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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Rollenspieltheorien => Thema gestartet von: nebelland am 15.09.2011 | 15:14

Titel: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: nebelland am 15.09.2011 | 15:14
Vorbemerkung: der Originalartikel (http://florian-berger.de/de/texte/rollenspiel/ade-rollenspieltheorie-ein-streifzug) steht auf meiner Webseite, in der Konvertierung hier fehlen ein paar Referenznummern.

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.
-Mephistopheles, Faust I


Drei Punkte

Zitat
Die ...theorie hat sich noch nicht als eine wissenschaftliche Disziplin etabliert. Sie wurde bisher nur von wenigen Wissenschaftlern an wenigen Universitäten betrieben. Mit dem Wort ist noch keine klare Bedeutung verbunden. Es wird zwar hie und da, und [...] in der letzten Zeit immer häufiger verwendet. Es ist jedoch nicht allgemein bekannt, wer darunter was versteht und was vernünftigerweise darunter verstanden werden sollte. Diverse Bestrebungen, Anschauungen und Gedankengebäude, teilweise sogar Esoterisches, Absurdes und nachweisbar Unsinniges, werden mit diesem Namen versehen.[1] (http://www.medizintheorie.de/tm/web/begriff.htm)

Dieses Zitat stammt von Prof. Dr. med. Kazem Sadegh-Zadeh, und es geht nicht um Rollenspiel. Sadegh-Zadeh war von 1982 bis 2004 Professor für "Theorie der Medizin" an der Universität Münster, und die ersten drei Auslassungspunkte im Text stehen für "Medizin".

Nichtsdestoweniger beschreibt er sehr treffend den Zustand der "Theorie" eines Fachgebietes, die nur unzureichend begründet, umrissen und formalisiert ist. In diesem Stadium sehe ich die aktuelle Rollenspieltheorie; doch lassen wir das mit dem Rollenspiel mal für eine Weile. Brechen wir gemeinsam auf zu einer Rundreise und schauen, wie es um die Theorie anderer Spiele, Hobbies und Phänomene bestellt ist.

Der Ball ist rund

Nehmen wir durchaus mal ein Spiel, bei dem jeder Experte sein kann, bei dem es allein auf die Praxis ankommt und Theorie nur was für Spinner ist, die Angst vor frischer Luft haben! Da sind wir, von der frischen Luft abgesehen, vom Rollenspiel gar nicht so weit entfernt. Und das Spiel heißt: Fußball! Gibt es "Fußballtheorie"?

Radio Bremen berichtete im Juni 2011 unter der Überschrift "Crashkurs zur WM - Fußballtheorie für Frauen" (http://www.radiobremen.de/sport/dossiers/frauen-fussball-wm/fussballtheorie100.html) von einem "Fußballseminar für weibliche Fußball-Laien". Dort wurden Fachbegriffe ("Doppelsechs, indirekter Freistoß, Schwalbe - und natürlich Abseits") erklärt, dazu Mannschaftsaufstellung und Taktik. Ist das Fußballtheorie? Und, darf man weiter fragen, ist deren Kenntnis so verbreitet, dass es lediglich eines Seminars für einen von den Intiatoren offenbar ausgemachte Randgruppe bedarf?

Oder ist es doch eher "Teoría del Fútbol" von Ricardo Olivós Arroyo (http://www.soccertheory.com/german/books.htm), Erstausgabe 1977? Daniel Levy, der eine mehrsprachige Website zum Buch (http://www.soccertheory.com/) betreut, fragt rhetorisch:

Zitat
Warum soll das Fussballspiel mit Theorien und Forschungen verkompliziert werden? Müssen die Spieler bald Laborkittel tragen? [...] Wird ihm [dem Fußballspiel] nicht durch Untersuchungen und Statistiken sein Zauber weggenommen?[2] (http://www.soccertheory.com/german/research.htm)

Und antwortet gleich darunter:

Zitat
Während diesen kultivierten Zeitspannen wurden ausgeglichene und wohlgeordnete Spiele genossen. Allerdings wurden beide Systeme unbewusst eingesetzt. Sie waren, wie jedes nicht wissenschaftlich untersuchte Kulturereignis, ein Halbwissen. Seit den Anfängen der modernen Epoche [...] wird noch einmal aufs Geratewohl gespielt. Um die strategischen Gesetze des Fussballs zu beherrschen, muss man sie erforschen.
[...]
Ricardo Olivós Arroyo sah den Ball vom Baum fallen, wie Isaac Newton den Apfel. Das Deckungsspiel ist logisch und exakt wie die Schwerkraftsgleichungen. Je mehr die Fussballtheorie durch Bücher und Projekte untersucht wird, desto besser wird sie verstanden sein. Je besser verstanden, desto herrlicher zum Ansehen und befriedigender zum Spielen wird Fussball sein.

Voller Pathos, zugegeben, aber wenn es darum geht, die Notwendigkeit theoretischer Überlegungen für ein Spiel zu begründen, das nach Ansicht vieler keine kleinkarierte Analytik, und schon gar keine wissenschaftliche, braucht, kann das nicht schaden.

Wem das zu staubig (oder zu spanisch) ist, kann einen Blick auf "Die Fußball-Matrix - Auf der Suche nach dem perfekten Spiel" von Christoph Biermann (http://www.kiwi-verlag.de/das-programm/einzeltitel/?isbn=978-3-462-04144-6) werfen. "Fußball im dritten Jahrtausend. Wo Meinung war, wird Wissen sein." wirbt der Verlag mit einer gewissen Dreistigkeit, die geschicktes Marketing verrät; der Satz schließt sich bei genauerer Betrachtung allerdings nahtlos der eingangs zitierten Analyse von Sadegh-Zadeh an. Ein Auszug des Buches steht unter der Überschrift "Fußballtheorie - Minimalisten auf elf Metern" (http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,641383,00.html) auf Spiegel ONLINE. Nun gut: offenbar gibt es Fußballtheorie, auch wenn man als einer ihrer Autoren "in diesem leicht bizarren Kulturkampf gekonnt die Äquidistanz zu den Traditionalisten, wie auch zu den Apologeten der Fußball-Wissenschaft"[4] (http://www.kiwi-verlag.de/das-programm/einzeltitel/?isbn=978-3-462-04144-6#rezension) halten muss.

Schachmatt

Verlassen wir die Kicker und kehren für einen Moment zurück an den Spieltisch. Nehmen wir ein Spielbrett, Figuren, und wieder sind wir nicht so weit weg vom Rollenspiel. Dass es "Schachtheorie" gibt, erscheint weniger verwunderlich als "Fußballtheorie". Aber warum? Nun, das Wesen des Spieles bringt mit sich, dass die Spieler eh die ganze Zeit mit Analyse und Nachdenken beschäftigt sind. Es erscheint hier kaum sinnvoll, von "Schachtheorie" und "Schachpraxis" zu sprechen - zu verwoben sind Überlegung und tatsächlicher Zug, zu minimal die eigentliche Spielhandlung, und mehr noch, ohne ein vernünftiges theoretisches Gebäude im Kopf ist das Spiel gegen einen fähigen Gegner kaum zu gewinnen.

Hinzu kommt natürlich, dass Schach ein mechanisch-deterministisches Spiel ist, mit einer endlichen Anzahl diskreter Züge und Spielzustände pro Spiel, die keine Ambivalenz kennen und sich hervorragend analysieren lassen (wobei es trotzdem sehr schwer ist, aufgrund der Analyse Vorhersagen und vor allem Handlungsanweisungen abzuleiten).

Reiner Seidel, der die "Reihe Wissenschaftliche Schachtheorie" (http://www.schachtheorie.de/) herausgibt, schreibt:

Zitat
Aber die traditionelle Schachtheorie, die ja ein Ausdruck des menschlichen Schachdenkens sein sollte, bleibt hinter den Fähigkeiten des Schachmeisters weit zurück. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens ist das Schachverständnis des Meisters teilweise unbewusst (unformuliert, "inituitiv"). Zweitens sind die Schachtheoretiker zu sehr in der Praxis befangen und haben es nie geschafft, ihren Kopf in die freie Luft des theoretischen Denkens zu erheben. Eine wissenschaftliche Schachtheorie (wST) erfordert dagegen große begriffliche Anstrengungen, deren Bezug auf das praktische Spiel nicht unmittelbar sichtbar ist [...][5] (http://www.schachtheorie.de/pages/konzept.htm)

Wo "Schachtheorie" draufsteht, steckt aber noch längst kein einheitlicher Standard drin. Neben  halbseitigen Abrissen über Eröffnungen (http://www.schachmania.de/theorie/theorie.html) stehen unter dieser Überschrift komplexe Werke wie Isaak Lipnitskys "Fragen der modernen Schachtheorie" (http://www.qualitychess.co.uk/products/5/93/fragen_der_modernen_schachteori__ein_sovjetklassiker_by_isaak_lipnitsky/) (Rezension (https://glareanverlag.wordpress.com/2009/09/01/isaak-lipnitzky_fragen-der-modernen-schachtheorie_rezension-glarean/)).

An diesem Punkt halten wir kurz inne und überlegen mal, warum es eigentlich bei Schachspielern im Vergleich zum Fußball keinen Sturm der Entrüstung gibt, keine "Traditionalisten", wenn jemand mit "Schachtheorie" um die Ecke kommt. Zum Teil haben wir das oben bereits beantwortet: Schach ist ohne zumindest einen Ansatz von Theorie praktisch kaum spielbar. Zum klassischen Bolzen dagegen brauche ich zwei gesunde Beine und eine Handvoll Mitspieler. Keine Theorie. Um meinen Fußballverein zum beherrschenden Thema meines Lebens zu machen, brauche ich Bier und eine Fahne (http://www.yolanthe.de/stories/tucho01.htm). Keine Theorie.

Wo verorten wir die Rollenspieler? Sie sind sicherlich nicht die klassischen Jocks (http://www.urbandictionary.com/define.php?term=jock). Trotz dem die empirische Datenlage dünn ist, geht das Klischee in Richtung "männlich", "blass", oft "bebrillt", "Abiturient" oder "Student". Menschen, die man spontan eher einem intellektuellen Hobby wie eben Schach zuordnen würde. Und doch feiert das Dreinschlagen auf Rollenspieltheorie - im Gegensatz zu den Schachspielern - wieder und wieder fröhliche Urständ. Also, Rollenspieler: Prolls im Nerdkostüm? Ich lass das mal offen stehen.

Master of Puppets

Genug der gewinnorientierten Spiele! Bei Rollenspielen geht es nicht um Sieg, sondern ums Erzählen! Zumindest manchen (http://florian-berger.de/de/texte/rollenspiel/das-schisma-eine-ludologische-differenzierung-verschiedener-klassen-von-rollenspielen). Suchen wir also mal zu einem Thema, das Wert auf Geschichten legt und gleichzeitig immer noch Nische ist. Wie steht es denn um die "Puppenspieltheorie"?

Tatsächlich gibt es den Verein "Union Internationale de la Marionnette, Zentrum Bundesrepublik Deutschland e.V." (http://www.unima.de/), der laut Satzung Kontakte vermitteln will, die unter anderem "zur Entwicklung und Vertiefung der Puppenspieltheorie und -praxis beitragen sollen"[6] (http://www.unima.de/satzung.html). Mitglied werden können unter anderem Fachleute, "die sich mit der Geschichte oder Theorie des Puppentheaters befassen". Laut der Union muss es also sowas wie "Puppenspieltheorie" geben; die Publikationsliste des Vereins listet allerdings nichts zum Thema auf, und eine aktuelle Suche im Verzeichnis der lieferbaren deutschen Bücher führt zu Titeln wie "Theorie des therapeutischen Puppenspiels" oder "Figurentheater in der Grundschule: Handbuch für Theorie und Praxis", aber zu keinem eigentlichen, profunden deutschsprachigen Werk.

Immerhin: die Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin hatte zum Wintersemester 2006/07 eine "Professur für Puppenspielkunst" ausgeschrieben (http://puppenspiel-portal.eu/titel/ausschreibung-professur/), mit "18 Stunden Lehre im Hauptfach und in Puppenspieltheorie"[ 8 ] (http://puppenspiel-portal.eu/titel/ausschreibung-professur/), wobei insbesondere Erfahrungen auf dem Gebiet der "Theoretisch-analytischen Arbeit" erwartet wurden. Dem Vernehmen nach ist diese Stelle aktuell mit Prof. Markus Joss (http://www.hfs-berlin.de/personen/name/37/) besetzt. Eine Publikationsliste sucht man allerdings vergebens, auch im Buchhandel wird man unter seinem Namen nicht fündig. Gut, eine rege Publikationstätigkeit mag kein Markenzeichen einer künstlerischen Professur sein; aber schade um die Puppenspieltheorie ist es allemal.

By Design

Wenn wir einmal beim Künstlerischen sind, schauen wir noch kurz auf die "Designtheorie". Hier gibt es immerhin Literatur bei anerkannten wissenschaftlichen Verlagen, etwa "Designtheorie und Designforschung" von Brandes, Erlhoff, Schemmann bei UTB (http://www.utb-shop.de/details.php?catp=&p_id=7424). Allerdings schreibt Prof. Dr. Michael Erlhoff von der "Köln International School of Design":

Zitat
Behaupten wir aus guten Gründen einfach, dass es eine in sich geschlossene Design-Geschichte und ebenso eine in sich ruhende Design-Theorie nicht gibt: Dann folgt daraus, dass es in diesem Arbeitsbereich allemal darum geht, unter der komplexen Perspektive von Design die Geschichte von Gestaltung mitsamt der von Wirtschaft, Kulturen, Wissenschaften, Techniken, Darstellungen, Architektur, Poesie, Kunst etc. als ein widersprüchliches Ineinander zu erörtern und zu erläutern – und die Design-Theorie eben im Kontext des Gesamt theoretischer Reflexionen.
[...]
Also könnte man hier [im Lehrgebiet Designtheorie] argumentative Kritik, klugen Diskurs, aufregende Wahrnehmung, Auseinandersetzung mit Theorie, historische Kontexte oder auch intelligentes Schreiben und ohnehin assoziatives Denken studieren.[10] (http://kisd.de/subject_dt.html)

... and back again

Wir wollen unseren Streifzug hier beenden, andere Theorien wie Musiktheorie (http://www.laaber-verlag.wslv.de/popup.php?ID_Buch=384&lang=) oder Angeltheorie (http://www.morgenweb.de/service/archiv/artikel/737775898.html) ein andermal bestaunen und stattdessen sortieren, was wir unterwegs gefunden haben und für "Rollenspieltheorie" anwenden können. Jetzt wirds ernst!

Mit Professor Sadegh-Zadeh können wir sagen, dass es auch Rollenspieltheorie nicht als wissenschaftliche Disziplin (http://tanelorn.net/index.php/topic,49550.0.html) gibt. Folgerichtig versteht jeder, der das Wort verwendet, darunter, was er (oder sie) will, etwa:

Zitat
Rollenspieltheorie ist ein Überbegriff für jede reflektierte und geordnete Auseinandersetzung mit Rollenspielen.[11] (http://georgiosp.blogspot.com/2009/09/rollenspieltheorie.html)

Die meisten haben sich allerdings noch nicht mal die Mühe gemacht, überhaupt irgendeine Definition abzugeben. Sondern etwas viel Schlimmeres. Dazu etwas Hintergrund: Etwa zwischen 1999 und 2004 gab es in den USA eine rege Szene von Rollenspielern, die sich Gedanken theoretischer Natur machten. Sie trafen sich online auf "the forge" (http://www.indie-rpgs.com/forge/index.php), einer Website, die auch namensgebend für die dort ausgebrüteten Theorien (http://www.therpgsite.com/showpost.php?p=64118&postcount=9) wurde.

Die Autoren der "Forge" produzierten eine Menge Text und noch mehr Ad-hoc-Fachbegriffe. Bei den im Usenet und im World Wide Web aktiven Rollenspielern schlugen diese Texte ziemlich ein und führten vor allem im deutschsprachigen Raum zu einem Denkfehler, der bis heute wie ein Krebsgeschwür im Geiste theoretisch interessierter Rollenspieler wuchert: Rollenspieltheorie ist gleich "Forge". Dieses traurige Phänomen kann man mehr oder weniger ausgeprägt quer durch den Gemüsegarten beobachten, so im GroFaFo (2005) (http://tanelorn.net/index.php?topic=20552.0), bei Dom (2006) (http://www.metstuebchen.de/download/DomErklaertTheorie.pdf), in Vinsalts DSA-Foren (2006) (http://vinsalt.regioconnect.net/wbb2/thread.php?threadid=3039), auf rpg-info.de (2007) (http://www.rpg-info.de/index.php?title=Theorie&oldid=13995), bei PiHalbe (2010) (http://pihalbe.org/audio/picast-%E2%80%94-folge-12-%E2%80%94-rollenspieltheorie-672) und so weiter bis in unsere Tage hinein. Es wurde (und wird) nicht reflektiert, nicht mehr selber gedacht, nicht mehr definiert, nein, der US-Import wurde (und wird) mit einer Schleife verziert allen als "das ist Rollenspieltheorie" präsentiert. [Damit mag ich vielen Unrecht tun, die sich über Jahre an der "Forge" gerieben und abgearbeitet haben, aber bitte, zeigt mir einen deutschen Autor, der in dieser Zeit die "Forge"-Modelle zusammenhängend kritisch hinterfragt und ihnen einen eigenes Modell entgegengesetzt hat.]

Damit muss endlich Schluss sein.

Behaupten wir analog zu Professor Erlhoff, dass es eine in sich ruhende Rollenspieltheorie einfach nicht gibt. Auch wir haben gute Gründe dafür - jede Menge davon. Damit erschließt sich dann auch hier ein Thema, anhand dessen sich, Erlhoff folgend, "argumentative Kritik, kluger Diskurs, aufregende Wahrnehmung, Auseinandersetzung mit Theorie, historische Kontexte oder auch intelligentes Schreiben und ohnehin assoziatives Denken"[13] (http://kisd.de/subject_dt.html) studieren lassen.

Tabula Rasa

Und das ist jetzt Rollenspieltheorie? Nein, natürlich nicht. Das Produkt dieses Prozesses vielleicht. Wenn jeder jedes Thema und jeden Diskurs nach Lust und Laune mit "Rollenspieltheorie" beschriftet (http://tanelorn.net/index.php/board,162.0.html) - und das, siehe oben, durchaus mit einem gewissen Recht, womit freilich noch nichts zum Sinn gesagt ist - dann wird es allerhöchste Zeit für Rollenspielforschung. Nennt doch "Theorie", was ihr wollt! Der Begriff ist schwammig; aber ein Schwamm ist schön weich und bei verschiedenen Gelegenheiten durchaus auch nützlich. Mit "Theorie" kann jeder kommen, im besten Sinne ist sie eine Allmende, auf der die Gedanken weiden und sich miteinander kabbeln können. Doch wenn wir beginnen Forschung zu betreiben, wenn wir eine Wissenschaft des Rollenspiels erarbeiten, ist Schluss mit Beliebigkeit. Es ist Schluss mit auf Treibsand gebauten Konstruktionen, es ist Schluss mit der Ignoranz anderer Disziplinen, der Literatur, der Methodik, Schluss mit hohlen Ad-hoc-Begrifflichkeiten nach Tagesform, mit dem Primat der unmittelbaren Praktikabilität, mit dem Rückzug in Webforen und hinter Pseudonyme. Ade also, Rollenspieltheorie! Wir werden uns wiedersehen. Ganz im Sinne von Kassiopeia, die Ende in "Momo" sagen lässt:

Ich geh' dich suchen.

Florian
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Ghostrider am 15.09.2011 | 15:29
Und was war jetzt die Aussage deiner Ellipse?
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 15.09.2011 | 19:30
Hm, das beredte Schweigen deute ich als stille Zustimmung. Mir ist auch unklar, wie man das groß anders sehen könnte. Schöner Text. Wenn Du noch einen Vorschlag zur Problemlösung integriert hättest, wärs perfekt ;) Ich lese aktuell: die jetzige Situation ist desaströs und es unklar, wie es besser laufen könnte. Bisschen unbefriedigend - wie der Status Quo halt auch.

Mein persönlicher Ansatz: Theoretische Themen im Rollenspielbereich nur noch privat bei nem Bierchen mit entsprechend reduziertem Anspruch führen und darauf hoffen, dass sich Helden wie Du die Mühe geben, ein wenig systematischer und strukturierter an die Sache heranzugehen. Ich danke Dir!
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Fredi der Elch am 15.09.2011 | 22:10
Damit muss endlich Schluss sein.
Warum eigentlich? Und die Frage ist wirklich ernst gemeint.

Mir persönlich geht es so, dass ich die Fragen, die mich zum Thema "Rollenspiel" so umgetrieben haben, mit Hilfe des mir aktuell zur Verfügung stehenden Wissens über Rollenspiele (nenn' es "Rollenspieltheorie" oder sonstwie) zu meiner vollen Zufriedenheit beantworten kann. Ich kam aus der Praxis und hatte da Probleme, die ich mir micht wirklich erklären konnte. Und diese Fragen habe ich jetzt geklärt. Damit hat sich bei mir das Bedürfnis nach der Beschäftigung mit wie auch immer gearteten komplexen Denkmodellen zu Rollenspiel bei mir so ziemlich gegeben. Und das geht wohl auch anderen so (sonst würde mehr gedacht und gepostet). Die meisten früheren "Theoretiker" hatten wohl ähnliche Werdegänge wie ich - und das gilt z.B. auch für die ganze Forge, deren Zweck sich im Großen und Ganzen erfüllt hat.

Also, nichts gegen Rollenspielforschung welcher Art auch immer, aber aktuell fehlt der Input aus der Praxis. Ohne empirische Phänomene, die es zu erklären gilt, kann keine Theoriebildung stattfinden. Und die wirklich erklärungswürdigen / -bedürftigen Phänomene scheinen aktuell zu fehlen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 15.09.2011 | 23:35
Nein. Das ist sicherlich eine Frage des Anspruchs. Wenn jemand aus Spieltischperspektive seine Fragen geklärt haben möchte, dann reicht eine gewisse Durchdringungstiefe sicherlich aus. Wenn man aber daran interessiert ist, Phänomene etwas systematischer beschreiben, erklären und vorhersagen zu können, dann muss schlicht mehr Mühe investiert werden. Und das wurde bislang nicht oder nur unzureichend geleistet. Ob es überhaupt möglich ist, Rollenspiele auf einem einigermaßen sattelfesten theoretischen Niveau zu diskutieren? Gute Frage, ich vermute: nein, nicht sonderlich gut. Wenn sich aber jemand wie Florian des Problems anzunehmen gedenkt, begleiten ihn meine besten Wünsche. Empirische Phänomene gibt es jedenfalls mit absoluter Sicherheit zuhauf.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Fredi der Elch am 15.09.2011 | 23:43
Empirische Phänomene gibt es jedenfalls mit absoluter Sicherheit zuhauf.
Cool! :D Dann wäre das doch jetzt die Gelegenheit, eine Sammlung solcher Phänomene anzufertigen, die a) unklar genug und b) spannend genug sind. Ich denke nämlich, das wäre das sinnvollste Vorgehen, wenn man eine Art "Rollenspielforschung" etablieren will (sprich: man sollte sich an einer solchen Liste "entlang hangeln").

Magst du mal eine Reihe von Phänomenen zusammenstellen? Gerne auch in einem neuen Thread.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Joerg.D am 15.09.2011 | 23:58
Das Problem bei der Theorie ist, dass man im Fußball ein klares Regelwerk hat an dem man sich festhalten kann und die Bedingungen abgesehen von der Fitness und der Qualität der Spieler eher duplizierbar sind. Neuigkeiten wie die 4er Kette und das daraus resultierende Spiel mit nur einer Spitze (um die Schwächen der Viererkette optimal auszunutzen) sind in der Theorie entworfen worden und haben sich in der Praxis durchgesetzt. Aber es bedeutet Arbeit von allen Spielern und den Willen sich auf das neue Spiel einzulassen.  Aber auch im Fußball ist es oft so, das sich bloßer Einsatzwille, mentale Stärke und simple Laufbereitschaft oft über eine Taktik aus der Theorie durchsetzen.

Nur geht es beim RSP nicht unbedingt nur um das Gewinnen. (Also nicht allen Spielern)

Beim RSP gibt zu viele unterschiedliche Varianten des Spieles ansich, was durch unterschiedlichen Spielweisen und Vorlieben noch verstärkt wird. Schon die Entstehung von Gefühlsregungen und ihr Verständnis kann sich nachhaltig auf das Spiel einer Gruppe auswirken, genau wie das Verständnis der Stances oder der Auseinandersetzung, was jetzt eigentlich Narr ist.

Die Theorie ist für mich inzwischen ein hervorragendes Werkzeug um ein Spiel zu bauen, dass halbwegs das Spiel ermöglicht, was ich will und damit ist sie echt wunderbar. Der erfolgversprechendste Ansatz zur praktischen Anwendung kam imho vom Elch mit seinem Jahr der Techniken.

Dort konnte man Techniken und die Theorie hinter ihnen in der Praxis umgesetzt betrachten und so eine direkte Verbindung zum aktuellen Spiel herstellen. Das aber in der Praxis die Heilmittel redet miteinander und seid keine Arschlöcher viel mehr Erfolg bringt als das Sinnieren über die Theorie wird ihr immer etwas das Wasser abgraben.

Trotzdem hoffe ich irgendwann mal einen Aha Moment habe, der mir klar macht wie ich praktische Probleme mit einem Konstrukt aus der Theorie begegnen kann.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 16.09.2011 | 00:29
Magst du mal eine Reihe von Phänomenen zusammenstellen? Gerne auch in einem neuen Thread.
Nö. Siehe oben.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 16.09.2011 | 08:32
Für mich gibt es genug offene Fragen. Uns fehlt aber eine Basis, auf der wir uns damit beschäftigen könnten. Damit meine ich nicht einmal eine systematische Rollenspieltheorie. Uns fehlt es schon an Zeit, gutem Willen und trollfreier Umgebung, um interessante Fragen überhaupt mal in Ruhe zu diskutieren. Wir verfallen dann häufig in die Metadiskussion, ob wir überhaupt darüber diskutieren sollten - hier haben wir mal wieder einen eigenen Thread dazu. ::)
Es kann sein, dass wir eine Tiefe des Rollenspielwissens erreicht haben, die wir mit den Mitteln der üblichen Forumsdiskussionen nicht mehr unterbieten können. Das sagt aber wenig über die tatsächliche Tiefe des Wissens aus.

Wenn Du noch einen Vorschlag zur Problemlösung integriert hättest, wärs perfekt ;)
Drittmittel für Forschung eintreiben.  :d
Die von mir initiierte Studie über Spielleiter werde ich noch durchziehen. Forschung als unbezahltes Hobby ist mühsam.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: korknadel am 16.09.2011 | 08:47
Als ziemlicher Nicht-Blicker wage ich mal eine Sache zu behaupten: Was landläufig als Rollenspieltheorie bezeichnet wird, sind weniger wissenschaftliche Theorien als Werkzeuge. Begrifflichkeiten, mit denen man sowohl in der Praxis als auch in der Diskussion mehr oder weniger gut hantieren kann. Und dafür wurden sie auch gemacht. Denn in den "theoretischen Diskursen" wird so gut wie ausschließlich von Rollenspielern diskutiert.

Ich hoffe, ich darf hier mal einen Blick in andere Genres werfen, um zu verdeutlichen, um was es mir geht. Als Student habe ich mich sehr ausgiebig in Musikerkreisen (Klassik) bewegt, und vor allem Instrumentalisten rennen da mit einem stattlichen KnowHow durch die Gegend und können ziemlich viel über Musik sagen. Vor allem haben sie ein ausgeprägtes Vokabular, um sich darüber zu unterhalten, klar, sie haben ja auch studiert. Theorie eben, sollte man meinen. Aber von den 120 Musikern eines Orchesters haben vielleicht 5 oder höchstens 10 das, was ein Musikwissenschaftler als Ahnung von Musiktheorie (im wissenschaftlichen Sinne) bezeichnen würde. Bei Sängern ist das noch ausgeprägter, da haben viele noch nicht einmal mehr als eine Grundidee, was Musikgeschichte angeht ...

Will sagen: Es gibt die wissenschaftliche Theorie, und es gibt Experten (aus der Praxis) mit immens viel Ahnung, die zwar ein (theoretisches) Vokabular entwickeln, aber eben nie und nimmer wissenschaftlich, sondern für ihre Arbeit.

Dasselbe ließe sich über viele andere Gruppen sagen. Wie viele Schriftsteller haben keine oder wenig Ahnung (im wissenschaftlichen Sinne) von Linguistik, Semantik, Kommunikationsmodellen, Literaturtheorie etc. Dennoch haben und entwickeln Autoren Theoriebegriffe, die sich aber nicht zwangsweise (und eher selten) mit denen der Literaturwissenschaft decken. Denn es sind auf die Praxis bezogene Begriffe.

Damit möchte ich sagen, dass es sicher an einer wissenschaftlich korrekten Beschäftigung mit Rollenspieltheorie fehlt, aber dass das uns Rollenspielern hier im Forum ziemlich egal sein kann. Denn wir brauchen Theorie nur, um Begrifflichkeiten zum Handeln zu haben. Ein theoretischer Begriff wie "Gruppenvertrag" braucht wissenschaftlich nicht abgesichert zu sein für uns, solange wir damit gut hantieren und uns unterhalten können. Das ist ja auch, was Elch meinte: Es ist vollkommen egal, ob die Theoriewelle nun wissenschaftlich tragbar ist oder nicht, wichtig ist, dass sie es Rollenspielern ermöglicht hat, Klarheit zu schaffen, Werkzeuge und Systeme zu erhalten, mit denen man in der Praxis und im Gespräch besser zurecht kommt. Im Prinzip sind wir halt Orchestermusiker, für uns ist es nur wichtig, dass wir Noten lesen können und blicken, wer bei der Fuge gerade das Hauptthema spielt. Die vollständig wissenschaftliche musiktheoretische Durchdringung kann uns egal sein, und: sie würde uns wahrscheinlich häufig überfordern (wie viele Leute, die laut über das Thema Musik mitdiskutieren, können kaum Noten lesen, geschweige denn, eine Sonatenhauptsatzform erkennen?). So sehr ich eine wissenschaftliche Rollenspieltheorie unterstütze, glaube ich doch, dass sie uns hier wenig voranbringen würde. Wir brauchen die Theorie nämlich zum Arbeiten und nicht, damit der Geisteswissenschaft gedient ist.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: nebelland am 16.09.2011 | 08:48
Und was war jetzt die Aussage deiner Ellipse?

"To be continued". :)

Um mit Faust zu sprechen, war das das "Vorspiel auf dem Theater". Es folgt der "Prolog im Himmel". ;)

Wenn Du noch einen Vorschlag zur Problemlösung integriert hättest, wärs perfekt ;)

Eines nach dem anderen!

Mir persönlich geht es so, dass ich die Fragen, die mich zum Thema "Rollenspiel" so umgetrieben haben, mit Hilfe des mir aktuell zur Verfügung stehenden Wissens über Rollenspiele (nenn' es "Rollenspieltheorie" oder sonstwie) zu meiner vollen Zufriedenheit beantworten kann.

Das ist doch klasse. Mir geht es halt nicht so.

Die meisten früheren "Theoretiker" hatten wohl ähnliche Werdegänge wie ich

Ja, die Leute sind träge geworden, und zufrieden. Um bildlich zu sprechen, ein Teil der Küste ist kolonisiert, man hat auch mal ne Fahne auf einen Berg gepflanzt, aber anstatt das riesige Hinterland zu erkunden, hat man sich einen gemütlichen Alterssitz gebaut. Schade!

Ohne empirische Phänomene, die es zu erklären gilt, kann keine Theoriebildung stattfinden. Und die wirklich erklärungswürdigen / -bedürftigen Phänomene scheinen aktuell zu fehlen.

Das ist eine Frage der Perspektive. Siehe unten.

Ob es überhaupt möglich ist, Rollenspiele auf einem einigermaßen sattelfesten theoretischen Niveau zu diskutieren? Gute Frage, ich vermute: nein, nicht sonderlich gut.

Heute geht das nicht. Es fehlen die Grundlagen. Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir da in den nächsten 20, 30 Jahren sehr viel weiter kommen.

Cool! :D Dann wäre das doch jetzt die Gelegenheit, eine Sammlung solcher Phänomene anzufertigen, die a) unklar genug und b) spannend genug sind.

Das habe ich indirekt bereits in einem anderen Thread getan (http://tanelorn.net/index.php/topic,49550.0.html). "Spannend" ist eine subjektive Frage. Unklar genug ist dagegen eigentlich alles. Wo beginnen?


Das nur als Wiederholung und Anriss des Themas ohne annähernden Anspruch auf Vollständigkeit. Die Zahl der Phänomene, die "unklar genug" ist, ist Legion. Ich werde diese Liste oder andere Punkte aber hier nicht weiter diskutieren, das ist nicht der Zweck dieses Threads.

Aber man braucht eigentlich keine Liste. Es reicht, wenn man sich fragt, was Rollenspiel eigentlich ist, allein das öffnet die Büchse der Pandora.

Florian
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: nebelland am 16.09.2011 | 08:50
Damit möchte ich sagen, dass es sicher an einer wissenschaftlich korrekten Beschäftigung mit Rollenspieltheorie fehlt, aber dass das uns Rollenspielern hier im Forum ziemlich egal sein kann. Denn wir brauchen Theorie nur, um Begrifflichkeiten zum Handeln zu haben. Ein theoretischer Begriff wie "Gruppenvertrag" braucht wissenschaftlich nicht abgesichert zu sein für uns, solange wir damit gut hantieren und uns unterhalten können.

Das unterschreibe ich so. In Schönschrift.

Florian
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ErikErikson am 16.09.2011 | 08:51
Immerhin hat das T gerade das Mon Plaisir-Spiel definiert, was ja durchaus als wissenschaftlicher Akt verstanden werden kann.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: nebelland am 16.09.2011 | 09:11
Na gut, einen muss ich doch noch nachschieben.

Damit möchte ich sagen, dass es sicher an einer wissenschaftlich korrekten Beschäftigung mit Rollenspieltheorie fehlt, aber dass das uns Rollenspielern hier im Forum ziemlich egal sein kann. Denn wir brauchen Theorie nur, um Begrifflichkeiten zum Handeln zu haben.

Es muss dabei nur jedem klar sein, was er (oder sie) macht und wovon er redet. Das ist es oft, aber nicht immer.

Zum Vergleich: Homöopathie hilft auch vielen, und die können sich auch über "Fluxionspotenzierung", "schwache Quantentheorie" und "Dynamisierung" unterhalten, so viel sie wollen. Sie sollten nur nicht den Fehler machen, das mit Wissenschaft zu verwechseln (und das heißt hier nicht mit einem "abgehobenen Elfenbeiturm", sondern mein schlicht die Qualität dieser Begrifflichkeiten).

Das als Ergänzung.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: גליטצער am 16.09.2011 | 09:23
Die Rollenspieltheorie ist Tod und das ist gut so.

Der Eingangspost, den ich mir jetzt doch durchgelesen habe, verdeutlicht für mich das Grundproblem der Rollenspieltheorethiker: Sie können nicht publizieren. Die Forge war schon schlimm, schlimmer aber ist, dass niemand daraus gelernt hat. Wenn ich eine Theorie darstellen will, muss ich einen Artikel schreiben, keinen Forenbeitrag. Forenbeiträge liest keiner. Die Tatsache, dass sich die wenigsten Rollenspieltheoretiker die Mühe gemacht haben, Artikel aus ihren Theoriediskussionen zusammenzuschreiben und irgendwo an einem gemeinsamen Ort zusammenzutragen beweist mir, dass die großen Theoretiker Ihre eigene Arbeit offenbar für wertlos halten (und wehe Ihr kommt mir mit dem Forge-Artikel-Repository und seien mickrigen 19 Einträgen, das ist unterm Strich nicht gerade viel). Wenn Ihr Euch schon selber nicht ernst nehmt, wieso sollten es wir dann tun? Wie gesagt die Theorie ist tot oder liegt zumindest krepierend am Straßenrand. Lasst sie da verenden, oder gebt ihr den Gnadenschuss, aber päppelt sie in Gottes Namen bitte nicht mehr wieder auf (und wehe Ihr belebt sie wider, dann hetz' ich Euch verfluchten Nekromanten die Inquisition auf den Hals). Wen Ihr weiter an dem Zeug festhaltet, wie Ihr es jetzt betreibt, bleibt Theorie für die meisten von uns unbrauchbar. Wen Ihr sie aber endlich loslassen und begraben könntet,  dann hättet Ihr die Chance die Idee neu anzugehen, aber diesmal richtig.

So genug gerantet, meine lieben Theoretiker, jetzt dürft Ihr im Gegenzug Steine nach mir werfen ;)
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: korknadel am 16.09.2011 | 09:26
  • Wie lässt sich Rollenspiel als sprachlicher Kommunikationsprozess beschreiben?
  • Welche semiotischen Prozesse laufen beim Rollenspiel ab?
  • Welche kulturellen Voraussetzungen sind für das Phänomen "Rollenspiel" notwendig, und wie ist es kulturell eingebettet?

Diese drei Punkte, vor allem das mit der sprachlichen Kommunikation, interessieren mich von der Liste am meisten. Irgendwo in den Tiefen irgendwelcher Threads gab es hier auch schon mal interessante Mutmaßungen über die Besonderheit des Rollenspiels als "Sprechakt" ( :D). Ah, jetzt fällt mir's ein, das war in einem Thread, wo es darum ging, ob man eine Rollenspiel-Session als (mündliche) Literaturform bezeichnen kann, und da wurden ein paar spezifische Merkmale dieser besonderen "Gattung" aufgezählt, was ich sehr spannend fand.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 16.09.2011 | 09:31
Die Rollenspieltheorie ist Tod und das ist gut so.
Du machst doch genau den Fehler, den Florian anprangert: verkürzte Sicht der Rollenspieltheorie auf das, was die Forge unter einer systematischen Herangehensweise versteht. Parallel ignorierst Du - vermutlich aus Unwissen - die ambitionierteren Ansätze. Generell zeigt Dein Post aber ein grundlegendes Problem: viel zu viele Leute in Foren billigen ihren Meinungen ein unrealistisches Gewicht zu, wähnen sich fälschlicher Weise wohlinformiert, urteilen ebenso harsch wie vorschnell und verfügen zu guter Letzt nicht über den für eine systematische Diskussion erforderlichen Ausbildungshintergrund. Das alles macht Forendiskussionen vollkommen hoffnungslos.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Joerg.D am 16.09.2011 | 09:32
Zitat
Ja, die Leute sind träge geworden, und zufrieden. Um bildlich zu sprechen, ein Teil der Küste ist kolonisiert, man hat auch mal ne Fahne auf einen Berg gepflanzt, aber anstatt das riesige Hinterland zu erkunden, hat man sich einen gemütlichen Alterssitz gebaut. Schade!

Nein eher 98% des Landes sind erkundet und die Leute wissen wo sie wohnen und arbeiten wollen. Sie sehen für die letzten 2% nicht genügend Gegenwert um die Mühe in Forschung zu investieren.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Sashael am 16.09.2011 | 09:41
Nein eher 98% des Landes sind erkundet und die Leute wissen wo sie wohnen und arbeiten wollen. Sie sehen für die letzten 2% nicht genügend Gegenwert um die Mühe in Forschung zu investieren.
Ich glaube, etwas Ähnliches sagte man auch schon über die Geographie, bevor irgend so ein Heini was von Kontinentaldrift schwafelte.  ;)
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Kriegsklinge am 16.09.2011 | 09:41
Ja, Rollenspieltheorie ist echt ziemlich 2007. Da hilft jetzt auch kein Ruf nach Verwissenschaftlichung mehr. Gut, wenn man im realen Leben noch irgendwo eine 50%-Stelle damit abgrabben kann, okay, dann drücke ich so flammenden Pamphleten echt sämtliche Daumen, ich meine, wenn's um Stipendien oder Drittmittel geht, sind ja alle Wortblasen erlaubt. Aber im echten Leben braucht das keine Sau mehr.

Ich meine das halb so fies, wie es klingt, sondern ganz ernsthaft: Solche Projekte haben ihre Zeit, und vor 2-3 Jahren gab es die Leute, das Interesse, die Gesprächskultur und die nötige Freizeit und die neuen Spiele, da kam alles zusammen. Das ist vorbei, und das ist auch nicht weiter schlimm. Die Ergebnisse lassen sich für Interessierte nachlesen, das ist ja nicht weg. Diesen Rant gegen die Forge kapier ich auch nicht: Warum das alles schlecht sein soll, nur, weil es auf einer in den USA beheimateten Website beredet wurde (beileibe nicht nur von US-Amerikanern, sondern sehr wohl auch im Austausch mit Deitschen, man denke an Settembrini vs. Edwards, Lord Verminaard, dazu die Skandinavier, Leute aus Polen, Südamerika ... das war schon recht intenational). Man kann vieles gegen die Forge sagen, aber diese Einlassung klingt dann doch auch eher nach "Bitte lenken Sie die Drittmittel in meine Richtung, denn ich besetzte eine neue Nische, danke".

Da im Rollenspielbereich aber jede Mode wiederkommt, gibt es sicher in 4, 5 Jahren eine Theorie-Renaissance. Da kommen dann alte Recken mal wieder zur verdienten Anerkennung  ;).

Also, ich halts mit dem Elch und Anderen: Theorie? Welche Theorie?

Übrigens, wo wir schon mal dabei sind, brauchen wir diesen Forumsbereich eigentlich noch? Aus anderen als historischen Gründen? Ist doch alles gesagt.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: גליטצער am 16.09.2011 | 09:49
@Tafkakb
Ja ich kenne diese ambitionierte Ansätze nicht, aber woher denn? Die ambitionierten Ansätze sind doch auch nichts wert, wenn ich sie mir erst erschließen muss, indem ich mich durch tausende Postings wühle. Momentan ist das ganze Feld nebulös und einer "Elite" an Irren vorbehalten, die sich das antun, bzw. derer, die da von Anfang an dabei waren. Zugänglichkeit wäre aber der Schlüssel zur Akzeptanz einer Disziplin. Und als besonders zugänglich empfinde ich die RPG-Theorie nun wirklich nicht.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: MSch am 16.09.2011 | 09:49
Kleiner Hinweis:

Die "Rollenspieltheorie" ist erst im Usenet aufgekommen, wurde dann von Ron Edwards okupiert und in der Forge weitergeführt und als sie da dann wieder herausschwappte war das (Rollenspiel)Usenet quasi schon tot.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 16.09.2011 | 09:52
(wie viele Leute, die laut über das Thema Musik mitdiskutieren, können kaum Noten lesen, geschweige denn, eine Sonatenhauptsatzform erkennen?).
Hans Zimmer, immerhin einer der wichtigsten Filmkomponisten und Oscar-Preisträger, kann keine Noten lesen.
 
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: גליטצער am 16.09.2011 | 09:58
Hans Zimmer, immerhin einer der wichtigsten Filmkomponisten und Oscar-Preisträger, kann keine Noten lesen.
 
OT: Ahh, das erklärt, wieso sich bei ihm und seinen Schülern immer alles gleich anhört :D
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 16.09.2011 | 10:14
Ja ich kenne diese ambitionierte Ansätze nicht, aber woher denn? Die ambitionierten Ansätze sind doch auch nichts wert, wenn ich sie mir erst erschließen muss, indem ich mich durch tausende Postings wühle. Momentan ist das ganze Feld nebulös und einer "Elite" an Irren vorbehalten, die sich das antun, bzw. derer, die da von Anfang an dabei waren. Zugänglichkeit wäre aber der Schlüssel zur Akzeptanz einer Disziplin. Und als besonders zugänglich empfinde ich die RPG-Theorie nun wirklich nicht.
Die Entwicklung der Rollenspieltheorie ist ein sich selbst organisierender Prozess. So etwas wirkt am Anfang immer chaotisch. Es gibt niemanden, der diesen Prozess lenkt. Außerdem sind soziale Entwicklungen geduldig. Jahre sind nur Augenblicke, erst im Rückblick auf Jahrzehnte werden wir die tatsächlichen Fortschritte angemessen würdigen können.

Zugänglichkeit zur Theorie fehlt auch uns Theoretikern. Was ich an Theorie im Forum verreitet habe, kriege ich nicht mal selbst wieder zusammen. Und jemand anderes schon gar nicht. Diese chaotische Theoriemasse, die von den Teilnehmern in die Runde gestreut wird, muss einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, an dem es ökonomischer ist, sie geordnet zu bündeln, statt weiter Krümel zu verteilen. Persönliche Einschätzung: in etwa dieser Phase befinden wir uns. Die Entwicklung der Rollenspieltheorie geht in eine neue Organisationsphase über. Mit Blick auf alte Organisationsprozesse (= wilde Forumdiskussionen) sieht das nach einem Tod aus. Das ist aber ein Tod von Organisationsstrukturen und nicht der Tod der Theorie selbst.

OT: Ahh, das erklärt, wieso sich bei ihm und seinen Schülern immer alles gleich anhört :D
Er ist Autodidakt. Seine "musikalische Ausbildung" bestand darin, dass er als Kind ein paar Opern besucht hat. Die Eindrücke, die sich dabei in sein Unbewusstes eingebrannt haben, prägen ihn. Die verwurstet er immer wieder neu. Unwissende Musiker schimpfen über ihn, er sei ein Dieb und klaue einfach Teile aus klassischen Melodien. :D
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 16.09.2011 | 10:17
@Tafkakb
Ja ich kenne diese ambitionierte Ansätze nicht, aber woher denn? Die ambitionierten Ansätze sind doch auch nichts wert, wenn ich sie mir erst erschließen muss, indem ich mich durch tausende Postings wühle. Momentan ist das ganze Feld nebulös und einer "Elite" an Irren vorbehalten, die sich das antun, bzw. derer, die da von Anfang an dabei waren. Zugänglichkeit wäre aber der Schlüssel zur Akzeptanz einer Disziplin. Und als besonders zugänglich empfinde ich die RPG-Theorie nun wirklich nicht.
Die Beschäftigung mit Rollenspieltheorie kann und wird in amitionierter Form nicht in Foren stattfinden. Dafür braucht es systematischere Ansätze. Die werden aber ja gerade aufgebaut. International Journal of Roleplaying, Knutepunkt, Journals mit Querbezügen (Game Studies oder Cyberpsychology etwa), Dissertationen (gibts diverse, eine - dem Anschein nach recht schwache - aus Deutschland wurde hier im Forum kürzlich erst ausgebuddelt) und diverse Artikel in weiteren Journals, die immer mal wieder auftauchen. Das sollten die Plattformen zur theoretischen Beschäftigung mit Rollenspielen sein. In Foren kann man dann versuchen, ein paar Erkenntnisse zu diskutieren. Ambitionierte Wissensgenerierung ist dort jedoch kaum möglich. Die Forge hat da einen wirklich beeindruckenden Job gemacht, den Flohzirkus so zu bändigen, dass was in irgendeiner Form Greifbares herauskommt. Aber letztendlich ist das alles unbrauchbar und sogar kontraproduktiv, wenn man einen systematischeren, haltbareren Ansatz verfolgt, dessen Erkenntnisse in die Breite getragen werden sollen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Lord Verminaard am 16.09.2011 | 10:36
Na gut, jetzt schreibe ich doch was dazu. Ich weiß nicht genau, lieber Florian, warum du gerade jetzt und gerade hier diesen Text veröffentlichst. (Jetzt? Ich denke, du rollenspielforscht nach deinem Selbstverständnis schon mindestens seit 2009? – Hier? Über „Rollenspielforschung“ im Tanelorn zu reden, ist das nach deinem Dafürhalten nicht wie über Politikwissenschaft am Stammtisch in der Fußballkneipe zu reden?)

Auch wenn der Fußball- und Schachvergleich ziemlich hinkt, ist es ja nicht so, dass ich dir in deiner Sachverhaltsdarstellung nicht zustimmen würde. Die Frage, die ich bereits bei früherer Gelegenheit dazu gestellt habe, lautet weiterhin, ob die Bedeutung des P&P-Rollenspiels (wirtschaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch) den Aufwand einer wissenschaftlichen Erforschung rechtfertigt. Die Antwort ist nein. Wirtschaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch ist dieser Aufwand nicht gerechtfertigt. D.h. es ist reine Liebhaberei, du machst das, weil es dir Spaß macht und weil du meinst, es zu können.

Die sogenannten „Theoretiker“ haben seinerzeit etwas anderes gemacht, mit einem anderen Anspruch und einem anderen Ziel, aber aus dem gleichen Grund: Weil es uns Spaß gemacht hat und wir meinten, es zu können. Das magst du bedauern, weil du dir Gesprächspartner im deutschen Sprachraum gewünscht hättest, die irgendwie Interesse an dem Ding hätten, das du machst bzw. machen möchtest. Also nicht nur Interesse im Sinne von: „Mach mal, ich schau mir dann an, was dabei rauskommt“, sondern Interesse im Sinne von: „Oh ja, da will ich mitmachen!“ Klar, dass die nicht vorhandene Resonanz dich nervt. Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn du 2005 gekommen wärest, wer weiß. Kann keiner mehr ändern.

Dementsprechend bleibt uns hier nur, dir einen guten Weg und viel Erfolg zu wünschen. Was ich allerdings klarstellen möchte, ist folgendes: Wir „Theoretiker“, jedenfalls hier im Tanelorn, haben nie vorgegeben, etwas anderes zu sein als wir waren. Es ist nicht unser Versäumnis, dass wir nie „Rollenspielforschung“ in deinem Sinne betrieben haben. Uns ging es lediglich um informierten Diskurs, nicht mehr, nicht weniger, und den haben wir geführt. Kein Grund, die virtuelle Nase über uns zu rümpfen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Oberkampf am 16.09.2011 | 11:00
"Rollenspieltheorie" als Hilfestellung zur Durchdringung der rollenspielerischen Praxis mit einigermaßen verständlichen, handhabbaren und gruppenübergreifenden (konsensuell akzeptierten) Begriffen zur Optimierung dieser Praxis ist, glaube ich, noch nicht tot. Da gibt es noch ausreichend dunkle Flecken, über die man noch nicht begrifflich halbwegs abgesichert kommunizieren kann. Die Unterscheidung zwischen taktischem und erzählerischem Spiel, auf die im Aufsatz verwiesen wird, auch wenn ich sie an einigen Stellen nicht teile, ist ein gutes Beispiel, was eine Rollenspieltheorie an Praxishilfe leisten kann.

"Rollenspieltheorie" als "Rollenspielwissenschaft" erscheint mir auf den ersten Blick sehr fragwürdig. Problematisch ist dabei in meinen Augen auch der Aspekt, dass "Rollenspieltheorie" in der Regel von Praktikern im Vollzug entwickelt wird (zu deutsch: anhand der Beobachtungen am eigenen Spielverhalten). Ohne übergeordnete Beobachter erscheint mir das nicht sonderlich theoriefördernd zu sein.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Fredi der Elch am 16.09.2011 | 11:29
Aber man braucht eigentlich keine Liste. Es reicht, wenn man sich fragt, was Rollenspiel eigentlich ist, allein das öffnet die Büchse der Pandora.
Ich sehe das eben ganz anders. Was du machst, ist sehr abgehobene Fragen aufwerfen, über die man allenfalls auf sehr abstraktem Niveau diskutieren kann. Vielleicht bin ich da zu sehr empirischer Sozialwissenschaftler, aber mir gibt das überhaupt nichts. Aus meiner Sicht bräuchte es eine Liste von beobachtbaren und angemessen beschreibbaren Phänomenen, die man dann erklären kann und möchte.

So ist damals die "Theorie" im Rollenspielbereich entstanden: eine Menge Leute waren mit ihrem Spiel unzufrieden und sind immer wieder (z.B. mit "Story") in ihrer Runde gegen die Wand gefahren. Alle waren unzufrieden und keiner wusste so genau warum. Dieses Phänomen hat GNS (und dann das Big Model) aufgenommen und (aus meiner Sicht befriedigend) erklärt.

Wo sind jetzt ähnliche Phänomene, die für eine ausreichende Zahl von Personen eine hohe Relevanz besitzen? Nur so könnte man aus meiner Sicht eine ähnliche produktive Diskussion in Gang bringen wie damals. Und das meinte ich mit der Tatsache, dass es anscheinend keine Phänomene mehr gibt, die es sich zu erklären lohnt: keiner kann/will mal einige davon zusammenstellen. Es scheint mir wie Jörg es sagt: 98% sind erforscht und die 2% interessieren keinen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 16.09.2011 | 12:56
Klar kann man sich hinstellen und sagen:

Zitat
Wir haben neulich im Forum darüber diskutiert, dass man zwischen Benzin-, Gas- und Elektroautos unterscheiden kann. Die Wahl des Antriebs hat verschiedene Auswirkungen auf die Umwelt, haben wir uns gedacht. Benzin ist pfui und Gas geht so. Nur Elektro ist cool und man kann außerdem dazu tanzen. Das reicht. Damit halte ich jegliche weitere theoretische Beschäftigung mit dem Thema Autoantrieb für überflüssig, denn es bleiben nur so abgehobene Fragen übrig und wir haben schließlich das empirisch beobachtbare Phänomen geklärt. Wir wissen hinreichend, worüber wir sprechen, wir können das Auto nutzen und wir kennen die Konsequenzen dieser Nutzung. Ist doch toll. Mehr braucht man nicht. Sollte jemand noch mehr wissen wollen, dann soll er mal hier ins Forum kommen und Fragen stellen. Bei uns im Forum gibts nämlich ganz viele begeisterte Autofahrer und wir können in Diskussionen bestimmt viele Ideen für neuartige Antriebe entwickeln.

Wie sinnvoll das ist, steht auf einem anderen Blatt.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Fredi der Elch am 16.09.2011 | 13:03
Den Post habe ich jetzt gar nicht verstanden.  wtf? Kann mir da jemand helfen?
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Oberkampf am 16.09.2011 | 13:21
Alles verstehe ich davon auch nicht. TAFKAKB will, glaube ich (kann mich aber täuschen) wohl unter anderem darauf hinaus, dass Meinungen bzw. Geschmacksurteile rein subjektiv sind und deswegen nicht diskutiert werden können (sondern bestenfalls zur Kenntnis genommen werden können  ;) )
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: asri am 21.09.2011 | 08:38
Ein bisschen hab ich das Gefühl, dass Florians Beitrag in erster Linie die Situation in den (vor allem deutschen?) Foren betrachtet. Das ist aber natürlich, wie andere schon gesagt haben, gar nicht der Ort, wo Rollenspielforschung stattfindet. In Anbetracht der Tatsache, dass Game Studies/ Spielforschung allgemein noch eine sehr junge Disziplin ist, scheint mir die Situation ganz passabel. Es gibt immer mal wieder akademische Arbeiten, Tagungen, Zeitschriften. Ich verstehe nicht, wieso man die Situation so dramatisch zeichnen sollte. Forschung braucht Zeit; erst recht, wenn eine Disziplin gerade erst entsteht. Ein pauschales Urteil über Rollenspielforschung, ohne irgendwelche der jüngeren (und meinethalben älteren) Literatur zu erwähnen, würde ich mir gar nicht zutrauen. Da ich die Literatur nicht kenne, weiß ich nicht, ob Florians Urteil vielleicht berechtigt ist - aus seiner Argumentation heraus kann ich das aber nicht abschätzen, weil bei mir der Eindruck entsteht, dass er an der existierenden Forschung vorbei argumentiert.

Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 21.09.2011 | 09:49
Wie so oft sind Lord Verminaard und Kriegsklinge meine Helden. Auch mir erschließt sich der Sinn des Forge-Rants nicht und schon gar nicht, was das mit "Deutschen" und "Amis" zu tun haben soll. Ohne das wäre es ein interessanter Beitrag, so eher ärgerlich und jedenfalls alles andere als "wissenschaftlich".
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ErikErikson am 21.09.2011 | 09:55
Mir entgeht auch wirklich die relevanz von P&P-Forschung. Wenn es um was wichtiges ginge, das auch Umsatz macht, wie Computer-RPGs, dann ok.

Aber wenn ich mir die ewige lamentiererei anhöre, dass man mit Kloputzen mehr verdienen kann als mit RPGs, dann würde ja die Forschung drüber mehr Umsatz machen als die "RPG-Industrie" an sich, und das kanns ja auch nicht sein.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: asri am 21.09.2011 | 10:08
Nur kurz: Das (Tisch-)Rollenspiel gesellschaftlich eher ein marginales Phänomen ist, heißt nicht, dass es nicht erforschenswert ist. Babylonische Orakeltexte, mittelalterliche Kleidermoden, sorbische Grammatik, Ashtar-Channelings oder Zwölftonmusik haben jetzt auch nicht gerade großen sozialen Impact, trotzdem gibt es dafür Forschungsgelder und -interessen. Also nix gegen Rollenspielforschung.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 21.09.2011 | 10:11
Wie so oft sind Lord Verminaard und Kriegsklinge meine Helden. Auch mir erschließt sich der Sinn des Forge-Rants nicht und schon gar nicht, was das mit "Deutschen" und "Amis" zu tun haben soll. Ohne das wäre es ein interessanter Beitrag, so eher ärgerlich und jedenfalls alles andere als "wissenschaftlich".
Es erschließt sich folgendermaßen: In den letzten Jahren wurden von "alten Forge-Hasen" immer wieder Theoriediskussionen gestört, mit ungefähr folgenden "Argumenten":

Abgesehen davon, dass die Argumente dümmlicher nicht sein könnten, sind sie auch deshalb ein Ärgernis, weil es für diejenigen, die keine Fragen mehr haben, eigentlich keinen Grund gibt, sich in Diskussionen einzumischen, die für sie nicht mehr interessant sein sollten. Es gibt jedenfalls keinen sachlichen Grund. Aus welchem Grund mischen sich einige Leute trotzdem destruktiv ein? Mir scheint, es geht dabei um Machtspielchen, um Reputation. Wer ist der Oberchecker in Sachen Rollenspieltheorie? Wer hat die Deutungshoheit? Darum geht es im Kern, wenn gegen Forge oder gegen neue Ansätze in Rollenspieltheorie gestänkert wird.

Es gibt keine gesellschaftliche Relevanz für den Aufbau einer systematischen Rollenspieltheorie. Das ist aber kein Argument, weil niemand gefordert hat, Geld aus der medizinischen Forschung für Rollenspielforschung abzuzweigen oder sowas ähnliches. Rollenspielforschung bewegt sich im Hobby-Bereich. In diesem Bereich spielt gesellschaftliche Relevanz keine Rolle, es zählt einzig das persönliche Interesse. Gegen hobbymäßig erforschte Rollenspieltheorie anzustänkern ist so intelligent wie gegen Briefmarkensammeln oder Modellbau zu argumentieren.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 21.09.2011 | 10:18
Abgesehen davon, dass die Argumente dümmlicher nicht sein könnten, sind sie auch deshalb ein Ärgernis, weil es für diejenigen, die keine Fragen mehr haben, eigentlich keinen Grund gibt, sich in Diskussionen einzumischen, die für sie nicht mehr interessant sein sollten. Es gibt jedenfalls keinen sachlichen Grund. Aus welchem Grund mischen sich einige Leute trotzdem destruktiv ein? Mir scheint, es geht dabei um Machtspielchen, um Reputation. Wer ist der Oberchecker in Sachen Rollenspieltheorie? Wer hat die Deutungshoheit? Darum geht es im Kern, wenn gegen Forge oder gegen neue Ansätze in Rollenspieltheorie gestänkert wird.
 

Das ist allerdings kein Problem der Forge und der von dort kommenden Ansätze, sondern ein Problem schlechter Diskussionskultur. Wenn man Forge-Freunde als "Mitläufer" denunziert, geht das doch an dem Problem nervigen Distinktionsstrebens vorbei.
Ich fühle mich da ehrlich gesagt nur negativ an die entgegengesetzte Distinktionsstrategie erinnert, die mindestens ebenso nervt, von wegen: "Ihr arroganten Theoriewichser redet doch nur Müll, das versteht eh keiner. Ich habe kraft meine markigen Bodenständigkeit auf jeden Fall recht und es gar nicht nötig, zu argumentieren."
Da sind mir ein paar Forge-Klugscheißer, die sich zumindest Gedanken gemacht haben, allemal lieber. Für mich ist "System does matter" jedenfalls eine bleibende Bereicherung meines Horizonts und meiner Rollenspielpraxis und keine Zumutung von irgendeinem Theorieheini, der sich einbildet, es besser zu wissen als ich.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Der Nârr am 21.09.2011 | 10:27
  • Bezogen auf einen grundsätzlichen Spielbegriff: Was ist Rollenspiel eigentlich? Wie funktioniert es? Welche dem "Spiel" zugehörigen Prozesse sind beim Rollenspiel wie ausgeprägt?
[...]
Aber man braucht eigentlich keine Liste. Es reicht, wenn man sich fragt, was Rollenspiel eigentlich ist, allein das öffnet die Büchse der Pandora.
Ach, ich weiß nicht. Weißt du, ich studiere Religionswissenschaft. In der Religionswissenschaft haben wir auch das Problem einer Definition von Religion. Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Definition und es gibt unzählige Ansätze und Versuche, sie zu definieren. Aktuell sind wohl am ehesten kombinierte Begriffe verbreitet, die auf Kommunikationstheorie auf der einen und Pragmatische Modelle auf der anderen Seite zurückgreifen. Und alle Jahre wieder versucht es jemand inhaltlich oder funktionalistisch. Aber je nachdem, aus welcher Perspektive man sich Religion nähert, kann sich der Wert einer Definition verschieben. Naja, irgendwie klappt es trotzdem ganz gut. Meiner bescheidenen Meinung nach können wir Rollenspiel im wesentlichen nur diskurstheoretisch verstehen. Und dann ist eine exakte Definition auf einmal gar nicht so wichtig, weil sich Rollenspiel selbst definiert. Die Büchse der Pandora sollte also am besten gar nicht erst geöffnet werden.
Der Versuch, etwas wie Rollenspiel oder Religion zu definieren, ist für mich schon selbst eine (intellektuelle) Spielerei. Ein Rätsel, das niemals gelöst werden kann.

Gegen hobbymäßig erforschte Rollenspieltheorie anzustänkern ist so intelligent wie gegen Briefmarkensammeln oder Modellbau zu argumentieren.
  :d.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 21.09.2011 | 10:40
Das ist allerdings kein Problem der Forge und der von dort kommenden Ansätze, sondern ein Problem schlechter Diskussionskultur.
Zum Teil ja. Und zwar von allen Seiten. Die destruktiven Einmischungen der Theoriefeinde findest du in jeder Theoriediskussion. Und als Reaktion darauf Gegenbashing. Es ist schwer herauszufinden, wer angefangen hat und wer in Eigenverteidigung reagiert. Es ist ein ständiges Hin und Her. Übergeordnet betrachtet beobachten wir die Emanzipation der neuen Theorieanhänger, die sich von der Last der Forge befreien wollen. Mit dieser Last sind aber nicht die Sachbeiträge der Forge gemeint, sondern die permanente Einmischung ewiger Nörgler, die mit Verweis auf Forge meinen, es gäbe nichts mehr zu diskutieren.

Die schlechte Diskussionskultur ist nur ein Symptom. Dir Ursache dahinter ist - ich bleibe dabei - Machtspiele. Die einen wollen neu denken. Die anderen wollen das Neudenken verbieten. Ist doch klar, dass in so einer Konstellation die Fetzen fliegen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 21.09.2011 | 10:52
bergeordnet betrachtet beobachten wir die Emanzipation der neuen Theorieanhänger, die sich von der Last der Forge befreien wollen. Mit dieser Last sind aber nicht die Sachbeiträge der Forge gemeint, sondern die permanente Einmischung ewiger Nörgler, die mit Verweis auf Forge meinen, es gäbe nichts mehr zu diskutieren.

Ja, das ist wirklich ärgerlich. Ich erlebe das hier allerdings kaum. Deshalb finde ich den Aufruf, selbst zu denken als nur der Forge nachzulaufen, in der Form etwas abgeschmackt. Als ginge es darum, jetzt mal einen Schlusstrich unter den Forge-Kram zu ziehen und etwas neues, eigenes zu starten - anstatt einfach die schon geführten Diskussionen aufzugreifen und weiterzuentwickeln oder explizit bestehende Ansätze zu kritisieren. Das ist doch genau so dumm, wie die Behauptung, es sei schon alles geklärt. Beide Behauptungen ("Es ist eh schon alles geklärt" und "wir müssen etwas ganz neues anfange") zeugen doch von einem statischen Verständnis von Theorie, als bestünde Theorie darin, Begriffe zu definieren, den Gegenstand immer weiter einzugrenzen und irgendwann die gemäß dem jeweiligen Modell letztgültige und objektive Erkenntnis über ihn zu haben.
Dass man bei der theoretischen Entwicklung üblicherweise Begriffe aufnimmt, infrage stellt, umdefiniert, wird dabei völlig vergessen. Stattdessen wird "die Forge-Theorie" von beiden Seiten als erstarrtes Artefakt angesehen.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 21.09.2011 | 11:18
Ja, das ist wirklich ärgerlich. Ich erlebe das hier allerdings kaum.
Ich erlebe das in jeder Diskussion. Viele Theoriediskussionen beschäftigen sich gar nicht mehr mit der Sache an sich, sondern mit der Frage, ob man überhaupt diskutieren soll oder nicht. Es ist sauschwer, diesen Aspekt abzuwehren und bei der eigentlichen Sache zu bleiben. Für mich übrigens einer der Gründe, warum hier immer weniger in der Sache diskutiert wird. Dafür sind die Theoriethemen ins Allgemeine Board gewandert. Dort werden sie offenbar gar nicht als Theorie erkannt und können eher in der Sache diskutiert werden als hier.

Deshalb finde ich den Aufruf, selbst zu denken als nur der Forge nachzulaufen, in der Form etwas abgeschmackt. Als ginge es darum, jetzt mal einen Schlusstrich unter den Forge-Kram zu ziehen und etwas neues, eigenes zu starten - anstatt einfach die schon geführten Diskussionen aufzugreifen und weiterzuentwickeln oder explizit bestehende Ansätze zu kritisieren.
Darum geht es aber der neuen Theorierichtung gar nicht. Niemand verlangt einen Schlussstrich unter der Forge. Es interessieren einfach andere Dinge. Deshalb ist der dauernde Verweis auf die Forge so nervig. Du machst es gerade auch: knüpf doch an die Forge an und entwickel das weiter.  ::)
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 21.09.2011 | 11:32
Niemand verlangt einen Schlussstrich unter der Forge. Es interessieren einfach andere Dinge. Deshalb ist der dauernde Verweis auf die Forge so nervig. Du machst es gerade auch: knüpf doch an die Forge an und entwickel das weiter.  ::)

Weil ich im Eingangsposting tatsächlich kein gutes Argument dafür finde, den Forge-Kram zu vergessen, um jetzt mal "richtige Forschung" zu betreiben, dafür aber das schlechte, man solle doch mal "was Eigenes" machen, anstatt "US-Importe" zu schlucken. Versteh ich beim besten Willen nicht. So sauber lässt sich das, was in der Forge und in der Folge an Theorie gemacht worden ist, doch überhaupt nicht von der angestrebten Forschung trennen, dass es sinnvoll wäre, "Tabula Rasa" zu machen. Das ist ja etwa so, als hätte Marx gesagt, man solle den Hegel doch jetzt einfach mal aus dem Spiel lassen.
Ich kann da keinen sinnvollen Ansatz erkennen, nur den Distinktionswunsch, "was Eigenes" zu haben, was unabhängig von der Forge ist. Man muss sich ja nicht positiv auf die Forge beziehen, aber einfach zu behaupten, das würde für die angestrebte ernsthafte Auseinandersetzung nun alles gar keine Rolle mehr spielen und sei bestenfalls eine nette kleine Spielwiese, ist wirklich Unsinn.
Wobei ich nichts gegen Spielwiesen habe ...
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 21.09.2011 | 12:41
Weil ich im Eingangsposting tatsächlich kein gutes Argument dafür finde, den Forge-Kram zu vergessen, um jetzt mal "richtige Forschung" zu betreiben, dafür aber das schlechte, man solle doch mal "was Eigenes" machen, anstatt "US-Importe" zu schlucken. Versteh ich beim besten Willen nicht.
Also nochmal: Das ist ein Machtkampf, keine Sachdiskussion. Verstehst du jetzt, warum die "Argumente" beiderseits überzogen und sachlich daneben sind?
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: korknadel am 21.09.2011 | 12:48
Ich glaube, dass da einfach Ansprüche durcheinandergeworfen werden. Was die Forge macht, ist sicher Theorie, und darauf kann man sich beziehen. Aber zumindest nach meinem Verständnis ist Wissenschaft etwas anderes. Eine Erkenntnis wie "System matters" ist zumindest nicht das, was ich als Wissenschaft bezeichnen würde. Und wenn ich die "reine Wissenschaft" will, kann oder brauche ich mich tatsächlich nicht auf die Forge beziehen. Wenn ich als Rollenspieler theoretisieren möchte, ist die Forge natürlich immer noch ein Bezugspunkt. Oder sollte/könnte einer sein. Im Eingangspost wird, glaube ich, nicht erkannt, dass Wissenschaft woanders stattfinden muss als die Theorie-Diskussionen der Rollenspieler und Rollenspielexperten.

Die Forge und die ganzen Theorie-Fuzzis sind in meinen Augen eher so etwas wie die Donaueschinger Musiktage in den 50ern: Da werden Theorien und Konzepte entwickelt und gleichzeitig auch umgesetzt (in diesem Fall in Form von manifestartigen Kompositionen), aber das läuft trotz aller Informiertheit der Teilnehmer außerhalb der Musikwissenschaft ab. Wie ich schon weiter oben schrieb: Die einen wollen Theorien, um damit was anzufangen. Die anderen brauchen Theorien lediglich, um den Forschungsgegenstand zu beschreiben und zu erfassen.  

Aber ich mag natürlich wie mit so vielem auch hier falsch liegen  ~;D.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Der Nârr am 21.09.2011 | 12:51
Naja. Ergiebiger hätte ich es gefunden, wenn die Rollenspieltheorie sich von der Rollenspielforschung distanziert hätte anstatt umgekehrt. Häufig stößt man doch auch auf die bekannten Vorurteile (Wozu brauche ich Theorie, mach aus dem Spiel doch keine Wissenschaft) - die aber vom Begriff Rollenspieltheorie aus darauf schließen, dass es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz handelt. Den braucht der Spieler erstmal ja wirklich nicht! Aber Rollenspieltheorie im Sinne von best practice ist ja durchaus nützlich und wird ja häufig auch von ihren Gegnern betrieben. In dem Sinne sind Minmaxer oder Leute, die ganz gewöhnliche "Meistertipps" austauschen, auch Rollenspieltheorie. In DSA-Kreisen ist das bekannte graue Heft aus MSZ immer noch manchmal ein Referenzpunkt, der sog. "gutes Rollenspiel" erläutert - Rollenspieltheorie! Rollenspieltheorie wird also oftmals genau da akzeptiert, wo sie sich nicht als solche bezeichnet. Insofern hätte ich mir tatsächlich gewünscht, wenn die Rollenspieltheorie im Sinne der Forge, aber auch anderer Ansätze sich von diesem Begriff gelöst hätte. Bevor Rückfragen kommen: Nein, ich kenne auch keinen besseren Begriff. Man muss herumprobieren und sich an Alternativen versuchen. Vielleicht kann man dann einem Rollenspieler, der sich damit noch nicht auseinandergesetzt hat, ein wenig Rollenspieltheorie nahebringen, ohne erst erklären zu müssen, wofür man die benutzen kann (was eigentlich die bessere Frage ist, als wofür man sie braucht).
Was ich sagen möchte: Sowohl von Seiten der Rollenspieltheorie als auch von Seiten der Rollenspielforschung ist eine deutliche Trennung der beiden Ansätze vorteilhaft und gewinnbringend. Die Rollenspieltheorie könnte so zu einem neuen Eigenbewusststein und Selbstverständnis bringen, das sie vielleicht auch weiterbringen kann.
Ob die Rollenspielforschung dem Spieler dereinst etwas nützen kann, bleibt abzuwarten. Große Ergebnisse gibt es ja noch keine. Aber die Plattformen, entsprechende Ergebnisse den Spielern näher zu bringen, bestehen ja. Insofern bin ich gespannt, was die Rollenspielforschung uns in 20 Jahren darüber erzählen kann, was wir eigentlich so treiben :).
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 21.09.2011 | 14:38
Also nochmal: Das ist ein Machtkampf, keine Sachdiskussion. Verstehst du jetzt, warum die "Argumente" beiderseits überzogen und sachlich daneben sind?

Ich verstehe es aber nicht so, dass nebelland sich bewusst auf diesen Machtkampf einlassen will. Oder doch? Ist die Logik dahinter jetzt nur "Ihr doofen Forge-Fans schrottet uns immer die Diskussionen, deshalb stecken wir uns jetzt die Finger in die Ohren, singen die Titelmelodie der Schlümpfe und stellen uns vor, dass es euch nicht mehr gibt"?
Sorry, dass mich das so aufregt, aber ich kann diese "XY ist tot!"-Verkündungen echt nicht mehr sehen, egal in welchem Bereich. Nur, weil man selber feststellt, dass man aus einem bestimmten Bereich, z.B. dem Forge-Kram, für sich selbst nichts mehr herausholen kann, heißt das nicht, dass alles daraus jetzt tot, Falsch und überholt ist. Muss der König denn immer gleich tot sein? Kann man nicht auf einfach sagen: "Netter König, für den hab ich auch mal gearbeitet, aber seine Außenpolitik fand ich dann doch doof, ich mach hier jetzt mal ein paar Nachbarkönigreich, das Steuerrecht hab ich mir von meinem alten Arbeitgeber abgekupfert, der Rest ist ziemlich neu."
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 21.09.2011 | 14:58
Machtkämpfe müssen nicht bewusst sein. Das trifft für Deutschland ganz besonders zu, weil das Machtmotiv unbewusst sehr stark ist, während es bewusst nicht eingestanden wird. Ob wir es nun merken oder nicht, wir tun es.

Kennzeichnend für Machtkämpfe ist unter anderem, dass die Qualität in der Sache geopfert wird, um den Machtkampf zu gewinnen. Es geht nicht mehr un sachliche Richtigkeit, sondern um die Deutungshoheit. Natürlich kann man einfach sagen, dass man jetzt Lust hat, etwas Neues abseits der Forge zu probieren. Tut man auch. Aber es kommt auch dann ein Besserwisser, der das Vorhaben wegreden will. Und schon beginnt der Streit. Dann geht es darum, wer lauter und ausdauernder schreien kann. Dann wird die Forge totgeredet, obwohl man das in einer Sachdiskussion so nie behaupten würde. Auf der anderen Seite würden die Forge-Hasen und Gegner neuer Überlegungen in einer ruhigen Atmosphäre nicht behaupten, dass es blöd ist, sich mit einer gesellschaftlichen unbedeutenden, aber für einen selbst interessanten Sache zu befassen. Soetwas als Rollenspieler zu behaupten, geht bei klarem Verstand sowieso nur mit gespaltener Persönlichkeit.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: nebelland am 22.09.2011 | 09:18
Ich sortiere mal nach Autoren, der Übersicht halber.

Kriegsklinge

Ja, Rollenspieltheorie ist echt ziemlich 2007. Da hilft jetzt auch kein Ruf nach Verwissenschaftlichung mehr. [...] Aber im echten Leben braucht das keine Sau mehr.

In deiner Welt. Und nebenbei, was ist dann angewandte Wissenschaft? "Falsches Leben"? wtf?

Warum das alles schlecht sein soll, nur, weil es auf einer in den USA beheimateten Website beredet wurde [...].

Das steht da nicht. Lies es nochmal.

asri

Da ich die Literatur nicht kenne, weiß ich nicht, ob Florians Urteil vielleicht berechtigt ist - aus seiner Argumentation heraus kann ich das aber nicht abschätzen, weil bei mir der Eindruck entsteht, dass er an der existierenden Forschung vorbei argumentiert.

Wenn du die Literatur nicht kennst, welche existierende Forschung meinst du dann? [keine Ironie]

Rumspielstilziel

Ohne das wäre es ein interessanter Beitrag, so eher ärgerlich und jedenfalls alles andere als "wissenschaftlich".

Wo erhebe ich für den Text einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit?

Denkst du nicht, dass ich einen wissenschaftlichen Text eher an angemessener Stelle - und nicht hier - publiziert hätte?

Weil ich im Eingangsposting tatsächlich kein gutes Argument dafür finde, den Forge-Kram zu vergessen, um jetzt mal "richtige Forschung" zu betreiben, dafür aber das schlechte, man solle doch mal "was Eigenes" machen, anstatt "US-Importe" zu schlucken.

Irgendwie ziehst du dich sehr an diesem "was Eigenes statt Forge" hoch, was du in meinem Text zu finden glaubst. Dabei geht es darum überhaupt nicht. Ich will nicht auf Gedeih und Verderb irgendwas "Eigenes" positionieren. Was ich will, was ich brauche, ist eine wissenschaftliche Analyse, Betrachtung, Durchdringung von Pen&Paper-Rollenspiel. Das leisten die Texte aus der Forge nicht: sie greifen nicht zurück auf etablierte Forschung, sie zitieren nicht, sie entwickeln nichts Bestehendes weiter. Ihre Konstruktionen gründen nicht auf sauberer Methodik. Und keiner der originalen Texte ist meines Wissens zitierfähig wissenschaftlich peer-reviewed publiziert.

Wenn das für dich keine guten Argumente sind, das Ganze mal auf eine fundiertere Grundlage zu stellen, dann können wir zwei an dieser Stelle abbrechen.

So sauber lässt sich das, was in der Forge und in der Folge an Theorie gemacht worden ist, doch überhaupt nicht von der angestrebten Forschung trennen, dass es sinnvoll wäre, "Tabula Rasa" zu machen. Das ist ja etwa so, als hätte Marx gesagt, man solle den Hegel doch jetzt einfach mal aus dem Spiel lassen.

Oh doch, lässt es sich, finde ich. Siehe oben. Und der Vergleich Ron Edwards - Hegel... naja.

korknadel

Was die Forge macht, ist sicher Theorie, und darauf kann man sich beziehen. Aber zumindest nach meinem Verständnis ist Wissenschaft etwas anderes. Eine Erkenntnis wie "System matters" ist zumindest nicht das, was ich als Wissenschaft bezeichnen würde. Und wenn ich die "reine Wissenschaft" will, kann oder brauche ich mich tatsächlich nicht auf die Forge beziehen.

Genau. Da bin ich aber froh, dass jemand meine Ansicht teilt.

Im Eingangspost wird, glaube ich, nicht erkannt, dass Wissenschaft woanders stattfinden muss als die Theorie-Diskussionen der Rollenspieler und Rollenspielexperten.

Doch, am Ende: [Schluss] mit dem Rückzug in Webforen und hinter Pseudonyme. Und deshalb findet das Follow-up auch nicht hier statt.

Die Forge und die ganzen Theorie-Fuzzis sind in meinen Augen eher so etwas wie die Donaueschinger Musiktage in den 50ern: Da werden Theorien und Konzepte entwickelt und gleichzeitig auch umgesetzt (in diesem Fall in Form von manifestartigen Kompositionen), aber das läuft trotz aller Informiertheit der Teilnehmer außerhalb der Musikwissenschaft ab.

Ein großartiger Vergleich. Merci.

Erik Erikson

Mir entgeht auch wirklich die relevanz von P&P-Forschung. Wenn es um was wichtiges ginge, das auch Umsatz macht, wie Computer-RPGs, dann ok.

Ich erforsche Computer-RPGs und brauche dafür P&P-Forschung. Und jetzt?

Der Narr

In der Religionswissenschaft haben wir auch das Problem einer Definition von Religion. Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Definition und es gibt unzählige Ansätze und Versuche, sie zu definieren. Aktuell sind wohl am ehesten kombinierte Begriffe verbreitet, die auf Kommunikationstheorie auf der einen und Pragmatische Modelle auf der anderen Seite zurückgreifen. Und alle Jahre wieder versucht es jemand inhaltlich oder funktionalistisch. Aber je nachdem, aus welcher Perspektive man sich Religion nähert, kann sich der Wert einer Definition verschieben. Naja, irgendwie klappt es trotzdem ganz gut.

Auch ein guter Vergleich, und mindestens auf diese Ebene will ich mit der Rollenspielforschung. Spätestens anhand dessen sollten übrigens alle Forge-Apologeten fein still schweigen. [Hint: Methodik und Form des Diskurses in der Religionswissenschaft.]

Meiner bescheidenen Meinung nach können wir Rollenspiel im wesentlichen nur diskurstheoretisch verstehen. Und dann ist eine exakte Definition auf einmal gar nicht so wichtig, weil sich Rollenspiel selbst definiert. Die Büchse der Pandora sollte also am besten gar nicht erst geöffnet werden.

Das ist meines Erachtens die beste Replik des gesamten Threads. Vielen Dank.

Lord Verminaard

Jetzt? Ich denke, du rollenspielforscht nach deinem Selbstverständnis schon mindestens seit 2009?

Ich mache in der Hauptsache keine Rollenspielforschung. Ich erforsche digitale Spiele und hätte dazu gerne Rollenspielforschung zur Hand. Gibt es aber zu wenig.

Zum Zeitpunkt: ich plane (http://tanelorn.net/index.php/topic,57603.msg1214742.html#msg1214742) seit längerem, die deutsche Rollenspielforschung anzuschieben (wenn auch nicht notwendigerweise durch meine eigenen Veröffentlichungen, es gibt andere Mittel und Wege). Und das beginnt - jetzt.

Hier? Über „Rollenspielforschung“ im Tanelorn zu reden, ist das nach deinem Dafürhalten nicht wie über Politikwissenschaft am Stammtisch in der Fußballkneipe zu reden?

Doch, absolut. Aber was hast du gegen Stammtische in Fußballkneipen? Ist doch lustig hier, und zum Teil sogar hilfreich.

Die Frage, die ich bereits bei früherer Gelegenheit dazu gestellt habe, lautet weiterhin, ob die Bedeutung des P&P-Rollenspiels (wirtschaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch) den Aufwand einer wissenschaftlichen Erforschung rechtfertigt. Die Antwort ist nein. Wirtschaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch ist dieser Aufwand nicht gerechtfertigt. D.h. es ist reine Liebhaberei, du machst das, weil es dir Spaß macht und weil du meinst, es zu können.

Du lässt ziemlich geschickt "wissenschaftlich" in deiner Liste aus. ;) Und damit ist es keine Liebhaberei. Zum wiederholten Mal: ein zitierfähiger Körper fundierter Rollenspielforschung würde mir aktuell und in den nächsten Jahren bei meiner Arbeit sehr weiterhelfen. Gibt es aber nicht. Bumm!

Und ich meine übrigens nur, "es" innerhalb meiner Grenzen zu können.

Wir „Theoretiker“, jedenfalls hier im Tanelorn, haben nie vorgegeben, etwas anderes zu sein als wir waren. Es ist nicht unser Versäumnis, dass wir nie „Rollenspielforschung“ in deinem Sinne betrieben haben. Uns ging es lediglich um informierten Diskurs, nicht mehr, nicht weniger, und den haben wir geführt. Kein Grund, die virtuelle Nase über uns zu rümpfen.

Ich habe auch nicht gesagt, dass ihr euch als etwas ausgegeben habt, was ihr nicht wart. Und ein Versäumnis in dieser Richtung werfe ich euch auch nicht vor - ich weiß nicht, wo du diese Sachen rausliest.

Wenn ich überhaupt einen Vorwurf erhebe, dann den, das spätestens ab dem "Big Model" überhaupt nicht mehr über den Tellerrand geschaut wurde. Dass nicht mehr thematisiert wurde, was mit diesen Konstrukten alles nicht erklärt werden konnte. Und diesen Schuh müsst "ihr" (wer immer das ist) euch meiner Meinung nach anziehen, ob es euch gefällt oder nicht.

Fredi der Elch

Was du machst, ist sehr abgehobene Fragen aufwerfen, über die man allenfalls auf sehr abstraktem Niveau diskutieren kann.

Naja - "Theorie" halt. Oder?

Ich störe mich an dem "abgehoben", auch wenn es dir natürlich unbenommen ist, das so zu sehen. Aber warum unterteilen in "bodenständig" (also: handfest, brauchbar) und "abgehoben"? Warum ziehst du eine Linie und willst mit mir sehr wohl über, was weiß ich, "bass playing" diskutieren, aber plötzlich nicht über Rollenspiel als strukturierten Kommunikationsprozess? Das verstehe jetzt wiederum ich nicht.

Vielleicht bin ich da zu sehr empirischer Sozialwissenschaftler, aber mir gibt das überhaupt nichts.

Gerade dann solltest du doch in der Auseinandersetzung mit "abgehobenen Fragen" geübt sein. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass euch die Pamphlete der theoretischen Soziologen erspart bleiben.

Wo sind jetzt ähnliche Phänomene, die für eine ausreichende Zahl von Personen eine hohe Relevanz besitzen?

Relevanzargument. Hatten wir schon oben.

Nur so könnte man aus meiner Sicht eine ähnliche produktive Diskussion in Gang bringen wie damals.

Das steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich bin sehr unsicher, ob das gelingen wird; diesmal müssen wir eine ganz andere Zielgruppe aktivieren als damals.

TAFKAKB + Fredi der Elch

Klar kann man sich hinstellen und sagen:

Zitat
Wir haben neulich im Forum darüber diskutiert, dass man zwischen Benzin-, Gas- und Elektroautos unterscheiden kann. Die Wahl des Antriebs hat verschiedene Auswirkungen auf die Umwelt, haben wir uns gedacht. Benzin ist pfui und Gas geht so. Nur Elektro ist cool und man kann außerdem dazu tanzen. Das reicht. Damit halte ich jegliche weitere theoretische Beschäftigung mit dem Thema Autoantrieb für überflüssig, denn es bleiben nur so abgehobene Fragen übrig und wir haben schließlich das empirisch beobachtbare Phänomen geklärt. [...]

Den Post habe ich jetzt gar nicht verstanden.  wtf? Kann mir da jemand helfen?

Großartige Analogie. Und Fredis Replik made my day. :D

Florian
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ErikErikson am 22.09.2011 | 09:21
Ade, Rollenspieltheorie, Ade! fahre wohl! Es war eine schöne Zeit.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Achamanian am 22.09.2011 | 10:14
Also, mit Nebellands Antworten finde ich das jetzt schon sehr viel verdaulicher, und mir ist klarer, was das ganze eigentlich soll. Dass die Forge-Sachen nicht wissenschaftlich sind, diesen Anspruch (meistens) auch nicht erheben, und dass diejenigen, die meinen, aus den entsprechenden Texten verbindliche Definitionen und Modelle darüber, was Rollenspiel "wirklich ist" ableiten zu können, ein gelinde gesagt problematisches Theorieverständnis haben, sehe ich alles ein.
Was zumindest bei mir das Verständnis des eigentlichen Anliegens (nämlich Rollenspielforschung zu machen) blockiert hat, ist der Umstand, dass der Eingangstext damit schließt, dass man sich von forge endlich mal verabschieden soll. Das klingt für mich erst mal wie: "Das war die alte, schlechte Art sich mit RSP auseinanderzusetzen, jetzt kommt meine neue, gute."
Dabei war und ist viel Forge-Kram als eine auf die Praxis hin betriebenes, unsystematisches Theoretisieren von bleibendem Wert. Wenn man es einfach durch eine "bessere Rollenspielforschung" ersetzen würde, würde man wahnsinnig viel praktisches, für den Spieltisch relevantes Wissen verlieren.
Offenbar ist das ja gar nicht Nebellands Intention. Es geht einfach nur um die Enttäuschung, dass das, was als Rollenspieltheorie angeboten wird, nicht seine Bedürfnisse erfüllt.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: asri am 22.09.2011 | 11:34
Hallo Florian,

Wenn du die Literatur nicht kennst, welche existierende Forschung meinst du dann? [keine Ironie]

Zum Beispiel so etwas:
Sarah Lynne Bowman, The Functions of Role-Playing Games
http://books.google.de/books?id=Pn3wR74wDCgC&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false

Herbrik/ Röhl (2007): Visuelle Kommunikationsstrategien im Zusammenspiel. Gestik im Fantasy-Rollenspiel
http://kops.ub.uni-konstanz.de/handle/urn:nbn:de:bsz:352-opus-97441

dies. (2008): Mapping the Imaginary—Maps in Fantasy Role-Playing Games
http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1162

Meines Erachtens gab es auch mal Vorträge über RPGs bei Tagungen der Gesellschaft für Fantastikforschung - weiß ich nicht genau, ich entsinne mich nur dumpf, mal etwas in einem Tagungsprogramm gesehen zu haben. Verzeih bitte die Schwammigkeit.

Ich kenne diese Sachen nicht in dem Sinne, dass ich sie nicht gelesen habe - ebenso z.B. die Dissertationen, die in einem anderen Thread (http://tanelorn.net/index.php/topic,69957.0.html) verlinkt sind. Dass ich die Literatur nicht kenne, heißt ja nicht, dass ich nicht weiß, ob es sie überhaupt gibt. Ich kenne z.B. auch ein paar Bücher noch nicht, die ich im Regal stehen habe.  ;D

Wie gesagt will ich nicht behaupten, dass Deine Aussagen über Rollenspielforschung damit falsch sind - mir fehlte nur in Deiner Argumentation der Bezug auf eben solche Forschung. Angeltheorie etc. tut hier meines Erachtens nichts zur Sache. Dass es wenig Forschung über P&P-Rollenspiele gibt, da sind wir uns einig. Allerdings überrascht mich das nicht. :)

Ich bin neugierig, wie Du da etwas ankurbeln willst. Falls Du ein paar mehr Andeutungen zu machen bereit bist, nur zu. Gerne auch per PN.

Nachtrag: Die Auswahl oben erhebt keinerlei wie auch immer gearteten Anspruch. Z.B. die Knutepunkt-Veröffentlichungen und das IJRP kenne ich auch nicht, obwohl sie gerade erst wieder im Tanelorn erwähnt wurden. Vermutlich brauche ich Dich sowieso nicht auf diese Sachen aufmerksam machen. Aber mich würde interessieren, wie Dein "Streifzug" aussähe, wenn Du sie einbezögst.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Lord Verminaard am 22.09.2011 | 16:24
Ich will ja nicht rumzanken und nehme dich beim Wort, Florian. Sicherlich lag es an mir, wenn es mir so vorkam, als rümpftest du über die Tanelorn-Theoretiker die Nase. ;)

Zitat
Wenn ich überhaupt einen Vorwurf erhebe, dann den, das spätestens ab dem "Big Model" überhaupt nicht mehr über den Tellerrand geschaut wurde. Dass nicht mehr thematisiert wurde, was mit diesen Konstrukten alles nicht erklärt werden konnte. Und diesen Schuh müsst "ihr" (wer immer das ist) euch meiner Meinung nach anziehen, ob es euch gefällt oder nicht.

Nun ja. Kritikfähigkeit war durchaus vorhanden und Kritik wurde auch formuliert (http://tanelorn.net/index.php/topic,45274.0.html). Das ist ja nicht wertlos, nur weil kein komplettes Gegenmodell entworfen wurde. Es wurden ja übrigens auch andere Sachen wie Process Model oder Design Patterns hier wahrgenommen, allerdings gaben diese keine wesentlichen neuen Impulse. Lag das nun an ihnen oder an uns? Keine Ahnung. Ich persönlich fand, das Process Model hörte da auf, wo es eigentlich erst interessant wurde. Die Design Patterns habe ich bis heute nur überflogen und schäme mich nicht, es zuzugeben. ;)
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ianinsane am 25.09.2011 | 22:28
Mir ist der Unterschied zwischen Rollenspieltheorie und Rollenspielforschung nicht so ganz klar. Ich würde den Unterschied machen zwischen anwendungsbezogener Theorie, wozu ich das meiste, was in Foren veröffentlicht wird, zählen würde. Und auf der anderen Seite gibt es "beschreibende Theorie" (das ist der beste Begriff, der mir gerade dafür einfällt), die Rollenspiel aus kommunikationstheoretischer, kulturwissenschaftlicher, kunstpädagogischer Sicht etc. betrachtet. Zu letzterem gibt es allerdings schon wissenschaftliche Literatur, auch wenn sie zugegebenermaßen nicht zahlreich ist.
Dass anwendungsbezogene Theorie meistens nicht wissenschaftlichen Standards genügt, liegt einfach daran, dass es nicht als Kunstsparte anerkannt ist, die man in akademischem Rahmen lernen kann. Für andere Sparten gibt es wissenschaftliche, anwendungsbezogene Literatur, "Lehrbücher" genannt. Das hat das Rollenspiel dann tatsächlich mit Fußball oder Schach gemeinsam. Dafür gibt es auch Lehrbücher (und Foren oder Blogs; für Fußball gibts hier eine persönliche Empfehlung: www.zonalmarking.net), aber eben eher in der Form eines casual "Ratgebers".

Ich mach mal einen Extra-Thread auf, wo wir wissenschaftliche Literatur sammeln können, wäre vielleicht nicht schlecht. Ich hab so eine Datenbank jedenfalls vermisst bei der Suche nach Literatur für meine Diplomarbeit.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 25.09.2011 | 22:41
Ich hab so eine Datenbank jedenfalls vermisst bei der Suche nach Literatur für meine Diplomarbeit.
Hm, hier (http://www.rpgstudies.net/) ist eine (veraltete) Liste. Und hier (http://tanelorn.net/index.php/topic,70068.msg1404250.html#msg1404250) hatte ich einige Quellen genannt. So richtig viel mehr gibbet wohl nicht. Und hier (http://tanelorn.net/index.php/topic,49550.0.html) hatte Florian mal eine Differenzierung vorgenommen, wie sie Dir eventuell vorschwebt.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: scrandy am 2.10.2011 | 02:33
@ Florian
Als ich deinen Post gelesen habe, war mein erster Impuls etwas ähnliches zu schreiben was ich anschließend in Vermis erstem Post gelesen habe. Aber eigentlich ist doch nicht nur die Frage, ob Rollenspielforschung wirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll ist, sondern auch ob sie überhaupt zu irgendeinem Ziel führt.

Ich studiere unter anderem Englische Literatur und habe mich letztes Semester mit Narratologie beschäftigt also der Wissenschaft vom Erzählen. Da ich gleichzeitig Literatur zum Creative Writing lese, und Blogs usw. zur schriftstellerischen Praxis verfolge, fällt mir da eine Enorme Diskrepanz zur wissenschaftlichen Narratologie auf. Denn auch wenn Erzähltheoretiker durchaus sinnvoll argumentieren, systematisieren und forschen sind ihre Modelle in der Praxis, also für den Schriftsteller, Drehbuchautor und ja auch Spiele-Story-Schreiber ziemlich unnütz und gehen an der Praxis vorbei. Und dabei sehe ich eine klare parallele zur Spiele-Forschung und somit auch zur Rollenspielforschung.

Die Frage ist nicht ob es sinnvoll ist Rollenspielforschung zu betreiben. Es wird immer Leute geben die sich dafür mehr interessieren als für die Praxis und sich damit dann auch beschäftigen sollten.

Grundsätzlich finde ich aber das die Spiele-Entwickler in Deutschland als auch die Spieler mehr davon profitieren wenn praxisnahe Überlegungen angestrengt werden, die ein besseres Spieldesign oder im Falle des Rollenspiels ein bewussteres Spielen und insgesamt verbessertes Spielerlebnis zur Folge haben.

Da du gerade auch digitale Spiele ansprichst, denke ich dass unsere deutschen Entwicklerstudios durchaus von den vielen Best Practices aus der Rollenspieltheorien profitieren würden (wenn sie sie denn lesen würden). Ich würde es in diesem Fall deutlich vorziehen in Zukunft bessere Gamedesigner und bewusstere Rollenspieler zu haben anstatt gute Theoretiker die über schlechte Gamedesigner schimpfen, die ihre abstrakten Theorien dann erst recht nicht mehr verstehen und sich auch um diese nicht scheren weil eh der Massenmarkt viel wichtiger für sie ist.

In diesem Sinne gönne ich dir Sicherlich deine Forschung und gehöre mit Sicherheit auch zu denen die solche Forschung lesen würde, aber die Zeit für eigene Anstrengungen ist mir da einfach zu schade. Denn genau wie die Zeit statt in der Narratologie besser im Creative Writing investiert wäre, damit wir in Deutschland endlich ein paar bessere Bücher, Filme und Fernsehserien bekommen, so ist meine Zeit sicherlich besser im Rollenspielschreiben und im überlegen neuer Best Practices investiert. Und selbst dafür ist es schwer Gesprächspartner zu finden. Oder sagen wir besser es ist schwer Gesprächspartner zu finden die das Subthema voll durchdringen und gleichzeitig auch an einer Veränderung interessiert sind.

Wenn es für Themen wie "erzählorientiertes Kampfsystem", "Charakterentwicklung ohne Fähigkeitenverbesserung" oder "Technikern zur Erweiterung des Vorstellungsraums" (nur um mal zufällig was rauszupicken) kaum Gesprächspartner gibt, dann wirst du zu richtiger Theorie erst recht keine finden und erst recht kaum Leute die die Zeit haben das wissenschaftlich zu publizieren ohne eine Uni im Rücken zu haben die die Forschung unterstützt, die Zeit beschafft und zumindest die finanzielle Existenz sichert. Denn das ist dann nichts für mal eben nebenbei.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Marcus Johanus am 2.10.2011 | 07:45
Ich muss gestehen, dass ich die vielen Ansätze zur "Rollenspieltheorie" und auch wissenschaftliche Arbeiten dazu stets ganz bewusst ignoriert habe (obwohl ich das ein oder andere Mal auch Anfragen bekam, für eine Abschlussarbeit einen Beitrag zu leisten oder für eine Studie einen Fragebogen auszufüllen etc.). Auch ich habe ja in meinem wahren Leben Zeit an einer Uni verbracht und war eigentlich immer heilfroh, nach den Vorlesungen und unendlichen Stunden am Schreibtisch, mich an den Spieltisch setzen zu können, um mich eben nicht mehr mit "grauer Theorie" zu beschäftigen. Ich vermute einfach, dass es vielen Rollenspielern so geht, da es sich dabei ja meinem Eindruck nach um ein Hobby handelt, das eher in Akademiker- und Abiturientenkreisen verbreitet ist.

Abgesehen davon schließe ich mich scrandy an. Ich rede gerne über Rollenspiele und entwickle auch gerne Rezepte für gute Spielrunden, die aus aufaddierten Erfahrung und gemeinsamer Reflexion mit anderen Spielern entstehen. Aber wissenschaftlich ist halt was anderes - und die Frage ist doch wirklich, ob Rollenspiele das brauchen oder ob eher die Theoretiker ein weiteres Feld brauchen, auf dem sie sich austoben können. Ich befürchte Letzteres. In diesem Falle ist aber ein solches Forum tatsächlich der falsche Ort dafür.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Sashael am 2.10.2011 | 08:32
Ich persönlich würde mir ja schon wünschen, dass im Bezug auf Rollenspieltheorie eine gewisse ... Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden würde. Wenn ich den Begriff Rollenspieltheorie in meinem Bekanntenkreis der Rollenspieler auch nur einmal in den Mund nehme, wird instant darüber die Nase gerümpft. Als ob die Beschäftigung mit den sozialen und intelektuellen Hintergründen sofort das Hobby zerstören würde. Leider merkt man vielen Leuten am Spieltisch selber sehr deutlich an, dass sie ziemlich blind im Spiel herumwursteln. Dass sie manche Dinge, Spielweisen oder Techniken, die in der Theorie diskutiert wurden/werden, intuitiv beginnen, aber aus irgendwelchen Gründen dann wieder abbrechen. Als ob sie bei einem Autorennen nach einem grandiosen Start Schwierigkeiten haben, vom 3. in den 4. Gang zu schalten und irgendwann den Motor abwürgen. Das tut echt weh. Vor allem, wenn sie sich aktiv weigern, sich mit dem theoretischen Unterbau ihrer spielerischen Ansätze zu beschäftigen, weil "das nur von irgendwelche Übernerds kommt, die sonst kein Leben haben".

Da die Rollenspieltheorie aber leider fast ausschließlich in Foren und ein paar Papers behandelt wird, wird sie als irrelevant wahrgenommen.
Wenn gewisse Themen auch mal in einer "offiziellen" (mainstreamigen) Rollenspielpublikation angesprochen werden würden, könnten imho so einige Theorieverweigerer mehr Spass haben. Nämlich alle die, die am Spieltisch mit "Also das wäre doch mal eine guuuute Idee ...achneelieberdochnicht." agieren.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Beral am 2.10.2011 | 11:45
Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

Abgesehen davon schließe ich mich scrandy an. Ich rede gerne über Rollenspiele und entwickle auch gerne Rezepte für gute Spielrunden, die aus aufaddierten Erfahrung und gemeinsamer Reflexion mit anderen Spielern entstehen. Aber wissenschaftlich ist halt was anderes - und die Frage ist doch wirklich, ob Rollenspiele das brauchen oder ob eher die Theoretiker ein weiteres Feld brauchen, auf dem sie sich austoben können.
Die unsystematische Reflexion eigener Erfahrungen und die damit verbundene Suche nach den "Best Practices" gab und gibt es weiterhin. Aber diese Methode hat ihre Grenzen erreicht. Was damit geklärt werden konnte, ist weitgehend geklärt. Die Fragen wiederholen sich, die Antworten auch. Es gibt keine große Bewegung mehr.

Gute Theorien können helfen, unter die Oberfläche zu schauen und Schlüsselaspekte zu entdecken, die bisher nicht im Blickfeld waren. Das wird alte Fragen neu beantworten und neue Fragen aufwerfen.

Deine Frage, ob Rollenspiele das brauchen oder ob akademische Theoretiker eine neue Spielwiese suchen, finde ich berechtigt und wichtig. Ersteres würde der Rollenspielpraxis dienen, letzteres weniger. Man kann den Theoretikern nicht vorschreiben, womit sie sich befassen. Aber man kann das Ergebnis beurteilen.

Ich kann für mich sprechen: Gäbe es Antworten auf meine offenen Fragen, hätte ich keinen Grund, selbst nach Antworten zu suchen. Wenn ich theoretisiere, ist es nicht zweckfrei. Wenn ich die Motivstruktur von Spielleitern untersuchen möchte, liegt das an schlechten Erfahrungen mit Spielleitern. Ich frage mich, warum es der SL nicht besser hinbekommt. Dazu habe ich eine theoretisch hergeleitete Hypothese, die es aber noch zu prüfen gilt. Die Ausgangsfrage selbst ist total alltäglich und könnte praxisnäher nicht sein. Die Suche nach einer befriedigenden Antwort entzieht sich aber schon der Methode der unsystematischen Reflexion. Die Erklärungshypothese stammt aus empirisch belegten Theorien. Der Nachweis erfordert eine Untersuchung - die muss nicht publikationsreif sein, aber ohne Untersuchung keine Antwort auf die Hypothese. Die tiefere Durchdringung eines praktischen Problems ist hier nur mit fundierter Theorie (die schon andere aufgebaut haben) und einer einigermaßen systematischen empirischen Überprüfung (die noch zu tätigen ist) möglich.

Von Rollenspieltheorien erwarte ich also, dass sie praktisch relevante Phänomene erklären. Da müssen konkrete Ursachen für Erfolg oder Misserfolg in der Rollenspielpraxis sichtbar werden. Das ist eine Basis für zielgerichtete Interventionen / Ratschläge. Eine Sammlung von Ratschlägen ist noch keine Theorie. Über Probleme einfach irgendwie zu diskutieren führt nicht automatisch zu guten Ratschlägen. Aber aus einer guten Theorie leiten sich gute Ratschläge wie von selbst ab.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ianinsane am 30.10.2011 | 00:45
Meiner bescheidenen Meinung nach können wir Rollenspiel im wesentlichen nur diskurstheoretisch verstehen. Und dann ist eine exakte Definition auf einmal gar nicht so wichtig, weil sich Rollenspiel selbst definiert. Die Büchse der Pandora sollte also am besten gar nicht erst geöffnet werden.
Der Versuch, etwas wie Rollenspiel oder Religion zu definieren, ist für mich schon selbst eine (intellektuelle) Spielerei. Ein Rätsel, das niemals gelöst werden kann.
  :d.

Das ist in etwa auch der Standpunkt, den Jonne Arjoranta in seinem sehr hilfreichen IJRP#2-Artikel "Defining Role-Playing Games as Language-Games vertritt. Wissenschaftlich, Heidegger zitierend und selbst zitierfähig. :)

Zum Umgang mit Forge-Theorie, die ich selbst ebenfalls als in vielfältiger Hinsicht überhaupt nicht ausreichend erachte, kann ich außerdem J. Tuomas Harviainens Artikel "A Hermeneutic Approach to Role-Playing Analysis" empfehlen. Er beklagt die unterschiedlichen Rollenspielparadigmen, die einander bekämpfen und sich kanonisieren, also "verhärten" und schläft stattdessen eine Lesart vor, die das ständige Hinterfragen seines eigenen Paradigmas vorsieht, den Verzicht auf Exklusivität der eigenen Paradigmen und die Anerkennung und Fruchtbarmachung anderer Paradigmen. In IJRP #1.

Ich bin überrascht, hier im Forum fast ausschließlich auf die amerikanische ("Forge") Theorieschiene zu stoßen, während die skandinavische kaum auftaucht. Diese bemüht sich meinem Empfinden nach nämlich sehr viel stärker um akademische Verzahnung und damit wissenschaftlichen Anspruch. Das IJRP ist sicher zuallererst das Ergebnis der skandinavischen Theorieschiene.

Ich studiere unter anderem Englische Literatur und habe mich letztes Semester mit Narratologie beschäftigt also der Wissenschaft vom Erzählen. Da ich gleichzeitig Literatur zum Creative Writing lese, und Blogs usw. zur schriftstellerischen Praxis verfolge, fällt mir da eine Enorme Diskrepanz zur wissenschaftlichen Narratologie auf. Denn auch wenn Erzähltheoretiker durchaus sinnvoll argumentieren, systematisieren und forschen sind ihre Modelle in der Praxis, also für den Schriftsteller, Drehbuchautor und ja auch Spiele-Story-Schreiber ziemlich unnütz und gehen an der Praxis vorbei. Und dabei sehe ich eine klare parallele zur Spiele-Forschung und somit auch zur Rollenspielforschung.

Ich möchte mal behaupten, dass das nur auf das Verhältnis Literaturwissenschaft/populäre bzw. kommerziell erfolgreiche Literatur zutrifft. In der progressiven Avantgarde sieht es da ganz anders aus. Im Theater ist es bspw. so, dass die künstlerische Avantgarde sehr im Austausch steht mit der aktuellen wissenschaftlichen Theaterforschung.
Und hier liegt auch der Hund begraben, was die Rollenspielwissenschaft im deutschsprachigen Raum betrifft. Ich habe den Eindruck, dass hierzulande sehr sehr wenig geht, was wirklich progressives Rollenspiel und lebendiges Experimentieren angeht, insbesondere im Vergleich zu Skandinavien (Freeform, Jeepform (http://jeepen.org), Hippie (http://http://norwegianstyle.wordpress.com/)etc., aber auch rpg-inspirierte Kunst wie z.B. SIGNA (http://www.signa.dk)). Das bedeutet auch, dass sich hier Rollenspielavantgarde und Rollenspielwissenschaft nicht gegenseitig befruchten können und beides de facto nichtexistent bleibt. Man müsste an beidem ansetzen.

An dieser Stelle möchte ich auch mal auf das relativ neue "Playground Magazine (http://playgroundmagazine.net)" hinweisen, das wie ich finde sehr interessante Themen aus dem Bereich progressives Rollenspiel beinhaltet. Da findet man erst mal die Themen, die zu (zumindest kultur- bzw. kunst)wissenschaftlicher Untersuchung reizen.

Dann noch eine Anmerkung: Florian, ich treffe in deinen Posts immer wieder auf die Behauptung, dass es keine akademische Spielwissenschaft gäbe. Das stimmt doch nicht. Es gibt die Ludologie mit Vertretern wie Huizinga, Sutton-Smith, Caillois, Goffman, Juul etc. mit Verbindung in die Ritualtheorie bei Turner, Geertz, van Gennep, Schechner oder zu Csikszentmihalyi. Und viele der mir bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zu Rollenspielen schließen daran an.

Jan

EDIT: Schreibfehler raus...
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 30.10.2011 | 08:38
Cooler Post. Den Teilen, die ich inhaltlich beurteilen und nachvollziehen kann, schließe ich mich an. Den Artikel von diesem Harviainen fand ich beispielsweise auch ziemlich gelungen. Vom Playground Magazine hatte ich noch nie gehört. Das schaue ich mir gerne mal an. Danke. Auch Deinen Eindruck, dass das Tanelorn stark Forge-beeinflusst ist und die Skandinavier über Gebühr ignoriert werden, teile ich und kann ebenfalls nicht fassen, woran das liegt. Nur in einem würde ich widersprechen:

Dann noch eine Anmerkung: Florian, ich treffe in deinen Posts immer wieder auf die Behauptung, dass es keine wissenschaftliche Spielwissenschaft gäbe. Das stimmt doch nicht. Es gibt die Ludologie mit Vertretern wie Huizinga, Sutton-Smith, Caillois, Goffman, Juul etc. mit Verbindung in die Ritualtheorie bei Turner, Geertz, van Gennep, Schechner oder zu Csikszentmihalyi. Und viele der mir bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zu Rollenspielen schließen daran an.
Ich kenne die meisten der den genannten Namen zugehörigen Arbeiten ehrlicher Weise nicht. Huizinga, Sutton-Smith und Caillois sind selbst mir aber schon mal untergekommen. Und ein Konzept wie Flow würde ich nicht in den engeren Dunstkreis von Spieleforschung stellen. Will sagen: gemessen an der gesellschaftlichen Bedeutung von Spielen ist das theoretische Fundament bemerkenswert dünn. Und sowas in der Art lese ich korrekter Weise bei Florian heraus. Passt also.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Lord Verminaard am 30.10.2011 | 10:11
Ja, es ist halt historisch so gewachsen. Im Wesentlichen ist Fredi der Elch schuld. >;D Es gab halt ein paar Leute hier, die sich so zwischen 2004 und 2006 auch aktiv an der Forge beteiligt haben, auch ein paar der Leute persönlich kannten, bei Projekten mitgemacht haben etc. Zuerst kannte man nichts anderes, dann war man beschäftigt, und dann hatte man kein Interesse mehr. Oder sagen wir, mildes Interesse aber keine Lust, sich das zu erarbeiten. Das hätten dann eben andere beisteuern müssen, hätten Missionsarbeit für die Skandinavier leisten müssen, wie es Fredi (und dann später andere, die er missioniert hatte) für die Forge getan haben. Und das beinhaltet eben mehr, als nur hin und wieder ein paar Links zu posten.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Humpty Dumpty am 30.10.2011 | 10:21
Klingt ziemlich plausibel.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ianinsane am 30.10.2011 | 10:36
Klaro.
Die populärkompatible Mission im Dienste der Wissenschaft (oder wie auch immer mans definieren möchte) ist ja auch ein hartes Brot.

In anderen Künsten ist es häufig eher so, dass die wissenschaftliche Forschung über die Avantgarden in die Praxis eingeht und von den Avantgarden dann langsam und portionsweise in den populären Bereich abfärbt.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Blechpirat am 30.10.2011 | 19:57
Es können auch mehr Leute englisch als eine der skandinavischen Sprachen. Zudem ist der FORGE-Kram auch nicht gerade akademisches Hochreck. Ohne die skandinavischen Erkenntnisse zu kennen (mit Ausnahme der in IJRP veröffentlichten Artikel) ist der FORGE-Diskurs, ähm, zugänglicher, da etwas anspruchloser.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ianinsane am 30.10.2011 | 20:02
Es können auch mehr Leute englisch als eine der skandinavischen Sprachen. Zudem ist der FORGE-Kram auch nicht gerade akademisches Hochreck. Ohne die skandinavischen Erkenntnisse zu kennen (mit Ausnahme der in IJRP veröffentlichten Artikel) ist der FORGE-Diskurs, ähm, zugänglicher, da etwas anspruchloser.
Meiner Erfahrung nach läuft der skandinavische Diskurs in der Öffentlichkeit ziemlich vollständig auf Englisch. Kann ja nicht jeder Finne Dänisch oder jeder Schwede Norwegisch. Bezüglich des Anspruchs stimme ich dir aber zu.

Hier (http://vimeo.com/10030923) ist übrigens ein sehr interessanter Vortrag von Tobias Wrigstad über Jeepform-Spiele an der IT University Kopenhagen. Ich finde, er demonstriert sehr gut, wie Theorie und experimentelle Praxis sich gegenseitig befruchten können.

Ich weiß, sorry, schon wieder nur ein Link. Für mehr fehlt mir momentan die Zeit. Aber dafür gibt es hoffentlich, wenn meine Diplomarbeit fertig ist, einen ganzen Batzen mehr.
Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: Heinzelgaenger am 4.11.2011 | 22:53
Zunächst zu den anderen Theorien:

Fussballtheorie - der Proletarier Kampfsport Nr.1 hat "0" Bedarf für eine Theorie, oder überhaupt für irgendwelche Theoriegebäude.
Mir scheint, die Fans, die Profis, die Lobby verspüren keine Lust, auch nur mit dem Fingernagel an der Oberfläche zu kratzen. Wie beim Spielgerät selber ist die Aussenfläche die Projektionsfläche für die Leidenschaften, alles andere wird als verhirnt und spassraubend empfunden.
Daher werden Laufwege, Trainingslehren, Strategien uä nur mit sehr breitem Pinsel gezeichnet, sinnvolle Neuerungen werden so bereitwillig konzipiert wie im Vatikan, und niemand juckts.

Schach - leuchtet mir nicht ein.
Es mag eines der ältesten und beliebtesten Spiele sein, aber es ist nicht komplex. So können Computer heutzutage auf allerhöchstem Niveau spielen.
Undenkbar fürs RPG, es ist nicht zu warten, bald einen Androiden oder eine KI als Ersatzspieler kaufen zu können.
Schachtheorie ist etwas gänzlich anderes als Fussball- oder RPG Theorie. Vom Faszinosum an sich mal abgesehen.

Zitat
An diesem Punkt halten wir kurz inne und überlegen mal, warum es eigentlich bei Schachspielern im Vergleich zum Fußball keinen Sturm der Entrüstung gibt, keine "Traditionalisten", wenn jemand mit "Schachtheorie" um die Ecke kommt. Zum Teil haben wir das oben bereits beantwortet: Schach ist ohne zumindest einen Ansatz von Theorie praktisch kaum spielbar. Zum klassischen Bolzen dagegen brauche ich zwei gesunde Beine und eine Handvoll Mitspieler. Keine Theorie. Um meinen Fußballverein zum beherrschenden Thema meines Lebens zu machen, brauche ich Bier und eine Fahne. Keine Theorie.

?
In beiden Fällen ist ein klares Regelwerk vonnöten. Fussball hat da im übrigen noch mehr Regeln als Schach, insofern kann ich dem Absatz nicht zustimmen.
Allerdings gibt es in Schach keine physische Komponente, der Raum, in dem Schach agiert, ist virtuell. Das ist der grosse Unterschied und er bringt einen Berg an Implikationen mir sich.

Puppenspieltheorie, Designtheorie etc sind wieder völlig andere Baustellen.
Schach und Fussball sind fest unter der Kategorie Spiel einzuordnen und treffen Design, Puppespiel uä erst (wenn überhaupt) auf einer sehr übergeordneten Ebene.

Die Forge hat ein paar feine Texte ins Netz gestellt, die ich zwar ebenso kritisch betrachte -da ich einige Dinge fundamental anders sehe- aber dennoch ist es wohl das gelungenste auf dem Gebiet RPG.
Zweifelsohne wird es diejenigen inspirieren, die sich im Bestreben aufmachen, bessere Theorien zu verfassen - von diesen ist Einzelgänger übrigens einer.

Wünschenswert wäre es, eine funktionelle RPG-Theorie in eine ebenso funktionelle Spieltheorie einzugliedern.
Das ist meines Erachtens machbar.

Und der Post erklärt überhaupt nicht, warum das niemals zu schaffen ist, er kapituliert nur vor Obrigkeiten, die hier quer aus allen Richtungen zitiert werden.

Titel: Re: Ade, Rollenspieltheorie! Ein Streifzug
Beitrag von: ianinsane am 27.11.2011 | 21:08
Hier (http://vimeo.com/10030923) ist übrigens ein sehr interessanter Vortrag von Tobias Wrigstad über Jeepform-Spiele an der IT University Kopenhagen. Ich finde, er demonstriert sehr gut, wie Theorie und experimentelle Praxis sich gegenseitig befruchten können.

Wäre natürlich cool, zu erfahren, ob sich noch jemand den Vortrag angesehen hat und was er_sie darüber denkt...
(da lob ich mir doch facebook...)