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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: carthinius am 30.07.2009 | 17:34

Titel: Vade Retro?
Beitrag von: carthinius am 30.07.2009 | 17:34
Mich erstaunt zur Zeit die anscheinende Vorliebe für Retro-Rollenspiele. Vor allem die "Neu"-Auflagen alter Rollenspiele und die im D&D-Channel gerade ausführlichst präsentierte Menge an D&D-Retro-Systemen bringt mich verstärkt zur Frage: Warum?

Sicher, die "neu" erscheinenden Versionen alter Spiele sind an die Nostalgiker gerichtet - man kann wohl kaum davon ausgehen, mit simplen Neudrucken tatsächlich neue Kunden zu gewinnen.
Aber kann man damit auch die D&D-Retro-Spiele begründen? Ist das nur ein Ausdruck der Abneigung gegen die neueste Edition? Will man die Gute Alte ZeitTM beschwören? Will man simple Regeln und findet sie aktuell nicht?
Und was sich mir zudem noch aufdrängt: Sind nicht letztlich alle diese Spiele übelste Heartbreaker, die gar nicht innovativ sein wollen? Beißt sich das nicht mit dem Versuch, damit auf dem Markt zu bestehen? Schließlich werden sie ja (teilweise) sogar verkauft! Und sind nicht gerade die Unterschiede bei diesen "Klonen" so gering, dass man sich ernsthaft fragen muss, warum da jeder sein eigenes Süppchen kocht?

Natürlich lässt sich das auch auf z.B. den DSA-Reprint beziehen - der sich ebenfalls die Frage gefallen lassen muss: Wäre ein ordentlich gemachtes DSA-light in vernünftiger Aufmachung nicht vielleicht sinnvoller gewesen, als lediglich die Nostalgieschiene zu fahren und den altgekannten Kunden-/Fankreis abzugrasen?
Und warum werden nur Systeme geretrot, aber keine Settings?

Viele Fragen, ich hoffe, ihr könnt mir bei den Antworten helfen!  :)
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Der Oger (Im Exil) am 30.07.2009 | 17:52
Ein Grund, so denke ich, ist das 4E viele Kunden abgeschreckt hat (darunter auch mich). Samt OGL war dadurch der Boden für eine Zersplitterung des Marktes geboren.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Sashael am 30.07.2009 | 18:02
Ein Grund, so denke ich, ist das 4E viele Kunden abgeschreckt hat (darunter auch mich).
Aber warum dann Retro? Hätten die ganzen Abgeschreckten nicht einfach weiter 3.x spielen können? Oder ein anderes neues (und möglicherweise) innovatives System suchen und finden können? Warum der Weg zurück?
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 18:07
Weil der Regelkern dieser Spiele einfach erheblich kleiner ist und der SL und seine Spieler keinen Computer brauchen um einen Char zu machen.

Gleichzeitig hat der SL mehr Möglichkeiten zu improvisieren und das Spiel auf seine Gruppe zu zu schneiden.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Chiungalla am 30.07.2009 | 18:23
Oft gehen, wenn man Jahrzehnte lang das gleiche zockt (oft auch noch mti den gleichen Mitspielern), System und persönlicher Spielstil eine Symbiose ein. So wie sich das System via Hausregeln dem Spielstil anpasst, passt sich auch der Spielstil dem System an.

Ich kenne einige D&D 1 Veteranen deren Spielstil in der Form mit AD&D oder D&D 3+ keinen Sinn ergeben würde.
Gleiches gilt für einige DSA Veteranen.

Ob die neuen Systeme jetzt wirklich besser sind, darüber kann man natürlich streiten.
Aber auf jeden Fall sind sie anders, oft sogar sehr, und daher halt für Spieler die (glauben) das Optimum schon gefunden (zu) haben, völlig uninteressant.

Und da ist halt ein Reprint ganz interessant, wenn nach Jahrzehnten der Benutzung die Rollenspielbücher schon ne Menge Eselsohren, Getränkeflecken, fettige Fingerabdrücke u.s.w. haben.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Sashael am 30.07.2009 | 18:38
Auch wenn mir die Argumente einleuchten, sehe ich nicht so den Zusammenhang mit der derzeitigen (scheinbaren?) Retrowelle.

Es gibt ja genügend Systeme auf dem Markt, also warum zurück zum Urgestein?

Wenn es nur um einen kleinen Regelkern geht, dann kann man theoretisch auch TWERPS spielen.
Und dass so viele jubeln, wenn Uralt-Games wieder aufgelegt werden, kann ich mir auch schwerlich dadurch erklären, dass alle Jubler die ganze Zeit über und schon immer dieses System gezockt haben und mittlerweile ihre Bücher auseinanderfallen.

Könnte ja mal ein Retro-Fan was dazu sagen, der jetzt lieber wieder DSA1 oder oD&D spielt.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 30.07.2009 | 18:49
Dieser Beitrag (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=316334&postcount=95) dürfte dazu ERHELLEND sein.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 19:07
Tja früher war alles besser.

Das denken sich auch viele, die auf neue Systeme gewechselt haben und damit nie wirklich zufrieden waren. Sie kaufen sich jetzt die alten Spiele auf dem RSP Sektor, hören wieder die Platten von damals und haben Spaß beim Spielen.

Wenn man weiß, das man mit einem schlanken Regelkern und den Spielen Spaß haben kann, warum sollte man auf etwas neues wie TWERPS wechseln? Das Alte ist bekannt, man muss sich nicht erst lange in ein neues System eingewöhnen und alles klappt wieder. Heute arbeiten die meisten Leute viel und dann wollen sie sich halt nicht in neue Systeme eingewöhnen.

Das ist wie mit mir und meinem alten Auto, dem ich immer nachtrauer, obwohl mein neuer Wagen sparsamer, vieeeeeeel sicherer und komfortabler ist.

Eine Mischung aus Nostalgie und Unvernunft.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Arkam am 30.07.2009 | 19:09
Hallo zusammen,

für mich machen klare Regeln die man dann selbst erweitern kann den Reiz von einigen Altsystemen wie DSA 1 aus.
Was das wirkliche Spielen angeht müssen sich solche Altsysteme aber inzwischen mit "moderneren" Regeln wie Savage Worlds und einigen Eigenbauten messen.
Bei einigen anderen, etwa Traveller, hat man jetzt brauchbare Regeln für einen Hintergrund den ich immer geschätzt habe.

Dazu kommt natürlich ein gewisser Sammeltrieb. Denn DSA 1 kam ja etwa in einer limitierten Fassung heraus.

Gruß Jochen
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 30.07.2009 | 19:11
Tja früher war alles besser.
...
Eine Mischung aus Nostalgie und Unvernunft.
Den Link oben hast Du nicht verfolgt?

Früher war alles ANDERS. - Mit dem Zerreden der Retro-Wellen-Thematik hat die Rollenspiel-Foren-Landschaft ein neues Karussell entdeckt, das hier auch gerade wieder schön Fahrt aufnimmt.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 19:30
Doch den Link habe ich verfolgt, aber ich sehe das trotz der sehr guten Begründungen und Ansichten halt anders.

Ich habe letztes Jahr eine längere AD&D Kampagne gespielt und trotz allem Spaß gesehen, warum wir damals von diesem System weg sind. Ich kann mit den richtigen Leuten auch viel Spaß bei Retro Spielen haben Mazes&Minotaures will ich eventuell auf dem Odysee anbieten.

Doch ich kann nur sagen, das die Gründe die ich aufgezählt habe für mich und einige Leute aus meinem Bekanntenkreis gelten. Andere Leute haben höchstwahrscheinlich ganz andere Gründe, warum sie die ganzen Retro Spiele gut finden und auch spielen wollen.

Der Mann ohne Zähne hat auf seinem Blog (http://storyentertainment.wordpress.com/) dazu ein paar sehr schöne Gedanken geäußert.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Sashael am 30.07.2009 | 19:34
Dieser Beitrag (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=316334&postcount=95) dürfte dazu ERHELLEND sein.
Leider nicht wirklich.

Wenn man weiß, das man mit einem schlanken Regelkern und den Spielen Spaß haben kann, warum sollte man auf etwas neues wie TWERPS wechseln?
Öhm ... TWERPS kennst du aber, oder? ;)
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 19:42
Ja, aber ein schlanker Regelkern bedeutet nicht, dass dieser geradezu minimalistisch sein muss.
(Ich suche übrigens immer noch nach einer Deutschen Ausgabe davon.)

Es soll eben wie früher sein, mit starken SL, den bekannten Attributen und dem ganzen gewohnten Kram. Denn selbst wenn TWERPS sehr sehr schlank ist, bleibt das Spielen eines Systemes das man schon kennt bequemer.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 30.07.2009 | 19:53
Was hat "schlanker Regelkern" denn mit Retro zu tun?

Klar gab es damals Rollenspiele, die nicht gerade umfangreiche Regeln hatten. Aber es gab auch Traveller und AD&D 1st Ed. die ich als alles, nur nicht als "schlank" bei den Regeln bezeichnen würde.

Vor allem: Es wurden oft Rollenspiele veröffentlicht, bei denen der Hauptinhalt des jeweiligen Buches das REGELSYSTEM betraf. Midgard 1 sind anderthalb Seiten Settingideen und ALLE BEIDE BÄNDE Regelteil und Kreaturenliste. - Gammaworld 1st Ed. hat auf 60 Seiten zwei Seiten Settinginformation, der Rest Regeln und Kreaturen und Ausrüstung (die zwar auch Settinginformationen enthalten können - aber eben nur elementar, d.h. ohne Verknüpfungen zu einem Setting). - Traveller bietet einem ein paar einfache Formeln und Regeln, um ein ganzes Universum SELBST zu bauen. In den Büchern ist der Schwerpunkt EINDEUTIG auf den Regeln.

Und hier kann man natürlich spitzfindig einen Regel"kern" identifizieren, der sich "schlank" anhört. Doch sollte man sich hier vorsehen: NICHT das grundsätzliche Würfelsystem ist der Regelkern, sondern eben die Regeln, auf die sich das System ohne Sonderfälle, ohne Spezialfälle, ohne Ausnahmefälle stützen soll. - Und der ist z.B. bei Traveller ziemlich umfangreich, weil dazu auch die Sektoren/Subsektoren-Erschaffung, die Begegnungstabellenerzeugung, die Raumschiffkonstruktion, usw. dazugehören.

Man kann vielleicht unterscheiden in die Regeln, die WÄHREND der Spielsitzung zur Anwendung kommen, und die, welche der Spielleiter ZWISCHEN den Sitzungen beachtet, um regelgerecht seine Kampagne auszubauen. - Ich sehe diese Regeln ZUSAMMEN als Regelkern an, da sie das Spielen maßgeblich regeln. (Rollenspiel findet nämlich nicht nur innerhalb der Spielsitzung statt - das ist etwas, was solche Spiele wie Traveller klar zeigen.)

Ein schlanker Regelkern ist für mich KEIN definierendes Merkmal eines Retro-Spiels.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 20:04
Also ich habe D&D1st nur mit dem Basis und Experten Regeln gespielt und in den Werken war eine ganze Menge an Kram enthalten, der dem SL hilft und nicht dem Regelkern zu zu ordnen ist.

Traveller punktet mit anderen Sachen, wie tollen Tabellen.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: 6 am 30.07.2009 | 20:11
D&D1 hatte auch jede Menge Tabellen. Schau Dir mal die Tabellen für die magischen Gegenstände und die verschiedenen Begegnungstabellen samt den Regeln ihrer Anwendung an.
Die Encyklopädie besteht nicht umsonst aus 413 Seiten, von denen der Großteil Regeln sind.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 30.07.2009 | 20:18
Hm, ich habe das D&D1 auch ohne die Encyklopädie über Jahre mit viel Spaß gespielt (was nicht bedeutet, das man mit ihr keinen Spaß haben kann), außerdem sind auch in den Grundregelwerken von D&D1 tolle Tabellen drinne. Aber Tabellen sind für mich Hilfsmittel und nicht Regelkern. Außedem habe ich mit DSA1 auch noch viel Spaß gehabt, was mit den folgenden Regelwerken schnell vorbei war.

Ich brauche und brauchte z.B nie eine Tabelle dafür, wie NSCs den Charakteren begegnen. Das habe ich immer über das Rollenspiel geregelt.




Trotzdem sind die Tabellen von Traveller besser als die von AD&D1 *wegduckt*
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Timo am 30.07.2009 | 22:58
Ketzer!

Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: killedcat am 31.07.2009 | 07:45
Die derzeit als Retro gehypten Systeme haben tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit den Regeln der roten Box als mit Midgard oder anderen, komplizierteren Systemen. Daher könnte man tatsächlich sagen, dass der Wunsch nach einfachem und geradem Spiel hinter der Retrowelle steckt. Und D&D1 ist imho einfacher als die fast alle modernen Systeme, hier möchte ich Joerg D. durchaus zustimmen.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Vash the stampede am 31.07.2009 | 09:13
Ich beschäftige mich ja gerade etwas intensiver mit den Retro-Spielen. Warum?

Ich bin auf der Suche nach etwas neuem, anderem gewesen. Ich habe früher kein D&D gespielt. Auch kein AD&D oder sonst was davon. Also trifft das Argument, ich will wieder zurück in die "gute", alte Zeit bei mir nicht zu.
Ich spiele auch kein DSA, D&D 3+ oder 4e. Demnach trifft das Argument angewiderte Abwendung neuer Entwicklungen oder entnervt von der Regelvielfalt nicht zu. Ebenso wenig das Argument, ich wäre ein enttäuschter Stimmungsspieler.
Und ich bin auch kein enttäuschter Forge/RSP-Theorie-Spieler. Ich halte PtA, Dread und Polaris für großartige Spiele, die ich immer wieder gerne spiele. Abgesehen davon erachte ich die RSP-Theorie für richtig und wichtig.
So viel vorweg.
 
Ich hatte aber bis vor kurzem ein Desinteresse an RSP und die Retro-Systeme haben das Interesse wieder geweckt. Das liegt daran, dass ich etwas anderes wollte als bisher. Ich wollte etwas neues. Und das bieten die Retro-Spiele für mich. Ich sehe sie auch eher als Trend an und wie immer folgt ein Trend dem anderen. Das DSA bei diesem Trend "mit schwimmt" ist in meinen Augen auch eher Zufall. Die haben ihr 25 jähriges bestehen und veröffentlichen deshalb den alten Kram. Ich wäre dennoch darüber froh, wenn man DSA1 als freies PDF laden könnte (Sammler und Fans werden das Buch kaufen, mich interessiert es zwar, aber mir sind 35 Tacken schlichtweg zu viel. Schade drum.).

Bin ich jetzt ein typischer Vertreter des Retro-Trends? Ich weiß es nicht. Ist mir auch egal. Aber ich vermute mal, wäre ich vor 2-3 Jahren auf der Suche nach etwas Neuem gewesen, wäre ich bei Forge gelandet und hätte da die "tolle", neue Welt gefunden. Ob ich mit dem Retro-Spielen glücklich werde, kann ich genauso wenig sagen, wie all jene die bei der Forge ihr Glück suchten. ;)
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Minne am 31.07.2009 | 12:41
Für mich persönlich, der ich ja jünger bin als die meisten angehenden Greise hier, bedeutet Retro-Rollenspiel DSA3 und DND3 und ich muss sagen, dass ich nicht die geringste Sehnsucht danach verspüre. Rollenspiel war nie öder als wir damals, als wir auf einer DND Sandbox Insel rumliefen oder damals, als wir uns mit den Unzulänglichkeiten von DSA und seinem beknackten "Fantastischen Realismus" rumschlagen mussten. Für schlanke Regelwerke brauche ich kein Retro.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Backalive am 31.07.2009 | 15:28
Dieser Beitrag (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=316334&postcount=95) dürfte dazu ERHELLEND sein.

Ooops. Englisch  :pray:
Ich vergaß...
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Backalive am 31.07.2009 | 15:44
Doch den Link habe ich verfolgt, aber ich sehe das trotz der sehr guten Begründungen und Ansichten halt anders.
...
Der Mann ohne Zähne hat auf seinem Blog (http://storyentertainment.wordpress.com/) dazu ein paar sehr schöne Gedanken geäußert.

Beim Lesen des Blogs zu diesem Thema mußte ich herzhaft lachen.
Nicht nur, daß es teilweise witzig/sarkastisch geschrieben war, traf es doch im Kern genau die tendenzielle Strömung dessen, was nach Ansicht einer selbsternannten Führungsriege gute Rollenspielsysteme ausmacht.
Oder anders herum gesagt: genau wenn das fehlt, ist es eben kein gutes Rollenspielsystem  8]

Offensichtlich scheint es zu dieser Definition 'gutes RPG-System' nun eine Rebellion zu geben.
Schlank, einfach, schnell, trashig, actionreich, 'geh in die Höhle, mach alle Monster platt und raube alle Schätze' ist wieder gefragt. Nicht 'Ey du Dämon, du hast da grade n Dorf mit 200 Menschen niedergemacht, daß zeigt mir, daß du ein tiefsitzendes soziologisches Defizit hast, also laß uns darüber reden'  >;D

Vielleicht ist es aber noch profaner. Nostalgische Wehmutsgefühle wegen die Samelleidenschaft in dem einen oder anderen.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Boba Fett am 31.07.2009 | 15:52
Mich erstaunt zur Zeit die anscheinende Vorliebe für Retro-Rollenspiele.
...
Frage: Warum?

Und warum werden nur Systeme geretrot, aber keine Settings?

Meine These:
Weil nach der ganzen Welle der Rollenspieltheorie, der Indy- und Alternative Rollenspiele - wo Innovation auf Teufel komm raus hip war, jetzt die Gegenbewegung zurückschwappt, und die Meinung "vorher war auch nicht alles schlecht" übersteigert Wirkung erlangt.
Deswegen werden auch Systeme statt Settings im Retrolook reanimiert oder kreiert.
Denn der Bewegung davor war auch nur auf "system" und nicht "setting" orientiert - ergo ist die Gegenbewegung auch so gepolt.

Wenn man ehrlich ist, dann wird man aber schnell erkennen, dass diese Retro-Sache auch nur das Anstreichen von modernen Dingen in alten Farben ist - so wie der Beetle auch kein Käfer ist (zum Glück!)

Denn eins sollte klar sein: Die ganzen Unzulänglichkeiten von damals will heute keiner mehr, egal, wie sehr alle nach Retro krakeelen - Neue Spiele im Retro-Look beinhalten diese gar nicht erst und bei alten Spielen, die verstaubt vom Dachboden geholt werden kompensiert man diese mit der modernen Erfahrung von heute.
Die Retro-Abenteuer (von heute) sind auch Abenteuer die zwar Retro-Look besitzen, aber von heute sind. Die Abenteuer, die wir selbst mit 15 geschrieben haben würden uns heute die Augen schmelzen lassen. Und die Kaufabenteuer von damals auch. Wer es nicht glaubt, kaufe sich das "Wirtshaus zum Schwarzen Keiler" und "Spinnenwald". Viel Spaß...
Auch die Unzulänglichkeiten der Spieler von damals (also man selbst und seine Kumpels, aber eben pubertierend und hormonbelastet) will keiner mehr - man spielt also mit den Leuten von heute.

Man fährt also Beetle und nicht Käfer und bildet sich ein, dass das Käfer fahren von damals genau so schön und bequem war.
Und warum? Weil der Blick zurück leicht fällt, wenn man die Brille mit Nostalgiefilter trägt.
Früher war sicherlich nicht alles schlecht, aber gut (auch nicht so gut wie heute) war es deswegen noch lange nicht...

Aber das ist ja auch gut so!
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 16:07
Mich erstaunt zur Zeit die anscheinende Vorliebe für Retro-Rollenspiele. Vor allem die "Neu"-Auflagen alter Rollenspiele und die im D&D-Channel gerade ausführlichst präsentierte Menge an D&D-Retro-Systemen bringt mich verstärkt zur Frage: Warum?

Das hat sicherlich viele Gründe... aber lass mich zuerst auf deine Anmerkungen eingehen.

Zitat
Sicher, die "neu" erscheinenden Versionen alter Spiele sind an die Nostalgiker gerichtet - man kann wohl kaum davon ausgehen, mit simplen Neudrucken tatsächlich neue Kunden zu gewinnen.

Das zum Beispiel stimmt so nicht. Nimm mich als Beispiel: Ich habe 1984 zum ersten Mal ein Spiel geleitet (DSA), bevor ich dann Anfang der 90er zuerst auf Amber Diceless, wiederum später auf Theatrix und Everway umgestiegen bin. Wir spielten bis vor anderthalb Jahren komplett würfellos und freiformig. Irgendwann fehlte mir die rohe, ungeschliffene Spannung und die Angst der Spieler um ihre Charaktere ganz gewaltig. Wir hatten so lange thematisch fokussierte Erzählspiele gespielt, dass für uns die erzählte Geschichte ALLES bedeutete, aber alles andere ausgeblendet wurde. Es machte keinen Spaß mehr. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie oft wir aus Rollenspielsitzungen rauskamen, schwer enttäuscht, weil wir keine "ordentliche Geschichte" zusammengebracht hatten.

Dann erfuhr ich von Lab Lord, S&W und anderen Retro-Klonen und lud sie mir herunter. Danach die Little Brown Books, also das original D&D von 1974. Und ich fand Regeln für eine Art des Spielens vor, wie ich sie mir seit langer Zeit gewünscht hatte, Regeln, die Kreativität und gedankliche Freiheit forderten.

Ich bin kein Grognard, aber ich habe meine Liebe zu Old School gefunden. Dahinter steckt weit mehr als Nostalgie; die ist nur eine Randerscheinung. Retro-Spieler nehmen das, was sie als gut empfinden in den alten Regeln und spielen als Erwachsene die Systeme, die damals auch von Erwachsenen geschrieben worden waren.

Zitat
Aber kann man damit auch die D&D-Retro-Spiele begründen? Ist das nur ein Ausdruck der Abneigung gegen die neueste Edition? Will man die Gute Alte ZeitTM beschwören? Will man simple Regeln und findet sie aktuell nicht?

Ein sehr, sehr guter Artikel zu genau diesen Themen ist hier: http://www.knights-n-knaves.com/phpbb/viewtopic.php?t=5969

Zitat
Und was sich mir zudem noch aufdrängt: Sind nicht letztlich alle diese Spiele übelste Heartbreaker, die gar nicht innovativ sein wollen?

Definiere Heartbreaker.
Viele Retro-Spiele, etwa LL, OSRIC oder S&W White Box, ordnen lediglich die Regeln neu und übersichtlicher (und müssen dabei leicht veränderte Zahlen verwenden, weil es sonst Probleme mit der OGL gäbe) -- und machen die alten Systeme dabei neuen Spielern zugänglich.

Was ist innovativ?
Sich neue Regeln ausdenken?
Regeln und Darstellungen entzerren und übersichtlich darstellen?
Es geht bei Retro-Regeln nicht um neue, andersartige Regelmechanismen, sondern um eine verständlichere Neuformulierung der alten Regeln.

Ein Beispiel: Nachdem ich OD&D zum ersten durchgelesen hatte, war ich geplättet. Es ergab keinen Sinn, war stellenweise so wirr formuliert, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was gemeint war. Eine schwer durchdringbare Wüste, mit kruden Illustrationen und kryptischen Anmerkungen. Erst nachdem ich Swords & Wizardry gelesen hatte, erschloss sich OD&D für mich.

Zitat
Beißt sich das nicht mit dem Versuch, damit auf dem Markt zu bestehen? Schließlich werden sie ja (teilweise) sogar verkauft! Und sind nicht gerade die Unterschiede bei diesen "Klonen" so gering, dass man sich ernsthaft fragen muss, warum da jeder sein eigenes Süppchen kocht?

Die Antworten darauf sind so vielfältig wie die Menschen, die diese Spiele schreiben oder spielen. Und die Tatsache, dass sie fast alle kostenlos runterzuladen sind, beweist ja, dass es nicht in erster Linie um Geld geht. Hier nochmal der Verweis auf den wirklich lesenswerten Beitrag zum Thema Old School: http://www.knights-n-knaves.com/phpbb/viewtopic.php?t=5969

Beste Grüße,
Norbert
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 16:11
Die derzeit als Retro gehypten Systeme haben tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit den Regeln der roten Box als mit Midgard oder anderen, komplizierteren Systemen.

Darf ich dich mal schnell an OSRIC erinnern?
D&D 1e-Klon (AD&D) mit mehr als 400 Seiten.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 16:18
Beim Lesen des Blogs zu diesem Thema mußte ich herzhaft lachen.
Nicht nur, daß es teilweise witzig/sarkastisch geschrieben war, traf es doch im Kern genau die tendenzielle Strömung dessen, was nach Ansicht einer selbsternannten Führungsriege gute Rollenspielsysteme ausmacht.

Vielleicht verstehe ich deinen Humor nicht... aber niemand, und vor allem nicht die Retro-Bewegung, definiert den Einen Weg des Echten Rollenspiels. Es ist gerade Mode, uns genau das vorzuwerfen, entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Selbst, wenn auf einem Old School-Forum jemand schreibt, er findet die Entwicklung von D&D nach Einführung von Dragonlance scheiße, treten wieder Dutzende von Schreibern auf den Plan, die ihm vorwerfen, er sei elitär.

Es geht um Meinungen, um Spielvorlieben, um die (Wieder-)Entdeckung der alten Regelnmechanismen, bloß mit dem entscheidenden Unterschied, dass die meisten Spieler eben keine 14-Jährigen mehr sind.

Zitat
Schlank, einfach, schnell, trashig, actionreich, 'geh in die Höhle, mach alle Monster platt und raube alle Schätze' ist wieder gefragt. Nicht 'Ey du Dämon, du hast da grade n Dorf mit 200 Menschen niedergemacht, daß zeigt mir, daß du ein tiefsitzendes soziologisches Defizit hast, also laß uns darüber reden'  >;D

Das eine schließt das andere nicht aus. Überhaupt nicht.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 31.07.2009 | 16:22
Zitat
Nicht nur, daß es teilweise witzig/sarkastisch geschrieben war

Wieso sollte er dadrüber nicht lachen dürfen? Ich dachte immer es währe dein Anliegen, deine Anliegen ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit Witz und Verve zu vertreten?
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 16:24
Ich rede nicht vom Lachen (das ist immer schön), sondern von der Kombination seiner Smileys mit seinen Sätzen. Findet er Retro nun gut? Oder lächerlich? DAS würde mich interessieren...
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: kirilow am 31.07.2009 | 16:43
Lieber MuZ,

danke, dass Du mal ausgeführt hast, wie Du von der Freeformerei zu den Retro-Spielen gekommen bist; das hatte mich die ganze Zeit schon interessiert. Nicht, dass es mich so sehr wundern würde: ich glaube, das ist ein kleinerer Schritt als von ausgefeilten Systemen wie D&D3 o.ä.

Eines aber frage ich mich immer noch. Ich kann mich entsinnen, dass Du einmal Deine Begeisterung für sehr immersives bzw. -- wie Vermi es nennt -- intensives Spiel geschildert hast. Du meintest da, dass Dir dieser Aspekt -- mit Tränen, Schweiß und Aufregung -- mit das wichtigste im Spiel sei und Deine Sessions auch oftmals diese Ansprüche erfüllen.

1. Ist Dir dieser Aspekt nicht mehr wichtig, oder
2. erreichst Du ihn inzwischen besser im fröhlichen Retro-Sandkasten?

Grüße
kirilow

EDIT: Link gefunden, damit Ihr  wisst, wovon ich rede:
http://blog.wildelande.de/index.php?/archives/51-Intensitaet.html#comments
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Skyrock am 31.07.2009 | 16:52
Neben den eigentlichen Klonen sollte man auch die Retrospiele nicht vergessen, die von grundauf neu geschrieben sind und dabei zum Teil auch modernere Patterns einsetzen, aber dennoch nach einem Retrospielgefühl und -qualitäten streben.

Beispiele dafür sind Mazes&Minotaurs, Forward... to Adventure! und Encounter Critical.
Grenzfälle sind Spiele wie Mutant Future, Hackmaster und Mongoose-Traveller, die stark auf bestehenden Regelkernen aufbauen und trotzdem ihr eigenes Ding daraus machen.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 23:10
Eines aber frage ich mich immer noch. Ich kann mich entsinnen, dass Du einmal Deine Begeisterung für sehr immersives bzw. -- wie Vermi es nennt -- intensives Spiel geschildert hast. Du meintest da, dass Dir dieser Aspekt -- mit Tränen, Schweiß und Aufregung -- mit das wichtigste im Spiel sei und Deine Sessions auch oftmals diese Ansprüche erfüllen.

1. Ist Dir dieser Aspekt nicht mehr wichtig, oder
2. erreichst Du ihn inzwischen besser im fröhlichen Retro-Sandkasten?

Für mich als SL macht es keinen Unterschied... bis auf den, dass ich jetzt die Gestaltungskraft der Würfel akzeptiere (früher war's die große Norbert-Show, und ich be- oder missachtete Würfelergebnisse oder gezogene Karten nach Belieben... "im Sinne des Plots", sagte ich immer).

Nun bestimmen die Würfel und nicht mein Gutdünken, welche Aktionen erfolgreich sind oder eben nicht. Ich kann weiterhin schauspielern, hoffen und fiebern. Immersion ist nach wie vor wichtig für uns, aber mit der Abkehr vom thematischen/erzählerischen Spiel müssen wir die Spielweltebene nicht mehr verlassen, um abzuklären, wohin wir die Geschichte entwickeln wollen -- weil die Geschichte, wie im echten Leben, erst in der Zurückschau entsteht. In diesem Sinne hilft Retro sogar bei der Immersion, weil das Spiel metaebenenfreier abläuft.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Joerg.D am 31.07.2009 | 23:30
Die Würfel dienen zusammen mit der Inspiration des SL der Simulation der Spielwelt.

Willkommen in meiner Welt Norbert.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 31.07.2009 | 23:34
 ;D
 (http://www.smilies.4-user.de/ablage/53/9.png)
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 1.08.2009 | 00:14
Das von MoZ Beschriebene ist doch völlig NORMALES ROLLENSPIEL.

Ich verstehe garnicht, wieso das jetzt als ach so was Neues bejubelt wird.

Und dazu braucht man nicht mal "Retro"-Rollenspielprodukte, das geht auch mit Nicht-Retro-Regelsystemen wunderbar.

Was habe ich nicht mitbekommen, daß ich hier den Grund zum Jubeln und Korkenknallenlassen nicht erkenne?
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Mann ohne Zähne am 1.08.2009 | 00:19
Das von MoZ Beschriebene ist doch völlig NORMALES ROLLENSPIEL.

Hehehe. Sagst du. Hättest du das vor zwei Jahren gesagt, hätte ich den Kopf geschüttelt...
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Falcon am 1.08.2009 | 00:54
naja, wer weiss welche Sau durchs Dorf getrieben wird, wenn Forge erstmal Retro ist.

Boba hat imho (mal wieder) den besten Post zum Thema gebracht. Im Grunde ist es nur eine Aufbereitung einer nicht mehr so verbreiteten Spielweise, ohne die ganzen Schwachstellen und Kinderkrankheiten (kenne wenig Poster und Blogger, die so naiv sind, zu behaupten die Erstversionen der meisten Rollenspiele waren schon so perfekt wie es geht).
An den Regeln allein kann es nicht liegen, denn das wird durch Spiele wie Liquid, MicroliteD20 usw. ja schon lange quasi bedient.
Dahinter steckt natürlich auch die Erkenntnis, daß man es mit den Neuansätzen (Forge etc.pp.) auch nicht viel weiter gebracht hat. Jetzt heisst es sozusagen: Zurück ans Reißbrett
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Vash the stampede am 1.08.2009 | 11:41
Normales Rollenspiel? Normal? - LOL

Nee, nee, ich halte es da mit den Dead Prez und passe meine Weltsicht lieber nach dem Prinzip "It's bigger than RPG" an.  8)
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: carthinius am 2.08.2009 | 14:11
Achtung Zitatschlacht, aber ich habe versucht, mal die (für mich) interessanten Aussagen und Punkte zusammenzufassen, um darüber weiter sprechen zu können!  ;D

@Mann Ohne Zähne:
Lieber MuZ,

danke, dass Du mal ausgeführt hast, wie Du von der Freeformerei zu den Retro-Spielen gekommen bist; das hatte mich die ganze Zeit schon interessiert. Nicht, dass es mich so sehr wundern würde: ich glaube, das ist ein kleinerer Schritt als von ausgefeilten Systemen wie D&D3 o.ä.
Dem schließ ich mich einfach mal an - es ist schon interessant, wie du vom einen "Extrem" ins andere gekommen bist.  ;) Aber gleichzeitig wirst du zugeben müssen, dass dein Weg mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der ist, der von den meisten in der Zielgruppe dieser Spiele genommen wird; die meisten werden vermutlich schon in vertrauten Regionen gespielt haben und daher eher den genannten Nostalgie-Aspekt haben. Oder denkst du da anders?

Neben den eigentlichen Klonen sollte man auch die Retrospiele nicht vergessen, die von grundauf neu geschrieben sind und dabei zum Teil auch modernere Patterns einsetzen, aber dennoch nach einem Retrospielgefühl und -qualitäten streben.
Beispiele dafür sind Mazes&Minotaurs, Forward... to Adventure! und Encounter Critical.
Was an den genannten Spielen sind denn die "modernen Patterns", die du erwähnst? Also: Was machen sie (deutlich) anders als einfache Retro-Klone? Nur das "von Grund auf neu" kann es ja nicht sein, das bedienen mannigfaltig schon neuzeitliche Heartbreaker aus der Rollenspiel&Weltenbau-Ecke, die häufig kaum mehr sind als D&D oder DSA plus X (interessanterweise selten minus X) (Anmerkung: Damit will ich niemanden angreifen, es soll nur um eine Beobachtung gehen, die ich meine, gemacht zu haben - natürlich gibt es da auch vieles, was andere Wege geht, aber man findet solche Selbstbau-Hausregel-Wollmilchsäue-Superduper-Systeme ja immer wieder).

naja, wer weiss welche Sau durchs Dorf getrieben wird, wenn Forge erstmal Retro ist.
Interessante Frage. Gibt es schon sowas wie eine Retrospektive zu dem, was die Forge hervorgebracht hat? Oder ist das noch zu früh dafür?

Zitat
Boba hat imho (mal wieder) den besten Post zum Thema gebracht. Im Grunde ist es nur eine Aufbereitung einer nicht mehr so verbreiteten Spielweise, ohne die ganzen Schwachstellen und Kinderkrankheiten (kenne wenig Poster und Blogger, die so naiv sind, zu behaupten die Erstversionen der meisten Rollenspiele waren schon so perfekt wie es geht).
An den Regeln allein kann es nicht liegen, denn das wird durch Spiele wie Liquid, MicroliteD20 usw. ja schon lange quasi bedient.
Dahinter steckt natürlich auch die Erkenntnis, daß man es mit den Neuansätzen (Forge etc.pp.) auch nicht viel weiter gebracht hat. Jetzt heisst es sozusagen: Zurück ans Reißbrett
Ja, aber gehen die Retro-Spiele denn wirklich ans Reißbrett? Das bereits erwähnte Neusortieren und Verständlichmachen der Regeln kann ja nicht alles sein, was man am Reißbrett bringen muss!

Was hat "schlanker Regelkern" denn mit Retro zu tun?
Klar gab es damals Rollenspiele, die nicht gerade umfangreiche Regeln hatten. Aber es gab auch Traveller und AD&D 1st Ed. die ich als alles, nur nicht als "schlank" bei den Regeln bezeichnen würde.
(...)
Ein schlanker Regelkern ist für mich KEIN definierendes Merkmal eines Retro-Spiels.
Würdest du denn Traveller als Retro-Klon bezeichnen? Bzw. gibt es einen reinen Klon der ersten Edition? Wär mir neu, da ist mir nur das "richtige" Traveller von Mongoose bekannt, und das würde ich wohl kaum als reinen Retro-Klon bezeichnen wollen. Wenn es denn keinen wirklichen Klon gibt, spricht das nicht doch tatsächlich eher dafür, dass die schlanken oder knappen Regeln wirklich ein entscheidendes Merkmal eines Klons sein sollten? Sonst würde man ja nicht allerersten Regeln klonen wollen, sondern irgendwas dazwischen. Und AD&D1 scheint ja auch eher kaum Berücksichtigung zu finden bei den Klonen, die es gibt. Vielleicht, weil es eben die Maßgabe der Schlankheit nicht mehr erfüllt?

Meine These:
Weil nach der ganzen Welle der Rollenspieltheorie, der Indy- und Alternative Rollenspiele - wo Innovation auf Teufel komm raus hip war, jetzt die Gegenbewegung zurückschwappt, und die Meinung "vorher war auch nicht alles schlecht" übersteigert Wirkung erlangt.
Deswegen werden auch Systeme statt Settings im Retrolook reanimiert oder kreiert.
Denn der Bewegung davor war auch nur auf "system" und nicht "setting" orientiert - ergo ist die Gegenbewegung auch so gepolt.
Schöner Beitrag, Danke, Boba!
Heißt also, es wird gar keine Innovation gewünscht im Bereich der "guten alten Regeln", obwohl man gleichzeitig doch Innovationen einbauen muss, damit sie überhaupt "ohne Ruckeln" laufen. Würde zumindest die vielen Klone erklären, die alle etwas anders machen als die anderen, weil jeder andere Schwerpunkte auf das "Alte" aufpfropft oder unterschiedliche Wege geht, die Macken zu verbessern. Zeigt im Grunde sehr schön, wie unterschiedlich teilweise die ursprünglichen Regeln verstanden oder ausgelegt wurden, macht aber im schlimmsten Fall die ganzen Klone zu D&D+X (also Hausregeln, s.o.).

Hat mal jemand verglichen, wie unterschiedlich z.B. die von Skyrock genannten Retrospiele und die Retro-Klone bestimmte Dinge handhaben? Oder kann man da schon sehen, dass auch die Retrospiele kaum die Innovation besitzen, Problemstellen zu ändern oder komplett anders zu machen? Oder ist das wegen der "Bloß keine Innovation!"-Einstellung auch gar nicht möglich?
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Falcon am 2.08.2009 | 14:33
Zitat von: carthinius
Ja, aber gehen die Retro-Spiele denn wirklich ans Reißbrett? Das bereits erwähnte Neusortieren und Verständlichmachen der Regeln kann ja nicht alles sein, was man am Reißbrett bringen muss!
Hast Recht, Resignation triffts vielleicht eher.

Aber zum Glück nicht bei jedem. Es gibt auch Rollenspiele, die das Retro weiterentwickeln, anstatt darauf sitzen zu bleiben. Savage Worlds ist da ein gutes Beispiel.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Skyrock am 2.08.2009 | 15:16
Was an den genannten Spielen sind denn die "modernen Patterns", die du erwähnst? Also: Was machen sie (deutlich) anders als einfache Retro-Klone? Nur das "von Grund auf neu" kann es ja nicht sein, das bedienen mannigfaltig schon neuzeitliche Heartbreaker aus der Rollenspiel&Weltenbau-Ecke, die häufig kaum mehr sind als D&D oder DSA plus X (interessanterweise selten minus X) (Anmerkung: Damit will ich niemanden angreifen, es soll nur um eine Beobachtung gehen, die ich meine, gemacht zu haben - natürlich gibt es da auch vieles, was andere Wege geht, aber man findet solche Selbstbau-Hausregel-Wollmilchsäue-Superduper-Systeme ja immer wieder).
FtA! hat beispielsweise massiv von True20 gelernt, indem die Attributswerte komplett wegfallen und nur noch die Modifikatoren festgehalten werden.
Ebenso sind die Klassen abstrakt auf die drei Grundtypen Kämpfer, Skillfuzzi und Zauberer runtergebrochen (samt den Mischungen aus zwei von drei), und anstatt Protoskills wie in D&D<3.x gibt es ein richtiges Skillsystem, in das alle Charaktere eingebunden sind, nur eben mit dem Skillfuzzi mit mehr Punkten.

Von cinematischen Rollenspielen wie 7th Sea wurde gelernt, dass es wichtig ist dass normale Fertigkeiten im Kampf eingesetzt werden können, so dass alle im Kampf glänzen können, und dass man Waffen auch nur grob als Typen statt als Einzelmodelle klassifizieren kann - entsprechend gibt es ein Stuntsystem und eine nur aus 5 Einträgen bestehende abstrakte Waffenliste. (Manche Einzelwaffen bekommen noch besondere Eigenschaften, wie die Reichweite-Qualität der Stangenwaffe oder die Fesselungsfähigkeit von Spike&Chain, aber der Unterschied ist größtenteils nur Preis und Fluff.)

Hat mal jemand verglichen, wie unterschiedlich z.B. die von Skyrock genannten Retrospiele und die Retro-Klone bestimmte Dinge handhaben? Oder kann man da schon sehen, dass auch die Retrospiele kaum die Innovation besitzen, Problemstellen zu ändern oder komplett anders zu machen? Oder ist das wegen der "Bloß keine Innovation!"-Einstellung auch gar nicht möglich?
Zumindest FtA! ist nach Aussage (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=283247&postcount=18) von OSR-Wortführer Randall "Microlite74" Stukey kein Retrorollenspiel mehr.
Ansonsten gab es hierzu eine Diskussion auf theRPGsite, an der auch verschiedene andere OSR-Wortführer teilgenommen haben: http://www.therpgsite.com/showthread.php?t=13342
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: carthinius am 2.08.2009 | 20:46
FtA! hat beispielsweise massiv von True20 gelernt, indem die Attributswerte komplett wegfallen und nur noch die Modifikatoren festgehalten werden.
Ebenso sind die Klassen abstrakt auf die drei Grundtypen Kämpfer, Skillfuzzi und Zauberer runtergebrochen (samt den Mischungen aus zwei von drei), und anstatt Protoskills wie in D&D<3.x gibt es ein richtiges Skillsystem, in das alle Charaktere eingebunden sind, nur eben mit dem Skillfuzzi mit mehr Punkten.
Klingt tatsächlich ganz nett (auch die Entleihung von 7te See klingt durchaus vernünftig) - wobei ich da jetzt fragen müsste, warum sich nicht True20 direkt schon für eine Retro-Spielweise eignen würde, wenn FtA! das so deutlich übernimmt! (ich frage, weil ich beide nicht kenne, also weder True20 noch FtA!) Bietet es sich dafür nicht an, obwohl es doch auch eher D&D-light sein will?
Zumindest FtA! ist nach Aussage (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=283247&postcount=18) von OSR-Wortführer Randall "Microlite74" Stukey kein Retrorollenspiel mehr.
Interessant. Stukey will also demnach wirklich Retro um des Retro willen - da können andere Spiele noch so "rules-light" oder schön und stringent im Design sein, er will es gar nicht, sondern auf Biegen und Brechen das "Alte" mit ein bisschen Stellschrauben. Und nebenbei deklassiert er noch alle, die es so oldschoolig dann doch nicht haben wollen, als nicht-wahre OSRler. Bemerkenswert. Demnach würde ich ihm tatsächlich nur die Nostalgie als Antrieb unterstellen (vielleicht auch noch die Motivation, das einzig Wahre als Rollenspiel zu betreiben, aber das wäre jetzt sehr gemutmaßt aufgrund einer einzigen Wortmeldung).
Den Rest des Threads werde ich beizeiten lesen, scheint interessant zu sein (trotz RPGPundit), danke für den Hinweis!

Savage Worlds ist da ein gutes Beispiel.
Inwieweit ist Savage Worlds denn Retro? Einfach, weil es das bieten will, was man auch mit D&D machen kann, nur eben mit anderen Designzielen?
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Skyrock am 2.08.2009 | 23:06
True20 hat sicher eine Menge gemacht um den gordischen Knoten des Standard-d20-Systems zu zerschlagen und zu streamlinen, aber es hat immer noch un-old-schoolige Elemente wie Enabling Feats, während andere wichtige Elemente für Spiel der alten Schule wie Zufallstabellen oder Gonzoelemente kurz kommen.

Zumal FtA! eben auch noch mehr ist als einfach nur oldschoolifiziertes True20. Man sieht darin auch stark die Elemente von T&T (Nahkampfregeln, Grundmechanismus) und Rolemaster (Kampfrundensequenz), als auch von anderen Spielen. (Woher könnte das alphanumerische Universal Settlement Profile inspiriert sein?)


Da gibt es Retrospiele die näher an einer einzelnen Quelle bleiben, wie etwa Ruins&Ronins oder 4CS.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Falcon am 3.08.2009 | 00:03
Zitat von: carthinius
Inwieweit ist Savage Worlds denn Retro? Einfach, weil es das bieten will, was man auch mit D&D machen kann, nur eben mit anderen Designzielen?
Ja, ich würde sagen, so kann man das beschreiben.
Und eben das Ziel mit möglichst wenig Mechanismen möglichst viel darzustellen.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 3.08.2009 | 01:20
Inwieweit ist Savage Worlds denn Retro?
KEIN STÜCK! - Es ist aber ein Rollenspiel, das sich sehr stark an einer Old-School-Spielweise orientiert und gerade die Old-School-Spielleiter als Zielgruppe adressiert.

Einfach, weil es das bieten will, was man auch mit D&D machen kann, nur eben mit anderen Designzielen?
Das "will" es NICHT bieten. Savage Worlds ist sogar eine Art ANTI-D&D-D20. Kein Encounter-Balancing, lauter One-Hit-Kill-Möglichkeiten, keine Klassen, Punktekaufsystem "all the way", keine Hitpoints, usw. - Das mag man unter "andere Design-Ziele" einordnen, jedoch sind das nicht nur Design-Ziele, sondern das sind Elemente, die BESTIMMEND dafür sind, WAS man spielt und WIE man es spielt.

Und da zielt SW eher auf die von D20 (nicht erst mit 4E, sondern schon lange vorher durch die 3E) gefrusteten Spielleiter ab, denen es ein flüssiges und EINFACH zu leitendes und EINFACH vorzubereitendes Regelsystem in die Hand gibt.

Das Regelsystem führt gerade mit den Bennies, der Trapping-Idee, den abstrakten Massenkampfregeln, usw. jede Menge NICHT aus "Retro-Zutaten" stammende Regelelemente ein. Regelelemente, die aus moderneren cinematischen Regelsystemen stammen, deren Zielsetzung alles andere als die von Retro-Spielen ist.

Savage Worlds ist KEIN Retro-Spiel (von was als Vorlage soll es denn die Retro-Version sein?).
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Falcon am 3.08.2009 | 10:18
Wenn du SW mit anderen Rollenspielsystemen vergleichst, wirst du die Ähnlichkeit mit D&D feststellen.
Sonst könnte es sich auch nicht an gefrustete D&D3.5 Spieler wenden.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Boba Fett am 3.08.2009 | 10:45
Wenn du SW mit anderen Rollenspielsystemen vergleichst, wirst du die Ähnlichkeit mit D&D feststellen.
...und zwar genauso viele Ähnlichkeiten, wie SW mit jedem anderen System auch hat.

Klassen, Stufen, Hitpoints, d20, Resistenzwerte, Angriffswert der nicht von Skills abhängt - das alles ist D&D typisch und SW hat nichts davon.
Attributes, Skills und Feats - ja okay, aber dann sind gutes dutzend anderer Systeme ebenso dicht dran.

Ist aber OT und damit hinfällig. Bei Bedarf einen Faden im SW Channel aufmachen.

Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: killedcat am 3.08.2009 | 19:57
Klassen, Stufen, Hitpoints, d20, Resistenzwerte, Angriffswert der nicht von Skills abhängt - das alles ist D&D typisch und SW hat nichts davon.
Attributes, Skills und Feats - ja okay, aber dann sind gutes dutzend anderer Systeme ebenso dicht dran.
SW hat Stufen. Nennen sich Ranks. Sind etwas anders umgesetzt als in D$D, aber sie sind vorhanden.
Titel: Re: Vade Retro?
Beitrag von: Zornhau am 4.08.2009 | 00:07
SW hat Stufen. Nennen sich Ranks.
Stimmt. SW hat Stufen (Level-Ups genauer gesagt, die Ranks sind nur eine Zusammenfassung von mehreren Level-Ups in "Über-Stufen" zur Freischaltung von Edges und Powers und zum Beschränken von Attributs- und Power-Punkte-Steigerungen.)

Doch ist hierbei wichtig zu unterscheiden, daß bei SW - anders als bei den meisten Stufen-Systemen - eben NICHT die Charakter-Kompetenz-Zuwächse pro Level-Up FESTGELEGT sind, sondern daß diese FREI WÄHLBAR sind.

Stufensysteme haben normalerweise die Charakterkompetenz in ihrem Zuwachs und ihren konkreten Ausprägungen (Trefferbonus, Saves, Spells pro Level, usw.) HART an die genaue Stufe gekoppelt. Bei SW ist es so, daß mit einem Level-Up eine FREIE AUSWAHL an qualitativ unterschiedlichen, NICHT VORGEGEBENEN Eigenschaften verbunden ist.

Daher sind zwei Charaktere auf derselben Stufe in SW ausgesprochen schlecht vergleichbar, weil der Spieler völlig unterschiedliche Schwerpunkte setzen konnte - sogar, wenn beide Charaktere dieselbe archetype Rolle in der Spielwelt (z.B. US Marshal oder Eiszauberer) einnehmen. Man kann höchstens eine Einschätzung vornehmen, darüber, wieviele Attributssteigerungen der Charakter vermutlich maximal gemacht haben könnte und wieviele Powerpunkte ein magiebegabter Charakter maximal haben könnte, aber man weiß es nicht sicher, weil eben die Steigerung von Attributen und Powerpunkten mit den anderen Steigerungsmöglichkeiten (Fertigkeiten und Vorteile/Edges) konkurrieren.

Das machte es einem Spielleiter SEHR schwer, wollte er nach Charaktererschaffungsregeln samt Charakterentwicklungsregeln seine NSCs bauen. - Daher gibt es für die NSCs als Erleichterung für die Spielleiter die Regel, daß der Spielleiter sie NICHT nach den Erschaffungsregeln von SCs bauen soll, sondern einfach FREI die Eigenschaften eines NSC festlegen soll.

In altem D&D waren (bis auf die Zauberer und deren individuelle Spruchauswahl) die SCs und NSCs nach DENSELBEN Regeln gleichermaßen einfach zu erstellen und sofort vergleichbar. - Hier hatte eine Stufenangabe plus Klassenangabe schon sehr viel über den Charakter ausgesagt.