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Pen & Paper - Spielsysteme => Systemübergreifende Themen => Thema gestartet von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 08:06

Titel: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 08:06
So, ich hab eine Idee, die ich interessant fand, und die ich deswegen auf die Menschheit loslassen will: Einen Vergleich unterschiedlicher Systeme, die sich der selben Materie widmen. In diesem Fall: Der rollenspielerischen Umsetzung des Tolkienschen Mittelerde Settings.
Angefangen bei den bisher erschienenen 3 offiziellen Spielen (in chronologischer Reihenfolge: MERP/MERS, CODA/LOTR RPG, The One Ring), gibt es darüber hinaus eine ganze Reihe von Eigenproduktionen, Fan-Publikationen und, ganz stumpf, Konversionen für bestehende Systeme, die sich dem gleichen Thema widmen.

Es wird ein wenig dauern, da ich mich in eine Menge Krams einlesen muss, aber letztendlich will ich erst einmal alle möglichen Optionen zusammentragen (der Schritt ist großteils abgehakt), dann für jedes der Systeme einen kurzen Abriss einschliesslich der Stärken und Schwächen des jeweiligen Systems/Spiels bieten, um letztendlich eine relativ breite Vergleichsbasis zu bieten. Die Prioritäten liegen dabei (in der Reihenfolge) auf offiziellen Lizenzspielen>eigenständige/vollständige Fanysteme>Konvertierungen.

Ich werd irgndwann nachher, chronologisch zu Mindest etwas geordnet, mit MERS anfangen, um dann hoffentlich übers Wochenende die anderen beiden offfiziellen RPGs abzuarbeiten und zum wirklich interessanten Teil, den Fanmades, zu gelangen. 
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 13:06
Kleiner Nachtrag:

Bewertungskriterin. Sammeln und Vergleichen ist ja schön und gut, aber ich meine, dass eine Evaluation der ganzen Angelegenheit eine derartige Betrachtung erst wirklich abrundet. Ich werde daher neben einer Beschreibung der verschiedenen Systeme auch eine kleine Bewertung vornehmen, gemessen an relativ einfachen Kriterien:
1.: Stichhaltigkeit der Regeln. Sprich, wie elegant, sinnvoll, konsistent und smart sind die Regeln, wie viele oder wenige Logikfehler werden gemacht und vor allem: Wie gut oder schlecht passen die Regeln zum Hintergrund und wie gut schaffen sie es, das Abiente der Welt auch regeltechnisch einzufangen und zu übertragen. Hierfür verteile ich Null bis Drei mögliche Nazghul, was einem Drittel der Gesamtbewertung entspricht.
2.: Darbietung/Beschreibung/Wiedergabe des Hintergrunds. Sprich wie nah kommt das Spiel auch über die Beschreibung/Darbietung des Zusatzmaterials an den Hintergrund, wie viel Zusatzmaterial ausser dem Grundbuch bräuchte ich, um die Welt zu bespielen, vermitteln Texte und Beschreibungen einen brauchbaren Eindruck von Mittelerde und den Szenarien. Auch auf der Skala verteile ich Null bis Drei Mögliche Nazghul.
3. Zusatzpunkte. Jeweils einen möglichen Nazghul gibt es für Artwork und Aufmachung (was eigentlich unfair ist, wenn man Fan-Publikationen und Eigengewächse mit professionellen Produkten einerseits und Spiele aus den mittleren 80er Jahren mit Spielen aus der Gegenwart mit heutigen Spielen vergleicht, aber nichtsdestotrotz ist es meines Erachtens eine relevante Größe), Übersichtlichkeit und Zugang (wenn man den erst mal hat, sind die meisten Systeme ganz gut zu handlen, aber auch da gibt es nun mal deutliche Unterschiede. Eine relevante Frage wäre etwa das Vorhandensein eines Indexes oder einer Begriffserklärung) und letztendlich eine eher praktische Frage, nämlich wie gut oder schlecht kann ich mit den gegebenen Mitteln des Regelwerks die Gemeinschaft des Rings bauen (wobei Gandalf als quasi-göttliches Wesen da eine Ausnahme darstellt, auf die ich nicht unbedingt gesteigerten Wert lege) und wie ist das Verhältnis von Aufwand zu Ergebnis wenn ich diese acht Charaktere basteln würde, bzw. kann ich diese Charaktere halbwegs differenziert wiedergeben.
Somit werden pro Spiel theoretisch 0 (für ein wirklich mieses Spiel, dass keine der Anforderungen erfüllt) bis 9 (für ein nahezu perfektes Spiel, dass nichts wesentliches falsch macht) verteilt, wobei ich aber nicht davon ausgehe, dass diese Extreme wirklich relevant werden, sondern sich die meisten Spiele eher so im Mittelfeld tummeln werden.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 10.03.2012 | 13:08
Schöne Idee, werde ich mit Interesse lesen, da ich nur MERS und One Ring kenne (und beide auf ihre Art sehr mag).
Allerdings fehlt als wichtiges Kriterium noch, ob es in dem System unsichtbare Schildkröten gibt.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 13:13
Unsichtbare Schildkröten im Sinne von Stolperfallen oder Bremshügeln, die das System unnötig entschleunigen oder blockieren fallen für mich als Manko in der Stromlinienförmigkeit eines Systems ins Gewicht.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 10.03.2012 | 13:16
Unsichtbare Schildkröten im Sinne von Stolperfallen oder Bremshügeln, die das System unnötig entschleunigen oder blockieren fallen für mich als Manko in der Stromlinienförmigkeit eines Systems ins Gewicht.

Wie, hat sich das jetzt etwa schon als Begriff für so etwas etabliert?

ich wollte ja eigentlich nur einen dummen Witz machen und auf das MERS-Patzerergebnis "Sie sind über eine unsichtbare Schildkröte gestolpert" anspielen ...
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 13:20
Ich hab geraten. Unsichtbare Schildkröten als Entschuldigung für Ungeschicklichkeiten oder dergliechen kenne ich allerdings außerhalb des Rollenspiels, bei meiner recht überschaubaren MERS-Karriere sind sie mir glaub ich bisher noch nicht untergekommen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 10.03.2012 | 14:11
So, fangen wir mit dem Urgewächs an - MERS (oder MERP, im Fall der Englischen Version), ein Rollenspiel, dass sich mit GURPS den besonderen Umstand teilt, dass der Name nach Onomatopoeia klingt. MERS (Kurz für MittelErde RollenSpiel kam ursprünglich anno '84 heraus, das Spiel wurde bis '99 verlegt, als auf Grund der Herr der Ringe Verfilmung die Lizenz neu verhandelt wurde. Ich meine mich zudem zu entsinnen, dass es auch vorher schon immer mal wieder Lizenzprobleme zwischen Iron Crown Enterprises, dem Verleger des Spiels, und dem Tolkien Estate gab, da die MERS-Produkte immer mal wieder Informationen oder Vorgaben beinhielten, die nicht von der Lizenz abgedeckt waren (wie die Unfinished Tales und insbesondere das Silmarillon) bzw. die Rollenspielautoren wohl manchmal etwas zu kreativ waren, was die Settingauslegung anging und Dinge hinzudichteten. Nichtsdestotrotz war/ist MERS mit so pi mal Daumen 2 Millionen verkauften Exemplaren (weltweit) ein ziemliches Rollenspielschwergewicht, wobei diese Zahlen natürlich auch etwas der Zeit ihrer Erscheinung geschuldet sind.

Die Regeln von MERS sind eine ans Setting angepasste und vereinfachte/verkürzte Version der Rolemaster-Regeln. Normalerweise gilt ja die Faustregel, dass vereinfachte, heruntergebrochene Regeln von an sich komplexen Systemen gegenüber dem Original sehr viel verlieren und vor allem kleiner,beschränkter und unscheinbarer sind. Ich persönlich glaube, dass Rolemaster/MERS in der Hinsicht eine wichtige Ausnahme darstellt (was aber auch daran liegen kann, dass Rolemaster ziemlich anstrengend ist und ungemein viel Redundanz beinhaltet); die bereinigte Form der Regeln bei MERS sind zwar nicht unbedingt elegant, aber okay (im Sinne von "nicht so furchtbar anstrengend wie es die Rolemaster-Vorlage vermuten lässt"), wobei die Präsentation und Darbietung der Regeln in der erwähnten Übersetzung der 2. Edition echt schauerlich ist und die Regeln eine ganze Ecke arkaner und unzugänglicher macht, als sie eigentlich zu sein brauchen.

ich habe als erstes die Deutsche Übersetzung der 2. Edition (von Queen Games) bespielt, und die Regeln seinerzeit gehasst, weil ich sie a) zu tabellenlastig und b) völlig unverständlich fand. Erst nachdem ich per Zufall mal die Erste Edition erhielt, haben sich mir die Regeln erschlossen. Effektiv funktionieren die so: Charaktere haben Eigenschaften, die per W100 bestimmt werden; je höher der Eigenschaftswert, desto höher der Eigenschaftsbonus. Zudem gibt es für jedes Volk noch einen weiteren Eigenschaftsbonus; die Boni werden zusammengerechnet, bei Fertigkeiten kommen noch zusätzliche Boni für den jeweiligen Beruf (das MERS-Äquivalent zur Klasse) und die Stufe der Fertigkeit dazu (in 5% Schritten gemessen). Der ganze Kladeradatsch wird dann zusammengerechnet und als Bonus bei den eigentlichen Proben verwandt, bei der logischerweise noch zusätzliche Boni oder Mali ; die werden mit einem W100 gewürfelt, der entsprechende Bonus/Fertigkeitswert usw. dazu addiert und dann wird das Gesamtergebnis mit einer Tabelle verglichen, aus der hervorgeht, wie gut oder schlecht das Ergebnis letztendlich ausfällt (ein Ergebnis von 76 ist für einen 'Teilerfolg' notwendig. Letztendlich also ein System, dass den Regeln von D20 gar nicht so unähnlich ist.
Jeder Charakter hat sieben Eigenschaften, von denen keines wirklich ungewöhnlich oder außergewöhnlich ist, und eine recht übersichtliche Liste an Fertigkeiten, die völlig aufs Abenteuerrelevante reduziert ist; die Fertigkeiten sind dann noch mal in eigene Kategorien unterteilt, und es wird Platz gelassen für sog. "Nebenfertigkeiten", die als Platzhalter für allen möglichen weiteren Sinn oder Unsinn, den ein Charakter so können soll, wobei man die auch getrost weglassen kann.
Charaktere werden übrigens komplett ausgewürfelt, ohne irgendwelche Warmeier-Weichduscher-Luschen-Rücksichtnahmen wie Pointbuy, Gummipunkte oder dergleichen zu berücksichtigen. Das Spiel ist eh von Grund auf und mit voller Absicht nicht gebalancet, was bei dem Quellenmaterial aber auch selbstverständlich sein sollte.

Charaktere setzen sich aus den beiden Standard-Stereotypen für Rollenspielcharaktere zusammen: Beruf und Volk. Die Berufe sind relativ einfach gehalten und bieten ein paar freie Punkte zum Verteilen auf verschiedene Fertigkeitskategorien (Krieger erhalten mehr Punkte für "Waffenfertigkeiten", aber wenige für "Spezialfertigkeiten", beim Kundschafter sieht es dann anders rum aus) und ein fixen Bonus auf bestimmte Fertigkeiten per Stufe. Jepp, MERS ist ein Stufensystem, mit Rassen und Klassen. Und es ist per Definition EDO-Fantasy. Man möchte fast sagen, es ist ein früher Heartbreaker.
Die relativ unaufdringlichen Berufe spielen sich nicht sonderlich in den Vordergrund, letztendlich kann jeder Charakter alles erlernen, er braucht nur unterschiedlich lange dafür (und wird vielleicht nie so gut wie ein dezidierter Spezialist), und auch ein Krieger kann etwas zaubern, wenn er denn Glück hat.

Die Beschreibung der Völker nimmt hingegen gefühlt die Hälfte des Buchs ein (tatsächlich sind es aber 'nur' 40 von 180 Seiten) und listet jedes Menschen- und Elfenvolk, aber natürlich auch Zwerge, und, klar, Hobbits auf. Hinzu kommen allerdings auch Orks und Trolle. Die Völker sind, getreu der Quelle, so was von nicht gebalancet, dass es eine wahre Freude ist: Anstelle von langweiliger Gleichmacherei hat man den richtigen Weg gewählt und sich an den Vorgaben des Quellmaterials orientiert, was gut für die Plastizität und Plausibilität des Systems ist, aber eher wettkampfbetonten Spielern wenig entgegen kommt. Da es bei einem Mittelerde Rollenspiel schlicht und ergreifend notwendig ist, diese Ungleichheiten auch abzubilden. Schließlich geht es darum, Tolkiens Mittelerde und eben nicht generisches EDO-Fantasy darzubieten.
Die Art und Weise, wie diese Völker beschreiben werden ist hingegen ein bizarres Unikum. MERS ist das erste und einzige Regelwerk, bei dem scheinbar mehr Augenmerk auf die Kleidung eines Charakters gerichtet wird als auf die jeweilige Kultur. Für jedes Volk gibt es einen kurzen Absatz der Beschreibung, einige Stichpunkte - und eine genaue Auflistung, was Männlein und Weiblein denn so tragen. Ich meine, es ist ja schön zu wissen, dass die Garderobe eines gondorianischen Dúnadan ein "Wams aus Seide oder Baumwolle in kräftigen Farben, mit aufwendigen Ärmeln (gerafft, geschlitzt, vielfach gepufft)" beinhalten mag, aber ich meine es gäbe da durchaus wichtigere Informationen, die etwas spielrelevanter sind. Wenigstes erfährt man dadurch, dass Elben "gutsitzende" Hosen bevorzugen. 

Kämpfe laufen ab wie alle anderen Fertigkeitsgeschichten auch, wobei aber das Tabellennachgekucke etwas überhand nimmt. Es gibt übrigens keine aktive Parade, aber wenigstens kann man, wenn man das will, Punkte von seinem "Offensivbonus" abziehen und der Verteidigung zuschlagen (als Abzüge für den Angreifer).  Das dominierende Element sind eher die unglaublich vielen sepparaten Tabellen für kritische Treffer, die für jede. einzelne. Schadensform getrennt aufgelistet werden. Ich persönlich finde das sehr, sehr ermüdend.

Die Magieregeln sind... unpassend, um es kurz zu fassen. Wie bereits erwähnt kann an sich jeder Charakter theoretisch lernen, zu Mindest etwas rumzuzaubern, was an sich in Ordnung geht. Allerdings ist die Auswahl der Zauber vermutlich eher von den ursprünglichen Rolemasterregeln als von den Gegebenheiten Mittelerdes geprägt und beinhaltet allerlei unpassendes wie komplexe Illusionen, explodierende Eisgeschosse und Feuerbälle, die der weitgehend subtilen und eher von understatement geprägten Magie Mittelerdes nicht wirklich gerecht werden wollen.


Alles in allem würde ich MERS als einen mittelmäßig rüstigen Rentner unter den Rollenspielen ansehen. Das System ist etwas altbacken (irgendwie sind das alle Systeme, die einen W100 verwenden), aber noch relativ stromlinienförmig und eigentlich sogar recht simpel und einleuchtend, wenn da nicht die enorme Tabellenverleibtheit hinzu käme. Die Magieregeln sind für'n Arsch (sorry, dass ich mich da so deutlicher Sprache bemühe), was die Settinganpassung angeht, womit ein nicht unwesentlicher Teil eines Fantasy-Settings deutlcihe Risse zeigt. Alles in allem sind die Regeln eindeutig eher meh, aber das kann auch am Alter liegen. Ich würde den Regeln einen von 3 möglichen Nazghul geben.
Der Hintergrund wird tendentiell nur recht spärlich beschrieben, mit der rühmlichen Ausnahme der Klammotten jeden einzelnen Volkes (warum auch immer). Bei der heutzutage frei verfügbaren Informationsquelle über Mittelerde im Netz ist das nicht mehr so tragisch, aber letztendlich ist es reichlich suboptimal, wenn man von vorne herein dazu gezwungen ist, externe Quellen zum Spiel heranzuziehen. Auch vom Hintergrund her würde ich daher einen von Drei Nazghul verteilen.
Bei den Zusatzqualifikationen: Ja, das System erlaubt es ohne weiteres oder größere Umstände, die gesamte Gemeinschaft des Rings darzustellen; allein Gandalf der alte Maiar bereitet Probleme (und bei den reichlich unpassenden Magieregeln macht er eh keinen Spaß). Das Artwork im inneren besteht aus unspektakulären, aber ziemlich okayen Schwarzweißzeichnungen, die zu Mindest nicht unpassend wirken. Die Cover von Angus McBride, die die meisten mir bekannten MERS-Publikationen schmücken sind hingegen Sahne und gut und gerne einen weiteren Nazghul wert. Der Aufbau der Bücher war nervig und zu Mindest bei der zweiten Edition, die ich zu Erst hatte so krampfig, dass sich wichtige Informationen sehr gut tarnen und verstecken. Für den Aufbau gibt es definitiv keinen Nazghul.
Kommen wir also in der Gesamtsumme auf 4 von 9 möglichen Nazghul, was ein solides, mittelmäßiges Ergebnis darstellt. 
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 10.03.2012 | 14:21
Was das MERS-Regelwerk betrifft: Ziemlich gute Zusammenfassung. Aber das wirklich gut aufbereitete Quellenmaterial in den Abenteuerbänden verdient m.E. eine Erwähnung - die Abenteuer selbst sind meistens unspannend, aber die Art, wie jeweils Flora, Fauna Gesellschaft und wichtige NSC einer Region in den MERS-Bänden beschrieben werden, finde ich oft vorbildlich (wenn auch nicht immer ganz Mittelerde-Settingtreu).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 11.03.2012 | 16:22
Ich betrachte prinzipiell nur die Grundbücher/Boxen; erstmal hab ich von den meisten Systemen schlicht nicht mehr, zwotens will ich ja auch auf den Vergleich von Fan-Publikationen und offiziellen Spielen hinaus, was einfach von den Ressourcen her sehr unfair wäre, und drittens kann man die meisten Abenteuer und dergleichen, da die Spielwelt ja die Selbe bleibt, eigentlich mit allen Mittelerde-Rollenspielen verwenden.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 11.03.2012 | 16:22
So, das chronologisch zweite Mittelerde-Rollenspiel nach MERS war Deciphers Lord of the Rings Roleplaying game (kurz LOTR RPG, bzw. LOTR), dass erstmals 2002 erschien, ins deutsche übersetzt wurde und mehr oder weniger in der Bugwelle der Herr der Ringe Verfilmungen entstand und umgesetzt wurde. Die Verbindung zum Film ist ziemlich allgegenwärtig im Spiel – so beinhalten die Bücher fast kein eigenes Artwork, sondern sind zwar reich bebildert, verwenden aber fast ausschließlich Bilder aus den Filmen, um die Spielwelt und ihre Bewohner darzustellen, was m.E. Ein reichlich zweischneidiges Schwert darstellt.
Trotz des Erfolgs der Filme und einer Auszeichnung als bestes Rollenspiel bei den Origins anno 2002 verkaufte sich LOTR nicht übermäßig gut; vor allem scheiterte das Spiel als der Verleger Decipher mehr oder weniger kollabierte (nach allem, was ich gelesen hatte, nachdem sich einer der Mitarbeiter sehr reichlich aus den Kassen des Verlags bediente und effektiv den Verlag so sehr bestahl, dass sie viele Lizenzen und Produkte nicht halten konnten). Deswegen ist LOTR als Spiel, gerade was die Erweiterungen angeht, etwas unvollständig, mehrere geplante Quellenbücher, die quasi druckreif waren, wurden nicht mehr publiziert (darunter das Quellenbuch zu Rückkehr des Königs) und das Spiel verschwand relativ schnell wieder.

Da für die hiesigen Beobachtungen aber nur die jeweiligen Grundbücher eine Rolle spielen (mehr Material steht mir einfach nicht zur Verfügung, und würde auch noch mehr Zeit in Anspruch nehmen), ist die unabgeschlossene Quellenbuch-Reihe allerdings eher nebensächlich, wenn auch etwas ärgerlich.

Die Regeln für LOTR basieren auf dem Decipher-hauseigenen CODA-System das so oder so ähnlich auch beim vom gleichen Verlag verlegten Star Trek Rollenspiel verwendet wurde. Man merkt an einigen Stellen eine gewisse Ähnlichkeit zu D20/D&D 3.X, insgesamt ist das System aber schon recht eigenständig.
Grundsätzlich gelten die üblichen Register, die man als Rollenspieler von einem klassisch gehaltenen Rollenspiel so erwartet: Es gibt erst einmal Eigenschaften, dazu Fertigkeiten und zusätzlich „Edges“ und „Flaws“, die ein Mischmasch aus Vorteilen, D&D-typischen Feats und dergleichen darstellen. Gewürfelt wird prinzipiell mit 2W6, zu denen Boni für Eigenschaftswerte, Fertigkeiten und weitere Boni verteilt werden; die Summe aus Fertigkeit und Würfelergebnis wird dann mit einem Mindestwurf verglichen, der abhängig davon ist, wie einfach oder schwer die erhoffte Tätigkeit ausfällt. Bei einem Sechserpasch „explodieren“ die Würfel. Alles in allem ein völlig robustes System, von dem man aber keine großen Innovationen oder weltbewegende Neuerungen erwarten sollte. Mehr so etwas nach dem Motto „keine Experimente, keine Fehler“. Darüber hinaus gibt es noch dazu einen Pool an sog. „Courage Points“, die nach dem üblichen Gummi-Punkt Prinzip arbeiten – ich weiß nicht, wie außergewöhnlich das bei einem Spiel von 2002 ist. Ich persönlich bin kein Freund von Gummi-Punkten, aber in diesem Fall sind sie zu Mindest ansatzweise innerspielweltlich erklärt (auch wenn die Erklärung etwas fadenscheinig erscheint) und soll als Anreiz dazu dienen, sich möglichst heldenhaft zu verhalten – wobei die Vorgaben, was denn nun im Kontext von Mittelerde als heldenhaft anzusehen sei, gut hervorgehoben an zentraler Position aufgeführt wird, was eine sehr brauchbare Handreichung für den Flow der Punkte darstellt. Für ein Gummipunkt-System ist das ganze sehr solide umgesetzt.

Bei der Charaktererschaffung werden wiederum recht übliche Register verwendet – effektiv separate Klassen und Spezies, plus ein Stufensystem. Die Spezies und Völker sind ganz brauchbar beschrieben und gut regeltechnisch umgesetzt, wobei es relativ viele Freiheiten bei der Ausarbeitung der Details für den Spieler gibt, gleiches gilt auch für die „Orden“ - effektiv die Klassen des Systems – die auch eher grob gehalten sind und sich primär dadurch unterscheiden, welche Fertigkeiten effizienter gesteigert werden können, und welche besondere Fähigkeiten ihnen zur Verfügung stehen.. Stufenaufstiege funktionieren recht ähnlich zu den Advances bei Savage Worlds, soll heißen relativ unaufgeregt. Charaktere können relativ frei zwischen ihren jeweiligen Orden wechseln, oder in sog. Elite Orden, effektiv Prestige-Klassen, aufsteigen, die dann weitere
Die Liste der Fertigkeiten ist umfassender als die bei MERS, aber weit davon entfernt, überbordend auszufallen.
Das Spiel bietet eine gute Bandbreite aus Kompromissen beim Rollenspiel, so können Charaktere sowohl ausgewürfelt werden oder per Point-Buy erstellt werden, Charaktere können sehr schnell über Beispiel-Kulturen oder Beispiel-Varianten der üblichen Orden abgehandelt werden, was in wenigen Minuten abgearbeitet werden kann, oder man geht ins Detail und verteilt die Punkte selbst, was etwas zeitintensiver wird. Hell, das System bietet zudem sowohl vernünftige, taktisch relevante und halbwegs gleichberechtigte Optionen für aktive oder passive Paraden.
Das System beinhaltet darüber hinaus ein System für Massenkämpfe und ein sehr grobes, einfach gehaltenes System für die Befleckung/Verführung zum Bösen, dem Mittelerde-Äquivalent zum cthuluhesken Stabilitätsverlust, wobei das System aber recht einfach gehalten ist, sowie ein System für Reputation und Bekanntheitsgrad eines Charakters.
Das Kampfsystem ist (wie auch das System an sich) relativ einfach gehalten und bietet eine überschaubare, aber brauchbare Optionen, und für die Freunde derartiger Ideen auch Regeln für Mooks oder ähnliche Statisten.

Im Gegensatz zu MERS ist das Magiesystem sogar brauchbar und passt zum Setting (Gasp!) Es gibt einige Zauber, die allesamt recht gut zum Setting passen, das System ist wieder eher unkompliziert und erfordert relativ wenig Buchhaltung (Zaubern ziehen das Äquivalent zu einem Fortitude-Save nach sich, bei deren Misslingen der Charakter etwas erschöpfter wird). Hinzu kommen eher schlicht gehaltene Regeln für magische Gegenstände und ihre Erstellung. Das relativ einfach gehaltenes Kern-Curriculum von Zaubern bietet zudem noch Sonderfälle wie magische Runen oder Zauberlieder, die aber exakt nach dem selben Schema mit leichten Variationen funktionieren.

Alles in allem ist das System sehr stromlinienförmig, stimmig und allerhöchstens könnte man dem System vorwerfen, etwas zu sehr auf der alten Wein in neuen Schläuchen Schiene zu fahren und etwas innovationsarm zu sein, macht aber dennoch vieles richtig und wenig bis nichts so richtig falsch. Alles in allem bewegt sich das CODA System gefühlt ungefähr auf der gleichen Komplexitätsstufe wie Cinematic Unisystem oder Savage Worlds, allerdings mit etwas ausfallender gestalteter Fertigkeitenliste. Das System ist aber tendenziell eher in Richtung Plausibilität als in Richtung schnelles Gameplay ausgerichtet, aber dadurch auch sehr intuitiv und gut nachvollziehbar. Ich glaube nicht, dass das System selbst zu besten Zeiten einen Hype wie Savage Worlds oder Fate hätte aufbauen oder tragen können (dazu sind die Regeln dann zu statisch und vorhersehbar), aber das Regelwerk ist absolut solide und den gesetzten Aufgaben mehr als gewachsen. Ich zu Mindest bin positiv überrascht von der Angelegenheit. 

Das Spiel beinhaltet, anders als MERS, nur Angehörige der freien Völker Mittelerdes, beinhaltet also keine Option für die Erstellung von Uruk Magiern. Die verschiedenen Völker sind recht differenziert und umfassend und quellengerecht unausgewogen erstellt, wobei ausgerechnet die Darstellung von Menschen dann in weitaus gröberen Zügen daher kommt. Und an keiner Stelle wird erwähnt, was für Hosen denn Elben tragen. Was die Anschaulichkeit des Systems deutlich erhöht, ist das fast alle dieser Fähigkeiten (übrigens wie auch die meisten Edges und Flaws) mit Zitaten aus den Büchern unterfüttert wird, was die Nachvollziehbarkeit deutlich erhöht.
Die Orden, wie bereits erwähnt nicht übermäßig dominant, beinhalten sowohl die üblichen Fantasy- Rollenspiel-Standards (Kämpfer, Schurken, Zauberkundige), als auch etwas weniger abenteuerliche Formen, wie Handwerker (die tolle magische Gegenstände bauen können).

Die Beschreibung der Welt ist nicht erschöpfend, aber vorhanden und meines Erachtens ausreichend. Neben einer 15 Seiten umfassenden Beschreibung des Settings beinhaltet das Grundbuch auch zwei Kapitel, die sich mit verschiedenen Kampagnenformen und allgemeinen Stilhinweisen und Themen eines Mittelerde-Rollenspiels befassen. Auch hier taucht wenig auf, was völlig großartig und weltbewegend daherkommt, aber der Grundtenor ist völlig in Ordnung und absolut angemessen, sprich solide.

Die Aufmachung und der Stil des Systems ist wie eingangs erwähnt, etwas zwiespältig, was an den verwendeten Filmbildern liegt. Ich finde Photos in einem Fantasy-Regelwerk eher unglücklich, und die Bilder verlieren in ihrer statischen Form doch sehr gegenüber der Filmform, auch weil alles viel kleiner wirkt. Die Epik der Geschehnisse wird damit zweimal gestaucht, erstmal durch das Nadelöhr dessen, was filmisch möglich ist, und dann durch die statische Darstellung, die auch dem Film nicht wirklich gerecht wird. Ein klein wenig wirkt es so, als ob das Buch mit den Urlaubsphotos eines aufwendigen Wochenend-LARPS bebildert wurde. Dem gegenüber stehen die gut formulierten Texte (Anmerkung: Ich habe nur das englische Original der Regeln gelesen, nicht die deutsche Übersetzung. Ich kann daher nicht sagen, wie gut oder schlecht diese ist) und die häufige Einbindung der Textstellen und Zitate aus der Trilogie, die eine Menge dazu beitragen, das Ambiente und die Stimmung der Welt zu transportieren und die gediegene Tolkien-Sprache zum Stimmungsaufbau zu verwenden ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus ist das System relativ sauber aufgebaut, übersichtlich und beinhaltet einen brauchbaren Index und Glossar. Teilweise muss man etwas suchen, wenn man einzelne Regeln nachschlagen will, aber über den Index geht das; darüber hinaus hab ich keine Hinweise auf die berühmte Seite XX gefunden. Wenn Querverweise auftauchen (was so selten nicht ist), dann führen sie auch dahin, wo die entsprechenden Angaben zu finden sind. Das sollte zwar eigentlich selbstverständlich sein, aber wir wissen alle, dass das nicht unbedingt den allgemeinen Qualitätsstandards von Rollenspielprodukten entspricht.


So, schreiten wir zur Bewertung:
Das Regelsystem ist zwar kein Meilenstein der Rollenspielentwicklung, aber völlig solide und reichlich stromlinienförmig und elegant und, was für die Bewertung in diesem Kontext nicht weniger wichtig ist: es passt zum Hintergrund und schwurbelt nicht groß rum. Alles in allem ist das System unaufgeregt, solide und gut verständlich, was mir reicht, um zweieinhalb von drei Nazghul für die Regeln zu verteilen.
Die Darbietung des Hintergrunds ist nicht erschlagend (was bei der Masse an Informationen und der Gravitas der Tolienschen Schreibe tatsächlich eine Leistung darstellt), und ist gut auf den Hausgebrauch runter gebrochen, aber für die Hardcore-Tolkienianer gut nach oben erweiterbar. Einziges wirkliches Manko: Es gibt keine gut verwendbare Karte in dem Spiel; die übliche Mittelerde-Karte prangt zwar sowohl von der Innenseite des Einbands als auch von einer Doppelseite im Innern des Buchs, aber durch den formatgegebenen Knick in der Mitte ist die Mitte der Karte halt nicht völlig verwendbar. Das fällt für mich allerdings eher unter Nicklichkeiten. Allein bei der Beschreibung der SC-Kulturen (stillschweigend vorausgesetzt, dass Menschen da das Gros stellen) hätte etwas umfangreicher ausfallen können. Auch für die Hintergrund-Darbietung würde ich daher zweieinhalb von drei Nazghul verteilen.
Bei den Zusatzpunkten finde ich die Übersichtlichkeit zwar in Ordnung, aber alles in allem muss man doch etwas viel blättern und mehr blättern, als bei einem an sich recht elegant gehaltenen und stromlinienförmigen Regeln eigentlich notwendig wäre, was das Spiel unnötig verkompliziert. Keinen Nazghul wert.
Die Gefährten des Rings lassen sich hingegen völlig problemlos mit dem System darstellen, auch der krasse Erfahrungsunterschied wird gut wiedergegeben, während die Regeln für Courage die „Kleinen“ in der Runde nicht völlig abhängt. Bietet wiederrum einen Nazghul.
Und letztendlich die Layout-Frage... ich finde das Artwork nicht gut, und vor allem finde ich es faul, einfach Screenshots aus dem Film per Copy+Paste ins Buch zu pflanzen hat etwas ziemlich langweiliges, und nutzt meiner Meinung nach die Möglichkeiten des Stimmungsaufbaus durch gute Illustrationen nur sehr bedingt aus. Dem Gegenüber stehen allerdings sehr gut formulierte Texte und die reichaltigen Tolkien-Zitate.

Insgesamt vergebe ich also 6 von 9 möglichen Nazghul an das CODA System, was ein überdurchschnittliches Ergebnis darstellt. Meines Erachtens ein wesentlich besseres System als MERS und mit unspektakulären, aber brauchbaren und anpassungsfähigen Regeln ausgestattet.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 11.03.2012 | 17:31
Dazu würde ich auch noch ein paar Takte anmerken. Hast du die deutsche oder die englische Version getestet? Ich nehme mal an englisch, denn in der deutschen Fassung heissen die Klassen "Berufungen" und nicht "Orden".

1. finde ich das System nicht besonders belastbar, bzw. es widerspricht in seiner Mechanik dem im Spielleiter-Abschnitt propagierten Spielstil. So ist z.B. laut Regeln ein einziger Ork/Uruk ein verdammt harter Knochen und einem typischen Menschen von den Kampfwerten her überlegen. Und im SL-Kapitel wird dann geraten, die ganzen Gesundheitsgrad-Regeln über Bord zu werfen und die Mobs einfach nach ein bis drei Treffern zu Boden gehen zu lassen. Also was denn nun?

2. hat mich die Nomenklatur genervt; erstens diese zwanghafte Vermeidung konventioneller Rollenspielbegriffe: "wir sagen aber nicht Charisma sondern Auftreten". Zweitens viele verwirrend ähnlich lautende Begriffe, zumindest in der deutschen Fassung: "Tapfer" ist was anderes als "Tapferkeit", man muss Gewandheit von Geschicklichkeit unterscheiden (oder so ähnlich), und so weiter. Mal ganz abgesehen von diesem penetranten "Die Erzählerin"-Gefasel.

3. Das Regelbuch ist unübersichtlich hoch drei; das geht schon damit los, dass die Kapitel keine eindeutigen Überschriften haben, sondern irgendwelche Stimmi-Titel, die keine Rückschlüsse auf den Inhalt zulassen. Wer kommt z.B. auf die Idee, dass er im Kapitel "Gestrenge und entschlossene Männer" suchen muss, wenn er Edges und Flaws nachschauen will? Hinzu kommt, dass die Charaktererschaffung nicht klar und gebündelt abgehandelt wird, sondern man sich die einzelnen Komponenten mit ständigem vor- und zurückblättern zusammensuchen muss.

4. das Spiel ist von vorn bis hinten für "Storynutten" ausgelegt und eignet sich nicht die Bohne für herausforderungsorientiertes, ergebnisoffenes Spiel. Das fängt schon damit an, dass die Rassen vorn und hinten nicht ausbalanciert sind. Da gibt es ganz klar ein unübersehbares Machtgefälle in der Hierarchie Noldor > Sindar > Waldelben > Dunedain > Mittelmenschen etc., und irgendwo dazwischen fallen die Zwerge und ganz am Ende der Fahnenstange kommen die Hobbts. Das mag stimmig für Mittelerde sein, aber gefallen muss es einem trotzdem nicht. Wie gesagt, für Runden in denen die Würfel eh keine große Rolle spielen zweifellos geeignet, aber ich hätte mir etwas mehr Balance gewünscht.

5. Ich habe auch ein paar andere Supplements zu dem Spiel, die auch durchweg qualitativ in dieselbe Kerbe hauen wie das Hauptbuch. Etwas ratlos ließ mich z.B. der SL-Schirm, der auf der Innenseite zwar mit einer Reihe Tabellen bedruckt ist, deren Auswahl aber eher zufällig zustande gekommen sein muss. Nahkampfmodifikatoren sucht man vergebens, aber falls mal einer der Charaktere an Amnesie leidet, sind da die Modifkatoren schnell zur Hand.  :D

Positiv ist mir allerdings ebenfalls das stimmige Magiesystem aufgefallen -- wenn man denn schon unbedingt Magier als SC-Klasse anbieten muss; ich persönlich finde das ja in Mittelerde einfach fehl am Platz.

Insgesamt hätte ich dem Spiel vor allem beim System einen Abzug reingewürgt, und würde als Gesamtwertung sagen wir mal 5 Nazgul vergeben, womit es immerhin eine Benchmark für die Konkurrenz darstellt.

(edit: Tippfehler)
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 11.03.2012 | 19:58
Dazu würde ich auch noch ein paar Takte anmerken. Hast du die deutsche oder die englische Version getestet? Ich nehme mal an englisch, denn in der deutschen Fassung heissen die Klassen "Berufungen" und nicht "Orden".

Müßte ich irgendwo im Text erwähnt haben... ich hab nur die Englische Version von dem Spiel, ich weiß daher nicht, wie gut oder schlecht die Übersetzung gelungen ist.

1. finde ich das System nicht besonders belastbar, bzw. es widerspricht in seiner Mechanik dem im Spielleiter-Abschnitt propagierten Spielstil. So ist z.B. laut Regeln ein einziger Ork/Uruk ein verdammt harter Knochen und einem typischen Menschen von den Kampfwerten her überlegen. Und im SL-Kapitel wird dann geraten, die ganzen Gesundheitsgrad-Regeln über Bord zu werfen und die Mobs einfach nach ein bis drei Treffern zu Boden gehen zu lassen. Also was denn nun?

Ich habe das mit den Mook-Regeln als einen Vorschlag gesehen, der mit geringer Verbindlichkeit ausgesprochen wird. Ich persönlich verwende so was eh so gut wie nie - der Mehrwert von Mook-Regeln geht meiner Meinung stark hinter dem Verlust der innerweltlichen Kontinuität zurück - aber es ist nichtsdestotrotz erwähnenswert, dass es entsprechende Regeln gibt und das man eben die Möglichkeit hat, zwischen einer eher grittigen und einer eher cineastischen Version zu wählen. Aber ja, vereinfachte Poolwerte wie z.B. bei Cinematic Unisystem wären hilfreicher, um das Selbe zu erreichen. 

2. hat mich die Nomenklatur generft; erstens diese zwanghafte Vermeidung konventioneller Rollenspielbegriffe: "wir sagen aber nicht Charisma sondern Auftreten". Zweitens viele verwirrend ähnlich lautende Begriffe, zumindest in der deutschen Fassung: "Tapfer" ist was anderes als "Tapferkeit", man muss Gewandheit von Geschicklichkeit unterscheiden (oder so ähnlich), und so weiter. Mal ganz abgesehen von diesem penetranten "Die Erzählerin"-Gefasel.

Oh ja, die Schrecken der gegenderten Texte die es wagen, von der normativen Maskulinität der Sprachwahl abzuweichen. Sorry, aber das ist die so ziemlich lächerlichste Kritik, die man anbrechen kann, gleich neben "die ausgewählte Schrifttype ist häßlich".
Was die Begriffe angeht: Wie gesagt, zur Übersetzung kann ich nicht viel sagen, aber ich finde "Bearing" oder "Nimbleness" nicht weniger griffig oder verständlich als "Charisma" oder "Dexterity"; genausowenig gibt es einen irgendwie gearteten Zwang, ausgerechnet das D&D-Vokabular zu übernehmen.

3. Das Regelbuch ist unübersichtlich hoch drei; das geht schon damit los, dass die Kapitel keine eindeutigen Überschriften haben, sondern irgendwelche Stimme-Titel, die keine Rückschlüsse auf den Inhalt zulassen. Wer kommt z.B. auf die Idee, dass er im Kapitel "Gestrenge und entschlossene Männer" suchen muss, wenn er Edges und Flaws nachschauen will? Hinzu kommt, dass die Charaktererschaffung nicht klar und gebündelt abgehandelt wird, sondern man sich die einzelnen Komponenten mit ständigem vor- und zurückblättern zusammensuchen muss.

Als Kritik an der Rezension geht das etwas an dem vorbei, was ich geschrieben habe - eine Perle der Übersichtlichkeit ist das System nämlich wahrlich nicht, aber hey, dafür gibt es schliesslich einen Index. Und eine Einleitung, in der aufgeschlüsselt wird, was in welchem Kapitel steht. Ein guter Aufbau und Strukturierung ist sicher sehr hilfreich, ersetzt aber das Lesen an sich erst mal nicht. Und gerae bei den Kapitelnamen ist bei der Englischen Version mit angegeben, was genau das Kapitel behandelt (Um beim Beispiel zu bleiben: "Stern Men and Resolute: Traits"). Klar geht das besser, aber ich würde das als Manko nicht überbewerten (vor allem wenn man den wirklich schauerlichen Aufbau bei MERS noch vor Augen hat).

4. das Spiel ist von vorn bis hinten für "Storynutten" ausgelegt und eignet sich nicht die Bohne für herausforderungsorientiertes, ergebnisoffenes Spiel. Das fängt schon damit an, dass die Rassen vorn und hinten nicht ausbalanciert sind. Da gibt es ganz klar ein unübersehbares Machtgefälle in der Hierarchie Noldor > Sindar > Waldelben > Dunedain > Mittelmenschen etc., und irgendwo dazwischen fallen die Zwerge und ganz am Ende der Fahnenstange kommen die Hobbts. Das mag stimmig für Mittelerde sein, aber gefallen muss es einem trotzdem nicht. Wie gesagt, für Runden in denen die Würfel eh keine große Rolle spielen zweifellos geeignet, aber ich hätte mir etwas mehr Balance gewünscht.
Wer ausser "Storynutten" hat denn überhaupt ein Interesse an einem Mittelerde-Rollenspiel? Ich würde das wiederrum als vorgabengerechte Umsetzung ansehen - das Spiel kommt halt den eigenen Ansprüchen nach.
Darüber hinaus: Balancing zwischen den verschiedenen Völkern ist bei einem Mittelerde-Rollenspiel ungefähr so passend wie ausgiebige Automatikfeuer-Regeln. Wenn man sich die Vergleichsgruppe aus der Buchvorlage anschaut, reicht die Basis der Charaktere letztendlich von einem unerfahrenen Gärtner bis hin zu einem quasi göttlichen Wesen, das zufällig so aussieht wie ein alter Mann. Ich halte die aufoktruierte Gleichmacherei und das gegenseitige Ausbremsen, dass wohlwollend-euphemistisch als Balancing etikettiert wird, eh für eine bestenfalls völlig überbewertete, tendentiell sogar eher schädliche Konvention, denn letztendlich geht es quasi nie um so etwas wie Gerechtigkeit, sondern bloß um schlichten Neid, weil Spieler X plötzlich ein viel schöneres Förmchen at als man selbst. Ich würde sogar soweit gehen, dass derartige Unterschiede in der Basis, wie sie bei CODA auftauchen fürs herausforderungsorientierte Spiel auch nur marginale Einflüsse haben, denn ansonsten wäre jedes Spiel, dass auf ausgewürfelte Spielwerte setzt, genauso ungeeignet.


5. Ich habe auch ein paar andere Supplements zu dem Spiel, die auch durchweg qualitativ in dieselbe Kerbe hauen wie das Hauptbuch. Etwas ratlos ließ mich z.B. der SL-Schirm, der auf der Innenseite zwar mit einer Reihe Tabellen bedruckt ist, deren Auswahl aber eher zufällig zustande gekommen sein muss. Nahkampfmodifikatoren sucht man vergebens, aber falls mal einer der Charaktere an Amnesie leidet, sind da die Modifkatoren schnell zur Hand.  :D
Hab ich nicht, kann ich nix zu sagen. Was ich als Supplement kenne, sind die 9 Jahrgnge des frei zugänglichen E-Zine Hall of Fire und andere fan-based Sachen, die alles samt recht nützlich sind.

Positiv ist mir allerdings ebenfalls das stimmige Magiesystem aufgefallen -- wenn man denn schon unbedingt Magier als SC-Klasse anbieten muss; ich persönlich finde das ja in Mittelerde einfach fehl am Platz.
Magier wie in Gandalf oder Radagast fände ich auch eher unpassend. SC-Magier sind bei den Regeln auch eher so was wie der "Conjurer of cheap tricks" der Gandalf nun mal eben nicht ist und Zaubersprüche verschiedener Art werden an verschiedener Stelle im HdR erwähnt ("I once knew every spell in all the tongues of Elves or Men or Orcs, that was ever used for such a prpose. I can still remember ten score of them..."). Auch ausserhalb der fünf WIzards gibt es Leute, die Magie verwenden auf Mittelerde, sie sind nur halt nicht so gut. Und das geben die Regeln auch durchaus her.

Insgesamt hätte ich dem Spiel vor allem beim System einen Abzug reingewürgt, und würde als Gesamtwertung sagen wir mal 5 Nazgul vergeben, womit es immerhin eine Benchmark für die Konkurrenz darstellt.
Wie gesagt, ich bewerte System und Übersichtlichkeit als unabhängig von einander. Die Übersichtlichkeit ist keinen Nazghul wert, da gehe ich mit dir völlig d'accord. Aber gemessen an dem, was das System will ist es meines Erachtens durchaus gelungen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Oberkampf am 11.03.2012 | 20:41
Hat der Thread einen Anspruch auf Objektivität oder ist das ein "Was gefällt mir besser Thread"?

Wenn ich MERS und TOR unter dem Kriterium vergleiche, gefällt mir TOR besser.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 11.03.2012 | 21:01
Hmh, die deutsche Fassung scheint einfach teilweise vermurkst zu sein und schlechter als das Original. Welch Überraschung, hat man ja noch nie gesehen.

Balancing ist sicher eine philosophische Frage. Ich sehe das so, dass es eben gerade in ME seine Gründe hat, dass mit der Zeitenwende die "Dominion of Man" beginnt, und man von Elben und Zwergen als "failing peoples" hört. Aber wie sich das in Spielwerten widerspiegeln lässt, okay, das ist eine andere Frage. Was ich zum Beispiel passend gefunden hätte, wäre, dass Elben deutlich langsamer als Menschen aufsteigen.

Zitat
Wer ausser "Storynutten" hat denn überhaupt ein Interesse an einem Mittelerde-Rollenspiel?

Ich zum Beispiel.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Jiba am 11.03.2012 | 21:02
Und ich bin eine "Storynutte", die trotzdem sehr an Balancing festhält. Gleiche Chancen für alle!
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Skele-Surtur am 11.03.2012 | 21:04
Ich zum Beispiel.
Me, too.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Oberkampf am 11.03.2012 | 21:19
Und ich bin eine "Storynutte", die trotzdem sehr an Balancing festhält. Gleiche Chancen für alle!

Sehr verständlich. Storyspiel und schlechtes Balancing vertragen sich sowieso nicht gut.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 11.03.2012 | 21:38
Hat der Thread einen Anspruch auf Objektivität oder ist das ein "Was gefällt mir besser Thread"?

Den Anspruch schon. Inwiefern sich das in die Realität umsetzen läßt, sei dahingestellt. Ich habe da meine Zweifel, versuche aber wenigstens meine persönlichen Präferenzen und Vorurteile erstmal unterzuordnen und Fragen wie etwa die generelle Komplexität des Systems oder spezifische Merkmale eher dahingehend anzuschauen, inwiefern sie zum angestrebten Spielstil und der Umsetzung der Spielwelt passen. Gerade bei den Eigengewächsen verschiedener Selbstschreiber geht das ziemlich weit auseinander, von sehr einfach gehaltenen Erzählspielen zu ziemlich anspruchsvollen und komplexen Regeln.

Balancing im Allgemeinen ist ein spannendes Thema und sicher diskussionswert, keine Frage,  führt aber in diesem Kontext etwas sehr weit von der Materie weg. Im spezifischen Kontext eines Mittelerde-Rollenspiels ist es hingegen so, dass gerade die Kulturen und Völker gemäß der Vorgabe eben nicht auf einer Ebene stehen, und dementsprechend die Frage ob und wie dies umgesetzt wird dann für die Frage, wie gut das System eben Mittelerde abbildet eben relevant ist. 
"Gutes Balancing" ist nichtsdestotrotz ein Oxymoron. Nur ein totes Balancing ist ein gutes Balancing. 
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Chief Sgt. Bradley am 11.03.2012 | 22:13
Also ich mag diesen Trööd :)
@Terrorbeagle:
Du hast eine angenehme Schreibe, mich sehr unterhalten und mir eine super Zusammenfassung zweier Regelsysteme gegeben, welche ich zuvor noch nicht gespielt habe.

Ich freue mich jetzt schon auf deine Rezi zu der "Der Eine Ring"

Weiter so :d
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: D. Athair am 11.03.2012 | 23:14
Tolles Thema. Bisher lesen sich die Kritiken zu den Spielen recht fair.  :d
Besonders freut mich, dass du jeweils deine Perspektive vor Augen stellst.
Sehr hilfreich!



Was mich allerdings stört (und für mich den Faden durchaus abwertet) ist deine Apologie, terrorbeagle, wider
die kritischen Bemerkungen von Feuersänger. Seine Anmerkungen sind für mich durchaus richtig, entstammen
aber einem anderen Blickwinkel, der, wie mir scheint, für dich nicht so ganz nachvollziehbar ist.
Jedenfalls: Diese "ich-hab-aber-doch-Recht"-Haltung von jemandem, der gerade eine Spielerezension geschrieben hat,
geht mir auf den Keks. Vor allem, weil sich daraus ergebende Diskussionen gerne mal Rezensionsstränge im Vorbeigehen zerschießen. (Hab ich leider schon öfter beobachten müssen.)



Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Vanis am 12.03.2012 | 08:19
Kurz mal meine 2 Cent zu Mers:

Zwei Millionen Verlaufte Exemplare? Woher hast du die Zahl? Ich denke, die Auflage bewegt sich eher irgendwo im 10.000er-Bereich, zumindest nannte mir das mal einer, der die Autoren des Spiels ganz gut kennt. Kann da bei Interesse nochmal nachhören.

Mers und das Gleichgewicht der Völker, das ist schon eine seltsame Sache. Klar kann man sagen, dass Elben da was die besonderen Fähigkeiten angeht, besser abschneiden. Es sind die besten Magier und Animisten. Nur hat man dann bei den Kampffertigkeiten unglaublich bei denen gekürzt. Noldor, die ganze Kriege gegen Morgoth geführt haben, sind die mit schlechtesten Kämpfer des Systems. Ich führe das darauf zurück, dass man eben doch eine gewisse Balance zwischen den Völkern herstellen wollte.


Zum Herr der Ringe Rollenspiel von Decipher:

Es hat richtig gute Ansätze. Im Grundbuch bekommt man eine Beschreibung der Welt. Die Regeln hatten mich damals überzeugt. Nach jahrelangem Spielen musste ich aber feststellen, dass das System ziemlich schnell in sich zusammenfällt. Soll heißen, die Charaktere werden so schnell, so gut, dass sie es mit fast jedem aufnehmen können. Schön fand ich die Magieregeln. Wobei da Magier ganz schnell in die Richtung Gandalf gehen, was ich seltsam fand.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 12.03.2012 | 09:12
Balancing im Allgemeinen ist ein spannendes Thema und sicher diskussionswert, keine Frage,  führt aber in diesem Kontext etwas sehr weit von der Materie weg. Im spezifischen Kontext eines Mittelerde-Rollenspiels ist es hingegen so, dass gerade die Kulturen und Völker gemäß der Vorgabe eben nicht auf einer Ebene stehen, und dementsprechend die Frage ob und wie dies umgesetzt wird dann für die Frage, wie gut das System eben Mittelerde abbildet eben relevant ist. 

Ich halte das ehrlich gesagt für einen Irrtum über Mittelerde. An den Vorlagen lässt sich diese klare Hierarchie auf den für's Spiel relevanten Ebenen nicht wiederfinden. In Silmarillion und Unfinished Tales/Children of Hurin sind menschliche und elbische Helden moralisch und im Kampf tendenziell gleichwertig (wie schon im Thread zu DER würde ich da wirklich noch mal die Lektüre von letztgenanntem Buch empfehlen).
Im Hobbit und LotR tritt sogar noch deutlicher hervor, dass Balancing (zumindest der Kampfwerte) der Welt eigentlich sehr angemessen ist: Einige der größten Kampf-Heldentaten werden von Hobbits begangen (Bilbo gegen den Spinnen von Düsterwald, Sam gegen Shelob, Merry gegen den Hexenkönig von Angmar, Pippin, der in der Endschlacht im Alleingang mit einem Schlag einen Troll tötet!). Natürlich wird es immer so beschrieben, dass die Hobbits mit Mut, Glück und Geschicklichkeit ihre Siege erringen und nicht mit roher Kraft - aber genau das kann ja ein RSP-Regelwerk wiederspiegeln (und tut es, um mal vorzugreifen, im Falle von DER auch).

Natürlich agieren die Hobbits im LoTR kaum als Kämpfer in den Schlachten und werden auch nicht als solche betrachtet - sie sind ja auch im Gegensatz zu Aragorn, Boromor, Gimli und Legolas keine mehr oder weniger "berufsmäßigen" Kämpfer. Trotzdem zeigt sich gerade in LotR ja, dass die Hobbits, wenn es dann hart auf hart kommt, doch so einiges reißen - also wäre es, will man der Vorlage treu bleiben, ziemlich unlogisch, ihnen schlechtere Ausgangsbedingungen mitzugeben.

Und die totale Überlegenheit der Elben ist wie gesagt eigentlich bei keinem Tolkien-Werk so direkt zu erkennen, im Hobbit und in LotR schon gar nicht. Es ist Isildur, der Sauron den Finger abschlägt, kein Elbenkrieger. Zumindest die Sindar haben offensichtlich auch kein großartiges magisches Gespür, sonst hätte ihnen Bilbo nicht so auf der Nase herumtanzen kann. Und wie gesagt: Zahlreiche Sindar fallen in der Schlacht der fünf Heere gegen die Orks, und sie werden dort (im Gegensatz zu den Zwergen und zu Beorn) nie als die Partei hervorgehoben, die groß was reißt, sie kämpfen einfach nur mit.

Die größe der Heldentaten ist bei Tolkien in meinen Augen ziemlich eindeutig an die Zeitalter geknüpft: Im ersten werden die größten vollbracht, da kann selbst ein Menschenkrieger gegen Morgoth persönlich anstinken. Im zweiten geht immer noch einiges, auch ein Mensch kann da Sauron im Kampf besiegen. Im dritten ist die Zeit der wirklich großen Taten auf dem Schlachtfeld einfach vorbei, für Menschen und Elben ebenso wie für Zwerge und Hobbits. Bei einem im dritten Zeitalter angesiedelten Spiel ist es deshalb der Vorlage absolut angemessen, Menschen, Zwerge, Hobbits und Elben (mit Ausnahme der wirklich alten) zu balancen.

Schließlich: Wir wollen nicht Bullbeißer Tuck vergessen, der einen Orkkönig köpfte, sodass sein Kopf in einen Hasenbau flog, und damit nebenbei das Golfspiel erfand!
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 12.03.2012 | 11:28
Ich meine, du reduzierst die Balancing-Frage zu sehr auf das sehr enge Feld des Kampfes. Und ja, wenn es nur darum geht, Dinge zu zerstören und Leute zu töten, sind die Elben nicht weiter herausragend, zu Mindest im Vergleich zu den Hohen Menschen/Dúnedain oder den Zwergen. Nur ist Kampf meines Erachtens zwar ein wichtiger Punkt, aber nicht der einzige, und vor allem nicht der, in dem die Elben besonders auffällig sind. Generell scheinen sie besser dfarin u sein, etwas tz erschaffen als etwas niederzureißen; es wird so z.B. immer wieder betont wie herausragend so ziemlich alle Aspekte der elbischen Handwerkskunst seien, von profanem Bäckerwesen bis hin zur Mithtril-Verarbeitung. Worin sie ebenfalls übermenschlich sind, sind so Sachen wie der Gesichtssinn (Aragorn: "Seht mal, eine Staubwolke am Horrizont". Legolas:" Ja, das sind Reiter, 14 Stück um genau zu sein, sie führen 2 weitere Pferde mit sich, sieben haben Bärte und einer sehr ausgeprägte Aknenarben". Ich paraphrasiere.), auch und gerade bei Dunkelheit, eine unnachahmliche Leichtfüßigkeit und Körperbeherrschung (Am Caradras muß Boromir den restlichen Gefährten einen Weg durch den hüfthohen Schnee bahnen... Legolas läuft schlicht über die Schneedecke) oder um die [Übersetzung der] Worte Tolkiens selbst zu bemühen: [Legolas ist]"(...) gross wie ein junger Baum, schlank, sehr stark, fähig einen grossen Kriegsbogen zu zücken und einen Nazgul abzuschiessen, versehen mit immenser Lebenskraft der elbischen Körper, so hart und schwer zu verletzen, daß er nur mit leichten Schuhen über Felsen oder Schnee ging, der unermüdlichste von allen Gefährten"; Elben sehen so gut aus, dass relativ regelmäßig als Vergleich herhalten, wenn es darum geht, dass jemand attraktiv ist ("fair as an Elven maiden") und muß der lächerlich offensichtliche Zusammenhang aus faktischer Unsterblichkeit und lebenslangem Lernen noch extra erwähnt werden?
Geht man nach der Vorlage der Tolkienschen Texte, ist jede Behauptung, dass die Elben eben nicht in weiten Teilen übermenschlich seien, irgendwo im weiten Feld zwischen Wunschdenken, Hatedom oder Unwissenheit angesiedelt ist; die üblichen EDO-Fantasy Elfen sind relativ maue Abziehbilder der tolkienschen Version, die diesem "Original" eben nicht gerecht werden.
Nur um das noch mal klar zu machen: Ich bin kein Elfenfanboy oder dergleichen, der hier seine persönliche Favoriten pushen will; eher im Gegenteil. Worauf ich hingegen achte, ist die quellengetreue und thematisch angemessene Umsetzung des Stoffes, und in diesem Zusammenhang ist jedwede Behauptung, die im Widerspruch zu den Ausgangstexten stehen, eben keine an sich respektwürdige abweichende Meinung, sondern schlicht und ergreifend faktisch falsch. Entgegen des allgemeinen Volksglauben wird eine Falschaussage auch durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Schaut euch den Text an. Schaut euch an, wie Elfen, speziell Legolas der nun mal immer wieder sehr im Spotlight steht, beschrieben wird. Ich kann mich nur wiederholen: Wenn man den Text des Herren der Ringe zu Grunde legt, ist die Behauptung, der Elb (an sich) sei nicht in Teilen übermenschlich meines Erachtens schlicht und ergreifend völlig unhaltbar. Weitgehend kontrafaktisch.

Darüber hinaus: Der Witz beim Herrn der Ringe ist ja eben, dass diese augenscheinliche und offensichtliche Ungleichheit eben entscheidend ist; die grpßen Heldenfiguren der wiedergekehrte König und so - sind wenig mehr als ein Ablenkungsmanöver im großen Plan, damit zwei pelzfüßige Butterkugeln letztendlich triumphieren können. Dieser Triumph der pelzfüßigen Butterkugeln ist aber gerade deshalb so heroisch und herausragend, weil die Figuren eben gerade nicht heroisch veranlagt sind. Die Halblinge sind Allerweltsfiguren, der sprichwörtliche kleine Mann. Sie sind konsequent völlig mit der Situation in der sie sich befinden eigentlich überfordert - und, das ist der springende Punkt - sie nehmen diese enorme Herausforderung an und dadurch wachsen sie daran auch (sogar wortwörtlich; bei Merry und Pippin geht der charakterliche Wachstum mit körperlichem Wachstum einher) und die Diskrepanz zwischen den kleinen, schwachen, verletzlichen und oft elenden Hauptfiguren und der quasi nicht bewältigbaren Aufgabe ist nun mal wesentlich prägnanter und wirkungsmächtiger als ein Achilles oder Herakles an der Stelle gewirkt hätte. Durch eine künstliche Überhöhung der eigentlichen Protagonisten Sam und Frodo, Merry und Pippin, wird das, was sie erreicht haben, letztendlich geschmälert, was dann in der Konsequenz bedeutet, dass die Charaktere dadurch eben nicht an Bedeutung und Nimbus gewinnen, sondern einbüßen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Vanis am 12.03.2012 | 11:45
[...] und muß der lächerlich offensichtliche Zusammenhang aus faktischer Unsterblichkeit und lebenslangem Lernen noch extra erwähnt werden?

Das ist ein interessanter Punkt, der mich auch lange beschäftigt hat. Aufs Rollenspiel bezogen muss man hier klar sagen, dass alle Charaktere irgendwo Anfänger sind. Daher haben Elben zu Spielbeginn erstmal nichts von ihrer Unsterblichkeit. Dann muss man aber auch sehen, wie sie mit ihrer Unsterblichkeit umgehen. So wie ich die Quellen interpretiere, schaffen es nur wenige Elben im Dritten Zeitalter, überhaupt etwas mit dieser Langlebigkeit anzufangen. Sie leben zurückgezogen, bewachen ihre Heimat. Anders als Menschen lernen sie anscheinend nicht sehr schnell, sondern leben im EInklang mit der Natur. Die wenigsten scheinen überhaupt ein Streben nach Macht zu besitzen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: LöwenHerz am 12.03.2012 | 11:45
Was mich allerdings stört (und für mich den Faden durchaus abwertet) ist deine Apologie, terrorbeagle, wider
die kritischen Bemerkungen von Feuersänger. Seine Anmerkungen sind für mich durchaus richtig, entstammen
aber einem anderen Blickwinkel, der, wie mir scheint, für dich nicht so ganz nachvollziehbar ist.
Jedenfalls: Diese "ich-hab-aber-doch-Recht"-Haltung von jemandem, der gerade eine Spielerezension geschrieben hat,
geht mir auf den Keks. Vor allem, weil sich daraus ergebende Diskussionen gerne mal Rezensionsstränge im Vorbeigehen zerschießen. (Hab ich leider schon öfter beobachten müssen.)

Siehste... und ich finde es klasse, dass Terrorbeagle seine Position argumentativ untermauert. Von dieser "recht-haben-Haltung" lese ich weniger. Zumal ich ihm diesen Unterton nicht unterstellen mag ;)
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 12.03.2012 | 11:57
Darüber hinaus: Der Witz beim Herrn der Ringe ist ja eben, dass diese augenscheinliche und offensichtliche Ungleichheit eben entscheidend ist; die grpßen Heldenfiguren der wiedergekehrte König und so - sind wenig mehr als ein Ablenkungsmanöver im großen Plan, damit zwei pelzfüßige Butterkugeln letztendlich triumphieren können. Dieser Triumph der pelzfüßigen Butterkugeln ist aber gerade deshalb so heroisch und herausragend, weil die Figuren eben gerade nicht heroisch veranlagt sind. Die Halblinge sind Allerweltsfiguren, der sprichwörtliche kleine Mann. Sie sind konsequent völlig mit der Situation in der sie sich befinden eigentlich überfordert - und, das ist der springende Punkt - sie nehmen diese enorme Herausforderung an und dadurch wachsen sie daran auch (sogar wortwörtlich; bei Merry und Pippin geht der charakterliche Wachstum mit körperlichem Wachstum einher) und die Diskrepanz zwischen den kleinen, schwachen, verletzlichen und oft elenden Hauptfiguren und der quasi nicht bewältigbaren Aufgabe ist nun mal wesentlich prägnanter und wirkungsmächtiger als ein Achilles oder Herakles an der Stelle gewirkt hätte.


Eben das bildet ein gutes Regelwerk doch durch Balancing ab, wenn es über Gummipunkte oder Attribute wie Seele bewirkt wird: Dass die "Kleinen" im Kontext einer großen Geschichte zu ebenso großen Taten fähig sind wie die "heroisch veranlagten", vielleicht sogar zu größeren.
Deine Behauptung, Balancing sei für Mittelerde grundsätzlich falsch, greift allenfalls dann, wenn du von einem Regelwerk ausgehst, dass die quantifizierbaren Eigenschaften und Fähigkeiten der Charaktere möglichst simulativ in Zahlenwerten ausdrücken soll. "Der eine Ring" geht da z.B. einen anderen Weg.

Vor allem muss ich aber auch mal sagen, dass du wesentlich weniger konkrete Beispiele für die von dir behauptete Überlegenheit der Elben bringst als ich für die relative Gleichwertigkeit. "Gutes Aussehen" ist schön und gut, würde ich aber nicht in Werte packen. Leichtfüßigkeit und Scharfe Sinne - ja, das sollte deutlich betont werden, das ist bei DER auch ein Schwachpunkt.

Aber Balancing bezieht sich ja doch meistens in erster Linie auf den Kampf, weil dort die Vergleichbarkeit zwischen den Charakteren meist am deutlichsten gegeben ist. Und da ist, wenn man nach Tolkien geht, wenig bis nichts gegen Balancing einzuwenden - Hobbits wie Pippin sind, wenn sie erst einmal ein bisschen Erfahrung gesammelt haben, offenbar genauso fähig wie Menschen- oder Elbenhelden, es mit einem Troll aufzunehmen.

Und tausendjährige Elben als SC müssen ja nun auch nicht sein. Du könntest ja auch in den meisten gebalancten Systemen einen Elb einfach hochsteigern, bis er seinem Alter entsprechende Werte hat. Tatsächlich wäre es ziemlich komisch, einen Elben mit Hunderten oder Tausenden von Jahren Erfahrung regeltechnisch als "überlegene Einsteiger" neben die ganzen anderen Startcharaktere zu stellen, bei denen man üblicherweise davon ausgeht, dass sie vergleichsweise jung sind oder zumindest noch nicht so viel charakterbildendes erlebt haben. Da ist es doch konsequenter, dass potentiell hohe Alter der Elben erst einmal außen vor zu lassen.

Insgesamt muss ich mal sagen, dass ich dein Tolkien-Fu ziemlich schwach finde. Ich bin jetzt nicht der Megaexperte, aber du kannst mir nicht erzählen, dass ich mich einer "Illusion" hingeben würde, ohne auch nur eines meiner Beispiele zu entkräften und ohne selbst mehr als eines liefern zu können. Dass Legolas ein toller Elbenheld ist, ist schön und gut. Aragorn ist aber auch ein toller Menschenheld und Gimli ein toller Zwergenheld, und Sam ist ein toller Hobbitheld. Hauptsächlich unterscheiden sich diese Figuren in ihrem "Stil", in ihrem Vermögen, mittels ihrer Fähigkeiten die Geschichte zu beeinflussen (und um die geht es MIR zumindest bei Rollenspielen) liegen sie gleichauf (bzw. Aragorn und Sam haben die Nase vorn).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Oberkampf am 12.03.2012 | 12:19
Deine Behauptung, Balancing sei für Mittelerde grundsätzlich falsch, greift allenfalls dann, wenn du von einem Regelwerk ausgehst, dass die quantifizierbaren Eigenschaften und Fähigkeiten der Charaktere möglichst simulativ in Zahlenwerten ausdrücken soll. "Der eine Ring" geht da z.B. einen anderen Weg.

So sehe ich das auch. Ein Rollenspiel mit einem möglichst umfassenden Welt-Simulationsanspruch kann unausgewogene Klassen/Völker/Fertigkeiten usw. einigermaßen verkraften. Vor allem, wenn es sich darauf beschränkt, eher konkrete, benennbare, messbare Dinge zu verregeln.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 12.03.2012 | 12:22
Dann warten wir doch mal ab, was er zu TOR schreibt. Ich bin da schon drauf gespannt, weil ich mir bisher unter dem System recht wenig vorstellen kann.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 12.03.2012 | 15:25
Eben das bildet ein gutes Regelwerk doch durch Balancing ab, wenn es über Gummipunkte oder Attribute wie Seele bewirkt wird: Dass die "Kleinen" im Kontext einer großen Geschichte zu ebenso großen Taten fähig sind wie die "heroisch veranlagten", vielleicht sogar zu größeren.
Unsinn. Balancing an der Stelle wäre ganz genau die künstliche Überhöhung und Auspolsterung, die die tatsächliche Leistung eben schmälert - was genau den Gegenteil des Angestrebten erreicht, indem dfie Charaktere eben nicht auf- sondern aggewertet werden.


Vor allem muss ich aber auch mal sagen, dass du wesentlich weniger konkrete Beispiele für die von dir behauptete Überlegenheit der Elben bringst als ich für die relative Gleichwertigkeit. "Gutes Aussehen" ist schön und gut, würde ich aber nicht in Werte packen. Leichtfüßigkeit und Scharfe Sinne - ja, das sollte deutlich betont werden, das ist bei DER auch ein Schwachpunkt.
Sorry, aber ich versuche gerade eine halbwegs ausgewogene und umfassende Kritik zu The One Ring zu schreiben, neben meinem ganz normalen Alltagsaufwand. Da nimmt "Textrecherche um lächerlich offensichtliche Positionen mit Zitaten zu widerlegen" einfach keine allzu hohe Priorität ein.

Aber Balancing bezieht sich ja doch meistens in erster Linie auf den Kampf, weil dort die Vergleichbarkeit zwischen den Charakteren meist am deutlichsten gegeben ist. Und da ist, wenn man nach Tolkien geht, wenig bis nichts gegen Balancing einzuwenden - Hobbits wie Pippin sind, wenn sie erst einmal ein bisschen Erfahrung gesammelt haben, offenbar genauso fähig wie Menschen- oder Elbenhelden, es mit einem Troll aufzunehmen.
Ich sehe keinen Hinweis da drauf, dass das auch nur ansatzweise hinhaut. Das ist meines Erachtens reines Wunschdenken, bzw. Balancing-Dogma. Wie schon erwähnt, reine Wiederholung macht eine falsche Aussage nicht wahrer.
Wobei nach der Argumentation das eh nur der Kampf richtig zählt, die Frage doch eh weitgehend sekundär ist. Im Kampf sind die Elben nicht unbedingt besser, bei fast allem anderen eben schon. Wenn man die nicht-kämpferischen Ereignisse derartig marginalisiert, dann sehe ich da auch das Hindernis nicht (außer der Grundmotivation der Mehrheit aller Balancing-Rangeleien, sprich schlichter Neid).

Und tausendjährige Elben als SC müssen ja nun auch nicht sein. Du könntest ja auch in den meisten gebalancten Systemen einen Elb einfach hochsteigern, bis er seinem Alter entsprechende Werte hat.

Ich brauche gar nicht bei einem 1000-Jahre Elben ansetzen; ein normaler, junger aber trotzdem körperlich ausgewachsener Elb hat mit seinen ca. 60 Lenzen noch in für einen Elben sehr jugendlichen Jahren bereits die gleiche Zeit gehabt, wie ein normaler Mensch, der auf ein halbwegs erfülltes Leben zurückblicken kann - und das geht von einem völlig neuen Elben aus, keinem wiedergeborenen.


Insgesamt muss ich mal sagen, dass ich dein Tolkien-Fu ziemlich schwach finde. Ich bin jetzt nicht der Megaexperte, aber du kannst mir nicht erzählen, dass ich mich einer "Illusion" hingeben würde, ohne auch nur eines meiner Beispiele zu entkräften und ohne selbst mehr als eines liefern zu können.
Nein, ich bin kein Vollzeit-Tolkienianer. Das Silmarillon beispielsweise fand ich als Lektüre ungefähr so auffregend wie das Postleitzahlenbuch. Wie schon gesagt, ich bin gerade mehr damit beschäftigt, an der TOR-Kritik zu schreiben, aber wenn du unbedingt willst, kann ich deine Argumente und Beispiele etwas anrempeln, zu dem Punkten an dem nicht bloß das banale Balancing-Dogma als Selbstzweck per Zirkellogik wiedergekäut wird:

Zitat
Im Hobbit und LotR tritt sogar noch deutlicher hervor, dass Balancing (zumindest der Kampfwerte) der Welt eigentlich sehr angemessen ist: Einige der größten Kampf-Heldentaten werden von Hobbits begangen (Bilbo gegen den Spinnen von Düsterwald, Sam gegen Shelob, Merry gegen den Hexenkönig von Angmar, Pippin, der in der Endschlacht im Alleingang mit einem Schlag einen Troll tötet!).

Das sind nicht die "größten Kampf-Heldentaten". Weit entfernt.
Bilbo+Der Eine Ring ist erst mal gar keine Heldentat, sondern effektiv ein lang gezogener Hinterhalt (nicht zu vergessen auch mit einem magischen Schwert), und vor allem der clevere Einsatz eines mächtigen McGuffin. Sam gegen Kankra (der name ist einfach cooler als Shelob, sorry Tolkien) wird wiederrum über ein McGuffin, in diesem Fall dem Licht Earendils geblendet und ist damit auch nur noch begrenzt gefährlich... in beiden Fällen ist es letztendich das McGuffin - im Düsterwald der Ring, in Kankras Lauer Galadriels Geschenk) die den Ausschlag geben. Die Geschichte um den Hexenkönig ist eine Hybris-Parabel, bei der Merry letztendlich auch nur das Ablenkungsmaneuver für Eowyn darstellt; letztendlich sind die beiden jedoch siegreich weil a) die Macht der Prophezeiung auf ihrer Seite steht (letztendlich nur eine andere Sorte von MacGuffin) und b) der Hexenkönig sie maßlos unterschätzt. Ich sehe bei keinem dieser Beispiele auch nur den entferntesten Hinweis darauf,
Pippin und der Troll hingegen ist da schon eher eine Eigenleistung und in der Tat eine herausragende Tat, wobei man die Buchtrolle nicht gar so groß und maßig sind wie die Filmtrolle ("nur" mehr als Manns hoch) und letztendlich ist Pippins Sieg ein Hinterhalt, bei der der etwas unglückliche Beregond den Lockvogel spielt damit Pippin dem Troll sein Schwert in die Geschlechtsteile rammen kann... will heißen, ja das ist heroisch, aber auch viel Glück, und vor allem: Entschlossenheit. Darüber hinaus die Summe der vorangegangenen Erfahrungen, immerhin ist die Schlacht am Schwarzen Tor ja ein wesentlicher Meilenstein in dem kompletten Ringkrieg, und zeigt auch noch mal, wie sehr auch Pippin an den Herausforderungen gewachsen ist, von seiner Panik vor Moria, bis hin zu dieser Konfrontation. Das ist auch Charakterwachstum um den du den armen Hobbit betrügen würdest, wenn du die ursprüngliche Armseligkeit und Angst unter den Tisch fallen ließest. nach Rollenspiel-Logik ist Pippin zu diesem Zeitpunkt ein "hochstufiger" Hobbit, bei dem aber gerade die Entwicklung und der Charakterwachstum besonders ausgeprägt sind. Zu Beginn der Bücher ist Pippin der letzte unter den Hobbits; am Ende ist er hingegen den anderen eher ebenbürtig, eben weil er sich diese Gleichheit hart erkämpft hat. Wie gesagt, eine Geschichte wie die der Hobbits im Herrn der Ringe wird durch eine künstlich gleichgemachte Ausgangsbasis schlicht beschnitten und verkleinert. 
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Oberkampf am 12.03.2012 | 15:25
Dann warten wir doch mal ab, was er zu TOR schreibt. Ich bin da schon drauf gespannt, weil ich mir bisher unter dem System recht wenig vorstellen kann.

Nach den Bewertungskriterien im OP wird es sehr wahrscheinlich schlecht abschneiden, würde ich wetten. Die Kriterien sind nämlich diejenigen eines Weltsimulationsspiels (und natürlich ist es gut, dass diese Kriterien so offen dargelegt wurden).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 12.03.2012 | 15:44
@Terrorbeagle:
Nur mal kurz: Ich will doch überhaupt nicht schmälern, wie sehr die einfachen Leute, sprich Hobbits, bei Tolkien an ihren Aufgaben wachsen und wie es ihnen gelingt, trotz schlechterer Grundvorraussetzungen ähnlich heldenhaft und durchaus auch wirkungsvoll zu agieren wie die auf den ersten Blick als solche erkennbaren Heroen.
Mir geht es darum, dass ich es durchaus gut finde, wenn gerade in einem Mitelerde-Rollenspiel abgebildet wird, wie auch die äußerlich "Schwachen" selbst in Kampfsituationen, und an anderer Stelle sowieso, großen Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse nehmen können. Und das geht im Rollenspiel nun einmal zumindest auf der regeltechnischen Ebene über irgendeine Form von Spielwerten. Und die sollen für mich nicht eine fiktive mittelirdische Realität irgendwie quantitativ erfassen, sondern ein Werkzeug zum erspielen von Geschichten sein.

Man kann es sich auch simulativer wünschen. Aber zu behaupten, die Leistungen der "Kleinen" würden geschmälert, wenn man so täte, als gehörten sie auch zu den "Großen", indem man ihnen vergleichbare Werte gibt, verfehlt den Punkt, dass die Werte im Rollenspiel eben auch dazu da sein können, narrative Verläufe zu begünstigen und nicht bloß fiktive Welten pseudorealistisch abzubilden.

Übrigens bin ich absolut kein Balancing-Fetischist, mein Lieblingssystem ist das vom Konzept her ungebalancte Ars Magica, und DSA spielen wir auch völlig Balancing-frei, da sind die hochstufigen Magier halt mächtiger als der Rest der Gruppe, passt. Gerade bei Mittelerde mag uch aber Balancing, weil es für mich zum Hobbit/lotr passt, aus den genannten Gründen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 12.03.2012 | 16:35
Ich greife mal kurz darauf zurück, was ich schon in einem anderen Thread zu einem ähnlichen Thema geschrieben habe, und was auch hier von iirc Rumpel schon genannt wurde:
Will man Charaktere darstellen, die mehr oder weniger aus Suff mehr erreichen, als man ihnen (weltintern) zutrauen würde, reicht es nicht, eine Lusche zu bauen und zu hoffen, dass im richtigen Moment die Würfel explodieren. Man braucht Mechaniken, die ebendiesen "Suff" steuerbar machen. Dazu gibt es in LOTR iirc die Mutpunkte, aber ich weiß jetzt nicht, ob Hobbits da einen besonderen Vorteil in diesem Bereich bekommen (und kann grad nicht nachschauen).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: evil bibu am 12.03.2012 | 16:41
andere Frage: Hast du die Errata berücksichtigt? Zumindest bei der LotR-Variante von Decipher haben die etwas verändert. (zumindest den Waffenschaden und noch irgendwas....)
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 12.03.2012 | 16:55
Ich greife mal kurz darauf zurück, was ich schon in einem anderen Thread zu einem ähnlichen Thema geschrieben habe, und was auch hier von iirc Rumpel schon genannt wurde:
Will man Charaktere darstellen, die mehr oder weniger aus Suff mehr erreichen, als man ihnen (weltintern) zutrauen würde, reicht es nicht, eine Lusche zu bauen und zu hoffen, dass im richtigen Moment die Würfel explodieren. Man braucht Mechaniken, die ebendiesen "Suff" steuerbar machen. Dazu gibt es in LOTR iirc die Mutpunkte, aber ich weiß jetzt nicht, ob Hobbits da einen besonderen Vorteil in diesem Bereich bekommen (und kann grad nicht nachschauen).

Genau das meinte ich, konnte ich nur gerade nicht auf den Punkt bringen ...
Und Hobbits bekommen keine Mut-Vorteile, sie werden vor allen Dingen über das Seele-Attribut aufgewertet, dem eine große Rolle zukommt. Die Gesamtpunkte sind für alle Völker annähernd gleich.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Grubentroll am 12.03.2012 | 17:05
Ich kenne nur MERS; aber da fand ich das Vorhandensein von Magiern, und vor allem diese unsäglichen Spruchlisten für alles und jedermann ("über spitze Steine laufen") auch etwas daneben.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Humpty Dumpty am 12.03.2012 | 17:17
Schöner Thread, da macht das Lesen Spaß. Der Disput zwischen Terrorbeagle und Rumpelstielzchen thematisiert doch einfach nur einmal mehr den Unterschied zwischen einem Simulationisten und einer Dramaqueen. Die wollen halt unterschiedliche Regeln. Zum Herrn der Ringe passt nach meiner Ansicht beides.

Ansonsten: Das Argument, dass Elfen aufgrund ihrer Unsterblichkeit eigentlich in allen Bereichen wahnsinnig überlegen sein müssten, wird doch in MERS ganz schön über die mangelnde Selbstdisziplin relativiert, wenn ich mich da richtig entsinne. Es ist demzufolge nämlich gerade die Unsterblichkeit, die Lernen, Ehrgeiz und Vorankommen behindert: Wenn alles im Fluss ist und niemals Druck besteht, kann man halt schon mal nachlässig werden. Und wenn ich den guten Legolas mit Gimli und Aragorn vergleiche, sehe ich da in der Tat keinen überlegenen Punch.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Christoph am 12.03.2012 | 17:37
Ich kenne nur MERS; aber da fand ich das Vorhandensein von Magiern, und vor allem diese unsäglichen Spruchlisten für alles und jedermann ("über spitze Steine laufen") auch etwas daneben.


Das liegt an Rolemaster - da isses heute noch genauso (die Tabellen).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: YY am 12.03.2012 | 18:26
Unsinn. Balancing an der Stelle wäre ganz genau die künstliche Überhöhung und Auspolsterung, die die tatsächliche Leistung eben schmälert - was genau den Gegenteil des Angestrebten erreicht, indem dfie Charaktere eben nicht auf- sondern aggewertet werden.

Wie von anderen schon geschrieben:
Will man hier wirklich auf günstige Würfelergebnisse für ein "echtes" Ablaufen dieser Konstellation warten oder nimmt man nicht doch lieber irgendwelche Metaelemente, mit denen man das einigermaßen steuern kann?


Ich brauche gar nicht bei einem 1000-Jahre Elben ansetzen; ein normaler, junger aber trotzdem körperlich ausgewachsener Elb hat mit seinen ca. 60 Lenzen noch in für einen Elben sehr jugendlichen Jahren bereits die gleiche Zeit gehabt, wie ein normaler Mensch, der auf ein halbwegs erfülltes Leben zurückblicken kann - und das geht von einem völlig neuen Elben aus, keinem wiedergeborenen.

Wie bei Unsterblichen in anderen Settings erinnere ich in dem Kontext gerne daran, dass sehr vieles ganz ohne Alterserscheinungen etc. vergängliche Fertigkeiten sind.

Auch für Unsterbliche hat der Tag nur 24 Stunden und sie müssen sich an einem bestimmten Punkt überlegen, mit was sie sich beschäftigen und was sie können wollen.



Und Hobbits bekommen keine Mut-Vorteile, sie werden vor allen Dingen über das Seele-Attribut aufgewertet, dem eine große Rolle zukommt. Die Gesamtpunkte sind für alle Völker annähernd gleich.

Mut ist Hope?

Da sind 4 Punkte mehr Grundwert als die meisten anderen (ein Volk hat 2 weniger, eins 6) doch schon spürbar.
Und es gibt keinen Hobbit-Hintergrund mit Heart-Wert unter 5...oft genug hat damit ein Hobbit locker 6+ Punkte mehr Hope als andere.

Das merkt man doch arg.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 12.03.2012 | 18:33

Mut ist Hope?

Da sind 4 Punkte mehr Grundwert als die meisten anderen (ein Volk hat 2 weniger, eins 6) doch schon spürbar.
Und es gibt keinen Hobbit-Hintergrund mit Heart-Wert unter 5...oft genug hat damit ein Hobbit locker 6+ Punkte mehr Hope als andere.

Das merkt man doch arg.

Ich dachte, Mut wäre Valor - Hope ist nämlich in der deutschen Übersetzung Seele, das weiß ich. Da ich aber die deutsche Ausgabe veräußert und mir die englische angeschafft habe, bin ich mir mit den deutschen Übersetzungen nicht mehr ganz sicher.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 12.03.2012 | 18:47
Also, vielleichten sollten wir erstmal identifizieren, welcher englische Begriff welchem deutschen entspricht, sonst tappen wir hier nur im Dunkeln.

Also ich schreib mal die deutschen Begriffe auf, und ihr ordnet die englischen zu:

Attribute:
Auftreten
Geisteskraft
Geschicklichkeit
Lebenskraft
Stärke
Wahrnehmung

Reaktionen:
Ausdauer
Gewandheit
Weisheit
Willenskraft

Verteidigung:
Gesundheit
Verwundungsgrade
Erschöpfungsgrade

Andere Attribute:
Mut (das sind die Gummipunkte)
Ruhm (für Wiedererkennungs- und soziale Würfe)

Ich nehme mal an, Mut ist Hope und Ruhm ist Valor.

Menschen sind das einzige Volk, das +1 Mutpunkt bekommt, also mit 4 statt 3 Punkten das Spiel beginnt.
Jeder Charakter hat beim Stufenaufstieg die Möglichkeit, weitere Mutpunkte zu erwerben.
Bei Hobbits kann ich keinerlei Vorteil in Punkto Mut erkennen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Boba Fett am 12.03.2012 | 19:29
Noch mal kurz zum Balancing, ohne da ein Fass aufmachen zu wollen, ...
War es nicht im Simarillion, wo die Elben Morgoths (ein Maia) Festungen belagern, dort Balrogs gleich in Stückzahlen erschlagen...? Und so eine wie Galadriel mischte da schon ordentlich mit?
Okay, anderes Zeitalter, und anscheinende sind die Mächte der Eldar im dritten sichtlich gewichen, aber die Elben habe ich doch eher als absolut "über" wahrgenommen...

Was mich übrigens auch nie im geringsten gestört hat, aber mich stören auch nicht entsprechende Unterschiede im Rollenspiel. Die meisten Hobbits sind eben Bauern und die meisten Elben sind wohl Magierkrieger, die Jahrhunderte haben, um zu dem zu werden, was sie sind... Na und?

Das Decipher Stück empfand ich übrigens auch als unübersichtlich, aber auch da muss ich sagen:
Da muss man eben durch. Ansonsten gelungen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Boba Fett am 12.03.2012 | 19:30
Wer schreibt jetzt eine Adäquate Zusammenfassung im gleichen Stile zu DER?
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Humpty Dumpty am 12.03.2012 | 19:32
@ Boba: Naja, die krassesten Menschen hauen im Silmarillion und Konsorten auch nicht schlecht um sich, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Und im dritten Zeitalter haben sich die Effekte dann, wie Du schreibst, eh weitgehend nivelliert.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Vanis am 12.03.2012 | 20:06
Ich dachte, Mut wäre Valor - Hope ist nämlich in der deutschen Übersetzung Seele, das weiß ich. Da ich aber die deutsche Ausgabe veräußert und mir die englische angeschafft habe, bin ich mir mit den deutschen Übersetzungen nicht mehr ganz sicher.

Ihr meint jetzt The One Ring (Der Eine Ring)? Da wäre:

Hope - Hoffnung: Das sind die Gummipunkte, bei denen Hobbits einen recht hohen Wert haben und sogar den Gruppenpool erhöhen.

Valor - Heldenmut: Damit würfelt man gegen Furcht und bestimmt die Anzahl der Belohnungen


Noch mal kurz zum Balancing, ohne da ein Fass aufmachen zu wollen, ...
War es nicht im Simarillion, wo die Elben Morgoths (ein Maia) Festungen belagern, dort Balrogs gleich in Stückzahlen erschlagen...? Und so eine wie Galadriel mischte da schon ordentlich mit?
Okay, anderes Zeitalter, und anscheinende sind die Mächte der Eldar im dritten sichtlich gewichen, aber die Elben habe ich doch eher als absolut "über" wahrgenommen...

Auf die Noldo des Ersten Zeitalters trifft das auch tatsächlich zu. Die kamen aber direkt aus Aman und hatten "das Licht der Bäume" gesehen. Ihre Lehrmeister waren Aule, Yavanna und andere Valar bzw. Maiar. Die Elben, die in MIttelerde zurückgeblieben waren, unterteilen sich in Waldelben und Sinda. Letztere Grauelben nehmen deshalb eine besondere Stellung ein, weil ihr König einen Bund mit einer Maiar einging. Ein Teil des "Glanzes" Amans ging auf diese Elben über. Dass die Noldo einen Krieg gegen Morgoth führten, fanden die aber nicht wirklich witzig. Eigentlich verbargen sie sich einfach nur hinter Melians Schleier. Auch die Waldelben werden nicht als übertrieben mächtig beschrieben.

Und nochmal zu den Noldo: Die aller meisten starben in den Schlachten gegen Morgoth und später gegen Sauron. Und diejenigen Hochelben, die als Spielercharaktere in Frage kommen, müssen per Definition schon in Mittelerde geboren sein.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: YY am 12.03.2012 | 20:29
@Rumspielstilziel und Feuersänger:

Vorne halt und mea culpa - ich sprach von TOR / DER...das gibt dann natürlich babylonische Regelverwirrung  ;D
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 12.03.2012 | 22:11
Also, vielleichten sollten wir erstmal identifizieren, welcher englische Begriff welchem deutschen entspricht, sonst tappen wir hier nur im Dunkeln.

Also ich schreib mal die deutschen Begriffe auf, und ihr ordnet die englischen zu:

Attribute:
Auftreten
Geisteskraft
Geschicklichkeit
Lebenskraft
Stärke
Wahrnehmung

Reaktionen:
Ausdauer
Gewandheit
Weisheit
Willenskraft

Verteidigung:
Gesundheit
Verwundungsgrade
Erschöpfungsgrade

Andere Attribute:
Mut (das sind die Gummipunkte)
Ruhm (für Wiedererkennungs- und soziale Würfe)

Ich nehme mal an, Mut ist Hope und Ruhm ist Valor.

Menschen sind das einzige Volk, das +1 Mutpunkt bekommt, also mit 4 statt 3 Punkten das Spiel beginnt.
Jeder Charakter hat beim Stufenaufstieg die Möglichkeit, weitere Mutpunkte zu erwerben.
Bei Hobbits kann ich keinerlei Vorteil in Punkto Mut erkennen.

Attribute:
Bearing
Nimbleness
Perception
Strength
Vitality
Wits

Reaktionen
Stamina
Swiftness
Willpower
Wisdom

Defence
Renown
Courage

Valiant ist eine Edge (erlaubt einen Bearing Test gg. TN 10, bei Erfolg gibt es zwei Bonus-Courage gleich auf die Kralle); Valour ist eine andere edge, die +4 auf Willpower gibt, um Angst zu widerstehen.

Es gibt eine sehr empfehlenswerte Hausregelsammlung (https://sites.google.com/site/ambarquenta/home/the-offical-games/rpgs/LotRCompendiumIIrevised.pdf?attredirects=0), die die Eigenschaften für die Halblinge (und Dunedain) etwas angleicht; damit bekommen Halblinge dann in der Tat Courage 4 von Beginn an. Ansonsten ist es beim CODA-System ja auch durchaus so gewolllt, dass der Start- und Maximalwert ja nicht so wichtig ist wie der stetige Flow von Punkten und da muß man schon sagen, dass mit steigender Kompetenz auch die Hürden für den Rückfluss etwas steigen (so handhabe ich das zu Mindest... einem Uruk entgegen treten, wenn man nur ein kleiner Hobbit mit einem wurffähigen Felsbrocken und einem Kurzschwert ist, ist eine ganze Ecke tapferer, als wenn man sich dem selben Ork stellt, wenn man ein Veteran dutzender Schlachten in guter Rüstung und dergleichen verkörpert. Wie bei den meisten Gummipunkt-Systemen, die ich so kenne erfordert die Vergabe und der Punktefluss ein gewisses Fingerspitzengefühl und Intuition, dass ist z.B. bei Savage Worlds ja auch nicht anders.


Wer schreibt jetzt eine Adäquate Zusammenfassung im gleichen Stile zu DER?
Ist in Arbeit, dauert aber noch ein bisschen. Habe heute endlich die deutsche Ausgabe von Arkham Horror Miscatonic erhalten, da war eine schnelle Brettspielsession mit der Gattin erst mal vorrangig.

Was das Balancing angeht: Würde ich ein entsprechendes Herr der Ringe Rollenspiel schreiben, würde ich  ungefähr 2 grob geratene "Tier" für die Völker vergeben - eine hohe  Kategorie für Elben, Zwerge und vielleicht Dúnedain und einen niedrigen Tier für Menschen und Halblinge (und einen dritten, absonderlichen für Ishtari, große Adler oder Mearas. Falls irgendwer von einem My Little Pony/Kleiner Hobbit Crossover träumt). Das ist auch ungefähr das, was ich von einer Umsetzung des Stoffs erwarte (abzüglich der Mearas und Adler).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 12.03.2012 | 23:10
So, kommen wir zu dem Spiel auf das ihr alle gewartet habt: Das aktuelle Mittelerde Rollenspiel, Cubicle 7's The One Ring, kurz TOR (bzw. Der Eine Ring (DER) in der deutschen Übersetzung. Ich hab die Englische Original-Ausgabe vorliegen kann aber zu der Deutschen Übersetzung wenig bis nichts sagen. Das Spiel ist ziemlich neu, wird aktuell noch verlegt und scheint für ein neues Spiel relativ gut zu laufen. Wie genau die Publikationsgeschichte mal aussehen wird, lässt sich bei einem Spiel, dass erst im Oktober letzten Jahres veröffentlicht wurde, nicht sagen. Geplant ist auf jeden Fall, dass relativ regelmäßig Erweiterungen erscheinen, die den erst mal recht engen geographischen Fokus des Spiels erweitern und den Metaplot des Spiels vorantreiben. Wie üblich beschäftige ich mich nur mit dem Grundbuch, bzw. in diesem Fall den Grundbüchern.

Das Spiel selbst kommt nicht als ein Buch sondern als Pappschuber mit 2 Büchern (Spielerhandbuch und Spielleiterhandbuch) und einigen der benötigten Sonderwürfel daher; diese Sonderwürfel sind zwar anders als gewohnt lassen sich aber im Zweifelsfall noch halbwegs brauchbar durch Standard-Würfel (W12 und W6) substituieren.

Die Regeln stellen eine Eigenentwicklung dar, die dennoch in Teilen den Modeströmungen der Rollenspielentwicklung der letzten Rechnung trägt. Es gibt ein paar Regelbausteine, die mich an Spiele wie FATE oder TRI-STAT/BESM erinnert, wobei das Ganze auf jeden Fall trotzdem eigenständig ist.
Die Regeln sind allerdings nicht sonderlich gut. Sie sind auch nicht sonderlich schlecht, aber in manchen Teilen etwas unglücklich zusammengestellt.

Ja, ich weiß, ich stehe mit dieser Meinung etwas alleine da. Bisher scheinen die Regeln eher Begeisterungsstürme auszulösen. Ich werde trotzdem mal versuchen, zu erklären warum ich auch als Vertreter der Mindermeinung glaube, dass diese Begeisterung sowohl verfrüht als auch übertrieben ist.
Wenn TOR einfach ein schlechtes Spiel mit schlechten Regeln wäre und dann wäre es sich. Die Angelegenheit ist aber natürlich nicht so einseitig. Im Gegenteil, was TOR so ungemein frustrierend macht, ist das Nebeneinander von tatsächlich ziemlich guten Ideen und ziemlich miesen. Bzw. manche der Elemente passen einfach nicht zu einander, was das Spiel sehr holprig macht.


Bei dem System kommen relativ abstrakt und einfach gehaltene Aspekte (z.B. drei sehr allgemeine Eigenschaften für Körper, Geist und Seele) und teilweise dann wieder sehr fisselig-kleinschrittige Regelelemente zusammen (z.B. separate Fertigkeiten für jede einzelne Waffe oder zwei unterschiedliche Kategorien für Erfahrungspunkte). Ich hab per se weder etwas gegen tendenziell eher abstrakte Systeme (auch wenn Abstraktion gerne mal als Ausrede verwendet wird um die Regeln nicht wirklich zu durchdenken) oder sehr konkrete, kleinschrittige Systeme (die dann tendenziell wiederum schnell mal unübersichtlich oder träge werden). Normalerweise bewegen sich fast alle Systeme irgendwo in einer ziemlich großen und breiten Grauzone zwischen den Extremen und versuchen, Kompromisse zu finden. Bei TOR funktioniert das nur sehr begrenzt. Es gibt sowohl sehr kleinschrittige Elemente und dann wiederum Regelteile, die eher mit dem groben Pinsel gezeichnet zu sein scheinen – und diese Teile klaffen auch einfach auseinander.
Für ein System, dass ich als schnell und einfach auffassen würde, tauchen zu viele auch teilweise unnötige Komplikationsschritte auf, für ein konkretes System hingegen sind dann wiederum andere Teile zu oberflächlich und ungenau gestaltet. Und dadurch, dass zwischen diesen Bestandteilen  auch eben kein Kompromiss oder Mittelmaß etabliert wird, hat man am Ende ein Spiel, dass niemandem so wirklich gerecht zu werden droht, sondern gleichzeitig in Teilen zu schlicht und zu kompliziert ist.
Um das mal an einem Beispiel zu konkretisieren: Charaktere basieren auf drei Grundeigenschaften: Body, Hearts und Wits, die unterschiedliche Werte aufweisen können (nicht unüblich, das). Darüber hinaus verfügt jedes Attribut aber noch über einen zweiten Wert als „favoured Attribute“, der die Anzahl der Werte schlicht durch eine zusätzliche, minimale Variable verdoppelt (ein statischer Bonus hätte es auch getan, aber das wäre dann ja wieder einfach und simpel).
Die Liste der Fertigkeiten ist mit exakt 18 (jeweils 3 Fertigkeiten in sechs Kategorien) normalen Fertigkeiten recht brauchbar geworden und ziemlich ballastfrei. Mit dem thematischen Schwerpunkt auf Reisen als Abenteuer, der im Spiel wiederholt auftaucht, ist die Fertigkeitenliste ziemlich abenterspieltauglich. Nur um dann separate Waffenfertigkeiten zu verwenden die enorm kleinschrittig sind, mit entweder einzelnen Fähigkeiten für einzelne Waffen als auch Fertigkeiten für ganze Kategorien im fröhlichen Mit- und Durcheinander.

Ganz allgemein verwendet TOR einen Additionspool für Fertigkeiten, bei denen die für jede Fertigkeit notierte Anzahl der Würfel (schlichte W6) zuzüglich des großen W12 gewürfelt und alles zusammengerechnet wird, im Vergleich zu einem vorgegebenen Mindestwurf. Der 12-Seitige Würfel ist nicht bloß von 1 bis 10 nummeriert, sondern beinhaltet noch dazu zwei Runen, von denen die eine (das Auge Saurons) für SCs böse und schlecht ist und die andere, die „Gandalf-Rune“ als automatischer Erfolg dient. Soll heißen, man hat eigentlich immer eine 12:1 Chance, bei einer beliebigen Tätigkeit Erfolg zu haben. In dem man Hope, so die Bezeichnung und Geschmacksrichtung der Gummi-Punkte bei TOR, ausgibt, kann man zudem einen Bonus in Höhe des der jeweiligen Fertigkeit zugeordneten Attribut zum Gesamtergebnis erhalten.
Das Würfelsystem ist okay, wenn vielleicht ein klein wenig zu gimmicky. Das Grundsystem ist durchaus stimmig. Nett ist beispielsweise auch, dass der Grad des Erfolgs einer Fertigkeit davon abhängt, wie viele Sechsen mit den Fertigkeitswürfeln geworfen wird, nicht von der reinen Summe der Würfel, was bei der Ergebnisauslese und Interpretation ein bisschen mehr Spiel als ein reines „hoch ist gut“ erlaubt. Da man den W12 immer würfeln kann auch wenn man eine Fertigkeit gar nicht hat, ist kein Charakter jemals völlig aufgeschmissen, insbesondere wenn man noch Gummi-Punkte übrig hat.

Neben Fertigkeiten und Eigenschaften kommt als drittes relevantes Charakterelement noch Charakterzüge hinzu, die ganz grob ähnlich fungieren wie etwas beschnittene Aspekte bei FATE (das ist zwar sehr grob verallgemeinernd, aber für die Kurzbeschreibung reicht es hoffentlich. Es gibt 2 Arten von Traits – einmal Specialities, sprich besonderes Fach- und Geheimwissen, und zum anderen eher typische Charakterzüge. Diese können aber RAW nur aktiviert werden, wenn in der Gruppe deswegen Konsens herrscht, was die Hierarchien in der Spielgruppe recht flach hält, aber letztendlich das Spiel verlangsamen kann.

Letztendlich abgerundet wird das ganze dann durch einen Gummi-Punkt Pool, in diesem Fall Hope genannt und Endurance, die als HitPoint/Traglast Ersatz fungiert. Bei den Hope-Punkten ist sozusagen der Clou, dass sich die Punkte primär über den Zusammenhalt und das Wir-Gefühl der Gruppe regenerieren und so die soziale Kohäsion unter den Charakteren eine wichtige Rolle spielt. Das gehört zu den besseren Aspekten des Spiels.
Die Endurance-Regeln hingegen sind ziemlicher Standard, bis auf die Tatsache, dass Traglast mit rein spielt. Diese bildet eine Untergrenze dafür, wie viel Endurance man einbüßen kann, bevor man anfängt, Probleme zu haben. Auch das ist an sich ganz gut gelöst, aber in der Praxis heißt das, unter anderem, dass es quasi keinen Vorteil gibt, wenn man eine Rüstung trägt.
Die Traglast wird auch nicht schnöde über reines Gewicht berechnet (was durchaus Sinn macht, da Gewicht alleine nicht ausschlaggebend ist; Gewichtverteilung spielt auch eine wesentliche Rolle, wie jeder, der einen größeren Einkauf mal in einer Tragetasche, mal in einem Rucksack transportiert hat, sicher nachvollziehen kann), sondern über eine abstrakte spezifische Traglast, die für verschiedene Ausrüstung zusammengerechnet wird. An sich eine großartige Idee, das ganze ist griffig, man muss sich nicht mit den archaischen amerikanischen Maßeinheiten rumschlagen, oder dergleichen und die Größen sind meist ganz gut handlebar. Unglücklicherweise folgt auf eine gute Idee nicht auch eine gute Umsetzung; die verschiedenen Angaben sind bizarr willkürlich gewählt, ohne erkennbaren roten Faden oder grundlegende Überlegungen zu Relation und Größenordnung. Und leider ist das ziemlich exemplarisch für das Spiel – es gibt gute Ideen – z.B. bei Kämpfen an Stelle eines Bodenplans einfach taktische Vorgaben und Überlegungen zu verwenden, aber in der spieltechnischen Umsetzung hakt es unglaublich gibt es sonst nicht wirklich viele Optionen, was zu einem repetitiven Zuhauen und Hitpoints Endurance points runterkloppen wird; als Spielleiter („Loremaster“ im TOR Jargon) hat man zudem quasi nix zu tun als zu würfeln weil die Stances, die letztendlich das Gros der taktischen Möglichkeiten ausmachen, nur von Scs gewählt werden können. NSCs reagieren in dem Kontext nur. Und so weiter, und so fort.
Nur damit wir uns richtig verstehen: Für sich genommen sind das alles Banalitäten und Nebensächlichkeiten, in der Summe sorgt das aber für ein System, dass immer wieder holpert, bzw. nur dann wirklich rund läuft, wenn man nicht drüber nachdenkt.

Die Charaktererschaffung ist reichlich restriktiv und formularisch geraten. Alle Charaktere werden nach dem gleichen Schema F abgehandelt, wobei der Spielereinfluss relativ begrenzt ist, und sich im Endeffekt auf die Wahl von einem von sechs möglichen Archetypen, die Vergabe von 10 Erfahrungspunkten und das Ausfüllen der vollständig festgelegten Anzahl an Charakterzügen und Sonderkenntnissen begrenzt. Regeln zum Erstellen eigener Archetypen oder gar eine freie Chararakterschaffung sucht man vergeblich, was das System ziemlich schnell ziemlich repetitiv macht. Einen drauf setzt noch dazu, dass jedwede Unterschiede durch das fest vorgegebene Charakterformat und die rigorose Gleichmacherei der unterschiedlichen Völker weggehobelt werden, sprich im krassen Gegensatz zu der literarischen Vorlage stehen, was weder den Elben (scheinbar werden nur unfähige und leicht depressive Elben Spielercharaktere) noch den Zwergen wirklich gut tut. Das System bietet diese nur auf Abglanz und Sparflammenstufe.
Die Charaktererschaffung ist ein hässlicher, starrer und allgemein unerfreulicher Teil des Regelwerks, die aufgezwungene Gleichmacherei geht völlig an der literarischen Vorgabe vorbei und die festen, rigorosen Vorgaben erschaffen sehr starre und unflexible Charakterkonzepte. Die Charaktererschaffung geht zwar relativ schnell, aber das liegt auch einfach da ran, dass man relativ wenig machen kann.
Und sozusagen als Tüpfelchen auf dem Ü in ungenügend, relevante Entscheidungen während der Charaktererschaffung können einen richtig schön reinreiten, da es nur eine sehr begrenzte an möglichen „Stufenboni“ gibt, die ein Charakter nutzen kann. Ich sehe dabei sehr stark die Verlockung, gerade bei diesen Boni einen Charakter von der Wiege bis zur Bahre im Vorfeld durchzuplanen und zu optimieren, wie die Feats bei einem hoffentlich wettbewerbsfähigen D&D-Charakter.
(Und übrigens: selbst unter dem Gesichtspunkt von reinem Balancing ist der Teil des Spiels Mist. Specialties erhält ein Charakter nur bei der Erschaffung, man hat also nie mehr als die beiden ursprünglichen und kann da auch RAW nicht viel machen. Und wenn man dann die Wahl zwischen einer Fähigkeit wie Rauchen oder eine Fähigkeit wie Leechcraft, sprich Heilkunde oder Schwimmen hat, zeigt sich doch eine gewisse Diskrepanz in der allgemeinen Nützlichkeit. Und jepp, nach diesen Regeln ist es quasi unmöglich, dass ein Charakter jemals die Kunst des Kochens oder des Rauchens erlernt.)


Bei der Settingbeschreibung bin ich etwas hin- und hergerissen. TOR beinhaltet keine nennenswerte Beschreibung von Mittelerde als Setting. Statt dessen beschränkt sich das Spiel auf eine etwas größere Region und geht dabei etwas mehr ins Detail, gerade was die spielbaren Völker und Kulturen angeht. Vom rein deskriptiven Fluff her sind diese Beschreibungen sehr ansprechend geraten, und ich bin mir ziemlich sicher, dass bei einem holistischeren Ansatz auch diese Tiefe und das damit verbundene Ambiente verloren gegangen wäre. Andererseits fehlen einfach Teile des Settings, die man tatsächlich vermissen kann, und meines Erachtens ist die ausgewählte Region nicht übermäßig interessant. Bezeichnend ist auch, dass die Hobbits trotz ihrer bekannten Reisefaulheit und dem eigentlich von der beschriebenen Region weit entfernten Auenlands trotzdem auftauchen, weil dann doch niemand die Eier hat, ein Mittelerde-Rollenspiel ohne Hobbits anzugehen.
Ich finde diese sehr spezifische Teilung auch dahin gehend etwas unglücklich, das es mich doch etwas an die Tendenz erinnert, Filme deren Kassenerfolg eh gegeben ist, in mehrere Teile zu zersplittern um die Zahl der verkauften Karten zu erhöhen, es hat halt was vom halbem Produkt zum vollen Preis.
Sprich, die Qualität ist gut, die Quantität lässt zu wünschen übrig.

Um noch mal etwas positives zum Abschluss anzumerken: The One Ring ist meines Erachtens eines der best illustrierten Rollenspiele, die mir bis dato untergekommen sind. Die Schreibe ist zudem auch sehr angenehm, und wird, ähnlich wie beim Vorgänger von Decipher, mit vielfältigen Zitaten aus dem Herrn der Ringe und dem Hobbit aufgelockert. Die beiden zusätzlich enthaltenen Karten sind zudem echt schön.

Zum Fazit: Ein stromlinienförmigeres und von unsichtbaren Schildkröten befreites TOR wäre eigentlich ein sehr brauchbares Grundgerüst für ein ambientegerechtes Mittelerde-Rollenspiel, wenn man mal von der enorm dämlichen Entscheidung der Spielervölker-Gleichmacherei absieht. Von einem solchen Spiel ist das jetzige TOR leider noch recht weit entfernt. Es tauchen zwar immer wieder Eindrücke auf, die auf sehr gute Ideen beruhen, aber in der praktischen Umsetzung hapert es einfach.
Ich finde dieses Spiel ungemein frustrierend, gerade weil man teilweise sehen kann, wie gut es hätte sein können und wie dann der Ist-Zustand aussieht. In der jetzigen Form kann ich eigentlich nicht mehr als anderthalb Nazghul vergeben, dazu sind die Probleme zu allgegenwärtig und auch schlicht und ergreifend zu anstrengend, wie die sehr starre und restriktive Charaktererschaffung und Entwicklung. Aber es ist besser als MERS.
Beim Hintergrund hingegen muss man sehen, wie man den regional sehr eingegrenzten Fokus betrachtet, sprich ob man mit dem tendenziell eher in Richtung Bottom-Up Entwicklung gehenden Spielstil umgehen kann und will. Die Teile, die behandelt werden, sind gut aufbereitet und meines Erachtens sehr ansprechend, aber halt... lückenhaft. Ich finde es aber gut, trotz allem Gemecker. Die klare Umgrenzung erleichtert den Zugang und erlaubt etwas mehr Tiefe als eine hollistische Settingbeschreibung; nichtsdestotrotz sind die Lücken halt da, was zu Mindest etwas stört. Daher vergebe ich hier zweieinhalb Nazghul; der Ansatz ist sehr anders als der bei CODA, aber ich glaube, halbwegs ebenbürtig.
Bei den Zusatzpunkten ist der eine Nazghul für Artwork und Aufmachung eigentlich ein Automatismus. Die Bebilderung ist echt gut, die Texte sind schön und griffig. Ich würde jedem ans Herz legen, sich die Illustrationen mal anzuschauen; hier ist ein Link zur Gallerie des Hauptzeichners John Hodgson. (http://www.jonhodgson.com/Jon_Hodgson_Illustration_3/The_One_Ring/The_One_Ring.html)
Die Übersichtlichkeit der Bücher ist so eine Sache, die wiederrum eher nicht so gelungen ist. Es gibt einen Glossar und einen Index, aber das eine Mal, dass ich im Index wirklich was gesucht habe (um genau zu sein, nach Wounds bzw. Injuries, um zu schauen, was Waffen denn eigentlich so machen) tauchte beides im Index nicht auf – übrigens wie der komplette Buchstabe I. Die Aufteilung der Regeln auf 2 Bücher ist dabei auch nicht gerade hilfreich, ich hab als Spielleiter des öfteren zwischen beiden Büchern hin- und her suchen müssen. Ich finde das etwas unglücklich. Daher würde ich da auch keinen Nazghul vergeben.
Und wir haben ein Novum: Ein Mittelerde-Rollenspiel, bei dem die Gemeinschaft des Rings nicht abbildbar ist. Dazu sind die Lücken zu groß (keine Ranger des Nordens), und die fest vorgeschriebenen Archetypen sind auch nicht hilfreich, da man RAW auch keine eigenen Subtypen/Hintergründe erstellen kann. Keinen Nazghul hierfür.

Kommt in der Summe auf 5 Nazghul, wobei ich glaube, dass das System für gewillte Hausbrauer und Bastler höherwertiger ausfällt, wie auch für die Leute, die in Feuersängers Jargon als „Story-Huren“ durchgehen.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: D. Athair am 12.03.2012 | 23:42
Danke für die Gegenüberstellungen unter Offenlegung deiner Erwartungen und Präferenzen (die ich mindestens in der Hälfte der Fälle nicht teile).

Hat mich vollends davon überzeugt, dass LOTR mir nichts von dem bieten kann, was ich mir für ein HdR-System wünsche.
MERS hat davon eine ganze Ecke mehr, aber nicht genug, um damit ME zu bespielen.
TOR scheint mir für meine Mittelerde-Ambitionen ein vernünftiges Hilfsmittel-Paket zu sein.

Kurzum:
LOTR (CODA): 0 von 3 möglichen Ents
MERP: 1 von 3 möglichen Ents
TOR: 2,5 von 3 möglichen Ents
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Feuersänger am 12.03.2012 | 23:54
Hm, schade, das liest sich ja insgesamt ziemlich enttäuschend, vor allem was das System angeht.

Ich entnehme aber den verlinkten Illustrationen, dass die Startregion Rhovanion bzw. Dale-Land ist? Das finde ich grundsätzlich positiv, gerade weil es mal was anderes ist als das ewige Shire - Rivendell rumgegurke. Außerdem sind gerade in dieser Region Kontakte zwischen Menschen, Elben und Zwergen am leichtesten und plausibelsten möglich, und man hat genügend Auswahl an Buhmännern von Orks bis Ostlingen.
Waldläufer des Nordens gibt es da natürlich nicht, da diese ja nur das ehemalige Arnor beschützen, was soll so einer denn östlich des Nebelgebirges und des Düsterwalds. Mit der gleichen Konsequenz hätten sie aber auch Hobbits rauslassen müssen.

Du schreibst nichts über irgendwelche Magie, es gibt also keine Magierklassen für SCs?

Nebenbei:
Ich trage derzeit ein wenig zu einem in Entwicklung befindlichen Mittelerde-Server für NWN2 bei. Im Gegensatz zum Vorgänger (auf NWN1) wollen wir es diesmal von Anfang an richtig hinbekommen, was das Flair und auch Magieniveau von Mittelerde angeht. Ich komm nur gerade drauf, weil wir uns witzigerweise ebenfalls für den Großraum Dale als Startgebiet entschieden haben - um genau zu sein sogar auf mein Betreiben hin, aus den o.g. Gründen, und nicht dass es da nachher heisst wir hätten das von TOR abgeschaut. ;p
Wir wollen die Völker so gestalten (wegen NWN2 natürlich D&D-basierend): Sindar z.B. bekommen je +2 auf Weisheit und Charisma, Zwerge auf Weisheit und Konstitution; Menschen hingegen einmal +2 auf ein frei wählbares Attribut. Volksfähigkeiten ansonsten wie in D&D. Dadurch sind Elben und Zwerge zunächst mal mächtiger vor allem in ihren Spezialgebieten, Menschen aber flexibler, was eben ihre Stärke ausmacht.
Einstweilen gibt es bei den Menschen drei spielbare Unterrassen; Men of Dale, Woodmen und Easterlings. Wenn das Modul mit der Zeit wächst und nach Westen und Süden expandiert, sollen auch irgendwann Dunedain hinzukommen. Aber für den Anfang haben diese in der Region einfach nichts verloren, auch wenn der "Ranger of the North" von jeher meine Lieblingsrolle in LOTR-Rollenspielen ist.
Achja, und Hobbits gibts bei uns auch nicht; wir _haben_ die Eier! ;)
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 13.03.2012 | 08:50
Insgesamt finde ich Terrorbeagles Vorstellung von TOR/DER sehr treffend, an ein paar Sachen halte ich die Kritik für weniger berechtigt - habe das Spiel allerdings bisher nur gelesen und noch nicht gespielt, deshalb mit Vorsicht zu genießen:

Bei dem System kommen relativ abstrakt und einfach gehaltene Aspekte (z.B. drei sehr allgemeine Eigenschaften für Körper, Geist und Seele) und teilweise dann wieder sehr fisselig-kleinschrittige Regelelemente zusammen (z.B. separate Fertigkeiten für jede einzelne Waffe oder zwei unterschiedliche Kategorien für Erfahrungspunkte).

Gerade bei den Waffenfertigkeiten und den XP leuchtet mir dieses nebeneinander von Grobkörnigkeit und Kleinteiligkeit auch nicht ein. Nicht so schlimm, aber ein kleines Ärgernis.

als Spielleiter („Loremaster“ im TOR Jargon) hat man zudem quasi nix zu tun als zu würfeln weil die Stances, die letztendlich das Gros der taktischen Möglichkeiten ausmachen, nur von Scs gewählt werden können. NSCs reagieren in dem Kontext nur. Und so weiter, und so fort.

Das empfinde ich gerade als Bonus der Kampfregeln: Ich spiele ja gerne meine NSC, aber gerade im Kampf habe ich meistens keine Lust, mir besondere Strategien zu überlegen. Dass die SC da mit ihren Entscheidungen das meiste bestimmen, finde ich sehr angenehm.

Die Charaktererschaffung ist ein hässlicher, starrer und allgemein unerfreulicher Teil des Regelwerks, die aufgezwungene Gleichmacherei geht völlig an der literarischen Vorgabe vorbei und die festen, rigorosen Vorgaben erschaffen sehr starre und unflexible Charakterkonzepte. Die Charaktererschaffung geht zwar relativ schnell, aber das liegt auch einfach da ran, dass man relativ wenig machen kann.

Die rigorosen Vorgaben stören mich nicht so, eleganter wäre aber tatsächlich ein "echtes" Point-Buy-System mit vorgeschlagenen Archetypen. Würde ich auch bevorzugen. Was die Gleichmacherei angeht: Die entspricht m.E. in Anbetracht der von dir angesprochenen relativen Abstraktheit des Systems ganz wunderbar der literarischen Vorgabe. Da kann man sich jetzt ewig drüber streiten oder es auch lassen, ich würde einfach mal hinzusetzen: Sie passt nicht zu deiner Auffassung der literarischen Vorgabe. Zu meiner passt sie wunderbar, und je nachdem, wie man die Texte interpretiert, lässt sich wahrscheinlich auch beides Begründen.


Und wenn man dann die Wahl zwischen einer Fähigkeit wie Rauchen oder eine Fähigkeit wie Leechcraft, sprich Heilkunde oder Schwimmen hat, zeigt sich doch eine gewisse Diskrepanz in der allgemeinen Nützlichkeit. Und jepp, nach diesen Regeln ist es quasi unmöglich, dass ein Charakter jemals die Kunst des Kochens oder des Rauchens erlernt.

Das stimmt m.E. so nicht, es handelt sich ja eher um "Aspekte" des Charakters, d.h. Teil der auch in den Regeln formulierten Idee ist, dass der SL diese Aspekte auch anspielen sollte. Außerdem decken alle das gesamte Umfeld der Fertigkeit ab. Und schließlich heißt es ja, so wie ich die Regeln verstehe, nicht: Wer nicht Kochen oder Rauchen oder Schwimmen wählt, kann auch nicht Kochen oder Rauchen oder Schwimmen. Die Auswahl dieser Fähigkeiten stellt doch eher eine besondere Spezialisierung dar bzw. ein flag für den SL, dass man diesen Aspekt seines Charakters gerne im Spiel verwenden würde.


Zum Fazit: Ein stromlinienförmigeres und von unsichtbaren Schildkröten befreites TOR wäre eigentlich ein sehr brauchbares Grundgerüst für ein ambientegerechtes Mittelerde-Rollenspiel, wenn man mal von der enorm dämlichen Entscheidung der Spielervölker-Gleichmacherei absieht.

Die ist eben nicht enorm dämlich. Es wäre wirklich nett, wenn du einsiehst, dass man die berechtigterweise für genau richtig in einem Tolkien-RSP befinden kann. Muss man nicht, ich lasse dir ja gerne deine andere Interpretation der Welt (auch wenn ich sie für schlecht begründet halte).
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 13.03.2012 | 09:00
Noch mal kurz zum Balancing, ohne da ein Fass aufmachen zu wollen, ...
War es nicht im Simarillion, wo die Elben Morgoths (ein Maia) Festungen belagern, dort Balrogs gleich in Stückzahlen erschlagen...? Und so eine wie Galadriel mischte da schon ordentlich mit?
Okay, anderes Zeitalter, und anscheinende sind die Mächte der Eldar im dritten sichtlich gewichen, aber die Elben habe ich doch eher als absolut "über" wahrgenommen...

Ich empfinde das jetzt eigentlich nur als Bestätigung meiner "Andere-Zeitalter-andere-Sitten-Argumentation". In LotR haut Legolas (okay, "nur" ein Sindar) den einen Balrog eben nicht mal kurz links und rechts weg, selbst Gandalf, ein Wesen noch höherer Ordnung als ein Elb (ob nun Maiar oder nicht, da streiten sich die Fachleute ja ...;)), kann ihn nur um einen hohen Preis besiegen.
Abgesehen davon ist Morgoth ein Valar, also einer der "Engel", die direkt unterhalb von Illuvatar stehen. Und der Mensch(!) Hurin bietet ihm erfolgreich die Stirn! Während Gandalf(!) kaum mit einem piefigen Balrog fertig wird.
Die einzige Erklärung dafür ist in meinen Augen, dass Tolkien eben die verschiedenen Textsorten, die er auf Mittelerde angesiedelt hat (Kunstmythologie, Roman, Kinderbuch) in einer bestimmten Weise auf die Zeitalter verteilt hat, und dass daraus resultiert, dass in den verschiedenen Zeitaltern verschieden große Taten "möglich" sind, und dass diese Bedingungen für Elben genauso gelten wie für die anderen Völker. Es hat einfach keinen Sinn, Noldor des 1. Zeitalters mit Hobbits des 3. zu vergleichen und das dann als Beleg dafür anzuführen, dass Elben in einem RSP grundsätzlich bessere Werte haben sollten, noch dazu, wenn man bedenkt,

- und das noch mal an Terrorbeagle! -

dass Werte (wie gesagt) nicht zwangsläufig die Fähigkeiten eines Charakters quantitativ wiedergeben müssen, sondern auch schlicht und einfach darauf ausgelegt sein können, das Ausmaß der Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Verlauf der Geschichte mitzusteuern.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 13.03.2012 | 09:22
Und noch eine letzte Anmerkung zum Balancing bei TOR:
Das Spiel basiert (bisher) auf dem Hobbit und stellt nur die dort auftauchenden Waldelben als SC vor. Und die sind im Hobbit in keiner Weise übermächtig - nicht einmal auf der von Terrorbeagle angeführten Handwerksebene, denn sie lassen ihre Edelsteine von Zwergen fassen und bearbeiten. Ihre eine große Fähigkeit scheint darin zu bestehen, leise und schnell zu verschwinden, wenn sie gestört werden. Ansonsten trinken sie gern mal einen über den Durst und singen schöne Lieder.
Wäre ja möglich, dass in den Folgepublikationen auch das Machtniveau tendenziell erhöht wird und wird da mächtigere Noldor neben mächtigeren Dunedain präsentiert kriegen (da würde dann allerdings das Pendant unter Hobbits und Zwergen problematisch, also wahrscheinlich eher nicht ...) Unabhängig davon entspricht TOR da jedenfalls sehr genau der Vorlage.
Das Problem ist eben (und auch das steht sogar im Regelwerk!), dass Tolkiens Werke gar kein einheitliches Bild von Mittelerde und seinen Völkern ergeben. Sind die Zwerge nun in erster Linie tolpatschige und eher feige Kerle, die einer nach dem andern in einen Trollhinterhalt stolpern (Anfang vom Hobbit), entschlossene Krieger, aber nur wenn es um ihr Eigentum geht (Ende vom Hobbit), zutiefst ehrbewusste, aber fehlbare Helden (HdR-Anhänge, "Durins Volk")? Zum Teil geht es da mit Thorin ja um ein und dieselbe Person, die je nach Kontext in ihren Heldeneigenschaften ganz unterschiedlich charakterisiert wird.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass Tolkien seine Texte immer eher als Texte "aus" oder "über" Mittelerde verfasst hat, d.h. schon als Berichte, die einer bestimmten Textgattung angehören, nicht als umittelbare "mittelirdische Realität". Wenn man den ganzen Mittelerde-Kanon liest, ist man schlicht und einfach genötigt, sich ein Mittelerde-Bild zu machen, das "irgendwo dazwischen" liegt und in dem kein Text automatisch die ganze und reine "Wahrheit" über die Ereignisse darstellt.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Nørdmännchen am 13.03.2012 | 10:18
Danke Euch für den informativen und diskutierten Thread.

Da ich die Illus von Jon Hodgson auch hervorragend finde, wollte ich kurz darauf hinweisen, dass man auf seiner Seite bei Deviant Art (http://jonhodgson.deviantart.com/gallery/29122296) einige in Handout-würdiger Auflösung findet.

Grüße, Henning
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 13.03.2012 | 15:20
So, nachdem nun mit den drei offiziellen Mittelerde-Rollenspielen der Pflicht-Teil dieser Übung abgehandelt ist, werde ich mich ab morgen oder so der Kür widmen: einer Auswahl (ich hab bestimmt nicht alle gefunden, die es gibt) von Fan-Produkten und Eigenbau-Rollenspielen, die im Mittelerde-Setting angesiedelt sind.
Das erste in der Hinsicht wird Legends of Middle-Earth werden (Link folgt, wenn ich zur Kritik komme), gefolgt von Ambarquenta; dies sind zwei sehr unterschiedliche Spiele, mit sehr unterschiedlichen Spielstilen und Zielen, dich aber beide für in ihrer jeweiligen Nische für sehr interessant halte.
Bei den inoffiziellen Publikationen sollte ich allerdings drei Sachen anmerken: Erstens, im Gegensatz zu den den drei vorangegangen beschreibenen Spielen habe ich mit ihnen keine praktischen Spielerfahrungen, ich kann also nur meinen Eindruck vom Lesen und meine Erfahrung was Rollenspiele im allgemeinen und die Ergebnisse von etwas Herumgespiele mit den Regeln, insbesondere beim Charakterbau als Kriterium veranschlagen; zwotens habe ich die jeweiligen Spiele nicht in traditioneller Form als Buch vorliegen, sondern nur als pdf, was bei Fragen der Übersichtlichkeit die Maßstäbe etwas verschiebt, z.B. die Lesezeichenstruktur stärker in den Vordergrund stellt, als den Index. Drittens  werde ich allerdings die gleichen Bewertungsmaßstäbe und Kriterien weiter verwenden, auch wenn die Ausgangslage natürlich eine etwas andere ist.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Oberkampf am 13.03.2012 | 15:34
Zwei Anmerkungen:

1) Encumberence:

Das Konzept ist wirklich gut, allerdings kenne ich es schon länger (ich glaube, seit Warhammer). Was mir bei TOR gut gefällt, ist der Fakt, dass Traglast wirklich tief in die Spielmechanik integriert ist. Meiner generellen RSP-Erfahrung nach ist Belastung/Tragkraft so ein Aspekt, der gerne ignoriert wird (und das stört mich, obwohl mir eigentlich "Realismus" im Fantasy-RSP reichlich egal ist).

2) Übersichtlichkeit:

Da ist Terrorbeagle ja fast großzügig in seiner Kritik. Bisher habe ich erst einmal spielen können, aber wir waren uns in der Gruppe hinterher einig, dass die Regeln fürchterlich unübersichtlich präsentiert werden, was sehr schade ist.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Achamanian am 13.03.2012 | 15:53


2) Übersichtlichkeit:

Da ist Terrorbeagle ja fast großzügig in seiner Kritik. Bisher habe ich erst einmal spielen können, aber wir waren uns in der Gruppe hinterher einig, dass die Regeln fürchterlich unübersichtlich präsentiert werden, was sehr schade ist.

Das kann ich auch noch mal unterstreichen! Allein die Aufteilung von Regelkomplexen wie Kampf und Encounters auf zwei Bücher ist einfach hirnrissig.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Terrorbeagle am 17.03.2012 | 13:12
Sorry, aber die Kritik zu Legends of Middle Earth verzögert sich etwas; ich habe zwei Deppen freundliche und liebenswürdige Mitmenschen gefunden, die das Spiel mit mit heute nachmittag/abend völlig freiwillig test spielen werden. Gerade dieser Praxiseindruck ist m.E. sehr nützlich, wenn man sich ein Bild machen will.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Grubentroll am 21.03.2012 | 13:15
ich seh das auch so wie Rumspielstilziel, nämlich dass eben das Silmarillion eine Überlieferung aus alter Zeit ist. Da wurde nun mal vieles übertrieben dargestellt, ähnlich den irdischen Mythen und Sagen.

"Herr Der Ringe" ist ja dann eher "das Jetzt".
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: WeepingElf am 1.04.2012 | 21:35
ich seh das auch so wie Rumspielstilziel, nämlich dass eben das Silmarillion eine Überlieferung aus alter Zeit ist. Da wurde nun mal vieles übertrieben dargestellt, ähnlich den irdischen Mythen und Sagen.

"Herr Der Ringe" ist ja dann eher "das Jetzt".


Ganz genau so ist es.  Das Silmarillion ist eine Sammlung elbischer bzw. dûnedainischer Mythologie, so was wie das Nationalepos von Gondor und Rivendell (also was für die Griechen der Homer und für uns Deutsche das Nibelungenlied ist, wo ja auch keiner mehr daran glaubt, dass sich das alles genau so zugetragen hat).

P.S.: Auf dieser Seite (http://www.thecabal.org/gurps/rareitems/index.html) gibt es neben vielem anderem (meiner Meinung nach) gutem Zeugs auch Regeln für GURPS-Kampagnen in Mittelerde.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Tar-Calibôr am 5.06.2012 | 13:49
Passt vielleicht nicht direkt zum "Systemvergleich", da das aber der aktuellste "systemübergreifende" Mittelerde-Thread ist, schreib' ich das hier dazu:

Vor kurzem hat mir ein Kumpel seine alten MERS-Sachen geliehen, damit ich daraus ne "FATE of Middle-Earth"-Kampagne stricken kann. Leider konnte ich nirgendwo eine vernünftige Karte auftreiben, die ganz "MERSelerde" zeigt – nicht bloß die "kanonischen" Nordwest-Regionen. Die Bücher enthalten alle nur winzige Ausschnitte, und die legendäre "Kontinentkarte" von Peter Fenlon schien geradezu vom Erdboden verschluckt. Einzig am Spieltisch unbrauchbare Fassungen in unlesbar winziger (http://www.blackgate.com/wp-content/uploads/2011/05/middle-earth-254.jpg) bis Desktop-Wallpaper-Größe (http://4.bp.blogspot.com/-7eOApLVPQE0/Ti-ZbgCI1SI/AAAAAAAAAyM/jNM_ND98dQU/s1600/Fenlon_small_ME.bmp) konnte ich finden.

Alle MERS-Fanseiten, auf denen die Karte im Laufe der Geschichte einmal in "brauchbarer" Größe zu finden war, sind allesamt der Frühzeit des Webs entstammend, sind längst aus dem Internet verschwunden. Das Internet Archive hat zwar die Seiten an sich gespeichert, nicht aber die Karten.

Nun bin ich nach langer Suche doch über die Fenlon-Karte in einer hoch auflösenden Fassung gestolpert – die Freude war naturgemäß riesig. Da ich vermute, dass sie auch für andere Leute im Forum von Interesse sein könnte, will ich euch die Links gerne zugänglich machen:

Die Karte ist zwar "nicht kanonisch", im Sinne von "ausschließlich auf der Arbeit von Tolkien & Sohn basierend", aber gerade für Rollenspiel in Mittelerde ist sie wirklich klasse – auch wenn man ohne MERS-Regeln spielt. Die Kontinentkarten im Historischen Atlas von Mittelerde zeigen eine andere Form von Mittelerde, doch sie zeigen allesamt nur das erste und zweite Zeitalter (alle späteren zeigen nur Nordwest-Mittelerde). Die Unterschiede der Fenlon-Karte lassen sich daher durch die Wandlung der Welt erklären.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: Vanis am 5.06.2012 | 15:59
Die Karte, die bei Mers dabeilag, ist eine reine Rollenspiel-Karte und hat tatsächlich nichts mit den Quellen zu tun. Sie ist insofern eigentlich ziemlicher Unsinn, da man ja eh nur im Nordwesten Mittelerdes spielen wird. Alles andere interessiert ja kaum jemanden und dafür wurde auch für Mers so gut wie nichts rausgebracht. Ich fand die Karte, die beim Leifaden für den Wanderer dabei war, klasse: Großformatik den Nordwesten Mittelerdes, man erkennt Städte und Details der Landschaften.
Titel: Re: [Vergleich] Mittelerde-Rollenspiele
Beitrag von: WeepingElf am 7.06.2012 | 23:28
Die Karte, die bei Mers dabeilag, ist eine reine Rollenspiel-Karte und hat tatsächlich nichts mit den Quellen zu tun.

Richtig.  Alles, was außerhalb des Gebietes liegt, das auf der HdR-Karte zu sehen ist, sind Eigenkonstrukte der Leute von Iron Crown Enterprises und stammt nicht aus Tolkiens Feder.

Zitat
Sie ist insofern eigentlich ziemlicher Unsinn, da man ja eh nur im Nordwesten Mittelerdes spielen wird. Alles andere interessiert ja kaum jemanden und dafür wurde auch für Mers so gut wie nichts rausgebracht. Ich fand die Karte, die beim Leifaden für den Wanderer dabei war, klasse: Großformatik den Nordwesten Mittelerdes, man erkennt Städte und Details der Landschaften.

Es gab meines Wissens englischsprachige Materialien zu den nichtkanonischen Regionen im Süden und Osten, die aber nie auf Deutsch erschienen sind.  Aber in der Runde, in der ich in den frühen Neunzigern spielte, haben wir unsere eigenen Versionen vom Süden und Osten Mittelerdes gebastelt, auf Basis der Annahme, dass die Länder auf der HdR-Karte im Westen an Europa "anzustücken" seien, nachdem ich in einem der History of Middle-earth-Bände (ich glaube, es war Band 4) eine Kartenskizze von Tolkien selbst gesehen hatte, nach der der Süden von Mittelerde wie Afrika aussah und die Binnenmeere Helcar und Cuiviénen dem Mittelmeer bzw. dem Schwarzen Meer entsprachen.  Diese Skizze ist auch in die 2. Ausgabe des Historischen Atlas von Mittelerde eingeflossen.