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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Rollenspieltheorien => Thema gestartet von: Lord Verminaard am 8.09.2004 | 16:35

Titel: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 8.09.2004 | 16:35
So, je mehr ich versuche, fürs Examen zu lernen, desto mehr verschwende ich meine Zeit mit Rollenspiel-Fachsimpeleien. Zum Beispiel versuche ich, meine Spielphilosophie genauer zu definieren. Ob der Name immer noch so passend ist, weiß ich nicht, bin für Änderungsvorschläge offen. Auf geht’s:


Atmosphärisches Rollenspiel

Was ist das Ziel beim atmosphärischen Rollenspiel?
Das Ziel ist es, durch die gemeinsame Beschreibung und Darstellung der Spielrealität mit ihren Situationen und Ereignissen etwas besonderes und einzigartiges zu erschaffen, das alle Beteiligten fesselt und begeistert. Dies wird angestrebt durch folgende drei Forderungen:
Unter welchen Grundvoraussetzungen funktioniert atmosphärisches Rollenspiel?
Welchen Beitrag leisten die Spieler zum atmosphärischen Rollenspiel?
Welchen Beitrag leistet der SL zum atmosphärischen Rollenspiel?
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: 1of3 am 8.09.2004 | 16:57
Ich würde noch hinzufügen, dass ein SL nicht glauben soll, alles selbst machen zu müssen, und dass Spieler auf den SL zugehen sollen und fragen, welche Arbeit sie ihm abnehmen können.

Ansonsten klingt das als Grundsatz sehr weise.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Schwules Lesbenpony am 8.09.2004 | 17:50
Persönlich finde ich es sehr schön, dass Du die ganzen 'sozialen' Voraussetzungen für eine 'besonderes' Erleben des Rollenspiels mit reingenommen hast.   :d

Wobei ich gerne eine genauere Erklärung davon hätte, was Du mit "sich 'echt' anfühlen" meinst. Das scheint mir des Pudels Kern zu sein, so dass die folgenden Ausführungen zu Ziel, Spielerbeitrag und Spielleiterrolle nur Ausformulierungen dessen sind.  Also anders gesagt: Ein Rollenspiel ist dann atmosphärisch, wenn sich "Ereignisse und Situationen echt anfühlen".

Oder habe ich Dich völlig missverstanden?
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 8.09.2004 | 18:57
Deswegen finde ich den Begriff "atmosphärisches Rollenspiel" nicht mehr so treffend, weil er den Eindruck erweckt, dass dieser Teil (Dichte der gemeinsamen Vorstellung) der einzig entscheidende sei. Das habe ich auch eine Weile gedacht, doch ich bin inzwischen anderer Meinung. Vielmehr sehe ich, wie ich ja auch geschrieben habe, drei wichtige Faktoren: Plastische Vorstellung von der Spielrealität (wozu auch Plausbilität gehört), Identifikation mit dem Charakter, und das Erleben einer spannenden Geschichte. Die Reihenfolge ist nicht zufällig gewählt, sondern soll schon Prioritäten ausdrücken, aber dennoch versuche ich, alle drei Elemente zu möglichst hoher Deckungsgleichheit zu bringen.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Schwules Lesbenpony am 8.09.2004 | 22:09
Plastische Vorstellung von der Spielrealität (wozu auch Plausbilität gehört)
Es fällt mir schwer, zu verstehen, wo der Unterschied zwischen der plastischen Vorstellung der Realität und dem Empfinden der Realität als 'echt' liegt.
Zitat
Identifikation mit dem Charakter
Auch hier: Was wäre der Unterschied zwischen einer intensiven Identifikation mit dem Charakter und dem Empfinden des Charakters als 'echt'?
Zitat
... das Erleben einer spannenden Geschichte ...
Dito.

Ich stelle diese Fragen nicht, um blöde rumzuporkeln oder um irgendetwas irgendwie zu klassifizieren, sondern weil mir die Unterschiede wirklich nicht klar sind. Auf der anderen Seite - denke ich - ist etwas an Deinem Ansatz dran, und Du bist nicht der einzige, der ihn vertritt. Lassen sich die Unterschiede vielleicht mit konkreten Beispielen veranschaulichen?  ???
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Gast am 9.09.2004 | 08:54
Eine wirklich sehr schöne und vor allem in sich stimmige Zusammenfassung die du da über gutes Rollenspiel gemacht hast und deren Inhalt wohl von keinem bestritten wird (naja, bei einigen Spielern die ich kenne.... sagen wir FAST keinem...).

Einige sind hingegen, wie etwa die angesprochenen Begriffe "echt" und "Realität" subjektiv und besitzen von SL zu SL und von Spieler zu Spieler eine verschwimmende Grenze. Das Problem der Identifikation, des Hintergrunds und der Darstellung von SCs und NSCs wird, zumindest in den Runden in denen ich als Spieler auftrete, meist (viel zu) individuel gelöst, was dann auch im Spiel zu einigen Verwicklungen führt.
Die Vorstellung der (Spiel-)Realität in der Fantasie ist weit davon entfernt als "echte" Realität empfunden zu werden. Das was Caynreth anspricht kann wörtlich so ausgelegt werden (zumindest klingt es so für mich), dass einige Spieler zwischen Spiel und Realität nicht mehr auseinander halten können und in eine "Scheinwelt" eintreten. Das wäre zwar extrem, aber solche Beispiele sind auch bekannt.

Ich werde mir diese kleine und hervorragende Doktorarbeit einmal ausdrucken und ein wenig in der Runde in der ich spiele und in der in welcher ich leite herumreichen. Schaden kann es auf keinem Fall... (naja, bei einigen Spielern die ich kenne...)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Fredi der Elch am 9.09.2004 | 09:32
Eine wirklich sehr schöne und vor allem in sich stimmige Zusammenfassung die du da über gutes Rollenspiel gemacht hast und deren Inhalt wohl von keinem bestritten wird
Von mir schon! ;D Aber das war ja klar, oder?

Mal zu den Schlüssen, die ich aus den Ideen ziehe: was braucht man, um Rollenspiel auf diese Weise zu betreiben?
- Einen Spielleiter mit sehr viel Macht (im Sinne von Force). Ich würde schon fast sagen: Illusionismus. Ergibt sich daraus, dass eine Story wichtig ist, die Spieler aber nicht an die Story denken sollen sondern sich in den Charakter hineinversetzen. Wer muss es also machen? Der SL. Am Besten so, dass es keiner merkt (d.h. die Spielrealität gewahrt bleibt)
- Der SL muss hellsehen können. Er muss den Spielern geben, was sie wollen, die Spieler dürfen es ihm aber nicht direkt sagen... ;) Ok, wahrscheinlich dürfen sie es ihm außerhalb des eigentlichen Spiels sagen, sonst passen die Vorschläge ja nicht zusammen.
- Für den SL: with great power comes vieeeel Arbeit! Auf ihm Lastet die gesamte Verantwortung für das Gelingen,dieSpieler steuern nur etwas Farbe und Feedback bei.
- Das Ziel des "Hineinversetzens" muss sehr oft vernachlässigt werden. Z.B. wenn die SPIELER dem SL Vertrauen entgegebringen müssen, dass die CHARAKTERE niemals hätten oder auf andere SPIELER eingehen müssen.
- Ebenso Inkohärenz hier: "Wenn Spieler das Spiel hingegen taktisch angehen, um sich gegen den SL „abzusichern“, wird atmosphärisches Rollenspiel unmöglich." vs. "Wenn die Spieler erkennen, dass sie jetzt gerade Gefahr laufen, ihren Charakter wirklich zu verlieren". Die Spieler müssen dann nicht taktisch denken, obwohl ihre Charaktere in Gefahrt schweben.
- Aber, eigentlich sind sie ja nicht in Gefahr, denn: "Die Kehrseite ist, dass der SL dieses Engagement dann auch belohnt und den Spielern eine großzügige Chance einräumt, der Gefahr zu entrinnen". Voilà: Illusionismus.

Will sagen: für den beschriebenen Stil braucht man einen sehr starkern, sehr engagierten SL, der sich viel Arbeit macht und Illusionismus sehr gut beherrscht. Die Spieler müssen sich drauf einlassen und sich damit begnügen eine fertige Geschichte durch die Augen ihres Charakters anzusehen, ohne wirklich Einfluss zu haben. Also eigentlich ein Paradebeispiel für Illusionismus. Hinzu kommen noch kleinere "Ecken", in denen dann der SL moderieren muss, weil plötzlich ein Prioriätenwechsel kommt und etwas anderes wichtiger ist als die Spielrealität / Immersion. Problem: das weiß keiner vorher, also muss der SL das in die Hand nehmen.

Insgesamt: nicht so mein Stil. Ich kann aber verstehen, dass man es mögen kann. Und im Ernst: ich habe lange Zeit so gespielt. Und könnte es mit mit einem fähigen SL auch immer noch vorstellen. Nur leiten möchte ich es nicht: Ich habe noch ein anderes Leben. ;)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: 6 am 9.09.2004 | 11:18
Ich rede mal von meinen eigenen Leiterfahrungen:
- Einen Spielleiter mit sehr viel Macht (im Sinne von Force). Ich würde schon fast sagen: Illusionismus. Ergibt sich daraus, dass eine Story wichtig ist, die Spieler aber nicht an die Story denken sollen sondern sich in den Charakter hineinversetzen. Wer muss es also machen? Der SL. Am Besten so, dass es keiner merkt (d.h. die Spielrealität gewahrt bleibt)
Die Charaktere führen aber dabei meistens viele Dialoge in denen die Spieler bewust und unbewust durchblicken lassen, welche Erwartungen sie für den weiteren Verlauf haben. Vielfach kommen dabei jede Menge Vorahnungen, was wohl im Hintergrund gerade passiert. Sehr motivierte Spieler schreiben dann sogar Tagebücher und Hintergrundszenen (ich kenne den absoluten Glücksfall, in dem ein Spieler sogar Zeitungsartikel schreibt.  :D).
Als SL musst Du dann "nur" noch genau zuhören und diese Infos einfach auf dich wirken lassen.
Du betreibst quasi Playerempowerment.
Dazu benötigst Du natürlich motivierte und aktive Spieler. Mit RP-Konsumenten hast Du dann natürlich wesentlich mehr selber zu machen...
Zitat
- Der SL muss hellsehen können. Er muss den Spielern geben, was sie wollen, die Spieler dürfen es ihm aber nicht direkt sagen... ;) Ok, wahrscheinlich dürfen sie es ihm außerhalb des eigentlichen Spiels sagen, sonst passen die Vorschläge ja nicht zusammen.
Hellsehen muss er bei motivierten Spieler nicht. Nur einfach zuhören und -lesen. :)
Zitat
- Das Ziel des "Hineinversetzens" muss sehr oft vernachlässigt werden. Z.B. wenn die SPIELER dem SL Vertrauen entgegebringen müssen, dass die CHARAKTERE niemals hätten oder auf andere SPIELER eingehen müssen.
Vertrauen dem SL gegenüber ist Grundvoraussetzung. Die Spieler müssen immer das Gefühl haben, dass der SL auf ihrer Seite steht. Immer!
Zitat
- Ebenso Inkohärenz hier: "Wenn Spieler das Spiel hingegen taktisch angehen, um sich gegen den SL „abzusichern“, wird atmosphärisches Rollenspiel unmöglich." vs. "Wenn die Spieler erkennen, dass sie jetzt gerade Gefahr laufen, ihren Charakter wirklich zu verlieren". Die Spieler müssen dann nicht taktisch denken, obwohl ihre Charaktere in Gefahrt schweben.
Sie müssen dann ihren Charakter weiter"spielen". Der wird schon wissen wie er sich in der Situation verhalten muss. Wenn der Charakter taktisch vorgeht, geht das logischerweise in Ordnung.
Zitat
- Aber, eigentlich sind sie ja nicht in Gefahr, denn: "Die Kehrseite ist, dass der SL dieses Engagement dann auch belohnt und den Spielern eine großzügige Chance einräumt, der Gefahr zu entrinnen". Voilà: Illusionismus.
Jepp mit Einschränkung. Du musst als SL den Spieler eine plausible, großzügige Chance einräumen, die der Charakter auch nutzen würde oder Du solltest den Aktion, die die Charaktere dann durchführen eine großzügige Chance geben, dass sie auch gelingen.
Das mit der Gefahr ist ähnlich wie bei Filmen mit Happyend. Du weisst als Zuschauer, dass am Ende die Guten gewinnen. Trotzdem fieberst Du mit dem Hauptcharakter mit. :)
Zitat
Will sagen: für den beschriebenen Stil braucht man einen sehr starkern, sehr engagierten SL, der sich viel Arbeit macht und Illusionismus sehr gut beherrscht. Die Spieler müssen sich drauf einlassen und sich damit begnügen eine fertige Geschichte durch die Augen ihres Charakters anzusehen, ohne wirklich Einfluss zu haben. Also eigentlich ein Paradebeispiel für Illusionismus. Hinzu kommen noch kleinere "Ecken", in denen dann der SL moderieren muss, weil plötzlich ein Prioriätenwechsel kommt und etwas anderes wichtiger ist als die Spielrealität / Immersion. Problem: das weiß keiner vorher, also muss der SL das in die Hand nehmen.
So kann es laufen. So kann ich z.B. nicht leiten, weil mir dann schnell die Ideen ausgehen würde, wenn ich keine Rückmeldungen von den Spielern bekomme. (Das passiert gerade in einer meiner Runden, weshalb ich da überhaupt nicht mit meinen Leitfähigkeiten zufrieden bin. Das aber nur am Rande)
Aber wie ich oben beschrieben habe wird die Arbeit des SL immer einfacher und weniger, je mehr die Spieler bereit sind in Charakter oder off Charakter zu tun. (Da habe ich widerum den Glücksfall einer Runde, bei der ich tonnenweise Inspirationen von den Spielern während der Abenteuer als auch ausserhalb der Abenteuer bekomme. :D)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Gast am 9.09.2004 | 11:25
Ich kann die Meinung von Fredi sehr gut verstehen, allerdings ist gerade diese Sache mit dem Illusionismus (gibts das Wort eigentlich wirklich ^^) etwas engstirnig gesehen. Ein Meister dieser Art wie du ihn siehst Fredi würde seine Spieler, egal wie gut er auch beschreibt, einfach nur durch sein Abenteuer "durchprügeln" und ihre Möglichkeit Einfluß zu üben gegen null einschränken.
Der Stil der im Essay angesprochen wurde gefällt mir sehr gut und ist meinem eigenen als Meister, zumindest nach persönlicher Einschätzung, sehr nahe; und ich hatte nie Pobleme mit den Dingen die du als hinderlich anspricht.

Ein guter Meister muß nicht hellsehen können. Er muß einen deutlichen roten Faden auslegen, mit einem guten Köder, der die Spieler und Charaktere gleichermaßen animiert. Sobald die Charaktere einen geradlinigen Einstieg gemeistert haben, kann jede ihrer Handlungen (gute so wie negative) das gesamte Abenteuer und auch das Ende beeinflussen. Das einzige was man als SL dafür tun muß: ein paar Pläne haben, sich Hintergedanken zurecht legen was die Charaktere wohl tun werden und, das wichtigste, auf die Aktionen der Spieler eingegen.
Dabei rede ich nicht von solchen Beispielen wie dem rechten und dem linken Gang, in denen sich sowieso das gleiche befindet oder die "einzig richtige" Lösung für eine Quest. Man sollte hier also nicht von Illusionismus sprechen... sondern vielmehr von Improvisation; ein Theaterstück, dessen grobe Handlung und Inhalt vom SL vorgegeben sind und bei  denen SC und NSC den Ausgang bestimmen...

Ich kann mich also nur meinem Vorschreiber anschließen, der das ganze noch eine Spur ausführlicher und an seinem eigenen Beispiel dargelegt hat.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: 1of3 am 9.09.2004 | 11:59
Ich hatte sooo große Differenzen zwischen dem Essay und der Beteiligung von Spielern gar nicht gesehen - und tu das eigentlich immer noch nicht.

Illusionismus (gibts das Wort eigentlich wirklich ^^)

Bei Rollenspielern, ja. Guckst du. (http://tanelorn.net/index.php?topic=6541.msg190698#msg190698)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Bad Horse am 9.09.2004 | 13:15
Eigentlich klingt Vermis Essay für mich jetzt nicht nach "Durchprügeln einer Geschichte". Sonst würde bei den Spielern kaum der Eindruck entstehen, daß für die Chars etwas auf dem Spiel steht. Vielleicht beim ersten Mal, aber sicher nicht auf Dauer. Und das würde dem beschriebenen Stil dann ja wohl kaum entsprechen, weil die Spieler ihrem SL dann plötzlich nicht mehr vertrauen.

Tatsächlich sollte der SL beim atmosphärischen Spiel darauf achten, daß seine Plotvorgaben oder -angebote stimmig sind (wie Vermis wohl auch schon erwähnte). Wenn alles zusammenpasst, können die Spieler in jede Richtung tunkeln, in die sie tunkeln wollen, und so den Ausgang des Abenteuers bestimmen, ohne daß der SL ins Schwimmen kommt. Wenn ich die Motive meiner NSCs kenne, weiß ich auch, wie sie auf Situationen reagieren, die ich nicht vorhergesehen habe.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Fredi der Elch am 9.09.2004 | 14:12
Für mich klingt es auch nicht nach "einfach durchprügeln". Der Trick ist ja grade, die Story (um die sich nur der SL kümmert, nicht die Spieler, soviel steht fest) durchzuprügeln, OHNE dass die Spieler merken, dass sie durchgeprügelt wird. Das ist doch die große Kunst des Illusionismus (und alles andere als einfach): die Spieler haben keinen Einfluss auf die Story, meinen aber sie hätten. Und so hört es sich IMO an. Was ja nicht schlecht ist, mi als SL nur zu aufwändig.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 9.09.2004 | 19:03
@ Cay: Mag sein, dass sich das Ganze noch auf einen kleineren gemeinsamen Nenner bringen ließe. Das will ich aber gar nicht, weil es dann zu unscharf wird.

@ Fredi: Ich dachte eigentlich, ich hätte hinreichend deutlich gemacht, dass die Spieler den SL durchaus unterstützen sollen (also Author Stance, kein Hardcore-Immersionalismus). Schade, wenn das nicht ankam. Was ich halt nicht will, ist, dass die Spieler sich mehr mit der Story und dem "großen Ganzen" beschäftigen, als mir ihren eigenen Charakteren. Guckst du hier:

Zitat
Dafür ist es erforderlich, dass jeder Spieler nicht völlig in seinem Charakter aufgeht, sondern gelegentlich auch mal „einen Schritt hinter dem Charakter steht“ und Mitverantwortung für das Spielgeschehen als „großes Ganzes“ übernimmt. Hauptsächlich sollen sich die Spieler jedoch mit ihrem eigenen Charakter beschäftigen.

Du hast aber sicher recht, dass meine Art zu spielen sehr stark mit dem SL steht und fällt. Wie nanntest du es noch bei anderer Gelegenheit - "SL Empowerment"? ;D Wo ich den Eindruck erweckt haben soll, der SL müsse hellsehen können, verstehe ich allerdings nicht ganz, guckst du:

Zitat
Alle Mitspieler, einschließlich des SL, sollten vor dem Spiel ihre persönlichen Vorlieben und Abneigungen beim Rollenspiel zur Sprache bringen (...)
Nach dem Spiel geben die Spieler dem SL Feedback, was ihnen gefallen hat und was nicht, und äußern Wünsche für das nächste Mal. (...)
Der SL berücksichtigt die Wünsche, Vorlieben und Abneigungen der Spieler. Er arbeitet mit diesen, greift die Ideen der Spieler auf und versucht, allen Spielern das zu geben, was ihnen gefällt.

Sicherlich mögen die Forderungen, die ich aufstelle, teilweise inkohärent erscheinen. Das kommt aber immer auf die Spielsituation an. Ich schaffe es die meiste Zeit, sie recht gut in Einklang zu bringen und die Synergie-Effekte zu nutzen. Wenn es mal zu einer Konfliktsituation kommt, ist dann der SL gefragt, um das wieder glatt zu bügeln, da gebe ich dir Recht. Es muss allerdings nicht notgedrungen Illusionismus sein. Ich persönlich manipuliere normalerweise offen. Das muss kein Widerspruch sein, die Spielrealität kann sich trotzdem noch "echt" anfühlen. Entscheidend ist nur, dass alles in sich schlüssig bleibt. Ob die Spieler die lenkende Hand des SL deutlich sehen oder nur erahnen, macht m.E. keinen Unterschied.

Was die Sache mit der "fertigen Story" angeht, weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie du darauf kommst (es sei denn, du wollstest Einfluss auf die Story = Director Stance definieren). Aber ich sollte den gestalterischen Einfluss der Spieler und seine Ausprägungen, von denen Christian und Leonie ja schon ein paar angesprochen haben, wohl noch explizit in den Essay aufnehmen.

@ Christian: Zum Thema Gefahr bin ich ja ein erklärter Verfechter von "sie müssen auch scheitern können". Eine "großzügige Chance" ist nicht gleich einer "Garantie". Sonst kann ich die Spieler ja mit diesem "es steht etwas auf dem Spiel" nicht packen. Sie müssen schon wissen, dass es eng werden kann. Was ich mit "großzügig" meine, ist einfach, dass die Spieler nicht das Gefühl haben sollen, der SL wolle sie mutwillig bis an den Rand des Scheiterns treiben.

@ Alle: Vielleicht sollte ich auch noch mal klarstellen, dass ich diesen Stil nicht für das einzig Wahre halte - nicht einmal für mich selbst. Es ist die Art, wie wir in meiner Hausrunde spielen und mit der ich bisher die schönsten Rollenspielerlebnisse hatte, aber ich bin immer offen für Neues, und etwas Abwechslung hat noch niemandem geschadet. :)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: 6 am 9.09.2004 | 19:12
@Vermi: Ich glaube ich habe da das Selbe gemeint wie Du. Der SL muss den Spielern eine faire Chance geben, dass sie mit ihren Mitteln eine Klärung der Gefahr hinbekommen können. :)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Schwules Lesbenpony am 9.09.2004 | 19:32
@ Cay: Mag sein, dass sich das Ganze noch auf einen kleineren gemeinsamen Nenner bringen ließe. Das will ich aber gar nicht, weil es dann zu unscharf wird.
Auf mich wirkt es eher unscharf, indem Du es so aufteilst, als wenn Du es auf einen gemeinsamen Nenner brächtest. Ist aber wohl 'ne Frage des Stils :)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: flesh am 9.09.2004 | 20:15
Mal zu den Schlüssen, die ich aus den Ideen ziehe: was braucht man, um Rollenspiel auf diese Weise zu betreiben?
- Einen Spielleiter mit sehr viel Macht (im Sinne von Force). Ich würde schon fast sagen: Illusionismus. Ergibt sich daraus, dass eine Story wichtig ist, die Spieler aber nicht an die Story denken sollen sondern sich in den Charakter hineinversetzen. Wer muss es also machen? Der SL. Am Besten so, dass es keiner merkt (d.h. die Spielrealität gewahrt bleibt)

Gerade das möchte ich stark bezweifeln: Wenn es geplant ist, dass es eine Story gibt, so muss diese ja noch nicht vorher festgelegt sein. Daraus, dass es eine Story geben soll, kann man nur folgern, dass die Charaktere ein Problem persönlicher Natur haben, dass nicht trivial gelöst werden kann (z.B. Abwarten, Flucht, direkte körperliche Gewalt). Das heißt, dass dem Spieler unter Umständen die Möglichkeit genommen wird, ein Problem trivial zu lösen oder die Prämisse zu verletzen (DSA: Orks und Dämonen resozialisieren; V:tM: als Vampir unbelastete Beziehung zu einem Mensch führen, Menschlichkeit behalten; CoC: nicht verrückt oder tot werden). Weil aber jedem am Spieltisch diese Einschränkungen (bewusst oder unbewusst) bekannt sind, handelt es sich deshalb nicht um Illusionismus.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 9.09.2004 | 20:19
Ich versuche die Dreiteilung noch mal etwas genauer zu begründen:

1) Die Spielrealität soll sich "echt" anfühlen. Soll heißen: die Umwelt der Charaktere. Je genauer und lebhafter die Vorstellung der Spieler von der Umwelt ihrer Charaktere, desto besser. Sie sollen das Gefühl haben, dass diese Umwelt nicht nur eine Kulisse ist, sondern ein Eigenleben hat. Dass auch in Abwesenheit ihrer Charaktere Dinge geschehen. Dass die Handlungen der Charaktere nicht ohne Konsequenz bleiben. Dass die Dinge, die geschehen, nicht ohne Grund geschehen. (Natürlich kann es neben dem Grund innerhalb der Spielwelt auch noch einen Grund außerhalb der Spielwelt geben, aber der Grund innerhalb der Spielwelt muss immer bedacht werden.)

2) Die Spieler sollen sich mit ihren Charkakteren identifizieren und die Welt durch die Augen ihrer Charaktere sehen. Heißt: Sie sollen sich also die unter 1) geschilderte Vorstellung nicht aus der Perspektive eines Zuschauers machen (wie es etwa bei einem cinematischen Rollenspiel oft ist), sondern aus der Perspektive ihres Charakters. Dazu gehört zunächst einmal, dass sie den Gemütszustand, das Wissen, die Weltsicht ihres Charakters berücksichtigen, anhand dessen die Umstände um sich herum bewerten und überlegen, welche Optionen für die Reaktion ihres Charakters stimmig wären. Dazu gehört aber mehr. Sich indentifizieren heißt auch Sympathie. Es ist wichtig, dass die Spieler ihren Charaktere mögen, ihn verstehen, dass es ihnen leicht fällt, sich vorzustellen, sie wären der Charakter.

(Diese beiden Punkte reiten auf derselben Schiene, das stimmt, aber es sind doch unterschiedliche Ebenen - Setting und Charakter -, die schon auch miteinander konkurrieren, weshalb ich es gut finde, sie als unterschiedlich wahrzunehmen und jedem ein gebührendes Maß an Aufmerksamkeit zu widmen. Da es durchaus denkbar ist, dass eine Divergenz zwischen etabliertem Setting und etabliertem Charakter entsteht, will ich außerdem eine Priorität setzen, welcher von beiden Aspekten sich im Zweifel durchsetzt, und die wird eben auf das Setting gelegt.)

3) Die Ereignisse sollen sich zu einer spannenden und interessanten Geschichte zusammenfügen. Heißt: Setting und Charaktere sind interessant, aber um wirklich das Beste aus ihnen heraus zu kitzeln, braucht man Konflikt, braucht man dynamische Entwicklungen, braucht man Spannung, Höhepunkte, Auflösungen. Dieser Aspekt tritt zu den beiden vorgenannten hinzu und kann sie regelrecht potenzieren, kann aber auch in Konflikt mit ihnen geraten (wenn z.B. in einer bestimmten Situation nur entweder die Glaubwürdigkeit des Settings bzw. eines Charakters, oder der Spannungsbogen aufrecht erhalten werden können). Deshalb halte ich es bei diesem letzten Punkt für unerlässlich, ihn gegenüber den anderen beiden hervorzuheben. Auch, weil ich klarstellen möchte, dass er sich im Kollisionsfall unterordnet.

Hm, ich glaube, ich muss den Essay noch mal von Grund auf überarbeiten. Er wird dann wohl etwas länger werden. ::)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 9.09.2004 | 20:26
Ein Zitat von Fredi möchte ich noch mal gesondert aufnehmen, weil es mir eben durch die Lappen gegangen ist:

Zitat
Das Ziel des "Hineinversetzens" muss sehr oft vernachlässigt werden. Z.B. wenn die SPIELER dem SL Vertrauen entgegebringen müssen, dass die CHARAKTERE niemals hätten oder auf andere SPIELER eingehen müssen.

DAS sollen die Spieler nicht. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn Spieler dort misstrauisch und widerstrebend sind, wo ihre Charaktere eigentlich gar keinen erkennbaren Grund dazu haben, weil die Spieler ahnen, dass der SL die Charaktere gleich in Schwierigkeiten bringen wird. DANN taktieren sie (als Spieler) und "sichern sich gegen den SL ab". DADURCH wird atmosphärisches Rollenspiel umöglich. Dass hingegen die Charaktere, wenn die Spielsituation es erfordert, taktisch vorgehen können, ist selbstverständlich.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Minne am 16.09.2004 | 21:40
Ich finde den Essay gut, weil er so ziemlich meine Idealvorstellung von Rollenspiel wiedergibt. (jaja... ideale ::) )
Ich finde auch Christian Preuss kommentare gut;
Zu sagen, dass bei dieser art des spielens pauschel der meister überproportional beansprucht wird, und dass die spieler keinen einfluss auf die stroy hätten halte auch ich für falsch... die Spieler haben bei dieser art des spiels große verantwortung und müssen initiaitve zeigen, das spiel vorwärts treiben. Zumindest einige müssten das tun.
Ich habe bis vor kurzem noch eine vampire chronik mit ähnlichen grundsätzen gespielt, und sie funktionierte so lange gut, wie ein spieler mit eigenen vorstellungen und initiative da war.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Ein am 23.09.2004 | 12:14
So finde ich das Essay ziemlich gut, schöner Beitrag. Hält den Kern sehr gut fest!

Allerdings finde ich diese Passage:
Zitat
Am besten ist eine fröhliche und gelöste Grundstimmung. Diese kann durch [...] den Genuss von etwas Alkohol gefördert werden.
allgemein, wie auch im besonderen unter dem Blickwinkel von Verantwortung gegenüber Minderjährigen, etwas problematisch.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 23.09.2004 | 14:49
Ich darf ja nicht zu politisch korrekt werden, sonst geht mein ganzes Image flöten. 8) Ich hoffe aber, dein Einwand bezieht sich nur auf den zweiten Teil der Aussage? :)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Ein am 23.09.2004 | 15:01
Nee, auf den ersten, ich hasse gutgelaunte Spieler. ;)
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Wolf Sturmklinge am 13.12.2004 | 15:22
Vielen Dank für diesen Text @Lord Verminaard.
Titel: Re: Atmosphärisches Rollenspiel, nächster Versuch (Essay)
Beitrag von: Lord Verminaard am 13.12.2004 | 17:32
Gern geschehen. :D