa um die Ecke, wo sie drei weitere Riesen in den Tunnel eindringen sahen. Ein Kampf auf Leben und Tod entbrannte. Übermütig und von gackerndem Lachen stürmte Zussa an ihm vorbei. Sie brachten die erste Kreatur zu Fall, doch die zweite rammte ihr Schwert in Zussas Seite. Das kleine Mädchen wurde gegen die Wand gerammt als Knochen knackten. Zussa Lachen wandelte sich in ein Weinen, als sie sich humpelnd und nach Luft schnappend zurückzog. Die Wut trieb Bargh an und die Dunkelheit des Schwertes gab ihm Zuversicht. Neire wirkte seine Magie von der anderen Seite. Sie hatten die letzten beiden Riesen in die Zange genommen. Es gab keinen Ausweg für sie. Es wartete nur der Tod.
Titel: Sitzung 86 - Der Hinterhalt
Beitrag von: Jenseher am 14.11.2023 | 22:11
Neire legte vorsichtig den Arm um Zussas Schulter. Nachdem sie nach dem Kampf die Leichen in den Thronraum gezogen hatten und die Spuren – so gut es ging – beseitigt hatten, waren sie wieder hinabgekehrt in die geheime Schatzkammer König Isenbuks. In der Dunkelheit des Gemachs hatte sich Zussa leise fluchend und schluchzend in eine Ecke begeben und sich um ihre Wunden gekümmert. Das war Neire aufgefallen und so hatte er sich zu dem Mädchen gesetzt. Neben dem Geruch von frischem Blut, ging mittlerweile ein starker Schweißgeruch von Zussa aus. Neire biss die Zähne zusammen und tat, als würde er den Geruch nicht wahrnehmen. Er flüsterte ihr zischelnd zu: „Ihr habt tapfer gekämpft Zussa. Betet zu Jiarlirae, beschwört ein Wunder hervor. Auf dass sich Blut zu Blut, Fleisch zu Fleisch und Bein zu Bein verbinden soll.“ Neire erinnerte sich an ein altes Lied von Zaubersprüchen, das ähnliche Worte enthielt. Zussa nickte und ihr wehleidiges Flüstern endete für einen Augenblick. „Hier unten hört uns keiner. Ob ihr weint oder nicht, es macht keinen Unterschied.“ Jetzt stieß Zussa seinen Arm weg und blickte vorwurfsvoll auf. „Neire! Ich weine nicht. Sehe ich etwa aus wie ein kleines Mädchen?“ Neire verdrängte den schalkhaften Ausspruch, den er auf den Lippen hatte. Trotz ihres Alters – Zussa war vielleicht einen Winter älter als er – waren sie beide ja noch halbe Kinder. Neire zog das schwarze Zauberbuch hervor, das in seltsames Leder, fast wie eine Art Haut, gebunden war. Er erinnerte sich an den Ursprung des Buchs. Er erinnerte sich, dass Zussa und Bargh es von diesem falschen Raxivort aus jener Höllenwelt geborgen hatten. Ja, Zussa hatte einiges gesehen auf ihrer Reise mit Bargh, Halbohr und ihm. Neire schlug das Buch auf und bemerkte Zussas Aufmerksamkeit. „Ihr habt gekämpft in der Dunkelheit und das Schwert hat euch mehr aus Zufall getroffen“, sagte Neire während er wieder einen Arm um Zussas Schultern legte. Sie schien sich wieder beruhigt zu haben und atmete schwer. „Ja, Neire, sie hatten Glück und ich hatte Pech. Doch ich hasse sie. Ich hasse sie alle.“ Neire nickte langsam, bevor er sprach. „Heute ist ein großer Tag, Zussa. Ich spüre die Kräfte von Jiarlirae. Sie spricht wieder zu mir.“ Jetzt wirkte Zussa aufgeweckt und freundlich. „Sie spricht zu euch, Neire? Was hat euch gesagt.“ „Nun, sie sagte, wir sollen die Königin mitnehmen. Wir sollen sie hinabnehmen in die Tiefe.“ Neire spürte, dass Zussa mit dieser Antwort nicht zufrieden war. „Hulda mitnehmen, diese stinkende, hässliche Hexe? Wenn sie das gesagt hat…“ „Sie muss einen Grund gehabt haben und wir werden es sehen.“ Antwortete Neire. Zussa knirschte jetzt mit den Zähnen. „Und ich hatte mich so darauf gefreut die Königin zu töten.“ Sie wirkte jetzt fast etwas traurig. Neire hingegen deutete in Richtung Triel und ließ Zussa seinem Blick folgen. Die Dunkelelfin kniete an der Treppe und blickte hinauf in die Dunkelheit. Neire machte eine Geste, als wolle er eine Kehle durchschneiden. Dann nickte er Zussa zu. „Was haltet ihr davon Zussa?“ Das dürre Mädchen gab schenkte ihm ein tiefes, inniges Lächeln. Ihre weißen Zähne und ihre grünen Augen blitzten auf in ihrem blutverschmierten Gesicht. „Ich warte sehnlich darauf Neire. Ich kann es nicht abwarten.“

Eine lange Zeit war verstrichen. Sie hatten gerastet und gegessen. Nur Neire hatte ununterbrochen in seinen Büchern gelesen und gebetet. Die Königin hatte sich zu Neire gesetzt und ihn verwundert angestarrt. Das war dann über Stunden so gegangen. Doch schließlich waren sie aufgebrochen und hatten den geheimen Bereich verlassen. Auf dem Weg zur Treppe in die Tiefe waren sie in der Küche und an einem weiteren, noch unerforschten Gemach vorbeigekommen. In der Küche hatte sich Hulda über die Vorräte gestürzt. Ihre kleinen, dunklen Rattenaugen hatten gefunkelt, als die fünf Schritt große Riesin ihren hässlichen Schädel in eines der Wasserfässer getaucht und gierig getrunken hatte. Prustend und rülpsend hatte sie danach ihre verfilzen Haare zurückgeworfen. Der noch unerforschte Raum war – bis auf hastig verlassene Lager und wertlose Wohneinrichtung - leer gewesen. So waren sie die großen Stufen in die Tiefe hinabgestiegen. Neire hatte sich immer wieder flüsternd mit Königin Hulda unterhalten und ihr Anweisungen gegeben. Je tiefer sie nun kamen, desto heißer schien die Luft zu werden. Plötzlich tauchte vor ihnen Triel aus den Schatten auf. „Ich höre Stimmen. Sie sind dort, am Ende des Tunnels. Hinter einer Ecke.“ Triel zeigte in Richtung des Tunnels, an dem die Treppe endete. „Ich werde mit Hulda vorgehen. Wartet ihr hier auf mein Zeichen.“ Bargh nickte und sah wie Neire mit Hulda in die Dunkelheit verschwand. Alsbald war für ihn der Jüngling nicht mehr zu sehen. Nur der große Leib der hässlichen Königin wandelte dort. Bargh schaute sich um. Er war mit Zussa alleine. Um sie herum war das Licht des von Gasfackeln erhellten Gangs. Ein Dröhnen, wie ein tief frequentes Vibrieren, war von überall zu hören. Zussa war sichtlich nervös und blickte sich hastig um. Bargh wollte ihr gerade etwas zuflüstern, da hörte er Huldas bellende Stimme irgendwo aus dem Tunnel. Er konnte die Königin weder sehen noch verstehen, doch ihr Ton hörte sich bestimmend an. Es folgten Antworten, die durch die Dunkelheit zu hören waren. Gemurmelt und unterwürfig. Dann wieder das Bellen der Königin. Dann folgten Schritte und das Klingen von Metall. Murren und Stöhnen waren zu vernehmen. Als Bargh das Krachen einer elektrischen Entladung und den Donnerschlag durch den Felsen dringen hörte, rief er Zussa zu. „Jetzt, Zussa. Folgt mir und kämpft. Für Jiarlirae.“ Bargh setzte sich augenblicklich in Bewegung und nahm sein Schild. Die Dunkelheit war mit ihm. Er stürmte durch den Tunnel und vernahm eine weitere Entladung und den Schlag des Donners. Dann war er im Kampf. Eine grauenvolle Szenerie offenbarte sich vor ihm. Hulda war zurückgewichen. Ein Haufen Riesen stand dort, versammelt in einer kleinen Gruppe im Gewölbegang. Sie alle hatten ihre Waffen – auf Huldas Befehl – auf einen Haufen geworfen. Jetzt herrschte Chaos. Ein Gedränge, ein Fassen sowie ein aggressives Schnappen. Einige der noblen Krieger trugen bereits grauenvolle Narben. Von elektrisch verbranntem Fleisch und zerrissenen Sehnen. Die Übermacht, die sich dort versammelt hatte, war gewaltig. Bargh zählte vier zweiköpfige Unholde. Ähnlich derer, die sie bereits in Isenbuks Thronkammer bekämpft hatten. Doch da waren noch acht weitere Riesen. Diese Riesen waren von aschgrauer Haut und trugen teils rötliches, teils rot-blondes Haar. Ein Krieger offenbarte seinen muskulösen Oberkörper. Ein besonders hässliches Exemplar griff nach seiner gewaltigen Axt, in der ein roter Edelstein glühte. Bargh warf sich in den Kampf. Bevor er sein Schwert erheben konnte, entluden sich ein drittes Mal elektrische Blitze. Das Licht der Magie war tief schwarz, von Schatten und Antimaterie. Es ließ Bargh fast erblinden. Als er Glimringshert erhob vernahm er die Schreie. Mehrere Riesen waren bereits unter dem invertierten Feuer verbrannt. Das Grauen war allgegenwärtig. Der Axtträger neben ihm war zu Boden gesunken. Der Aufprall auf den Stein war so heftig gewesen, dass seine Zähne gesplittert waren. Weiter hinten brüllte ein jüngerer Riese in Schmerzen. Die elektrische Energie hatte seine Knöchel und Sehnen brechen lassen. Jetzt humpelte er auf Knien dahin. Bargh kämpfte verbissen und tapfer. Es ging um Leben und Tod. Die Gesänge der Gebete trieben ihn an. Ein meterlanges Schwert rammte in seine Seite, nahm ihm die Luft zum Atmen. Doch er riss den Schild wieder hoch und fällte den nächsten Gegner. Glrimringshert sang das hohe Lied seiner Göttin. Wo die Klinge sich entzündete, hinterließ sie zerhacktes, kauterisiertes Fleisch. Er drängte voran. Er stieg über die Leichen hinweg und er tötete. Er tötete, bis der letzte Riese fiel.

Bargh lachte auf. Für einen Augenblick ließ sich Neire ablenken, doch dann wendete der Jüngling wieder seinen Blick auf Hulda. Er musste sich eingestehen: Er hatte den Jungen ein weiteres Mal unterschätzt. Der erste Hinterhalt, den Neire mit Hulda den Riesen gestellt hatte, war in einem vollständigen und überwältigenden Sieg für sie geendet. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte Königin Hulda die Riesen nicht überredet ihre Waffen niederzulegen. Doch sie waren dumm und pflichtbewusst, diese Kreaturen. Sie hatten ihrer Königin gehorcht – ohne Wenn und Aber. Neire hatte ihm später erzählt, dass sie auf beiden Seiten des sich verzweigenden Tunnels gewartet hätten. In Kampfformationen und bewaffnet mit Steinbrocken. Nach ihrem Sieg war jedoch keine Zeit gewesen. Triel hatte Stimmen aus dem linken Tunnel gehört. So waren sie in Richtung der Stimmen geschritten. Die Königin hatte Neire vorangeführt. In einer fernen Wohnhöhle hatten sie das Stimmengemurmel und die Schreie von Kindern und Säuglingen gehört. Dort hatten sich ihnen ein letztes Aufgebot entgegengestellt. Zwei Riesen waren kleiner und von grobschlächtigen Gesichtern. Sie hatten Ähnlichkeiten zu den Riesen der Halle des Nomrus. Die verbleibenden fünf Verteidiger waren gerüstet und bewaffnet. Sie waren vom Volk König Isenbuks. Neire hatte Hulda weitere Worte zugeflüstert und die Königin hatte ihre Taktik wiederholt. Doch ohne Erfolg. So hatte Neire Worte der Magie beschworen und die Riesen verzaubert. Was folgte war ein Schauspiel, dass Bargh für sein Leben nicht vergessen würde. Die Riesen hatten sich angefallen und zerfleischt. Teils waren sie aber auch in eine unwirkliche Lethargie verfallen. Nur ihr Anführer hatte auf sie eingeschrien und sie zum Gehorsam ermahnt. Doch sie hatten nicht gehört und sich attackiert. Einer nach dem anderen. Der Anführer hatte schließlich begonnen selbst seine Untergebenen anzugreifen. Dann hatte ihn Bargh hinterrücks niedergemacht. Den letzten Riesen, der bereits geistlos in das Gemach gegangen war und dort mit seinem Speer einen Säugling aufgespießt hatte, hatte Bargh zuletzt getötet. Jetzt stand er neben Neire und Königin Hulda und atmete schwer. Neire flüsterte zischelnd Worte zu Hulda. Bargh blickte in die verängstigte Menge der Frauen und Kinder – eine Vielzahl von Augen im flackernden Zwielicht. Sie hatten ihre Köpfe gesenkt. Einige begannen sich niederzuknien, als ihre Königin zu ihnen sprach. Es waren Worte in der Riesensprache Huldas: „Ich bin gekommen euch zu befreien. Von den Verrätern. Die Verräter waren überall, aber jetzt sind sie tot. Sie haben dort oben alle erschlagen – die Krieger, Umbari und den König. Es ist eine Krankheit, Ratten und Ungeziefer, die zu uns gekommen sind. Doch wir haben diese Krankheit ausgemerzt. Jetzt fließt wieder unsere heilige Essenz durch diese Hallen. Der König ist tot, der Krieg vorbei. Doch ich bin gekommen, um über euch zu herrschen, um über euch zu richten. Flamme und Düsternis wandeln mit mir durch diese Hallen des Feuers. Ich bin Königin Hulda und ihr werdet mir folgen.“
Titel: Sitzung 87 - Der Zellentrakt
Beitrag von: Jenseher am 20.11.2023 | 13:11
Ständiges Dröhnen und Vibrieren des vulkanischen Untergrundes verdichteten die stickige Atmosphäre, die in der unterirdischen Säulenhalle durch die Vielzahl von kolossalen Körpern verursacht wurde. Nach dem grauenvollen Bild der noblen Riesen, die sich gegenseitig niedergemetzelt hatten, war eine Angst-geschwängerte Stille eingekehrt. Die letzten Worte Königin Huldas waren verhallt. Misstrauische Paare großer Augen glotzten in das flackernde Licht der Gasfackeln. Die Schatten, die die schwarzen Pfeiler warfen, tanzten unruhig. Dann trat die erste Gestalt heran und legte ihr matronenhaftes Verhalten ab. Die Riesin, mit der schwarzen Lederschürze beugte unterwürfig das Knie und zollte der Königin ihre Ehrerkennung. Weitere Frauen der Riesen folgten. Auch die jugendliche Brut der Riesen, die bereits eine Größe von über drei Schritten erreicht hatten und bewaffnet waren. Zudem die kindlichen Riesen, die bereits größer als Neire waren und sich wankend und ungeschickt bewegten. Sie alle beugten ihre Köpfe vor der Königin, in treuer Ehrerbietung. Nur einige der Frauen blickten immer wieder auf den noch blutenden Leichnam des Säuglings, der Größe eines erwachsenen Menschen. Ein Grauen war in ihren Augen zu sehen. Neire nutzte die sich entfaltende Szenerie und bewegte sich neben Königin Hulda. Er zitterte am ganzen Körper. Die Hervorrufung dunkler Magie hatte an seinen Kräften gezehrt. Der Jüngling blickte sich um. Obwohl er Kinder und Jugendliche unter den Riesen sah, kam er sich klein und schwach vor. Doch er wusste Königin Hulda auf seiner Seite. Neire raffte seinen Tarnmantel zurück und blickte zu Hulda hinauf. Ihr langes rötlich-orangenes, verfilztes Haar hing dort von ihrem Kopfe hinab. Ihr knöcherner Schädel offenbarte ihre Hässlichkeit, in dem spitz zusammenlaufenden Gesicht rattenartiger Augen. Hinabhängende Brüste quollen auf Bauchhöhe unter ihrem Lederwams hervor und sie humpelte aufgrund ihrer Beinwunden. Dennoch strahlte die Königin eine Art Erhabenheit aus, die auch ihr Gestank nach Schweiß und Alter nicht nehmen konnte. „Was habt ihr ihnen gesagt Königin Hulda?“ Neire zischelte die Worte und Hulda beugte ihren deformierten Kopf zu ihm hinab. „Freund, habe ihnen erzählt. Verrat. Doch sie wissen nichts, wissen nicht was passiert. Wer verraten hat. Verrat von vielen, Verrat von kleinem Mann unter den Bergen. Sie nicht verstehen, aber sie mir glauben. Sie fürchten ihren König, jetzt sie fürchten ihre Königin.“ Neire lächelte der Königin zu, bevor er seine Stimme erhob. „Ihr seid schlau Königin Hulda und sie sind dumm. Natürlich verstehen sie nichts vom Verrat. Sie verstehen nicht, wie ihr versteht.“ Die Königin grinste und offenbarte ihre fauligen Hauer. „Ja, Königin immer schlau. König war dumm und Königin sagen König was zu tun.“ Neire nickte, jedoch verschwand das Lächeln jetzt aus seinem verdreckten Gesicht. „Fragt sie ob es alle sind. Gibt es weitere Krieger, weitere Verräter? Gibt es andere Frauen und Kinder?“ Die Königin nickte und sprach Worte ihrer tiefen, fremden Sprache. Eine der Frauen antwortete ehrfürchtig. Dann sprach Hulda wieder zu ihm. „Einige Krieger gibt es. Weiter unten. Doch Frauen und Kinder alle hier. Königin Hulda selbst hat Frauen und Kinder weggeschickt. Vor langer Zeit. An sicheren Ort. Weggeschickt vor dem Krieg.“ Neire verstand und nickte. Er zischelte Hulda weitere Worte zu. Jetzt war seine Stimme freundlich, aber bestimmend. „Königin Hulda, kümmert euch um sie. Ihr müsst hierbleiben und ihr dürft diesen Ort nicht verlassen. Nicht so lange weitere Verräter sich hier aufhalten.“ Königin Hulda nickte und bewegte sich zu ihren Untertanen. In ihrer Erhabenheit zeigte sie mütterliche Gefühle, half einigen der Frauen auf und inspizierte freundlich einige der Kinder. Neire drehte sich um zu seinen Gefährten. Sie mussten weiter. Sie würden Hulda hier zurücklassen mit ihren Untergebenen.

Zussa sah Triel vor sich an der Türe horchen. Sie fragte sich, ob die Dunkelelfin sie nur warten lassen wollte oder wirklich so unfähig war. In ihren Gedanken malte sich Zussa bereits aus, wie Triel gegen Eclavdra kämpfen würde. Nachdem sie die unterirdische Halle der Frauen und Kinder nach Schätzen abgesucht hatten, waren sie durch weitere leere Gemächer geschritten. Einige der riesenhaften Räume hatten zu den Wachen gehört, die sie zuvor umgebracht hatten. Nachdem sie alle Habseligkeiten eingesammelt hatten, hatten sie den Wohnbereich verlassen und waren zu einer doppelflügeligen Türe gelangt. Dort hatte Zussa Triel auf Eclavdra angesprochen und versucht sie aufzustacheln. Zuerst war Triel auf ihre Provokation eines Zweikampfes eingegangen, doch dann hatte die Dunkelelfin aus ihrer überlegenen Erfahrung geantwortet. Das hatte die Wut in Zussa noch mehr entfacht. Schließlich hatte sich Bargh eingeschaltet und Triel zur Stille ermahnt. Insgeheim hatte Zussa aber weiter gekocht vor Hass. Ihre Gedanken hatten sich um die Ermordung von Triel gedreht. Nachdem sie hinter den Türen ein dunkles Mausoleum mitsamt Särgen geplündert hatten, waren sie weiter den Gängen gefolgt. Schließlich waren sie zu einem Zellentrakt gelangt, den sie dann untersucht hatten. Die Zellen waren größtenteils leer gewesen oder beherbergten längst verstorbene und zu Skeletten verweste Kreaturen. Nachdem sie eine verlassene Folterkammer entdeckt und durchsucht hatten, war Triel vor einer weiteren Zelle aufgeschreckt. Sie hatte gehorcht und dort Geräusche gehört. Eine Untersuchung der Zelle hatte eine große, muskulöse Kreatur offenbart, deren Körper von grünlichem Moos bewachsen war. Aus dem Maul eines knöchernen Gesichtes, mit schiefer, krummer Nase, war weißer Geifer geronnen und schwarze Augen hatten bewegungslos in die Leere geblickt. Sie hatten sich entschieden die Kreatur, die Zussa als Troll erkannt hatte, in der Zelle zu lassen. Aus einer weiteren Zelle war ihnen der penetrante Gestank von Verwesung und Fäkalien entgegengekommen. Dort hatten sie einen muskulösen, aber fettleibigen Riesen gesehen, dessen Arme von Ketten gehalten wurden. Zussa war fast übel geworden, als sie ihren Blick vom dümmlichen Schädel der Kreatur über seinen Körper hatte gleiten lassen. Neben fauligen Wunden hatte sie das enorme Geschlechtsteil bemerkt, das rottend zwischen seinen Beinen hinabhing. Sie hatten die Türe wieder verschlossen und standen jetzt vor einer weiteren Zelle. Plötzlich drehte sich Triel um und hielt ihren Finger auf ihre Lippen. Sie musste etwas gehört haben. Triel begann leise den Riegel zurückzuschieben und die Türe zu öffnen. Dahinter offenbarte sich ein spärlicher Raum mit einer Tafel und einer Sitzbank. Das Licht von Gasfackeln drang ihnen entgegen. Auf der Tafel waren Humpen zu sehen, von denen einige kleiner waren. Auch standen im Raum einige Fässer. Vorsichtig bewegte sich Bargh voran und sie begannen mit der Durchsuchung. Sie wurden schnell fündig, als Neire auf ein geheimes Fach im Stein der Wand stieß. Die weitere Durchsuchung offenbarte auch die Quelle des Geräuschs, das Triel gehört hatte. Neire öffnete eine Geheimtüre, hinter der ein kleiner Tunnel in die Dunkelheit führte. Augenblicklich erstarrte Zussa, als sie in dem entfernten Licht einer natürlichen Höhle drei Gestalten sah, die durch den Tunnel in ihre Richtung blickten. Sie waren allesamt menschengroß, männlich sowie hager und dürr. Gekleidet in Lumpen, hatten zwei Dolche und einer ein Kurzschwert gezogen. Die Haut ihrer Gesichter war eingefallen und hier und dort von alten Pockennarben gezeichnet. Jetzt hörte sie die Stimme aus der Höhle, in der Angst mitschwang. „Keine Gefahr, keine Gefahr“, waren die Worte, die einen merkwürdigen, Zussa nicht bekannten Akzent trugen. Sie sah plötzlich Neire neben sich auftauchen, als der Jüngling die Kapuze seines Tarnumhangs zurückzog. „Keine Gefahr“, antwortete er. „Keine Gefahr, wir nur Sklaven.“ Die Gestalt mit dem Kurzschwert hatte wieder ihre Stimme erhoben, doch es war, als müsse sie nach den richtigen Worten suchen. Neire sprach wieder zu den Gestalten und machte einen Schritt in den Tunnel hinein. „Wir sind auch nur Sklaven. Wie Umbari. Auch von uns geht keine Gefahr aus.“ Zussa musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie an Umbari und seinen Thron zurückdachte. „Ja, wir Sklaven, wie Umbari.“ Einen Augenblick herrschte Stille, dann drehte sich Neire lächelnd zu ihr um. In seinen Augen war ein rötliches Glühen zu sehen. Die drei Gestalten steckten ihre Waffen weg und entspannten sich sichtlich. Zussa folgte Neire in das Licht der natürlichen Höhle. Sie sah dort einige schwarze Truhen und die Öffnung eines kleinen Ganges, der in die dunkle Tiefe führte. „Wer seid ihr und wem dient ihr wirklich?“ Neire blickte immer wieder zu ihr hinüber während er sprach. Hinter sich hörte Zussa die Schritte von Bargh näherkommen. „Wir dienen König Isenbuk, wir dienen nicht gerne, aber wir dienen.“ „Und woher kommt ihr?“ „Aus dem Unteren, dort. Ewige Nacht… aus großen Höhlen.“ Der Anführer mit den braunen kurzen, fettigen Haaren zeigte auf den Tunnel. Zussa bemerkte, dass seine Fingernägel zu Krallen gewachsen waren. „Was ist eure Aufgabe hier?“ Neire fuhr mit der Befragung fort. „Bewachen Zellen, kümmern uns… um Zellen. Doch jetzt alle Riesen weg. Bewachen auch den Weg. In untere Höhlen.“ Wieder zeigte er auf den Tunnel. „Sagt, mein Freund, was sind eure Namen?“ „Ja, ihr Freund, guter Freund. Ich Braunig.“ Das Lächeln offenbarte faulige spitze Zähne. Dann zeigte Braunig auf seine Kameraden. „Das Kettra und das Grimta.“ Beide nickten, als ihre Namen genannt wurde und antworteten. „Wir Freunde, gute Freunde.“ „Ja, ihr alle seid meine Freunde, Braunig, Kettra und Grimta. Doch die Fragerei langweilt mich. Wollen wir nicht ein Spiel spielen? Ein Spiel mit meiner Freundin hier, die auch eure gute Freundin ist?“ Wieder blickte sie Neire lächelnd an. Was er nur nun wieder vorhatte, dachte sich Zussa. „Das Spiel geht so… meine Freundin Zussa stellt euch eine Frage, die ihr wahrheitsgemäß beantworten müsst. Ihr müsst nur die Wahrheit sagen und Fragen Folge leisten.“ Zussa spürte, dass sie wütend wurde. „Was ist das für ein langweiliges Spiel Neire. Könnt ihr euch nicht etwas Besseres einfallen lassen? Also gut… dann sagt… Könnt ihr euch gegenseitig aufessen?“ Für einen Moment gefiel Zussa das Spiel und sie erwartete, dass die Gestalten sich nun gegenseitig auffressen würden. Die Antwort machte sie aber noch wütender. „Ja, Freund, auffressen. Doch wir Freunde, wir Sklaven. Essen von Isenbuk. Nicht auffressen, andere.“ „Da seht ihr es Neire. Ein langweiliges Spiel. Nicht einmal auffressen können sie sich gegenseitig… pah!“ Zussa stampfte mit einem Bein auf den Felsen, um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen. Hinter sich hörte sie Bargh lachen, was ihre Wut nicht minderte. „Nun, dann werde ich das Spiel fortsetzen Zussa. Mein Freund… könnt ihr mir zeigen was passiert, wenn ihr alle einen Tropfen des Rauschmittels nehmt, das sich in dem Gefäß befindet. Braunig, Kettra und Grimta… könnt ihr drei mir das zeigen?“ Zussa sah Angst in den Gesichtern der Fremden. Dann antwortete Braunig. „Freund… es Gift sein, es zerstören Geist. Von Dunkelelfen gemacht. Doch wir können. Nur ein Tropfen, dann kein Gift. Dann wie Rausch.“ Neire nickte und die Gestalten folgten ihm in den Raum. Dort nahmen sie behutsam alle einen Tropfen aus dem Gefäß und verrieben ihn auf ihrem Zahnfleisch unter ihrer Oberlippe. Alsbald wurden die Blicke von Braunig, Kettra und Grimta glasig, Geifer rann aus ihren Mündern und sie waren nicht mehr ansprechbar. Es schwante Zussa, dass sie das Spiel verloren hatte. Hätte sie doch ihre Frage anders gestellt. „Seht ihr Zussa?“ sprach Neire triumphierend. „Ihr müsset sie nur fragen und Dinge werden geschehen. Also, was wollen wir nun mit ihnen machen, mein Kind.“ Wieder waren da die Wut und der Hass. Sie wollte die Gestalten aufschlitzen. Dann erinnerte sie sich zurück an die natürliche Höhle mit dem Amboss und dem Magmastrom, der dort in einem Riss im Gestein zu sehen gewesen war. Zussa lachte laut auf, als sie Neire antwortete. „Ich bin kein Kind mehr Neire. Ich bin älter als ihr es seid. Merkt euch das, ein für alle Mal! Schön, was sollten wir also tun, natürlich…bei Jiarlirae, wir opfern sie! Wir übergeben sie dem Feuerstrom unserer Göttin.“
Titel: Sitzung 88 - Im Tempel des Ghaunadaur
Beitrag von: Jenseher am 26.11.2023 | 23:40
Neire versuchte die Gestalten nicht mehr anzublicken. Braunig, Kettra und Grimta waren nicht mehr ansprechbar und ihre Geister verweilten in einer anderen Welt. Ihr Bewusstsein ersuchte auf anderen Ebenen der Existenz um Erlösung. Neire konnte ihre Anwesenheit nicht mehr ertragen. Die dürren menschlichen Kreaturen waren in Lumpen gekleidet. Dunkle, fettige, borstenartige Haare bedeckten ihre eingefallenen Gesichter. Glasige Augen starrten ins Nirgendwo. Ein Zucken ihrer Mundwinkel erinnerte an Wesenszüge niederer Nager. So soll Zussa mit dem Spiel weiter fortfahren. Sie hat es sich verdient. Sie hat tapfer an unserer Seite gekämpft und den Ruhm von Jiarlirae gemehrt. Soll sie doch weitermachen. Neires Gedanken drehten sich um ihr weiteres Vorgehen. Sie waren mit den berauschten Kreaturen aufgebrochen. Bargh hatte Kettra und Grimta vor sich her gedrückt, während er sich um Braunig gekümmert hatte. Jetzt sah Neire das rötliche Glühen der natürlichen Höhle. Hinter dem Amboss und einem steinernen Tisch war die Felskante zu sehen. Dort ging es in die Tiefe - dort war das brodelnde Magma. Für einen Augenblick dachte Neire an Nebelheim; dann verdrängte er die Gedanken. Er drückte Braunig weiter nach vorne. Die Gestalt stolperte mit torkelnden Schritten durch die riesige Höhle. Die Luft war brennend. Da war der Geruch von Schwefel und flüssigem Stein. Je näher sie an die Kante kamen, desto wärmer wurde es. Die Zuckungen in den Gesichtern seiner drei neuen Freunde nahmen zu. Ihre Haut verfärbte sich rot, als ob sie einen Tag im sengenden Licht der Sommersonne verbracht hätten. Doch die Kreaturen schienen nichts mehr zu spüren. Als sie an dem Abgrund angekommen waren, nickte er Zussa zu. „Jetzt ist es an euch, Priesterin von Jiarlirae. Ihr müsst die Worte sprechen. Ihr müsst sie unserer Herrin übergeben.“ Zussa nickte und lachte. Dann war es so, als ob sie ihre Jugendlichkeit ablegen wollte. Ihr Lachen erstarb und sie starrte mit ernster Miene in Flammen und Düsternis. Neire spürte, dass Zussa nach Worten suchte. „Seht ihr es? Neire, Bargh! Dort… die Flammen, die Schatten.“ Zussa starrte in das blubbernde Magma. Sie wendete sich Braunig, Kettra und Grimta zu und begann liebevoll über ihre Gesichter zu streicheln. Neire folgte gebannt ihren Bewegungen in freudiger Erwartung ihrer Gebete. „Ihr… ihr werdet leider den Wert eurer Hingabe nicht verstehen. Doch ihr sollt das Feuer unserer Herrin nähren. Mit euren Körpern, eurem Fleisch und euren Seelen sollt ihr Jiarlirae dienen.“ Neire und Bargh sprachen die Worte von Zussa nach. Ein zufriedenes Lächeln stellte sich auf ihrem Gesicht ein. „Ja, es ist dort. Ich sehe es. Schatten, die sich mit den Flammen vermengen. Ihr werdet in die Schatten hinabströmen, als dass sie diese Welt verbrennen werden.“ Zussa nahm Kettra und führte ihn zum Abgrund. Seine großen Augen starrten in die Tiefe. Zuckungen seiner Mundwinkel ließen seinen Rauschzustand erahnen. Zussa gab ihm einen kleinen Stoß und er stürzte hinab. Mit einem Flatschen tauchte der schwache Körper in die Lava. Doch ein Schreien war anfangs nicht zu hören. Kettras Körper begann sich zu winden, in den weißlich glühenden Fluten. Sein Gesicht begann sich zu wandeln und die Züge einer monströsen Ratte anzunehmen. In seinem Todesschrei wurde er von den Flammen heimgesucht. Jetzt frohlockte auch Neire. Seit seiner Flucht aus Nebelheim hatte der Jüngling nicht mehr solche Flammenopfer gesehen. Er wendete sich Zussa zu und stimmte in ihr Gebet ein. Dort wo der Körper in den Fluten verschwunden war, hatte sich eine Fläche weißlich schimmernder Lava gebildet. „Seid ihr bereit, ihr Kleinen? Seid ihr bereit als Nahrung zu dienen? Gewillt der Flammen williges Fleisch zu sein?“ Zussas Stimme überschlug sich, als sie zu Grimta trat. Neire stimmte in ihren Jubel ein und versuchte die Schreie von Kettra nachzuahmen. Als die Gestalt keine Reaktion zeigte trat Neire heran und erhob den Arm von Kettra. „Ja ich bin bereit. Ja ich möchte der höchsten Göttin als Nahrung dienen.“ Neire versuchte den Akzent der Kreatur nachahmen, als er für sie sprach. Jetzt trat Zussa hinter Kettra und stieß ihm ihr Knie in die Kniekehle. Kettra kam aus dem Gleichgewicht und begann zu schwanken. Doch der Rausch war stärker als jede Vernunft. Die Kreatur versuchte sich nicht zu fangen. Er stürzte hinab in die feurigen Fluten. Sie stimmten ein in die Gesänge von Zussa. Mit dem Tod von Braunig war das Ritual an seinem Höhepunkt angelangt. Neire frohlockte, als er seine Begleiter anschaute. Er dachte an Nebelheim. Zussa musste wahrlich die Gunst der Göttin erwirkt haben. Was sollte sie jetzt noch aufhalten?

Das Ritual hatte Zussa Kraft gegeben. Sie hatte ihre Göttin gespürt, als sie die Seelen der Kreaturen den Flammen übergeben hatte. Jeder Schmerzensschrei hatte ihr Freude bereitet. Allerdings waren die Flammen viel zu heiß gewesen und das Leiden von Braunig, Kettra und Grimta viel zu kurz. Nein, sie hatte keinen Moment gezweifelt. Auch als der Riese sie im Kampf verletzt hatte. Ihre Göttin war mit ihr und vielleicht waren die Schmerzen, die sie im Kampf erlitten hatte, Teil einer Werdung. Zussa erinnerte sich an Neires Worte zurück, die er während ihrer letzten Rast gesprochen hatte. Sie biss die Zähne zusammen und verdrängte die Gedanken an den Tod. Ich muss nur an SIE glauben, dann wird mir nichts passieren. Ich muss nur alle anderen verbrennen oder aufschlitzen, bevor sie es tun. Dann wird mir nichts passieren. Jiarlirae, oh Jiarlirae, so hilf mir. Gib mir Macht, damit ich meine Feinde vernichten kann. Zussa wiederholte die Gedanken wie Gebete. Sie musste jetzt stark sein. Was würde sie erwarten? Nach ihrem Opferritual hatten sie weitere Zellen durchsucht. Sie hatten zwar keine Gefangenen gefunden, doch in einer Zelle hatte Bargh frische Spuren entdeckt, die dort hinausführten. Eine Untersuchung der dem Eingang gegenüberliegenden Wand hatte eine illusionäre Türe offenbart. Nach der Entdeckung waren sie sofort in ein Schweigen verfallen und hatten das Portal mit gezogenen Waffen durchquert. Auf der anderen Seite waren sie in ein nobles Gemach gelangt, das mit schwarzen Seidenvorhängen ausgestattet war. Im Lichte immerbrennender Kerzen hatten sie goldene Stickereien betrachtet, welche die Seidenvorhänge bedeckten. Szenen von gruppenartigen Liebesakten waren dort detailliert dargestellt, die Zussa in dieser Form noch nicht gesehen hatte. Geekelt und doch fasziniert betrachtete sie die Orgien von schlanken, hübschen Elfen. Doch riss sie Neire aus ihren Gedanken. Der junge Priester war plötzlich neben dem gegenüberliegenden Vorhang zu sehen gewesen. Neire hatte auf den Vorhang gezeigt und die Geste eines Schnittes über seinen Hals gemacht. Triel war daraufhin zum Vorhang geschritten und hatte diesen zurückgezogen. Im Lichte eines weiteren Raumes hatte Zussa hinter dem Vorhang eine Gestalt gesehen. Gehüllt in ein Kettenhemd, trug der Dunkelelf eine Peitsche, aus der sich drei Tentakel wanden. Langes weißes Haar und äscherne Haut kennzeichneten seinen Kopf. Sein hübsches Gesicht war verzerrt von Hass. Zussa kannte die Tentakelpeitsche als Waffe des schwachen Gottes. Die Peitsche selber war lebendig, vielleicht eine niedere Essenz von Ghaunadaur. Sie mussten den Dunkelelfen töten. Als Zussa sich nach vorn bewegte, wurde die Luft von einer Explosion zerrissen. Hals und Brustkorb des Dunkelelfen wurden durch rötliche Schattengeschosse zerfetzt. Er starb sofort. Dann sah sie Bargh in Richtung des Raumes laufen. Er verschwand hinter dem Vorhang. Zu hören war nur ein gurgelnder Aufschrei. Zussa stürmte in die Sichtsperre und sah, dass Bargh über einer weiteren Leiche thronte. Sie dachte zurück an das Ritual. Ihre Göttin würde mit ihnen sein. Jiarlirae hatte sie geschickt in diese Verliese, da war sich Zussa jetzt sicher.

Sie hatten nach dem Kampf die Gemächer der Dunkelelfen durchsucht. Die Gewölbe hatten sich dabei als luxuriös eingerichtete Gemächer der Priester herausgestellt. Bargh hatte zudem bestätigt, dass einer der Priester - vielleicht die Dunkelelfin Eclavdra - die Räume vor kurzem verlassen hatte. Das hatte sie bei ihrer Durchsuchung besonders vorsichtig sein lassen. Neben einigen Schätzen hatten sie ein schweres Buch in einem schwarzen Ledereinband gefunden. Eine kurze Untersuchung hatte gezeigt, dass es sich bei dem Wälzer um geheime Anweisungen eines Opferrituals Ghaunadaurs gehandelt hatte. Es war dort zu lesen gewesen, dass nach Befolgung bestimmter Darreichungen sowie dem Spiel von Instrumenten, eine höher entwickelte Kreatur auf einem bestimmten Altar geopfert werden musste. Dann hatte das Buch die Erfüllung aller Wünsche für den Günstling Ghaunadaurs versprochen. Nachdem sie das Buch mitsamt der Tentakelpeitschen im Magmafeuer vernichtet hatten, hatten sie die weiteren Zellen durchsucht. Sie hatten keine weiteren Gefangenen gefunden. Als sie dann nach der letzten Gefängniskammer durch den Tunnel zurückkehren wollten, hatte Bargh Neire auf einen bestimmten Bereich der Wand aufmerksam gemacht, der eine Beschaffenheit ähnlich der illusionären Tür in der Zelle hatte. Triel hatte die Wand nach Fallen untersucht und war dann durch den Stein verschwunden. Nach kurzer Zeit war die Dunkelelfin plötzlich wieder aufgetaucht - mit einem besorgten Gesicht. „Neire, hört her. Hinter der Wand droht keine direkte Gefahr, doch es ein seltsamer Ort. Eine riesige Halle, die dort liegt. Farben in allen Variationen betören die Sinne.“ Gerade, als Neire etwas antworten wollte, erhob Bargh seine Stimme und schritt durch die Wand. „Ich werde mir das anschauen, ich spüre etwas, wie ein fernes Rufen. Folgt mir!“ Auch Neire spürte ein Verlangen, tief in ihm. Doch er merkte, wie sein Herz raste vor Angst. Kurz blickte er in Richtung Zussa und Triel und nickte ihnen zu. Dann verschwand er durch den intransparenten, luftigen Stein. Auf der anderen Seite angekommen, änderte sich seine Stimmung. Neire sah Bargh vor sich und dahinter einen Saal immenser Größe, der selbst die Architekturen der Riesen verspottete. Die unterirdische Halle war etwa hundert Schritte lang und von einem verborgenen, düsteren Licht erhellt, das von überall und nirgends kam. Wie ein wandelnder, wirbelnder Nebel veränderte das Licht seine Farben und erzeugte so ein Meer von Farbtönen des Regenbogens. Augenblicklich fühlte Neire, dass sich sein Verlangen in Hass umwandelte. Das Trugbild Ghaunadaurs war ein Frevel an Flamme und Düsternis. Seine Herrin stand unendlich weit über dieser niederen Gottheit. Auch Bargh schien diesen Hass zu spüren, denn sein Begleiter setzte sich bereits in Bewegung. Wie in einem Wutrausch folgte Neire Bargh. Er hatte keine Augen für die glänzenden Säulen der Halle, keinen Blick für das kostbare Obsidiangestein. Fast wie in einer Trance nahm er die Vorhänge eines Säulenbereichs wahr. Nur unterbewusst bemerkte er die Szenen, die verschiedene menschenartige Kreaturen darstellten, die sich, wie in einer Art Prozession, zu Schleimen und Tentakeln bewegten. Neire hatte keine Muße zu grübeln, ob die Kreaturen sich Schleimen und Tentakeln opferten oder ob sie sich selbst zu diesen wandelten. Neire blickte hasserfüllt auf das, was Bargh und ihn antrieb. Am Ende der Halle sah er ein Podest aus drei Steinringen. Jeder Ring hatte eine andere Farbe – von schwarzem bis grauem Marmor, durchzogen von violetten Venen. Die gegenüberliegende Wand war aus purpurnem Stein. In den Steinringen waren verschiedene Gegenstände zu sehen. Neire erkannte kostbare Kerzenhalter, ein silbernes Glockenspiel langer Röhren, Kessel glühender Kohlen und eine große Trommel. Die Wut in ihm entfachte jedoch der Altar, der sich dort in den Steinringen befand. Wie aus porösem, rostbefleckten Gestein, waren dort Szenen der Opferung zu sehen. Fleischopferungen intelligenter Wesen zur Nährung des niederen Schleim- und Tentakelgottes. Der Altar stellte eine Blasphemie gegen Flamme und Düsternis dar. Neire kämpfte gegen die Schmerzen an, die der Anblick des Opfersteines bei ihm verursachte. Es war, als wollte das riesige purpurne Auge, dass dort in den Stein der Kopfwand eingelassen war, ihn schwächen. Dann sah er, dass Bargh bereits am Altar angekommen war. Der unheilige Krieger, in düsterhafte Schatten gehüllt, hob Glimringshert und stieß die Schattenklinge in den Opferstein. Neire hörte die donnernden Worte des unheiligen Kriegers, bevor die Flammen des Schwertes den Stein berührten. „Jiarlirae thront über allem. Wer, zur Hölle, ist mehr als sie?“ Neire spürte, dass er wie von selbst begann die Worte der schwarzen Kunst zu wirken. Er entfesselte einen mächtigen Zauberspruch. Dann hörte er das Knirschen und Knacken von Stein. Barghs Klinge war nur ein stückweit in den Altar gedrungen. Der gefallene Paladin hob erneut das heilige Schattenschwert. Neire konzentrierte sich auf seine Kunst, doch er bemerkte, dass der Altar begann durchsichtig zu werden. Tentakel bildeten sich auf der Oberfläche. Es war, als ob etwas im Stein zum Leben erweckt worden war. War durch die mittlerweile schwarze Färbung des Felses der violette Schimmer eines Auges zu sehen? Drei weitere Male fuhr das Geräusch von knirschendem Stahl durch Mark und Bein, als Bargh sein Schwert zum Angriff führte. Mit dem dritten Schlag wirkte Neire seine Magie. Ein kleiner rötlicher Strahl verließ seine Hand und brachte die tödliche Macht von Flamme und Düsternis. Der Strahl drang tief in die Risse, die Bargh geschlagen hatte. Dann explodierte der Fels und mit ihm das purpurne innere Glühen. Neire duckte sich unter den hinabprasselnden Steinbrocken. Als er sich wieder aufrichtete, rann schwarzes, schweres Blut aus dem Trümmerhaufen. Augenblicklich kehrte Dunkelheit in der Tempelhalle ein. Die Essenz des schwachen Gottes hatte diese Welt verlassen. Neire schritt in Richtung seines Gefährten, der nun über dem blutenden Haufen toten Gesteins stand. Der dunkle, zweieinhalb Schritt große Krieger streckte sein Schwert in die Höhe, von dem eine orangene, schattenhafte Flamme brannte. Der Rubin, der Barghs rechtes Auge ausfüllte, schimmerte, als ob er selbst, erhellt von einem inneren Feuer, lodern würde. Neire verbeugte seinen Kopf vor Bargh. Langsam spürte er die Schmerzen der Steinsplitter, die sich in die Haut seines Halses gebohrt hatten. „Bargh, mein Bruder. Wahrlich, ihr tragt die Fackel des Hasses voran in Feindesland. Dort wo die Flamme unserer Göttin brennt, werden sich ihre Schatten für immer verbreiten.“ Bargh nickte ihm zu. „Die Kraft unserer Göttin ist auf unserer Seite, die drei Seelen Zussas Opferung haben uns stark gemacht. Wir marschieren in Jiarliraes Krieg. Wir marschieren auf der Schattenseite der ewigen Dunkelheit.“ Jetzt schritt Neire durch die Blutrinnsale auf den Steinhaufen. Hinter sich hörte er Zussas Stimme. „Ihr habt Recht Bargh. Jiarlirae ist auf unserer Seite.“ Der dunkle Krieger hielt Glimringshert in die Höhe und blickte in die Ferne. „Ich widme diese Tat dem Henker der letzten Einöde. Sehr ihr es? Seht ihr es Henker!“ Für einen Augenblick war es Neire, als würde er wieder die Klinge der Axt sehen; wie er sie einst in dem Sternenlicht über den abgetrennten Schädeln sah. Dann knieten sie sich nieder, errichteten den Kreis der drei Fackeln und beteten. Sie beteten in Richtung Nebelheim. Sie beteten in den blutenden Trümmern des Altars eines schwachen Gottes.
Titel: Sitzung 89 - Die Höhlen unter dem Tempel
Beitrag von: Jenseher am 1.12.2023 | 23:05
Sie genossen die Dunkelheit und die Erleichterung, als sie triumphierend auf den blutenden Steintrümmern des Altars standen. Das Farbenspiel Ghaunadaurs war zusammengebrochen. In ihnen war das Gefühl des Unwohlseins einer Freude gewichen. Neire und Triel unterhielten sich noch eine Zeit über die vernichtete Essenz des Gottes Ghaunadaur. Die Dunkelelfin verabscheute ihre Artgenossen, die den schwachen Gott der Schlicke und Schleime angebeteten. Auch Neire blickte herab auf die Schlammverehrer, doch er hob hervor, dass Schlamm aus den Elementen Wasser und Erde bestand. In der Vereinigung dieser beiden, oftmals harmlosen Elemente entstand der Matsch, der neue Gefahren barg. Für Neire war damit das Geheimnis des Gottes bereits gelüftet. Nur Zussa nahm nicht am Gespräch teil, sondern wiederholte hasserfüllte Verwünschungen gegen Ghaunadaur, als sie Stücke des porösen Gesteins des Altares zertrat. Sie verließen den Tempel und wendeten sich den verbleibenden, noch unerkundeten Gängen dieser Ebene zu. Hinter einer doppelflügeligen Türe führte ein großer Tunnel hinab, den sie nicht weiter beachteten. Sie fanden zwei weitere unterirdische Hallen, die mit Wohneinrichtung für Riesen versehen, jedoch bereits verlassen waren. Als Bargh beide Gemächer nach Spuren absuchte, fand er frische, etwa einen Tag alte, Abdrücke von Stiefeln. Die Stiefelabdrücke waren allerdings größer als die der Feuerriesen und so vermuteten sie Gemächer von verbündeten Riesen. Vielleicht hatten die Riesen die Festung König Isenbuks verlassen, nachdem sie von ihrem Angriff gehört hatten. Vielleicht war es passiert als sie in der geheimen Schatzkammer des Königs geruht hatten. Nachdem sie die Gemächer abgesucht hatten, nahmen sie den noch letzten unerforschten Gang und bemerkten, dass dieser schon bald an einer doppelflügeligen Eisentüre endete. Das Portal war mit drei mächtigen Riegeln gesichert, die nur von ihrer Seite entfernt werden konnten. Triel horchte an der Tür und berichtete ihnen von schmatzenden und fauchenden Geräuschen. Bargh ließ sie daraufhin zurücktreten und entfernte die drei Riegel. Er flüsterte dabei die Worte: „Drei Riegel und eine mächtige Türe. Es scheint mir, als wollten sie etwas dahinter einsperren.“ Nachdem der unheilige Krieger die Scharniere an die Wand des Tunnels gelehnt hatte, begann er langsam einen der Türflügel zu öffnen. Ihnen allen strömte ein fauliger Gestank von Stroh, Fleisch und Müll sowie von Fäkalien entgegen. Der Blick offenbarte sich ihnen auf Höhlen, die in Dunkelheit gehüllt waren. In dem Restlicht der Gasfackeln, das aus ihrem Gang in die Dunkelheit drang, konnten sie Kreaturen erkennen, die sich um einen Müllberg versammelt hatten. Um sie herum glänzte weißlicher Schimmel, Knochen und Fleischreste. Die Kreaturen waren abgemagert und von gekrümmter Haltung. Ihre Gesichter waren knöchern und von Unförmigkeiten, wie gekrümmten Nasen, gezeichnet. Ihre Körper waren teils von Moos und von Schimmel bewachsen. Sie fauchten sich gegenseitig an – ihre schwarzen Augen funkelten in der Dunkelheit. Sie drehten sich langsam in das Licht, ließen voneinander ab und begannen zu Schnüffeln. Dann setzten sie sich in Bewegung und stürmten, getrieben von einem fortgeschrittenen Wahnsinn und dem Hunger nach Fleisch, auf sie zu. Kurz bevor der erste Troll Bargh erreichte, durchschnitt ein Kegel von Feuer die Luft. Neire hatte seinen Spruch gewirkt und neun der Gestalten verbrannten in den hellen Magmaflammen. Zurück blieben verkohlte Leiber über die sich die nächsten Trolle hinwegbewegen. Als weitere Kreaturen Bargh erreichten, ließ der Krieger sein Schwert niedersausen. Zussas Blitze zuckten durch Höhle und brachten weitere Trolle zu Fall. Mit vereinten Kräften töteten sie auch die letzte der anstürmenden Bestien. Sie wussten, dass sich die Wunden derjenigen Trolle, die nicht von Feuer getötet wurden, wieder verschließen würden. Also entzündete Neire eine Fackel und begann die Leiber zu verbrennen. Mit einem Zucken starb auch der letzte der Trolle. Eine genauere Untersuchung zeigte Folterspuren bei allen Trollen. Anscheinend waren sie von den Riesen oder den Dunkelelfen malträtiert, ihr Geist in die Verrücktheit getrieben worden. Sie durchsuchten noch die sich anschließenden Höhlen, in denen sie jedoch keine Wertgegenstände fanden. Dann machten sie sich auf, um den Geheimgang im Gemach von Braunig, Kettra und Grimmta zu benutzen. Ihr Weg würde sie in die Tiefen unter dem Tempel führen.

Vor sich sah Zussa lautlos die falsche Tür aufgleiten. Sie waren zuvor dem engen Steintunnel gefolgt, der sie weiter in die Tiefe geführt hatte. Irgendwann hatten sie das Ende des Ganges erreicht, in dem sie die Türe gesehen hatten, die den natürlichen Stein imitierte und in ihre Richtung auf eisernen Rollen gelagert war. Hinter dem sich bewegenden Steinklotz konnte Zussa eine natürliche Höhle erkennen, aus der fluoreszierendes Licht hervordrang. Es war zwar immer noch warm, aber kühler als in den oberen Ebenen. In der Höhle bemerkte Zussa Pflanzen mit breiten, grünlich fluoreszierenden Blättern. Ein tiefes Summen von Flügeln war zu hören. Hier und dort setzten sich schwarze Käfer, deren Hinterteil in orangenem Licht funkelte, auf Blätter und fraßen an ihnen. Andere der Feuerkäfer saßen auf den schimmernden Pflanzen und strichen sich mit ihren Beinen über ihre Antennen. Die Käfer hatten eine Größe von etwa einem Schritt und ihre Beißwerkzeuge sahen gefährlich aus. „Es sind Feuerkäfer. Insekten, die ein kaltes, orangenes Glühen hervorbringen. Meidet sie, denn sie können angriffslustig werden“, zischelte Neire neben ihr. Vorsichtig schritten sie durch die Höhle und mieden die riesenhaften Tiere, die oftmals schwankende, unvorhersehbare Flugmanöver vollführten. Dann stieß eines der Wesen mit Bargh zusammen. Zussa hörte, wie die Flügel auf das Metall von Barghs Ne’ilurum Rüstung schlugen. Der unheilige Krieger hob Schild und Schwert, als der Feuerkäfer versuchte sich in Barghs Rüstung zu verbeißen. Neben ihr schüttelte Neire den Kopf, während Zussa seine Augen rötlich glühen sah. Augenblicklich beruhigte sich der Feuerkäfer und setzte sich auf ein Blatt nieder. Neire bewegte sich langsam auf ihn zu. „Habt ihr einen neuen Freund gefunden? Ein Spielzeug für euch, Neire?“ Zussa trat verwundert neben Neire, um das Wesen zu betrachten. Die Kreatur schien ihnen nicht mehr feindselig gesonnen zu sein. Neires Hand streichelte langsam über den Körper und der Feuerkäfer ließ dies geschehen. „Schaut und fühlt. Ihr Glühen ist das von Feuer, doch ihr Glühen ist kalt.“ Auch Zussa begann das Insekt zu streicheln. „Oh… es fühlt sich so kalt an. Und so seltsam.“ Zussa lächelte Neire an. „Ich will eines davon haben, Neire. Gebt mir eins, sagt ihm, es soll mein Freund werden.“ Bargh antwortete an Neires Stelle. „Wir können noch nicht von hier hinfort und sein Licht würde uns verraten. Später könnt ihr eines haben.“ Zussa spürte, dass sie wütend wurde. „Ich will aber jetzt eins haben… sofort!“ Neire legte ihr eine Hand auf ihre Schulter und winkte ein zweites Insekt heran. Mit einem dunklen Summen begann der Käfer vor ihr zu schweben. „Legt einmal eure Hand auf diesen Käfer Zussa. Ich glaube er mag euch.“ Neires von Asche, Schweiß und Blut gezeichnetes Gesicht lächelte sie an, doch sie ahnte, dass er es ernst meinte. Sie legte ihre Hand auf das Insekt und spürte die Vibrationen des Schwebefluges. „Oh… das fühlt sich so kitzelig an.“ Zussa kicherte und konnte ein erfreutes Aufjauchzen nicht verbergen. Sie schaute der Kreatur tief in die schwarzen Fassettenaugen. „Ihr sollt es haben, wenn wir zurückkommen. Wir werden sie mitnehmen in den Tempel des Jensehers.“ Zussa spürte wie die Wut nachließ, als sie wieder nach dem Wesen tastete. Ja, sie würde ihr eigenes haben. Sie überlegte sich bereits, welche Spiele sie mit dem Feuerkäfer spielen würde und welchen Namen es haben sollte.

„Leise, ich habe Geräusche gehört.“ Die Dunkelelfin blickte sie alle an, mahnte sie zum Schweigen. Sie hatten die Höhle der Feuerkäfer verlassen. Dahinter hatten sie eine größere natürliche Höhle durchschritten, die in vollkommene Dunkelheit gehüllt war. In der Höhle hatten sie abzweigende Gänge gefunden, in denen Bargh die Spuren der schlanken Dunkelelfenstiefel wiederentdeckt hatte. Doch sie hatten sich dazu entschieden die Höhle weiter zu erkundschaften um einen möglichen Hinterhalt abzuwenden. Sie waren gerade an eine Stelle gelangt, an der ihr Blick durch eine natürliche Felsformation versperrt wurde. Vorsichtig und leise umrundeten sie die Felsen. Dahinter offenbarte sich ihnen eine Sackgasse. Die natürliche Grotte endete an einer Felswand. Die steinerne Decke war etwa 20 Schritt über ihnen. Am Ende der Höhle sahen sie zwei Kreaturen lauern. Beide waren riesenhaft und echsenartig, von zehn Schritten Körperlänge. Sie hatten rötliche Schuppen und einen langen Schwanz. Schimmernde Augen betrachteten mit ruckartigen Kopfbewegungen die Dunkelheit. Beide bewegten sich zischelnd und fauchend um ein Nest aus Knochen, in welchem sie drei große Eier aufragen sehen konnten. Plötzlich drehten die Kreaturen ihre monströsen Köpfe. Rötliche Augen blickten in ihre Richtung. Von dem linken Wesen war das Zischen zuerst zu vernehmen. Es versetzte sich mit machtvollen Stößen seines Körpers in Bewegung und brachte kleinere Felsen zum Poltern. Ein wachsendes Glühen machte sich in seinem Maul bemerkbar. Das Zischeln wurde zudem dumpfer und schwoll zu einem Krächzen einer Echse an. Neire wirkte bereits seine Magie. Vier kopfgroße Geschosse aus schattenhaftem Magmafeuer rief er hervor und warf sie in Richtung der stürmenden Echse. Die Explosion donnerte durch die Höhle als die Magie in das Wesen einschlug. Zwei Geschosse explodierten auf dem Panzer, während die beiden anderen im Maul der Kreatur explodierten. Der gesamte Unterkiefer der Kreatur wurde zerfetzt. Blutüberströmt begann die Echse zu torkeln und zu Boden zu sacken. Die Reaktion der zweiten Echse war umso heftiger. Sie schrie um ihren Gefährten und stürzte todesmutig auf sie zu. Zussa beschwor Blitze mit ihrem Stecken und der Körper des Wesens platzte dampfend auf. Doch das Monster kam bedrohlich näher. Dann stellte sich Bargh der Kreatur entgegen und erhob Glimringshert. Die Flammen der schwarzen Klinge konnten die Echse nicht verbrennen, doch die Präzision und die Kraft seiner Streiche brachten sie zu Fall. Schwer atmend und verwundert über die Heftigkeit der Angriffe untersuchten sie die Körper. Dann näherten sie sich vorsichtig dem Nest und betrachteten die drei großen rötlichen Eier.
Titel: Sitzung 90 - Das letzte Aufgebot
Beitrag von: Jenseher am 8.12.2023 | 22:00
Sie diskutierten nun schon einige Zeit über die Echseneier. Leise flüsterten sie sich Worte zu, durch die zerklüftete, dunkle Höhle. Sie standen in der Sackgasse und um das Nest. Hinter ihnen die reglosen Leiber der toten Feuerechsen. Die Luft bewegte sich, wie in einem leichten Hauch – mal kühler, mal wärmer. Bargh hatte sich an eine Felswand gelehnt, während Neire weiter Worte in die Höhle zischelte. „Dann nehmen wir die Eier mit. Eingewickelt in Decken werden sie für einige Zeit die nötige Wärme haben.“ Zussa hatte zwar die Erklärungen zu den Kreaturen, die Diener von Jiarlirae werden konnten, verstanden, doch sie behielt ihren missmutigen Blick bei. Sie hatte vorgeschlagen die Eier hier und jetzt zu öffnen, um zu sehen was sich darin befand und um deren Inhalt zu essen. „Zussa, Bargh. Helft mir. Reicht mir sie vorsichtig an.“ Neire beendete die Diskussion über den Verbleib der Eier. Er warf den Vorhang aus schwarzer Seide in die Luft, der dort begann zu schweben. Dann bewegte er sich geschickt in den extradimensionalen Raum, der sich dahinter verbarg. Die Kammer war in Dunkelheit gehüllt und erfüllt von einem Chaos aufeinandergestapelter Gegenstände. Lange, den Raum durchspannende Waffen zogen sich über Goldhaufen und Fässer hinweg. Der Geruch von starkem Käse und geräuchertem Fleisch lag in der Luft. In den hinteren Teilen waren Ortnors Werkbank, Bücher und die alchemistischen Apparaturen zu erkennen. Neire nahm die Eier, die ihm Zussa und Bargh reichten, vorsichtig entgegen. Das erste Ei rutschte ihm fast aus der Hand, hatte er doch dessen Gewicht unterschätzt. Vorsichtig wickelte er die Eier in den kostbaren, dicken Seidenstoff, den sie in einem der oberen Gemächer gefunden hatten. Dann verließ er den geheimen Raum und faltete behutsam den Seidenvorhang zusammen. „Lasst uns aufbrechen. Die Eier der Feuerechsen sind in Sicherheit.“ Sie bewegten sich an den gewaltigen Körpern der Echsen vorbei, die von grausamen Wunden gezeichnet waren. Kleine Seen von dunklem Blut hatten sich auf dem zerklüfteten Boden der Höhle gebildet. Als sie den Tunnel erreichten, in den Bargh die eleganten Spuren hatte führen sehen, wendete sich Triel flüsternd an sie. „Wartet hier. Ich werde dem Gang folgen und ihn ausspionieren.“ Bargh, Zussa und Neire beobachteten, wie Triel in der Dunkelheit verschwand. Unruhig warten sie am Eingang. Nach längerer Zeit sahen sie plötzlich die Dunkelelfin mit dem kleinen, aber athletischen Körper auftauchen. Ihre Augen funkelten rötlich in der Dunkelheit. Triel legte den Finger ihrer vernarbten Hand auf ihren Mund. Ihre weißen Haare standen im Kontrast zu ihrer aschgrauen Haut. „Folgt mir, doch macht keine Geräusche. Ich habe flüsternde Stimmen gehört. Sie klangen dunkel und dumpf, wie die, derer Riesen.“ Die drei Anhänger Jiarliraes nickten und folgten Triel durch die hohen natürlichen Steintunnel.

Neire bewegte sich jetzt behutsam und leise durch den Tunnel. Vor ihm schimmerte Fackellicht; von dort, wo der natürliche Gewölbegang sich in eine Höhle eröffnete. Die Tunnel waren zwar schmaler als in den oberen Geschossen, doch immer noch vier bis fünf Schritt hoch und breit. Neires Herz schlug schneller. Er hörte die dumpfen Stimmen der fremden Sprache. Immer wieder versuchte er einzelnen Worten zu lauschen, deren Weisung er mittlerweile erahnen konnte. Sein Körper wollte zurück, er sehnte sich nach dem inneren Auge in Nebelheim. Doch sein Geist trieb ihn weiter voran. Beharrlich redete er sich ein, dass sein Schattenmantel ihn schützen würde, vor feindlichen Blicken. Neire kam an die Ecke und konnte in eine erhellte Höhle blicken. Hier und dort waren Felllager zu sehen. Kisten und Fässer waren zu Sitzgelegenheiten zusammengestellt worden, um das Gewölbe etwas wohnlicher zu machen. Die Größe der Lager und der Sitzgelegenheiten deutete auf Riesen hin. Neire wurde nicht getäuscht von seinen Eindrücken. Bereits in der Ecke war ein kolossaler Schatten zu sehen, der von einem fettleibigen Riesen ausging. Die Kreatur war über fünf Schritt groß und von gedrungenem Körper. Er trug eine Hellebarde, die er in den dunklen Tunnel gerichtet hatte. Ein zerzauster roter Bart sowie Bernsteinaugen schimmerten unter einem kupfernen Rundhelm. Neire trat noch einige Schritte heran und senkte unter dem Tarnmantel den Kopf. Er spürte den Druck auf den Augen, als sich die Umgebung um ihn herum in karmesinrotes Zwielicht hüllte. Dann schaute er auf, strich sich die Kapuze zurück und sprach seine ersten Worte in der Riesensprache. Rötlich schimmerten seine Augen im Licht der Fackeln. „Ihr… Freund.“ Die Gebete Jiarliraes waren bei ihm. Ein zufriedenes, breites Lächeln formte sich im Gesicht des Riesen, der seine Hellebarde sinken ließ. Neire winkte die Gestalt in den Tunnel. Langsam hörte er die dumpfen Schritte näherkommen. Als der kolossale Krieger fast bei ihm war, flüsterte Neire erneut. „Geht… dort.“ Er zeigte mit seiner verbrannten linken Hand in den Tunnel, aus dem sie gekommen waren und der Riese wandelte weiter in die Dunkelheit. Neire wendete sich wieder dem Gemach zu. Er sah am Ende der Höhle drei weitere Feuerriesen wachen. Sie hatten anscheinend den Vorstoß ihres Kameraden genau beobachtet. Eine der Kreaturen blickte fragend in die Dunkelheit. „Habt ihr das gesehen? Wollen wir ihm folgen?“ Neire konnte die Worte der Riesen immer besser verstehen. Er erinnerte sich zurück an die Hallen im ewigen Eis. Die Gletscherriesen hatten eine andere Sprache gesprochen, doch einige Worte klangen ähnlich. Mit jedem entschlüsselten Wort erinnerte er sich an Weitere. Einer der beiden, mit Kriegspicken bewaffneten, Feuerriesen blickte hinter eine Ecke. Von dort hörte Neire die Antwort. „Ihr dort, ihr zwei, folgt ihm. Verliert keine Zeit.“ Augenblicklich begannen sich zwei der drei Wachen auf ihn zuzubewegen. Der vordere trug ein gewaltiges Langschwert. Neire wartete bereits auf sie und bemühte die Kräfte des Jensehers. Diesmal spürte er einen kleinen Schmerz durch seine Augen gehen. Auch jetzt wirkte seine Bezauberung. Der vordere Riese blieb plötzlich stehen und blickte lächelnd in die Dunkelheit. „Was ist, was seht ihr?“, flüsterte der hintere Krieger dumpf und dröhnend. „Nein, nichts. Ich dachte da wäre etwas.“ Von hinten hörte Neire die Stimme des Pickenträgers durch das Gewölbe hallen. „Eh, ihr da. Wieso bleibt ihr stehen?“ „Er dachte, er hätte etwas gesehen, doch da war nichts.“ Beide begannen sich wieder vorwärts zu bewegen. Die hintere Wache flüsterte zweifelnde Worte. „Und warum läuft er in diese Richtung?“ „Vielleicht ist er einfach zu dumm.“ „Schweigt und redet keinen Unsinn.“ Die beiden Ungeheuer kamen an Neire vorbei und er beschwor ein drittes Mal die Kraft. Der Schmerz war jetzt stechend und Tränen liefen von seinen Augen. Wieder kam sein schmutziges, kindliches Gesicht zum Vorschein – rötlich funkelnde Augen. „Ihr dort. Wollt ihr mein Freund sein?“ Neire benutze die Zunge der Riesen. Auch die dritte Wache entspannte sich, nickte und fing an zu lächeln. „Geht… folgt ihm. Verliert keine Zeit“, sprach Neire, als er die zuvor gesprochenen Worte imitierte. Neire schlich sich weiter vor in die Höhle, die er in rötlichen Tönen wahrnahm. Dort benutzte er abermals die Mächte des Jensehers. Der stechende Schmerz brachte seinen Körper zum Zittern und für einen Moment hielt er den Atem an. Doch die Kreatur vor ihm biss die Zähne zusammen und schüttelte sich. „Was… was war das?“, sprach der Riese in das Fackellicht der Höhle, als wolle er sich selbst eine Frage stellen. „Habt ihr etwas gesehen?“, fragte die Stimme hinter der Ecke. „Nein, ich dachte da war etwas. Irgendetwas war komisch.“ „Dann haltet euren Posten, Tölpel!“ Die andere Stimme klang erbost, älter und dumpfer. Neire hatte genug gesehen. Die Höhle war für ihn in rötliches Licht getaucht. Am ganzen Körper zitternd ging er zu Bargh, Triel und Zussa zurück.

Neire schwankte und schlotterte am ganzen Körper. Seine Augen pochten vor Schmerz. Das Licht der Fackeln tanzte im karmesinroten Zwielicht seiner Wahrnehmung. Er war zuvor unerkannt zurückgekehrt zu Zussa, Bargh und Triel. Dort hatte er ihnen berichtet von dem Riesen, der seinen Mächten getrotzt hatte. Bargh hatte den Riesen als Feind Jiarliraes bezeichnet und seine Tötung befohlen. So waren sie alle in die Höhle zurückgekehrt und hatten angegriffen. Die Riesen hatten sie mit den Worten „Da sind sie, tötet sie!“ empfangen. Worte, die nur Neire verstehen konnte. Der Kampf danach war kurz und tödlich gewesen. Während Bargh, Zussa und Triel gegen drei der Riesen gekämpft hatten, hatte Neire zwei weitere Male die Kräfte des Jensehers beschworen. Er hatte den Anführer, eine ältere, muskulöse Gestalt mit einer zerbrochenen Nase und vernarbtem Schädel sowie einen weiteren Feuerriesen bezaubert. Drei tote Leiber lagen auf dem Boden und waren von tiefen Wunden gezeichnet. Jetzt versuchte sich Neire zu erheben. Er kämpfte gegen den Schwindel und die pochenden Schmerzen. Die Riesen schimmerten rötlich für ihn. „Der Kampf ist vorbei. Diese hier dienen jetzt Jiarlirae.“ Neire erhob zitternd seine Hand, als er seinen Mantel zurückwarf und auf die beiden Riesen zeigte. Dann sprach er die zischelnden Worte in der Sprache des alten großen Geschlechts. Beide Feuerriesen blickten Neire mit fragenden Blicken an, als Neire begann gebrochen ihre Sprache zu sprechen.

Neire: „Kampf vorbei… ihr Freund! Kein Vergießen von Blut.“
Anführer: „Ihr habt Recht mein Freund. Ein weiteres Blutvergießen ist nicht notwendig.“
Neire: „Wie viele, Riesen… hier?“
Anführer: „Wir sind die einzigen Wächter hier.“
Neire: „Riesen… bewachen was?“
Anführer: „Wir dienen König Isenbuk, doch wir sollen in seinem Auftrag diese Tunnel bewachen. Er hat uns in den Dienst dieser kleinen Wichte gestellt. Sie zahlen uns gut. Gold und Juwelen.“
Neire bemerkte, dass der Anführer auf Triel zeigte.
Neire: „Dann nicht wissen ihr… wie lange… Riesen hier?“
Beide Riesen schauten Neire fragend an.
Anführer: „Was wissen wir nicht? Wir sind seit einigen Tagen hier unten.“
Neire: „König Isenbuk tot, ermordet.“
Zuerst war Unglauben, dann Verzweiflung und Grauen in den Gesichtern zu sehen.
Anführer: „König Isenbuk tot? Wer war es? Wer ist der verfluchte Mörder?“
Neire: „Umbari, stämmiges Volk aus Unternacht.“
Anführer: „Dieser kleine, feige Bastard? Dieser widerliche fremde Unterabkömmling! Er kann nicht unseren König umgebracht haben. König Isenbuk war stark. Umbari ist viel zu klein und viel zu schwach. Er ist ein Nichts, nur Schleim an unseren Stiefeln!“
Neire: „Umbari zahlen für Mord. Zahlen anderen.“
Der Anführer spukte verächtlich aus bevor er antwortete.
Anführer: „Ich wusste es. Man kann ihnen nicht trauen. Allen, die die ewige Dunkelheit von dort unten ausgespien hat. Es sind feige Rassen, Abschaum und Gewürm. Sie kriechen vor uns und wir werden sie zermalmen. Wie werden sie zertreten wie stinkende Maden.“
Neire lächelte und stellte sich vor, wie seine neuen Diener seiner Göttin huldigen würden.
Neire: „Wir dienen… unserer Göttin: Jiarlirae.“
Anführer: „Ihr dient einem anderen Gott? Nicht Ghaunadaur?“
Neire versuchte die Geste des Anführers nachzuahmen, als er auf den Boden spuckte.
Neire: „Wir dienen Jiarlirae… nur Jiarlirae! Sie ist stark, Ghaunadaur ist viel zu klein und viel zu schwach. Altar von Ghaunadaur… jetzt kaputt.“
Neire ahmte die Geste einer Explosion nach.
Anführer: „Der Altar ist zerstört? Welch Schande. Meine Kameraden haben lange daran gearbeitet. Und dieser verfluchte Umbari… Wenn man den alten Geschichten Glauben schenken darf, konnte der Altar Wunder bewirken, Wünsche erfüllen. Man würde nur ein Fleischopfer erbringen müssen.“
Neire: „Der Altar ist zerstört, Ghaunadaur ist zerstört. Wir haben Umbari zerstört. Sagt Freund… wo führt Tunnel hin?“
Bei Neires Worten über das Schicksal Umbaris fingen beide Feuerriesen an zu lachen.
Anführer: „Dieser Tunnel, mein Freund, führt in ein verzweigtes Netz von Gängen. Dort hausen die dunklen Wichte, die wir beschützen. Ein weiterer Tunnel führt in eine große Höhle. Dort hält der König sich ein kleines Spielzeug.“
Der Anführer offenbarte seine fauligen Zähne, als er bei der Erwähnung des Spielzeugs grinste.
Neire: „Eclavdra… war sie hier?“
Das Lächeln verschwand, als der Riese den Kopf in Richtung der Tunnel drehte.
Anführer: „Ja, Eclavdra kam hier durch und warnte uns vor Eindringlingen. Sie verschwand in den Höhlen der Wichte. Dann hörten wir Kampfgeräusche. Das ist jetzt einige Stunden her.“
Neire drehte sich zu seinen Gefährten und übersetzte die Erkenntnisse seines Gesprächs. Dann wollte er wissen, welche weiteren Fragen er dem Anführer stellen sollte.
Neire: „Sie dort… Triel will wissen, welche ihr mit dunklen Wichten meint?“
Anführer: „Haha, wir meinen sie, Triel. Sie dienen Ghaunadaur. Man kann ihnen nicht trauen und sollte sie zerquetschen oder zertreten. Aber sie bezahlen gut und unserer König Isenbuk will es so. Also dienen und wachen wir hier und zerquetschen oder zertreten sie nicht, diesen Abschaum!“
Neire (in der normalen Sprache zu Triel): „Mit Wichten meint er euer Volk Triel.“
Bei Neires Worten vollführte Triel eine abfällige Geste in Richtung des Anführers.
Neire: „Sagt mein Freund… wie viele Wichte… hier unten?“
Der Anführer begann seine Finger zu zählen, war dann aber unschlüssig.
Anführer: „Ich weiß nicht wie viele. Es sind viele Wichte. Zu viele.“
Neire: „Was ist das für ein Spielzeug von König Isenbuk. In großer Höhle.“
Der Anführer und sein Kamerad begannen wieder zu grinsen.
Anführer: „Es ist Braugmal der Große. Er bewacht die Höhle.“
Neire: „Was ist Braugmal?“
Anführer: „Braugmal ist ein Wesen des Feuers, er ist ein großes Wesen, ein Ungeheuer.“
Neire: „Was für ein Ungeheuer. So wie zwei Wesen… in Höhle dort?“
Für einen Augenblick war Unverständnis in den Augen des Anführers zu erkennen. Dann schüttelte er höhnisch lachend den Kopf.
Anführer: „Ihr meint die Feuerechsen in diesen Höhlen? Die Wichte sagten uns, dass sie dort ein Nest mit drei Eiern gesehen hätten. Doch wir lassen sie nicht gehen in diese Höhlen. Nein, Braugmal ist nicht wie diese Echsen. Er ist größer, viel größer.“
Neire: „Dank euch, Freund… wir gehen nach oben. Wir gehen mit euren Kameraden. Wir gehen zu Königin Hulda.“

Sie durchsuchten noch die Gemächer, bevor sie aufbrachen. Dann eskortierten sie die Riesen in die obere Ebene. Neire gab ihnen die Anweisung sie zuführen. Als sie eine große Höhle durchquerten legten die Riesen den Finger auf den Mund und deuteten in die Mitte des Gewölbes. Sie wiederholten den Namen von Braugmal. Dann erreichten sie eine große Steintüre, die sie in einen Tunnel nach oben führte. Sie übergaben die fünf Feuerriesen der Königin, die sich Huldas Kommando unterstellten. Dann erst stiegen sie wieder hinab in die Tiefe und begannen die Höhlen der Dunkelelfen zu erkunden.
Titel: Sitzung 91 - Eclavdra vom Hause Eilserv
Beitrag von: Jenseher am 17.12.2023 | 18:37
Sie hatten vorsichtig Höhle um Höhle abgesucht. In einer Sackgasse hatten sie eine weitere Kaverne entdeckt, die innere Wände in Form einer erkalteten Magmablase hatte. Auf dem geröllbedeckten Boden waren die Leichen von dunkelelfischen Kriegern zu sehen gewesen. Zudem hatten sie den toten Körper einer Frau bemerkt, die in silbern glitzernde dunkelelfische Gewänder gehüllt war. Eine Untersuchung der Leichen hatte ergeben, dass die Dunkelelfen durch grausame Wunden oder faule Magie getötet worden waren. Das Gesicht eines Kriegers war ihnen als besonders entstellt aufgefallen. Säure oder Feuer hatten es fast bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Bei einem anderen Dunkelelfen war der Schädel aufgespalten worden. Sie hatten die Leichname und die Höhle durchsucht und wertvolle magische Waffen und Rüstungen dunkelelfischer Machart gefunden. Wie in einer Art Hast schienen die Wertgegenstände der Leichen nicht geplündert worden zu sein. Neben Silber-, Gold- und Platinmünzen, hatten sie in der Höhle ein schwarzes Zauberbuch entdeckt, das mit dem Namen der Besitzerin gekennzeichnet gewesen war: Viconia. Weder Neire noch Triel war dieser Name begannt vorgekommen. Jedoch hatten sie beim Leichnam der Frau ein Symbol eines dunkelelfischen Hauses gefunden, das Neire als das Haus von Despana entschlüsselte. Von diesem Haus hatte Neire bereits in alten Schriften gelesen. Dass es mächtig gewesen war und als eines der ersten Häuser die Spinnengöttin Lolth angebetet hatte. Sie hatten daraufhin die Gegenstände mitgenommen und waren weiter den Spuren gefolgt, die sie durch eine Vielzahl von verlassenen Höhlen und Sackgassen geführt hatten. Schließlich war die Luft immer wärmer geworden und sie hatten ein tieffrequentes Grollen vernommen. Am Ende des großen natürlichen Ganges sahen sie jetzt einen rötlichen Schimmer. Für einen Augenblick verlangsamte der dunkle Krieger Bargh seine schweren Schritte. Er spürte die Hand seines jungen Begleiters an seiner Seite. Als er sich umdrehte und hinabblickte, bemerkte er das verdreckte Gesicht Neires. Leise bewegte der Jüngling den Mund als er zischelnd flüsterte „Lasst mich vorschleichen und sehen, was es mit dem Feuerschein auf sich hat. Falls dort ein Hinterhalt droht, werde ich den notwendigen Beistand unserer Göttin haben.“ Bargh nickte und legte Neire seinen Panzerhandschuh auf die Schultern. „Seid vorsichtig und vergesst nicht: Jiarlirae ist auf unserer Seite, wer kann uns schon aufhalten?“ Neire und Bargh hörten beide die Stimme von Triel. „Ich hoffe nicht, dass Elcavdra noch hier ist. Falls sie sich in diesen Höhlen befindet, hat sie uns sicherlich einen Hinterhalt gestellt. Unterschätzt sie nicht, Bargh.“ Als Neire bereits in der Dunkelheit verschwunden war, drehte sich Bargh zu Triel um. Es war das erste Mal seit er sie getroffen hatte, dass er diese Regung sah. Es war, als würde Triel Angst haben.

Vor ihm lag das rötliche Glühen, das sich in den dunklen Felsen des Tunnels reflektierte. Neire streifte sich vorsichtig den kristallenen Ring über, den sie in der Truhe bei Braunig, Kettra und Grimta gefunden hatten. Er hatte vielleicht zwei Dutzend Schritte zwischen seine Mitstreiter und seine jetzige Position gebracht. Zuvor hatte er einen kleinen Seitengang erforscht, der ihn in eine Höhle geführt hatte. Dort hatte er verlassene Lager der Dunkelelfen gefunden. Danach war er wieder in Richtung des rötlichen Schimmerns geschlichen und hatte ausspioniert, was er dort sehen konnte. Er war zu seinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen Anweisungen gegeben. Er wusste nun, dass er nicht lange zögern durfte. Bargh und Zussa hatten bereits begonnen ihre Gebete an Jiarlirae zu wirken. Triel hatte sich kampfbereit gemacht. Sie würden ihm bald folgen und er musste handeln. Neire schlich vorsichtig weiter; seine Hand spielte an dem neuen Ring. Er spürte die Mächte, die in dem Kristall schlummerten. Er wusste, wie er die schwarze Kunst der Dunkelelfen hervorrufen konnte. In alten Schriften von Nebelheim hatte er über die Beschwörungsringe der verhassten Rasse gelesen. Neire sah die Öffnung vor ihm liegen. Die Luft flimmerte in der Hitze. Es roch nach flüssigem Gestein. Neire drehte den Ring und konzentrierte sich. Er begann leichter zu werden. Dann verloren seine Stiefel den Bodenkontakt. Der Jüngling begann sich in die Luft zu heben. Er bemühte seinen Geist. Er spürte ein warmes Gefühl vom Ring ausgehen. Langsam schwebte er nach vorne und gewann an Höhe. Schon bald wurde er schneller und überblickte die glühende Grotte. Ein Fluss aus brodelndem Magma durchquerte die Mitte der Höhle. Der Strom war zwischen den Felsen versunken, als hätte sich das Magma dort tief in den Stein gefressen. Eine metallene Hängebrücke reichte über die Fluten hinweg. Das diesseitige Ende war in einem steinernen Podest befestigt. Auf dem gegenüberliegenden Ufer war das Konstrukt in Felsbrocken verhakt. Neire betrachtete die Kreaturen genau, die dort lauerten. Er schwebte in einigen Schritten Höhe über sie hinweg. Fünf dunkelelfische Krieger sah er auf seiner Seite. Gegenüber drei weitere und eine Frau, in enganliegende silberne Gewänder gekleidet. Sie zog Neires Aufmerksamkeit auf sich. Die Dunkelelfin hatte ein schönes, schlankes Gesicht, feiner elfischer Züge. Lange silberne Haare fielen wellenförmig hinab, bis über ihre weiblichen Hüften. Üppige Brüste wurden von einem Lederkorsett betont, welches in einem schwarzen Gürtel mit kleinen, runenverzierten Taschen endete. Geschmückt wurde ihr Haupt prinzessinnengleich von einem silbernen Diadem, auf dem das Wappen von Eilserv zu sehen war. Sie trug eine Peitsche, aus deren schwarzen Griff sich drei lange Tentakel wanden. Neire verlor sich für einen Augenblick in ihrer Schönheit, dann bemerkte er ihre purpurnen Augen, die voller Hass in Richtung des Tunnels starrten. Er steuerte seinen Schwebeflug über den Magmastrom und ließ sich, getarnt durch den elfischen Mantel, unweit der schönen Elfin zu Boden sinken. Niemand hatte seine Anwesenheit bemerkt. Er betrachtete weiter die Höhle und verharrte mit pochendem Herzen. Nicht lange musste er warten, da hörte er die Rufe der Dunkelelfen vom anderen Ufer. Dort war die Anführerin der Krieger zu sehen, die ein Kettenhemd und ein Schild aus milchig-weißem Stahl trug sowie ein golden glühendes Schwert hob. „Dort, sie kommen. Greift an!“, waren ihre Worte. Neire flüsterte Gebete an seine Göttin und begann zu handeln. Er stand nahe des Magmastromes, doch die Hitze, die einen einfachen Menschen bereits verbrannt hätte, machte ihm nichts aus. Er beschwor die Flamme aus schattenartigem Feuer in seiner linken, verbrannten Hand. Er streckte die Hand unter seinem Tarnmantel hervor, als das Feuer seiner Göttin zu tanzen begann. Die Dunkelelfin hatte gerade begonnen zu zaubern, da bemerkte sie die Flamme. Ungläubig schaute sie in seine Richtung. Neire spürte die Macht der brennenden Düsternis durch seinen Körper fließen. Obwohl die hübsche Frau feindselig in seine Richtung starrte, war alle Aufregung in ein freudiges Gefühl übergegangen. Wie damals im Wolfsfelsen, starrte er in die Flamme seiner linken Hand und ließ sich von ihren chaotischen Bewegungen treiben. Sein scharfer Verstand war das Ventil eines elementaren Meeres aus Chaos, eines älteren, urtümlichen Bösen. Es war ein Urmeer, aus dem er schöpfte, ein unendlich dimensionales Gebilde, das nur durch den ewigen Kampf der Dualität von Flamme und Düsternis aufrechterhalten wurde – ein Gebilde, dem der Gleichgewichtszustand fremd war. Er murmelte die Formeln der schwarzen Kunst, die nicht die seiner Göttin, sondern die seines Geistes waren. Doch er spürte ihre Macht. Dann streckte er beide Hände hervor und zeichnete die finale Rune. Ein Strahl von gleißendem Feuer ergoss sich aus seiner Hand, wurde breiter und höher, je weiter er hinfortbrach. Die hübsche Elfin und die drei Krieger, die sich mittlerweile zu ihrem Schutz um sie versammelt hatten, wurden einhüllt und waren für einen Moment nicht zu sehen. Neire konnte ein Brüllen und ein Kreischen aus dem infernalischen Feuer hören - Todesschreie. Als die Flammen herunterbrannten war der Anblick grauenvoll. Die drei Krieger waren zu rauchenden Überresten verbrannt. Ihre Körper waren von Hitze aufgeplatzt und Muskeln sowie Sehnen hatten sich versteift. Die Dunkelelfin stand dort und schaute ihn hasserfüllt an. Ihr Haar und ihre Haut standen in Flammen. Dann traf sie der Blitzstrahl, den Zussa vom anderen Ufer geschleudert hatte. Sie krümmte sich, sprang zu Seite und schwankte. Neire wollte schon triumphieren, da sah er, dass sie sich wieder aufrichtete. Blut lief von ihrem Gesicht, als sie ihre Peitsche hob. Auf der anderen Seite des Magmastroms bemerkte Neire die Gestalt von Bargh, der mit ausgebreiteten Flügeln auf das Podest sprang. Dort begann das Gemetzel, als sich Triel und Bargh ihren Gegnern entgegenwarfen. Neire wusste, dass er allein gegen die dunkelelfische Hexe kämpfen musste. Er musste seinen Zauber wirken, bevor sie ihn erreichen konnte. Hastig murmelte er das eine Wort und hielt die tanzende Flamme in die Höhe. Fünf faustgroße Kugeln aus Schatten und Magma lösten sich. Sie schlugen in die Kehle der Gestalt. Von seiner Gegnerin war jetzt nur noch in Gurgeln zu hören. Blut strömte aus dem geöffneten Hals, der von der Seite bis zum Kehlkopf zerfetzt war. Die Frau brach zu Boden und hauchte ihr Leben aus.

Zussa war in eine Rage geraten. Sie fühlte sich unbesiegbar. Die verhasste Dunkelelfin Triel war dicht vor ihr und kämpfte mit verbissener Genauigkeit. Zussa hatte gesehen, dass Triel von zwei Schwerthieben verletzt worden war. Sie hatten den zweiten Krieger niedergestreckt und stürmten auf das Podest aus dunklem Magmagestein. Als Zussa dort Bargh sah, wusste sie, dass der Sieg der ihre war. Eine Aura von Düsternis war um den unheiligen Krieger Jiarliraes. Bargh hatte seine schwarzen, rabenhaften Schwingen ausgebreitet und sein Schwert Glimringshert blutete dunkle Schatten. Der Rubin seines rechten Auges brannte unbarmherzig in der von ihm induzierten Dunkelheit. Zussa stürmte näher. Doch Triel und sie selbst kamen zu spät. Aus zwei Wunden blutend rammte Bargh seine Waffe auf die Anführerin nieder, die noch ihren Schild erhob. Doch Bargh schmetterte den Schild herunter. Sein Schwert drang tief zwischen Hals und Schulter. Röchelnd brach die Anführerin nieder. Zussa sah keine weiteren Gegner und blickte sich schwer atmend um. Auch an ihrem Säbel klebte das Blut der dunkelelfischen Krieger. In der linken Hand trug sie den Stecken, mit dem sie zuvor den Blitzstrahl beschworen hatte. Dann hörte sie die jugendliche Stimme durch das brodelnde Magma. Sie drehte sich ruckhaft um. Dort sah sie Neire über den blubbernden Fluten des Stromes schweben. Die Hitze konnte ihm nichts ausmachen. Sein Gesicht war von Asche verdreckt und seine Augen glühten wie Kohlen. Er hatte seinen Tarnumhang zurückgelegt und aus seiner linken, geöffneten Hand brannte die Chaosflamme Jiarliraes. „Ihr hättet das Spiel spielen sollen Triel. Eine Abmachung ist eine Abmachung. Ihr seid nicht mehr als ein Kind eurer hinterlistigen Rasse und wir mögen sie nicht – eure Art unsere Spiele zu spielen.“ Als Neires Zischeln lauter wurde, wandelte sich Zussas Hass in eine Mordlust. Freudig betrachtete sie Neire und erhob den Säbel. Neire zeichnete eine Rune in die Luft. In seinen Augen war jetzt ein brennendes Feuer. Drei kopfgroße Bälle aus purpurnem Feuer lösten sich aus der Chaosflamme und stürzten auf Triel zu. Die Dunkelelfin konnte gerade noch ihren Arm erheben. Dann hörte Zussa den grausigen Schrei, der die Explosion übertönte. Magmaflammen brannten von Triels linkem Arm. Fleisch und Muskelgewebe hatte sich dort aufgelöst und schwarz-verbrannter Knochen kam zum Vorschein. „Sie hatte es euch versprochen Zussa, doch sie wollte nicht mit euch spielen. Wir können nicht behaupten, ihr hättet sie nicht gewarnt.“ Die Worte Neires klangen wie die Musik von knisternden Flammen in Zussas Ohren. Sie näherte sich Triel und hob ihren Säbel. „Ja Triel, hört, was Neire sagt…“ Sie begann Triel nachzuäffen. „Wir sollten sie nicht unterschätzen. Eclavdra wird uns einen Hinterhalt stellen. Pah… Ihr hättet den Zweikampf nehmen sollen. Jetzt werdet ihr ein schönes, hässliches Opfer werden.“ Zussa begann auf den linken Arm zu hacken. In ihren Grauen war Triel wie erstarrt. Sie starrte Zussa an. Sie bettelte nicht um Gnade. Da war Hass in den roten Augen der Dunkelelfin. Doch das war Zussa egal. Sie schlug zu wie ein Metzger. Wieder und wieder. Doch der Arm wollte sich nicht lösen. Triels Kopf war bereits auf den Boden gesunken und Blut lief aus ihrem Mund. Schwer keuchend ließ Zussa schließlich ab. Schweiß strömte von ihrem Gesicht. Sie nahm den Leichnam von Triel und schleifte ihn hinab an den Rand des Magmastromes. Neire schwebte zu ihr hinüber und half ihr den schlaffen Körper aufzurichten. Ihre Blicke trafen sich kurz und Zussa musste lachen, als Neire zu ihr sprach. „Habe ich es euch nicht versprochen? Dass ihr sie opfern könnt.“ Der Jüngling lächelte sie jetzt an. Sie spürte diese tiefe Verbundenheit zu Neire; sie respektierte ihn als ihren Prophet Jiarliraes. Sie würde vielleicht sterben für ihn. Sie nickte und wurde ernst. Dann begann sie Triels Kiefer zu bewegen. Sie imitierte das Sprechen von Triel, ihre ruhige, kontrollierte Art. „Zussa, ich bin hier um mich Jiarlirae zu opfern. Ich diene der ewigen Flamme und der unteren Düsternis.“ Neire nickte ihr zu und versuchte Triel ebenfalls nachzuahmen. „Ich diene nur der Herrin, nur Jiarlirae.“ Zussa rief jetzt lauter. „Nährt eure Flammen mit einer weiteren Dienerin. Sie übergibt sich euren Schatten.“ Dann warf Zussa den Leib hinab. Das Geräusch war leise als der Körper in das Magma glitt. Triels Fleisch fing an zu brennen und sie wurde von der brennenden Magma hinfortgerissen. Obwohl ein Teil von Zussas Anspannung jetzt abfiel, zitterte sie noch am ganzen Körper. Sie wollte jubeln, doch dann sah sie Neire. Wie hypnotisiert starrte der schwebende Jüngling in rotglühenden Fluten.

Neire schaute hinab in den Glanz des sich wälzenden Stromes. Da waren die Runen. Sie tauchten auf, wurden weitergetragen und verschwanden. Er hatte sie bereits mehrfach gesehen. Er konnte seinen Blick nicht abwenden. Es war die Rune Firhu, die für die Gabe des Feuers und der Schatten stand. Und da war Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und von Opferung. Neire schloss für einen Moment die Augen und sah Bargh und Zussa vor sich. Sie waren beide in einem leeren Raum, sich nicht erkennend. Ein goldener Schimmer war dort zu sehen. Sie wirkten verloren und einsam, nicht wissend von dem Glück ihrer Gemeinsamkeit, ihrer Freundschaft. Da wusste Neire, dass es Bargh und Zussa sein würden, die verlassen auf einsamen Wegen wandeln würden. Ihre Hingabe, ihr Opfer wurde verlangt. Sie mussten die Gabe von Feuer und Schatten an diesen Ort bringen. Neire erwachte wie aus einer Trance und sprach feierlich zu Bargh und zu Zussa: „Ich habe die Zukunft gesehen, Bargh, Zussa. Zusammen müsst ihr hinfort gehen und gemeinsam werdet ihr wandern. Es ist Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und Opferung. Doch alleine werdet ihr euer Opfer erbringen müssen und die Gabe von Feuer und Schatten an jenen Ort tragen.“ Bargh nickte Neire zu, der rote Rubin schimmerte in seinem vernarbten, grimmigen Gesicht. Zussa mochte die Botschaft nicht. Ihr jubelndes Gesicht versteinerte sich. Dann fiel sie Neire um den Hals und fing an zu weinen.
Titel: Sitzung 92 - Schätze für Braugmal, den Großen
Beitrag von: Jenseher am 25.12.2023 | 10:52
Zussa zitterte am ganzen Körper. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit, das sie nach dem Kampf und dem Sieg gegen Eclavdra und ihre Anhänger empfunden hatte, war einem anderen Bewusstsein gewichen. Es war das kolossale Portal, das sie an ihre eigene kleine Größe erinnerte. Es waren die Spuren von gewaltigen Klauen im Stein der Türflügel, die ihre Gedanken um die eigene Verletzbarkeit kreisen ließen. Sie hatten das Portal hinter der illusionären Vision der natürlicher Höhlenwand entdeckt. Es war Neires feinen Ohren zu verdanken gewesen, dass sie überhaupt das Trugbild entschlüsselt hatten. Neire hatte das zweite Mal ein tiefes Atmen gehört. Nur jetzt war er sich sicher gewesen, dass das Atmen nicht durch die Fehlleitung ihrer Sinne entstanden war. Zussas ließ ihre Gedanken für einen Moment zurückschweifen. Sie dachte an ihren glorreichen Sieg über Eclavdra. Sie dachte daran, wie sie Triel ermordet und dann ihrer Göttin geopfert hatte. Es war wie damals bei ihrer Flucht aus dem Tempel der Ehre gewesen. Ein Rauschzustand, den sie in der dampfenden Höhle erreicht hatte - nur ohne Wein und Grausud. Sie erinnerte sich gerne an das Bild des Stromes von flüssigem, flimmerndem Stein zurück. Es gab ihr Zuversicht. Sie hatten danach die Leichen der Dunkelelfen und eine temporäre Behausung durchsucht. Neben kostbaren Waffen und Rüstungen, hatte Neire eine wertvolle Karte der Unterreiche und zwei schwarze Bücher gefunden. Bei einem der Bücher hatte es sich um das Zauberbuch Eclavdras gehandelt. Das andere Buch hatte Neire als Buch des Propheten Jiarliraes bezeichnet und in Ortnors altem Labor, hinter dem schwarzen Vorhang, verschwinden lassen. Danach waren sie aufgebrochen und hatten die restlichen Gänge erforscht, die diese Ebene offenbarte. Neire war vorgeschlichen und sie selbst war bei Bargh geblieben. Der junge Priester hatte sie dann in eine große unterirdische Halle geführt. Der schwarze Stein zeigte die längst vergangenen Spuren erkalteten Magmas. Neire hatte sie gewarnt, dass er aus der Höhle ein tiefes Atmen gehört hatte. Sie waren vorsichtig vorangegangen. Sie hatten sich versteckt hinter alten Säulen aus dunklen Felsmassen. Dann hatte auch Zussa das Atmen gehört. Vor ihr, inmitten eines Berges aus Gold-, Silber- und Kupferstücken sowie funkelnden Juwelen, lag ein uralter Drache. Seine Schuppen schimmerten in kupfernem Rot, wie natürlich erhellt durch das glitzernde Gold. Zussa hatte alsbald die zischelnde Stimme von Neire gehört. „Schaut genau hin, Zussa. Durchdringt das Trugbild, Bargh.“ Sie hatte für einen Moment ihre Augen geschlossenen, dann wieder geöffnet und nach Ungereimtheiten gesucht. Und tatsächlich war ihr aufgefallen, dass das Gold sich unter der Atembewegung des Drachen nicht verschob. Dann hatte sich das Trugbild aufgelöst, wie farbiger Nebel. Verblieben war ein riesenhafter Stier, der dort schlief. Das Wesen hatte einen massigen, muskulösen Körper. Zwei spitze Hörner thronten auf seinem schwarzen Haupt und es ging ein Schwefelgeruch von der Kreatur aus. Sie waren auf den Stier zugestürmt, der sich ihnen mit rot brennenden Augen zugewendet hatte. Silberner Nebel war aus dem Maul des Bullen gekommen. Doch Bargh hatte ihn mit mehreren feurigen Hieben Glimmringsherts zu Boden gesteckt. Dann hatte Neire, das Kind der Flamme, darauf hingewiesen, dass er weiterhin ein Atmen hörte. Und so standen sie nun hinter der illusionären Wand, vor dem Portal. Sie hatten ihre Gebete an Jiarlirae gewandt und um Beistand gefleht. Zussa spürte die Macht von Flamme und Düsternis, die ihr ein wenig Mut und Trost spendete. Vor ihr begann Bargh das Portal aufzudrücken. Langsam eröffnete sich ihr Blick in eine weitere große Höhle. Auch hier lag ein Berg von Schätzen. Doch sie erkannte sofort, dass die Anhäufung von Münzen, Truhen und funkelnden Edelsteinen keine Wahnvorstellung war. Eine gewaltige Kreatur hatte sich bereits aufgerichtet und starrte mit rötlich funkelnden Augen auf sie hinab. Der Körper des Wesens war von kupfern schimmernden Schuppen bedeckt. Silberne Metallstacheln bilden einen Kamm, der über das gesamte Rückrat lief. Der fast Heuwagen-große Kopf der Kreatur war von einer Krone rötlicher, spitzer Knochenauswüchse bedeckt. Rauch quoll aus den Nüstern des Drachens. Vor ihr trat der Drachentöter Jiarliraes dem Ungeheuer entgegen. Er trug die Klinge Glimringshert, die auch ihr Mut gab. So folgte Zussa Bargh und verlor Neire aus den Augen. Dann hörte sie die tiefe Stimme des Wesens. Der Drache bewegte sein Maul nicht. Es war ihr, als hörte sie die Worte direkt aus den tiefsten Eingeweiden der Kreatur sprechen. „Da seid ihr und ihr bringt mir Schätze. Zeigt sie mir. Zeigt mir eure Schätze.“ Die Worte donnerten hinab und brachten ihre Knie zum Zittern. Danach herrschte einen Moment Stille, bevor Bargh mit fester Stimme antwortete. „König Isenbuk schickt uns mit Schätzen. Ihr habt nicht umsonst gewartet, mächtiger Braugmal.“ Der Drache machte ein Zischen, als er seinen Kopf ruckhaft ein Stück hinab bewegte. „Was wisst ihr schon Sterbliche. Ich habe nicht gewartet und Isenbuk ist nichts. Zeigt mir meine Schätze und wisset, ihr stehlet meine Zeit.“ Vor ihr sah Zussa Bargh seinen Kopf vor der Kreatur beugen, dann sprach er wieder. „Ich habe dieses Schwert großer Braugmal. Es ist heilig und älter als diese Welt. Sein Name ist Glimringshert, das brennende Herz der Düsternis. Das Schwert und sein Träger dienen Jiarlirae, der größten unter allen Göttern. Sagt mir, großer Braugmal. Dient ihr ihr? Dient ihr Jiarlirae?“ Jetzt zuckte der Kopf hinab und starrte Bargh aus nächster Nähe mit großen Augen an. „Haltet mich nicht für dumm. Ich diene niemandem. Nicht Isenbuk und nicht irgendwelchen Göttern. Ich bin Braugmal, der Große, der seine Schätze haben will. Gebt sie mir oder werdet verschlungen.“ Zussa wollte hinfortlaufen. Sie versteckte sich hinter Bargh. Dann hörte sie wieder die Stimme des Antipaladins. „Glimringshert trägt die Geheimnisse aus dem Jenseits der Sterne. Dient ihr nicht der höchsten Göttin, so wird es den Tod für euch bringen.“ Barghs Worte schwollen zu einem Schreien, als er ausholte. Doch die Kreatur war schneller. Ihr Kopf zuckte zurück und bevor Bargh angreifen konnte, beschwor sie ihren todbringenden Atem. Eine Walze von Feuer brach über sie hinein. Bargh duckte sich hinter das Schild; sie sah nur Umrisse von ihm. Sie selbst sprang zurück und klammerte sich hinter einen der geöffneten Portalflügel. Die Explosion brachte ihre Ohren zum fiepen. Sie vernahm den Geruch von verbranntem Fleisch - ihres Fleisches. Dann sah sie Bargh vorwärtsstürmen. Durch die Flammen hinweg und auf Braugmal zu. Sein Schwert drang tief in Braugmals Körper. Dreimal schlug Bargh auf die Brust des Wesens und dreimal versank sein Schwert. Als sich vier Geschosse von Magmaschatten in die Wunden senkten und Braugmals Fleisch zerfetzen, blickte der Drache in Ungläubigkeit an sich hinab. Jetzt wagte sich Zussa aus ihrer Deckung. Sie riss den Wurzelstecken mit dem Kristall hoch und beschwor den Strahl aus tanzenden bläulichen Flammen. Der Blitzstrahl durchschlug die offene Wunde in Braugmals Brust und sein Herz explodierte. Eine Blutfontaine regnete über sie hinab. Vor ihr brach der Körper der alten, ehrwürdigen Kreatur zusammen. Letzte Zuckungen fuhren durch den Leib, als sein fast unsterblicher Geist sich an sein Fleisch klammerte. Zussa lief nach vorne und frohlockte. Sie achtete nicht auf ihre Brandwunden. „Bargh, ein weiterer… ein weiterer Drache. Ihr habt ihn getötet. Wir haben ihn getötet.“ In einem irren Lachen tanzte Zussa im Regen von Blut. „Er wollte Jiarlirae nicht dienen. Dann sprach Glimringshert mit ihm und zeigte ihm wahre Macht.“ Bargh Antwort klang grimmig und er wollte noch nicht recht mit ihr tanzen und singen. Also nahm Zussa ihn an der Hand und zerrte ihn zum Leichnam. „Kommt Bargh kommt. Wir wollen feiern und tanzen. Kommt Neire. Ich will heute meine Maske vollenden und es sollen die roten Schuppen von Braugmal sein. Ich werde ihn als meine zweite Gesichtshaut tragen.“ Jetzt war auch Neire herangetreten, den sie vor Angst noch etwas zittern sah. Doch schon bald tanzten sie auf dem Leichnam Braugmals. Zussas Traum wurde rot, als sie im Blut badeten. Sie sah Neire wie verrückt einen Zahn nach dem anderen ausreißen. Immer wieder lobte der Jüngling die alten Zauber, die er mit Hilfe eines Zahnes wirken würde. Bargh half ihr den Drachen zu häuten. Schuppe um Schuppe schnitten sie ab. Längst reichte es für Zussas Maske. Doch Bargh war nicht zu aufzuhalten. So ging er, der Tanz auf dem toten Leib. Das Fleisch Braugmals war noch warm, als ob tief in seinem Inneren ein Feuer schwelte. Sie tanzten und tranken Wein. Sie wühlten sich durch goldene Schätze. Sie warfen sich alte schimmernde Pokale, Edelsteine und Figuren zu. Zussa probierte das Blut der Kreatur, doch sie begann augenblicklich zu würgen. Ihre Kleidungen waren nass vom roten Lebenssaft und ihre Gesichter besudelt. Zussa trank und feierte. Dann legte sie sich in das Loch von geöffnetem Fleisch, das sie dort geschlagen hatten. Sie glaubte den Geist von Braugmal zu spüren, als sie einschlief. Er rief nach ihr. Er war gekommen um Glimringshert zu huldigen. Es war das brennende Herz der Düsternis, das der alte Drache neidete.

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„Es freut mich, dass ihr meine Sprache sprecht, Neire.“ Die hässliche Königin der Feuerriesen beugte sich zu Neire hinab und lächelte ihn an. Um sie herum war das Flackern der Gasfackeln. Die Halle beherbergte die zusammengepferchten Feuerriesen und ihren Nachwuchs. Heranwachsende waren wie Säuglinge zu sehen. Die Luft war angereichert von Körpergeruch und von Ausdünstungen. Drei Riesinnen sorgten sich um die Zubereitung einer Suppe. Drei weitere kümmerten sich um die Säuglinge. Nachdem sie den Hort von Braugmal geplündert hatten, hatten sie in einem der unterirdischen Seen gebadet und waren danach zu den Feuerriesen zurückgekehrt. Das Wasser der Seen war warm gewesen und hatte nach Schwefel gerochen. Jetzt war Neires jugendliches Gesicht frei von Blut, Asche und Schmutz. Seine Haare schimmerten gold-blond im Fackellicht. Hulda beugte sich zu ihm hinab, als sie sprachen. Die kleinen Augen ihres rattenförmigen Gesichtes blickten verschlagen und intelligent. „Ich habe eure Sprache gelernt. Lange habe ich euren Worten gelauscht. Eure Sprache ist eine schöne Sprache, Königin.“ Hulda lächelte ihn an und zeigte ihre faulen Zähne. Ihre verfilzten rotblonden Haare hingen fast bis auf ihn hinab und die Warzen ihrer aschgrauen Haut warfen Schatten in ihrem Gesicht. „Ja, unsere Sprache ist schön und direkt. So viel leichter als die Sprache der Menschen. Da gibt es so viele unsinnige Wörter.“ Neire nickte und seine Miene wurde ernst. „Königin Hulda, wir haben einige Dinge zu besprechen. Sagt mir, als engste Freundin, was ist euer tiefstes Begehr? Wonach strebet ihr mit all eurem Herzen?“ „Eine schwierige Frage, Neire. Doch einem solch guten Freund will und kann ich nichts verheimlichen. Ich möchte meinem Volk dienen, als Königin. Ich will es führen, doch ich brauche einen König. Er muss stark sein. Stark und schön. Wie Isenbuk. Stark war er, Isenbuk und einst auch schön, bevor er fett wurde. Mein König sollte auch nicht zu schlau sein. Er muss nicht verstehen, wie ich mein Volk führe. Er muss nicht viele Fragen stellen. Er muss kämpfen und Ruhm erringen. So wird mein Volk stark. So werden wir unsere Feinde zertreten und zerquetschen. Sie sollen alle vor uns zittern in Furcht.“ Neire nickte, als er den Worten der Königin lauschte. Dann wählte er die Worte seiner Antwort sorgfältig. „Wir müssen diesen Ort verlassen, meine Königin. Nach dem Tod von König Isenbuk ist dieser Ort verflucht. Wir werden reisen, einen langen und beschwerlichen Weg. Doch ich kann euch eine glorreiche Zukunft versprechen. Wir werden nach einem neuen König suchen.“ Neire zeigte auf den Feldwebel mit der zerstörten Nase, dessen Name Fuldir war. „Was ist ihm, Fuldir? Könnte er nicht euer neuer König sein?“ Königin Hulda schaute zuerst hinüber zu Fuldir, dann kopfschüttelnd wieder zu Neire. „Nein… oh nein. Er ist zu schwach und er ist hässlich. Viel zu hässlich.“ Neire nickte und musste sich ein Lächeln verkneifen. Dann blickte er wieder hinauf zur hageren Gestalt, deren mageren Brüste obszön auf Bauchhöhe baumelten. „Wir werden einen König für euch finden Hulda. Doch ihr müsst mir eines versprechen. Ihr müsst Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Düsternis dienen. Mit all eurem Herzen.“ Königin Huldas Miene verzog sich fragend. „Ji…ar…li…rae. Ist die Göttin stark? Nicht so schwach wie Ghaunadaur?“ „Jiarlirae ist stark, Königin Hulda. Sie ist die mächtigste unter allen und sie ist mehr als das.“ „Dann werde ich ihr dienen. Ihr seid der Prophet der Göttin und ihr seid der wertvollste Freund, den ich jemals hatte, Neire.“

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Sie brauchten fast zwei Tage für die Vorbereitungen. Königin Hulda stellte sich als große und intelligente Führerin ihres Volkes heraus. Sie gab Anweisungen, die ihre Untergebenen in organisierter Weise ausführten. Selbst die Kleinsten unter den Riesen schufteten und rackerten, ohne zu murren. Sie plünderten die alte Behausung von König Isenbuk. Sie bewaffneten die Riesen, auch die Frauen und die Kinder. Sie nahmen die kostbarsten Rüstungen, Waffen und Schilde an sich und trugen, was sie mitnehmen konnten. Dann machten sie sich auf den Weg durch das feurige Gebirge, das man den Höllenkessel nannte. Ein Tross von fünf Schritt großen Kreaturen, die riesige Säcke schleppten. Vier Tage wanderten sie. Vier Tage durchquerten sie eine Landschaft, die von Felsen, Gipfeln und Feuern war. Eine heiße Landschaft, nach der jetzt der Winter griff. Dann erreichten sie im dichten Schneegestöber die einsamen Höhlen. Dort hatte Königin Hulda weitere Frauen und Kinder vor dem Krieg versteckt. Drei Krieger der Feuerriesen wachten über sie. Königin Hulda gab ihnen Anweisungen. Dann packten auch sie ihre Sachen und reihten sich dem Tross ein. Doch ihr Weg führte sie wieder zurück in König Isenbuks unterirdisches Schloss. Nach vier weiteren Tagen durchquerten sie die verlassenen Hallen und stiegen hinab. Sie schritten durch die Höhle des Magmaflusses und da lag er. Der Tunnel, der sie durch das Unterreich führen sollte. Neire fürchtete nicht den Weg, noch die Gefahren. Er war im Unterreich aufgewachsen, hatte die Karte der Dunkelelfen erbeutet und er genoss die Dunkelheit. Er hatte Zussa und Bargh auf seiner Seite. Mit ihm waren mehr als ein Dutzend Feuerkäfer, drei Eier der Feuerechsen und die Feuerriesen: Acht Krieger, sechs Jugendliche, 17 Frauen, 13 Kinder, sechs Säuglinge und eine Königin. Sie alle waren vom Volke Königin Huldas. Stolze Riesen des ewigen Feuers. Doch Neire wusste, dass das nicht genug war, um den Gefahren dieser Welt zu trotzen. Er aber hatte Jiarlirae, seine Göttin und mit ihnen war Flamme und Düsternis.
Titel: Sitzung 93 - Herrschermord
Beitrag von: Jenseher am 30.12.2023 | 18:59
Höhlen, Höhlen, nichts als Höhlen und Dunkelheit, spukte es in Halbohrs Geist. Der Berg selbst schien auf seinen Verstand zu drücken. Doch er musste seine Planungen und Vorbereitungen durchführen. Hier, nahe dem Herz aus Ne’ilurum, das mit dem dunklen Auge die Pforte zur Ebene des Wahnsinns behütete. Er war seit einiger Zeit nicht mehr allein. Die Herrin des Feuers und der Schatten hatte ihm ihre Dienerschaft geschickt. Von den Tiefen des Abgrundes über die Höhlen des heulenden Wahnsinns waren sie dem Ruf ihrer Herrin gefolgt und hatten den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Ebenen gemeistert. Dort war Daera Düsterung. Die wunderschöne Dienerin Jiarliraes war in schwarze Seidengewänder gekleidet, die sich in starkem Kontrast von ihrer weißen Haut abzeichnete. Auf den freizügig gezeigten Stellen ihres Bauches und ihrer Arme waren okkulte Runen tätowiert. Sie hielt sich zwar etwas zurück, doch wenn sie in ihrem Singsang sprach, schien es, als ob die Zeit nur für ihre Stimme stehen bleiben würde. Dann war dort Mordin von Noresfyring. Ein großer Mann dem man seine adelige Abstammung ansehen konnte. Auch er hatte eine schneeweiße Haut, übersät mit Tätowierungen, die seine Lobpreisung Jiarliraes ausdrückten. Ein weißlicher Rauch und Hitze stiegen von ihm auf. Der dritte im Bunde war Lyrismar Schwefelschimmer. Dieser war noch größer als Mordin, doch fast seine gesamte Haut war bis zur Kohlenschwärze verbrannt. Nur wenige unverbrannte Stellen seines Körpers zeigten die einstige Blässe. Sein roter Umhang war gezeichnet von Runen des Chaos und gesäumt mit etwas, das wie silbernes, krauses Haar aussah. Stolz trug er an der Seite seine beiden Kurzschwerter, eines mit einem roten glühenden Rubin am Knauf und das andere mit knöchernem Griff. Der vierte der Dienerschaft war der schrecklichste. Sein riesenhafter Körper war umhüllt mit einer gleißenden Säule aus rötlichem Magmafeuer. Nur schwach konnte man die athletischen Konturen eines menschlichen Körpers ausmachen und wenn, dann schien es als ob aus seinem Gesicht eine grinsende Fratze eines Totenschädels blickte. Die Anhänger Jiarliraes stellten ihn als Elmenshyr vor; Seelenfeuer, in der gemeinen Zunge. Die anderen warnten Halbohr, er solle sich von ihm fernhalten. Sein Feuer brenne so heiß, dass es den Geist selbst verzehre und die Werdung zu einem willenlosen Feuersklaven einleite. So brütete Halbohr über Karten, Plänen und Zeichnungen im alten Tempel des Jensehers. Seine grünlichen Augen waren untermalt von schweren Ringen der Müdigkeit. Doch war auch sein gesamtes Gesicht gezeichnet von dem Pfad, den er eingeschlagen hatte. Bisher hatte seine linke Gesichtshälfte nur die Narben offenbart, die durch den Neid seiner alten Kameraden aus einem früheren Leben gezeugt wurden. Doch inzwischen war dort nur noch eine wilde Wucherung von Haut zu erkennen. Wie als wenn eine stetige Hitze sein Gesicht zu versengen schien. Der Brand wuchs langsam, aber beharrlich. Die Spitze seines Mundwinkels war schon etwas schief und auch sein milchiges, fast weißes Haar wuchs an der linken Seite nur noch sehr langsam. Er versuchte die Zeit gut zu nutzen, denn viel war passiert und weitere Dinge musste passieren. Die Zerstörung des Tempels des Gottes Laduguer blieb nicht ohne Folgen. Ohne Führung brach ein Völkerkampf in der Stadt Unterirrling aus und brachte einen neuen Anführer hervor, Runin‘ore‘Waere. Halbohr nutzte die Schwäche der Stadt aus, um die Macht des Tempels des Jensehers auszubauen. Und Runin‘ore‘Waere war nicht dumm. Vielleicht wusste er nicht genau welche Macht Halbohr um sich sammelte, doch zumindest ahnte er es. Er wollte Zeit gewinnen, die Wunden des Konfliktes der Stadt heilen lassen. Um sich mit Halbohr gut zu stellen, versprach er ihm zwei seiner Gefangenen, die dabei helfen sollten den Tempel wieder aufzubauen. So fanden Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub ihren Weg in das Herz des Berges. Heergren war ein stolzer Minenarbeiter, der einst vor seiner Familie davonlief, um ein berühmter Schmied zu werden. Granrig hingegen war Soldat und einst für eine kriegerische Karriere im Orden von Laduguer in Urrungfaust vorgesehen gewesen war. Er wäre es vermutlich immer noch, hätte es nicht einen Zwischenfall gegeben, der ihn seine Ehre gekostet hatte. Er hasste Runin und alles was mit Laduguer in Verbindung stand und behauptete, dass der einstige Zwischenfall fingiert gewesen wäre. Zusammen halfen die beiden Nachtzwerge die Überreste des fremdartigen Gewächses und den Unrat zu beseitigen, die sich angesammelt hatten. Aus den Teppichen der Düsterheitpilze ließe sich Gewinn schlagen, sagten sie, wenn man nur den Abbau kontrollieren würde. Auf diese Art könne Halbohr die Arbeiten am Tempel und den Ausbau für einen Tunnel nach draußen bezahlen. Schließlich sollten Feuer und Schatten sich nicht von Gestein aufhalten lassen, wenn sie sich über Euborea ergössen. Nach zehn Tagen kamen seine Gefährten Neire, Bargh und Zussa das erste Mal zurück, nachdem sie die Hallen des Nomrus überfallen hatten. Halbohr machte sich daraufhin auf den Weg die drei einohrigen Riesen und deren Diener abzuholen. Die erste Musterung einer Streitmacht, vor der die Reiche Euboreas noch erzittern würden und entweder ihr Haupt vor Jiarlirae beugen oder qualvoll untergehen würden. Die Reise dauerte einige Tage, doch bald schon kehrten er mit ihnen in die Irrlingsspitze ein. Die drei jungen Hügelriesen Kulde, Gulgra und Gruschuk, zusammen mit einer Vielzahl von orkischen Kriegern sowie einigen Frauen und Kindern, sollten eine gute Verstärkung und Schutz für den Tempel bilden können. Ihre persönlichen Befindlichkeiten scherten Halbohr wenig, auch die anrüchigen Anbahnungen zwischen Gulgra und Gruschuk interessierten ihn nicht. Sollten sie sich doch vermehren. Es würde weitere Truppen für Jiarlirae bedeuten. Wichtig war ihm nur, dass sie wieder zu Kräften kamen, hatten doch die Orks - als sie mit den Hügelriesen alleine in der Festung des Nomrus waren - ihre Rache für die Sklaverei an ihnen ausgelassen. Heergren und Granrig waren gute Diener. Sie hatten begonnen in einer Felsspalte die Anfänge eines Tunnels zu bauen. Sie stellten mit den Orks unter Halbohrs Anleitung Wachen und Patrouillen zusammen. Auch der Handel mit den Pilzen begann. Ein guter Außenposten sollte es werden. Mehr noch, der erste Schritt, um der Herrin von Feuer und Düsternis einen Teppich auszubreiten, der ihrer erneuten Ankunft in diese Welt würdig war. Und alle würden es erfahren: Er sollte nun Halbohr sein, der General. Jeder sollte seinen Namen kennen, ihn heimlich flüstern und ihn seinen Kindern erzählen, um sie zu erschrecken. Sein einstiger Wunsch aus der Ebene des kreischenden Wahnsinns würde in Erfüllung gehen.

~

Ich fühle mich immer noch unwohl. Zwar war es nicht das erste Mal, dass mich Mächte über andere Welten zu einem anderen Ort bringen, aber ich traue diesen Mächten immer noch nicht. Wer weiß schon, was sie mit einem machen, irgendwo zwischen den Welten. Aber hier waren wir nun: Bargh, der alte, junge Streiter Jiarliraes mit seiner neuen schimmernden Rüstung, grimmig und stolz. Neire, ihr Prophet, mit seinen strahlenden blonden Locken und einem Lächeln, das schon manche in ihren Bann gezogen hatte. Und ich, Zussa, als Kind von ihren Feuern geküsst und ihre Dienerin, schon bevor ich es selbst wusste. Wir hatten eine lange Reise hinter uns, seit wir die Hallen König Isenbuks verließen. Doch wir hatten neue Diener Jiarliraes für den Tempel des Jensehers mitgebracht. Als Neire in die Halle mit dem dunklen Portal schritt, lief er lachend und strahlend auf Halbohr zu. Ich dachte schon er wollte ihn umarmen. Ich verstehe immer noch nicht, was er an Halbohr findet. Trotz seiner Beteuerungen: Halbohr war nie ein treuer Anhänger. Früher oder später würde man ihn entsorgen müssen, wie ein Spielzeug, das kaputtgegangen ist. Doch plötzlich erstarb das Lächeln in Neires Gesicht, als sein Blick auf die vier Diener Jiarliraes fiel. Auch ich starrte sie an, vor allem Elmenshyr. Neire verbeugte sich vor ihnen mit einer höfischen Geste. Mordin stellte seine Dienerschaft vor, doch Lyrismar hielt offenbar nichts von Höflichkeit und Respekt. Er fuhr uns an und bezeichnete uns als Kinder. Doch auch Bargh ließ dies nicht auf sich sitzen. Der ohnehin schon große Krieger schien noch etwas mehr zu wachsen und gebieterisch hallte seine Stimme durch die Halle: „Das ist Neire von Nebelheim, er ist ihr Prophet!“ Daera mischte sich ein und versuchte wohl die etwas aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Als ich ihre engelsgleiche Stimme hörte, klang sie wohltuend in meinem Kopf, fast wie ein Lied, dem man einfach nur lauschen möchte. Die Worte, die sie sprach, gerieten fast in den Hintergrund. Sie sagte, dass er sich zurückhalten und keine Spiele spielen sollte. Als Lyrismar brüllend mit seiner verkohlten Hand auf Daera zeigte, war es, als wenn ich aus einem kleinen Schlummer plötzlich aufgeschreckt wäre: „Ihr! Hütet eure Zunge, ihr seid hier nicht …!“ Das letzte Wort konnte ich nicht richtig verstehen, schien aber nichts Freundliches gewesen zu sein. Doch endlich beruhigten sich alle wieder und Halbohr konnte, so wie es seine Art ist, Langeweile verbreiten: Er betete stolz seine Liste von Planungen und Vorhaben herunter. Anscheinend hatte er mit Hilfe seiner beiden Lakaien die Leichen der Kreaturen, die schon lange hier in den Höhlen verrotteten, zerlegt, um damit diese merkwürdigen Pilze zu nähren und sie dann zu verkaufen. Als er auch noch von dem Wasserröhren erzählte, die er zum Wässern der Pilze aufbauen wollte, musste ich mich abwenden, bevor mir die Augen zufielen. Funkenträger war viel interessanter. Der Feuerkäfer, bestimmt der größte derer, die wir bei den Feuerriesen gefunden hatten, konnte inzwischen große und kleine Kreise fliegen. Ich hatte ihn während unserer Reise durch die Unterreiche trainiert. Ich habe gesehen, dass Neire und Bargh etwas mitleidig gelächelt haben, als ich ihnen Funkenträger einige Kunststücke vorführen ließ, aber das war mir egal. Er konnte schon die kleineren Käfer jagen. Bald, wenn ich ihn richtig füttere, wird er noch größer werden. Auch Neire wird sich bestimmt freuen, wenn ich es schaffe, Funkenträger beizubringen die Kleineren zu fangen und sie mit seinen Zangen in Stücke zu reißen. Ich lief Funkenträger durch die Höhlen hinterher. Er musste unbedingt noch schneller werden, sonst würden ihm einige der anderen nachher noch entwischen. So kam ich in die Höhle, die den großen Spalt in die Tiefe beinhaltete. Ich erinnerte mich an den Kampf mit der Spinnenkreatur, den wir einst hier gefochten hatten. Auch erinnerte ich mit Abscheu an Meeredite, die sich aus dieser Spalte gezogen hatte. Oder hatte sie es damals uns nur vorgespielt? Ich verwarf die Gedanken, denn ich hörte plötzlich aufgeregte Stimmen aus einer weiteren Höhle schallen. Einer von Halbohrs Nachtzwergen-Lakaien stürmte heran und war völlig außer Atem. Er stammelte, dass etwas in Unterirrling passiert sei. „Meister Halbohr“ nannte er den Elfen dabei. Pah, wenn er wüsste, welch feige und schwache Teufelswesen ihm bei seiner Meister-Werdung behilflich waren. Zusammen suchten wir Halbohr auf, dem der Nachtzwerg gehorsam berichtete. Runin’ore’Waere war wohl umgebracht worden und die Ältesten der Minenstadt Unterirrling versammelten sich gerade, um einen neuen Nachfolger zu bestimmen. Etwas blitzte ihn Halbohrs Augen auf. War es eine Möglichkeit, die er sah? Sicher, wir sollten Unterirrling an unserer Seite haben. Denn wenn einmal die Scharen unserer Herrin durch das dunkle Portal strömen, sollten sie sich nicht an den Nachtzwergen aufhalten, sondern sich laben an den Ländern des Lichtes. Wir brachen zügig auf, auch Lyrismar begleitete uns. Bargh versprach sich, dass es vielleicht Mord und Totschlag geben würde. Auch bei mir stellte sich ein schönes Gefühl von Aufregung ein. Keiner behelligte uns, als wir wieder in die Hallen Unterirrlings eintraten. Offenbar war Halbohr schon bekannt. Als wir schließlich in dem Tempel eintrafen, musste ich etwas grinsen, denn ich sah die Reste des zerstörten Steines. Ich konnte die Schreie der Seelen in mir hören, wie sie nach ihrer Freiheit schrien. Nein, ihr habt euch eure Freiheit noch nicht verdient und noch keine Vorstellung, welche Opfer ihr dafür noch bringen müsst. Ein Kreis von Duergar stand dort und wir hörten zwei alleinstehenden Nachtzwergen zu, die ihre Reden schwangen. Als wir eintraten ging ein Raunen durch die Runde. Gesichter drehten sich in unsere Richtung und einige erkannten Halbohr. Einer der Redner, ein jüngerer Duergar dem aber schon die Haare anfingen auszufallen, hielt inne als er Halbohr sah: „Was ist das?! Ein Elf, hier in den heiligen Hallen Laduguers? Was ist mit unseren alten Riten, dem Willen unserer Vorväter? Wie können wir es so einer Kreatur erlauben sich in unserer Mitte zu bewegen?“ Der andere, wesentlich größer und muskulöser, mit einer gewaltigen Schlachtenaxt an seiner Seite, widersprach: „Firin, in Unterirrling herrschen andere Sitten. Das ist Halbohr, aus dem Tempel des Jensehers. Ihr wisst, dass wir schon lange mit ihm Handel treiben. Außerdem… erinnert euch an das, was passiert ist, als damals der Tempel und seine Priester vernichtet wurden.“ Der andere, Firin’ore’Waere, offenbar der Sohn des ermordeten Runin, murmelte zwar etwas, doch sein Gesicht zeigte, dass er sich sehr wohl erinnerte. Halbohr trat vor. „Ihr kennt mich! Ihr wisst was damals passierte, was immer noch passieren kann. Ihr wisst aber auch, was Gutes passieren kann. Sorge ich nicht dafür, dass die Düsterheitpilze zu euch kommen? Sorge ich nicht dafür, dass ihr in den Höhlen Schutz erfahrt? Ihr verdient gutes Geld mit dem Verkauf von Nahrung, dem Handel mit dem Tempel des Jensehers. Doch erinnert euch an Waergo und daran, wer diesen schwachen Bewohner aus dem Oberreich aus eurer Stadt vertrieben hat!“ Ich war kurz davor aufzulachen. Halbohr hatte Waergo getötet? Halbohr hatte den Tempel zerstört? Halbohr läge schon längst in seinem Blut, wenn es nicht Bargh und mich geben würde. Aber ich ließ ihn reden, sollte er doch seine Ränke schmieden. Der Rivale von Firin, Germin Dunkeldorn wandte sich an die versammelte Runde. Er versprach ihnen Unabhängigkeit von Urrungfaust, von weniger Steuern und von irgendwelchen weiteren langweiligen Sachen. Bargh trat hervor und unterbreitete seinen Vorschlag: Sie sollten sich, so wie es in Fürstenbad Sitte war, ihr Recht um die Führerschaft in einen Zweikampf verdienen. Germin hob seine Axt, offenbar gefiel ihm der Vorschlag. Als er seine Herausforderung ausrief, erntete er die laute Zustimmung der anderen Duergar. Offenbar gab es auch bei den Nachtzwergen die alte Sitte eines ehrenvollen Zweikampfes auf Leben und Tod. Germin war sich seiner Sache sicher, Firin dagegen nicht. Offensichtlich der behütete Schössling des alten Herrschers, schritt er zu seiner Frau und gab ihr Anweisungen, falls es nicht zu seinen Gunsten ausfallen würde. Seine nachtzwergische Ehre gewährte ihm keinen anderen Ausweg. Die beiden traten sich gegenüber. Bargh hatte Germin, während Firin mit seiner Frau redete, eine mächtige Kriegsaxt gegeben, die er jetzt seinem Kontrahenten entgegenstreckte. Firin wiederum hob seine Kriegspicke und der Kampf begann. Mehrmals rammte die Axt Germins auf Firin, doch dieser war geschickter als man es denken würde und duckte sich unter mehreren Schlägen hinweg. Seine Picke rammte auf Germin. Die Waffe traf jedoch nur den Schild Germins. Ein weiterer Schlag Germins, doch diesmal war Firin nicht schnell genug. Die feine Schneide der Axt fand ihr Ziel und drang tief in den Hals ein. Blut strömte heraus und Firin sackte auf die Knie. Es sah aus, als ob er schon mit seinem Leben abgeschlossen hätte. Ein letzter Blick galt seiner Frau und den beiden Kindern, dann brachte die Axt Germins ihn auf die Reise in das ewige Feuer nach dem Leben. Germin hob seine blutige Axt über seinen Kopf und badete in den Heilsrufen der Anwesenden. Er versprach den Ältesten der Stadt, dass sie nicht mehr unter der Knechtschaft Urrungfausts stehen sollten und dass sowohl Runin als auch Firin’ore’Waere ein ehrenvolles Begräbnis bekommen würden. Zudem nahm er Runin’Ore’Waeres Familie unter seinen Schutz. Ebenso versprach Germin, dass der Mord an Runin aufgeklärt werde, wer es auch immer gewesen sein mochte. Nach einiger Zeit kehrte Ruhe ein und Germin führte uns zu dem Ort wo Runin den Tod fand. Es war die gleiche Kammer, wo wir Waergo gefunden hatten. Es war sein schwarz angemaltes Gemach mit dem weißen Bärenfell auf dem Boden. Von dem Körper Waergos war nichts mehr zu sehen, dafür hing in einem Sessel der leblose Körper eines älteren Duergars, auf dessen grauem Wams deutlich getrocknetes Blut zu sehen war. Germin sagte, der Raum sei bereits durchsucht worden, doch er bat Meister Halbohr um seine Unterstützung. Zum Glück für Meister Halbohr war ich und auch Lyrismar anwesend. Lyrismar war zwar mürrisch, doch er hatte offensichtlich Fähigkeiten die denen Halbohrs nicht nachstanden. Zusammen fanden sie an der Leiche Runins eine schmale Wunde, die durch seine ganze Brust drang. Eine schwärzliche Substanz war noch an den Rändern zu erkennen, Gift der Duergar, wie Lyrismar feststellte. Auch fanden wir an der Wand eine Stelle, wo eine eiserne Klappe einer in die Wand vermauerten Kiste verborgen war. Davor waren viele Spuren zu finden, jedoch ein besonderes Paar. Die Abdrückte waren größer als die von Nachtzwergen und es sah so aus wie eine Person, die versucht hatte besonders vorsichtig zu gehen. Das Schließfach in der Wand wurde wohl erst vor einigen Wochen dort eingesetzt. In der Klappe steckte die abgebrochene Spitze eines Schlüssels. Sie war jedoch nicht mit irgendwelchen Fallen gesichert, wenn man Halbohr Glauben schenken durfte. Lyrismar und Halbohr zogen den Schlüssel vorsichtig heraus. Dieser enthielt merkwürdige Einkerbungen, wie eine Art Signatur von demjenigen, der ihn angefertigt hatte. Nichts, was uns wirklich weiterhelfen würde. Auch der Inhalt der Kiste selber half nicht. Dort waren mehrere Säckchen mit Münzen und ein Brief, der sehr deutlich vermittelte, dass Runin sofort nach Urrungfaust aufbrechen sollte, unterzeichnet von einem Grauwegur Nebelritter. Nebelritter, das klang für mich, als ob irgendjemand sich mit den Rängen dieses lächerlichen Kultes um Laduguer schmücken würde, vermutlich um sich noch wichtiger zu machen. Ich verstand noch nicht warum wir diesen Kreaturen überhaupt dabei helfen sollten. Wen interessierte es, wer hier wen umgebracht hatte und warum. Sie werden ohnehin bald schon alle entweder dem Feuer und dem Schatten dienen oder durch die Hand Vocorax'ut'Lavia, dem Henker der letzten Einöde, zugrunde gehen. Germin tauchte wieder auf, an seiner Seite einen verschlafen aussehenden Duergar, Yrker Brallt. Es war die Wache, die es zuließ, dass der Führer von Unterirrling getötet werden konnte. Man konnte ihm die Schwäche ansehen als er stammelte, dass er nichts gesehen hatte und irgendetwas von Kopfschmerzen, wie nach dem gierigen Trinken von eiskaltem Wasser. Er log, das war offensichtlich und Bargh rief es ihm ins Gesicht, woraufhin er sich noch mehr wand. Kopfschmerzen sollten eine Wache doch nicht von ihrer Pflicht abhalten. Warum haben sie ihn nicht schon längst mit dem Tode bestraft? Halbohr untersuchte seinen Körper auf irgendwelche Spuren von Gift. Der Narr glaubte ihm anscheinend. Doch wie ich es erwartet hatte, fand er nichts. So blieben wir zurück mit mehr Fragen als Antworten, doch keiner von uns verlor unser eigentliches Ziel aus den Augen. Euborea würde vor uns erzittern. Entweder beugt es sich vor uns oder es wird verbrennen.
Titel: Sitzung 94 - Urrungfaust
Beitrag von: Jenseher am 6.01.2024 | 21:08
Ich konnte es deutlich riechen. Das getrocknete Blut Runin’ore’Waere begann langsam zu stinken und vermischte sich mit dem öligen Geruch der Farbe dieser schwarzen Kammer. Zudem war da noch der Schweiß, der so alt roch, als ob der Stein selbst den Gestank von Generationen dieser Wichte in sich aufgenommen hätte. Ich kam mir vor, als hätten wir mit den Riesen die Plätze getauscht. Wir, das waren die fast zwei Schritt große verbrannte Gestalt von Lyrismar, der noch größere und gewaltigere Krieger Bargh, Halbohr mit seiner geschwollenen linken Gesichtshälfte - wo er den Kuss Jiarliraes empfangen durfte - und ich selbst. Immer wieder stieß sich Bargh an Türrahmen, an Stürzen oder an Schränken. Die Tiefenzwerge hatten ihre Tunnel und Hallen zwar in ausladender Geräumigkeit gebaut, für den übermenschlich-großen Antipaladin war es aber nicht genug.

Halbohr untersuchte gerade die nackte Gestalt der Wache. Ich verstand zwar nicht, was er sich dabei versprach, aber ich musste mich schütteln als ich den blassen und dicken Körper mit den blauen Venen sah, die sich wie ein Wurzelgeflechte unter der bleichen Haut entlangzogen. Germin Dunkeldorn, dank unserer Hilfe der neue Herrscher von Unterirrling, war wenigstens etwas größer und auch muskulöser. Aber, der Göttin sei Dank, war er zumindest bekleidet. Er interessierte sich für den Inhalt der von Halbohr geöffneten Klappe. Den Beutel mit den Münzen steckte er mit einer gewissen Genugtuung ein, aber auch der Brief weckte ein Interesse, vor allem der Name Grauwegur Nebelritter. Dieser war offenbar ein Ritter der persönlichen Garde des Königs von Urrungfaust und es gab insgesamt fünf von ihnen: Grauwegur Nebelritter, Grauwegur Grauzahnritter, Grauwegur Axtritter, Grauwegur Ascheritter und Grauwegur Felsritter. Germin erzählte eine kleine Geschichte, in der die Ritter von Urrungfaust als Helden verehrt wurden, nachdem sie in einem der Kriege mehrere Sippschaften der Dunkelelfen getötet hatten. Ich verstand nicht ganz und fragte Germin, was daran so besonders sei. Schließlich hatte ich auch die Sippe von Eclavdra ausgerottet - mit Neire und Bargh zusammen. Und Triel hatte bestimmt auch zu einer Sippe gehört. Aber wer weiß, wenn man mit seinem Kopf so nahe am Boden ist, muss man sich vielleicht auch mit kleineren Sachen zufriedengeben.

Lyrismar wollte wissen was der Brief zu bedeuten habe und Germin erklärte, dass Unterirrling Urrungfaust zu Abgaben verpflichtet sei. Runin war also dem König von Urrungfaust Tribut und Rechenschaft schuldig. Doch laut Germin zahlte Runin auch Steuern an den Tempel des Laduguer, da er damit wohl diesem armseligen Gotte huldigen wollte. Wir fragten Germin, welche Absichten er hätte. Er schien begriffen zu haben, wie schwach Laduguer war; der zerstörte Altar hätte eigentlich allen Nachzwergen in Unterirrling diese Erkenntnis bringen sollen. Aber Germin war auch feige. Er sagte, dass er die Priester nicht brauchen würde. Erst dann fiel ihm auf, dass der nackte Yrker Brallt uns noch zuhörte. Wie als ob er bei einem bösen Wort erwischt worden wäre, fuhr er die Wache an, dass sie bloß schnell vergessen solle, was er gerade gesagt habe. Die Priester von Laduguer waren vielleicht doch zahlreicher und einflussreicher als Germin es gerne hätte. Es klang, als ob Priester und König um die Macht in Urrungfaust stritten, wenn auch nicht öffentlich. Die Priester sahen sich wohl als Träger der Fackel der Ehre. Das Feuer dieser Fackel konnte jedoch nicht mehr sein als ein leichtes Glimmen, das kurz vor dem Erlöschen stand. Deswegen mussten sie ihre gelobten Tugenden wohl doch außer Acht lassen und feige Assassine beschäftigen. Zumindest berichtete uns Germin über die Priester von Glammringsfaust, dem Tempel des Laduguer in Urrungfaust.

Ich verstand noch nicht, warum Germin diese unfähige Wache nicht bestrafte. Als ich ihn fragte, ignorierte der kleine Wicht mich einfach. Ich weiß noch, wie ich bebte. Ich wollte diese Kreatur brennen sehen. Doch dann spürte ich die Hand von Lyrismar auf meiner Schulter. Ich zuckte kurz zusammen bei der Berührung des Anhängers Jiarliraes. Seine schwarz-verbrannte Haut fühlte sich merkwürdig an auf meiner Schulter. Wer weiß schon, welche Prüfungen er schon erfolgreich hinter sich gebracht hatte und welche Geheimnisse er in den Flammen erkennen konnte. Ich wollte ihm nicht widersprechen. Ich konnte es auch gar nicht, denn er sagte, dass ich vorsichtiger sein müsse. Er versprach mir auch die Geschichte zu erzählen, die hinter diesem Strang von silbern-krausen Haaren steckte, die seinen Umhang zierten. Sie fühlten sich so seltsam weich an in meinen Fingern; die Geschichte dahinter muss bestimmt interessant sein. Wenn ich ihm zuhöre… vielleicht schaffe ich es dann auch die Zeichen zu erkennen und zu deuten. Vielleicht kann ich dann auch IHRE Stimme besser hören, so wie Neire. Lyrismar warnte mich auch vor Daera. Man könne ihr nicht trauen und sie würde schon seit Jahrtausenden Männern und Frauen den Geist aussaugen. Ich glaubte ihm, war es mir doch schon aufgefallen, dass ihre Stimme einem den Verstand zu vernebeln vermag.

Unser weiterer Weg war jetzt klar. Wir würden einem der Händlerzüge nach Urrungfaust folgen. So verließen wir Unterirrling und betraten wieder die Höhlen, die weit unter die Irrlingspitze liefen. Anfangs folgten wir noch den Spuren der Mörder, die aus der Kammer von Runin und bis in die Tunnel der Handelsroute nach Urrungfaust führten. Schon bald fanden wir aber auch die deutlichen Spuren der Karren, die die Waren von und nach Urrungfaust transportierten. Wieder einmal durchquerten wir Tunnel und Höhlen in der Dunkelheit und wieder einmal war es, als ob die gigantischen Massen der Berge selbst auf meinen Kopf drückten. Schon als wir aus den Hallen der Feuerriesen hier entlangkamen, hatte ich dieses Gefühl. Ich frage mich, wie diese Nachtzwerge hier ihr Dasein fristen konnten. Vielleicht durfte man einfach nicht größer sein, dass man den Berg über sich nicht bemerkte. Ich lenkte mich ab indem ich mir vorstellte, wie diese Höhlen und Tunnel geflutet würden. Ich stellte mir flüssiges und brennendes Gestein vor, wie ich es bei den Feuerriesen gesehen hatte. Das half etwas und es fing sogar an ein bisschen an Spaß zu machen. Bargh ging neben mir, doch als ich ihm beschrieb wie schön es sein könnte, merkte ich, dass er eben doch ein Krieger ist. Er sagte, dass er sich eine Armee vorstellen würde, die Euborea verwüsten würde. Das war etwas langweilig. Auch die Standarte aus der Haut von Halbohr konnte er sich nicht richtig vorstellen. Dabei wäre es ein prächtiges Bild, wie Bargh, der Krieger des Feuers und der Schatten, der Drachentöter, die Haut Halbohrs als Banner hoch über seinem Kopf trägt und damit die Armee befehligt. So sollte der grimmige Elf doch seinen Ruhm haben. Halbohr bekam zum Glück nichts davon mit, da er sich lieber damit beschäftigte, die Spuren der Karawanen zu untersuchen.

Als wir eine Rast einlegten, beobachtete ich Lyrismar. Seine Art unserer Herrin zu huldigen war gleichzeitig schrecklich und wunderschön. Er rieb einen Stab aus schwarzem Metall mit einer Art Öl ein und setzte diesen dann in Flammen. Grünliches Feuer züngelte über dem Stahl und die Luft darum flimmerte leicht vor Hitze. Unter fremden Gebeten drückte er sich dann den brennenden Stab auf seine Brust – auf eine bleiche Hautstelle, die noch nicht zu schwarzer Kohle verbrannt war. Es zischte, als das heiße Metall sich in das Fleisch hinein brannte. Doch er hatte keine Schmerzen. Im Gegenteil, er schien es zu genießen, als sich der Stab durch seine Haut fraß. Glücklich lächelnd lehnte er sich zurück. Ich wollte ihn nicht stören, also fragte ich leise Bargh, ob er wissen würde was es damit auf sich hätte. Doch auch für Bargh war dies neu. Es war ein Ritual, doch war es für Lyrismar auch wie ein Rausch, der vielleicht von diesem Öl herrührte. Es war faszinierend. Ich fragte mich wie es sich anfühlen würde, ob es beim ersten Mal weh tut und man danach die Freuden genießen konnte. Oder sogar schon direkt beim ersten Mal? Vielleicht erklärt Lyrismar mir es ja.

Wir durchschritten die seltsamsten Höhlenlandschaften. Wir sahen glitzernde Tropfsteinzapfen, kleine Flüsse und schimmernde Riesenpilzwälder. Glühende Augen betrachteten uns aus der Dunkelheit. Nach einer weiteren Zeit, es müssen wohl einige Tage gewesen sein, holten wir einen der Händlerzüge ein. Sie passierten gerade eine größere Tropfsteinhöhle, wo bleiche Flechten ein schwaches Licht von sich gaben. Ein Wagen wurde von Kriegern geschützt, von denen einer auf einer dieser haarigen Riesentaranteln ritt. Die Krieger und auch ein weiterer Nachtzwerg, der einen Karren mit einigen Stangen aus Ne’Ilurum schob, trugen das Wappen der Stadtwache von Urrungfaust: Eine goldene Krone über einem ebenfalls goldenen Kreuz aus Hämmern. Als sie Halbohr sahen, ging wieder das Getuschel los. Selbst in Urrungfaust kannte man diesen Namen also schon. Hoffentlich steigt es Halbohr nicht zu Kopfe und er vergisst nicht wo sein Platz ist. Halbohr gab vor in Urrungfaust weitere Handelsmöglichkeiten zu suchen. Ob sie ihm glaubten konnte ich nicht sagen, auf jeden Fall waren sie vorsichtiger als jene in Unterirrling. Jedoch waren sie auch nicht besonders feindselig. Ich könnte mir vorstellen, dass Bargh und bestimmt auch Lyrismar einem Kampf nicht abgeneigt wären, nach den langen Tagen des Wartens und des Marschierens. Doch beide waren auch keine Dummköpfe. Hätten wir die Nachtzwerge hier erschlagen, wäre unser Weg nach Urrungfaust bestimmt nicht einfacher. Der Anführer der Karawane empfahl uns den Klingenmarkt, doch sie schienen auch kein großes Interesse an weiteren Unterhaltungen zu haben. So ließen wir sie hinter uns und folgten weiter den deutlichen Spuren, die uns immer tiefer unter die Erde führten.

Nach einem weiteren Reisetag änderten sich die Höhlen etwas. Mehrere Tunnel stießen aus den verschiedensten Richtungen zusammen und vereinigten sich zu einer richtigen Straße. Wir rochen auch etwas Anderes. War es vorher der Geruch von nassem Stein, so mischte sich jetzt der Gestank von Unrat, Fäkalien und auch Verwesung darunter. Diese Höhlen wurden anscheinend von Händlern und Sklaven stärker genutzt, die hier ihre Hinterlassenschaften verteilt hatten. Aus den verschiedenen Tunneln sahen wir Händler mit ihren Waren kommen. Ein schwer beladener Lastenkarren wurde von humanoiden Sklavenkreaturen gezogen, die mit den Peitschenhieben des Händlers weitergetrieben wurden. Der Geruch würde noch übler, er biss mich richtig in der Nase. Vor uns konnten wir einen Lichtschimmer erkennen. Ich hatte erwartet hinter der nächsten Öffnung eine weitere kleinere Höhle zu sehen, vielleicht mit einem Lager. Doch als der Tunnel sich öffnete, war ich atemlos. Atemlos wegen dem, was ich dort sah, aber auch atemlos wegen des Gestanks, der mir die Luft aus den Lungen trieb.

Vor uns lag eine wahrhaftig gigantische Höhle. Aus dem dunklen Wasser eines ruhigen Sees erhob sich inmitten der Höhle ein kleiner Berg an dessen Hängen unzählige Gebäude standen. Die Spitze des Berges zierte eine riesige Festung. Überall aus den Gebäuden und auch aus dem Stein selbst quollen schwere fettige Schwaden hervor und legten einen Schleier aus giftiger Luft über die Stadt und über den See. Über den Dächern der Gebäude brannten orange-rote Dunkelfeuer und gewaltige Purpurne über der Festung in der Mitte. Der Dunst trug das Licht weiter und verteilte es, auf dass schließlich die gesamte Höhle gespenstisch leuchtete. Ich konnte ein Husten nicht unterdrücken, doch sah ich auch, dass die Duergar, von denen immer mehr in diese Höhle traten, blutigen Schleim aus ihren Lungen husteten. Etliche trugen widerliche Geschwüre. Sie alle strömten zu einer breiten Brücke, die von unserem Ufer über den See in die Stadt hineinführte. Die Kanten der Brücke waren gespickt mit den grimmigen Bildnissen der Duergar, vielleicht alte Könige oder bekannte Krieger. Dort, wo die Brücke in die Stadt traf, führte sie unter einem großen Torbogen hindurch, schwer bewacht mit Türmen und Kriegern, die das Wappen der Stadt trugen. Der widerliche Rauch hüllte uns ein, als wir uns im Strom der Händler über die Brücke bewegten. Das Beißen in meinem Hals und meiner Lunge wurde schlimmer. Es war, als ob die schwarzen Fluten des Sees ihren ätzenden Hauch ausspien. Hier und dort konnte ich Blasen auf dem dunklen Wasser sehen, mit denen giftiger Rauch aufstieg. Lyrismar schien wie berauscht zu sein, von der Stadt und ihren Lichtern. Vielleicht wirkte sein brennendes Öl noch in seinem Körper. Er starrte die Lichter und die Duergar an. Als wir kurz vor dem Bogen waren trat aus den Türmen ein kleiner Trupp Soldaten heraus. Der Anführer der Gruppe, der eine große silberne Kette mit einem eingefassten Rubin trug, starrte Halbohr an, als ob er sich nur mühsam zurück halten könne ihm nicht direkt hier und jetzt den Schädel einzuschlagen. „Meister Halbohr! Ihr seid weit weg von eurem Zuhause. Ihr seht aus, als ob ihr wieder zurückkehren wolltet, in euren Tempel des Jensehers. Dort gehört ihr hin“. Der Soldat neben ihm, der ihn mit Geisteswerker Horund ansprach, wurde mit einem harschen Zischen zum Schweigen gebracht. Auch hier erzählte Halbohr seine Mär, dass er handeln wolle und auch hier glaubte man ihm. Wobei der Geisteswerker Horund ihm noch die drohenden Worte zum Abschied sagte: „Gehet und wisset, die grauen Augen Laduguers sind überall. Die Steine betrachten euch.“ Ich konnte sehen wie es in Bargh arbeitete. Es fehlte nicht viel und der Krieger würde die Schattenklinge Jiarliraes ziehen und Laduguer selbst die Augen ausstechen. Doch auch hier konnte er sich zurückhalten.

So tauchten wir ein in den nebelhaften Gestank Urrungfausts. Der Qualm der Essen, Werkstätten und Öfen biss in unsere Augen und Lungen. Überall begegneten uns hustende Duergar. Selbst die Kinder, die mit ihren Holzschwertern alte Schlachten nachspielten, spuckten Blut zwischen ihren Rufen. Ihre Spiele sahen für mich sehr interessant aus - nicht so einfältig, wie die der Sprösslinge der Riesen. Der Ort wirkte trist und trostlos. Überall der schwere Qualm. Alle Häuser waren grau in grau. Bollwerke aus gerader Steinarchitektur. Keine Bäume, keine Statuen, keine Brunnen, einfach nur Haus an Haus und dazwischen die Werkstätten. Etliche der Werkstätten produzierten ölige und ätzende Abwässer, die ihren Weg durch die Gossen in den großen See fanden. Lyrismar trennte sich von uns und wollte nach einer Bleibe schauen, während Halbohr und Bargh einen kleineren Markt ansteuerten. Wir blieben also auf der breiten Straße, die sich in Serpentinen in Richtung der Zitadelle hinaufschlängelte. Zielstrebig fand Bargh einen Stand, an dem ein dicker Nachtzwerg mit einer knolligen roten Nase irgendein Gebräu namens Dunkelbraan anpries. Halbohr bestellte sich direkt einen Humpen, doch der Tölpel hatte nicht mal an Bargh und mich gedacht. Bargh musste ihn erst noch daran erinnern und auch dann meinte Halbohr es wäre lustig, wenn er mich als Kind darstellte und mir nur einen halben Humpen geben würde. Halbohr redete zwar in der hässlichen Sprache dieser Kreaturen, doch wie so oft zeigte es sich, dass Halbohr einfach nur dumm war. Er dachte, ich könnte nichts davon verstehen. Ich konnte mir aber sehr wohl die ersten Brocken der Sprache bereits im Tempel des Jensehers aneignen und diese über die Zeit verfeinern. Halbohr würde es schon früh genug erfahren, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Jetzt lachte auch der Bierhändler, rief mich einen kleinen Jungen. Ich stellte mir vor wie ich ihn lebend über den Feuern einer dieser Essen röstete, wie ich es mit den Kindern der Hügelriesen gemacht hatte. Die Schreie von ihm klangen wunderbar in meinem Kopf, doch plötzlich wurde ich aus meiner Träumerei gerissen. Ein Fischhändler, einige Schritte von uns entfernt, rief wie von Sinnen: „Haltet den Dieb!“. Ein kleineres und dürres Etwas lief mit einem stinkenden halben Fisch in der Hand davon. Ein hässlicher Kopf ragte aus einem ausgemergelten Körper empor, am Hals und an den Händen die Wunden von zu engen Ketten. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden diese Kreaturen in alten Sagen als Goblins bezeichnet – auch wenn dieses Exemplar noch sehr jung war. Das Etwas war flink und schaffte es fast davon zu kommen, doch einer dieser Duergar stellte ihr ein Bein und das Etwas fiel der Länge nach zu Boden. Eine Duergar Frau platzierte ihren massigen Fuß auf den Körper. Das Etwas versuchte sich zwar zu winden, kam aber nicht davon. Die Gesetze hier waren offenbar sehr einfach: Stiehlt ein Sklave etwas, dann ist es das Recht der Bestohlenen den Sklaven zu töten. Das gefiel mir, keine Reden, keine Ausflüchte. Der Fischhändler zögerte noch, doch die Menge an Schaulustigen feuerte ihn an. Schließlich fällte er sein Urteil und nahm die ihm von einem Krieger bereitgestellte Axt. Mehre Hiebe brauchte der Fischhändler; er schwang die Kriegsaxt, als würde er Holz spalten. Das Etwas, dem Todesschrei nach vielleicht ein Goblin-Mädchen, zuckte noch einmal auf und blieb dann aber auf dem schmutzigen Boden liegen. Ich nahm noch einen Schluck des Dunkelbraan, das ziemlich kräftig war und warm die Kehle herabrann. Ich muss sagen, zu einem Teil bewunderte ich die Sitten dieser schmutzigen, missratenen Rasse. Die Menge verteilte sich wieder, offenbar nur eine kurze Ablenkung in dem sonst so tristen Alltag. Ich musste schmunzeln, als zwei Wachen den Fischhändler in seine Schranken wiesen. Die Worte „Ihr hattet euer Urteil und euren Spass, also beseitigt diesen Müll“, verstand ich sogar, als die beiden auf den toten Leib des Goblin-Mädchens zeigten.

Halbohr nutzte die Gelegenheit und schnippte ein Goldstück auf den Tresen des Bierstandes. Bier für jeden rief er und die Menge ließ sich das nicht zweimal sagen. Vorher waren die Blicke uns nicht wirklich freundlich gesonnen, doch der Gedanke an freiem Bier half offenbar. Während der Wirt seine Humpen an dem Fass füllte versuchte Halbohr ihm einige Informationen zu entlocken. Die Stadt Urrungfaust ragt aus dem See Arbolbaar auf und wird auch die „Stadt der Ehre und der harten Arbeit“ genannt. Nicht die Stadt der Spiele oder des Spaßes. Ich hoffte, dass wir diesen stinkenden Ort schnell wieder verlassen können. Die Festung, die imposant auf der Spitze des Berges thront, ist die Feste Blutsteinzitadelle. Sie ist der Sitz des Königs von Urrungfaust, Glanryk von Werunstein. Hinter der Festung erstreckt sich der Klingenmarkt wo man angeblich alles bekommen könne was man wolle; alles bis auf Duergarsklaven. Versuchte man diese zu handeln, würde man einen Kopf kürzer gemacht. Der Tempel von Laduguer, Glammringsfaust, ragt auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt aus den Fluten des Arbolbaar auf. Dieser Tempel habe seine eigenen Regeln - so sei es schon immer gewesen und so würde es auch immer sein - so die Worte des Bierhändlers. Ob diese Worte auch noch gesagt würden, wenn die Fluten Jiarliraes über Urrungfaust hinwegfegen?

Das ganze Gerede fing an mich zu ermüden, also nahm ich noch einige tiefe Schlücke des Dunkelbraan. Das wohlige warme Gefühl breitete sich nicht nur im Magen aus, sondern begann auch in meinen Kopf zu steigen. Die Lichter wirkten faszinierend, wie sie sich über den Dächern bewegten. Bewegten sie sich überhaupt? Als wir ankamen standen sie noch still. Ich hielt mich am Rande des Standes fest, um zu überprüfen ob sie tatsächlich angefangen hatten sich zu bewegen. Doch auch der Stand bewegte sich plötzlich von mir weg und mein Griff ging ins Leere. Ich glaubte Halbohr lachen zu hören, dennoch waren die Lichter für mich interessanter. Sie fingen an sich zu drehen, oder drehte ich mich? Vielleicht war das Dunkelbraan doch stärker als ich dachte.

Lyrismar fand schon bald wieder seinen Weg zu uns. Er hatte in einem Stadtteil namens Zehnminenstadt eines der wenigen Gasthäuser mit dem Namen Orunbrunn gefunden. In diesem Stadtteil gab es viele Schächte von Minen, die tief unter den Berg und unter die Stadt führten. Hier standen kaum Häuser, nur dunkle Stollen aus denen ätzender Dampf strömte. Giftig schimmernde, vielfarbige Rinnsale flossen aus den Minen und vereinigten sich zu einem richtigen Bach aus Säure und Unrat. Der Bach floss direkt unter dem Gasthaus entlang, wo zwei Gebäude durch eine Art Wohnbrücke miteinander verbunden waren. Kleine Tische und Stühle waren an den schwarzen, schlammigen Ufern aufgebaut. Der Nebel der Minen sickerte hier hinab und alles war von diesem dunklen öligen Schlamm überzogen. Selbst die Lichter der Dunkelfeuer drangen nur gedämpft durch den ätzenden Qualm. Vor dem Gasthaus saßen schon die Minenarbeiter mit rußgeschwärzten Gesichtern und tranken ihr Bier, während sie Eiter, Schleim und Blut in ihre Geschwüre husteten. Zwischen den Arbeitern huschten einige weibliche Gestalten, die mich direkt an das Volk von Ortnor erinnerten, jedoch machten sie eher einen bedrückten Eindruck.

Es sah so aus, als ob wir noch einige Tage oder Nächte in diesem Gestank ausharren müssten. Hoffentlich lohnt es sich. Ich muss dem Gespür von Neire und Bargh vertrauen, dass wir nicht nur irgendeinen totem Duergar hinterherrennen, sondern dass es auch für mich ein weiterer Schritt auf dem Pfad des Verstehens ist.
Titel: Sitzung 95 - Feste Blutsteinzitadelle
Beitrag von: Jenseher am 14.01.2024 | 09:47
Das Dunkelbraan, das ich an den Ständen der Händler getrunken hatte, war mir in den Kopf gestiegen, was den Weg bergab nicht leichter machte. Wir rutschten durch den giftigen Schlamm herab. Wenn wir in einer der leicht ätzenden Pfützen Halt fanden, spritzte der Dreck in alle Richtungen. Die Luft brannte auf der Haut. Es fühlte sich an, als wenn der Nebel und der Rauch einem die Haut vom Schädel abfressen würden. Und allgegenwärtig das Glühen der Dunkelfeuer über den Zinnen dieser Stadt und das immerwährende Hämmern irgendwelcher Schmieden, Essen und Gießereien. Diese Kreaturen kannten nichts als Arbeit. Sie lebten für ihre Arbeit und sie würden einst sterben für ihre Arbeit.

Unter der bebauten Brücke, welche die beiden Gebäudeteile verband, standen einige Tische, getrennt von dem giftigen Bach der aus den Minenschächten floss. Dreckige und grimmige Duergar saßen an den Tischen und erzählten lachend ihre Geschichten - was sie alles im Innern des Berges erlebt hatten. Ihre Gesichter waren schwarz gefärbt von Kohle und Schlamm. Dazwischen huschten die abgemagerten Gestalten der Svirfneblin Sklavenmädchen. Ihre bernsteinfarbenen Augen blickten unterwürfig gesenkt, während sie mit geschickten Händen Humpen und Schalen auf die Tische stellten. Als wir uns näherten flauten die Gespräche ab. Was kein Wunder war, schließlich boten alleine Bargh und Lyrismar eine eindrucksvolle Erscheinung. Beide riesengroß im Vergleich zu diesen Kreaturen. Barghs Rüstung aus Stahl und Mithril schimmerte in dem unwirklichen Licht der Dunkelfeuer. Und Lyrismar, mit seiner schwarz verbrannten Haut, machte nicht weniger Eindruck. Sein merkwürdig nach hinten gezogener Schädel gab ihm etwas Unmenschliches, wie von einer anderen Welt.

Während wir uns an einen freien Tisch setzten konnte ich die Blicke der Duergar in meinem Rücken spüren. Als sie Halbohr sahen, ging von der anderen Seite des Baches ein Gelächter aus. Einer zeigte auf das eine Ohr von Halbohr, was noch nicht von dem Brand Jiarliraes berührt wurde. Ich konnte nicht alles verstehen, aber einige Worte waren eindeutig: „… sie furzen Blätter …“, „… einer von denen, die es mit Bäumen treiben …“, „… diese Sonnenblüter …“. Ich fing an zu kichern und Bargh grinste Halbohr offen an. Er fand es wohl nicht ganz so lustig. Seine Miene blickte finster drein und seine Hand ging wie von selbst zum Griff seines Einhorndolches. Ich meinte sogar so etwas wie Blutdurst in seinem Blick zu sehen. Halbohr hatte einfach keinen Sinn für Spaß.

Nach kurzer Zeit hatten wir auch endlich die Aufmerksamkeit des Wirtes, Ryandor Snurgel, gewonnen. Dieser bewegte seinen dicken Bauch in unsere Richtung. Sein weißes Haar war schon etwas schütter geworden. Auf der rechten Seite seines Kiefers fehlten fast alle Zähne, was ihm ein schiefes Lächeln einbrachte. Ein Lächeln, das so falsch war, wie es wohl jedem Händler zu eigen, der seine Überzeugung gegen bare Münze tauschte. „Willkommen Reichsfremde in meinem schönem Lokal Orunbrunn. Ihr wollt bestimmt mein Bier trinken, das beste Bier von ganz Urrungfaust. Kostet nur acht Silberstücke!“ Vom Tisch nebenan murmelte ein Duergar erstaunt, ob er denn seine Preise erhöht hätte. Doch der Nachtzwerg neben ihm verstand es etwas schneller. Ein kurzer Stoß mit dem Ellbogen und er konnte das Thema ändern. Bargh konnte es auch hören und verschluckte sich an seinem Bier als er auflachen musste. Auch Halbohr hatte es gehört, grinste den Wirt aber nur an. Als er seine Preise für ein Zimmer nannte, wurde sein Grinsen zu einem erstaunten Blick. Fünf Goldstücke wollte er haben für nur eine Nacht. Offenbar war neben harter Arbeit auch der Wucher eine Tugend von ihnen. Halb im Scherz, halb aufgebracht, fragte Halbohr ihn ob das sicher für eine Nacht wäre oder für einen Monat. Doch wir konnten froh sein, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Fremde werden in Urrungfaust ganz offensichtlich nicht gerne gesehen, geschweige denn Fremde mit spitzen Ohren. Ryandor erzählte uns, wie er in irgendeiner von ihren Schlachten gekämpft hatte und, so wie er sagte, unzählige von Elfen getötet hatte. Ganz offenbar Dunkelelfen, aber für Ryandor waren sie wohl alle ein und das gleiche. Dabei verstand ich immer noch nicht, was daran so besonders war. Auch ich habe schon Dunkelelfen in Kämpfen getötet. Sie schienen mir aber nicht so besonders, wie die Duergar immer taten. Aber gut, sie sind auch alle ziemlich klein. Dem Wirt versuchte ich das zu erklären, und auch, dass ich kein Junge und auch kein Mädchen bin. Ich bin eine Dienerin des Feuers, kein kleines Kind. Bargh legte eine funkelnde Platin Münze auf den Tisch, für unsere Zimmer und noch ein Bier für uns beide. Als es kam stießen wir unsere Humpen gegeneinander. Das Bier war nicht so stark wie das Dunkelbraan, aber es schmeckte dennoch sehr gut. Einem Duergar zwei Tische weiter gefiel es jedoch offenbar gar nicht, dass Fremde hier auch Spaß haben konnten. Er schlug mit seinem Humpen auf den Tisch und sprang auf. In seinen matt-blauen Augen funkelten Hass und die Lust auf einen Kampf. Ich freute mich schon darauf zu erfahren, was Bargh wohl mit so einem Herausforderer alles machen würde, doch leider kam es nicht so weit. Ein anderer Duergar zog ihn wieder runter und beruhigte ihn. Aber Halbohr konnte er damit offenbar beeindrucken, denn der Feigling wollte jetzt nur noch schnell auf die Zimmer. Er sagte zu Lyrismar, dass die Vernunft ihm das ein oder andere Mal schon das Leben gerettet hatte. Als Bargh das hörte, musste er laut auflachen. Neire hatte ihm etwas anderes erzählt und ja, es stimmte auch, dass entweder Neire, Bargh oder ich selbst es waren, die ihm das Leben gerettet haben. Wir waren es, nicht seine Vernunft. Man konnte sehen, dass es in Halbohr brodelte, doch auch jetzt wollte er lieber still und heimlich bleiben. Ryandor führte uns auf unsere Zimmer. Der Weg durch das Gebäude, die Treppen hoch und auf den Brückenbau kam mir ewig vor. In meinem Kopf drehte sich alles, ich musste mich dringend hinlegen. Das Bier war wohl doch stärker gewesen, als es den Anschein gehabt hatte. Vielleicht hatte dieser gemeine Wicht auch etwas Anderes hineingetan. Von solch niederen Kreaturen kann man alles erwarten.

Als wir am nächsten Morgen - falls man das überhaupt Morgen nennen kann in dieser Stadt - unser fettiges Frühstück vorgesetzt bekamen, machte sich mein Magen bemerkbar. Dieses bohnenartige Gewächs, was in einer dicken braunen Tunke schwamm, würde ich bestimmt nicht hinunterwürgen. Noch in der Nacht hatten wir beschlossen zum Klingenmarkt aufzubrechen. Das war als Ziel genauso gut wie jedes andere und man könnte dort Sklaven bekommen. Diese Rasse von Ortnor war gut darin, Tunnel und ganze Städte unterhalb der Erde zu bauen, die auch geheim bleiben konnten. Genau das richtige, um unserer Herrin den Weg in unsere Welt zu bereiten. Plötzlich polterte ein Duergarjunge in den Raum hinein. Verlegen, vielleicht auch etwas ängstlich hielt er ein versiegeltes Schriftstück in den Händen. Zumindest in einer Hand, die andere Hand streckte er fordernd nach vorne. Erstmal nachdem er gierig einige Münzen von Halbohr eingesteckt hatte, gab er ihm das Dokument und ging wieder. Jedoch nicht ohne sich noch feige an der Türe umzudrehen und zu rufen: „Meine Mutter sagt, alle Elfen sind Bastarde und sollen verrecken.“ Doch bevor irgendjemand reagieren konnte, drehte er sich um und lief durch den schwarzen Schlamm hinfort.

Auf dem Siegel war das Wappen einer großen Spinne zu erkennen. Halbohr brach es und öffnete das Dokument: „Meister Halbohr, Ihr befindet euch in großer Gefahr. Aus diesem Grund bitte ich euch sofort aufzubrechen und euch in der Feste Blutsteinzitadelle zu melden. Dort werdet ihr alles Weitere erfahren. Gezeichnet: Grauwegur Nebelritter.“ Also gut, dann eben zum Palast. Diesen fand ich ohnehin interessanter als den Klingenmarkt. Allein schon die großen violetten Flammen, die auf den vier Türmen brannten, waren imposant. Auf dem Markt würde Halbohr nur reden und planen und handeln, während wir uns die Füße in den Bauch stehen müssten. Vielleicht war es im Schloss auch sauberer als hier.

So verließen wir das Gasthaus und die Zehnminenstadt, um wieder dem Strom der Passanten hinauf auf die Spitze dieser Insel zu folgen. War es in Zehnminenstadt noch verhältnismäßig ruhig, so stießen wir hier auf Mengen von Passanten. Händler fuhren mit ihren Wägen und peitschten ihre Sklaven, wenn diese nicht schneller spurten. Kinder spielten irgendein kompliziertes Fangspiel, während einige von ihnen Blut husteten. Die Straße führte immer höher und bescherte uns einen besseren Blick über die Stadt. Die tiefen Gebiete lagen unter einem schweren Dunst, doch konnte man die gedrungenen und bedrückenden Bauten durch ihre Dunkelfeuer deutlich erkennen. Irgendwo links, fast an der Küste konnte man ein großes rundes Gebäude sehen, vielleicht irgendeine Art von Arena. Und vor uns ragten schließlich die schwarzen Basaltmauern der Feste Blutsteinzitadelle auf. Der Hauptweg der Straße führte zwar um die Feste herum, doch weiter geradeaus ging es durch einen kolossalen Bogen in das Innere des Palastes. Zwei große geöffnete Tore aus schwarzem Eisen säumten den Bogen und überall waren Wachen. Sie waren auf dem Weg durch das Tor, auf den Mauern zwischen den Türmen und auch auf den Türmen selbst. Die Wachen trugen zwar unterschiedliche Wappen doch waren sie alle gut gerüstet. In den senkrechten Mauern konnten wir auch viele Ritter sehen, die auf ihren riesigen haarigen Spinnen ihre Wache abgingen. Einige trugen das Wappen der Stadtwache, das Kreuz auf Hämmern und darüber die Krone der Stadt. Andere trugen ein Wappen, auf dem drei silberne Picken abgebildet waren, die sternförmig vom Mittelpunkt weg zeigten. Lyrismar erkannte es als das Wappen der Armee von Urrungfaust. Auch ich erkannte es und hatte auch schon von der Armee gehört. Sie galt bei den Duergar als unbesiegbare Streitmacht, die aber auch nicht davon absah, gegen die eigene Rasse und die eigene Stadt Krieg zu führen. Ich erinnerte mich einmal davon gehört zu haben, dass es früher, neben diesem Witz eines Gottes mit dem Namen Laduguer auch andere gegeben hatte, die sich „Gott“ schimpften. Es gab Tiefenduerra und Diirinka. Erstere war wohl eine Tochter von Laduguer, zweiterer wurde von der Rasse der Derro angebetet. Die Derro waren den Duergar zwar ziemlich ähnlich, jedoch vermieden sie die harte Arbeit und zogen eher Verrat und Heimtücke vor. Der Legende nach schuf Diirinka die Derro nachdem er von anderen Göttern Magie gestohlen hatte. Seine Rasse, die Derro, wurde daraufhin mit Wahnsinn gestraft. Auch in Urrungfaust hatte es wohl einmal Derro unter den Einwohnern gegeben, doch vor einigen Jahrzehnten wurden sie aus der Stadt vertrieben oder sogar ausgerottet. Ich hatte gehört von einem gewaltigen Blutvergießen, einem heiligen Krieg, den die Dienerschaft der Laduguer Gläubigen gegen die Derro geführt hatte. Derro gab es jetzt keine mehr in Urrungfaust.

Als wir uns dem Portal näherten schritten uns schon zwei Wachen in glänzenden Feldharnischen entgegen. Keiner der Duergar erkannte Halbohr - zum Glück. Ich glaube nämlich langsam, dass ihm dieser Ruhm zu Kopfe steigt. Erst als er ihnen das Schriftstück mit dem Siegel zeigte, durften wir passieren. Hinter dem Tor öffnete sich uns eine andere Welt. Zwar waren die Mauern immer noch trist und grau, aber der ganze Hof war sauber und ordentlich. Kein giftiger Schlick, kein Müll. Selbst die Luft schien hier etwas besser zu sein. Als eine der Riesentaranteln ihr Geschäft erledigte, huschte direkt ein Sklave heran und fegte es weg. Selbst Rüstung und Waffen der Wachen waren sauberer und sahen viel wertvoller aus. Wir wurden zu einem großen Gebäude in der Mitte des Hofes geführt. Auch aus dem dunklen Basaltstein erbaut, besaß es ein spitz zulaufendes Dach aus Holz. Wobei es eigentlich kein Holz sein konnte. Ich habe hier noch nicht einen Baum gesehen. Es musste wohl aus dem Stamm eines Riesenpilzes sein, der hier unten wächst. Große Runenbänder schmückten den Eingang zu dem Gebäude. Wir wurden noch bis zum Anfang eines Säulenganges geführt, dann mussten wir warten. Die Wache die uns bis hierher begleitet hatte, entfernte sich mit den Worten, den Grauwegur Rittern Bescheid zu geben. Auch hier gab es einige Wachen, jedoch hatten sie keine Wappen auf ihren Rüstungen oder Schilden.

Schon nach kurzer Zeit kam unsere Eskorte in der Begleitung einer weiteren Gestalt zurück. Der Nachtzwerg war komplett eingehüllt in eine der feinsten Rüstungen, die ich je gesehen habe. Der Harnisch war aus dem besten Ne’ilurum gefertigt und die einzelnen Teile der Platten geschickt miteinander verbunden. Ein konischer Helm bedeckte den Kopf, nur ein Augenschlitz blieb offen und auf der Stirnpartie prangerte das Wappen einer schwarzen Tarantelspinne. Die Gestalt wies uns militärisch zackig an ihr zu folgen, was wohl Halbohr, aber auch Bargh, sehr vertraut zu sein schien. Er stellte sich als Nebelritter vor, also der Grauwegur Ritter, der uns den Brief geschickt hatte. Während er uns weiterführte, begann er verschiedene Regeln aufzuzählen, wo Halbohr bestimmt begierig zuhörte. Ich selbst fand die ausgestellten Rüstungen wesentlich interessanter, an denen er uns gerade vorbeiführte. Ich sah keinen Duergar oder sonstige Wesen in den Rüstungen, aber dennoch war es, als ob sie mich hinter den leeren Augenöffnungen anstarren würden. Mehr im Hintergrund hörte ich, wie Nebelritter die Regeln für ein Treffen mit dem König erklärte. Wir durften den Ring von Grauwegur Rittern nicht betreten, sonst würden sie uns töten. Aber wir mussten unsere Waffen nicht abgeben und noch nicht einmal uns vor dem König verbeugen, wenn wir es nicht wollten. Ein merkwürdiges Volk, aber der Versuch diese Sitten zu verstehen würde sich vermutlich nicht lohnen. Sie würden sich vor Jiarlirae verbeugen, allesamt, und damit auch vor mir. Dann spielt es keine Rolle mehr, was sie wollen und was nicht.

Nebelritter führte uns zu einer großen Türe, die von Innen aufgezogen wurde. Dahinter eröffnete sich uns ein pompöses Gemach, ein großer Saal mit Säulen aus wertvollem Basalt. Fresken aus Alabaster zierten die Wölbungen und überall waren Vertiefungen mit gewaltigen funkelnden Edelsteinen. Doch trotz allen Prunkes: Die Formen die gezeigt wurden, die Fresken, die Säulen, alles war irgendwie gradlinig und nüchtern. Die Architekten und Künstler kamen nicht auf die Idee wirklich kreativ zu werden oder verspielte Ideen mit einfließen zu lassen.

Am Ende des Saals stand ein unverzierter Thron aus Basalt, der umringt wurde von vier weiteren Rittern, die ähnliche Rüstungen trugen wie Nebelritter. Es mussten dann also die anderen Grauwegur Ritter sein. Sie beschützten ihren König, Granryk von Werunstein. Der König sah müde aus, denn dunkle Augenringe lagen auf seiner fahlen Haut. Von den blauen Venen im Gesicht waren einige schon aufgeplatzt und unter seiner Rüstung drückten die Ansätze eines dicken Bauches. Das schüttere Haar wurde geschmückt von einer Krone, die aus wertvollen Feueropalen gefertigt war. Ich erinnerte mich an alte Legenden, dass er die Krone selbst aus einem Schatz der Dunkelelfen mitgenommen hatte. Zuvor sollte er ihre vorherigen Besitzer getötet haben. Es musste vor einer langen Zeit gewesen sein; vor vielen Jahren, als Granryk noch jung war. Auch die Kriegspicke, die er gerade verzückt streichelte, erkannte ich wieder. Die Waffe aus Mithril hatte sich in einer der vielen Gefechte den Namen Dunkelelfenschlächter verdient. Angeblich sei diese Waffe in der Lage, jeden Dunkelelfen mit einem Schlag niederzustrecken. Seit tausenden von Jahren tauchen immer wieder Geschichten von dieser Waffe auf und irgendwie hatte dieser König es geschafft, sie in seine Finger zu bekommen.

Halbohr begrüßte den König knapp und auch wir anderen neigten unsere Köpfe zum Gruß. Auf das Knie ließ sich keiner fallen. Dieser König war gut informiert. Er wusste über den Tempel des Jensehers und über die Machtübernahme von Germin Dunkeldorn durch das Recht des Zweikampfes. Auch war er nicht dumm. Ihm war sehr wohl bewusst, dass auch Urrungfaust das Ne’ilurum braucht was in Unterirrling abgebaut wird. Doch war er sich der Zukunft nicht so sicher wie Halbohr. Germin würde sich nicht lange halten können, wenn nichts unternommen werden würde. „Wir sind voneinander abhängig“, sprach der König. „Wir benötigen das Ne’ilurum aus Unterirrling und wir benötigen den Extrakt der Düsterheitpilze, den wir hier verkaufen. Aber es gibt Fanatiker, wie die Priester des Laduguer, die sich für schlechten militärischen Rat bezahlen lassen. Sie stellen sich als die einzigen Behüter der Duergar dar. Ich habe nach Runin’ore’Waere geschickt, um mir von ihm berichten zu lassen. Daraufhin wurde er ermordet. Der Tempel ist mächtig. Mächtig genug, um die Macht in Urrungfaust an sich zu reißen. Doch es würde in einem Gemetzel enden, was selbst die Priester sich nicht leisten können. Daher versuchen sie es heimlich zu machen. Seit Jahrhunderten gibt es zwei alte heilige Bräuche unserer Rasse: Zum einen der Kampf Mann gegen Mann, um Recht zu sprechen. Zum andern die Opferung von Missgeburten an die alten Götter, wobei es in Urrungfaust ja nur noch Laduguer gibt. Die schwachsinnigen Kinder der Duergar wurden seit jeher gesammelt, um sie dem dunklen Gott zu opfern. Es war unser alter Brauch, das Schwache und das, was abseits des Althergebrachten war, in unserer Rasse auszumerzen. Doch seit einiger Zeit gibt es keine dieser Kinder mehr. Sie wurden nach ihrer Geburt in Gefängnisse gebracht, doch von dort wurden sie geraubt. Man sagt ich hätte dies befohlen.“ Der König erhob sich von seinem Thron und ging einige Schritte auf uns zu. Trotz seines Alters bewegte er sich sehr elegant. „Doch ich sage euch, sie lügen. Sie versuchen meinen Ruf, meine Ehre als König zu zerstören. Sie sagen mir schlechte Dinge nach. Deswegen frage ich euch Halbohr. Es könnte eine gute Zukunft für Urrungfaust, Unterirrling und den Tempel des Jensehers geben. Handel, Reichtum und Ehre werden auf uns warten. Doch seid ihr bereit alles dafür einzusetzen?“ Halbohrs Antwort brauchte nicht lange, dann sprach der der grimme Elf mit dem verbrannten Ohr: „Wer nicht alles einsetzt, kann nicht alles gewinnen.“

„Hört gut zu. Ihr seid in der Stadt entdeckt worden, doch es ist nicht bekannt, dass ihr in meinen Palast gekommen seid. Der Junge der euch mein Papier gegeben hat, wird dabei kein Problem sein. Der Tempel Glammringsfaust liegt im Norden der Stadt. Doch es ist nicht nur ein Tempel, sondern eine Festung. Seit Jahrhunderten bilden die Priester von Laduguer Anhänger in der Kunst der Kriegstaktiken aus. Sie konnten in der langen Zeit die Verteidigung des Tempels perfektionieren. Es gibt eine Möglichkeit die Macht des Tempels zu brechen. Ihr müsst den Abt des Tempels töten, den Erzgraf von Düstergrau. Ihn und seine drei Schreckensritter, Hornbald den Grausamen, Laargyr den Dunklen und Daurgonn den Grauen. Das ist aber noch nicht alles. Einer der drei Türme ist über eine Brücke mit dem Moorund Stein verbunden, einer der beiden großen Tropfsteinzapfen in Urrungfaust. Dort befindet sich das Herz des Tempels und dort befinden sich auch die Antworten - warum der Tempel gegen mich vorgeht und keine Verhandlung möglich ist. Die Verteidigung des Tempels ist gut, doch er ist nicht uneinnehmbar. Die direkteste Möglichkeit wäre ein frontaler Angriff, das wäre jedoch einem Selbstmord gleich. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Ihr an einer der Zeremonien für die Bevölkerung teilnehmt. Doch ihr müsstet euch als einer der Unseren ausgeben, was so gut wie unmöglich ist. Die Priester des Tempels schaffen es, Verkleidungen und selbst Trugbilder schwarzer Kunst zu durchblicken. Eine dritte Möglichkeit, vielleicht die Beste, wäre Folgende: In dem Keller meiner Feste habe ich Meister der Alchemie beschäftigt, mit dem Brauen von Elmsflammwein. Diese Flüssigkeit brennt lange und heiß. Wenn man sie in höheren Konzentrationen entzündet, schafft sie ein Inferno, das selbst die Mauern des Tempels zum Schmelzen bringen kann. In dem Chaos, was sich dann ausbreitet, könntet ihr es schaffen, unbemerkt in den Tempel einzudringen.“

In meinen Gedanken breitete sich eine wohlige Wärme aus. Der zufällige Blick von Bargh zeigte, dass man es mir sogar ein bisschen ansehen konnte. Die Bilder von brennendem Mörtel und glühenden Metall blitzen in meinem Geist auf. Das Geräusch von berstendem Stein klingelte in meinen Ohren, als die Erinnerung an den Tempel der Ehre emporkamen. Wie wenig ich damals doch wusste und wie viel ich jetzt verstand. Wenn wir Erfolg hätten, versprach der König uns in seine Schatzkammer zu lassen. Er sagte, dass er dort mächtige Gegenstände, mit der Magie der Dinge, lagerten. Er erzählte uns von der nachtzwergischen Kunst dieser Magie, welche die unsichtbaren Strömungen in Edelsteine bannte. Das Versprechen nach Schätzen, egal ob Gold oder nachtzwergischer Magie, verblasste in Anbetracht unserer kommenden Taten. Ich würde ein weiteres Mal das ausbrennen, was diese Welt besudelt.
Titel: Sitzung 96 - Sturm auf den Tempel
Beitrag von: Jenseher am 20.01.2024 | 23:46
Dieser Elmsflammwein war ein wunderbares Gebräu, viel besser als das, was die Priester vor Dreistadt lagerten. Nicht nur, dass es eine gehörige Explosion geben würde. Es würde auch danach noch weiterbrennen. Die armen Wichte, die nicht schnell genug in Deckung gehen oder einfach nur Pech haben würden. Sie werden die wahre Umarmung unserer Herrin empfangen und entweder frohlocken oder jämmerlich zugrunde gehen.

Nach zwei Tagen, in denen uns die alchemistischen Meister des Königs von Urrungfaust in den Geheimnissen des Elmsflammwein unterwiesen hatten, kam Grauwegur Nebelritter zu uns und sagte uns, dass alle Vorbereitungen abgeschlossen wären. Ein älteres Exemplar dieser Duergar, Skrugnar, holte uns ab und führte uns wieder aus dem Palast heraus. In den wenigen Tagen, die wir hier verbracht haben, hatte ich schon fast den widerlichen Gestank der verpesteten Luft vergessen. Doch schon bald, als wir die Straße auf der gegenüberliegenden Seite der Feste Blutsteinzitadelle wieder herabgingen, musste ich husten. Die Schlote der Stadt, mit ihren von Dunkelfeuer umhüllten Zinnen, stießen unablässig ihren beißenden Qualm in die Höhe.

Skrugnar führte uns auf einer breiten Prunkstraße, wenn man sie denn so nennen konnte. Denn auch diese Straße war langweilig. Zwar breit, jedoch ohne irgendwelche interessanten Spielereien, die so mancher Architekt in der richtigen Welt über uns hätte bauen lassen. Wir hatten uns dreckige und stinkende Laken übergeworfen. Es sollte wohl so aussehen, als ob wir zu einem Sklavenvolk gehören würden. Das war bestimmt Halbohrs Idee, der wohl wieder seine Freude daran hatte, dass ich wieder das kleine Sklavenmädchen spielen würde. Einer seiner Pläne, der ohnehin nicht aufgehen würde.

Die Straße führte über einen großen Markt, wo wir schon von weither die Rufe der Händler hören konnten. Tatsächlich wurde hier alles feilgeboten, was man sich vorstellen konnte. Sicherlich auch bessere Arbeiter für den Tunnel, den wir aus dem Tempel des Jensehers unter der Irrlingsspitze planten. Je weiter wir bergab gingen, desto nobler wurden auch die Gebäude. Zwar immer noch in Grau- und Dunkeltönen, doch konnte man hier und dort auch Erker und Säulen sehen, die so gar nicht in das übrige Bild der Stadt passten. Bestimmt irgendwelche „Andenken“ vergangener Raubzüge. Allerdings wurde auch der Gestank beißender, je tiefer wir kamen. Dieser Gestank kam nicht nur von den Essen, sondern eindeutig auch vom Arbolbaarer See. Die Straße führte schließlich zu einem gewaltigen Bollwerk. Es schien, als ob drei große Türme direkt aus den giftigen Fluten auftauchten, die mit einer großen Wehrmauer und anliegendem-innerem, massivem Gebäude verbunden waren. Überall in der Mauer waren Gatter, die ins Dunkle des Tempels führten. Ich sah auch jene Spinnenreiter, von denen uns bereits erzählt wurde. Auf den Mauern patrouillierten sie und kletterten selbst die senkrecht emporragende Mauer hinauf. Die Körper der Spinnen waren mit stählernen Platten gepanzert und grimmig saßen die Reiter in ihren Sätteln. Hinter dem letzten der drei Türme ragte der gigantische Tropfstein aus den Wassern des Sees auf und verschwand irgendwo im Dunkeln dieser Höhle. Dieser Tempel war wahrlich eine Festung, doch Stein kann Feuer nicht widerstehen. Auch Laduguer würde das bald schon erkennen.

Skrugnar führte uns an den Mauern vorbei zu einem verlassen aussehenden Haus, neben einem der Türme. Er zückte einen Schlüssel und wir schlüpften schnell hinein. Zwar waren wir bis zum Tempel in einem Strom von Passanten und Händlern gegangen, doch hier, etwas abseits, konnten wir einen unbeobachteten Moment abpassen. Skrugnar übergab uns noch den Schlüssel und verschwand dann wieder. Das Innere dieses Hauses sah so aus, als ob hier immer mal wieder jemand nur für kurze Zeit blieb. Schlicht und nichts beinhaltend, was gegen Langeweile helfen würde. Was schade war, denn wieder konnten wir nichts anderes tun als zu warten. Ich gab Lyrismar die Robe aus der Haut der Höllenhunde, die ich bei den Feuerriesen gefunden hatte. Sie würde ihn gegen das Feuer des Elmsflammwein schützen. Während er sie anzog, starrte ich wieder fasziniert auf seine, bis zu Kohlen verbrannte, Haut. Wie oft schon mag er sich wohl den flammenden Stab in sein Fleisch gebrannt haben? Auch jetzt schien er wieder etwas zu torkeln und seine Augen blickten verträumt ins Leere. Der große Krieger Bargh und auch Halbohr wirkten angespannt. Sie blickten durch die Schlitze der verschlossenen Fensterläden. Die Geräusche der Passanten außerhalb wurden untermalt von einem Klingen und Hämmern aus den Inneren von Glammringsfaust welches einherging mit dem Singsang von nachtzwergischen Gebeten.

Irgendwann hörten wir das deutliche Knarzen eines schweren Wagens. Eine riesige Kreatur mit grauer Haut, haarlosem Schädel und einer schweren silbernen Kette um den Hals zog schnaubend einen schwer beladenen Karren. Der war zwar mit einer Plane bedeckt, doch die Schnüre, die an der Seite herabbaumelten, sprachen Bände. Auch die Wachen des Tempels wurden unruhig. Sie riefen nach Verstärkung, doch der Riese machte sich schon daran mit einem großen Feuerstein Funken auf die Schnüre zu schlagen. Endlich, endlich würde es losgehen. Ich konnte es kaum erwarten und freute mich schon auf den Knall, der bald kommen müsste. Schnell fielen Bargh und ich in die Gebete ein, die wir schon vorher immer wieder im Geiste abspielten. Wir zogen uns aus dem Gang hinter eine Wand eines entfernteren Raumes zurück. Und es war auch gerade rechtzeitig. Eine kleine Säule aus Rauch war die einzige Vorwarnung, die die Wachen bekommen sollten. Mit einem ohrenbetäubenden Bersten versank die Welt um uns herum im Chaos. Alles schien langsamer um mich herum zu werden. Es blendete mich, als die Woge des Feuers empor brach und die Tür des Raumes aus den Angeln schmetterte. Da war ein donnerndes Krachen, als Stein und Holz in alle Richtungen flog. Ein Druck, der mich fast von den Füßen warf. Ich konnte nichts mehr hören. Es war, wie als ob ich mich unter einer gläsernen Glocke befinden würde. Die Schreie der Kreaturen waren wie aus weiter Entfernung, als sie bei lebendigem Leib ihre verkommenen Seelen dem Feuer hingeben durften. Es war wunderschön.

Wir sprangen aus einem Fenster des Hauses und sahen das Werk. Die ganze Straße lag in Trümmern. Große Brocken von Stein waren überall verteilt. Aus den eben noch uneinnehmbaren Mauern des Tempels quoll Rauch aus einem gewaltigen Loch. Grün-weißliches Feuer brannte überall. Ich bewegte mich wie in Trance. Alles um uns herum stand in Flammen, selbst der Stein glühte. Schnell hasteten wir über die Steine in das Loch hinein. Die Flammen brannten um uns herum, doch sie konnten uns nichts anhaben. Mein Geruchssinn funktionierte, doch auch mein Gehör kam bald wieder. So kam es, dass ich die brennenden Riesentaranteln erst riechen konnte, bevor ich ihre Schreie vernahm. Der Gestank von verbranntem Chitin und Fleisch vermischte sich mit dem beißenden Geruch des Elmsflammwein. Die Explosion hatte ein Loch in die Zuchtstallungen der Riesentaranteln gebrannt. Wir stiegen über kolossale Leichname dieser Monstrositäten hinweg. Durch die Flammen und den Rauch sah ich lebende Riesenspinnen, die sich vor dem Feuer in die Schatten zurückzogen. Die Vielzahl ihrer schwarzen Augen glitzerte im Dunkeln. Das lange Warten hatte sich ausgezahlt. Ich fühlte mich wie in einer Ekstase und lachte und frohlockte.

Schnell hasteten wir durch einige brennende chitinerne Gänge, bis eine Türe vor uns plötzlich aufsprang. Einige Nachtzwerge wollten wohl ihren Kameraden zu Hilfe eilen. Doch liefen sie direkt in die Klinge Barghs. Sein Schattenschwert schlitzte die Leiber auf und auch der Einhorn Dolch von Halbohr trank neues Blut. Wir konnten es uns nicht erlauben einen Sieg zu feiern. Lyrismar griff nur schnell den großen Schlüsselbund, den einer der Duergar bei sich trug und wir hasteten weiter. Die Schreie und das Chaos fielen immer weiter zurück. Selbst der Brandgeruch geriet leider schon bald in den Hintergrund und machte einem beißenden Schwefelgeruch von Schmieden und Essen Platz. Der Schlüssel öffnete uns mehrere Türen und so liefen wir weiter durch die dunklen hohen Hallengänge. Wir kamen zu einer größeren Kammer, die wohl als Kohlelager diente. Ein stählernes Gatter versperrte den Durchgang und hinter den Gitterstäben blickten uns Tempelwachen hasserfüllt an. Doch Bargh und Halbohr hatten schon vorher ihre Bolzen und Dolche mit tödlichem Gift unserer Göttin bestrichen. Als die Geschosse die Haut der Duergar verletzten, wurden ihre blauen Adern in Windeseile erst grün und dann schwarz. Sie schrien, als das Gift in ihre Muskeln drang und sie in eine unnatürliche verkrümmende Haltung zwang. Sie waren schon Tod, als sie auf den Boden aufschlugen. Die Gitterstäbe waren kein Hindernis für Bargh. Die Muskeln unter der schimmernden Mithril Rüstung spannten sich an und er bog die Eisenstäbe auseinander als ob sie Holz wären.

Hinter uns hörten wir weitere Stimmen. Sie hatten die ersten Toten entdeckt. Wenn wir es nicht mit dem ganzen Tempel aufnehmen wollten, mussten wir uns jetzt noch mehr beeilen. In dem Kohlelager war einer dieser Schächte, die wir schon in Unterirrling gesehen hatten und mit denen diese Kreaturen schwere Lasten noch oben und unten transportieren konnten. Doch konnten wir hier keinen Hebel oder anderen Mechanismus finden, mit dem man ihn in Gang setzen konnte. Mussten wir etwa wieder zurück? Der Geruch der Kohle, die auch deutlich nach Schwefel stank, setzte mir zu. Zurück konnte es nicht gehen, wir mussten weiter, immer weiter. Die Stimmen hinter uns waren schon sehr nah: „Eindringlinge! Ein Angriff!“ riefen sie. Ich zog meinen Säbel. Die Adern aus Ne’Ilurum in meinen Handschuhen pulsierten und ich konnte die Kraft spüren, die sie mir gaben. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Bargh begann die steinernen Platten dieser Lastenkammer nach oben weg zu drücken. Ich war in Rage. Warum sollten nur Bargh und Halbohr den Ruhm für sich behalten. Vier Duergar rannten den Gang herauf in unsere Richtung, doch als ihr Blick auf das verbogene Gatter fiel, stockte ihr Lauf etwas. „Wo sind die anderen?! Bewacht den Tempel!“, schrie einer, der vielleicht ein Anführer dieses Trupps war. Ich stellte mich ihnen entgegen. Etwas ungläubig blickten die grauen Augen mich von unten an, doch bevor er irgendetwas sagen oder machen konnte, schlitzte ich ihm mit meinem Säbel den Bauch auf. Platschend fielen seine Gedärme auf den Boden. Dem zweiten schlitze ich die Kehle auf, so dass er röchelnd zu Boden sank. Die beiden dahinter wollten ihre Äxte auf mich schlagen, doch ich war viel zu schnell für sie. Plötzlich sanken auch sie zu Boden. Lyrismar stand neben mir. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, doch seine beiden Kurzschwerter sangen ihre eigenen Lieder von Tod und Verderben.

Währenddessen hatte Bargh sich den Steinplatten in der Decke des beweglichen Raumes gewidmet. Er hatte sie einfach mit der Faust zerschlagen und Halbohr zog sich in den Schacht nach oben. Doch weitere Tempeldiener oberhalb erwarteten ihn schon und schlugen mit Picken und Äxten auf ihn ein. Mit einer gehörigen Portion Glück schaffte es Halbohr jedoch den Angriffen auszuweichen und zog sich in den Gang darüber. Hier befand sich ein großer Raum mit zwei noch glühenden Hochöfen. Einer der Hochöfen brannte lichterloh, während der andere gerade ausgeräumt worden war. Die Gesichter der Nachtzwerge, die auf Halbohr einschlugen, waren von Ruß geschwärzt und sie trugen schwere lederne Schürzen. Ein etwas älteres Exemplar trug einen schwarzen Saphir mit dem eingebrannten Wappen des Tempels auf seiner sonst nackten Brust. Als ich mich selbst hochzog, sah ich gerade noch wie er mit einem dreckigen Finger auf Halbohr zeigte und einfach nur rief „Lasst sofort ein und legt eure Waffen nieder!“. Irgendetwas war in seiner Stimme, was diesem Befehl fast unwiderstehlich machte. Doch waren wir alle gesegnet und wandelten im Schatten von Jiarlirae. Unser Geist war gestärkt, selbst der von Halbohr. Er stieß die immer blutende Klinge seines Dolches dem Duergar von unten durch den Kiefer, auf dass er nie wieder seine Stimme erheben konnte. In dem Schein der Öfen und in dem ätzenden Dampf von Rauch und Schwefel schritt die Gestalt Bargh majestätisch an mir vorbei. Seine Klinge blutete Feuer und dieses Feuer war stärker als das der Essen. Es verschlang die verbliebenen Nachtzwerge. Dieser Tempel wird fallen. Laduguer wird fallen. Sie wissen es nur noch nicht.
Titel: Sitzung 97 - Sturm auf den Tempel II
Beitrag von: Jenseher am 26.01.2024 | 20:56
Wir keuchten alle von der Kletterei durch den Schacht und von der Anstrengung des Kampfes. Mein Kopf glühte. Ich wusste nicht, ob es von der Hitze der Hochöfen war oder von der stickigen Luft im Tempel Glammringsfaust. Beißender Rauch der Essen und Hochöfen lag in den Gängen und Hallen. Monumentale Hallen, die uns sagen wollten: „Ihr seid Abschaum! Nur wir Duergar sind würdig!“ Pah! Die Toten, die zu unseren Füßen lagen, erzählten uns das Gegenteil. Dennoch schwitzte ich unter meiner Maske. Die Gesichtshaut des Hügelriesenkindes klebte auf meiner Stirn sowie meinen Wangen und begann zu jucken. Ich wollte sie aber nicht abnehmen. Sie täten besser, wenn sie vor mir Angst bekommen. Vielleicht können sie dann ihr Heil in der Flucht suchen. Auch Bargh trug seine Maske. Die Schuppen des grünen Drachen hatte er wie Schindeln eines Daches übereinandergelegt und ein schwarzer Opal lag vor seinem eigentlichen Rubinauge.

Plötzlich hörten wir direkt vor uns und von der anderen Seite des Schachtes die Stöße eines Kriegshorns. Es waren mehrere kurze Töne, doch wir konnten nichts sehen. Ich spürte aber mit einem Male deutlich, dass irgendjemand widerliche Gesänge murmelte, die Laduguer preisen sollten. Diese Gesänge taten mir in den Ohren weh. Auch Halbohr schien die Gesänge zu hören und auch er mochte sie nicht. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für ihn, wenn er erkennt, dass er sich mit seiner ganzen Seele Jiarlirae hingeben muss. Jetzt nahm er einen seiner Dolche und schleuderte ihn in die leere Luft vor ihm. Ich dachte erst, er hätte komplett den Verstand verloren, doch der Dolch fand tatsächlich ein Ziel. Mitten in der Luft blieb er stecken. Man sah noch die klebrige dunkle Schicht, die auf der Klinge haftete. Doch schon als der Dolch stehen blieb flimmerte die Luft und es wurde eine riesengroße, rußverschmierte Gestalt sichtbar. Ja, König Granryk hatte erwähnt, dass diese Priester sich unsichtbar machen konnten. Und dass sie sich größer machen konnten, hatte ich ja schon selbst erfahren. Doch dieses Exemplar zuckte, als das Gift von dem Dolch seine Wirkung zeigt. Die blauen Venen verfärbten sich schwarz und die Kreatur begann nach vorne in den Schacht zu kippen. Mit einem Knirschen von Knochen schrumpfte sie in sich zusammen, als sie ihren letzten Atemzug aushauchte. Aus der Tiefe konnte ich noch den dumpfen Aufschlag hören, als der Nachtzwerg auf das Dach des Aufzuges krachte.

Da flimmerte die Luft nochmals und mehrere Reihen dieser widerlichen Abkömmlinge des stämmigen Volkes kamen zum Vorschein. Auch sie hatten sich vergrößert und hielten uns ihre langen Lanzen über den Schacht entgegen. Zumindest erklärt dies auch warum die Gänge hier alle so groß waren, viel größer als es für die Kreaturen überhaupt notwendig war. Nicht nur Lanzenträger wurden sichtbar, sondern auch eine Reihe die mit Armbrüsten auf uns zielte. Und gleichzeitig erschien eine weitere Gestalt, die uns mit donnernder Stimme befahl unsere Waffen in den Schacht zu werfen. Auch wieder dröhnte mein Schädel bei den Worten, doch ich hörte auch eine angenehme Stimme im Hintergrund meiner Gedanken. Natürlich verstand ich inzwischen, wem diese Stimme gehörte und konzentrierte mich auf diesen lieblichen Klang. Die Worte des Duergar waren kaum noch wahrzunehmen. Nur Lyrismar gehorchte dem Befehl. Der Anhänger Jiarliraes bewegte sich schlaksig mit seinen merkwürdig langen Beinen und Armen auf den Schacht zu und warf tatsächlich sein schwarzes Kurzschwert dort hinein. Hatte er die Stimme nicht gehört? Doch sollten sie für diese Anmaßung büßen. Bargh beschwor seine unheilige Magie. Er ließ das Fleisch eines der Armbrustschützen verfaulen. Ich brannte ihnen die Muskeln von den Knochen, als ich sie in gleißenden elektrischen Energien baden ließ. Doch sie ließen noch immer nicht nach. Die Gebete, die sie unablässig sprachen, konnte ich noch immer hören. Sie sollten aufhören damit! Lyrismar und ich beteten ebenfalls zu unserer Herrin und sie schenkte uns ihre Flammen. Lyrismar schleuderte mehrere brennende Kugeln auf die Priester und ich selbst schenkte ihnen eine Säule aus Flammen. Sie schrien, als sie darin zugrunde gingen. Nur ein älterer Priester atmete noch, als Halbohr über den Schacht und über die brennenden Leichen sprang, die wieder auf ihre eigentliche Größe schrumpften. Der Priester zog seine Picke mit grimmigem Gesichtsausdruck und erwartete Halbohr. Es war fast, als ob er mit ihm in einen Zweikampf treten wollte, wie es vor wenigen Tagen Germin Dunkeldorn und Firin’ore’Waere in Unterirrling gemacht haben. Doch Halbohr ließ sich nicht darauf ein. Ich musste etwas grinsen, während er die Gelegenheit nutzte als der Priester ausholte und ihm seinen Dolch aus dem Einhorn einfach in die Kehle stieß. Der Priester röchelte noch irgendetwas und sank dann auch in sich zusammen. Endlich waren auch die letzten Reste der Gebete und Gesänge verschwunden. Trotz der Erleichterung und des Sieges, wirkte Halbohr auffallend nervös. Hatte er vielleicht bemerkt, dass einer unsichtbaren Laduguer Anhänger durch die Schatten verschwunden war? Würden sie jetzt wissen, wer sie hier in ihren eigenen Hallen angriff?

Hinter dem Schacht war eine weitere Kammer, in dem die Duergar ihre stinkende Schwefelkohle lagerten. Doch dort war auch ein Raum in dem sie mit den Steinen und Metallen experimentierten. Irgendwelche Säuren versuchten sie mit dem Metall zu verbinden. Ich verstand nicht wozu das gut sein sollte und auch aus den Aufzeichnungen wurde ich nicht schlau. Doch ein kleiner Seitenraum war wesentlich interessanter. Lyrismar hörte hinter einer Wand ein leises Klopfen. Ich sah nichts und konnte auch nichts hören, doch als er auf ein Regal zeigte, merkte ich, dass es hinter dem Regal hohl war. Kleine Haken hielten das Regal in seinem Platz und als man diese entfernte, ließ es sich einfach zur Seite schieben. Dort hinter war ein weiterer kleiner Raum, in völlige Dunkelheit gehüllt. In der Mitte war etwas, das wie ein aufrechtstehender Sarg aussah; ein Sarg, der wie ein großer menschlicher Körper geformt war. In der Mitte war eine Axt aus puren Ne’Ilurum eingelassen an deren Knauf ein schwarzer, rötlich pulsierender Opal eingelassen war. Jetzt konnte ich es auch hören. Ein Ächzen und Stöhnen, aber wie als wenn es sehr weit weg war. Dennoch kam es deutlich aus dem Innern dieses Sarges. Drei große eiserne Schlösser hielten die den Sarkophag geschlossen. Lyrismar murmelte etwas davon, dass ihm die Stimme der Kreatur bekannt vorkam, auch wenn er sie nicht richtig zuordnen konnte. Er und Halbohr begannen die Schlösser zu öffnen.

Als sich quietschend die Scharniere öffneten, brach uns eine Woge von bestialischem Gestank entgegen. Der Geruch von Fleisch und Säure stieg uns in die Nase und ich hustete auf. In dem Sarkophag war eine Kreatur eingepfercht. Eine dämonenhafte Gestalt mit zerfetzten ledernen Schwingen, die aus der ledernen Haut des Rückens kamen. Leuchtende Augen blickten uns aus einem von Hörnern besetzten Schädel an. Die Gliedmaßen der Kreatur wurden verdreht, damit sie in diesen Sarg hineinpassten und zusätzlich drangen lange Spieße von der Innenseite durch den Körper des Wesens und hielten sie so fest. Als die Augen sich auf uns richteten, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Aber keine angenehme Stimme. Es war eher ein Rasseln, das wie tausende scharfe Eissplitter durch meinen Kopf drang: „Lasst mich frei sterbliche Seelen und ich werde euch verschonen!“ Lyrismar zögerte nicht lange. Es war jedoch keine Angst die ihn dazu brachte, den Sarkophag wieder zu zuschlagen. Irgendetwas hatte er an dieser Kreatur erkannt. Sie schrie auf, als die Spitzen sich jetzt wieder durch ihr dunkles Fleisch rammten. „Ein Dämon aus den neun Höllen! Abscheulichkeiten, die versuchen durch feigen Handel und Verträge sich ihrer Haut zu erretten“, sagte Lyrismar voller Abscheu. Und ich konnte die Abscheu verstehen. Die neun Höllen wären ein Ort für Halbohr. Verträge über Verträge, Handel über Handel. Alles ordentlich festgehalten, nur um ein Schlupfloch in den Verträgen zu finden. Die Kreatur sollte hierbleiben und hier weiter ihr Dasein in endlosen Qualen fristen. Der Opal auf der Axt begann wieder zu pulsieren. Vielleicht versuchten die Duergar, die Macht dieses Teufels auszusaugen und in diese Waffe zu leiten. Sollten sie doch. Sie werden schon sehen was sie davon haben werden, wenn ich die Verträge, die sie schließen, verbrennen würde.

Wir verließen den Raum und gelangten zu einer Wendeltreppe, die weiter nach oben führte. Halbohr konnte schon am Fuß der Treppe die Rufe von Truppen hören, die sich dort oben positionierten. Aber es blieb uns keine Wahl. Die Treppe endete an einer Türe. Nachdem Bargh und ich den Segen unserer Herrin erbaten, stieß Halbohr die Türe auf. Wir kamen in einen kuppelartigen Gang, der auch wieder viel größer war als es für diese Wichte eigentlich notwendig sein müsste. Vielleicht wollten sie mit der Größe dieser Hallen andere beeindrucken. Und wie ich mir es schon dachte, wurden wir bereits erwartet. Von links und rechts schritten jeweils vier unheimliche, gerüstete Gestalten auf uns zu. Es waren wandelnde Ritterrüstungen, deren Augenschlitze, von einer unheimlichen Präsenz beseelt, rötlich glühten. Weiter rechts hatten sie mit Schilden eine große Barrikade aufgebaut. Halbohr und Bargh versanken ihre Klingen in die wandelnden Rüstungen. Die Schatten, die wie ölige Tropfen aus Glimringshert drangen, entzündeten sich in wohligem Feuer und zerschmetterten die ersten Rüstungen. Doch es kam kein Schrei von Schmerzen, nur ein leiser Seufzer und der Geruch von alter fauliger Luft, der aus dem Inneren hervordrang. Hinter den Barrikaden erklang ein lauter Ruf: „Jetzt! Lasst Feuer und Säure los!“ und über uns regneten zwei Gläser herab, von denen eines auf dem Boden und das andere an einer Wand explodierte. Und auch die widerlichen Gebete erklangen wieder. Ich hatte genug. Ich wollte dieser Priester zerstückeln, auf dass sie nie wieder meine Ohren mit diesem Klang besudeln. Ich flehte die Herrin an, dass sie ein Meer von Schattenklingen über die Priester kommen lasse, doch eine Flasche zerplatzte an der Wand über mir. Die Säure regnete auf mich hinab und brannte furchtbar in meinem Fleisch. Gleichzeit erschienen über uns und wie aus dem Nichts mehrere riesige Taranteln mit gepanzerten Reitern, die sich von der Decke auf uns fallen ließen und ihre gewaltigen Lanzen nach uns stießen. Die Klingen bohrten sich in Halbohr und auch in Bargh hinein. Doch das stachelte nur ihre Wut an. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Nichts und niemand wurde geschont. Stahl traf auf Stahl und auf Fleisch. Jemand brüllte. Lyrismar konnte nicht schnell genug ausweichen und eine Axt der Rüstungen bohrte sich in sein Fleisch. Noch ein Brüllen. Dieses Mal von hinter den Barrikaden als weitere Fläschchen auf uns katapultiert wurden. Ich zog mich zurück zur Treppe. Von allen Richtungen drängten sie auf uns zu, von rechts, von links und von über uns. Ich hatte keine Angst, nein. Aber wie soll ich weiter die Wege Jiarliraes verstehen, wenn ich tot bin? Doch dann konnte ich Aufatmen. Wieder hörte ich das Brüllen eines Befehls, doch dieses Mal war es eindeutig das Kommando „Rückzug!“. Ich blickte aus der Öffnung. Bargh, Lyrismar und sogar Halbohr standen verletzt über zerstörten Rüstungsteilen und toten Leibern von Duergar und Spinnen. Jetzt liefen sie in Richtung der Barrikaden. Die Bastarde dieser Priester, die sich dort verschanzt hatten, wussten anscheinend, dass auch ihr Ende nahe war. Doch sie versuchten ihren Untergang noch etwas hinauszuzögern und zogen sich zurück.

Nochmals mehrere kurze Hornstöße und das dumpfe Zuschlagen einer schweren Türe. Wir mussten weiter und zwar schnell. Der Tempel musste brennen – besser jetzt, bevor alles zu spät ist.
Titel: Sitzung 98 - Sturm auf den Tempel III
Beitrag von: Jenseher am 3.02.2024 | 20:53
Mir brannte die Lunge von den Ausgasungen der Essen und dem allgegenwärtigen Gestank der über Urrungfaust und dem ganzen Arbolbaar See zu herrschen schien. Doch auch der Geruch der noch brennenden Leichname mischte sich dazu. Ich fand ihn fast schon lieblich. Mein ganzer Körper schmerzte. Dort, wo mich diese hinterhältigen Kreaturen mit ihrer Säure beworfen hatten. Feige waren sie. Hätten sie sich uns gestellt, hätte Bargh sie schon längst aufgeschlitzt. Jetzt war er damit beschäftigt uns den Weg zwischen den Barrikaden aus Schildern frei zu machen. Seine furchteinflößende Gestalt, größer als ein normaler Mensch jemals werden könnte, stieß die großen Schilde einfach mit seinem Ellbogen um, so dass sie krachend auf den Boden fielen. Ich konnte sein Gesicht hinter seiner grünen Drachenmaske nicht sehen, konnte mir aber vorstellen, dass er grimmig dreinblickte. Auch er wollte bestimmt nicht länger hierbleiben, als es notwendig war. Lyrismar dagegen schien entspannter. Seine bis zu Kohle verbrannte Gestalt hielt sich im Hintergrund, während ich mich wieder vorsichtig in den Gang bewegte. Seine violetten Augen blitzten wie zwei Edelsteine aus dem schwarzen Schädel hervor. Langsam bewegte ich mich zu Bargh, unter der Spinne hindurch die noch immer in einer Totenstarre über uns an der Decke klebte. Lyrismar ging zu Halbohr und horchte an der Türe aus der vor uns entwischt sind: „Daugronn der Graue und Hornbald der Grausame verteidigen ihre Türme. Der Befehl für euch ist die Position zu halten. Und sollten sie in den Turm von Laargyr dem Dunklen eindringen, dann folgt ihnen.“ Das waren also die drei Schreckensritter von denen der König uns erzählt hatte. Fehlt nur noch der Erzgraf von Düstergrau. Von ihm noch keine Spur.

Als ich gerade dabei war einer der Rüstungen zur Seite zu ziehen, stieß ich gegen eine Stelle der steinernen Wand. Es hörte sich irgendwie dumpf an, nicht wie normaler Stein. Ich winkte nach Lyrismar und zusammen fanden wir einen Riss, der sich wie eine Türe abzeichnete. Dort hinter lag ein verwinkelter Raum, der sich unter einer Treppe zu befinden schien. Dicker Staub und Spinnweben zeugten davon, dass wohl schon sehr lange niemand mehr hier gewesen war. Doch am anderen Ende konnte Halbohr auch wieder Stimmen hören. Duergar, die sich wohl versuchten abzusprechen, wie und wo sie uns aufhalten können. Eine alte Klappe führte nach außen und als Halbohr sie öffnete, konnten wir wieder einen flüchtigen Blick auf die Dunkelfeuer der Stadt Urrungfaust erhaschen. Ich fand es wenig interessant oder besonders, aber Halbohr steckte seinen verunstalteten elfischen Kopf heraus und schaute konzentriert in alle Richtungen. Als ob er etwas dort gefunden hatte, blickte er zufrieden in unsere Richtung und führte uns aus dem Raum heraus zu einer der Türen in dem Gang.

Alle Türen waren mit komplizierten Schlössern versperrt, doch Halbohr war sich seiner Sache sicher. Zum Glück für uns half Lyrismar ihm immer. Und das war auch Halbohrs Segen, denn bei einer Türe blitzte kurz eine Rune aus der Schrift der Nachtzwerge auf. Schnell zuckte seine Hand auf einen Funken der davon ausging und schaffte es wohl im letzten Moment, den Funken zum Ersticken zu bringen. Für einen Augenblick war seine Haut so blass wie die der Duergar. Wir fanden hinter den Türen mehrere Kammern und Hallen. In einer größeren Halle bauten sie offenbar jene Rüstungen zusammen, die uns angegriffen hatten. Große Teile von Plattenpanzern wurden mit Gliedern versehen, so dass man sie zusammenstecken konnte. Das Ne’ilurum, was in das Metall eingearbeitet wurde, glänzte gespenstisch. Auf der Innenseite der Rüstungsteile waren Runen eingearbeitet die ihrerseits auch leicht glühten wie heißes Eisen. Die Innenseite war zudem mit einer seltsamen schwarzen Substanz bestrichen. Auch weitere Räume dienten dem Bau dieser Kreaturen. Sie hatten es gewagt die heiligen Flammen Jiarliraes für diese Konstrukte zu missbrauchen. Alleine dafür wollte ich sie in den fauligen Wassern des Arbolbaar versenken. Sie hatten es nicht einmal verdient im Feuer zu sterben.

Wir fanden einen weiteren verborgenen Gang, der mit einem hölzernen Schrank verdeckt war. Als wir ihn zur Seite schoben, wurde mit einem Mal der Geruch von Säure ersetzt durch den Gestank von Fäule und Fäkalien. Der Gang führte uns zu einem kleinen Trakt mit einigen wenigen Zellen. In den Zellen blickten uns schwachsinnige Augen des Nachwuchses dieser Duergar an. Die Kinder in den Zellen wirkten zurückgeblieben und debil. Sie hausten dort auf dreckigem und schimmligem Stroh, inmitten ihres eigenen Urins und Kot. Doch der Sabber und die Art, wie sie mich mit ihrem dümmlichen Lächeln anblickten, sagte mir, dass sie sich gar nicht bewusst waren wo sie sind. Ein Mädchen klatschte mit ihren aufgedunsenen Händen in einer Pfütze herum. Woraus diese Pfütze bestand mochte ich mir gar nicht vorstellen. Ein anderes Ding, vielleicht gerade einmal neun oder zehn Winter alt, blickte mich direkt an. Ebenso debil grinsend wie die anderen zeigte es seine verfaulten Zähne, die aus einem aufgeblasenen, verformten Kopf wuchsen. „Mutter! Mutter! Essen! Hunger!“, strömten die abgehackten Worte aus dem Mund des Geschöpfes. Als ob ich ihnen etwas zu Essen geben würde. Aber ich dachte mir, dass sie vielleicht ganz passable Spielzeuge abgeben würden. Ich könnte ihnen bestimmt ein paar Kunststücke beibringen, so wie ich es mit Funkenträger vorhatte. Vielleicht mit ein bisschen Hilfe, könnte der schwachsinnige Junge auch in so einem schönen Licht strahlen, wenn auch nicht so lange. Vielleicht eine feurige Krone um seinen Kopf? Doch dann machte Bargh einfach alles kaputt. Er begann zu lachen. Er sagte, er wüsste gar nicht, dass ich Kinder hätte. Was fällt diesem Tölpel ein?! Vielleicht sollte er weniger trinken. Seinem Kopf scheint das nicht gut zu tun, Drachentöter hin oder her. Ich hatte nicht wenig Lust in seinem Gesicht ein kleines Andenken meines Säbels zu hinterlassen. Welch eine Frechheit. Ich spürte, wie ich vor Wut fast platzte. Mein Säbel zuckte wie von selbst zur Seite und die Spitze bohrte sich in die Brust dieses schwachsinnigen Jungen. Das half dann wenigstens ein bisschen meine Laune zu bessern, aber dennoch sollte Bargh sich von mir fernhalten.

Halbohr und Lyrismar unterhielten sich über diese Kinder. Es waren wohl die Kinder, die normalerweise öffentlich geopfert werden sollten, um Laduguer ruhig zu stellen. Es waren wohl die Kinder von denen uns der König erzählt hatte, dass sie aus den Kerkern der Stadt verschwunden wären. Vielleicht nutzten die Priester sie, um zu experimentieren. Oder sie wollen einfach nur den König der Stadt schlecht dastehen lassen. Für die Experimente sprach eine Art Tagebuch, das wir in einem anderen Raum fanden. Vermutlich ein neuer Rekrut für den Tempel hatte seine wenigen Gedanken dort aufgeschrieben. Er freue sich auf seine Aufgaben und dass er an Forschungen teilnehmen dürfe. Am Ende stand etwas, dass es von Laargyr, dem Dunklen, Anweisungen gab, dass diese Rüstungen nach einer neuen Prozedur angefertigt werden sollten und dass der Schmerz besonders lang und qualvoll sein solle, um die Rüstungen noch mächtiger zu machen. Dann hatten diese Kinder vielleicht doch noch einen Zweck. Ich stellte mir vor, wie sie diese schwachsinnigen Geschöpfe in diese Rüstungen sperrten, auf dass sie dort einen qualvollen Tod erfahren würden.

Weitere Türen zweigten von den Gängen ab. Eine war besonders gut gesichert mit direkt drei Schlössern. Zwei davon schafften Halbohr und Lyrismar auch zu öffnen, doch beim dritten versagten sie. Doch Bargh rammte sie einfach ein, so dass die stählernen Bolzen zerbrachen. Hinter der Türe führte eine Wendeltreppe weiter nach oben. Das Krachen des Schlosses drang tief durch die Tunnel und die Treppe und kündigte unser Kommen an. Der Ruf „Sie Kommen!“ war überflüssig. In dem ovalen Raum erwartete uns bereits ein ganzer Trupp von gepanzerten Kriegern und Priestern des Tempels. Der Raum war bestimmt einmal recht wohnlich eingerichtet, doch jetzt waren alle Tische leergeräumt. An den Wänden reihten sich die ausgestopften Köpfe von den verschiedensten Kreaturen aneinander. Da waren Köpfe die aussahen wie große Fische, Köpfe die wie die des Hügelriesen Nomrus aussahen, Köpfe mit der dunkelgrauen Haut der Dunkelelfen, Köpfe mit Tentakeln anstatt einem Mund und noch viele andere. Ein schwaches Licht glomm von leuchtenden Kristallen, die mit gemusterten Lampenschirmen abgedeckt wurden. Das Licht wurde von den Rüstungen der Gestalten schimmernd reflektiert. Es war als ob sie sich für diesen Moment herausgeputzt hätten. Über ihren Plattenpanzern und Harnischen trugen sie lange graue Mäntel mit silbernen und einige sogar goldenen Bommeln über den Schultern.

Eine der Gestalten in einem Harnisch brüllte „Angriff!“, doch ich wartete nicht so lange. Mit meinem Stecken der Blitze ließ ich sie schreien, als die Energie durch die Reihen fuhr. Ein jüngerer Priester begann Blut zu spucken. Vielleicht hatte er sich im Krampf seine eigene Zunge abgebissen und verschluckt. Auf jeden Fall fiel er tot um. Auch Lyrismar zögerte nicht. Er schleuderte eine seiner gewaltigen Magma Kugeln auf die Gruppe, die mit einem Bersten explodierte und den Raum in Flammen hüllte. Ich konnte die Nachtzwerge nur noch schwer erkennen. Die Gestalten flehten vor Schmerzen und ihr Fleisch begann durch die unheiligen Flammen zu schmelzen. Doch ihre Erlösung musste noch einige Momente auf sich warten lassen. Die Flammen verbrannten nicht nur ihr Fleisch, sondern ihre Lebenskraft selbst und verzehrten sie. Erst jetzt begann das Schreien langsam zu ersticken. Die jüngere Priesterschaft lag rauchend auf dem Boden, nur ein älterer Anhänger hielt sich noch auf den Beinen. Aber sein Amulett mit dem Diamanten darin glühte auf vor Hitze und seine Haut war aufgeplatzt und verbrannt. Jetzt stürmten auch Halbohr und Bargh nach vorne. Die Schneiden ihrer Klingen fanden ihre Ziele schnell und es dauerte nicht lange, bis auch der letzte Krieger in seinem Feldharnisch zu Boden ging.

Zum Verschnaufen blieb uns keine Zeit. Von unten hörten wir bereits weitere Stimmen die sich an unsere Fersen hefteten. Lyrismar verschaffte uns aber einen Vorsprung. Mit seiner von der Herrin geschenkten Magie erschuf er eine Mauer aus festem Eisen, mit der er die Treppe versperrte. Und so hasteten wir wieder weiter. Vorbei an einem Raum in dessen Mitte eine große Karte, nicht nur von Urrungfaust, sondern auch von weiteren Höhlen und Tunneln dieser Welt unter der eigentlichen Welt abgebildet war. Große Figuren standen darauf. Vielleicht spielten sie hier auch Spiele und diese Figuren gehörten dazu. Aber diese Duergar hatten keinen Sinn für Spiele, also war es wohl eher etwas Langweiliges, an dem Halbohr bestimmt Interesse haben könnte. Doch auch er hastete weiter. Wir kamen in eine weitere Halle, dieses Mal wesentlich größer. In der Mitte hatten sie ein übergroßes Abbild eines Nachtzwergen aus Stein gebaut der dort heldenhaft seine Axt empor hob. Ein unnatürliches Feuer brannte davor. Wahrscheinlich kein einfacher Nachtzwerg, sondern Laduguer höchstselbst. Trotz der Größe konnte diese Statue aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie mickrig er eigentlich war.

An der Seite der Statue führten zwei Treppen nach oben und von dort konnten wir auch schon wieder weiteres Flüstern hören. Die Treppen endeten in einen weiteren Zellentrakt, doch diesmal riefen keine schwachsinnigen Sprösslinge nach Essen. Der Trakt endete in einem kreisrunden Raum, wo sie uns ein weiteres Mal erwarteten. Weitere dieser sich bewegenden Rüstungen stampften auf uns zu, doch waren diese viel größer. Und anstatt normaler Hände, endeten ihre Arme in Äxten und Picken. Dahinter hatten sie eine Maschine aufgebaut, die mehrere riesige Armbrüste auf einem drehbaren Gestell hatte. Die gewaltigen Bolzen blitzen in unsere Richtung. Einige der Duergar waren eifrig dabei den Apparat in die richtige Richtung zu drehen. Und untermalt wurde alles von den widerlichen Gesängen der Priester dahinter. Dieser Gesang bohrte sich in meinen Kopf und blutete in meinen Ohren. Ganz hinten, gerade noch zu sehen, war eine weitere Gestalt. Ein alter Duergar mit eingefallen Gesicht saß auf einer riesigen Panzerspinne. Schimmernde Rüstungsteile bedeckten sowohl Duergar als auch Spinne. Mit listigen blauen Augen blickte er uns aus der Entfernung an. Die Rüstungen stürmten voran. Der Gesang der Priester peitschte sogar diese leblosen Dinger an, als wenn sie auch unter einem Wutrausch stehen würden. Bargh und Halbohr schritten den beiden Rüstungen entgegen. Ein mächtiger Hieb von Bargh und die vielen Schnitte von Halbohr zogen tiefe Risse in das Ne’ilurum. Die Schattenklinge spie Feuer, doch die Flammen perlten einfach an dem Metall ab. Aber allein seine Kraft reichte schon aus um den Brustkorb des Panzers aufzusprengen. Ein bestialischer Gestank von totem Fleisch und faulen Knochen entwich. Und eine schwarze Flüssigkeit haftete innerhalb der Rüstungsteile. Die Priester begannen zu fluchen und ich trat auch nach vorne. Das Amulett, das ich von Neire bekommen hatte, wartete schon darauf, dass seine Magie entfesselt werden konnte. Erst nur ein leichtes Glühen, das schon bald zu einem hellen Leuchten wuchs. Donnernd entlud sich das Inferno, als eine Kugel aus Flammen, die dem Amulett entsprang, sich auf die Soldaten um die Armbrustmaschine ergoss. Doch schafften die meisten es noch im letzten Moment wegzuspringen. Die Feuer vergingen wieder und die Soldaten nutzten die Gelegenheit und zogen die Hebel der Maschine. Mit einem tiefen Surren schossen die Bolzen auf uns zu. Ich spürte ihren Luftzug, aber sie hatten sich nicht mich als Ziel ausgesucht, sondern Halbohr. Dieser taumelte schon zurück als die Axthand der Rüstung vor ihm in seine Schulter rammte. Dann hagelten die Bolzen auf ihn ein. Manchen konnte er noch ausweichen, doch einige drangen in seine Brust und warfen ihn nach hinten.

Auch Lyrismar war bereit. Er beschwor eine Wolke der Schatten die das Schlachtenglück wenden sollte. Die Wolke breitete sich um die Soldaten herum aus. In den Schatten wogten immer wieder kleine Flammen auf die sich in die Köpfe der Duergar einbrannten. Das Chaos breitete sich aus. Einem quoll Blut aus den Augen. Er stand jetzt nur noch regungslos da, die Wände anstarrend. Ich konnte durch die Schatten kaum noch etwas erkennen, aber ich hörte deutlich die Rufe von Angst, Erstaunen und Unglaube. „Hauptmann, was tut ihr?“ hörte man aus der Wolke, als der deutliche Klang von Stahl auf Stahl erklang. Die Wolke lichtete sich etwas und ich sah einen der Soldaten mit einem prächtigen Feldharnisch, gerade wie er seine Axt aus Mithril in einen der Schützen an der Armbrust rammte. Die Priester in der hinteren Reihe sahen wie aussichtslos es war. Sie suchten ihr Heil in der Flucht. Auch der Ältere hatte dies wohl erkannt. Er saß immer noch im Sattel seiner gepanzerten Spinne, doch die Flammen in den Schatten hatten auch sein monströses Reittier beeinflusst. Reglos hing die Spinne an der Decke, so dass ihm nichts anderes übrigblieb als einfach von oben herab zu springen und in einer Türe zu verschwinden. Auch die anderen Priester folgten ihm und ließen ihre Soldaten zurück. Bargh schlitzte dem Soldaten der sich immer noch nicht rührte den Bauch auf und Halbohr die Kehle des Hauptmanns. Die gepanzerte Spinne hatte sich inzwischen wieder herabgelassen, doch auch diese konnte nicht lange gegen uns bestehen. Denn Jiarlirae war mit uns und keine niederen Kreaturen konnten sich mit uns messen.

Wir mussten den anderen hinterher und zwar schnell. Keine Zeit um unsere Wunden in Ruhe zu versorgen, Tränke mussten reichen. Wir hörten die Priester wie sie vor uns liefen, das Krachen eines Gatters. Sie versuchten sich Zeit zu erschwindeln. Als wir an dem Gatter ankamen sahen wir sie noch dahinter, wie sie gerade eine Wendeltreppe nach oben liefen. Das Gatter selbst war mit einem weiteren dieser komplizierten Schlösser verriegelt. Hastig zogen Halbohr und Lyrismar ihre Dietriche und begannen es zu öffnen. Wieder flackerte kurz eine Rune über den Stäben auf und wieder wurde Halbohr aschfahl im Gesicht. Hätte er noch eine weitere falsche Bewegung mit den Dietrichen gemacht hätte sich die Magie dieser Rune entladen. Wer weiß was dann mit ihm passiert wäre. Doch auch Halbohr stand anscheinend in der Gunst unserer Herrin. Sie sandte uns Lyrismar und dieser schaffte es im letzten Moment die Rune zu zerstören. Wir mussten schnell weiter. Das Gatter ließ sich aufschieben und wir rannten die Treppe nach oben. Wir sahen keinen mehr, doch ihre Spuren fanden wir sehr schnell. Sie führten uns in ein großes Gemach, in der Form eines Fünfeckes. Ein dunkles Fenster bot einen Blick auf den Arbolbaar See. Bequeme Sessel standen hier und kleine Tische auf denen in Schalen getrocknetes Fleisch, Pilze und Karaffen mit Wein standen. Die Spuren führten weiter auf eine Türe zu. Wir folgten ihnen und betraten einen kleineren Raum, der völlig dunkel war. Kreisrund, ohne irgendwelche Fenster oder Ausgänge. Als wir in den Raum hineintraten fiel mit einem Krachen die Türe hinter uns zu. Ich warte schon darauf, dass die Priester sich uns stellen würden. Doch stattdessen veränderte sich der Raum selbst. Alles verschwamm vor meinem Auge für einen Moment. Ich kniff sie zusammen und versuchte mich zu konzentrieren. Als ich meine Augen wieder öffnete waren plötzlich sechs Türen in dem Raum. Alle gingen in verschiedene Richtungen. Sie versuchten uns mit billigen Augenwischereien abzuhängen. Aber auch das würde ihnen nicht gelingen. Schon bald werden wir ihnen wieder entgegentreten und sie werden ihren Kameraden folgen.
Titel: Sitzung 99 - Laargyr der Dunkle
Beitrag von: Jenseher am 10.02.2024 | 17:17
Von den feigen Priestern des Laduguer war nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie hatten uns hier in diesem völlig dunklen Raum zurückgelassen. Zumindest stank es hier nicht ganz so schlimm, wie bei den Hochöfen und Essen. Ganz schwach konnte ich noch irgendwelche Rufe hören. Vermutlich immer noch der verzweifelte Versuch die Verwüstung zu beseitigen und dem Chaos Herr zu werden. Dabei sollten sie inzwischen begriffen haben, dass es vergebene Liebesmüh war. Schließlich waren wir hier noch nicht fertig. Wir waren uns unserer Sache sicher und ich spürte Entschlossenheit. Doch wir mussten auch vorsichtig sein. Bargh suchte auf dem Boden nach Spuren. Es sah schon etwas lustig aus, den übergroßen und von Muskeln und Brandnarben übersäten Körper über den Boden wischen zu sehen. Aber ich war immer noch wütend auf ihn. Doch auch wenn sein Auge geschult war und er Spuren fand, konnte auch das uns nicht weiterhelfen. Die sechs Türen um uns herum sahen alle gleich aus und die Spuren schienen zu allen Türen gleichzeitig zu führen. Auch die Geräusche, die Halbohr und Lyrismar hörten, kamen aus allen Richtungen. Halbohr hing verbissen mit seinen Augen an den Schlössen. Eins nach dem anderen untersuchte er, doch nach jedem schien er sich immer unsicherer zu werden. Eine Panik beschlich mich. Die Hallen schienen mich zu erdrücken, die Geräusche aus der Ferne verrückt zu machen. Schließlich war ich es leid. Ich wusste welche Türe die richtige war. Ich hatte es einfach im Gefühl. Also zeigte ich Halbohr die Türe, doch auch hier traute er sich nicht. Letzten Endes blieb er vor einer der Türen stehen und zog sie auf. Endlich, dieses merkwürdige Drücken im Kopf ließ nach, als sich die Türe öffnete und einen kleinen Gang offenbarte, der an einer Treppe endete. Endlich ging es weiter, nach oben, wie es schien.

Halbohr schlich zu der Treppe. Doch als er gerade an der ersten Stufe ankam, erschien wie aus dem Nichts und um ihn herum die Schergen der Priester. Sie mussten sich im Dunkeln versteckt haben. Alle drei waren auf die Größe von fast vier Schritt angewachsen. Auch der Ältere mit dem haarlosen Schädel und der Hakennase war mit dabei. Dies war Laargyr der Dunkle, einer der Schreckenspriester wie sich noch herausstellen sollte. Er funkelte Halbohr aus zwei listigen blauen Augen an. Sie hatten es auf den elfischen Söldner abgesehen. Axt und Streitkolben rammten in seinen Körper und er schrie auf, noch bevor er reagieren konnte. Aber dadurch hatten sie uns im Rücken. Ich schleuderte ihnen meine Magie entgegen, Bargh und Lyrismar ihre Klingen. Lyrismar bohrte sein schwarzes Schwert einem vergrößerten Duergar in den Unterleib. Als er das Schwert wieder herauszog, änderte es seine Form. Aus der Schneide wuchsen kleine metallene Zähne. Lyrismar riss ein tiefes und grausames Loch in den Leib.

Als sie starben zogen sich unter einem Knacken ihre Knochen wieder zusammen. Jetzt lagen sie da. Die kleinen Wichte die sie waren und zuckten noch in ihrem eigenen Blut. Halbohr sah ziemlich übel aus. Die Wunden waren tief und ich war mir sicher, dass während des Kampfes seine Augen geflackert haben. Er war sicher wieder kurz davor einfach vor Ohnmacht zu Boden zu gehen. Aber langsam sah er es ein. Dass Jiarlirae mit uns ist und selbst ihn, der sie so oft geschmäht hatte, unterstützt. Bargh und ich waren ihre Werkzeuge und zusammen ließen wir die Wunden von Halbohr wieder schließen, untermalt von den Gebeten aus Halbohrs Mund, die wir mit ihm sprachen. Von unten konnten wir das rhythmische Schlagen hören, wie sie weiter versuchten die Wand aus Eisen zu überwinden. Das würde noch eine Zeit dauern, aber nicht mehr ewig. Wir mussten also weiter. Weiter nach oben.

Halbohr und Lyrismar schlichen vor und kamen in einen größeren Raum. Ein großes Fenster aus dunklem Glas zeigte ihnen die Stadt. Die Wand war bestückt mit silbernen Vertäfelungen, die Bilder einer gewaltigen Schlacht zeigten. Nachtzwerge gegen Dunkelelfen. Doch die Nachtzwerge waren nicht allein. Mit ihnen war eine gewaltige Kreatur im Bunde, die wie ein Drache aussah, auch wenn sie keine Flügel trug. Die silbernen Fresken zeigten das Feuer, das aus dem Rachen der Kreatur schlug und auf die Dunkelelfen niederging. Es war sehr detailliert dargestellt, wie sie brennend um ihr Leben liefen. Der Blick von Lyrismar war jedoch auf etwas anderes gerichtet. Im Raum waren nämlich noch zwei Frauen. Eine war menschlich, hatte ein schlankes Gesicht, grüne Augen und lange braune Haare. Die andere, eine Dunkelelfin, war kleiner, hatte spitze Ohren, weißes Haar, violette Augen und aschgraue Haut. Sie hatten beide kaum etwas an und der lüsterne Blick von Lyrismar sagte alles. Die Frauen schienen nur für diesen einen Zweck erzogen worden zu sein. Halbohr erzählte ihnen etwas davon, dass wir nicht die Eindringlinge wären und dass wir von Laargyr geschickt wurden, aber das konnte keiner glauben. Sie hatten bestimmt den Kampflärm von unten gehört; den Todesfluch, den Laargyr ausstieß, als er Meister Halbohr bei seinem Namen verfluchte. Dennoch schien es den beiden nichts auszumachen und Lyrismar zog schon die Dunkelelfin zu sich auf den Schoß. Er musste immer noch benebelt sein von seiner Schattenschimmeressenz. Wie sonst konnte er hier und jetzt, wo unten schon die Soldaten nachrückten, sich mit so einem Wesen die Zeit vertreiben. Als Halbohr uns von unten hinaufholte und ich den Raum betrat, räkelte sich die Dunkelelfin völlig nackt auf einem schwarzen Ledersessel. Lyrismar hatte seine Hosen hinabgelassen und sich von hinten über sie gebeugt. Seine fast völlig verbrannte Haut schien den beiden nichts auszumachen. Nur die nicht verbrannten Stellen zeugten von einstiger nobler Blässe. Der Anblick der rhythmischen Zuckungen war einfach widerlich. Er fing an zu keuchen, wie ein abgestochenes Schwein. Die Dunkelelfin setzte ihrerseits mit einem Stöhnen ein, als Lyrismar sie am Hals packte, sie an ihren langen, weißen Haaren zog. Ich muss gestehen, dass ich ihnen heimlich zuschaute. Was ich früher nur bei Pferden und Schafen beobachtet hatte und wovor ich mich einst ekelte, hatte hier etwas anziehendes für mich. Dann trat ich zu Bargh und begann auf ihn einzureden. Auf dass er nicht lüstern starre. Und nicht einmal Bargh war so plump sich mit ihnen einzulassen, auch wenn es die menschliche Frau bei ihm versuchte. Er vergnügte sich lieber mit den Weinkaraffen, die hier überall rumstanden. Vielleicht würden wir also erst mal nur zu dritt weitergehen.

Die Türe aus diesem Raum heraus war mit einem sehr komplizierten Schloss gesichert, doch Jiarlirae war auch dieses Mal mit uns. Wir hatten Laargyr einen Schlüsselbund abgenommen und einer der Schlüssel passte genau in das Schloss. Es gab ein leichtes Quietschen als sich die Türe öffnete. Nein, das war nicht die Türe, das Geräusch kam jetzt von der Dunkelelfin. Die Türe selbst ging fast lautlos auf. Lyrismar war offenbar fertig mit seinem Liebesspiel und hatte die Güte sich wieder zu uns zu gesellen. Als ich mich umdrehte bedeckte ich mir schnell meine Augen, denn er hatte sich noch nicht bekleidet. Er stank zudem furchtbar nach diesen Frauen. Die Türe führte uns zu einer kleineren runden Halle, an der sich wiederum weitere Räume anschlossen. Die Türe hinter uns verschlossen wir vorsichtshalber, denn das Schlagen von unten hatte aufgehört. Stattdessen waren Stiefelschritte zu hören, die näherkamen. Jetzt hatten wir wirklich keine Zeit mehr. Ein Raum enthielt eine sehr gut ausgestattete Bibliothek. Die Bücher waren interessant, doch ein schmierig beschriebenes Blatt war noch interessanter. Vielleicht hatte sich jemand hier betrunken und versucht seine wirren Gedanken auf Papier festzuhalten. Der Schreiberling erwähnte, dass alte Geschichten aus den Büchern getilgt wurden. Offenbar meinte er die Kriege gegen die Dunkelelfen. Vielleicht waren die Krieger der Duergar doch nicht so ehrenhaft, wie sie immer so gerne tun. Bemerkenswert war auch, dass der Schreiber sich fragte, ob es noch Horte in der Umgebung von Urrungfaust gäbe. Meinte er Horte dieser Drachenkreatur? Vielleicht waren andere Drachen am Krieg beteiligt? Es wurden ebenfalls die Steuern erwähnt und dass sie gierig einbehalten würden. Damit konnte er nur den König von Urrungfaust meinen. Steht der König immer noch mit der Drachenkreatur im Bunde? Oder mit seiner Brut? Ich hatte mal etwas gelesen von einer Stadt der Dunkelelfen die Thysbryr’Il’Dith genannt wurde. Diese Stadt war die Hauptstadt ihres Reichs und wurde vernichtet, in einer großen Schlacht. Ich schätze, dass diese Ereignisse etwa 200 Jahre in der Vergangenheit lagen.

Nachdem wir einige kostbare Bücher mitgenommen hatten, erkundeten wir die anderen Räume. Die Schritte der Stiefel wurden immer lauter. Nicht mehr lange und die Nachhut würde da sein. Vielleicht hätten wir sie einfach erwarten sollen. Je weniger diesem Laduguer huldigten, desto besser. Aber ja, es würde nicht bei diesen bleiben. Immer mehr würden kommen und irgendwann würden sie uns überrennen. Ein weiterer Raum enthielt ein nobles Gemach. Große, schwere Sessel aus einem schwarzen Leder standen um einen prunkvollen Thron herum. Der Thron allerdings war nicht so langweilig, wie die sonstigen Sachen der Duergar. Die Verzierungen waren verspielt und er sah nicht wirklich praktisch aus. Vielleicht irgendein Schatz, den sie aus ihren Kriegen mitgenommen haben. Für einen Schatz sprachen auch die drei großen Truhen, die an der Wand standen. Auch waren überall Gefäße auf Tischen verteilt, in denen Körperteile eingelegt waren. Einige Innereien, aber auch Hände und Köpfe waren zu sehen. Ich konnte erkennen, dass es auch Dunkelelfen waren, die ihre Körper bestimmt sehr gerne zur Verfügung gestellt hatten. In einem Gefäß lag etwas, dass ich erst für ein Stück Fleisch hielt, ähnlich einer Wurst. Aber dann trat Lyrismar neben mich und das Bild, als er sich mit den beiden Frauen vergnügt hatte, kam wieder hoch. Er fragte, ob sie diese Körperteile essen würden. Wer weiß? Wer immer nur an Arbeit denkt und keine Freuden kennt, der ekelt sich vor nichts und isst vielleicht auch so etwas. Wir schafften den Inhalt der Truhen in das Labor, was Ortnor uns netterweise überlassen hatte, und gingen in den nächsten Raum. Diesmal war der Raum etwas kleiner und gefüllt mit dem modrig-süßen Geruch eines Parfüms, welches sie hier unten wohl sehr gerne verwenden. Warmer Dampf von Waschzubern füllte den Raum. Die Kohlebecken unter den Zubern verhießen ein bequemes Bad. Doch die Ketten mit Widerhaken sagten etwas anderes. In den Ketten hingen, wie in einem Regal, weitere Frauen. Sie waren nicht tot, sondern wanden sich und jammerten vor Qualen. Die nackten Körper waren übersät mit Narben der Folter. Sabberfäden hingen von ihren Mündern herab. Sie konnten die Qualen vielleicht nicht mehr aushalten und beschlossen sich in den Wahnsinn zu flüchten. Doch vielleicht waren es auch Drogen. Auf einem Tisch lagen etliche Stücke einer Wurzel, die mir bekannt vorkam. Es war eine der Zutaten für den Grausud, den Neire immer bei sich hatte. In einem Waschzuber lag eine weitere Frau, eine von den Dunkelelfen. Auch für sie war es keine Erholung. Die Ketten und Haken waren durch ihre Haut getrieben und hielten sie in einer verkrümmten Haltung, so dass sie sich nicht rühren konnte. Ihr Augen waren klarer als die der anderen, aber als sie versuchte zu sprechen kam nur ein unverständliches Würgen heraus. Ihre Zunge war nicht mehr da, ebenso wenig wie ihre Zähne. Offenbar war sie zu gesprächig für Laargyr. Das Gesicht, trotz der Spuren der Folter, hatte etwas Erhabenes. Bargh schien das Gesicht von irgendwo zu kennen, aus einem Buch über alte Adelsgeschlechter der Dunkelelfen. Ein weiteres Gemach durchsuchten wir noch, jedoch sahen wir dort nur Kojen, auf denen hübsche menschliche und dunkelelfische Sklavinnen ruhten. Ihre träumenden Augen erinnerten mich an den vernebelten Blick von Lyrismar.

All diese Kammern brachten uns jedoch nicht näher zu unserem Ziel, bis wir durch Zufall an die Decke der Eingangshalle blickten. Dort bildete sich ganz schwach die Kontur einer Luke ab. Wir hatten wieder vergessen, dass es für die Kreaturen der Nachtzwerge natürlich ist, sich auf mehrere Meter zu vergrößern. Die Schritte wurden immer lauter und wir konnten schon ihre Stimmen hören. Bargh breitete seine dunklen Rabenfedern aus, die er durch sein Spiel mit dem Schicksal erhalten hatte. Kraft seiner Schwingen begab er sich langsam zur Decke. Die Stimmen waren jetzt ganz nah. Sie waren direkt hinter der Türe, wo wie die beiden Dirnen zurückgelassen hatten. Doch wie dankten die Frauen es uns, dass wir sie nicht direkt umgebracht hatten? Schon nach dem ersten lauten Wort, plapperten sie direkt heraus, dass es Meister Halbohr war, der hier vorbeikam. Natürlich hatten sie ihn erkannt. Sein Gesicht und sein Ohr kannte inzwischen wohl jeder. Ich wusste, dass sein Handel mit den Dämonen nicht gut für uns gewesen war. Aber wir hatten noch Zeit. Sie fingen an sich zu streiten. Einfach durch die Türe zu gehen war ihnen verboten. Sie hatten Angst obwohl es doch offensichtlich war, welchen Weg wir genommen hatten. Bargh griff in dem Moment nach der Klappe und riss sie aus der Öffnung. Krachend fiel sie zu Boden. Die Stimmen in dem anderen Raum stockten für einen Moment. Die Entschlossenheit wuchs. Einer von unseren Verfolgern bezeichnete sich als Grimringwächter, ein anderer als Runenweber. Es waren wohl militärische Ränge dieser Priester. Sie sagen, dass sie Kraft ihres Ranges wohl Zutritt hätten zu den Kammern. Was ihnen aber nicht helfen würde, denn sie hatten nicht den Schlüssel. Sie entschieden gegen ein Aufbrechen der Türe und schickten nach Daurgonn dem Grauen und Hornbald dem Grausamen für den Schlüssel. Weitere Zeit für uns, dachte ich mir. Das Schicksal sowie Flamme und Düsternis sind uns wohl gesonnen bei unserer Aufgabe.

Bargh ließ ein Seil herunter und während die Verfolger immer noch diskutierten, kletterten wir die Luke herauf. Sie öffnete sich in eine große, halbkreisförmige Halle, die mit Säulen gestützt wurde. Vor jeder Säule stand in ewiger Wachsamkeit eine riesenhafte Rüstung mit Äxten und Schwertern statt Händen. Überall lagerten in Kisten Massen von Erzen und Mineralien, wobei keine Kiste Ne’ilurum enthielt. Dafür aber die große doppelflügelige Türe, die aus dem Saal herausführte. Diese war aus purem Ne’ilurum. Ein meisterhaftes Schloss sicherte das Portal und weder Halbohr noch Lyrismar konnten dem Schloss habhaft werden. Doch auch hier half uns Laargyr ungewollt. An seinem Schlüsselbund befand sich ein weiter Schlüssel, der in das Schloss passte. Knirschend drückte Halbohr die Türe auf. Ich blickte verstohlen auf die Rüstungen und wartete darauf, dass sie sich in Bewegung setzten. Ich sah, dass auch Bargh und Lyrismar meinem Blick folgten, doch nichts passierte. Nicht die kleinste Regung. Schnell huschten wir durch das Portal und folgten dem Tunnel dahinter in die Dunkelheit. Der Tunnel war lang, viel länger als der Tempel sein konnte. Dies musste der Weg zu unserem Ziel, dem Morund Stein sein. Und ein sanftes rötliches Glühen kündigte ihn beeindruckend an.
Titel: Sitzung 100 - Die letzte Linie
Beitrag von: Jenseher am 16.02.2024 | 22:02
Je näher wir dem rötlichen Glühen kamen, desto mehr konnte ich die wunderbare Stimme in meinem Kopf wahrnehmen. Ich wusste natürlich, dass die Stimme nicht wirklich da war. Ich war schließlich nicht verrückt. Aber irgendwie war sie doch da. Sie säuselte mir zu, gab mir Kraft und Zuversicht. Ich wusste auch wem die Stimme gehörte, hatte ich sie doch schon lange gemisst. Die Stimme meiner geheimnisvollen und doch wunderbaren Herrin war wieder bei mir. Es war, als ob sie die Prüfungen, die ich über mich ergehen ließ, als bestanden ansah. Verlassen hatte sie mich nie, aber jetzt war sie so nah wie schon lange nicht mehr. Ich trug meine Maske, deswegen konnten die anderen nicht sehen wie ich lächelte. Aber wahrscheinlich hätten sie es eh nicht verstanden. Halbohr auf keinen Fall. Auch wenn der Elf mit dem einem Ohr mit ihr im Bunde stand, so würde er niemals die Nähe zu ihr haben können, wie ich sie habe und auch Neire und Bargh.

Halbohr hielt plötzlich inne. Irgendetwas schien er zu hören. Seinem Flüstern nach, weitere Nachtzwerge vor uns. Sie warteten auf eine Lieferung. Vorsichtig schlichen wir uns voran. Lyrismar ging neben mir, im Schatten des Drachentöters Bargh. Er hatte noch immer noch den Gestank dieser Dirnen an sich. Da der Geruch der Essen immer weniger wurde, drang das Parfüm der Sklavinnen jetzt noch stärker in meine Nase. Die Bilder der Erinnerungen kamen mit dem Geruch und es widerte mich an. Doch ich ertappte mich auch, indem ich Lyrismar heimlich beobachtete. Als sich der Tunnel in eine Höhle öffnete, sahen wir, woher das rötliche Glühen kam. Sie hatten hier in Käfigen Feuerkäfer gefangen. Auch wenn diese Sorte keine Flügel hatte. Dennoch verströmten sie ihr Licht wie glühende Kohlen. Wir waren noch im Schatten des Ganges, daher konnten wir den ein oder anderen Blick riskieren. Ein Gatter versperrte einen dieser Schächte, in denen sie Plattformen durch ihre Konstruktionen nach oben und unten bewegen konnten. Vor dem Gatter standen vier gerüstete Krieger der Nachtzwerge. Die Höhle breitete sich nach rechts aus und dort standen drei lebendige Rüstungen. Ihre Arme endeten in Schwertern und Äxten. Sie waren schwer zu erkennen, da sie fast schon außerhalb des Lichts der Feuerkäfer standen.

Der Plan war schnell gefasst. Wir würden in den Raum hineinstürmen und die Wachen niedermachen. Danach uns um die Rüstungen kümmern. Ich beschwor weitere meiner gefangenen Seelen. Vielleicht würden sich einige ihre Freiheit verdienen, wenn sie mich beschützten. Aber wahrscheinlich führen sie direkt zu Jiarlirae, um ihre Flammen zu nähren. Wir wollten uns bis an den Rand des Lichtes schleichen und dann loslaufen. Doch unsere Schritte waren zu laut. Sie konnten einen zersplitternden Stein hören und waren sofort aufmerksam. Einer schrie noch „Eindringlinge“ und schon brachten sie sich in Formationen. Nun gut, es hätte nichts geändert. Sie waren mir ohnehin nicht gewachsen, das wusste ich von dem Flüstern in mir. Ich beschwor flammende Pfeile die sich in die Leiber bohrten und ihre Kleidung entzündeten. Schreiend liefen sie umher, nur um von Barghs und Lyrismars Klinge erlöst zu werden. Eine Türe flog auf und weitere Schergen strömten dort heraus. Ein Gestank von Schweiß und Fäkalien drang aus dem Raum dahinter und ich konnte kurz sehen, dass sich dort eine Art Pferch für Sklaven befand. Ein großes Rad mit eisernen Sprossen war an weiteren Mechanismen festgemacht, so dass die Sklaven dort drin hineinsteigen und es drehen konnten. Die Wachen drängten sich durch die Türe. Sie stürmten vorwärts, in ihr eigenes Verderben. Ich flehte zu Jiarliare um zerstörende Schatten und sie schenkte mir eine surrende Lanze, die die Leiber der Wachen und einige der Sklaven einfach zerfetzte. Einer der Soldaten konnte sich noch mit einem beherzten Sprung retten, doch der blutende Einhorndolch von Halbohr erwartete ihn schon.

Die Rüstungen hatten sich noch kein Stück bewegt. Halbohr trat in den Sklavenpferch hinein. Ich verstand nicht was er jetzt wieder für einen Plan hatte, als er mit einer größeren Ork-Kreatur sprach. Er wollte sie zu irgendetwas überreden, aber die Kreatur machte keine Anstalten Halbohr zuzuhören. Ich musste schmunzeln. Halbohr hatte wohl vergessen dem Ork zu erklären, dass er jetzt Meister Halbohr war. Es war vergeudete Zeit. Hinter den Rüstungen konnten wir Stimmen hören. Ein Hauptmann befahl wohl einem Trupp, das „Unternehmen Morund“ in Bewegung zu setzen. Was das hieß, sollte ich schon bald am eigenen Leib erfahren.

Wir versteckten uns in verschiedenen kleineren Öffnungen. Meine war eine kleinere Höhle, wo sie große Marmorblöcke lagerten. Bargh und die anderen waren in einer größeren Höhle, wo Haufen von Schilf, Ölfässern und anderen Sachen aufgebahrt waren. Dort warteten wir, wie Halbohr es vorschlug. Doch nichts passierte. Ein weiterer Plan von Halbohr, der uns nicht weiterbrachte. Nicht nur ich wurde unruhig, auch Bargh trat immer wieder aus der Höhle raus. Nach einer gefühlten Ewigkeit trafen wir uns in der offenen Halle und gingen vorsichtig einige Schritte zu den Rüstungen. Schon als wir uns näherten setzten sie sich ruckhaft in Bewegung. Mit schweren stampfenden Schritten gingen rückwärts in die Dunkelheit. Wir folgten ihnen vorsichtig. Ich konnte fast nichts mehr sehen. Das Licht der Feuerkäfer war direkt hinter uns und vor uns nur die Schwärze der Dunkelheit. Doch plötzlich gab es ein Rasseln von schweren Ketten und Funken von Metall auf Metall stoben auf. Die Funken schenkten uns ganz kurz einen Blick, aber das was ich sah war grauenvoll. Aus der Decke des Ganges schossen große metallene Spitzen heraus und die ganze Decke begann auf uns zu stürzen. Halbohr und Bargh gingen ziemlich weit vorne. Die Spitzen rammten sich durch die Rüstung und durch ihr Fleisch. Ich konnte sie im Dunkeln aufschreien hören. Lyrismar schaffte es rechtzeitig nach hinten weg zu springen, doch ich hatte nicht so viel Glück. Die Spitzen fielen auf mich herab, doch die verdammten Seelen sammelten sich. Sie waren meine Sklaven und würden mich noch im Nachleben beschützen müssen. Ich konnte ihre Schreie hören, als sie sich gegen die Spitzen warfen. Nur einige wenige Splitter bohrten sich mir ins Fleisch, als sich die Decke wieder schleifend nach oben bewegte. Auch die Rüstungen wurden durchbohrt, doch ich konnte noch deutlich hören, wie sich quietschend weiterbewegten. Ein Flammenschein erhellte plötzlich den Gang. Es war die Klinge von Bargh. Die Schatten hatten sich entzündet und die gleißende Hitze zerschmolz die Panzerplatten der Rüstungen. Wir standen vor einer weiteren Wand und auch hier drangen kegelartige Spitzen hervor. Auf den Boden sah ich jetzt deutlich drei Schienen die in unsere Richtung führten. Die Wand bewegte sich noch nicht, ich ahnte aber, dass es war nur eine Frage der Zeit war.

Das Licht von Barghs Schwert erlosch und ich war wieder in Dunkelheit gehüllt. Immer noch dieses verfluchte Leuchten dieser Käfer was mir die Sicht nahm. Sie waren Abnormitäten, nicht so wie Funkenträger. Ich wollte irgendetwas töten, also schleuderte ich einige Kugeln aus magischer Energie auf diese Kreaturen. Sie zerplatzten in ihren Käfigen und ihr leuchtendes Sekret tropfte auf den Boden unter ihnen. Vielleicht war das ja eine Möglichkeit. Ich tauchte meinen Säbel in die Flüssigkeit und sie leuchtete weiter an der Klinge. Jetzt konnte ich wenigstens etwas mehr sehen. Plötzlich trat auch Halbohr neben mich. Warum war er nicht da vorne und kämpfte? Brauchte Meister Halbohr etwa meine Hilfe? Traute er sich nicht ohne mich? Ich schrie ihn an und zusammen gingen wir wieder dem Kampfeslärm entgegen. Aber Bargh und Lyrismar brauchten gar keine Hilfe. Zusammen hatten sie schon die Rüstungen in ihre Einzelteile zerlegt. Jetzt konnten wir die Wand genauer sehen. Die Spitzen ragten uns bedrohlich entgegen, aber die Wand reichte nicht bis zur Decke. Man könnte an den Spitzen hochklettern, um sie zu überwinden. Fast so wie wir es am Eingang zu Unterirrling gemacht hatten. Doch ich erinnerte mich noch gut daran, was uns hinter den Speeren erwartet hatte. Hier würde mir das nicht passieren, hier würde ich mich nicht überraschen lassen. So dachte ich zumindest.

Halbohr und Lyrismar kletterten geschickt die Spitzen hoch. Der gesalbte Krieger Jiarliraes zog sich mit seinen ungewöhnlich langen Armen geschwind Wand hoch. Bargh faltete seine schwarzen Rabenfedern auf und stieß sich mit schweren Schlägen seiner Schwingen nach oben. Auch ich zog mich an den Spitzen hoch. Immer wieder schnitten sie mir leicht in die Arme und ich kam nur schleppend voran. Plötzlich konnte ich von der anderen Seite der Wand einen lauten Befehl hören: „Unternehmen Morund: Zweite Wand! Jetzt!“. Das Knacken eines Hebels war die einzige Vorwarnung. Plötzlich schoss die Wand, an die ich mich noch immer klammerte, wie ein Katapult nach vorne und schleuderte mich zurück. Ich schlug hart auf den Boden auf. Mein Rücken schmerzte grauenvoll, genauso wie meine Arme, meine Beine und mein Kopf. Etwas konnte ich mich noch abrollen dennoch schlug ich auf dem Stein auf. Alles drehte sich für einen Moment und ich bekam keine Luft mehr. Doch ich durfte jetzt nicht aufgeben. Gerade jetzt, wo ich meiner Herrin wieder so nahe war. Es war fast als ob sie mich in meinem Kopf anschreien würde. Ich musste aufstehen. Jetzt! Also gehorchte ich, trotz der Schmerzen. Ich musste wieder zurück. Diese feigen hinterlistigen Kreaturen würden dafür bezahlen mit Blut und Qualen. Die Wand kam zwar nach vorne, dennoch versperrte sie noch immer den Gang. Also musste ich wieder hochklettern, schneller diesmal.

Als ich oben ankam konnte ich besser sehen. Das Licht der Käfer wurde von der Mauer abgehalten. Die anderen waren schon in einer weiteren Höhle. Weitere der Duergar-Schergen waren dort. Einer hatte eine silberne Kordel um die Schulter geworfen. Auf diesen wollte sich Halbohr stürzen, doch er prallte plötzlich gegen etwas Unsichtbares. Ich kniff meine Augen zusammen und konnte einen leichten milchigen Schimmer erkennen. Dort stand eine durchsichtige Wand aus Energie und die Nachtzwerge dahinter grinsten Halbohr an. Ich konnte die Stimmen eines Gebetes hören und der Nachtzwerg mit der Schnur brüllte einen weiteren Befehl. Das Flimmern in der Luft fiel in sich zusammen und die Duergar stürzten sich auf die drei. Der Kampf entbrannte. Barghs Klinge spie Flammen, die Dolche von Halbohr fanden ihren Weg. Doch auch Axt und Picke der Nachtzwerge rammten sich in das Fleisch ihrer Gegner. Es war ein harter Kampf und ich musste mich beeilen. Ich würde sie alle brennen lassen. Als Lyrismar ebenfalls magische Energien beschwor, brach das Chaos aus. Die Axt des Anführers traf Lyrismar im gleichen Moment, als er die magischen Energien entfesselte. Als das geschah explodierte die Welt um Lyrismar herum. Ein Meer von Flammen füllte die ganze Höhle aus. Ich konnte nichts mehr erkennen, nur die Schreie waren noch da. Es war als ob die Herrin selbst Rache nehmen wollte und sich Lyrismar als ihr Gefäß ausgesucht hatte. Kampfeslärm und Todesschreie waren das Einzige, was noch da war. Ab und zu sah man die massive Gestalt von Bargh auftauchen. Die Flammen stoben um ihn herum, berührten ihn aber nicht. Aus den Flammen sprang Halbohr heraus und suchte sein Heil in der Flucht. Irgendwann brüllte Bargh etwas, was ich nicht verstand, doch das Flammenmeer bewegte sich dann langsam auf mich zu. Von der Spitze der Wand konnte ich etwas über die Flammen sehen. Dort wo das Feuer sich jetzt weg bewegte, waren nur noch die verkohlten Leichname der Duergar übrig. Ich sah Bargh schwer keuchend und verletzt dort stehen, sein Schwert bedeckt mit verbranntem Blut. Es dauerte noch etwas, dann verschwanden die Flammen wieder. Dort war auch Lyrismar, wütend und fluchend. Die Flammen hatten sich anscheinend um ihn herum gebildet und waren ihm gefolgt. Doch man sah ihm an, dass dies nicht von ihm gewollt war. Er riss die Haut des Höllenhundes von sich und warf sie auf den Boden begleitet von Verwünschungen. Er war wohl der Meinung, dass diese Haut es war, die seine Magie gestört hatte. Aber er war sich seiner Sache selbst nicht sicher. Er hielt inne und betrachtete die Haut. Sie hatte ihm bisher vor Flammen beschützt. Daran erinnerte er sich auch wieder. Immer noch fluchend, aber inzwischen leiser, nahm er die Haut wieder an sich und warf sie über.

Wir plünderten das, was von den Leichen übrig war. An der Höhle hinter der Stachelwand schloss sich eine kleinere Kammer an, die sie als kleineren Wachraum nutzten. Wir fanden auch einige Hebel, die Lyrismar direkt ausprobierte. Mit knackenden Geräuschen steuerten die Hebel die Wände des Ganges und sogar die flimmernde Barriere von Magie. Und schließlich fanden wir unseren weiteren Weg, eine breite Wendeltreppe, die in die Tiefe führte.

Ich war aufgeregt, aber auch vorsichtig als ich die Stufen hinab schritt. Man konnte von unten ganz schwach ein Rauschen hören, wie von Wassermassen. Da war aber auch ein dumpfes Dröhnen. Der ätzende Geruch des Sees wurde wieder stärker und drang langsam und beißend in meine Nase. Die Außenseite der Treppe öffnete sich mit einem Mal. Sie führte an einer Felswand um einen Abgrund entlang. Neben uns ging es hinab und auf der anderen Seite konnten wir den spiralförmigen Tunnel unter uns sehen. Ein falscher Schritt und wir würden hier in endlose Tiefen stürzen. So gingen wir weiter und weiter nach unten. Inzwischen konnte ich vom Abgrund her ein verwaschenes Licht sehen. Gift-gelblich und grün, schimmerte es wie ein leuchtender Nebel. Ein dumpfes Dröhnen drang aus der Tiefe empor. Lyrismar wurde mit jedem Schritt nachdenklicher, was ich bei ihm noch nicht gesehen hatte. Irgendwann hielt er inne und streckte seine Hand über den Abgrund aus. Seine Stirn legte sich nachdenklich in Falten und er sagte: „Der Nebel, das Licht...Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich kann es spüren, irgendeine Veränderung. Es fühlt sich fast wie meine Heimat an, aber doch irgendwie anders. Wir müssen mit unserer Magie vorsichtig sein. Die Kunst, die einen an andere Orte bringt, wird hier nicht funktionieren.“ Ich hörte seine Worte, aber ich würde weiter gehen. Natürlich nicht für einen König. Ich würde weiter gehen, weil es mein Weg ist, der mir gewiesen wurde. Ich spürte die Furcht, die Angst vor meinem Tode. Doch die Stimme meiner Göttin war mit mir, wie sie auch mit Bargh und Lyrismar war. Ich würde meinen Tod freudig erwarten, denn ich würde in ihr Reich hinabsteigen. Und mit mir wären meine Begleiter. Die Seelen der auf ewig Verdammten, die ich an mich gebunden hatte. Ich lauschte ihren Schreien und ihrem Flehen. Sie gaben mir glorreiche Erhabenheit, einen unstillbaren Durst auf das Nachleben im Reich der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes.
Titel: Sitzung 101 - Geschwür einer anderen Welt
Beitrag von: Jenseher am 24.02.2024 | 11:45
Die Rampe bohrte sich immer tiefer hinein, in den im gelblich-grünlichen Licht wabernden Abgrund unter uns. Es war wie eine Schnecke, die sich in eine andere Welt grub. Das Licht weiter unten machte alles diffus und mit ihm drang auch der beißende Geruch des Arbolbaar Sees wieder an meine Nase. Unser Weg hinab war untermalt von dem dumpfen Geräusch, das irgendwo aus den gift-gelben Nebeln und der Tiefe kam.

Einer weiteren Windung folgte noch eine, doch dann verschwand die Rampe vor uns. Dort wo die Säulen eigentlich hätten stehen sollen, die den steinernen Weg stützten, fehlte ein großes Stück der Felswand - vielleicht herausgebrochen und das auch schon vor langer Zeit. Aber es war nicht das Ende unseres Weges. Kurz vor der Kante stand eine steinerne Türe und führte in den Felsen hinein. Es war keine dieser Türen, wie sie die Nachtzwerge gerne benutzten. Diese hier schien kunstvoller, sie wirkte irgendwie fehl am Platze. Wir waren jetzt schon recht tief und inzwischen konnten wir in dem gelben Dunst unter uns einige Konturen erkennen. Die einzelnen Umrisse sahen aus wie Seile und da war etwas, das an den Seilen hing - vielleicht Kisten oder eher Käfige. Halbohr bemühte sich die Türe leise aufzudrücken, doch wir alle konnten die lauten Geräusche dahinter hören, den Lärm von Kindern, die riefen, lachten und schrien. War es wirklich das, was ich dort hörte oder spielte dieser unheilige Ort mit meinen Gedanken? Als sich die Türe öffnete, konnten wir dahinter einen großen Raum erkennen und wieder schien es mir, als ob wir die Stadt der Nachtzwerge schon lange hinter uns gelassen hätten. Auch dieser Raum hatte Bogen-ähnliche Verzierungen. Doch welch kranker Geist auch das Bauwerk vollbracht hatte, hatte überall die Muster von Tentakeln hineingearbeitet. Das Ganze sah aus, als ob man versucht hatte eine Krankheit von Geschwüren darzustellen. Der Boden war übersät mit allerlei kleinen Gegenständen. Rasseln, Murmeln, Puppen, hölzerne Räder, Kreisel und sonstiger Kram lag verstreut herum. Ich verstand nicht, wozu diese Dinge alle dienen sollten. Wenn hier wirklich Kinder sein sollten, wieso hatten sie dann nichts Besseres zu tun als mit diesen Dingen zu spielen? Mussten sie denn keine Arbeit verrichten?

Vorsichtig tasteten wir uns weiter. Kleine Treppen führten hinab in einen weiteren Raum wo eine große Tafel voller Essen aufgebaut war. Dort saßen sie alle und verschlangen Fleischstücke und Tintenfische. Die Kinder waren allesamt Duergar, doch sie hatten alle Missbildungen. Ich konnte ihre aufgeblähten Köpfe und verdrehten Augen erkennen. Ich sah, dass sie debil waren. Weitere der zurückgebliebenen Kinder, die in Urrungfaust eigentlich geopfert werden sollten? Sie wurden umsorgt von einer jüngeren Matrone der Duergar, die zwischen den Stühlen hin und her huschte und verzweifelt versuchte für etwas Ordnung zu sorgen. Was ihr aber nur schwer gelang. Immer wieder hielt es einer der Bälger für lustig, laut zu furzen und die anderen, bar jeglichen Verstandes, lachten lauthals mit. Auch trommelten sie mit ihren Gabeln oder mit nackten Händen auf den Tisch. Das Gejohle klang hell wie hohl und wurde durchbrochen von einzelnen schwachsinnigen Lachschreien. Die meisten hatten schon ihr Essen beendet und die Frau begann die Schüsseln wegzuräumen. Der Teller vor einem Kind hatte noch ein großes Stück gebratenes Fleisch darauf und offenbar wollte der Junge noch weiter essen. Er öffnete seinen Mund und zwischen seinen faulen Zähnen drangen dumpfe Laute hervor. Vielleicht sollte das ein Schreien sein, aber sein missgebildeter Verstand konnte keine vernünftigen Laute vorbringen. Als er aber seine Hand nach dem Fleisch ausstreckte begann das Stück plötzlich in der Luft zu schweben. Das Kind machte eine ruckhafte Bewegung und das Fleisch flog wie von selbst in seinen Mund. Die Duergar Frau schien davon aber nicht wirklich beeindruckt zu sein. Doch aus anderen Ecken des Raumes traten zwei Gestalten in den Raum und als ich sie sah, blieb mir kurz der Atem weg. Ein außerweltliches, fremdes Grauen war in die unwirkliche Szene gebrochen. Auf den ersten Blick wirkten sie wie zwei Menschen, gekleidet in schmutzige Roben, aber ihr Schädel war mit rötlichen Wülsten bedeckt und glänzten schleimig. Der Kopf drehte sich etwas und ich konnte deutlich den Mund sehen. Allerdings war dort kein Mund, sondern vier Tentakel wuchsen an dessen Stelle. Ich erkannte sie wieder. Diese Kreaturen hatten wir schon in Unterirrling auf dem Markt gesehen. Und ich erinnerte mich auch an die Stimmen, die ich in meinem Kopf gehört hatte. Nicht lieblich und angenehm waren sie gewesen, sondern abscheulich und erschreckend. Die Augen hatten keine Pupillen und waren einfach nur weiß. Trotzdem schienen sie des Sehens fähig, als sie das Kind mit großem Interesse betrachteten. Sie schauten die Duergar Frau an und sie nickte einfach nur und sagte: „Jawohl meine Meister, ich werde nur noch die Tafel abräumen“. Von keiner der Kreaturen war auch nur der kleinste Laut gekommen, doch die Duergar Frau schien trotzdem verstanden zu haben.

Halbohr schlich sich nach vorne, von Lyrismar war schon nichts mehr zu sehen. Leise folgte er der Duergardienerin, doch er hatte nicht aufgepasst. Sein Stiefel trat auf eine Rassel, die mit einem lauten Knacken auseinander¬sprang. Plötzlich richteten sich alle Augen auf Halbohr. Vorbei war es mit der Heimlichkeit. Es war mir ohnehin lieber und so sparten wir uns Rederei. Als die weißen Augen der Kreaturen uns anstarrten, spürten wir, wie in unseren Köpfen etwas wütete. Eine Kälte jagte durch unseren Geist und lähmte alle unsere Nerven. Doch Jiarlirae ist stärker als diese Kreaturen. Ich spürte wieder ihr Säuseln in meinem Kopf und merkte wie allein ihr Dasein die Macht der fremden Kreaturen zunichtemachte. Lyrismar erschien aus dem Schatten direkt hinter einer der Kreaturen und stach seine gezackte Klinge durch den Brustkorb. Auch Bargh und Halbohr stürmten nach vorne. Schnell lagen die Kreaturen in ihrem eigenen Blut. Die Duergar Frau versuchte zu fliehen doch Bargh schaffte es sie einzuholen bevor sie durch eine weitere Türe verschwinden konnte. Seine Klinge blutete Feuer und das Feuer verzehrte die Frau.

Die Kinder waren zu dumm um zu verstehen was geschehen war. Für sie war es nur laut und sie bekamen Angst. Dümmlich begannen einige zu schreien. Tränen strömten über ihre rundlichen Gesichter und gelber Sabber lief über ihr Kinn. Bargh und Lyrismar schleiften die Leichen in einen Küchenraum, während Halbohr den Kindern Spielzeug zuwarf. Tatsächlich begannen sie sich zu beruhigen. Ihre ärmlichen Gedanken hatten offenbar nicht genug Platz für viele Erinnerungen und der Schrecken war schnell wieder vergessen. Ich schlug vor den Kindern ein neues Spiel zu zeigen. Nämlich das Spiel wie man fliegen lernt. Der Abgrund würde sich gut dafür eignen und es würde ein richtig schönes Spiel werden. Und ein Einfaches, sogar diese Missgeburten würden es verstehen. Entweder sie würden schnell lernen zu fliegen oder sie würden verlieren. Lyrismar fand die Idee auch gut, doch Bargh und Halbohr konnten wir nicht überreden.

Weitere Räume schlossen sich der Essstube an. Es waren Schlafkammern wovon zwei sogar von außen ein Schloss hatten. Immerhin etwas beruhigendes in dieser Fremdheit. Auch hier wurden ungehörige Kinder bestraft. Wir folgten einer Treppe hinab, wohin die Duergar Frau versucht hatte zu fliehen. Vor einer Türe hörten wir weitere Stimmen. Jemand gab Anweisungen, irgendetwas mit einer Murmel und in welche Richtung sie rollen sollte. Halbohr drückte vorsichtig die Türe auf. Der Raum dahinter war in ein warmes, grün-gelbes Licht getaucht und am anderen Ende war an der Wand eine weitere Art von Spiel aufgebaut. Metallnägel waren in regelmäßigen Abständen in Holz gehauen. Auf der Oberseite waren Öffnungen und ein debiles Mädchen, mit zwei kurzen, geflochtenen dunkelblonden Zöpfen an der Seite und schmalen Augen, warf gerade zwei Murmeln in die mittlere Öffnung hinein. Wir konnten sehen wie sie mit einem Klacken von Nagel zu Nagel fielen. Eigentlich erwartete ich, dass die Murmeln einen zufälligen Weg nehmen würden, doch stattdessen fielen sie, zumindest eine davon, immer zur linken Seite. Neben ihr stand eine weitere Duergar Frau und gab ihre Kommandos: „Nein nein, sie müssen beide hierhin. Versucht es mit beiden Kugeln.“. Und: „Jetzt in diese Richtung!“. Die rechte Seite des Raumes war ausgefüllt mit einem gläsernen Bildnis. Wir konnten das Spiegelbild des Raumes darin sehen, doch die Reflexion sah irgendwie merkwürdig aus. Halbohr schlich sich weiter nach vorne in den Rücken der Duergar Frau. Sein Einhorndolch glitt durch ihren Hals. Blut spritzte auf und röchelnd sank sie zu Boden. Das Mädchen wollte schreien doch Halbohr drückte ihr schnell seine Hand auf ihren Mund. Dann hörten wir das helle Klingeln von Glöckchen. Wir konnten keinen Ursprung des Geräusches ausmachen.

Wir hatten es gehört, doch konnten mit dem Geräusch nicht wirklich etwas anfangen. Das Klingeln klang nah, aber dann doch wieder so, als ob es ganz weit weg wäre, wie von einem Echo. Es ebbte etwas ab und dann spürten wir die Welle von Kälte über uns hinwegfegen. Wieder zuckten alle Nerven in meinem Körper zusammen. Es war noch stärker als beim letzten Mal. Das Mädchen konnte nur noch die Augen vor Schreck aufreißen, dann froren sämtliche Muskeln von ihr ein. Wie aus dem Nichts erschienen mitten in dem Raum sieben dieser schrecklichen Kreaturen. Aus nächster Nähe konnte ich die Saugnäpfe auf ihren Tentakeln sehen und den Schleim den sie absonderten. Bargh und Halbohr zögerten nicht lange und drängten auf die ersten Kreaturen. Auch ich war nicht untätig. Ich beschwor eine Lanze von wirbelnden Schatten. Doch anstatt die Monstrositäten zu zerfetzen, floss die Magie einfach um sie herum. Nicht jedoch das Glasgemälde. Innerhalb nur eines Herzschlages zitterte erst das Glas und sprang dann mit einem Krachen in tausende kleine Splitter. Hinter dem Glas offenbarte sich ein weiterer Raum. Keine Spielsachen, sondern blutverschmierte Tische waren zu erkennen. Auf einem lag der tote Leib eines weiteren Kindes. Der Schädel war ihm geöffnet worden und das extrahierte Gehirn ruhte fein säuberlich daneben. Auf dem Tisch daneben lagen nur noch Knochen. Das Fleisch war sauber abgeschält worden und aufgeschichtet, als wenn es schon bald in einem Kochtopf landen sollte. Ich konnte mir vorstellen, dass sie den schwachsinnigen Kindern weiter oben das Fleisch ihrer geschlachteten Kameraden servierten. Schnell verwarf ich den Gedanken und betrachtete hastig den Raum. Gläser enthielten weitere Gehirne. Zwei der Kreaturen standen dort vor dem Tisch. Über ihren dreckigen Roben trugen sie schwere Lederschürzen, die voll mit frischem Blut waren. Eine weitere Welle dieser Geisteskälte flog über uns, doch immer noch konnten sie unseren Glauben an unsere Herrin nicht brechen. Ich packte den schwarzen Säbel an meiner Seite und stürmte auf die Gestalten mit den Tentakelmäulern zu. Die zwei Hiebe auf den Körper taten richtig gut. Sie schrien zwar nicht auf, dafür fehlten ihnen wohl die Münder. Aber dennoch konnte man den Schmerz erkennen. Zusammen mit Bargh und Lyrismar machten wir sie nieder. Halbohr sprang durch das zersprungene Glas und rannte den beiden Fliehenden hinterher. Sie hatten wohl erkannt, dass sie hier keinen Sieg mehr erringen konnten. Sie versuchten über eine weitere Türe zu entkommen, doch sie waren nicht schnell genug. Jetzt waren auch die anderen da und der Tod der beiden letzten Tentakel-Kreaturen kam schnell.

Wir fanden ihr Gemach. Eine dunkle und stinkende Kammer. Die schwarzen Möbel, die dort standen, waren mit Schleim bedeckt. Wir fanden Notizen, doch die Schrift hatte noch niemand von uns gesehen. Auch fanden wir diese Glöckchen, die wir gehört hatten. Als ich mir eines anschaute spürte ich etwas – ein Gefühl, das ich kannte. Es war so ähnlich wie das was ich spürte, als wir durch das Portal im Tempel des Jensehers geschritten waren. Ein weiteres Glöckchen war etwas anders. Im Gegensatz zu den anderen war es aus Kristall, nicht aus Silber. Ich glaubte, wenn man dieses Glöckchen klingen lässt weiß jemand anderes, wo es passiert ist.

Eine weitere Türe führte uns wieder zurück in die Säule und auf die Rampe. Weiter abwärts. Das Leuchten wurde stärker. Und wir konnten sehen, dass tatsächlich Käfige an stählernen Seilen über der Leere aufgehängt waren. Dort drin vegetierten verschiedene Körper. Ich konnte einige Dunkelelfen sehen, auch Menschen und einige wenige der Nachtzwerge, aber keine Kinder. Wir folgten der Rampe weiter nach unten und gelangten an einen weiteren Einbruch und eine Türe, die wieder in den Felsen führte. Dieses Mal war es eine doppelflügelige Türe, die wieder mit Tentakeln verziert war. Bargh fand die Spuren von Laargyr, aber sie waren sehr alt. Es waren auch andere Spuren zu sehen. Keine von den Duergar, sondern sie schienen eher den Tentakelkreaturen zu gehören. Das Portal führte uns in eine Höhle. Die Tentakel hier waren nicht mehr aus Stein, sondern sie waren lebendig. Schleimig pulsierten sie und gruben sich durch den Stein. Wir waren wirklich nicht mehr in Urrungfaust. Diese andere Welt darunter versuchte sich ihren Weg nach oben zu bahnen und die Tentakel waren wie eine Krankheit, die sich von hier ausbreitete. Es stank bestialisch. Nicht mehr so sehr nach dem Arbolbaar See, sondern nach Fäule und Verwesung. Die Spuren von Laargyr führten hier durch. Er hatte anscheinend stets darauf geachtet, die Tentakel nicht zu berühren. Als wir uns weiterbewegten, machten wir dasselbe. Die Höhle führte an mehreren alten Türen des stämmigen Volkes vorbei. Dort waren nur die Spuren der Tentakelkreaturen zu erkennen, also machten wir einen großen Bogen darum. Die Spuren, denen wir folgten, führten in einen kleinen Tunnel. Abzweige endeten an Türen, von denen Halbohr ein schweinisches Grunzen und Stöhnen hören konnte. Es klang entfernt wie Ork Kreaturen, aber auch irgendwie anders. Ein Abzweig führte zu einer alten verfallenen Kapelle. Irgendwann musste jemand hier einmal Laduguer gehuldigt haben, doch das war schon lange her. Wer es auch war, sie mussten festgestellt haben, dass ihr Gott schwach war. Die Tentakel haben diese Kapelle für sich erobert und schlängelten sich um das, was von den Statuen übriggeblieben war. Eine war in der Mitte aufgebrochen und offenbarte einen alten geheimen Gang. Und dahin führten auch die Spuren von Laargyr.

Der Gang offenbarte sich als Zellentrakt. In kleinen Nischen in der Wand konnten wir die verschlossenen Türen sehen. Über jeder führte ein dickes stählernes Seil an Rollen zu dem Abgrund. Wer auch immer dieses Gemäuer gebaut hatte, musste ein Meister sein. Ich nahm an, dass man mit komplizierten Mechanismen die Zellen mit denen tauschen konnte, die über den Abgrund schmorten. Der Gang führte an einer weiteren Türe vorbei und endete schließlich an einer Wendeltreppe. Von der Türe konnten wir wieder das Grunzen der Orkrasse hören. Es hörte sich an als, ob sie gleichzeitig fressen würden und sich mit Frauen vergnügten. Dieses Bild sollte erst überhaupt nicht in meinen Kopf hinein, sonst würde nur wieder der Ekel und die Abscheu über diese primitiven und minderwertigen Kreaturen hochkommen. Vorsichtig gingen wir an der Türe vorbei und betraten die Treppe nach unten. Der Geruch von Fäkalien und auch von Verwesung wurde wieder stärker. Es war mir klar, dass wir noch tiefer in das faulende Herz dieser fremden Welt hinein tauchen würden. Und wenn wir dort ankommen würden wir es herausreißen. Solch eine Fäule, solch eine Krankheit muss heraus gebrannt werden. Das wusste doch jeder.
Titel: Sitzung 102 - Geschwür einer anderen Welt II
Beitrag von: Jenseher am 2.03.2024 | 23:57
Wir schritten in die Tiefe. Weiter hinab in das verdorbene Herz des Morund-Steines. Die von Schleim feuchten Wände gaben mir immer mehr die Sicherheit, dass es ein krankes Herz war. Durchzogen von irgendeiner fremden Fäule. Im Stein sah ich kleine Löcher. Wie Maden fraßen sich dort Tentakel nach außen. Maden, die das Fleisch von Urrungfaust fressen wollten. Vermutlich war die Stadt schon lange tot, sie wusste es nur noch nicht. Es stank widerlich nach Verwesung aber auch der beißende Hauch des Arbolbarer Sees war wieder stärker geworden. Es kostete mich einiges an Überwindung in den Tunnel zu schreiten, der sich hinter der Wendeltreppe öffnete. Den anderen schien es nichts auszumachen. Wer weiß durch welchen Unrat sie sich schon wühlen mussten, bevor ich sie kennengelernt hatte. Oder sie konnten es gar nicht riechen. Bei Bargh war ich mir zum Beispiel nicht sicher. Hinter seiner grünen Maske regte sich nichts. Nur der Opal, der sich vor seinem Rubinauge befand, glitzerte merkwürdig ohne äußeren Lichteinfluss. Es sah so aus, als ob der schwarze Edelstein in seinem Innern brennen würde, als ob der in seinem Auge verwachsene glühende Rubin dort sichtbar würde.

Vor uns zweigten zwei Tunnel ab und wir konnten wieder ein Grunzen und ein Stöhnen hören. Es klang dumpf. Es klang nach riesigen Brustkörben. Halbohr und Lyrismar schlichen voran. Der Abgesandte Jiarliraes bewegte sich in seiner roten Chaosrobe fast lautlos über den glitschigen Stein. Beide mussten immer wieder Haufen von Fäkalien ausweichen. Wer auch immer hier hauste, er hielt es nicht für nötig einen Abort zu besuchen, sondern legte sein Geschäft einfach im Gang ab. Es mussten Tiere sein. Beide spähten in die Tunnel hinein und kamen nach kurzer Zeit wieder zurück. Flüsternd beschrieb Halbohr die beiden Höhlen, die sich hinter den Durchgängen eröffneten. Dort hausten Kreaturen die so ähnlich wie Orks aussahen, jedoch viel größer waren. Sie hatten riesige Schweinekreaturen dabei. Angeblich hatten sie lange Hauer, Sattel und Rüstungen. Vielleicht dienten sie ihnen als primitive Reittiere. Als Halbohr erzählte, dass ein Ork versucht hatte eines der Schweine von hinten zu begatten, war ich mir nicht mehr sicher, ob sie sie nur als Reittiere nutzten. Die anderen Orks hatten den Schweineliebhaber wohl mit Bierhumpen beworfen und sich mit stupiden, brüllenden Lachschreien über ihn lustig gemacht. Er hatte dann von dem Tier abgelassen, bevor es zum Akt kam. Aber ich war mir sicher, dass beide, Orks und Schweine, nur wilde, wertlose Tiere waren.

Ich wusste was zu tun war. Die Stimme in meinem Innern flüsterte es mir zu. Die anderen sollten sich bereit machen. Ich würde sie ausräuchern und was noch übrig war, konnten sie erlegen. Jiarlirae schenkte mir wieder die Macht der Flammen. Ich formte sie zu einem Ball den ich behutsam in eine der Höhlen lenkte. Die anderen waren schon in Position. Krachend zerplatzte die kleine Kugel aus Feuer in der Höhle und beschwor ein flammendes Inferno. Ich genoss die Schreie der Kreaturen, wie sie dort brannten. Aber sie waren schnell. Ich glaube nicht, dass sie wirklich so etwas wie Verstand hatten, vielleicht waren es eher tierische Instinkte. Einige konnten zur Seite springen und in der gegenüberliegenden Höhle formierten sie sich. Halbohr und Lyrismar stürmten in die andere Höhle hinein, während Bargh und ich uns um das kümmerten, was noch übrig war. Als Bargh in das drecke Wachgemach eindrang, rutschte er jedoch auf dem schleimigen Boden aus. Er versuchte sich zwar noch zu halten, aber durch sein Taumeln wurde sein kostbares Schild aus Ne‘ilurum zur Seite geschleudert. Aber Bargh wäre nicht der Drachentöter, wenn er nicht auch damit fertig werden würde. Schnell raffte er sich auf und griff mit der freien Hand zu seiner Klinge Blutstein. Die Schneide war aus Knochen und sie dürstete es nach Blut. Ihr Durst sollte schon bald gestillt werden und als Blutstein in das Fleisch eines Orks eindrang saugte sich der Knochen damit voll. Der Durst war noch lange nicht gestillt, aber schon jetzt begann der Knochen zu glänzen und sah mehr nach blankem Stahl aus. Barghs Klingen und meine Schatten zerschmetterten die Überlebenden. Auch die Schweinskreaturen, die bestimmt mehrere Schritte umfassten und die Größe von kleinen Pferden hatten, gaben ihr Leben. In der anderen Höhle sah ich Halbohr umringt von einer Meute von Orks. Einige Male rammte ein Streitkolben in die Seite des elfischen Söldners. Aber auch Halbohr war im Bunde mit Jiarlirae und das schien er auch immer mehr zu begreifen. Seine Einhornklinge schlitze die Bäuche von Schweinen und Orks gleichermaßen auf. Mit der Hilfe von Lyrismar waren auch diese Kreaturen recht bald nur noch Haufen von totem Fleisch.

Der Tunnel endete an einer der steinernen Türen, die aus vergangen Zeiten der Duergar zu stammen schien. Dahinter kamen wir wieder zurück in das hohle Zentrum des Morundsteines, mit der in die Wand geschliffenen Rampe, die uns weiter nach unten brachte. Doch wir kamen unserem Ziel näher. Der Grund dieses Schlundes tat sich vor uns auf. Der dicke grün-gelbe Dampf waberte dort über den Boden. Ich konnte spüren, wie er in meiner Lunge brannte. Hier hatten die Baumeister in steinernen Nischen Armbrust-Apparate aufgestellt, doch der Rost, mit dem sie zerfressen waren, zeigte mir, dass sie schon seit langer Zeit nicht mehr funktionierten. Laargyrs Spuren führten durch eine große doppelflügelige Türe aus Stahl, die mit alten Runen der Duergar verziert war. Ich wusste nicht genau was diese Runen bedeuten sollten, aber sie erzählten etwas von Verehrungen, vermutlich für Laduguer, obwohl er doch hier schon lange keine Macht mehr hatte. Halbohr zog einen der Türflügel auf. Er wollte dabei wie immer besonders vorsichtig und leise sein, doch stattdessen hörten wir ein lautes Knirschen durch den Stein gehen. Soviel zur Heimlichkeit. Hinter dem Tor lag ein breiter Säulengang. An den Wänden waren die Bildnisse nachtzwergischer Krieger als Fresken eingelassen. Einige Türen, aus dem harten Eisenpilzholz der Unterreiche gefertigt, lagen an den Seiten. Auch hier waberte der giftige Dampf über den Boden. Am Ende unseres Sichtbereichs, wo sich der Gang verzweigte, konnte ich jedoch einen anderen Nebel erkennen. Nicht gelb und giftig, sondern weiß, fast schon strahlend. Aber viel dicker. Wie eine Wand zog er sich durch den Gang und keiner von uns konnte dort hindurchschauen.

Halbohr wollte sich gerade zum Boden bücken, um den Spuren zu folgen, da öffneten sich die Türen an den Seiten. Heraus traten die Kreaturen, die uns dank des Knirschens wohl schon erwartet hatten. Weitere dieser abscheulichen Rasse, mit den Köpfen von Tintenfischen. Die Tentakel in ihren Mäulern zuckten wild hin und her und die weißen Augen blitzten uns mit kaltem Hass an. Eines blickte mir direkt in die Augen und ich konnte die Stimme dieser Kreatur in meinem Kopf hören. Sie versuchte die Stimme der Herrin zu übertünchen. Sie säuselte etwas von unserer verlorenen Aufgabe und wie ich mich retten könnte. Pah! Meine Herrin war mächtiger, bei weitem. Die Stimme der Kreatur wurde leiser, nur noch ein Flüstern. Ich stellte mir eine flammende Wand vor mit der ich die Stimme aussperrte. Ich weiß nicht ob diese Kreaturen Überraschung zeigen konnten, aber als Bargh, Lyrismar und Halbohr mit erhobenen Klingen auf sie stürmten, meinte ich eine kurze Reaktion in den Schädeln gesehen zu haben. Barghs flammende Klinge schnitt mit einem Hieb durch die erste Kreatur hindurch. Die anderen versuchten wieder mit ihrer Geisteswelle unsere Muskeln zum Erstarren zu bringen, doch auch dieses Mal hatten sie keinen Erfolg. Eine stand direkt vor mir und ich lachte ihr ins Gesicht. Mein Säbel zuckte nach vorne und ich schlitzte sie auf.

Es dauerte nicht lange und dann zuckten keine Tentakel mehr aus den Kreaturen. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Die liebliche Stimme, die ich hörte, war jetzt kein Säuseln mehr, sondern sie wuchs an und wurde zu einem aufgeregten Rufen. Sie rief mich zur Eile, sie drängte mich. Ich musste jetzt sofort loslaufen, durch die Wand aus dem silbernen Nebel hindurch. Ich blickte zu Bargh und Lyrismar. Auch sie schienen etwas zu hören oder vielleicht auch nur zu fühlen. Selbst bei Halbohr konnte ich die Unruhe sehen. Ich ließ mir keine Zeit zum Nachdenken, es musste jetzt passieren. Also rannte ich los. Bargh rief einen Angriffsbefehl und zusammen stürmten wir durch den silbernen Nebel.

Der Nebel ragte nicht weit in den Tunnel hinein. Schon nach einem Schritt waren wir hindurch und sahen das, was dahinter lag. Der Gang erweiterte sich zu den Überresten einer kleineren unterirdischen Kapelle. Man konnte eine Doppelreihe von Säulen sehen, die aber auch von schwarzem Schleim und Tentakeln überwuchert wurden.
Auf einer Empore, dort wo früher vielleicht mal ein Altar stand, war ein widerlich anzusehender Haufen von schwarzen Tentakeln. Die Tentakel wuchsen dabei in einem Bogen über den Resten und ich konnte jetzt sehen, dass in den Tentakel verstrickt die immer noch lebenden Leiber von Kreaturen hingen. Die Leiber wurden durchzogen von Geschwüren und Tentakeln wie ein wucherndes Rankengewächs. Durch das Fleisch hindurch hatten sie sich gebohrt. Zusätzlich waren vier Maschinen darin verwoben. Die Maschinen kamen mir bekannt vor, aber erst nach dem zweiten Blick erkannte ich sie. Es waren die gleichen Kugeln, die wir bereits im Tempel des Jensehers gesehen hatten. Im Tempel des Jensehers hatten sie pulsierend die unwirkliche Scheibe versorgt, die sich in Mitten des Raumes gedreht hatte. Es fiel mir auch wieder ein, dass im Tempel einige dieser Orben gefehlt hatten, weswegen die Scheibe sich nie richtig materialisieren konnte. Hier waren sie also. Irgendwie hatten sie es geschafft den Gefahren des Tempels zu trotzen und diese Maschinen zu rauben. Ich konnte ein Prickeln auf meiner Haut spüren, denn inmitten des Bogens aus Tentakeln und Körpern sah ich die spiegelnde Fläche, aus der ein milchig-silbernes Licht strahlte.

Das Licht warf lange Schatten von den Gestalten, die sich vor dieser Konstruktion versammelt hatten und uns schon erwarteten. Direkt vor der spiegelnden Fläche stand in einer leuchtenden Mithril Rüstung ein Nachtzwerg. Die Rüstung war überzogen mit einer Schicht von Frost. In seiner Hand trug er einen langen Speer, dessen Spitze ebenfalls aus Mithril zu bestehen schien. Um seinen Hals hing an einer Kordel ein Amulett mit einem Opal, dessen eine Seite schwarz wie die Nacht und dessen andere Seite milchig, wie ein düsterer Tag war. Das musste der Erzgraf von Düstergrau sein, der Abt des Tempels Glammringsfaust. Ich konnte seine blitzenden Zähne sehen, als er mit halb geschlossenen Augen Gebete an seinen Herren sang. Das war der Grund warum wir nicht zögern sollten. Es war das erste Gebet. Wenn er Zeit gehabt hätte, weitere von sich zu geben, wäre er noch gestärkter gewesen. Vor ihm reihten sich vier muskulöse Orkkrieger auf und dahinter vier der Tentakelkreaturen. Halbohr und Bargh stürmten ohne zu zögern der Reihe der Orks entgegen. Lyrismar dagegen beschwor eine Lanze der Schatten, dessen Spitze in den Erzgraf traf. Doch der Nachtzwerg hielt seinen Speer vor sich, der einen Teil der Magie in sich aufsog. Dennoch konnte ich sehen wie sich sein faltiges Gesicht vor Schmerzen zusammen zog. Er würde die Macht von Jiarlirae zu spüren bekommen. Ich selbst erbat von meiner Herrin eine flammende Kugel. In einem hohen Bogen schleuderte ich das Geschoss aus den heiligen Flammen ihm entgegen und mit einem Bersten platzte diese über ihm. Auch hier hielt er seinen Speer vor sich und auch hier schien es, als würden die Feuer um ihn schwächer werden. Dennoch konnte er ihnen nicht komplett widerstehen. Selbst eine der Tentakelkreaturen konnte sich dem Feuer nicht entziehen. Die Flammen trotzten dem Wesen und ich konnte in meinem Kopf den Schmerzensschrei hören. Ich flehte um weitere Magie und wieder wurde sie mir geschenkt. Mehr im Hinterkopf konnte ich spüren, dass die Herrin immer näherkam, je mehr sie mir ihre Macht schenkte. Der Erzgraf änderte sein Gebet zu einem unvorstellbar komplexen Gesang. Ich erkannte direkt was er vorhatte. Sein Gesang sollte Welten jenseits der unseren erreichen und von dort weitere Kreaturen anlocken. Doch wie immer unterschätzten sie mich, sahen in mir immer noch das kleine Mädchen. Ich warf blitzschnell kleine Kugeln aus Energie auf den Erzgraf und seine Worte gerieten ins Stocken.

Vor mir drang das Klingen von Stahl auf Stahl, als Bargh den letzten der Orkkreatur fast das ganze Bein abschlug. Halbohr und Lyrismar waren schon weiter vorne und töteten die Tentakelkreaturen. Von allen Seiten drangen wir jetzt auf den Erzgraf ein. Seine stahlgrauen Augen blitzten zu Halbohr, als er sprach: „Ihr wisst nicht mit wem ihr es zu tun habt, Meister Halbohr! Nach mir werden viele andere kommen. Wir sind alle eins, unser Geist ist eins!“ Um den Erzgraf brach ein unvorstellbares Getümmel aus. Schläge der Schwerter wurden pariert, die Spitze des Speers schnellte nach vorne, traf aber nur Luft. Er war geschickt mit seiner Waffe. Gerade als ich dachte er würde sie ein weiteres Mal nach vorne stoßen, drehte er sie in der Luft und hieb damit wie ein Schwert nach Halbohr. Dieser war nicht schnell genug und die scharfe Schneide schnitt tief in sein Fleisch. Er strauchelte kurz und der Erzgraf nutzte die Gelegenheit und den Speer in seinen Bauch zu treiben. Doch Halbohr hielt sich tapfer und ging zum Gegenangriff über. Auch Bargh und Lyrismar rammten ihre Klingen in seine Seite. Ich schleuderte weiter magische Kugeln auf ihn und schließlich begannen seine Augen zu zittern. Keuchend sank er auf die Knie. Blut lief aus seinem Mund und aus der Vielzahl von Wunden. Er war dem Tode nahe und dieses Mal wusste er es. Röchelnd hauchte er mit seinem ersterbenden Atem sein Leben aus. Es war, als würde er aus einem tiefen Schlaf aufwachen: „Was haben wir getan? Wir wurden hintergangen...Schließt das Portal…“ Dies waren die letzten Worte des Erzgrafes von Düstergrau, dem höchsten Vertreter des Laduguer von Urrungfaust, die wir tief unter den Morundstein hörten.

Bargh nahm sich keine Zeit zum Verschnaufen. Mit Abscheu blickte er auf die Ranken von Tentakeln und begann sie wie in einem Rausch zu zerschlagen. Klappernd fielen die Maschinen zu Boden, zusammen mit den Körpern. Es war ein Blutbad das er anrichtete. Seine schwarze Klinge Glimringshert durchschnitt Leiber, wie Geschwüre. Schwarzes Blut spritzte auf und die verwachsenen Zwerge, Menschen und Elfen – allesamt Opfer der fremden Tentakelwesen – schrien in ihrem Tode. Doch der Spiegel war immer noch da, als wollte er uns anlocken - oder eher verspotten? Bargh hatte die Leiber zerstört und war von schwarzem Blut besudelt. Was war diese Scheibe, dieser Spiegel, der dort milchig-silbern schimmerte. Um eines war ich mir sicher: Der Erzgraf war schwach, sein eigentlicher Meister würde irgendwo auf uns warten.
Titel: Sitzung 103 - Die Welt aus Eisen
Beitrag von: Jenseher am 10.03.2024 | 14:44
In dem verfallenen Tempel des Laduguer war wieder Ruhe eingekehrt. Nur das Knistern des Portals durchbrach die Stille und erzeugte mir ein Kribbeln im Nacken. Das Blut der verfaulten Leiber, die das Portal noch gehalten hatten, begann schon langsam zu stinken. Aber die milchig schimmernde Oberfläche des Portals war immer noch da, sogar als wir diese sphärenartigen Maschinen aus den Tentakeln- und Fleischmassen geschält hatten. Inzwischen war der Boden bedeckt mit Körperteilen von Nachtzwergen, Menschen, Elfen. Zudem waren da die im Kampf getöteten Leichname der Orks und der Tentakelkreaturen. Einige ihrer Tentakel zuckten noch leicht und ich glaube, einmal habe ich mich sogar etwas erschreckt. Zum Glück hatten Bargh und Lyrismar es nicht gesehen. Mit dem neuen Säbel schnitt ich der Kreatur schnell die Tentakel ab. Jetzt zuckten sie nicht mehr. Die Rüstung des Drachentöters war besudelt mit dem Blut der Kreaturen und auch mit seinem eigenen. Mit den Maschinen trat er an Lyrismar und befahl ihm sie zurück in den Tempel des Jensehers zu bringen. Damit sollte das Weltentor wieder vollständig herzustellen sein. Es sollte unser eigener Zugang sein, nach Euborea und zu anderen Welten außerhalb. Lyrismar aber schien Bargh nicht direkt zu verstehen. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte er immer noch einige Nachwirkungen seines Öles im Kopf. Noch einmal sprach Bargh ihn an, dann reagierte er. Er sagte, es würde einige Zeit dauern und sei auch nicht ungefährlich, doch er nahm die Kugeln und bewegte sich mit seiner Magie durch Raum und Zeit. Sagte er nicht, dass diese Art von Magie hier unten nicht richtig funktionierte? Wenn etwas schief läuft, erscheint er am Ende im Tempel des Jensehers inmitten des Bauches einer der Riesen. Ich stellte mir seinen Blick vor, wenn er sich durch den Körper nach außen schneiden musste und grinste dabei. In dem Moment verwandelte er sich in brennende Schatten und war verschwunden. Nur glühende Asche schwebte langsam zu Boden. Wir durchsuchten die Räume, in denen sie gehaust hatten. Wir fanden mehrere der kleinen Glöckchen und weitere Schriftstücke sowie Bücher in der seltsamen geschriebenen Sprache der Kreaturen. Und sie hatten mehrere grünlich schimmernde Steine gehortet. Sie waren leicht warm. Doch als ich genauer hinschaute, zog ich meine Hand schnell zurück. Es waren Steine, die auf der Haut widerliche Geschwüre erzeugen konnten, wenn man sie nur lange mit sich herumtrug. Aber man konnte sie auch für die Herstellung starker Säuren benutzen. Bestimmt würden sie noch nützlich werden, also schaffte ich sie vorsichtig in das außerweltliche Laboratorium, was Ortnor uns freundlicherweise nach seinem Tode überlassen hatte.

Ein weiterer Raum offenbarte uns, was für absonderliche Versuche diese Kreaturen durchführten. In dem Raum standen auf Säulen mehrere der Sphärenmaschinen, doch sie sahen irgendwie anders aus, fast als ob sie in falscher Weise selbst erbaut wurden. Wir hörten ein tiefes Summen und Knallen aus dem Gemach. Zwischen den Maschinen zuckten helle Bögen aus elektrischer Energie und in der Mitte des Raumes stand auf einem Sockel ein großes Gefäß aus Kristall. Ein Haufen grüner Schleim war dort drin, doch dieser bewegte sich. Es war nicht nur ein Bewegen, sondern es war, als ob er sich in meine Richtung drehen würde. Ich sah keine Augen oder irgendetwas, was man als Kopf bezeichnen könnte, dennoch spürte ich, dass mich dieser Schleim direkt anschaute. Er zuckte und blubberte in seinem Gefäß, doch sein Gefängnis war mit einem schweren eisernen Deckel verschlossen. Auf einem Tisch lagen die Überreste eines Menschen. Er hatte ein großes Loch in seinem Schädel und seine Haut war bereits schwärzlich verfault. Irgendetwas hatte ihm sein Gehirn direkt durch den Kopf ausgesaugt. Wir fanden weitere Bücher, dieses Mal aber in der Schrift der Nachtzwerge verfasst. Eins beinhaltete eine Anleitung, wie man die Sphärenmaschinen bauen könnte. Doch es hatte offenbar nicht richtig funktioniert. Wir fanden auch das Gemach des Erzgrafen. Dieser hatte hier eine Sammlung von verschiedenen farbigen Flüssigkeiten in großen Gläsern, die das Licht von den Kristallen hier wie einen Regenbogen warfen. Auch waren überall weitere Bücher und Notizen verteilt. Halbohr fand eines besonders interessant. Es enthielt Anweisungen wie man Grausud herstellen konnte. Er meinte, er könnte die Rezeptur sogar noch verbessern. Das würde Neire bestimmt gefallen, war doch sein Vorrat bereits so gut wie aufgebraucht.

Lyrismar war dann wieder aufgetaucht und gerade dabei Halbohr die Neuigkeiten aus dem Tempel mitzuteilen. Ich hörte nur beiläufig zu. Irgendetwas besprachen sie über Neire und einige Einzelheiten gefielen Halbohr nicht. Wahrscheinlich war er einfach zu unzufrieden, weil Neire die Sachen nicht so langweilig werden lässt, wie er selbst. Ich konnte es kaum noch abwarten herauszufinden, was hinter dem Portal lag. Auf jeden Fall war es stabil und man konnte damit auch wieder zurückkehren. Zwar spürte ich eine Kälte davon ausgehen, aber nicht so kalt wie es in den Gletschern der Kristallnebelberge war. Nur einen Schritt müssten wir tun, mehr brauchte es nicht. Nach kurzer Beratung war es soweit. Wir murmelten alle ein Gebet an unsere Göttin und traten durch die seltsame Oberfläche in das Ungewisse.

Ein Schmerz durchzog mich. Mein Gesicht fühlte sich an, als ob jemand mir die Haut vom Schädel reißen würde. Alles bewegte sich falsch, während ich durch den Durchgang gezogen wurde. Ich blickte mich um und sah die verzerrte Gestalt von Lyrismar hinter mir. Er bewegte sich, aber viel schneller, als ob die Zeit für ihn gerafft wäre. Licht und Dunkelheit wechselten sich wie ein Gewitter in dunkler Nacht ab. Und es war kalt. Nicht einfach kalt wie ein Winter. Irgendetwas zog mir die eigene Wärme aus meiner Haut. Dann spürte ich festen Boden unter meinen Füßen. Alles drehte sich noch, doch langsam festigten sich die Konturen um mich herum. Ich spürte, dass meine Stiefel harten Boden berührten. Kein Stein, sondern Metall. Ich konnte einen Himmel erkennen, doch weder Sonne noch Mond und Sterne. Alles war grau, als ob der Horizont mit einer dicken und ewigen Wolkendecke verhangen wäre. Im Himmel konnte ich aber etwas erkennen. Ich dachte erst es wäre der Mond, aber das dort war eckig. Ein gigantischer Würfel bewegte sich dort und spiegelte das karge Licht. Wo waren wir hier? Was ist das für ein Ort wo im Himmel Würfel aus Metall flogen? Alles war aus Metall. Auf dem Boden lagen Reste von großen Metallstücken, die vielleicht von irgendeiner Maschine abgebrochen waren und schon vom Rost zerfressen wurden. Keinerlei Holz oder Stein, nirgendwo. Wir mussten auf einer Empore sein, denn die Oberfläche auf der wir standen hatte links und rechts und auch vor uns eine scharfe Kante hinter der nur der Abgrund war. Aber ich konnte vor uns etwas erkennen. Eine Öffnung oder vielleicht ein Loch mit den Konturen einer Treppe. Mir war unwohl an diesem Ort und meine Neugier war schon gestillt. Bargh und Lyrismar ging es nicht anders, nur Halbohr schien wie immer unbeeindruckt zu sein. Allerdings glaube ich nach wie vor, dass er uns das nur vorspielt und in Wahrheit seine Knie schlotterten vor Angst. Bargh murmelte: „Dies ist kein Ort unserer Göttin. Sie ist weit entfernt und ich kann sie kaum noch spüren“. Er hatte Recht. Sie war zwar immer noch da, diese freundliche Stimme in meinem Kopf. Aber nur ein Wispern, kaum zu verstehen.

Plötzlich krachte es neben uns. Metallsplitter flogen durch die Luft und prasselten vor uns nieder. Dort wo sie hinabkamen war plötzlich eine tiefe Mulde im Eisenboden entstanden. Ich schaute mich verwirrt um. Ich konnte nicht sehen, was dort passiert war und was dort eingeschlagen war. Und erst recht nicht von wo. Dann ein zweites Krachen und dieses Mal viel näher. Ein Splitter schoss mir durch meinen Arm und ich schrie auf. Für einen kurzen Moment konnte ich das Geschoss sehen. Eine große Kugel aus massivem Eisen flog offenbar direkt aus dem Himmel herunter. Es blieb keine Zeit nachzudenken. Wir rannten um unser Leben. Der Beschuss wurde immer stärker und immer treffsicher. Mit einem Donnern schlug eins nach dem anderen um uns herum ein und die Schrapnelle durchbohrten uns. Eins war so groß wie ein Speer und schlug Lyrismar durch die Brust. Ich rannte noch schneller, was auf dem Metallboden nicht einfach war. Mittlerweile liefen wir durch einen Regen von Metallschrapnellen. Ich musste den scharfen Kanten ausweichen, musste mich auf die Trümmer des Bodens konzentrieren. Ich blickte mich um zu Bargh. Er war nicht so schnell wie wir, aber ich konnte ihn nicht einfach zurücklassen. Doch dann faltete er schon seine Rabenschwingen auseinander und hob sich mit schweren Schlägen in die Lüfte. Wir hasteten schneller und noch schneller. Doch je schneller wir liefen desto mehr Geschosse prasselten auf uns nieder. Das rettende Loch kam immer näher doch noch nicht nah genug. Mein Herz raste und doch versuchte ich noch schneller zu laufen. Endlich war es da. Ohne nachzudenken sprang ich hinein. Alles war besser, als weiter hier zu bleiben.

Der Fall tief und schmerzhaft. Irgendetwas krachte in meinen Knien. Vielleicht hatte ich mir etwas gebrochen. Mir blieb für einen Augenblick die Luft aus den Lungen weg. Die Treppe, die ich gesehen hatte, ging am Rande dieses eckigen Schachtes entlang. Auch sie war aus Eisen und vom Rost halb zerfallen. Und auch sie war wie alles andere hier eckig, kantig und irgendwie anders. Nichts sah so aus als ob es natürlich gewachsen wäre. Nicht einmal der Boden. Wir zogen uns hastig in die Dunkelheit des schützenden Schachtes. Über uns krachten noch immer die Geschosse, doch sie wurden etwas weniger. Das Geräusch, der Metallklang, waren noch immer ohrenbetäubend. Halbohr vermutete, dass die Nachtzwerge uns schon erwartet hatten und uns mit Belagerungswaffen angegriffen hatten. Doch Lyrismar hatte viel mehr Erfahrung, was die Welten jenseits unserer Eigenen angeht. Für ihn waren diese Geschosse eher so etwas wie ein Gewitter. Statt Blitze und Regen hagelte es Brocken aus Metall – ein Sturm aus Eisen Da war ich mir nicht sicher was schlimmer wäre. Nachtzwerge, die selbst hier Fuß gefasst hätten oder ein Regen aus Schrapnellen. Ich wollte und konnte nicht darüber nachdenken. Nach dem Schock spürte ich den überwältigenden Schmerz. Blut strömte nicht nur aus meinem Körper. Bargh half mir die rostigen Geschosse aus meinem Fleisch zu ziehen. Ein Schrapnell hatte sich durch den Rücken meiner Hand gebohrt. Ich wollte schreien, doch ich biss die Zähne zusammen. Tränen liefen über meine Wangen hinab. Ich wollte nicht weinen, ich wollte nicht das Mädchen sein, das ich früher war. Halbohr war am übelsten mitgenommen von uns. Bargh beschäftigte sich eine längere Zeit mit ihm. Wir verbanden unsere Wunden und behandelten sie mit Heilkräutern. Vor unserer Ruhe beschwor Bargh seine die heilenden Mächte von Flamme und Düsternis und ich schöpfte ein wenig Hoffnung, als ich die vertraute Kraft spürte. Meine Wunden schlossen durch die Wundheilung meiner Herrin und meine Tränen versiegten.

Ich schlief zwar, aber es war alles andere als entspannend. Die scharfen Kanten des Eisens schnitten mir immer wieder in meine Haut. Es roch nach unserem Blut und nach Rost. Wie schön es doch wäre, noch einmal in einem weichen und bequemen Bett zu schlafen. Die Wärme einer wohligen Schankstube zu spüren. Mit Verbänden und dem Segen Jiarliraes kümmerten wir uns nach unserem Schlaf ein weiteres Mal um unsere Wunden. Bargh schien auch nicht so gut geschlafen zu haben, zumindest hatte er ein nachdenkliches Gesicht, als er aufwachte. Er hatte geträumt. Er sah Neire, wie er schon alt war. Ich fragte ihn, wie Neire mit grauen Haaren ausgesehen hätte, doch konnte er sich schon nicht mehr an alles erinnern. Aber er wusste noch, dass es Neire war, wie er in einer fernen Zukunft sein würde. Und mir war klar, dass dies ein Bild von Jiarlirae war. Sie zeigte Bargh, dass es Neire auch noch in der Zukunft geben würde; dass er leben würde. Und wenn er lebendig war, würde er sein Ziel auch erreicht haben, denn nicht einmal der Tod könnte ihn davon abhalten.

Wir brachen auf und folgten der Treppe eine Zeit in die Tiefe. Wir stießen auf einen Tunnel am Ende der Treppe. Der Tunnel war hier durch das Eisen getrieben und gewährte uns einen Ausweg. Aber ich hatte mich geirrt. Nicht alles hier war aus Eisen. An den Wänden des Tunnels wuchsen anfangs spärlich, später immer stärker, Pilze. Das erste lebendige, was es hier überhaupt gab. Man konnte sie sogar essen, auch wenn sie vermutlich furchtbar schmecken würden. Bargh fand auch Spuren. Es waren die Spuren der Kreaturen mit den Tentakelköpfen. Da waren aber auch andere Spuren. Größere Kreaturen, die den Abdrücken nach Krallen an den Füßen hatten. Wir folgten den Spuren und hörten schon bald ein Geräusch durch den Tunnel hallen. Es war wie ein Schnalzen einer Zunge. Es wiederholte sich unregelmäßig. Der Tunnel öffnete sich in eine größere Höhle. Hier war ein richtiger Wald von Pilzen, die teilweise mehrere Meter wuchsen. Und es führten weitere Tunnel hier heraus. Es sah aus wie Geflecht von Adern, durch ein eisernes Herz. An den Wänden war Rost hinabgelaufen. Wir folgten den Spuren weiter. Zu dem Schnalzen gesellten sich die Geräusche von Stimmen und auch Schreie dazu. Eine weitere Höhle öffnete sich, eigentlich sogar zwei. Die erste war recht klein und viereckig. In den Ecken waren vier große schwarze Opale eingelassen, die wie schwarze Augen auf die Mitte starrten. Dort stand ein Sockel mit einigen Hebeln, die aber verbogen und kaputt aussahen. Vor dem Sockel saßen vier muskulöse Kreaturen die mit weißen Augen diese Opale anstarrten. Die Schnalzgeräusche kamen von ihnen, ihre Kiefer bewegten sich leicht. Sie hatten eine dicke schuppige Haut und langes, gewelltes schwarzes Haar. Gekleidet in dreckigen Lumpen, sahen sie aus wie heruntergekommene Krieger, mit langen krummen Messern an ihrer Seite. Eine Vielzahl von Gegenständen lag vor dem Sockel, fast wie Opfergaben, für wen auch immer. Dahinter konnte ich leichten Feuerschein erkennen und die Umrisse einer viel größeren Höhle. In der riesigen Kaverne konnte ich sogar noch die Konturen von einfachen Hütten erkennen.

Halbohr und Lyrismar schlichen lautlos nach voran und postierten sich hinter den Kreaturen. Ich starrte ihnen gespannt nach. Zwar sah es so aus als ob die Kreaturen blind seien, aber sie konnten bestimmt etwas hören und vielleicht konnten sie ja doch sehen. Aber die beiden kamen unentdeckt an und hoben ihre Klingen. Gleichzeitig stachen sie ihre Waffen in die Hälse von zwei Kreaturen, die röchelnd zu Boden sanken. Die beiden anderen schreckten auf, doch Halbohr und Lyrismar waren schneller. Halbohr stach den Einhorndolch tief in das Herz der einen und die Klinge von Lyrismar zeigte ihre Sägezähne. Quer über den Bauch schnitt sie und die Stränge der Gedärme verfingen sich darin. Mit einem Ruck zog er sie einfach raus und die Eingeweide fielen flatschend und warm dampfend zu Boden.

Die größere Höhle lag vor uns. Die Spuren der Tentakelkreaturen führten dorthin und auch ein vielfaches Schnalzen war zu hören. Wo hatte uns Jiarlirae hingeführt?
Titel: Sitzung 104 - Welt aus Eisen II
Beitrag von: Jenseher am 14.03.2024 | 18:46
Die Gedärme der Kreatur stanken. Als Lyrismar sie mit seiner Sägeklinge herausriss, hatten sich vermutlich schon einige Fäkalien dort angesammelt. Ruhig starrten die schwarzen Opale der Wände auf die Leichen dieser muskelbepackten Kreaturen, deren dunkles Blut an ihrer geschuppten Haut herabrann. Die Augen von einer Gestalt waren noch weit geöffnet. Die vollständig weißen Augäpfel waren mir etwas unheimlich. Ich fragte mich die ganze Zeit, wie diese Kreaturen denn überhaupt überleben und sich verbreiten konnten, ohne irgendetwas zu sehen. Als ich sie betrachtete, fingen auch meine Augen wieder an zu brennen. Ich dachte es wären die kristallenen Linsen, die ich trug. Vielleicht vertrug ich sei nicht mehr. Doch als ich sie herausnehmen wollte, fühlte ich sie nicht mehr. Sie waren verschwunden. Noch immer konnte ich aber die Umrisse der warmen Körper meiner Mitstreiter erkennen, genauso klar wie die langsam kälter werdenden Körper der Leichen. Ich wusste, Jiarlirae hatte mich gesegnet. Um ihr besser dienen zu können, hatte sie mir die Gabe geschenkt zu sehen, ohne auf irgendwelche dummen Kristalle angewiesen zu sein.

Die größere Höhle vor uns schloss sich fast direkt zu dieser kleineren an. Ab und zu konnten wir das Schnalzen der Zungen hören, was diese Kreaturen von sich gaben. Hier und da brannte ein Feuer in einer schäbigen Hütte und warf die Schatten von verrammelten Fensterläden zu uns herüber. Ich glaubte auch zwischen dem Schnalzen irgendein Wimmern zu hören, fast wie das Gezeter kleiner Kinder. Halbohr und Lyrismar beschlossen die größere Höhle zu erkunden. Ich blieb bei Bargh. Der Krieger strahlte eine Ruhe und Stärke aus, die ich als sehr angenehm empfand. Vielleicht war es auch seine Klinge. Die Schatten, die beständig aus den dunklen Adern von Glrimringshert, bluteten besänftigten mich und versicherten mir, dass wir in Jiarliraes Sinne handelten. Als ich wieder zu der Höhle blickte konnte ich nur noch die letzten Umrisse von Lyrismar erkennen. Sein vollkommen verbranntes Gesicht ging beinahe im Dunkeln unter, nur seine violetten Augen stachen hier und da hervor. Wir hatten verabredet, dass wir ihnen etwas Abstand lassen und dann folgten sollten. Also wartete ich kurz und trat ebenfalls in die Höhle hinein. Der Gestank wurde stärker. Fäulnis, Fäkalien und einfacher Dreck bestimmten den Geruch hier. Die Hütten waren aus dem Holz der großen Pilze dieser Welt gefertigt und schmiegten sich fast an die Höhlenwand. Nur ein schmaler Abstand war hier, wo ich auch kurz die Gestalt von Halbohr auftauchen sah. Die widerlichen Kreaturen gaben sich nicht die Mühe ihre Notdurft weg zu schaffen. Sie ließen sie einfach hinter ihren Hütten ab. Für sie war das vielleicht kein Problem, für mich hieß es aber, wenn ich Halbohr und Lyrismar folgen wollte, an den Haufen vorbei, die direkt vor mir lagen. Ich konnte an den Spuren sehen, dass Halbohr dies wohl nichts ausmachte. Er lief einfach hindurch. Ich wollte aber nicht für Ewigkeiten den Gestank an mir haben. So wichtig war diese ganze Heimlichkeit auch wieder nicht. Ich nahm kurz Anlauf und sprang über den Haufen vor mir hinüber. Der Boden hier war auch wie die Wände und alles andere aus Metall, aber zum Glück vom Rost etwas angefressen, so dass ich recht weich landen konnte.

Zwischen den Hütten konnte ich einen Turm aufragen sehen. Der Gebilde war aus rostbraunem Eisen. Ich weiß nicht wie diese Kreaturen es geschafft hatten so etwas zu bauen, ohne Stein oder Holz. Aber vielleicht wachsen auf dieser Welt Gebäude aus Metall einfach aus dem Boden, wie anderswo Bäume. Der Turm ragte wie ein gerader Zylinder etliche Schritte in die Höhle und mindestens eine eiserne Leiter war an einer Seite festgemacht. Auf der glatten Spitze konnte ich auch zwei bewaffnete Gestalten sehen. Sie reckten ihre weißen Augen nach unten und gaben ihr Schnalzen wieder. Dann warteten sie einen Moment und drehten sich wieder um. Bargh und ich folgten Halbohr hinter einer weiteren Hütte entlang. Plötzlich krachte vor uns die Türe der Hütte auf und ein widerliches Etwas trat hervor. Man könnte es vielleicht als Frau bezeichnen. Aber eine hässlichere Frau habe ich bisher noch nicht gesehen. Sie kam völlig nackt heraus. Ihre fetten Brüste baumelten auf ihrem dicken Bauch herum. Speck hatte sich auch an ihrem Hinterteil und an ihren Oberschenkeln gesammelt. An ihrem Mund liefen noch die Reste einer braunen Suppe hinab. Dem Rülpsen nach, dass sie von sich gab, hatte es ihr wohl geschmeckt. Sie schnalzte kurz in die Dunkelheit und kam uns entgegen. Ihr Gesicht war knöchern, hässlich – schwarzes, wirres, dreckiges Haar rahmten einen breiten Mund mit angespitzten Zähnen sowie disproportionierte weiße Augen ein. Bargh packte mir auf die Schulter und wir beide standen im Schatten der Barackenwand wie Steinstatuen. Ich wagte es nicht einmal zu atmen, was sich als sehr gut herausstellte. Die Gestalt blickte blind mit ihren weißen Augen in unsere Richtung, sah aber nicht so aus als ob sie uns sehen würde. Dann hockte sie sich hin. Es war wie eine Folter. Mit lauten Geräuschen erledigte sie direkt vor uns ihr Geschäft. Rülpsend und spuckend genoss sie es richtig, während ich all meine Kraft sammelte um mich nicht direkt zu übergeben.

Für mich wirkte es wie eine Ewigkeit, dazu verdammt zu sein dieser Kreatur zuzuschauen. Irgendwann gab sie ein zufriedenes Schnalzen von sich, raffte sich auf und ging wieder in ihre Hütte. Man konnte kurz das Geschrei von Kindern von innen hören. Ich hielt immer noch die Luft an. Zwar war die direkte Gefahr vorbei, aber der Gestank war bestimmt furchtbar. Ich nahm kurz Anlauf um in einem weiten Bogen über den frischen Haufen zu springen. Aber ich hatte mir eine schlechte Stelle ausgesucht. Mit einem lauten Knirschen durchbrachen meine Stiefel eine morsche Stelle im Rost des Eisens. Fast augenblicklich blickten zwei weiße Augenpaare von dem Turm herab und ein Schnalzen von Zungen war zu hören. Die Kreaturen zeigten in meine Richtung. Ich drückte mich zwar in die Schatten, doch war es schon zu spät. Das Chaos brach los.

Halbohr reagierte sehr schnell und warf seine Dolche auf die Kreaturen auf dem Turn. Ein Dolch blieb im Hals des ersten Höhlenbewohners stecken. Als er röchelte tropfte ein Rinnsal von Blut dem Mundwinkel entlang. Neben uns krachte die Türe wieder auf. Dieses Mal war es aber kein weibliches Geschöpf, sondern eindeutig ein männliches. Auch dieses Exemplar war groß und muskulös, mit dicker, schuppiger Haut und langem, schwarzen Haar. Völlig nackt sprang er aus der Hütte heraus, gerade als Bargh und ich in Richtung des Turmes laufen wollten. Er hatte angespitzte Zähne im Maul, aus dem er auch das Schnalzen von sich gab. Sein Ohr hielt er dabei in unsere Richtung. Dann drehte er sich abrupt zu uns und gab ein hohes Zischen von sich. Damit rannte er auf uns zu, doch direkt in den Schwertarm von Bargh. Die Klinge des Antipaladins schnitt beinahe ohne Widerstand durch den Körper hindurch und sein schwerer fleischiger Leib klatschte wie ein nasser Sack zu Boden. Wir liefen weiter in Richtung des Turmes, zur senkrechten Leiter. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch die weibliche Kreatur in der Hütte sehen. Aufgeregt schnalzte sie vor sich hin und hielt eine wimmernde Schar von verwahrlosten Sprösslingen hinter sich. Weitere Kreaturen tauchten am oberen Rand des Turmes auf. Einer hielt seine Klauenhand nach oben und drehte die Finger dabei ineinander. Fast zeitgleich flogen aus der offenen Hütte einige Splitter sowie Messer und Gabeln heraus und rasten auf Halbohr zu. Eine Gabel blieb in Halbohrs Hals stecken. Er verzog das Gesicht, als er sich gerade dran machte die Leitern, die auf den Turm führten, hoch zu klettern. Lyrismar war etwas schneller. Auf einer anderen Seite flog er fast die Leiter hoch und schlug mit seinem Schwert auf die verbliebenen Kreaturen. Dem ersten Wesen schnitt er quer über den Brustkorb. Es torkelte und fiel dann mit einem lauten Platschen und Knacken von Fett und Knochen auf den Metallboden vor mir. Der Turm war frei, also rannten wir. So schnell ich konnte zog ich mich die Sprossen der Leiter hoch.

Von hier oben hatte ich einen guten Ausblick. In der Mitte des Turms konnte man die Umrisse einer runden Luke erkennen die wohl in den Turm hinein führte. Doch ich erkannte keinen Öffnungsmechanismus. Ich wandte meinen Blick wieder hastig dem Geschehen zu. Die Höhle verzweigte sich noch etwas und weitere Hütten waren zu sehen. Sie brachten fortwährend Kreaturen hervor, die aussahen, als ob sie gerade aus dem Schlaf gerissen wurden. Ein Schwall von Schnalzgeräuschen erfüllte jetzt die Höhle, während blinde Augen in alle Richtungen starrten. Jetzt war ich mir sicher, dass diese Kreaturen tatsächlich blind waren und diese Geräusche nutzten, um ihre Umgebung auszumachen. Nur drei Leitern führten zu dem Turm hoch. Es wäre Selbstmord, wenn sie versuchen würden hier hinauf zu stürmen. Doch was sie vielleicht an Intelligenz hatten, wurde von einem brennenden Hass, einer Gier nach Fleisch überstrahlt. Sie sammelten sich kampfbereit an den Leitern. Einer nach dem andern kletterte die Sprossen empor und wurde von Halbohr und Lyrismar bereits erwartet. Krachend fiel eine Kreatur nach der anderen nach unten. Ich wollte gar nicht so lange warten. Auf meiner Seite kletterten bereits drei die Leiter nach oben und unten sammelten sich noch viel mehr. Jiarlirae schenkte mir einen Strahl schneidender brüllender Schatten der durch die Kreaturen fuhr. Der Lärm war für sie noch schmerzhafter als das Aufplatzen ihrer Körper. Sie mussten ein sehr feines Gehör haben. Das Metall der Leiter löste sich von dem Strahl. Die wenigen die sich noch an ihr klammerten wurden mitsamt der Leiter hinab gerissen. Unten türmten sich die Leichen. Einige versuchten unserer habhaft zu werden, indem sie weitere Gegenstände aus den Hütten mit ihrer Gedankenkraft auf uns schleuderten. Doch auch das konnte sie nicht mehr retten.

Etwas tiefer in der Höhle sah ich Bewegungen. Ein großer Trupp der Kreaturen hatte sich gesammelt und marschierte auf unseren Turm zu. An der Spitze stolzierte ein besonders großes Exemplar dieser fremden Rasse. Fast so groß wie Bargh war er und trug einen glänzenden und fast durchsichtigen Feldharnisch. Das Metall sah aus als ob es auch aus Ne’ilurum gefertigt wurde. Wie es auch immer hier an diesen Ort gelangen konnte. In seiner Rechten ragte eine schwarze Schlachtenaxt auf und in seiner linken trug er einen Schild, dessen Oberfläche so glattpoliert war, dass man sich darin spiegeln konnte. Hinter dem offensichtlichen Anführer gingen drei weitere Krieger mit dicken stählernen Plattenpanzern und dahinter schließlich eine Vielzahl weiterer Kreaturen. Wie ein Rudel von wilden Tieren scharten sie sich um ihren Anführer und kamen mit wankenden Schritten auf uns zu. Und dieses Schnalzen! Hatte ich mich zuerst gefürchtet, machte es mich jetzt wahnsinnig. Es hallte von den Wänden der Höhle hin und her.

Der Anführer war wohl ein etwas klügerer Vertreter seiner Art. Zumindest konnte er reden, wenn auch sehr grob. Von unten schallte seine Stimme zu uns herauf: „Freunde! Gäste! Wieso diese Gewalt? Kommt runter von unserem Turm. Ihr eingeladen zu Festmahl! Legt Schwerter nieder, schließt euch uns an!“ Ich war mir nicht sicher ob die Kreatur wirklich dachte, wir würden uns darauf einlassen. Keine noch so dummes Wesen würde einfach so einen Fremden einladen, der gerade noch etliche seiner Gefährten niedergeschlachtet hatte. Er musste doch die Berge der Leichen sehen. Ich rief zurück: „Kommt ihr doch zu uns herauf! Wir haben hier schon ein Festmahl für euch vorbereitet, das euch sicher schmecken wird!“ Tatsächlich folgten sie meiner Einladung und der Anführer und seine drei Begleiter kletterten die Leiter hoch. Schnalzend und in die Leere starrend standen sie uns gegenüber. „Ihr seid meine Gäste in Grumelrönslag, ich Feringoth Gruum, ich Anführer.“ Die Kreaturen stanken. Es war mir, als ob Ausdünstungen direkt aus ihrem Fleisch entweichten, was ich dem Anführer direkt sagte. Ich hatte einmal gehört, dass es ein Zeichen von Höflichkeit ist, wenn man ehrlich wäre. Feringoth Gruum ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Fleisch ist gut von der Jagd, von Würfeln aus Metall. Menschen gut, Zwerge gut, Elfen sehr gut! Elfenfleisch, jaaa…“ Er grinste dabei Halbohr an. Aber keiner von uns war besonders begierig die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Bargh brachte es auf den Punkt: „Wir sind nur zufällig hier. Wir wollen hier durch.“ Der Krieger Jiarliraes trat auf die Luke in der Mitte des Turms. Der Anführer verzog das Gesicht: „Nein… nein, Öffnung nur von innen.“ Er wurde sichtlich nervös und zeigte auf mich: „Ihr seht schwach aus, ihr müsst essen.“ Ich trat einen Schritt nach vorne und zeigt nach unten: „Ihr meint ich sei schwach? Fragt doch die dort unten wie schwach ich bin!“ Damit war das Gerede beendet. Feringoth hielt seinen spiegelnden Schild hoch: „Mädchen hat wenig Fleisch, aber sehr schmackhaft. Verhandlung beendet, jetzt kommen Waffen.“ Ich sah mich dort selbst, aber als ob er den Spiegel absichtlich so hielt, war ich dort viel kleiner. Ich sah wirklich aus wie ein kleines Mädchen, dass ich aber wirklich nicht bin. Dieses Geschöpf lachte mich aus dabei, als er den Schild in meine Richtung hielt. War es überhaupt ein Lachen? Es sah zumindest für mich so aus. Ich spürte die Wut in mir hochkochen und brodeln. Ich wollte ihn hier und jetzt mit meinen Händen erwürgen und ihm die Zähne ausschlagen. Doch kurz bevor meine Wut explodierte, konnte ich mich etwas beruhigen. Es wäre töricht jetzt einfach auf ihn zuzustürzen. Er sollte brennen. Er lachte auch nicht mehr und mein Spiegelbild in seinem Schild war wieder größer geworden. Wieder schenkte mir Jiarlirae als Strafe für die Kreaturen die Lanze der Schatten und sie brachte die Knochen der Kreaturen zum Brechen. Bei einer platzten die Augen und vermutlich auch das Herz. Sie stürzte rücklings vom Turm hinab.

Der Anführer war kein Gegner für Bargh. Glimringshert entzündete sich und schnitt durch sein Fleisch. Halbohr und Lyrismar kümmerten sich um die drei anderen. Plötzlich krachte die Klappe im Boden auf und eine Kreatur schwebte dort nach oben. Es war eine weitere dieser Kreaturen mit Tentakelköpfen, doch dieser hatte sogar noch mehr Tentakel aus dem Maul. Sie war auch etwas größer und hatte dunklere violette Haut unter der Schicht aus Schleim. Auf ihrem kahlen Schädel trug sie einen Schmuck aus Dreiecken, Kreisen und Quadraten. Lyrismar reagierte sehr schnell. Er wendete sich zu der Kreatur und rammte seine Klinge in das Fleisch. Die Tentakel zuckten, doch kein Schrei von Schmerzen. Sie holte aus ihrer schwarzen Robe ein kleines silbernes Glöckchen hervor. Lyrismar strauchelte kurz, doch er fing sich wieder und öffnete mit schnellen Schnitten der Gestalt den Bauch auf. Erst taumelte sie dann fiel sie die offene Luke hinunter. Über die beiden äußeren metallenen Leitern strömten wieder weitere Kreaturen nach oben, die sich sogleich in meine Klinge des Chaos stürzten. Aus den Hütten drangen Schreie und zwischen den Fensterläden konnte man hier und dort ein Gesicht auftauchen sehen. Einer nach dem anderen kletterte in sein Verderben und nach einiger Zeit wurde es wieder ruhig. Kein Schnalzen mehr und am Fuß des Turmes hatte sich ein Haufen von Leichen gesammelt.

Die Luke offenbarte einen tiefen Schacht an dessen Seite eine Leiter herabführte. Von unten drang faulige Luft nach oben. Entfernte Geräusche von Lachen, Lallen und Weinen waren zu hören, wie von schwachsinnigen Kindern. Vorsichtig kletterten wie die Sprossen runter und Bargh zog die Luke über uns wieder zu. Auch hier war alles aus Metall und jedes Geräusch wurde wieder und wieder hin und her geworfen durch das Eisen. Der Schacht verbreiterte sich und führte an mehreren Etagen vorbei, die ringsum einen Rundgang mit kleinen Zellen enthielten. Dort hauste eine Vielzahl von Kreaturen. Nicht nur Nachtzwerge, sondern auch Menschen und Elfen, aber keine älter als vielleicht 14 Winter. Einige spielten mit kleinen Metallsplittern und ließen sie vor ihren Gesichtern einfach schweben. Dümmlich grinsten sie dabei. Eine Kreatur, offenbar ein Elfenkind, machte das gleiche mit einem Haufen Kot und lachte dabei in Richtung Halbohr. Vielleicht hatte Halbohr ja tatsächlich einen neuen Freund gefunden. Die Kreaturen griffen auch mit ihren unsichtbaren Kräften nach uns. Ich spürte wie etwas an meinen Haaren zog und an meiner Robe zerrte. Wir kletterten weiter nach unten und kamen schließlich am Boden des Schachtes an. Der Körper der Tentakel Kreatur war den ganzen Schacht heruntergefallen und der zerschmetterte Körper lag neben einer weiteren Luke. Hier war nicht nur ein Rad, sondern direkt vier Räder. Zudem waren die Räder hier auf der uns zugewendeten Seite. Halbohr schaute sich die Konstruktion genau an. Man musste jedes Rad in eine bestimme Richtung drehen, sonst würde irgendetwas schlechtes passieren. Ich blickte mich um und sah im Rost des Metalls die verdeckten Umrisse von mehreren Türen. Das gehörte wohl auch zu dem Schlechten was passieren würde. Aber Halbohr und Lyrismar waren sich sicher, welches Rad man wohin drehen musste. Tapfer meldete sich Bargh freiwillig und Halbohr erklärte ihm jeden einzelnen Schritt. Dann kletterten wir die Leiter wieder rauf während Bargh unten vorsichtig das erste Rad bewegte. Ratternd bewegte sich das Metall und bei jedem neuen Rad was er berührte, hielt ich jedes Mal neu die Luft an. Doch es passierte nichts Schlechtes. Stattdessen gab es nur ein lauteres Klacken. Quietschend zog Bargh die verrostete Luke auf und ein weiterer Schacht führte uns weiter in die Tiefe dieser Welt aus Eisen und Stahl.

Titel: Sitzung 105 - Die Herausforderungen
Beitrag von: Jenseher am 22.03.2024 | 20:00
Das debile Lachen und Weinen der Kinder über uns erstarb mit einem Mal, als Bargh die Luke über uns wieder schloss. Der kurze Schacht führte uns in einen neuen Tunnel. Um uns herum roch es nach rostigem Eisen. Trotzdem sah es so aus als ob der Tunnel natürlich gewachsen wäre, wie es auch immer möglich war, dass etwas aus Metall natürlich entsteht. Überall in unserem Schacht waren kleine Löcher, die ihrerseits wieder in kleine Tunnel führten. Wenn nicht das klingende Geräusch von unseren Stiefeln auf den Metallboden gewesen wäre, hätte man meinen können, man ginge durch einen wurmzerfressenden Apfel.

Unser Tunnel endete nach einer Weile an einem Becken mit trübem Wasser. Ein leichter Schimmer kalten, grün-gelblichen Lichtes war im Wasser zu sehen, vielleicht von irgendwelchen Algen oder Pflanzen. Pilze hatten sich dank des Wassers hier angesiedelt und sich auf den rostigen Stellen des Eisens festgesetzt. Der Rost war hier ohnehin sehr stark. Überall glitzerte es von Nässe und an den Wänden waren braune Farbtöne hinabgelaufen. Irgendetwas war auch im Wasser. Ab und zu konnte ich dort kleine Tiere sehen, zuckend wie schnelle Schatten. Vielleicht irgendeine Art von Fischen? Halbohr beugte sich vorsichtig über die Kante und tauchte die Spitze seines Dolches in das trübe Nass. Der Elf hatte wohl wirklich Angst vor dem Wasser. Ich war versucht ihm einen kleinen Schubs zu geben, vielleicht würde er dann auch besser riechen. Aber dann erhob er sich auch wieder. An der Spitze der Klinge lag ein kleiner Tropfen denn er sich betrachtete. Bargh war etwas mutiger. Der große Krieger beugte sich hinab und selbst das schwache Licht fürchtete ihn und berührte ihn kaum. Er benetzte einen Finger und berührte es mit seiner gespaltenen Zunge. Leicht verzog er das Gesicht. Es schmeckte salzig. Doch er erinnerte sich an Erzählungen, dass wohl Alchemisten in seiner Stadt Fürstenbad solche Flüssigkeiten benutzten um Brandwunden zu heilen. Ich glaubte, es waren eher Ammenmärchen, denn so wie er es erzählte wurde man dort komplett hinein getaucht und man konnte trotzdem atmen, als ob man ein Fisch wäre. Ich wollte ihn danach genauer fragen, doch als er von Fürstenbad erzählte, verfinsterte sich seine Miene. Wahrscheinlich wäre es besser es dabei zu belassen. Er hörte offenbar wieder die Stimme Jiarliraes. Und ihr Wille war es dem Wasser zu folgen. Ich konnte nichts dergleichen hören. Hatte sie mich wieder verlassen? Nein, das konnte nicht sein, ich hatte sie nicht enttäuscht. Oder vielleicht doch? Hätte ich ihr noch besser dienen können? Ich wusste es einfach nicht.

Unser Weg war klar, und wir baten unsere Herrin um den Segen, dass wir uns in der glitschigen Flüssigkeit besser bewegen konnten. Lyrismar war der erste der in das Wasser eintauchte. Einige wenige Blasen zerplatzten noch an der Oberfläche, dann war von dem Krieger des Abgrundes nichts mehr zu sehen. Halbohr folgte als nächstes, danach ich. Das Wasser fühlte sich seltsam auf meiner Haut an. Aber Bargh hatte recht. Ich hielt die Luft an und hatte keinerlei Probleme immer weiter die Luft in mir zu behalten. Langsam atmete ich aus und ließ ich mich nach unten sinken. Ich sah zurück, wo Bargh als letzter kommen sollte. Doch es war merkwürdig. Der Herold Jiarliraes bewegte sich mit rasanter Geschwindigkeit. So schnell, dass ich kaum die Konturen des großen Kriegers erkennen konnte. Erst als er ins Wasser sprang bewegte er sich wieder normal. Aber vielleicht haben mir meine Augen in diesem Wasser einen Streich gespielt. Sie juckten immer noch dort, wo die Linsen sich in meine Augen verwachsen hatten. Bargh breitete seine dunklen Rabenschwingen aus und schwamm mit seinen kräftigen Armen durch das Wasser. Er sah aus wie ein Drache, geboren aus Schatten.

So schwammen wir durch die Dunkelheit. Hier und da wuchsen weitere jener Pflanzen, die ihr gelbliches kaltes Licht verströmten. Sie waren aber nur sehr selten. Die kleinen Fische wurden dagegen immer mehr. Sie zuckten von uns weg, wenn wir in ihre Nähe kamen. Es waren auch keine richtigen Fische, eher so etwas wie Kaulquappen mit vier Flossen an der Hinterseite mit denen sie sich wegstießen. Der Tunnel durch den wir schwammen ging manchmal in die Tiefe, manchmal waagerecht nach vorne. Und ich sah wieder, wie die Bewegungen des Letzten unglaublich und unnatürlich schnell abliefen. Erst als derjenige wieder näherkam, wurde es normal. Aber wenn jemand von uns vor schwamm sah es so aus als ob er sich nur noch mit quälender Langsamkeit vorwärtsbewegte. Je tiefer wir schwammen, desto mehr schien die Zeit selbst auseinander zu laufen. Wer weiß wie lange wir in Wirklichkeit schon hier drin waren. Vielleicht würden Tage oder Wochen vergehen, bis wir wo auch immer herauskommen würden.

Nach einiger Zeit sahen wir auch die ersten schwarzen Tentakel durch die eiserne Wand wachsen und auch tauchten an einigen Stellen Aussparungen im Tunnel auf. Dort waren kleine Kammern die mit einem Wulst von Tentakeln verschlossen waren, wie Gitterstäbe. In den Kammern schwebten in der Flüssigkeit weitere Kinder. Sie schienen zu schlafen. Einige knirschten dabei mit den Zähnen und ihre aufgedunsenen debilen Köpfe zuckten leicht. Vermutlich träumten sie irgendetwas in ihren zurückgebliebenen Gedanken. Die Kaulquappen waren hier schon etwas größer und es wurden immer mehr. Wir sahen richtige Schwärme, die vor unseren Bewegungen in das gelb-grüne Zwielicht flüchteten. Nach einer langgezogenen Kurve tauchte eine Kreatur vor uns auf. Es war eine weitere dieser Tentakel-Kreaturen. Die weißen Augen standen offen, doch sie blickten ins Leere. Drei große schwarze Tentakel, die aus der Wand kamen, wuchsen direkt in die Gestalt hinein und verschwanden dort in ihrem Körper. Der Brustkorb unter der dunklen Robe hob und senkte sich langsam und ruhig. Wir alle blieben erstarrt stehen, doch die Kreatur rührte sich nicht. Halbohr bewegte sich langsam nach vorne. Beinahe in Zeitlupe setzte er einen Schritt nach dem anderen, immer darauf bedacht in dem Wasser keine Wellen oder Strömungen zu verursachen, die uns verraten könnten. Und es funktioniert. Keine Unachtsamkeit, wie zuletzt ein übersehenes Spielzeug. Als er auf der anderen Seite der Kreatur ankam, machten wir es ihm nach. Einer nach dem anderen schwammen wir an der Kreatur vorbei. Ihr Atem beschleunigte sich nicht. Vielleicht war sie ja doch schon längst tot und nur die Tentakel hielten sie noch gerade so am Leben.

Die Tentakel wucherten immer stärker, je tiefer wir kamen. Lange folgten wir den Gängen; ich kann gar nicht sagen wie lange. Hinter einer Ecke öffnete sich plötzlich eine große Kammer. Aus dem Metall hatte irgendjemand eine Höhle erschaffen, die wie zwei aufeinander liegende Pyramiden aussah. Auch hier wuchsen Tentakel, aber sie waren eher rötlich. Und sie wucherten auch nicht ziellos, sondern sammelten sich an drei Stellen, teils über uns, teils unter uns. Die Wucherungen wuchsen über eiserne Pulte. Auch waren hier wieder die Kugeln aus Obsidian in den Ecken. Alles wirkte falsch, nichts passte wirklich zusammen. Als ich genauer hinschaute, bemerkte ich, dass über jedem dieser drei Gebilde eine Art Scheibe lag. Wobei es nicht wirklich eine Scheibe war, sondern eher eine metallene Platte, die die Innenseite von einem Gesicht hatte. Alles triefte von Schleim, aber in dem Schleim konnte ich auch noch Runen erkennen. Alte, sehr alte Runen. In einem der Bücher die wir gefunden hatten, waren die Formen einmal erwähnt gewesen. Sie stammten von einer uralten Rasse, die dort die Steuermänner oder die Steuernden genannt wurde. Anscheinend war es eine Rasse, die fremde Welten auf Schiffen bereist hatten, die durch den Himmel und das was dahinter lag fuhren. Der Autor des Buches hatte sogar gemutmaßt, dass die Schrift jener Rasse vielleicht die elfische Schrift begründet hatte, vielleicht sogar die elfische Rasse selbst. Wir schwammen zu einem der kopfartigen Tentakelkonstrukte und aus der Nähe konnte ich die Runen entziffern. Die erste trug den Titel: „Gesicht des Streiters“. Das zweite Gesicht hieß: „Gesicht des Wirkenden der schwarzen Künste“ und das dritte lautete: „Gesicht des Verborgenen“. Es war bestimmt kein Zufall, dass diese Gesichter genau unsere Künste zeigten. Der Streiter war der Krieger Bargh, der Verborgene war der heimliche Halbohr und die Wirkende der Künste war ich selbst. Und tatsächlich, als ich mir die Konturen anschaute sah ich das große, schlanke und junge Gesicht von Bargh und das halb verunstaltete Gesicht von Halbohr. Jemand erwartete uns. Und ich konnte die Stimme von Jiarlirae wieder hören. Sie sprach wieder zu mir, also wusste sie, dass ich ihr mit allem diene was ich zu bieten habe, vielleicht sogar noch mehr. Sie sagte uns, dass wir unsere Gesichter in die Schalen legen mussten, aber wir mussten es alle gleichzeitig tun. Also ging jeder von uns zu seinem Gesicht. Nur Lyrismar hatte keines. Aber es schien ihn nicht zu beunruhigen. Ruhig und gelassen schwebte er in der Mitte dieser Halle im Wasser. Er wachte dort mit gezogenen Schwertern. Halbohr zählte mit seinen Fingern herunter und als der letzte Finger sich senkte legte ich mein Gesicht auf das kalte und schleimige Metall.

Zuerst passierte gar nichts, doch dann begann die Welt um mich herum zu verschwimmen. Ich raste plötzlich durch ein dunkles Nichts. Dann tauchten helle Punkte auf die immer näher kamen. Sie wurden größer und es waren keine Punkte, sondern eine Sonne und dann noch eine. Ein ganzer Haufen von verschiedenen Sonnen die sich zu einer gigantischen Scheibe zusammen taten. Doch auch an dieser raste ich vorbei in die Leere dazwischen, wo keine Sonne mehr schien. Es war ruhig, doch ich spürte in meinem Kopf, dass jemand auf uns wartete und es um Leben und Tod ging. Es war mein Schicksal und das des Unbekannten. Dieser Jemand wusste, dass wir kommen, doch wir wurden vor eine Wahl gestellt: Ich konnte entweder den Ort meiner Begegnung wählen oder in welcher Umgebung diese Begegnung stattfinden würde. Ich wusste, dass der Unbekannte auch eine Wahl hatte. In meinem Kopf musste ich für einen Moment überlegen, was es für Auswirkungen haben könnte. Doch dann entschied ich mich. Die Begegnung sollte auf meiner Welt stattfinden, in Euborea. Dort wusste ich, dass meine Herrin mir nah war, dort kannte ich mich aus. Ich entschied mich und plötzlich stand ich in einer steinernen Kerkerhalle. Es roch nach Fäkalien und ich konnte Ratten quietschen hören. Einige Pechfackeln flackerten im unruhigen Licht. Dort waren zwei gewaltige eiserne, verschlossene Türen. Und ich war nicht allein. In der Ecke gegenüber stand eine monströse Gestalt. Bestimmt fünf Schritt groß mit gewaltigen Fleischmassen, die wie Buckel aus dem Rücken wuchsen. Schwarzes ausgefranstes Haar fiel von einem missratenen Kopf hinab. In der rechten Hand trug er eine riesige rötlich glühende Schlachtenaxt und ein übergroßes Schwert mit einem bläulichen Schimmer in der Linken. Hass war in seinen Augen und brüllend stürmte er auf mich zu. Doch ich besann mich auf meine Künste. Es brannten Fackeln, das bedeutete die Kreatur brauchte Licht um zu sehen. Dieses Licht würde ich ihr nehmen. Ich beschwor die Schatten, die Jiarlirae innewohnen und sie schluckten das Licht der Fackeln. Durch ihr Geschenk konnte ich immer noch sehen und erkennen, dass diese Kreatur im Dunkeln herumstocherte. Mit der geweihten Klinge sprang ich zur Seite und der Chaos-Stahl senkte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit in das Fleisch. Die Axt sauste auf mich herab, doch traf nur den Boden. Das Schwert schwang zur Seite. Ich war zu langsam und die Klinge rammte tief in meine Schulter. Ich schrie auf, doch machte mich das nur noch wütender. Immer wieder glühten die Chaos-Runen auf meinem Säbel auf und fanden ihr Ziel. Blut tränkte sie dabei. Mein Atem keuchte. Doch dann geriet die Kreatur ins Wanken und fiel auf ein Knie. Das war meine Gelegenheit. Dieses Opfer würde ich ihr widmen. Die Klinge fuhr nach vorne und durchbohrte die Kehle der Kreatur. Doch das sollte noch nicht ihr Ende sein. Ich konnte sehen und spüren wie die Seele dieser Kreatur in einem rötlichen Nebel das Fleisch verließ. Die Energie kribbelte auf meiner Haut. Ich wollte sie haben, sie sollte mir gehören. Also zog ich sie in mich. Das was noch von der Kreatur übrig war schrie vor Pein, doch das machte meinen Genuss nur noch größer. Eine gewaltige Kraft wohnte dieser inne und ich wollte noch mehr. Meine Haut begann zu glühen und ich spürte ein Ziehen. Doch ich wollte noch viel mehr. Meine Haut begann zu platzen und ein Leuchten war dort, anstelle von Blut. Es schmerzte je mehr ich nahm. Erst im letzten Moment, bevor mich die Energien zu zerreißen drohten, ließ ich davon ab und es wurde wieder dunkel um mich herum.

Erst später erfuhr ich von den anderen, welche Herausforderungen sie erwartet hatten. Halbohr erschien auf einem Feld mit großen Runensteinen. Er hatte auch Euborea als Ort gewählt und das silberne Mondlicht tauchte die großen Obelisken in lange, düstere Schatten. Ein Feigling eines Dunkelelfs lauerte ihm von oberhalb einer dieser Steine auf und sprang auf ihm herab. Eine scharfe Klinge zuckte in Richtung seines Herzens, doch die Robe die er trug, rette ihm das Leben. Anstelle Halbohr traf dieser Dunkelelf nur die Luft, als die Gestalt Halbohrs plötzlich wenige Schritte neben ihm erschien. Halbohr erzählte von dem verschlagenen vernarbten Gesicht und von dem Degen, dessen Stahl wie Perlmutt schimmerte. Halbohr wollte seinerseits mit dem Dolch aus dem Tempel des Jensehers, Eugorn, der Gestalt die Kehle aufschlitzen, doch der verdammte Dunkelelf bewegte einen Ring an seiner Hand und war verschwunden. Der Gegner war nicht weit, denn er hatte sich nur auf eine weitere Stehle bewegt. Dort stieß er wieder den Degen nach Halbohr und dieses Mal traf er. Es musste ein Kampf auf Leben und Tod gewesen sein, doch Halbohr gewann irgendwann die Oberhand. Sein Einhorndolch fand den Weg in das Herz der Gestalt und diese röchelte seinen letzten Atemzug aus. Und auch aus dieser sprudelte die Energie seiner Seele. Ich weiß nicht ob Halbohr dieser Versuchung widerstand, aber so wie ich ihn kenne war er sehr vorsichtig und hat viel der Macht einfach verpuffen lassen.

Barghs Herausforderer war eine engelsgleiche Gestalt die jedoch vom Hass übermannt war. Der gefallene Engel und der Antipaladin trafen sich an gegenüberliegenden Enden einer großen Nebelschlucht. Barghs Gegner hatte wohl angenommen, er wäre ein leichtes  Opfer, doch er hatte ihn bei weitem unterschätzt. Barghs Rabenflügel trugen ihn über die Schlucht und die Macht seiner Klinge beschützte ihn vor der Magie der Gestalt. Noch im Flug fuhr sie nach vorne. Der Engel hatte auch eine Klinge aus durchsichtigem Stahl und wollte sie heben um Barghs Angriff zu parieren. Das war töricht. Der Krieger schlug der Gestalt das Schwert zur Seite und Grimlingshert schnitt durch den Schwertarm und trennte ihm vom Körper ab. Ein gewaltiger Schwall von Blut ergoss sich über Bargh und der Gegner des Antipaladins hauchte seine Seelenenergie aus, an der sich der Sieger labte.
Titel: Sitzung 106 - Das Herz von Araphyx
Beitrag von: Jenseher am 30.03.2024 | 22:23
Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Ich wusste zwar wo ich war, denn ich spürte wieder das schleimige Nass um mich herum und schmeckte das Salz des Wassers. Ich hatte Angst als ich mir vorstellte, was in der Zeit um uns herum passiert wäre. Ich schwamm wieder in der großen pyramidenförmigen Halle. Ich blickte mich um und sah auch die anderen, wie sie ihre Köpfe von den Tentakel-überwucherten Masken nahmen. Die rötlichen Tentakel hatten wohl ihren Zweck erfüllt. Sie verloren ihre fleischige Farbe und wurden grau und mürbe. Wie totes Gewebe zogen sie sich zurück von den Maskenpulten sowie den Wänden dieser Halle. Ich blickte in die Gesichter der anderen. Deutlich sah ich bei Bargh wie er es genoss, die Seelenenergie seines Gegners in sich aufgenommen zu haben. Das vernarbte, haarlose aber junge Gesicht strahlte neue Kraft aus. Halbohr schien wie immer nachdenklich zu sein. Vermutlich konnte er das Geschenk, was er mit der Hilfe Jiarliraes erhalten hatte, nicht richtig würdigen, vielleicht auch nicht richtig verstehen. Wir trafen uns bei Lyrismar, der uns mit seien violetten Augen fragend anblickte. Bei Bargh war es offensichtlich, dass er seine Schwimmbewegungen mit noch nie gesehenem Geschick ausführte. Auch mich blickte Lyrismar fragend und auch etwas überrascht an. Ich verstand nicht direkt warum, bis ich an mir herunterblickte. Ich fühlte mich stärker und sah auch etwas kräftiger aus. Aber wir alle konnten die Stimme unserer Herrin jetzt lauter hören. Sie war nähergekommen. Und sie hieß uns weiter zu gehen. Die Tentakel an den Wänden dieser Kammer hatten sich zurückgezogen und gaben einen kleineren Tunnel frei, der durch das Metall führte und auf einen größeren Kreisgang schloss. Und schon nach wenigen Metern sahen wir einen kleineren Einschnitt. Er endete an fleischigen Hautlappen, die eine Art Türe bildeten. Die Lappen aus rötlichem Muskelfleisch erinnerten mich an das Innere eines überdimensionalen Herzens. In einem Herz gab es auch solche Klappen, die immer wieder kleine Mengen Blut in das Innere des Herzens lassen. Ich hatte es in einer der alten Schriften in der Irrlingsspitze gelesen. Vielleicht war es hier ähnlich, nur, dass das Herz im Inneren einer Welt aus Eisen schlug.

Wir näherten uns dieser Klappe. Um uns herum huschten weiter die Schwärme der Kaulquappen die inzwischen mehr als faustgroß waren. Ich beobachtete eines dieser Geschöpfe und als sie kurz vor einer Klappe schwamm, sah es so aus als ob sie dort regungslos verharrte. Nur beim genaueren Hinsehen konnte man das ganz langsame Schlagen von vier Flossen am Ende sehen. Also spielte auch hier weiter die Zeit ihre Spielchen mit uns, nur noch schlimmer als vorher. Wer weiß wie viel Zeit für Neire im Tempel des Jensehers vergehen würde. Als Halbohr kurz vor der Klappe ankam, schnappte das fleischige Portal mit einem hässlichen Flatschen auseinander. Dahinter öffnete sich ein riesiger Raum. Die Wände waren, zumindest das was wir sehen konnten, komplett mit rosigem Fleisch überzogen. Fleisch, das in einem rosa Schimmer glühte. Das Licht verlor sich jedoch schon bald in der trüben Flüssigkeit. Und wir spürten alle einen Sog der uns in die Mitte zog. Es war als ob wir fallen würden, aber nichts schien richtig, nicht einmal was oben oder unten war. Wir fielen in die Mitte hinein. Anfangs versuchten wir dagegen anzuschwimmen. Als Halbohr versuchte sich an der fleischigen Haut festzuhalten, hörten wir alle eine Stimme in unserem Kopf, die uns als Fremdkörper bezeichnete. Wir sollten uns entfernen sonst würden wir sterben. Die Stimme hatte keine rohe Wut inne, sondern war kalt und berechnend. Wir schwammen am Rand dieser Höhle entlang, immer wieder gegen den Sog ankämpfend. Die ganze Höhle war wie eine riesige Kugel gebaut und wir waren in ihrem Innern. Aber es war schwer die Orientierung zu behalten. Keiner von uns wusste mehr wo oben oder unten war, geschweige denn wo wir hereingekommen waren. Irgendwann ließen wir uns einfach treiben und kamen schließlich in der Mitte dieser Kugel an. Schwerelos schwebten wir in der Flüssigkeit. Ich konnte Jiarlirae deutlich hören und sie sagte mir, dass wir hier auf jeden Fall richtig wären. Aber hier war nichts. Halbohr schwamm aufs gerade wohl in eine Richtung, aber auch er fand nichts weiter. Der beste Einfall kam von Bargh. Wir sollten beten und uns wieder besinnen. Also schloss ich die Augen und genoss die Nähe von Jiarlirae.

Nach einiger Zeit schreckte ich hoch als eine weitere Stimme in meinem Kopf zu hören war, leise aber bestimmt: „Eingedrungen seid ihr in unserem Zuhause. Ergreift jetzt die Möglichkeit und flieht. Es wird euch nichts geschehen.“ Bargh sah verwirrt aus und fragte, warum es uns nicht einfach tötete, wenn es könnte. Warum redete es nur mit uns. Wahrscheinlich waren es nur leere Drohungen und es konnte uns nicht töten. Vielleicht hatte es auch Angst, dass dieses Zuhause, wie die Stimme es nannte, dieses Herz, dabei beschädigt würde. Aber die Stimme hörte uns offenbar zu und antwortete: „Oh, glaubt uns, wir können euch töten und wir werden euch töten, wenn ihr nicht flieht.“ Diese Drohungen waren mir zuwider. Wer viel redet, kann nicht angreifen und erst recht nicht töten. Sollen sie doch herkommen und es versuchen! Die Antwort auf meine Gedanken kam fast augenblicklich. Im Wasser hörten wir ein Flatschen und wir wussten dass jemand durch die fleischigen Lappen kam. Schnell baten wir Jiarlirae um ihren Segen, denn kurz darauf sahen wir die ersten Kreaturen auftauchen. Es waren furchterregende Kreaturen der Hölle. Insektenkörper größer als ein Mensch mit dämonenartigen Köpfen. Rötlich glühende Facettenaugen starrten uns an und einige hielten in ihren dünnen Gliedmaßen gekrümmte Schwerter aus einem roten Stahl. Dahinter schwammen mit mechanischen Bewegungen komplette Rüstungen. Sie erinnerten mich an die belebten Rüstungen aus Urrungfaust, aber im Gegensatz zu den Panzern von Glammringsfaust hatten sie an ihren Helmen Aussparungen. Dort waren metallisch geformte schwarze Tentakel, die dort herauswuchsen. Als letztes folgten weitere der Kreaturen mit Tentakelköpfen, jedoch waren sie größer und sechs Tentakel wuchsen dort, wo eigentlich ein Mund sein sollte. Aus allen Richtungen versuchten sie uns zu umzingeln, doch Bargh ließ ihnen keine Zeit. Mit einem kräftigen Zug schwamm er den ersten Insektendämonen entgegen und schwang sein Schwert Glimringshert. Wir alle folgten Bargh und spürten die Aura der Klinge die uns umgab. Und es war gut so, denn einer der Dämonen erschuf eine Kugel aus glitzernden violetten Blitzen um uns herum, die das Wasser in ätzende Säure verwandelte. Doch die Macht Jiarliraes, gebündelt im Stahl, nahm die fremde Magie in sich auf und vernichtete sie. Rücken an Rücken ließen wir die Kreaturen zu uns kommen. Wir alle rammten unseren Stahl in die Leiber hinein. Mein Chaos-geweihter Säbel schnitt der ersten einfach die Kehle durch, auf dass schwarzes Blut sich mit der Flüssigkeit mischte. Barghs Schwert glühte als sich die Schatten entzündeten. Aus dem Wasser stiegen Blasen auf als die Hitze der Flammen es zum Verdampfen brachte. Ein Teil der Rüstungen folgte und griff uns ebenfalls an, doch die anderen Rüstungen hielten sich auf Abstand. Dann hörten wir aus dieser Richtung ein ohrenbetäubendes Kreischen von tausenden debilen Kindern, die ihre Qual herausbrüllten. Es kam direkt aus den Rüstungen und betäubte unseren Geist. Doch mit der Macht der Gebete Jiarliraes konnten wir uns wehren, bis auf Lyrismar. Ein kleiner Moment des Zweifels und des Zögerns wurde ihm zum Verhängnis. Einige Blutstropfen drangen aus seinen Ohren und seine Augen verdrehten sich. Seine Arme und Beine zuckten und er konnte nichts anders mehr machen als sich wieder in die Mitte der gewaltigen Fleischsphäre treiben lassen. Die Rüstungen folgten jetzt den anderen in den Kampf.

Die Schlacht tobte ohne Lyrismar weiter. Die Klingen der Insektendämonen und Rüstungen zuckten nach vorne. Ein Speer eines Insekts durchbohrte meine Schulter, dafür spaltete ich seinen Kopf. Ein Morgenstern einer Rüstung drückte mir meine Rippen ein, dafür durchbohrte ich seine Brust. Als meine Klinge durch den Stahl drang, hörte ich wieder das schmerzhafte Seufzen der Kinderseelen die dort gefangen waren. Ich sah auch, dass auf der Innenseite eine Schicht aus Fleisch auf dem Stahl gewachsen war. Darunter war die lebende Rüstung jedoch hohl. Die Tentakel-Kreaturen hielten sich immer noch im Hintergrund und beobachteten den Kampf mit ihren weißen Augen. Immer mehr der Rüstungen und Insekten fielen und ihre toten Körper schwebten dem Mittelpunkt entgegen. Bargh nutzte die Lücke und flog fast auf die Tentakel-Kreaturen zu, die uns jetzt in einem großen Kreis umringten. Seine Klinge spaltete der ersten den Schädel, doch die anderen sandten wieder diese Welle von Energie auf uns, um unseren Verstand zu zerstören. Und jetzt fühlte es sich tatsächlich so an, als ob unser Verstand nicht nur eingefroren werden sollte, sondern völlig vernichtet würde. Wir würden wie diese debilen Kinder enden, vielleicht sogar noch schlimmer. Doch unser Geist war stärker und die Welle prallte an uns ab. Ich und Halbohr folgten Bargh und einer nach dem andern fiel unseren Klingen zum Opfer. Nur noch einer war übrig. Das Wesen musste erkannt haben, dass es uns nicht besiegen kann. Der Körper fing an silbrig zu schimmern und löste sich in kleine silberne Blitze auf.

Die Leichen der Kreaturen und die reglosen Rüstungen sammelten sich alle in der Mitte. Das Blut bildete eine durchsichtige rötliche Kugel als es ebenfalls von der Schwerkraft angezogen wurde. Halbohr schwamm wieder in eine Richtung bis zum Rand der Sphäre und er wurde er fündig. Er fand eine weitere Türe aus fleischigen Hautlappen, doch hier waren sie viel dicker und mit schwarzen Adern durchzogen. Wir folgten und Barghs Wut wurde entfesselt. Er hieb einfach mit Glimringshert auf die Haut des Portals. Als der Stahl das Fleisch berührte entlud sich eine Welle von Magie von der gesamten Wand der Sphäre. Gleißende Blitze schlugen in alle Richtungen, doch die Macht des Schwertes konnten sie nicht überwinden. Wie in einem eigenen Kampf siegte die Macht der Klinge und vernichtete die Entladungen. Wieder hörten wir die Stimme von Jiarlirae. Wie eine Mutter sprach sie zu uns und riet uns vorbereitet zu sein. Ein weiteres Mal erbaten wir ihren Segen und keinen Moment zu früh. Aus dem Wasser sahen wir abermals eine Formation von Rüstungen und den Tentakel-Kreaturen auf uns zu schweben. Als letztes war jedoch eine andere Gestalt zu sehen. Sie war größer als Lyrismar und schlank. Sie trug schwarze Roben mit rötlich glühenden Schriftzeichen. Man sah nur die Hände und den Kopf der Gestalt, doch das was man sah, war nur verfaultes schwarzes und totes Fleisch. Faulige dunkle Tentakel wuchsen auch aus dem Kiefer. Die Augen waren nicht mehr da, stattdessen konnte man die Knochen des Schädels in den leeren Augenhöhlen sehen und ein rötliches Glühen daraus. Die Gestalt erhob ihren Finger und zeigte auf mich. In meinen Ohren hörte sich die donnernde Stimme wie sie nur das Wort „Stirb!“ herausstieß. Dieses Wort war so mächtig, dass für einen Moment mein Herz drohte stehen zu bleiben. Doch die Seelenenergie des Riesen hatte mich stärker gemacht und mein Herz schlug kräftig weiter.

Bargh schwamm den Rüstungen entgegen und zerschlug mit einem mächtigen Hieb die Brustpartie. Doch er hielt sich nicht weiter damit auf. Wie in einem Rausch schwamm er an den anderen einfach vorbei, der untoten Kreatur entgegen. Die Rüstungen und auch die anderen Tentakel-Kreaturen hieben nach Bargh doch trafen sie nur das leere Wasser. Er war jetzt etwas weiter weg und ich konnte wegen dem trüben Wasser nicht so gut sehen. Aber ich meinte, dass Bargh kurz seine Augen schloss als er seine Klinge zum Schlag erhob. Und ich wusste was er vorhatte. Der Herold gab sich vollständig Jiarlirae hin. Die Schwertherrscherin sollte seine Klinge führen und ihre Macht sollte direkt durch den Stahl geleitet werden. Die Klinge glühte vor Hitze fast weiß und seine Flügel breiteten sich aus, als die Klinge auf die Kreatur fiel. Das tote Fleisch fing an zu kochen als der erste Schlag in sie eindrang. Ein weiterer und noch einer prasselten auf sie hinein. Der letzte drang durch den Kiefer. Der Schwert war so stark geschlagen, dass durch die Wucht und mit einem Knacken die obere Kopfhälfte über dem Oberkiefer abgerissen wurde. Eine Welle von Energie drang in dem Moment durch die Sphäre und wir konnten alle einen furchtbaren Schrei hören der sich immer weiter entfernte bis er nur noch ein leises Echo war. Das Licht aus den Augenhöhlen verblasste und verschwand und die Fleischhaut der Wände begann zu nekrotisieren. Nicht nur auf der Kreatur, sondern auch das Fleisch, was die Sphäre auskleidete wurde dunkel. Einige Adern platzten und das Fleisch wurde spröde. Brocken begannen sich zu lösen und wurden von dem Wasser hinfortgespült. Weitere Adern platzten auf und Reste von Blut sickerten heraus bis auch sie schwarz wurden. Alles um uns herum starb. Die letzten Kreaturen waren ihres Meisters beraubt und fielen einer nach dem anderen unseren Klingen zum Opfer. Nur wir lebten noch, Jiarlirae sei Dank!

Nachdem wieder etwas Ruhe einkehrte, verstanden wir auch die Sphäre. Gänge mit fleischigen Pforten zweigten zu allen Kardinalpunkten ab, auch nach oben und unten - wobei diese Begriffe inzwischen in den Hintergrund traten. Wir durchsuchten die Räume und eine Halle in der die toten Überreste eines gewaltigen Gehirns schwammen. Überall in dem Raum waren Stücke verteilt. Es sah aus als ob es geplatzt wäre, als Bargh der Kreatur den Schädel abschlug. Jetzt labten sich die Kaulquappen an den Resten. Weitere Zellen waren rings um die Sphäre angeordnet, wo eine Vielzahl der debilen Kinder in ihrem Wahn vegetierten. Und eine Kammer war dort, wo eine magische Barriere das Wasser daran hinderte einzudringen. Triefend traten wir seit langer Zeit das erste Mal wieder ins Trockene und fanden die Schätze der untoten Kreatur. Gold, Silber, Juwelen und auch Wissen, das, wer weiß wie lange, hier gehortet wurde. In den Schriften waren die Versuche aufgezeichnet. Der Herr des Hauses war Ghuur’Bhaal’Barnas, ein unsterblicher Meister der schwarzen Künste. Er wollte anscheinend eine Perversion erschaffen. Eine Verbindung der Geister der Tentakel-Kreaturen, mit den der schwachsinnigen Kinder im lebenden Metall der Rüstungen, die vielleicht sogar irgendwann das Metall dieser ganzen Welt korrumpieren sollte. Es sollte der Triumph der Rasse der Illithiden werden. Es hatte auch bereits in den Rüstungen funktioniert, wo die Geister von schwachsinnigen Kindern mit denen der Gedankenschinder in ewiger Qual verbunden wurden. An diesem Ort wollte er eine Unmenge an diametral entgegengesetzten Geistern – schwachsinnig-debil und genial – in einem gewaltigen Würfel aus schwarzem Metall zu einer neuen Lebensform ausbrüten. Der Würfel war die Welt in der wir uns befanden und wurde in den Schriften als Araphyx bezeichnet. Welche Macht hätten sie wohl erlangt, wäre der gesamte Würfel, der in den Schriften auch als hyperdimensionale Rüstung bezeichnet wurde, zu einem lebenden Wesen geworden. Es wäre eine gottgleiche Entität gewesen, das lebendige Araphyx, in dessen getötetem Herz wir jetzt standen. Jetzt war es nur noch totes Metall. Wir hatten gesiegt über Araphyx und Jiarlirae sei gepriesen!
Titel: Sitzung 107 - Verrat!
Beitrag von: Jenseher am 6.04.2024 | 22:44
Triefend von dem salzigen Nass der Unterwasserhöhlen bahnten wir uns unseren Weg wieder zurück auf die metallene Oberfläche. Es musste wirklich einiges an Zeit vergangen sein. Als wir an den Zellen vorbeikamen, waren einige der dort eingesperrten Kinder nur noch abgemagerte Überreste. Wer weiß schon, wann hier das letzte Mal jemand vorbei kam um sie zu füttern. Erst recht, wo wir den Anführer der Gedankenschinder - so wurden sie in den Büchern genannt - getötet hatten. Auch das Dorf der primitiven, blinden Kreaturen sah nicht besser aus. Auch hier hatten wir ihren Anführer getötet. Die Zeit hatte dazu geführt, dass Chaos ausbrach. Chaos um die Lücke der Macht, die wir geschlagen haben. So huschten wir durch Höhlen und Tunnel und kamen unbehelligt wieder auf die Oberfläche. Hier erwartete uns der milchige, sonnenlose Himmel und die Einöde aus scharfkantigem, rostigem Metall. Im Himmel konnte ich deutlich das Aufblitzen eines der riesigen Würfel sehen. Das Himmelsobjekt schien näher gekommen zu sein. Wer weiß ob der Würfel irgendwann hier einschlagen würde. Bis jetzt waren auch keine Schrapnelle zu sehen oder zu hören, dennoch nahm ich die Beine in die Hand und rannte zum Portal was, der Göttin sei Dank, auch noch aktiv war.

Wieder war da dieses Ziehen, wieder das Gefühl an einer Sonne nach der anderen vorbei zu rasen. Einige dieser Reisen hatte ich nun schon gemacht, aber ich werde mich wohl nie daran gewöhnen. Mir wurde leicht übel und ich schloss die Augen, obwohl im Flug zwischen den Welten ohnehin nichts zu erkennen war. Irgendwann ließ das Ziehen nach und ich roch die abgestandene Luft von Mauern und totem Fleisch. Ein Schritt und ich spürte Boden unter meinen Füssen. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Duft von Stein mal so vermissen würde. Ich brauchte einige Momente um mich wieder zu sammeln, doch dann erkannte ich den Raum des alten Altars wieder. Die Leichen die das Portal auf dieser Seite gebildet hatten waren schon bis zu Unkenntlichkeit verwest, ebenso wie die Körper der Gedankenschinder. Ich suchte die Leiche des Abtes. Jemand musste hier gewesen sein, denn es fehlte jede Spur. Auch der Ausgang aus dem Altarraum blieb uns verwehrt. Irgendjemand hatte in unserer Abwesenheit die Halle komplett zugemauert. Nicht einmal ein Staubkorn konnte die steinerne Mauer vor uns durchdringen. Bargh war bereits vor mir durch das Portal geschritten und sah sich zu mir um. Ich konnte mein Gesicht in seinem spiegelnden Schild sehen und erschrak kurz. Völlig verdreckt war ich. Ein Bad, ich musste unbedingt ein langes Bad nehmen um den ganzen Dreck und Unrat dieser Gedankenschinder von mir zu waschen. Er untersuchte gerade den Boden und fand auch Spuren, die aber schon mehr als ein Jahr alt waren. Seitdem waren wir die ersten die diesen Raum wieder betraten.

Hier kamen wir nicht weiter und Bargh fragte Lyrismar ob er uns durch Magie wieder zu dem König bringen könnte. Schließlich hatten wir einen Vertrag, wie Halbohr mehr als nur einmal betonte. Lyrismar schrak auf, als wenn er mit seinen Gedanken gerade völlig woanders wäre. Er hatte auf dem Weg mehrere Male wieder seinen glühenden Ölstab auf seiner Brust gedrückt und offenbar war er in seinem Geiste immer noch nicht wieder völlig klar. Aber er war sich sicher, dass er für einen Zauberspruch konzentriert genug war. Wir fassten uns an den Händen und wieder wurde mir etwas schwindelig, aber es war bei weitem nicht so schlimm und nur ganz kurz. Ein Zucken durchfuhr meine Haut dann wurde es wieder hell. Wir befanden uns wieder in dem pompösen Gemach des Königs von Urrungfaust. Er saß dort auf seinem Thron, aus Basalt und mit funkelnden Edelsteinen verziert. Doch seine Gestalt wirkte noch älter und viel gebrechlicher als bei unserem letzten Treffen. Die dicken Augenringe und rote Nase sagten mir, dass er sich lieber dem Suff hingegeben hatte, als zu regieren. Dennoch hatte er immer noch eine Spur von vergangener Pracht und Kraft. Und seine Hand lag wie immer auf dem Griff der glitzernden Kriegspicke, die das Blut von unzähligen Dunkelelfen hatte schmecken durfte. Offenbar hatte er uns noch nicht bemerkt und redete gerade mit einer anderen Duergar Frau. Umringt wurde er von seinen Grauwegur Rittern. Von den Leibwächtern des Königs schreckte einer kurz zusammen, als er uns dann doch erblickte und sie erhoben ihre Waffen. Der König kniff seine geröteten Augen zusammen und dann kam auch bei ihm die Erkenntnis und Erinnerung. „Meister Halbohr?! Ihr wagt es euch nach fast vier Jahren einfach so und ohne Ankündigung in meinen Palast zu stehlen?“ Dann grinste er in seinem faltigen Gesicht und fing an zu lachen: „Kommt näher und erzählt. Ich dachte, ihr würdet nie wieder zurückkommen.“ Seine Ritter beruhigten sich und die Duergar Frau schickte er fort.

Wir erzählten ihm die Geschichte unserer Reise, angefangen von unserem Sturm auf den Tempel, den Geheimnisse, die sich in den Tiefen abgespielt hatten und schließlich die Welt aus Metall und die Gedankenschinder im Hintergrund. Der König hörte zu, sah aber verwundert aus. Er prahlte damit, dass seine Rasse besonders gut darin wäre den Geist zu verschließen und dass gerade die Priester der Laduguer für ihren unbrechbaren Verstand bekannt seien. Offenbar nicht für die Gedankenschinder. Aber das Gerede fing an mich zu ermüden und ich erinnerte den König an unsere versprochene Belohnung. Ich wunderte mich, dass Halbohr nicht auch etwas sagte, schließlich gehörte das zu seinem Vertrag dazu. Der König grinste wieder und erhob sich langsam von seinem Thron. Auf der Rückseite drückte er auf irgendwelche Schalter und der gesamte Thron bewegte sich zur Seite. Eine Treppe wurde sichtbar, auf die der König, begleitet von seinen Rittern, herab schritt. Wir folgten ihnen in die Tiefe und kamen in einen alten Tunnel. Staub lag auf dem Boden. Der König bemerkte, dass es wohl lange her war, seit ein Nicht-Duergar hier unten war. Wahrscheinlich wären wir auch die ersten überhaupt. Ab und zu flogen glühende Funken von Asche durch die Luft, was merkwürdig war, denn hier brannte kein Feuer. Die Luft war heiß und die Wände des Tunnels waren gesäumt von den steinernen Bildnissen alter Könige. Einen erkannte ich wieder, es war einer seiner Vorfahren, Norbin von Werunstein der im Krieg gegen die Dunkelelfen gekämpft hatte, aber dort auch fiel. Ich sprach den König darauf an und er setzte wieder sein Grinsen auf: „Ihr kennt euch gut aus mit den Königen und unserer alten Geschichte. Dann solltet ihr doch auch wissen, dass niemand, der diese heiligen Hallen betritt, sie auch wieder verlässt.“

Sofort fühlte ich mein Herz schneller schlagen, doch keiner von uns hatte Zeit zu reagieren. Krachend fiel hinter uns eine Wand aus purem Ne’ilurum herunter und versperrte den Rückweg. Der König lachte laut auf und zog sich seinen Helm über den Schädel. Die Grauwegur Ritter wandten sich um und richteten ihre Waffen auf uns. Verträge, pah! Das hat man davon, wenn man sich an Verträge hält. Der Krieger Bargh zog seine Schattenklinge Glimringshert und stürzte sich auf den ersten Grauwegur Ritter. Als die Klinge aus der Scheide befreit wurde, fühlten wir die Dunkelheit um uns herum, wie sie uns beschützte. Auch ich und Halbohr zogen unsere Waffen. Mit der Chaosklinge schnitt ich in Windeseile einem der Ritter ins Fleisch. Seine Rüstung konnte den Stahl aus dem Abgrund nicht aufhalten. Ich sah das Blut, doch die Ritter waren zäh. Kein Schrei, nicht einmal ein Stöhnen drang unter der Rüstung hervor. Bargh hieb ebenfalls auf die Gestalt ein. Als die Schatten seines Schwertes sich in gleißendem Feuer entzündeten konnte er doch dem Ritter einen wunderschönen Schmerzensschrei entlocken und er fiel zu Boden. Das Lachen des Königs erstarb. Lyrismar war noch etwas weiter hinten und beschwor gleißende Blitze die durch die Ritter und auch durch den König fuhren. Die Grauwegurritter trotzten der Macht und duckten sich hinter ihre Schilde, um nicht verbrannt zu werden. Diesen Moment nutzten wir und griffen weiter an.

Der König polterte vor Wut. Dann konnte ich ein Knacken hören und sah, wie sich seine Knochen und sein ganzer Körper aufblähte und wuchs. Mehrere Schritte groß, blickte er auf uns herab und schwang seine Picke. Die Spitze des Rabenschnabels traf Bargh tief in die Brust und der große Krieger torkelte zurück. Auch die Grauwegur Ritter wurden vom König angestachelt und gingen in den Angriff über. Tief schnitten sich Äxte, Speere und Streitkolben in unser Fleisch. Auch mich griffen sie an, doch ich spürte den Schmerz kaum, so groß war der Hass. Dann aber beschwor Lyrismar eine Lanze von Schattenenergien auf den König. Das brachte Bargh die Sekunden um sich zu berappeln und sein Schwert nach vorne zu stoßen. Der letzte Grauwegur Ritter fiel durch den Dolch von Halbohr und Bargh stieß Glimringshert in den Kiefer des Königs. Der Stahl drang durch Knochen und Gehirn und die Spitze platzte durch den Schädel wieder nach außen. Kein Lachen war mehr zu hören, der König sank zitternd zu Boden und wurde wieder zu dem alten gebrechlichen Elend. Doch sollte es noch nicht unser Sieg sein. Wir wollten uns gerade um unsere Wunden kümmern, da tauchte am Ende des Tunnels etwas Leuchtendes auf. Glühende gewaltige Augen einer riesigen Kreatur konnte ich kurz sehen und mit einem Mal explodierte alles um uns herum in einem Meer von Flammen. Die Flammen verzehrten die Toten und die Lebenden; den König, seine Ritter und auch uns. Der Schmerz der mich durchfuhr ist nicht mit Worten zu beschreiben. Ich konnte zusehen wie meine Haut sich von meinem Körper ablöste, wie die Muskeln darunter anfingen zu kochen. Ich konnte mein eigenes verbranntes Fleisch riechen und für einen ganz kurzen Moment konnte ich darin sogar etwas Faszinierendes erkennen. Dann wurde es schwarz um mich herum und ich muss wohl bewusstlos zu Boden gefallen sein.

Als ich wieder erwachte, hörte ich wie durch einen Schleier die Schreie der anderen. Ich spürte irgendeine Flüssigkeit, die mir jemand einflößte. Ich fühlte, wie sich meine Wunden schlossen. Meine Augen öffneten sich. Vor mir sah ich Bargh. Flammen wüteten um uns herum, der gesamte Gang brannte in einem gleißenden Feuer. Doch um Bargh hatte sich eine Insel gebildet, in der die Flammen nicht eindrangen. Schützend hielt er das heilige Schwert Glimringshert vor sich, als er sich wieder erhob. Die Schatten, die aus den Adern der schwarzen Klinge quollen, schienen die Sphäre des Schutzes anzureichern. Ich ahnte, dass mir die Klinge des heiligen Ritter Jialiraes das Leben gerettet hatte. Ich zog mich an ihm hoch und langsam torkelte ich, Bargh folgend, dem Ende des Tunnels entgegen. Als ich aus der Flammenwand hervorkam, versuche ich mich davonzustehlen. Ich konnte mich kaum bewegen. Ich schaute mich nicht um. Dann explodierte ein weiteres Mal die Luft um mich herum. Gerade geschlossene Haut platzte wieder auf, doch der größte Teil der Woge konnte die Macht von Bargh und von Jiarlirae nicht durchdringen. Der Tunnel hatte sich in eine große Höhle geöffnet in deren Mitte ein gigantischer Haufen von Schätzen lag. Unmengen von Münzen, Geschmeide, Edelsteinen, Schwertern und anderen Reichtümern waren hier aufgetürmt. Und über allem thronte die gigantische Gestalt einer drachenähnlichen Kreatur. Sie hatte keine Flügel, aber das machte sie nicht weniger furchterregend. Das Maul in dem langen Schädel war fast so groß wie ein Haus. Lange Zähne wie scharfe Säbel ragten daraus empor. Die rötlichen Schuppen brachen das Licht der Feuersbrunst. Mehr noch, die Kreatur selbst strahlte einen rötlichen Glanz aus. Als ob ihre Schuppen wie Kohlen glühen würden. Sie erhob sich und ich sah auf der Brust einen großen schwarzen Fleck, in dem das Fleisch verwest aussah wie ein großes Geschwür. Da erkannte ich die Kreatur. Es war der Feuerlindwurm Thiangjord, jene legendäre Kreatur, die im Kampf mit dem Dunkelelfen den Duergar den Sieg einbrachte. Angelockt von den Reichtümern, die ihm versprochen wurden, verließ er sein altes Heim im Höllenkessel und zog in das Reich unter den Reichen. Hier saß der Lindwurm nun über den gesammelten Schätzen aus jahrhundertelanger Zeit von Krieg und Steuern. Die Dunkelelfen hatten nur einen Schlag gegen ihn vorbringen können und die Magie des Abgrundes, die in diesem Streich gebannt wurde, brachte der Kreatur die schwarze Narbe aus ständig wucherndem Gewebe. Ich zitterte immer noch, war kaum imstande mich richtig zu bewegen, geschweige denn der Kreatur zu trotzen. Mit letzten Kräften schleppte ich mich in eine Ecke und kauerte mich nieder. Die anderen stellten sich der Kreatur und Dolch und Schwert drangen zwischen den Schuppen ins Fleisch. Doch die Kreatur schien nicht beeindruckt zu sein und lange tobte der Kampf. Lyrismar beschwor magische Geschosse. Seine Magie zerplatzte einfach wie Wassertropfen auf der Gestalt. Der Lindwurm griff immer wieder an und brachte den Streitern Jiarliraes grauenvolle Wunden. Dann schloss sich das Gebiss um Halbohr und ich konnte seine Schreie hören. Doch Bargh nutzte den Moment aus und Glimringshert fand die schwarze Stelle am Bauch. Ob die Kreatur hier wirklich verwundbarer war, würden wir wohl nie erfahren, jedoch schrie sie. Ein weiteres Mal ließ sie Feuer regnen doch verstand sie immer noch nicht, dass wir mit Jiarlirae im Bunde waren. Und das Licht des Feuers warf lange Schatten, anders geht es gar nicht. So auch hier. Glimringshert schluckte die Flammen und Bargh setzte zum erneuten Schlag ein. Er hatte sich die Stelle gemerkt. Wieder und wieder stieß er auf die faule Stelle und beim dritten Schlag fand die Klinge im Herzen der Kreatur ihr Ziel. Thiangjord brüllte ohrenbetäubend und wandte sich. Sein schlangenhafter Körper bäumte sich noch einmal auf und fiel dann berstend auf seine Schätze. Ein Regen von schwarzem Blut kam auf uns hernieder. Und als ob es sein letzter Atemzug sei, hörten wir in unserem Kopf die Stimme die sprach: „Ich bin Thiangjord! Mein Name hat in der Ewigkeit einen Klang, Meister Halbohr. Ihr seid ein Nichts und werdet alsbald vergessen werden.“ Dann kam die Ruhe, denn die Wand der Flammen im Tunnel hinter uns fiel plötzlich in sich zusammen.

Wir leckten unsere Wunden und kümmerten uns um das goldene Vermächtnis des Lindwurms. Doch waren damit weitere Probleme entstanden. Bargh sprach es aus: „Wir haben nicht viel Zeit. Es wird schon bald auffallen, dass ihr König nicht mehr da ist.“ So wurde ein Plan gesponnen wie auch die mächtige Stadt Urrungfaust Jiarlirae zu Diensten sein konnte, ohne dass die Stadt es erfahren würde. Daera Düsterung wurde auserkoren den Platz des Königs einzunehmen. Offenbar besaß sie die Fähigkeiten dies zu tun. Es würde nicht für lange sein. Der König war ohnehin alt und hätte nicht mehr lange zu leben gehabt. Er hatte einen Sohn. Daera würde ihn sich angucken, ob er geeignet wäre als König eingesetzt zu werden. Wenn nicht...Nun, in jeder Geschichte um Könige gibt es Streitereien um die Nachfolge in denen die Nachkommen des alten Königs nicht selten dem Tode geweiht sind. Lyrismar sprach wieder die arkanen Formeln und verschwand in Richtung des Tempels des Jensehers. Er wollte keine Zeit verlieren und schon kurz danach kam er zurück. Nicht alleine, mit dabei waren die bezaubernd aussehende Daera Düsterung, der Edelmann Mordin von Norisfyring und noch jemand, dessen Erscheinen ich nicht erwartet hatte und mich deswegen umso mehr freute. Neire hatte Lyrismar begleitet. Das Wiedersehen war herrlich. Neire schien uns vermisst zu haben in den Jahren, auch wenn er keinen einzigen Tag älter aussah. Neire hatte immer noch das güldene lockige Haar eines Jünglings und sein Gesicht wirkte auf mich anziehender als jemals zuvor. Ich glaube selbst Halbohr freute sich über das Wiedersehen, obwohl der Griesgram dies nicht zeigte.

So tauschten wir die Geschichten aus, die uns widerfahren waren. Neire erzählte uns von den Geschehnissen im Tempel des Jensehers, die nicht weniger interessant als unsere eigenen Erfahrungen waren.
Titel: Sitzung 108 - Besuch aus Fürstenbad
Beitrag von: Jenseher am 13.04.2024 | 14:41
Die Geschichten von Neire mussten leider noch etwas warten, denn wir hatten wirklich ein Problem. Wir waren immer noch in der großen Halle unter dem Thronsaal und wussten nicht was mit Urrungfaust passieren sollte. Die anderen hatten schon angefangen die Berge von Schätzen zu verstauen. Es stank grauenvoll nach verbranntem Fleisch. Das Fleisch des Königs und seiner Ritter. Aber auch nach meinem Fleisch. Der Trank der Heilung hatte zwar in Windeseile die Wunden wieder geschlossen, dennoch zuckte mein ganzer Körper zusammen bei der Erinnerung. Halbohr schien auch nicht ganz er selbst zu sein. Er hockte auf dem Boden und spielte mit einigen Münzen. Tauschte sie aus, stapelte sie und entfernte einige. Vielleicht war es aber auch kein Spiel. Vielleicht versuchte er einen viel zu komplizierten Plan auszuarbeiten, wie es nun mal seine Art ist. Und der gehäutete Leib des kolossalen Lindwurms schien alles aus seinen toten Augen zu beobachten.

Jetzt galt es unser Problem zu lösen. Der König war nur noch ein verbranntes Etwas, doch wir brauchten einen König. Wir konnten uns nicht durch die ganze Stadt Urrungfaust kämpfen. Doch genau das würde passieren, wenn wir ohne den König wieder auftauchen würden. Die Lösung unseres Problems sollte Daera Düsterung sein. Die wunderschöne Dame mit ihren schwarzen Tätowierungen, die auf ihrer milchig weißen Haut im starken Kontrast hervorstachen, hatte die Fähigkeiten dazu. Offenbar konnte sie nicht nur den Geist von anderen beherrschen, wie auch Neire, sondern sie verstand es auch ihre Gestalt zu ändern. Sie hätte am liebsten die Frau gespielt die wir kurz im Thronraum gesehen hatten, doch half uns dies nicht bei dem Problem mit dem König. Schließlich, nach zeitraubenden und langweiligen Diskussionen, stand der Plan. Daera würde die Gestalt des Königs Granryks annehmen. Fehlten noch die Grauwegur Ritter. Wenn einer der Ritter fehlen würde, würde dies sicherlich nicht besonders auffallen. Doch wenn alle fehlten, würden sich unangenehme Fragen anschließen. Also schafften wir einige Orks aus dem Tempel des Jensehers heran. Und dann wurde ich mit in das Versteckspiel einbezogen. Ich hatte eine Idee und niemand sollte die schweinsähnlichen Kreaturen für etwas anderes als stolze Grauwegur Ritter halten. Ich half nach und mit der Hilfe der Herrin ließ ich ihre Knochen, Haut und Haare zu denen der Duergar werden. Zusätzlich brach Neire mit seinen Augen des Jensehers ihren Geist. Sie sollten nicht nur so aussehen wie Nachtzwerge, sondern sie sollten alles vergessen was sie vielleicht vorher gewesen waren. Einige widerstanden wie durch ein Wunder. Sie wurden getötet und entsorgt. Wir konnten es uns nicht erlauben, dass eine geistige Stärke in diesen Kreaturen heranwuchs. Andere konnten die Schmerzen, die die Umwandlung ihnen bereitete, nicht aushalten. Sie verwandelten sich in verkrümmte Abscheulichkeiten. Irgendetwas zwischen Ork und Duergar, bevor ihr Herz den Qualen nicht mehr standhalten konnte. Irgendwann hatten wir genug, um sie in die Rüstungen zu stecken. Einer fehlte jedoch immer noch. Die letzte Grauwegur Rüstung war durch die Flammen komplett verbogen und nicht mehr zu gebrauchen. Aber das war nicht schlimm. Dann würde eben ein Grauwegur Ritter immer gerade auf Botengängen sein. Auch Daera war nicht untätig geblieben. Als wir mit den verwandelten Orks aus Nebelgard zurückkamen (Neire ist dortgeblieben), war von ihr nichts mehr zu sehen. Aber wir standen plötzlich wieder vor dem König Granryk von Werunstein, als wenn ihm kein Haar gekrümmt worden wäre. Jedes kleinste Detail hatte sie nachgeahmt. Nur weil sie gerade neben dem verkohlten Leichnam stand konnte ich überhaupt auf den Gedanken kommen, dass dies in Wahrheit Daera war. Sie wies die Orks im Körper der Duergar zurecht und sie zogen sich die Rüstungen an. Sie waren noch etwas ungeschickt dabei und brauchten Hilfe. Der falsche König hatte auch die Rüstung angezogen und Waffen und Schild geschultert. Zusammen gingen sie wieder zurück in den Thronsaal. Wir warteten erst einmal bis Daera sich umsehen konnte, ob irgendjemand schon Verdacht geschöpft hatte. Daera wolle auch herausfinden wer diese Frau gewesen war, die mit König Granryk von Werunstein bei unserem Besuch gesprochen hatte.

Nach etlichen Stunden kam Daera wieder zurück. Ihr Gang war überaus selbstsicher. Und sie hatte den Rat, den ihr ihr gegeben hatte, bereits berücksichtigt, dass der König des Öfteren in das Lachen eines Säufers gefallen sei. Bereits jetzt konnte sie es täuschend echt nachahmen. Daera berichtete, sie fände die Frau nicht mehr wieder. Niemand hatte sie wieder gesehen. Offenbar war es die neue Gemahlin des Königs, Thunriel von Grauroch. Die alte Frau, Idriania von Werunstein war wohl vor kurzem gestorben. Ich fand es merkwürdig, dass die neue Königin nicht auch den Namen des Mannes angenommen hatte. Sollte vielleicht der alte Wurm Thiangjort etwas damit zu tun gehabt haben? Aber wer weiß schon, welche Gepflogenheiten bei den Nachtzwergen geduldet werden und vielleicht war es ja die neue Frau des Königs. Daera hatte etwas über einen Sohn des Königs, Breodin von Werunstein herausfinden können. Obwohl er als Abkömmling der nachtzwergischen Rasse noch im Alter eines Kindes, vielleicht eines Heranwachsenden, war, schien er doch stärker zu sein als man meinen könnte. Vielleicht würde er uns irgendwann einmal Probleme bereiten, aber jetzt widersetzte er sich den Befehlen des neuen Königs nicht. Und der erste Befehl war, dass ein neues Bündnis mit Unterirrling geschlossen werden sollte. Dieses Bündnis sollte den Grundstein für den Reichtum von Urrungfaust legen. Und in Wahrheit sollte Urrungfaust an den Tempel des Jensehers und damit an Jiarlirae gebunden werden.

Für uns gab es nichts mehr zu tun und wir verließen die stinkende Stadt des Unterreichs über die breite Brücke, auf dem Weg auf dem wir gekommen waren. Es war das gewaltige Bauwerk über den See von Arbolbaar, das von den Nachtzwergen Brücke Irrlingglomm genannt wurde. Keiner behelligte uns auf den Weg, auch wenn uns einige immer wieder misstrauische Blicke zuwarfen, vor allem unserem „Meister Halbohr“. Wir waren fast schon über die breite und imposante Brücke gelangt, als Bargh etwas Merkwürdiges auffiel. Er zeigte in die Richtung, in der die Brücke sich dem Ufer der Höhle näherte. Keiner von uns verstand im ersten Moment worauf er hinaus wollte, bis er sagte: „Schaut, die Wägen!“. Dann fiel es mir auch auf. Der immerwährende Strom von Karren, Kutschen und Kolonnen war in unsere Richtung abgebrochen. Einige Wägen betraten gerade noch die Brücke um ihre Waren in Urrungfaust anzubieten, doch es kamen keine neuen aus dem Dunkel der Tunnel. Halbohr sprang schnell zu einem der letzten Wagen. Der ältere Nachtzwerg der ihn zusammen mit seinem Sohn führte, erkannte ihn fast direkt. Er wusste auch etwas, doch die Gier dieser Geschöpfe war unermesslich. Selbst für eine einfache Frage wollte er bezahlt werden. Ich hätte ja die Worte mit glühendem Stahl aus ihm heraus gebrannt, doch Halbohr war schwach und gab nach. Zwei blitzende Citrine hielt er ihm vor seine knollige Nase. Das lockerte seine Zunge. Er erzählte, dass sie tatsächlich in den Tunneln etwas gesehen hatten. Ein Glitzern von Metall, wie von Rüstungen. Das war auch gar nicht weit weg gewesen. Und er hatte Stimmen gehört. Sein Sohn bestätigte es. Er hatte sogar etwas mehr gesehen: Die Schatten von Gestalten, die aber viel zu groß waren um Duergar sein zu können.

Das Ganze war sehr besorgniserregend. War neben dem Tempel und Urrungfaust noch eine dritte Macht im Spiel die sich bisher bedeckt hielt? Das sollte und durfte nicht sein. Wir mussten die einzige Macht sein und unsere Vorherrschaft durfte von niemanden angefochten werden. Lyrismar nahm magischen Kontakt zu Neire auf. In seinem Geist hielt er eine kurze Zwiesprache mit Neire, der weit weg im Tempel des Jensehers verweilte. Er fragte den Propheten des Tempels des Jensehers um Rat. Neire berichtete, dass dort ein Spitzel ausfindig gemacht wurde. Dieser hatte unseren Weg und unsere Ziele verraten, nämlich, dass wir von Urrungfaust aufbrachen. Wer dieser Spitzel war und von wem er bezahlt wurde wusste er noch nicht. Die Folterungen brachten jedoch eine Spur, die nach Fürstenbad führte. Barghs Gesicht wurde grimmig als Lyrismar die Worte die er hörte wiederholte. Was wollten sie hier und was hatten sie mit uns zu tun? Wollten sie an Bargh Rache nehmen? Oder war es nur reiner Zufall? Ich rätselte über die Gründe, als Bargh ein weiteres Mal rief und auf das dampfende und stinkende Wasser des Sees deutete. Jetzt sah ich, was er meinte. Irgendetwas machte eine Spur von Wellen im Wasser, und diese Wellen kamen auf uns zu. Wir zogen unsere Waffen und sprachen unsere Gebete zum Lob von Jiarlirae. Dann brach wie aus dem Nichts die Kreatur hervor, die sich im Tiefflug unsichtbar über das Wasser bewegt hatte.

Ein gewaltiger Schatten der die Lichter der Dunkelfeuer von Urrungfaust schluckte legte sich über uns. Eine Kreatur mit riesigen Schwingen und schuppigen Körper. Hier und da blitzten die Schuppen wie Kupfer auf, doch an vielen Stellen sahen sie aus, als ob das Kupfer vom Grünspan zerfressen wurde. Die Augen der Kreatur brannten in grünem und rötlichem Licht. Der gewaltige Schädel warf sich nach hinten. Doch der Schwanz der Kreatur war kürzer als man es eigentlich erwartet hätte. Ab der Mitte schien es, als ob der Rest weggebrannt wurde. Schwarze vernarbte Schuppen waren das Einzige, was übriggeblieben war. Die Kreatur trug auf ihrem Rücken ein Geschirr mit mehreren Sätteln wovon einer besetzt war, von einer Frau mit langen silbernen Haaren und einer Haut die so hell war wie kaltes Mondlicht. Als ich den Schwanz sah, erinnerte ich mich in einem Buch von so einer Kreatur gelesen zu haben. Dies musste der alte kupferne Drache der Wildweberberge sein, Lysseryth’Branthil. Die Berge, in denen er in den Geschichten lebte, waren ganz in der Nähe von Fürstenbad. Auch wurde von einem Kampf zwischen Lysseryth‘Branthil und einem anderen Drachen mit roten Schuppen erzählt, bei dem der kupferne Wurm als Verlierer hervorging und dabei einen Teil seines Schwanzes einbüßen musste. Der Schädel stieß zu uns herab und aus den Tiefen des Rachens spie er eine grüne Flüssigkeit auf uns alle. Schon als der erste Tropfen meine Haut berührte, brannte es fürchterlich und dann kam der Rest der Flüssigkeit auf mich. Ich musste aufschreien als sich meine Haut begann aufzulösen. Den anderen ging es nicht besser. Und dabei hatten wir noch Glück denn wir konnten alle noch ein Stück zur Seite springen. Auf der Brücke nach Urrungfaust tauchten weitere Gestalten auf. Ganz vorne schritt ein Krieger in einem Feldharnisch aus einem matten Stahl, auf dem Runen und das große Bild eines Adlers prangerten. Unter dem Helm quollen lange blonde Haare hervor und er trug einen purpurnen Mantel über seine Rüstungen. Dieser wehte durch die Schwingen des Drachen zur Seite und ich konnte darauf das widerliche Symbol von Torm sehen. Hinter ihm folgte ein Trupp von Rittern und weiteren Soldaten, die schon ihre Bögen spannten. Der Ritter des Torm stellte sich uns entgegen und brüllte über die Brücke: „Meister Halbohr, ihr werdet bezahlen für eure Taten. Stellt euch ehrenhaft im Kampf und sterbt!“ Ich rappelte mich auf. Sie sollten die wahre Macht Jiarliraes zu spüren bekommen. Ich beschwor einen gleißenden Blitz und schleuderte ihn auf die Drachenkreatur. Doch er fuhr einfach an den Schuppen entlang, ohne dass die Kreatur etwas davon zu bemerken schien. Stattdessen jedoch fuhren die Energien auf die Frau im Sattel die gerade schon begonnen hatte Zauberformeln zu rezitieren. Sie schrie auf, als auch ihre Haut aufplatze und ihr Fleisch begann zu kochen.

Zur gleichen Zeit stürmte Bargh den Rittern entgegen. Das Wappen von Fürstenbad setzte ihn in Rage. Die Schatten von Glimringshert tropften aus der Klinge. Der Ritter erhob sein Schild und Barghs Schwert krachte scheppernd dagegen. Er wollte den Angriff mit seinem Hammer erwidern doch auch Bargh wehrte den Angriff mit seinem Schild ab. Ich hörte das Klingen von Stahl auf Stahl, das für eine Weile tobte. Dann war da ein fürchterlicher Schrei. Glimringshert zog einen Flammenschweif hinter sich und der vor Hitze glühende Stahl fuhr durch das Bein des fremden Ritters. Sauber schnitt Bargh durch Muskeln und Knochen, als ob sie nur aus Luft bestünden. Der stolze Ritter fiel zur Seite, als Bargh sein Bein an der Hüfte abhackte. Dennoch feuerte er unter Schmerzen seine Kameraden weiter an. Die Soldaten in den letzten Reihen entließen ihre gespannten Bögen und ein Pfeilhagel legte sich über uns, während die anderen Ritter an Bargh vorbei stürmten. Sie wollten Halbohr um jeden Preis. Lyrismar beschwor mit seinem Stecken weiter Blitze, aber auch dieses Mal fuhren sie einfach der Schuppen des kupfernen Wurmes entlang in den Körper der Frau hinein. Sie schrie kurz auf, dann fiel der tote Körper mit einem dumpfen Knacken auf die steinerne Brücke. Ihr schöner elfischer Schädel hatte sich geöffnet und etwas Rotes hatte sich dort verteilt. Ich freute mich, als ich sie stürzen sah und musste trotz meiner Schmerzen auflachen, als sie dort am Boden lag. Wie sich nachher herausstellte, hatten wir die alte elfische Hexe der Wildweberberge getötet, die elfische Königin Learwy’thi’Silgur. Die Ritter trafen jetzt auf uns, aber ich und Halbohr erwarteten sie schon. Mein dem Chaos geweihter Säbel blitze nach vorne, viel zu schnell, als dass der Ritter ebenfalls sein Schild erheben konnte. Auch der Dolch von Halbohr fand sein Ziel und stach in den Hals eines anderen Ritters. Bargh war ihnen in der Zwischenzeit gefolgt und griff sie von hinten an, doch als ob seine Wut auf Fürstenbad ihn übermannt hätte stolperte er. Glimringshert dürstete es nach Blut und es war der Klinge egal wessen Blut es werden sollte. So senkte sich der Stahl in Barghs eigenes Bein. Es sah so aus als ob der Kampf nicht gut enden würde für uns, doch dann kam der Prophet von Flamme und Düsternis zu uns.

Wie ein Engel aus Schatten erschien er in der Luft über der Brücke. Sein Gesicht war noch eingehüllt in seinen Mantel, doch konnte ich die blonden Locken erkennen. Aus seiner Hand schossen mehrere glitzernde Geschosse aus Schatten in den Kopf des Drachen die nicht mehr einfach abflossen, sondern an den Schuppen aufplatzten. Die Kreatur brüllte als sich dunkles Blut über die Brücke ergoss und ein riesiges Stück Kupfern-besetztes Fleisch aus ihrem Körper gerissen wurde. Ein Diener des Torm rief die anderen zum Sturm, während er selbst eine Säule der Flammen auf uns warf. Doch Glimringshert konnten die Flammen nicht schaden. Das Schwert saugte sie in sich auf und brach die Macht des schwachen Gottes. Der Anführer der Ritter, ein Krieger mit Namen Sigwolv von Ulminrun, wie wir später erfahren sollten, hauchte seine letzten Atemzüge, während das Blut in Strömen aus dem Beinstumpf floss. Mit einem röchelnden Schrei rief er: „Verzagt nicht, meine Brüder. Tötet sie!“ Dann verdrehten sich seine Augen und er starb in der Gewissheit versagt zu haben. Neire hatte die Wendung gebracht und das ist ihm bewusst geworden. Der Drache war schon in einer Taumelbewegung als weitere Geschosse von Neire in den Körper trafen. Eine gewaltige Wunde platzte dabei auf und die Kreatur rammte mit einem kolossalen Getöse in den Stein der Brücke. Lyrismar beschwor eine Feuersbrunst die sich mit einem Bersten über die restlichen Soldaten legte. Ich sah Teile von Körpern durch den Druck einfach wegfliegen, als ob jemand einen kleinen Zweig aus einem Ast reißen würde. Auch Bargh war wieder auf den Beinen, seine Wunde war zum Glück nicht so tief. Von hinten schnitt das Schwert den Rücken eines Ritters auf und von vorne teilte ich die Kehle eines anderen. Einer nach dem anderen fiel. Doch waren sie verblendet und sahen nicht wie hoffnungslos ihr Kampf geworden war. Der letzte Anhänger des Torms lag in einer Lache seines Blutes. Zitternd versuchte er noch zu sprechen, als ob das, was er sagen würde noch irgendeinen Wert hätte: „Seht was ihr angerichtet habt. Ihr seid mit Dämonen im Bunde…“.

Ich lachte ihn aus, denn ich wusste, dass er log. Nein, wir waren im Bunde mit der Schwertherrscherin Jiarlirae, der Herrin über Feuer und Schatten. Wir hatten Nebelgard, den Tempel des Jensehers, Unterirrling und Urrungfaust erobert, doch ich wollte mehr. Bald schon, sehr bald würde auch Fürstenbad mit meiner Herrin im Bunde sein, oder es würde brennend untergehen.