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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielberichte => Thema gestartet von: Timberwere am 17.07.2012 | 13:22

Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 13:22
Schon seit knapp zwei Jahren spielen wir alle paar Monate jeweils ein ganzes Wochenende lang eine Runde im Universum der Dresden Files von Jim Butcher. Das macht sehr viel Spaß, aber irgendwie bin ich bis zu unserem letzten Abenteuer nicht dazu gekommen, mal selbst einen Spielbericht von den Runden zu schreiben. Jetzt allerdings hat sich das geändert - was allerdings auch bedeutet, dass das Diary Bezüge auf vergangene Ereignisse enthält, die nicht näher definiert sind. Muss ich schauen, ob ich das so lasse (echte Tagebücher sind ja auch nicht immer in allen Details aus-erklärt, weil sie nicht dafür gedacht sind, dass sie jemand anderes außer dem Autor liest) oder ob ich doch noch irgendwann in Rückblenden die früheren Erlebnisse der "schönen Männer" erzähle.

"Die schönen Männer" ist übrigens (oder war bislang) der Spitzname unserer Gruppe, weil wir alle männliche Charaktere spielen, die auch noch alle ziemlich gut aussehen bzw. über tonnenweise Charisma verfügen. Das war eigentlich gar keine Absicht, hat sich aber so ergeben. Bei unserer letzten Session jedoch scheint sich ein neuer Spitzname herauskristallisiert zu haben: "Die Ritter von Miami". Schauen wir mal, ob sich das einbürgert, oder ob sie doch "die schönen Männer" bleiben.

Und das sind die "schönen Männer":

(Unsere Abenteuer sind übrigens alle nach den echten Harry-Dresden-Romanen benannt, aber trotz der identischen Titel sind die eigentlichen Abenteuer von den Romanhandlungen völlig unabhängig. Es hat sich nur, ähnlich wie der Spitzname für die Jungs, einfach ergeben, und es macht riesigen Spaß, die bekannten Romantitel komplett anders zu interpretieren.)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 13:28
Ricardos Tagebuch: Summer Knight 1

Schreibblockade. Ich fasse es nicht. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie eine Schreibblockade. Jamás. Never. Jamais. Okay, ich weiß genau, wovon sie ausgelöst wurde, aber das macht es nicht besser, verdammt. George ist schuld. Und ich kann dem kleinen burro eigentlich noch nicht mal richtig böse sein.

Und das gerade, wo Sheila bzw. der Verlag jeden Tag mit irgendwelchen Änderungswünschen für Faerie Storm ankommen können. Naja, für die hätte ich momentan ohnehin keine Zeit.

Aber ich muss irgendwas schreiben. Und wenn ich schon nicht arbeiten kann, weil diese blöde Schreibblockade mir nicht aus dem Kopf will, dann muss ich mich eben irgendwie ablenken. Mit Tagebuchschreiben zum Beispiel. Das habe ich sowieso viel zu lange vernachlässigt. Und vielleicht hilft es ja, schüttelt irgendwelche geistigen Steine aus dem Weg oder was weiß ich.

Und überhaupt glaubt mir das außer den Jungs sowieso wieder keiner, wenn ich es irgendwem erzähle, also kann es auch hier rein und – falls es doch mal irgendjemand finden sollte – für Fingerübungen für einen neuen Roman gehalten werden. Sollen sie doch.

Mierda. Ich winde mich um den heißen Brei und verzapfe völligen Blödsinn, nur um irgendwie die Zeilen vollzukriegen, und glaubt bloß nicht, dass ich es nicht merke, Römer und Patrioten.

Also gut. Genug prokrastiniert. Wir haben wieder mal Ärger am Hals, und zwar so richtig. Als ob der, den wir uns bisher angelacht haben, nicht reichen würde.

Machen wir es kurz: Die Traumfresser gehen in der Stadt um. Wobei das eigentlich gar nichts Besonderes ist. Eigentlich gehen die immer um, schleichen sich in die Träume von Schlafenden und knabbern hier ein Stückchen, da ein Stückchen, ohne dass der Träumer es überhaupt bemerkt oder ihm das schadet.

Aber seit der großen Halloween-Party von Gerald Raith letztes Halloween – und lasst mich bloß nicht von der anfangen, Römer und Patrioten, sonst sitze ich nächstes Jahr noch hier und schreibe – vertreibt dieser Sommerfeen-Typ, Antoine, der mit Edwards Mutter angebandelt hat, doch diese seltsamen Feendrogen.

Bisher hatten wir mit denen nicht sonderlich viel zu tun, weder mit den Drogen selbst noch mit Antoine und Mrs. Parsen, weil Edward den beiden tunlichst aus dem Weg geht. Aber auf Alex’ Geburtstagsfeier vor drei Tagen sind uns dann ein paar Leute aufgefallen, die fürchterlich übernächtigt wirkten, teils auch echt gereizt. (Roberto kann da ein Liedchen von singen.) Das Mädel, mit dem ich mich unterhielt, war weniger gereizt, nur traurig und müde. Sie erzählte mir, dass sie so tolle Träume gehabt habe, seit sie angefangen habe, Antoines Zeug zu nehmen, viel bunter und schöner als sonst immer, aber seit einer Weile würde sie gar nicht mehr träumen, auch nicht die langweiligen normalen Sachen mehr, und sie wolle die tollen Träume zurück. Sie marschierte dann auch prompt los, um es „nochmal zu versuchen“.

Das klang verdammt nach typischem Suchtverhalten, wenn ihr mich fragt. Erst das Hoch, von dem man nicht genug bekommen kann. Und dann bleibt es aus, so dass man immer und immer und immer mehr davon braucht. Und nun träumt Alison gar nicht mehr, braucht also vielleicht eine andere Droge als die, die sie bisher von Antoine bezogen hat? Eine stärkere vielleicht? Hah. Honi soit qui mal y pense.

Dasselbe oder ähnliches hatten auch die anderen übernächtigten Partygäste erzählt, die wir befragt hatten. Alle hatten sie Antoines Zeug genommen, alle hatten sie erst so bunt geträumt, und bei allen hatte es dann plötzlich komplett aufgehört, und sie träumten gar nicht mehr. Und interessanterweise sahen sie alle in ihrem letzten Traum eine graue, immer zur jeweiligen Szenerie passende Gestalt, die alles aus den Träumen löschte, was sie berührte. Und am Ende war der ganze Traum fort, und dann berührte die Gestalt die Träumer selbst, wovon sie aufwachten und seither nicht mehr träumen konnten.

Muy sospechoso, amigos...

Antoine, den wir daraufhin direkt auf die Sache ansprachen, wirkte allerdings ehrlich erstaunt, weil das nie in seiner Absicht gelegen habe. Die Leute sollten einfach nur „schön träumen“, sagte er.  Deswegen hatte er Alex ja auch mit genau derselben Bemerkung einen Tiegel roten Honigs geschenkt.

Diesen Honig untersuchte Edward am nächsten Tag in seinem Labor. Seinem richtig gut ausgestatteten Labor. Keinerlei High-Tech, alles Erlenmeyerkolben und Petrischalen und Reagenzgläser und gute alte chemische Handarbeit, aber sehr, sehr umfangreich. Und aufgeräumt. Und überhaupt. Römer und Patrioten, considerame impresionado.

Langer Rede kurzer Sinn, auf rein mundaner Ebene war das Zeug genau das: Honig. Aber da Edward es ja auch und vor allem magisch betrachtete, stellte sich heraus, dass dadurch ein Tor ins Nevernever geöffnet und gewissermaßen eine Kopie der dort vorgefundenen Szene in den Geist des Schlafenden projiziert wird, den dieser dann im Traum betrachten und durchwandern kann. Eigentlich völlig harmlos, ohne Nebenwirkungen und nicht süchtig machend, soweit Edward das beurteilen konnte.

Wir kontaktierten Jack „White Eagle“, der sich nur zu gern von seiner Hippie-Kommune weglotsen ließ, weil dort anscheinend gerade eine Meute nerviger und spirituell hungriger Seniorinnen aufgeschlagen war. Der konnte uns allerdings auch nicht sonderlich viel mehr sagen. Nur, dass er das Zeug genau einmal genommen hatte, seine Traumszenerie irgendwie europäisch aussah und darin kein graugewandeter Radiergummi irgendeiner Art aufgetaucht war. Nach diesem ersten Mal habe er es nicht mehr genommen, und seine Träume seien wieder völlig normal, wie vorher auch.


Edward musste dann aber erstmal schleunigst zur Arbeit. Sein Chef wollte, dass er einem Marshal Schützenhilfe gibt, der in die Stadt gekommen war, um irgendwen zu suchen.
Ahem. Einer Marshal. Alex Martins Schwester, um genau zu sein.  Und der Typ, den sie sucht, hängt natürlich voll in unserer Traumfresser-mierda mit drin, aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Wir waren nur alle immer noch in unserer mobilen Standleitung, als Edward auf dem Revier aufschlug, und so konnten wir mithören, dass der Marshal als ‚Dee Martin’ vorgestellt wurde und dass sie einen gewissen Ortego Ruiz suche, der aus dem Zeugenschutzprogramm abgehauen sei.
Eigentlich kein Verbrechen an sich, aber da der Prozess, wegen dessen er ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden sei, in die Berufung gehe und man Ruiz’ Aussage brauche, müsse sie ihn eben finden.

Edward fand später noch raus, dass Ruiz bei den Santo Shango gewesen sei und in dem Prozess gegen die Latin Kings ausgesagt habe. Yay. Naja, wenn ich gegen die Latin Kings ausgesagt hätte, wäre ich aber auch ins Zeugenschutzprogramm gegangen, Römer und Patrioten. Das Bild von dem Kerl, das Edward später herumzeigte, kam Totilas und mir allerdings bekannt vor: Den hatten wir letztens mal bei einer von Pans Partys am South Beach rumhängen sehen, als Pan uns mal wieder zu seiner seiner Feten eingeladen hatte und wir ja schlecht absagen konnten.

Also Pan aufsuchen, claro. Allerdings traf Alex sich erst noch mit seiner Schwester. Sehr niedlich, die junge Dame. Auch wenn sie mich vermutlich ungespitzt in den Boden rammen würde, wenn sie wüsste, dass ich das Adjektiv „niedlich“ mit ihr verbinde. Aber okay, es ist auch gar nicht so wirkich das richtige Wort. Verdammt hübsch. Verdammt attraktiv. Kompetent. Und ziemlich sachlich-kühl, weil sie in der Männerwelt der Marshals ständig allen beweisen muss, dass sie eben nicht niedlich ist.
Warum ich das weiß? Äh. Roberto, Totilas und ich nahmen uns in dem Restaurant einen Tisch in einer anderen Ecke und linsten mal rüber. Mussten doch sehen, wie Alex’ Schwester so ist. Wir wären auch beinahe nicht aufgeflogen, wenn Roberto nicht ständig so auffällig rübergestarrt hätte. Naja. Wir wollten sowieso unabhängig von Alex und Dee gehen.

Pans Party war wieder so eine Sause, wo man ab einem bestimmten Punkt am Strand in die Feenwelt rüberwechselte. Ich frage mich wirklich, ob der gute Pan damit nicht gegen irgendwelche Feengesetze verstößt, wenn er einfach so jeden Normalmenschen, der zufällig auf seiner Party landet, in die Feenwelt lässt. Aber vermutlich kann er sich das leisten, er ist immerhin ein Herzog des Sommerhofes oder sowas, wenn ich das richtig verstanden habe.

Und wer stand neben ihm, in der glänzenden Rüstung eines Feenritters und mit einem Schwert an der Seite, bester Laune und offensichtlich el mejor amigo de Duque Pan? Ihr habt es erfasst, Römer und Patrioten. Señor Ortego Ruiz in voller Lebensgröße.

Sir Anders (genau der Sir Anders, der, wegen dem ich mich mit Edward duellieren musste) war auch da. Uns gegenüber hegte er keinerlei Groll mehr, immerhin war durch das Duell Cassidy Greys Ehre wiederhergestellt, sein resentimiento mir gegenüber aufgehoben, und die Sturmkinder hatte er bei der Auktion auch gewonnen.
(Übrigens erzählte er – mit todernster Miene – dass Ms. Grey entführt worden sei, denn eines Tages sei sie spurlos aus seiner Wohnung verschwunden gewesen, und sämtliche Wertgegenstände mit ihr.
Der Mann ist eine Fee, da gelten strengere Gesetze von Höflichkeit, einem Feenritter lacht man nicht einfach so ins Gesicht, aber ich musste echt an mich halten. Der arme Anders. Kann einem richtiggehend leid tun.)
Jedenfalls war Sir Anders auf Ruiz überhaupt nicht gut zu sprechen. Es gefiel ihm gar nicht, dass der seit neuestem Pans Erster Ritter ist. Denn erstens hat Ruiz wohl vor ein paar Wochen in einem magischen Duell den vorigen Ersten Ritter besiegt und somit ersetzt, außerdem behandelt er Frauen völlig respektlos, und drittens hat er auch noch einen sehr schlechten Einfluss auf Pan, der ja schon sowieso nicht der Stabilste aller Fae ist.

Aber jedenfalls war Ruiz gefunden, und deswegen ging Edward los, um bei Marshal Martin anzurufen und ihr zu sagen, wo sie hinkommen solle. Oh, achja. Irgendwas hatte ich um Ruiz rumhuschen sehen, irgenwas Kleines und Schwarzes und Schattenhaftes. Nur was es war, das konnte ich nicht genauer sehen, und ich konnte dann auch erstmal nicht darüber nachdenken.

Denn Ricardo Esteban Alcazár wurde zu einer Audienz bei einer veritablen Feen-Lady geladen, Römer und Patrioten. Die Frau nannte sich Lady Fire und war – natürlich, sie ist eine Fae! – atemberaubend schön, aber hey. Lady Fire. Flammenhaar und glühende Augen und zu heiß zum Anfassen. Ich hab’s natürlich doch getan. Sie angefasst, meine ich. Zweimal sogar, am Anfang und am Ende. Ich kann ihr ja schließlich den Handkuss nicht verweigern, wenn sie mir ihre Finger hinstreckt. Aber aua, aua, aua. Gut, dass sie nicht darauf bestanden hat, sich während des Spaziergangs, den sie mit mir machen wollte, bei mir unterzuhaken, wie sie das erst vorhatte. Und gut, dass draußen vor ihrem Pavillon ein gut gefüllter Sektkühler in der Nähe stand. Aua.

Wie sich herausstellte, ist die Lady ein großer Verehrer meiner Bücher. Sie kann nur leider nicht so ganz zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden. Eric Albarn ist derjenige mit den indianischen Vorfahren, nicht ich! Aber hey, welcher Autor kann schon von sich behaupten, dass waschechte Fae zu ihren Fans gehören – und dieser Fan es ihnen auch noch selbst ins Gesicht gesagt hat. Ich war jedenfalls schwer bedruckt, Römer und Patrioten.

Aber ich fürchte, ich habe eine Dummheit gemacht.
Ich erzählte der Lady Fire, dass bald der nächste Band herauskommen wird, und sie meinte doch tatsächlich, sie hätte das Buch schon gelesen! Cólera. Das wird doch noch umgeschrieben. Jedenfalls fuhr mir heraus, es wäre mir eine Ehre und eine Freude, ihr eines zu überreichen, wenn es denn ganz fertig sei. Und hätte mir in genau diesem Moment am liebsten auf die Zunge gebissen, denn was ist die Lady Fire nochmal? Richtig. Eine Fee. Und was mögen Feen gar nicht? Richtig. Geschenke. Toll gemacht, Alcazár.
Ich wollte mich dann noch rauswinden, so ein Buch sei ja gar kein richtiges Geschenk, weil man als Autor ja zig Freiexemplare davon hat, die man unter die Leute schmeißen kann, aber ich glaube, das hat es beinahe eher noch schlimmer gemacht. Wir einigten uns dann aber doch gütlich darauf, dass ich mein Wort selbstverständlich nicht zurücknähme, niemals, und dass die Lady Fire mir ein angemessenes Gegengeschenk machen werde. ¡Madre mía, ayudame!

Über Ortego Ruiz konnten wir dann aber auch noch kurz reden, auch wenn sie bei der Erwähnung dieser ‚Kreatur’ (Zitat Ende) regelrecht zu kochen begann. Sie mag ihn offensichtlich genausowenig, wie Sir Anders das tut, oder noch weniger.

Bis ich von der Lady wegkam, war auch Edward wieder da, mit Alex’ Schwester im Schlepptau. Die konfrontierte Ruiz und forderte ihn auf, zu seiner Aussage im Berufungsprozess zurückzukommen, aber der lachte nur und erklärte, sie könne ja versuchen, ihn zu zwingen. Nützen werde es ihr nichts, weil seine Magie stärker sei als ihre.

Hossa. Alex’ Schwester, magisch? Naja, Alex ist es ja immerhin auch, es sollte mich also eigentlich nicht überraschen.

Oh, und ja. Der Kerl ist tatsächlich genauso frauenfeindlich, wie das alle von ihm gesagt hatten. Das zeigte sich deutlich darin, wie er mit Dee redete. Und noch viel mehr darin, dass er gerade mit einem ohnmächtigen Mädchen aus einem Zimmer kam, als Dee ihn aufhielt. Und mit der marschierte er dann auch einfach weiter, als die Konfrontation vorüber war. Aufhalten konnten wir den cabrón dummerweise nicht. Feengesetze der Gastfreundschaft und so. Und vor allem, der Kerl scheint wirklich verdammt stark zu sein, was seinen magischen Wumms angeht.

Ich meine, immerhin war er bei den Santo Shango, kann also diese Santería-Magie. Hat jetzt als Pans Erster Ritter Feenmacht von dem bekommen. Und nicht zu vergessen diese Schattendinger, die um ihn rumhuschten. Die erkannte Roberto bei dieser zweiten Gelegenheit als sogenannte Oneirophagen. Also Traumfresser, oh ihr Nichtgriechen.

Wie weiter oben schon geschrieben: Eigentlich sind die Viecher völlig harmlos. Das sind kleine Wyldfae, die sich eben von Träumen ernähren, aber halt normalerweise nur hier und da ein bisschen knabbern. Roberto konnte allerdings sehen, dass die Exemplare, die um Ruiz herumhuschten, deutlich größer und besser genährt aussahen als Oneirophagen das sonst tun. Claro, wenn diese speziellen Vertreter ihrer Gattung ja in letzter Zeit ganze Träume fressen, statt nur ein bisschen zu naschen. Was den Opfern übrigens gar nicht gut tut, wusste Roberto. Der muss mal ein Buch über die gelesen haben oder so, der war nämlich glücklicherweise verdammt genau über die kleinen Biester informiert.
Denn wenn so ein Traum mal völlig aufgefressen ist, erholt sich das Opfer normalerweise nicht mehr davon. Es ist dann von seinen Träumen komplett abgeschnitten, und der Mensch muss ja träumen, um zu verarbeiten. Und wenn man das nicht kann, geht man irgendwann daran zugrunde.

Mierda. Wir müssen irgendeinen Weg finden, um den Leuten ihre Träume zurückzugeben.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 13:32
Ricardos Tagebuch: Summer Knight 2

Zu diesem Zweck wollten wir anderen vier nochmal mit Antoine reden, während Alex indessen Hurricane aufsuchte, um den vor dem derzeitigen Zustand seines Vaters zu warnen und ihn zu bitten, dafür zu sorgen, dass Tanit Pan nicht aufsuche, bis der Ruiz’ Einfluss wieder losgeworden sei. Denn das wäre sonst... nicht lustig. Höchst explosiv, um genau zu sein.

Antoine war von Ruiz übel zusammengeschlagen worden. Er selbst war nicht bereit, gegen Pans Ersten Ritter zu reden – Feenehre und Feenschwüre und so – aber Mrs. Parsen erzählte uns, was los war, während Antoine einen Spaziergang machen ging. Nachdem er von uns gehört hatte, dass es negative Nebenwirkungen gebe, was er so nie gewollt hatte, wollte Antoine sich weigern, seine drei Drogensorten weiter herzustellen. Aber Ruiz verprügelte ihn und erinnerte ihn an seinen Eid dem Sommerherzog – und somit dessen Erstem Ritter – gegenüber. Anscheinend hatten Ruiz und Antoine überhaupt zusammen geplant, diese Traumdrogen zu produzieren und unter die Leute zu bringen, wobei der Fae keinerlei Ahnung hatte, dass sein Kumpel damit irgendwelche Oneirophagen füttern wollte.

Wieder zurück von seinem Spaziergang, erzählte uns Antoine genaueres über die Wirkweise der Drogen. Das ging zum Glück nicht gegen seinen Eid. Es gibt drei Sorten, wie wir ja schon wussten, deren Effekt von unterschiedlichen Reizen ausgelöst wird, die aber dieselbe Wirkung haben. Wie Edward bei der Analyse ja schon herausgefunden hatte, wird tatsächlich kurz ein Tor ins Nevernever, zu wenigen ganz bestimmten Orten,  geöffnet und eine Kopie der jeweiligen Szene in den Geist des Träumenden geladen. So kommen vermutlich auch die Oneirophagen in die Träume hinein – denn für normale Träume müssen sie ja auch selbst ein solches Tor in den Geist der Schlafenden hinein öffnen. Und – und diese Information war für uns besonders interessant – wenn man im Nevernever ist und sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befindet, dann kann man sehen, wie sich diese Tore dort öffnen.

Alex ließ sich also von Antoine beschreiben, welche Orte das alles so sein können. Glücklicherweise hat der Fae seine Drogen nur mit fünf verschiedenen Orten verknüpft, und zwar alles solche, die er für interessant, aber grundsätzlich harmlos hielt. Er wollte ja niemandem wehtun.

Und ja, Alex konnte uns hinbringen. Der hat ja da diese Möglichkeiten als Abgesandter von Eleggua. Wir rüsteten uns also entsprechend gegen Feen: mit möglichst viel kaltem Eisen, Schlagringen, Messern und all solchem Zeug. Ich bin heilfroh, dass wir damit nicht auf der Straße angehalten wurden. Die Cops hätten uns garantiert erst mal für eine Straßengang gehalten mit dem ganzen Kram.

Wir einigten uns auf den „Garten der geduldigen Rosen“. Ich hielt den zwar für potenziell zu unübersichtlich, um Traumfresser zu jagen, aber ich wurde überstimmt. Ich weiß auch nicht. Wenn Roberto etwas wirklich will, dann setzt er seinen Kopf irgendwie auch meistens durch. Jedenfalls. Ich sage jetzt nicht ‚Hab ich’s doch gesagt’, aber meine erste Wahl wäre der Rosengarten nicht gewesen.

Er war nämlich verdammt unübersichtlich. Und wir bekamen auf die Glocke. Aber sowas von. Erstmal war es anstrengend genug, die blöden Tore überhaupt zu sehen. Und dann waren diese kleinen Mistviecher von Traumfressern auch noch so richtig verdammt schnell.

Ich mache es kurz. Wir sahen vorher schon ein paar Oneirophagen in dem Garten rumwuseln. Dann ging ein Tor auf, und Alex stellte sich davor und „machte den Gandalf“, wie er es später nannte. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich überrascht war. Jeder hat doch den Herrn der Ringe gesehen. Ich hatte nur Alex bis dahin irgendwie nicht als jemanden auf der Rechnung, der gerne geek references von sich gibt.
Jedenfalls war das Problem, dass Alex den Traumfressern den Weg versperrte. Und somit war er für sie das Ziel Nummer eins. Und die Dinger waren so extrem schnell, das glaubt ihr gar nicht, Römer und Patrioten. Ständig wurde Alex von denen angegriffen und gekratzt, und Edward dazu. Gegenangriffe brachten gar nichts, Eisenmesser hin oder her. Wie auch, wenn die gar nicht erst trafen.

Und dann... Was dann passierte, weiß ich gar nicht so genau. Oder nein. Ich weiß genau, was passierte, ich weiß nur nicht genau, wie.
Ich weiß nur, dass ich die Viecher von meinen Freunden ablenken wollte. Und mir fiel plötzlich ein, dass wir ja im Nevernever waren. In der Feenwelt. Wo so ziemlich alles möglich ist. Also, hm... Ich kann es nicht richtig erklären. ...konzentrierte ich mich, und stellte sie mir so plastisch vor, wie ich nur konnte, und plötzlich ... war da diese Sahnetorte, ganz genau so, wie ich sie mir ausgemalt hatte. Über die machten die Oneirophagen sich her, ließen darüber die Jungs in Ruhe, und so konnte uns Alex ungestört ein Tor nach draußen öffnen.

Also gut. Der Ansatz, die Oneirophagen im echten Nevernever zu stellen, war gründlich in die Hose gegangen.
Aber Roberto fiel ein, dass die Viecher im eigentlichen Traum nicht nur jede Gestalt annehmen können, die in die jeweilige Szenerie passte, sondern dort auch der Sprache mächtig sind. Vielleicht könnten wir mit einem von denen ja einfach reden? Sie auf diese Weise davon abhalten, Träume ganz aufzufressen? Solange sie nur ein bisschen knabbern, tun sie ja niemandem weh.

Gute Idee, nur die wollte gründlich geplant werden.
Erstens, wie kämen wir alle zusammen in denselben Traum. Wenn wir alle gleichzeitig die Drogen nähmen und dann einschliefen, würden wir ja alle woanders landen.
Also dürfte nur einer von uns einschlafen, die anderen müssten dann aus dem Nevernever heraus durch das Tor mit dem Oneirophagen zusammen in seinen Traum hüpfen.
Dabei würde Jack helfen können, sagte der, als wir ihn anriefen. Es gäbe da so ein indianisches Schwitzhütten- und Rauchritual, das in seinem Volk angewandt werde, um Traumvisionen zu erschaffen. Das könnte uns bei unserem Vorhaben unterstützen und in die richtige Richtung leiten. Er würde auch schon alles soweit vorbereiten.
Na gut. Nächste Frage: Wer würde einschlafen, in wessen Traum würden die anderen kommen?

Irgendwie meldeten sich alle freiwillig. Alex war als erster raus, denn der würde ja die Truppe körperlich durchs Nevernever führen müssen, der konnte sich nicht schlafen legen. Die anderen drei führten alle noch Gründe an, warum sie jeweils derjenige sein sollten.
Aber am Ende blieb dann euer freundlicher Narrator übrig, Römer und Patrioten, weil einfach die logischsten Gründe dafür sprachen, dass ich es machte.
Die anderen haben alle auf die eine oder andere Weise magisches Talent, das ihnen im Traum entweder erhalten bleiben oder verloren gehen würde. Ich war der einzige, von dem wir wussten, dass ich im Traum mehr können würde als in Wirklichkeit, Sahnetorte erat demonstrandum. Und wenn es gar noch mein eigener Traum wäre, hätte ich darauf hoffentlich sogar noch mehr Einfluss als nur im reinen Nevernever.

Puh. So richtig wohl war mir nicht dabei, das kann ich ja hier in der Privatsphäre meines Tagebuches durchaus eingestehen. Aber ich fand den Gedanken irgendwie trotzdem auch ziemlich spannend.
Weniger spannend fand ich allerdings, dass wir uns für White Eagles Schwitzritual komplett nackt ausziehen mussten. Waffen und Ausrüstung durften wir mit in die Schwitzhütte nehmen, nur anhaben durften wir nichts.

Oh, und ich hatte vorher ein paar Stunden damit verbracht, mich auf den Traum vorzubereiten. Denn damit die anderen meinen Traum aus dem Nevernever heraus finden konnten, musste es ja ein bestimmter sein, und nicht einfach ein beliebiger der fünf möglichen Orte. Wir einigten uns auf die eisige Stadt im Hohen Norden, also setzte ich mich nachmittags hin und schrieb ein Eisgedicht. Weder sonderlich gut noch sonderlich originell, fürchte ich, aber ich bin Romanschriftsteller, kein Poet, verdammt, und um mich in den Eistraum zu bringen, würde es hoffentlich reichen. Gut, dass Alex von Antoine etwas von dem roten Honig zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und nicht die grünen Pillen. Sonst hätte ich meine gesamte iTunes-Bibliothek nach Schnee- und Winter-thematisierter Musik absuchen müssen,  weil die Pillen ja durch Musik getriggert werden und nicht, wie der Honig, durch Poesie. Und irgendwie bezweifle ich, dass es gereicht hätte, eines meiner Snow Patrol-Alben zu hören.

Langer Rede kurzer Sinn: Es klappte. Hütte. Rauch. Sechs schwitzende, nackte Männer, von denen einer sich den Honig einverleibt und dann ein Eisgedicht deklamiert. Naja. Vorliest. Marshal Dee war übrigens glücklicherweise nicht dabei. Die hätte sich zwar vermutlich auch nicht geniert, sich vor uns allen auszuziehen, wenn es die Pflicht erfordert hätte, aber es gab da so das Problem, dass ein gewisser Zeitpunkt im Monatszyklus das Ritual unmöglich macht. Sprich, wenn die Frau ihre Tage hat. Taste hier nicht so um den heißen Brei herum, Alcazár, es liest außer dir eh keiner.
Como quiera que sea, ich schlief irgendwann tatsächlich ein, während Jack noch sein Ritual abzog und indianische Schamanengesänge intonierte, und landete in dieser eisigen Stadt, von der wir schon gehört hatten.
Die anderen tauchten nach einer Weile ebenfalls auf, wie geplant durch das Tor aus dem Nevernever. Da es mein Traum war, imaginierte ich uns als allererstes ein paar winterfeste Klamotten her, dann fingen wir an, uns nach dem Oneirophagen umzusehen.

Es dauerte eine Weile, aber dann sahen wir ihn: Er hatte in diesem Traum, passend zur Szenerie, die Gestalt eines grauen Schneeleoparden angenommen. Totilas war bei dem Versuch, ihn aufzuhalten, etwas zu, hm, forsch. Er stürmte auf den Leoparden zu, so dass der Traumfresser gleich wieder abhauen wollte, aber Alex schloss das Tor, das er sich öffnete. Ich warf ihm einen frisch imaginierten Schneehasen als Futter hin, während wir ihm zuriefen, dass wir doch nur reden wollten.

Und nachdem der Oneirophage die Gestalt eines der hochgewachsenen, schmalen Stadtbewohner angenommen hatte, nur mit grauem Gewand statt einem weißen, gelang das tatsächlich.
Wir erfuhren, dass diese Spezialträume hier für seinesgleichen unermesslich lecker schmecken, gar kein Vergleich mit normalen Träumen. Deswegen können die Oneirophagen sich in Antoines Drogenträumen auch nur schwer zurückhalten und fressen gerne mal den ganzen Traum auf, wenn sie können. Und deswegen könnte es auch schwer werden, sie davon abzubringen, fürchte ich – sag doch mal einem Gourmand bei einer Völlerei, er solle nicht das ganze Buffet vertilgen, sondern sich mit ein paar Happen begnügen.
„Soooo lecker“, schnurrte er, und räkelte sich dabei gegen ein Haus, das prompt verschwand. Und das war gar nicht lustig. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, aber es fühlte sich an wie ein Radiergummi, der mit fiesem Quietschen durch mein Gehirn rubbelte. Das war war ein Teil meiner Vorstellungskraft, die er da fraß!

Außerdem bekamen wir noch aus dem Traumfresser heraus, dass seine Art eine Herrin, eine Mutter, hat. Mit der habe jemand einen Vertrag abgeschlossen, sagte er. Genaueres wisse er nicht, das sei alles zwischen der Mutter und dem Anderen gelaufen. Er komme nur in die Spezialträume und fresse sich satt. Und was er fresse, das bekäme dann der Andere. Aber was der Andere dann damit genau mache, wisse er nicht.

Der Oneirophage erklärte sich bereit, uns zu seiner Herrin zu bringen, wollte dafür allerdings eine Gegenleistung. Er habe doch schon den Schneehasen bekommen, sagte ich, aber das war ihm nicht genug. Er wollte mehr, und zwar etwas Komplexes.

Etwas Komplexes. War ja klar. Also gut. Es hatte mir zwar gar nicht gefallen, wie er vorhin das Haus weggerubbelt hatte, aber es musste nun mal sein.
Ich konzentrierte mich also wieder, wie zuvor bei der Sahnetorte im Nevernever, und imaginierte ihm eine Spieluhr. Die komplexeste Spieluhr, die ich mir ausdenken konnte. Mit vielen Zahnrädern und Federn und Drähten und Stiften. Mit einer Mondphasenanzeige. Mit einer Wetteranzeige. Mit Zinnsoldaten in der Anzahl der jeweiligen Stunde. Mit einem mechanischen Vogel, der zur vollen Stunde die Zeit sang. Viel zu übertrieben, viel zu wuchtig, aber er wollte ja etwas Komplexes.

Und weil es ja mein Traum war, musste ich mich gar nicht groß anstrengen. Ich malte mir die Spieluhr in allen Details aus, und einen Moment später stand sie vor dem Oneirophagen. Der schnurrte einen Moment lang genüsslich und voller Vorfreude darum herum, und dann begann er ganz langsam, sie einzusaugen.

Und, ¡Madre mia!, das tat weh, Römer und Patrioten. Tío, tat das weh. Ich konnte richtiggehend spüren, wie er mir jedes Zahnrad einzeln aus der Fantasie zog. Ich glaube, ich wäre beinahe sogar davon umgefallen, aber ich konnte mich dann doch irgendwie aufrecht halten.

Um mich abzulenken, fragte ich den Traumfresser, der mit sichtlich gewölbtem Bauch dasaß und sich mit der Zunge über die Lippen leckte, ob er eigentlich einen Namen habe.
Das Konzept von Namen kannte er gar nicht, ich musste es ihm erst genauer erklären. Er hatte keinen – natürlich nicht, wenn er vorher nicht mal gewusst hatte, was das überhaupt war – aber er wollte gerne einen haben. Und während ich noch überlegte, was denn ein guter Name für so einen Oneirophagen wäre, nannte Roberto ihn schlicht und ergreifend „George“.

Ich fand das erst fürchterlich albern, ein Feenwesen namens „George“, aber vermutlich war es viel besser so. Wer weiß, mit welchem hochtrabenden Blödsinn ich sonst angekommen wäre, wenn man mich gelassen hätte.

Unser Traumfresser nahm diesen Namen völlig begeistert für sich an und murmelte ihn ein paarmal vor sich hin. Und dann hatte Edward geistesgegenwärtig eine brilliante Eingebung. „Kannst du es nochmal sagen?“, fragte er, und ohne zu zögern antwortete die Fae: „George.“

Hossa. Das weiß ja sogar ich inzwischen, dass der Wahre Name eines Wesens demjenigen, der den Namen kennt, Macht über das Wesen gibt! Wie der Kleine das sagte, hat sich mir regelrecht eingebrannt: Ich glaube, ich werde nicht vergessen, wie er es ausgesprochen hat.

Jedenfalls brachte George uns dann wie versprochen zu seiner Königin. Sobald er aus meinem Traum draußen war, sah er wieder aus, wie die Oneirophagen es alle tun: klein, schwarz, bizarr, spindeldürre Beine. Und er konnte nicht mehr sprechen. Aber es kam mir beinahe so vor, als könnte ich in seinem Geschnatter nun fast so etwas wie Worte erkennen.

Oh, und wir waren nun nicht mehr in meinem Traum, also waren wir auch alle wieder nackt. Yay.

George führte uns durchs Nevernever bis zu einer Höhle, in der viele weitere Traumfresser herumwuselten. Und ganz an deren Ende war ein ... Etwas zu sehen. Eine wabernde Gestalt, anscheinend irgendwie aus demselben Stoff gemacht wie die übrigen Oneirophagen, nur ... weniger stofflich. Aus ihr heraus blitzten an unterschiedlichen Stellen immer wieder Köpfe auf, verschwanden dann gleich wieder, um in anderer Form anderswo wieder aufzutauchen. Und diese Köpfe redeten mit uns ... zeitversetzt. Ganz schön verwirrend im ersten Moment.

Die Königin war voller Hass und Wut auf Ruiz, und sie zeigte uns eine schwere Eisenkette, mit der an die Höhlenwand gekettet war. Aber nicht nur war die Kette aus Eisen und die Ober-Oneirophaga eine Fae, sondern das Schloss – besonders kompliziert und mit mehreren Schlüssellöchern versehen, die sich ständig bewegten – war auch noch magischer Natur. War ja klar.

Und ich glaube, den Schlüssel hatte ich auf Pans Party an einer Kette um Ruiz’ Hals hängen sehen. War ja noch klarer.

Es gelang uns also nicht, diese Kette gleich hier und an Ort und Stelle zu lösen, aber wir versprachen der Traumfresserkönigin, dass wir tun würden, was nur immer in unserer Macht stand, damit sie sobald wie möglich nach Hause zurückkehren könnte. Denn hier gehört sie nicht her, hierher wurde sie von Ruiz gegen ihren Willen beschworen und festgesetzt.
Dann öffnete Alex uns ein Tor in die reale Welt. Eine Moment lang hatte ich echt Angst davor, dass wir nicht in Jacks Schwitzhütte wieder herauskommen würden, sondern irgendwo, wo es ganz besonders peinlich wäre, wenn plötzlich fünf nackte Männer aus dem Nichts aufkreuzen. Aber zum Glück war das nur ein kurzer Moment der Panik, und wir landeten ganz brav wieder auf dem Gelände der Kommune.

Aber als George meine Spieluhr gefressen hat, ist irgendwas mit mir passiert. Seitdem habe ich diese verdammte Schreibblockade. Ich hoffe nur, das geht irgendwann wieder weg. ¡Madre mia!, wie ich das hoffe!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 14:56
Ricardos Tagebuch: Summer Knight 3

Habe ich gedacht, es hätte weh getan, als George meine Spieluhr auffraß? Dios, Alcazár, wie naiv kann man sein. Aber woher hätte ich es auch wissen sollen. Ich hatte noch keine Verbrennungen dritten Grades. Bis jetzt.
Verdammt. Ich muss mich irgendwie ablenken. Es wenigstens versuchen.

Als wir wieder in der Schwitzhütte landeten, war es mitten in der Nacht, also beschlossen wir, uns erstmal auszuschlafen und uns am nächsten Tag wieder zu treffen. Guter Plan – in der Theorie zumindest. Wenn ich denn ein Auge hätte zu tun können. Was ich, Überraschung, nicht konnte. Deswegen auch der vorige Eintrag.

Treffpunkt war der Donut-Laden, wo mich ein starker Kaffee wieder etwas auf die Beine brachte, während wir überlegten. Alex war nicht aufgetaucht, aber das hat bei Alex ja nie sonderlich viel zu heißen. Dem kommt ja immer mal wieder was dazwischen. Wir wussten zu wenig über die Funktion des Ersten Ritters, stellten wir fest. Und derjenige, der uns vielleicht am ehesten darüber Auskunft geben konnte und mit dem wir in der Feenwelt noch am ehesten Kontakt hatten, war Sir Anders Thunderstone.

Wir fanden den Feenritter nicht in Pans Palast, sondern an der Washington High – Erinnerungen. Lange ist's her. Eigentlich gar nicht so lange, aber kommt mir so vor – wo er gerade ein Little League Baseball Team coachte, uns aber ein paar Minuten opfern konnte.

Über Ruiz an sich, und vor allem gegen Ruiz direkt, durfte er natürlich wieder nichts sagen, weil sein Eid gegenüber Pan ihm das verbot, aber er konnte uns über das Amt des Ersten Ritters ganz allgemein gesprochen Auskunft geben. Als Champion eines Feen-Herzogs bekommt er von diesem Macht übertragen. Nicht ganz so viel, wie der Sommerritter von der Königin höchstselbst erhält, aber genug.

Wir fragten Anders nach dem vorigen Ersten Ritter – 'Sir Horton' nannte ihn Anders – der ja von Ruiz in einem magischen Duell getötet worden war, und auch nach dessen Vorgänger. Oder Vorgängerin, wie sich herausstellte. Zwischen den beiden war die Machtübertragung ganz friedlich verlaufen, mittels eines Kartenspielduells.

Da die frühere Ritterin sich also weiterhin bester Gesundheit erfreut und Anders uns sagen konnte, wo sie lebt, statteten wir ihr kurzerhand einen Besuch in ihrer Gated Community ab, wo die Lady uns zwar anfangs etwas misstrauisch, aber durchaus höflich, auf ihrer Terrasse empfing.

Vorher jedoch nahm Edward noch kurz mit seiner Dienststelle Kontakt auf, um zu erfahren, ob Marshal Martin schon etwas herausgefunden hatte. Leider nicht – sie hatte sich noch nicht einmal zurückgemeldet, und Lieutenant Book wollte einen von Edwards Kollegen darauf ansetzen.

Die ehemalige Ritterin, Eileen Fabray, hatte von den letzten Ereignissen noch gar nichts erfahren, war ziemlich geschockt über die Nachricht von Sir Hortons Tod.
Es gibt drei Arten von Duellen, erklärte Ms. Fabray dann: mit Waffen, mit Magie und mit Willenskraft, worunter auch Rededuelle fallen. Wie ernsthaft sie geführt werden, welche Siegbedingung also gelten soll, darauf müssen die Duellanten sich einigen und der Herzog zustimmen.
Die Aufgabe des Ersten Ritters ist es, gewissermaßen den Verbindungsoffizier zwischen dem Herzog und der Menschenwelt zu geben, vor allem, wenn es 'offizieller' wird. Ansonsten natürlich dessen Champion zu sein, also an seiner Statt zu kämpfen, wenn es nötig wird, und sonstige Aufträge für ihn zu übernehmen. Im Falle von Pan bedeutet es wohl auch, seine Partys mitzufeiern, hinter ihm aufzuräumen und generell sein Kindermädchen zu spielen. Und ja, ihm wird ein Teil von Pans Macht übertragen.
Warum 'Hortie' sich auf ein magisches Duell eingelassen hatte, wo er doch als Herausgeforderter die Waffen hatte wählen dürfen und wo Ruiz doch bekanntermaßen über Magie gebot, konnte Ms. Fabray sich nicht so recht erklären. Aber vielleicht, weil er ein freundlicher Mensch gewesen war, der von niemandem etwas Böses glauben wollte und vielleicht gedacht hatte, es werde ein harmloser Kampf wie die vorigen auch.

Wir hatten die frühere Ritterin kaum verlassen, da klingelte Robertos Telefon. Es war seine Tante, die dringend seine Hilfe wollte, weil ihr alter Nachbar tot in seinem Garten aufgefunden worden sei. Erfroren, in dieser Hitzewelle. Hah. Ich wiederhole mich, aber hah.

Die Stelle im Garten, wo der Tote lag, war tatsächlich eiskalt, die Blumen vor Kälte verdorrt. Ein Fußabdruck, noch kälter als der Boden ringsum, und Anwohner, die einen elegant gekleideten Gentleman mit Gehstock gesehen hatten, der in den oder auf den Garten zu gegangen sei. Das klang mir verdammt danach, als gebe es einen Gegenpol zu unserer Lady Fire namens 'Lord Ice' oder so. ('Lord Snow' wohl eher nicht. Außer mein zutiefst geschätzter Kollege Mr. Martin weiß da was, das ich nicht weiß.)

Erfroren = Winter. Und Winter = Tanit. Wobei wir an Tanit nicht so leicht rankommen, daher ist für uns normalerweise erst mal Winter = Hurricane. Der bestätigte uns, dass die Umstände des Todesfalls im Garten ziemlich nach Lord Frost aussähen, der früher oder später immer dort auftauche, wo Lady Fire sei, um das Gegengewicht zu ihr zu bilden. Na von mir aus. Dann eben 'Frost' und nicht 'Ice'.

Hurricane erzählte auch, dass seine Mutter ziemlich besorgt sei. Der Sommer plane irgendwas, glaube sie, und sie sei sich auch nicht sicher, ob er sich an Mittsommer wirklich zurückziehen werde, wie es sich gehöre. Auf Tanits Schreiben habe Pan nicht reagiert, was die Herrin der Stürme mit mehr als nur Missfallen zur Kenntnis genommen habe. Bis Mittsommer (also übermorgen) wolle sie ihm noch geben, sagte Hurricane, aber wenn der Sommerherzog sich bis dahin nicht zusammengerissen habe, würden die Sturmkinder ihm eine Lektion erteilen.

Nicht lustig, Römer und Patrioten. Es ist schon schlimm genug, wenn Pan und Tanit sich ohne einen solchen Grund in die Finger bekommen, siehe die Nächte, in denen Hurricane und seine Geschwister gezeugt wurden.

Oh, ach so. Tanit hat natürlich auch einen Ritter, oder eine Ritterin, genauer gesagt. Die ist aber schon seit längerem nicht mehr in Miami, sondern hält sich derzeit ausschließlich im Nevernever auf.

Noch während dem Gespräch mit Hurricane klingelte Robertos Handy, weil jemand Alex erreichen wollte. Hatte also nicht nur uns versetzt, sondern auch diese Frau. Und dann meldete sich auch noch Edwards Partner mit der Nachricht, es habe in Dees Hotelzimmer ein Handgemenge gegeben, und sie selbst sei verschwunden.

Wir, claro, nichts wie hin zum Motel. Dees Auto stand noch dort, und das Zimmer wies tatsächlich ein paar Kampfspuren auf – aber nicht so viele, wie ich eigentlich von der taffen Marshal erwartet hätte.
Unter dem Bett lag Dees Handy, und Edward meinte, hier stinke es geradezu nach Satyr. Der Telefonspeicher zeigte, dass ihr letzter Anruf an Alex gegangen war und knapp eine Minute gedauert hatte.

Also zu Alex' Hausboot. Es war wie erwartet leer, aber auf seinem (übervollen) Anrufbeantworter fand sich tatsächlich unter anderem eine Nachricht von Dee, die abrupt abbrach, als  Eindringlinge ins Zimmer kamen. Ein „Hey, was soll das!?“ von Dee, dann Kampfgeräusche, und dann eine Stimme. Ruiz' Stimme. Cabrón. Was er sagte, konnte ich nicht genau verstehen, aber es war Lucumi, soviel erkannte ich. Der Kampflärm brach unvermittelt ab, und es gab einen dumpfen Ton, als sei ein Körper zu Boden gefallen. Mierda.

Wo würde Ruiz eine Entführte hinbringen? Vermutlich nicht in Pans Palast, aber das war der einzige Anhaltspunkt, den wir hatten. Und vor allem wollten wir auch wegen Tanit mit Pan reden, um den Denkzettel seitens der Sturmkinder doch noch zu verhindern.

Während Roberto versuchte, den Sommerherzog alleine zu erwischen, ging ich mich im Palast umsehen. Ruiz fand ich nicht, aber ¡Madre mia! Das Ding ist im Nevernever. Viel riesiger und verwinkelter, als es eigentlich sein dürfte. Ich fand den Bereich, wo Lady Fire residiert, der Eingang bewacht von zweien ihrer Ritter, und den Flügel, wo wir beim letzten Mal auf Ruiz gestoßen waren, aber darüber hinaus wurde der Palast sehr schnell sehr verwinkelt und sehr, sehr unübersichtlich. Und weit und breit kein Ruiz. Mierda.

Irgendwann gab ich es auf, um mich nicht hoffnungslos zu verirren. Und lief auf dem Rückweg prompt Totilas in die Arme, der auf der Suche nach mir war. Stellte sich heraus, er war George begegnet. Und George hatte Ruiz mit Dee gesehen. Wollte uns auch hinbringen, aber nicht umsonst. War ja klar. Mierda.

So unkreativ, wie ich momentan drauf bin, konnte ich mir beim besten Willen nichts für ihn ausdenken. Also auf Altbekanntes zurückgreifen. Das würde vielleicht auch nicht ganz so wehtun. Es wurde diese Szene aus dem Film „Legende“: die, in der Tom Cruise und Mia Sara am See sitzen und das Einhorn dazukommt. George die Figuren hinzuimaginieren, ließ zwar meine Nase anfangen zu bluten, aber als er sie dann fraß, zerrte das tatsächlich nicht ganz so an meinem Hirn wie die Spieluhr. Und das debile Lächeln von Tom Cruise und die unterwürfige Anbetung von Mia Sara verschwinden zu sehen, machte das Nasenbluten fast wieder wett.

Aber irgendwie ist mein Bild von dieser Szene aus dem Film jetzt... abgestumpft. Ich habe sie nicht vergessen oder so, aber es ist jetzt eine eher ... abstrakte Erinnerung. Bei diesem speziellen Motiv ist das sogar eher eine Erleichterung, aber. Du bist gewarnt, Alcazár. Ich werde schwer aufpassen müssen, was genau  ich George zum Fressen gebe, Römer und Patrioten. Und zur Gewohnheit sollte es definitiv auch nicht werden.

George kann übrigens ein bisschen besser reden. Unsere Namen bekommt er schon hin, und auch ein paar andere Wörter, zumindest in einer abgehackten Version. Und auch ohne Worte ist der kleine burro ziemlich eloquent. So hat er mich ja überhaupt rumgekriegt, dass ich ihm nochmal was imaginiere. Mierda.

Jedenfalls brachte mein Nasenbluten uns einen Trip durch die Schatten ein. Stockdunkel. Und ich meine, wirklich stockdunkel. Keinerlei Licht, nur Gerüche und Geräusche. Extrem beunruhigende Gerüche und Geräusche. Verschiedene, als würde George uns an ganz unterschiedlichen Orten vorbeiführen.
Aus dem Nevernever heraus in unsere Welt konnte George uns nicht folgen, sondern verschwand, als er uns zu einer verlassenen, entsprechend verwahrlosten Autowerkstatt gebracht hatte. Edward konnte Alex und Dee riechen, und den Gestank von Satyren.
Oben, hinter einer Tür, Ruiz Stimme. „Jetzt kennst du deinen Platz, wie?“ Dee, wutentbrannt. „Das wirst du bereuen!“ Darauf Ruiz' höhnisches Lachen. „Sie gehört ganz euch, Jungs. Bedient euch.“

Mehr mussten wir nicht hören.

Drinnen: Alex, bewusstlos, ignoriert in einer Ecke. Ruiz, der eben den Gürtel wieder schloss. Zwei Satyre, im Nevernever ohne Glamour und daher ohne Kleider, breit grinsend und einen Stein-Schere-Papier Wettkampf abhaltend. Dee, an ein Bett gefesselt, unbekleidet und mit vor Zorn funkelnden Augen. Kein Zweifel, was hier eben passiert war. Oh, cabrón. Nein. Viel mehr als cabrón. In diesem Moment hätte ich ihn kaltlächelnd umbringen können.

Aber ich war nicht der erste durch die Tür. Edward erklärte Ruiz für verhaftet, während Totilas nicht lange fackelte und dem cabrón eine verpasste. Dummerweise setzte den das nicht außer Gefecht, und so konnte er zwei goldene Revolver ziehen (Der Mann mit dem goldenen Colt.  Oh Dios. Auch das noch.) und sie abfeuern. Und die Dinger verschossen keine gewöhnlichen Kugeln, sondern grelle, blendende Sonnenstrahlen. Die auffächerten. Und alles im Raum trafen.

Sengende Hitze. Unerträglich. Aber nur einen Herzschlag lang, dann Schwärze.

Es war zu schnell gegangen, als dass ich etwas hatte denken können im Moment des Umfallens, aber als ich wieder zu mir kam, war ich regelrecht überrascht, dass ich noch am Leben war. Wir fanden uns alle, auch Alex und seine Schwester, in einem klassischen Fantasy-Kerker wieder, mit erhobenen Armen an eiserne Schellen in der Felswand gekettet. Und wir waren alle nackt. Wieder mal. Was uns aber in diesem Moment völlig nebensächlich vorkam. Entweder die hatten uns ausgezogen oder aber, was wahrscheinlicher war, die Strahlen hatten einfach unsere Kleider völlig weggebrannt, inklusive allem, was wir in den Taschen hatten. Unsere Haut sah jedenfalls aus wie nach drei Tagen am Strand ohne jede Sonnencreme – sogar Edwards. Und der ist schwarz, Römer und Patrioten.

Der Kerker war langgezogen, und weiter vorne brannte ein Feuer, dank dessen Flammen wir an den Wänden die flackernden Schatten von Satyren sehen konnten. Es schienen auch ein paar Oneirophagen da zu sein, aber das war schwerer zu sehen.

Nach einer Weile kam Ruiz und meinte etwas von wegen: wir sollten ihm einen Grund nennen, uns am Leben zu lassen. Keiner würdigte ihn einer Antwort, nur Edward ließ seiner Wut freien Lauf. Was zur Folge hatte, dass Ruiz ihm durch Berührung ein handförmiges Brandmal auf der Brust verpasste. Dann verschwand er. Cabrón.

Noch eine Weile später tauchten zwei Feuerritter der Lady Fire auf. Ruiz habe sie geschickt, um uns zu bewachen, sagten sie. Meine Frage, ob die Lady Fire wisse, was sie hier täten, verneinten sie, daher bat ich sie, der Lady meine Grüße zu überbringen und zu erklären, ich sei gerade verhindert, sonst hätte ich sie selbstverständlich bereits aufgesucht. Mein Name erregte den Eindruck, den ich gehofft hatte, damit zu erregen, und einer von beiden machte sich sofort auf den Weg.

Es vergingen keine fünf Minuten, dann rauschte Lady Fire in den Kerker, zutiefst empört über die Behandlung, die uns zuteil wurde. Seien wir ehrlich. Mir zuteil wurde. Die anderen waren ihr vollkommen egal - mit Ausnahme von Dee und dem, was ihr angetan worden war. Sie wies ihre Männer an, Dee zu bedecken, mich auch, aber auf die Jungs musste ich sie erst aufmerksam machen, die hätte Lady Fire sonst völlig ignoriert. Sie schien auch fast etwas irritiert zu sein, dass ich sie mit meiner Sorge für diese lesser beings belästigte, und es wirkte fast so, als heiße sie ihre Wachen nur mir zuliebe sich um sie kümmern.

Du drückst dich schon wieder um den heißen Brei, Alcazár.

Ja, verdammt. Denn das, was als nächstes kam... Daran zu denken bringt es wieder hoch. Also noch mehr als sowieso die ganze Zeit. Dann bin ich wieder dort im Raum, und Lady Fires Augen lodern auf, als sie hört, was der cabrón getan hat, und sie macht eine herrische Handbewegung zu den Fesseln, die mich halten, und sie lodern auf, rotglühend, weißglühend, verflüssigen sich, und schmelzen mir von den Handgelenken.

Ich weiß nicht, ob ich geschrien habe. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie nicht. Meine nächste klare Erinnerung ist jedenfalls, dass ich zusammengekrümmt auf dem Boden liege und einer der Wachen gerade Alex' Fesseln mit dem Schwert durchtrennt. Die anderen waren schon frei, ich muss also zumindest einige Sekunden lang weggetreten sein.

Roberto, der selbst auch ziemlich mitgenommen war, half mir hoch und blieb neben mir, während Totilas Alex trug und Edward dessen Schwester. Die Wachen der Lady führten uns zu einem Hinterausgang, wo sie sich verabschiedeten, und irgendwie landeten wir wieder in unserer Welt, ohne dass wir bemerkt wurden.

Zumindest nicht von Ruiz' Leuten. Draußen am Strand liefen wir einer Gruppe Surfern in die Hände, die sich als sehr nette, hilfsbereite Jungs herausstellten. Einer ließ Edward sein Handy benutzen und blieb bei uns, bis der Krankenwagen kam. Während wir warteten, kam das Gespräch irgendwie auf Sir Anders, denn der arbeitet hier am Strand ja auch als Rettungswache und sollte vielleicht darüber informiert werden, was Ruiz für ein cabrón ist. Aber ich bekam nur so halb mit, wie Totilas loszog, und auch nur so halb, wie Edward telefonierte, fluchte und was von „morgen ist schon Mittsommer“ sagte. Ins Krankenhaus wollte er auf gar keinen Fall, trotz Brandmal und Hautrötung, deswegen machte er sich auch auf den Weg, ehe der Krankenwagen da war.

Und so liege ich jetzt in einem Krankenhausbett und habe das alles aufgeschrieben, weil ich nicht schlafen kann. Weil meine Handgelenke wehtun, verdammt. Nicht mehr ganz so extrem, zum Glück: Die Medikamente helfen, und die Tatsache, dass sie dick verbunden sind. Aber trotzdem. Ich bin ihr ja dankbar und alles. Aber. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Gorai am 17.07.2012 | 15:11
Moin Timberwere,

Danke für Dein Tagebuch  :d!

Heute Mittag habe ich mir bereits den Link Eures Ursprungs-Blogs bei mir in meine Lesezeichen eingeordnet und ich freue mich auf weitere Fälle der "schönen Männer" oder "Der Ritter Miamis".


Vielleicht vermagst Du mir bitte zum besseren Verständnis zu Eurer Chronik einige Fragen beantworten:

Wer ist "Eleggua"?

Was ist ein "Tief gläubiger Santerío"?


Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 15:30
Huhu Alyne, freut mich, dass es dir gefällt! :D

Aaaalso.

Die Santería ist eine aus Afrika stammende und auf Kuba viel praktizierte Religion, die vorgeblich katholische Heilige verehrt, damit aber in Wahrheit afrikanische (Voodoo-) Götter (namens "Orishas") kaschiert. (Hier (http://de.wikipedia.org/wiki/Santeria) mal der Link auf den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zur Santería, da ich zu faul bin, um noch groß mehr dazu zu schreiben. :))
Roberto ist jedenfalls regeltechnisch ein Wahrer Gläubiger mit entsprechenden Wundern. Seine Orisha ist (6, korrigier mich, wenn ich falsch liege) Orunmila.

Eleggua (http://de.wikipedia.org/wiki/Eleggua) wiederum ist auch einer der Orishas, und zwar der Herr der Straßen und Türen.

Ich hoffe, das hilft dir schon mal ein wenig weiter! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: 6 am 17.07.2012 | 15:41
Robertos Orisha ist Oshun, die Flussgöttin der Fruchtbarkeit. :)
(Mit Weisheit ist Roberto glaube ich nicht so stark gesegnet. ;))
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 15:46
Achja. Orunmila. Oshun. Schmoshun. Fängt beides mit O an, ist beides weiblich. Für einen guten Katholiken wie Cardo ist das doch alles dasselbe. :P
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: 6 am 17.07.2012 | 15:50
Ah. Kein Problem. Du kannst auch gerne Maria, Mutter Gottes sagen. Ich weiss, was gemeint ist. ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2012 | 15:55
Ich dachte, Orunmila herself sei mit Maria kaschiert?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: 6 am 17.07.2012 | 16:07
Nee. Maria steht für mehr für Fruchtbarkeit denn für Weisheit.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.07.2012 | 15:18
Ricardos Tagebuch: Summer Knight 4

22. Juni. Mittsommer ist vorüber. Und ich habe Geburtstag. Nicht, dass mir groß nach Geburtstag wäre. Einfach nur durchatmen. An nichts denken, nichts tun. Überlegen, was ich alles tun muss, um die Wohnung wieder instand gesetzt zu bekommen, kann ich morgen.

Wohnung wieder instand gesetzt? Oh ja. Die verbrannten Handgelenke waren ja nicht genug.

Im Krankenhaus entließen sie mich am nächsten Morgen mit der ärztlichen Ermahnung, ich solle meine Hände schonen. Keine Arbeiten mit Werkzeugen, kein Tippen auf einer Tastatur, kein längeres Schreiben mit der Hand. Ähem. Wenn die wüssten. Memo an mich: Diktaphon. Falls mich wieder mal eine wahnsinnige menschenweltfremde Feen-Lady retten will.

Roberto und ich teilten uns ein Taxi, meine Wohnung ist ja nur ein kleines Stück weiter als sein Laden. Er war also schon ausgestiegen, als das Taxi mich zuhause ablieferte... und ich gleich den nächsten Schock erlebte. Mein Gebäude, abgesperrt und menschenleer. Brandgeschwärzte Fassade. Nasse Asche. Deutliche Zeichen einer großangelegten Löschaktion. Viertes Stockwerk. Meine Fenster. Meine Wohnung. O Madre mia. Yolanda und Alejandra!

Ein neugieriger Nachbar aus dem Nebenhaus wusste mehr, oder meinte mehr zu wissen. Es sei ein Wohnungsbrand gewesen. Ach. Ein ziemlich merkwürdiger Wohnungsbrand, vielleicht Brandstiftung? Die Feuerwehr habe das ganze Haus evakuiert, ausnahmslos, auch wenn es nur in der einen Wohnung gebrannt habe. An der Tür hing ein deutliches „Betreten Verboten“-Schild und ein Hinweis mit einer Telefonnummer, wo man sich informieren könne.

Ich war zu geschockt, um hochzugehen, zumal der Nachbar mich am Ärmel festhielt und darauf bestand, ich könne da jetzt nicht rein. Also stolperte ich die Lincoln Street runter zu Robertos Bótanica, wo der mir erst mal einen Stuhl unterschob und mir was zu trinken in die Hand drückte. Dann rief ich die Feuerwehr an.

Es hatte keine Toten gegeben, gracias a Dios. Allerdings waren Yolanda und Alejandra auch nicht unter den Menschen gewesen, die aus dem Haus evakuiert worden waren. Meine Wohnung hatte man brennend, aber leer vorgefunden. Den nächsten Anruf wollte ich nicht machen, wollte meine Eltern nicht beunruhigen, aber ich musste. Mamá hatte die beiden aber auch nicht gesehen, wusste nur, dass Yolanda zum Babysitten hatte kommen wollen, und ich fürchte, sie muss aus meiner Stimme irgendwas herausgehört haben. Aber glücklicherweise nagelte sie mich nicht darauf fest.

Danach, als ich völlig geschockt dasaß und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, weil sich alles in meinem Kopf wie wild drehte, trommelte Roberto die anderen zusammen (mit Ausnahme von Alex, der war noch außer Gefecht). Totilas erzählte, er habe abends noch mit Sir Anders geredet und ihn natürlich über die neuesten Ereignisse informiert. Was dazu führte, dass der Sidhe, als er hörte, dass (und wie) wir aus Pans Kerker entkommen waren, als loyaler Ritter seines Herzogs dazu verpflichtet war, den geflohenen Gefangenen wieder zu seinem Herrn zu bringen und diesen vor allem von Lady Fires Verrat zu berichten. Dass Pan von unserer Gefangensetzung mit ziemlicher Sicherheit gar nichts wusste und das alles auf Ruiz' Mist gewachsen war, dass wir zu Marshal Dees Schutz und Rettung gehandelt hatten, spielte dabe gar keine Rolle. Eid war Eid und Pflicht war Pflicht. Immerhin durfte Sir Anders diese Pflicht so auslegen, dass er Totilas darüber informierte, was er jetzt zu seinem großen Bedauern tun müsse, und dem so die Gelegenheit gab, davonzulaufen.

Edward sah ziemlich erledigt aus, fast noch mitgenommener als am Abend zuvor, aber irgendwie auch ziemlich zufrieden. Katzen-Kanarienvogel-zufrieden, um mal ein etwas abgenutztes Bild zu bemühen.
Cherie war die Nacht über bei ihm gewesen, rückte er etwas widerwillig heraus. Viel mehr gab er nicht preis, nur etwas von wegen dass sie verletzt gewesen sei und seine Hilfe gebraucht habe.
Ah ja. Verletzte White Court + ausgepowerter, aber gutgelaunter Cop + Nacht. Reicht schon.

Jedenfalls unterrichtete Edward seine Dienststelle über den Brand und brachte es fertig, sich den Fall zuteilen zu lassen. Jetzt durfte er ganz offiziell an den Tatort – und uns mitzunehmen, obwohl wir Zivilisten waren, würde ihm auch keiner verwehren.

Meine Wohnung war nicht völlig irreparabel zerstört, gracias a Dios. Gebrannt hatte es eigentlich vor allem im Flur und von dort ausgehend im Wohnzimmer. In den anderen Zimmern hatten die Löscharbeiten der Feuerwehr den meisten Schaden angerichtet. Vor allem mein Arbeitszimmer sah so aus, als wäre noch etwas zu retten. Alles nass, ja, die meisten Bücher werde ich ersetzen müssen, und einen neuen Computer brauche ich auch, fürchte ich, aber die Manuskripte und Skizzenbücher und alles sind wenigstens noch da. Und mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit lassen sich die Daten von der Festplatte wiederherstellen. Sowas geht ja heutzutage ganz gut. Oh, danke, danke, danke.

Mein erster Instinkt schrie 'Ruiz'. Der Brand war laut den Angaben der Feuerwehr ausgebrochen, nachdem wir ihm entkommen waren. Auf jeden Fall genug Zeit für den cabrón, um sich Yolanda und Alejandra zu schnappen. Aber woher hätte er von den beiden wissen können? So gut kennt er mich und meine genauen Familienverhältnisse hoffentlich nicht.

Als ich mich genauer umsah, fand ich am Türpfosten ein Brandmal in Form und Größe einer Kinderhand, und auch in der Höhe, die für ein sich anlehnendes Kind normal wäre. Eines von Lady Fires Feuerkindern vielleicht? Das nicht über die Schwelle kommen konnte, deswegen draußen blieb und direkt am Eingang den Brand verursachte, der sich dann weiter in die Wohnung und den Flur hinein ausbreitete? Aber warum? Ob eines der Feuerkinder die Lady Fire verraten hatte und nun mit dem cabrón zusammenarbeitete?

Aber auch diese Theorie passte nicht richtig. Die beiden mussten zumindest aus eigenem Antrieb die Wohnung verlassen haben, denn sowohl Alejandras Teddybär als auch Yolandas Handtasche fehlten.

Bei unserer Befreiung hatte Lady Fire etwas gesagt, das ich in meinem Zustand gar nicht richtig realisiert hatte, das uns aber jetzt wieder einfiel und vor allem Roberto enorme Sorgen bereitete. Während sie ihren Wachen aufgetragen hatte, uns aus dem Palast und in Sicherheit zu bringen, war die Lady selbst mit den Worten, man könne das nicht länger dulden und sie werde endlich etwas unternehmen, davongerauscht.

Roberto war nun derjenige, der auf den Gedanken kam, dass ich Ruiz vielleicht unwissentlich direkt in die Hände gespielt hatte, als ich mich den beiden Feenwächtern zu erkennen gab und so dafür sorgte, dass Lady Fire uns befreien kam. Denn warum hätte der cabrón wohl sonst ausgerechnet zwei von Lady Fires Rittern zu unserer Bewachung heranziehen sollen, um nicht genau dieses Ziel zu erreichen?

Und nun war die Lady vielleicht tatsächlich gerade im Begriff, irgendetwas Übereiltes zu tun, auf das Ruiz nur wartete. Mierda. Wir mussten sie erreichen.

Was gar nicht so leicht werden würde. Außer... Sie hatte doch mein neues Buch gelesen, hatte sie erzählt. Das musste sie ja von irgendwo gehabt haben, und nur Sheila und Norman kennen das Manuskript zu diesem Zeitpunkt. Also rief ich einfach Norman an und fragte ihn, was es mit Lady Fire auf sich habe. Sie sei eine seiner regulären „Probeleserinnen“, vor allem meiner Romane, erklärte er. Coléra. Ich wusste gar nicht, dass es sowas überhaupt gibt. Er hatte von ihr allerdings nur die E-Mail-Adresse, nichts sonst.

Etwas Suchen verknüpfte lady.fire@gmx.com mit der Adresse eines Ladens namens „Fiery Places“. Deren Eigentümerin, eine Feuerkünstlerin, nannte sich auch „Lady Fire“ und stellte sich – keine große Überraschung – als Kontaktperson der Fae in unserer Welt heraus und war bereit, der Lady eine Nachricht von uns zukommen zu lassen (sie schickte zu diesem Zweck eine kleine, beschworene Flamme los). Während wir warteten, kauften wir Christine auch noch einige nützliche Dinge ab: Roberto ein Buch und ich eine Feuerschutzsalbe. Falls die Lady Fire mal wieder mit mir spazieren gehen will. Meinen Armen hätte allerdings nicht mal die geholfen, fürchte ich. Au. Verdammt.

Nach einer Weile erschien nicht die Lady Fire, sondern eines ihrer Flammenkinder. Das meinte, seiner Herrin sei es gerade unmöglich, uns zu treffen, da sie das Ritual nicht unterbrechen könne. Was für ein Ritual? Na das aus meinem Buch, das, mit dem man Titania beschwört!

Äh. Wenn dieses Tagebuch ein Comic wäre, dann stünde jetzt hier eine Sprechblase mit drei Punkten drin, über einem gezeichneten Cardo, dem die Kinnlade heruntergeklappt ist.

Einen Moment lang war ich wortwörtlich sprachlos, während all die Implikationen durch mich hindurchrasten. Yolanda!! Aber das Ritual existierte doch gar nicht. Aber Lady Fire hatte ja schon bewiesen, dass sie nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden konnte. Wenn sie daran glaubte, es mit völliger Selbstverständlichkeit durchzog, dann existierte es vielleicht doch, und dann... Yolanda!

Aber das Feuerkind beruhigte mich (oder versuchte es. Hah.) Nein, nein, die Lady verwende nicht meine Schwester als Gefäß für Titania, sondern meine Tochter. O Dios. Noch schlimmer!
Das Flammenkind verschwand also mit meiner eindringlichen Bitte an Lady Fire, Alejandra zu verschonen, weil eine solche Prozedur irreparable Schäden bei einem Menschen hinterlassen könne.

O Dios. Dass wir sofort zu Pans Palast mussten, war klar. Aber der Weg dahin dauerte mir viel zu lange, und ich war froh, dass ich nicht selbst fahren musste. Das hätte unter Garantie einen Unfall gegeben. Und Robertos blöder Spruch von wegen „was musst du deine ausgedachten Rituale auch so ausführlich beschreiben!“ half da komischerweise irgendwie auch kein Stück.

Am Strand, aber schon im Nevernever, führte Edward ein Ritual durch, um George herbeizurufen – er hatte sich dessen Wahren Namen offensichtlich ebenfalls gemerkt. Der wollte natürlich wieder mal eine Gegenleistung... aber nachdem er schon die ganze Filmszene aus „Legende“ bekommen hatte, war ich nicht gewillt, und in meinem aufgewühlten Zustand vielleicht noch nicht mal fähig, ihm etwas Größeres zu geben als einen Muffin. Der tat immerhin noch nicht mal weh. Aber demnächst bekommt der kleine burro rohes Gemüse und Vollkornkekse, wenn das so weitergeht!

George führte uns wieder durch die Schatten, in ebenso undurchdringlicher Finsternis und mit ebenso beunruhigender Geräuschkulisse wie zuvor. Wir kamen in dem Bereich heraus, den wir schon kannten – und das erste, was wir bemerkten, war Kampflärm. Da war eine riesige Flammenwand, hinter der sich Lady Fires Wachen verschanzt hatten und sich gegen Ruiz und etliche von Pans Gefolgsleuten zur Wehr setzten. Uns hatte George glücklicherweise hinter der Feuerbarriere abgesetzt, zwischen dem Kampfgeschehen und Lady Fires Tür.

Auf unser Klopfen reagierte niemand, was uns aber nicht davon abhielt, den Raum trotzdem zu betreten. Und da wurde auch klar, warum wir keine Aufforderung zum Eintreten bekommen hatten: Die Lady Fire war beschäftigt. Damit beschäftigt, die Sommerkönigin herzubeschwören. In meine Schwester, wohlgemerkt, denn die stand mit in dem Kreis, mit resigniert-gefasst-entsetztem Gesichtsausdruck. Offensichtlich hatte Yolanda sich freiwillig bereiterklärt, an Alejandras Stelle zu treten, oder Lady Fire war auf meine Bitte hin selbst umgeschwenkt. Egal, wie es gewesen war, es musste aufhören!

Keine Ahnung, wie oft die Lady schon „Titania!“ gerufen hatte. Aber offensichtlich noch keine dreimal, denn noch war die Königin aller Sommersidhe nicht hier.
Ich wusste, es war vermutlich keine gute Idee, aber ich rief die Lady an, unterbrach ihr Ritual. Ich konnte und wollte einfach nicht zulassen, dass Titania in meine Schwester hineinfuhr und diese übernahm. Im Roman mochte das spannend gewesen und für Catherine Sebastian gut ausgegangen sein, aber das hier war eben kein Roman, verdammt!

Roberto und ich versuchten alle möglichen Argumente. Dass es nicht funktionieren würde, weil es ohnehin nur ausgedacht war, wie Totilas Lady Fire erklären wollte, stellten wir erst einmal hinten an, das würde die Feuerfae vermutlich nicht so schnell verstehen. Also lieber Gründe wählen, die ihr vielleicht logischer erscheinen würden. Dass eine solche Besessenheit Yolanda ziemlichen Schaden zufügen könnte. Dass Königin Titania vermutlich überhaupt nicht amüsiert darüber sein würde, einfach so weggerufen zu werden von was auch immer sie gerade tat. Überhaupt – es war Mittsommer: Vermutlich war das, was ihre Majestät gerade tat, sogar ziemlich wichtig für den Sommerhof!

Aber die Lady Fire war nicht zu überzeugen. Im Gegenteil: Sie war selbst verdammt überzeugend, als sie erklärte, dass die Übernahme Yolanda nicht schaden werde und dass das die einzige Möglichkeit sei, Pan und Ruiz in die Schranken zu weisen. Und dann sah sie mir in die Augen und bat mich, ihr zu vertrauen. O cólera. Verdammte Weiber und ihre treuen Rehaugen – selbst wenn selbige Rehaugen glühende Flammen sind und deren Besitzerin einem gerade am Tag zuvor die verdammten Handgelenke weggebrannt hat!

Ja, verdammt. Ich vertraute ihr.

Nur Yolanda... O Dios. Yolanda. Ich wäre ja selbst in den Kreis, hätte mich statt meiner Schwester von Titania besetzen lassen... aber ich war mir sehr sicher, dass die es noch viel weniger lustig finden würde, in einen Mann hineinzufahren.

Roberto hingegen... Roberto hat ja durch seine Santería-Zauberei Erfahrung mit solchen Übernahme-Geschichten. Und seine Santería-Schutzpatronin, Orisha oder wie die das nennen, ist ja, wenn ich das richtig verstanden habe, die Heilige Jungfrau Maria, und die hat ihn auch schon das eine oder andere Mal mit ihrem Geist erfüllt. Was vermutlich auch der Grund ist, warum Roberto diese, hm, ziemlich deutliche weibliche Seite hat (und auch ziemlich oft raushängen lässt), wenn ich mir das so recht überlege.

Jedenfalls betrat er, während ich noch zögerte, den Kreis und tat auch irgendwas, um sich selbst zum attraktiveren der beiden potentiellen Ziele darin zu machen. Und es gelang: Die Sommerkönigin fuhr tatsächlich in Roberto hinein.

In exakt diesem Moment ging die Tür wieder auf, und Pan und sein cabrón von Erstem Ritter stürmten herein. Ruiz hatte diese verdammten goldenen Pistolen in der Hand und wollte auf Titania schießen, aber der Sommerherzog fiel ihm in den Arm. Und dann sprach die Königin ein Machtwort, und alles hing sofort, und ich meine sofort, an ihren Lippen.

Ihre Majestät machte keinerlei Hehl aus ihrem Unmut darüber, einfach so herbeizitiert worden zu sein, aber darüber werde sie sich mit Lady Fire gesondert unterhalten, sagte sie. Als Lady Fire ihr den Grund für die Beschwörung nannte, erklärte Titania, sie habe keinerlei Lust, diese Entscheidung selbst zu treffen. Sie gebe diese statt dessen in die Hände der 'Ritter von Miami'... und zeigte auf uns bei diesen Worten. Überdies stehe es Pan an, sich bis zu der Entscheidung einen Ersten Ritter zu suchen, der für dieses hohe Amt besser geeignet sei – und außerdem sei es Mittsommer und der Winter im Begriff anzugreifen. Und mit diesen Worten verschwand sie. War einfach fort. Und wir standen da wie vor den Kopf geschlagen.

Hossa. Wir sind also jetzt die Ritter von Miami?!?

Ruiz wartete gar nicht ab, wie Pan jetzt reagieren würde, sondern haute einfach ab. Totilas wollte ihn daran hindern, aber der cabrón hatte noch immer seine Revolver in der Hand und setzte Totilas mit einem dieser Sonnenstrahlen außer Gefecht.

Ich gebe zu, ich war mehr als überreizt und nervös. Ich blaffte Pan an, er müsse doch jetzt endlich handeln. Das war nur dummerweise die völlig falsche Strategie, denn darauf reagierte der Sommerherzog nun gar nicht gut. Es war Edward – ausgerechnet! – der Pan davon überzeugte, dass Ruiz im Angesicht des Angriffs durch den Winter wie ein Feigling geflohen sei, während sein Lehnsherr ihn brauchte.

Soweit so gut. Der cabrón war also nicht mehr der Erste Ritter. Aber nun brauchte der Herzog einen neuen. Und dreimal dürft ihr raten, wer das wurde, Römer und Patrioten.

Alex war nach der Nacht im Krankenhaus zuhause geblieben, um sich zu erholen. Totilas war ausgeknockt. Roberto hatte noch ein wenig an den Nachwirkungen der Besessenheit durch Titania zu knabbern, und Edward war nach seiner Nacht mit Cherie auch nicht groß auf der Höhe. Außerdem hätten sich ihre speziellen Fähigkeiten nicht mit der Feenmagie vertragen, die ein Erster Ritter der Fae automatisch übertragen bekommt. Es ging nicht anders. Nur ich blieb übrig.
Ich leistete Pan also diesen Eid, den ein Erster Ritter seinem Lehnsherren leisten muss, aber mit dem Zusatz, dass es nur vorübergehend sein würde, bis wir einen Nachfolger gefunden und ich diesem friedlich das Amt übergeben hätte. Trotzdem war mir alles andere als wohl dabei. Aber ich war jetzt der Erste Ritter. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.07.2012 | 15:18
Ricardos Tagebuch: Summer Knight 5

Eigentlich hätte Pan jetzt jedes Recht gehabt, mich zum Krieg gegen den Winter abzukommandieren, aber glücklicherweise hielt er es doch für wichtiger, dass ich dem cabrón das Schwert und den Mantel wieder abjagen sollte, die dieser ja beide auf seiner Flucht mitgenommen hatte.

Ruiz hatte sich von den Oneirophagen wegbringen lassen, über die er ja noch immer die Gewalt besaß. George war als einziger nicht mit ihm mitgegangen, und so führte der uns jetzt – ohne Gegenleistung, man mag es kaum glauben, aber es ging ja auch um die Befreiung der Mutter – dem Verräter hinterher.

Wir landeten wieder in derselben alten Autowerkstatt. Aber diesmal hatte der cabrón kein wehrloses Opfer, an dem er sich vergehen konnte. Statt dessen trafen wir auf eine wüste Schälgerei: Marshal Dee hatte offensichtlich schon auf ihn gewartet und ihn konfrontiert.

Natürlich konnten wir sie nicht alleine gegen den Mistkerl kämpfen lassen, sondern sprangen ihr zur Seite. Mit seiner absolut selbstsicher vorgetragenen Behauptung, wir hätten die Traumfresser-Mutter schon befreit, konnte Totilas Ruiz immerhin so lange verwirren, dass Edward versuchen konnte, dem cabrón die Waffen abzunehmen. Die Pistole konnte er ihm auch entreißen, das Sommerschwert aber dummerweise nicht. Mit dem ging Ruiz auf mich los, und ich hatte alle Mühe, seinen Angriffen auszuweichen. Immerhin machte er sich so gegenüber Dee verwundbar, der es gelang, Ruiz einen wohlplatzierten Tritt gegen das Kinn zu verpassen. Der cabrón fiel um wie ein Sack Reis, war sofort außer Gefecht. Dennoch hätte sie noch weiter auf ihn eingeprügelt und ihn vielleicht sogar totgeschlagen, wenn nicht Roberto und Edward eingegriffen hätten. Vor allem von Roberto ließ sie sich zurückhalten, denn der wirkte nach seiner Übernahme durch Titania noch immer sehr weiblich, und auf Männer war Marshal Dee in diesem Moment gar nicht gut zu sprechen. Was ich verstehen konnte, mich aber irgendwie auch ziemlich frustrierte. Mierda.

In diesem Moment, als der Kampf vorüber war und Ruiz am Boden lag, bemerkte ich auch erst, dass meine Handgelenke gar nicht mehr wehtaten. Und als ich vorsichtig unter die Verbände linste, waren die Brandwunden tatsächlich verheilt. Hatte es also doch einen Vorteil, der Erste Ritter eines Sommerherzogs zu sein. Nur die Narben waren noch da. Aber das wäre ja auch zu viel zu erwarten gewesen.

Jetzt, wo Ruiz außer Gefecht war, nahm ich ihm das Schwert und den Mantel des Ersten Ritters ab, während Totilas ihm den Schlüssel vom Hals zog. Dee versprach uns, dass sie sich wieder unter Kontrolle hatte und auf den cabrón aufpassen würde, bis der Krankenwagen kam und sie ihn den Behörden übergeben konnte.

George brachte uns indessen zu seiner Königin, wo Totilas das magische Schloss öffnete. Man konnte der Ober-Oneirophaga richtiggehend die Erleichterung anmerken, ganz gleich wie fremdartig sie war, allein daran, wie sie sich im Moment ihrer Befreiung genüsslich ausdehnte, gewissermaßen ihre Wolkenform reckte und streckte. Und sie war unglaublich fremdartig. Denn in ihrem Recken und Strecken dehnte sie sich derart aus, dass sie auch über uns hinwegfloss, uns in ihre Präsenz einhüllte, und das war... Madre mia. Sehr, sehr eigenartig und überhaupt nicht angenehm.
Aber es dauerte nur einen Moment lang, dann zog sie sich wieder zusammen und verschwand durch die Risse im Boden, vermutlich zurück zum Äußeren Rand, wo sie eigentlich hingehörte.

Als wir zu Pans Palast zurückkamen, war die Auseinandersetzung Sommer gegen Winter in vollem Gange. Das passierte vor allem draußen am Strand, wo die Sturmkinder Tanits Drohung wahrmachten und Pans Streitmacht einen mehr als heftigen Denkzettel verpassten. Dem gingen wir lieber aus dem Weg (nicht dass Pan noch auf die Idee kam, sein neuer Erster Ritter könne sich jetzt, wo Ruiz erledigt war, doch noch an dem Kampf beteiligen) und verzogen uns auf die reale Seite des Strandes.

Denn unterwegs hatten wir darüber nachgedacht, wer sich wohl als mein Nachfolger in Pans Diensten eignen würde, und hatten aus unterschiedlichen Gründen Sir Anders und Marshal Dee verworfen. Aber wie wäre es mit dem Surfer, der uns sein Handy geliehen hatte?
Wir fanden den Jungen tatsächlich am Strand, und nach ein wenig Überzeugungsarbeit erklärte er sich auch dazu bereit, den Job anzunehmen. Puuuuh. Erste Hürde geschafft.

Aber es stand ja auch noch unsere Entscheidung über den Sommerherzog von Miami aus. Wir waren uns alle einig, dass Lady Fire es nicht sein konnte. Ja, sie hatte uns geholfen, und ja, wir waren ihr sehr dankbar dafür, dass sie uns befreit hatte und alles, aber sie war einfach zu weltfremd, zu... feeisch. Sie würde die Stadt ins Chaos reißen und es nicht einmal merken. Die unglaubliche Hitzewelle, die allein durch ihre Gegenwart in der Stadt ausgelöst worden war, zeigte das schon allzu deutlich.

Wir bestätigten Pan also im Amt, was Lady Fire mit extremem Missfallen quittierte und beleidigt mit ihrem Gefolge aus der Stadt abzog. Cólera. Ich hoffe, sie ist nicht nachtragend, aber ich befürchte ganz anderes. Und ich habe ihr ja auch noch ein Exemplar von Faerie Storm versprochen, sobald es fertig ist... O madre mia, ayudame. Wie ich ihr das zukommen lasse, und wie dann die Begegnung mit ihr wird, muss sich zeigen. Um es in Comic-Sprache zu sagen, schluck.

Colin, der Surfer, trat übrigens tatsächlich meine Nachfolge an. Dazu musste er mich natürlich in einem Duell besiegen. Wir wählten ‚Waffen‘, und als Waffen die bloßen Hände. Sprich, wir spielten schlag-die-Hand-und-zieh-sie-weg, und irgendwann schaffte ich es auch, die Hände an Ort und Stelle zu lassen, so dass Colin sie treffen konnte. Dann gab ich Mantel und Schwert ab, und Colin sprach den Eid, und damit war die Episode ‚Cardo ist Pans Erster Ritter‘ gegessen. Puuuuuh.

Die Feuerkinder hatten indessen auf Alejandra und Yolanda aufgepasst und sie von der Auseinandersetzung ferngehalten. Alejandra war nur am Schwärmen über ihre tollen neuen Freunde, die brennen konnten und soooo nett waren. Ich hoffe, ich konnte ihr trotzdem im Nachgang ein wenig Vorsicht gegenüber Feen einimpfen... Aber dass es sie gibt, das weiß sie jetzt. Naja, vielleicht vergisst sie das auch wieder. Sie ist immerhin erst vier.
Nur Yolanda wird das so schnell nicht vergessen. Die war ziemlich geschockt von ihrer plötzlichen und so unangenehmen Begegnung mit dem Übernatürlichen. Es wird sich wohl erst noch zeigen, ob sie akzeptiert oder verdrängt. Aber mein Schwesterchen ist zäh, die wird sich schon durchbeißen, hoffe ich.

Und Dee hat die Stadt wieder verlassen, ihr Auftrag ist ja erledigt. Ehe sie abfuhr, rief sie kurz an. Das fand ich nett.

Oh, und ein Gutes scheint die ganze mierda immerhin gehabt zu haben. Denn es ist so viel passiert, dass mir schon wieder ein paar Ideen gekommen sind. Es scheint, meine Schreibblockade ist vorüber, Römer und Patrioten.

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04. Juli. Unabhängigkeitstag. Aber deswegen schreibe ich gar nicht. Sondern deswegen, weil George mich in letzter Zeit ab und zu im Traum besucht. Das ist irgendwie cool. Er frisst auch gar nichts, zumindest nicht, dass ich es merken würde, aber wir unterhalten uns im Traum, weil er da ja reden kann. Er ist jetzt anders als die anderen Oneirophagen, ist der einzige, der einen Namen hat, und fühlt sich etwas einsam, glaube ich. Aber ich freue mich ja, wenn er mich besuchen kommt. Und er ist mein Freund.

Ich habe George auch danach gefragt, ob er und seine Freunde vielleicht etwas von dem Material, das sie Alison und den anderen weggefressen haben, an sie wiedergeben könnte. Denn noch konnten wir den Opfern ja nicht helfen, und wenn da nicht bald etwas passiert, werden sie daran zugrunde gehen, fürchte ich.

Dummerweise meinte George, wieder ausspucken ginge nicht, das Zeug sei alles weg. Aber er hat mich auf eine Idee gebracht. Er fragte mich nämlich, warum ich nicht einfach wieder was in die Leute reintäte, ich sei doch so gut darin, Zeug in Sachen reinzutun. Hmmm. Ich alleine sicher nicht, aber... hmmmm. Mal mit den anderen reden.

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10. Juli

Es hat geklappt. Gracias a Dios, es hat geklappt. Ich weiß nicht genau, was Edward da genau für ein Ritual abgezogen hat, aber wir haben uns alle daran beteiligt, und es klappte. Ich schrieb ein Skript, um die Träume wieder anzustoßen. Roberto lieferte die ganzen Materialien, die benötigt wurden. Alex fand den Platz, wo es am besten stattfinden konnte, und Totilas versetzte die Opfer in einen angemessen entspannten Zustand. Und bei Edward lief wie gesagt alles zusammen, der führte das Ding durch. Madre mia, was bin ich erleichtert.

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16. Juli

Die Wohnungsrenovierung soll auch demnächst abgeschlossen sein, hat man mir versichert. Gut... so langsam bin ich die Baustelle leid.

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27. Juli

Dee hat angerufen. Ruiz ist in ein Koma gefallen, sagte sie, und es sieht nicht so aus, als werde er je wieder zu sich kommen. Ich bin ja sonst kein rachsüchtiger Typ, aber. Geschieht ihm recht. Geschieht ihm recht.

Dee meinte auch, sie werde sich melden, wenn sie wieder mal in der Stadt sei. Das würde mich freuen. Und wie.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 25.07.2012 | 18:50
Ach, schöööön.  :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.07.2012 | 10:57
Nur wieder sehr, sehr lang. Und ich dachte eigentlich, am Sonntag sei weniger passiert. :)

Sorry... ich kann mich einfach nicht kurz fassen. Geht nicht.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Gorai am 26.07.2012 | 18:58
Nur wieder sehr, sehr lang. Und ich dachte eigentlich, am Sonntag sei weniger passiert. :)

Sorry... ich kann mich einfach nicht kurz fassen. Geht nicht.

Danke für die Einblicke von Ricardos Tagebuch ! :d Ich finde es nicht zu lang  ;D :d


Wie lange spielt Ihr eigentlich immer?

Sprichst Du eigentlich privat viel spanisch oder woher hast Du die vielen spanischen Phrasen ?
Magst Du mir vielleicht von den geläufigen, vielleicht auch nur per PN eine Übersetzung bereit stellen?

Warum ist Ricardo nicht ein ständiger Berater der Polizei, ähnlich wie bei der Fernsehserie "Castle"?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.07.2012 | 21:01
Danke für die Einblicke von Ricardos Tagebuch ! :d Ich finde es nicht zu lang  ;D :d

Dann ist ja gut. :D Ich bin einfach eine unverbesserliche Labertasche, das habe ich schon in so vielen meiner Diaries gemerkt. :P

Zitat
Wie lange spielt Ihr eigentlich immer?
Meistens kommt die ganze Bande samstags mittags so gegen 13:00, 14:00 Uhr an. Ehe wir anfangen, dauert es dann meist noch so eine bis zwei Stunden, und dann spielen wir bis abends gegen 22:00, 23:00, unterbrochen von einem gemeinsamen Abendessen.

Am Sonntag geht es dann gegen 11:00 mit einem gemeinsamen Spätstück los, da wird es also auch meistens etwa 13:00, bis wir losspielen. Sonntags machen wir aber früher Schluss, meist so gegen 17:00 Uhr.

Aber dafür spielen wir ja auch nur alle paar Monate mal, da lohnt sich das mit dem langen Wochenende.

Zitat
Sprichst Du eigentlich privat viel spanisch oder woher hast Du die vielen spanischen Phrasen ?
Hihi nee, aber ich kann mich ein bisschen durchbluffen. Kommt vermutlich von berufs wegen. Diplom-Dolmetzgerin und Übelschwätzerin und so. :)

Zitat
Magst Du mir vielleicht von den geläufigen, vielleicht auch nur per PN eine Übersetzung bereit stellen?
Klar doch. Kein Problem.
Hmm. Mal sehen.

Gracias a Dios: Gott sei Dank
Madre mia: Meine Mutter (wortwörtlich) ≈ Heilige Mutter Gottes (Bedeutung)
ayudame: hilf mir
cólera: Cholera (als Schimpfwort verwendet)
mierda: Scheiße
cabrón: Mistkerl (richtig krudes Schimpfwort)
muy sospechoso: sehr verdächtig
el mejor amigo de Duque Pan: der beste Freund von Herzog Pan
burro: Esel
considerame impresionado: Man halte mich für beeindruckt.

Hab ich was vergessen? Wenn ja, schrei einfach. :)

Zitat
Warum ist Ricardo nicht ein ständiger Berater der Polizei, ähnlich wie bei der Fernsehserie "Castle"?

Naja... er ist natürlich schon ursprünglich aus der Castle-Idee entstanden. Das sieht man ja schon am Namen. Aber offizieller, ständiger Polizeiberater zu sein, würde nicht passen. Warum wär ers, aber die anderen nicht? Er hängt ja so schon genug mit Edward rum, als INoffizieller Polizeiberater gewissermaßen. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 26.07.2012 | 21:23
Warum ist Ricardo nicht ein ständiger Berater der Polizei, ähnlich wie bei der Fernsehserie "Castle"?

Die ganz einfach Antwort darauf ist: Weil Edward ihn freiwillig mitnimmt. :)

Sonst würde irgendein höhergestellter Fan schon dafür sorgen, dass er dabei sein darf.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Edward Fu am 26.07.2012 | 22:01
Es hat nur Vorteile Cardo mitzunehmen. Im zwischenmenschlichen Bereich ist der viel besser, als Edward. Und er ist Edwards bester Freund (ok, das wäre fast schon ein Grund, ihn nicht mit zu nehmen ;) )
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.09.2012 | 14:54
Ricardos Tagebuch: Death Masks 1

Wo sind wir da nur wieder reingeraten? Ich meine, ich habe mich ja schon daran gewöhnt, dass abgefahrener Kram passiert. Aber so abgefahrener Kram? Madre mia.

Eigentlich fing alles mehr oder weniger normal an. Wir saßen im Dora's (das sich übrigens in letzter Zeit etwas verändert hat. Irgendwie ist es 'grüner' geworden, nur noch Bio-Zutaten, FairTrade-Kaffee, all diese Dinge, und die Klientel besteht seit einer Weile auch mehr aus Angehörigen der umweltbewussten Szene denn aus Cops. Ich kann aber nicht sagen, dass mich das stören würde. Die neuen Donuts schmecken richtig lecker, und die hausgemachten Bagels mit Rührei und Lachs erst...), als ein Kerl, der seiner Kleidung und seinem unsicheren Gebaren nach offensichtlich aus den Glades stammte, hereinkam, sich umschaute und dann relativ zielsicher an unseren Tisch kam. Ob wir die 'schönen Männer' seien. Grrrrrr.

Und Roberto bejahte das auch noch. Soll er doch für sich selbst sprechen, verdammt. Wie dem auch sei, der Mann hatte offensichtlich gefunden, wen er suchte, und stellte sich jetzt als Samuel Elder vor. Ja, einer von den Elders. Dem Werkrokodils-Clan aus den Glades. Cousin oder Onkel oder sowas von Selva Elder von der Waystation, dem neutralen Boden da draußen, wo damals die Auktion über die Sturmkinder abgehalten wurde.

Dieser Samuel Elder jedenfalls meinte, er hätte gehört, wir würden Leuten helfen. Was uns erst einmal gehörig blinzeln ließ. Wie und wann zum Geier ist das denn nun aufgekommen? Na, von mir aus. Es stimmt ja sogar irgendwie. Vor allem, wenn der Mensch, der da ankommt, so.. hm... hilflos wirkt wie Samuel in diesem Fall.

Seine Nichte Ilyana mache ihm Sorgen, sagte er. Die sei vor ein paar Wochen in die Stadt gegangen und nicht wiedergekommen, habe sich mit den Santo Shango eingelassen, aber sie gehöre nun mal in die Glades, die große Stadt und vor allem die Santo Shango seien nicht gut für sie. Ob wir mal versuchen könnten, mit ihr zu reden.

Na von mir aus. Versuchen konnten wir es ja tatsächlich mal, nur versprechen konnten und wollten wir nichts. ... Was sich dann auch als durchaus vernünftig herausstellte, denn wir bekamen Ilyana bei den Santo Shango nicht mal zu sehen.

Wir beobachteten deren Hauptquartier eine Weile, ehe wir Aufmerksamkeit erregten und eine, jetzt hätte ich fast 'Audienz' gesagt, aber das Wort trifft es eigentlich gar nicht so schlecht, bei Cicerón Linares erhielten. Glücklicherweise haben wir ja bisher keinen Grund, uns mit dem anzulegen, bzw. er sich mit uns, und so verlief das Gespräch ganz friedlich. Friedlich, aber unzufriedenstellend.

Es sei unmöglich, mit Ilyana zu reden, erklärte Cicerón, denn die werde gerade zur Priesterin ausgebildet. Das Ritual, das gerade durchgeführt werde, dauere ein paar Tage und dürfe nicht unterbrochen werden. Wenn dieser Schritt abgeschlossen sei, könnten wir zu ihr. Mierda.

Der Santo Shango hatte aber noch weitere Neuigkeiten, eine so beunruhigend wie die andere. Die Masken von Yansa, Oshun und Eleggua seien aufgetaucht, erklärte er mit bedeutungsschwerer Stimme und einem mindestens ebenso bedeutungsschweren Blick zu Alex und Roberto. Den beiden sollte das also offensichtlich etwas sagen, und tat es auch, wenn ich mir deren Reaktion so ansah. Anders als mir. Okay, Oshun und Eleggua sind diese Santería-Orishas, und Oshun ist Robertos Schutzpatronin und Eleggua der 'Auftraggeber' von Alex. Soweit wusste ich das natürlich schon. Und Yansa, erklärten sie mir später, sei eine Orisha der Stürme und des Kampfes. Die Masken, bekam ich gesagt, existierten seit Jahrhunderten und erlaubten es ihrem Träger, die Macht der jeweiligen Orishas zu kanalisieren und zu nutzen, ohne es dem Orisha selbst zu erlauben, den Körper des Praktizierers zu übernehmen.

Klingt irgendwie nicht sonderlich christlich, wenn ich mir das so überlege. Ich hatte das bis dahin immer so verstanden, dass Robertos Schutzheilige die Jungfrau Maria ist, die ihn mit ihrem Geist erfüllt. Naiv, Alcazár, unfassbar naiv. Genug der Selbstverleugnung. Du hattest das so verstehen wollen. Zwei deiner Freunde betreiben Voodoo, auf die eine oder andere Weise. Gesteh es dir ein. Werd damit fertig. Ich meine, einer deiner Kumpels ist ein Vampir, um Himmels Willen. Und dein bester Freund ist eine Art Werwolf, wo wir schon mal dabei sind. Padre en el cielo, vergib uns allen unsere Sünden.

Jedenfalls. Diese Loa-Masken, die seit Jahrhunderten bei ihren jeweiligen Priesterschaften aufbewahrt wurden, und zwar hochgeheim, damit sie nicht in falsche Hände geraten sollten, sind offensichtlich entwendet worden. Oder jedenfalls aus der Versenkung aufgetaucht. Irgendwer habe seinen Mund nicht halten können über die Masken.

Linares deutete auch noch an, dass er ein großes Interesse an der Yansa-Maske habe, und wenn wir ihm die brächten, könne er sicherlich dafür sorgen, dass wir mit Ilyana reden könnten. Hah. Unglaublich mächtige Voodoo-Maske gegen ein paar Minuten Gespräch? Von wegen. Na gut, räumte Cicerón dann ein, davon sei er auch gar nicht ausgegangen, aber es könne ja nichts schaden, sein Interesse an dem Ding mal so ganz grundsätzlich zu bekunden. Doppel-Hah.

Außerdem erzählte er noch, dass die Orunmila Probleme mit dem White Court hätten. Und das, Römer und Patrioten, beunruhigte Roberto und Totilas, und per Definition somit auch uns andere, fast noch mehr als die Geschichte mit den Masken. Denn wenn die Orunmila Ärger haben, warum wusste Roberto dann nichts davon, der relativ eng mit ihnen zu tun hat? Und wenn es Probleme mit dem White Court sind, warum war Totilas dann nicht darüber im Bild? Sehr seltsam, das alles.

Es hatte sich jedenfalls nicht nur um einen Einzelfall gehandelt, berichtete Linares weiter, sondern es hatte mehrere Vorfälle gegeben, und bei allen waren Bewaffnete aufgetreten, die an ihrer Verbindung zum White Court keinen Zweifel gelassen hatten. Sie hatten schwarze, paramilitärische Uniformen getragen und waren alle an einem Armband mit einem Symbol darauf zu erkennen gewesen. So war vor einigen Tagen eine Botánica überfallen und verwüstet worden. Gestern oder vorgestern hatten dieselben Typen an einer Bushaltestelle ein paar Jugendliche aus dem Viertel verprügelt, und gerade heute hatte ein Haus gebrannt.

Wir gingen diesen Spuren natürlich nach, gar keine Frage. Zuerst kontaktierte Edward seine Dienststelle und ließ sich den Tathergang und die Täter, soweit bekannt, beschreiben. Das Symbol auf den Armbändern war Totilas bekannt: es war eine stilisierte Version des Wappens von Haus Raith.
Dann sprach Edward mit einem seiner Bekannten bei der Feuerwehr, der uns zu dem Brand folgendes sagen konnte: Das Feuer sei durch Brandstiftung entstanden; laut Zeugenaussagen habe eine rothaarige Frau Brandsätze geworfen. Oder zumindest müssten es Brandsätze gewesen sein, auch wenn noch keine Spuren von Brandbomben oder ähnlichem hätten gefunden werden können. Menschen seien bei dem Brand aber keine zu Schaden gekommen, weil die Frau vorher alle Bewohner aus dem Haus gejagt habe. Immerhin, eine Brandstifterin mit Skrupeln. Und vermutlich sogar eine magisch begabte Brandstifterin mit Skrupeln, zumindest deuteten darauf die fehlenden Spuren von Brandsätzen gleich welcher Art.

Rothaarige Flammenmagierin... Na, wer fiel dem Cardo wohl als erstes dazu ein? Nicht gut, Römer und Patrioten. Gar nicht gut. Bei der Vorstellung ging mir gehörig der Arsch auf Grundeis, wenn ich das mal so krude ausdrücken darf. Aber eine Beschreibung der Dame ergab, dass es nicht Lady Fire war. Und Christine, ihr mundanes Sprachrohr aus dem „Fiery Places“, konnte es auch nicht sein. Den Stein von meinem Herzen konnte man bestimmt noch in Orlando poltern hören. Übrigens hatte die Frau, als sie die Leute aus dem Haus scheuchte, laut und deutlich „schöne Grüße von Gerald“ bestellt. Mierda.

Totilas rief also sofort seinen Großvater an, der allerdings energisch abstritt, dass der White Court den Orunmila Ärger machen wolle, und seinen Enkel damit beauftragte, sich weiter um die Sache zu kümmern.

Als nächstes suchten wir die Jugendlichen an dieser Bushaltestelle auf und bekamen von denen bereitwillig erzählt, was sich zugetragen hatte. Einer der Jungen war gerade hinter einem Baum gewesen, als die Schlägertypen auftauchten, und war klugerweise außer Sicht und den Kerlen hinterher auf den Fersen geblieben. Er verfolgte sie bis zu einer Nobelkarosse, wo die Typen sich mit einer „umwerfend scharfen Braut“ trafen, mit dunklen, knapp schulterlangen Haaren und „coolen silberfarbenen Kontaktlinsen“, die der Junge sehen konnte, nachdem die Frau einen langen Moment mit dem Anführer der Schläger herumgeknutscht und diesem offensichtlich den Atem geraubt hatte, so sehr wie dem die Knie weich wurden. Nach dieser Zeugenaussage war für uns klar: Die scharfe Braut war eindeutig eine White-Court-Vampirin. Zum Glück hatte der Junge sich auch das Nummernschild merken können. Das zugehörige Fahrzeug, konnte Edward über seine Polizeikontakte in Erfahrung bringen, gehörte zum Fuhrpark des Raith-Clans. Eine weitere Info, die Totilas seinem Großvater zukommen lassen konnte.

Wir gingen indessen die Orunmila aufsuchen. Immerhin dreht sich diese ganze mierda um sie. Wir fanden Macaria Grijalva im Gemeindehaus des Viertels, wo diese gerade im Gespräch, oder besser heftigem Disput, mit zwei Männern war, die Roberto uns als Mit-Älteste der Santería-Gemeinschaft ausdeutete. Um was es ging, konnten wir nicht hören, aber ich vermute mal, um eben genau die jüngsten Ereignisse. Macaria selbst war recht kurz angebunden zu uns, erklärte aber, dass der White Court es wohl wegen der „Sache in Fort Lauderdale“ abgesehen habe. Was genau in Fort Lauderdale passiert sei, sagte sie nicht, irgendein Kampf, irgendeine Auseinandersetzung, und dabei seien angeblich die Orunmila den weißen Vampiren in den Rücken gefallen. Was nicht stimme, erklärte Macaria mit Nachdruck. Aber die Gerüchte gebe es eben, und seither auch die Übergriffe des White Courts. Und ja, die Orunmila haben irgendwelche Beziehungen zu den Raiths, ganz aus der Luft gegriffen ist die Verbindung also nicht. Nur eben das mit dem Verrat, sagte Macaria. Bezüglich der Loa-Masken bestätigte sie uns etwas widerwillig, dass deren Verbleib tatsächlich nicht länger im Dunklen liege. Angel Ortega, Robertos Spezialfreund von der Sache mit dem Geisterbiest, habe ausgeplaudert, dass die Masken bei den Orunmila in Verwahrung liegen. Und nun sei natürlich die ganze Welt hinter den Dingern her. Und Angel wegen dieser Indiskretion bis auf Weiteres von den Orunmila ausgeschlossen. (Was Roberto, nicht sonderlich überraschend, ein kleines, schadenfrohes Grinsen entlockte.)

Totilas wurde übrigens von den Leuten im Viertel ziemlich sofort als weißer Vampir erkannt und entsprechend finster betrachtet, und er bekam auch mehr als ein Schimpfwort ab. Nur gewalttätig wurde es nicht. Zum Glück. Aber weil es vermutlich nicht sonderlich gesund für unseren Raith-Kumpel gewesen wäre, so lange in Little Cuba herumzuhängen, bis es vielleicht doch zu Tätlichkeiten kam, traten wir lieber den Rückzug an. Alex hatte einen Kumpel, der sich unglaublich gut aufs Zeichnen verstand und der nach den Beschreibungen der Mieter des abgebrannten Hauses ein Phantombild von der feuerhaarigen Brandstifterin erstellte.

Keinem von uns sagte die Frau auf dem Bild etwas – nur Roberto. Und der kannte sie auch noch, weil sie tatsächlich eine Verwandte von ihm war. Eine Cousine, um genau zu sein, Ximena O'Toole. Deren Mutter, Robertos Tante, hatte einen Iren geheiratet, deswegen die schräge Namenskombination. Und deswegen auch die Haare, vermutlich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.09.2012 | 14:57
Ricardos Tagebuch: Death Masks 2

Ximena O'Toole – dieser Name hatte auch auf der Liste gestanden, die Spencer Declan uns damals bei der Sache mit den Kojanthropen erstellt hatte, als es darum ging, wer in der Stadt alles mächtig genug war, um dieses Ritual abzuziehen. Wir hatten uns mit ihr nur nie beschäftigt, weil sich dann ja recht schnell herausstellte, dass Angel versehentlich das Biest gerufen hatte und wir die Liste nicht weiter abklappern mussten. Tssss. Dieser Roberto. Hätte er ja schon damals mal einen Mucks tun können, dass ihm der Name etwas sagte.

Aber jedenfalls war diese Verbindung insofern von Vorteil, als Roberto über seine Eltern leicht an Ximenas Adresse und Telefonnummer kam und dann einfach kurzerhand bei seiner Cousine anrief.
Das Gespräch das wir am Lautsprecher mitbekamen, war höchst amüsant. Es war nämlich ein klassischer Fall von Missverständnis. Roberto kam überhaupt nicht dazu, sein Anliegen vorzubringen, denn er wurde sofort mit einem „Ach, du bist bestimmt der neue Spieler! Du spielst einen Zwerg, richtig? Heute abend um acht geht’s los“ überfahren.
Roberto, völlig überfordert, sagte nur ein paarmal „ja, ja, okay, ist gut, bis dann“ und legte auf. Seiner verblüfften Miene nach hatte er noch nie Arcanos gespielt, deswegen erklärte ich erst mal ein wenig, vor allem, weil der Begriff „Rollenspiel“ ihn und Totilas zunächst in eine völlig andere Richtung denken ließ. Seufz.

Danach beschlossen wir, dass ich an Robertos Stelle am Abend zu der Session gehen würde, weil ich auf der Uni früher regelmäßig Arcanos gespielt habe und den „neuen Spieler“ glaubwürdiger würde geben können als Roberto, der ja Pen&Paper-Rollenspiel noch gar nicht kennt.

Aber bis dahin war noch etwas Zeit, und so fuhren wir erstmal raus zu Jack in der Kommune, ob der uns vielleicht etwas mehr über die ganze mierda sagen konnte. Von den Loa-Masken wusste er selbst nicht so viel, aber Voodoo ist ja auch nicht so wirklich White Eagles Spezialgebiet. Ximena O'Toole hingegen kannte er als Magie-Wirkerin, nicht ganz auf White Council-Niveau, aber auch nicht so schlecht. Eigentlich ziemlich cool drauf, meinte er, nur in letzter Zeit habe sie ziemlich abgedreht. Hm. Okay. Also mit etwas Vorsicht zu genießen, die Dame. Als ob das aufgrund ihrer letzten Tätigkeiten in Sachen Häuser anzünden nicht ohnehin schon klar gewesen wäre.

Die Spielsession fand bei einem Kommilitonen von Ximena statt. Außer mir waren da noch vier andere Spieler, Ximena die einzige Frau darunter. Es gab etwas Verwirrung, weil anscheinend ausgemacht gewesen war, dass als fünfter Mitspieler ein Mädchen rekrutiert werden sollte, und ein Mädchen bin ich ja nun mal definitiv nicht. Darüber war einer der Jungs, Cole mit Namen, ziemlich angepisst, während ein weiterer Mitspieler, Gary, mich sofort erkannte, als ich zur Tür reinkam, und fast einen Herzinfarkt bekam. Da habe ich wohl einen ziemlichen Fan von mir getroffen... Das freute mich natürlich einerseits, aber andererseits wollte Gary die ganze Zeit mit mir über meine Bücher reden. Ich versuchte, das so gut wie möglich abzublocken, immerhin waren wir für Arcanos da und nicht für Das Eric Albarn RPG, aber es ging so weit, dass der Spielleiter Gary ermahnen musste, das OT-Geblubber doch bitte auf hinterher zu verschieben.

Ximena war auch ziemlich auf Krawall gebürstet. Als sie rausbekam, wer ich bin, machte sie mir erstmal Vorwürfe, ich hätte meine gesamten Eric-Plots bei einem gewissen Grant Walton abgeschrieben. Und dabei kenne ich diesen Grant Walton noch nicht mal. Memo an mich: mal was von dem lesen und sehen, ob er meinen Sachen wirklich so sehr ähnelt. Ihre Sticheleien wurden den ganzen Abend über auch nicht viel besser, selbst nachdem wir ins in-game gegangen waren. Aber das lag vielleicht daran, dass sie eine Elfin spielte und ich eben, wie gesagt, einen Zwerg, da gehören so launige Streitigkeiten einfach dazu. Spaß gemacht hat es jedenfalls.

Als der Spielabend rum war, bot ich Ximena an, sie heimzufahren, in der Hoffnung, noch etwas mehr von ihr erfahren zu können, aber sie war mit dem Fahrrad da und wollte sich nicht unbedingt zu mir ins Auto setzen. Klar. Wenn sie so magisch begabt ist, wie sie es zu sein scheint, dann ist moderne Technik vermutlich schon ziemlich anfällig bei ihr. Und James hat ja nun mal einen Bordcomputer und auch sonst alle mögliche Elektronik in sich, die sie hätte zerschießen können.

Aber wie wir da so vor dem Haus standen, fragte sie mich rundheraus, ob ich zu den 'schönen Männern' gehören würde. Gah. Nicht sie auch noch. Verdammt. Naja, wirklich abstreiten konnte ich das nicht, zumindest nicht die Tatsache, dass ich mit den anderen Jungs zusammenhänge und dass irgendwie diese verdammte Bezeichnung an uns hängengeblieben ist. Jedenfalls meinte sie, als ich es ihr brummelnd bestätigt hatte, wenn wir mal Hilfe brauchen würden oder einen Auftrag vergeben wollten, sie sei da. Und gab mir ihre Karte. Dass da nicht „Mage for Hire“ draufstand, war noch alles. Auf den Hausbrand sprach ich sie noch nicht an. Erstmal mit den anderen reden und Bericht erstatten. Was ich am nächsten Morgen dann gleich tat.

Gerald Raith hatte inzwischen etwas über das Autokennzeichen herausgefunden, das Totilas ihm durchgegeben hatte. Es gehört zu der Limousine, die seine Mutter Camerone regelmäßig nutzt. Camerone Raith, die sich mit ihrem Sohn Gerald so überhaupt nicht versteht. Camerone Raith, die letztes Halloween beinahe mit Roberto rumgemacht hätte. Die Camerone Raith. Yay.

Also ab ins Biltmore Hotel, wo die Lady ja, wie fast alle anderen Raiths auch, seit über einem Jahr ihre Residenz aufgeschlagen hat. Oder besser hatte. Denn Camerone war nicht mehr da, als wir ankamen. Hatte ihre Suite zwar noch gebucht, aber war schon seit einigen Tagen nicht mehr dort gewesen. Mierda.

Nachdem wir jetzt von Camerone wussten, kontaktierte ich Ximena und bat um ein Treffen. Dabei gestand ich ihr dann, dass ich am vorigen Abend nicht ganz so zufällig zu der Spielgruppe gestoßen sei (was sie erwartungsgemäß nicht sonderlich überraschte). Sie gab zwar nicht zu, den Brand in dem Haus gelegt zu haben, noch wer ihre Auftraggeberin gewesen war, aber mit einer Reihe „wenn“ und „angenommen“ und „hypothetisch“ von beiden Seiten wurde es doch relativ klar, dass sie das Feuer zu verantworten hatte. Sie erklärte sich bereit, ihrem Auftraggeber eine Nachricht zu überbringen, war aber ansonsten sehr schweigsam und sagte nichts, fühlte sich offensichtlich ihrer Berufsehre verpflichtet. Unsere Warnung, sie solle sich nicht mit so riskanten Sprüchen wie „ich bin genauso gut wie Declan – nur billiger!“ mit dem Warden anlegen, tat sie mit einem Schulterzucken ab. Wenn Declan sich mit ihr anlegen wolle, solle er es nur versuchen. Dann werde man ja sehen, was dabei rauskäme. Hossa. Mutig. Ich meine, wir werden sie bestimmt nicht an Declan verraten, aber sowas könnte trotzdem schneller bei ihm ankommen, als ihr lieb ist.

Da wir keine Ahnung hatten, wie lange es dauern würde, bis Ximena mit Camerone redete und ob Totilas' Urgroßmutter überhaupt mit uns würde reden wollen, wie erbeten, beschlossen wir, selbst nach ihr zu suchen. In ihrem Hotelzimmer waren ja noch die meisten ihrer Sachen, darunter auch ein Paar Schuhe, das sie offensichtlich vor kurzem getragen hatte und mit dem Edward ein Suchritual abhalten konnte, das uns zu ihr führte.

Die Spur führte in das Gemeindehaus in Little Cuba, in dem wir zuvor schon mit Macaria Grijalva gesprochen hatten. Dort geriet Roberto in ein religiöses Streitgespräch mit einem padre, der gegen die Santería wetterte und versuchte, Roberto davon zu überzeugen, dass dessen Weg der falsche war. So ganz in den Kleidern stecken blieb dem der Sermon offensichtlich nicht, denn er wirkte hinterher sehr nachdenklich. (Und ich muss dem padre ja recht geben. Christlich ist das, was Roberto da treibt, keinesfalls.)

Wir schlichen uns jedenfalls rein, um zu lauschen. Das ging nicht so lange gut: Sie erwischten uns und warfen uns hochkant raus. Aber nicht, ehe wir hörten, wie Camerone Raith den Orunmila ein Bündnis anbot. Sie erklärte den drei Ältesten, sie sei von Gerald Raith beauftragt worden, den Orunmila einzuheizen, aber sie wolle jetzt doch lieber mit den Santeríos zusammenarbeiten, weil Gerald ihr ein Dorn im Auge sei und sie ihn loswerden wolle. Macaria Grijalva sah zwar nicht besonders glücklich damit aus, aber die beiden anderen Ältesten nahmen das Angebot der Raith-Vampirin an. Und das war dann, wie gesagt, der Moment, in dem wir aufflogen. Mierda.

Wir warteten also draußen an deren Auto auf Camerone Raith, ganz offen. Irgendwann tauchte sie auch auf, anscheinend hatte sie mit den Santeríos noch die genauen Bedingungen ihrer Allianz festgezurrt. Und natürlich bekamen Edward und Camerone sich in die Haare. Seufz. Aber immerhin rutschte der Vampirin in dem Streit heraus, dass sie eine der Loa-Masken, und zwar die von Yansa, schon einmal in ihrem Besitz gehabt und genutzt hatte, und dass sie die Maske wiederhaben wolle. Vor 80 Jahren war das wohl gewesen. Warum und wieso, das bekamen wir nicht genau heraus, denn dann rauschte sie ab.

Während wir noch herumstanden und überlegten, was wir nun als nächstes tun sollten, sahen wir drüben auf der anderen Straßenseite Angel Ortega vorüberschwanken, offensichtlich betrunken. Den griffen wir uns erst einmal und fragten ihn aus, damit wir mal seine Version der Geschichte zu hören bekamen.

Angel war todunglücklich: Alle würden ihn jetzt hassen, er sei sogar aus den Orunmila ausgestoßen worden, weil er das mit den Masken ausgeplaudert habe – und dabei könne er sich daran überhaupt nicht erinnern. Aber Carlos Alveira habe im ganzen Viertel rumerzählt, dass er es gewesen sei, und nun glaubten es halt alle.

Carlos Alveira. Robertos Bruder, der auch bei den Latin Kings ist, derselben Gang, in der Enrique war, ehe er ins Gefängnis kam. Den muss ich auch mal wieder besuchen, ist schon wieder Wochen her. Beim letzten Mal hat er nach Alejandra gefragt; ich muss mir echt überlegen, ob ich sie beim nächsten Besuch mal mitnehme oder lieber nicht... Erstmal Fotos zeigen, glaube ich. Ist besser.

Wo wir das von Carlos wussten, ging Roberto natürlich mit seinem Bruder reden. Der erzählte, ja, Angel habe ihm das mit den Masken des Langen und des Breiten gesteckt. Aber Angel sei an dem Abend in der Bar stockbesoffen gewesen, und Angel ist normalerweise nie betrunken. Also außer heute natürlich. Aber das war ja vielleicht auch nicht so verwunderlich nach allem, was passiert war.

Totilas erstattete indessen seinem Großvater Bericht. Gerald stritt rundheraus ab, Camerone beauftragt zu haben, das sei ein Ränkespiel ihrerseits. Dass seine Mutter in den 1930er Jahren die Yansa-Maske mal in ihrem Besitz gehabt haben solle, davon wusste er nichts Genaues, und überhaupt hatte er es sehr eilig. Er müsse raus in die Sümpfe, sagte er, Sachen klären. Irgendwas mit dem Pot und mit den Elders. Dann legte er auch schon auf. Und Edward legte die Hände und hatte nichts gehört. Pot und so. Ähem.

Das war der Moment, in dem wir echt nicht weiter wussten. Irgendwie waren uns die Spuren ausgegangen. Und mit Samuel Elders Nichte Ilyana konnten wir auch noch nicht reden, das dauert noch ein paar Tage.

Aber Alex hatte eine Idee. Er führte ein kleines Ritual durch, konzentrierte sich und öffnete uns dann ein Tor an „irgendeinen wichtigen Ort“. Immerhin ist er der Abgesandte von Eleggua, und immerhin geht es auch um eine Eleggua-Maske. Also dürfte sein Schutzpatron ein gewisses Interesse an der Sache haben und uns an den richtigen Ort führen, hoffte Alex.

Und es wurde ein wichtiger Ort, Römer und Patrioten. Denn Alex' Portal brachte uns direkt zu einem Schlachtfeld. Little Cuba, wieder vor dem Gemeindehaus, wo sich die Orunmila und Kerle in schwarzen paramilitärischen Uniformen, wie sie uns bereits beschrieben worden waren, einen erbitterten Kampf lieferten. Wir waren völlig verdattert und versuchten gerade noch, uns zu orientieren, da tauchte plötzlich eine Gestalt auf. Eine Gestalt, oder eine Windhose, oder beides. Wild und unbeherrschbar und grausam und erschreckend wirksam. Diese Gestalt zerfetzte einfach ihre Gegner, die paramilitärischen Kämpfer, ohne jeden Widerstand und ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Einen der Orunmila, der zufällig im Weg stand, zerriss sie auch, ohne jeden Skrupel. Yansa. Oder besser: jemand, der die Yansa-Maske trug... Oh madre mia...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 28.11.2012 | 00:32
Ricardos Tagebuch: Death Masks 3

Irgendwann war es vorbei. Die Söldner lagen am Boden, ebenso zwei Bewohner des Viertels, und die Gestalt mit der Yansa-Maske – männlicher Körperbau, aber weibliche Bewgungen, vermutlich eben wegen der Maske, die er trug – verschwand im Nevernever.
Wir standen völlig verblüfft da und starrten auf das Chaos, da kam Macaria Grijalva zu uns und erklärte, der Typ in der Maske sei Alberto gewesen, einer der drei Orunmila-Ältesten, die mit Camerone verhandelt hatten. Und er habe alle drei Masken an sich gebracht.
Dann ging sie wieder, um „aufzuräumen“, wie sie sagte.

In einer Seitenstraße wurden zwei überlebende Söldner gerade von einem Dutzend Anwohnern übel verprügelt, stellten wir fest. Edward und ich versuchten beide, den Mob von den beiden Söldnertypen wegzubringen, aber ohne Erfolg. Die hörten einfach nicht auf uns.
Und dann kam Totilas dazu, und alles lief aus dem Ruder.
Denn der Mob erkannte ihn als White Court und ging geschlossen auf ihn los – und auf Edward und mich gleich mit.

Zwölf gegen drei: das sah trotz Edwards und Totilas' Kämpferqualitäten nicht gerade gut aus. Ziemlich als erstes schob Edward mich aus der Kampflinie, zu einer Hauswand und dem Müllcontainer davor, und baute sich zwischen mir und dem Mob auf, um mir etwas Deckung zu verschaffen. (Edward weiß eben, dass ich im Kampf nicht sonderlich nützlich bin. Dagegen sollte ich vielleicht mal was tun. Immerhin scheinen wir häufiger in solche Situationen zu geraten...) Das hinderte jedoch einen der aufgebrachten Leute nicht daran, mich anzugreifen und mich gegen die Mülltonne zu rammen. Mit dem Rücken genau in den Griff am Container. Au.

Immerhin konnte ich so auf den Müllcontainer klettern und war somit erstmal aus der Schusslinie. Aber Edward und Totilas bekamen unten ziemlich übel eingeschenkt, und ich wollte nicht einfach so tatenlos herumstehen. Also griff ich mir einen der Blumentöpfe, die ein Stückchen über mir außen auf einer Fensterbank standen und warf ihn nach einem der Typen, die Edward beharkten. Nur – madre mia, wie peinlich! – hatte ich nicht sonderlich gut gezielt. Der Kerl fing den Blumentopf sauber ab, sah einen Moment lang darauf, schrie mich wutentbrannt an: „Der gehört meiner Mama, du Arschloch!" und schleuderte ihn zurück. Und im Gegensatz zu meinem kläglichen Versuch war das ein perfekter Pitch, der mich voll am Kopf traf. Au. Verdammt!

Edward sah einen Moment lang so aus, als wolle er auch zu mir hochklettern, aber hey, er ist Edward. Er war viel zu wütend, um sich aus dem Kampf zurückzuziehen. Also blieb er unten und prügelte sich weiter. Inzwischen hatten auch Roberto und Alex gemerkt, was da bei uns in der Seitenstraße los war. Roberto rief von draußen laut „Policía!“ - nicht so, als sei er selbst einer, sondern als wolle er die anderen warnen, dass die Cops unterwegs seien. Aber der aufgebrachte Mob hörte ihn gar nicht.

Von meinem Container aus konnte ich dann sehen, wie Roberto irgendwas aufhob. Und dann kam er in die Gasse gelaufen, und ich hörte ihn rufen: "Das könnt ihr doch nicht machen! Wisst ihr, wen ihr da verprügelt? Das ist Ricardo Alcazár, der bekannte Literat und Latino-Aktivist!" Als auch das nichts fruchtete, watete er durch die Menge und hielt mir, „Autogramm! Autogramm!“ rufend, etwas zum Signieren hin. Es war das, was er zuvor aufgehoben hatte, irgendein völlig verranztes gedrucktes Etwas – ein Telefonbuch oder etwas in der Art, das irgendwer weggeworfen hatte.

Ich war derart baff, dass ich ihn nur anstarren konnte. Alle Anwesenden waren völlig baff, sogar der Mob. Vermutlich hätte ich mich gleich darauf aus meiner Schockstarre befreit und ihm das was-auch-immer-es-war tatsächlich signiert, wenn nicht in diesem Moment Alex in einem schwarzen Humvee – offensichtlich ein Fahrzeug der Söldnertruppe, das er kurzerhand requiriert hatte – in die Gasse gefahren wäre.

Totilas – der übrigens selbst ziemlich übel zugerichtet aussah – rief mir zu, ich solle runterspringen, und machte sich bereit, mich aufzufangen, aber es war wesentlich leichter, von dem Müllcontainer aus auf das Autodach zu klettern und sich an der Dachreling festzuhalten, also machte ich lieber das. (Erstens war es wesentlich leichter, und zweitens sah ich einen kurzen Augenblick lang vor meinem geistigen Auge das Bild von einem Paparazzo aufblitzen, wie der mich in Totilas' Armen fotografierte. No gracias. Auch wenn weit und breit kein Paparazzo zu sehen war. Besser nicht.)

Wir sammelten die beiden verletzten Söldner ein, und ich kletterte sobald wie möglich vom Dach in den Wagen, dann fuhren wir erst einmal zum Arzt. Einer der beiden Paramilitärs war sehr schlimm dran, würde es aber hoffentlich überleben. Den anderen brachten wir unter Hinweis darauf, dass er und seine Leute ganz schön im Dreck steckten und vermutlich von allen möglichen Seiten gelinkt würden und es in seinem eigenen Interesse sei, mit uns zu reden, dazu, dass er uns seine Version der Geschichte erzählte.

Seine Truppe arbeite für Gerald Raith, sagte er. So habe sein Commander jedenfalls gesagt; er selbst habe den Auftraggeber nie gesehen. Der Trupp sei vom Commander etwa vor einem halben Jahr zusammengestellt worden, um in Little Havanna Ärger zu machen. Mehr wusste er nicht, und wo sich das Hauptquartier der Söldnereinheit befand, wollte er auch nicht sagen.

Wir überließen ihm den Humvee – immerhin gehörte er seiner Truppe –, und er fuhr damit davon... allerdings nicht, ohne dass Roberto sein Handy im Auto „vergessen“ hatte. Damit und mit der GPS-App, die wir alle installiert haben, damit wir uns bei Bedarf finden können, ließ der Mann sich leicht verfolgen. Er fuhr hinaus in die Everglades, und wir folgten ihm in einigem Abstand, denn wir wollten ja vermeiden, dass er auf uns aufmerksam wurde.

Vielleicht wäre das, was dann passierte, anders passiert, wenn wir uns mehr beeilt hätten. Vermutlich aber auch nicht. Vermutlich war es ganz gut, dass der Kampf, als wir ankamen, schon in vollem Gange war.

Wieder stießen wir auf das reinste Chaos. Auf dem Gelände der Söldner kämpften zwei Parteien gegeneinander. Oder besser, zwei Seiten. Und eine der Seiten bestand aus einer Person. Von den Paramilitärs war schon so gut wie niemand mehr übrig, und die, die noch lebten, versuchten verzweifelt, sich aus dem Staub zu machen. Der Mann in der Yansa-Maske, mit allen Yansa-Fähigkeiten, stand gegen Cicerón Linares und seine Leute – und die waren selbst nicht ohne. Sie hatten nämlich offensichtlich Shango kanalisiert und waren nun in vollem übernatürlichen Modus unterwegs. Alberto, der Orunmila-Älteste, hatte keine Chance, Yansa-Maske oder nicht. Die Santo Shango umstellten ihn, trafen ihn immer wieder. Und schließlich rammte Cicerón Linares ihm ein Messer in den Rücken, und der alte Mann ging zu Boden.
Alex versuchte noch, zu ihm hinzukommen, aber da waren einfach zu viele Santo Shango in aggressivster Kampflaune, die sich dazwischenstellten. Padre en el cielo, perdonarnos, wir mussten Alberto liegen lassen.

Linares ging zu dem Gefallenen hin und zog ihm mit triumphierender Miene die Yansa-Maske vom Gesicht, dann suchte er Albertos Taschen ab und brachte auch die beiden anderen Masken zum Vorschein. Mit einer davon kam Linares zu uns herüber und hielt sie Alex hin – die Eleggua-Maske. Mit Alex' 'Boss' wolle er nichts zu tun haben, sagte er, der sei viel zu unberechenbar. Alex sah einen Moment lang so aus, als wolle er die Maske nicht annehmen, tat es dann aber doch, mit etwas unglücklichem Gesicht.
Die Yansa-Maske war ja das Ziel der ganzen Aktion gewesen, also gab Linares die natürlich nicht her, aber auch die von Oshun behielt er für sich. Roberto fragte danach, musste aber hören, dass die Santo Shango das erst einmal innerhalb ihrer eigenen Priesterschaft besprechen würden. Aber vielleicht könne man ja zu einem Deal kommen. Roberto solle doch mal mit Macaria Grijalva reden und zu vermitteln versuchen, die sei nämlich auf Linares & Co. nicht sonderlich gut zu sprechen.

Da sich die Situation jetzt ein wenig beruhigt hatte und Linares' Gang nicht mehr in vollem Kampfmodus war, wollten wir uns natürlich auch um Alberto kümmern. Doch der hatte den Kampf nicht überlebt. O Dios, acepte su alma.

Oh, und ratet mal, wer noch dort war, Römer und Patrioten. Ganz recht. Niemand anderes als Ilyana Elder. Ha. Soviel zum Thema Ritual, das ein paar Tage dauere und nicht unterbrochen werden dürfe. Sie hatte an dem Kampf zwar nicht aktiv teilgenommen, sich das Ganze aber interessiert und als offensichtlicher Teil der Gang angeschaut.
Wir richteten ihr aus, dass ihr Onkel Samuel sich Sorgen um sie mache, was sie zwar zur Kenntnis nahm, sich davon aber nicht in ihrem Entschluss beirren ließ, bei den Santo Shango zu bleiben. Sie sei erwachsen und wisse selbst, was gut für sie sei, erklärte sie überzeugt, und davon abbringen konnten wir sie nicht. Immerhin leierte ich ihr noch die Zusage aus den Rippen, sie werde mit Samuel reden, nicht dass das was ändere.

Wie nebenbei erwähnte Linares dann auch, dass er wisse, wo Ocean sei. Denn – das hatte ich bisher noch gar nicht erwähnt – Totilas' junge Cousine (eigentlich Tante, denn sie ist die Tochter von Gerald und Crysanthema Raith, und Gerald ist ja immerhin Totilas' Großvater, aber hey, Ocean ist siebzehn und Totilas Anfang Zwanzig, da klingt das Wort 'Tante' einfach falsch) war von zuhause abgehauen, das hatten wir in einem Telefongespräch mit Cherie erfahren. Gerald selbst war auch verschwunden, erzählte Cherie Edward, während im Hintergrund irgendein Feuergefecht ablief. Irgendwas an den Raith'schen Pot-Feldern anscheinend. Ein Angriff des Red Court oder so. Cherie war verständlicherweise mehr als kurz angebunden, und Edward, obwohl er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, machte sich doch einige Sorgen.

Jedenfalls war Gerald verschwunden, Ocean ebenso, aber Linares sagte jetzt, er wisse, wo sie sei. Und er werde sein Wissen sogar mit uns teilen, wenn Totilas verspräche, auf seinen Großvater einzuwirken, damit dieser die demnächst eintretenden Gegebenheiten widerspruchslos akzeptiere.
Was das für Gegebenheiten genau sein würden, erwähnte er nicht.
Totilas wiederum erklärte, er könne nicht versprechen, dass Gerald auch auf ihn hören werde, aber er verspreche, das Thema bei ihm anzuschneiden. Damit zeigte sich Linares dann auch zufriedengestellt.
Ocean befinde sich in dem alten Raddampfer, der vor bestimmt zwanzig Jahren mal als Touristenattraktion in die Everglades gebracht worden war. Seit dieses Unternehmen glorreich scheiterte, rottet der alte Kahn an seiner Kette langsam vor sich hin. Sogar ein Vogelschutzgebiet war vor einigen Jahren um ihn herum entstanden.
Und Ocean werde dort gefangen gehalten, behauptete Linares. Vom Red Court oder Red Court Söldnern oder etwas in der Art.

Als wir bei dem alten Dampfer ankamen, spähten wir also erst einmal die Lage aus. Zuerst war keine Bewegung zu sehen, aber dann entdeckten wir ein vernageltes Kabinenfenster, an dem es ratterte und rüttelte, als wolle sich jemand dort befreien, und außerdem die Silhouetten von zwei Wachtposten auf dem Oberdeck.
Roberto und Alex sorgten für Ablenkung, indem sie mit einem Glades-Boot, das Alex irgendwo auftreiben konnte, sich für Ornithologen ausgaben, die hier den seltenen blauen Wasserläufer beobachten wollten. Indessen schlichen Edward, Totilas und ich uns über das Schaufelrad an der Seite des Schiffes an Bord.
Allerdings hatte es eine ganze Weile gedauert, bis Alex und Roberto mit dem Boot angtuckert kamen und die Wachtposten ablenkten. Die Kabine, in der Ocean allem Anschein nach festgehalten worden war, war jedenfalls jetzt leer; nur noch ihr Rucksack lag dort. Den durchsuchte Totilas schnell, aber dann warf er plötzlich den Kopf hoch, weitete die Augen und eilte aus dem Raum, hastig gefolgt von Alex und mir. Offensichtlich hatte er mit seinen White Court-Sinnen irgendwas bemerkt.

Aber dazu brauchte es nicht mal White Court-Sinne. Das konnte sogar ich spüren, dass da etwas in der Luft lag. Eine Anspannung. Ein Knistern. Geballte Erotik, die um so stärker wurde, je näher wir ihrer Quelle kamen. Die Quelle, das war der Salon des alten Dampfers, wo vier Kerle, die anscheinend gerade wachfrei hatten, dabei waren, sich um Ocean zu prügeln. Drei rangelten wild miteinander und mit dem Vierten. Dieser Vierte befand sich in einer gierigen Umarmung mit Totilas' Cousine, seine Lippen fast mit ihren verschmolzen, die Körper, obgleich noch fast vollständig bekleidet, eng aneinandergepresst, und er bemerkte überhaupt nicht, wie das Mädchen ihn schwächte.

Im Zuge der Geschichte mit Totilas' Vater letztes Halloween hatte ich ja erfahren, was es mit White Court-Jungfrauen auf sich hat: Dass sie noch keine vollen Vampire sind und durch die Macht der wahren Liebe diesen Fluch loswerden und zu ganz normalen Menschen werden können – aber eben nur, solange sie noch niemanden mit ihren White Court-Kräften getötet haben. Wenn dies einmal geschehen ist, dann ist derjenige für immer ein Vampir.

Letztes Halloween hatte Ocean uns noch erzählt, wie sehr sie darauf hoffte, einmal ihre wahre Liebe zu finden, und dass sie nie zum Vampir werden wolle. Doch jetzt hatte sie offensichtlich die Kontrolle an ihren Dämon verloren: Sie hatte die typischen silbernen White Court-Augen bekommen und war kräftig dabei, ihr erstes Opfer zu machen.

Aus Totilas' entsetztem Aufschrei wurde klar, dass er das nicht zulassen konnte und wollte, und so stürzten wir uns alle in den Kampf. Es entstand ein wildes Getümmel, in dem wir Ocean das eine potentielle Opfer entreißen konnten, sich aber sofort einer der anderen Kerle auf sie stürzte und sie mit dem weitermachte. Die Typen waren dummerweise ziemlich gut ausgebildet und nicht abgelenkt genug, um uns nicht auch noch mit anzugreifen.

In dem ganzen Chaos kam keiner von uns ungeschoren davon. Ich war unbewaffnet, griff mir aber von einem der Billardtische in dem Salon ein vergessenes Queue, um wenigstens nicht ganz hilflos dazustehen, oder vielleicht sogar irgendwas damit erreichen zu können. So versuchte ich, mit dem Queue den Kerl aus Oceans Umarmung zu ziehen – leider nicht sehr erfolgreich. Aber einen anderen Effekt hatte der Versuch. Um den Söldner wegzuziehen, musste ich ja dicht an die beiden heran... und plötzlich bemerkte ich, wie begehrenswert das junge Mädchen vor mir doch war. Mein Verstand wusste genau, dass ich das Mädchen eigentlich nicht begehrte, dass das nur die White Court-Pheromone waren, die Oceans Dämon ausschüttete, denn er wollte mich ebenso gewinnen wie die Söldnertypen. Aber, O madre mia, mein Körper und mein Instinkt reagierten dennoch. Mit einem Mal fühlte ich mich unglaublich angezogen von Ocean Raith, und ich musste aufpassen, dass ich nicht ebenso über sie herfiel wie die Kerle.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 28.11.2012 | 00:35
Ricardos Tagebuch: Death Masks 4

Irgendwann tauchten auch Alex und Roberto auf, genau wie die beiden Wachtposten von oben, was den Kampf nochmals verschärfte. Ich bekam gar nicht mit, was Alex genau tat, aber er muss ein Tor ins Nevernever geöffnet haben, denn plötzlich brachen wir alle durch den Boden des Salons. Und landeten im Heizraum des Schiffes – oder besser, dem Äquivalent des Heizraums des Schiffes im Nevernever, denn der Kessel hier dampfte auf vollen Touren, und etliche rußbedeckte Gestalten schaufelten Kohlen in die Heizöffnung, als gebe es kein Morgen. Andere wuselten herum und hielten jedem von uns drängend eine Schaufel hin.

Wir waren noch damit beschäftigt, Ocean von ihrem Opfer zu trennen und uns der übriggebliebenen Gegner zu erwehren, aber Alex nahm eine Schaufel und begann zu helfen, sah ich aus dem Augenwinkel. Erst als es Totilas gelungen war, Ocean bewusstlos zu schlagen und wir den Söldner – stark geschwächt, aber noch am Leben – von ihr weggezogen hatten, stellten wir fest, dass Alex offensichtlich gar nicht freiwillig bei der Sache war, sondern unter irgendeinem Zauber stand. Er schaufelte wie besessen, war gar nicht ansprechbar, und der Rußstaub hatte unnatürlich schnell jeden freien Zentimeter seiner Haut bedeckt.

Roberto war der erste, dem es auffiel, und der Edward mit einem lauten „NEEEIN!“ davon abhielt, sich ebenfalls eine Schaufel zu greifen. Und dann waren all unsere Bemühungen darauf gerichtet, Alex zu befreien. Das war gar nicht so einfach, weil wir nicht wagten, seine Schaufel zu berühren, damit wir nicht ebenfalls unter diesen Zauberbann gerieten. Ein kräftiger Tritt gegen die Schaufel brachte Edward nur angeschlagene Zehen ein, aber schließlich gelang es uns mit Hilfe meines bewährten Allzweck-Queues, das wie die ganzen anderen losen Gegenstände auch durch das Portal ins Nevernever gefallen war.

Erst als Alex wieder zu sich kam, fiel uns auf, wie schwer Totilas in dem Kampf verwundet worden war. Neben weniger ernsten Blessuren, hatte er eine richtig üble Schusswunde, die er bis eben aber dank des Dämons in sich gerade noch hatte ignorieren können. Nun aber sackte er in sich zusammen... nur um sich einen Moment später wieder aufzurichten, mit den silbernen Augen seines Dämons, der die Überhand über Totilas' sonst so eiserne Disziplin gewonnen hatte, und uns hungrig anzustarren.
Dass er sich auf einen von uns stürzen würde, war unvermeidlich. Eine Sekunde lang war alles wie in einem erstarrten Tableau, dann machte Edward eine kleine, resignierte Handbewegung und stellte sich schützend vor uns andere.
Und so war er es, den Totilas in einen heftigen Kuss zog, um sich zu heilen, wie schon einmal. Oder wenigstens zu stabilisieren, denn so einen Lungenschuss heilt nicht einmal ein White Court-Vampir auf die Schnelle.

Irgendwann hatte Totilas sich wieder genug unter Kontrolle, dass er von Edward abließ. Der machte ein steinernes Gesicht und versuchte zu tun, als sei nichts geschehen, und wir anderen hielten uns ebenfalls mit dummen Sprüchen zurück - dazu war die Situation zu ernst. Unsere ehemaligen Gegner, die an diesem irrwitzigen Ort viel zu verwirrt waren, um weiterzukämpfen und sich stillschweigend ergeben hatten, taten das kleine Techtelmechtel wohl ohnehin als weitere Seltsamkeit ab, die sie besser ignorierten.

Alex führte uns dann jedenfalls auf den üblichen verschlungenen Wegen zurück. Totilas trug dabei seine bewusstlose Cousine, Alex deren völlig erschöpftes Opfer.
Der Weg endete in Pans Palast – wieder einmal, und ich konnte nicht verhindern, dass ich mich ständig nervös umsah, solange ich mich dort aufhielt. Zurück in unserer eigenen Welt war die nächste Station der Familienarzt der Raiths im Biltmore Hotel. Der war wenigstens im Bilde und stellte keine Fragen bezüglich der Schusswunden und Totilas' eindeutig nicht menschlichem Blut und all dem.
Eine unserer ersten besorgten Fragen galt natürlich Ocean, aber der ging es, gracias a Dios, einigermaßen gut. Und da sie niemanden getötet hatte, war sie nicht zum Vampir geworden, sondern blieb weiterhin eine White Court-Jungfrau.

Nachdem der Arzt uns entlassen hatte, fand Totilas eine Mitteilung auf dem Anrufbeantworter seines Handys. Da hatte wohl jemand versucht, ihn zu erreichen, als sein Telefon im Nevernever und somit außer Empfangsreichweite war. Beim Abhören der Nachricht wurde er bleich und spielte sie uns dann nochmal per Lautsprecher vor: Es war Camerone Raith, die behauptete, sie habe Gerald und Ocean in ihrer Gewalt, und wenn Totilas die beiden retten wolle, solle er zur Waystation kommen. Allein. Und idealerweise vor Einbruch der Dunkelheit. Böses Lachen. Pieeeep. Wenn Sie die Nachricht noch einmal abhören möchten, drücken Sie bitte die Eins. Mierda.

Nun gut. Ocean hatte Camerone offensichtlich nicht mehr, und sie schien auch von unserer Befreiungsaktion noch nichts zu wissen. Immerhin etwas, aber das mit Gerald klang gar nicht gut. Natürlich fuhren wir zur Waystation hinaus, Römer und Patrioten, und zwar in Alex-gemäßem Eiltempo, denn bis zum Dunkelwerden war gar nicht mehr lang Zeit.

Bei dem Glades-Lokal angkommen, schickte Selva Elder uns in eines der Nebenzimmer, wo Camerone Raith schon auf Totilas wartete. Wobei Nebenzimmer nicht ganz das richtige Wort ist. Denn die Waystation ist ja ein typischer Everglades-Bau, auf Stelzen teilweise über das Wasser gebaut und teilweise ohne Wände und nach außen offen. Und in einem solchen Raum wartete Camerone. Gerald Raith war bei ihr, auf allen Vieren kauernd und in die enge Lederkluft eines BDSM-Untergebenen gekleidet. Zu dieser Kluft gehörte auch ein Halsband mit Ring, durch den eine Kette geschlungen war, an dem seine Mutter ihn festhielt. Das Oberhaupt der Familie Raith in Miami sah besiegt aus, gebrochen – aber als ich genauer hinsah, konnte ich etwas in seinen Augen erkennen, das aussah, als spiele der Mann die Niederlage nur, als warte er nur auf den richtigen Moment zum Zurückschlagen.

Camerone Raith grinste süffisant und siegesgewiss. Vor ihr auf dem Tisch lag eine Maske, über deren glatte Holzoberfläche sie immer wieder besitzergreifend strich. Oshun. Auch Totilas sah immer wieder zu der Maske hin, als könne er den Blick nicht davon abwenden.
Ilyana Elder war auch im Raum, lehnte unbeteiligt an einer Säule und beobachtete. Seine Urgroßmutter befahl Totilas, sich ebenfalls fesseln zu lassen, aber der weigerte sich. Daraufhin drohte Camerone Raith mit ihrer Gewalt über Ocean, aber Totilas grinste sie nur an und meinte: „Soso. Meinst du.“ Selva Elder wies Camerone darauf hin, dass es sich bei der Waystation um Accorded Neutral Ground handele, es also in Ordnung sei, wenn Totilas sich freiwillig gefangen nehmen lasse, wie Gerald Raith das offensichtlich getan hatte (denn der wehrte sich überhaupt nicht gegen die Kette), aber zwingen könne und werde sie niemanden. Niemand zweifelte an ihrer Fähigkeit, die Bestimmungen der Unseelie Accords auch durchzusetzen, denn nicht nur machte Selva Elder selbst einen höchst kompetenten Eindruck, unten im Wasser direkt unter dem Raum lungerten auch etliche Krokodile herum, bei denen es sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um Elders in Wer-Form handelte.

Das war der Moment, in dem der Red Court seinen Auftritt hatte, in der Gestalt von Sancia Canché und Lucia Valdez. Totilas' Mutter hatten wir zuletzt kurz nach Halloween gesehen, nach der Aktion, in der sie ihrem Sohn das Herz herausgerissen und hinterher erklärt hatte, irgendwann werde sie ihn und das Monster, das in ihm wohne, schon noch bekommen. Sagte damals die Red Court-Vampirin, wohlgemerkt. Und jetzt wirkte sie nicht viel weniger wahnsinnig.

Aus den Worten, die Sancia mit Camerone Raith wechselte, wurde deutlich, dass die beiden Vampirinnen ein Geschäft gemacht hatten. Anscheinend hatte Camerone, für welche Gegenleistung auch immer, versprochen, ihr Totilas und Gerald zu liefern. Und nun war Sancia ziemlich verärgert darüber, dass Camerone ihren Teil der Abmachung nicht eingehalten hatte – immerhin war Totilas noch frei und weigerte sich standhaft, sich seiner Mutter zu ergeben.
Dass man ihn dazu zwinge, erklärte Selva Elder erneut, werde sie nicht zulassen. Immerhin sei die Waystation neutraler Boden.

Von Totilas' Weigerung immer mehr in Rage versetzt, schnappte sich Camerone Raith plötzlich die Maske, setzte sie auf und wiederholte den Befehl erneut: Offensichtlich wollte sie Totilas mit Hilfe der Maske beherrschen. Der jedoch reagierte gar nicht darauf, und Roberto grinste triumphierend und murmelte „wusste ich's doch!“
Anscheinend hatte er die vorgebliche Oshun-Maske schon von Anfang an als Fälschung durchschaut.

Nachdem Camerone mit ihren Beherrschungsversuchen keinen Erfolg gehabt hatte, nahm Sancia das Heft in die Hand und wollte Totilas zum Aufgeben überreden. Der jedoch dachte gar nicht daran, sondern schleuderte seiner Mutter seinen Widerstand entgegen. Davon bis aufs Blut provoziert, griff die ihren Sohn an, neutraler Boden oder nicht.
Es kam zu einem heftigen Kampf, bei dem Lucia Valdez erfolglos versuchte, der anderen Vampirin in den Arm zu fallen und wir übrigen uns zunächst zurückhielten, um den neutralen Boden nicht zu verletzen. Erst als Selva Elder in ihrer Rolle als Hausherrin eingriff, konnten wir auch aktiv werden.

Sancia Canché hatte ihrem Sohn ziemlich zugesetzt. Als der Kampf einen Moment lang abebbte, schnappte Totilas sich Geralds Kette und wollte sich mit seinem Großvater absetzen, aber so abgelenkt war Camerone Raith dann doch nicht. Sie schnitt den beiden den Weg zur Tür ab und hob bedrohlich ihr Handy.
„In Geralds Halsband ist ein Sprengsatz eingearbeitet!“, erklärte sie. „Und ich kann ihn jederzeit zünden!“

Madre mia. Damit hatte keiner gerechnet. Aber Camerone meinte es ernst, todernst. Totilas erstarrte mitten im Schritt und brach dann in die Knie, wild vor sich hin brabbelnd und murmelnd, weil es ihm nicht gelungen war, seinen Großvater zu retten.
Indessen stritten sich die beiden Vampirinnen weiter. Es ging noch immer darum, dass Camerone Raith ihren Teil der Abmachung nicht erfüllt habe. Aber da diese ja immerhin Gerald liefern konnte und Totilas somit gezwungen sei, sich Sancia Canché zu ergeben, wenn diese erstmal ihren Schwiegervater in den Händen habe, wurden sie sich dann doch einig. Camerone würde Sancia erst einmal Gerald übergeben, der Rest käme dann schon von selbst.

Nun hatte aber auch Selva Elder genug gehört. Sie schnappte Camerone Raith das Handy mit dem Zünder weg und verwies beide Vampirinnen des Lokals. Die White Court akzeptierte den Rauswurf, aber die Red Court verlor die Kontrolle und drehte durch. Völlig wahnsinnig griff sie Totilas erneut an und wollte ihn ein und für alle Mal umbringen, doch Edward warf sich ihr in den Weg.

Das war der Moment, in dem Selva Elder sich in ihre Krokodilsgestalt verwandelte und Sancia Canché ebenfalls angriff. Auch Lucia Valdez fiel ihrer Chefin in den Arm, um sie aufzuhalten, während ich versuchte, meine Freunde irgendwie aus der Kampfzone zu ziehen. Mit einem irren Schrei riss Sancia sich los und verschwand ins Freie, während Camerone Raith sich die Kette schnappte, an der ihr Sohn befestigt war, und ebenfalls mit ihm verschwinden wollte. Aber da hatte sie die Rechnung ohne Roberto gemacht. Der hatte ja die vermeintliche Oshun-Maske als Fälschung identifiziert und auch erkannt, dass irgendein Zauber darauf lag, damit Camerone die Fälschung nicht bemerkte. Schnell entschlossen griff er sich also nun die Maske und warf sie ins Wasser hinunter. Camerone schrie auf, ließ Geralds Kette los und stürzte sich ohne zu zögern der Maske hinterher.

Und nun zeigte sich, dass der Anführer des Raith-Clans von Miami tatsächlich nicht so geschlagen war, wie er seine Mutter hatte glauben machen. Er überzeugte Ilyana Elder, die noch immer unbeteiligt an der Wand lehnte, dass Camerone nicht entkommen dürfe, woraufhin die junge Frau  sich in ihre Krokodilsgestalt verwandelte, ins Wasser glitt und mit den anderen Wer-Elders zusammen untertauchte. Die Wasseroberfläche schäumte und gurgelte, und kurze Zeit darauf färbte sie sich rötlich ein. Santísimo Padre del cielo...

Als wieder Ruhe eingekehrt war, erfuhren wir von Ilyana Elder, dass es Cicerón Linares bei der ganzen Aktion vor allem um die Pot-Felder der Elders gegangen war. Bis dato hatten die Elders immer Gerald Raith den Vertrieb und somit die größten Gewinne überlassen, aber der alte Patriarch des Werkrokodils-Clans, Tutmoses Elder, fühlte sich von dem ganzen Ärger zwischen den White Courts und den Red Courts, die ständige Angriffe auf die Felder unternahmen, so genervt, dass er Linares das Geschäft versprach, wenn dieser nur für Ruhe sorgen würde.

Das also waren also die neuen Gegebenheiten, über die Totilas gemäß seinem Versprchen an den Gangster mit seinem Großvater besprechen sollte. Und Gerald konnte nicht anders, als die Zähne zusammenzubeißen und dem Santo Shango diesen Sieg zuzugestehen. Denn auch wenn Totilas nur versprochen hatte, dass er mit seinem Großvater reden werde und nicht, dass dieses Reden auch von Erfolg gekrönt sein würde, bedeutete es in der Praxis doch genau das. Denn wenn Totilas nur redete, aber nicht lieferte, dann wüssten alle in der Szene, dass man sich auf Totilas' Wort nicht verlassen konnte, oder schlimmer noch, dass er in den Reihen der Raith' nichts zu sagen hatte. Dass die Raith nicht mit einer Stimme sprachen. Und das konnte und wollte sich Gerald nicht leisten. Also biss er in den sauren Apfel und akzeptierte.
Aber erst einmal war ein dritter Arztbesuch fällig – diesmal nicht nur beim Raith-Familienarzt im Biltmore, sondern gleich im eigenen Krankenhaus des White Court.

Auf dem Weg dorthin fragten wir Gerald aus, was denn genau mit ihm passiert sei. Er hatte sich seiner Mutter ergeben, weil die ihn mit seiner Tochter erpresst hatte. Wenn er ihr nicht Folge leiste, hatte Camerone gedroht, werde sie Ocean umbringen lassen. Camerone Raith war es auch gewesen, die Cicerón Linares verraten hatte, wo dieser den alten Orunmila Alberto finden könne. Im Gegenzug dafür hatte sie die Oshun-Maske verlangt, die ja vor etwa 80 Jahren schon einmal in ihrem Besitz gewesen war.
Gerald und Totilas wollte sie Sancia Canché übergeben, um die beiden aus dem Weg zu schaffen und Camerone selbst wieder zur Herrin des White Court in Miami zu machen – und die Red Court-Vampirin wollte Camerone dann wohl mit Hilfe der Oshun-Maske beherrschen.
Das Halsband von Geralds Sklavenkluft enthielt übrigens doch keinen Sprengstoff. Da hatte seine Mutter einfach nur unglaublich überzeugend geblufft.

Es war auch nicht Angél Ortega, der das Geheimnis der Masken im Suff ausgeplaudert und damit den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hat. Der hatte nämlich ein Alibi, stellte sich dann heraus, und konnte somit gar nicht derjenige gewesen sein. Wir vermuten, dass auch hier Camerone ihre Finger im Spiel hatte und jemanden – Ximena O'Toole? Immerhin arbeitete die für sie und hat magische Fähigkeiten – beauftragt hatte, in Angéls Gestalt diese Gerüchte zu streuen.

Oh, und Sancia Canché hat die Stadt für's erste wieder verlassen, und bei den Roten Vampiren sind wieder die vorherigen Verhältnisse mit Orféa Baez an der Spitze des Red Courts eingekehrt. So zumindest erzählte Lucia Valdez vor ein paar Tagen Roberto, der ja ein alter Bekannter von ihr ist.
Und wenn es nach mir geht, kann Sancia gar nicht weit genug von Miami weg sein. Wenn ich sie nie im Leben wieder sehe, ist das noch zu früh. Aber ich fürchte, es könnte wesentlich schneller gehen. Denn sie hat ja noch immer Rache an ihrem Schwiegervater und ihrem Sohn geschworen...

Für Cicerón Linares ging die ganze Aktion natürlich ideal aus. Ich glaube, besser hätte es gar nicht laufen können für ihn und die Santo Shango. Mierda. Ich bin gar nicht so sicher, ob mir das gefällt. (Milde ausgedrückt.) Immerhin sind die Santo Shango eine verdammte Gangster-Bande. Und irgendwie befürchte ich, dass wir mit denen auch nochmal ganz böse aneinandergeraten könnten.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.02.2013 | 10:57
Ricardos Tagebuch: Blood Rites 1

Gute Nachrichten, Römer und Patrioten: Die Verfilmung von Indian Summer nimmt endlich Gestalt an! Sheila hat eben angerufen und mir die Eckdaten durchgegeben. Sie haben tatsächlich Sam Worthington für die Rolle des Eric gewinnen können, was ich so ziemlich als Idealbesetzung empfinde. Die weibliche Hauptdarstellerin, eine gewisse Roselyn Sanchez, sagt mir bisher nichts, und auch die Regisseurin musste ich erst googeln. Kataklysma Bentley heißt sie und hat sich bisher ausschließlich in kleinen Genre-Produktionen betätigt – ich meine, hallo? Mit dem Namen kann sie ja nur in Genre-Produktionen gewesen sein. Eine Alienkomödie, ein Zeitreise-Actioner und ein psychologisches Horrordrama. Ich muss mir die mal ansehen.

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Alex hat gerade angerufen. Es gibt einen Notfall. Treffen im Dora's. Später mehr.

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Alex' Notfall war ein Geist. Wie auch sonst, bei Alex. Und er brachte ihn – sie – tatsächlich mit in den Donut-Laden (genau wie damals die alte Mrs. Blanco zu ihrer Enkelin in Totilas' Studio, als ich die beiden frisch kennenlernte). Das war vielleicht seltsam. Die Verstorbene, Caroline Harris, hatte vor zwei Wochen einen Autounfall gehabt. Und hatte gestern dann über einen „Stafettenlauf“ von Geistern Alex kontaktiert. Es gehe um ihren Verlobten, erzählte sie durch Alex' Mund, nachdem sie erst einmal ganz begeistert war, den Autor der Eric-Albarn-Romane zu treffen. Madre de Dios. Ich meine, es war ja schmeichelhaft und alles, aber ... ein Geist? Muy extraño. Jedenfalls. Dieser Verlobte war als Soldat mehrfach in Afghanistan gewesen und dann vor drei Monaten mit PTSD aus der Armee ausgeschieden. Seither war es ihm sehr schlecht gegangen, und Carolines Tod hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Und jetzt mache sie sich Sorgen um ihn: Steven habe all seine Waffen zusammengepackt und sei damit abgezogen, und nun habe Caroline Angst, dass er einen Amoklauf plane oder sonst eine Wahnsinnstat.

Sie hätte gar nicht mehr hier sein sollen, erklärte Alex. Normalerweise entstünden Geister, wenn es noch etwas Unerledigtes gibt, das sie zurückhält. Caroline habe aber alle Anzeichen einer Seele, die ungehindert ins Licht geht, ins Licht hätte gehen sollen, wenn sie nicht von einem äußeren Einfluss daran gehindert worden wäre. Und wirklich sah Roberto, als er sie mit seinem Inneren Auge betrachtete, dass sie ein schwarzes Band um den Hals trug. Auf dem Band war in silbernem Faden ein Kreis aufgestickt, ganz normal zweidimensional, wie ein Schmuckmuster, und trotzdem war unmöglicherweise an diesem Kreis eine Kette befestigt, die allerdings momentan lose herunterhing und nirgendwohin führte. Caroline erzählte auch, dass sie eigentlich schon das Licht gesehen habe, auf dem Weg dorthin gewesen sei, als sie einen Ruck spürte und etwas sie zurückzog.

Wir ließen uns von Caroline den Weg zu ihrer ehemaligen Wohnung zeigen und den Schlüssel, der – natürlich – unter der Türmatte lag. Da Steven McNeill ja laut Caroline mit seinen ganzen Waffen losgezogen war, fackelte Edward nicht lange, sondern schloss auf und betrat die Wohnung. Immerhin hatte er Grund zu der Annahme, dass hier ein Verbrechen vorbereitet worden war. Wir folgten ihm dicht auf – und mitten in ein Wohnzimmer, wo Steven McNeill in voller Lebensgröße eben aufsprang, eine Pistole zog und fürchterlich herumzubrüllen begann. Dass er Edward nicht gleich erschoss, ist noch alles. Auch dessen Versuche, die Situation zu entschärfen, schlugen fehl – der traumatisierte Soldat war einfach zu aggressiv. Also traten wir schleunigst den Rückzug an.

Dass wir McNeills Haus beobachteten, verstand sich von selbst. Alex allerdings ging indessen Caroline Harris suchen, die war nämlich in dem ganzen Durcheinander kurzerhand verpufft. Als er wiederkam, erzählte er, er habe sie gefunden, und sie habe ihm haargenau dasselbe nochmal erzählt, von ihrem Autounfall und der grünen Ampel und den Sicherheitscodes und ihrem Verlobten und ihrer Angst, er wolle Amok laufen. Das arme Mädel ist eindeutig in irgendeiner Schleife, und auf ihre Zeitangaben verlassen können wir uns keinesfalls. Hätten wir das mal gewusst, ehe wir bei McNeill im Wohnzimmer standen.

Edward ließ währenddessen die Namen Caroline Harris und Steven McNeill durch den Polizeicomputer laufen und bekam einige Informationen über die beiden. Caroline war Angestellte bei einer Bank, der Gibraltar Private Bank & Trust, und gerade unterwegs zur Arbeit, als sie eine rote Ampel überfuhr und mit tödlicher Wucht in einen Lastwagen raste. Sie starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Über den Verlobten Steven spuckten die Computer das aus, was Caroline auch schon erzählt hatte: Soldat, mit PTSD entlassen wurde, wohl nach irgendeinem nicht näher bezeichneten Vorfall, aber nicht unehrenhaft. Diverse Waffen auf ihn zugelassen.

Es versteht sich von selbst, dass wir Stevens Wohnung beobachteten, falls er wirklich etwas vorhatte. Mit ihm zu reden, war in seiner momentanen aggressiven Stimmung sicherlich nicht gerade aussichtsreich. Und nach einer Weile kam McNeill tatsächlich aus dem Haus und fuhr in einem alten, vor dem Haus geparkten Wagen davon. Alex gelang es, das Auto zu verfolgen, ohne dass der er merkte, während Edward seinen Partner Henry anrief und den das Nummernschild durch den Polizeicomputer jagen ließ. Vor drei Tagen gekauft, sagte Henry. McNeill fuhr gutes Stück weit, ehe er in einer Seitenstraße in einer etwas heruntergekommenen Gegend parkte und ausstieg, den Wagen abschloss und den Schlüssel in eine nahegelegene Mülltonne warf. Dann ging er zu Fuß davon und rief sich zwei Straßen weiter ein Taxi.

Edward und Totilas blieben bei McNeills Wagen, um den etwas näher zu untersuchen, während Alex, Roberto und ich dem Taxi folgten. McNeill ließ sich zu einem Autohändler bringen und erstand dort eine ähnlich klapprige Rostlaube wie die, die er soeben zurückgelassen hatte. Sehr seltsame Geschichte. Warum ein Auto aufgeben und gleich ein absolut vergleichbares kaufen? Es sei denn, es gab einen Grund, mit dem alten Wagen nicht mehr gesehen zu werden... Natürlich folgten wir ihm weiter, als er mit seiner Neuerwerbung von dem Händler wegfuhr.

McNeill unterbrach seine Fahrt an einer Buchhandlung, wo er eine Bibel kaufte (was ich weiß, weil ich neugierig war und ihm in den Laden hinterherging. Unauffällig und vorsichtig natürlich. Was denkt ihr denn, Römer und Patrioten.) Die Dame an der Kasse lächelte ihn an und sagte irgendwas zu ihm, von dem ich nur das „... Bruder“ am Ende verstehen konnte, aber was es auch war, McNeill schoss ihr einen Blick zu, der sie umgehend zum Schweigen brachte. Und auch die übrigen Kunden traten instinktiv von ihm zurück. Creepy.

Anschließend fuhr McNeill nach Hause, stellte den neu gekauften Wagen ab und verschwand wieder in seiner Wohnung. Und was sollte das jetzt? Muy extraño. Also weiter das Haus beobachten. Nach einer Weile stießen Edward und Totilas wieder zu uns, Totilas etwas ... zerzaust. Und vor allem von einem deutlichen Spritzer Eau de Garbage umgeben. Er hatte tatsächlich die Mülltonne nach dem Autoschlüssel durchsucht, weil er nicht wollte, dass Edward den Wagen einfach aufbrach.

Das Ergebnis der Mühen: Ein Kofferraum voller Waffen – Pistolen, Maschinenpistolen und ein Sturmgewehr sowie eine Granate – und eine Bibel im Handschuhfach. Unterstrichen waren vielsagende Stellen wie Gen 13:13, Gen 18:20, Gen 19:13 oder 1. Chronik 21:15-16: alles Verse, die sich mit der Vernichtung und Zerstörung als Strafe für Sünde befassten. Ganz klar, den Mann mussten wir weiter im Auge behalten.

Irgendwann kam McNeill auch tatsächlich wieder heraus. Er trug eine Sporttasche in der Hand, stieg in sein Auto und fuhr davon. Wir folgten ihm natürlich, und zwar bis zu einem Bürogebäude im Bankendistrikt, das gerade vollständig renoviert wird und deswegen leersteht. Als wir in einigem Abstand oben ankamen, war der Mann gerade damit fertig, ein Scharfschützengewehr an der glaslosen Fensteröffnung aufzubauen. Und ehe wir ihn daran hindern konnten, gab er ein paar Schüsse ab. Draußen Schreie, panisch herumrennende Menschen. Aber ein schneller Blick nach draußen ergab, dass offensichtlich gar niemand getroffen worden war, sondern dass McNeill anscheinend mit Absicht auf die gegenüberliegende Hauswand statt auf Leute gezielt hatte.

Trotzdem kam natürlich ein Wachmann nach oben gerannt. Er langte gerade bei uns an, als wir den sich wie wild wehrenden McNeill mit vereinten Kräften dingfest gemacht hatten, und er musste uns natürlich erst einmal mit der Waffe im Anschlag verhaften. Was wir anstandslos über uns geschehen ließen, bis die Polizei kam und festgestellt wurde, dass wir uns nichts zuschulden hatten kommen lassen. Während wir alle nur Schrammen abbekommen hatten, war McNeill von einem von Totilas' Schlägen schwerer getroffen worden als geplant – unser White Court hätte ihm um ein Haar den Schädel eingeschlagen, Madre mia – deswegen kam der Ex-Soldat unter Polizeibewachung erst einmal ins Krankenhaus.

Auch wir fanden uns wegen unser diversen Kratzer im Krankenhaus ein – deswegen, und weil wir versuchen wollten, vielleicht noch etwas mehr über McNeills Beweggründe herauszufinden. Aber als Roberto ihn mit seinem zweiten Gesicht ansah, erkannte er, dass der Mann nur noch eine leere Hülle darstellte, dass von dem, das seine Persönlichkeit ausmachte, kaum mehr etwas übrig war. Offensichtlich hatte er absichtlich so getan, als wolle er einen Amoklauf begehen (ohne wirklich jemanden umbringen zu wollen), um sich dabei von den Sicherheitskräften zur Strecke bringen zu lassen. „Suicide by Cop“, wie Edward das so schön knapp auf den Punkt brachte.
Alex hatte McNeills Verlobte mit ins Krankenhaus geholt, auf seine übliche Weise, und nun öffnete er ihr das Tor ins Jenseits. Denn er hatte ja schon zuvor gesehen, dass Caroline eigentlich schon längst hätte gehen sollen, dass es nichts mehr gab, das sie hier hielt, außer dem Zauber, der sie zurückgerissen hatte. Und nun, wo auch die Sorge, dass ihr Verlobter Amok laufen könnte, hinfällig war, hielt sie erst recht nichts mehr. Alex öffnete das Portal absichtlich so, dass es auch für McNeill geeignet wäre, falls dieser loslassen wollte. Und der Ex-Soldat war schwer verletzt genug, sein Lebensfaden so dünn, dass ihm das ein Leichtes war. Kaum hatte Alex sein Ding getan und wir das Krankenzimmer verlassen, da hörten wir das typische langgezogene Biiiiiiieeeeeeeeep eines Herzstillstandes. Und Alex erzählte später, er habe McNeill mit ungläubiger Stimme „Caroline?“ fragen hören und sei ihr dann freudig gefolgt. Santísimo Padre del cielo, nimm die beiden gnädig bei dir auf.

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Ich glaube es nicht. Da steigt morgen abend die Kick-Off-Party für den Drehbeginn von Indian Summer, und die Einladung kam nicht bei mir an. Wenn Sheila nicht vorhin angerufen hätte, wann genau ich bei der Party aufzuschlagen gedächte, wäre die Sache komplett an mir vorbeigegangen.
Na gut. Sheila hat aber angerufen, und natürlich gehe ich hin. Und genauso natürlich lade ich die anderen ein. Vielleicht ist das ja mal eine Gelegenheit für Alex, Dallas Hinkle auszuführen. Die mag ihn, und er sie, das kann ich doch sehen.
Und ich rufe jetzt Dee an.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.02.2013 | 23:00
Ricardos Tagebuch: Blood Rites 2

Dee hat Zeit! Sie ist ohnehin gerade in Miami, sagte sie, und sie meinte, sie geht gerne mit auf die Party. Sie sagte sogar, sie werde vermutlich demnächst für permanent hierher versetzt. Erstaunlich, wie einem eine so nebensächlich mitgeteilte Neuigkeit doch tatsächlich die Laune heben kann.

Mom war ganz aufgeregt, als ich sie anrief, und meinte, das hätte sie unbedingt früher wissen müssen, dann wäre sie noch zum Friseur gegangen und sie würde ja völlig unmöglich aussehen und hätte auch nichts anzuziehen. Aber natürlich werden sie und Dad da sein. Yolanda auch. Ich hoffe nur, Mom erwartet sich nicht zu viel und Falsches von der Veranstaltung. Ich weiß ja selbst nicht so recht, was ich erwarten soll. Ich habe noch kein Buch von mir verfilmt bekommen. Nicht zu schick anziehen, sagte Sheila, es sei keine Oscar-Verleihung. Ach echt jetzt. Naja, morgen nacht wissen wir mehr.

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Ein bisschen Zeit habe ich noch, ehe ich Dee für die Party abholen fahre. Daher hier noch kurz das, was heute tagsüber passiert ist.

Edward hat uns eine ziemlich beunruhigende Sache erzählt. Und zwar hat Spencer Declan ihn kontaktiert und – nennen wir das Kind ohne Umschweife beim Namen – erpresst jetzt Schutzgeld von ihm. Natürlich hat Declan das Ganze hübscher verpackt, spricht von „Ausbildungsgebühr“ oder so, weil Declan Edward ja dabei helfen werde, jetzt, wo seine magischen Fähigkeiten langsam auch von anderen Kreisen bemerkt werden, dem White Council gegenüber die Nase sauberzuhalten. Wenn er es nicht täte, dann wäre das verdächtig, und die Wardens müssten sich seiner Aktivitäten genauer annehmen. Na gut, die $50 im Monat, oder was Declan da von Edward verlangt, kann der sich gerade noch so leisten. Aber trotzdem. Es ist Schutzgelderpressung. Für einen Beitrag von einer halben Million (hah!) könnte Edward übrigens auch vollständig als Declans Lehrling angenommen werden, dann wäre er aufgrund dieses Lehrlingsstatus ein offizielles Mitglied des White Council.
Declans Lehrling? Doppel-hah.

Wir haben dann ein wenig nachgeforscht, was es mit Declans Lehrlingen so auf sich hat. Der Warden hat momentan vier von der Sorte – eine gewisse Cleo duMorne, ein gewisser Joseph Adlene und noch irgendjemand. Und seine vierte Schülerin kenne ich sogar: Stefania Steinbach, die Kirchenfunktionärin. Die hat zwar, soweit wir wissen, kein, also wirklich keinerlei, magisches Talent, aber fehlende Fähigkeiten arkaner Natur scheinen Declan nicht davon abzuhalten, Leute als Zauberlehrling anzunehmen. Vielleicht sollte ich mich um so einen Posten bewerben. Magisches Talent habe ich auch keines, und eine halbe Million kriege ich schon irgendwie zusammen. Dreifach-Hah. Garantiert nicht.

Alex hat sich mit Dee kurzgeschlossen, und sie hat in ihrer Funktion als Marshal die Gibraltar Private Bank & Trust aufgesucht und für morgen einen Termin ausgemacht, um deren Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Dass sie dabei auch magische Schutzvorrichtungen aufbauen wird, sagte sie den Bankleuten natürlich nicht. Aber es erschien uns sicherer, wenn man an die genauen Umstände von Caroline Harris' Ableben denkt.

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Zurück von der Party. Es war ein netter Abend – es sind nur auch ein paar ziemlich beunruhigende Dinge passiert, Dinge der Han-Solo-Klasse. Han-Solo-Klasse wie in „I have a bad feeling about this.“

Han-Solo-Klasse, Kategorie I: Lady Fire ist für die Pyrotechnik am Film verantwortlich. Natürlich nicht offiziell als sie selbst, sondern über Christine, ihre menschliche Mittelsfrau, aber das ist ja am Ende dasselbe. Lady Fire hat ihre Finger im Film zu meinem Buch. Irgendwie hätte ich es mir es ja denken können: Sie ist der selbsternannte größte Eric-Albarn-Fan auf Erden (oder sollte ich in diesem Falle besser sagen: im Nevernever), und sie ist eine Feen-Fürstin mit jeder Menge Einfluss, die es ja auch irgendwie geschafft hat, meine Romane zum Betalesen zu bekommen. Vor Veröffentlichung, wohlgemerkt.
Jedenfalls ist mir alles andere als wohl dabei, dass gerade eine Frau, die mich hasst, für Indian Summer die Pyrotechnik macht. Und hätte ich einen Zweifel daran gehegt, dass sie mich hasst, wäre der spätestens nach der Party beseitigt gewesen. Ich versuchte nämlich, ein paar Worte mit Christine zu wechseln, aber die wich mir aus. Und zwar überdeutlich. Ich habe es dann aufgegeben, habe sie nicht weiter bedrängt, aber ich sah dann später, wie Totilas sie abpasste und ihr schöne Grüße an Lady Fire ausrichtete. Wenn Blicke töten könnten, wäre unser White Court in dem Moment zu Asche zerfallen. Autsch.

Han-Solo-Klasse, Kategorie II: Direkt neben dem Studio und der Soundstage, wo gedreht werden soll, hat gerade ein Zirkus seine Zelte aufgeschlagen. Und die machen auch gewaltig in Feuer. Und etwas Nachforschen aufgrund eines unbestimmbaren aber nicht zu missachtenden Instinkts hat ergeben, dass da, wo dieser Zirkus in der Vergangenheit auftauchte, Unfälle passiert sind. Scheunen abgebrannt und so. Ich habe zwar eine entsprechende Warnung weitergegeben, aber ich habe ein ganz, ganz, ganz schlechtes Gefühl bei der Sache, Römer und Patrioten. Han-Solo-Klasse eben.

Ach ja. Dee sah traumhaft aus heute abend, das soll doch nicht unerwähnt bleiben. Und ich glaube – ich hoffe! – sie hatte auch ein bisschen Spaß. Allerdings (Han-Solo-Klasse, Kategorie... null?) irritierte mich etwas, dass sie sich den Friseur für ihre zugegebenermaßen umwerfende Frisur von Roberto hatte empfehlen lassen. Und dass die beiden ständig zusammenhingen, lachten und scherzten. Und dass das einen Nerv bei mir traf.

Bist du etwa eifersüchtig, Alcazár? Du klingst eifersüchtig.

Verdammt. Ja, verdammt, ich glaube, das bin ich tatsächlich. O Dios. Und das, obwohl Roberto eigentlich gar nichts machte, zumindest nicht direkt. Der tauchte übrigens – und das haute mich im ersten Moment auch erstmal um – mit Dallas Hinkle bei der Party auf, nicht Alex. Und das, wo ich doch eigentlich gedacht hatte, dass das mal eine gute Gelegenheit für Dallas und Alex wäre. Aber Alex erklärte mir das später: Es war sogar seine eigene Idee gewesen. Denn sowohl sie als auch Roberto stehen auf Herausputzen und Aufbretzeln, Alex jedoch gar nicht, und so dachte er, es sei eine nette Idee, wenn Dallas an Robertos Arm ihren großen Auftritt im Abendkleid hätte und Alex selbst nur den Chauffeur gab. Verstanden habe ich das zwar nicht so recht, aber wenn er meint...
Meins wäre es nicht, Roberto so den Vortritt zu lassen. Siehe meine Reaktion auf ihn und Dee. Oh Mann, darüber muss ich echt nachdenken.

Aber es ist spät. Ab ins Bett, Alcazár. Hopp.

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Cólera. In der Gibraltar Private Bank & Trust wurde heute nacht eingebrochen. Bevor Dee heute ihren Termin wahrnehmen und die Sicherheitsmaßnahmen verstärken konnte. Natürlich. War ja klar.
Und es kam gestern ein weiterer Bankangestellter ums Leben, wieder in einem Autounfall, allerdings diesmal ohne Beteiligung einer roten Ampel. Der Mann war ein Stück draußen vor der Stadt an einer scharfen Kurve über eine Klippe ins Meer gestürzt.

Bei der Bank erfuhr Edward, dass der Einbruch den Schließfächern gegolten hatte, genauer einem Schließfach im ganz Speziellen. Es gehört einer Firma namens Segunda Escalera, und wie der Name schon andeutet, stellen sie Leitern her. Oder besser stellten, denn die Firma ging vor fünf Jahren pleite... während das Schließfach in ihrem Namen erst vor vier Jahren angemietet wurde. Sehr mysteriös.

Was das Fach enthalten hatte, war natürlich nicht mehr nachzuvollziehen. Schließlich ist das nur die Sache des Kunden. Aber vielleicht bekommen wir von der Bank noch einen Ansprechpartner genannt. Irgendwas muss es ja mit dem Diebstahl auf sich gehabt haben.

Anschließend fuhren wir hinaus an die Stelle, wo der Bankangestellte seinen Unfall gehabt hatte. Und tatsächlich konnte Alex seinen Geist dort noch finden und mit ihm sprechen. Der Mann trug dasselbe schwarze Band um den Hals wie Caroline Harris, und er berichtete ganz Ähnliches. Dass er die Straße als völlig gerade vor sich gesehen habe, und dann sei er plötzlich gefallen. Seine Wahrnehmung wurde also manipuliert – wie Carolines mit der vermeintlich grünen Ampel. Anders als Caroline, die in der belebten Stadt umkam, hatte der Bankangestellte vor seinem Tod einen Mann gesehen, den er Alex auch beschreiben konnte. Dunkelhäutig, bereits etwas älter, graue Haare. Etwas altmodisch, aber elegant in Anzug und Seidenschal gekleidet. Unser Verdächtiger.
Und der Tote berichtete, dass er, genau wie Caroline, die Sicherheitscodes gekannt habe. Überraschung.

Wir fragten bei unseren üblichen Quellen – lies: Jack „White Eagle“ – nach, wer der Mann im Anzug sein könnte. Er meinte, die Beschreibung passe auf einen gewissen Joseph Adlene. Richtig erinnert, Römer und Patrioten, den Namen haben wir erst vorgestern gehört. Joseph Morris Adlene ist einer von Spencer Declans Lehrlingen, und zwar, anders als Stephania Steinbach, offensichtlich einer mit magischen Fähigkeiten, wenn er diese Nekromantennummer abzieht. Na ganz toll. Sich mit Adlene anzulegen, heißt automatisch, sich mit Warden Declan anzulegen, und das wollen wir ganz sicher nicht. Zumindest nicht offen.

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Jetzt sieh einer an. Ximena O'Toole, Robertos Cousine, hat uns kontaktiert. Sie könne unsere Hilfe brauchen, sagte sie. Ich wiederhole mich, aber sieh an.

Bei dem Treffen im Dora's erzählte Ximena, auch sie müsse Schutzgeld an Spencer Declan entrichten, denselben Betrag wie Edward auch. Und es gebe da jemanden, dem sie etwas heimzuzahlen habe. Sie hat auch gesagt, warum, aber das weiß ich gar nicht mehr so ganz genau. Das „wer“ hat mich nämlich deutlich mehr aus den Socken gehauen. Es ist niemand anderes als Joseph Adlene, unser mordverdächtiger Nekromant, mit dem Ximena eine Rechnung offen hat. Oder besser, dem sie eins auswischen will. Weil er eben als Declans Lehrling eine Chance beim White Council hat und sie nicht, glaube ich. Und weil er die Million aufbringen konnte, die Declan von ihr für den Lehrlingsstatus verlangte, sie aber nicht.

Da es uns ebenfalls zupass kommt, wenn wir dem Kerl das Handwerk legen, willigten wir ein. Eine fähige Magierin von Ximenas Qualitäten kann bei der Aktion sicher nicht schaden. Jetzt müssen wir nur schauen, wie wir in Sachen Adlene am besten vorgehen.

Einfach beim White Council wegen Verletzung der Magiegesetze anklagen können wir ihn jedenfalls nicht. Denn wer vertritt den White Council in Miami? Richtig. Declan. Und bei wem ist Adlene als Lehrling unter Vertrag? Richtig. Declan. Wer wird also wohl kaum einen Finger rühren? Richtig. Declan. Schlimmer noch, vermutlich würde der Warden sogar eher anfangen, aktiv gegen uns vorzugehen, und das... äh. Wäre nicht so gut. Ganz abgesehen davon, dass wir Adlene den Verstoß gegen die Magiegesetze erst mal nachweisen müssten.

Wir überlegten also, dass wir ihn auf andere Weise drankriegen müssten. Es irgendwie schaffen, dass er sich etwas zuschulden kommen lässt, das wir ihm auch beweisen können. Wegen dem er idealerweise im Gefängnis landet. Und zwar in einem Magier-Gefängnis, denn ein normales dürfte wohl kaum ein Problem für ihn darstellen mit seinen Fähigkeiten.
Bei der Besprechung hatten wir erstmal keine brilliante Idee, aber es muss ja auch nicht gleich sofort in dieser Sekunde sein. Mal drüber schlafen – irgendwas fällt uns bestimmt noch ein.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 26.02.2013 | 23:15
Dankeschön.  :-*

Selganor, guckstu: Diary!  ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 28.05.2013 | 19:12
Ricardos Tagebuch: Blood Rites 3

Hah. „Kleine Genre-Produktionen“. Denkste. Was diese Kataklysma Bentley bisher gedreht hat, sind neben besagten drei Filmen vor allem Pornos. O Dios. Warum hast du mir das nicht vorher gesagt, Sheila!?
Vermutlich, weil sie genau wusste, wie ich reagieren würde. Durchatmen, Alcazár.
Dass sie bisher Pornos gedreht hat, heißt ja nicht, dass sie aus Indian Summer auch einen macht.

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Heute nacht hatte ich einen schrägen Traum, Römer und Patrioten. Ziemlich Fantasy-lastig, irgendwie. Und zwar lebte die Figur, aus deren Ego-Perspektive ich träumte, in einer, hm, Fantasy-Parallelwelt unserer Erde im 16. oder 17. Jahrhundert, in der es Elementar-Magie und Luftschiffe und all solche Dinge gab. Amerika (auch wenn es anders hieß), war vor noch gar nicht allzu langer Zeit entdeckt worden, und die Eingeborenen waren keine Indianer oder Indios, sondern Tiermenschen. Mein Traum-Ego war ein spanischer (wobei auch der Name anders lautete, Spanien war Escamandrien oder so) guitarero namens Joaquin, der im Glücksspiel vor kurzem ein Luftschiff gewonnen hatte und mit einer kleinen Gruppe von Kameraden jetzt alle möglichen Abenteuer erlebte. Eine Love-Story gab es im Traum sogar auch; zwei sogar: zwischen Joaquin und einer chartreusischen (das Traum-Äquivalent für Frankreich, offensichtlich) Gnomin namens Francine sowie zwischen einem Minotauren namens Maurice und einer Escamandrierin namens Esmeralda, die alle auf dem Luftschiff ('La Vaca des Nueves', was für ein abgefahrener Name!) mitflogen.

Ziemlich spannend und fast kinotauglich jedenfalls. Ich müsste mir echt mal die Mühe machen, das alles im Detail aufzuschreiben. Und sei es nur aus Spaß für mich selbst.

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Genug Traum-Gerede fürs Erste. Wir stehen ja immer noch vor dem Problem Adlene, und Ximena hatte da eine Idee. Sie meinte nämlich, Adlene verfolge schon seit Jahren, Jahrzehnten beinahe, die Idee, den Jungbrunnen zu finden. Und sie würde ihn nun am liebsten an diesem Horn packen und ihn dabei um soviel Geld erleichtern wie nur irgend möglich. Wie genau der Betrug aussehen sollte, darüber waren weder sie noch wie uns im Klaren, und so haben wir die unterschiedlichsten Ideen hin und her gewälzt, bis am Ende doch die Grundzüge eines Plans Gestalt annahmen.

Aber zuvor machten wir uns auf die Suche nach Sharon, dieser verschwundenen Wachfrau. Oh, dabei fällt mir auf, die habe ich bisher noch gar nicht erwähnt. Also, seit dem Einbruch in der Gibraltar Bank wird eine Frau vermisst, die in der fraglichen Nacht vor Ort Dienst hatte. Getötet und fortgeschafft? Entführt? Verletzt? Vielleicht gar selbst involviert? Vanguard Security stellt die Sicherheit im Gebäude, und James Vanguard machte sich verständlicherweise Sorgen um seine Mitarbeiterin. Mehr als Mitarbeiterin, wie Edward uns klarmachte: Die Verschwundene war, ist, Teil von Vanguards Rudel, und ihr Rudel ist Lykanthropen ebenso wichtig wie echten Wölfen.

Von Vanguard bekamen wir auch einen persönlichen Gegenstand der Dame, was es Edward erlaubte, sie mit seiner Magie aufzuspüren. Die Spur führte aus der Stadt, nach Norden Richtung Lake Okeechobee. Wir fanden Sharon auf dem freien Feld außerhalb des Städchens Indiantown im Osten des Sees, aber dummerweise wurde sie wurde auf uns aufmerksam, feuerte einige Schüsse in unsere Richtung (von denen keiner traf, gracias a Dios) und rannte zu ihrem auf einem Parkplatz am Stadtrand abgestellten Auto zurück.

Bis wir selbst unser Auto wieder erreicht hatten, war von der Lykanthropin nichts mehr zu sehen. Aber ein Passant hatte sie in Richtung des Sees davonfahren sehen, also folgten wir dieser Spur. Das Haar, das James Vanguard uns gegeben hatte, war bei der ersten Suche aufgebraucht worden; auf magische Weise konnten wir Sharon also nicht nochmal finden.

Aber mit Instinkt. Von der Hauptstraße führte ein beschilderter Weg zu einer Bootsmarina, wohin wir abbogen und wo die Vanguard-Wachfrau gerade dabei war, ein Boot zu mieten oder gar zu kaufen. Wir hatten Glück, dass die Transaktion noch nicht ganz abgeschlossen war, sonst hätte Sharon uns einfach wieder davonfahren können, aber so hatten wir Gelegenheit, ihr zuzurufen, dass wir nur mit ihr reden wollten, und nachdem wir ihr versprochen hatten, dass wir nicht an Bord ihres Bootes kommen würden, sondern in Rede-Abstand auf dem Steg bleiben würden, erklärte sie sich dazu bereit.

Sharon erzählte uns ihre Version der Dinge. Es gehe ihr gut, sie sei unverletzt, sie sei nur abgehauen, weil sie Mist gebaut habe. Folgendes war passiert: Sie wollte nicht näher darauf eingehen, was es genau gewesen war, aber sie muss wohl in einem Anfall von lykanthropischer Rage jemanden verletzt oder gar umgebracht haben, und das machte sie erpressbar. Erpressbar von unser aller Lieblings-Nekromanten Joseph Adlene, der sie dabei beobachtet oder sonstwie von der Sache Wind bekommen hatte. Adlene schien auch sehr genau zu wissen, dass sie bei dieser Bank arbeitete (ob er die Frau irgendwie beeinflusst hatte, um sie zu diesem Ausraster zu bewegen und ein Druckmittel gegen sie zu bekommen? So sorgfältig, wie der zu planen scheint, kann ich mir fast nicht vorstellen, dass es ein Zufall gewesen sein soll), und im Gegenzug für sein Schweigen erklärte Sharon sich bereit, wegzusehen, wenn während ihres Wachdienstes etwas Unvorhergesehenes passieren sollte, und den Tresorraum zu öffnen.

Dieses Unvorhergesehene geschah dann in der fraglichen Nacht in der völlig unerwarteten Form eines jungen Mädchens, das frech wie Oskar in die Bank marschiert kam und schnurstraks auf Sharon zuging. Der fiel auf, dass das Mädchen einen seltsamen Gang hatte und seltsam tonlos zu ihr sprach – vermutlich von einem von Adlenes Geistern besessen, war unser aller erster Gedanke, als wir das hörten.

Jedenfalls öffnete Sharon dem Mädchen, wie mit Adlene vereinbart, den Tresorraum und hielt sich ansonsten aus allem heraus. Das Mädchen hatte ganz klar das Schließfach von Segunda Escalera zum Ziel, wütete aber absichtlich im Tresorraum herum und öffnete noch andere Fächer, um vom eigentlichen Ziel abzulenken. Mit dem Inhalt des Segunda Escalera-Tresors (von dem Sharon leider nichts sehen konnte) verschwand sie dann, aber nicht, ehe sie nicht aus einem der anderen Kisten eine Halskette mitgenommen und sich umgehängt hatte.

Die Wachfrau konnte uns das Mädchen beschreiben: um die dreizehn, hellhäutige Afro-Amerikanerin mit einer auffälligen, weil offensichtlich selbstgemachten Schmetterlings-Tätowierung, gekleidet in billige Sachen vom Kaliber J.C. Penney.

Wo in der Innenstadt die Kids aus den sozialen Brennpunkten herumhängen, ist kein großes Geheimnis. Also sahen wir uns dort um und stellten ein paar Fragen, bis wir die Gesuchte tatsächlich entdeckten. Das Mädchen war mit einer Freundin zusammen, von der sie sich keinesfalls trennen würde, und beide wollten unbedingt um die Häuser ziehen, in diesen und jenen Club gehen. Wenn wir mitkommen wollten... fein. Wenn nicht... Pech.

Madre mia. Naja, wir wollten schon ziemlich dringend mit dem Mädchen – Sevennah hieß sie, hatten wir bei unseren Fragen herausbekommen – reden, also gingen Roberto und ich mit in diesen Club. Die beiden Jugendlichen waren natürlich längst nicht so abgebrüht, wie der lässige Spruch klingen sollte; jedenfalls wirkten sie schon etwas beeindruckt, dass zwei erwachsene Männer sich mit ihnen abgaben.

Ich hingegen war alles andere als beeindruckt. Die Mädchen hätten natürlich gar nicht in den Club gelassen werden dürfen, aber es brauchte nur ein Zwinkern zum Türsteher, und sie waren drin. Und sie hatten auch keine Probleme, an Drinks zu kommen, und sie ließen sich davon auch durch unsere Warnungen nicht abbringen. Sie machten das definitiv nicht zum ersten Mal, vor allem nicht die ein paar Jahre ältere Kemberlee. Mierda.

Damit Roberto sich in Ruhe (naja, was an so einem Ort halt „Ruhe“ ist) mit Sevennah unterhalten konnte, ging ich mit Kemberlee auf die Tanzfläche. Mit ihr zu tanzen war definitiv unverfänglicher als eine Fünfzehnjährige in meiner Gesellschaft Alkohol trinken und vielleicht noch Drogen nehmen zu lassen, die hier auch kräftig angeboten zu werden schienen. Das Problem war nur: Irgendwann hatte Kemberlee keine Lust mehr auf Tanzen, und dann machte sie mir sehr deutlich und ziemlich betrunken klar, dass sie jetzt mit mir wo „privater“ hingehen wollte. Auch das war offensichtlich nichts Neues für sie. O Dios.

Ich machte Kemberlee daraufhin ebenso unmissverständlich klar, dass ich mit ihr nirgendwohin gehen würde, außer zu ihr nach Hause, um sie dort sicher abzuliefern, aber davon wollte sie nichts hören. Sie schleuderte mir ein „alter Spießer“ an den Kopf und suchte sich einen anderen Kerl, der ihr noch ein paar Drinks ausgeben und sie dann irgendwohin abschleppen würde.
Was mir ja eigentlich hätte egal sein können. Kemberlee hatte sich gestern und vorgestern und all die letzten Wochen und Monate von Kerlen abschleppen lassen, und sie würde es morgen und übermorgen und in den nächsten Wochen und Monaten und Jahren wieder tun. Was machte es da für einen Unterschied, ob heute da eine Ausnahme bildete? Aber, Madre de Dios, ayudame, es war mir eben nicht egal.

Als Kemberlee Anstalten machte, mit ihrem neu aufgegabelten Kerl den Club zu verlassen, trat ich dazwischen. Es kam zu hässlichen Worten, und vielleicht wäre die Sache auch zu Gewalt eskaliert, wenn Kemberlee nicht in mädchenhaft-betrunkener Begeisterung gesagt hätte: „Au ja, prügelt euch um mich!“ Das brachte den Typen zur Besinnung, und er zischte etwas von „Glaubst du etwa, du bist dafür wichtig genug, Schlampe? Hier gibt’s noch Dutzende wie dich!“
Wofür ich ihm wiederum mit Vergnügen eine reingeschlagen hätte, mich aber zurückhielt und Kemberlee dann doch unbehelligt heimbringen konnte.

Sie war so betrunken, dass ich sie nicht einfach aus dem Auto lassen konnte, wie ich das vorgehabt hatte. Stattdessen musste ich bei Kemberlee zuhause klingeln, und ihre Eltern waren alles andere als begeistert, dass ihre Tochter mitten in der Nacht in diesem Zustand von einem Fremden abgeliefert wurde. Andererseits machten sie einen resignierten Eindruck, als sei auch das bei weitem nichts Neues. Und ich fuhr mit sehr schwerem Herzen nach Hause. Mierda.

Während ich von Kemberlee nachhause fuhr, entstand übrigens ganz langsam ein anderer Plan, der so gar nicht mit Adlene und Jungbrunnen und Magie und Kram zusammenhing. Ich habe doch Geld, verdammt. Und ich habe eine gewisse Verantwortung. Ich muss mich mal umhören, aber vielleicht... eine Stiftung. Ein Jugendzentrum. Jugendarbeit. Irgendwas, um die Kemberlees und Sevennahs dieser Stadt von der Straße und vor allem aus den Clubs und den One-Night-Stands mit völlig Fremden zu holen. So ein Projekt wird garantiert nicht allen helfen können. Aber vielleicht wenigstens einigen. Und irgendwas muss da passieren.

So, jetzt aber erstmal Treffen mit den Jungs, hören, wie es Roberto mit Sevennah gestern noch ging und ob er etwas herausfinden konnte

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Nicht ganz so brisant wie bei mir, erzählte Roberto. Das Mädchen ist dreizehn, weniger abgebrüht als ihre Freundin, und als sie ein paar Drinks intus hatte, war sie doch sehr erleichtert, als Roberto sie einfach heimbrachte, ohne dass die Sache irgendwie weiter führte. Er verabredete sich dann für heute nachmittag auch noch einmal mit ihr, weil er Sevennah versprochen hatte, heute mit ihr einkaufen zu gehen. Aber der Reihe nach.

Sevennahs Bericht bestätigte das, was wir ohnehin schon so halb vermutet hatten. Sie war mit ihren Freundinnen an ihrem üblichen Platz herumgehangen und hatte sich dann auf den Heimweg gemacht, als sie plötzlich einen Filmriss hatte. Wieder zu sich gekommen war sie irgendwo auf einem Parkplatz in Strandnähe, wo der Parkwächter sie gefunden und sich um sie gekümmert hatte, bis sie aufwachte. Sie hatte allerdings einen sehr seltsamen Traum, von einem Banktresor und dass sie darin eingebrochen sei, haha, wie schräg. Ha ha.

Beim Aufwachen hatte Sevennah aber auch eine Kette um den Hals, die sie vorher nicht gehabt hatte und von der sie sich nicht erklären konnte, wie sie an sie geraten war, die sie aber ziemlich cool fand: ganz golden und mit einer Münze dran. Und genau diese Kette war es, wegen der Roberto heute nachmittag mit dem Mädchen einkaufen war: Er hatte Sevennah nämlich dazu bekommen, dass sie ihm die Kette (echtes Gold, sehr wertvoll, aber vor allem: gemeldetes Diebesgut aus dem Einbruch in der Bank!) überlassen würde, wenn er ihr dafür eine andere kaufte. Oder Schuhe. Oder eine Sonnenbrille. Oder alles drei. Zum Glück haben dreizehnjährige Mädchen einen recht... sagen wir mal... einfach gestrickten Geschmack, so dass Roberto mit ein wenig Bling sehr billig bei der Sache wegkam.

Roberto hat übrigens unabhängig von mir einen ganz ähnlichen Plan gefasst. Auch er ist der festen Überzeugung, man müsse etwas für die Kids aus dem sozial schwachen Milieu tun. Was genau er vorhat, sagte er allerdings nicht, aber vielleicht können wir uns zusammentun.

Nachdem Roberto seinen Bericht von den beiden Treffen mit Sevennah erstattet hatte, gingen wir wieder ans Planen des Betrugs an Adlene. Und wie ich schon sagte: So ganz langsam kristallisiert sich eine Idee heraus. Ich weiß nur nicht genau, ob ich sie hier noch so exakt zusammenbekomme. Irgendwie wollen wir Adlene dazu bekommen, dass er durch ein von Alex geschaffenes Tor geht, in der Meinung, dass sich dahinter der Jungbrunnen – oder der Eingang zum Jungbrunnen – befindet, dass er in Wahrheit aber dann im Tresorraum der Bank landet, wo ihn die Behörden (a.k.a. Dee Martin, mit ihren besonderen Mitteln für übernatürliche Straftäter) in Empfang nehmen und wegsperren können. Außerdem soll er selbst noch für das Ritual, oder einen Teil des Rituals zahlen, bzw. seine Ressourcen dafür hergeben. Irgendwie so. Wie ich ebenfalls gerade sagte: erstens ist das Ding noch nicht so richtig ausgefeilt, und zweitens habe ich dann irgendwann den Faden verloren, als Alex und Edward ans magische Eingemachte gingen. Ich weiß nur noch, dass sie mich baten, ich solle eine passende Legende recherchieren. Irgendwas, das passt und das es wirklich gegeben haben soll, damit unsere Geschichte auch plausibel klingt, wenn wir sie ihm auftischen.

Und genau damit werde ich mich jetzt beschäftigen, Römer und Patrioten, und dieses Tagebuch hier daher erstmal beiseite legen. Ich hoffe nur, wir verlieren Ximena nicht mit unserer ganzen bisher ergebnislosen Planerei. Bei der letzten Besprechung klang sie nicht sehr begeistert.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 29.05.2013 | 22:16
Ui, wie fein.  ;D

Den merkwürdigen Geruch nach Meer, Wind, Rauch und Gewürzen in deiner Wohnung nach dem Traum hab ich erwähnt, oder? Spielt Cardo eigentlich Gitarre? :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.06.2013 | 20:02
Nachtrag. Planänderung. Ich war gerade lustig am Googlen nach passenden spanischen Galeonen (Nuestra Señora de Atocha? Viel zu bekannt. Santa Margarita? Vielleicht, aber auch noch ziemlich bekannt), als das Telefon klingelte. Alex war dran, wir würden auf eine Vernissage gehen. Vernissage? Okay...

Aber es hatte durchaus Sinn und Verstand. Denn auf dieser Vernissage würde auch Joseph Adlene sein, hatte Alex mit seinen Connections herausbekommen, und den wollte er ja zu gerne mal kennenlernen. Also sind wir hin, alle außer Totilas, der ohnehin schon die ganzen letzten Tage irgendwas für Gerald erledigen muss. In die Ausstellung gingen wir allerdings nicht gemeinsam, sondern teilten uns auf, auch wenn wir uns die Mühe vermutlich hätten sparen können: Wer uns kennt, weiß, dass wir ständig zusammenhängen, und kann vom einen auf den anderen schließen. Und selbst wer uns nicht kennt, wird das relativ schnell herausbekommen.

Jedenfalls kam Alex mit Adlene ins Gespräch. Wobei - „Gespräch“ kann man das wohl kaum nennen. Das war offen zur Schau gestellte Feindseligkeit. Was sie sagten, konnte ich aus der Entfernung nicht hören, aber das war in ein mehr oder weniger höfliches Gewand verbrämte Gewaltandrohung. Alex erzählte später, er habe zwei Geister neben Adlene gesehen, beide mit diesem Halsband mit dem seltsamen zweidimensionalen Ring, eine hübsche Frau und einen Türsteher-cum-Schlägertyen. Adlene habe die beiden auch ziemlich herumkommandiert. Der Necromancer wusste jedenfalls genau, wer Alex war, oder besser, seine kontrollierten Geister sagten ihm bescheid, und Alex versuchte das auch gar nicht zu leugnen.

Währenddessen fiel Roberto ein Mann auf, der eine ganze Reihe von Damen um sich herumstehen hatte und diese überaus angeregt unterhielt. Er war eigentlich gar nicht alt (in den Dreißigern oder frühen Vierzigern vielleicht?), wirkte aber irgendwie alterslos. Blond, stark sonnengebräunt, mit einer Seefahrerkappe auf dem Kopf. Seine Zuhörerinnen hielt er mit Erzählungen von seinen maritimen Abenteuern in Atem, denn er sei Kapitän zur See. Was durchaus passte, denn die Ausstellung drehte sich ja auch um Gemälde von Segelschiffen.

Dann jedoch bemerkte dieser Mann Roberto und wurde unter der Sonnenbräune schlagartig kreidebleich. Er wimmelte seine Bewunderinnen ab und versuchte sich aus dem Staub zu machen. Roberto jedoch hielt ihn draußen auf und redete mit ihm.
Es stellte sich heraus, dass der Mann die Aura Titanias gespürt hatte, die Roberto ja anscheinend noch immer umgibt, und zunächst dachte, unser Freund sei gerade von der Sommerkönigin besessen. In diesem Glauben konnte Roberto ihn zwar nicht auf Dauer lassen, weil er zu wenig darüber wusste, was die beiden verbindet, aber er machte dem Seemann klar, dass er Titanias Stimme in dieser Angelegenheit sei.

In welcher Angelegenheit? Das wusste Roberto selbst nicht, aber das hat ihn ja noch nie daran gehindert, sich in einem ausgedehnten Bluff zu versuchen.
Der Mann – Hans Vandermeer nannte er sich, Kapitän des Segelschiffes Titania – gestand Roberto, das Amulett sei ihm gestohlen worden (was für ein Amulett das sei, sagte er nicht, und Roberto wollte nicht zu genau nachhaken, um seine Unwissenheit zu überspielen), und es täte ihm unendlich leid, und er könne nichts dafür. Von wem es gestohlen worden sei, wollte Roberto aber doch wissen. Das war ja auch eine durchaus legitime Frage, selbst wenn er gewusst hätte, um was genau es ging. Die Beschreibung des Diebes, oder besser der Diebin, passte vage auf Chérie Raith, aber ehrlich gesagt auch auf eine Menge anderer südländischer Frauen mehr.

Roberto drohte Kapitän Vandermeer dann, er werde ihn töten, falls der Mann Ärger mache, aber darüber schien der Seemann nur unendlich erleichtert. Sehr, sehr gerne, wenn das in Robertos Macht stünde, sagte er. Nicht so ganz das, was der hatte hören wollen... Statt dessen gestattete Roberto ihm schließlich, in der Stadt zu bleiben, wenn der Kapitän im Gegenzug Roberto zur Verfügung stünde, wann immer der ihn brauche.
Auf diesen Handel ließ Vandermeer sich mit Begeisterung ein: Er war geradezu aus dem Häuschen bei dem Gedanken, nicht mehr aufs Meer hinaus zu müssen, sondern auf dem festen Land bleiben zu dürfen – aber ob Roberto das vor Titania verantworten könne? Ja klar, meinte der. (Hust, sage ich da nur. Oh, und sagte ich schon, dass Roberto einem ausgedehnten Bluff gegenüber noch nie abgeneigt war?)

Jedenfalls. Ein altersloser niederländischer Kapitän eines altmodischen Segelschiffes, der nicht sterben kann, aber gerne sterben möchte und aufgrund irgendeines Handels mit Titania eigentlich nicht länger an Land bleiben darf oder kann? Der Fliegende Holländer, anyone?

Diese neue Entwicklung hat jedenfalls dafür gesorgt, dass wir am Überlegen sind, ob wir Vandermeer und sein Schiff nicht in den Betrug an Adlene einbauen können. Aber so richtig weit sind wir mit den Überlegungen noch nicht gediehen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 9.07.2013 | 17:29
Ricardos Tagebuch: Blood Rites 4

Ganz anderer Plan. Oder besser: eine weitere Metamorphose des ursprünglichen Plans. Wir werden Adlene nicht weismachen können, hinter einem wie auch immer gearteten Tor befinde sich der Jungbrunnen. Aber wir können ihm vielleicht schon eher glaubhaft machen, dass Edward ein Verjüngungsritual beherrscht, oder genauer gesagt eines, das den Alterungsprozess verlangsamt. Nur dass das Ritual, das der dann abziehen wird, den Necromancer nicht langsamer altern lassen wird. Sondern ihm Pech bringen wird, und zwar genau und ausschließlich dann, wenn er wieder seine fiesen Dinger abzieht. Verhält er sich anständig, wird er auch kein Pech haben.

Mit dieser Idee, und vor allem mit dieser Wenn-Bedingung, konnten wir alle leben. Denn wir sind ja immerhin die Guten, verdammt. Edward forschte also etwas nach und fand in einem seiner Bücher zur Magie tatsächlich genau das Passende. Fehlen nur noch die Komponenten.
Deswegen haben wir uns aufgeteilt. Mir schwebt für eine Komponente da nämlich was vor. 

Der Bereich „Sehen“ muss von einem deprimierenden Bild abgedeckt werden, sagte Edward. Und in Alejandras Kindergarten ist mir schon seit längerem ein Gemälde aufgefallen, das die Kernkompetenz „deprimierend“ so ziemlich genau erfüllt. Warum das ausgerechnet in einem sonst so fröhlich eingerichteten Kindergarten hängen muss, weiß ich selbst nicht, aber das könnte echt was sein. Glücklicherweise ist gerade für heute nachmittag das Frühlingsfest angesagt. Langsam höre ich echt auf, an Zufälle zu glauben... Jedenfalls, ich muss gleich los. Drückt mir die Daumen, Römer und Patrioten, dass ich eine Gelegenheit finde, denen dieses Bild abzukaufen!

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Wieder zuhause. Ohne Bild. Mierda.

Als ich am Kindergarten ankam, musste ich erst mal feststellen, dass die Leiterin gar nicht anwesend war. Hatte sie die Beschäftigung mit den potentiell nervigen Eltern einfach ihren Untergebenen überlassen.

Aber das Fest war nett: Die Kinder hatten ein kleines Theaterstück zum Thema „Frühling“ einstudiert, und Alejandra durfte die Sonne sein. Darüber war sie allerdings kreuzunglücklich, weil sie lieber einen Schmetterling gespielt hätte statt der Sonne. Ihre Freundin Monica hatte ein Schmetterling sein dürfen, und das war viel toller, fand sie. Kaum hatte ich sie mit der Erklärung, dass sie eine tolle Sonne gewesen sei und beim nächsten Mal bestimmt einen Schmetterling geben dürfe, soweit beruhigt, kam sie kurz darauf wieder weinend angerannt. Edlyn habe Monica an den Haaren gezogen und ihr die Puppe weggenommen.
Von diesem Edlyn hat Alejandra schon öfter erzählt. Ein typischer kleiner Bully, wie es scheint, und vor allem auch noch einer mit schlechtem Einfluss elternseits. Oder wo sollte er sonst wohl Schimpfwörter wie „Spic“ her haben?
Ich ging also hin und stellte Edlyn zur Rede – ganz erwachsen und mit ruhigen Worten, wohlgemerkt, ich war ein wahres Vorbild an Moderation – nur um von seinem Vater der Einschüchterung seines kostbaren Sprösslings bezichtigt zu werden und mir blöde Sprüche von wegen „Berühmtheit schafft kein Recht“ anhören zu dürfen. Ha ha.

Monica und Alejandra waren jedenfalls schnell wieder beruhigt, nachdem 'Jandra ihre Puppe wiederhatte, und auch mit Edlyn vertrugen sie sich schnell wieder und rannten zusammen davon. Bis sie wieder heulend angerannt kamen. Madre mia.

Diesmal brannte im Garten ein Busch. 'Jandras Puppe habe plötzlich Feuer gespuckt, erklärten die Kinder unter Tränen. Oder besser, 'Jandra und Edlyn erklärten unter Tränen. Monica sah eher schuldbewusst drein. Ihre Mutter nahm die Kleine eilig beiseite, und ich hörte sie streng mit ihrer Tochter tuscheln. Oh-hoh. Die Angelegenheit war schnell als spontan entzündliches Spielzeug erklärt (auch wenn diese Puppe garantiert kein Billigimport aus China war. Aber was tut man nicht alles, um die Fiktion aufrecht zu erhalten.)
Nur Mrs. Salcedo nahm ich mir unauffällig beiseite und fragte sie, ob ihre Tochter das schon länger habe und immer größere Schwierigkeiten, das unter Kontrolle zu halten. Wenig überraschend, konnte Monicas Mutter mir das bestätigen, und ich versprach ihr, mich einmal umzuhören. Vielleicht finde ich ja jemanden, der die Kleine in Sachen Magie ein wenig unterweisen kann. Wir kennen da ja so eine junge Dame, die in Sachen Feuer recht bewandert ist.

Dann kam ich jedenfalls endlich dazu, Alejandras Betreuer, einen Osteuropäer namens Gregor Kasinski, auf das Bild anzusprechen. Er bedauerte vielmals, aber das Bild sei von einem guten Freund der Chefin höchstselbst gemalt worden, einem Gönner des Kindergartens, und wenn er das Bild einfach so verkaufe, dann sei dieser Herr bestimmt zutiefst beleidigt und werde seine Gönnerschaft zurückziehen.

Seufz. Dann bekommt der Kindergarten eben einen neuen Gönner...
Und außerdem... es sei doch keinesfalls Gregors Schuld, dass das Bild in dem unglücklichen Zwischenfall mit der spontan entzündeten Puppe ebenfalls abgebrannt sei?
Hmm ja. Das sah der Kindergärtner ein – nur hätte ich wohl mal besser nicht so laut gesprochen... oder hätte die kleine Monica nicht so gute Ohren, denn kurz darauf kam das Mädchen stolz wie Oscar wieder. „Mama, Mama, das Bild ist abgebrannt!“

Seufz. Also gut. Bekommt der Kindergarten eben trotzdem seinen neuen Gönner, und muss ich eben selbst versuchen, ein so bedrückendes Bild hinzubekommen wie das verbrannte. Allzugroßes malerisches Talent dürfte es ja nicht benötigen. Allerhöchstens bin ich ein zu großer Optimist dafür, um etwas derart... deprimierendes zu malen. Ich muss daran denken, mir beim Malen trübe Gedanken zu machen, sonst klappt es vielleicht nicht.

Oh, aber eines noch. Naja, zwei Dinge. Edlyns Vater hörte ich etwas von „anderer Kindergarten. Eindeutig anderer Kindergarten“ murmeln, worüber ich mich bestimmt nicht beschweren werde. Andererseits bin ich mir gar nicht sicher, ob ich es ihm für 'Jandra nicht gleich tun sollte. Denn die erzählte mir nach hinterher ganz vertraulich, dass Gregor super-nett sei. Der tröste sie immer, wenn sie traurig sei und weinen müsse. Und dann gebe er ihr ein Taschentuch. Und dann trinke er die Tränen aus dem Taschentuch. Das habe sie jedenfalls mal gesehen.

Mierda. Ein White Court, der sich von Traurigkeit ernährt? Aber warum dann das Taschentuch leertrinken und nicht einfach die Trauer nehmen? Ich muss wissen, wem – oder besser, was – genau meine Ziehtochter da als Zögling anvertraut ist.

Aber jetzt mache ich mich erstmal an dieses verdammte Bild. Irgendwo in der Rumpelkammer habe ich doch noch Leinwand und Acryl rumliegen von der Zeit, als Yolanda ihre kreative Phase bekam und mich partout auch zum Malen animieren wollte. War sogar ganz lustig, bis mich dann die Muse überkam und ich mit Crying Virgin anfing.
Nicht vergessen. Trübe Gedanken machen.

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Fertig. Ich habe mich so gut runtergezogen, wie ich nur konnte. Das fertige Machwerk ist eigentlich ganz... Hm. „Gut geworden“ kann ich jetzt wirklich nicht sagen. Aber zumindest scheint es mir für seinen Zweck halbwegs geeignet zu sein. Nicht ganz so deprimierend wie das Original, glaube ich, aber ich hoffe, für Edwards Ritual reicht es. Sehen wir dann morgen, wenn wir uns wieder treffen.

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Die anderen hatten auch ziemlich, äh, skurrile Erlebnisse, wenn ich das mal so sagen darf. Aber immerhin haben wir alles zusammen, was wir für das Ritual brauchen.

Als Gegenstand für „Fühlen“ wird etwas benötigt, das Pech bringt, steht in der Anweisung. Dazu wusste Edward, dass in der Asservatenkammer des SID eine Hasenpfote aufbewahrt wurde, die als verflucht und gefährlich eingestuft war. Die zu beschaffen, war sogar leichter als befürchtet, denn als Edward dazukam, waren die übrigen SID-Beamten gerade dabei, sich wegen genau dieses Dings zu streiten. Und zwar hatte sein skeptischer Kollege Mark, der für alles immer eine rationale Erklärung sucht, sich die Hasenpfote aus der Asservatenkammer geholt, um seiner dem Übernatürlichen gegenüber aufgeschlosseneren Partnerin zu beweisen, dass das Ding eben kein Pech brachte. Einen toten Gecko in der Kaffeetasse, eine auf Marks Kopf gestürzte Rehgipsplatte aus der Decke und einen gebrochenen Arm später war der Mann zwar immer noch nicht überzeugt, dass es das Übernatürliche gibt, aber Edward immerhin im Besitz der Hasenpfote.

Die Abteilung „Geschmack“, sagt die Ritualbeschreibung im Buch, müsse über Wein von einem gesunkenen Schiff kommen. Dabei dachten wir natürlich zu allererst an eine alte spanische Galeone, aber so weit in die Vergangenheit mussten wir gar nicht. Alex hatte irgendwo gehört, dass vor wenigen Wochen ein Schnellboot namens „Presley“ vor der Küste havariert und untergegangen ist. Er fuhr also hinaus aufs Meer und zu der Stelle – nur um dort auch eine Jacht vorzufinden, bemannt vom Sohn des Jachtbesitzers und zwei anderen jungen Leuten, die Alex flüchtig kannte. Die hatten beim Tauchen nach der „Presley“ eine Kiste mit 15 kg Heroin gefunden und waren nun am Debattieren darüber, was mit dem Zeug passieren sollte. Ehe das Ganze eskalieren und in einem Blutbad enden konnte, gelang es Alex, die drei Jugendlichen davon zu überzeugen, dass die Drogen am besten gegen einen Finderlohn ihren ursprünglichen Besitzern übergeben werden sollten. Auf diese Weise die Drogenkriminalität zu unterstützen, passte Alex zwar gar nicht, aber so konnte er wenigstens das Leben der drei jungen Leute retten, und 15 kg Heroin hätte die Drogenmafia so oder so recht schnell wieder hergestellt. (Seinen Wein aus dem Bestand der „Presley“ bekam Alex übrigens auch noch. Völlig problemlos sogar: Nach all der Aufregung überließen seine jungen Freunde ihm anstandslos eine Flasche.)

Roberto wollte die Kategorie „Hören“ abdecken, weil er in der Nähe seiner Bótanica einen kleinen Laden kennt, der sich ganz auf alte Schallplatten spezialisiert hat. Und eine Schallplatte mit einem Lied, zu dessen Klängen sich jemand umgebracht hat, ist ja genau das, was Edward für sein Ritual braucht. Also wollte Roberto eine Aufnahme von Billie Holidays „Gloomy Sunday“ besorgen, die dieses Kriterium ja laut diverser urbaner Legenden erfüllt. (Ich persönlich hätte ja vermutlich eher was von Lana del Rey gewählt. Die Frau will doch irgendwie auch immer sterben.  Aber ob tatsächlich schon mal jemand Selbstmord begangen hat, während eine ihrer Schnulzen lief, oder ob ihre romanto-schaurige Todessehnsucht noch keine echten Nachahmer gefunden hat, das weiß ich natürlich nicht. Ich will es auch gar nicht wissen, ehrlich gesagt. Der Gedanke ist nämlich ziemlich fürchterlich, wenn man es genau betrachtet. Oh, und ob man deren Sachen überhaupt auf Vinyl bekommen könnte oder nur digital, weiß ich natürlich auch nicht. Und klar, einen Song von Billie Holiday zu wählen, hat viel mehr Stil. Auch wenn der nur das Remake eines ungarischen Originals war.)

In dem Laden jedenfalls kam – und warum wundert mich das bei Roberto nicht – wieder mal alles ganz anders. Ja, seine Billie-Holiday-Scheibe bekam Roberto, aber da waren zu dem Zeitpunkt auch noch ein paar andere Kunden im Laden, die sich gerade heftig um eine andere Platte stritten. Eine der Beteiligten kannte Roberto als eine Mit-Santería von Oshun namens Edelia Calderón, während einer der beiden Männer ihm einen gewissen Einfluss Titanias aufzuweisen schien. Der zweite Mann – der, der die Platte stur festhielt und behauptete, er habe sie als erster gefunden – war eigentlich mehr ein Junge, bestimmt noch keine zwanzig.

Es lag jede Menge Spannung, ja drohende Gewalt, in der Luft, so dass der Ladenbesitzer, wenig verwunderlich, sich durch die Hintertür verzog und Roberto zurief, er könne das doch bestimmt lösen. Was der auch, ähm, tat. Hust.
Er hörte sich nämlich erstmal an, worum es bei dem Ganzen überhaupt ging (das begehrte Objekt war eine unglaublich seltene Aufnahme aus den 1940ern der ganz jungen Celia Cruz, der „Königin des Salsa“, von einem Konzert in Venezuela, von dem man bisher nicht einmal gewusst hatte, dass überhaupt Aufzeichnungen davon existierten) und fragte dann, ob er die Scheibe mal sehen dürfe. Die drei Streithähne schienen ihn nach einigem Zögern tatsächlich als Schlichter zu akzeptieren, denn der Junge reichte ihm die Schallplatte.

Und was macht Roberto? Sieht sich genau an, ob auch alles seine Richtigkeit hat – und dann bricht er das verdammte Ding mitten entzwei!
Und dann... Na was sonst. Er rannte, seine eigene Platte fest in der Hand, während ihm der geballte Zorn einer Oshun-Santería und eines Sommer-Sidhe in Form von Feuerbällen und Gewitterblitzen hinterherjagte.
Oh Mann. Typisch Roberto. Muss sich neue Feinde machen, wo er auch hingeht.

Da Totilas ja noch immer für Gerald zugange ist – höchst geheimnisvoll, wir haben den seit Tagen nicht zu Gesicht bekommen – kümmerte Ximena sich um die Geruchskomponente. Die sollte laut Edwards schlauem Buch aus einer Grablilie bestehen, die den Händen eines Toten entnommen werden musste. Dank ihrer guten Kontakte wusste Ximena auch von einer Beerdigung, bei der sie sich hoffentlich eine solche Lilie beschaffen konnte.
Kurzfassung: Es gelang ihr.
Langfassung: Bei der Beerdigung dieses Mannes, eines gewissen Gio Mantovani, kam es zu einigen Turbulenzen und einer Verkettung unglücklicher Umstände, bei der insgesamt vier Personen ums Leben kamen – die Tochter des Verstorbenen, dessen zweite Ehefrau, sein Neffe und ein unehelicher Sohn. Ximena sagte später, sie habe aus dem Augenwinkel gesehen, wie die zweite Ehefrau der Tochter etwas in die Seite gesteckt habe (Gift? Insulin?), dann in ihrem Auto von einem Krokodil angefallen worden sei, woraufhin sie natürlich die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und den unehelichen Sohn überfahren habe, während der Neffe am Steuer seines eigenen Autos aus unerfindlichen Gründen von einem Stromschlag getroffen wurde. Ich will ja nichts sagen, aber da fragt man sich doch, ob der Tod des alten Mantovani natürliche Ursachen hatte...
Nur ein Gutes hatte die groteske Situation: Um Ximena und ihr Entwenden einer Lilie aus dem Sarg des Toten kümmerte sich kein Mensch mehr.

Ludwig Uhlands Ballade „Des Sängers Fluch“ für den Geist war schnell ausgedruckt, nachdem wir uns aufgrund der eher vagen Beschreibung im Ritualbuch darauf geeinigt bzw. ein klein wenig nach einem passenden Gedicht gesucht hatten. Dasselbe galt für die Seelen-Komponente, die aus nichts weiter bestand als aus einer Abschrift von 4. Mose 22, 6: „So komm nun und verfluche mir dieses Volk, denn es ist mir zu mächtig, auf dass ich es schlagen möchte und aus dem Lande vertreiben; denn ich weiß: Wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht.“

Die Komponenten hatten wir also.  Jetzt blieb nur noch die Frage, wie Adlene darauf ansetzen. Gemeinsam einigten wir uns auf folgende Tarngeschichte:

Ein wohlhabender Geschäftsmann, ein gewisser Gio Mantovani, hatte uns beauftragt, ein Altersverzögerungsritual für ihn durchzuführen. Ehe wir es ausführen konnten, und vor allem auch ehe Mantovani uns hatte bezahlen können, starb der alte Mann unerwartet bei einem Autounfall. Wir hatten also nun diese Ritualkomponenten gesammelt und die ganzen Auslagen gehabt, aber nun niemanden, der uns das Ding abkaufen wollte...

Natürlich wollten wir keine echten Interessenten anlocken, sondern nur Adlene. Deswegen gingen wir in den Buchladen, wo Alex sich unauffällig umsah und feststellte, dass tatsächlich einer von Adlenes Geistern hier herumspukte und offensichtlich darauf wartete, interessante Gespräche aufzuschnappen. Also konnten wir unsere kleine Scharade, in der wir uns im Flüsterton über unser „Problem“ und darüber, was wir nun deswegen unternehmen sollten, tatsächlich vor Publikum aufführen.
Als Alex später dann nochmal nachsah, war der Geist weg.

Der Köder ist also ausgeworfen. Jetzt müssen wir nur sehen, ob der Fisch zubeißt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 16.07.2013 | 12:31
Er hat angebissen. Muahahahaha.

Vorgestern wurde Roberto bei seinem Auto von einem Typen angesprochen. Der Kerl lehnte einfach daran und wartete. Als Roberto ihn zur Rede stellte, meinte er, er habe gehört, dass die schönen Männer was zu verkaufen hätten, und ob das stimme. Roberto machte vorsichtig zustimmende Geräusche und vereinbarte ein Treffen im Opera House für den nächsten Tag. Als es nichts mehr zu besprechen gab, ging plötzlich etwas wie ein Ruck durch den Mann, und dann sah er Roberto, und dessen pinkfarbenes Auto, völlig perplex an und machte, dass er davonkam. Ich würde sagen, da hat Adlene wieder mal mit einem seiner Geister einen Fremden besessen. Ob das nach diesen Magier-Gesetzen, mit denen Declan Edward gedroht hat, legal ist, wage ich ja auch zu bezweifeln, auch wenn dem Mann kein Leid geschah und Adlene nicht selbst Hand angelegt hat. Aber das sind doch Haarspaltereien, verdammt.

Wir beschlossen, dass nur Roberto und ich zu diesem Treffen gehen würden, weil Edward meinte, er könne nicht sonderlich gut lügen, und er wolle Adlene deswegen nur so oft persönlich begegnen wie unbedingt nötig. Und Alex hat Adlene ja sowieso gefressen; dessen Anwesenheit bei der Besprechung wäre also wohl eher kontraproduktiv. Oder besser, Alex' und Adlenes gegenseitige Abneigung ließ sich vielleicht – ein Echo unserer Überlegungen in Sachen der Clou – ja auch gewinnbringender einsetzen.

Wir trafen Adlene also und verhandelten. Tischten ihm unsere kleine Scharade von unserem vorzeitig verstorbenen Kunden auf und dass wir jetzt keinen Abnehmer hätten. Nichts davon stimmte, aber der Reaktion des Nethermancers nach zu urteilen, habe ich den ganzen Kram recht glaubwürdig rübergebracht. Adlene fragte uns dann auch nach Details zum Ritual aus, aber da zog ich mich dann auf Edward zurück und gab zu, dass ich von den magischen Einzelheiten wenig Ahnung hatte. Also vereinbarten wir für heute ein zweites Treffen, bei dem auch Edward anwesend sein würde und Adlene ihm seine Fragen stellen könnte.

Bei diesem Treffen hat Edward sich tapfer geschlagen, wenn es auch ein, zwei Mal auf Messers Schneide stand. Zuerst nämlich kam es zu einer Verstimmung, als Edward sagte, er werde Adlene das Ritual nicht verkaufen. Edward meinte Zutaten und Durchführung, Adlene verstand, an ihm ausführen. Der Necromancer war also schon drauf und dran, beleidigt abzuziehen, aber ich konnte ihn gerade noch so aufhalten und auf das Missverständnis hinweisen.

Völlig glaubwürdig erklärte Edward, er habe nur dieses eine Ritual, das er richtig gut beherrsche, und wenn er dessen Einzelheiten jetzt preisgebe, dann habe er gar nichts mehr, mit dem er sich am Markt abheben könne.

Das sah Adlene widerstrebend ein, bestand aber darauf, jede Menge allgemeiner gehaltene, aber dennoch zum Thema gehörende Fragen zu stellen, um herauszufinden, ob Edward überhaupt wisse, was er tue. Zum Glück beantwortete Edward all diese Fragen mit Bravour, so dass Adlene ziemlich überzeugt und einigermaßen besänftigt war.

Und dann kam noch unsere eigene kleine Interpretation von der Clou. Alex kam nämlich „zufällig“ vorbei, sah uns mit Adlene da sitzen und verhandeln, rollte mit den Augen und sagte nur: „Du gibst es dem?“ Es war perfekt gespielt, mit genau der richtigen Mischung aus Ungläubigkeit und Unverständnis, und ohne jede Spur von Künstlichkeit oder Übertreibung. Edward reagierte ebenfalls gut, mit einem „Du weißt, was das alles gekostet hat, wir müssen das wieder reinholen“, woraufhin Alex scheinbar frustriert-resigniert verschwand. Und Edward fast wieder alles kaputtgemacht hätte, indem er ein „Dieser Alex und seine Moral immer“ hinterher schob.

Dieser Spruch kam so hölzern und war so un-Edward, dass Adlene aufhorchte und wieder zu zögern anfing. Aber er ist gierig, und er will partout dieses Ritual, und so konnten wir ihn doch wieder beruhigen. Morgen soll es also stattfinden, auf dem Ritualplatz, den wir damals für Jack „verdorben“ haben, indem wir Declan involvierten und der Warden davon erfuhr. Aber hier macht das ja nichts, ist sogar ziemlich perfekt, denn wenn wir einen bislang unbekannten Ort nehmen würden, dann wüsste Declan durch Adlene doch gleich wieder davon.

Achja, ehe ich das Tagebuch weglege: Vorhin hat Sheila angerufen. Die Filmcrew hat bei den Dreharbeiten ihren ersten größeren Meilenstein hinter sich gebracht, und das wollen sie ein bisschen feiern. Ganz informell, mit einem Grillfest. Ich glaube, ich lade Dee ein. Und die Jungs sowieso.

Oh, und Alejandras Kindergärtner ist, wenn die Jungs recht haben, vermutlich kein White Court, sondern eine osteuropäische Sagengestalt, die sich tatsächlich von Tränen ernährt. Es gibt üble Geschichten von solchen Wesen, die ihre Opfer durch Qual und Folter zum Weinen bringen. Aber dieser Gregor... naja. Kleine Kinder weinen ja ständig mal. Ich hege die Vermutung, er hat sich absichtlich diesen Job gesucht, um eben niemanden mit Zwang zum Weinen bringen zu müssen.

Aber ich werde ihn definitiv im Auge behalten.

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Puuuh. Was für ein Tag. Und dabei habe ich doch nichtmal was gemacht, lief die ganze Hochspannung doch durch Edward.

Aber, Madre de Dios, es hat geklappt. Ich kann gar nicht so viel dazu schreiben, aber das... das Vibrieren, diese sogar von mir gespürten magischen Energien, die sich sammelten und aufbauten und in der Luft hingen... sie hallen noch immer in mir wider.

Jedenfalls. Wir trafen uns mit Adlene am vereinbarten Ort, sans Alex, der aus einiger Entfernung und durch fließendes Wasser gedeckt, sicherte und beobachtete. Und sans Totilas, der noch immer nicht wieder aufgekreuzt ist und auch sein Handy ausgeschaltet hat.

Adlene war nervös wie ein junges Pferd, zittrig und misstrauisch, aber auch unendlich gierig auf das Ritual. Edward beantwortete also nochmals seine letzten Fragen, dann ging es los. Und es dauerte. Römer und Patrioten, ihr habt ja keine Ahnung, wie lange sich so ein Ritual hinziehen kann, dessen Effekt nicht nur ein paar Stunden andauern soll, sondern schon durchaus einige Jahre. Vor allem, wenn man gerade dabei ist, seinen Kunden zu betrügen.

Edward zog immer mehr, wie nenne ich das, magische Kraft in sich hinein. Er musste sich gewaltig konzentrieren, und ein oder zwei Mal sah es für meine Laien-Augen fast so aus, als sei er drauf und dran, die Kontrolle über sein Konstrukt zu verlieren.  Und Adlene wurde immer misstrauischer. Als Edward den Bibelvers deklamierte, fragte er plötzlich: „Was wird hier gespielt?!?“

Edward konnte sein Ritual nicht unterbrechen. Also fiel der Versuch, den Necromancer zu beruhigen, mir zu. Und erstaunlicherweise fiel mir spontan eine derart plausibel klingende Erklärung ein, dass sie mich selbst völlig überraschte und dank der Adlene erst einmal wieder ruhiggestellt war. Irgendwas von wegen, dass der Tod und das Alter verflucht werden müssten, um sich dem be-Ritualten nicht länger nähern zu können. Fragt mich nicht. Wenn ich jetzt im Nachhinein darüber nachdenke, klingt die Story völlig hanebüchen. Aber der Kerl wollte eben glauben. Vermutlich hätte ich ihm auch erzählen können, in das Ritual müsse eine Telefonbuchseite, damit das Alter vor ihm erst alle anderen Namen auf dem Blatt abklappern müsse.

Kurz vor Ende sah es nochmal so aus, als wolle er abspringen, aber er war dann doch zu gierig. Und dann war es geschafft, Edward (und Ximena, die ja geholfen hatte) völlig ausgelaugt, aber auch völlig euphorisch ob der reinen Größe dessen, was sie vollbracht hatten und dank der mächtigen Energien, die durch sie hindurchgeflossen waren.

Adlene überreichte uns den vereinbarten Preis (eine Million Dollar, man höre und staune) und verabschiedete sich mit der Drohung, dass er das Geld zurückfordern werde, falls das Ritual nicht geklappt haben sollte. Falls doch, sei es nett gewesen, mit uns Geschäfte zu machen. Und ging.

Ximena bekam natürlich sofort ihren Anteil, während wir uns überlegten, was wir mit dem Rest tun sollten. Eigentlich war es ja Edwards Honorar, aber der meinte, er könne es nicht annehmen, denn es würde doch auffallen, wenn er plötzlich anfangen würde, mit Geld um sich zu werfen. Dann sollten doch lieber wir es nehmen, denn dass er reiche Freunde habe, das sei ja nun allgemein bekannt, und bei mir oder Roberto zum Beispiel würde man das gar nicht merken.
Am Ende beschlossen wir dann, das Geld in die Renovierung des alten Dampfers zu stecken, in dem damals Ocean Raith gefangen gehalten worden war und den ich nach der Geschichte ja für einen Apfel und ein Ei gekauft habe. Daran wollten wir uns sowieso schon die ganze Zeit machen, weil es bestimmt nicht das Schlechteste ist, eine geheime Operationsbasis in den ‘Glades zu haben. Hach, wie das klingt. Da kommen doch glatt meine ganzen Kleine-Jungen-Agenten-Fantasien wieder hoch.

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Zurück vom Grillfest. Und was soll ich sagen: Es Han Solot ganz gewaltig. Zum einen war Lady Fires Freundin Christine für das Grillfeuer verantwortlich, und sie ging uns genauso aus dem Weg wie beim letzten Mal. Zum zweiten ist mit Sam Worthington und Roselyn Sanchez etwas ziemlich Seltsames vorgegangen. Die Kleiderordnung war leger, Jeans und Hemd, und sowohl Sam als auch Roselyn hatten sich nach dem Dreh für die Grillparty gar nicht erst umgezogen, sondern die Sachen angelassen, die sie für ihre Rollen getragen hatten. Darin sahen sie exakt so aus, wie ich mir Eric Albarn und Catherine Sebastian vorgestellt hatte. Und während der Unterhaltung mit ihnen kam es mir plötzlich vor als, wie sage ich das, als wechselten sie in ihr Rollenverhalten hinein. Wie sie sich ein Wortgeplänkel nach dem anderen lieferten, das hätte ich genau so, wirklich haargenau so, auch für Eric und Catherine schreiben können. Nur dass ich es eben nicht geschrieben habe. Aber es würde perfekt zu den Charakteren passen.

Außerdem waren die Leute vom Zirkus Sambuca nebenan auch da. Fünf Typen: zwei Männer und drei Frauen. Sie tragen komische Künstlernamen: Den Nachnamen „Buca“ teilen sie alle, und die Vornamen haben alle irgendwas mit Feuer zu tun. Zumindest drei davon: Feu, Tinder und Ray Buca. Und deren Chefin nennt sich „Sam Buca“. Ha ha. Brüller.

Jedenfalls kam eine davon – die, die sich Feu nannte – auf Edward zu und sprach ihn rundheraus an. „Du bist dieser Edward, oder?“ Als er bejahte, nickte sie fröhlich und meinte, das habe sie sich gedacht. „Du kannst gut mit Ritualen, hab ich gehört.“ Und dann war sie auch schon wieder fort.

Irgendwer (Roberto? Alex?) hörte dann kurz darauf, wie Feu zu ihrer Chefin sagte, sie habe „diesen Edward“ gefunden. Was uns natürlich neugierig darauf machte, was diese Bucas wohl von Edward – und per Assoziation von uns – wollten. Außerdem war uns noch aufgefallen, dass die Bucas und Christine sich alles andere als grün zu sein schienen. Also suchten wir das Gespräch mit der Truppe, aber die Typen waren mehr als einsilbig, dieser Ray vor allem. Wir holten sie ein, als sie gerade das Gelände verlassen wollten, und beinahe wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Dieser Ray hatte schon einen Feuerball in der Hand und schien nur allzu bereit, den auf uns loszulassen, aber die Anführerin hielt ihn auf. „Nicht hier.“

Ooookay. Was zum Geier ?

Nachdem Christine uns ebenfalls hatte abblitzen lassen, mit der Frage, wie um alles in der Welt wir auf die Idee kämen, dass sie mit uns Verrätern reden wolle, war der Abend für uns in der Hinsicht völlig gelaufen. Aber wenigstens Dee hatte Spaß. Ich dann auch – bis Roberto auf die Idee kam, noch süchtig mit ihr auf Sause gehen zu wollen. Er schlug zuerst Pans Strandparty vor, aber mit Pan wollte und will Dee nach wie vor nichts zu tun haben. Und ich hätte Roberto treten können, dass er sie daran erinnerte.

Stattdessen gingen wir noch eine Weile in einen Club in der Stadt. Hinterher verabschiedete sich Dee mit einem Kuss auf die Wange... sowohl von mir als auch von Roberto. Seufz.
Naja, das könnte jedenfalls vielleicht erklären, warum ich nicht schlafen kann, sondern erst einmal all das hier aufschreiben wollte. Aber jetzt. Gute Nacht.

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Coléra. Sie haben den Donut-Laden abgebrannt. Sie haben einfach den Donut-Laden abgebrannt. Das waren diese... diese Bucas! Jedenfalls war es Magie, denn in der Mall brannte einzig und allein das Dora's, keiner der anderen Läden wurde auch nur im Geringsten angesengt.

Edward fiel dann etwas zu diesen Buca-Typen ein. Es gab so vor 7 oder 8 Jahren eine ganze Gruppe von Feuer-Warlocks, die sich „Les Flambeaux“ nannten und ziemlich übel gewütet haben müssen. Warlocks sind Magier, die die Gesetze der Magie brechen und von den Wardens gnadenlos verfolgt werden, erklärte man mir. Jedenfalls wurden diese „Les Flambeaux“ wohl von einem gewissen Warden Morgan gejagt und zum größten Teil aufgerieben. Aber es ist sehr gut möglich, dass diese Bucas die Überreste dieser Warlock-Gruppierung darstellen. Verdammt. Auch das noch.

Und Adlene muss sie auf uns angesetzt haben. Zumindest ist das unsere Theorie, auch wenn das verdammt schnell wäre seit der Aktion. Denn wer wusste außer Adlene schon davon, dass Edward gut in Ritualen ist? Und warum gerade Edward aufsuchen sonst? Er war es immerhin, der das Ritual durchgeführt und Adlene mit dem Pech belegt hat. Aber wie zur Hölle kamen sie auf das Dora’s? ¿Como demonios? Dass das schon derart als unser Stammlokal ausfindig zu machen war... Er muss uns seine Geister hinterhergescheucht haben. Cabrón.

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Wir haben jetzt auch herausgefunden, warum die Sommerfeen und die Bucas sich nicht grün sind. Anscheinend haben die Bucas (also eigentlich diese „Flambeaux“-Warlocks, aber davon scheinen die Bucas ja die Überreste zu sein) einen Weg gefunden, irgendwie die Macht des Sommerhofes anzuzapfen und zu nutzen. Kein Wunder, dass Sommer die derart hasst.

Die Art und Weise, wie wir das rausgefunden haben, war allerdings... weniger schön. Seufz.
Wir haben nämlich Pans Party aufgesucht, um uns dort umzuhören. Der erste, dem wir begegneten, war Colin, Pans neuer Erster Ritter, und der zeigte sich alles andere als begeistert davon, mich zu sehen. Er beschuldigte mich, ihn bei der Sache letzten Sommer hinters Licht geführt zu haben. Die Ritterei sei viel anstrengender, als er sich das vorgestellt habe, und er hätte doch nur ein bisschen Party machen und dann weiter studieren wollen. Nichts so Permanentes jedenfalls!

Sagen konnte er uns zu der Fehde mit den Bucas auch nichts, also fragten wir nach Sir Anders. Der focht gerade mit einem anderen Sidhe einen Schaukampf mit Degen aus – Sir Kieran nannte Colin ihn. Und dieser Sir Kieran war niemand anderes als der Salsa-Liebhaber, dem Roberto die Celia-Cruz-Scheibe zerbrochen hatte...
Der Sidhe-Lord hatte auch ein Date dabei. Und dreimal dürft ihr raten, wer das war, Römer und Patrioten? Richtig. Edelia Calderón, die Santería aus dem Plattenladen. Yay. Kein Wunder, dass Roberto erst einmal Getränke holen ging und sich rar machte, während wir warteten, bis der Kampf beendet war.

Sir Anders beantwortete zwar unsere Fragen, aber auch er war alles andere als glücklich, uns zu sehen. Er bezichtigte uns rundheraus des Verrats an Lady Fire. Ich versuchte, ihm unser damaliges Dilemma zu erklären, aber er war nicht sehr geneigt, mir zuzuhören. Oh verdammt. Ich wünschte, ich könnte das irgendwie aus der Welt schaffen...

Als keine Gefahr mehr bestand, Sir Kieran über den Weg zu laufen, tauchte Roberto wieder auf. Und wir sahen gleich: Da war was anders. Er trug nämlich eine Kette um den Hals, golden und mit einem Anhänger in Form von Titanias Portrait. Den Sommerfeen fiel das sofort auf, und die Menge teilte sich vor ihm wie... naja, auch auf die Gefahr hin, hier Klischees zu perpetuieren, wie das Schilfmeer vor Moses.

Römer und Patrioten, Roberto ist jetzt Titanias Richter.

Und das kam so: Als er dort am Getränkestand versuchte, sich nicht von Sir Kieran und Ms Calderón erwischen zu lassen, wurde er von einem von Pans Leuten eingesammelt, der Herzog wünsche ihn zu sprechen.
Er habe sich angemaßt, für Titania zu sprechen, sagte Pan Roberto dann auf den Kopf und ohne weitere Vorrede zu. Das wollte Roberto erst abstreiten, doch Pan – offensichtlich nicht sehr amüsiert darüber – beharrte darauf. Roberto habe dem Holländer Hans Vandermeer in Titanias Namen gestattet, an Land zu bleiben. Somit habe er sich das Amt des Richters angemaßt, und da Titania nicht protestiert – und vor allem, das es tatsächlich geklappt habe – sei das Amt des Richters nun auf ihn übergegangen. Und mit diesen Worten hängte Pan unserem Santerío die besagte Kette um. Die er jetzt irgendwie nicht mehr abnehmen kann. Hurra. Und irgendwie hört Roberto Oshuns Stimme, schon seit der Sache mit Titania letzten Sommer, nicht mehr so deutlich. Und jetzt, seit er die Kette trägt, irgendwie gar nicht mehr. Oh oh.

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Gary aus der Arcanos-Runde hat eben angerufen. Ob wir von Ximena gehört hätten. Die war nämlich gestern ebenso wenig beim Spielabend wie ich. Nur dass ich abgesagt hatte, weil ja die Grillparty angesagt war, Ximena aber ohne ein Wort fehlte, und das sei sonst nicht ihre Art, meinte Gary. Mierda.

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Keiner von uns wusste Ximenas Adresse, aber in der Uni bekamen wir ihre Anschrift heraus. Nur dass die nicht stimmte. In der Phi Beta Kappa (natürlich nicht die echte, aber da ich den tatsächlichen Namen der Schwesternschaft nicht mehr weiß, muss eben φβκ herhalten) hatte man von einer Ximena O’Toole nie gehört. Das waren auch alles blonde WASPs ; Ximena hätte da nie im Leben reingepasst.

Also rief Roberto bei seiner Tante an. Von der erfuhr er unter dem Vorwand, er habe seine Cousine ja so lange nicht mehr gesehen und wolle sie mal besuchen, eine Adresse, die sich als Trailerpark herausstellte, aber als einer von der gehobeneren Sorte. Ximenas Wohnwagen stand ziemlich abseits, durch Bäume sichtgeschützt, am Fluss. Oder hatte gestanden. Hinter der einwandfreien Illusion eines intakten Trailers fanden wir, als wir durch das Fenster nach seiner Bewohnerin schielen wollten, das Ding in rauchenden Trümmern vor. Mierda!

Ximena selbst fanden wir in der Gestalt eines Krokodils am Flussufer liegend, ziemlich fertig. Sie schaffte es zwar noch ohne Hilfe, die Illusion aufzugeben und ihre menschliche Gestalt wieder anzunehmen, aber sie war für die Dose Not-Cola aus Alex‘ Auto mehr als dankbar.
Wie wir anhand des abgebrannten Trailers schon vermutet hatten, waren die Bucas auch bei ihr gewesen. Wobei Ximena nicht beschwören konnte, dass es wirklich die Bucas gewesen waren, da sie auf Motorrädern, in Lederkluft und mit verspiegelten Helmen aufkreuzten, aber da es genau fünf waren, drei Frauen und zwei Männer, liegt der Gedanke an die Bucas doch irgendwie nah.

Wir brachten Ximena erst einmal dort weg und boten ihr Asyl bei uns an. Erst wollte Roberto sie zu sich nehmen, aber Ximena ist Magierin, und Magier töten Technik. Da wurde Roberto dann doch Angst und Bange um seine Stereoanlage, seinen High-End-PC und was nicht alles, also kam Ximena dann doch lieber bei Edward unter. Der hat immerhin, wegen desselben Handicaps, auch keine moderne Technik im Haus.

Wie Edward den weiblichen Besuch dann allerdings Chérie erklären wird, das muss er selbst sehen. Wobei es in den letzten Tagen zwischen Edward und Chérie ein wenig zu kriseln scheint. Zumindest klangen ihre letzten Telefonate, jedenfalls auf Edwards Seite, ein wenig ... angespannt. Aber gut, so richtig klar über ihre Beziehung sind die beiden sich ja ohnehin nicht.

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¿Qué demonios? Noch ein beunruhigender Anruf eben. Ms Berkeley, die Regisseurin, war dran. Am Set seien ganz seltsame Dinge geschehen. Sehr cool, aber auch sehr, sehr seltsam. Ob ich gleich vorbeikommen könne.
Ich muss los. Ich hab da so eine Ahnung. Mierda!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: 6 am 16.07.2013 | 12:35
Ich weiss nicht, ob das Ricardo egal war, aber ich glaube Du hast das Robertos neues "Amt" vergessen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 16.07.2013 | 12:38
Oh verdammt. Nein, das war ihm natürlich nicht egal! *ergänz* Wobei das natürlich garantiert das 20.000er Zeichenlimit sprengen wird. Yee-haw. *kürz*
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 16.07.2013 | 13:06
Du darfst auch mehr als einen Post draus machen.

Editier den Rest einfach in Chris' Post rein, das stört ihn sicher nicht. Du bist doch jetzt Mod und kannst wild Posts ändern!  ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 16.07.2013 | 13:12
Nee, ging. So viel musste ich gar nicht kürzen. Ein paar Halbsätze hier und da sowie den Absatz zu unserem wir-spenden-für-das-Doras. Das war eh unwichtig und kann ein andermal nochaml erwähnt werden, falls nötig.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 16.07.2013 | 13:18
Zwei kurze Einwürfe: Die Kette ist golden (Sommerfee!), und der Holländer heißt jetzt endgültig und final Hans Vandermeer. :)

...muss noch ein Bild für den suchen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 16.07.2013 | 21:07
Mir aus auch so. :)

Muss ich nur auch noch in dem früheren Posting den Namen ändern.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Patti am 16.07.2013 | 23:21
Ich mag Eure Ritter. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2013 | 15:12
Hihi, dankesehr! Ich mag sie auch. :) Ich glaube, ich werde im ersten Post mal die Charakterbilder von denen verlinken, wenn ich das irgendwie hinkriege.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 17.07.2013 | 21:10
Kannst du ja aus dem Portal verlinken... oder soll ich?  :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2013 | 21:42
Ich komme nur an Cardo ran, weil ich im Obsi keine Mod-Rechte habe. Daher ja: mach du das sehr gerne! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.10.2013 | 17:29
So, ehe ich in nicht allzuferner Zukunft das Diary von unserer (wieder mal end-genialen) Runde des letzten Wochenendes poste, habe ich erstmal im Eingangsbeitrag die Charakterbilder der "Schönen Männer" ergänzt. Damit sich auch jeder überzeugen kann, dass es wirklich "schöne Männer" sind, hihi.

Das Diary folgt dann, wie gesagt, irgendwann demnächst. Angefangen hab ich schon, aber ich habe momentan auch ziemlich viel Krams um die Ohren, so dass ich für nichts garantiere.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Gorai am 23.10.2013 | 05:35
Die Bilder sind durchaus passend ausgewählt  :d

Ich freue mich auf Eure Fortsetzung  8) :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 12.11.2013 | 09:23
So, da die letzte Sitzung an 3 in-game-Tagen stattfand und ich das Zeichenlimit mit einem einzigen Posting sowieso sprengen würde, habe ich beschlossen, diesmal drei Einträge daraus zu machen, die jeweils einen Spieltag abdecken.

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Ricardos Tagebuch: Blood Rites 5

Es war, wie ich es mir schon dachte. Nur heftiger.

Als wir am Set ankamen, sahen wir schon von weitem einen Krankenwagen und ein Polizeiauto da stehen. Helle Aufregung bei Crew und Cast. Herumwimmelnde Menschen. Aufgeregtes Getuschel. Verletzte. Zwei Statisten und ein Pferd. Angeschossen.

Sie hatten den Shootout in der Vergangenheit drehen wollen, in die es Eric im Verlauf der Geschichte ja verschlägt. Aus der Seminolen-Ansiedlung des Romans war im Film eine Western-Stadt geworden: nicht so stilvoll und nicht ganz authentisch, aber dafür waren die Kulissen wohl von einer anderen Western-Produktion übriggeblieben und somit billig zu haben gewesen.

Natürlich waren sämtliche Waffen mit Schreckschussmunition geladen – aber trotzdem waren während des Drehs echte Kugeln geflogen. Echte Geschosse hatten die Darsteller getroffen, und die Löcher in den Häuserwänden der Kulissen waren echt – aber leere Patronenhülsen waren trotzdem keine zu finden, weder am Boden noch in den Wänden steckend.

Außerdem konnten unsere Magiebegabten – vor allem Alex mit seiner Affinität zu Toren, Grenzen und Übergängen – spüren, dass hier die Realität irgendwie dünn war, dass hier die Fantasie irgendwie real zu werden schien, sich mit unserer Welt vermischte.

Die uniformierten Cops vor Ort fanden es gar nicht lustig, dass wir plötzlich auftauchten und uns umsahen, ihre polizeilichen Untersuchungen zu stören drohten. Also hielten wir lieber etwas Abstand, ließen die ihre Fragen stellen und sahen uns anderweitig um.

Russell Means, der Darsteller des Indianer-Schamanen, des Bösewichts, stand ein Stück abseits mit zwei Männern aus der Filmcrew. Er war ziemlich biestig-spöttisch drauf, mokierte sich über die im Film perpetuierten ethnischen Klischees und all sondergleichen. Und er schien sich überhaupt nicht dessen bewusst zu sein, dass er eigentlich tot ist.

Oh. Davon habe ich ja noch gar nichts erwähnt. Und dabei hätte es eigentlich auch in die Han-Solo-Kategorie-Liste von vor ein paar Seiten gehört. Es ist uns – oder besser, Alex wieder – bei der Kick-Off-Party für den Film aufgefallen, dass da eine Präsenz anwesend war, die definitiv nicht mehr unter den Lebenden weilte. Aber andererseits konnte Alex auch ganz genau sagen, dass der Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: Er sollte genau jetzt genau hier sein, sonst hätte Alex ihn ja auch weiterschicken können, wie er das sonst immer macht.

Dieses Gefühl des „der Typ ist tot, gehört aber gerade jetzt genau hierher“ hatte Alex jetzt wieder, also waren wir entsprechend vorsichtig, als wir mit ihm redeten. Aber reden wollten wir unbedingt mit ihm.
So richtig warm wurden wir allerdings nicht mit ihm – oder besser gesagt, er nicht mit mir. Er war sehr... sagen wir mal empfindlich und reizbar, und er regte sich fürchterlich über die schrecklichen Rassenklischees auf, die das Drehbuch des Films – sprich ich, hust – verzapft hatte.
Aber er hatte eben wie gesagt keine Ahnung, dass er tot war. Er wusste zwar nicht mehr genau, wer diesen Job für ihn arrangiert hatte – sein Agent wohl, meinte er – , aber genaue Details konnte er nicht mehr sagen. Nur, dass er eben zum Drehbeginn hier aufgetaucht sei. Hah. Im wahrsten Sinne des Wortes „einfach aufgetaucht“, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten.

So richtig viel brachte das Gespräch jedenfalls nicht ein, also gaben wir es nach einer Weile auf. Es war Zeit, mal mit den Hauptdarstellern persönlich zu reden. Während Edward und Roberto sich weiter auf dem Gelände umsahen, wanderten Alex, Totilas (ja, Totilas ist wieder aufgetaucht, auch wenn er sich auf dem Weg zum Studio nur extremst vage darüber ausließ, was er die ganzen Tage über getrieben hat) und ich zu Mr. Worthingtons Trailer, den Ms Sanchez, die Darstellerin der Catherine Sebastian, gerade in einiger Aufregung verließ. Sam Worthington rief ihr noch etwas hinterher von wegen „wir müssen aber darüber reden, wir können das nicht einfach ignorieren!“, aber sie stürmte davon und uns genau in die Arme.

Und irgendwie... ich weiß auch nicht. Auch Ms Sanchez fasste eine sofortige und instinktive Abneigung gegen mich, hatte ich das Gefühl. Obwohl wir uns ja bei der Party schon getroffen hatten und sie da eigentlich ziemlich freundlich wirkte. Vielleicht war es auch irgendetwas, das ich sagte, aber ich kann gar nicht mehr sagen, was es genau gewesen sein könnte. Vielleicht hatte sie in ihrem aufgeregten Gemütszustand auch einfach nur keine Lust, mit uns zu reden. Jedenfalls drückte sie mir eine Autogrammkarte in die Hand und rauschte nach wenigen gereizten Worten davon. Puh.

Das Gespräch mit Sam Worthington verlief besser, nach einigem anfänglichen um-den-heißen-Brei-Gestochere und Ablenkungsversuchen in Richtung Kaffee und den Vorzügen von kleinen Privatröstereien jedenfalls. Die seltsamen Vorgänge beim Dreh konnte Sam sich auch nicht erklären, und zuerst versuchte er, uns den Streit mit Roselyn Sanchez als Disput über die Ausgestaltung ihrer Rollen als Eric und Catherine zu verkaufen: dass sie sich nicht darüber einig seien, wieviel unterschwellige erotische Spannung in diesem ersten Teil bereits zwischen ihnen zu spüren sei. Denn zusammen kommen sie ja erst am Ende von Crying Virgin, und Sam wollte die Beziehung jetzt noch eher neutral halten, während Roselyn eine forschere Schiene fahren wollte, sagte er.

Ich konnte Sam dahingehend bestätigen, dass ein eher neutraler Ansatz auch das war, was ich selbst beim Schreiben vor Augen gehabt hatte – aber das änderte nichts daran, dass der Schauspieler uns in bezug auf den Streit nicht die Wahrheit, oder nicht die ganze Wahrheit, gesagt hatte.
Nach vorsichtigem Herantasten und weiteren Pirouetten um harmlose Themen wie Kaffee und dergleichen gab ich Mr Worthington schließlich zu verstehen, dass ich an Übernatürliches glaubte, ja, und dass mir auch schon Übernatürliches widerfahren sei. Feen zum Beispiel.

Er sah mich zwar an, als sei ich völlig wahnsinnig, aber schließlich rückte er dann doch mit der Sprache heraus und erzählte das, was wir schon vermutet hatten. Dass er und Roselyn nämlich immer wieder, und immer häufiger, mit ihren Rollen zu verschmelzen schienen; Dinge über ihre Charaktere wussten, die nirgendwo im Drehbuch oder den Romanen standen und nirgendwo auch nur angedeutet wurden. Dass Eric Albarn zum Beispiel mit einem Mädchen namens Suzie Engleton auf den Abschlussball gegangen war und zu der Gelegenheit einen grauen Anzug mit einer weißen Rose am Revers getragen habe. Und richtig, diese Szene hatte ich mir irgendwann mal im Detail ausgemalt, der zugehörige Flashback hatte es dann aber doch nicht ins Buch geschafft. Oder dass Eric eine Narbe am Knie hatte, aber dass er sich ums Zerplatzen nicht erinnern könne, woher. Und ja, auch das stimmte. Irgendwann war mir dieser Gedanke mit der Narbe am Knie mal gekommen, aber ich hatte nie genauer über deren Herkunft nachgedacht, weil sie bisher noch nicht akut wurde. Und all diese Dinge konnte Sam jetzt wissen? Escalofriante...

Der Mann war mir sympathisch, und ich wollte ihn nicht anlügen. Daher ging ich so weit, ihm zu erklären, dass es eine Feenlady gebe, die ein großer Fan der  Eric-Albarn-Geschichten sei, und dass diese ganzen seltsamen Begebenheiten vermutlich damit zusammenhingen. Ich konnte ihn aber zum Glück auch ein wenig beruhigen: Da Lady Fire ein Fan von Eric und Catherine ist und möchte, dass die Geschichte zu einem guten Ende kommt, sind Sam und Roselyn trotz all dieser Seltsamkeiten mit ziemlicher Sicherheit nicht in Gefahr.

Während wir mit Sam Worthington sprachen, suchten Roberto und Edward auf dem Gelände nach irgendetwas, das diese Seltsamkeiten vielleicht erklären könnte oder vielleicht sonst interessant war. Und tatsächlich fanden sie in der Requisitenkammer einen Gegenstand, der eindeutig über eine magische Aura verfügte, also ein echtes Relikt war und nicht nur irgendeine Requisite. Es war das Totem, das in der Geschichte vom Geisterschamanen benutzt wurde, um seine Zeitreisen durchzuführen und die Toten zu beherrschen. Einfach mitnehmen konnten sie es nicht, das wäre aufgefallen, weil das gute Stück ja in wenigen Tagen beim großen Showdown Verwendung finden muss, aber sie nahmen sich vor, nach Möglichkeit ein harm- und magieloses Duplikat davon herstellen zu lassen.

Auf dem Weg zurück zum Treffpunkt stießen die beiden auch noch einmal mit Ms Sanchez zusammen. Roberto fand auch einen deutlich besseren Draht zu ihr als ich, aber wirklich viel herausbekommen konnte er dennoch nicht aus der Schauspielerin. Sie erzählte ihm ebenfalls von all den seltsamen Dingen, die geschehen waren, und dass diese ihr Angst machten, aber das war es auch schon mehr oder weniger.

Der Circus Sambuca gastiert natürlich immer noch neben dem Studio, und natürlich hatten wir die Bucas als Zaungäste. Der Aufruhr auf dem Gelände war ihnen nicht entgangen, ebensowenig wie unser Besuch. O alegría.

Der Dreh des großen Finales, der eigentlich übermorgen stattfinden sollte, zögert sich jedenfalls noch mindestens einen Tag hinaus, sagte Ms Berkeley, weil die Filmarbeiten ja heute wegen der seltsamen Vorkommnisse vorzeitig abgebrochen wurden. Das ist gut, das gibt uns ein wenig Zeit, vielleicht noch ein paar Vorbereitungen zu treffen.

Aber morgen findet jetzt erst einmal dieses Straßenfest in Little Havana statt, auf das sich das ganze Viertel schon seit Wochen freut. Alejandra ist jedenfalls schon ganz aufgeregt. Und ich habe Dee gefragt, ob sie mitgehen möchte. Sie möchte, was wiederum mich in einen gewissen Zustand der unruhigen Vorfreude versetzt. Oh Mann.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 12.11.2013 | 23:26
Kurzer Einwurf: Totilas, Roberto und Edward haben das Totem nicht mitgenommen, weil sie nicht wussten, ob das nicht noch gebraucht wird da. Schließlich wusstet ihr ja schon, dass das Totem beim Showdown der Romanhandlung zum Geisterbannen benötigt wurde; und bevor das auch in der "Realität" so ist, wollten sie es lieber nicht wegnehmen. Ansonsten wäre das schon gegangen.  :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.11.2013 | 00:41
Ja, so ungefähr meinte ich das ja auch. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.11.2013 | 00:41
Mierda, mierda, mierda. Mierda. Hätte ich doch bloß Dee da nicht mit reingezogen! Andererseits, wenn sie und Jack nicht gewesen wären... Ich mag es mir gar nicht ausmalen.
Aber jetzt liegen sie und Jack im Krankenhaus, und um ein Haar hätten sie es nicht überlebt.

Verdammte Bucas.

Wobei ich gestehen muss, dass mir von Anfang an nicht ganz wohl bei der Sache war, sobald wir in Little Havana ankamen. Aber ehe wir zu dem Fest gingen, trafen wir uns mittags nochmals mit Kataklysma Berkeley, um von ihr zu erfahren, wie sie und das Filmteam die Aufregung des vorigen Tages überstanden hatten. Und außerdem hatten wir nachgedacht.

Wenn man davon ausgeht, dass tatsächlich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, dann ist der epische EndkampfTM mit seinen beschworenen Indianergeistern und dem Ritual und der ganzen Action, die da abgeht, der pefekte Kandidat für das perfekte SNAFU. Und wir können das Drehteam da nicht einfach so blauäugig reingehen lassen. Ich bin zwar nicht sicher, wieviel wir, wenn wir vor Ort sind, tatsächlich ausrichten können, aber die Jungs, mehr oder weniger übernatürlich, wie sie ja nun einmal sind, haben doch immerhin gewisse Möglichkeiten.

Und auch ich versuchte, wenigstens ein bisschen was zu den Vorbereitungen beizutragen. Was in meinem Fall darauf hinauslief, dass ich uns bei Ms Berkeley Statistenrollen für den Showdown besorgte (das hatte sie uns ohnehin angeboten: Ich glaube, sie war recht angetan von der Idee, dass der Autor der Romanvorlage einen Cameoauftritt im Film haben würde) und ihr einen Vorschlag für eine letzte, kurzfristige Drehbuchänderung machte.

Nur eine oder zwei neue Zeilen Text, aber sie könnten uns vielleicht eine etwas bessere Position verschaffen. Denn der Skriptwriter hat das Buch so umgeschrieben, dass der Endkampf nicht gegen halb-körperlose Geister stattfindet, sondern gegen Zombies. Was zwar im Kontext der Geschichte nicht sonderlich logisch ist, aber auf der Leinwand mehr hermacht. Vor allem, wo doch Zombies gerade der letzte Schrei sind.
Jedenfalls. Durch diese Skriptänderung hatte der Plot auch eine kleine Lücke in Sachen „wie kann man diese Gegner besiegen?“ Im Buch bringt Eric das Totem an sich und kann die Geister damit bannen; im Film gegen Zombies visualisiert, wirkt das nicht ganz so überzeugend.
Daher die kleine Änderung, dass Salz den Zombies schadet bzw. sie zurückhält. Es muss nur ein Charakter es aussprechen, dann ist es etabliert und – hoffentlich! - in der Fiktion Realität.

Oder anders herum. Falls nichts passiert, ist es völlig egal und das kleine Plotlöchlein gestopft. Aber falls es wirklich so kommen sollte, dass wir uns in ein paar Tagen in einem echten Showdown wiederfinden, dann haben wir eine weitere Waffe gegen die erwarteten Gegner in der Hand.

Aber wie gesagt, das ist etwas, mit dem wir uns in ein paar Tagen beschäftigen müssen. Was heute auf dem Fest passiert ist, hat uns heute schon genug in Anspruch genommen.
Und ich drücke mich schon wieder mal, stelle ich fest. Genug.

Die fiesta war – wie Straßenfeste das eben so sind – bunt und laut und quirlig, und auch wenn anfangs alles friedlich und fröhlich blieb, fiel uns doch so ziemlich als erstes auf, dass die Bucas auf dem Fest einen Stand hatten und auf einer kleinen Bühne eine – zugegebenermaßen ziemlich beeindruckende – Feuershow abzogen. Überhaupt nahm an dem Fest nicht nur ganz Little Havana teil, sondern auch sonst so ziemlich jeder, den man aus der übernatürlichen Gesellschaft so kennt. Von der Santería über die Hippies von der Kommune inklusive Jack sowie einigen Vertretern des Elder-Clans, bis hin zur Santo Shango und etlichen Mitgliedern des White Court, und schließlich noch Pan und seinem Gefolge. Die einzige übernatürliche Partei der Stadt, die nicht offensichtlich vertreten schien, war der Winterhof, aber selbst da will ich nicht mal ausschließen, dass sich nicht ein oder zwei Sturmkinder auf dem Fest herumtrieben und uns einfach nur nicht über den Weg liefen.

Apropos Pans Gefolge. Pan hatte eine ganze Reihe von Party-Girls dabei, die üblichen kichernden Groupies. Nur eine davon war anders. Ich konnte sie zwar nicht aus der Nähe sehen, aber sie wirkte zittrig, nervös, panisch beinahe, mit geweiteten, unruhig umher flackernden Augen. Als sie dann Totilas bemerkte, eilte sie auf ihn zu und klammerte sich förmlich an ihn, und er musste erst beruhigend auf sie einreden – Natalya nannte er sie, bekamen wir dabei mit –, ehe sie sich widerstrebend von ihm löste.

Ehe wir ihn darauf ansprechen konnten, was es mit dem Mädchen auf sich hatte, passierten aber ein paar andere beunruhigende Sachen.

Denn Danny O'Toole, Ximenas Vater, der ja seiner kubanischen Frau wegen im Viertel lebt, war samt seinen (wie auch sonst) allesamt irischstämmigen Streifencop-Kollegen ebenfalls anwesend, und die Jungs waren auf Ärger aus. Oder besser, der Ärger suchte nach ihnen.
Denn in ihren Aufführungspausen stellten die Bucas Fragen, waren noch immer auf der Suche nach Ximena, und da fiel natürlich irgendwann der Name O'Toole.
Danny und seine Kollegen, mit irisch-aufbrausendem Temperament, hätten sich vermutlich nur zu gern auf eine Auseinandersetzung eingelassen, aber irisch-aufbrausendes Temperament oder nicht, Cops oder nicht, sie sind rein mundan und hätten gegen die Bucas vermutlich rein gar nichts ausrichten können. Also fanden wir sie lieber, ehe die Bucas sie fanden, und es gelang uns, Mr O'Toole davon zu überzeugen, dass mit einem offenen Konflikt niemandem geholfen war. Und so zogen sie sich ein wenig missmutig, aber doch größtenteils anstandslos, zurück.

Alejandra, die seit der Geschichte mit Lady Fire ja generell brennende Dinge toll und Feen unglaublich nett findet, war hin und weg von der Feuershow. Dumm nur, dass sie so hin und weg von der Feuershow war, dass die Bucas auf sie aufmerksam wurden, wie sie da mit Mrs. Salcedo (die sich netterweise bereit erklärt hatte, mal für eine Weile auf Alejandra aufzupassen) und ihrer Freundin Monica stand, und dass Sam Buca sich eine Weile mit ihr unterhielt. Und richtig dumm, dass Jandra sich irgendwann umdrehte, sich in der Menge umsah und dann zielgenau auf mich zeigte. Mierda. Was hätte ich darum gegeben, dass die Bucas nicht von Alejandras Beziehung zu mir wussten!

Während ich die Szene noch beobachtete, kam Mamá vorbei und sammelte Jandra ein, während Monica und ihre Mutter noch am Feuerstand stehen blieben. Doppel-mierda. Jetzt wussten die Bucas auch noch von meinen Eltern...

Dass Feu Buca dann anfing, sich mit Mrs. Salcedo zu unterhalten, passte mir auch ganz und gar nicht, vor allem nicht, als sie dann auf Monica zeigte und eine Frage stellte, oder eher sogar eine Feststellung machte, auf die Mrs. Salcedo mit betrübtem Nicken reagierte, woraufhin die junge Feu eindringlich auf sich einredete, was Mrs. Salcedo erst zögerlich, dann, offensichtlich überzeugt, mit stärkerem Nicken quittierte. Dann verabschiedeten Mutter und Tochter sich und schickten sich an, das Fest zu verlassen.

Mierda! Ja, verdammt, ich weiß, ich habe Mrs. Salcedo versprochen, dass Ximena sich um Monica kümmern würde, aber Ximena ist momentan anderweitig eingespannt, und offensichtlich hatte Mrs. Salcedo wenig Lust, noch länger zu warten. Aber, verdammt, die Bucas?

Ich sagte also sowohl den Jungs als auch meinen Eltern kurz bescheid und ging Mrs. Salcedo dann nach. Die war inzwischen zwar schon längst nicht mehr zu sehen, aber der Kindergarten hat vor einigen Monaten mal eine Telefon- und Adressenliste für die Eltern aller Kinder in einer Altersgruppe herausgegeben, damit man auch privat mal was zusammen planen kann, wenn man möchte, daher war es kein Problem, ihr nach Hause zu folgen.

Mrs. Salcedo empfing mich freundlich, sogar begeistert, lud mich in ihr Haus ein und bot mir gleich etwas zu trinken sowie ihren Vornamen, Lidia, an. Natürlich revanchierte ich mich mit meinem eigenen Vornamen, aber es war mir ziemlich peinlich. Denn offensichtlich fand, findet, Lidia mich ziemlich nett, und dass ich sie in ihrem Haus aufsuchte, schien ihr Hoffnungen zu machen; Hoffnungen, die ich nicht erfüllen kann... Oh verdammt.

Ich versuchte, ihr das so schonend wie möglich beizubringen, aber natürlich war es trotzdem ein hochnotpeinlicher Moment. Als wir das Unbehagen einigermaßen abgeschüttelt hatten, fragte ich Lidia rundheraus, ob Feu Buca ihr angeboten habe, Monica zu unterrichten. Sie bejahte, woraufhin ich vorsichtig versuchte, ihr meine Bedenken bezüglich der Bucas zu vermitteln, ohne ihr gleich das gesamte Ausmaß unserer Vermutungen und Befürchtungen und unseres Wissens bezüglich dieses Trupps offenzulegen. Ich erklärte auch, dass ich mein Versprechen ihr gegenüber keinesfalls vergessen habe, und dass meine Bekannte auf jeden Fall in den nächsten Tagen zu Monica kommen würde, aber dass es momentan noch Dinge gab, um die sie sich kümmern musste und dass Lidia doch bitte, bitte Geduld haben möge, weil ich in bezug auf die Bucas ein ganz schlechtes Gefühl hätte.

Was sie mir alles abnahm, ernsthaft nickte und ein entschlossenes Gesicht machte – nur um dann die Stirn zu runzeln und zu sagen: „Ich vertraue Ihnen, Ricardo, und ich bin sicher, dass Sie recht haben, und eigentlich will ich es genauso machen, wie Sie sagen... aber trotzdem habe ich das überwältigende Bedürfnis, Monica in die Obhut der Bucas zu geben!“

Oh. Ver. Dammt. Davon hat Edward erzählt, als er von den Flambeaux berichtete, diesen Warlocks, die von dem Chicagoer Warden aufgerieben wurden und von denen wir glauben, dass die Bucas ihre Überreste darstellen. Um als „Warlock“ deklariert und mit der Todesstrafe belegt zu werden, muss man die Magier-Gesetze brechen: Einen anderen Menschen mit Magie umbringen ist eines davon. In dessen Geist herumzupfuschen und Gehirnwäsche zu betreiben, ist ein anderes.
Und offensichtlich hatte Feu Buca Lidia die Idee eingepflanzt, Monica von den Bucas ausbilden zu lassen.
Was endlich ein Beweis für ihren Warlock-Status war, wenn wir noch einen gebraucht hätten...

Ich riet Mrs. Salcedo, Miami für eine Weile möglichst weit hinter sich und Monica zu lassen, um aus der Reichweite von Feus Einflüsterungen zu kommen. Und tatsächlich meinte Lidia, sie wollte schon länger einmal ihre Eltern in Montana besuchen, oder wo auch immer.



Entsprechend beunruhigt über die Ereignisse kam ich zurück zum Fest... und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Unruhe; die Leute, die alle in eine bestimmte Richtung strömten; der Brandgeruch, der aus genau dieser Richtung kam... einer Seitenstraße... genau der Seitenstraße, in der meine Eltern wohnen... genau deren Haus... O madre de Dios!

Mamá, kreidebleich, mit einer weinenden Alejandra im Arm. Papá, anscheinend vergleichsweise unverletzt, aber hustend vom Rauch. Am Boden Jack „White Eagle“, regungslos, mit offensichtlich schweren Verbrennungen, und - o Dios - Dee, ebenfalls verwundet, aber bei Bewusstsein und auf den Beinen, mit bedrohlichem Gesicht schützend vor meiner Familie stehend. Etwas seitlich die Jungs, die auch gerade in genau dieser Sekunde dazu kamen.

Ihnen gegenüber, die Bucas, oder besser, nur drei von ihnen: Feu, Ray und Anführerin Sam. Feu vor allem mit offenen Haaren, vor freudiger Erregung leicht geröteten Wangen und etwas beschleunigtem Atem, wilden Augen, die sich gerade bereit machte, einen neuen Feuerzauber auf Dee loszulassen.

Und ich ging dazwischen. Natürlich ging ich dazwischen, die Frage stellte sich in dem Moment gar nicht. Hier war Dee, die meine Familie verteidigte, verletzt worden war, weil ich mich hatte ablenken lassen und nicht da gewesen war, als sie mich brauchten!
Ja, ich weiß, selbst wenn ich von Anfang an dabei gewesen wäre, hätte ich nicht viel ändern können, aber so fühlte es sich in dem Moment an. Und wie gesagt, ich dachte nicht. Ich reagierte.

Glücklicherweise traf mich Feus Feuerball nicht richtig. Oder genauer – erstens traf mich der Feuerball nicht richtig, und zweitens hatte Edward gestern noch in seinem Labor einen Trank hergestellt, der vor Feuer schützt. Genug für zwei Phiolen war es, und beide hat er mir gegeben. Wofür ich ihm zutiefst dankbar bin, denn so wurde ich von dem Angriff lediglich etwas angesengt. Ekelhaft unangenehm, aber nicht wirklich gefährlich, gracias a Dios.

Dann griffen auch die Jungs schon ein. Was sie genau machten, kann ich gar nicht mehr sagen, aber die Bucas mussten auch einige Federn lassen und zogen ab.
Aber nicht, bevor Sam uns höhnisch noch eine Nachricht mitgegeben hatte. „Ihr wisst doch bestimmt, wo Ximena ist. Richtet ihr aus, dass wir mit ihr 'reden' wollen, dann muss auch kein Außenstehender mehr verletzt werden.“ Puta.

Dann waren sie fort, und wir bemühten uns um Schadensbegrenzung.
Einen Krankenwagen für Jack, um den es wirklich übel stand. Zum Glück gelang es Totilas, ihn zu stabilisieren und erste Hilfe zu leisten, bis der Krankenwagen vor Ort war.
Auch Dee musste ins Krankenhaus, weil es auch sie ziemlich schwer getroffen hatte. Aber wenigstens war sie selbst noch mobil und, anders als Jack, nicht in Lebensgefahr. Am liebsten hätte ich sie begleitet, aber Jandra und meine Eltern zu beruhigen und bei ihnen zu bleiben, war wichtiger.

Edward und Totilas hatten in dem Gerangel mit den Bucas auch ein paar Schrammen abbekommen, aber nichts für sie mit ihrer beschleunigten Heilung wirklich Tragisches.



Als sich dann alles soweit beruhigt hatte, haben wir auch endlich aus Totilas herausbekommen, wo er die letzten Tage über war. Auf einem Auftrag für Gerald, das hatten wir ja schon gewusst. Aber was das für ein Auftrag war, das wussten wir nicht. Grrrrr. Ich könnte jetzt noch aus der Haut fahren, wenn ich nur daran denke. Das kann so nicht auf sich beruhen bleiben, Totilas, darüber wird noch zu reden sein, so wahr ich Ricardo Alcazár heiße.

Nach der Geschichte mit den Loa-Masken musste Gerald Raith sein Geschäft mit dem Marihuana des Elder-Clans ja zähneknirschend an die Santo Shango abgeben. Diese Lücke in seinen Verdiensten wollte er jetzt schließen, und so ist er anscheinend auf einen Handel mit Freund Pan eingegangen. Raith liefert dem Sommerherzog Stoff, den er von seinen russischen Verwandten bezieht, und erhält dafür im Gegenzug von Antoines Traumdrogen. Ja, den Traumdrogen. Seit wir dem Cabrón das Handwerk gelegt haben, dürften die wenigstens wieder vergleichsweise harmlos sein. Zumindest haben wir von niemandem mehr gehört, der nicht träumen kann, und George meinte letztens auch irgendwann, seine Traumfresser-Kumpane und er würden sich seit der Befreiung ihrer Schwarmmutter wieder auf kleinere Knabbereien beschränken.

Aber der Deal zwischen Raith und Pan umfasste eben nicht nur den Austausch von narkotisierenden Substanzen. Als Zeichen „guten Willens“ lieferte Gerald auch eine Handvoll russischer Mädchen an Pan, die an dessen Hof für Gesellschaft sorgen sollten. Und lustige Parties hin, Joelles Erfahrungen als Pan-Groupie her, das ist Menschenhandel, verdammt!

Vor allem und noch viel mehr, weil eines der Mädchen Totilas anscheinend auf Knien anflehte, sie nicht dorthin zu bringen. Das war wohl auch genau diese Natalya gewesen, die sich später auf dem Fest dann so an Totilas geklammert hatte. Totilas sprach sehr kühl und sachlich darüber, wie er es immer tut, ließ sich keinerlei Regung anmerken und deutete nur ungefähr an, was geschehen war. Aber anscheinend hatte dieses Mädchen Visionen davon, dass sie brennen, im Feuer sterben werde, wenn sie an Pans Hof komme. Und was tut dieser kalte Fisch? Liefert sie dennoch dort ab, all ihrer Panik und Bitten zum Trotz. Wenn mir bisher nichts anderes ins Hirn gehämmert hätte, dass Totilas ein verdammter White Court und kein Mensch ist, der einfach keine Emotionen verspürt, wie unsereins das tut, dann hätte diese Aktion es jetzt spätestens getan.

Wir ließen die Sache fürs erste auf sich beruhen, weil wir gerade zu viel anderes um die Ohren hatten, nein, haben, und wir momentan einfach all unsere Kräfte für die Bucas und die Vorgänge beim Filmdreh brauchen, aber darüber wird noch zu reden sein, verdammt noch mal. Wenn diese Natalya gegen ihren Willen an Pans Hof ist, dann müssen wir sie da rausholen!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 15.11.2013 | 19:25
Drama, Baby!  ;D

Sehr schön. Ich freu mich schon aufs nächste Mal. *gnihihi*

Zwei kleine Anmerkungen: Ximenas Vater heißt Danny O'Toole (nicht O'Boyle), und er ist kein Feuerwehrmann, er ist Cop.  d:)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.11.2013 | 10:21
Stimmt. Warum mir da einmal ein O'Boyle rausgerutscht ist, wo doch sonst überall O'Toole steht, muss mir auch erstmal wer erklären. :)
Und Lidia heißt Lidia, nicht Livia. *änderngeh*
Und wir waren noch bei Christine, die warnen. Aber das pack ich halt in den dritten Teil.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 17.11.2013 | 13:27
Ich vermute, du hast an Danny Boyle gedacht. ;)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 6.12.2013 | 02:23
Habe ich gedacht, es hätte weh getan, als Lady Fire mir die Ketten von den Handgelenken brannte?
Muss ich wohl. Lustig.

Ich habe übrigens dazugelernt. Das hier schreibe ich nicht von Hand, sondern erzähle es per Stimmerkennungssoftware direkt meinem Laptop. Die Ärzte wird es freuen. Da behaupte noch einer, ich sei nicht lernfähig. Zuhause werde ich es dann ausdrucken, schätze ich, und in mein Tagebuch kleben, um der Kontinuität willen. Kontinuität ist wichtig, wisst ihr. Hurra für die Kontinuität.

Ja, ich bin etwas zugedröhnt von den Schmerzmitteln. Nicht wundern. Es ist alles gerade ziemlich in säuselnde Watte gepackt. Rosa Elefanten sehe ich noch keine, aber das kann ja noch kommen.



Der Film ist abgebrannt. Äh, abgedreht. Ach, beides eben. Wir haben überlebt, größtenteils jedenfalls. Wenn das hier eine TV-Serie wäre, dann wäre dies die Szene, in der man den verwundeten Protagonisten bewusstlos im Krankenhaus liegen sieht, Schläuche in der Nase, piepende Gerätschaften, eben so, wie ich bis vor wenigen Tagen vermutlich auch ganz ähnlich ausgesehen habe. Dann Schnitt, neue Szene, mit der Einblendung: „24 Stunden zuvor“. Oder so.

Also. Einblendung. 24 Stunden zuvor.

Am Tag nach dem Straßenfest bekam ich einen Anruf von Ms. Bentley, der Showdown werde doch schon heute gedreht. Ob meine Freunde und ich noch immer Lust auf die Statistenrollen hätten?
Na aber sicher hatten wir. Auch wenn diese Vorverlegung die Dinge natürlich verdammt knapp machte.

Ach so. Eines habe ich ja ganz vergessen. Am Tag vorher, am Mittag vor dem Straßenfest, als wir auf dem Filmgelände waren, suchten wir auch Christine kurz auf. Ja, sie hält uns für Verräter, und natürlich wollte sie nicht mit uns reden, aber ich fand, sie – und Lady Fire – sollten gewarnt sein.
Also erzählte ich ihr von den Bucas und dass es sein könnte, dass die es auf die Filmproduktion abgesehen hätten und sie vielleicht versuchen könnten, diese zu sabotieren. Und dass die Bucas ja irgendwie eine Möglichkeit hatten, Feen-Magie aus ihren Besitzern und in sich selbst zu zwingen, dass also Lady Fire in Gefahr sein könne. Ich bat Christine, die Lady zu warnen und selbst auch auf der Hut zu sein – nicht für mich, nicht für uns, sondern für diejenige, der diese Geschichte ja auch am Herzen lag.

Christine sah mich ganz merkwürdig an, nickte dann aber. Vielleicht war das ja ein erster, winzigkleiner Schritt, um unsere Schuld an Lady Fire wieder ein Stückchen abzutragen...



Jedenfalls, der Showdown. Der Anruf kam früh genug, dass wir mehr oder weniger in Ruhe aufbrechen konnten, ohne uns übermäßig abzuhetzen, aber sonderlich viel Zeit vorher hatten wir auch nicht. Genug Zeit aber, uns mit einer Tüte Salz einzudecken.

Die Skriptänderungen waren nämlich eingearbeitet und das Konzept der Verwundbarkeit der Zombies durch Salz im Film etabliert worden. Aber natürlich war Eric Albarn der einzige Charakter, für den die Prop-Crew eine Papiertüte grobes (und Westernambiente-taugliches) Steinsalz besorgt hatte; wenn wir selbst welches wollten, mussten wir schon unser eigenes mitbringen, vor allem, da wir als Statisten ja vermutlich eher unauffällig damit würden hantieren müssen, wenn es soweit käme.

Kataklysma Bentley gab uns Rollen als Zombies, was, wie für den Rest der Komparsen auch, Western-Klamotten und einige Schminkarbeit bedeutete. Es hätte viel Spaß gemacht, wenn wir nicht so in Sorge gewesen wären.

Die Statisten sollten von zwei Seiten auf den Ritualkreis zuwanken, wo Sam Worthington und Roselyn Sanchez gemäß Drehbuch ihre Ausgangsposition für die Szene hatten. Der von Russell Means gespielte Indianerschamane stand ein Stück seitwärts und sollte dort seinen Hokuspokus aufführen.

Dann rief Ms. Bentley „Action“, und die Zombiehorde setzte sich in Bewegung. Und beinahe sofort bemerkte ich eine Art Flimmern, ein Verschwimmen, als die wirkliche Welt und die Welt der Geschichte miteinander verschmolzen, einander überlagerten. Und dann spürte ich Ziehen an meinem Geist, einen Hunger, und das Bedürfnis, die Gestalten, die da vorne standen, anzugreifen und meinen Hunger an ihrem warmen Fleisch zu stillen.

Da das ja genau das war, was wir befürchtet und sogar erwartet hatten, gelang es mir ohne größere Anstrengung, meinen Kopf freizuhalten und Herr meiner selbst zu bleiben, doch ich konnte sehen, dass die Statisten um mich her offenbar von diesen Einflüsterungen beeinflusst wurden. Und auch Robertos bislang gespielte Zombiebewegungen schienen plötzlich natürlicher, echter, als habe auch er sich dem Drang hingegeben...

Als ob es nicht reichte, dass wir uns unversehens echten Zombies gegenüber sahen, bemerkten wir mit einem Mal Lady Fire in Russell Means' Nähe. Sie war offensichtlich am Zaubern und hatte ebenso offensichtlich den toten Schauspieler unter ihrer Kontrolle, denn er imitierte ihre Gesten, um die Zombies zu steuern.

Und dann tauchten zu allem Überfluss auch noch die Warlocks auf, alle fünf, Flammen in den Augen und in den Händen. Sie teilten sich auf: Sam Buca schrie „Holt das Totem!“, dann wandten sie und Ray sich Lady Fire zu, während Feu, Tinder und der fünfte, dessen Name mir gerade nicht einfällt, sich gemäß dem Befehl ihrer Anführerin Richtung Ritualkreis orientierten, wo Roselyn Sanchez – Catherine – im Zentrum des Kreises mit hochgehaltenem Totem das Ritual begonnen hatte, während Sam – Eric – ihr den Rücken freihielt.

Oh verdammt. Ich machte mich gerade bereit, mich von meiner Zombiegruppe zu lösen und zu den beiden zu rennen – ich hatte immerhin Salz gegen die Zombies bei mir, und ich hatte Edwards zweiten Feuerschutztrank genommen, was mich hoffentlich gegen die Bucas wappnen würde – da sah ich beim Kreis mit ruhigem, entschlossenem Schritt, offensichtlich völlig unbeeindruckt von den Zombies, eine weitere Gestalt auftauchen. Eine Gestalt in der Kleidung eines Cowboys, oder besser eines Revolvermanns, die Verkörperung des revolverschwingenden Gesetzeshüters in seiner reinsten Form. John Wayne trifft Clint Eastwood trifft Robert Mitchum trifft Audie Murphy. Zwei Colts tief auf den Hüften sitzend, den grauen Hut weit ins Gesicht gezogen, langer grauer Mantel mit angestecktem Marshal-Stern über der hochgewachsenen Figur in grauem Hemd, Weste und Hose. Graue Stiefel. George. Er zwinkerte mir zu, was den imponierenden Ersteindruck ein wenig relativierte, und stellte sich dann an Erics Seite.

Lady Fire machte daraufhin eine herrische Handbewegung, und der Zombiepulk, in dem ich mich befand, teilte sich ebenfalls auf: eine Hälfte Richtung Bucas, die andere Hälfte weiter Richtung Ritualkreis. Das war dann auch genau der Moment, in dem ich mich von den Zombies absetzte und Richtung Ritualkreis rannte. Dass meine Zombie-Schminke, als ich dort ankam, von mir abgefallen war, wunderte mich auch kein bisschen mehr.

Als ich mich von der Gruppe löste und losrannte, erkannte mich Lady Fire, und ihr Gesicht nahm zu dem Fanatismus, den es ohnehin schon zeigte, auch noch einen Ausdruck tiefsten Hasses an.
„Ich werde deine Geschichte zerstören, koste es, was es wolle!“ schrie sie und stachelte ihre Marionetten noch weiter an.
Hah. So viel zum Thema Schuld anfangen abzutragen. Dios, Alcazàr, wann hörst du auf, so naiv zu sein?

Ich war einen Hauch zu langsam. Feu schleuderte einen Feuerball auf Catherine, die, davon voll getroffen, zu Boden ging, ehe ich sie erreichen konnte. Das Totem fiel ihr aus den Händen und zu Boden, und Feu gab einen triumphierenden Ausruf von sich. Doch dann war ich da und griff mir das Totem. Keine Zeit, mich um Catherine zu kümmern, denn schon hatte Feu die Hände erhoben, um weiteres Feuer auf uns niederregnen zu lassen. Auch keine Zeit, groß darüber nachzugrübeln, ob es klappen würde oder nicht, aber wir waren im Nevernever, oder das Nevernever war hier mit der Realität verschmolzen, so stark, dass sogar George hier sein konnte, und außerdem war das hier meine Story, verdammt!

Ich hob also das Totem in die Luft und deklamierte etwas, über das ich gar nicht groß nachdachte, das aber vage wie ein indianischer Regenzauber klingen sollte. Und tatsächlich begann es über dem Gelände zu regnen, was die von den Bucas gelegten Feuer fürs Erste verlöschen ließ. Sam Buca schrie wütend auf und stürmte mit ausgestrecktem Arm auf Lady Fire los, und ich konnte sehen, dass sie zauberte, und dass Lady Fire taumelte und von diesem Zauber geschwächt zu werden schien, und, verdammt nochmal, trotz allem, was sie getan hatte, tat die Feenlady mir leid.

Aber ich konnte nicht viel in dieser Hinsicht tun, denn die Zombies waren inzwischen bei uns angekommen, und Eric, George und ich hatten alle Hände voll damit zu tun, sie mit vereinten Kräften und unserem Salz von uns abzuhalten. Alex hingegen bewegte sich auf Lady Fire und die zwei Bucas bei ihr zu, und ich konnte sehen, dass er die Handbewegungen machte, die er immer macht, wenn er eines seiner Tore öffnet.

Und dann hörte ich Feu Bucas Stimme und sah sie einen weiteren Feuerball in ihren Händen formen und auf uns schleudern, und ich konnte ihm nicht mehr ausweichen. Eine Sekunde lang spürte ich keinen Schmerz, nicht einmal Unbehagen, nur Verwunderung über das unerträglich helle Gleißen rund um mich her, und dann wurde mir bewusst, dass ich brannte, lichterloh, und dass der Schmerz mich mit einem Mal überwältigte, und dann wurden das unerträglich helle Gleißen und die alles verzehrende Pein zu einem tiefen, undurchdringlichen Schwarz.



Ich kam im Krankenhaus wieder zu mir, auf der Intensivstation, mehr oder weniger jedenfalls. Eine unbestimmbare Zeit lang driftete ich gelegentlich kurz an die Oberfläche (die Jungs sagen, das waren so etwa zwei Tage), ehe die Wachperioden langsam mehr wurden und ich allmählich wieder aufnahmefähig genug wurde, um zu begreifen, was geschehen war.

Edwards Feuerschutztrank hat mir das Leben gerettet. Und vielleicht auch der Regen, der noch immer fiel.
Mir das Leben gerettet... und verhindert, dass ich dauerhafte Brandnarben davon tragen werde. Also über die an meinen Handgelenken hinaus.
Le agradezco los favores que nos hace.

Nachdem ich zu Boden gegangen war, nahm Roberto, der mit seinem Zombiepulk inzwischen auch am Kreis angekommen war, das Totem an sich. Es gelang den Bucas zwar, ihn auch zu Boden zu schicken, doch er verlor nicht sofort das Bewusstsein, sondern konnte George noch zurufen, er solle das Totem zu Alex bringen. Was unser Wyldfae-Freund zwar versuchte, aber die Bucas nahmen es ihm ab.

Edward legte sich im Nahkampf mit den Bucas an, doch auch ihn schalteten sie aus. Totilas hingegen wäre wohl wesentlich schlimmer verwundet worden oder gar ebenfalls außer Gefecht gesetzt worden, wenn er nicht...

Los. Sag es. Du warst bewusstlos, du hast es nur erzählt bekommen, du kannst das jetzt hier auch in dieses Mikro diktieren.

Wenn er nicht mitten im Kampf seine White Court-Fähigkeiten eingesetzt hätte. Nach dem, was Alex erzählte, hat Totilas Feu Buca gepackt und sie zu Tode geküsst. Ihr mit seinem White Court Vampirismus das Leben entzogen wie seiner Ziehmutter Crys damals. O madre mia.

Immerhin gelang es Alex aber, ein Tor ins echte Nevernever zu öffnen und Lady Fire mit hindurch zu nehmen, ehe die Bucas ihr noch mehr ihrer Macht entziehen konnten. Weil Alex damals bei der Entscheidung pro Pan nicht dabei gewesen war, erachtet Lady Fire ihn sogar noch nicht mal als Verräter und war bereit, mit ihm zu gehen und mit ihm vernünftig zu reden.

Als die Bucas merkten, dass Lady Fire ihrem Zugriff entzogen war, machten sie sich ebenfalls aus dem Staub – zwar waren sie noch zu viert und von uns stand nur noch Totilas, aber Lady Fire war fort, und ihr anderes Ziel hatten sie erreicht: Sie hatten das Totem in ihren Besitz gebracht. Mierda.

Die Realitätsverschiebungen waren von Christine auf Geheiß von Lady Fire ausgelöst worden: Die Verwirbelungen gingen von ihrem Trailer aus, und als der Spuk vorbei war, hörten sie auch auf und die normale Wirklichkeit kehrte zurück. Die Statisten – glücklicherweise unversehrt – fanden zurück zu sich selbst. Sam Worthington war ziemlich geschockt, aber bis auf ein paar Kratzer unversehrt. Kataklysma Bentley war begeistert von der "geilen Action"... bis sie bemerkte, was geschehen war - dann wurde sie hysterisch und bekam einen Nervenzusammenbruch. Denn Feu Buca lag ja tot am Boden – und  mit ihr Roselyn Sanchez. Sie hatte von Feus Angriff offensichtlich so schwere Brandwunden davongetragen, dass sie diese nicht überlebte. Die Jungs haben mir allerdings versichert, dass ich mir keine Vorwürfe machen muss, dass für Roselyn schon jede Hilfe zu spät kam, als ich den Ritualkreis erreichte. Ich glaube ihnen das. Aber Vorwürfe mache ich mir trotzdem.

Jede Menge Vorwürfe sogar. Was hätten wir – was hätte ich! - tun können, um dieses Gemetzel zu verhindern? Hätte ich Ms. Bentley einweihen sollen, ja müssen? Hätte ich den Dreh abblasen sollen? Hätte ich das überhaupt gekonnt? Ich hätte können müssen, hätte meinen Einfluss als Autor spielen lassen können und müssen... Wir hatten den Verdacht, dass etwas passieren würde; wir wussten, dass die Bucas direkt nebenan ihr Unwesen trieben und es auf uns abgesehen hatten... Und wir wussten, wozu sie fähig waren. Die Jungs können sagen, was sie wollen: Roselyn Sanchez' Blut klebt an meinen Händen.
Santísimo padre en el cielo, perdona mi pecado...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 6.12.2013 | 22:06
Sehr fein. :)

...nur ein paar kleine Anmerkungen: Sam Buca hat nicht gezaubert, sondern mit einer Pistole geschossen, aus der Feuerbälle kamen. Sie hat Roselyn Sanchez erschossen, nicht Feu.

Der letzte Buca, FooFoo, hatte eine Armbrust, mit der er kleine eiserne Bolzen auf Lady Fire geschossen hat, und mit dem Eisen im Körper konnte sie ihre Kräfte nicht mehr einsetzen. Alex hat ihr die irgendwann rausgepflückt, bevor sie in ihr Reich gegangen ist.

Kataklysma war nicht begeistert, die war völlig verstört und brabbelte etwas von "schon wieder", "Jesus", "Zombies" und einem Dildo. Sie befindet sich mittlerweile in einer geschlossenen Psychiatrie.  ;)

@Bucas: Arlette, Feu und Ray waren die Feuerschmeißer. Du hast dich mit Arlette herumgeschlagen - Feu ist auf Totilas los und hat das nicht überlebt, während sich Ray mit Edward beschäftigt hat. FooFoo hat, wie gesagt, mit der Armbrust geschossen und Sam hat koordiniert und da hin gefeuert, wo es gepasst hat. Die konnte nämlich gar nicht zaubern. ^^

Arlette und Ray haben sich übrigens mit ihrer Magie selbst abgeschossen, weil sie einfach zu sehr gepowert haben.

Aber hey, Cardo ist schwer verletzt worden, da verwechselt man schon mal was. Seine Gewissensbisse finde ich jedenfalls großartig!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 7.12.2013 | 18:09
Sehr fein. :)

Danke für die Blumen! :)

...nur ein paar kleine Anmerkungen

Ach dankesehr. Stimmt ja. Bis auf:

Kataklysma war nicht begeistert, die war völlig verstört und brabbelte etwas von "schon wieder", "Jesus", "Zombies" und einem Dildo. Sie befindet sich mittlerweile in einer geschlossenen Psychiatrie.  ;)

Doch doch, zu allererst kam sie mit einem begeisterten "wie geil war das denn!!" an, bis sie eben mitbekam, was da los gewesen war. Darauf bezog ich mich.

Aber hey, Cardo ist schwer verletzt worden, da verwechselt man schon mal was. Seine Gewissensbisse finde ich jedenfalls großartig!  :d

Hehe, dankeschön. Ich, Timber, finde sie auch großartig :), Cardo selbst eher nicht so. Aber hey, der liegt jetzt halt allein in seinem Krankenhausbett und hat nichts, um sich vom Grübeln abzulenken...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.02.2014 | 21:11
Ricardos Tagebuch: A Restoration of Faith

Immer noch im Krankenhaus. Angeblich soll ich aber in einigen Tagen entlassen werden, wenn die Verbände abgenommen werden. Ich kann es kaum erwarten, wandere hier schon seit Tagen durch die Gänge wie ein Tiger im Käfig. Zum Glück kommen die Jungs mich so ziemlich jeden Tag besuchen.

Erst vor kurzem habe ich mitbekommen, dass die Jungs teils auch stationär hier waren: Alex hatte schwere Verbrennungen an der Schulter, und auch Roberto hatte es ziemlich heftig erwischt. Edward ebenso, aber dem Himmel sei Dank schlugen dessen regenerative Fähigkeiten sofort an.
Und Totilas... der hatte sich ja im Kampf schon wieder... ähm ja. Regeneriert.

Dr. Armbruster hat mich gewarnt, dass die betroffenen Hautpartien (also mein ganzer Körper, um genau zu sein) noch einige Zeit sehr empfindlich sein werden und ich damit rechnen muss, noch eine ganze Weile regelmäßig Schmerzmittel zu nehmen. Yay.

Jack White Eagle liegt übrigens auch hier. Den hatte es auf dem Straßenfest noch übler erwischt als mich beim Filmdreh: so übel sogar, dass die Ärzte sich wunderten, wie er überhaupt überleben konnte. Auch sein Bein hätte eigentlich völlig unbrauchbar und/oder ein Fall für eine Amputation sein müssen, aber auch das stellte sich zur Überraschung der Medizinerschaft als weniger schlimm heraus als gedacht.

Meine Vermutung ist allerdings, dass Jack sehr wohl so schwer verletzt war, wie es anfangs den Anschein hatte, dass er aber ähnlich wie Edward und Totilas über irgendwelche durch seine Magie bedingten übernatürlichen Selbstheilungskräfte verfügt und deswegen überleben konnte, dem Himmel sei Dank. Wir haben ihn in diese Sache mit den Bucas hineingezogen. Schlimm genug, dass er wohl aller Voraussicht nach einen bleibenden Schaden von seinen Verletzungen davontragen und für den Rest seines Lebens hinken wird.

Er nimmt die Sache soweit gelassen. Aber arg ist es mir trotzdem.

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Die Jungs waren hier. Und es war --

Mag jetzt nicht schreiben. Heute abend vielleicht.

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Nächster Tag.

Das gestern war... ein Schlag in die Magengrube. Nennt es feige, Römer und Patrioten, aber ich habe mich nach dem erfolglosen Versuch, das Ganze aufzuschreiben, erst einmal in mein Bett verkrochen und die Decke über den Kopf gezogen. Bis die Schwester für die Vorabendkontrolle hereinkam. Danach bin ich dann wieder durch das Krankenhaus getigert und wusste nicht, wohin mit meinen Gedanken. Nachts war wieder mal, wie so oft, George in meinen Träumen und versuchte, mich aufzuheitern, aber so recht gelang ihm das nicht.

Natalya ist tot. Santísimo padre en el cielo, Natalya ist tot, das Mädchen, das Totilas auf dem Straßenfest um Hilfe angefleht hatte. Das Mädchen, das Totilas auf Gerald Raiths Order hin bei Pans Hof abgeliefert hatte. Das Mädchen, das sich selbst in einer Vision im Feuer hatte sterben sehen.

Die ganze Zeit war ich noch zu groggy, dass mir die Sache eingefallen wäre, aber heute endlich dachte ich daran und brachte das Thema zur Sprache, als die Jungs gestern nachmittag zu Besuch waren. Dass wir Natalya helfen müssten, von Pans Hof wegzukommen, ehe ihr etwas zustieß.

Und da stellte sich heraus, dass es zu spät war. Dass Totilas sich schon nach Natalya erkundigt und herausgefunden hatte, dass sie tot war. Und nicht einfach so tot. Sondern als Menschenopfer dargebracht im Ritual der Elemente, das die Feen regelmäßig zur Sommersonnenwende abhalten.
Völlig selbstverständlich. Der ganze Sommerhof wusste davon. Pan vor allen anderen, der hatte den Befehl dafür gegeben.

Und diesen... diese... Kreatur... haben wir gerade letztes Jahr noch im Amt bestätigt... O madre mia.

Aber Lady Fire an Pans Stelle hätte es auch nicht anders gemacht. So, wie die Feen laut Totilas und Alex, der ebenfalls Nachforschungen angestellt hatte, geklungen hatten, stehen sie auf dem Standpunkt, die Erde geht unter oder der Sommer kann nicht kommen oder würde ewig bleiben oder irgendwas in der Art, falls dieses Ritual nicht abgehalten wird. Das macht es bloß nicht besser. Vor allem, weil der Winterhof zur Wintersonnenwende mit ziemlicher Sicherheit genau dasselbe in die andere Richtung tut. Und das wiederum heißt 8 Opfer – 8 Morde! - jedes Jahr, seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke.

Komisch, letztes Jahr um genau diese Zeit waren wir ja mit dem Sommerhof beschäftigt. Da haben wir von irgendwelchen Opfern gar nichts mitbekommen. Naja, da hatten wir auch gerade genug damit zu tun, den Cabrón zu jagen. Dass ich meinen Geburtstag letztes Jahr nicht ebenfalls im Krankenhaus verbracht habe, war auch nur eine Sache von ein paar Stunden, fällt mir dabei auf. Bei all den Dingen, die um die Sommersonnenwende herum so abgehen, ist der 22.06. irgendwie kein gutes Datum, wenn ich mir das so überlege.

Jedenfalls, Totilas... Totilas erklärte, emotionslos wie immer, er habe seine Kräfte nicht aufteilen können, und wir, seine Freunde, hätten in diesem Moment Priorität für ihn gehabt. Deswegen konnte er sich nicht um Natalya kümmern. Was ich ihm genau genommen noch nicht mal verdenken kann. Nur besser macht es das nicht.

Und vor allem, was sagt das alles über mich aus?

Natalya ist tot. Der Sommerhof wird weiter zu jeder Sommersonnenwende vier Menschen opfern, und der Winterhof wird es weiter zu jeder Wintersonnenwende tun. Selbst, wenn wir Gerald Raith irgendwie dazu bekommen sollten, dass er dieses Geschäft unterlässt, werden die Feen andere Quellen auftun. Und wir werden weiter mit Pan und seinen Leuten und vermutlich auch mit Tanit und ihren Leuten in Kontakt kommen und gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn selbst, wenn wir es versuchen, die verdammten Feen sind einfach mächtiger als wir unwichtigen Sterblichen.

Oh Dios.

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Wieder zuhause.

Ich versuche, mich in Arbeit zu vergraben. Die Vorfälle beim Filmdreh haben natürlich ihren Weg in die Presse gefunden, aber Sheila leistet großartige Arbeit darin, den gröbsten Fallout von mir fernzuhalten. Deswegen habe ich das größtenteils aus dem Kreuz und kann mich auf andere Dinge konzentrieren.

Die Salcedos sind zurück in der Stadt, und Lydia hat auch kein Bedürfnis mehr, Monica in die Obhut der Bucas zu geben. Der magie-induzierte Zwang scheint mit Feus Tod ganz gewichen zu sein. Monica hat indessen ihren Unterricht bei Ximena begonnen, was sich soweit ganz gut anlässt, bis auf die Tatsache jedenfalls, dass Alejandra wieder mal hin und weg davon ist, dass ihre beste Freundin jetzt so tolle Sachen lernt und da natürlich auch mitmachen möchte. Meine Erklärungsversuche haben da auch bislang noch nicht so richtig gefruchtet. Jandra hat es zwar akzeptiert, aber traurig, dass sie selbst sowas nicht kann, ist sie trotzdem.

Hinzu kommt, dass ich nicht so hundertprozentig sicher bin, ob Ximena mit ihrer impulsiven Ader und ihrer Söldnermentalität wirklich die richtige Lehrerin für so ein kleines Mädchen ist. Aber andererseits haben wir niemand besseren, und Ximena hat mir hoch und heilig versichert, dass sie der Kleinen nichts Illegales beibringen wird. Damit werde ich mich wohl begnügen müssen.

Ansonsten stecken wir gerade mitten in den Vorbereitungen für die Eröffnung des Jugendzentrums, das in den letzten Wochen und Monaten von einer verrückten Idee zu einem echten Plan geworden ist und nun tatsächlich kurz vor der Eröffnung steht.

Roberto hatte ja damals einen ganz ähnlichen Gedanken gefasst, und so haben wir die Idee des Jugendzentrums gemeinsam verfolgt, und die anderen haben natürlich auch nach Kräften geholfen. Ich kann es kaum glauben, dass es jetzt tatsächlich schon sehr bald soweit sein soll.

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Heute war die große Eröffnungsfeier. Eigentlich ziemlich erfolgreich, so alles in allem. Hohe Prominenz war anwesend: der Bürgermeister, die Presse und noch einige andere wichtige Leute. Die Direktorin der High School ein paar Straßen weiter, von der wohl die meisten unserer Jugendlichen kommen werden, ein gewisser Pater Donovan Reilly, der ziemlich neu in der Stadt ist und in der Gegend eine kleine Gemeinde übernommen hat, und Cicerón Linares. War nicht zu ändern.

Was auch nicht zu ändern war, ist die Tatsache, dass wir das Jugendzentrum als Stiftung aufgezogen haben. Also doch, das wäre noch zu ändern gewesen, aber wenn nur Roberto und ich mit unserem Privatvermögen an die Sache herangegangen wären, dann hätte das ein deutlich kleineres Jugendzentrum ergeben, mit wesentlich weniger Möglichkeiten. Also eine Stiftung, also kann sich jeder Förderer beteiligen, der will, und das wiederum bedeutete – hätte ich mir eigentlich auch vorher denken können, statt jetzt völlig davon überrascht zu werden – dass Gerald Raith das für eine wunderbare Idee hielt und eine nicht unbedeutende Summe in die Stiftung gesteckt hat.

Was mir wiederum nicht so recht schmeckt. So ziemlich gar nicht, um genau zu sein, angesichts der Vorbehalte, die ich vor allem wegen der Sache mit Natalya, aber auch wegen allem anderen, gegen ihn hege. Was hat der Kerl für Hintergedanken? Eine billige, leicht zugängliche Futterquelle für seine White Courts? Sein eigenes Image werbeträchtig aufpolieren, wenn das Zentrum als Raith-Einrichtung bekannt wird?
Nein, es passt mir nicht, aber ich konnte es nicht ändern. Sobald das Konzept als Stiftung in Angriff genommen war, konnten wir Gerald nicht ausschließen, ohne ihn auf den Tod zu beleidigen. Und Gerald Raith auch noch zum Feind... äh, nein.

Aber die Eröffnungsfeier war wenigstens ein Erfolg. Und ich habe mir mal diesen Pater Donovan gemerkt. Der war mir sympathisch.

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Heute ist etwas Seltsames passiert.

Wir waren ja in den letzten paar Wochen fast jeden Tag im Jugendzentrum, um dessen Anfänge zu begleiten und zu sehen, dass alles seinen Gang geht und gut ins Rollen kommt. Bislang lässt sich auch alles soweit so gut an, das Center wird eigentlich ziemlich gut angenommen von den Jugendlichen.

Heute allerdings standen plötzlich Edwards Kollegen aus dem SID vor der Tür, das andere Detective-Gespann, Alison und Mark. Ja, genau der Mark, der notorische Skeptiker,, dem Edward für das Ritual gegen Adlene die Hasenpfote aus der Asservatenkammer des SID abluchsen musste und der sich in diesem Zusammenhang den Arm brach. Diese beiden Kollegen also tauchten im Jugendzentrum auf, weil es an der nahegelegenen High School zu einer Reihe unerklärlicher Unglücksfälle gekommen und die Sache beim SID gelandet sei.

Sie nahmen sich ganz unterschiedliche unserer jungen Besucher vor, konzentrierten sich aber vor allem auf drei Mädchen, die schon seit dem ersten Tag immer zusammenstecken und von ihren Altersgenossen gerne „die drei Grazien“ genannt werden. Das Grüppchen besteht aus Elena Linares (und ja, der Nachname sagt es schon: Sie ist eine Cousine von Cicerón und sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst, so wie sie mit seinem Namen um sich wirft), Valentina Gomez, die bei einer Pflegefamilie zu leben scheint, und Sienna Hernandez, die bislang auch noch nicht sehr viel über sich sagte.

Dee übrigens auch nicht, und das ließ mich aufhorchen. Was das mit Dee zu tun hat? Naja, ich hatte Dee zur Eröffnungsfeier eingeladen, und da waren natürlich auch etliche Jugendliche anwesend, und bei der Gelegenheit war mir aufgefallen, dass Dee und Sienna sich kannten. Als ich Dee hinterher auf ihre junge Bekannte ansprach, machte sie ihr Marshal-Gesicht, murmelte etwas davon, dass sie mit Siennas Mutter befreundet sei und wechselte dann auffällig schnell das Thema. Da es ihr wichtig zu sein schien, nicht darüber zu sprechen, hakte ich natürlich nicht weiter nach.

Jedenfalls, die drei Mädchen wurden von Detectives Townsend und Caldwell ausgiebig gefragt, und hinterher gaben die beiden Edward ein paar Infos. Sie hatten keine Beweise oder sonstige konkrete Anhaltspunkte, aber diese besagten Unglücksfälle hatten eben vor allem Personen getroffen, die mit Elena Linares aneinandergeraten waren oder die sich wie ein Arsch benommen hatten. Und all diese Dinge hätten auch auf natürlichem Weg passieren können, waren in der Häufung aber eben aufgefallen.

Ach ja, richtig: Ocean Raith ist auch ein häufiger Gast im Jugendzentrum, interessanterweise, obwohl sie mit ihrem familiären Hintergrund ja eigentlich so gar nicht die Zielgruppe bildet. Aber sie taucht beinahe jeden Tag hier auf und hängt mit allen möglichen Leuten herum, auch mit den Grazien.

Sie wechselte immer mal unauffällige Blicke mit einem Jungen namens Ciélo, und zwar wirklich sehr unauffällige. Es war wirklich reiner Zufall, dass mir das auffiel. Weniger die Blicke als zuerst die Art und Weise, wie sich Ciélos Aufmerksamkeit ganz subtil veränderte, als Ocean in den Raum kam. Auch das war sehr unauffällig, eigentlich, wie es auch der ganze Junge ist. Er sieht gut aus, aber nicht Teenie-Idol-mäßig. Er hat so eine Art und Weise, sich im Hintergrund zu halten, die ganz natürlich wirkt und sämtliche Aufmerksamkeit von sich abzulenken scheint.

Elena Linares schien auch an dem Jungen interessiert zu sein, und zwar deutlich offensichtlicher als Ocean, so wie sie um ihn herumscharwenzelte. Die Blicke zwischen Ciélo und Ocean schien sie gar nicht zu bemerken, und Ciélo ging auf ihre Avancen ein... oder tat so, was Ocean aber zu übersehen schien.

Was mich daran erinnert, dass auch Cherie Raith nach der Eröffnungsfeier, zu der Edward sie natürlich eingeladen hatte, noch ein paarmal hier war. Sie scheint irgendwie auch ein Interesse an dem Jugendzentrum zu haben, aber wem oder was genau dieses Interesse gilt, hat sie Edward wohl noch nicht erzählt, anscheinend nur angedeutet, dass Edward das vielleicht besser gar nicht wissen wolle. Daraufhin hat Edward Dee gegenüber eine Warnung ausgesprochen – immerhin arbeitet, oder arbeitete, sie für das Zeugenschutzprogramm des Marshal Service.
Dee nahm diese Warnung auch durchaus ernst, wollte aber Edward ebensowenig Näheres berichten wie mir. Verständlicherweise, eigentlich, denn ihre Arbeit ist ja geheim.

Trotzdem habe ich ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Wenn Dees Arbeit und unser Jugendzentrum zusammenhängen... Das war nicht der Plan, eigentlich. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 15.02.2014 | 21:48
Ach, schön. :)

Wie so ein paar kleine Plotfetzen doch ein ganzes Weltbild zerstören können... ich mag Cardo.  ^-^
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 5.03.2014 | 23:18
Und warum habe ich jetzt im Vergleich zu gestern abend, als ich meinen letzten Eintrag beendete, ein noch schlechteres Gefühl bei der Sache? Hmmm. Mal überlegen. Könnte an der Tatsache liegen, dass es heute vor dem Jugendzentrum zu einer Schießerei kam.

Den jugendlichen Augenzeugen zufolge kam eine „heiße chica“ in einem roten offenen Sportwagen vorbeigefahren, langsam, als suche sie etwas oder wolle hierher, als aus einem Baum in der Nähe Schüsse fielen und die heiße chica in die Flucht schlugen. Im Baum habe eine „genauso heiße chica“ gesessen, sei dann aber nach den Schüssen heruntergeturnt und ebenfalls abgehauen.

Totilas erfuhr abends von Cherie, dass sie die Schützin im Baum gewesen sei. Sie mache sich Sorgen um Ocean und habe auf diese aufpassen wollen, weil es dem Mädchen seit dem Tod seiner Mutter richtig schlecht gehe und sie, also Cherie, verhindern wolle, dass Ocean irgendwelche Dummheiten mache oder in irgendwas hineingerate. Und das Auftauchen einer Red Court-Vampirin (bzw. muss es eine Red Court-Infected gewesen sein, denn es war ja hellichter Tag) vor dem Jugendzentrum habe für Cherie definitiv in die Kategorie „irgendwas“ gepasst.

Weil der Red Court anscheinend irgendwie involviert zu sein scheint, hat Roberto mit seiner Bekannten Lucia Valdez gesprochen. Die war auch bereit, mit ihm zu reden und ihm ein paar Sachen zu erzählen. So zum Beispiel, dass sie sich ebenfalls Sorgen mache, eben wegen der Konfrontation zwischen der Red Court-Vertreterin im roten Sportwagen und der Frau vom White Court (sprich Cherie). Allzuviel wollte sie nicht verraten, aber sie ließ immerhin die Bemerkung fallen, dass einer der Jungen im Zentrum den Namen Canché trägt.

Canché. Puh. Das mussten wir auch erstmal verdauen. Totilas' Mutter ist nach der Sache mit den Masken zwar aus der Stadt verschwunden, aber dass einer aus ihrer Familie bei uns im Jugendzentrum herumhängt, das kam uns allen irgendwie zu viel des Zufalls vor.

Dass die Canchés eine wichtige Rolle im Red Court spielen, das wussten wir durch unsere Erlebnisse mit Sancia bereits. Aber jetzt erfuhren wir – oder reimten uns zusammen – dass dies anscheinend eine der Familien ist, aus denen der Red Court seinen Adel rekrutiert.

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Heute habe ich etwas getan, das ich schon längst hätte tun sollen. Ich bin endlich mal wieder zur Beichte gegangen. Aber ich hatte mich nach den Ereignissen beim Filmdreh nicht überwinden können, zu Pater Alvaro zu gehen, also ging ich lieber erst mal gar nicht. Denn Pater Alvaro kennt mich, seit er mich damals getauft hat, und eigentlich sollte das ja bedeuten, dass er mir als Beichtvater eben besonders vertraut und lieb ist... aber irgendwie ist das, was ich zu beichten hatte, so schräg und so seltsam, dass ich es eben irgendwie doch lieber einem völlig Fremden anvertrauen wollte. Was eigentlich auch wieder albern war, denn der Beichtvater steht ja stellvertretend für den HErrn, es sollte also wiederum völlig egal sein, wer im Beichtstuhl hinter der Trennwand sitzt.

War es aber eben nicht. Und deswegen kam mir dieser Pater Donovan, den wir bei der Einweihung des Jugendzentrums kennenlernten, gerade recht. Der schien nett, und er kennt mich nicht schon seit Kindertagen, also hatte ich bei ihm weniger Scheu, das ganze Ausmaß der Seltsamkeiten anzusprechen.

Wobei ich das nicht mal bei Pater Donovan tat. Ich wollte ihn nicht einfach so damit konfrontieren, dass es Vampire gibt und Werwölfe und Feen und echte Magie und all das. Also beließ ich meine Beichte auf der rein mundanen Ebene, machte aber auf dieser Ebene reinen Tisch über die Geschehnisse beim Filmdreh und Roselyn Sanchez' Tod.

Pater Donovan hörte aufmerksam zu und nahm meine Gewissensbisse ernst, tat sie nicht pauschal als „achwas, da kannst du doch nichts für“ ab, sondern antwortete differenziert. Und dennoch – oder vermutlich deswegen - gelang es ihm, dass ich mich hinterher tatsächlich besser fühlte. Neben dem üblichen Gebet erlegte er mir auf, einen Schreib-Workshop mit den Jugendlichen im Zentrum abzuhalten, um gegen die von mir befürchtete Arroganz vorzugehen. Ich weiß noch nicht genau, wann ich diesen Workshop veranstalten kann, aber veranstalten werde ich ihn. Ehrensache!

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Lustig, heute bin ich Pater Donovan schon wieder begegnet. Wobei, so verwunderlich war das eigentlich gar nicht. Wir haben uns nämlich heute mal die High School angesehen, in der die ganzen Unglücksfälle passiert sind. Und als wir ankamen, war der Padre draußen vor der Tür gerade im Gespräch – mit niemand anderem als mit Joseph Adlene, der gerade am Gehen zu sein schien. Wir warteten also, bis Adlene verschwunden war -  der musste uns hier nicht auch noch sehen und auf komische Gedanken kommen.

Als Adlene fort war, bat Pater Donovan uns in seiner Eigenschaft als für die Schule zuständiger Geistlicher hinein und verständigte Ms. Perreira, die sich netterweise bereit erklärte, uns zu empfangen.

Er sei von der Schule gerufen worden, um eventuelle Geister zu exorzieren, erklärte der Pater. Und Adlene sei lustigerweise aus genau demselben Grund hier aufgetaucht: Ein besorgtes Elternteil habe ihn als freiberuflichen Exorzisten beauftragt. Gefunden habe er allerdings nichts, ebensowenig wie der Padre selbst bisher.

In der Schule fanden wir zunächst nichts Auffälliges, das auf die Ursache der gehäuften Unglücksfälle hingedeutet hätte. Auch auf der Geisterebene konnte Alex zunächst niemanden sehen, aber schließlich bemerkte er doch einen Geist. Und zwar war das einer, dem Adlene sein beherrschendes Halsband angelegt hatte. Der alte Mann habe einen Aufpasser dabei gehabt, erzählte der Geist, einen richtig bedrohlich und gefährlich aussehenden Bodyguard (von der Beschreibung her wohl derselbe, den Alex auch schon bei der Vernissage an Adlenes Seite gesehen hatte). Die anderen (die anderen?! Wieviele Geister gibt es denn an so einer Schule? Wie oft bitte stirbt denn da jemand und geht nicht ins Jenseits ein?) hätten alle Angst gehabt und sich versteckt, aber er doch nicht! Adlene habe ihm das Halsband dann angeboten, und er habe es gerne angenommen, und nun bekomme er es nicht mehr ab. Aber warum auch, er finde das eigentlich ziemlich cool.

Auch interessant, wenngleich für unser momentanes Problem nebensächlich. Es scheint also, als könne Adlene die Halsbänder seinen Opfern nicht aufzwingen, sondern als müssten sie diese aus freien Stücken akzeptieren...

Wie dem auch sei, während wir uns noch umsahen, kam es direkt vor unseren Augen zu einem weiteren Zwischenfall. Zwei Jungs mussten nachsitzen und die Wand streichen, und irgendwie, auf welche verrückte Weise auch immer, war ein Bein der Leiter, auf der einer der Jungen stand, in den Farbeimer geraten, und als der andere Junge den Farbeimer wegnahm, riss er damit die Leiter um und mit ihr seinen Klassenkameraden. Der wiederum ruderte wild mit den Armen und riss im Fallen eine von der Decke hängende Skulptur von Paco Gomez, dem Astronauten, mit sich. Der muss wohl offensichtlich hier zur Schule gegangen sein.

Während der gestürzte Junge zur Schulschwester gebracht wurde, entdeckte Alex hier einen weiteren Geist, den eines Mädchens diesmal. Sie war eine von denen, die sich vor dem „Bodyghost“ versteckt hatten, trug also kein Halsband, und sie konnte Alex sagen, dass sie an der Jacke des Verletzten ein Santería-Symbol entdeckt habe.

Hm... wenn der Junge ein solches Symbol an sich trug, dann hatten das die anderen Verunglückten vielleicht ebenfalls. Bei einem der Opfer der Pechsträhne hatte es sich um einen Lehrer gehandelt, und bei dem Unglück um einen Autounfall. Das Auto war gerade zur Reparatur in der Werkstatt, also suchten wir die auf, um uns das Auto einmal anzusehen.

Und dann... weiß ich auch nicht genau, was mich ritt. Die Jungs schieben es grinsend auf die Schmerzmittel. Auf dem Auto war außen nichts mehr zu sehen, der Unfall war zu lange her, und der Werkstattbesitzer wollte uns nicht hineinsehen lassen. Aber er wollte es uns verkaufen, was ich extrem verdächtig fand, denn das Ding gehörte doch dem Lehrer! Wenn er es schon uns verkaufen wollte, würde er es dann vielleicht auch anderen Fremden überlassen und sein eigentlicher Besitzer es gar nicht mehr wiedersehen? Besser, ich kaufte es ihm ab.

So oder ähnlich muss mein Gedankengang gewesen sein, genau kann ich es gar nicht sagen. Jedenfalls blätterte ich ihm die verlangten $500 hin, dann nahmen wir das Auto mit. Nach einer eingehenden Untersuchung des Innenraums (auch hier keine Santería-Symbole) brachten wir dem Lehrer sein Fahrzeug natürlich wieder. Der war entsetzt, dass sein Mechaniker sein Auto einfach so verscherbelt hatte, und natürlich zeigte er den Mann an. Der Mechaniker wollte sich darauf herausreden, dass ihm das Fahrzeug gestohlen worden sei, doch das war schnell aufgeklärt. Ich bekam sogar meine $500 wieder. Aber trotzdem weiß ich nicht, was mich geritten hat.

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Heute haben wir uns im Center genauer umgesehen. Im Probenkeller hatten offensichtlich nicht nur irgendwelche Kids auf dem Schlagzeug herumgetrommelt, sondern auch irgendjemand irgendwelche Rituale durchgezogen. Zumindest konnte Edward im Raum noch die magischen Schwingungen spüren, die davon übriggeblieben waren. Nur wer die verursacht hatte, das konnte er nicht spüren. War ja klar.

Auf dem Dach stießen wir ebenfalls auf einen Hinweis. Roberto mit seinem Botanica-Wissen stellte fest, dass etliche der Pflanzen, die im Dachgarten wachsen, sich durchaus für ein Unglücksritual eignen würden. Also ging er auf die Suche nach potentiellen Nutzern dieser Kräuter.

Und wurde in der Küche fündig. Dort waren die drei Grazien gerade dabei, unter viel Gekicher in einem Topf herumzurühren. Roberto identifizierte ihr Gebräu als Liebestrank und sagte ihnen das auf den Kopf zu, was die drei Mädchen auch ohne Zögern eingestanden. Der Trank sei für Ciélo, der sei soooo süß. Roberto erklärte ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, wie sie ihr Gebräu noch verbessern könnten, warnte sie aber vor Ciélo. Denn ihm war inzwischen die Vermutung gekommen, dass Ciélo der Canché sein könnte, wegen dem die Red-Court-Vertreterin am Zentrum gewesen war, und so riet er Elena, sich vor ihm in Acht zu nehmen. Dann fragte er die Mädchen noch nach dem Unglücksritual, aber sie erklärten ihm sehr ernsthaft und für ihn glaubwürdig, dass sie damit nichts zu tun hätten.

Totilas suchte unterdessen das Gespräch mit Pater Donovan. Von dem erfuhr er, Joseph Adlene habe den Exorzisten-Job besonders gerne angenommen, weil ihm ständig ganz ähnliche Unfälle passieren. Adlene hat also herausgefunden, dass mit ihm irgendwas nicht stimmt, aber noch nicht so genau, was. Und hoffentlich niemals, von wem es kommt!
Dass Pater Donovan den Mann übrigens ebenfalls für keinen guten Menschen hält, macht ihn mir noch ein wenig sympathischer.

Ocean trug heute im Center eine auffällige Kette, die Edward bekannt vorkam. Denn die großen Holzperlen und den goldenen Anhänger mit Schiffsmotiv hatte er schon bei Cherie gesehen, sagte er.

Und Dee rief an. Sie fragte, ob Sienna gerade da sei, sie wolle das Mädchen nämlich abholen. So ganz rückte sie immer noch nicht mit der Sprache raus, aber zwischen den Zeilen wurde mir klar, dass sie von der Schießerei zwischen der Red Court und Cherie tief besorgt war und dass Sienna, oder ihre Familie, wohl irgendwie im Zeugenschutzprogramm sein muss. Und dass Dee eben Sienna nun in Sicherheit bringen wollte. Ich sagte ihr, dass Sienna gerade da sei, ja, und Dee meinte, ich solle sie nicht weglassen, und sie mache sich gleich auf den Weg.

Nach diesem Telefonat fanden wir Ciélo auf dem Dachgarten. Er gab zu, tatsächlich ein Canché zu sein, und nicht nur das, sondern ein Red-Court-Infected, sprich jemand, der von einem Roten Vampir gebissen worden ist, aber selbst noch niemanden gebissen und getötet hat, also seine Menschlichkeit noch bewahrt.

Ciélo erklärte, dass er seit seiner frühen Kindheit bereits infiziert sei, dass das bei allen, oder fast allen, Canchés so früh geschehe, weil sie eben eine Red-Court-Adelsfamilie seien. Bislang habe er widerstehen können, aber der Drang werde immer stärker, und irgendwann werde er ihm nachgeben. Das habe bisher noch jeder.

Aber Roberto hatte eine Idee. Über seine Santería-Kontakte wusste er von einer Organisation, einem Orden, der sich um genau solche Infizierten kümmert und ihnen dabei hilft, ihren Drang weiter unter Kontrolle zu halten. Zu diesem Orden wollte Roberto Ciélo also schicken. Ciélo allerdings wollte nicht, oder besser: nur mit Ocean, denn ohne sie mache das alles keinen Sinn.

Wir suchten also Ocean und konfrontierten sie mit der Situation. Und ja, sie und Ciélo sind tatsächlich verliebt ineinander, und ja, sie würde gerne mit ihm gehen, aber sie hat Angst darum, wie Gerald das aufnehmen könnte. Da übrraschte Totilas aber uns alle und erklärte, wenn sie Ciélo wirklich liebe, solle sie mit ihm gehen, er werde das mit Gerald klären.

Und da stehen wir jetzt. Roberto wird heute noch seine Kontakte spielen lassen und versuchen, diese St. Giles-Leute (so heißt der Orden der Infizierten) zu erreichen.

Oh, und Ciélo und Ocean haben auch zugegeben, dass sie diejenigen waren, die für die Unglückssprüche verantwortlich sind. Sie wollten niemandem wirklich wehtun, aber ein wenig Santeria-Magie üben, und so ließen sie sich dieses Unglück-per-Symbol-anhexen von Elena und Sienna zeigen. Nicht nur Elena hat nämlich anscheinend ein Händchen dafür, sondern Sienna auch.

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Okay, das ging erstaunlich schnell. Heute schon haben sich Ocean und Ciélo nach Kuba abgesetzt, wo sie den Vertreter des St. Giles-Ordens treffen sollen. Alex ist mit, weil er natürlich das Boot fährt, und Roberto, weil er den Kontakt hergestellt hat und als Vertrauensmann für den St. Giles-Typen dient.
Aber vorher nahm Edward Ocean noch die von Cherie geschenkte Halskette ab. Nicht dass da ein magischer (oder ganz gewöhnlicher) Peilsender drin ist oder so. Er hat die Kette in seinem Labor in einen Schutzkreis gepackt, sagte er.

Dee hat übrigens gestern tatsächlich noch Sienna abgeholt, wie am Telefon angekündigt. Deren Eltern hätten beschlossen, die Stadt zu verlassen, und da musste ihre Tochter natürlich mit. Naja, „beschlossen“ eben. Irgendwas ist da mit dem Zeugenschutzprogramm, aber ich habe nicht näher nachgehakt. Geheimhaltungspflicht und so.

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Oh mierda. Edward hat eben angerufen. Er klang... beschissen. Er hat nicht viel gesagt, aber was er sagte, reichte schon. Cherie hat mit ihm Schluss gemacht. Sie muss wohl für eine Weile aus der Stadt weg, und sie sieht keine Zukunft für die Beziehung.
Edward klang richtig deprimiert, völlig un-Edward. Er meinte, er müsse auch ein paar Tage raus vor die Stadt, das sei besser.
Ich weiß genau, was er damit sagen wollte. Er muss in die Wildnis, wo er für niemanden eine Gefahr ist, und toben. Das Biest in sich rauslassen. Oh mierda. Ich wünschte, ich könnte ihm irgendwie helfen.

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Totilas erzählt, dass es seinem Großvater gar nicht gut geht. Nach außen hin tut er so, als sei alles in Ordnung, aber er hat wohl die Tatsache, dass seine Tochter mit einem Red-Court-Infected durchgebrannt ist, nicht gut verkraftet. Zumal Ocean, wenn das mit ihr und Ciélo wirklich die wahre Liebe ist, zu einem völlig normalen Menschen werden wird oder schon geworden ist und dann als völlig normaler Mensch mit einem Red-Court-Infected fertig werden muss, egal wie sehr ihm dieser ominöse Orden nun helfen kann oder nicht. Und zumal Ocean das vierte Familienmitglied ist, das Gerald verloren hat. Totilas' Vater Richard, Geralds Geliebte Crysanthema, seine Mutter Camerone, und jetzt Ocean. Totilas meinte, ihm sei in den letzten Tagen und Wochen aufgefallen, dass Gerald ihn besonders schonend behandelt, als wolle er auf gar keinen Fall riskieren, seinen Enkel auch noch zu verlieren. Dass Gerald eigentlich nur noch von einer dünnen Tünche aus Contenance zusammengehalten wird, die aber bereits bröckelt und jederzeit komplett in sich zusammenfallen kann.

Totilas hat sogar mit Ms. Elfenbein geredet, der White-Court-Psychologin und Wutspezialistin, die ihm zustimmte und meinte, es wäre gut, wenn Gerald mal einen richtig langen Urlaub machen und sich erholen würde, aber gerade das ist in der momentanen angespannten Situation nicht möglich. Der russische Teil der Familie wartet ja immer noch nur darauf, dass Gerald eine Schwäche zeigt, um dann zuschlagen zu können. Aber wenn er so weitermacht, ist es gut möglich und sogar ziemlich wahrscheinlich, dass der oberste White Court von Miami auf einen Zusammenbruch zusteuert.

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Ein ganz schneller Eintrag noch heute abend.

Dee war bis eben hier.

Sie rief an und fragte, ob sie vorbeikommen könne, was mich verwunderte, das hat sie nämlich noch nie getan, aber natürlich sagte ich ja. Schon am Telefon hatte sie bedrückt geklungen, und als sie dann hier war, erfuhr ich auch, warum. Es ging um Sienna. Ich befürchtete schon das Schlimmste, aber Sienna selbst geht es gut. Nur sei sie jetzt Halbwaise, brummte Dee und etwas von „verdammt, war die schnell“, oder sowas in der Art.

Da habe ich sie einfach in den Arm genommen, und dann haben wir auf dem Sofa gesessen und geredet. Und nein, es ist nichts weiter passiert, und irgendwan hat sie sich dann bedankt und ist gegangen. Aber sie ist auch nicht unwillkürlich vor mir zurückgezuckt, wie sie seit der Sache mit dem cabrón bisher immer vor jeder Berührung zurückgezuckt ist. Und sie im Arm zu halten war einfach wunderschön. Und ich hätte das gar nicht durch irgendwas Weitergehendes wieder kaputtmachen wollen. Also nicht nur, weil ich wusste, dass es wieder alles kaputtgemacht hätte, sondern einfach, weil der Moment viel zu schön war, um irgendwas weiter machen zu wollen. Ach Mist, ich bekomme es nicht gescheit formuliert. Und sowas will Schriftsteller sein. Pftt.

Und wehe, es lacht jemand!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 5.03.2014 | 23:35
Ich lache mit dir, Cardo, nicht über dich.  ^-^

...übrigens hat Gerald auch seine Mutter verloren. Ja, er hat sie mehr oder weniger selbst umgebracht, und sie hat ihn vorher gefoltert (was vielleicht auch nicht wahnsinnig zu seiner geistigen Stabilität beigetragen hat), aber Camerone war trotz allem seine verdammte Mutter!

Nur so am Rande.  8]
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 5.03.2014 | 23:39
Ach ja stimmt ja. Ich wusste, da war noch wer.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.05.2014 | 22:36
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 1

Seltsam. Wenn George mich in letzter Zeit im Traum besucht, erzählt er immer wieder etwas von einem stetigen Herzschlag, der durch das Nevernever pocht. Und interessanterweise hat Alex letztens auch davon gesprochen, dass er einen Alptraum hatte, in dem es um das Schlagen eines Herzens ging. Ich hoffe ja, dass es sich dabei nur um einen Zufall handelt, aber angesichts der Tatsache, dass bald Halloween ist – und dass Halloween, ähnlich wie Mittsommer, übernatürlichen Ärger geradezu magisch, ha, anzuziehen scheint – behalte ich mir das Recht auf gesunde Skepsis vor.

Ansonsten habe ich einige erste, ganz ganz vage Ideen für Band 5. Nur mit dem Schreiben angefangen habe  ich noch nicht, denn ich bin mir nicht ganz sicher, ob Lady Fire meine Bücher nicht immer noch liest. Wenn sie es tut, dann sicherlich aus Rachelust heraus, und wenn wir uns daran erinnern, wie sie eine von mir frei erfundene Gegebenheit beim letzten Mal schon in einen Fakt verwandelt hat, weil sie Fiktion und Wirklichkeit nicht so recht voneinander unterscheiden kann, dann will ich ihr jetzt, wo sie mir feindlich gesonnen ist, nicht womöglich noch mehr Munition an die Hand geben.

Andererseits... ich weigere mich, meine Kreativität von einer hitzköpfigen Fee, und sei sie auch noch so mächtig, in Geiselhaft nehmen zu lassen. Also werde ich mich einfach hinsetzen und anfangen, und wenn ich ihr damit mehr Munition liefern sollte, was ja noch lange nicht gesagt ist, sei es drum.

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Großmundige Vorsätze, aber weit gekommen bin ich bisher nicht. Es ist nämlich etwas passiert. Eine ganze Menge sogar, und es ist noch nicht vorbei. Oh mierda.

Es geht ein Serienmörder um. Dass das SID ins Spiel kam, wo die doch üblicherweise für „normale“ Morde nicht zuständig sind, liegt daran, dass das FBI den Fall übernommen hat und die beiden Agenten – bzw. ein Agent und ein ziviler Profiler – aus dem örtlichen Police Department ausgerechnet den SID zur Unterstützung angefordert haben. Nicht Edward allerdings: Seine beiden Kollegen Caldwell und Townsend waren schneller beim Melden.

Dass es sich überhaupt um eine Mordserie handelt, war den Behörden anfangs gar nicht so klar, denn die einzelnen Fälle unterschieden sich zu sehr. Erst beim siebten Opfer – das, zu dessen Tatort man Edward rief – wurde das Muster langsam deutlich.
Die junge Frau – Mitte zwanzig, dunkelhaarig, braunäugig – war vollkommen ausgeblutet, aber es waren am Fundort keine Blutspuren zu finden. Dafür aber Ritualkerzen auf dem Boden. Sie war in eine Lage aus Zellophan eingewickelt worden, das Herz fehlte ihr, und auf der Leiche lag ein Zettel mit einem Liedertitel: „Kenny Loggins - Heartlight“. Heh. Wie poetisch.

Edward erzählte, dass die beiden FBI-Leute sich wohl mit dem Übernatürlichen auskennen mussten, denn sie redeten wie selbverständlich davon, dass es der Red Court nicht gewesen sein könne. Aber der Profiler – Rollins – fragte nach dem örtlichen White Court und wandte sich an Edward mit der Bitte um eine Kontaktperson. Edward nannte ihm den Club in der Innenstadt, der vom White Court betrieben wird, die Tantra Lounge, und warnte gleichzeitig Totilas vor. Der wiederum meldete sich bei seinen Cousins und erklärte, falls dieser FBI-Mensch im Club auftauchen solle, werde er, Totilas, sich seiner „annehmen“.

Das war jedenfalls gestern.

Heute haben wir uns dann getroffen und die Sache beredet. Und natürlich war sehr schnell klar, dass Alex mit seinen Fähigkeiten vielleicht an einem der Tatorte noch den einen oder anderen Geist finden und so mehr über die Morde herausfinden kann.

Es waren übrigens bislang sieben, und wenn man es erst einmal weiß, tritt das Muster wirklich hervor. Aber ich kann schon auch verstehen, dass es eine Weile dauerte, bis die Fälle miteinander in Verbindung gebracht wurden.
Alle Mordopfer waren Frauen, weiß und jung (Teenager bis Endzwanziger), dunkelhaarig und braunäugig. Jedes Opfer wurde nicht auf der Straße überfallen, sondern direkt aus seiner Wohnung entführt und daraufhin einige Tage an einem unbekannten Ort gefangengehalten, ehe der Mörder sie im Keller eines leerstehenden Hauses – teils Neubauten, teils Abrissgebäude – umbrachte. Und bei allen fand man einen Zettel, auf dem in der jeweils eigenen Handschrift der Frauen der Titel eines „Herz“-Liedes stand. Jedes Opfer hatte eine Polizeiakte wegen kleinerer Vergehen, für die allerdings keine der Frauen ins Gefängnis gegangen war. Die Strafe bestand immer in Sozialstunden oder ähnlichem. Außerdem waren alle Tatorte fachmännisch gesäubert und gründlich mit Ammoniak getränkt worden.

Die Unterschiede finden sich in der Ernährung während dieser Zeit (das erste Opfer erhielt gar keine Nahrung, das zweite Fast Food, das dritte Hundefutter, das vierte und fünfte Essensreste, das sechste Insekten und das siebte Steroidcocktails), im Grad der Misshandlung vor dem Tode (verprügelt wurden sie alle, aber mit unterschiedlichen Gegenständen, und im letzten Fall mit der bloßen Faust), die Zeit, die der Mörder sich für die Tötung nahm und die er die Frauen vorher festhielt, der Art und Weise, wie sie zur Bewegungslosigkeit gebracht wurden und in der immer weiter zunehmenden Kunstfertigkeit des Schnittes, mit dem ihnen das Herz entfernt wurde. Einem der Opfer wurde das Herz auch gar nicht herausgeschnitten; stattdessen starb diese Frau an dem Drogencocktail, der ihr verabreicht wurde.

Uns stellt es sich so dar, als habe der Kerl geübt, nach der „idealen“ Methode gesucht. So wurden die Frauen anfangs festgebunden, aber später gelang es ihm irgendwie, sie zu lähmen, ohne sie zu fesseln. Außerdem floss anfangs jede Menge Blut, aber später waren die Opfer zunehmend blutleer. Die an den Drogen gestorbene Frau scheint ein „Ausreißer“ gewesen zu sein, bei der sein Plan fehlschlug, da sie starb, ehe er ihr das Herz entnehmen konnte und er mit einem toten Herzen nichts anfangen konnte. Deswegen war es bei ihr auch noch vorhanden, als man sie fand.

Was wiederum bedeutet, dass er den anderen Opfern das Herz bei lebendigem Leibe herausgeschnitten haben muss. Ob sie währenddessen bei Bewusstsein waren? Oh, Padre en el cielo, ich will es gar nicht wissen.

Aufgrund all dieser Informationen erstellte der FBI-Mann Rollins ein Profil des Täters: ein männlicher Weißer in den Dreißigern, der nur schwer mit Gefühlen klar kommt und zwischen eiserner Beherrschung und gelegentlichen heftigen Wutausbrüchen schwankt, als Kind extrem streng aufgezogen oder vermutlich sogar misshandelt wurde und eine gespaltene Beziehung zu Frauen hat, die er einerseits verachtet, aber anderseits auch begehrt. Er hat einen Beruf, der ihm Autorität gibt, Polizist oder Soldat oder etwas in der Art, aber er ist nicht zufrieden in seinem Job und mit dem, was er darin erreicht hat. Die ermordeten Frauen stehen alle für eine bestimmte Person, der sie ähnlich sehen und nach deren Aufmerksamkeit der Mörder sich sehnt: Wenn er nicht aufgehalten wird, dann wird er weiter morden, und zwar bald.

Edward hatte – höchst illegal natürlich – Kopien der ganzen Unterlagen mitgebracht, und wir beschlossen, uns als erstes den ältesten der Tatorte anzusehen. Ehe wir aber losfahren konnten, bekam Totilas einen Anruf von seinen Verwandten in der Tantra-Lounge, dass der angekündigte Kunde eingetroffen sei. Totilas trennte sich also von uns und fuhr zu dem Treffen mit Rollins, statt uns zum Tatort zu begleiten.

In dem Abrissgebäude und in seiner Umgebung war kein Geist zu finden. Also nicht nur nicht derjenige der Ermordeten, sondern überhaupt kein Geist, und das fand Alex eindeutig seltsam. Lebewesen irgendwelcher Art – Kakerlaken, Würmer, Ratten, Mäuse – gab es auch nicht, und auch das war definitiv ungewöhnlich. Edward suchte nach Magie, fand aber, weil der Mord schon so lange her war, nur noch allerletzte Restspuren. Immerhin reichten diese aus, um ihm zu sagen, dass das Ritual von einem Menschen durchgeführt worden sein musste, nicht von einem übernatürlichen Wesen wie einer Fee oder einem Vampir oder ähnlichem.

Daraufhin erklärte Roberto, er werde sein Drittes Auge öffnen. Der Gedanke passte ihm gar nicht, weil er ja die Dinge, die er darüber sieht, nie wieder vergessen kann, die Bilder auch nie wieder verblassen, aber er meinte, es das müsse jetzt sein. Für uns Außenstehende weiteten sich Robertos Augen kurz, und er starrte in den Raum, ehe er sich mit sichtlicher Mühe wieder von dem Anblick losriss.

Vor seiner Sicht sei der gesamte Raum voll blutiger Fäden gewesen, sagte Roberto, und von diesen Fäden sei eine starke Aura der Hasses, der Angst und des Zorns ausgegangen. Er habe laute Herzschläge gehört – die, von denen Alex sprach und die George in meinen Träumen erwähnte? Vermutlich. Auf dem Boden lag die Ermordete, und als Roberto sie da liegen sah, wurde plötzlich auch er von überwältigendem Zorn auf sie erfüllt – weil sie es wagte, die Falsche zu sein, und diese Falsche musste weg.

Als Roberto sein inneres Auge wieder geschlossen und sich etwas gefasst hatte, kam Alex mit dem Gedanken, dass doch vielleicht die Frau, deren Herz nicht entfernt worden war, zu einem Geist geworden sein könnte. Also fuhren wir an deren Tatort, ein Neubau diesmal, und dem Schild vor dem Gelände zufolge eine Schule im Werden. Auch hier keinerlei Spuren von Tierleben, keine anderen Geister – natürlich nicht, es war ein Rohbau, wo außer diesem einen Fall noch niemand zu Tode gekommen war. Aber den Geist der Ermordeten fanden wir tatsächlich. Als Poltergeist. Völlig unansprechbar. Und mehr als nur unansprechbar. Von der jungen Frau war nur noch Wut und Angst und Hass übrig, und sie griff uns sofort und mit aller Wildheit an, so dass uns nichts anderes übrigblieb, als den Rückzug anzutreten. Aber selbst wenn wir vorhin nichts machen konnten, müssen wir irgendwann vor der Eröffnung der Schule nochmal wiederkommen und den Geist bannen, irgendwie. Denn ein Gebäude voller Kinder und Jugendlicher mit einem derart mörderischen Zaungast... nicht auszumalen. Edward sagte irgendwas von 'Geisterstaub', der in solchen Fällen helfen soll, was auch immer das sein mag. Er erwähnte ausgebranntes Uran als eine der Zutaten, aber das kann er nicht ernst gemeint haben... oder?!

Jedenfalls. Da der Poltergeist nicht in dem Keller umging, in dem der eigentliche Mord stattgefunden hatte, sondern in einem der Räume im Erdgeschoss, konnten wir uns den Tatort aber trotzdem noch ansehen. Nur brachte das nicht sonderlich viel, weil er ebenso gründlich gesäubert worden war wie der erste und weil Roberto sich hütete, sein inneres Auge hier nochmal aufzumachen.

Also fuhren wir, aller guten Dinge sind drei, auch noch zum jüngsten Tatort. Hier konzentrierte sich Edward besonders auf die Überreste der Magie, die hier noch zu spüren waren, und stellte fest, dass es sich um ein Ritual aus einer der europäischen Magietraditionen gehandelt haben dürfte, ganz ähnlich wie die, die er selbst auch anwendet. Das Ritual umfasste ein Menschenopfer, deswegen wurde außerordentlich viel Energie dabei freigesetzt, die aber nicht vollständig von dem und für das Ritual selbst verwendet wurde. Ein Teil davon muss übrig geblieben sein, und diesen Teil könnte der Mörder vielleicht für zukünftige Verwendung aufbewahrt haben. Und wenn er das bei jedem Mord getan hat, und wenn er diese geballte Energie dann vielleicht irgendwann alle auf einmal loslässt...  Cielo. Auch das ist nichts, über das ich gerne nachdenke.

Alex erwähnte dann noch etwas, das uns alle ziemlich beunruhigte. Er sagte, das die Herzschläge, die er inzwischen ununterbrochen hört, stärker zu werden scheinen. Und dass das ein Teufelskreis sei: Je dünner die Grenze zwischen unserer Welt und dem Nevernever, desto kräftiger die Herztöne, und je kräftiger die Herztöne, desto mehr schwächen sie die Grenze zwischen uns und dem Nevernever. Und zu allem Überfluss steht Halloween vor der Tür, wo die Membran ja ohnehin durchlässiger ist als sonst.

Von Roberto erfuhren wir, dass es in der Nacht zum Dia de los Muertos ein Santería-Ritual gibt, in dem am Coral Castle der Durchgang ins Nevernever kontrolliert geöffnet wird, damit die Toten herauskommen können. Am Abend des 1. November wird das Tor dann wieder geschlossen und die Geister wieder in ihre eigene Domäne getrieben – bzw. manche, die sonst nur Probleme machen würden, gar nicht erst hinausgelassen. Bislang wurde dieses Ritual immer von den Orunmila durchgeführt, aber dieses Jahr werden zum ersten Mal die Santo Shango das Privileg haben. Cicerón Linares will sich ja mehr Status innerhalb der Santería verschaffen, und das war sein Preis für die Oshun-Maske.

Edward hatte dann noch die Idee, ein Ritual zu wirken, mit dessen Hilfe er eines der Herzen aufspüren kann. Aber nicht sofort. Wir haben erst einmal beschlossen, uns gegen Abend wieder zu treffen; dann kann auch Totilas wieder zu uns stoßen und uns von seinem Gespräch mit dem FBI-Mann berichten.

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Abends. Oder besser nachts. Ich bin zu müde, um ins Bett zu gehen. Zu aufgekratzt, um genau zu sein. Da schreibe ich doch lieber noch schnell auf, was vorhin los war. War ja genug.

Totilas erzählte kurz von seinem Treffen mit Rollins. Interessanterweise wollte der Profiler gar nichts über den Fall in Erfahrung bringen, sondern er ist schlicht und ergreifend süchtig nach den Zuwendungen des White Court, seit er vor ein paar Jahren seine erste einschlägige Erfahrung in dieser Richtung hatte. Totilas fragte also ihn seinerseits ein wenig aus, während – oder wohl besser ehe – er dem Mann seinen Fix verschaffte und seinen eigenen Hunger stillte. Anschließend gab er Rollins noch seine Visitenkarte –  es kann bestimmt nicht schaden, einen Kontakt beim FBI zu haben, der Totilas wohlgesonnen ist.

Außerdem erzählte uns unser White-Court-Freund, dass es im Biltmore Hotel spuke: Er habe gehört, wie Gerald mit einer Frau sprach, doch als Totilas das Zimmer betrat, war Gerald allein. Und auch Totilas selbst hört ständig die Stimme des Mädchens, das er damals tötete, um zum White Court zu werden.

Also fuhren wir ins Biltmore. In Totilas' Suite hörte er wieder die Stimme, und Alex nahm mit dem Mädchen Kontakt auf, ließ sie in seinen Körper, wie er das eben so macht, damit sie mit uns reden konnte.
Béa hieß sie. Béantrice irgendwas. Und das, was sich in dem Gespräch herauskristallisierte... Oh santissima madre. Ich meine, Totilas ist ein White Court. Dass er dafür jemanden getötet haben muss, das war uns allen klar, und das hatte er uns ja auch schon erzählt, das war kein Geheimnis. Wir hatten auch schon mitbekommen, dass er dieses erste Opfer in voller Absicht und mit dessen Einverständnis getötet hatte. Das hatte ich nie verstehen können. Wie kann ein Mensch, und Totilas war damals noch ein Mensch, schlafender Dämon in sich hin oder her, so verdammt kalt sein, dachte ich immer.

Aber... Totilas war sechzehn. Sechzehn, verdammt! Und da trifft er dieses junge Mädchen, das von zuhause weggelaufen ist und auf der Straße lebt, sich als Hure verkauft, um irgendwie über die Runden zu kommen. Das als Kind vermutlich misshandelt wurde, seelisch oder körperlich oder beides, und das alle Hoffnung verloren hat. Das Selbstmord begehen will. Sich nur noch danach sehnt, dass es aufhört. Und das stattdessen Totilas die Erlaubnis gibt, ihr Leben zu nehmen, um ihn damit stark zu machen und ihn in die Lage zu versetzen, Gutes zu tun.

Er war sechzehn! Jung und idealistisch und voll romantischer, jugendlich-verdrehter Vorstellungen. Oh Madre. Das zu wissen, trägt doch so einiges zur Erklärung bei.

Béa hatte nach ihrem Tod keinen Frieden gefunden, wie sie sich das ersehnt und Totilas für sie erhofft hatte. Stattdessen litt sie als Geist ebenso wie als Lebende, und Alex konnte sehen, wie sich vom Weinen tiefe, silbrige Rillen in ihr Gesicht gegraben hatten. Ein bisschen klingt das wie bei den Opfern von Richard Raiths Dämon, fällt mir dabei ein, vorletztes Halloween, als es Totilas' Vater gelungen war, sich von seinem Dämon zu lösen und wieder ein normaler Mensch zu werden, während sein Dämon munter auf eigene Faust herumstreifte und Leute umbrachte. Die hatten ähnliche Tränengräben im Gesicht, wenn man sie sich durch das Dritte Auge ansah.

Dass wir Béa helfen wollten, wenn wir es irgendwie konnten, verstand sich von selbst. Im Gespräch mit dem Geist fanden wir heraus, dass sie aus einem ultrareligiös-fanatischen Elternhaus kam und ihre Eltern sie mit allen möglichen kranken und mit dem christlichen Glauben eigentlich völlig unvereinbaren Horrorgeschichten indoktriniert hatten. So war das Mädchen völlig überzeugt davon, dass sie in den tiefsten Tiefen der Hölle schmoren würde, weil sie unverheiratet mit Männern geschlafen hatte.

Nun halte ich mich ja für einigermaßen firm in der Heiligen Schrift, und mir fielen auf Anhieb etliche Bibelzitate ein, die sich zum Widerlegen oder wenigstens Abmildern ihrer Ängste eigneten. Aber irgendwie drang ich nicht so recht zu ihr durch, blieb die junge Frau zu sehr in ihren Schuldgefühlen gefangen. Es war ausgerechnet Totilas, der kurzerhand ein paar Bibelstellen dazuerfand und Béa sehr überzeugend versicherte, dass sie keine Schuld träfe, sondern einzig die Männer, die sich an ihr versündigt hätten. Roberto schließlich gab ihr den letzten Schubser der Überzeugung, dass sie ihren Frieden finden werde, dann ließ sie zu, dass Alex sie weiter schickte.

Aber im Biltmore schienen ja noch mehr Geister umzugehen als nur dieser eine. Also suchten wir nach ihnen. Und fanden Totilas Cousin Vin, einen passionierten Computerspieler und Hacker, der sich fürchterlich darüber aufregte, dass es in seinem Zimmer ständig zu Kurzschlüssen kam, die ihm den Rechner abschmieren ließen. Grund für die technischen Störungen war der Geist eines jungen Mannes in Punkerkleidung. Nachdem der sich von seiner Überraschung erholt hatte, dass Alex ihn sehen konnte, erwies er sich als ziemlich redselig.

Er sei in der Nähe des Biltmore gestorben, erzählte Kyle, auf der Straße von einem Bus überfahren worden. Dort habe er bisher gespukt und sich ziemlich gelangweilt – bis ihn eine „heiße schwarzhaarige Schnitte“ angesprochen und ihn angeheuert habe, doch hier im Hotel Schabernack zu treiben.

Mehr erzählen wollte er uns nicht, sondern verlangte eine Gegenleistung. Er sei als Jungfrau gestorben, rückte er heraus, und er würde ja so gerne mal... Also wie wäre es, wenn Alex ihn ans Steuer ließe, während er...? Die Leute hier würden so scharfe Parties feiern.

Da war bei Alex aber nichts zu machen. Der hatte ja noch nicht einmal Lust, den jungen Geist mit auf eine Sauftour zu nehmen, weil der mit 20 gestorben war und sich deswegen auch noch nie so richtig betrunken hatte. Roberto oder Totilas hätten vermutlich weniger Skrupel gezeigt, aber diese Fähigkeit, Geister in sich reiten zu lassen, kann Alex ja nun mal nicht auf andere übertragen.

Aber als Kyle mich dann als den Autor von Indian Summer erkannte, kam das Gespräch auf das Schreiben und dass Kyle auch mal eine Story verfasst habe. Die würde vielleicht sogar was taugen, meinte er, aber er sei ums Leben gekommen, ehe er sich dazu aufraffen konnte, die Geschichte bei einem Verlag einzureichen. Ich bot ihm an, mir das Manuskript einmal anzusehen, wenn er mir sagen könnte, wo es liege, und es in seinem Namen veröffentlichen, falls mein Verlag zustimme. Nur versprechen könne ich nichts. Dieses Angebot reichte Kyle aber schon, und so antwortete er uns doch noch auf unsere Fragen.

Mit Hilfe eines Phantomzeichnungsprogramms auf Vins Rechner fertigte Kyle ein Bild von der „dunkelhaarigen Schnitte“ an. Und das Gesicht in dem Bild erkannten wir alle: Es war niemand anderes als Camerone Raith. Die seit der Sache mit den Masken nachweislich tot ist. Aber tot zu sein, hindert sie offensichtlich nicht daran, bei ihren Verwandten Ärger zu machen. Juhu.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.05.2014 | 16:53
8:30. Dee hat eben angerufen. Ob ich mit ihr frühstücken will. Und das, wo ich heute Nacht bis 4.00 Uhr früh an dem Tagebucheintrag gesessen habe. Stöhn. Aber klar, natürlich will ich. Ich geh dann mal duschen. Später mehr.

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Nett war's. Auch wenn Dee etwas auf dem Herzen hatte. Und zwar wollte sie mir erzählen, dass ein Ex-Freund von ihr in der Stadt sei. Ein FBI-Mann, der hier gerade an einem Fall arbeite, einer Mordserie. Pace. Heh. War ja klar.

Was Dee je an dem Kerl gefunden hat, will mir nicht so recht in den Kopf. Der Mann ist grimmig und verbittert, so sieht er jedenfalls aus, er scheint nur für seine Arbeit zu leben und ist mindestens 15 Jahre älter als sie. Aber gut, jugendliche Verliebtheit erklärt so manches. Eine junge Marshal, frisch im Job, ein erfahrener, kompetenter Partner oder Ausbilder, ich kann mir das schon irgendwie zusammenreimen. Und ich war ja schon mehr als erleichtert, dass Dee das Verhältnis jetzt eher als lehrreiche Erfahrung sieht und sehr deutlich machte, dass sie an Pace keinerlei Interesse mehr hege.

Ich habe Dee gegenüber nicht groß erwähnt, dass Edward uns schon über die Morde informiert hat. Sie fragte auch nicht groß nach, obwohl sie es sich eigentlich denken können müsste. Vermutlich wollte sie es gar nicht wissen, ebensowenig, wie ich sie in Edwards Fehlverhalten mit hineinziehen wollte. Immerhin durfte er uns die Akten eigentlich nicht zeigen, noch uns an die Tatorte mitnehmen.
Stattdessen erzählte ich Dee von den Geistern im Biltmore und dass sich Camerone Raith offensichtlich durch ihren Tod nicht vom Intrigieren abhalten lässt. Mit dem Unterschied, dass sie als Geist jetzt von ihrer Alkoholsucht geheilt und wieder im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten ist. Und immerhin hatte sie lange Zeit die Führung des White Court inne, was sie wohl nicht erreicht hätte, wenn sie nicht schlau und skrupellos und gerissen wäre. Yay.

Aber nachdem wir das alles aus dem Weg geräumt hatten und uns angenehmeren Themen zuwandten, wurde das Frühstück doch noch sehr nett. Oder vielleicht war es auch einfach Dees Gesellschaft, die auch die unangenehmeren Themen erträglicher machte.

Aber jetzt muss ich wieder los, mit den Jungs treffen. Edwards Idee steht da ja noch im Raum.

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Totilas hat gestern Nacht gleich noch mit Gerald gesprochen, erzählte er, als wir uns wieder trafen. Dem ist zwar einerseits ein Stein vom Herzen gefallen, weil er nicht langsam wahnsinnig wird, sondern er wirklich Stimmen hört, aber andererseits war er natürlich mehr als beunruhigt, dass seine Mutter wieder da ist und irgendwelchen Ärger plant. Vermutlich will sie sogar nicht einfach nur rumspuken und Ärger machen, sondern tatsächlich, Geist oder nicht, den White Court wieder übernehmen.

Intrigant genug dafür ist sie. Totilas erwähnte in einem Nebensatz, dass ihm gestern Nacht auch wieder eingefallen sei, dass Camerone an seiner Entscheidung, zum Vampir zu werden, einen nicht ganz unwesentlichen Anteil hatte. Damals ist ihm das gar nicht bewusst geworden, aber gestern Nacht erkannte er, dass sie seine Entscheidung nicht nur immer unterstützt, sondern ihn ganz subtil in diese Richtung geschubst hat.

Jedenfalls, das Ritual. Edward hatte ja schon gemeint, dass er eines der Herzen finden könne, wenn er sich etwas beschaffen könne, das eine Verbindung dazu darstelle. Naja, und was ist eine bessere Verbindung zu einem Körperteil als der Rest dieses Körpers?

Das konnte er allerdings nicht im Alleingang machen, denn immerhin war er ja nicht der mit diesem Fall beauftragte Beamte, sondern Townsend und Caldwell. Also informierte er die beiden Kollegen ganz offiziell über seinen Plan, bzw. bat um ihre Zustimmung, die diese auch gewährten. Die beiden FBI-Männer, Rollins und Pace, wurden ebenfalls dazugerufen. Oh, und ich. Für die anderen drei fanden wir keine passende Ausrede, aber ich wurde als „SID-Consultant“ untergebracht.

Das Ritual führte uns vom Leichenschauhaus zu einer Selbsteinlagerungseinrichtung, einer dieser Lagerhallen, wo man für relativ kleines Geld einen etwa garagengroßen Abstellraum mieten kann. Das richtige Rolltor hatte Edward sehr schnell gefunden, nur war er vorsichtig genug, das Tor auf mögliche Fallen zu untersuchen. Und tatsächlich: Das Ding war auf magische Weise vermint.
Gar nicht unzufrieden über diese Entwicklung erklärte Agent Pace, er kenne jemanden, der mit Schutzzaubern bewandert sei. Im Handumdrehen hatte er schon sein Handy gezückt und eine Nummer gewählt; ein kurzes Gespräch, und nach einer Weile fuhr Dee bei uns vor.

So sehr ich mich eigentlich freute, sie zu sehen, etwas peinlich war es mir schon, hier so unvermittelt auf sie zu treffen, weil ich ihr ja heute früh verschwiegen hatte, dass wir schon in den Fall verwickelt waren. Aber sie schien sich gar nicht zu wundern, noch irgendwie pikiert zu sein. Vermutlich hatte sie sich tatsächlich sowas schon gedacht.

Bei den Strafverfolgungsbehörden hatte sich schnell herumgesprochen, dass hier gerade ein Durchbruch erzielt wurde, und so wimmelte es bald von Mitarbeitern der Spurensicherung, uniformierten Cops, Detectives in Zivil, einer S.W.A.T.-Einheit und sonstigen Gesetzeshütern aller Couleur, von ein paar TV-Vans samt Reportern ganz zu schweigen.

Dee und Edward analysierten eine ganze Weile an dem Schloss herum, doch schließlich gelang es ihnen tatsächlich, die Tür zu öffnen, ohne dass wir alle in die Luft flogen.

Drinnen bot sich uns ein – nicht grausiger, dafür wirkte alles zu steril – aber doch ziemlich beunruhigender Anblick. Da war ein Tisch mit diversen Ritualmaterialien, Kerzen und dergleichen. Ein alter Kassettenrekorder. Nicht mal ein Ghettoblaster: einer von diesen flach liegenden Kassettenrekordern mit den Tasten  vorne, dem Kassettenfach in der Mitte und dem Lautsprecher hinten. Einige Kassetten daneben verstreut. Ein Buch von einem mittelalterlichen Mönch namens Hieronymus, gewissermaßen eine Anfängerfibel für Rituale. Was seltsam war, denn das Ritual, das der Mörder verwendet hatte, war definitiv fortgeschrittenerer Natur als die in diesem Buch beschriebenen Dinge. Wo auch immer der Kerl also gelernt hatte, seinen Opfern bei lebendigem Leib das Herz herauszuschneiden, während es weiterschlug, darin jedenfalls nicht.

Richtig, Römer und Patrioten. Während es weiterschlug. Das war das eigentlich Gruselige an dem Tatort. Da standen auch zwei verschlossene gläserne Gefäße (ich würde ja beinahe sagen „große Einmachgläser“, wenn mir das nicht viel zu gewöhnlich für die Tragweite des Geschehens wäre. Aber ägyptische Kanopen waren aus Marmor. Tiegel sind kleiner. Schüsseln haben keinen Verschluss.), in denen jeweils ein Herz schwamm. Und weiterhin pulsierte.

Es waren viel zu viele mundane Personen anwesend, daher war schnell eine logische Erklärung für die pochenden Herzen gefunden: Das musste irgendwie mit Elektrizität zu tun haben. Völliger Unsinn, weil ja weit und breit keine Energiequelle zu finden war, aber die meisten Umstehenden nahmen die „Erklärung“ dankbar an. In Wahrheit jedoch war es magische Energie, von der die Herzen in Bewegung gehalten wurden, sagte Edward hinterher. Zu viel Energie für die relativ einfache Aufgabe, sogar, weswegen die Herzen mit jedem Schlag ein klein wenig davon in den Raum abgaben.

Die Spurensicherung machte sich an die Arbeit, schoss Fotos, suchte nach Fingerabdrücken und sonstigen Hinweisen, das Übliche eben. Der Kassettenrekorder wurde angeworfen – und spielte eines dieser Lieder mit Herzmotiv ab. Welche Überraschung.

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Nachdem die gesammelte Gesetzeshüterschaft den Ort gesichert hatte und abgezogen war, trafen wir uns wieder mit den anderen. Die waren während der ganzen Aktion nicht untätig geblieben: Alex hatte sich erst einmal auf die Baustelle eines seiner zahllosen Bekannten abgesetzt, um sich dort mit dem Hämmern der Presslufthämmer vom inzwischen unablässigen und immer drängenderen Hämmern der Herzen in seinem Kopf abzulenken. Roberto und Totilas hingegen riefen Jack White Eagle an und fragten den um Rat. Jack hatte von dieser ganzen Geschichte noch nicht wirklich etwas mitbekommen, aber das könnte auch daran gelegen haben, dass er mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war (er sagte wohl was von einer neuen Grassorte, die sie in der Kommune gerade ausprobiert hätten – was Edward wiederum gar nicht wissen wollte und geflissentlich weghörte, als Roberto das erzählte). Aber er empfahl den beiden, sich doch mal mit Edward Leedskalnin zu unterhalten, dem Geist vom Coral Castle. Denn der kennt sich mit Geistern und der Grenze zum Nevernever mit am besten aus, wo er doch immer die Santeríos beim Abhalten des Halloween-Rituals unterstützt.

Anders als andere Geister ist der Lette am Coral Castle sehr leicht anzutreffen, und auch tagsüber. Er ist einfach so stark damit verbunden – immerhin hat er es selbst gebaut – und war ja auch schon zu Lebzeiten ein echter Exzentriker. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und seine Pamphlete gelesen – okay, überflogen – und seine Einstellungen waren schon ... absonderlich.
Im Gespräch mit Totilas und Roberto jedenfalls zeigte er sich selbst recht beunruhigt über den ständigen Herzschlag, eben weil er die Grenze zwischen unserer Welt und dem Nevernever schwächt. Ganz und gar zerstören könne das die Trennwand zwar nicht, aber vielleicht Löcher hineinreißen, und durch die könnten Dinge hindurchbrechen in unsere Welt, gerade an Halloween. Zu den Morden selbst konnte er nichts sagen, aber eine kryptische Bemerkung machte er doch: dass es nämlich einen Grund geben müsse, warum der Täter gerade zu dem Zeitpunkt mit dem Morden zu beginnen, als er das tat, und dass Pech im Spiel sei. Also Unglück-Pech. Nicht Teer-Pech.

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Edward hat gerade angerufen. Es gibt Neuigkeiten! Muss los. Später mehr!

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Von dem Ritualbuch konnte ein Fingerabdruck genommen werden. Und dieser Fingerabdruck ergab sogar einen Treffer in der Datenbank. Und zwar, und jetzt haltet euch fest, Römer und Patrioten, James Vanguard. Der ein Lykanthrop ist, wie wir alle wissen. Und heute fängt der Vollmond an. Mierda.

Da Vanguard als Chef einer Sicherheitsfirma als hochgefährlich eingestuft wurde, tauchte ein ganzes S.W.A.T.-Team bei ihm auf, zwei sogar, genau gesagt: eines zuhause und eines in der Firma, um ihn zu verhaften. Aber der Vogel war ausgeflogen. Nicht nur Vanguard selbst, sondern auch sein ganzes Rudel war nicht aufzufinden.

Also schlug Edward vor, noch ein Finderitual durchzuführen, um ihn zu dem Gesuchten zu führen. Das allerdings schickte ihn wieder zu genau der Selbsteinlagerungseinrichtung, wo wir auch die beiden Herzen gefunden hatten. Offensichtlich werden sämliche und jegliche Suchrituale momentan dorthin umgeleitet, egal, auf wen oder was sie sich beziehen.
Was vielleicht auch erklären könnte, warum keines der beiden Herzen in dem Lagerraum zu dem Opfer gehörte, von dem aus Edward im Leichenschauhaus die magische Verbindung hergestellt hatte. Sehr seltsam, das alles.

Eine Weile, nachdem Edward seine SID-Kollegen und die FBI-Agents informiert hatte, dass Suchrituale vermutlich nicht viel fruchten werden, rief es bei ihm an. Es war einer von James Vanguards Leuten, der erklärte, sein Boss sei unschuldig, habe sich aber nicht verhaften lassen wollen, weil das jetzt, während des Vollmonds, garantiert ein Massaker gegeben hätte. Aber mit Edward wolle er sich treffen, ein Stück außerhalb der Stadt. Am liebsten alleine, aber von ihm aus könne Edward auch seine Freunde mitbringen.

Was der Grund war, warum wir alle gemeinsam vor die Stadt fuhren. Am bezeichneten Treffpunkt erwartete uns Vanguard schon mit ein paar seiner Leute. Die hielten sich aber im Hintergrund, ließen Vanguard den Vortritt. Wir hingegen gingen gemeinsam auf ihn zu, und es hätte auch nicht nur Edward mit ihm geredet, wenn Vanguard nicht sehr knurrig sehr deutlich gemacht hätte, dass es ihm in seinem derzeitigen Zustand schon schwer genug fiel, sich auf einen einzelnen Gesprächspartner zu konzentrieren, geschweige denn auf mehr als einen. Irgendwie war das auch so ein Rudel-Alpha-Dominanz-Ding, aber naja.

Die Atmosphäre bei dem Treffen war jedenfalls sehr aufgeladen, einfach weil Edward und Vanguard so angespannt waren und sich mit jeder Faser ihres Seins zusammenreißen mussten, nicht auf die jeweils andere Gruppe loszugehen. Aber Vanguard versicherte, er habe die Morde nicht begangen, und das nahmen wir ihm auch ab. Die ganze Sache hatte für meinen Geschmack ohnehin nach abgekartetem Spiel ausgesehen. Ein einzelner Fingerabdruck in den ganzen, minutiös gereinigten Tatorten? Wie praktisch.

Jedenfalls sagte Vanguard, er werde sich natürlich stellen, aber eben nicht gerade jetzt zu Vollmond, sondern erst in zwei Tagen, wenn das Schlimmste für diesen Monat vorbei sei. Edward war auch der Meinung, dass das wohl besser sei. Vangard meinte noch, er wolle versuchen, irgendwelchen Suchtrupps aktiv aus dem Weg zu sein – sprich, wenn er wüsste, wo welche wären, könnten seine Leute und er einfach woanders sein. Hint hint.

Je länger wir redeten, umso mehr mussten die beiden Lykanthropen sich am Riemen reißen, knurrten einander nur noch an. Ehe das Treffen vollkommen aus dem Ruder lief und die Fetzen zu fliegen begannen, zogen wir uns zurück. Schön langsam und rückwärts und die jeweils andere Gruppe nicht aus den Augen lassend.

Aber auf dem Rückweg merkten wir sehr schnell, dass das nicht wirklich geholfen hatte. Edward war zu aufgedreht, zu wild. Der musste raus aus dem Auto, sich abreagieren. Schreien, rennen, toben. Es gelang ihm gerade noch, Alex ein "Halt an! JETZT!" zuzuknurren, dann war er mit einem wilden Aufheulen auch schon im Freien.

Dummerweise nur war das mitten in einem Wohngebiet, und ehe wir auch nur blinzeln konnten, war Edward auch schon in einer Hauseinfahrt und warf mit Mülltonnen um sich. Und natürlich gingen in diesem und den umliegenden Häusern die Lichter an...

Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Wenn jetzt ein Hausbewohner herauskam... Also sprang Totilas kurz entschlossen ebenfalls aus dem Wagen und schleuderte Edward laute Beleidigungen entgegen. Der reagierte sofort, ließ alles stehen und liegen und ging auf Totilas los. Unser White Court-Freund wiederum rannte vor ihm davon, offensichtlich in der Absicht, ihn von dem Wohngebiet wegzulocken.

Und das ist der letzte Stand heute Nacht. Wir anderen konnten den beiden nur hinterhersehen, und da sie sehr bald von der Straße ins Gelände abbogen, hatten wir auch keinerlei Möglichkeit, ihnen zu folgen. Also fuhren wir schweren Herzens heim, um morgen früh wenigstens ausgeschlafen zu sein, in der Hoffnung, dass Totilas‘ übernatürliche Konstitution es ihm erlaubt, so lange vor Edward davonzulaufen, bis der sich abgeregt hat.

Colera. Es ist ein ekelhaftes Gefühl, so machtlos zu sein, nichts tun zu können. Ich hoffe inständig, den beiden passiert nichts heute Nacht. Aber jetzt muss ich trotzdem ins Bett. Falls ich denn überhaupt einschlafen kann. Das Aufschreiben jedenfalls hat mich nicht wirklich müder gemacht. Aber es hilft ja alles nichts.

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Madre de Dios! Ich war tatsächlich schon halb eingeschlafen, da kam mir urplötzlich ein schrecklicher Verdacht. Ich weiß gar nicht, woher auf einmal; er war einfach da.

Der Serienmörder ist ein Mann in einer Autoritätsposition, der sich für gewöhnlich eisern unter Kontrolle hat, von gelegentlichen Wutausbrüchen unterbrochen. Der eine ganz bestimmte Frau sucht. Um sie auch umzubringen? Oder um sie für sich zu gewinnen? Vielleicht beides: Sie umzubringen, wenn er sie nicht (wieder?) für sich einnehmen kann?
Alle Opfer waren dunkelhaarig und braunäugig. Wie Dee. Dee hat Agent Pace verlassen. Weil er ihr irgendwie nicht ganz geheuer war. Er hat sich schon einige Male mit ihr treffen wollen, aber sie hat immer abgelehnt. Als FBI-Mann ist Agent Pace eine Autoritätsperson, auch wenn das Alter nicht ganz stimmt.

O Dios. Ich hoffe und bete, dass ich mich irre. Ich darf mir von meiner eifersuchtsbedingten Abneigung gegen Pace nicht die Sicht vernebeln lassen. Aber jetzt, wo ich den Gedanken gedacht habe, kann ich ihn nicht ungedacht machen.
Soll ich es morgen den Jungs erzählen, oder würde sie das voreingenommen machen?
Ich glaube, ich muss. Wenn ich paranoid bin, werden sie mich schon in den Senkel stellen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 22.05.2014 | 18:38
Sehr schön.  ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 23.05.2014 | 13:25
Freut mich! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 11.06.2014 | 13:34
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 2

Mierda. Es ist wieder eine Frau verschwunden. Und sie passt wieder ins Schema. Natürlich. Und es scheint, als wolle der verdammte Mistkerl es so aussehen lassen, als sei Edward der Täter. Cabrón.

Aber der Reihe nach.

Ich war massiv erleichtert, als sowohl Totilas als auch Edward heute Vormittag unversehrt, nur ein wenig übermüdet, im Dora's auftauchten. Edward hat wenig Erinnerungen an die vergangene Nacht, sagte er, nur an seine unbändige Wut und daran, unablässig gerannt zu sein, irgendwas verfolgt zu haben. Lustigerweise fand sich im Miami Herald eine kleine Meldung über den Vorfall: Vandalen seien nachts unterwegs gewesen und hätten in der Vorstadt Mülltonnen umgeworfen, vermutlich Jugendliche.

Als ich den Jungs dann von meinem Verdacht in Sachen Pace erzählte, hielten die mich zum Glück nicht für paranoid, mahnten aber zur Vorsicht. Totilas zum Beispiel warf ein, wenn es Pace wegen Dee sein könne, habe er ebensogute Gründe, warum Edward der Mörder sein müsse – immerhin sähen die Frauen vom Typ her auch Cherie ähnlich, die hat Edward kurz vor Beginn der Morde verlassen hat, und der Rest des Profils trifft (bis auf die Tatsache, dass er schwarz ist) ebenfalls auf Edward zu.

Wir kamen auf die Idee, Henry die Flugdaten der Zeiten kurz vor den Morden überprüfen zu lassen, ob vielleicht ein David Pace öfter mal in die Stadt gekommen ist. Falls Pace einen falschen Namen verwendet hätte, wäre das zwar keine Hilfe, aber immerhin mal ein Anfang.

Ehe Edward aber bei Henry anrufen konnte, rief der Edward an: Es sei eine weitere Frau verschwunden. Und ob Edward ihm vielleicht etwas zu sagen habe: Auch dieses neue potentielle Opfer habe nämlich einen polizeilichen Eintrag gehabt (wieder wegen irgendeiner vergleichsweisen Kleinigkeit, das Auto ihres Ex-Freundes demoliert oder etwas in der Art), und der Aufruf der Akte in der Polizeidatenbank sei von Edward gekommen. ¿Que demonios?

Nachdem Edward seinem Partner erstmal erklärt hatte, dass er das nicht gewesen sei, rückte Henry damit heraus, er habe Edwards Passwort öfter mal benutzt, um vorzugeben, dass Edward aktiv gewesen sei; außerdem habe er dessen Passwort regelmäßig alle drei Monate geändert, damit es nicht verfalle. Und er habe es hinter den Bildschirm gepappt, wo Edward es finden könne, wenn er es brauche. Dummerweise konnte es dort halt nicht nur Edward finden, sondern auch jeder andere, der davon wusste. Und dass es da hing, war ja nun nicht so schwer herauszufinden. Super. Wirklich super. Da musste Henry sich eigentlich auch nicht wundern, dass sich jemand anderes Zugang zu Edwards Account verschafft hatte.

Aber das muss er in Persona erklären. Henry ließ Edward von ihrem Chef ausrichten, er solle gefälligst seinen Hintern aufs Revier bewegen, und das klang nach einem Befehl, dem unser Kumpel besser sofort nachkommen sollte. Wir wollen uns nachher wieder treffen, wenn Edward genauer weiß, was Sache ist.

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Coléra. Lieutenant Book hat ihn bis auf Weiteres suspendiert. Alle beide sogar, Edward und Henry, wegen der Nachlässigkeit mit dem Passwort. Denn die Akten aller Opfer wurden kurz vor den jeweiligen Taten von „Edward“ abgerufen.
Auch Agent Pace war anwesend, und der hat Edward sehr eindringlich verhört. So, als sei der ein Verdächtiger in den Mordfällen. Oder als wolle Pace von sich selbst ablenken. Wobei, verdammt. Agent Pace kommt so leicht nicht an Edwards Passwort ran. Es wäre zwar nicht unmöglich, weil das Revier kein ausweisgesicherter Bereich ist, sondern man einfach reinmarschieren kann, aber Pace müsste sich schon sehr unauffällig reingeschlichen haben, wenn gerade niemand sonst da war. Nachts oder so. Aber trotzdem. So ganz aus dem Auge verlieren sollten wir Pace trotzdem nicht.

Aber dieser neue Vermisstenfall war erstmal wichtiger. Suspendierter Kumpel oder nicht, wir mussten da hin. Normalerweise gelten ja die bekannten 48 Stunden, die jemand verschwunden sein muss, aber weil ein Serienmörder umgeht und die Vermisste ins Schema passt, wurde diesmal sofort gehandelt. Am Haus des mutmaßlichen Opfers war also schon ein großes Polizeiaufgebot anmarschiert: Die Detectives Townsend und Caldwell, die Agents Pace und Rollins, Uniformierte, Spurensicherung. Da wollten wir uns lieber außer Reichweite halten, weil Edward ja gar nicht mehr offiziell hier sein durfte.

Aber in der Nähe des Hauses befand sich ein kleiner Park, wo Alex jemanden kannte. War ja klar. Aber hey. Es ist Alex. Sein Bekannter war natürlich ein Geist: ein alter Gärtner, der nach seinem Tod einfach weiterarbeitete. Mit diesem Geist redete Alex, fand aber auch nicht groß viel weiter heraus, als dass immer mal ein grauer Lieferwagen mit Vanguard-Logo in der Gegend herumfuhr. Wobei das natürlich auch keinen echten Hinweis darstellte: Auf jedem beliebigen grauen Lieferwagen lässt sich mit Leichtigkeit ein entsprechender Aufkleber befestigen, und andersherum gibt es da in der Gegend mit Sicherheit genug Objekte, die von Vanguard Security bewacht werden, so dass deren Wagen jedes Recht haben, dort herumzufahren.

Wie gesagt, wir blieben vorsichtshalber eher etwas weg von dem Haus, sondern beobachteten nur aus einiger Entfernung. Aber Edward ging mit seinen Kollegen reden und bekam immerhin heraus, dass die Spurensicherung am Tatort einige Haare von James Vanguard gefunden habe. Hah. Der Täter soll sich mal entscheiden, ob er Edward in die mierda reiten will oder Vanguard. Oder vielleicht denkt er sich auch nur, zwei Verdächtige sind besser als einer...

Da wir dort am Tatort nicht mehr wirklich viel tun konnten, fuhren wir ins Biltmore zu Totilas' Cousin Vin, dem Hacker. Der war, als wir ankamen, gerade mit irgendeinem Multiplayer-Spiel beschäftigt, aber allzu lange mussten wir zum Glück nicht warten, bis er Zeit für uns fand. Dummerweise wollte Vin nicht ohne jede Gegenleistung für uns herausfinden, ob Edwards Account gehackt worden ist und von wo aus die ganzen Zugriffe auf die Polizeidatenbank erfolgten. Er sei hungrig, erklärte er, und er könne sich nicht konzentrieren, bis er nicht etwas 'gegessen' habe. White Courts eben... Ich schlug vor, ihn mit Rollins, dem süchtigen FBI-Profiler, zusammenzubringen, aber so lange wollte Vin nicht warten, also erklärte Roberto sich schließlich dazu bereit.

Ich muss aber gestehen, ich sah nicht hin, als Vin Raith Roberto abknutschte. Oder war es andersherum? Jedenfalls sagte Vin hinterher zu, er würde sich an die Arbeit machen und uns informieren, sobald er Infos für uns hätte.

Natürlich wollen wir aber auch die Verschwundene finden. Das können wir nur nicht, solange alle Finderituale auf dieses blöde Lagerhaus deuteten. Wobei wir ja noch nicht mal wissen, wie das genau wirkt. Ob der Suchfluch wirklich alle Finderituale in der Stadt betrifft oder nur diejenigen, die sich auf die Morde beziehen, oder vielleicht nur all diejenigen, die von Edward gewirkt werden.
Aber wir kennen ja noch jemand anderen, der uns eventuell mit einem Suchzauber helfen könnte...

Also suchte Edward seinen Schlüssel per Ritual, bekam aber wieder nur die Lagereinrichtung zum Ergebnis. Daraufhin rief ich Ximena an und bat sie um Hilfe. Sie ist zwar keine Ritualspezialistin, aber dafür, dieselbe Suche noch einmal durchzuführen, würde es gerade noch reichen, meinte sie.

Kurze Zeit später rief Ximena zurück: Sie hatte zuerst ihre Rollenspielwürfel wiedergefunden und danach, bei einer zweiten Suche, Edwards Schlüssel. Also betrifft der Fluch wohl wirklich nur Edward, und so bat ich Ximena, uns auch bei der Suche nach der Verschwundenen zu helfen. Da wurde das Telefonat dann etwas seltsam, weil es mir so vorkam, als wolle Ximena in meinem Privatleben herumkramen. Aber was und wie zwischen mir und Dee läuft, das geht sie nun mal nichts an, verdammt. Und wenn sie findet, ich sei verklemmt... Grrrr. Soll sie doch. Egal. Es änderte nichts an der Tatsache, dass sie sich bereiterklärte, uns zu helfen, falls wir ihr irgendwas von der Vermissten beschaffen könnten. Was natürlich nicht legal wäre. Weswegen sie also gar nicht wissen wolle, wie.

Aber wir müssen dieser Tessa Cunningham helfen, oder wie sie heißt. Cumberlane. Dings. Also brauchen wir etwas von ihr. Also ist es nicht von Belang, ob es legal ist oder nicht. Ximena wird ihre Haare bekommen.

Nur zuerst rufe ich Dee an. Das wollte ich schon den ganzen Tag, kam aber vor lauter Aufregung nicht dazu.

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So. Mit Dee geredet und für morgen zum Frühstück verabredet. Ich wollte ihr aber nicht am Telefon sagen, dass ich Agent Pace verdächtige, irgendwie brachte ich das nicht über mich. Denn dazu möchte ich ihr lieber gegenübersitzen. Ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung, wie sie reagieren wird, und falls sie mich der grundlosen Eifersucht bezichtigt, möchte ich das doch bitte in Persona von ihr hören und in Persona reagieren können. Aber ich habe Dee gesagt, sie solle vorsichtig sein. Das sei sie doch immer, erwiderte sie. Besonders vorsichtig, meinte ich. Und da hatte sie dieses Lächeln in der Stimme, als sie „mach ich“ sagte.

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Zurück von unserem kleinen Ausflug zu Tessa Cumberlains Haus. Mit Tessas Haaren. Es hat geklappt, aber ganz leicht war es nicht. Naja, zugegeben, es hätte leichter sein können, wenn wir gleich so schlau gewesen wären, wie wir am Ende waren. Aber es war auch sehr, sehr seltsam. Ich glaube, es wäre mir wesentlich lieber gewesen, wenn die erste Aktion geklappt hätte...

Wir – sprich Alex, Roberto und ich; Edward und Totilas wollten währenddessen mit Jack White Eagle reden – stellten sehr schnell fest, dass das Haus auch nachts von zwei Cops in einem Zivilfahrzeug beobachtet wurde. Und das Gelände war mit Band abgesperrt, also tatsächlich nicht legal zu betreten.

Aber ich war tagsüber Rhoda begegnet, Rhoda Waterson von dem Autorentreff auf der Con. Sie wohnt ein paar Straßen von Ms. Cumberlain entfernt, und sie war nachmittags schon ganz aufgekratzt wegen des Vorfalls. Jetzt rief ich sie an und bat sie um ein Treffen im nahegelegenen Park. Unauffällig. Dass sie das verdächtig finden könnte, das kam mir gar nicht in den Sinn.

Ich erklärte Rhoda, es gehe darum, die arme Ms. Cumberlain zu retten, und schlug vor, dass sie die beiden Cops ablenken könne, wenn sie ihnen Kakao brächte oder sowas. Rhoda meinte zwar, Mrs. Myers von nebenan habe den beiden früher am Abend schon mal Donuts bringen wollen, und die hätten sie abgelehnt, weil sie sowas nicht annehmen dürften, aber es würde ja schon reichen, wenn die beiden Beamten den Kakao nicht annähmen, aber durch das Gespräch mit Rhoda dennoch abgelenkt seien. Wir einigten uns auch darauf, dass sie unverrichteter Dinge kehrt machen würde, wenn die Dinge irgendwie brenzlig würden oder es so aussähe, als klappe das mit dem Aufmerksamkeit-Heischen nicht. Immerhin ist Rhoda eine ältere Lady, und ich wollte ihr keinesfalls irgendwelche Probleme machen. Nicht nur lese ich ihre Geschichten um die Miss Marple-artige Ermittlerin mit den übernatürlichen Fällen viel zu gerne, sondern Rhoda selbst ist einfach auch viel zu nett, um sie in Schwierigkeiten gleich welcher Natur zu bringen.

Dummerweise nur kam es tatsächlich so, wie Rhoda es schon befürchtet hatte. Die beiden Polizisten lehnten ihren Kakao ab, und Roberto, der an einem geparkten Auto weiter hinten in der Straße für zusätzliche Ablenkung sorgen wollte, indem er dessen Alarmanlage auslöste, versagte bei dem Vorhaben. Alex hätte sofort gewusst, wo er draufhauen muss, damit der Alarm losgeht, aber der war der einzige von uns dreien, der wenigstens einigermaßen schleichen konnte, und so stand der parat, um Tessa Cumberlains Auto zu öffnen und dort einen persönlichen Gegenstand von ihr zu entwenden.

Mierda. Auf diese Weise ging es also schon mal nicht. Aber wir hatten... nein. Ich sage jetzt nicht 'zum Glück'. Dazu war das Ganze einfach zu seltsam. Aber es kam uns noch eine andere Idee. Oder genauer, Alex hatte die Idee. Er meinte, wenn Roberto sich als Frau verkleiden und mit einem von uns die Straße entlangflanieren würde, dann könnte das die beiden Polizisten vielleicht auch ablenken.

Ich will jetzt nicht wissen, wo Roberto auf die Schnelle die Frauenklamotten herhatte. Ich will vor allem nicht wissen, warum er sie auf unserem kleinen Ausflug mitgeschleppt hat, denn das hatte er mit Sicherheit nicht im Voraus geplant. Aber er kramte aus seiner Tasche eine Stola und einen Rock und ein paar hochhackige Schuhe heraus und war im Nu wie verwandelt. Und zwar wirklich verwandelt. Er war nicht einfach nur Roberto, der tat wie eine Frau, sondern es änderte sich wirklich alles: seine Haltung, seine Bewegungen, sein Mienenspiel. Nicht einfach 'tuckig', sondern weiblich. Völlig glaubhaft. Und richtig, richtig seltsam.

Alex ließ einen launigen Spruch los von wegen 'Roberta', aber Roberto erwiderte völlig ernsthaft: „Carmen“. Und es war wirklich so. Als ich da auf der Straße mit Ro Carmen entlangschlenderte, als seien wir ein verliebtes Pärchen, war ich nicht mit meinem Kumpel unterwegs, sondern mit einer fremden, attraktiven Frau. Madre mia, war das seltsam! Beinahe verstörend, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten.

Aber all dieser Seltsamkeit zum Trotz klappte diese Aktion perfekt. Die beiden Polizisten waren von Carmen derart fasziniert, dass sie ihr minutenlang nachstarrten und Alex problemlos durch Ms Cumberlains Garten und in ihr Haus gelangen konnte und kurze Zeit später mit einer Haarbürste zurückkehrte. Den Diebstahl rechtfertigten wir unseren Gewissen über damit, dass die Spurensicherung mit ihrer Arbeit schon fertig war und wir den Einbruch für die gute Sache begangen hatten.

Dann brachten wir trotz der späten Stunde unsere Beute noch zu Ximena, die zwar erklärte, heute Abend nichts mehr damit anfangen zu wollen, aber versprach, sich gleich morgen früh daran zu machen.
Damit müssen wir wohl leben müssen, denn wenn Ximena sich übermüdet an die Suche setzen würde, käme vermutlich auch nichts Gescheites dabei heraus.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 11.06.2014 | 18:23
Armer Cardo.

Hängt mit Lykanthropen, Vampiren und Magiern herum und legt sich mit Feen an - aber wenn Roberto mal seine weibliche Seite rauskramt, freakt ihn das aus.  ;)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 14.06.2014 | 22:59
Oh. Ver. Dammt.

Es ist 10:40. Um 10:00 waren wir verabredet. Und Dee ist bisher nicht aufgetaucht. Bei ihr zuhause geht niemand ans Telefon. Ihr Handy ist ausgeschaltet oder in einem Funkloch.

Ich bin so ein verdammter Idiot! Ich hätte meinen Verdacht gegenüber Pace klar aussprechen müssen, statt mich in vagen „sei vorsichtig“-Andeutungen zu ergehen, nur weil ich Angst hatte, dass Dee mich am Telefon wegen meiner Eifersucht auslachen würde oder Schlimmeres.
Und jetzt hat er sie doch erwischt…

Natürlich ist das nicht bewiesen. Sie könnte auch im Stau aufgehalten worden sein oder sonstwas. Aber ich weiß es. Ich fühle es.

Nein. Nein nein nein. Bitte, nein.

Ich gebe ihr jetzt noch genau 5 Minuten. Und wenn sie bis dahin nicht aufgetaucht ist, schlage ich Alarm.

Santísimo padre en el cielo, bitte lass Dee nicht dafür büßen, dass ich so ein verdammter, egoistischer Idiot war… Lass es ihr gutgehen, bitte…

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10:49. Alex ist unterwegs. Klang völlig übermüdet, sagte etwas von einem weiteren Herzschlag. Damit muss Tessa wohl bereits tot sein. Oh verdammt.
Die anderen Jungs habe ich auch alarmiert. Treffen uns gleich alle bei Dee.

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13:56. Durchatmen. Edward und Ximena führen gerade ihr Suchritual durch. Das dauert ein bisschen; lange genug, um vielleicht ein paar Worte zu schreiben. Und wenn ich mich nicht ablenke, hänge ich ihnen nur über die Schulter und störe.

Als wir bei Dees Wohnung ankamen, waren ihre Nachbarn schon ein wenig besorgt, weil es so nach Ozon roch. Sie befürchteten ein Feuer und waren schon am Debattieren, ob sie nicht vielleicht die Feuerwehr rufen sollten. Aber sie erkannten Alex als Dees Bruder, und Alex hat einen Schlüssel, und so waren die Nachbarn relativ beruhigt und verschwanden wieder in ihren Wohnungen.

Drinnen roch es tatsächlich stark nach Ozon, und im Flur, mit Abstrahlung ins Wohnzimmer, sah es aus, als sei eine Bombe eingeschlagen. Naja, nicht ganz so schlimm wie eine Bombe, aber Edward erkannte das als einen Ward, der ausgelöst hatte. Klar, Dee ist ja Ward-Spezialistin. Dummerweise hatte das aber offensichtlich den Eindringling nicht abgehalten, denn Dee war tatsächlich verschwunden und es gab über den ausgelösten Ward hinaus auch weitere Spuren eines Kampfes.

Natürlich nahmen wir etwas mit, anhand dessen Edward sie würde finden können. Dee ist in dieser Hinsicht zwar deutlich vorsichtiger als die arme Tessa Cumberlain, ihre Haarbürste war also sorgfältig gereinigt, aber sie durch das Auslösen ihres Wards aus dem Schlaf gerissen und dann sofort aus ihrer Wohnung entführt worden war, fand Alex doch ein, zwei Haare auf ihrem Kissen.

Übrigens, Römer und Patrioten: Ja, Edward. Der war doch gestern Abend noch mit Totilas raus zu den Sunny Places gefahren, weil er mit Jack reden wollte. Mit Jack reden… und sich etwas *hust* entspannen, wo er eh schon suspendiert  ist. Aber er erzählte Jack auch von seinem Suchfluchproblem, und Jack meinte, es gäbe da so ein indianisches Reinigungsritual, das man mal ausprobieren könnte, um den Fluch von ihm zu nehmen. Was wieder mal eine nackige Nacht in der Schwitzhütte bedeutete, aber das kannten Edward und Totilas ja nun schon.

Das Ergebnis: Edwards ganze schöne hanfinduzierte Entspannung war wieder flöten, aber dafür hatte das Schwitzritual tatsächlich den Suchfluch von ihm genommen, und er kann wieder andere Dinge finden als nur den blöden Lagercontainer.

Ehe er das Ritual aber starten konnte, rief Ximena an und verkündete, sie habe die Person gefunden, die wir sie anhand der Haarbürste von gestern Abend hatten suchen lassen. Tessa. An die arme Tessa hatte ich ja beinahe nicht mehr gedacht. Sie – Ximena wusste ja nicht, dass die Arme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits tot war – befinde sich in diesem gerade im Bau befindlichen Einkaufszentrum in Doral.

Stellte sich nur die Frage, ob wir ohne weitere Suche gleich dorthin fuhren, in der Annahme, dass Dee auch dort sei, oder ob Edward doch nochmal unabhängig suchen sollte. Wir entschieden uns für letzteres, aber Edward alleine kam irgendwie nicht durch. Vielleicht hatte er zu wenig magischen Wumms in das Ritual gelegt, oder der Fluch hing ihm doch auf andere Weise noch nach, keine Ahnung. Jedenfalls baten wir Ximena um weitere Hilfe, die sie ein wenig grummelnd zwar, aber zusagte – und ich saß wie auf glühenden Kohlen, bis sie endlich bei uns war, auch wenn es netto gar nicht so lange dauerte. Alex natürlich auch, aber der ließ es sich nicht so sehr anmerken. Zumindest glaube ich, dass man es mir mehr anmerkte als ihm, auch wenn ich mir alle Mühe gab.

Jedenfalls ist Ximena jetzt hier, und sie und Edward haben beschlossen, sich mit ihrem Ritual diesmal mehr Zeit zu lassen, mehr Kraft hineinzupumpen, und dann sollte es mit Ximenas Unterstützung doch gehen. Aber es dauert halt. Ergo dieser Schrieb, zwecks Ablenkung.

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Gut dass sie eine eigene Suche durchgeführt und sich nicht darauf verlassen haben, dass wir Dee am selben Ort finden würden wie Tessa. Denn das Ritual mit Dees Haaren führte nicht nach Doral, sondern in ein altes, zum Abriss freigegebenes Lagerhaus am Hafen. Dem näherten wir uns mit der entsprechenden und angemessenen Vorsicht, aber es schien tatsächlich niemand dort zu sein. Also rein, natürlich.

Im Keller fanden wir dann eine versperrte Tür, die mit einem Ward gesichert war, wie Edward schnell herausfand. Einem Ward, der ziemlich übel in die Luft gehen würde, wenn man ihn auslöste. Edward analysierte eine Weile daran herum, aber er ist kein Ward-Spezialist. Es gelang ihm nicht, die magische Sicherung zu deaktivieren, und es ist Vollmond. Irgendwann riss ihm schlicht die Geduld. Er knurrte etwas von "Geht in Deckung, Jungs!", und dann hieb er einfach auf das Schloss.

Nicht mit der bloßen Hand, wohlgemerkt. Ich habe es noch gar nicht erwähnt, glaube ich, aber Edward hat sich vor ein paar Monaten einen magischen Handschuh gebaut. Und ja, ich weiß, wie das klingt. Aber er hat den wohl irgendwie so verzaubert, dass er einen Teil seiner Stärke speichert, oder ihm zusätzliche Stärke verschafft, oder irgendwie sowas. Und mit diesem Ding haute er jetzt auf das Schloss ein.

Und der Ward explodierte. Wir anderen waren ja wie befohlen in Deckung gegangen, aber Edward wurde von der Wucht des magischen Ausbruchs voll erwischt und gegen die Wand geschleudert. Ich konnte regelrecht hören, wie seine Rippen brachen.

Aber die Tür war offen, und ich achtete kaum auf Edward, der sich hinter mir schon wieder mühselig aufrappelte: schwer angeschlagen, aber noch nicht außer Gefecht. Statt dessen stürmte ich in den Raum - und hörte Dees Stimme von irgendwo außer Sicht: "Cardo, HALT!"

Irgendwie gelang es mir, sofort zum Stehen zu kommen. Aber Totilas war direkt hinter mir, und dem gelang es nicht. Er prallte also voll in mich hinein und schubste mich nach vorne - direkt in einen Ward hinein, der jetzt natürlich ebenfalls hochging. Eine magische Explosion, und ich wurde heftig durch den Raum geschleudert. Dem Himmel sei Dank prellte ich mir nur die Schulter dabei, und ich glaube, das lag auch mit an der Kevlar-Weste. Edward hatte vor dem Losfahren nämlich darauf bestanden, dass ich seine Kevlar-Weste anziehe. Er meinte, ich bräuchte sie nötiger als er, und außerdem wollte er sie nicht tragen. Er sprach es zwar nicht aus, aber ich weiß, dass Cherie ihm das Ding geschenkt hat. Und es jetzt anzuziehen, würde im Moment wohl einfach noch zu schmerzhafte Erinnerungen wecken.

¡Gracias a Dios! Dee war unversehrt. Sie hatte sich zwar trotz Vorwarnung durch den Ward an ihrer Wohnung nicht gegen ihre Entführung wehren können, und es war dem Entführer gelungen, sie zu betäuben, aber sobald sie in dem Raum zu sich gekommen war, hatte sie ihre Fesseln gelöst, einen eigenen Ward aufgebaut und sich hinter der Tür versteckt, als sie jemanden kommen hörte. Wenn wir es nicht gewesen wären, sondern der Kerl, hätte er eine böse Überraschung erlebt. Wer der Täter gewesen sei, habe sie allerdings nicht sehen können, sagte Dee. Ich weiß, wer es ist, erwiderte ich, und erklärte ihr meinen Verdacht und die Gründe dafür. Aber Dee war trotzdem nicht überzeugt. Sie war mehrere Jahre mit Pace zusammen, erklärte sie, und sie würde ihn vermutlich auch erkennen, wenn er eine Maske trüge, und der Entführer sei ihr einfach nicht wie Pace vorgekommen. Aber Edward sei es definitiv auch nicht gewesen, den hätte sie ebenfalls erkannt. Und der Kerl war ein Weißer, soviel sei sicher.

Wir halfen Edward nach draußen und riefen ihm erst einmal einen Krankenwagen. Denn sein rasselnder Atem hörte sich überhaupt nicht gut an - ich bin zwar kein Arzt, aber das klang fast so, als habe eine gebrochene Rippe seine Lunge durchbohrt.

Kurz darauf ging der Rummel los. Die Spurensicherung rückte an. Uniformierte Cops rückten an. Agent Pace rückte an. Und Dee - die mir nach der ganzen Aktion nicht mal auch nur die Hand geschüttelt hatte - flog ihm mit einem "Oh David!" förmlich um den Hals, klammerte sich regelrecht an ihn.

Grrrrrrrr. In dem Moment war ich sehr froh, dass ich kein Lykanthrop bin wie Edward.

Dee machte sich dann doch irgendwann von Pace - der bei ihrer Zurschaustellung von Zuneigung völlig überrascht geschaut hatte - los und machte ihre Aussage. Dass sie ihren Entführer eben nicht erkannt habe, aber dass sie Detective Parsen ausschließen könne, weil der Täter definitiv weiß gewesen sei. Wir anderen wurden natürlich auch verhört, einzeln und dann nochmal gemeinsam. Erstaunlicherweise tauchten Detective Caldwell und Detective Townsend die ganze Zeit über nicht auf, so dass Agent Pace der einzige Zivilbeamte vor Ort blieb. Selbst als Edward nach einer Weile wiederkam - es ist zum Glück immer noch Vollmond, das heißt, seine regenerativen Kräfte hatten sofort angeschlagen, und seine Verletzung war zwar noch vorhanden, aber nicht mehr bedrohlich - waren seine beiden Kollegen immer noch nicht da. Agent Pace erwähnte etwas davon, dass die beiden Detectives vermutlich James Vanguard auf der Spur seien, aber Edward - dem gegenüber sich Pace jetzt deutlich freundlicher und kollegialer verhielt - hatte kurz einen ganz seltsamen Ausdruck im Gesicht. So, als wolle er etwas sagen, halte sich aber zurück.

Endlich waren die Vernehmungen vorüber, und wir durften gehen. Pace fragte Dee, ob er sie irgendwo hin bringen könne, aber sie - ¡Gracias a Dios! - lehnte ab. Statt dessen fanden wir uns alle sechs zu einem Kriegsrat zusammen.
 
Ich weiß nicht, ob sie es sagte, weil sie ganz genau wusste, wie ich mich bei ihrer Umarmung von Pace gefühlt hatte, oder weil sie einfach sachlich Bericht erstatten wollte, aber Dee erklärte, sie habe Pace aus einem ganz bestimmten Grund umarmt. Und zwar habe sie ihren Entführer bei dem Kampf in ihrer Wohnung an der Seite verletzt, und zwar so schwer, dass er das wohl nicht so schnell abschütteln könne. Wenn Pace also eine entsprechende Verletzung gehabt hätte, hätte sie das vorhin gemerkt. Aber das hatte er nicht, und so sei sie sich jetzt eben so gut wie sicher, dass er wirklich nicht der Täter sei.

Was Edward auf seinen eigenen Verdacht brachte. Denn die Tatsache, dass Townsend und Caldwell nicht aufgetaucht waren, hatte ihn auf einen ganz neuen Gedanken gebracht: Wer kennt ihn gut und weiß, wie man ihn linken kann? Wer hat ständigen Zugang zu seinem Computer und damit auch zu dem Passwort hinter dem Bildschirm, ohne dass es auffällt, wenn er sich im Revier aufhält? Richtig. Detective Caldwell. Der gute alte skeptische Detective Caldwell mit der Hasenpfote.

Aber zuerst wollten wir uns doch noch den Ort ansehen, an dem Ximena die entführte Ms. Cumberlain gefunden hatte. Draußen bei dem Mall-Rohbau in Doral suchten wir ein wenig herum, um den Ort genauer zu lokalisieren, ehe Edwards feine Lykanthropennase tatsächlich den bekannten Geruch seines Kollegen Mark erschnupperte, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit hier gewesen sein musste. Wir folgten der Duftspur hinunter in den Keller, wo Caldwell wieder mit Ammoniak gearbeitet hatte, um hinter sich aufzuräumen. Und dort, in einem Raum am Ende eines langen Ganges, der wohl irgendwann mal für Lagerungszwecke von Einzelhandelsgütern bestimmt sein wird (und ja, ich druckse gerade wieder einmal herum, das ist mir durchaus bewusst), fanden wir…

Madre de Dios. Ich kann die Worte kaum zu Papier bringen.

Fanden wir Tessa.

Wie den anderen Opfern war ihr das Herz herausgeschnitten worden. Wie bei allen späteren Opfern war kaum Blut zu sehen. Doch, Dios en el cielo, perdónanos, Tessa lebte. Wenn man es denn "leben" nennen kann… Sie bewegte sich, sie röchelte, sie kratzte mit den Fingernägeln schwach an der Tür. Aber sie hatte offensichtlich ihren Verstand verloren, denn sie wimmerte nur noch inkohärent, und ihre Augen stierten nur stumpf und leer vor sich hin.

Wir waren alle völlig fassungslos. Ich weiß nicht, wie lange wir nur dastanden und mit offenem Mund auf die arme Frau starrten. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, aber vermutlich waren es doch nur einige Sekunden, bis wir uns fassten und Tessa schleunigst dort heraustrugen und einen Krankenwagen riefen: hektische Aktivität angesichts des Unfassbaren. Die Sanitäter des Krankenwagens, der einige Minuten später eintraf, waren ebenso geschockt wie wir, doch Totilas trieb sie geradezu besessen zur Eile und Sorgfalt an.

Und dann war der Krankenwagen fort, und Totilas brach zusammen. Mitten auf dem Platz vor dem, was bald die neueste Mall Miamis sein wird, ging er in die Knie. Rief laut "Nein!" und "Sei ruhig!", und erst, als er selbst sich antwortete - in seiner eigenen Stimme, aber mit einem ganz anderen Tonfall, ganz anderer Betonung und ganz anderer Wortwahl, wurde uns klar, dass Totilas gerade mit seinem Dämon kämpfte. Und am Verlieren war.

Natürlich… Natürlich war von uns allen Totilas am meisten betroffen. Von uns allen ist er der einzige, der weiß, wie es ist, das Herz herausgerissen bekommen zu haben.  White Court oder nicht, Madre de Dios, so etwas zu erleiden… und nicht daran zu sterben, sondern zu überleben, um den Preis, dass die eigene Ziehmutter sich für einen opfert… Natürlich musste dieses Trauma jetzt wieder ganz akut in ihm aufbrechen.

Und natürlich machte sein verdammter Dämon sich Totilas' Schwäche zunutze. Er redete auf seinen Wirt ein, heizte die Erinnerungen noch mehr an, tat alles, damit Totilas die Kontrolle verlieren und sich auf die ungehemmte Jagd nach Beute begeben würde…

Totilas kämpfte. Er, der sich normalerweise so eisern unter Kontrolle hat, kämpfte mit all seiner Macht, aber gegen die Stimme seines Dämons kam er in diesem Moment nicht an. Wir mussten hilflos mitansehen, wie er da kniete und zitterte und seinem Dämon mit immer brüchigerer Stimme antwortete, aber es würde nicht mehr lange gutgehen, und wir konnten nichts, rein gar nichts tun… bis Edward eben doch etwas tat. Mit einem Fluch trat er zu unserem Freund und küsste ihn, ließ sich von dem Dämon freiwillig einen Teil seiner Kraft entziehen, damit der unseren Freund endlich in Ruhe ließ.

Edward will gleich noch bei Henry anrufen, ob der vielleicht weiß, wo Mark Caldwell wohnt, aber erst muss Totilas sich noch etwas erholen, und Edward selbst sich auch. Wir sitzen gerade beim Essen, warten eben noch auf die Rechnung, und danach dann das Telefonat.

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Caldwell hat Henry
sitzen im Auto, Alex fährt
¡Padre santo, socorre!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.06.2014 | 03:27
Oh Mann. Das Vorige ist ja fast ein Haiku. Aber das fällt mir auch jetzt erst auf, wo alles vorbei ist, wir alle mehr oder weniger gesund und in Sicherheit, und ich Zuhause bin und das Ganze, was ich heute tagsüber unterwegs so alles aufgeschrieben habe, nochmal nachlese.

Und ich sollte das, was nach meinem letzten hektischen Auto-Gekritzel passiert ist, noch festhalten. Damit es nicht verloren geht. Ich glaube zwar nicht, dass ich das, was da heute in den Glades passiert ist, je vergessen werde, aber trotzdem. Sicher ist sicher.

Als wir mit dem Essen fertig waren und Totilas sich wieder einigermaßen erholt hatte, machte Edward wie geplant den Anruf bei Henry. Detective Smith erklärte, er habe keine Ahnung, wo Caldwell wohne, leider, und gesehen habe er ihn auch nicht. Aber er wisse, dass Mark eine Ferienhütte habe, irgendwo in den Everglades. Und dann plötzlich hörte Edward seinen Partner überrascht sagen: "Nanu, Mark, was tust du denn hier? Wir haben gerade über dich gered…", und dann ein überraschtes Aufkeuchen, ein Schlag, und dann Stille aus dem Telefon.

Edward rief sofort Mrs. Smith an, versuchte auch, sich nichts anmerken zu lassen, und erfuhr von Henrys Frau, dass ihr Mann zum Angeln in die Glades gefahren sei. Sie konnte auch Henrys Lieblingsangelort ungefähr beschreiben. Und Edward fiel daraufhin ein, dass etliche Polizisten in der Gegend ein Wochenendhäuschen haben, unter anderem auch Lieutenant Book, wo der SID auch schon mal gemeinsam gegrillt hat. Die Chancen standen nicht schlecht, dass Caldwells Hütte da auch irgendwo war.

Edward wusste den Weg, Alex besorgte uns das Boot. In der Gegend mit den ganzen Polizistenhütten angekommen, suchten wir eine Weile herum, ehe wir tatsächlich Caldwells Auto vor einem der Häuser stehen sahen. Von der Hütte führte ein Trampelpfad durch das Unterholz bis zu einer Lichtung - oder eigentlich war es keine Lichtung. Eigentlich war es eine Art natürliche Höhle, wo die Wipfel von Mangrovenbäumen derart eng miteinander verwachsen waren, dass sich ein dichtes Dach ergab. Es war gruselig - ich hatte kurz vor der Lichtung irgendwie das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber das vergaß ich gleich wieder, denn auf der Lichtung führte Caldwell gerade sein Ritual durch.

Ich sah Detective Townsend, geknebelt und an einen Stuhl gefesselt und mit wilden Augen, die durch ihren Knebel hindurch zu sprechen versuchte. Ich sah Detective Smith, an einen Baum gefesselt und aus einer tiefen Wunde langsam verblutend. Und ich sah Detective Caldwell, in der Mitte eines magischen Kreises, der sich gerade mit konzentrierten Bewegungen das Herz aus der Brust schnitt.

Totilas stürmte auf die Lichtung - und voll in einen Ward, den Caldwell dort offensichtlich aufgebaut hatte. Die Wucht der ausgelösten Sicherung schleuderte ihn in einen der umstehenden Bäume, wo er von einem vorstehenden Ast regelrecht aufgespießt wurde. Brrrrr. Aber Totilas kommt mit solchen Verwundungen ja glücklicherweise besser klar als unsereins. Trotzdem rannte ich sofort zu ihm und half ihm da runter, weil ich nicht sicher bin, ob er das alleine so gut geschafft hätte.

Indessen war auch Edward auf die jetzt ungeschützte Lichtung gestürmt und hatte Caldwell in die Mangel genommen, unterstützt von Totilas, sobald der konnte, während Roberto Henry losmachte und sich um dessen Wunden kümmerte. Aber das unterbrach anscheinend das von Caldwell aufrechterhaltene Ritual, denn dessen bislang völlig blutlose Wunden brachen mit einem Mal auf. Mit einem beinahe erstaunten Gesichtsausdruck ging er zu Boden, und er röchelte. "Ich liebe dich, Alison… Ich wollte dir doch nur mein Herz schenken…" Und dann war er still. Ich hatte indessen Alison befreit. Bei dessen Worten sah sie ihren Partner mit wilden Augen an, ein trockenes Schluchzen in der Stimme. „Mark... du blödes Arschloch...“

Um den Ritualkreis herum standen sieben Gefäße mit den schlagenden Herzen seiner Opfer, die Caldwell für sein Ritual benötigt hatte. Sie waren mir zutiefst verdächtig, und ich hatte das starke Bedürfnis, diesen Kreis, der mir so böse vorkam, zu unterbrechen. Also nahm ich eine der Urnen weg. Oder besser, ich wollte. Als ich danach griff, wurde das Geraschel aus dem Dickicht wieder stärker, oder vielleicht wurde mir auch jetzt erst wieder genauer bewusst. Jedenfalls flog plötzlich ein Ast aus dem Unterholz und traf mich an der Schulter – genau der Schulter, die ich mir zuvor in dem alten Lagerhaus geprellt hatte. Was die Verletzung nicht besser machte. Au. Verdammt.

Außerdem wurden jetzt immer mehr Äste und Zweige und Erdklumpen und Steine aus dem Gebüsch nach uns geworfen. Noch konnten wir dem Geschosshagel zwar größtenteils ausweichen, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis uns etwas gefährlich erwischte.

Alex sandte seine Eleggua-gegebenen Sinne aus und stellte fest, dass die Geister der ermordeten Frauen sich im Gebüsch herumtrieben; vermutlich hatten ihre Herzen sie hierher gezogen. Und sie waren alle zu Poltergeistern geworden. Allesamt. Auch Tessa. Somit hatte sie die Unterbrechung des Rituals wohl genauso wenig überlebt wie Caldwell. Die Arme – aber es war besser so...

Dank seiner Fähigkeiten war Alex eigentlich in der Lage, die Geister ins Jenseits zu befördern, und die Gefäße mit den Herzen gleich mit. Aber er wusste, wenn er jetzt ein Tor öffnen würde, dann käme er auf dieselbe Ebene wie die Poltergeister und könnte von ihnen physisch angegriffen werden, statt dass sie ihn nur mit Dingen bewerfen konnten wie uns andere auch. Deswegen zog Edward erst einen weiteren Kreis um Alex und die Herzen, um unseren Freund vor den Poltergeistern zu schützen.

Dann öffnete Alex sein Tor. Für uns sah das so aus, als würde er kurz verschwinden, als er auf die andere Ebene wechselte. Schon nach wenigen Herzschlägen wurde er wieder sichtbar, aber die Gefäße mit den Herzen waren verschwunden, und Caldwells Leiche gleich mit. Und der Beschuss aus dem Unterholz hörte natürlich auch auf.

Also, wir haben überlebt. Der Serienmörder ist gestoppt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht… Tja. Niemand weiß so recht, was aus dem SID werden wird. Mit Lieutenant Book waren sie ohnehin schon immer nur zu fünft, und jetzt ist Caldwell tot, seine Leiche auf unerklärliche Weise verschwunden, und Detective Townsend wird bestimmt für eine ganze Zeit lang dienstunfähig geschrieben bleiben nach diesem Trauma. Aber vielleicht bedeutet das ja, dass sie jetzt wenigstens Edwards und Henrys Suspendierung schneller aufheben, weil sie den Laden sonst gleich ganz dichtmachen können.

Und die andere schlechte Nachricht: Camerone Raith treibt immer noch als Geist ihr Unwesen. Und selbst wenn der Herzschlag, den Alex die ganze Zeit gehört hatte, seit der Unterbrechung des Rituals immer schwächer geworden ist, hält es doch immer noch an, die Grenzen sind immer noch dünn, und Halloween steht vor der Tür… Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Edward Fu am 19.06.2014 | 22:26
Schön. Auch wenn ich es gespielt habe, macht es immer noch Spaß, das ganze zu lesen.
Bin gespannt, wie es weiter geht.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 19.08.2014 | 20:37
Hier mal ein Mitschrieb:

Im Biltmore Hotel trifft Totilas erst auf eine halbnackte, verwirrte Frau; dann will ein axtschwingender älterer Herr seinen Cousin Vin umbringen und wird dabei von Cherie erschossen (leider ist Cousine Marcy, die sich sonst um Leichen kümmert, gerade auf einer Pathologen-Tagung). Außerdem ist jemand vom Dach gesprungen.

Kurze Nachforschungen ergeben, dass die Leute höchstwahrscheinlich von Geistern besessen sind. Eigentlich hat Gerald ja Spencer Declan bezahlt, damit der die Geister aus dem Biltmore fernhält, aber als Edward sich das Ward anschaut, stellt er fest, dass jemand daran herumgespielt und es verändert hat – vermutlich Adlene, sonst können das nämlich nicht viele in Miami. Jetzt zieht das Ritual Geister an statt sie fernzuhalten.

Da morgen Abend ja die alljährliche Halloween-Party steigen soll, können die Raiths auch nicht einfach so ausziehen.

Nach einem Gespräch mit Jack (White-Eagle-Jack) kommen sie zu dem Schluß, dass sie an dem Ritualkreis nicht viel machen können. Also muss das Biltmore irgendwie evakuiert werden.

Damit die Party nicht ausfallen muss (wie sähe das auch aus, wenn Gerald eine Party absagt), wollen sie die Western-Grusel-Party auf eine Ranch verlegen. Während Alex die Ranch besorgt, schnappen sich Roberto, Cardo und Totilas die Partyplanerin Adalind (die PR-Managerin des White Courts, selbst keine Vampirin) und versuchen, sie zu überreden, die seit sechs Monaten geplante und vorbereitete Party noch eben mal schnell bis morgen zu verlegen. Sie ist wenig begeistert und erklärt, das wäre logistisch unmöglich.
Als Totilas ihr reinen Wein einschenkt, meint sie, dann müsse es eben einen guten Grund geben, warum das Biltmore nicht für die Party zur Verfügung steht. Ein Soirée für die wichtigsten Gäste kann sie aber auf der Ranch organisieren.

In der Zwischenzeit hat Edward im Biltmore Gerald getroffen und ist von ihm zu einem Drink eingeladen worden. Die beiden trinken in melancholischer Eintracht, Edward klagt Gerald sein Leid, der lässt durchblicken, dass es bei ihm ja auch nicht so gut läuft. Die beiden trennen sich, bevor einer von ihnen zu emotional wird.

Zurück im Biltmore beschließen sie, das Hotel mit Gestank zu verpesten. Während Edward die Kamera verhext, damit man ihnen das nicht nachweisen kann (Vandalismus!), lenkt Totilas die Angestellt mit betrunkenem und erratischen Gehabe ab. Alex schraubt derweil an einigen Siphons und Abwasserleitungen herum, legt ein paar Querverbindungen, schweißt hier an einem Rohr und da an einer Leitung und voilá – gegen Morgen erfüllt ein bestialischer Gestand das Luxushotel. Es hilft alles nichts: Das Biltmore muss evakuiert werden.

Allerdings hat das einen unschönen Nebeneffekt: Die Raiths werden taktvoll und höflich gebeten, sich doch eine andere Bleibe zu suchen. Die Hoteldirektion macht die wilden Parties der Vampire für das seltsame Verhalten etlicher Gäste verantwortlich, ein paar Drogenfahnder waren auch schon da.
Möglicherweise nicht ganz zu unrecht: Maria Parsen hat auf einigen dieser Parties “Bonbons” und “Tabletten” verteilt oder verkauft.

Jack hat sich recht schnell wieder verabschiedet. Der hat an Halloween bei der Kommune noch Dinge zu tun, weist aber darauf hin, dass die Ritter von Miami ja eventuell ein Auge auf das große Ritual beim Coral Castle haben wollen. Das wird dieses Jahr ja immerhin von Cicerón Linares durchgeführt und nicht, wie sonst üblich, von Macaria Grijalva und ihren Mit-Santerios von der Orunmila.

Da haben sie ja noch ein paar Stunden Zeit, also legen sich Edward, Cardo, Roberto und Alex noch mal kurz hin. Totilas hat in der letzten Nacht schon genug Alpträume gehabt, also macht er sich lieber auf den Weg zum Coral Castle, um noch mal mit dem Letten zu sprechen.
Dort trifft er allerdings auf eine seltsame Figur in einer Rüstung, die vollständig aus roten Korallen besteht. Die Figur spricht mit mehreren Stimmen auf einmal, aber eine Stimme sticht hervor: Natalya, die junge Frau, die im Frühling hier von Pan geopfert wurde. Sie ist nicht gerade gut auf Totilas zu sprechen, aber er findet heraus, dass sie jetzt ein Coral Guardian – ein Wächter von Coral Castle – ist. Es gibt noch drei andere, in blauen, weißen und schwarzen Rüstungen.

Da der Natalya-Guardian ihn nicht zu dem Letten lassen will, geht Totilas wieder, kündigt aber an, dass er abends wiederkommen wird, um gegen die bösen Geister zu kämpfen. Das wird ihm von den Guardians zugestanden.

Am nächsten Morgen treffen sich die Schönen Männer im Donut-Laden (neu wieder aufgebaut!). Während sie noch planen, fliegt plötzlich Alex’ Auto in die Luft. Natürlich laufen alle hin – neben dem Auto liegt ein Schwerverletzter, um den sich Totilas kümmert. An der Wand lehnt ein Mann mit verbrannten Händen und lacht vor sich hin.

Als sie mit ihm sprechen, erzählt er ihnen, er hätte das Auto gesprengt, weil “Jack” es ihm gesagt hätte. “Jack” ist nicht mehr da, aber er kommt bestimmt wieder. Während der ganzen Zeit hält er seine völlig verkohlten Hände hoch und lacht vor sich hin.

Sie schauen sich etwas um, und Cardo sieht, wie sich jemand an Totilas’ Motorrad zu schaffen macht, ein junges Mädchen mit einem Luftballon. Er rennt los, um die Kleine aufzuhalten, und obwohl sie sich merkwürdig schnell bewegt, erreicht er sie.
Sie dreht sich zu ihm um, lächelt ihn strahlend an und schenkt ihm ihren Luftballon. Ja, das ist Jack.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Barbara am 2.11.2014 | 23:06
Mein Mitgeschriebenes:

Totilas hat Alpträume.

Dann passieren im Bildmore Hotel seltsame Dinge:
1. Im Foyer eine aufdringliche Frau auf der "Suche" nach Sex, die offensichtlich unter Drogen steht und von einer Raith-Party kam. Später kann sich dir Frau nicht erinnern, wie sie dort hingekommen ist und was sie dort macht.
2. Bei Vin Raith bricht ein Mann mit einer Feuerwehraxt die Zimmertüre ein, der von Cherie erschossen wird. Die Leiche entsorgt die Familie.
3. Ein Mann springt vom Dach.
4. Ein Mann benimmt sich wie eine Alte Frau.
5. Ein anderer Mann fragt als Kind nach seiner Mama.

6. Die Sigel von Spencer Declan, die Geister fern halten sollen, wurden nachträglich manipuliert.
7. Im Keller haut Edward einen besessenen Hausmeister um. Ein Geist löst sich aus dem Hausmeister. Alex versucht vergeblich, den geist weg zu bringen.
8. Im Keller ist ein Raum mit einem "Zutritt verboten"-Schild an der Türe. Das hält Cardo davon ab, den Raum zu betreten. Cardo versucht, Edward am Betreten zu hindern. Totilas und Roberto betreten den Raum. Im Raum finden sie einen Zauberzirkel und ein komplexes Sigel, das auch manipuliert ist: Jetzt zieht es Geister an.

Wir organisieren, dass die Halloween-Party der Familie Raith ausfällt, weil das Hotel stinkt und für ausgewählte Gäste organisieren wir noch schnell ein Ersatzprogramm auf einer Ranch. Die Familie Raith muss danach das Hotel verlassen und kommt bis zur Fertigstellung des Familienwohnsitzes im Tantras unter.

Da Totilas auf weiter Alpträume verzichtet, geht er nicht schlafen, wie alle anderen, sondern fährt zum Coral Castle, um mit dem Letten mpcj einmal über die Vorbereitungen zum Halloween-Ritual am nächsten Tag zu sprechen. Dort trifft er auf Natalia, die Frau, die von Pan geopfert wurde, nachdem er ihr versprach, sie zu beschützen und versagte. Jetzt ist sie ein Ritter des Corals und beschützt zusammen mit drei anderen Rittern das Coral. Die Ritter tragen eine rote, eine blaue, eine weiße und eine schwarze Rüstung.
Natalia wirft ihm Verrat vor. Morgen wird sie mit ihm kämpfen, aber bei der nächsten Begegnung gegen ihn.

Die Ritter von Miami treffen sich wieder und versorgen die Verletzten. Dann Explodiert Alex Auto. Cardo nimmt einen Ballon an, der böse ist. Alex wird von einer Schlage gebissen. Edward bekommt böses Konfetti ins Gesicht und davon Ausschlag. Dann macht Edward ein Ritual, um die verletzten Ritter zu reinigen.

Totilas macht einen Deal mit seinem Dämon: Er tötet innerhalb eines Mondes einen Menschen, dafür hilft der Dämon, das Wesen zu vernichten, das Totilas Freunde bedroht: Der Dämon bietet die Information: Das Wesen ist ein mächtiger, ungebundener Dämon. Totilas Dämon hat dieses Wesen schon beim großen Ritual und bei der Ausstellung in der Galerie in der Nähe von Adelaine wahrgenommen.

Es ist 19 Uhr, also machen wir uns auf den Weg zum Halloween-Ritual. Dort angekommen, schickt uns Cicerone, der das Ritual dieses Jahr leitet, in einen nahe gelegenen Park.
1. Dort fällt uns ein alter Baum auf, an dem 100 Jahre alte, schwarze Geister hängen. Auch bildet sich an diesem Baum etwas dunkles, magisches.
2. Daneben gibt es dort einen verkommenen Spielplatz, auf dem Drogen genommen wurden.
3. In dem Park sind Tote begraben.
4. Wir kämpfen mit einem dunklen, laufenden Baum.
5. Cicerone hält den Letten in seiner Nische fest, bis der ihm sagt, was in den Sümpfen ist.
6. Camerone ist hier und übt den Job vom Letten aus, d.h. sie schickt die ankommenden Geister umher. Dabei lenkt sie die Wachen des Coral Castle ab, indem sie die Geister gegen die Wachen aufhetzt, um die Wachen vom Letten fern zu halten.
7. Jack ist irgendwo anwesend. Camerone weiß von Jacks Existenz, aber nicht, was er ist. Sie sagt, sie arbeitet nicht mit ihm zusammen.

Wir planen mit Camerones Zustimmung ein Ritual, mit dem wir Camerone an das Castle binden und ihre Position legitimieren. Dafür wollen wir das vorhandene Ritual anzapfen. Dafür müssen wir Ritualkram sammeln.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.11.2014 | 23:34
Packt das doch lieber in den Vorbesprechungs-Thread, oder? :)

Aber falls das ein Wink mit dem Zaunpfahl sein soll, ich bin dran. :D
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 10.11.2014 | 11:06
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 3

Nach der Sache in den Everglades war an Schlaf natürlich erstmal nicht zu denken. Aber irgendwann waren dann unsere Aussagen aufgenommen, der Tatort gesichert, Henry und Alison ins Krankenhaus transportiert, und so kamen wir doch noch zu ein paar wenigen Stunden Nachtruhe. Theoretisch jedenfalls. Einschlafen konnte ich lange nicht, und als ich es dann tat, wurde ich von ziemlich beunruhigenden Träumen heimgesucht. Dass es nicht schlimmer war, habe ich dabei auch nur George zu verdanken, glaube ich, der schon vorher alles auffraß, was auch nur im Entferntesten danach aussah, als wolle es sich zu einem Alptraum auswachsen.

Das ist jetzt einige Tage her. Edward wurde inzwischen tatsächlich wieder in den Dienst berufen – und er hat auch zwei neue Kollegen. Suki Sasamoto und Salvador Herrero heißen die beiden, und sie scheinen ähnlich begeistert zu sein wie alle anderen, zum SID mehr oder weniger zwangsversetzt worden zu sein. Was die Gründe dafür sind, hat Edward noch nicht herausbekommen, aber so gut kennt er die beiden ja auch noch nicht.

Gestern dann rief Totilas uns mit einem Notruf ins Biltmore. Da waren nämlich sehr seltsame Dinge am Laufen.
In der Empfangshalle des Hotels wankte eine derangierte, mehr als nur leicht bekleidete Frau herum, die sich so ziemlich an jedes männliche Wesen heranwarf, das nur irgendwie in Reichweite war. Und dabei machte sie auch mit ihren Worten sehr deutlich, was sie von den so Angesprochenen genau wollte.

Als wir im Biltmore ankamen, war Totilas gerade dabei, die Dame unter den leicht verzweifelten Blicken des Rezeptionschefs in einen Nebenraum zu verfrachten. Der Notarzt war wohl auch schon bestellt. Das war aber bei weitem nicht der einzige Gast, der sich seltsam verhielt. Oben im von den Raiths angemieteten Flügel war Totilas zuvor schon auf einen anderen Gast gestoßen, einen gesetzten älteren Herrn, der mit einer Axt in der Hand gerade die Tür von Totilas‘ Cousin Vin öffnen wollte. Was dann geschah, erzählte Totilas nicht so genau, nur dass Cherie „da gewesen sei“.  Seufz. Da wollte dann vor allem Edward nichts Genaueres wissen.

Da außerdem noch jede Menge andere Leute mit seltsamem Benehmen im Biltmore herumstreiften und sich tatsächlich jemand vom Dach gestürzt hatte, dauerte es nicht lange, bis jemand die Polizei alarmierte. Und es tauchten nicht nur gewöhnliche Streifenpolizisten auf, sondern nein, Beamte vom Drogendezernat, um Gerald Raith zu den Parties zu befragen, die im Raith-Flügel ja jede Nacht gefeiert werden. Was vielleicht nicht ganz ohne Grund geschah: Immerhin hat Antoine vom Sommerhof sein Geschäft mit den Feendrogen nicht komplett aufgegeben, auch wenn er von den Traumfresser-induzierenden Substanzen inzwischen glücklicherweise absieht, und Mrs. Parsen hat auf den Raith-Parties diese „Bonbons“ wohl eifrig unter die Leute gebracht.

Was mich daran erinnert, dass Edward erzählt, seine Mutter sehe wirklich jedesmal, wenn er sie trifft, jünger und strahlender aus. Mittlerweile wirkt sie anscheinend wie eine Mitt-Zwanzigerin. Ich kann mir vorstellen, dass Edward das gelinde gesagt ... irritierend findet und seiner Mutter so weit als möglich aus dem Weg geht.

Jedenfalls.

Es war ganz gehörig etwas faul im Biltmore Hotel, und es gehörte nicht sehr viel dazu, um zu dem Schluss zu kommen, dass all diese Leute von irgendwelchen Geistern besessen waren. Nun hatte Gerald Raith ja eigentlich eine ganze Menge Geld ausgegeben, damit Spencer Declan genau gegen solche Vorkommnisse einen Schutzzauber um das Biltmore legen sollte, also hatte entweder Declan geschlampt (unwahrscheinlich), oder da war irgendetwas anderes schiefgegangen.

Wir fanden Declans Vorrichtung im Keller hinter einer offensichtlich von ihm mit einem geistigen Ward gesicherten Tür – wer das Schild „Betreten Verboten“ sah, wollte wirklich, wirklich, wirklich nicht in diesen Raum. Also ich jedenfalls nicht. Ich war mir mit einem Mal vollkommen sicher, dass dahinter etwas unaussprechlich Schreckliches lauern musste. Ich konnte Edward da nicht reingehen lassen; er stürzte sich immer ohne Ansinnen der Gefahr in jedes noch so selbstmörderische Risiko, fand ich plötzlich. Und dort hineinzugehen, wäre der sichere Selbstmord, davon war ich überzeugt. Also versuchte ich ihn zurückzuhalten, und zwar mit aller Kraft. Natürlich ist Edward stärker als ich, also machte er sich vergleichsweise mühefrei los. Ich baute mich trotzdem wieder vor ihm auf, und wer weiß, wie die Sache noch weitergegangen wäre, wenn Alex sich nicht überwunden und die Tür geöffnet hätte. Sobald das Schild zur Wand zeigte, so dass wir es nicht mehr ständig ansehen mussten, war das Gefühl nämlich weg.

In dem Raum stellte Edward jedenfalls fest, dass an dem dort aufgebauten Ritual herumgespielt worden war. Er konnte auch analysieren, was es jetzt tat, nämlich das genaue Gegenteil von dem, was es eigentlich sollte: Geister anziehen, anstatt sie abzuhalten. Wenn nicht Declan selbst die Sabotage an seinem eigenen Ritual vorgenommen hatte (extrem unwahrscheinlich), konnten das nicht allzuviele Leute gewesen sein. Adlene mit seiner Spezialisierung auf Geister fiel uns ein – ansonsten gibt es in der Stadt nämlich nicht allzuviele Praktizierer, die so etwas überhaupt beherrschen.

Edwards Fähigkeiten reichen jedenfalls nicht aus, um die Pfuscherei einfach wieder rückgängig zu machen, sagte er. Und auch Jack White Eagle, den wir um Hilfe baten und der freundlicherweise trotz seines eigenen Halloween-Stresses eigens zum Biltmore kam, um sich das Ganze anzusehen, war der Ansicht, dass da nicht sonderlich viel auszurichten sei. Mierda.

Und heute abend soll eigentlich hier die traditionelle Raith'sche Halloweenparty steigen. Mit jeder Menge neuem Futter für die besetzungswütigen Geister... Und natürlich können die Raiths auch nicht einfach mal eben so ausziehen. Und die Party ausfallen lassen schon gleich gar nicht. Das ist immerhin eine Raith-Party. Denn Gerald Raith hat ja gerade ziemlich viel Ruf zu verlieren und könnte sich eine solche Blamage keinesfalls leisten. Doppel-Mierda.

Aber das Motto der Party soll ja „Gruselwestern“ sein. Was, wenn sich die Party auf eine Ranch verlegen ließe, um das Western-Flair zu unterstützen? Dann müsste niemand merken, dass der Umzug eigentlich aus der Not geboren wurde...
Alex ließ also schon mal seine Kontakte spielen, um ein passendes Ranchgelände aufzutun, während Totilas, Roberto und ich uns Adalind schnappten, die Partyplanerin der White Courts (und selbst keine Vampirin). Die ist schon seit einem halben Jahr mit den Vorbereitungen für die Feier beschäftigt und war entsprechend unkooperativ. Eine Verlegung der gesamten Party sei logistisch völlig unmöglich, befand sie.

Es ging nicht anders, wir mussten Adalind gegenüber mit der Wahrheit herausrücken, warum die Verlegung dennoch absolut notwendig war. Totilas brachte ihr das also bei, und nach einigem Nachdenken erklärte Adalind, wenn es einen guten Grund gäbe, warum die Party nicht im Biltmore stattfinden könne, dann könne auch niemand Gerald einen Strick daraus drehen. Und eine Soiree auf der Ranch für einen verkleinerten Gästekreis von nur den wichtigsten Personen bekäme sie hin.

Einen guten Grund... also einen, der nicht nur auf die Raiths zeigen würde, sondern das ganze Hotel beträfe... eine vollständige Evakuierung also, oder zumindest eine von einem größeren Teil des Gebäudes als nur des Raith-Flügels. Aus höherer Gewalt, den man weder auf die Raiths noch auf uns würde zurückführen können. Hm. Da musste sich doch was machen lassen...

Während wir anderen mit Adalind redeten, war Edward übrigens bei Gerald. Ich weiß gar nicht genau, was eigentlich der Grund war, und was sie besprochen haben, darüber verlor Edward hinterher auch kein Wort. Geht mich auch nichts an.

Aber als wir dann wieder alle beisammen waren, hatte irgendwer, ich weiß gar nicht mehr, wer genau, die brilliante Idee für Geruchsbelästigung. Oder sagen wir, in der Theorie brilliant. In der Praxis war der Plan gar nicht so leicht umzusetzen. Immerhin war es inzwischen spät am Abend, das Hotel also auf Nachtbetrieb umgestiegen. Aber ein Haus wie das Biltmore ist auch in der Nacht nie vollständig ruhig, und wir durften uns auf keinen Fall erwischen lassen.

Also teilten wir uns auf. Einige Konstruktionszeichungen des Gebäudes ließen sich irgendwie auftreiben, anhand derer Alex sein Vorhaben besser planen konnte. Und dann lenkte Totilas alle Aufmerksamkeit auf sich und von uns weg, indem er in der Lobby eine betrunkene, exzentrische Szene aufführte, während Edward mit seiner technik-tötenden Aura die Kameraanlage des Hotels verhexte, damit es keine Aufzeichnungen für unser Tun gäbe. Roberto und ich wiederum gingen Alex zur Hand, als dieser – wie auch immer er das machte; manchmal glaube ich fast, sein handwerkliches Geschick ist auch eine Art Magie, oder wenigstens eine Art übernatürliches Talent – hier ein bisschen schraubte, da ein bisschen schweißte und auf diese Weise irgendwie die Abwasserleitungen mit der Klimaanlage verband.

Als er fertig war, merkte man die Veränderung nicht sofort, aber gegen Morgen durchzog ein absolut widerwärtiger Gestank das gesamte Hotel. Beschwerden der Gäste, helle Aufregung bei Personal und Management, und das Ende vom Lied: die Evakuierung des Biltmore. Ohne dass irgendjemand auf die herummarodierenden Geister aufmerksam geworden wäre oder uns mit der Sabotage in Verbindung gebracht hätte. Ha.

Dummerweise nur war dieser Vorfall der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mit dem Gestank konnte man die Raiths zwar nicht in Verbindung bringen, aber die Direktion hielt die exzentrischen Dauermieter für schuldig an dem überspannten Verhalten der Gäste in letzter Zeit, die ständigen wilden Parties belästigten die anderen Gäste, und dass jetzt auch noch die Drogenfahndung im Hotel erschienen war, sei gar nicht mehr haltbar. Daher wurden die Raiths überaus höflich und respektvoll gebeten, nach der Evakuierung ihren Flügel nicht wieder zu beziehen, sondern eine andere Unterkunft zu nehmen.

Nicht gut. Denn Totilas' Mutter hat ja ihre Rachepläne noch immer nicht aufgegeben, und im Biltmore hatte Totilas zumindest den Schutz seiner  übrigen Verwandtschaft. Natürlich ist der Wiederaufbau des Raith-Anwesens in den zwei Jahren seit seiner Zerstörung schon sehr weit vorangeschritten, aber fertig ist es eben noch nicht, und so lange wird Totilas irgendwo eine eigene, einzelne Wohnung finden müssen, es sei denn, Gerald gelingt es, mit einem anderen Hotel einen ähnliche Langzeitvereinbarung zu treffen wie mit dem Biltmore.

Achso. Jack. Der bat uns vor seiner Rückkehr in die Kommune noch, uns um das jährliche Día de los Muertos-Ritual am Coral Castle zu kümmern. Denn eigentlich waren bisher immer die Orunmila dafür verantwortlich, beim Coral Castle aufzupassen und dafür zu sorgen, dass alles in geordneten Bahnen abläuft, dass die Geister der Toten um Mitternacht wieder zurückkehren und dass irgendwelche eventuell gefährlichen Geister erst überhaupt nicht herausgelassen werden. Dieses Jahr allerdings haben die Santo Shango das Privileg erhalten. Das war Cicerón Linares' Preis für die Rückgabe der Yansa-Maske. Und das ist Jack irgendwie ... nicht so recht geheuer. Und außerdem ist er ja extra ins Biltmore gekommen, obwohl er eigentlich anderes zu tun hatte, also können wir ihm auch einmal einen Gefallen tun.

Allerdings war es eine lange Nacht, und wenn wir heute Abend dieses Ritual am Coral Castle überwachen sollen, dann sollten wir besser fit sein. Deswegen habe ich das hier gerade schnell aufgeschrieben und werde mich jetzt noch ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Die anderen wohl auch, ehe wir uns nachher im Dora's wieder treffen.

---

Später. Wieder mal würde ich nur im Weg stehen, während Edward ein Ritual vorbereitet, also habe ich mir mein Tagebuch geschnappt und schreibe. So habe ich wenigstens keine Zeit, irgendwas Blödes zu machen. Oder drüber nachzudenken, was für ein elender Idiot ich schon wieder war, dass ich diesen verdammten verfluchten Luftballon angenommen habe.

Aber der Reihe nach. Wir trafen uns im Dora's, wie geplant. Dort erzählte uns Totilas, dass er nicht wie wir anderen den Vormittag verschlafen hatte. Statt dessen war er alleine zum Coral Castle hinausgefahren, weil er ja nicht so viel Schlaf braucht, weil er ohnehin nur Alpträume gehabt hätte und weil er mit dem Letten Leedskalnin reden wollte. Das gelang ihm allerdings nicht. Denn mit einem Mal wurde ihm der Weg von einer Art Ritter versperrt - in einer Rüstung, die ganz und gar aus roter Koralle bestand.

Als diese Gestalt das Wort ergriff, sprach sie mit vielen verschiedenen Stimmen zugleich, wobei eine davon den Ton angab und auch von Totilas erkannt wurde: Es war die Stimme von Natalya, dem russischen Mädchen, das wir zur Sommersonnenwende nicht hatten retten können. Oh Dios. Natalya bezichtigte Totilas des Verrats und weigerte sich, ihn zum Letten durchzulassen. Aber immerhin bekam er heraus, dass sie durch das Ritual der Sommerfeen zu einem "Coral Guardian" geworden war - sie ebenso wie die anderen geopferten Mädchen. Das waren dann wohl die drei anderen Wächter des Coral Castle, die, in schwarze, weiße und blaue Rüstungen gewandet hinter ihrem roten Kollegen warteten. Und die für die drei anderen Elemente standen, offensichtlich, denn Natalya war ja im Feuer gestorben.

Totilas gelang es dann noch, mit den Guardians auszumachen, dass er am Abend wiederkommen würde, weil er da gegen die bösen Geister kämpfen müsse. Das hörten die Schutzgeister des Coral Castle zwar alles andere als gerne, erklärten aber, in dieser Ausnahmesituation würden sie mit ihm kämpfen – sollte er allerdings ein andermal zurückkehren, würden sie sich gegen ihn wenden. Mit diesem Kompromiss musste er sich dann wohl oder übel zufrieden geben und trat den Rückzug an, um sich mit uns zu treffen.

Im Dora's hatte unser Freund uns gerade seine Erlebnisse erzählt, und wir waren gerade am Überlegen und Planen für den Abend, da wurde die Straße draußen plötzlich von einer Explosion erschüttert. Und durch das Fenster konnten wir sehen, dass es Alex' Auto war, das er ganz in der Nähe des Donut-Ladens geparkt hatte. Natürlich war es ein Schock, natürlich kam es völlig unerwartet, aber seltsamerweise war ich tief im Innersten trotzdem nicht wirklich überrascht.

Draußen bot sich uns ein Bild der Verwüstung.
Trümmer überall. Schreie. Rufe. Panisch rennende Menschen. Leichtverletzte. Schwerverletzte. Um einen davon kümmerte sich Totilas, aber da waren so viele. An einer Wand lehnte ein Mann. Er lachte und lachte und lachte, und es schien ihn gar nicht zu kümmern, dass seine Hände völlig verbrannt waren.

Da ging definitiv etwas nicht mit rechten Dingen zu, also befragten wir den Mann, während wir erste Hilfe leisteten und auf den Krankenwagen warteten. Ja, er sei es gewesen, der das Auto gesprengt habe, gestand er kichernd. Starrte seine schwarzgekohlten Hände an und lachte wieder sein gruseliges, irres Lachen. Warum? Na, weil Jack es ihm gesagt habe.

Bei dem Namen „Jack“ blieb uns erst einmal die Sprache weg. Aber er meinte natürlich nicht unseren Freund White Eagle, soviel war sicher. Stattdessen hatte ich vor meinem geistigen Auge sofort Jack Skellington aus Tim Burtons „Nightmare before Christmas“ vor Augen. Muss an Halloween liegen.

Wenn Alex' Auto in die Luft gejagt worden war, hatte irgendwer vielleicht auch unsere anderen sabotiert? Und tatsächlich: An Totilas' Motorrad machte sich ein junges Mädchen zu schaffen. Ich rannte hin, die Kleine davon. Sie tanzte regelrecht vor mir her, und ich hatte das deutliche Gefühl, sie erlaube es mir, sie einzuholen.
Das Mädchen hielt einen Luftballon an einer langen Schnur fest, und als ich sie erreicht hatte, hielt sie an, drehte sich zu mir um und hielt mir mit einem strahlenden Lächeln ihren Luftballon hin. Und ich war so perplex, dass ich den Ballon annahm.

Als ich das tat, hüpfte das Mädchen von einem Bein auf das andere und lachte. Und es war dasselbe irre Lachen, das auch der Mann mit den verbrannten Händen gehabt hatte. Ich hatte „Jack“ vor mir, ganz eindeutig. Aber ehe ich noch groß reagieren konnte, drehte die Kleine sich um und hüpfte davon, und diesmal gelang es mir nicht, sie einzuholen.

Bei Totilas' Motorrad hatten die Jungs inzwischen herausgefunden, dass das von Jack besessene Mädchen tatsächlich etwas damit angestellt hatte: Eine in buntes Geschenkpapier eingewickelte Box war mit verdächtig aussehenden Kabeln an der Maschine befestigt worden. Dummerweise stellte sich eines der "Kabel" als Schlange heraus, die Alex (denn er war es natürlich, der sich um das Entschärfen der Bombe kümmern musste) in den Unterarm biss. Dabei sprang der Kasten auf - gracias a Dios war es aber doch keine Bombe, sondern "nur" eine mit Konfetti in allen Farben des Regenbogens gefüllte Schachtel, das jetzt von einem Schachtelteufel (einem Jack-in-the-Box, ahahaha) heraus- und Edward voll ins Gesicht geschleudert wurde.

Meinem und Edwards Autos war glücklicherweise nichts passiert, also kamen wir einigermaßen von dort weg, als die ganze Aufregung sich etwas gelegt hatte. Und stellten fest, dass nicht nur Alex' Schlangenbiss ziemlich übel war, obgleich unser Kumpel die Wunde gleich aufgeschnitten und das Gift hatte herausbluten lassen, sondern dass auch das Konfetti und der Luftballon viel mehr waren, als es den ersten Anschein gehabt haben mochte. Denn von Alex' Arm aus wandern inzwischen dunkle Linien langsam seinen Arm hinauf. Und Edwards Gesicht ist von einem Ausschlag befallen, der leicht anfing, aber zusehends schwerer wird, und der inzwischen auch schon seinen Hals hinabgewandert ist. Es juckt höllisch, sagt er, und wer weiß, was dieses Teufelszeug sonst noch alles mit ihm anrichten wird? Oder das Gift mit Alex? Oder der Luftballon mit mir?

Das ist nämlich kein normaler Luftballon, Römer und Patrioten. Als ob ich mir das nicht sowieso schon gedacht hätte. In der ganzen Aufregung um die Konfettibombe hatte ich den blöden Luftballon irgendwann einfach losgelassen, und er war davongeschwebt. Aber nicht weit. Als ich irgendwann hochschaute, schwebte er da über meinem Kopf, etwa zwei Meter über mir, und folgte mir auf Schritt und Tritt. Auch, als wir ins Auto stiegen und davonfuhren, flog er mir nach. Also haben wir nochmal angehalten. Wir fingen den Luftballon wieder ein und banden ihn irgendwo fest, sogar innerhalb eines Gebäudes, aber als wir dann bei Edward ankamen, schwebte der verdammte Ballon wieder über mir, als sei er nie weggewesen. Na gut, wirklich getan hat er mir bisher nichts, nicht so wie Alex' Schlangengift oder Edwards Konfettiausschlag, aber das Ding kam aus derselben Quelle, und es ist mir sowas von nicht geheuer. Dieser "Jack", wer auch immer er sein mag, will uns nichts Gutes. Oh nein.

Wir riefen dann unseren eigenen Jack an, und als wir dem die Symptome beschrieben, wollte er uns eigentlich am liebsten gleich in die Kommune zitieren. Das klänge ihm schwer nach einem Fluch oder etwas in der Art, meinte er, und da sei eine Reinigungszeremonie vonnöten. Aber er hat gerade überhaupt keine Zeit, uns dabei zu helfen, deswegen muss Edward das Ritual alleine durchziehen. Na toll. Aber der kann das. Und wenigstens müssen wir so nicht schon wieder nackig in die Schwitzhütte. Aber jedenfalls ist Edward jetzt halt gerade am Vorbereiten. Und da ich momentan nichts mehr zu schreiben weiß, White Eagle und Edward aber immer noch an den Vorbereitungen für dieses Reinigungsritual sind, werde ich, glaube ich, ein kleines Nickerchen machen. Vielleicht kann ich George treffen, und vielleicht weiß der mehr über diesen ominösen "Jack".
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 11.11.2014 | 18:10
Ich habe George getroffen. Und gesehen, wie der Luftballon sich im Nevernever auswirkt. Brrrrr.

Als ich einschlief, fand ich mich in der Traumwelt auf einer weiten Ebene wieder. Es war Nacht, aber nicht einfach nur Nacht. Alles wirkte zutiefst beängstigend und gruselig. Die wenigen Büsche und Bäume, die zu sehen waren, sahen eher wie schmerzverzerrte, schreiende Fratzen oder wie Ungeheuer aus denn wie harmlose Gewächse. Der Himmel tiefschwarz, sternenlos, und der Mond... Der Mond war der Luftballon, der im Traum noch viel böser wirkte als in Wirklichkeit, mit einem aufgemalten Maul mit nadelspitzen Zähnen und tiefrot statt orangefarben. Und das trübe Licht des Ballonmondes bedeckte die Erde und ließ sie erscheinen, als sei sie von Blut getränkt.

George war zwar irgendwo in der Umgebung, aber er zitterte förmlich, traute sich nicht zu mir heran.
Ich konzentrierte mich mit aller Macht und versuchte, die Umgebung zu verändern, umzuimaginieren - immerhin war es mein Traum, verdammt! -, und so gelang es mir, die bedrohliche Stimmung ein wenig aufzuhellen. Nicht komplett, aber es gelang mir, den Ballonmond etwas beiseite zu schieben und den echten Mond am Traumhimmel erscheinen zu lassen. Dessen Licht fiel in einem beinahe gebündelten Strahl auf die Erde, wo ich stand, und erhellte in einigen Metern Umkreis die Landschaft etwas, und in dem Licht wirkten die Büsche und Bäume nicht mehr so gruselig, die Erde nicht mehr so blutrot, sondern normal braun.

Jetzt endlich wagte sich auch George in meine Nähe; er schien sogar sehr erleichtert, als er aus den unheimlichen Aura der übrigen Szenerie heraus und in den kleinen, hellen Lichtkegel kommen konnte.
Ich erzählte meinem Wyldfae-Freund, was geschehen war, und George schimpfte mich - zu Recht, muss ich zugeben - erst einmal fürchterlich aus, wie ich so etwas Dummes nur habe machen können und diesen Luftballon annehmen! Er sagte, da sei eine tief-, tiefschwarze Aura um mich her, und er könne spüren, dass das Ding sich irgendwie an mich angehängt habe, und diese Verbindung sei so einfach nicht zu zerstören. Aber gut, das hatte ich mir ja schon gedacht, deswegen war Edward draußen in der Wachwelt ja dabei, das Reinigungsritual aufzubauen.

Ich versprach George, dass wir schon dabei seien, uns um das Problem zu kümmern, und fragte ihn dann nach dem "anderen" Jack. Er wusste nicht viel über ihn, oder er konnte das, was er wusste, nicht sagen, nur dass dieser Jack sehr, sehr böse sei. Und dass er ihn über diesen Ballon in meiner Nähe spüre. Viel mehr war aus ihm nicht herauszubekommen, und George war auch sehr daran gelegen, aus meiner gruseligen Traumlandschaft wegzukommen, also ließ ich ihn gehen und machte mich selbst ans Aufwachen.

Totilas hatte inzwischen eine ganz ähnliche Idee gehabt wie ich. Naja, nicht ganz. Es ist ziemlich vermessen, Totilas' Dämon mit meinem kleinen Traumfresser-Freund zu vergleichen, und eines ist sicher: Ich wollte nicht in Totilas' Haut stecken. Aber wie dem auch sei, Totilas hatte aktiv das Gespräch mit seinem Dämon gesucht, während ich schlief, und einen Deal mit ihm gemacht. Was genau für einen Deal, das sagte unser White Court-Kumpel uns nicht, aber ganz ehrlich: Ich kann es mir ungefähr vorstellen. Jedenfalls, für was auch immer Totilas ihm versprechen musste, rückte sein Dämon mit folgenden Informationen heraus: Wir kennen "Jack" bereits. Oder besser, Alex kennt Jack bereits und hat uns von ihm erzählt. "Jack" ist der brutal aussehende Geist, der Alex zuerst bei der Vernissage in der Galerie auffiel und den wir bisher immer den "Bodyghost" genannt hatten, weil er sich wie ein Leibwächter ständig in Adlenes Nähe aufhielt. Der, vor dem die Geister in der Schule sich alle versteckt hatten. Nur sei er gar kein Geist, erfuhr Totilas jetzt, sondern ein freier Dämon, der sich vermutlich um seines eigenen Vorteils bei Adlene aufhalte oder mit Adlene irgendeinen Deal gemacht habe, aber jedenfalls nicht, weil Adlene ihn mit seinen Geisterversklavungsspielchen an sich gebunden hat. Auch bei dem Ritual, in dem wir Adlene das schlechte Karma angehext hatten, falls er Böses täte, habe Totilas' Dämon diesen Jack schon gesehen, sagte er.

    ...     

In einer Sprechblase in einem Comic würden die obigen drei Pünktchen Comic-Cardos Sprachlosigkeit anzeigen.
Denn ich war ziemlich sprachlos ob dieser Neuigkeit, Römer und Patrioten. Bin es noch. Ein mächtiger Dämon, der ungebunden agieren kann und es offensichtlich auf uns abgesehen hat? Santissima Madre, ayudanos!

Aber Jack oder nicht Jack, Dämon oder kein Dämon, es ist Halloween, es wird langsam dunkel, und die Día-de-los-Muertos-Zeremonie am Coral Castle wird bald beginnen. Also müssen wir das Problem Bodyghost wohl oder übel hintenanstellen und erstmal losfahren. Das Reinigungsritual ist nämlich inzwischen auch abgelaufen, und Edward ist sich sicher, dass die Flüche von uns genommen seien. Was wir unter anderem auch daran merken konnten, dass Edwards Ausschlag verschwunden ist, die Adern in Alex' Arm wieder ihre normale Färbung angenommen haben und mein Luftballon mit einem dumpfen Plopp geplatzt ist.

---

Also gut. Das war... unerwartet. Und nein, der Día de los Muertos ist noch nicht vorüber. Wir haben nur gerade so etwas wie eine Atempause.

Als wir am Coral Castle ankamen, waren Cicerón Linares und seine Santo Shango bereits vor Ort, alle für ein Santería-Ritual ausgerüstet und gekleidet. Auch Ilyana Elder war dabei, oder zumindest jemand, der die Yansa-Maske trug und vom Körperbau her ungefähr Ilyana sein konnte.
Lineares zeigte sich, wenn nicht erleichtert, so doch nicht verärgert darüber, dass wir aufgetaucht waren, sondern schien bereit, unsere Hilfe anzunehmen. Er schickte uns zu einem kleinen Park etwas abseits vom eigentlichen Coral Castle, weil er meinte, dass auch dort die Grenze dünn sei und jemand ein Auge darauf haben solle. Dort gebe es einige Geister, die besser nicht in die Stadt hinausgelassen werden sollten.

In dem Park fand Alex tatsächlich einige "dünne" Stellen, die wir näher begutachten wollten. Erstens war da ein Kinderspielplatz mit Sandkasten, wo Alex die Geister einiger junger Leute sah, die hier anscheinend an einer Überdosis gestorben waren. Außerdem stand in der Mitte des Rasens ein alter, mächtiger Baum. Auch hier gab es laut Alex einige Geister, und zwar diejenigen von fünf Schwarzen, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts hier von einem weißen Lynchmob erhängt worden waren.

Zunächst konnten wir die Geister nicht sehen, doch als der Abend weiter voranschritt und es auf Mitternacht zuging, wurden sie auch für uns sichtbar - zuerst nur vage, schemenhaft, durchscheinend, doch dann immer dichter und stofflicher werdend, und als es Mitternacht schlug, waren sie ganz und gar körperlich geworden und schienen jetzt ihre Umgebung erstmals zu bemerken. Dann machten sie sich sehr zielstrebig auf in Richtung Parkausgang.

Alex und ich kümmerten uns um die Geister der Drogentoten im Sandkasten, während Totilas, Roberto und Edward versuchten, die Gelynchten aufzuhalten. Roberto und Totilas hatten dabei ein deutlich größeres Problem als Edward, da die Geister ihn zunächst in Ruhe ließen und sich auf die verhassten Weißen stürzten. Aber als Edward dann für seine Freunde Partei ergriff und die Geister der Gelynchten ebenfalls daran hindern wollte, den Park zu verlassen, wurde es auch für ihn unschön. Die fünf Geister beschimpften ihn aufs Heftigste als "Hausnigger" und "Schoßhündchen der weißen Massas" und griffen ihn daraufhin ebenso an wie Roberto und Totilas auch. Edward knurrte etwas zurück, das verdächtig nach "Polizeinigger, wenn schon!" klang, ehe er sich auf die Gegner stürzte.

Über den Kampf gegen die Geister will ich gar nicht so viele Worte verlieren. Es gelang uns schließlich, sie ins Nevernever zurückzuschicken, von wo sie zumindest diese Nacht nicht mehr zurückkommen werden, versicherte Alex. Wie es nächstes Jahr dann aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Aber viel bedrohlicher war das, was nun auf uns zukam: Dort an dem Baum nämlich bildete sich eine Gestalt heraus. Ebenfalls baumförmig, aber schattenhaft, oder dunkel, keinesfalls normal jedenfalls. Und dieser Schattenbaum machte sich von dem richtigen Baum in der Parkmitte los und begann sich ebenfalls zu bewegen, und zwar auch in Richtung Ausgang.

Das war der üblere Gegner als die einfachen Geister zuvor, und es erforderte unser aller Geschick und Kraft und Ideen - und nicht zu vergessen einen Lastwagen, der oben auf der benachbarten Brücke gerade vorbeifuhr -, um den Baum aufzuhalten. Der Lastwagenfahrer war verständlicherweise ziemlich geschockt, als er erkannte, in was er da gerade hineingefahren war, aber Alex gelang es, ihn einigermaßen zu beruhigen.

Als der Park somit unter Kontrolle war, kehrten wir ins Coral Castle zurück, um zu sehen, ob Cicerón Linares dort noch irgendwie Hilfe brauchte. Und stellten fest, dass er uns ganz offensichtlich doch nur deswegen in den Park geschickt hatte, um uns am Castle selbst los zu sein.

Denn Edward Leedskalnin, der Lette, der Geist, der hier am Coral Castle die Fäden in der Hand hält und einen bedeutenden Anteil daran hat, dass am Día de los Muertos und zu anderen Gelegenheiten keine unerwünschten Geister in unsere Welt wechseln und hier Unheil anrichten, der Lette also war nirgends zu sehen. Statt dessen stand Camerone Raith in der Mitte des Coral Castle und machte Leedskalnins Arbeit: sprich, sie war es, die die aus der Totenwelt hervorquellenden Geister, die nichts weiter wollten, als ihre Familien zu besuchen, in die richtige Richtung zu lenken.

Und so schwer mir das fällt, muss ich gestehen: Camerone Raith machte ihre Sache richtig gut. Nun habe ich natürlich keine Ahnung, wie schwierig das ist, aber Camerone dirigierte die Heerscharen von Geistern scheinbar völlig entspannt und mühelos und war ganz und gar in ihrem Element.

Der Lette war deswegen aber immer noch nicht zu sehen, und Cicerón Linares genausowenig. Also machten wir uns auf die Suche nach entweder dem einen oder dem anderen. Und fanden beide. Cicerón und zwei seiner Leute hatten sich in der Nische des Letten verschanzt und eine magische Barriere davorgelegt, durch die der Geist des Coral Castle nicht entkommen konnte. Und Linares war gerade dabei, Leedskalnin aufs Schärfste auszufragen. Und zwar wollte er von dem Letten wissen, was da genau in den Sümpfen los sei, was es damit auf sich habe, und genau das war eine Auskunft, die dieser nicht zu geben bereit war. Also griff Linares zu Drohungen, bis hin zu der, den Letten auszulöschen, falls dieser nicht kooperiere. Uns bemerkte Linares zwar, schien sich aber nicht groß darum zu scheren, ob wir hörten, was er zu Leedskalnin zu sagen hatte, oder nicht. Allerdings legte er uns durchaus nahe, dass wir hier an der Nische des Letten nicht unbedingt etwas zu suchen hätten.

Das erklärte auch, warum Camerone Raith gerade Leedskalnins Job machte. Aber nicht nur. Denn es wurde sehr schnell sehr deutlich, dass Totilas' Urgroßmutter das nicht nur einfach so machte, weil Not an der Frau war. Oh nein. Camerone Raith will den Job des Letten, und zwar permanent. Und so schickte sie nicht nur die Geister der Toten in Richtung ihrer Familien, wie wir das anfangs gedacht hatten. Sie hetzte sie auch aktiv gegen die Coral Guardians, damit diese sich mit ihnen beschäftigen mussten und keine Zeit hatten, sich um Leedskalnin zu kümmern und diesen zu beschützen.

Dass Camerone diese Aufgabe übernehmen möchte, gab sie uns gegenüber im Gespräch auch offen zu. Sie will diesen Job permanent haben, am besten, indem sie über ein Ritual für immer an diesen Ort und an diese Position gebunden wird. Sie war auch bereit, uns Auskunft über "Jack" zu geben: Camerone kennt Jack, oder besser, sie weiß um dessen Existenz, aber sie weiß nicht, wer oder was er genau ist. Sie kann ihn hier in der Nähe spüren, sagte sie, er treibt sich hier irgendwo herum, aber sie hat nichts mit ihm zu tun, sie arbeitet nicht mit ihm zusammen.

Also, dieses Ritual. Wir - oder besser, die Magiebegabten unter uns, sprich Edward - könnten Camerone helfen. Wir könnten ein solches Ritual durchführen, oder besser, das derzeit laufende Ritual umwidmen, erweitern, so dass sie dadurch an den Ort gebunden und ihre Position legitimiert wird. Aber wollen wir das?
Es wäre vermutlich das Ende des Letten. Es würde Camerone erschreckend viel Macht verschaffen. Andererseits wäre sie dann für immer an das Coral Castle gebunden und könnte hier nicht fort, ganz ähnlich, wie Leedskalnin es momentan auch nicht kann. Was ist gefährlicher? Eine Camerone in diesem Job oder eine, die frei herumgeistert? Wenn wir dieses Ritual für sie durchzögen, wäre sie uns auch zu Dank verpflichtet... wir könnten gewisse Bedingungen daran knüpfen, dass wir ihr helfen...

Um all dies zu besprechen und zu beratschlagen, haben wir uns jedenfalls gerade etwas vom Castle zurückgezogen. Ewig können wir nicht herumgrübeln, aber momentan ist soweit alles unter Kontrolle. Ein bisschen Zeit haben wir. Aber das ist eine garstige Entscheidung, die ich eigentlich am liebsten nicht treffen würde. Ich weiß einfach nicht, was richtig ist. Verdammtes Dilemma. Mierda!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 18.11.2014 | 11:47
Nicht wundern, ich habe die beiden letzten Postings nochmal ein klein wenig verändert. Das Reinigungsritual fand nämlich nicht mit White Eagle in der Kommune statt, sondern bei Edward zuhause.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 23.11.2014 | 18:51
Ich probier mich mal an einer kurzen Zusammenfassung:

Zwei Optionen für das Ritual - Camerone mit Gewalt ans Coral Castle fesseln oder durch Verführung binden? Verführung scheint das kleinere Übel zu sein.

Zutaten:
Sehen: Eine rosarote Brille (hat Roberto im Handschuhfach)
Hören: Das Geräusch des zufallenden Portals von Coral Castle
Riechen: Ein Liebestrank (den besorgt Roberto bei Angel Ortega - dazwischen ein paar Probleme mit Angels Cousin Kenny, der Drogen in der Botanica versteckt hatte, seiner ehrgeizigen Freundin Priscilla und Antonio, einem Neffen von Macaria Grijalva, der mal schauen wollte, ob Angel sich wieder berappelt hat...)
Schmecken: Eine Torte, die aussieht wie Coral Castle (die besorgt Cardo bei der Bäckerei "Backing Dreams" und gerät in die Streitigkeiten einer Hochzeitsgesellschaft, wo weder Trauzeuge noch Brautjungfer die Hochzeit wollen und die Schwester des Bräutigams, eine High-Society-Anwältin, sogar ihre Pistole zieht...)
Fühlen: Ein Stein aus dem Steinbruch, aus dem die Steine von Coral Castle stammen (den besorgt Alex aus dem Nevernever, nachdem er sich mit ein paar Gnomen, ihrem durchgedrehten Netzspinner und dem sprengwütigen Gnom Galbo herumgeärgert hat)
Geist: Eine schwere Kette mit Schlüssel aus dem HistoryMiami, einem Museum (die klaut Edward; dabei lernt er seinen neuen Kollegen Salvador Herrero besser kennen und stolpert über ein paar Black-Power-Studenten, die eine Yoruba-Statue stehlen wollen. Einer davon hat Drogen von Edwards Mutter gekauft und ist verdammt high.)
Seele: Camerones Ehering (den besorgt Totilas von seiner Großtante Cecile und gerät zwischen der verblühten Femme Fatale, einer naiven, todkranken Sekretärin, einem abgehalfterten Privatdetektiv und einem korrupten White-Court-Bullen mitten in einen Film Noir.)

Nachdem alles da ist, wird das Ritual durchgezogen. Das klappt soweit auch ganz gut; Camerone hat jetzt die Stellung des Letten inne und kontrolliert die Coral Guardians.

Cicerón hat vom Letten erfahren, was er wissen wollte und wirkt sehr nachdenklich. Er verrät Edward, dass Spencer Declan die Gesetze der Magie brechen kann, ohne die Konsequenzen zu tragen.
Daraufhin suchen die Schönen Männer in den Gelben Seiten nach einem Zauberer und finden auch einen, einen Harry Dresden aus Chicago. Der hat aber keine Lust, mit Edward über die Gesetze der Magie zu reden (auch nicht darüber, wie man die am besten bricht, und schon gar nicht über die Steuern). Arrogantes Arschloch.

Totilas erfüllt den Deal, den er mit seinem Dämon gemacht hat, und bringt einen Mann um, der gern Prostituierte erwürgt.

Das war das Ende von Dead Beat.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 23.11.2014 | 19:00
Vignette:

Cardo wird von einer reichen Mäzenin auf ihre Lodge am Crater Lake eingeladen. Die hat ein Projekt: Eine illustrierte Ausgabe vom ersten Eric-Albarn-Roman. Weil er danach eh auf eine Buchtour muss, sagt er zu. Die anderen kommen auch mit - auf Vorschlag von Alex im Tourbus.
Unterwegs kommt es zu allerlei Streitereien - mal fliegt Robertos Schminkkoffer aus dem Bus, mal wird Edward in einem Diner vergessen... aber sie kommen trotzdem an.

In der Lodge sind noch andere Gäste: Darunter drei weitere Autoren (Michael Stackpole, Barry Jackson, Kirsty MacGregor), ein Autorenkollektiv von jungen Leuten, die extrem schüchterne Zeichnerin Elena, und die Magierin Vanessa Gruber aus Österreich.

Ach so, Edward, Roberto und Alex waren kurz auf Wizard's Island und haben a) einen sehr offensichtlichen und auch schon etwas verbrauchten Ritualplatz gefunden, und b) einen etwas versteckteren und reineren. Die Insel ist auf jeden Fall ein sehr mächtiger magischer Ort.

Die jungen Leute (Colby, Lila, Danny, Edie und Jeff) möchten auf Wizard's Isle ein Ritual abhalten, um ihr inneres Auge zu öffnen (oder so was). Edward und Roberto bieten an, mitzumachen, damit da nichts schief geht.

Vanessa reagiert nicht so gut auf Totilas. Sie war wohl im Krieg gegen die Red Courts und ist dabei von den White Courts verraten worden. Eigentlich ist sie ja auf Kur, aber sie soll mal eine Auge auf die Ritual-Gruppe halten. Edward erfährt von ihr, dass nur Vollmagier zum White Council gehören, und dass es in Europa nicht üblich ist, Steuern ans White Council zu zahlen.

Es passieren außerdem merkwürdige Dinge: Eine Vase ist erst kaputt, dann wieder ganz, dann wieder kaputt. Eine Karikatur von Elena bewahrheitet sich. Das kaputte Bein der Gastgeberin Margot heilt scheinbar, aber tatsächlich fühlt sie nur nicht mehr, dass es kaputt ist...

Nachtrag: Jeffs Hündchen findet Edward nett. Es ist vermutlich ein ziemlich bescheuertes Hündchen.  ;)

Außerdem sind noch ca. 20 andere Gäste in der Lodge, hauptsächlich Fans von Speculative Fiction und deren Anhang. Es gibt zwei größere Hunde, die Edward nicht so ganz trauen. Und im Wald gibt es Bären und Wölfe und Chipmunks, oh my.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 6.01.2015 | 16:36
Ricardos Tagebuch: Dead Beat 4

Ich bin so müde. Aber es ist geschafft. Der Día de los Muertos ist vorüber, die Tore wieder versperrt.
Und, ob wir das jetzt gut finden mögen oder nicht, Camerone Raith hat Edward Leedskalnins Platz eingenommen, ein und für alle Mal. Und der Lette selbst... ist verschwunden. Aber damit hatten wir nichts zu tun. Nicht direkt, jedenfalls.

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Nächster Tag. Ich musste erst einmal ausschlafen. Jetzt krakelt meine Schrift auch nicht mehr über die Zeilen hinweg, und ich kann endlich wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen.
Also.

Wir standen ja vor der Entscheidung, ob wir Camerone Raith wirklich an das Coral Castle binden, sie wirklich in diese Machtposition bringen wollten. Aber es fiel uns keine bessere Lösung ein, so sehr wir auch nachgrübelten, also entschieden wir uns nach einigem Hin und Her und nicht gerade leichten Herzens dafür.
Dabei gab es zwei Optionen: entweder mit Camerones Einverständnis oder gegen ihren Willen, sie also entweder überzeugen oder sie gewissermaßen an den Ort fesseln. Ersteres würde ihr in der Position mehr Macht verschaffen, letzteres deutlich schwieriger werden. Also mehr Diskussionen. Mehr Bauchgrimmen. Letzten Endes beschlossen wir dann, Camerone die "sanfte" Version anzubieten und zu sehen, was sie dazu sagen würde.

So oder so war wieder einmal ein Ritual vonnöten. Die Komponenten für "Sehen" und "Hören" stellten mit einer rosaroten Brille (bzw. einer Sadomaso-Maske für die unfreiwillige Option) und dem Klang des zufallenden Schlosses des Coral Castle kein Problem dar. Den Rest mussten wir aber mehr oder weniger mühevoll beschaffen.

Ich bekam dabei die Kategorie "Schmecken" ab, was von einem Kuchen in Form des Coral Castle abgedeckt werden sollte. Eigentlich soweit kein Problem, geht man halt in eine Bäckerei, bestellt den Kuchen und gut. Wenn, ja wenn nicht zum selben Zeitpunkt eine mehr als zickige Hochzeitsgesellschaft ebenfalls ihren Hochzeitskuchen hätte abholen wollen und beinahe alles in die Hose gegangen wäre.
Da trafen nämlich die Schwester des Bräutigams sowie dessen bester Freund auf den Vater der Braut und deren beste Freundin, und unterschiedlicher hätten die Welten nicht sein können. Der Vater hemdsärmeliger Arbeitertyp, die Schwester arrogante Yuppie-Zicke, wie sie im Buche steht, eine nicht ausgesprochene, aber zwischen den Zeilen überdeutlich lesbare Affäre zwischen irgendwem, und mein Kuchen musste drunter leiden.

Das Ende vom Lied: Die Hochzeitsgesellschaft sollte eigentlich hochkant rausfliegen, aber die Yuppie-Zicke weigerte sich und drang in die Küche vor, woraufhin der Koch ein Messer zog, und die Yuppie-Zicke gar eine Pistole. Ich versuchte zu vermitteln – und wurde gleich mit verhaftet, als die Polizei anrückte, die inzwischen von der Besitzerin gerufen worden war. Mich ließ man dann relativ schnell wieder laufen, und meinen Kuchen bekam ich auch, aber es dauerte alles länger, als es hätte dauern sollen.

Die anderen hatten es aber auch nicht unbedingt leichter, nach dem, was sie so erzählten. Roberto zum Beispiel wollte für die Kategorie „Riechen“ ein Parfum mit der Wirkung eines Liebestranks besorgen. Er selbst hatte die benötigten Zutaten aber gerade nicht vorrätig, also musste er sie kaufen. Und wo, Römer und Patrioten? Genau, in Angel Ortegas neuer Bótanica. Und wir wissen ja alle, wie grün Roberto und Angel sich gemeinhin so sind.

Seit Angel über die Sache mit der Yansa-Maske bei den Orunmila in Ungnade gefallen ist, scheint es aber ein etwas besseres Auskommen mit ihm zu sein. Oder vielleicht lag es daran, dass Roberto ihm helfen konnte, ein kleines Problem mit Angels Cousin zu lösen. Der hatte nämlich ohne Angels Wissen Drogen in der neuen Bótanica versteckt und wollte diese nun mit seiner Freundin zusammen ebenso unbemerkt wieder abholen, was zu allerhand Verwicklungen führte.

Alex durfte für den Bereich „Anfassen“ indessen ins Nevernever reisen, denn dort kamen die Steine her, aus denen das Coral Castle gebaut wurde. Dummerweise war in dem Steinbruch gerade ein Trupp Gnome und Goblins zugange, denen ein komischer, fantasy-technischer Apparat durchgedreht war und nun zu explodieren drohte. Alex gelang es gerade so, sich das Stück Stein zu schnappen und abzuhauen, ehe das Unvermeidliche geschah. Aber ernsthaft: Gnome, Goblins und Fantasy-Ingenieurskunst? Sind wir hier bei World of Warcraft oder wie?

Totilas' Aufgabe war dagegen beinahe völlig mundan. Und das, obwohl er zur Halloween-Party seiner Familie musste, zu der kleinen Ersatz-Soiree auf der Ranch draußen. Für die „Seele“ des Rituals benötigten wir nämlich Camerones Ehering, und den hatte Geralds Schwester Cécile in Verwahrung. Totilas bekam seine Großtante auch dazu, ihm den Ring zu überlassen, aber nicht bevor er Zeuge einer Szene wurde, in der Lara Raiths mehr als naive, herzkranke Sekretärin eigentlich hoffte, sie könnte von ihrer Krankheit geheilt werden, wenn sie auch zu einem White Court gemacht würde. Offensichtlich hatte Lara höchstselbst der jungen Frau diesen Bären aufgebunden, denn inzwischen weiß ja selbst ich, dass das bei den weißen Vampiren nicht so funktioniert. Ein etwas abgehalfterter Privatdetektiv aus der Familie Elfenbein und ein weiterer Raith namens Marshall waren auch mit von der Partie, und irgendwie endete die Sache wohl darin, dass der Detektiv Cécile daran hinderte, sich das Mädchen einzuverleiben und dann mit ihr in den sprichwörtlichen Sonnenuntergang ritt. Ob sie nun eine Heilung finden oder einfach nur die ihr verbleibenden letzten Monate genießen kann, weiß dabei leider keiner. Und auch nicht, was dieser Marshall Raith eigentlich genau in Miami sollte.

Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

Es gelang den beiden SI-Cops, die drei Jugendlichen ohne die Statue aus dem Museum zu bugsieren, dafür aber mit der Kette für Edward, frei nach dem Motto: Ich erzähle nicht, was du hier gemacht hast, wenn du nicht erzählst, was ich hier gemacht habe. Dass einer der jungen Leute allerdings nach Einnahme eines von Mrs. Parsens (bzw. Antoines) Produkten Gegenstände sprechen hören kann, so dass er glaubte, die Statue flehe ihn an, sie nach Afrika zurückzubringen, war für Edward in mehr als einer Hinsicht ziemlich beunruhigend.

Aber damit konnten wir uns jetzt nicht beschäftigen. Über den ganzen Besorgungen war der Diá de los Muertos schon ziemlich weit fortgeschritten, und wir hatten nur noch bis Mitternacht Zeit, wenn wir das Ritual mit Camerone durchziehen wollten, ganz zu schweigen davon, dass gegen Ende der 24 Stunden wohl der größte Ansturm an feindseligem Geisterzeugs zu erwarten war.

Zurück am Coral Castle war der Lette weit und breit nichts mehr zu entdecken. Camerone Raith hingegen war nicht zu übersehen, da sie immer noch in vollem Generalsmodus die Geister koordinierte. Sie erklärte sich bereit, sich freiwillig an das Castle binden zu lassen, was Edward das Ritual um einiges erleichtern würde. Auch nach Leedskalnin fragten wir, aber da war Camerones Antwort nur, dass der fort sei und man ihn vermutlich nie wieder sehen werde, jetzt wo Cicerón mit ihm fertig sei. Linares hatte den Letten ja derart in die Mangel genommen, weil er aus herausbekommen wollte, was genau da in den Sümpfen los sei; so viel hatten wir hören können. Ob Leedskalnin allerdings durchhielt, oder ob er gegen Ende hin doch brach und es verriet, dass wissen wir nicht; das konnte oder wollte auch Camerone uns nicht sagen. Aber jedenfalls war das Verschwinden des Letten eine weitere Motivation für uns, das Ritual mit Totilas' Urgroßmutter durchzuziehen, denn die Position unbesetzt zu lassen, wäre fatal. Aber dennoch hatte, und habe, ich ein mehr als schlechtes Gefühl bei der Sache.

Aber es war ja nun nicht zu ändern. Es musste nun einmal getan werden, die Entscheidung war gefallen, und es erschien uns allen, auch mir, trotz meiner Bedenken, als das potentiell kleinere Übel.

Trotz der „sanften“ Version war das Ritual noch immer verdammt schwierig, und langwierig dazu. Edward bereitete alles vor, zog seinen Ritualkreis und rief Camerone hinein, dann begann er. Dummerweise hatten die freiwerdenden Energien nicht nur den gewünschten Effekt, sondern sie zogen auch die anderen Geister der Umgebung magisch, haha, an. Und da Edward sich auf seine Zauberei konzentrieren musste und nicht unterbrochen werden durfte, mussten wir anderen diese Geister von ihm fernhalten.

Anfangs ging das eigentlich ziemlich gut. Ich stellte fest, dass wir uns durch das Verschwimmen der Grenzen wieder einmal halb im Nevernever befanden, weit genug jedenfalls, dass George meinen Ruf hören und uns zu Hilfe kommen konnte. Mit den ersten fünf Geistern wurden wir also ziemlich problemlos fertig: Alex erledigte zwei davon, Roberto und Totilas ebenfalls zwei und George und ich einen.

Aber dann wurde ein einzelner Geist Richtung Ritualkreis gezogen, viel größer als die anderen, völlig verbrannt und in Flammen stehend – und Santa Madre Maria ist meine Zeugin, als ich diesen Feuergeist sah, erstarrte ich einen Moment lang. Die anderen gingen sofort auf ihn los, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Mit einem Mal war es mir, als stünde ich selbst wieder in Flammen, und es gelang mir nicht, auch nur einen Schritt auf den Feuergeist zuzugehen.

Während ich mich hektisch nach irgendetwas umsah, mit dem ich vielleicht aus der Ferne etwas gegen den Geist ausrichten könnte, bemerkte ich statt dessen etliche Schlangen, oder besser die Geister von Schlangen, die bösartig zischelnd auf den Ritualkreis zugewuselt kamen. Die anderen hatten diese neue Bedrohung noch nicht gesehen, also trat ich Schlangen tot, wich ihren vermutlich giftigen Bissen aus und hielt sie von den anderen fern, bis die den Feuergeist erledigten hatten. Um die restlichen Schlangengeister kümmerten wir uns dann gemeinsam.

Inzwischen war Edward mit seinem Ritual beinahe fertig. Aber es wurden immer mehr Geister, die sich dem Kreis näherten, und irgendwann würden wir nicht mehr gegen alle ankommen. Da hatte irgendjemand – Edward selbst? Roberto? – die geniale Idee, dass die Energie der Geister zusätzlichen Brennstoff für das Ritual abgeben könnte, wenn wir sie kontrolliert in den Kreis befördern würden, und es deswegen schneller beendet werden könnte. Gesagt, getan: Alex als Abgesandter Elegguas schubste die Geister, die sich in Reichweite befanden (mit der Ausnahme von George, natürlich, wobei der ja auch kein Geist ist, sondern ein Wyldfae) mit einer ziemlichen Anstrengung in den Kreis. Irgendwer rannte los und warf das Tor des Coral Castle mit einem lauten, metallischen „Klonk“ ins Schloss, gerade als Edward die letzten Worte des Rituals intonierte. Und dann war es geschafft, war Camerone Raith die neue Hüterin des Castle.

Und es war kaum zu früh, denn um Punkt Mitternacht begann der letzte große, heftige Ansturm der Geister. Richtig, richtig heftig, um genau zu sein. Und warum dieser Ansturm so heftig war, das verstanden wir, als wir Jack, den bösen Jack, im Hintergrund bemerkten, von wo aus er mit breitem Grinsen die Angreifer aufstachelte. Totilas stellte sich daraufhin in Imponierposition - ganz subtil, nicht übertrieben, aber mit der deutlichen Körpersprache "mich schüchterst du nicht ein". Das wiederum quittierte Jack ihm gegenüber mit der "ich sehe dich"-Geste: zeigte erst auf die eigenen Augen, dann auf Totilas.

Wie gesagt, der Angriff war heftig, aber dank Camerones neuer Macht konnte er schließlich doch zurückgeschlagen werden, und die Tore zur Geisterwelt schlossen sich wieder. Uns ging es dabei noch vergleichsweise gut, aber die Santo Shango, die hier ja den ganzen Tag lang ausgehalten hatten, waren ziemlich angeschlagen. Cicerón Linares brach vor Erschöpfung zusammen, als Shango ihn verließ, aber er schien keine lebensgefährlichen Wunden zu haben. Ilyana Elder hingegen sah übel aus, als sie nicht mehr von Yansa geritten wurde; bei der jungen Frau war allerhöchste Eile geboten. Von Totilas wollten die Ganger sich nicht helfen lassen, obgleich dieser es anbot - ein vielleicht nicht ganz unberechtigtes Misstrauen, wenn man bedenkt, dass Totilas' Augen trotz seiner üblichen eisernen Kontrolle leicht silbrig zu glänzen begonnen hatten und er ein abwesendes Gesicht machte, als diskutiere er mit einer inneren Stimme. Vermutlich tat er nämlich genau das, und sein Dämon wollte ihn dazu bringen, Ilyanas Leiden zu beenden oder sowas in der Art.

Edward hingegen hatte zuhause einen Heiltrank vorbereitet, den er Ilyana jetzt einflößte, und das half der jungen Frau über das Schlimmste hinweg. Ärztliche Behandlung benötigte sie natürlich nach wie vor, aber sie schwebte wenigstens nicht mehr in direkter Lebensgefahr.
Zum Dank revanchierte Cicerón sich mit einer Warnung. Spencer Declan sei in der Lage, die Gesetze der Magie ungestraft zu brechen, und wir sollten uns vorsehen. Mehr war dazu aber nicht aus ihm herauszubringen; er habe schon zu viel gesagt, und auch das nur, weil wir Ilyana geholfen hätten.
Linares wirkte übrigens sehr nachdenklich; offensichtlich hat er aus dem Letten wohl doch herausbekommen, was er wissen wollte.

Naja, dann tauchten plötzlich die Coral Guardians bei uns auf und machten Totilas unmissverständlich klar, dass der Kampf vorbei und er hier nicht länger geduldet sei.  Also sind wir heimgefahren, ich habe die obigen paar Worte hingekrakelt und mich erst einmal ins Bett gepackt. Und alles weitere, vor allem, wie das jetzt mit Ms. Geister-Raith in ihrer neuen Position wird, müssen wir sehen. Ich habe ja immer noch ein schlechtes Gefühl bei der Sache, aber jetzt ist das Kind im Brunnen.

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Jack White Eagle hatte heute auch eine Warnung, diese speziell für Edward und Ximena: Er empfehle beiden sehr eindringlich, den Ball flach zu halten, da früher schon Praktizierer, die in der Stadt zu viel Talent bewiesen hätten, nach einer Weile einfach verschwunden seien. Und Jack glaube nicht, dass die alle nach Australien ausgewandert seien, sondern dass Declan etwas damit zu tun habe.
Oder besser, er empfahl es Totilas zur entsprechenden Weitergabe. Ximena habe er auch schon warnen wollen, sagte Jack, aber die sei dafür nicht sonderlich empfänglich gewesen. Ich kann mir schon vorstellen, wie das ungefähr war: Ximena ist von ihren eigenen Fähigkeiten ja durchaus überzeugt und sieht sich als Declan mindestens ebenbürtig. Totilas gab Jacks Warnung an beide Empfänger weiter, ob er damit bei Ximena allerdings viel erreichte, das bleibt noch dahingestellt.

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Eben war Edward bei mir. Ich hatte ja schon länger den Eindruck, dass ihm etwas auf der Seele lastet, und zwar nicht nur das Ende seiner Beziehung zu Cherie. Heute endlich machte Edward den Mund auf. Dass er Gewissensbisse hat. Dass er sich korrupt fühlt und nicht weiß, wie lange er den Job beim SID noch machen kann. Die ständige, mehr oder weniger notgedrungene Zusammenarbeit mit Cicerón Linares, mit Gerald Raith. Seine Mutter, die Drogen verkauft, auch wenn diese (momentan zumindest) noch nicht illegal sind. Seine Ex-Freundin Cherie, die Auftragsmörderin, für die er noch immer etwas empfindet und von der er gar nicht wissen will, was sie genau tut, damit er nicht in die Verlegenheit kommt, sie jagen zu müssen. Er sei einfach zu nah dran an den Gesetzesbrechern. Ich konnte nicht viel tun, außer ihm ein offenes Ohr zu leihen und ihn sich all diese Dinge von der Seele reden zu lassen. Und ihm vehement zu erklären, dass ich ihn nicht für ein Monster halte. Außerdem habe ich ihm empfohlen, tatsächlich einmal mit Lieutenant Book zu reden. Ja, der alte Cop knurrt und bellt und brüllt herum, aber er ist nicht umsonst der Leiter des SID. Wenn er aufgund all dieser Tatsachen Edward aus der Truppe wirft oder Internal Affairs auf ihn ansetzt, dann ist das so. Aber Edward kann diese ganze Last nicht länger alleine mit sich herumschleppen. So oder so muss er Book informieren, finde ich. Und vielleicht stellt sich ja dann sogar heraus, dass sein Vorgesetzter all diese Dinge akzeptieren kann.

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Oh, übrigens. Cicerón erwähnte doch, dass Spencer Declan anscheinend die Gesetze der Magie brechen kann, ohne dass es für ihn irgendwelche Konsequenzen hat. Diese Bemerkung machte uns nachdenklich, weil wir bislang eigentlich gar nicht so viel über die Gesetze der Magie wissen, noch darüber, wie man sie eigentlich bricht. Sicher, Leute, die die Gesetze brechen, werden Warlocks genannt, das wissen wir ja spätestens seit der Sache mit den Bucas. Und während dieser Sache hatte Feu Buca ja magisch auf Mrs. Salcedo eingewirkt, um deren Meinung zu beeinflussen, was eines der verbotenen Dinge ist, ebenso wie jemand anderen umzubringen. Aber was sind die übrigen Gesetze? Wieviele gibt es insgesamt? Wie bricht man diese, und was passiert dann? Offensichtlich wird man von den Wardens gejagt, siehe wieder die Bucas. Aber gelten Warlocks für den White Council überhaupt noch als Menschen oder schon als reine Monster? Anscheinend verändert es einen ja wohl auch wirklich selbst innerlich, wenn man diese Gesetze bricht. Wie also kann Warden Declan diese Veränderungen vermeiden? Oder bricht er die Gesetze einfach, und es verändert ihn durchaus, aber niemand merkt es, weil er als Warden eigentlich selbst die Bösen jagen müsste und auch vorgibt, das zu tun?

Jedenfalls, das waren alles Fragen, über die wir nicht genug wussten und wo uns auch die Kontakte fehlten, um jemanden dazu befragen zu können. Jack White Eagle weiß zwar einiges, aber seine Magie ist eine ganz andere als die des White Council; im Detail konnte er uns da nicht weiterhelfen. Und Spencer Declan werden wir zu diesem Thema ganz sicher nicht befragen. Andere Vollmagier und Ratsmitglieder kennen wir nicht. Also kamen wir auf die schlaue Idee, doch einfach mal zu recherchieren.

Der einzige Treffer, der bei der Internetrecherche herauskam, war ein gewisser Harry Dresden, niedergelassener Magier in Chicago. Seltsam eigentlich, dass da jemand so damit hausieren geht, aber andererseits stand in dem Eintrag etwas von "paranormale Ermittlungen - keine Kindergeburtstage", also war es vielleicht doch kein Scharlatan. So oder so war es im Moment unser einziger Hinweis, also rief Edward kurzerhand bei dem Mann an.
Aber, puh. Das war kein sonderlich erfolgreiches Telefonat, Römer und Patrioten. Die beiden waren sich auf Anhieb völlig unsympathisch, und das Gespräch endete mit aufgeknalltem Telefonhörer und ohne Informationszugewinn. Okay, vielleicht hätte Edward nicht gleich als Erstes mit der Frage herausplatzen sollen, wie man die Gesetze der Magie bricht. Und sich seinem Ärger über die zu hohen Magier-Steuern Luft zu machen, half der Konversation auch nicht gerade weiter. Aber hätte dieser Dresden Edward so sarkastisch-ungläubig abkanzeln müssen? Mierda. Müssen wir halt versuchen, uns die Informationen irgendwie auf anderem Wege zu beschaffen. Nur wie, ist die Frage. Das sieht momentan wie gesagt eher mau aus. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 6.01.2015 | 18:11
Blieb noch der Aspekt „Geist“. Dafür wollte Edward im Historischen Museum eine Sklavenkette entwenden, traf dabei aber auf eine Gruppe junger Diebe, die eine afrikanische Statue „befreien“ wollten. Die jungen Leute waren nämlich glühende Vertreter der Black Power, selbst wenn einer von ihnen gar nicht wirklich afroamerikanische Wurzeln hatte. Das war nämlich der Neffe von Edwards neuem Kollegen Salvador Herero, der wiederum auch am Museum auftauchte, weil er seinem jungen Verwandten gefolgt war und ihn daran hindern wollte, irgendeinen Unsinn anzustellen.

Der Neffe hatte sehr wohl afrikanische Wurzeln - ein Elternteil schwarz, einer kubanisch. Das geht schon. :)

Der O-Ton des Gesprächs Edward / Harry war ungefähr so:
Harry: "Ja, Dresden hier."
Edward: "Hallo, sind Sie ein voll ausgebildeter Magier?"
Harry: "Wie bitte? Was wollen Sie eigentlich?"
Edward: "Ich bin vom Miami Police Department..."
Harry: "Dann reden Sie doch mit dem SI hier in Chicago."
Edward: "Nee, ich brauch schon einen Magier... ich würde gern mal mit Ihnen darüber reden, wie man die Gesetze der Magie bricht."
Harry: "Wollen Sie mich verarschen?"
Edward: "...äh, nein. Und finden Sie nicht, dass die Steuern ein bisschen hoch sind?"
Harry: "Danke, ich kann mich allein veralbern." *legt auf*
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Edward Fu am 6.01.2015 | 19:05
Kommentar Edward: "So ein Arschloch!"
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.01.2015 | 11:34
Ricardos Tagebuch: Vignette 1

15. November

Ich weiß gar nicht, ob ich es schon erwähnt habe. Aber Sheila hat zum Filmstart von Indian Summer eine Lesetour geplant. Einmal die Westküste hinunter, und zwar so getimed, dass die Tour genau zur Premiere in Los Angeles endet. Oder danach vielleicht auch noch nach San Diego weitergeht, aber die Premiere in L.A. soll auf jeden Fall mit dabei sein. So oder so finde ich das eine ausgezeichnete Idee, denn das wird sicherlich mal eine nette Abwechslung. Nur schade, dass ich Alejandra nicht mitnehmen kann; so eine Reise ist aber leider nun mal nichts für eine kleines Mädchen.
Sheilas Planung und Vorbereitungen laufen jedenfalls schon länger auf vollen Touren, und ich freue mich ziemlich.

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19. Januar

Heute kam Sheila nochmal mit einem anderen Vorschlag an: Sie kennt da jemanden, eine Mäzenin nämlich, und die wiederum kennt eine Zeichnerin, und diese soll, weil die Mäzenin so ein großer Fan meiner Bücher ist, eine illustrierte Version von Indian Summer anfertigen, die dann in einer kleinen, hochwertigen Sonderausgabe herauskommen könnte.

Interessanter Gedanke! Keiner, über den ich bisher von selbst gestolpert wäre, aber genau für solche Ideen ist Sheila ja meine Agentin. Edward schlug sofort eine Graphic Novel vor, als er von der Sache hörte, und dafür war ich wiederum dann gleich Feuer und Flamme. Vielleicht kann Sheila das ihrem Kontakt auch noch verkaufen.

Und wie es der Zufall (oder Sheilas geschicktes Händchen) so will, hält diese Mäzenin kurz vor dem Filmstart ein Künstlerwochenende in ihrer Lodge am Crater Lake, Oregon ab. Dorthin bin ich eingeladen, um die Dame und die Zeichnerin kennenzulernen, damit sie mich kennenlernen – und vielleicht auch, so unangenehm mir das sein mag, weil mein Name der Veranstaltung tatsächlich ein klein wenig mehr Prestige verschafft. O Madre mia, ayudame. Wie das klingt. Aber wenigstens wird es nicht allein mein Name sein, der für das Prestige sorgt: ein paar andere publizierte Genre-Autoren, wie z.B. Michael Stackpole, sind wohl auch eingeladen.

Und wir Gäste dürfen Partner und/oder Freunde mitbringen. "The more the merrier" war Sheilas die Gastgeberin zitierende Aussage. Also habe ich die Jungs gefragt, ist ja klar. Dee natürlich auch, aber die kann leider nicht aus der Stadt weg. Entweder das, oder sie möchte nicht in eine Situation geraten, wo sie als meine Freundin verstanden werden könnte. Wobei ich natürlich hoffe, dass ersteres der Grund ist.
Die Jungs haben jedenfalls alle Zeit, oder nehmen sie sich. Finde ich super.

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26. Februar

Nächste Woche geht es los! Wir haben übrigens beschlossen, nicht zu fliegen. Denn die Westküste runter müssten wir ohnehin in einem Tourbus fahren, und Alex' Berufsehre verbietet es ihm, für diesen Zweck ein Mietmobil auch nur im Entferntesten in Betracht zu ziehen. Und überdies ist sein letztes Langzeit-Bastelprojekt, ein älteres Vehikel, das er mit seiner üblichen Sorgfalt und Liebe zum Detail restauriert und zu einem Wohnbus aus- und umgebaut hat, zufällig gerade vor kurzem fertig geworden. Ich glaube, Alex wäre persönlich beleidigt gewesen und nicht mitgekommen, wenn wir das nicht genutzt hätten.

Das bedeutet zwar, dass wir zusätzlich zu der eigentlichen Buchtour eine weitere Woche unterwegs sein werden, immerhin reden wir von über 3.200 Meilen, aber den Luftweg gäbe es auch nicht als Direktflug. Und außerdem ist Edward sich nicht sicher, wie das mit seinen zunehmenden Technik-Problemen in einem Flugzeug aussähe. Wenn dessen Elektronik hoch über dem Erdboden ausfiele, na herzlichen Dank. Dann doch lieber der Bus.

Diese Postkarte vom Crater Lake ist mir übrigens gerade vor ein paar Tagen untergekommen. Die klebe ich doch direkt hier ein, das steigert die Vorfreude gleich noch ein bisschen mehr.

(https://www.travoh.com/wp-content/uploads/2016/11/02-crater-lake-oregon-travoh.jpg)

Mann. Ich bin doch tatsächlich schon aufgeregt.

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6. März

Morgen ist es soweit! Urlaub!

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7. März. Tifton, Georgia

Nach einem tränenreichen Abschied von 'Jandra, der ich bei der Abschiedsumarmung zum zigsten Mal erklären musste, dass wir im Sommer natürlich zusammen in Urlaub fahren und dass sie dann natürlich auch mitkommen darf, aber dass das hier Arbeit sei und sie daran garantiert keinen Spaß hätte, was mir den Aufbruch zugegebenermaßen etwas erschwerte, sind wir den ganzen Tag gefahren. Knapp 500 Meilen waren das. Jetzt sind wir für die Nacht in einem RV-Park direkt an der I75 untergekommen. Ich bin ziemlich erledigt; wir saßen zwar bis auf die Pausen nur im Bus, aber die Stimmung war schon nach ein paar Stunden ziemlich gereizt. Vor allem zwischen Edward und Roberto, aber auch wir übrigen blieben davon nicht ganz unbeeinflusst.
Das Georgia Museum of Agriculture and Historical Village, das es laut Broschüre an der Rezeption hier in Tifton geben soll, hätte mich zwar eigentlich interessiert, hat aber wohl bereits geschlossen. Und außerdem wäre ich ohnehin zu platt, um noch in einem historischen Dorf herumzulaufen. Ich glaube, ich haue mich jetzt in meine Koje und gut.

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8. März. Nashville, Tennessee

Kein RV-Park diesmal, oh nein. In der Stadt der Musik, im Athen des Südens, gebe ich mir a) ein Hotelzimmer und b) einen langen Spaziergang durch die Stadt. Ich brauche etwas Abstand. Heute flog Robertos Schminkkoffer in hohem Bogen aus dem Fenster, zu Robertos großem - und lautem - Entsetzen, und als wir endlich gedreht hatten und wieder an die Stelle kamen, waren natürlich zig Autos darüber gefahren. Roberto geht heute abend nicht in der Stadt spazieren. Der geht seine neue Kulturtasche ausstatten.

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9. März. Odessa, Missouri

Langer, langer Tag. Deutlich über 500 Meilen heute. Blöd, dass Odessa so ein winziges Kaff ist; so sind wir wieder in einem RV-Park gelandet. Für einen RV-Park ziemlich teuer, und einiges reparaturbedürftig, aber sauber. Und immerhin haben sie kostenloses - und schnelles! - WLAN. Ich bin dann mal ein bisschen surfen.

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10. März. Sutherland, Nebraska

Schrieb ich gestern, Odessa sei ein Kaff? Hey, das hatte 5.000 Einwohner! Sutherland, Nebraska, ist ein Kaff. Das hat gerade mal 1.500. Aber immerhin einen RV-Park. Und ganz in der Nähe auch einen Stausee, der mit der Sutherland Reservoir State Recreation Area auch einen Naturpark darstellt. Edward hat schon gesagt, heute schläft er im Freien. Ich bin beinahe geneigt, es ihm gleichzutun. Oder zumindest gleich noch einen langen, langen Spaziergang zum Abreagieren zu machen. Nach der Mittagspause haben wir heute Edward vergessen, weil der irgendwo noch Dampf abließ, und es erst nach ein paar Kilometern gemerkt, als es im Bus so still war. Roberto hatte es gemerkt, aber nichts gesagt, der Arsch. Wobei er meinte, ein paar Minuten später hätte er sich schon auch gemeldet, er wolle nur Edward Gelegenheit geben, sich noch ein bisschen länger abzureagieren. Ha ha.

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11. März. Rawlins, Wyoming

Heute nur 350 Meilen gefahren. Ging nicht mehr. Haben mittendrin angehalten und Edward für eine Weile rausgeworfen, weil es einfach zu viel war. Später dann haben wir Roberto rausgeworfen. Und nachmittags haben wir dann beide rausgeworfen. Danach haben sie sich nur noch finster angebrütet, was beinahe schlimmer war als ihr ewiges Gezicke. Nur 350 Meilen, aber der Tag zog sich endlos. Mir ist egal, dass Rawlins eine Kleinstadt ist, ein Hotel gibt es hier. Oder ein Motel. Ganz gleich. Raus hier!

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12. März. Elko, Nevada

Über 500 Meilen heute, als Ausgleich für gestern. Immerhin müssen wir es bis morgen nach Oregon schaffen! Jetzt sind wir in Elko, Nevada, einer Stadt von immerhin 20.000 Seelen. Auf Shoshoni heißt der Ort Natakkoa, also 'Felsen, die aufeinander aufgehäuft sind'. Ob uns das zu denken geben müsste? Aber das "Hilton Gardens"-Hotel ist eine nette Überraschung. Ich glaube, ich werde gleich nochmal den hoteleigenen Pool aufsuchen, zur Entspannung. Wobei es heute direkt ging: Anfangs schwiegen Roberto und Edward einander noch giftig an, aber irgendwann fingen sie dann damit an, abwechselnd bei Alex vorne zu sitzen, und ab da wurde es richtig angenehm, und ich konnte mich endlich auf mein Videospiel konzentrieren.

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13. März. Crater Lake National Park, Oregon

Angekommen!

Es war wieder eine relativ lange Fahrt, weil wir vorgestern doch einiges verloren haben, aber mit der gestrigen Aufteilung ging es zumindest in Sachen Stimmung im Bus doch auch heute wieder ganz gut. Und in Oregon wurde die Landschaft natürlich auch zunehmend malerischer. Die letzten Meilen bis zum See hoch zogen sich dann nochmal etwas, aber irgendwann waren wir endlich da.

Die Lodge unserer Gastgeberin liegt ein Stück abseits vom Kraterrand – genau genommen sind es mehrere Lodges: ein Hauptgebäude und einige kleineren Hütten für die Gäste. Eine davon haben wir für uns, ein rustikal eingerichtetes, aber gemütliches Blockhäuschen mit zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmer, wo es auch eine Schlafcouch gibt, Küchenzeile und Bad. Edward und ich teilen uns eines der Zimmer; wie die anderen sich geeinigt haben, bin ich gerade gar nicht sicher. Ich schreibe das nur eben schnell, während ich darauf warte, das wir gesammelt zum Haupthaus rübergehen, um die Gastgeberin und die übrigen Wochenendgäste zu treffen.

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Unsere Gastgeberin heißt Margo und ist sehr nett. Mitte, Ende Fünfzig herum, würde ich sagen, elegant und weltgewandt, mit einer tadellosen Haltung, die nicht einmal dadurch beeinträchtigt wird, dass sie hinkt. Das sei durch einen Segelunfall vor einigen Jahren geschehen, erzählte sie.
Uns eingerechnet, hat Margo für das Wochenende ca. 30 Personen eingeladen, die meisten davon auf die eine oder andere Art mit dem Schreiben von speculative fiction beschäftigt oder davon begeistert. Michael Stackpole ist tatsächlich auch hier, wie Sheila mir schon angekündigt hatte, außerdem Kirsty McGregor und dieser indianisch-stämmige Thriller-Autor Barry Jackson. Und gleich bei unserer Ankunft begrüßte uns draußen auf dem Vorplatz vor der Lodge eine Gruppe von 5 jungen Leuten. Diese sind Freunde, Rollenspieler und LARPer und arbeiten gemeinsam an einem Roman. Also nicht etwa an einem Episodenroman à la Sanctuary oder Wild Cards, wo eine Geschichte in durchaus unterschiedlichen Stilen aus ganz unterschiedlichen Charakterperspektiven erzählt wird, sondern an einem Roman aus einem Guss und aus einer Sicht und in einem durchgängigen Stil. Hossa. Ambitioniert, das. Ich wünsche ihnen von Herzen viel Erfolg bei dem Unterfangen, aber ich weiß auch, dass sowas verdammt schwierig ist.

Einer der jungen Leute, Jeff, hat übrigens einen Hund. Ein kleines, zottiges Schoßhündchen Marke Fußabtreter, ein Highland Terrier oder sowas vielleicht?, der erstaunlicherweise Edward zu mögen scheint. Jedenfalls streicht er ständig schwanzwedelnd um unseren Freund herum. Die zwei anderen, größeren Hunde, die wohl anscheinend zur Lodge gehören oder so, mögen Edward hingegen gar nicht. Knurren ihn an und halten sich sorgfältig von ihm fern. Fand ich amüsant, wie der kleine Kläffer völlig furchtlos mit Edward spielt, während seine großen Artgenossen feige den Schwanz einziehen.

Die junge Zeichnerin, die Margo für die Illustration von Indian Summer gewinnen möchte, heißt Elena. Auch sie scheint nett zu sein, ist aber un-glaub-lich schüchtern. Gerade mir gegenüber bekam sie gar kein Wort heraus, und auch allen anderen gegenüber stammelt sie mehr, als sie zu reden vermag. Dabei wirkt sie wie gesagt sehr nett, und man möchte sie am liebsten in den Arm nehmen und ihr versichern, dass sie keine Angst zu haben braucht, dass alles gut werden wird. Aber das geht natürlich nicht, das würde alles nur noch schlimmer machen. Also habe ich beschlossen, einfach freundlich mit ihr umzugehen und ihre Schüchternheit so gut es geht zu ignorieren, ohne ihr auf die Nerven zu fallen. Mal sehen, ob es klappt. Ihre Zeichnungen sind aber jedenfalls allererste Sahne, und ich würde mich sehr freuen, wenn sie tatsächlich die Illustration des Buches übernehmen würde.

Ansonsten ist neben diversen Fans und Anhang noch eine Deutsche namens Vanessa anwesend. Sie wirkt nicht schüchtern, aber unpässlich, als erhole sie sich gerade von einer längeren, schweren Krankheit. Ziemlich nervös, schreckhaft... und uns gegenüber mehr als reserviert. Der misstrauische, geradezu hasserfüllte Blick, den sie Totilas bei der Vorstellung zuwarf, machte deutlich, dass sie den Namen "Raith" sofort erkannt hat.

So, die Frischmachpause nach dem Abendessen ist vorüber; wir wollen uns alle zum geselligen Kennenlernabend drüben im Hauptgebäude treffen. Je nachdem, wie lange das geht, schreibe ich vielleicht hinterher noch was, sonst eben morgen oder so.

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Bin noch wach genug, um einen schnellen Eintrag zu machen. Der Abend war – von Vanessa Grubers abschätzig-verachtend-misstrauischen Blicken mal abgesehen – eigentlich ziemlich nett. Nur Colby – einer der fünf jungen Leute aus dem Autorenkollektiv - hat etwas zu viel getrunken und sich dann an Elena, die Zeichnerin, herangemacht. Diese war viel zu schüchtern, um ihn rundheraus abzubügeln, aber sie wurde ihn dennoch irgendwie los, einfach durch ihr Erröten und Wegdrehen. Später beobachtete ich sie dann dabei, wie sie wild auf ihrem Zeichenblock herumkritzelte.
Das Bild bekam ich dann zufällig zu sehen – und musste herzlich lachen, denn es war zum Schießen. Es war eine Karikatur, in der ein wunderbar getroffener und eindeutig zu erkennender Colby eine Stehlampe anschmachtete.

Später am Abend passierte dann noch etwas Komisches, und zwar nämlich haargenau das, was Elena gezeichnet hatte. Colby, noch etwas betrunkener als zuvor, merkte schon gar nicht mehr, was er da tat, als er vor der Stehlampe auf die Knie sank und ihr ein Kompliment machte. Seltsam nur... ich glaube, Colby hat die Zeichnung gar nicht gesehen... Elena hat nämlich darauf geachtet, dass ihr Motiv die Karikatur nicht zu Gesicht bekam. Vermutlich wäre ihr das anders zu peinlich gewesen oder so.

Naja. Jetzt aber erstmal schlafen. Nacht und so!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.01.2015 | 11:35
Okay, das ist seltsam. Als Margo eben zum Frühstück kam, hinkte sie nicht – im Gegenteil, sie hüpfte beinahe wie ein kleines Mädchen, und ein Strahlen lag auf ihrem Gesicht. Ihr Bein sei über Nacht geheilt, es tue überhaupt nicht mehr weh. Totilas, der zwar kein Arzt, aber Physiotherapeut ist, mahnte zur Vorsicht und bot an, das Bein einmal zu untersuchen. Zum Glück, denn es stellte sich heraus, dass Margos Bein anscheinend gar nicht wirklich geheilt ist, sondern einfach nur nicht mehr wehtut. Sie hat sich jetzt erst einmal nach Klamath Falls zum Arzt fahren lassen.

Die Sache passt aber irgendwie zu einer anderen Seltsamkeit, die mir vorhin aufgefallen ist. Im Flur der Hauptlodge steht eine kleine Statue. Kein besonders wertvolles Kunstwerk, glaube ich, aber ganz hübsch, deswegen habe ich sie gestern nachmittag ein bisschen betrachtet. Und dabei festgestellt, dass die Skulptur kaputt war: ein Arm war abgebrochen. Später dann, als wir zum Abendessen hineingingen, hatte jemand die Statue repariert. Vorhin aber sah ich auf dem Weg zum Frühstück, dass der Arm wieder abgebrochen war. Okay, sagt ihr, da wurde das Ding halt nachmittags geflickt, aber nicht sonderlich gut, da ist der Arm eben wieder abgefallen. Mag sein... aber gestern abend habe ich mir die fragliche Stelle mal angesehen, und da sah die Statue eigentlich völlig intakt aus.

Ob hier jemand Magie wirkt? Dass magische Effekte angeblich ja immer nur bis Sonnenauf- oder Untergang halten, würde dafür sprechen, dass jemand die Statue im Flur mit Magie repariert hat, dies aber nicht von Dauer sein konnte... Nur warum? Warum etwas flicken, das von vorneherein nicht permanent sein würde? Hmm... Was, wenn derjenige gar nicht wusste, dass die Magie nicht anhält? Wenn er oder sie dachte, etwas Gutes zu tun, ohne Näheres darüber zu wissen, und bei Margos Bein genauso? Hmmm. Das werden wir wohl im Auge behalten müssen.

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Natürlich haben wir darüber gesprochen. Ganz unmagisch ist der Crater Lake wohl nicht: ein größeres Gewässer, aber in sich abgeschlossen, ohne jeden Ab- und Zustrom, also kein „fließendes Wasser“ in dem Sinne, der Magie behindert. Und vermutlich heißt die Insel darin nicht umsonst „Wizard Island“. Wobei das nicht einmal eine Insel ist, habe ich mir sagen lassen, sondern ein zweiter Berg innerhalb des Kraters, der vor zehntausenden von Jahren entstand.

Diese angebliche magische Aura des Ortes wollen auch die fünf jungen Autoren nutzen, haben sie erzählt. Die ihnen eigene "magische Aura" öffnen, ihr magisches Potential erschließen, irgendwie sowas. Da haben bei uns natürlich gleich alle Warnglocken geklingelt, und Edward und Roberto haben angeboten mitzumachen – offiziell um zu helfen und zu unterstützen, aber natürlich auch und vor allem, um ein Auge darauf zu haben, dass da nichts schiefgeht und die jungen Leutchen nicht Dinge wecken, die sie besser ungeweckt lassen sollten.

Vanessa Gruber, die Deutsche, war an der Aktion auch sichtlich interessiert, aber Colby und die anderen meinten, sieben Personen sei, weil die magische Zahl, einfach ideal, und eine achte Teilnehmerin wäre eher kontraproduktiv. Und da Roberto und Edward sich zu erst gemeldet hatten, muss Gruber zurückstecken.

Das Ritual soll wohl irgendwann heute abend oder heute nacht stattfinden. Vorher jedoch wollen Alex, Roberto und Edward schon mal auf die Insel rüber und sich diese ansehen. Totilas möchte währenddessen mit der Deutschen reden, und ich habe angeboten, ihn zu begleiten. So giftig, wie die ihn angestarrt hat, ist es vielleicht besser, wenn eine neutrale Person bei dem Gespräch anwesend ist.

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Puh. Das war... schwierig. Miss Gruber hat überhaupt nicht gut auf Totilas reagiert. Am Rande eines hysterischen Anfalls, wohl eher. Wobei sie anfangs noch eisern beherrscht und eisig kühl reagierte und völlig selbstverständlich davon ausging, dass wir anderen vier Totilas' Futtervieh seien. Es benötigte einiges an Anstrengung, um Miss Gruber – die übrigens Österreicherin ist, keine Deutsche, wie sich herausstellte – davon zu überzeugen, dass dem eben nicht so ist, sondern dass wir, vollkommen un-be-vampirt, aus freien Stücken hier sind und sich Totilas sogar eher in meiner Begleitung befindet als anders herum.

Wie dem auch sei, irgendwann hatte ich Vanessa dann soweit, dass sie mir das halbwegs abnahm. Da wollte sie dann wissen, warum Edward und Roberto sich dem magischen Ritual auf Wizard Island anschließen wollten, wenn nicht auf Totilas' Befehl hin und um weiteres Futter für ihn zu beschaffen? Sie selbst sei ja eigentlich zur Genesung hier am Crater Lake, aber als Magierin und Angehörige des White Council sei es doch ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass weniger Begabte wie unsere fünf jungen Autorenfreunde keinen Unsinn mit der Magie anstellten. Ich erklärte ihr, dass Edward und Roberto lediglich dabei sein wollen, um auf die jungen Leute aufzupassen, nicht aus irgendwelchen niederen Motiven.

Totilas warf ein, dass es doch besser wäre, wenn wir alle zusammenarbeiten würden statt gegeneinander. Das war aber dummerweise in diesem Moment genau das Falsche – denn nun bekam Vanessa den Zusammenbruch, gegen den sie sich zuvor so eisern beherrscht hatte.  Sie stammelte irgendwas von "seinen Leuten" und "Salzburg"  und "da verlässt man sich mal" und "in den Rücken fallen", ehe sie völlig aufgelöst davonstürzte.

Nicht gut. Aber ich glaube, ich sollte sie jetzt erst mal in Ruhe lassen. Und Totilas am besten in nächster Zeit so bald gar nicht mehr mit ihr reden. Denn wir reimten uns ihre Reaktion – und ihre sichtliche Angeschlagenheit und Rekonvaleszenz – so zusammen, dass sie wohl direkt vom jüngsten Verrat des White Court am White Council im Krieg gegen den Red Court betroffen gewesen sein muss, als die weißen Vampire sich mit den roten zusammentaten und ihren angeblichen Verbündten, den Magiern, eben aufs Übelste in den Rücken fielen. Kein Wunder, dass die Arme auf den Namen "Raith" und alles, was damit zu tun hat, so allergisch reagiert…

Ich glaube, ich gehe jetzt erst mal einen längeren Spaziergang machen oder gleich halbwegs richtig wandern. Die Natur hier ist jedenfalls atemberaubend schön, und ganz unterschiedliche Tiere soll man auch beobachten können.

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Die Jungs sind von der Insel zurück. Und wie erwartet, ist Wizard Island magisch. Also wirklich stark magisch und mächtig und so. Die drei waren gar nicht so lange drüben, aber sie haben in der kurzen Zeit zwei Ritualplätze gefunden: einen sehr offensichtlichen und schon ziemlich verbrauchten, aber auch einen versteckteren, reineren, anscheinend nur sehr wenig genutzten. Die jungen Leute werden Roberto und Edward natürlich zu dem offenen Platz lotsen. Da wir ja ohnehin nicht so wirklich wollen, dass das Ritual so richtig mächtig und in vollem Umfang klappen soll, ist ein verbrauchter, ausgelutschter Ritualplatz dafür eigentlich genau das Richtige. Wenn wir allerdings in die Verlegenheit kommen sollten, etwas Eigenes zu veranstalten, wäre der versteckte, weniger benutzte Ort natürlich besser geeignet.

Oh, meine Spazier-Wanderung (richtige Wanderausrüstung habe ich ja nicht dabei) war übrigens richtig schön. Ich habe unterschiedliche Vögel gesehen, darunter sogar einen Adler in der Ferne (glaube ich, kann es aber nicht beschwören), unzählige Streifenhörnchen, Kaninchen und zwei Rehe. Bären oder Wölfe sind mir keine begegnet, worüber ich auch recht froh bin, ehrlich gesagt.

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Eben hat Edward nochmal mit Miss Gruber geredet, wohlweislich ohne Totilas oder meine Begleitung. Wir hatten ja von unserer katastrophalen Begegnung mit der Österreicherin erzählt und erwähnt, dass sie im White Council sitzt, und so hielt Edward das für eine gute Gelegenheit, endlich mal ein wenig mehr über den Rat der Magier zu erfahren. Von Vanessa hörte Edward, dass der White Council nur sogenannte "Vollmagier" aufnimmt, also solche mit viel magischem Talent in mehr als einem Bereich. Solange unser Freund also "nur" Ritualmagie beherrscht, wird er weder in den White Council aufgenommen noch von dessen Angehörigen für voll genommen werden.

Kurz erwähnte Edward wohl auch sein Telefonat vom letzten Herbst mit diesem unsympathischen Magier aus Chicago, aber Vanessa kannte ihn nicht. Auch meinte Vanessa, darauf angesprochen, in Österreich und Europa sei es nicht üblich, dass geringere Praktizierer Steuern an den White Council zu zahlen haben, aber eigentlich sei das gar keine schlechte Idee, über die man vielleicht nachdenken solle. Immerhin müsse man den Krieg gegen den Red Court ja finanzieren.
Hmpf. Auch eine Einstellung. Aber hey, Vanessa hat selbst zugegeben, dass sie bis vor kurzem eigentlich auch die typische arrogante Einstellung des durchschnittlichen White Council-Magiers gehabt habe und erst die traumatisierenden Kriegserlebnisse kürzlich sie eines Besseren belehrt hätten. Irgendwie scheint sie ja doch ganz nett zu sein, wenn man sie lässt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 22.01.2015 | 20:45
Sehr schön!

...ich musste bei Cardos Vorfreude auf die Reise sooo kichern.  :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 27.03.2015 | 16:36
Ricardos Tagebuch: Vignette 2

Zurück von der Insel. Oh Mann.

Roberto und Edward haben ja die fünf jungen Autoren zu ihrem Ritual begleitet und sie natürlich zu dem offensichtlichen, verbrauchten Ort geführt. Alex und ich fuhren in einem zweiten Boot hinterher und gingen auf Wizard Island ebenfalls an Land, um die Dinge im Auge behalten zu können. Auch Ms. Gruber ließ sich das nicht nehmen – sie folgte in einiger Entfernung auf einer Art, hm, wie nenne ich das, magischen Wasserskiern.
Am Ritualplatz konnten wir sehen, wie die anderen erst einmal eine Weile diskutierten, bis sie sich schließlich einigten und das Ritual begannen.

Ich kenne mich inzwischen genug mit solchen Sachen aus, um auch aus der Ferne zu erkennen, wann der Hokuspokus beendet war und die Wirkung einsetzte... und die war, obgleich keine nach außen ersichtliche Magie passierte, ziemlich heftig. Die Ritual-Handlung endete, die jungen Leute sahen sich stirnrunzelnd um, weil eben nichts Offensichtliches geschehen war – und dann schrie Edie plötzlich auf und rannte mit schreckerfülltem Gesicht davon, Leyla riss die Augen auf und zog sich schleunigst von der Lichtung zurück, und auch drei jungen Männer wirkten verstört. Jeff, der Besitzer des kleinen Hundes, der Edward so ins Herz geschlossen hat, brach an Ort und Stelle schreiend zusammen.

Natürlich eilten Alex und ich hin, als die Sache so aus dem Ruder lief, aber es war Ms. Gruber, die das Ganze beendete.  Sie hatte schon vorher mit ihrer Magie unheimliche Wolken am Himmel erscheinen lassen; nun ließ sie es regnen, und das fließende Wasser unterbrach, was auch immer da am Laufen war, höchst effizient.

Alex fand Leyla in ihrem Versteck, und ich schnappte mir Edie, ehe sie noch stolperte und von einem Felsen fiel oder sowas. Dann versuchte ich sie zu beruhigen, so gut es ging – das arme Mädchen stand völlig unter Schock und klammerte sich an mich und wollte sich erst gar nicht beruhigen. Sie stammelte unzusammenhängend von den schrecklichen Dingen, die sie plötzlich gesehen habe: Edward habe ausgesehen wie eine wilde Bestie, und ihre Freunde hätten auch ganz seltsam gewirkt. Danny habe ausgesehen wie ein Baum, Jeff sei verwundet und blutüberströmt gewesen, und Colbys Gesicht sei ganz verzerrt gewesen, mit einem riesigen Maul in einem kleinen, verkniffenen Gesicht.

Für mich klang das schwer danach, was Roberto von seinen Erfahrungen mit der „Sight“ im Laufe der Zeit so erzählt hat, aber davon sagte ich Edie natürlich nichts, und irgendwann beruhigte sie sich ein wenig und begann, das Gesehene mit Drogen zu rationalisieren. Dennoch war sie weiterhin noch ziemlich verstört und blieb schutzsuchend in meiner Nähe. Beim Abendessen setzte sie sich dann auch neben mich – was Elena gar nicht gefiel, so schien es mir; zumindest deutete ich ihre verstohlenen Blicke so.

Leyla hingegen war beim Abendessen schon wieder ganz die alte, hatte sich erstaunlich schnell von dem Schock erholt. Jeff war mit seinem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus gebracht worden, und Danny redete seitdem nur noch davon, ein Baum zu sein. Der stand barfuß draußen und wollte sich mit der Erde verwurzeln, bis wir ihn zum Abendessen hereinholten.

Während wir draußen unterwegs waren, ist noch etwas Seltsames passiert. Kirsty McGregor hat sich den Arm gebrochen, konnte aber gar nicht mehr sagen, wann genau und unter welchen Umständen. Und auch von den anderen wusste es niemand. Höchst eigenartig.

Oh, und beim Abendessen betrachtete Roberto Elena durch die „Sight“. Auf dieser Ebene gesehen, hatte sie gemalte Augen und war mit ihrem Block und ihrem Zeichenstift verbunden. Unter ihrer Haut lief schwarze Tinte entlang wie Blut in ihren Adern, und ihr Malblock wirkte sehr real, während Elena selbst blass erschien. Sehr beunruhigend. Und irgendwie genau das, was wir befürchtet hatten: Sie steht unter dem Einfluss ihres Malblocks.

Es war übrigens tatsächlich die „Sight“, was bei dem Ritual auf der Insel geschehen war, bekräftigten Roberto und Edward: Man hatte noch herumdiskutiert, wie genau man das Ritual durchführen wolle, und sich schließlich auf die vermeintlich harmloseste Variante geeinigt: etwas, das das „magische Potential“ der Teilnehmer öffnen würde. Dass sich das natürlich in der „Sight“ niederschlagen könnte, daran hatten weder Edward noch Roberto gedacht.

Vanessa Gruber war entsprechend angesäuert. „Ich dachte, ihr geht mit, damit eben nichts passiert? Damit das Ritual fehlschlägt?“ Aber auch auf diese Idee war keiner von uns gekommen, wir hatten immer nur daran gedacht, das Ganze so harmlos zu halten wie möglich. Seufz.

Naja, jetzt ist es leider nicht mehr zu ändern, es ist spät, und es war ein langer Tag. Gute Nacht!

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15. März. 08:25 Uhr.

Ooookay. Das muss ich jetzt vor dem Frühstück kurz aufschreiben, so viel Zeit muss sein.

Ich habe komisches Zeug geträumt, und dann war George in meinem Traum, und der erzählte mir, Edward habe soeben Roberto umgebracht. Davon wachte ich auf und ging natürlich sofort nachsehen, aber – dem Himmel sei Dank! – alles war in Ordnung. In Robertos Zimmer war alles ruhig, und auch Edward schlief ein wenig unruhig, aber fest. Puh.

Aber ich bin wie gerädert. Ich sehe aus dem Fenster, und draußen ist es neblig. Brrrrr. Passt.

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Beim Frühstück habe ich den anderen natürlich davon erzählt, und es stellte sich heraus, dass alle so seltsam geträumt hatten. Totilas muss sehr unruhig geschlafen haben, denn er sah ebenso fertig aus, wie ich mich fühle, und er erklärte, er werde jetzt in die Stadt fahren. Obwohl er es nicht aussprach, klang das für mich so, als habe er sich mit seinem Dämon auseinandergesetzt und wolle nun in die Stadt, um sich zu ernähren. Ich glaube, Genaueres will ich gar nicht wissen.

Roberto sah im Traum die gemalten Augen von Elena, und Edward träumte von Roberto, den unheimlichen Wolken, die Ms. Gruber tags zuvor herbeigezaubert hatte, und von der Badewanne mit Erde, in die wir Danny gesetzt hatten, als er meinte, er sei ein Baum. Nur dass im Traum Roberto in der Badewanne lag und Edward ihn gerade erschlagen hatte und er jetzt rief: „Verdammt, Roberto, kompostier' endlich!“

Danke, George. Du bist ein Traumfresser, da sollte man doch meinen, dass du inzwischen so langsam gelernt hast, dass Träume nicht unbedingt immer mit der Realität übereinstimmen. Aber nein, erstmal den guten alten Cardo mit solchen Schocknachrichten aufscheuchen...

Wir saßen noch beim Frühstück, da heulte draußen ein Wolf. Nur dass es kein echter Wolf war, wie Edward erkannte – was Jeffs Hund Snowball allerdings nicht daran hinderte, zurückzuheulen. Was wiederum Edward veranlasste, den kleinen Hund darauf hinzuweisen und dieser, Edwards amüsiertem Gesichtsausdruck zufolge, tatsächlich irgendetwas antwortete. Ich bin jedesmal wieder baff, wenn Edward mit Hunden redet. Langsam müsste ich mich doch eigentlich daran gewöhnt haben.

Kaum jemand hatte so richtig gut geschlafen, stellte sich heraus. Leyla war müde, Colby schlief wohl noch, und auch Edie war nicht im Speisesaal, und Danny saß wieder in seinem Terrakotta-Topf.
Leyla kam zu uns und sprach Edward auf das Wolfsheulen an – sie hatte ihn in der „Sight“ ja als Wolf gesehen –, doch er erklärte ihr trocken, dass er und seine, nennen wir es „Artgenossen“, auch wenn das das falsche Wort ist, nicht auf Geheul angewiesen seien, weil sie Telefone besäßen. Außer, er habe mal wieder ein Telefon kaputtgemacht, setzte er noch hinzu.

Leyla macht sich allerdings große Sorgen um Edie. In ihrem Zimmer ist sie nämlich nicht, und den ganzen Morgen hat sie noch niemand gesehen. Nicht dass es sie ist, die da heult, und das ein Zeichen dafür ist, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Edward und ich gehen jetzt nach ihr suchen.

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Santísimo padre en el cielo, socorre. Wir haben Edie gefunden. Zu spät.

Wir begannen unsere Suche im Wald, von wo das falsche Wolfsgeheul gekommen war. Edie fanden wir dort nicht, aber dafür an ein seltsames Gebilde aus Holz: ein langer Stamm, beinahe wie ein Mast, in den Boden gesteckt, dekoriert mit Stöcken und Blättern. Das Ganze wirkte, vor allem im Nebel, ziemlich unheimlich und als solle es für ein Ritual dienen, aber Edward stellte fest, dass keine magische Energie dahinter steckte.

Wir gingen weiter, kamen über den Nebel hinaus, der über den Kraterrand und den See gezogen war. Von hier oben hatten wir wieder eine Sicht auf den See, und dort schien es so, als läge da ein Segelschiff im Nebel vor Anker. Ein Segelschiff? Hier? Ah, das war natürlich das „Phantom Ship“, eine Insel, die an eben jener Stelle im See zu finden ist, wo ich das Segel zu sehen geglaubt hatte.

Der falsche Wolf heulte wieder, und ich rief laut nach Edie, erhielt aber keine Reaktion. Ein Stück weiter fanden wir wieder so ein Ast-Blätter-Gebilde, und hier konnte Edward einen Geruch aufnehmen: den von Maggie und Hattie, zwei älteren Damen und Freundinnen unserer Gastgeberin Margo, die ebenfalls das Wochenende auf der Lodge verbringen. Viel hatten wir mit ihnen bisher nicht zu tun, da sie tagsüber immer wandern gehen und entsprechend selten anwesend sind.

Aber dass Edward erwähnte, er könne hier den Geruch der beiden Damen wittern, brachte mich auf eine Idee. Wenn wir schon Edwards gute Nase zur Verfügung haben, konnte er doch damit auch nach Edie suchen!

Allerdings nicht ohne Vorbereitung, dazu wäre die Witterung vermutlich zu schwach. Also gingen wir zurück zur Lodge, wo Edward ein kleines Ritual wirkte, um seinen Geruchssinn zu schärfen. Dort bemerkten wir dann auch, dass sich Leute mit Gewehren in den Wald aufmachten, die den „Wolf“ jagen gehen wollten. Es hatte wenig Sinn, denen zu sagen, dass es kein echter Wolf war, denn die waren schon ein gutes Stück den Weg hinunter, aber das brachte uns dazu, uns Warnwesten aus dem Auto zu holen, damit man uns nicht aus Versehen für Wild hielt.

Während Edward und ich auf der Suche nach Edie waren, wollte Roberto sich übrigens Elenas Bilder ansehen, unauffällig natürlich, aber das klappte leider nicht. Maggie und Hattie haben noch einen jungen Mann dabei, einen Verwandten. Sohn? Neffe? Schwiegerson? Irgendwie sowas. Ich glaube, eine von beiden sagte bei der Vorstellung vorgestern etwas von „Stiefschwiegersohn“, wie auch immer das funktioniert.
Jedenfalls, dieser Typ bemerkte Roberto dabei, wie er Elenas Mappe durchblättern wollte, und stellte ihn zur Rede. Soviel dazu.

Nun also wirkte Edward sein Geruchsverstärkerritual, wobei der kleine Hund Snowball lustigerweise ständig um ihn herumwuselte und das, noch lustigerweise, Edward überhaupt nicht störte. Trotz, oder wegen, der Ablenkung gelang das Unterfangen, und Edward sagte, er habe Edies Geruch fest in der Nase.

Wir, oder besser Edward, folgte der Witterung, die schließlich hinunter zum See führte. Hier, abseits vom Pfad, bemerkte dann auch ich Spuren: die Abdrücke von bloßen Füßen. Da wurde die vage Sorge um Edie zum ersten Mal zu einem richtig, richtig schlechten Gefühl.

Und dann, am Ufer angekommen, sahen wir sie: Edie trieb ausgebreitet im See, von ihrem Haar umweht wie von einer Wolke. Malerisch. Zu malerisch. Wir stürzten uns sofort ins Wasser, holten sie ans Ufer, begannen mit Beatmung, aber es war zu spät. Wir konnten sie nicht mehr retten. Edies Leichnam sah ruhig aus, ernst und gefasst, wie eine Lady in einer mittelalterlichen Ballade. Oder in einem Gemälde.

Natürlich wurde sofort die Polizei verständigt. Alles stand unter Schock – stehen noch, um ehrlich zu sein. Jeder wurde verhört, natürlich. Und alle spekulierten, was denn wohl da geschehen sein mochte. Ein Unfall, dass Edie spazieren gegangen und am Abhang gestürzt war, immerhin gibt es da überall sehr steile Stellen? Selbstmord vielleicht, als Nachwirkung des Rituals, dass Edie das nicht verkraften konnte, was sie am Abend zuvor in der „Sight“ gesehen hatte?

Wobei diese letztere Überlegung nur unsere eigene war, bzw. wir diese Theorie nur mit Vanessa Gruber besprachen. Die hatte ja gestern noch mit Edie gesprochen, aber diese hatte alles verleugnet, was irgendwie nach Magie und Übernatürlichem klang, hatte das alles auf einen Drogentrip geschoben, und zwar sehr vehement, ebenso wie der Vorfall den anderen Gästen als fehlgeschlagenes Drogenexperiment verkauft worden war. Und so war ein verbleibender Drogeneinfluss tatsächlich auch für die Polizei und die übrigen Lodge-Besucher die wahrscheinlichste Todesursache. Mit diesem Urteil zogen die Beamten dann auch erst einmal wieder ab. Colby nahmen sie allerdings mit, da der, noch vom Ritual verstört, sich so seltsam benahm. Immerhin scheint der Vorfall Danny aus seiner „Ich bin ein Baum“-Phase gerissen zu haben, was nur ein schwacher Trost ist, aber wenigstens etwas. Ich bin selbst auch noch ziemlich aufgerüttelt, deswegen habe ich mich zum Schreiben zurückgezogen. Vielleicht beruhigt mich das ein bisschen.

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Eben hat Roberto uns alle – bis auf Totilas, der noch unterwegs ist – zusammengetrommelt, mit einer üblen Nachricht.

Maggie und Hattie, Margos ältere Freundinnen, kamen von ihrer Wanderung zurück, gerade als die Polizei uns alle vernahm.
Und Roberto hatte plötzlich einen Einfall, eine Art Intuition, die ihn dazu brachte, sich die beiden rüstigen alten Damen einmal in der „Sight“ anzusehen. Wir waren ja dabei, und für uns sah es in dem Moment so aus, als lege Hattie ihm tröstend die Hand auf den Arm. Aber für Roberto, in der „Sight“, waren es Klauen, die nach ihm griffen, und die alten Damen Hexen, Baba Yagas, wie Roberto sagte.

Von diesem neuen, erschreckenden Wissen ausgehend, untersuchten wir die Baumgebilde im Wald noch einmal, und Alex stellte fest, dass tatsächlich die beiden Rentnerinnen die Dinger aufgestellt hatten. Auch waren sie es wohl, die das Wolfsgeheul imitierten, vermutlich, um eine gruselige Stimmung zu verbreiten.

Oh Mann. Sollten die beiden etwas mit Edies Tod zu tun haben? Oder doch Elena? Immerhin vermuten wir ja schon seit gestern, dass sie irgendwie die Dinge, die sie zeichnet, wahr werden lassen kann. Wie schwer wäre es ihr gewesen, ein Bild von Edie tot im See zu malen, das dann irgendwie in Erfüllung gegangen ist? Und sie sah nicht sehr glücklich aus, dass ich gestern Abend nach dem Ritual so viel Zeit mit Edie verbrachte, um sie nach ihrem Schock zu beruhigen...
Aber – ¡Dios no lo quiera! – wenn es Elena war, weiß sie dann, was sie tut? Sie steht ja selbst auch bereits unter dem Einfluss ihres Malblocks...

Ich muss mit Elena reden. Vielleicht kann ich etwas herausfinden. Oder wenigstens mir ihre Bilder mal ansehen. Wir hatten ja ausgemacht, dass sie mir ihre Entwürfe für Indian Summer zeigen will, also wird es noch nicht einmal auffallen, wenn ich das Thema auf ihre Zeichnungen bringe. Roberto will den Aufpasser spielen – sprich, er geht unabhängig von mir in den Salon, um dort zu lesen, und für Elena und mich ist das auch der natürliche Ort, um sich ihre Bilder anzusehen. Ich hoffe ja, Robertos Vorsicht ist unnötig. Aber selbst wenn ich bisweilen ein bisschen naiv sein mag: So naiv, dass ich sein Angebot ablehnen würde, bin ich nicht.

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Ich habe die Bilder gesehen. Und ja, Elena kann unglaublich gut zeichnen. Aber es war irgendwie schon ein bisschen beunruhigend, dass auf allen Bildern Eric Albarn so aussah wie ich. Während ich so durch die Zeichnungen blätterte – ihren Malblock hatte Elena natürlich auch dabei, sie scheint ja nirgendwo ohne den hinzugehen, aber den gab sie nicht aus der Hand, sondern zeigte mir nur ihre Mappe – kam ich auf einmal an einige Blätter, von denen Elena anscheinend gar nicht mehr gewusst hatte, dass sie ebenfalls in der Mappe lagen. Es waren Zeichnungen von Eric Albarn, also von mir im Prinzip, und von dem Schauspieler Orlando Bloom, genauer gesagt, von dem von ihm im Herrn der Ringe gespielten Charakter Legolas. Und die beiden Charaktere auf den Bildern ... ähm. Bei von Fans geschriebenen Kurzgeschichten nennt man das wohl "Slash-Fiction", dann muss das hier "Slash-Art" gewesen sein.

Madre de Dios, es war ja sogar mir ein bisschen peinlich, diese höchst privaten Bilder gesehen zu haben. Aber Elena erst! Als sie merkte, was ich mir da ansah, quiekte sie wie ein Teenager, lief blutrot an und rannte davon. Die Mappe vergaß sie in ihrer Bestürzung.

Es hätte keinen Sinn gehabt, ihr in diesem Moment nachzulaufen, glaube ich, und ich wollte ja ohnehin in den Zeichnungen nach einem Anhaltspunkt suchen. Also habe ich mir den Rest der Mappe auch noch angesehen. Irgendwelche Motive, die mit dem zu tun hatten, was Edie geschehen ist, habe ich nicht gesehen, was für die Theorie spricht, dass Elena – wenn sie diejenige ist – diese Zeichnungen nur in ihrem Malblock hat.

Aber etwas anderes habe ich gesehen. Unter den Entwürfen für Indian Summer war auch ein Bild vom Showdown in der Westernstadt. Und die Zeichnung war haargenau eine Abbildung des Filmsets vom letzten Frühjahr. Nun war das Filmset ja relativ genau nach dem Buch erstellt worden, aber es waren einige Elemente im Buch nicht explizit beschrieben, die aber beim Dreh zu sehen waren, und auch die hatte Elena auf ihrer Zeichnung verewigt. Allen voran das Totem, hinter dem die Bucas her waren, und dessen Aussehen ich im Buch nie genau ausformuliert hatte. Aber Elena hatte genau das Totem aus dem Film gezeichnet, und davon konnte sie nichts wissen. Mierda.

Während ich Roberto noch davon erzählte und ihm die Zeichnung vom Filmset zeigte, kamen Hattie und Maggie herein und brachten selbstgebackenen Apfelkuchen. „Zum Trost nach dem tragischen Vorfall“, wie sie sagten. In unserem Wissen um die beiden nahmen wir uns zwar ein Stück, taten aber nur so, als würden wir davon essen, und nahmen den Rest „für später“ mit. Alle anderen jedoch schlugen mit Begeisterung zu, und die beiden alten Damen wirkten glücklich, dass ihr Kuchen solchen Anklang fand.

Sobald wir konnten, zogen Roberto und ich uns zurück, um die anderen zu suchen und ihnen Bericht zu erstatten. Alex hatte inzwischen aus Robertos Aftershave einen Brandbeschleuniger gebastelt, als „Plan B“, falls Elenas Malblock schnell Feuer fangen müsse. Den Feuerlöscher hatte er auch gleich aus dem Bus geholt und bereit gemacht. Sicher ist sicher.

Roberto und Edward untersuchten den Kuchen, allerdings nicht über Robertos „Sight“, sondern per magisch-chemischer Analyse. Der Kuchen ist nicht giftig, stellten sie fest, aber er macht den Essenden empfänglicher für Einflüsterungen und Beeinflussung aller Art.

Über diesen Fund, und über die Tatsache, dass die beiden Rentnerinnen Hexen sind, informierten wir umgehend Ms. Gruber. Vanessa reinigte sich magisch von dem Kuchen und beteiligte sich dann an unserem Rätselraten. Planen die Hexen etwa ein Ritual auf Wizard Island? Weiß Elena, was sie tut, oder steht sie unter dem Einfluss der beiden alten Damen, oder ihres Malblocks, oder beider? Wir wissen es nicht, wir können es nur vermuten.

Irgendwann kam dann auch Margo zurück aus der Stadt, wo sie ja beim Arzt gewesen war, und wurde über die neuesten Entwicklungen informiert. Über Edies Tod war sie natürlich völlig geschockt. Ich sprach kurz mit ihr, fragte sie nach ihrer Beziehung zu Maggie und Hattie. Die beiden hätten ihr die Lodge empfohlen, sagte sie. Und „Die sind echt lieb.“ Aber wie sie das sagte, klang heruntergeleiert. Auswendig gelernt. Ein Automatismus.

Das Abendessen kochte übrigens Alex, ein Chili con Carne – oder, in seinen Worten, ein Chili con Durchfall. Wir selbst haben natürlich nichts davon gegessen, sondern wieder nur getan, als ob, aber so hoffen wir, den magischen Apfelkuchen aus den anderen herauszubekommen. Nicht dass die Hexen in der Nacht die ganze Belegschaft auf Wizard Island locken wollen.

Totilas ist noch nicht wieder da, aber wenn der bis Eugene gefahren sein sollte statt nur bis Klamath Falls, ist das auch kein Wunder.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.03.2015 | 00:19
16. März, morgens.

Ich habe schon wieder so seltsam geträumt. Diesmal war George, der kleine burro, nicht involviert, stattdessen hatte ich das Gefühl, irgendetwas greift nach mir. Muss wohl eine Folge der Ereignisse gestern und der ganzen Gruselstimmung hier sein. Erstmal frühstücken gehen und einen Kaffee trinken, dann wird es bestimmt besser.

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BOAH!!!

Dieser elende Besserwisser! Das geht mir so auf die Nerven! Ernsthaft jetzt!

Nicht mal in Ruhe sein Frühstück essen kann man. Ich wollte doch nichts weiter als einfach nur meinen Kaffee trinken. Aber nein, Roberto muss ankommen, mit diesem bescheuerten näselnden und überheblichen Tonfall, den er immer draufhat, wenn er denkt, er weiß alles, und wir anderen sind kleine Hosenscheißer: „Und was machen wir jeeeetzt?“ Mit diesem oberlehrerhaften Frageton am Ende, als wisse er es natürlich schon ganz genau, wolle es aber von seinen minderbemittelten Schülern nochmal hören. Boah, dieser bescheuerte sabelotodo!

Und als ich mich wehrte, hauten Alex und Edward natürlich voll in dieselbe Kerbe. Na klasse. Gerade von Edward hätte ich das nicht gedacht. Aber der war heute morgen eh so grummelig, noch viel grummeliger als sonst. Gah! Das hab ich grad noch gebraucht. ¡De verdad, eso me pone los nervios de punta!

Ich brauche jetzt erstmal frische Luft. GAH!

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Ich habe einen Spaziergang gemacht. Mit Elena. Dass die anderen so bescheuert drauf sind, muss mich ja nicht daran hindern, der Sache weiter nachzugehen und versuchen, mehr über sie und ihre magischen Zeichenkünste herauszufinden.

Wobei es eher Zufall war, ich habe sie nicht absichtlich gesucht. Aber sie saß da auf einem Felsen und zeichnete, und da habe ich die Gelegenheit genutzt und bin zu ihr hin. Dummerweise konnte ich nicht sehen, was genau sie da malte, aber bei einem Spaziergang, dachte ich, würde sich ja vielleicht die Gelegenheit ergeben, etwas aus ihr rauszubekommen.

Der Spaziergang war eigentlich ziemlich nett. Wir unterhielten uns über alles Mögliche: über die Lesereise diese und nächste Woche, über die Gegend hier, die Wanderung, die ich gestern unternommen habe, die Tiere, die ich dabei sah. Elena meinte, es solle hier einen Adler geben, und ich antwortete, ich hätte aus der Ferne einen großen Vogel gesehen, aber ich wisse nicht, ob es der Adler gewesen sei oder etwas anderes.

Da fragte sie mich, ob ich den Adler gerne aus der Nähe sehen würde, und ich meinte, klar, das wäre schon toll. Da lächelte sie mich an und setzte sich auf einen Baumstumpf, holte ihren Malblock heraus und fing an zu zeichnen. Und diesmal konnte ich ihr über die Schulter sehen, was sie da machte: Mit schnellen, geschickten Strichen erweckte sie den See zum Leben, den Weg, ihre sitzende Gestalt auf dem Baumstumpf und meine stehende daneben – und dann zeichnete sie im Himmel über uns einen Adler hin, der majestätisch über dem See in unsere Richtung schwebte.

Und kaum hatte sie den letzten Strich gesetzt, hörten wir ein heiseres Kreischen, und aus der Ferne kam der Adler herangeflogen, kreiste mehrmals über unseren Köpfen, dass man ihn richtig gut sehen konnte. Da hatte ich also meinen Beweis: Elena kann Dinge wahr-zeichnen.

Ich fragte sie dazu ein paar Sachen, vorsichtig, um sie nicht zu alarmieren, aber dass sie das konnte, war ja nun offensichtlich. Elena meinte, sie könne das schon eine Weile, und sie würde das irgendwie in sich spüren.
Ich wollte sie noch detaillierter dazu befragen, aber das klappte nicht. Denn ich hatte gerade die nächste Frage auf der Zunge, da hörten wir Stimmen, und auf dem Weg erschienen... wer sonst als die Jungs.

Boah, nerv! Ausgerechnet! Gerade, wo ich Elena soweit hatte, dass sie ein bisschen am Auftauen war und mal den Mund aufmachte! Schlechter hätte deren Timing echt nicht sein können, und wenn sie es darauf angelegt hätten! Und überhaupt, wie hatten die uns hier gefunden? Hatten die mich etwa verfolgt?! Was fällt denen ein!

Roberto bekam diesen komischen Blick, den er immer hat, wenn er seine „Sight“ aufmacht. Und mit diesem Blick sah er mich an. Betrachtete der mich etwa in der „Sight“?! Wollte der etwa irgendwelche Geheimnisse über mich herausfinden oder was? Das wurde ja immer besser!

Elena hatte natürlich sofort dichtgemacht und bekam keinen Ton mehr heraus. Also wimmelte ich die Jungs schleunigst ab – meine Meinung sagte ich ihnen dabei auch gleich mit – und zog mit Elena weiter. Mann, was war ich erleichtert, als die anderen endlich außer Sicht waren!

Ich wollte das Gespräch wieder auf Elenas Zeichenkünste bringen, aber der Moment war vorüber. Mierda.
Statt dessen schaute sie über den See, kein Nebel heute, und machte eine Bemerkung wegen des unglaublich blauen Wassers – ein Ablenkungsmanöver, ganz klar.

Während wir so den See betrachteten, sahen wir Danny, der in einem Ruderboot zum Phantom Ship unterwegs war, dieser anderen Insel im See. Elena lächelte mich an und meinte, dort sei es total spannend, und ob wir nicht auch hin wollten. Warum nicht – dorthin würden die anderen mir wenigstens nicht nachkommen!

Ja denkste. Auf dem Weg zum Anlegesteg, wo das zweite Boot vertäut war, sahen wir prompt die Jungs ebenfalls in dieselbe Richtung stiefeln. Können die mich nicht mal eine Minute in Ruhe lassen?! Ich beschleunigte meine Schritte, Elena tat es mir gleich, und so kamen wir vor den Nervensägen am Boot an. Hah. Wenn sie partout auch auf den See hinaus wollten, sollten sie doch schwimmen! Aber sie drehten ab, als sie sahen, dass wir das Boot zuerst erreichten. Ich wiederhole mich, aber: Hah.

Als wir am Phantom Ship anlegten, lag Dannys Boot bereits in einer der kleinen Buchten. Wir jedoch fuhren einmal um  das Inselchen herum auf die andere Seite, wo es einen besseren Landeplatz gab, wie Elena sagte. Während wir um die Spitze ruderten, sahen wir, dass die Jungs sich irgendwo ein drittes Boot besorgt haben mussten – es sah verdächtig nach einem Gummiboot aus. Mann, ernsthaft jetzt!? Wollen die mir jetzt wirklich auf Schritt und Tritt auf der Pelle hängen? Langsam macht mich das echt wütend.

Aber von dem anderen Landeplatz aus waren weder das Gummiboot noch Dannys Jolle zu sehen, und Elena führte mich auf einem kleinen Pfad die Felsen hoch, wo wir eine perfekte Aussicht über den See hatten, ohne von irgendwem gestört zu werden. Elena setzte sich auf einen abgeflachten Felsen und klopfte mit der flachen Hand auf den Stein neben sich, seufzte zufrieden. Ich jedoch hatte irgendwie ein richtig ungutes Gefühl bei der Sache, als würden sich all meine Nackenhaare aufstellen oder so.

Elena merkte das. Sie lächelte mich an und meinte, ich solle mich für die Insel öffnen, das sei eine tolle Erfahrung, die ihr echt geholfen habe. Aber... nein. Nein, danke. Ich tat, was ich konnte, um mich gegen jegliche Art geistiger Öffnung zu wehren, auch wenn Elena mit einem „entspann dich doch, alles ist gut!“ anfing, mir die Schultern und die Schläfen zu massieren. Irgendwas gefiel mir an der Insel ganz und gar nicht.

Als Elena erkannte, dass ihre Massage nichts brachte, schlug sie vor, mir doch ein Bild aus dieser Perspektive zu zeichnen, ein Bild vom See mit dem Phantom Ship darauf, damit ich einen anderen Eindruck davon bekäme. Aber nein, auch das wollte ich nicht, denn ich wusste ja jetzt, dass Elena Dinge herbeizeichnen kann, die dann wahr werden, und ich hatte den übermächtigen Drang, das auf keinen Fall zuzulassen, mein ungutes Gefühl von der Insel nicht zu verlieren.

Glücklicherweise gelang es mir, sie umzustimmen und vorzuschlagen, dass sie doch besser diese eine Szene aus dem Buch zeichnen solle, über die wir uns vorgestern abend noch unterhalten hatten. Dazu sollten wir aber besser von der Insel runter, erklärte ich, denn hier auf dem Felsen zu sitzen zum Zeichnen sei doch arg unbequem. Und puh, was war ich erleichtert, als wir das Phantom Ship verließen und zum Ufer zurückruderten.

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BOAH!!! Das schlägt wirklich und wahrhaftig dem Fass den Boden aus. Was bin ich wütend!!!

Eben war Margo bei mir. Sie hatte einen ganz seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht, als sie zu mir kam und mich ansprach. Und dann meinte sie, meine Freunde wollten mich auf die Insel lotsen, und sie hätten sie eigentlich gebeten, nichts zu sagen, aber immerhin sei ja ich ihr Gast und die anderen nur meine Begleiter, und deswegen sei es nur fair, mir die Wahrheit zu sagen.

Einen Moment lang starrte ich sie nur an, wort- und verständnislos. Was hatten diese payasos jetzt wieder vor?

Also holte Margo etwas weiter aus. Roberto war zu ihr gekommen und hatte etwas von einem „Zwist mit unserem Freund“ gesagt (Zwist? Hah, dass ich nicht lache! Die benehmen sich schon den ganzen Tag vollkommen unmöglich! Soll man da etwa nicht aus der Haut fahren?) und dass Margo ihn doch bitte unter einem Vorwand auf Wizard Island bringen solle zwecks Versöhnung.

Margo – die bei Robertos Worten davon ausging, dass dieser Edward meinte – ging zu dem und bat ihn, ihr zu helfen, weil sie auf der Insel ein Abschieds-Grillfest veranstalten wolle und jemanden brauche, der mit ihr zusammen die Sachen hinbringe. Edward habe sie daraufhin gebeten, auch mich zu dem Grillfest mitzubringen, ich „sei so seltsam drauf“. Hah.

Sie verabredeten sich dann für den frühen Abend, um die Sachen für das „Grillfest“ hinüberzurudern, aber kurze Zeit später kam Roberto nochmal zu Margo und erklärte ihr, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe, dass ich es sei, der das Problem darstelle. HAH!

Und das war dann eben der Moment, in dem Margo zu mir kam und mir alles erzählte. Sie fragte auch, ob sie die Jungs ausladen solle, denn, wie gesagt, immerhin sei ich der Gast hier, und wenn meine Freunde mir Schwierigkeiten machten, könne sie ohne weiteres von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und sie der Lodge verweisen.

Einen Moment lang war ich auch echt in Versuchung, von dem Angebot Gebrauch zu machen, aber, so schwer es mir fiel, schüttelte ich dann doch den Kopf. Es war ja nur noch für heute, dachte ich, morgen früh ist die Abreise, und so lange würde ich denen einfach aus dem Weg gehen.

Aber ich bat Margo, mir einen Mietwagen zu besorgen. Kommt nicht infrage, dass ich morgen mit den anderen im Bus fahre. Und ich fragte, ob ich vielleicht für die letzte Nacht in eine andere Hütte umziehen könne, da ich auf gar keinen Fall noch eine weitere Nacht mit diesen Deppen unter einem Dach verbringen will. Vielleicht lassen mich Leyla und Danny zu sich. In deren Blockhaus ist ja jetzt Platz.

Margo sagte, sie werde alles einrichten, und zog wieder ab. Ich hingegen ging in unsere Hütte, um meine Sachen zu holen – und stellte fest, dass mein Tagebuch weg ist, ebenso wie die Mappe mit Elenas Zeichnungen! Diese Mistkerle haben mein Tagebuch gestohlen!! Dazu haben sie kein Recht!! Ich bin so wütend!!! Das hier schreibe ich jetzt gerade auf loses Papier, ich musste es einfach loswerden. Aber BOAH!! Wie können sie es wagen!!! Und ich dachte wirklich mal, das seien meine Freunde!

Ich gehe jetzt und hole mir mein Tagebuch wieder.

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O madre mia. Was für eine verfahrene mierda.

Bei meiner Suche fand ich zunächst nur Roberto, den ich voller gerechtem Zorn anschrie, wo mein Tagebuch und Elenas Mappe seien. Er jedoch, was mich nur noch viel mehr auf die Palme brachte, blieb ganz ruhig und meinte, ich solle halt mitkommen, dann würde ich meine Sachen wiederbekommen.

Ich kochte förmlich vor Wut, folgte ihm aber zum Boot, und wir ruderten zum Wizard Island hinüber, wo ich gar nicht groß wartete, sondern aufgebracht den Pfad hinaufstapfte, Roberto dicht hinter mir.

Edward und Alex waren an dem versteckten, unverbrauchten Ritualplatz, den die drei bei ihrem ersten Besuch auf der Insel entdeckt hatten. Irgendwie wunderte es mich gar nicht, dass sie da irgendein Ritual vorbereiteten. Sie hatten einen Kreis gezogen, und darin lagen, das sah ich auf den ersten Blick, neben ein paar anderen Sachen mein Tagebuch und Elenas Zeichenmappe.

Ich stürmte natürlich sofort auf meine Sachen zu – da lag noch ein Foto von uns allen, stellte ich im Näherkommen fest, außerdem ein Donut. Und in dem Moment, als ich den Kreis betrat, fing Roberto an zu singen – da erkannte ich noch nicht, was es war; erst vorhin fiel mir dann wieder ein, woher ich das Stück kenne. Es war die Titelmelodie der Zeichentrickserie „My Little Pony – Friendship is Magic“, die Alejandra so gerne sieht. Alex hatte ein Feuerzeug in der Hand und verbrannte sich gerade den Unterarm, und auch Edward war gerade dabei, sich selbst einen Schnitt zu versetzen, während er seine magische Ritualformel sprach. Was zum...?

Und dann, plötzlich, war es, als mache es 'Plopp' in meinem Kopf, so ähnlich, wie wenn einem im Flugzeug die Ohren verstopfen und man schlucken muss und erst dann plötzlich wieder alles hört. Und ich erkannte, dass meine Abneigung gegen die Jungs künstlich herbeigeführt worden war, dass Elena irgendwas mit mir gemacht hatte, um mir diesen Hass auf meine Freunde einzupflanzen.

Die drei erzählten mir, dass ihnen irgendwann im Laufe des Vormittags der Verdacht gekommen sei, dass Elena mich beeinflusst haben könne. Daraufhin hatten sie dann zunächst mit Vanessa geredet und der Elenas Aussehen in der „Sight“ beschrieben, was diese zu großer Sorge veranlasste, dann gingen sie mich suchen. Als wir während des Spaziergangs aufeinandertrafen, hat Roberto mich tatsächlich in der „Sight“ betrachtet und festgestellt, dass ich ein Stirnband aus Dornen trug, das irgendwie mit einem Bild der Jungs verbunden war, dass Elenas Hände klauenartig nach mir griffen und ihr Stift an mir klebte, ja schon beinahe in mir steckte. Daraufhin planten sie dann eben das Ritual, um mich von der Beeinflussung zu befreien.

Das Fiese ist nur... obwohl ich jetzt weiß, dass die Abneigung künstlich ist, ist sie nicht verschwunden. Ich sehe die Jungs an und verspüre noch immer nichts als Widerwillen und Antipathie, und das einzige, was ich tun kann, ist mit meinem Verstand dagegen anzukämpfen, weil ich weiß, dass es nicht echt ist.

Mit dem Phantom Ship stimmt tatsächlich etwas nicht, erzählten die Jungs noch. Alex hat gespürt, dass die Grenze zum Nevernever dort dünner ist und etwas dahinter lauert, das nicht gut ist. Als sei ein schlafendes Monster gerade dabei, sich zu regen, als sei etwas Böses gerade am Erwachen. Und die Düsternis, die Edward gestern gespürt hat, kam, kommt, von dort.

Alex gab mir noch seinen Brandbeschleuniger für den Fall, dass Elenas Block schnell brennen müsse. Der gegenüber darf ich mir natürlich nichts anmerken lassen; sie muss denken, dass ich weiterhin voll unter ihrem Einfluss stehe, sonst kommt sie noch auf die Idee, etwas Neues, Schlimmeres, für mich zu zeichnen.

Wieder an Land habe mich erst einmal abgesetzt, und zwar tatsächlich in Leylas und Dannys Hütte. Und auch den Mietwagen werde ich nicht abbestellen. Denn wie gesagt, die Antipathie gegenüber den Jungs ist noch immer vorhanden, obwohl ich weiß, dass sie nicht echt ist, und ich muss denen jetzt einfach eine Weile aus dem Weg gehen.

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Eben beim Abendessen habe ich mich zu Kirsty McGregor und Michael Stackpole gesetzt und hatte endlich mal die Gelegenheit, ein bisschen ausführlicher mit denen zu reden. Das war fein, das hätte ich während des Wochenendes mal schon viel eher machen sollen.

Das Seltsame war nur: Kirstys Arm war wieder völlig in Ordnung, und sie hatte auch keinerlei Erinnerung daran, dass etwas damit nicht gestimmt hatte. Muy curioso.

Ich gab dann Barry noch ein Autogramm für dessen Frau und Tochter, und Edward ließ sich zu meiner Überraschung ein Autogramm von Kirsty McGregor geben. Erst dann fiel mir ein, dass Edward bei der ersten Erwähnung ihres Namens in der Vorbereitung auf diese Reise mal gesagt hatte, den Namen kenne er, Cherie lese ihre Bücher recht gerne. Ob er mit dem Autogramm versuchen will, Cherie zurückzugewinnen?
Außerdem sah ich von weitem, wie Edward und Vanessa jeder etwas aufschrieben und die Zettel dann austauschten. Adressen? Telefonnummern? Die Warden zum Kontakt zu haben, kann sicherlich nicht schaden.

Elena war nicht so glücklich darüber, dass ich mich anderen Leuten widmete als ihr selbst, aber sie sagte nichts deswegen. Und ich hütete mich, ihr zu zeigen, dass sich etwas geändert hat; ich ging den Jungs weiterhin nach Kräften aus dem Weg. Was mir, wie bereits erwähnt, nicht sonderlich schwer fiel.

Den Abend werde ich wohl einfach mit Kirsty und Mike im Salon verbringen und Autorengespräche führen.

Da! Eben kamen Maggie und Hattie zu Elena und redeten mir ihr. Sie sahen verstohlen zu mir hinüber und tätschelten ihr die Hand, und dann gingen alle drei.

Warte, Alcazár, warte... gib ihnen einen kleinen Vorsprung und dann hinterher!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 31.03.2015 | 01:39
Oh Mann. Wo anfangen. Am besten einfach der Reihe nach; vielleicht... vielleicht hilft das, die Gedanken etwas klar zu bekommen. Aber ich glaube nicht so recht daran.

Ich folgte den drei Hexen bis zur Lodge der beiden alten Damen. (Die Jungs hatten mir übrigens auf der Insel noch erzählt, dass sich Vanessa Gruber die beiden Rentnerinnen in der „Sight“ angesehen und als echte Warlocks identifiziert hat, die definitiv etwas planten.) Aus der Hütte kam deren Stiefschwiegersohn – dessen Namen ich nie erfahren habe, glaube ich – und gingen in Richtung See.

Die anderen, die Vanessa suchen gegangen waren, als die drei Hexen den Salon verließen, hatten diese inzwischen gefunden, denn auf dem Weg zum See stießen sie zu mir, und wir verfolgten die drei weiter. Erst waren wir relativ unauffällig, aber je näher wir dem See kamen, um so unruhiger wurde Ms. Gruber. „Wir sollten sie keinesfalls auf die Insel lassen“, erklärte sie und hob ihren mit Muscheln besetzten Magierstab.

Dass Vanessa sich auf Wassermagie spezialisiert hat, das war uns ja schon vorher aufgefallen, und auch jetzt wirkte sie wieder einen entsprechenden Zauber: Mit einer Wasserhose zerstörte sie das Boot.

Als die beiden alten Damen sahen, dass ihr Transportmittel unbrauchbar geworden war, fauchten sie wütend auf und fletschten die Zähne, und wir konnten sehen, dass es ganz eigenartige, tierhafte Reißzähne waren.

Elena riss ihren Malblock hoch und begann im Stehen zu zeichnen. Wir durften keinesfalls zulassen, dass das, was sie da malte, Wirklichkeit wurde, also übergoss ich den Block schnell mit dem Brandbeschleuniger, den Alex mir gegeben hatte, und Roberto, direkt neben mir, zündete die Seiten an.

Indessen rannte der Schwiegersohn zu Vanessa, wurde aber von dieser verletzt. Auch Edward stürmte zu dem großen Kerl hin, zog ihn von Vanessa weg und begann, ihn zu verprügeln.

Die beiden alten Hexen lachten böse und pusteten irgendetwas in Vanessas Richtung, ein gelbes Pulver, das die Magierin einhüllte. Sie schrie laut auf vor Schmerzen: Offensichtlich hatte der Staub eine giftige oder ätzende Wirkung. Alex fackelte nicht lange, sondern warf sie in den See, um das Pulver von ihr abzuwaschen. Dann sprang er hinterher, um Vanessa aus der Gefahrenzone zu bringen, denn aus eigener Kraft bewegte die Österreicherin sich nicht.

Elena warf ihren brennenden Zeichenblock nach mir, ich konnte aber gerade noch beiseite springen, so dass der Block mich nur streifte und ich kein Feuer fing. Roberto, der näher bei Elena war als ich, nahm sie in den Schwitzkasten und machte den beiden älteren Hexen gegenüber Drohgebärden, als wolle er Elena töten. Dies veranlasste Hattie, eine Puppe herauszuziehen, die Roberto vage ähnelte, während ihre Schwester der Puppe den Arm brach. In diesem Moment schrie Roberto auf und hielt sich den Arm – offensichtlich war da irgendein, wie hat Ximena das mal genannt, Sympathie-Zauber zwischen Puppe und Mensch am Werk. Die Gelegenheit nutzte Elena, um ihren Stift in Roberto zu bohren.

Ich hatte noch immer die Flasche mit dem leicht brennbaren Aftershave in der Hand, und ein bisschen was war noch darin, also sprühte ich diesen Rest Maggie ins Gesicht. Die schrie auf und rieb sich die Augen, aber davon schien die Flüssigkeit ihr nur tiefer in die Augen zu geraten, denn sie fauchte, und ihre Augen tränten, und sie tastete blind umher.
Ihre Schwester Hattie stürmte auf mich zu und griff mit ihren Krallen nach mir, aber es gelang mir, ihren Arm hart zur Seite zu schlagen – deutlich härter, als ich das wohl unter anderen Umständen getan hätte.

Edward und der Stiefschwiegersohn prügelten sich noch immer, waren inzwischen beide zu Boden gegangen und rollten da ringend herum, bis Edward schließlich die Oberhand gewann und den Kerl mit einem gezielten Schlag ins Reich der Träume schickte. Roberto hingegen, gebrochener Arm oder nicht, legte den unverletzten Arm um Elena und küsste sie hingebungsvoll.

Inzwischen hatte Alex Vanessa Gruber aus dem Wasser gezogen und sie irgendwo außer Reichweite hingelegt. Jetzt kam er zu uns zurück und griff in das Kampfgeschehen ein, indem er die noch immer blind herumtastende Maggie ergriff, ihr das Feuerzeug an den Kopf hielt und ein lautes „HALT!“ in Richtung ihrer Schwester rief. Hattie allerdings war nicht sonderlich beeindruckt von der Drohgebärde, sondern fauchte wütend und schien einen Zauber vorzubereiten.

Ich warf die jetzt leere Aftershave-Flasche nach der Hexe, um sie abzulenken. Das gab Edward die Gelegenheit, zu Hattie hinzukommen und ihr die Faust in die Rippen zu rammen. Mit einem Schmerzenskrächzer ging die Hexe zu Boden und begann zu röcheln.

Roberto küsste Elena noch immer. Die war völlig überfordert von der Situation, wand sich ein wenig in Robertos Armen; doch eigentlich gefiel ihr der Kuss, soviel war offensichtlich, denn inzwischen erwiderte sie diesen leidenschaftlich.

Maggie rief etwas. Fremdartige, gutturale Worte: ein Zauber. Ihre Stimme wurde tiefer, und ihre Haut schien sich zu verschieben. Sie hob die Arme gen Himmel, wie einladend, und dann ging ein Ruck durch sie, und sie lachte und war nicht mehr sie selbst, sondern wir sahen uns dem Dämon gegenüber, den sie gerufen und der von ihr Besitz ergriffen hatte.

Alex fackelte nicht lange, sondern aktivierte sein Feuerzeug, das er Maggie ja noch immer an den Kopf hielt. Und weil die Hexe das Brandbeschleuniger-Aftershave im Gesicht hatte, fing sie umgehend Feuer. Alex ließ sein Feuerzeug sinken und machte die Handbewegungen, die ich inzwischen damit assoziiere, dass er ein Tor ins Nevernever öffnen will.

Der Dämon indessen kümmerte sich gar nicht darum, dass er brannte, sondern ging mit seinen flammenden Fäusten auf Edward los, der aber ausweichen konnte. Dass Edward nicht da war, wo der Dämon ihn vermutete, schien diesen zu verwirren, und ich versuchte, ihn zu verspotten, um ihn noch weiter abzulenken – nur so verwirrt war er dann leider doch nicht, dass er sich davon hätte ablenken lassen.

Edward versetze dem Dämon Hieb um Hieb, aber ich war mir nicht sicher, ob er damit überhaupt etwas ausrichtete.
Während der Dämon aber mit Edward beschäftigt war, gelang es Alex, sein Tor zu öffnen, und er zwang den Dämon hindurch.
Nur den Dämon, wohlgemerkt. Seine sterbliche Hülle, die Hexe Maggie, fiel leblos zu Boden.

Roberto hatte inzwischen Elena den Stift weggenommen, den diese, völlig gebannt von seinem Kuss, nur noch locker in der Hand hielt. Noch immer küsste er sie. Und dann...

Que Dios tenga misericordia.

Dann hob Roberto den Zeichenstift, den er Elena eben weggenommen hatte, und rammte ihr diesen in den Hals. Elenas Augen weiteten sich, dann sackte sie in seinen Armen zusammen.

Und dann war es vorbei. Da lagen die drei toten Frauen – Roberto hatte Elena sanft, beinahe ehrfürchtig, zu Boden gleiten lassen, und es war nicht zu übersehen, dass sie tot war. Maggie hatte es nicht überlebt, dass der Dämon sie verließ, und auch Hattie war nicht mehr am Leben: Anscheinend war Edwards Hieb so heftig gewesen, dass eine gebrochene Rippe die Lunge der Hexe durchbohrt hatte.

Vanessa Gruber, schwer verletzt, lag reglos, wo Alex sie hingebracht hatte. Der Stiefschwiegersohn war verschwunden. Da, wo er zu Boden gegangen war, lagen nur noch seine Kleider und einige Stöcke. Als hätten die Hexen ein Konstrukt herbeigezaubert und animiert.

Alex bugsierte die drei Leichen durch das Tor ins Nevernever. Und ich? Ich konnte Roberto nur anstarren. Wie konnte er das tun? Ja, Elena hatte mich beeinflusst, aber sie stand doch selbst unter dem Einfluss ihres Malblocks, das hatte Roberto selbst in der „Sight“ gesehen. Vielleicht hätte es doch eine Möglichkeit gegeben, Elena von diesem Einfluss zu befreien und sie zu retten...

Ich weiß nicht mehr, ob ich Roberto anschrie oder so schockiert war, dass ich ruhig sprach. Meine Erinnerungen an den Moment sind vage. Aber ob laut oder leise, ich konfrontierte ihn mit seiner Tat, machte ihm Vorwürfe. Roberto sah mich nur an, murmelte kühl etwas von wegen „Es ging nicht anders, es gab keine Rettung für sie“ und „Du bist zu weich, Cardo.“

Ich musste da weg. Die ganze von Elena mir gegen die Jungs eingepflanzte Antipathie kochte wieder hoch, und diesmal gelang es mir nicht, mit meinem Kopf dagegen anzugehen. Auf die Idee kam ich nicht einmal. Ich konnte nur eines denken: weg hier.

Also hob ich Vanessa hoch und trug sie zur Lodge. Innerlich war ich wie gelähmt, vor den Kopf geschlagen. Wie ein Automat rief ich die Nummer des Notrufs an, bat um einen Rettungshubschrauber. Wie ein Automat sagte ich zu Margo und den Gästen, die aufgeregt angelaufen kamen, etwas von einer Fehlfunktion des Bootes, von einem explodierten Motor, von ausgetretener und versprühter Batteriesäure, die Vanessa verätzt habe. Dieselbe Erklärung für die Rettungssanitäter, die einige Zeit später eintrafen.

Aber sie konnten Vanessa nicht mit dem Hubschrauber ausfliegen. Sie wollten sie an ein Beatmungsgerät anschließen und in einer Röhre transportieren, und das ging nicht im Helikopter.
Alex war, nicht ganz so schwer wie Vanessa, aber ebenfalls von dem Pulver der Hexen verätzt worden und musste ebenfalls ins Krankenhaus. Ebenso Roberto mit seinem gebrochenen Arm. Also brachte man die beiden durch die Luft weg, während Vanessa über den Landweg weggebracht wurde. Nach Portland wollten sie sie wohl bringen, entnahm ich dem Gespräch. „Komisch, dass sie mit diesen Verletzungen überhaupt noch am Leben ist“, hörte ich außerdem einen der Rettungssanitäter sagen. Ich machte ihn nicht darauf aufmerksam, dass Magier anscheinend häufiger über besondere Heilkräfte verfügen. Wie hätte ich das auch erklären sollen? Besser, die Ärzte glauben an ein Wunder.

Edward packte eilig Vanessas Sachen zusammen und fuhr dann damit hinter dem Krankenwagen her.
Normalerweise wäre ich vermutlich auch mitgefahren, aber nicht so. Nicht da. Ich stand immer noch ein wenig unter Schock, glaube ich, als ich die Leute in der Lodge zu beruhigen versuchte.

Roberto kam abends noch wieder. Sein Arm war anscheinend gar nicht wirklich gebrochen gewesen; die Hexen hatten ihm wohl nur die Illusion davon untergejubelt. Aber ich ging ihm aus dem Weg, ich wollte nicht mit ihm reden, ihn nicht sehen.

Natürlich wurden auch die beiden alten Damen und ihr Schwiegersohn irgendwann vermisst, ebenso Elena. Suchaktion. Polizei. Weitere Befragungen. Glück insofern, als die Beamten das Ganze in Zusammenhang mit dem explodierten Boot brachten und von einem tragischen Unfall ausgingen.

Totilas kam aus Eugene zurück, und es war seltsam, aber auf ihn erstreckte sich meine Antipathie nicht. Wobei, gar nicht so seltsam, denn er war ja nicht da gewesen, als Elena den Zauber auf mich wirkte, also war er davon auch nicht betroffen. Er wollte mit mir reden, aber ich habe so gut wie keine Erinnerung mehr daran, was er eigentlich sagte.

Ich habe auch kaum mehr Erinnerungen an den Rest des Abends. Irgendwann fiel ich ins Bett, in dem freien Zimmer in Dannys und Lilas Hütte. Und am nächsten Tag blieb ich nicht mehr lange, sondern brach, als der von Margo für mich georderte Mietwagen angeliefert wurde, ziemlich bald auf. Die meisten Gäste taten das nach dem gestrigen Schock, glaube ich.

Das Autofahren tat mir gut. Ich fuhr langsam, beinahe wie in Trance, aber doch aufmerksam genug, um keinen Unfall zu bauen, und dass ich mich auf die Straße konzentrieren musste, war gerade die richtige Ablenkung. Die Fahrt nach Portland dauerte fünf Stunden, so dass es auch schon wieder auf den Abend zuging, als ich ankam. Zum Glück fand ich das Hotel ohne Probleme: hurra für moderne Navigationsgeräte.

Im Auto habe ich meinen iPod an das Radio gehängt und habe ihn, nach Interpreten sortiert, einfach ab irgendwo mittendrin laufen lassen. Und irgendwann kam dann das erste Album von Mumford & Sons. Ich weiß, dass diese Songs eigentlich ganz andere Dinge zum Thema haben, völlig anders zu interpretieren sind, aber etliche Zeilen daraus sprangen mir förmlich entgegen. Zeilen, die mir vorkamen, als handelten sie von mir, oder als spreche der Sänger mich direkt an.

Cold is the water
It freezes your already cold mind
And death is at your doorstep

And it will steal your innocence

But it will not steal your substance

But you are not alone in this

You are not alone in this

As brothers we will stand
and we'll hold your hand

Hold your hand


Mierda. Wie Hohn klang das.

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Ich habe mich gezwungen, eine Kleinigkeit zu essen, aber Hunger habe ich keinen. Wenn ich gewusst hätte, in welches Krankenhaus sie Ms. Gruber gebracht haben, hätte ich sie vermutlich besucht, aber ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Und Alex wird da auch sein. Den sollte ich wohl ebenfalls besuchen, aber ... ich kann nicht. Nicht, solange dieser Zauber anhält.

Vielleicht mache ich noch einen Spaziergang. Vielleicht aber auch nicht. Das Hotelzimmer ist ziemlich bequem; ich glaube, ich gehe einfach ins Bett. Habe bei Dee angerufen, aber es geht niemand dran. Zuhause in Miami ist es ja auch schon drei Stunden später, das ist mir aber auch eben erst eingefallen. Ich hoffe, sie war einfach nicht da. Es wäre mir peinlich, wenn ich sie aufgeweckt hätte.

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18. März. Vancouver, Kanada.

Zurück im Hotel. Die erste Lesung lief eigentlich recht gut, muss ich sagen. Zumindest war der Tag gut für die Ablenkung: die Fahrt zum Flughafen, Abgeben des Mietwagens, der Flug nach Vancouver, die Sicherheitsmaßnahmen beim Einchecken, die Einreiseformalitäten in Kanada. Taxifahrt zum Hotel, Vorbereiten auf die Lesung.

Der Raum war recht gut gefüllt, die kanadischen Zuhörer aufmerksam und höflich. Und tatsächlich schienen die meisten zumindest Indian Summer gelesen zu haben, und etliche sogar die ganze Reihe. Natürlich gab es Fragen wegen des Films und wegen des Todesfalls am Set letztes Jahr, aber darin habe ich ja inzwischen Übung und konnte ganz routiniert über Roselyn Sanchez' tragischen Unfall sprechen. Ich bin nur froh, dass offensichtlich noch keinerlei Gerüchte über die Vorfälle am Crater Lake an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Denn das wäre absolutes Gift: erst Roselyn Sanchez' Tod beim Filmdreh, jetzt der Todesfall einer jungen Autorin und das Verschwinden dreier – vierer! – weiterer Personen, alles in meiner Gegenwart... die Medien würden sich die Lefzen lecken danach. Ich bete, dass diese Verbindungen nie der Presse zugespielt werden...

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19. März. Seattle, Washington.

Kein Flug diesmal, sondern mit dem Auto gefahren. Ist ja kein langer Weg. Und ich hatte, wie gestern auch schon, noch immer den ganzen Tag diese Song-Texte im Kopf.
Die Lesung selbst war sehr erfreulich – Seattle scheint ein kleines Dorado für Genre-Liebhaber zu sein.

Nur... eben habe ich bei Dee angerufen – heute früher, habe an die Zeitverschiebung gedacht – aber das war ein ganz seltsames Telefonat. Ich hatte so ein dringendes Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, und ich habe ihr alles erzählt, aber ihre Reaktion war... eigenartig. Beinahe steif. Sie meinte, nach dem, was sie von Warlocks wisse, seien die ziemlich rettungslos verloren, und wie es denn Roberto gehe? Wie der mit dem Trauma fertig werde? Und dass sie wohl mal nach ihm sehen gehen müsse.

Nicht das, was ich mir von dem Gespräch mit Dee erhofft hatte. Eindeutig nicht.

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20. März. Zurück in Portland.

Selbes Spiel wie gestern. Mit dem Auto nach Portland, Lesung diesmal direkt hier im Hotel. Ebenso genre-affines Publikum.

Ich habe lange über Dees Aussage nachgedacht. Dass es für Roberto ein Trauma sei. Sie hat recht, natürlich hat sie recht, das konnte ich nur vor lauter Abneigung nicht sehen.

Ich muss ihn anrufen, heute noch, so schwer es mir fällt, weil Elenas Zauber noch immer auf mir liegt.

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Keiner zuhause. Vielleicht besser so. Ich habe ständig Robertos Vorwurf im Ohr, seine herablassende Stimme. „Du bist zu weich, Cardo.“ Bin ich das? Vielleicht bin ich das tatsächlich.

Spare me your judgements and spare me your dreams
Cause recently mine have been tearing my seams
I sit alone in this winter clarity which clouds my mind


Sei ehrlich, Alcazár. Es ist nicht herablassend. Das kommt dir in deinem momentanen Zustand nur so vor. Wenn du rational darüber nachdenkst, wirst du zugeben, dass es nicht herablassend ist.

Naja. Ein bisschen vielleicht.

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21. März. San Francisco, Kalifornien.

Die Hotelzimmer beginnen sich zu gleichen. Die Tagesabläufe auch. Heute war es wieder mal ein Flug.
Die Lesung war gut, der Raum etwas kleiner, weniger Leute, aber interessiert.

Habe wieder versucht, bei Roberto anzurufen, aber es geht niemand dran. Mit Dee hätte ich auch gerne gesprochen, aber auch sie ist nicht zuhause. Verdammt.

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22. März. Immer noch San Francisco.

Heute mal weder Reise noch Lesung. Einfach nur ein Tag zur freien Verfügung. Also auch weniger Ablenkung. Mierda. Ich habe mir die Stadt angesehen. War, weil Sonntag, in der Messe. Hatte immer noch erschreckend viel Zeit und erschreckend viele Gedanken im Kopf, also ein Museum. Comic-Kunst oder Walt Disney? So viel Zeit, es wurden beide.

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Ich habe Roberto erreicht. Und, tío, war das ein ungemütliches Telefonat.
Vorher hatte ich mit Macht meinen Kopf arbeiten lassen. Mir wieder und wieder und wieder vorgesagt, dass meine Antipathie Roberto gegenüber nicht echt ist. Auch wenn er bisweilen nervt: Er ist mein Freund.

Aber am Telefon war es dann trotzdem unendlich schwer, nicht wieder ausfällig gegen ihn zu werden. Ich entschuldigte mich für meine Vorwürfe an der Lodge, gab zu, dass ich ein Idiot gewesen sei, bat ihn um Verzeihung. Erklärte, dass ich schon die Tage angerufen, aber ihn nicht erreicht hätte.

Roberto klang kühl, unbeteiligt. Schon gut, meinte er leichthin, und nein, er sei nicht zuhause gewesen. Dee hätte ihm da zwei Clubs empfohlen, die sie sich angesehen hätten.

Ähm. Da war es aus mit meiner ganzen so sorgfältig vorbereiteten Kopfarbeit. Es gelang mir, Roberto nicht anzublaffen, immerhin ist es Dees Sache, mit wem sie ausgeht, und sie und ich haben nie wirklich ausgesprochen, was es denn nun eigentlich ist, was wir haben. Oder nicht haben. Aber ich legte sehr schnell und sehr kurz angebunden auf.

A white blank page and a swelling rage...

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23. März. Los Angeles, Kalifornien.

Flug. Lesung. Hotel. Eigentlich muss ich gar nichts mehr groß dazu schreiben. Nur dass hier in L.A. die Fragen wegen der Premiere morgen natürlich noch viel mehr auf den Film konzentriert waren als bisher schon. Wenig Fragen zu Roselyn Sanchez, dem Himmel sei Dank, mehr auf den Film allgemein bezogen.
Ich hoffe, die Kritiken fallen positiv aus.

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24. März. Los Angeles.

Puh. Das war... anstrengend.
Der Film ist gut geworden, kein Zweifel, spannend und alles – aber für mich kam beim Sehen doch alles wieder hoch.

Habe bei Dee angerufen, aber wieder niemanden erreicht.
Ich wünschte, ich könnte Edward davon erzählen. Mit Edward darüber reden. Oder mit Alex. Sogar mit Roberto. Mit Totilas könnte ich reden, aber der war nicht da. Ich will meine Freunde zurück, verdammt.

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25. März. San Diego, Kalifornien.

Der letzte Abend. Die letzte Lesung. War gut. Viele Studenten, und ein paar Besucher ließen durchklingen, dass sie gestern in L.A. bei der Premiere waren.

Ich bin froh, dass es vorbei ist. Morgen geht es nachhause. Ich vermisse Alejandra und Yolanda. Und ja, ich vermisse Dee. Ich will sie in die Arme nehmen, aber ich weiß, das würde sie ablehnen. Denken, ich klammere. Und die Jungs. Cólera, ich vermisse die Jungs.

But you are not alone in this

You are not alone in this

As brothers we will stand
and we'll hold your hand

Hold your hand


Padre en el cielo, ich bitte dich. Nimm diese Feindseligkeit von mir...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 31.03.2015 | 18:34
Armer Cardo.

Das ist aber ein wirklich schönes Beispiel dafür, warum es so ein schwerwiegender Verstoß gegen die Laws of Magic ist, wenn man Leuten im Kopf herumschraubt (an die Leser: Cardo hat in dem Fall tatsächlich nicht nur einen Aspekt abgekriegt, sondern einen geistigen Angriff - die Feindseligkeit gegenüber seinen Freunden war eine Konsequenz, deswegen geht die auch nicht so einfach weg).

Für Edward und Roberto: Elenas Malblock war ihr Fokus. Das war kein magisches Dings, das sie kontrolliert hat. Natürlich könnt ihr die Verbindung interpretieren, wie ihr wollt, aber da ihr selbst Practitioner seid, wisst ihr auf jeden Fall, wie so ein Fokus funktioniert.  :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.04.2015 | 15:02
Für Edward und Roberto: Elenas Malblock war ihr Fokus. Das war kein magisches Dings, das sie kontrolliert hat. Natürlich könnt ihr die Verbindung interpretieren, wie ihr wollt, aber da ihr selbst Practitioner seid, wisst ihr auf jeden Fall, wie so ein Fokus funktioniert.  :)

Cardo war ja bei Robertos zweiter, ausführlicher Beobachtung Elenas nicht dabei, erfuhr also nichts von deren Ergebnissen, und auch von Vanessa Grubers Analyse des Gesehenen bekam er nichts mit. Deswegen stellt es sich für ihn momentan noch so dar, als sei Elena von ihrem Malblock beeinflusst gewesen. Ich denke mal, sobald er sich von Elenas Bezauberei erholt hat, werden die anderen ihm vielleicht diese neuen Erkenntnisse im Nachhinein auch noch erzählen. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 31.05.2015 | 14:46
Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 1

03. Mai

Padre en el cielo, ich danke dir. Ich danke dir! Es ist vorbei, die letzten Nachwirkungen abgeebbt. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie erleichtert ich bin.

Jack White Eagle und Ximena hatten mir nach meiner Rückkehr schon Mut gemacht und erklärt, dank des Rituals, das die Jungs abgezogen haben, müssten die Effekte des Fluchs irgendwann verschwinden, aber trotzdem. Es in der Theorie zu hören, schön und gut, aber die leise Angst, dass es eben nicht weggehen würde, blieb doch.

Und ich kann auch kaum meine Dankbarkeit darüber ausdrücken, dass Totilas nicht von dem Fluch betroffen war. Er bildete meinen Rettungsanker, meine Verbindung zu den Jungs, sorgte dafür, dass ich mir nicht ganz so verloren vorkam. Das werde ich ihm nie vergessen, aber ich bin unaussprechlich froh, dass die Dinge jetzt wieder zum Normalzustand zurückgefunden haben.

Ein bisschen seltsam war es natürlich dennoch, die Jungs zum ersten Mal wieder zu treffen, peinlich berührt und besorgt, dass wieder alles hochkochen könnte... aber nein. Es ist wirklich und wahrhaftig vorüber. Danke!

Edward hat sich inzwischen von Cherie getrennt. Das heißt... die Beziehung beendet hatte sie ja schon vor längerer Zeit, aber nun hat Edward ebenfalls einen Schlussstrich gezogen. Er führte ein kleines Ritual durch, um für sich von Cherie loszukommen, und er gab ihr das Buch wieder, das noch bei ihm gelegen hatte und das er in der Lodge von Kirsty McGregor hatte signieren lassen, darin die Halskette, die sie ihm einmal geschenkt hatte, als Buchzeichen.

Puh. Sich mit Magie von seiner Ex-Freundin loszusagen, ist natürlich harter Tobak... aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht tatsächlich so besser für ihn ist. Darüber reden wollte er noch nicht so recht, und ich werde ihn sicher nicht drängen, aber vielleicht hat er ja doch noch irgendwann das Bedürfnis.

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[es folgen diverse Einträge privater Natur, über Dates mit Dee, Unternehmungen mit Alejandra und der Familie, Treffen mit den Jungs etc.]

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19. Juli

Edward hat von Miss Gruber gehört. Man hat sie aus dem Krankenhaus entlassen, und sie ist wieder soweit beieinander, will jetzt aber erst einmal einen längeren Rekonvaleszenz-Urlaub irgendwo machen, wo sie nicht schon wieder in seltsame Vorgänge hineingezogen wird.

Am Crater Lake hatten sich die Jungs übrigens, als ich unter Elenas Einfluss stand und mich von ihnen fernhielt, etwas genauer mit Miss Gruber über die Gesetze der Magie und die Auswirkungen dessen, was geschieht, wenn man sie bricht, unterhalten können.
Wenn ich Edward richtig verstanden habe, erklärte Vanessa es folgendermaßen: Die Seelen aller Menschen sind gewissermaßen in einem großen, magischen Netz miteinander verbunden. Und wenn man jemanden mit Magie tötet, dann reißt man dessen Seele aus dem Netz heraus und seine eigene gleich mit. Deswegen ist es Vanessa zufolge auch relativ gleichgültig, ob dieser Mord bewusst oder unbewusst geschieht, die eigene Seele ist damit – zumindest zu einem Stück – aus dem Netz entfernt, was es immer leichter macht, weitere Morde zu begehen.

Edward brachte das Gespräch dann noch darauf, ob es denn einen Weg gäbe, die Gesetze der Magie ungestraft zu brechen – er hielt seine Frage allerdings allgemein und sprach nur von „Gerüchten“, ohne Spencer Declan namentlich zu erwähnen – aber Vanessa kenne niemanden, der dazu in der Lage sei, sagte sie.

Mit Lila, Danny und Jeff, unseren drei jungen Autorenfreunden vom Crater Lake, sind wir übrigens weiterhin in Verbindung, gelegentlich jedenfalls. Eigentlich waren sie nach dem Tod der armen Edie ja zu viert, aber Colby hat das Öffnen seiner Sight an jenem Abend wohl gar nicht vertragen. Er verneine strikt, dass es das Übernatürliche gebe, und studiere jetzt Jura oder so etwas, und den Kontakt zu den anderen habe er so gut wie vollständig abgebrochen, erzählte Lila. Jeff hingegen verleugne das Übernatürliche zwar nicht, sei aber seit den Geschehnissen auf der Insel irgendwie deprimiert. Und Danny habe sich wieder gefangen. Er sei zwar immer noch überzeugt, dass Baumgeister zu seinen Vorfahren zählen, wolle aber wenigstens nicht mehr ständig in einem Blumenbeet stehen. Na immerhin.

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[über mehrere Monate verteilt folgen hier weitere regelmäßige Einträge mit privatem Inhalt]

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28. Februar

Spring Break. Oha. Meine eigene Studienzeit ist ja schon eine Weile vorbei, aber Yolanda sagte, sie wolle heute Abend mit ihren Kommilitonen auf eine Party am Strand gehen. Ich hoffe, sie ist vorsichtig, aber sie kann ja auf sich aufpassen. Ich selbst habe nichts groß geplant – sollte ich etwa langsam alt werden? Heh, ich hoffe doch nicht. Aber auf Besäufnisse am Strand kann ich gut verzichten, Dee klang auch nicht in der Stimmung danach, sich in den Spring Break-Wahnsinn stürzen zu wollen, und andere Mädels will ich gar nicht kennenlernen. Zumal der Spring Break doch sowieso nur eine Ausrede für sinnlose One-Night-Stands ist.

Dee war generell nicht nach Treffen heute abend, nicht mal für Kino oder essen gehen. Na dann. Mache ich mir eben einen gemütlichen Abend zuhause. Vielleicht komme ich ja ein wenig mit dem neuen Roman voran. Lustigerweise habe ich für den noch keinen Titel, auch wenn die ersten Kapitel, zumindest in der ersten Version, schon stehen, und ich eine recht solide Idee für den Handlungsbogen habe. Aber das kommt schon noch, denke ich.

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Nachdem Alejandra im Bett war, produzierte ich tatsächlich den größten Teil eines weiteren Kapitels, ehe das Telefon klingelte. Edward. Seine Polizeikollegen hatten sich eben bei ihm gemeldet, und es gab ein Problem. Beim Spring Break. Und gar nicht lange darauf, ich hatte gerade Mrs. Carver von nebenan zum kurzfristigen Babysitten gewinnen können, meldete sich mein Handy erneut. Diesmal war es Roberto, der gerade einen Anruf von Lila bekommen hatte. (Die hatte sich vor ein paar Tagen schon mal bei uns gemeldet, weil sie mit ihren Kumpels zum Spring Break nach Miami kommt. Treffen wollen wir uns auf jeden Fall, haben nur bislang keinen genauen Termin ausgemacht.) Es gebe ein Problem. Am South Beach. War ja klar.

Wir trafen uns an einem der großen Parkplätze am South Beach, wo wir auf den ersten Blick sehen konnten, dass am Strand das völlige Chaos ausgebrochen war. Etliche der Partygänger schienen völlig ausgerastet zu sein und schlugen mit Fäusten, Bierflaschen und sonstigen Gegenständen, die sie gerade zu fassen bekamen, aufeinander und auf die panische Menge ein. Ein Mädchen mit wildem Haar und noch wilderen Augen hatte sich einen Sonnenschirm geschnappt und prügelte damit auf die Umstehenden ein, ein junger Mann trat planlos um sich, während ein anderer die Hände um den Hals seines Gegenübers hatte und ihn heftig würgte, bis man ihn mit Gewalt von seinem Opfer trennte, und selbst dann hörte er nicht auf zu kratzen und um sich zu schlagen.

Irgendwo in dem Chaos fanden wir Lila und Danny unversehrt, aber aufgelöst, denn Jeff war einer von denjenigen gewesen, die derart durchgedreht waren. Man hatte ihn soeben ins Krankenhaus abtransportiert. Überhaupt waren überall Sanitäter und Polizeikräfte zur Stelle, die versuchten, die Betroffenen unter Kontrolle zu bringen und Ruhe zu schaffen. Große Eile schien geboten, denn so ziemlich jede Bahre, die ich sehen konnte, wurde im Laufschritt hoch zu den wartenden Krankenwagen getragen.

Lila und Danny sammelten Jeffs Hund Snowball ein, der oben bei den Autos an einer Parkuhr angebunden war, und folgten Jeff dann ins Krankenhaus. Wir hingegen beschlossen, der Spur der ausbrechenden Gewalt zu folgen, denn diese schien sich allmählich den Strand entlang nach Süden zu ziehen.

An einer Stelle, wo alles noch ruhig schien, hielten wir an. Und mussten tatsächlich nicht lange warten, bis ein junger Asiate, der sich eben noch im Gespräch mit seinem Date befand, urplötzlich sein Glas in der Hand zerdrückte und anfing, wild um sich zu schlagen. Das Mädchen, mit dem er da gestanden hatte, schrie auf und rannte davon, während wir uns auf ihn warfen, um ihn aufzuhalten.

Der junge Mann fühlte sich fiebrig-heiß an, und sein Kopf war hochrot. Wir hatten alle Mühe voll zu tun, um ihn niederzuringen, und im Verlauf des Kampfes schlug ich ihm derart auf die Nase, dass diese zu bluten begann. Edward, nicht faul, fing etwas von dem Blut auf, während wir den Jungen mit Mühe festhielten. Ebenso unvermittelt, wie er ausgeflippt war, sackte er dann plötzlich auch wieder zusammen. Einige Zuckungen, dann lag er still, und uns war klar: Er war tot. Auch die Sanitäter, die gleich darauf angerannt kamen, weil sich in diesem Teil des Strandes noch etliche weitere Vorfälle dieser Art ereignet hatten und die Helfer sich jetzt auf diesen Bereich konzentrierten, konnten nichts mehr für den Jungen tun.

Während die Leiche weggetragen wurde, ging ich Yolanda suchen. Es war gar nicht so leicht, sie in dem ganzen Aufruhr zu finden, denn zu den Durchgedrehten und den Rettungshelfern kam jetzt ein immer größeres Aufgebot an Polizisten, die neben ihren Versuchen, die Betroffenen unter Kontrolle zu bringen, auch Umstehende verhafteten bzw. zur Befragung mitnahmen. Ich hatte Yolanda eben gefunden und zu meiner Erleichterung festgestellt, dass ihr nichts zugestoßen war, als sie bemerkte, wie einer ihrer Freunde ebenfalls von der Polizei mitgenommen werden sollte. Da dieser Freund schwarz war, schritt Yolanda mit einer schneidenden Bemerkung von wegen Repressalien gegenüber der farbigen Bevölkerung ein – und wurde prompt ebenfalls zur Befragung aufs Revier gebracht.

Dagegen tun konnte ich erst einmal nichts, aber ich war auch froh, dass meine Schwester damit aus der direkten Gefahrenzone kam. Inzwischen war unter den Polizeikräften die Parole ausgegeben worden, dass der Strand von Zivilisten zu räumen war, und dabei halfen wir dann, sobald Edward seinen Kollegen gegenüber unsere Gegenwart erklärt, um nicht zu sagen verteidigt, hatte.

Während wir noch da am Strand versuchten, ein wenig Ordnung ins Chaos zu bringen, bemerkte Roberto seine beiden ganz speziellen Freunde, Sir Kieran und Edelia Calderón, die, offensichtlich noch immer ein Paar, das Treiben aus einiger Entfernung stirnrunzelnd beobachteten. Edward hingegen sah Antoine, der gerade dabei war, sich unauffällig vom Ort des Geschehens abzusetzen. Edward rief bei ihm an, aber Antoine drückte das Gespräch unbeantwortet weg. Daraufhin versuchte Roberto es von seinem Handy aus ebenfalls, und diesmal wurde tatsächlich abgehoben – aber es war ein Fremder am Apparat, nicht der Fae. Alex ging den Jungen suchen und nahm ihm das Handy wieder ab – oder genauer, das Handy ließ er ihm zwar, löschte aber alle Daten und entfernte die Karte daraus.

Als die Aufräumarbeiten dann soweit beendet waren, riefen wir bei Lila an. Es dauerte eine Weile, bis sie ans Telefon ging, und als sie es tat, klang ihre Stimme erstickt und verweint. Jeff hatte es nicht geschafft, war im Krankenhaus gestorben.
Roberto bot Lila sofort an, dass sie bei ihm übernachten könne, was diese dankbar annahm. Jeffs Hund Snowball hingegen kam für die Nacht bei Edward unter. Der kann sich ja mit Hunden verständigen – was heute Abend und unter diesen Umständen sicherlich nicht sonderlich angenehm für ihn ist.

Oh, und heute Abend ist noch etwas Seltsames passiert. Nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was da sonst so abging, aber trotzdem. Am Strand waren auch Edwards Kollegen, Salvador Herero und Suki Sasamoto, anwesend. Sie sahen sich die Tatorte an, halfen Leuten aus dem Wasser. Und irgendwann murmelte Herero geistesabwesend etwas von wegen „Irgendwas an der Sache riecht fishy.“ Woraufhin Suki Sasamoto ihren Partner anfuhr, was das denn bitte heißen solle. „Na komisch halt“, erklärte Salvador. Was Suki aber nicht besänftigte. „Fische riechen nicht komisch!“ Hmmm. Sollte Herero da etwa einen wunden Punkt getroffen haben? Edward schnupperte und stellte unter den ganzen Menschendüften wie Shampoo, Duschgel und Deodorant tatsächlich einen leichten Geruch nach Fisch fest. Ob die gute Detective Sasamoto etwa eine Nixe ist? Oder eine Halbnixe oder so etwas?

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Mierda. La cabezonería de mi hermana! Ich bin heute morgen gleich zu Yolanda, wollte mich natürlich vergewissern, dass sie gut nachhause gekommen war. Aber ganz offensichtlich war sie noch gar nicht zuhause gewesen. Ich fuhr also zum Polizeirevier am South Beach, wo ich mit ein wenig Freundlichkeit erreichte, dass Yolanda gleich befragt werden würde, anstatt erst als Letzte drangenommen zu werden, weil die Beamten dank ihres Geredes von Repressalien auf stur geschaltet hatten.

Meine Schwester jedoch war völlig indigniert, dass Leute im Anzug (Hemd und Hose, bitte, ich renne doch an einem ganz normalen Tag nicht im Anzug rum!) und mit einem bekannten Gesicht nur die Promi-Karte ausspielen müssten, um eine Vorzugsbehandlung zu kassieren. Also nein, sie würde sich als Letzte befragen lassen, wie jede andere normale Bürgerin auch, und sie würde auf ihren Kumpel warten, vielen herzlichen Dank. Und damit setzte sie sich demonstrativ wieder auf die Bank, verschränkte die Arme und beachtete mich nicht weiter. Woraufhin ich nichts weiter machen konnte, als zu verschwinden. Na dann fahre ich jetzt eben zu den Jungs. Mal hören, wie es denen heute vormittag so ergangen ist.

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Auf der Polizeistation war, wie nicht anders zu erwarten, nach der ganzen Aufregung gestern die Hölle los gewesen: Sergeant Book wütend, und zwar richtig wütend, aufgebrachter, als Edward ihn je gesehen hat, sagte er. Der alte Polizist schimpfte lautstark auf Pan und schickte Edward dann los, herauszufinden, was da vor sich gehe.

Im Intranet der Polizei werden bei wichtigen Fällen so genannte „Datenräume“ eingerichtet, gesonderte Bereiche, in denen die ermittelnden Beamten alle Informationen über den jeweiligen Fall zusammentragen können. Auch für die Ereignisse der gestrigen Nacht ist ein solcher Datenraum eingerichtet worden, sagte Edward, aber da der Fall derzeit nicht beim SID, sondern beim Drogendezernat liegt, hat Edward zunächst keinen Zugang darauf. Den wollte sein Partner für ihn beantragen; Henry ist immerhin sehr effizient in diesen administrativen Dingen, wie wir alle wissen.

Statt dessen fuhr Edward heim und untersuchte das Blut des durchgedrehten Studenten. Er stellte fest, dass der junge Asiate betrunken gewesen war und etwas Scharfes gegessen hatte, außerdem ließ sich eine Droge in dem Blut nachweisen (welche genau, das konnte Edward mit seinen Mitteln allerdings nicht sagen). Und es gab da irgendeine magische Komponente, die Edward aber auch nicht näher bestimmen konnte.

Roberto hatte inzwischen auch Danny einen Schlafplatz bei sich angeboten, solange er und Lila in der Stadt sind, und sich mit den beiden auch nochmal eingehender über die Ereignisse des vorigen Abends unterhalten, genauer gesagt über Jeff. Der hatte ja letztes Jahr auf Wizard Island einen Nervenzusammenbruch erlitten und war anschließend in Therapie gekommen. Diese Therapie hatte er aber abgebrochen, die unterschiedlichsten Drogen ausprobiert, aber nichts schien wirklich zu helfen. Über den Nervenzusammenbruch an sich war er zwar hinweg, aber er wirkte niedergeschlagen, und nichts konnte ihn aufmuntern. Über seine Erlebnisse, über das, was er auf der Insel mit seiner Sight gesehen hatte, redete er nicht, und es kam Lila und Danny so vor, als könne er nicht darüber reden, als gebe es irgendeine Magie, die ihn daran hindere.
Jeffs Kindheit muss wohl sehr schwer gewesen sein, mit Kinderheim, Pflegefamilie, dergleichen, aber auch darauf konnte oder wollte er nie näher eingehen.

Nach Miami waren die drei Freunde nicht nur wegen des Spring Break gekommen, sondern auch, weil sie hier in der Stadt mit einem Magier in Kontakt gewesen seien, den sie vielleicht hatten treffen wollen. Der sei aber jetzt nicht in der Stadt, sondern abgetaucht, weil er Ärger habe, aber er habe einen Ort erwähnt, einen Buchladen. Richard sei sein Name gewesen.

Oha. Richard? Richard Raith etwa? Genau der. Und das war nun ein Name, mit dem in diesem Zusammenhang keiner von uns gerechnet hatte. Aber gut, gerade nicht zu ändern, denn erstens haben wir derzeit andere Dinge um die Ohren, und zweitens ist Totilas' Vater ohnehin im Moment untergetaucht und wird nicht ohne Weiteres zu finden sein. Aber das ist definitiv eine Information, die wir keinesfalls aus den Augen verlieren sollten.

So auf den neuesten Stand gebracht, fuhren wir zum South Beach, weil Alex nachsehen wollte, ob der Junge vielleicht einen Geist hinterlassen hatte. Und das hatte er tatsächlich. Er – Mike war sein Name – konnte erst gar nicht recht verstehen, dass er tot sein sollte, und als die Tatsache dann zu ihm durchdrang, war er natürlich erst einmal fassungslos. Aber er sprach bereitwillig mit uns.

Ja, er hatte eine Droge genommen, die er von einer jungen Frau mit brauner Haut und leuchtend grünen Augen erhalten hatte: rötliche Kristalle, die man in einer Pfeife rauchte. Und kurze Zeit darauf sei er unglaublich wütend geworden. Mehr wusste er nicht mehr.

Alex ließ Mikes Geist in seinen Körper, damit der Junge eine letzte SMS an seine Familie schreiben konnte, dann öffnete er dem Jungen ein Portal, damit der Geist hindurchgehen und Ruhe finden konnte.

Wo wir aber schon mal am Strand waren, bot es sich an, als nächstes Pan und seinem Hof einen Besuch abzustatten, wo  Roberto in seiner Rolle als Titanias Richter von den versammelten Sommerfeen sofort Platz gemacht bekam. Da fällt mir ein: Unser Roberto hat einen neuen Mantel – auf der Rückfahrt vom Crater Lake letztes Jahr hat er den aus San Francisco mitgebracht. Dieser Mantel muss wohl früher mal Valentino Liberace gehört haben, und anscheinend hat er tatsächlich magische Eigenschaften, denn er wechselt das Aussehen je nach Anlass. Und egal, wie schrill und bunt das Ding auch jeweils gerade sein mag (sprich sehr, in den meisten Fällen), er wirkt immer genau dem jeweiligen Anlass angemessen. Auch diesmal in Pans Palast. Ich kann gar nicht beschreiben, wie, aber der Mantel war golden und mit Pailletten besetzt und wirkte dennoch sehr würdevoll und richterlich.

Zuerst trafen wir auf Sir Anders, der uns, bzw. Roberto, gleich fragte, ob wir denn auch an dem Turnier teilnehmen würden. Was für ein Turnier, wollten wir natürlich gleich wissen. Tjosten auf Surfboards, war Sir Anders’ wenig amüsierte Antwort. Diese glorreiche Idee habe Colin Pan in den Kopf gesetzt, und der Sommerherzog habe diesen Vorschlag seines ersten Ritters sofort begeistert aufgenommen.

Nachdem Roberto erklärt hatte, dass er nicht die Absicht habe, sich auf ein Surfboard zu stellen und darauf mit Lanzen herumzufuchteln, fragten wir Sir Anders nach den Drogen, die am letzten Abend am Strand in Umlauf gebracht worden waren. Der wusste aber nur von Antoine als einzigem, der für den Sommerhof Drogen in den Umlauf bringe – und dieselbe Antwort erhielten wir auch von Sir Kieran und Pan selbst, als wir mit denen sprachen. Die hohen Sidhe wie Kieran und Anders mögen Pan und seine Ausschweifungen nicht sonderlich, war aus ihren Aussagen herauszuhören, aber wirklich weiterhelfen konnten sie uns nicht. Nur dass es wohl einen Zwist zwischen Pan und Antoine gegeben habe, erwähnten sie nebenbei. Auch Pan blieb herzlich gelassen, zog sich vollkommen auf den Standpunkt zurück, dass Roberto als Titanias Richter das schon alles klären werde, und empfahl uns, Antoine zu finden. Als wir den Sommerherzog auf den Streit mit Antoine ansprachen, meinte er nur, er habe Antoine angewiesen, ihm zu sagen, wo er sein „Zeug“ her beziehe, aber der habe sich geweigert.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.06.2015 | 23:00
Nachdem in Pans Palast fürs Erste nichts groß weiter herauszufinden war, wollten wir – sprich Alex – mit Jeffs Geist reden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser hier zurückgeblieben war, war laut Alex nämlich ziemlich groß. Im Krankenhaus fanden wir ihn nicht, dafür aber am Strand (hätten wir uns ja eigentlich denken können). Dort war nach den gestrigen Ereignissen übrigens nicht nur Jeff zu finden, sondern anscheinend jeder einzelne an den Folgen dieser seltsamen Drogen gestorbene Geist. Wobei – von den ca. 60 Toten waren etliche schon weitergegangen, aber ein Teil der Geister war noch am Strand anwesend.

Als Alex Jeff fand und ansprach, wusste der schon, dass er tot war. Auch er hatte diese roten Kristalle geraucht, wie alle Geister hier. Dann sei ihm plötzlich richtig heiß geworden, und eine unbändige Wut habe ihn überkommen. ‚Scarlet’ habe das Zeug geheißen, sagte Jeff. Die Droge habe er von einem Typen mit Hörnern bekommen – die Hörner habe aber außer ihm keiner sehen können. Insgesamt hätten etwa drei bis fünf Leute das Scarlet verteilt, Männer und Frauen.

Mehr konnte Jeff uns über die Vorfälle des gestrigen Abends auch nicht erzählen, aber wir befragten ihn noch zu dem, was Lila und Danny uns berichtet hatten, zu seinen Depressionen in Reaktion auf die Ereignisse am Crater Lake. Jeff erzählte, er habe Lücken, Dinge, die ihm irgendwie fehlen würden. Und bei dem Ritual auf Wizard Island sei ihm das zum ersten Mal aufgefallen, habe er durch die Sight gesehen und gespürt, dass ihm etwas fehle. Nein mehr noch, dass man ihm etwas genommen habe, dass er aber nicht sagen könne, was genau. Die Löcher, die er auf Wizard Island an sich gesehen hatte (und die auch Alex jetzt an seinem Geist erkennen konnte), hätten zu seinem Nervenzusammenbruch geführt. Die Therapie habe er dann allerdings abgebrochen, weil die Ärzte ihm ohnehin nicht geglaubt hätten, wenn er versucht hätte, die Wahrheit zu sagen – was er aber auch gar nicht konnte. Irgendein Zwang hinderte ihn daran.

Alex bot Jeff an, ihn auf die nächste Ebene weiterzuschicken, doch der Junge lehnte ab. Er wolle hier bleiben, zumindest für’s Erste, denn er habe das Gefühl, da sei noch etwas unerledigt. Und vielleicht ist dieses Fehlende, dieses Unerledigte, ja auch der Anker, der ihn hier hält.

Nachdem wir unser Gespräch mit Jeff beendet hatten, ging Alex auch mit den anderen Geistern reden. Das machte er aber alleine, ohne uns – er meinte, er wolle versuchen, so viele wie möglich von ihnen weiterzuschicken, und das würde für uns vermutlich eher nicht so interessant.

Außerdem erklärte Edward, dass seine eigene magische Analyse von Mikes Blut noch Fragen offen gelassen hätte, die das Polizeilabor, wo das Blut des Jungen ja auch untersucht worden war, vielleicht beantworten konnte. Wir übrigen fuhren also mit Edward zum Revier und hatten uns eigentlich schon auf eine längere Wartezeit gefasst gemacht – aber so lang dauerte es gar nicht, bis unser Kumpel wieder herauskam. Oder besser: Zuerst kam Sergeant Book mit rotem Gesicht aus dem Gebäude gestürmt, stapfte zu einem Auto, knallte die Fahrertür beim Einsteigen so vehement zu, dass das ganze Fahrzeug vibrierte, und fuhr davon. Es folgten Suki Sasamoto und Salvador Herero, langsamer und sichtlich amüsiert, mit Edward, der zu uns herüberkam, während seine beiden Kollegen in einen anderen Wagen stiegen.

„Zu Pan!“, knurrte Edward, ehe er uns unterwegs erzählte, was sich im Revier abgespielt hatte.
Bis ins Labor war er gar nicht gekommen, weil Sergeant Book ihn abgefangen und nach seinen bisherigen Ermittlungsergebnissen befragt hatte. Als Edward den Drogenverteiler erwähnte, bei dem es sich angesichts der von Jeff erwähnten Hörner wohl um einen von Pans Satyren gehandelt haben muss, schaltete Book in den Hulk-Modus. Er lief rot an und brüllte los, dass er es Pan lange genug habe durchgehen lassen, aber dass es jetzt reiche! Und dann stürmte er zu seinem Auto, wie wir das ja gesehen hatten.

Suki und Salvador grinsten sich währenddessen an und machten Anstalten, dem Sergeant zu folgen, um das Spektakel nicht zu verpassen; anscheinend kennen sie ihn schon etwas länger. Und sie sagten Edward etwas, das dieser, in all seinen Jahren Arbeit für das SID, bislang noch nicht erfahren hatte: Dass Book nämlich ein Kobold sei. Und wenn den erst einmal etwas aufscheuche, dann werde es „lustig“.

Am Strand angekommen, stießen wir auf Alex, der anscheinend gerade eben Anstalten hatte machen wollen, bei uns anzurufen. Er hatte den Übergang von etlichen der Geister auf die Art und Weise beschleunigt, indem er sie in seinen Körper ließ, damit sie wenigstens ein letztes Bier trinken konnten, ehe sie gingen. Und wie gesagt, es waren eine Menge Geister da am Strand. Mit anderen Worten, Römer und Patrioten, unser Alex war sturzbetrunken – ein Zustand, den wir an unserem sonst so beherrschten Freund wohl auch so bald nicht mehr erleben werden.

Sergeant Book stapfte währenddessen unbeirrbar weiter, wir hinterher. Je näher er dem Palast kam, umso lauter wurden seine Schritte, umso mehr vibrierte der Boden unter seinen Füßen, und als wir ins Nevernever hinübergewechselt waren, wandelte sich auch Books Aussehen tatsächlich zu dem eines Kobolds.

Der alte Polizist konfrontierte Pan aufs Heftigste. Es sei seine Aufgabe, die Stadt zu beschützen, aber das, was Pan täte, sei das genaue Gegenteil davon – 60 Menschen tot! Der Sommerherzog hingegen tat auch jetzt wieder genau das, was er schon bei unserem ersten Besuch getan hatte: Er zog sich Book gegenüber komplett auf „seinen Richter“ zurück, der den Fall für ihn untersuche und lösen werde. Und es bereitete Roberto sichtliches Vergnügen, dagegenzuhalten. „Nicht dein Richter. Titanias.“

So oder so jedenfalls versprach Pan dem Sergeant, dass das Hohe Gericht sich mit dem Fall befassen werde: je ein Richter aus dem Sommer- und dem Winterhof sowie einer für die Wyldfae. Und erst, nachdem Pan zugesagt hatte, dass dieses Hohe Gericht sich in drei Tagen zusammenfinden werde, war Book einigermaßen – ich will nicht sagen besänftigt oder zufriedengestellt, aber er stapfte davon, ohne dass es zu Gewalttätigkeiten kam.

Edward hingegen rutschte eine Bemerkung heraus. Ich meine, angesichts von Edwards Temperament ist eine bloße Bemerkung ja eigentlich der Gipfel an Zurückhaltung. Aber diese hatte es in sich. Edward verglich Pan nämlich mit Jeffs Spitz. Nur dass Pan nicht wusste, dass ein Hund gemeint war, als Edward „Snowball“ sagte. Der Fae hörte nur „Schnee“ – und war auf den Tod beleidigt. Ihn, einen Herzog des Sommers, zu vergleichen mit dem Inbegriff des Winters?!

Entrüstet stellte Pan Edward vor die Wahl. Entweder er würde sich nie wieder vor ihm blicken lassen – oder er nähme an dem Turnier teil, von dem wir schon gehört hatten. Na toll. Edward hat zwar keinerlei Ahnung vom Surfen, aber wenn er sich nicht jeden Weg in Pans Palast verbauen will, dann wird er wohl oder übel zumindest einen Versuch machen müssen.

Sasamoto und Herero waren mit ihrem Sergeant wieder abgezogen, aber wir wollten die Bewohner von Pans Palast noch ein wenig genauer zu diesem ‚Scarlet’ befragen, jetzt wo wir wussten, dass wohl ein Satyr unter den Verteilern gewesen war. Dummerweise nur wollte niemand etwas gesehen haben. Die verschiedenen Drogen stünden einfach so allen hier zur freien Verfügung, und diejenigen Drogen, die zum Verteilen gedacht seien, stünden auch einfach so da, und die Verteiler nähmen sie dann mit.

Im Gegensatz zu unserem Besuch am Vormittag, bekamen wir diesmal Ritter Colin zu fassen, der wusste aber auch nichts. Sagte er jedenfalls. Und wir redeten nochmal mit Sir Anders und Sir Kieran, die wussten nur immer noch nicht mehr als zuvor. Sie wiederholten nur noch einmal, dass sie nicht viel von den satyrhaften Ausschweifungen am Hofe hielten, und fügten hinzu, dass sie selbst auch keine Drogen nähmen. Und wo die immer herkämen, das könnten sie nicht sagen, denn die hohen Sidhe kümmerten sich nicht um das, was die Dienerschaft tue. Aber übergeordnet sei Pan selbst dafür verantwortlich, dass immer genug Wein und Gespielinnen und Drogen da seien.

Also fragten wir Pan. Wo kämen die Drogen denn her? Die seien halt da. Also erscheinen sie einfach aus der Luft? Nein, die Diener tragen sie rein. Woher? Keine Ahnung. Wo Diener eben Sachen herholen.

Na gut. Dann eben zu den Dienern. Wo holten sie die Sachen her? Aus dem Vorratsraum. Und wer sorge dafür, dass der immer gefüllt sei? Na die Herrschaften. Der Herzog.

Ungefähr so muss sich ein Hamster im Laufrad fühlen. Wir also nochmal zu Pan. Wer hält den Vorratsraum gefüllt? Verständnisloses Gesicht seitens des Herzogs. „Es ist Sommer!“
Aaaah. Als ob das eine aussagekräftige Antwort wäre. Andererseits... Es sind Feen. Vermutlich ist das sogar tatsächlich eine aussagekräftige Antwort.

Als nächstes gingen wir die Satyre befragen, die auf dem Strand die Drogen verteilten. Aber auch die wussten nichts Genaues. Das Zeug sei einfach da gewesen.
Dann fiel mir aber ein, dass da nicht nur Satyre gewesen waren, sondern dass Mike, der asiatische Student, auch von einem braunen Mädchen mit leuchtend grünen Augen gesprochen hatte. Also fragte ich die Satyre nach denen, und ja, sie sei auch eine der Palastbewohnerinnen. Grinsend und zwinkernd schickten sie das Mädchen zu uns.

Sie war eine Nymphe, und es war gar nicht so leicht, sie dazu zu bekommen, dass sie mir zwischen all dem Gekichere und den Avancen, die sie uns machte, auch Antworten auf meine Fragen gab. Aber ich bekam heraus, dass die Schale mit den roten Kristallen ganz normal neben den anderen Substanzen gestanden hatte, als wären sie von einem der üblichen Lieferanten angebracht worden. Wer liefere denn Pans Hof alles Drogen, war meine nächste Frage daraufhin. Antoine, die Raiths, Orféa Baez und Ciceron Linares, kam die Antwort des Mädchens. Ich stellte ihr noch weitere Fragen, die sie auch alle bereitwillig, wenngleich mit Umschweifen, beantwortete, aber wirklich Neues ergab das alles nicht.

Wir ließen uns von ihr dann den erwähnten Vorratsraum zeigen, wo in einer Schale noch ein letzter Rest von dem Scarlet lag. Eigentlich wollte sie erst nichts davon herausrücken, tat es aber dann doch.

Und dann... dann lächelte die Nymphe mich an und meinte „So... und jetzt die Gegenleistung“ – und ich schwöre beim Allmächtigen, erst in diesem Moment wurde mir klar, was für einen kapitalen Fehler ich gerade gemacht hatte.
Eine Fee. Eine Nymphe. Die mir gerade mit der Beantwortung meiner Fragen einen Gefallen getan hatte, oder zumindest legte sie das so aus, daran ließ sie keinen Zweifel. Ich versuchte, mich darauf herauszureden, dass sie mir ja nicht weitergeholfen habe, mir keine Informationen gegeben hätte, die ich nicht ohne sie auch schon gehabt hätte. Aber nein. Sie hatte mir geholfen und wollte nun ihren Lohn – und außerdem hätte sie mir ja das Scarlet gegeben!

Wenn ich ging... würde ich bei dieser Fee in der Schuld stehen. Und so wenig ich im allgemeinen vielleicht auch wissen mag, dass ich nicht bei einer Fee in der Schuld stehen möchte, das weiß inzwischen sogar ich. Und schon gar nicht bei einer Sommerfee, die sich, auf diese Art von mir zurückgewiesen, vielleicht mit Lady Fire zusammentun könnte oder ähnliches...

Ich blieb. Dios, perdona me, ich blieb. Ich versuchte zwar mit all meiner Kraft, es bei ein paar Küssen zu belassen, aber... Tío, sie war eine Nymphe. Wunderschön und warm und anschmiegsam und voller Lebenslust. Und ich, bei all meinem Wollen, zu schwach. Es blieb nicht bei den Küssen.

Die Jungs waren natürlich vorausgegangen, und nachdem das Mädchen – O Dios, ich weiß nicht einmal ihren Namen – sich kichernd verabschiedet hatte, verließ ich den Palast ebenfalls. Oder besser, ich wollte den Palast verlassen, aber vor der Kammer traf ich auf George. Er sah mich mit schiefgelegtem Kopf an, seine Haltung eine Mischung aus mitfühlend und neugierig.

„Eine komische Sache ist das“, fing er unvermittelt an, „aber euch Menschen muss sie gefallen, denn du machst sie im Traum auch immer. Nur mit jemand anders.“
Ich konnte spüren, wie ich verlegen wurde – oder noch verlegener, genauer gesagt. Aber naja, dass George meine Träume sieht und kennt, das ist ja nichts Neues.
„Diese Träume hast du öfter“, fuhr George fort. „Wie die Feuerträume.“
Bei der Erwähnung von ‚Feuer’ schüttelte es mich, und ich gab ihm die Erlaubnis, jegliches Feuer, das in meinen Träumen auftauchte, aufzufressen. Wobei er das ja ohnehin schon tut, das weiß ich auch.
„Diese Sache hast du letztens im Traum auch wieder gemacht“, sagte George dann, „mit Lady Fire.“

Was z...!?! Da war er wieder, der Comic-Cardo mit der heruntergeklappten Kinnlade. Ich musste hörbar nach Luft schnappen, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Da weiß ich gar nichts von.“
Und George sah mich nur an, mitfühlend und freundschaftlich, und nickte. „Ich weiß.“

Was. Zum. Geier?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 3.06.2015 | 21:03
Draußen am Strand traf ich wieder auf die Jungs. Glücklicherweise gab es keine Zeit für irgendwelche peinlich berührten Momente, denn sie waren schwer beschäftigt. Und zwar redeten die Jungs gerade mit niemand anderem als mit Hans Vandermeer, dem Mann, dem wir damals auf der Vernissage begegnet sind und von dem wir glauben, dass er der Fliegende Holländer sein könnte. Der stand neben einem abgebrannten, noch ein wenig rauchendem Strandkorb und erzählte etwas von einer Frau, die ihm das Ding unter dem Hintern angezündet hätte. Beschreiben konnte er sie nicht, da er erst einmal nur versuchte, die Flammen zu löschen und nicht weiter auf die Frau achtete. Hmm. Wen kennen wir denn in dieser Richtung. Christine Wick? Lady Fire, Himmel steh uns bei? Oder vielleicht Ximena? Nur zur Sicherheit fragten wir Vandermeer, wo er derzeit wohne, und er nannte uns das Hotel Fontainebleau.

Anschließend erzählte Vandermeer uns noch von einer Frau, die er dringend suche, weil sie etwas von ihm habe, ein Schmuckstück, das er unbedingt zurück brauche. Die Frau, die er beschrieb, klang nach Cherie oder nach einem südländischen Typ wie Cherie. Und da fällt mir ein, genau dasselbe hatte er doch damals auch schon zu Roberto gesagt, als sie einander zum ersten Mal begegneten. Dort in der Galerie war der Holländer ja geradezu damit herausgeplatzt, dass ihm das Amulett abhanden gekommen sei, und es täte ihm so unendlich leid. Damals hatte er Roberto für einen Avatar Titanias gehalten, also hat dieses Amulett wohl irgendetwas mit ihr zu tun. Interessant...

Interessant, aber fürs Erste nicht unser Hauptproblem. Mit der Probe von dem Scarlet fuhren wir zu Edward, weil der das Zeug in seinem Labor untersuchen wollte. (Seiner Lykanthropen-Küche. Ohne ‚h’. Und fragt nicht, Römer und Patrioten, was das unterwegs für blöde Sprüche in Sachen ‚Lykanthropen-Küce’ gab.)
Bei der Analyse stellte sich dann jedenfalls heraus, dass die Substanz eigentlich eine normal chemische Droge war, auf die dann aber anschließend Sommermagie aufgeflanscht wurde.

Oh, richtig. Vor der Untersuchung rief Roberto noch bei Ximena an und fragte seine Cousine rundheraus, ob sie diejenige gewesen sei, die Vandermeers Strandkorb angezündet habe. Sie war es nicht, sagte sie. Aber sie klang fasziniert von dem Holländer und ließ sich von Roberto alles erzählen, was der so über den Mann weiß.

Nach der Laborarbeit trennten wir uns. Edward wollte nochmal aufs Revier, um sich über die neuesten Erkenntnisse seiner Kollegen im Fall Scarlet zu informieren. Wir anderen hingegen taten das, was uns in Pans Palast so ziemlich jeder geraten hatte: Es wurde Zeit, mit Antoine zu reden. Also fuhren wir zum Haus von Mrs. Parsen, da wir ja wussten, dass Antoine in letzter Zeit so gut wie dort wohnte.

Das Haus war leer, als wir dort ankamen, und durch das Fenster sah es so aus, als habe da jemand in aller Eile gepackt. Illegal oder nicht, wir brauchten Hinweise, also öffnete Alex – inzwischen nicht mehr ganz so betrunken – fachmännisch und ohne Spuren zu hinterlassen das Schloss an der Hintertür. Drinnen fanden wir nicht viel, aber immerhin einen ganz entscheidenden Hinweis: einige Fotos von Antoine und Marie vor einem Boot, das an einer Marina in den Keys vertäut lag. Diese Fotos steckten wir ein und hatten das Haus eben wieder verlassen, als ein Auto vorfuhr.

Zwei Leute stiegen aus, in Anzug bzw. Hose und Jackett. Polizisten. Die Frau stellte sich als Detective Martinez aus dem Drogendezernat vor; der Name ihres Kollegen ist mir gerade entfallen. Die beiden waren höchst interessiert daran, was wir hier taten, und glücklicherweise gelang es uns, es so aussehen zu lassen, als seien wir gerade erst gekommen und hätten geklingelt, aber niemanden angetroffen. Roberto konnte den beiden Detectives dann noch glaubhaft versichern (jedenfalls hoffe ich, dass sie es glaubten!), dass Mrs Parsen eine Kundin seiner Botanica sei und er mit ihr eine Bestellung habe besprechen wollen.

Nachdem die Polizisten uns hatten gehen lassen, sammelten wir Edward ein, der inzwischen ebenfalls Bekanntschaft mit Detective Martinez hatte schließen dürfen. Auf dem Weg zur Marina erzählte er uns, dass Henry ihm das Passwort für den Datenraum zum Scarlet-Fall beschafft hatte. Die dort gesammelten Unterlagen deuteten darauf hin, dass das Drogendezernat ein großes Interesse an Mrs. Parsen und ihrem Freund hegt – sogar eine kleine Sonderkommission ist für Antoines Substanzen gegründet worden. Detective Martinez bat Edward um ein Gespräch, bei dem die Polizistin ihn ziemlich detailliert zu seiner Mutter ausfragte, vor allem dazu, warum diese in letzter Zeit so unglaublich jung wirke. Edward lavierte ziemlich ungeschickt – und auffällig – herum, weil er nicht lügen, aber auch nicht die Wahrheit sagen wollte. Kein Wunder, dass Detective Martinez dadurch nur misstrauisch wurde... und mit ihrem Kollgen sofort zu Maries neuer Adresse fuhr, sobald Edward ihr die genannt hatte.

Die „Flying Pooka“ lag in der Marina vor Anker, aber das Boot war leer. Daraufhin rief Edward bei seiner Mutter an und bat um ein Treffen. Marie nannte das Boot als Treffpunkt und schien etwas konsterniert, als Edward erklärte, ja, da seien wir schon.

Einige Zeit später kamen Mrs. Parsen und Antoine, verstohlen und vermummt mit Hoodie und Hut, auf das Boot zu. Das Gespräch verlief etwas gehetzt, weil unsere Gegenüber offensichtlich mindestens mal vor der Polizei, aber genauso auch vor irgendwelchen anderen Gegnern, in Deckung gehen wollten. Aber einiges fanden wir doch heraus.
Antoine war es nicht, sagte er, und er wisse auch nicht, wer es gewesen sei. Als wir ihn danach fragten, wer außer ihm denn noch Drogen liefere, nannte er dieselben Parteien, von denen wir in Pans Palast auch schon gehört hatten. Und nein, sein Zeug sei alles komplett legal. Falls es verboten werden sollte, würde er damit aufhören und statt dessen etwas anderes herstellen, das dann eben wieder legal sei.

Toll. Nicht das, was wir hören wollten, aber wenigstens klang es nach der Wahrheit. Wir verabschiedeten uns also von den beiden und machten uns wieder auf den Weg in die Stadt, während Antoine und Marie in ihrem Boot wegfuhren.

Unterwegs erzählte Roberto uns noch, dass er im Palast den Eindruck gehabt habe, Ritter Colin lüge ihn an. Immerhin ist der ein Mensch und kann lügen. Und er mag Pan nicht. Was also, wenn ihm ein anderer Herzog lieber wäre und er versuchen möchte, Pan abzusetzen, wenn er schon den Job des Ritters fürs Erste behalten muss?

Und auf dem Weg in die Stadt sahen wir, als wir gerade über einer der Brücken in den Keys fuhren, draußen auf dem Meer ein Segelschiff kreuzen. Ein richtig altes. Hans Vandermeers Titania, vielleicht?
Wir riefen im Hotel Fontainebleau an und ließen uns mit Vandermeers Zimmer verbinden, um festzustellen, ob der Holländer dort war. Das war er... aber Ximena ging an sein Telefon. Oh-hoh.
Sobald sie den Hörer an den Mann weitergereicht hatte, fertigte Vandermeer uns ziemlich kurz angebunden ab. Nein, er wisse nicht, wer jetzt sein Schiff steuere, der Erste Maat vermutlich. Und nein, es interessiere ihn auch gar nicht, er habe anderes im Kopf. Ein Kichern von Ximena aus dem Hintergrund. Na klasse.

Jedenfalls war es das erst einmal für heute. Was für ein Tag! Aber ich kann nicht schlafen. Natürlich nicht, wie auch. Es gehen mir viel zu viele Dinge im Kopf herum. Ich dachte, dieser Tagebucheintrag würde helfen, aber er hat all die Gedanken nur noch weiter aufgewirbelt.

Ich glaube, ich schreibe Dee einen Brief. Anrufen kann ich um die Zeit nicht, aber Schlaf werde ich auch keinen finden, solange ich das vor mir her schiebe.

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02:00 Uhr.

Keine Chance. Ich finde die Worte nicht. Zerknülle Blatt um Blatt.

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04:17 Uhr

Telefon. Was zum...

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04:20 Uhr

Edward war’s. Gerald Raith hat eben bei ihm angerufen. Irgendwas im Hotel Fontainbleau. Wir treffen uns dort. Schlafen kann ich ohnehin nicht, und die Blätter in meinem Papierkorb sind auch nicht weniger geworden.

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Es war ein Missverständnis. Ein Missverständnis. Hah.

Der Hoteldirektor war schrecklich aufgeregt und wollte die Polizei, zumindest offizielle Vertreter der Polizei, möglichst außen vor halten. Das passte natürlich auch Gerald Raith perfekt in den Kram, da der samt Gefolge ja bereits aus seinem letzten Langzeitlogis geflogen ist und sicherlich kein Interesse daran hatte, von einem weiteren Fünfsterne-Hotel auf die Rote Liste gesetzt zu werden. (Wann ist das Raithsche Anwesen eigentlich endlich mal soweit fertig, dass der Tross sein Hotelleben wieder aufgeben kann?)

Jedenfalls war das der Grund für Geralds Anruf bei Edward gewesen. Es waren Schüsse gefallen, Magie war geflogen, und Edward sollte – wir sollten – das Ganze jetzt möglichst ruhig lösen. Der Ärger kam (und warum wundert mich das jetzt nicht?) aus dem Zimmer des geschätzten Gastes Hans Vandermeer. Genauer gesagt, man hatte den Ärger getrennt.

Ximena saß in Hans' Zimmer; die andere Streitpartei – Cherie, wie sich herausstellte – war in einen der von den Raiths angemieteten Räume gebracht worden. Wir beschlossen, die beiden getrennt voneinander zu befragen, und da Edward bei dem Gedanken, Cherie gegenüberzutreten, ein wenig unbehaglich aussah, gingen er und Roberto zu Ximena, während Alex und ich (Totilas war irgendwie nicht zu erreichen gewesen) mit Cherie redeten.

Edwards Ex erzählte uns, dass sie tatsächlich nachts Hans' Zimmer betreten habe. Cólera. Im vorigen Absatz ist es mir gar nicht aufgefallen, aber plötzlich springen mir die albernsten Hans Zimmer-Assoziationen im Kopf herum. Die Titelmelodie zu „The Rock“ zum Beispiel.) Sie habe mit dem Holländer reden wollen, weil sie gehört habe, dass der sie suche, und sie wollte wissen, warum. Daraufhin sei ihr ein Feuerball entgegen geflogen, und sie sei dem Feuerball ausgewichen und habe sich mit einem Pistolenschuss zur Wehr gesetzt. Ein Feuerball! Ein Angriff! Natürlich habe sie geschossen!

Ich hakte dann mal vorsichtig nach, warum sie sich denn mitten in der Nacht in das Hotelzimmer eines Fremden geschlichen habe, anstatt es tagsüber zu versuchen oder wenigstens anzuklopfen? Darauf wusste Cherie nicht so richtig etwas zu antworten, nur dass sie… naja, halt sichergehen wollte, Hans auch anzutreffen. Und dass sie gar nicht groß über eine Alternative nachgedacht hatte. Das sagte sie zwar nicht wörtlich, aber so kam es definitiv rüber.

Roberto und Edward erfuhren währenddessen von Ximena, dass da mitten in der Nacht eine schwarzgekleidete Frau im Ninjamodus und mit einem Messer bewaffnet in das Zimmer eingedrungen sei. Eine Ninja! Mit einem Messer! Ja natürlich habe sie sich verteidigt! Und „verteidigen“ heiße bei ihr in so einem Moment der Überraschung eben nun mal „Feuerball“. Und überhaupt, die Ninja-Tussi habe ja sofort auf sie gefeuert!

Langer Rede kurzer Sinn? Es war ein Missverständnis. Wir brachten die beiden dazu, dass sie einander grummelnd und widerstrebend die Hand schüttelten und sich darauf einigten, dass es ein Missverständnis gewesen sei, ehe wir dem Hoteldirektor Bescheid sagen gingen.

Von Hans Vandermeer war übrigens weit und breit nichts zu sehen. Der hatte sich offensichtlich sofort in dem Moment abgesetzt, als der Ärger losging.

Wir erzählten Cherie dann noch, warum der Holländer sie sucht, dieses Schmuckstücks wegen nämlich. Cherie wusste natürlich sofort, welches Schmuckstück gemeint war, erklärte aber, die Kette habe Vandermeer ihr geschenkt, zumindest habe sie das so verstanden. Tja, dem sei aber laut Vandermeer nicht so, erwiderten wir, und er habe wegen ihres Verlustes relativ verzweifelt geklungen. Das möge ja alles sein, konterte Cherie, aber sie habe die Kette nicht mehr. Sie habe das Amulett Ocean geschenkt, weil es vor böser Magie schützen solle und Ocean jeden Schutz dieser Art brauche, den sie nur kriegen könne.

Das war dann der Moment, wo Edward das Amulett wiedererkannte. Und wir anderen ebenfalls, denn auch wir hatten es auch schon mal gesehen. Das war die Kette mit den großen Holzperlen und dem goldenen Anhänger mit Schiffsmotiv, die Edward Ocean abgenommen und in seinem Labor in einen Schutzkreis gesteckt hatte, ehe Ocean sich mit Ciélo nach Kuba absetzte.
Diese Kette war das also. Auch interessant.


Nachdem sich dann alles beruhigt soweit hatte, wollten wir eigentlich alle wieder heimfahren. Aber vorher nahm ich noch Edward beiseite und erzählte ihm alles. Dass das mit der Nymphe einer der größten, wenn nicht der größte, Fehler meines Lebens war. Dass ich mich schuldig fühle. Dass ich die Nacht über kein Auge zugetan habe. Dass ich versucht habe, Dee zu schreiben, aber dass die Briefe alle irgendwie falsch klangen, überhaupt nicht das ausdrückten, was ich sagen wollte.

Edward hörte sich das alles geduldig an und sagte dann etwas, auf das ich eigentlich auch von selbst hätte kommen können. „Du könntest versuchen, es zu verheimlichen oder zu vergessen, so tun, als sei es nicht geschehen. Aber das wird nicht klappen. Denn die Sache nagt an dir, und sie wird dir keine Ruhe lassen. Rede mit Dee, denn du wirst keine Ruhe finden, solange du nicht mit ihr redest.“

Und natürlich hat er recht. Ich mag ein Schreiberling sein, aber in diesem Falle wären geschriebene Worte das denkbar Falsche. Ich muss es ihr in Worten sagen, muss ihr dabei gegenübersitzen und ihr in die Augen sehen, so schwierig das auch werden wird. Ich muss mit Dee reden. So bald wie nur möglich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.07.2015 | 01:21
Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 2

Geschlafen habe ich nicht mehr. Nur gewartet und gegen 10 Uhr bei Dee angerufen. Zuerst ging sie nicht ans Telefon, aber ein paar Minuten später rief sie dann zurück. Nach dem „Hallo“, noch ehe ich meine Bitte nach einem Treffen vorbringen konnte, meinte Dee schon „wir müssen reden“. Und dann verabredeten wir uns für mittags im Dora's.

Mierda. Sie muss schon von der Sache mit der Nymphe erfahren haben. Verdammt, verdammt, verdammt, und dabei wollte ich doch, dass sie es von mir hört. Verdammt.

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12:35 Uhr

O... kay. Das... puh.

Schluck Kaffee.

Dee war pünktlich. Überpünktlich beinahe, und nervös. Ich wollte eigentlich mit meinem Geständnis herausrücken, aber Dee bat mich, erst sie erzählen zu lassen, was sie auf dem Herzen habe, dann könne ich ihr sagen, was ich ihr sagen wolle. Okay...

Und dann gestand sie mir, sie habe letzte Nacht mit Roberto geschlafen. Es tue ihr leid, ich sei wohl nicht derjenige, mit dem sie über die Sache mit Ruiz wegkommen könne, auch wenn sie das lange gedacht habe.

Und es stimmt ja. Ich habe gewartet, wollte sie absichtlich nie bedrängen, das Ganze von ihr ausgehen lassen, wenn sie eben über die Sache weggewesen wäre. Ja, meinte Dee, irgendwie habe sich das so eingeschliffen, und... Sie tat sich ebenso schwer mit den Worten wie ich auch. Es tat ihr leid, das konnte ich sehen.

Ich gestand ihr dann auch die Sache mit der Nymphe. Und Dee gab mir einen Kuss auf die Wange und ging.

Und jetzt sitze ich hier und... Puh.

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12:55

Dora hat mir unaufgefordert Kaffee nachgeschenkt und noch einen Donut gebracht. Sie hat mir wohl angesehen, dass das gerade ein Schlussmach-Gespräch (oder eher ein gar-nicht-richtig-angefangen-Gespräch) war. Eben habe ich mich zusammengerissen und bei Edward angerufen. Er scheint heute morgen mit Alex surfen geübt zu haben, wie es klang. Jedenfalls kommt er jetzt her.

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Totilas und Alex kamen vor Edward ins Dora's. Diesmal allerdings hätte ich mir gewünscht, Edward wäre als erster angekommen. Dann hätte ich nämlich ausführlicher mit ihm reden können als nur die kurze Darstellung der Sachlage, die ich den Jungs ablieferte. Roberto tauchte dann nämlich kurze Zeit später auch schon auf. Und das war vielleicht seltsam, Römer und Patrioten. Wobei ich Roberto noch nicht mal einen Vorwurf machen kann. Aber leichter machte das die Sache trotzdem nicht. Die Jungs taten ihr Bestes, um Roberto und mich abzulenken, indem sie das Gespräch auf die Fakten lenkten, die wir in dem Fall bereits gesammelt haben.

Tatsache war: Wir wussten noch viel zu wenig über dieses Hohe Gericht, das Book da eingefordert hat. Also fuhren wir als nächstes zu Hurricane, weil der uns vielleicht sagen könnte, wer der Richter des Winters sein wird. Dort angekommen, gingen die drei anderen voraus, während ich draußen endlich etwas ausführlicher mit Edward redete.

Dass jeder Hof, oder jede Abteilung, der Fae je einen Richter stellt, wussten wir ja schon. Außerdem konnte Hurricane den Jungs aber noch folgendes sagen: Neben den drei Richtern gibt es noch einen Ankläger, immer vom Winter gestellt, und einen Verteidiger, immer vom Sommer. Wenn das Gericht einmal einberufen ist, hat jeder das Recht, dem Ankläger einen Beschwerdepunkt vorzutragen. So kann es vorkommen, dass mehr als ein Fall besprochen wird und dass solche Gerichtsverfahren sich relativ lange hinziehen.

Dass Roberto der Richter des Sommers ist, wussten wir ja bereits. Die Richterin des Winters ist eine gewisse Catalina Snow, die wohl morgen im Laufe des Tages noch in die Stadt gereist kommt. Während diese beiden ihr Amt langfristig bekleiden, wird der Richter des Wyld immer vom ranghöchsten Wyldfae bestimmt, der sich jeweils gerade an dem Ort befindet, wo das Gericht einberufen wird. Und der ranghöchste Wyldfae hier in Miami ist wohl gerade Samuel Book.
Der Ankläger ist Hurricane selbst, und den Verteidiger gibt – war ja so klar – unser Freund Colin. Das Verfahren würde auch stattfinden, wenn der Angeklagte nicht anwesend sei, sagte Hurricane, wobei es für den Angeklagten sehr schlecht aussehe, wenn er nicht zum Gerichtstermin erscheine. So gut wie ein Schuldeingeständnis sei das.

Roberto fuhr zu Pans Palast, um mit Colin zu reden, während Edward im SID Bericht erstatten ging. Hinterher trafen wir uns wieder. Colin habe in bezug auf seine Rolle als Verteidiger nicht sonderlich motiviert geklungen, sagte Roberto. Was nicht dazu beitrug, den Jungen irgendwie unverdächtiger aussehen zu lassen.

Edward hingegen wurde – wie wir das fast schon vermutet hatten – von seinem Chef zum Richter des Wyld ernannt. Eine andere Wahl hätte der Sergeant wohl auch kaum gehabt: Falls Edward abgelehnt hätte, hätte das Los auf Henry fallen müssen. Suki Sasamoto und Salvador Herero wären jedenfalls ausgeschieden, weil die Richter jeweils Menschen sein müssen, die beiden SIDler aber Changelings sind – Kinder eines menschlichen Elternteils und eines, oder einer, Fae.

Wir hatten ja noch das Scarlet, das wir von der Nymphe bekommen hatten. Das verfolgte Edward über einen Verbindungszauber zurück zum Rest davon. Wobei das nicht unbedingt das tatsächliche mit Sommermagie aufgepeppte Scarlet sein musste, räumte Edward ein. Falls von dem nichts mehr übrig wäre, dann würde die Magie sich an das Nächstbeste hängen, und das wäre dann der auf rein chemischen Wege hergestellte Grundstoff. Diese chemische Droge an sich ist bei der Polizei übrigens anscheinend noch nicht bekannt, das muss wohl ein neues, Meth-ähnliches Zeug sein.

Die magische Spur führte uns jedenfalls direkt zum „Whispers“, einer in den übernatürlichen Kreisen als Treffpunkt des Red Court bekannte Bar. Wir gingen nicht hinein, aber Roberto rief bei seiner Bekannten Lucia an. Die wusste nichts von Colin oder einer Verbindung zum Sommerhof der Fae, aber sie erwähnte einen Priester, der in letzter Zeit öfter mal in der Bar gewesen und auch unbeschadet wieder herausgekommen sei. Und den Namen des Priesters kannten wir sogar. Es war niemand anderes als Father Donovan Reilly, den wir bei der Sache mit Ciélo und Ocean kennengelernt hatten und bei dem ich anschließend zur Beichte gegangen war.

Das war interessant genug, dass wir den guten Pater mal aufsuchen gingen. Wir fanden ihn in dem Seelsorgerzelt am Strand, das die Gemeinde dort aufgebaut hat.
Auf unsere Fragen erklärte Father Donovan, ja, er wisse um das Übernatürliche, und ja, er wisse um den Red Court. In der Bar sei er gewesen, weil die menschlichen Diener der Vampire seine Hilfe benötigten. Er sei dabei, für die Leute eine Art Seelsorge aufzubauen.
Als wir ihn nach Colin fragten, erklärte der Pater, den kenne er auch, der komme öfter mal zur Beichte hier ins Zelt.

Weil Edward noch immer Hurricanes Worte im Ohr hatte, dass das Nichterscheinen des Angeklagten wie ein Schuldeingeständnis sei, rief er bei seiner Mutter an, um sie und Antoine zur Rückkehr zu bewegen. Doch Marie ging nicht ans Telefon. Es klingelte nicht einmal; es war sofort die Mailbox dran.

Danach trennten wir uns. Edward sagte, er wolle sich einen Trank brauen, mit dem er besser surfen könne, und Alex wollte ihm ein Surfbrett besorgen. Und ich habe auch noch zu tun. Wir haben ja immer noch, und immer stärker, den Verdacht, dass Colin in der Sache mit drinhängt. Wenn dem so ist, dann habe ich morgen vielleicht die Gelegenheit, ihn zum Zucken zu bringen... wenn ich es nur richtig anstelle.

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Der Tag des Turniers. Oh Mann. Tjosten auf Surfboards.

Es war so ziemlich jeder anwesend, der im Dunstkreis der Feenhöfe irgendwie Rang und Namen hat. Pan selbst natürlich. Colin als sein Ritter. Die anderen hohen Sidhe des Sommerhofs, wie Sir Anders und Sir Kieran – letzterer zusammen mit Edelia Calderón. Hans Vandermeer. Father Donovan, überraschenderweise. Hurricane und die frisch angekommene Richterin Catalina Snow als Vertreter des Winters. Suki Sasamoto als Rettungsschwimmerin für die tjostenden Streiter, Salvador Herero. Lady Fire, el señor nos socorre, und Christine Wick.

Außerdem hing an meinem Arm plötzlich kichernd eine Nymphe. Die Nymphe. Sie strahlte mich an und fragte, ob ich nicht vielleicht wieder irgendwelche Hilfe von ihr wolle. Haha. Aber diesmal dachte ich an meine Manieren und fragte sie, wie ich sie denn nennen solle, und erhielt zur Antwort „Saltanda“.

Ich versuchte, mich so schnell wie möglich von Saltanda loszueisen, und unterhielt mich stattdessen kurz mit Father Donovan. Der bewegte sich erstaunlich souverän unter all den Feen; offensichtlich weiß er nicht nur über das Übernatürliche bescheid, sondern ist durchaus involviert. Jedenfalls wusste er, dass der Siegespreis ein goldenes Füllhorn sein würde, das immer genau das zum Essen oder Trinken enthielte, das man sich in dem Moment gerade wünschte. Auch dass dieses Frühlingsturnier anscheinend schon eine lange Tradition hat, nur dass es wohl bislang immer zu Pferd ausgetragen worden sei. Ich fragte ihn noch, wie er mit dem Übernatürlichen in Kontakt gekommen sei. Doch darüber wollte der Pater sichtlich nicht reden. Es sei „eine lange Geschichte“, und seinem Ton war anzumerken, dass er damit nicht meinte, diese mal bei einem guten Bier ausbreiten zu wollen.

Bei der Tjosterei schlug Edward, seinem selbstgebrauten Trank und dem von Alex besorgten und getunten Surfboard sei Dank, sich gar nicht schlecht. Er gewann ziemlich souverän gegen Sir Anders, unterlag dann aber denkbar knapp sowohl gegen Colin als auch gegen Hurricane (der unseren Edward ebenfalls nochmals gefordert hatte. „Ein Schneeball hat mehr Würde als Pan!“). Den Gesamtsieg trug Colin davon, der sich im Finale gegen Hurricane durchsetzte. Die beiden schienen sich übrigens recht gut zu verstehen und planten für die nächsten Tage irgendwann einen gemeinsamen Surfausflug im Cayo Huracán. Pan überreichte seinem Ritter das Füllhorn, und Colin feierte seinen Sieg prompt, indem er sich gnadenlos betrank.

Im Zuge dessen gratulierte ich Colin zu seinem Sieg und brachte ihn im dann folgenden Gespräch dann tatsächlich dazu, ertappt auszusehen. Er hängt in der Sache mit drin, da bin ich mir jetzt sicher, auch wenn er keinen ganz und gar glücklichen Eindruck damit machte.

Später sah ich dann, dass Lady Fire sehr ernsthaft mit Colin und Hurricane sprach. Beide wirkten respektvoll und der Feuerfee gegenüber durchaus positiv eingestellt. Überhaupt sprach Lady Fire mit den meisten Feenrittern vor Ort: sehr huldvoll und verständnisinnig, reines Balsam für die gedemütigten Seelen der Sidhe. Plant die Lady etwa einen Putsch und nimmt Pans Untergebene – die ja, wie wir von Sir Anders und Sir Kieran wissen, ohnehin nicht sonderlich gut auf die satyrhaften Umtriebe des Sommerherzogs zu sprechen sind – bereits jetzt für sich ein?

Edward wurde von Pan höchstselbst auch zu seinem guten Abschneiden im Turnier gratuliert. Und dann gab der Sommerherzog Edward unvermittelt einen Kuss. „Und? Findest du jetzt immer noch, dass ich kalt bin wie ein Schneeball?“, fragte er dann. Und Edward – war Edward. „Ich hatte schon bessere Küsse“, erwiderte er trocken. Was Pan – er ist immerhin ein Satyr! – natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Er warf nun seinen nicht unbeträchtlichen Satyr-Charme an und küsste Edward erneut. Lang. Hingebungsvoll. Grinste ihn hinterher breit an. „Und jetzt?“ Edward atmete schwer, hatte sich aber unter Kontrolle. „Besser“, schnaufte er. „Wenn du eine Frau wärst...“ „Das lässt sich arrangieren“, schoss Pan zurück, schnippte mit den Fingern, und ein paar Sekunden später hing eine Nymphe an Edwards Arm. „Es ist das Frühlingsfest. Es muss gefeiert werden“, erklärte Pan, und Edward schien nach dem Kuss, den er da gerade bekommen hatte, nicht geneigt zu widersprechen. Ohne weitere Worte verschwand er für eine Weile mit der Nymphe.

Christine Wick war auf der Suche nach Hans Vandermeer. Totilas bemerkte ihren suchenden Blick und ging den Holländer warnen. Der wich Christine auf Totilas' Hinweis hin aus, aber seinem Gesicht war eine gewisse Faszination anzusehen, als ob er die Feuerkünstlerin trotzdem gerne gesprochen hätte. Roberto hingegen ging direkt auf Christine zu und sprach sie darauf an, ob sie jemanden suche und ob er helfen könne. „Nein“, spuckte Lady Fires Assistentin zurück, „von euch Typen will ich keine Hilfe!“ Roberto zuckte mit den Schultern. „Na gut, dann gehe ich eben zu Hans Vandermeer.“ Das ließ Christine stutzen. „Hans Vandermeer? Was, wo, wie?“ „Da drüben“, antwortete Roberto ruhig und ging tatsächlich gleich zu dem Holländer hin.

Christine zögerte noch einen Moment, machte sich dann aber auch auf in Richtung Vandermeer. Ehe sie aber bei ihm ankam, sah sie den Holländer am Arm einer jungen Studentin hängen. Ihr Gesicht nahm einen beleidigten Ausdruck an, und sie wandte sich ab. Dann drehte sie sich noch einmal um, voller... Erwartung? Hoffnung? Auch Vandermeer sah auf, sah sie kommen und sich wegdrehen, und er verzog das Gesicht, löste sich von der Studentin. Doch Christine hatte sich schon wieder abgewandt, und ihre Blicke verpassten sich.

Der Holländer fragte Roberto nach Christines Nummer, die Roberto ihm auch gab. Das gab der Studentin Anlass zum Beleidigtsein, und das wiederum brachte Hans gegen Roberto auf, dass der mit dem ganzen Thema überhaupt bei ihm aufgeschlagen war. Aber die Nummern waren ausgetauscht.

Als nächstes sprach Totilas den Holländer nochmals an, wegen der Halskette, die Vandermeer suchte. Aber unser White Court-Freund tanzte im Gespräch derart um den heißen Brei herum, dass es Edward – der inzwischen vom Frühlingsfest-Feiern zurück war – reichte. Er kam dazu und sprach Klartext. Ja, er kenne die Frau, die Vandermeer suche. Und ja, er, Edward, habe die Kette, um die es gehe, in seinem Besitz. Er schloss ein Geschäft mit dem Holländer ab: Vandermeer sagt ihm, wenn ihm am Feenhof etwas auffällt, dafür wird Edward die Kette an Titanias Richter Roberto weitergeben.

Außerdem schubste Edward Vandermeer noch ein wenig in Christines Richtung, indem er beinahe beiläufig einwarf, dass man die wahre Liebe irgendwie immer erst erkenne, wenn es zu spät sei. Daraufhin fluchte Hans vehement los und stapfte davon, noch immer laut schimpfend. Und natürlich... Wenn er der Fliegende Holländer ist, wie wir ja vermuten, dann ist es sein Fluch, die Meere besegeln zu müssen, bis er seine wahre Liebe gefunden hat. Und wenn Christine diese wahre Liebe ist... dann können die beiden nicht zusammenkommen, weil Christine ja Lady Fire verschworen ist. Mierda. Da sieht man seine eigenen Beziehungsprobleme irgendwie gleich in einem anderen Licht.

Edelia Calderón und Sir Kieran sprachen indessen mit Hurricane. Was sie sagten, war aus der Entfernung nicht zu verstehen, aber die beiden sahen nach dem Gespräch aus wie die sprichwörtliche Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat.

Mit Catalina Snow sprachen wir auch. Die Richterin des Winters kommt aus Calgary und hat indianische Wurzeln. Sie wirkte erst kühl, taute aber, als das Thema auf Eishockey zu sprechen kam, merklich auf.

Als die Feier dann langsam immer mehr in ein reines Gelage überging, machten wir uns aus dem Staub. Denn immerhin wollte Alex ja noch einmal mit Jeff sprechen. Den fand er allerdings erst nach einigem Suchen – oder besser, Jeff fand Alex. Denn Jeff war zunächst nirgendwo zu sehen, und erst, als wir ein wenig verloren außerhalb des Nevernever am Strand herumstanden, tauchte der Junge plötzlich auf. Er wirkte sehr nervös auf Alex, hatte sich versteckt. Alex ließ ihn in sich, wie er das immer so macht, und nahm ihn mit, sehr zu Jeffs Erleichterung.

Dass Jeffs Geist jetzt zumindest kurzfristig in Alex war, erlaubte es auch uns anderen, ganz direkt mit ihm zu sprechen. Er war so nervös gewesen, weil zwei beängstigte Gestalten an den Strand gekommen waren, vor denen er sich lieber versteckt hatte – niemand anderes als Joseph Adlene und „Jack“, soviel wurde sehr schnell klar. Adlene habe Jack an einer Kette geführt, aber eigentlich, sagte Jeff, habe es genau andersherum ausgesehen. Und Adlene habe auch keinen sonderlich gesunden Eindruck gemacht. Die beiden hätten nicht so gewirkt, als seien sie zufällig an den Strand gekommen, sondern sie schienen etwas zu erwarten, das dann aber nicht da war. Beide hätten sie daraufhin ziemlich enttäuscht und vor allem wütend ausgesehen.

Hatte Adlene etwa die ganzen Geister der Getöteten einsammeln und versklaven wollen? Nur dass keiner mehr da gewesen war, weil Alex ja alle bis auf Jeff weitergeschickt hatte? Und wenn Adlene gezielt an den Strand gekommen war, um die Geister einzusammeln, hängt er etwa in der ganzen Sache mit drin? Tío. Was für ein erschreckender Gedanke.

Jeff hatte aber noch mehr zu erzählen. Ich weiß gar nicht mehr, wer das Thema aufbrachte, aber die Sprache kam auf Father Donovan, und Jeff meinte, der Priester mache ihn nervös, sei ihm unheimlich. Er erklärte auch, er glaube den Priester von irgendwo her zu kennen, aber er konnte beim besten Willen nicht sagen, woher.

Bei Jeffs Worten kam Totilas der Gedanke, bei Father Donovan könne es sich um den Mittelsmann zwischen Colin und dem Red Court handeln, der Pans erstem Ritter das unbehandelte Scarlet aus dem „Whispers“-Club beschafft haben könnte. Immerhin hat der Pater nachweislich mit beiden Seiten zu tun. Der Gedanke gefällt mir zwar ganz und gar nicht, weil der gute Father mir eigentlich sehr sympathisch ist, aber ausschließen lässt sich die Theorie natürlich nicht, solange wir nicht Näheres über ihn wissen. Gut, Roberto könnte ihn sich mit der Sight anschauen, aber das Risiko ist ihm viel zu groß, falls sich hinter der Fassade des Priesters doch ein Dämon verbergen sollte oder ähnliches.

Als Jeff uns soweit alles erzählt hatte, verabschiedete er sich noch von Snowball. Zu diesem Zweck ließ Edward ihn mit Alex' Hilfe kurzfristig in sich, da Edward ja mit Hunden sprechen kann und sich somit auch Jeff mit seinem Hund würde verständigen können. Es war ein trauriger, sehr rührender Moment, als Snowball verstand, dass Jeff nicht wiederkommen würde, dass ihm dasselbe widerfahren sei wie der Katze der Nachbarin und dem Eichhörnchen damals. Und dann bat Jeff Edward, dass er sich doch in Zukunft um Snowball kümmern möge. Eigentlich wären ja Lila oder Danny die näherliegende Option, aber Lila hat eine Hundehaarallergie, und da sich zwischen den beiden gerade etwas anbahnt, fällt dann wohl auch Danny aus. Ergo blieb Edward, und natürlich sagte er zu. Grummelnd zwar, aber er sagte zu. Und so ist unser Edward jetzt auf den Hund gekommen...

Das hinderte uns aber alles nicht daran, erst einmal weiter planen zu müssen. Denn morgen findet die Verhandlung statt, und Antoine sollte wirklich, wirklich, wirklich anwesend sein. Aber Mrs. Parsen war nicht an ihr Handy gegangen, hatte auch auf Edwards Spruch auf ihrem Anrufbeantworter bislang nicht zurückgerufen. Aber, fiel uns ein, konnte Edward seine Mutter aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnisses nicht auf magischem Wege finden? Das war natürlich eine Möglichkeit – aber das Ritual, das Edward zu dem Zweck durchführte, sagte ihm erst einmal auch nicht mehr, als dass seine Mutter sich im Nevernever befand. Mierda. Was natürlich auch erklärte, warum sie nicht zurückgerufen hatte. Wenn sie schon die ganze Zeit im Nevernever war, hatte sie den Anruf gar nicht bekommen können.

Jedenfalls... die Gerichtsverhandlung beginnt morgen um 12 Uhr mittags. Das ist zu knapp, um ins Nevernever zu gehen, Marie und Antoine zu suchen und garantiert rechtzeitig zurück zu sein. Dann lieber erst pünktlich um Mittag zur Verhandlung erscheinen, anhören, was vorgetragen wird, und dann den Prozess vertagen, damit wir auf die Suche gehen können. Das ist laut Statuten nämlich anscheinend möglich.

So, alles aufgeschrieben. Schlafen gehen. Wenn ich denn kann. Ha.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 28.07.2015 | 19:40
So sehen also Feen-Gerichte aus.

Roberto in seinem Liberace-Mantel, der, dem Anlass gemäß, wie ein Talar aussah... wie ein glitzernder, mit Pailetten besetzter Talar, wohlgemerkt. Dazu eine weißgepuderte Perücke à la britischen Richtern, die ebenfalls irgendwie zu glitzern schien.
Edward ebenfalls in einem Talar, aber einem alten, abgetragenen, der nicht sonderlich viel hermachte. Seine Perücke war auch schon etwas abgewetzt und glitzerte definitiv nicht.
Catalina Snow in einem langen, braunen Mantel und einem Cowboyhut.
Hurricane im Anzug, Colin – als wahrer Vertreter des Sommers – im Hawaii-Hemd.

Was für eine Mischung.

Auch diverse Zuschauer waren anwesend, darunter Pan, Tanith, einige Ritter, Lady Fire, Sergeant Book und – zu unserer nicht geringen Überraschung – auch George. Der thronte in seiner graugewandeten Menschengestalt neben dem Sergeant, und wir setzten uns zu den beiden.

Hurricane als Ankläger trug die Beschwerden vor. „Störung des Festfriedens“ war der Vorwurf, der Antoine für die Vorfälle am Strand gemacht wurde. Und dann kam noch eine zweite Anklage: gegen Sergeant Book, weil die Insel der Jugend entweiht worden sei.

Damit hatte offensichtlich niemand gerechnet – niemand außer Edelia Calderón und Sir Kieran jedenfalls. Während wildes Getuschel auf den Besucherbänken ausbrach und Sergeant Book sich hektisch zu George umdrehte und diesem eine Frage zuzischte, sahen die Santería und der Sommerfae wieder genauso zufrieden aus wie am Tag zuvor, als sie Hurricane diese Anklage wohl vorgetragen haben mussten.

George und Sergeant Book waren heftig am Diskutieren. Der alte Polizist wollte von unserem Traumfresser-Freund wissen, ob jemand über die Träume zur Insel der Jugend gelangt sein könnte, aber das verneinte George vehement. Das wüsste er!

Da ich neben George saß, fragte ich ihn leise, was es mit diesen Traumwegen auf sich habe, über die man auf die Insel der Jugend gelangen könne. Er erklärte mir ebenso leise, dass die Insel nur von einem Schiff erreicht werden könne, das rückwärts gegen den Wind kreuze. Und das gehe eben eigentlich nur im Traum. Im Traum... oder mit einem magischen Schiff vielleicht, das seit mehreren hundert Jahren dazu verflucht ist, ohne Rast und Ruhe über die Meere zu segeln?
Hat vielleicht Joseph Adlene auf seiner frenetischen Suche nach dem Jungbrunnen einen Handel mit dem Fliegenden Holländer abgeschlossen, weil er diesen auf der Insel der Jugend vermutet?
Wobei Hans Vandermeer selbst ja seit etlichen Monaten an Land ist – seit Roberto es ihm an dem Tag in der Galerie erlaubt hat, um genau zu sein. Aber seine Mannschaft ist ja noch an Bord. Vielleicht gab es einen Handel mit denen?

Oben am Richtertisch wurde inzwischen beschlossen, den Prozess zu unterbrechen und in drei Tagen wieder aufzunehmen. Edward und Roberto hätten zwar auch alleine die Mehrheit gehabt, aber Catalina Snow stimmte ebenfalls dafür. Sie denkt nämlich ebenfalls, dass hier etwas mehr als faul ist, dass Antoine wohl ans Messer geliefert werden soll, sagte sie den beiden.

Roberto und Edward kamen von ihrem Podest herunter, und ehe wir zu Sergeant Book hinübergingen, wechselten wir erst einmal einige Worte untereinander.
Lady Fire will ja ziemlich offensichtlich Pan absetzen. Und tatsächlich ist der gute Pan alles andere als ein idealer Sommerherzog. Das war er damals schon nicht, als Titania uns die Entscheidung überließ. Dummerweise aber ist Lady Fire noch immer genausowenig eine Option wie damals.
Sir Kieran wäre als Nachfolger Pans deutlich besser geeignet als Lady Fire – und er kann wenigstens nur Roberto nicht leiden, während Lady Fire uns, bis auf Alex, alle hasst. Wobei sie Alex sogar mag, oder wenigstens in seiner Schuld steht, weil er sie damals vor den Bucas gerettet hat.

Noch eine wichtige Frage drängte sich uns in dem Moment förmlich auf. Antoine wollte Pan nicht sagen, wo seine Drogenkräuter herkommen. Und das, obwohl der Sommerherzog es ihm befohlen hatte. Er hat seinem Feudalherren widerstanden, also muss ihm das Versprechen, das er gegeben hatte, sehr wichtig gewesen sein. Also wo kommt das Zeug her?

Und auch Sergeant Book muss übrigens ein ziemlich hochrangiger Wyldfae sein, wo wir schon mal dabei sind, wenn er sich so offen gegen Pan stellen und das Hohe Gericht einfordern konnte.

Aber das waren alles erst einmal nur Gedankenspiele. Wir brauchten mehr Informationen. Gemeinsam mit Catalina setzten wir uns also mit Sergeant Book und George zusammen, um mit den beiden noch einmal genauer über die Insel der Jugend und diesen so plötzlich aufgetauchten Vorwurf zu sprechen.

Dabei erfuhren wir folgendes: Die Insel der Jugend stabilisert das Nevernever, und davon soll eigentlich niemand wissen. Auch dass sich der Jungbrunnen dort befindet, ist eine Information, die eigentlich niemand bekommen soll. Wer darf denn auf die Insel? Eigenlich jeder, der dorthin findet. Aber man darf eben nichts von dort wegnehmen, und Menschen dürfen nur einmal in 99 Jahren aus dem Brunnen trinken, weil er sonst zu sehr geschwächt würde.

Etwa in diesem Moment, oder vielleicht auch schon kurz vorher, flog plötzlich ein Gedanke im Raum herum – ich weiß nicht einmal, wer von uns ihn aussprach: „Sag mal, Edward, wie ist deine Mutter eigentlich so jung geworden?“

Wir hatten immer vage gedacht, das liege irgendwie an Antoines Feenmagie, oder an Antoines Drogen, aber was, wenn Mrs. Parsen an den Jungbrunnen geraten war? Wenn schon jemand anderes in den letzten 99 Jahren daraus getrunken hätte, dann wäre das ein Grund für die von Sir Kieran und Ms. Calderón angeklagte Entweihung...
Und tatsächlich konnten Sergeant Book und George uns bestätigen, dass der Brunnen zuletzt in den 1930ern von einem Menschen genutzt worden sei. Mierda..

Und noch eine andere Idee stand plötzlich im Raum, mindestens ebenso besorgniserregend: Adlene. Ehe wir unsere Masche mit dem Verjüngungsritual durchzogen, war er geradezu besessen davon, den Jungbrunnen zu finden. Tió, als wir Adlene zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, war das in dieser Galerie, in dieser Ausstellung über maritime Kunst. Und wer war da noch, umringt von einem Rudel hübscher Frauen? Niemand anderes als Hans Vandermeer, dem just zu dieser Gelegenheit Roberto in Titanias Namen die Erlaubnis gab, an Land zu bleiben, und der sich über diese Erlaubnis so unendlich gefreut hatte.

Was, wenn Adlene gewusst hatte, dass eine Ausstellung über Schiffe, an dem einen Tag, an dem er an Land gehen durfte, natürlich eine starke Anziehungskraft auf den Fliegenden Holländer ausüben würde? Was, wenn der Nekromant gehofft hatte, Vandermeer dort zu begegnen – oder gar ein Treffen mit ihm ausgemacht hatte – eben in der Absicht, von ihm auf die Insel der Jugend mitgenommen zu werden?

Danach mussten wir Hans fragen. Aber zuerst fragten wir George, ob er uns zu der Insel bringen könne. Ja, erklärte mein kleiner Wyldfae-Freund, das könne er, aber wir müssten versprechen, von dort nichts wegzunehmen.

Hans wiederum, als wir ihn gefunden hatten, konnte sich an Adlene erinnern. Der habe ihn angesprochen, Hans habe ihn aber weggeschickt und darauf bestanden, er wisse nicht, wovon der Mann rede. Immerhin sei das den Kerl nichts angegangen. Ob Adlene daraufhin seinen ersten Maat kontaktiert habe, wusste Hans nicht, denn er sei ja nach dem Besuch der Ausstellung nicht mehr auf die Titania zurückgekehrt.

Aber, ja, das Schiff komme regelmäßig in der Nähe des Piers vorbei. Es lege natürlich nie an, aber man könne hinrudern. Wann es denn das nächste Mal vorbeifahre, konnte Hans uns allerdings aus dem Kopf nicht sagen. Er verschwand und kam eine Stunde später mit einer alten, vielbenutzten Seekarte zurück, rechnete mit der Kompass-App auf seinem Handy eine Weile daran herum und erklärte schließlich, dass die Titania morgen früh zwischen 03:54 und 03:57 vor der Küste liegen werde.

Seinen ersten Maat zu kontaktieren, weigerte der Holländer sich aber vehement – und überhaupt sei das Schiff vermutlich gerade im Nevernever unterwegs, da Fritz eine Fehde mit diesem Piraten habe, Miguel de Sangrado.
Der Name ließ mich blinzeln. Miguel de Sangrado? Irgendein Glöckchen klingelte da, aber ich konnte nicht genau sagen, woher mir der Name bekannt vorkam.

Lange darüber nachdenken konnte ich aber nicht, denn die anderen fragten Hans schon weiter aus. Was für ein Typ dieser erste Maat so sei, und was Hans uns über ihn erzählen könne. Fritz von Wille heiße er, und er sei ein beständiger Typ. Kein Trinker. Teufel und Dämonen seien ihm egal; er würde mit jedem einen Handel abschließen, wenn die Bezahlung stimme. Also auch Adlene, war die unterschwellige Aussage. Mierda.

Wie es überhaupt zu dem Fluch gekommen sei, dem Hans unterliege, wollten wir noch wissen. Er habe einen Handel mit Titania geschlossen, erzählte der Holländer, und er habe gegen den Handel verstoßen. Es hatte irgendwas mit seinem Versuch zu tun, das Kap Horn umsegeln zu wollen, aber so ganz schlau wurde ich aus seinen Angaben nicht. Aber Hans ging auch nicht groß ins Detail, um ehrlich zu sein.

Die Kette, die er so dringend wiederhaben will, hat jedenfalls nichts mit dem Fluch zu tun, sondern die hatte Hans von Titania zur Aufbewahrung erhalten, weil die Feenkönigin der Ansicht war, auf seinem Schiff sei sie sicher. Und ja, Cherie hatte sich an Bord des Schiffes aufgehalten, als sie die Kette an sich brachte. Denn vor dem Treffen mit Roberto in der Galerie hatte Hans ja jeweils nur einen Tag in 100 Jahren an Land gekonnt, und nein, so lang sei der Verlust der Kette noch nicht her.

Apropos Frauen an Bord: Jetzt, wo wir Hans greifbar hatten, fragten wir ihn nach unserer Theorie bezüglich Marie Parsen. Ja, bestätigte der Holländer: Vor einigen Jahren, als er noch an Bord war, habe die Titania mal einen Pooka und eine Menschenfrau mitgenommen, auf eine „romantische Kreuzfahrt“ für die Freundin des Fae. Und ja, da hätten sie auch vor der Insel der Jugend geankert. Die Crew hätte zwar nicht von Bord gekonnt, aber das Pärchen sei an Land gegangen. Und als sie wiedergekommen seien, hätte die Frau deutlich jünger ausgesehen.

Mierda. Dann ist Antoine zwar unschuldig, was die Störung des Festfriedens betrifft, aber dafür trifft ihn die Schuld in dem deutlich schlimmeren Anklagepunkt. Cólera!

Nur... etliche Jahre lang wusste keiner von dem Vergehen, nicht einmal Sergeant Book, der Verantwortliche, der von der Anklage völlig überrumpelt wurde. Also wie zum Geier haben Sir Kieran und Ms. Calderón davon erfahren?
Das ist eine Frage, die wir keinesfalls aus dem Auge verlieren sollten, auch wenn wir sie momentan nicht beantworten können.

Zurück im Precinct teilte Edward seinem Vorgesetzten mit, dass das Schiff des Fliegenden Holländers in der Lage ist, zur Insel der Jugend zu gelangen. Der Sergeant bedauerte zwar, dass dessen Kapitän derzeit nicht an Bord sei, aber dann müsse man halt mit dem ersten Offizier reden. Zu diesem Zweck schickte er Suki Sasamoto los, die ja als halbe Nixe leicht zu dem Schiff hinkommt. Suki gab sich ein wenig spitz: Ob die Titania versenkt werden solle, ja, nein? Nein, natürlich nicht, war unsere indignierte Antwort. „Püh, ihr entscheidet sowas ja öfter mal aus der hohlen Hand heraus“, schoss Suki zurück und schien fast ein wenig enttäuscht, als wir nochmals mit Nachdruck bekräftigten, dass das Schiff nicht versenkt werden würde. Dann zog sie los.

George erklärte sich währenddessen bereit, uns durch das Nevernever zu der Insel der Jugend zu führen, falls dies nötig werden sollte, sprich, falls sich herausstellen sollte, dass Marie sich dort befände. Edward und ich kennen ja beide seinen Wahren Namen und können ihn im Zweifelsfall rufen.

Nächste Station: Unser alter Raddampfer in den Everglades. Alex brachte uns samt Schiff ins Nevernever, wo Edward erneut sein Ritual abzog, um seine Mutter zu finden. Unterstützt wurde er dabei von Roberto, dessen Liberace-Mantel hier seltsamerweise wie ein Ballkleid aussah. Beinahe wäre der Zauber missglückt, weil unser Freund in dem Aufzug einfach zu schräg aussah und Edward kopfschüttelnd immer wieder zu ihm hinüberschielte, aber dann riss er sich doch zusammen und beendete den Spruch erfolgreich.

Seit er die Fährte aufgenommen hat – für Edwards Sinne ein schwacher Geruch nach seiner Mutter, der über das Wasser wabert und gar nicht so leicht zu verfolgen ist, weil er bisweilen einfach wegweht – gibt es für uns andere (bis auf Alex, der steuert) nicht sonderlich viel zu tun. Also habe ich mich samt Tagebuch an Deck gesetzt und die Ereignisse des Tages aufgeschrieben. Aber jetzt bin ich erst mal soweit auf dem Laufenden, also gehe ich jetzt zu den anderen.

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Mierda. So kommen wir nicht weiter. Wir tuckerten weiterhin gemächlich durch das Nevernever, als irgendwann ein graugewandeter Schiffsjunge an Bord auftauchte. George. Er wollte uns zeigen, wie man rückwärts gegen den Wind kreuzt, aber das geht mit einem Schaufelraddampfer nun mal nicht, dazu braucht es Segel. Also müssen wir wohl doch auf die Traumpfade zurückgreifen. Hurra.

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Wir liegen vor Anker. Alex kannte da einen sicheren Ort, eine idyllische Insel mit einer geschützten Bucht. Die Tiere der Feenwelt halten sich von unserem Schiff fern, weil so viel Eisen daran ist.
Das heißt, wir werden uns jetzt hier schlafen legen und hoffen, dass George uns aus unseren unterschiedlichen Träumen einsammeln kann. Und dann schauen wir mal, ob wir zu dieser ominösen Insel der Jugend hinkommen. Gute Nacht... oder so.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 31.07.2015 | 10:09
Als wir – ich hätte beinahe gesagt „aufwachten“, aber das genaue Gegenteil ist ja der Fall – als George uns also im Traum alle zusammengebracht hatte, fanden wir uns in einer grauen Segelyacht wieder, die, weil kleiner, einfacher zu handhaben war als ein ausgewachsenes Schiff.

Ehe George uns zu der Insel führte, mussten wir ihm versprechen, nichts von dort mitzunehmen – nicht einmal Antoine und Marie, solange diese nicht von selbst die Insel verließen. Wir gaben alle unser Wort, aber das von Totilas genügte unserem Wyldfae-Freund nicht. Denn Totilas hat ja schon einmal einer Fee gegenüber einen Eid nicht gehalten – und dieser Wortbruch ist ihm anscheinend heute noch anzusehen. George war unerbittlich, und erst, als ich für Totilas bürgte, lenkte er ein.

Von der Fahrt selbst weiß ich gar nicht mehr so viel. Wie so oft bei einem Traum, sind nur noch einzelne Fetzen und unzusammenhängende Bilder übrig. Wir fuhren in unserem grauen Boot über das graue Meer. Ein Zirkus tauchte auf, an dem wir vorbeifuhren. Die Wellen wirkten überscharf, nicht richtig real. Die Segel unserer Yacht falteten sich auf einmal ineinander wie bei einem Escherbild. George nahm einen Spiegel und spiegelte den Wind in die Segel. Kurze Zeit lang standen drei Vollmonde am Himmel, wurden aber – zum Glück für Edward – sehr schnell zu Sicheln.

Und ich stellte mit einem Mal fest, dass mein Arm verbrannt war. Keinerlei Hinweis darauf oder Erinnerung daran, wie das geschehen war, Traumlokik eben. Aber Traumlogik hin oder her, weh tat das verdammte Ding trotzdem. Au. Aber irgendwie fühlte es sich auch richtig an. Nein! Tat es nicht!. Cólera. George, der irgendwie auch einen rußgeschwärzten, angekokelten Eindruck machte, erklärte jedenfalls, er habe das Feuer ausgemacht. Puh. Danke dir, kleiner Kumpel.

Irgendwann tauchte am Horizont eine Insel auf, und George, im Gegensatz zu mir nicht mehr verrußt, setzte in einer kleinen Bucht den Anker. Dann produzierte er von irgendwoher eine Thermoskanne mit Kaffee: immerhin müssten wir auf der Insel ja wach sein. George selbst werde mit dem Boot vor der Insel bleiben; sobald wir zurück wollten, müssten wir nur wieder einschlafen.

Tatsächlich ließ das starke Gebräu uns aufwachen: Das seltsame graue Meer war verschwunden, George und die Yacht ebenfalls, und wir standen am Ufer einer Karibikinsel, laut, lebendig, leuchtend. Kreischende Papageien, lianenbehängte Bäume, farbenfrohe Blüten, strahlender Sonnenschein und warme, freundliche Schatten.

Sagte ich „lebendig“? Alles hier lebte. Keine abgestorbenen Äste an den Bäumen, von völlig toten Bäumen ganz zu schweigen. Die Büsche trugen keine verwelkten Blüten, und es war kein Tierkadaver in Sicht. Für die meisten von uns – für mich jedenfalls – war es abgesehen davon eine ganz normale, exotische Karibikinsel, aber als Alex sich umsah, stellte er fest, dass er höchstens die Hälfte der Pflanzen hier kannte.

So oder so, es war einfach idyllisch, der perfekte Ort für einen entspannten Urlaub. Überhaupt waren wir alle – mit einer Ausnahme – herrlich entspannt. Mein Arm tat nicht mehr so weh, und es war einfach unmöglich, sich an diesem Ort nicht rundum gut zu fühlen. Die eine Ausnahme war Roberto, der Titanias Kette trägt, seit Edward sie ihm wiedergegeben hat, weil ihm das auf die Schnelle als der sicherste Ort dafür erschien. Die Kette jedenfalls, oder ihr Gefühl davon um Robertos Hals, war nicht entspannt. Sie gehöre einfach nicht hierher, erklärte unser Freund, als wir ihn auf seine offensichtliche Anspannung ansprachen. Es sei kein unangenehmes Gefühl, aber in der Kette verspüre er ein Gefühl von Ernsthaftigkeit, das nicht zu der restlichen relaxten Stimmung hier passen wolle. Auch warf die Kette an seinem Hals härtere Schatten als die weichen Schatten, die sonst hier überall zu sehen waren.

Während wir uns so unseren Weg über die Insel suchten, hörten wir irgendwann Säbelgeklirre in einiger Entfernung. Im Näherkommen sahen wir dann, dass auf einem waagrecht gewachsenen Baumstamm eine junge Frau in Seemannskleidung – Marie Parsen – sich ein Duell mit einem in ein Piratenkostüm gewandeten Kerl lieferte. Es war kein Training, kein Schaukampf, sondern bitterer Ernst, soviel stand sofort fest – aber trotzdem hatte das Ganze irgendwie ein... wie sage ich das... hollywoodartiges Gepräge. Hin und her wogte das Gefecht, bis Marie eine Liane packte und den Mann vor die Brust trat, so dass dieser zu Boden fiel. Der Pirat rief etwas von „Das wirst du bereuen!“ und rannte davon, während Marie ihm ein triumphierendes „HAHA!“ hinterherwarf.

Erst dann, als sie von ihrem Baumstamm herunterkletterte, bemerkte Marie uns, zu ihrer sichtlichen Überraschung. „Edward, was machst du denn hier?“
Edward erklärte, dass wir auf der Suche nach Antoine seien, aber den hätten die Piraten gefangengenommen, erwiderte Marie. „Wir werden ihn schon raushauen“, fügte sie dann noch, ziemlich nonchalant und gleichzeitig völlig überzeugt, hinzu.
Das war dann der Moment, wo Edward seiner Mutter klarmachte, dass Antoine vor richtigen Problemen stand.
„Ach, wegen der Verhandlung“, antwortete diese, noch immer ganz locker. „Ja, da kam so ein Sturmvogel deswegen. Der müsste demnächst wieder auftauchen; er weiß, wo Antoine ist.“
Der Sturmvogel, stellte sich heraus, hatte Antoine die Vorladung zur Gerichtsverhandlung gebracht, aber sich nicht näher dazu geäußert. Marie ging also davon aus, dass es sich dabei um die Sache mit den Drogen handele. Das sei noch das Harmlosere, hielt Edward dagegen.

Natürlich fragten wir Marie weiter aus. So erfuhren wir, dass sie auf der Kreuzfahrt mit der Titania tatsächlich, wie wir ja schon erfahren hatten, hier vor Anker gegangen waren. Bei der Erkundung der Insel hatten die beiden sich getrennt: Während Antoine nach Kräutern suchte, war Marie über einen Brunnen gestolpert und hatte daraus getrunken, einfach weil sie durstig war, nicht weil sie gewusst hatte, um was es sich da handelte.
Antoine habe dann diese Kräuter gefunden, die für seine Zwecke geradezu ideal geeignet waren, habe aber der Insel versprechen müssen, niemandem zu sagen, wo er sie her habe.

Die Insel sei einsam, erklärte Mrs. Parsen noch, ihr sei langweilig. Es sei ja nie jemand da. Naja, wobei, jetzt wären die Piraten da. Die seien ihnen gefolgt, Miguel de Sangrado habe da diese Fehde mit Fritz von Wille. Wie die Piraten denn überhaupt zu der Insel hatten gelangen können, wollten wir wissen. Oh, Sangrado habe inzwischen herausgefunden, wie man rückwärts gegen den Wind kreuze.

Cólera y mierda. Weiß denn inzwischen jeder, wie das funktioniert?
„Na ihr wisst es doch auch“, konterte Marie leichthin, als Edward genau dieser Kommentar (allerdings ohne die spanische Einlassung und deutlich grummeliger) herausrutschte.
„Wir haben Experten gefragt“, knurrte Edward.
„Vielleicht hat Sangrado auch einen Experten gefragt?“, lächelte seine Mutter.

Irgendwie nahm Mrs. Parsen die ganze Sache ziemlich leicht. Nur eines brachte sie in Rage. Da sei diese Piratenbraut, oder Opernsängerin, oder beides, Sangrados Tochter oder so, Esmeralda mit Namen, die ein Auge auf Antoine geworfen habe. Maries Augen blitzten gefährlich, als sie das sagte, also lenkten wir ab, indem wir sie nach dem Mann fragten, der derzeit das Kommando über die Titania innehat. Der erste Maat sei sehr nett, sagte Marie überzeugt: ganz anders als der Kapitän, dieser Arsch.

Das war der Moment, in dem der bereits erwähnte Sturmvogel zurückkam. Er schüttelte indigniert die Federn, als er feststellte, das zwei der drei Richter den weiten Weg zurückgelegt hatten. Dann könne das Gericht ja jetzt hier zusammenkommen. Nein? Schade aber auch.

Wo Antoine sei, wollten wir von dem Vogel wissen. Im Lager der Piraten, antwortete der, dort werde er von dieser Frau besungen. Na dann solle er uns doch bitte den Weg dorthin zeigen, forderten wir ihn auf. Das tat der Vogel, aber während er langsam vorausflog, hörte man ihn schimpfen: „Sommerfeen. Wyldfae. Menschen. Es ist doch immer dasselbe.“

Der Vogel sei ständig am Zetern, vertraute Mrs. Parsen uns an. Ganz wie Edward. Marie grinste ihren Sohn an, als sie das sagte. Aber Edward könne man mit Kuchen ruhigstellen – den Vogel vielleicht auch? Aber hier gab es keinen Kuchen – höchstens Kräuter. Und nein, Kräuter würde der Vogel definitiv nicht bekommen, erklärten wir bestimmt –  immerhin hatten wir versprochen, nichts von der Insel mitzunehmen.
„Och, die Insel hätte sicherlich nichts dagegen“, befand Marie.

Hmmmm. Unser Versprechen konnten wir natürlich nicht brechen. Aber wenn die Insel eine Persönlichkeit hatte und Marie und Antoine mit ihr gesprochen hatten, dann konnten wir auch mit ihr reden. Und vielleicht konnten wir sie – ihren Avatar, um genau zu sein – mitnehmen zur Gerichtsverhandlung, damit sie dort ihre Aussage machen und Antoine entlasten könnte?

Aber erst einmal mussten wir Antoine befreien. Also auf zum Lager der Piraten.
Schon von weitem hörten wir einen Chor aus Männerstimmen, die ein Seemannslied sangen, darüber ein klarer Opernsopran. Im Näherkommen sahen wir dann auch die Szenerie dazu: Ein Lagerfeuer am Strand, neben dem die singenden Piraten – sechs an der Zahl - standen. Ein großer Felsen, an den Antoine gefesselt war, einen trotzigen Ausdruck im Gesicht, während eine schwarzhaarige Frau in einem grünen Kleid vor ihm stand und ihn ansang. Am Strand lag ein Ruderboot, mit dem die Piraten offensichtlich an Land gekommen waren, auf das im Moment aber niemand achtete.

Uns hatte auch noch niemand bemerkt. Alex nickte mit dem Kinn zu dem Boot hin und machte sich dann in diese Richtung auf. Edward hingegen... von Edward kam plötzlich ein lautes „Arr! Auf sie!“
Das ließ uns alle stutzen, und als wir erstaunt zu ihm hinsahen, war seine Kleidung mit einem Mal piratenartiger geworden: ein weißes Rüschenhemd mit V-Ausschnitt, eine schwarze Pluderhose, schwarze Stiefel und ein roter Schärpengürtel.

Ehe wir ihn aufhalten konnten, war Edward schon mit festen Schritten zu der dunkelhaarigen Piratin geeilt, hatte sie umfasst und küsste sie leidenschaftlich. Deren Männer waren überrascht, aber nicht so überrascht, dass sie nicht alle ihre Säbel gezogen hätten. Und auch die Frau selbst war nicht so überrascht, dass sie Edward nicht eine schallende Ohrfeige gegeben hätte.

Edward lächelte die junge Dame an, und er klang wie der charmanteste Mantel-und-Degen-Held, den Hollywood je gesehen hat. „Mein Name ist Edward, und ich will Euch singen hören, schöne Lady!“
Totilas warf eine Herausforderung in den Raum: dass Esmeralda gar nicht singen könne, denn wenn sie es könnte, dann würde sie es jetzt schon tun.

Dieses ganze Gerede von Musik, und von einer singenden Dame... Da stand eine alte Gitarre an einen der Sitzsteine gelehnt, und mit einem Mal überkam mich der unbändige Drang, Esmeraldas Gesang zu begleiten oder am besten gleich dem Paar zum Tanz aufzuspielen. Es war völlig selbstverständlich, dass ich das tat, denn ich war Joaquin el guitarero, und das da drüben war meine Gitarre!

Also zögerte ich nicht lange, schnappte mir das Instrument und spielte auf, eine feurige spanische Melodie in vollendeter Perfektion – und das, wo ich doch eigentlich gar keine Gitarre spielen kann. Aber in dem Moment war ich ja auch felsenfest davon überzeugt, Joaquin zu sein und nicht Ricardo. Und Edward und Esmeralda begannen tatsächlich, zu meiner Musik zu tanzen.

Roberto zog sein Handy heraus, das hier im Nevernever natürlich keinen Empfang hatte. Aber es funktionierte immerhin soweit, dass er Musik damit abspielen konnte... einen aufdringlichen und so gar nicht zur Szenerie passenden Hip Hop-Beat.
Daraufhin ging Esmeralda singend auf Roberto los, und auch Edward stürmte zu ihm hin, riss ihm das Handy aus der Hand und zertrat es mit einem Knurren von wegen „Ich will die Dame ungestört singen hören!“

Die anderen nutzten diese Ablenkung, um zu dem Ruderboot zu gelangen. Señorita Sangrado bekam davon zwar nichts mit, ihre Gefolgsleute aber sehr wohl, und so gingen die sechs Männer auf die Gruppe am Boot los. Wieder wirkte der Kampf ernsthaft, aber doch auch irgendwie hollywoodesk. So schien einer der Piraten beispielsweise unter Rückenschmerzen zu leiden, und im Kampf gab Totilas dem Kerl einen Tritt. Daraufhin ging dieser erst zu Boden, richtete sich dann aber mit einem seligen Lächeln und einem „sie sind weg!“ wieder auf – und ließ unseren White Court-Kumpel ab dem Moment in Ruhe.

Während unsere Freunde sich am Boot mit den Piraten prügelten, diskutierten Edward und ich mit Señorita Esmeralda. Edward schien ihr besser zu gefallen als Antoine, zumal dessen Herz ja auch vergeben war, wie die junge Dame dann einsehen musste, aber nun wollte sie den Sommerfae töten, weil er zur Crew des verhassten Fritz von Wille gehöre. Nein, versicherten wir ihr, Antoine sei lediglich ein Passagier auf dessen Schiff. Aha, ein Passagier?, triumphierte die Piratin, dann habe er Geld, und das müsse man ihm abnehmen! Aber auch das konnten wir ihr ausreden, unter anderem deswegen, weil Edward sie schließlich noch galant nach Miami einlud, ehe die Piraten und ihre Anführerin in ihrem Boot wegruderten.

Edwards Verhalten ließ mich wieder blinzeln. Was war da nur in meinen Freund gefahren?
Hmpf. Vermutlich so ziemlich dasselbe, was auch in mich gefahren war, stellte ich fest. Und da fiel mir auch wieder ein, woher der Name „Miguel de Sangrado“ mir so bekannt vorgekommen war. Vorletztes Jahr, während des Filmdrehs und der Sache mit den Bucas, hatte ich doch diesen kinoreifen Traum aus der Sicht eines guitarero namens Joaquin, der mit seinen Freunden ein wildes Mantel-und-Degen-Abenteuer erlebte. Und in diesem Traum kamen auch ein alter Pirat namens Miguel de Sangrado und seine Tochter Esmeralda vor... Tío. Das versteh einer.

In dem ganzen Chaos hatten Antoine und Marie sich abgesetzt. Aber dank des Sturmvogels, der sich missmutig zeternd auf einem Ast in der Nähe niedergelassen und das Schauspiel beobachtet hatte, fiel es uns nicht schwer, ihre Spur wieder aufzunehmen.
Wir fanden die beiden ein Stück entfernt. Als er Antoine erblickte, keifte der Vogel sofort los, der Fae habe eine Vorladung erhalten und habe sich gefälligst bei Gericht einzufinden. In dieselbe Richtung argumentierten wir auch, allerdings nicht ganz so lautstark. Und vor allem wollten wir wissen, was Antoine selbst zu der ganzen Sache zu sagen habe.
Bezüglich der ersten Anklage, der Sache mit den Drogen, erklärte Antoine, sei er unschuldig, damit habe er nichts zu tun. Und was den zweiten Vorwurf beträfe, den mit der Entweihung der Insel: Da habe diese ausdrücklich erklärt, dass es ihr nichts ausmache.

Das mussten wir schon von der Insel selbst hören. Aber wir wollten ja ohnehin mit ihr reden. Zuerst aber befragten wir Antoine noch etwas ausführlicher zu dem Vorfall mit dem Scarlet. Der Fae sei an dem Abend in Pans Palast gewesen, sagte er, habe das Zeug sogar noch im Vorratsraum herumstehen sehen. Colin habe ihn mehrmals in den Vorratsraum geschickt, um Dinge für ihn zu holen, Antoine sei aber nicht auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, warum Colin nicht selbst gehe.

Beim ersten dieser Botengänge habe das Scarlet bereits dort im Raum gestanden. Er hätte sich wohl besser darum kümmern sollen, um was es sich bei diesem ihm unbekannten Zeug handelte und wie es dort hingekommen war, gab Antoine zu, aber Colin habe ihn so sehr herumgescheucht, dass er gar nicht zum Nachdenken gekommen sei.
Als dann am Strand reihenweise die Leute durchdrehten und es Tote gab, sei Antoine abgehauen, denn es sei ihm klar gewesen, dass sie die Sache ihm anhängen würden.
„Dann solltest du dir vielleicht einen anderen Job suchen“, knurrte Edward, aber darauf sprang Antoine nicht so wirklich an. Es gebe ja nichts, was er sonst könne. Hmpf.

Na gut. Dann war es jetzt also an der Zeit, mit der Insel zu reden. Das tue man am besten in deren Herzen, sagte Marie. Aber wir dürften keinesfalls aus dem Brunnen trinken. Nein, natürlich nicht, das war uns doch ohnehin klar, und das hatten wir ja auch schon George versprochen.

Das Zentrum der Insel war ein idyllischer Platz, umringt von Bäumen und Blüten und von der Sonne betrahlt. In dessen Mitte ein kleiner, sanft plätschernder Brunnen. Antoine klopfte daran, und kurze Zeit später erschien eine humanoide, etwa kindsgroße Gestalt. Ein Baumwesen, und da wir ja alle den Film Guardians of the Galaxy gesehen haben, kam uns sofort irgendwie der Gedanke an Groot. Nur viel kindlicher im Wesen, wie sich dann herausstellte. Und mit deutlich größerem Wortschatz.

Das Wesen begrüßte uns freundlich, vor allem Antoine, denn dass es Antoine mochte, war nicht zu übersehen. Aber es freute sich riesig über die Gesellschaft: neue Gesichter, neue Menschen, hier in der Einsamkeit!
Irgendwie ergab es sich, dass ich größtenteils das Wort führte, also fragte ich zuerst, wie wir das Wesen denn nennen sollten. „Jugend“, kam die Antwort. Also gut.

Wie sich herausstellte, hatte Jugend tatsächlich kein Problem damit, dass Leute zu ihr kamen, ganz im Gegenteil. Jede Unterbrechung der Einsamkeit war mehr als willkommen. Und es hatte Jugend auch tatsächlich nicht gestört, dass Antoine die Kräuter auf der Insel gepflückt, noch dass Marie aus seinem Brunnen getrunken hatte. Der perfekte Entlastungszeuge für den zweiten Anklagepunkt also!

Dummerweise jedoch erklärte Jugend, es könne seine Insel nicht verlassen. Mierda. Aber gut, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg. Ob es ein Problem damit gebe, dass für eine Gerichtsverhandlung weitere Personen die Insel beträten? Aber mitnichten, freute sich Jugend, mehr Leute!!
Also baten wir den Sturmvogel, alle Teilnehmer zu informieren, dass der Ort des Hohen Gerichts nach hier verlegt werde; der vorher festgelegte Zeitpunkt bleibe unverändert.
Etwas grummelig, aber bereitwillig, zog der Vogel ab.

Uns fiel indessen ein, dass wir hier auf der Insel ja nichts würden essen können, ohne unser Wort zu brechen – es sei denn, wir wären uns sicher, dass wirklich alles, was wir hier zu uns nähmen, hier auch wieder ausgeschieden würde. Und genau das können wir eben nicht garantieren. Aber mit Maries und Antoines Boot können wir ja auf eine der Nachbarinseln, oder vielleicht gibt es ja auch an Bord der Titania etwas zu essen.

Alex will indessen meine die Gitarre reparieren, die unter der Rangelei am Strand etwas gelitten hat. Meine Erinnerungen sind unklar, aber habe ich die nicht irgendwann einem der Piraten über den Kopf gezogen? Oder Roberto, weil sein Handyklingelton so an meinen Nerven zerrte?

Hier sind wir jedenfalls jetzt. Gut zwei Tage haben wir noch, bis das Gericht hier abgehalten wird, und wir müssen uns die Zeit bis dahin irgendwie vertreiben – ohne unser Wort zu brechen, versteht sich. Vielleicht sollten wir einfach grundsätzlich auf eine der anderen Inseln wechseln, aber Jugend, das arme Ding, freut sich so über Gesellschaft, die will ich ihm nicht entziehen.

Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob überhaupt alle maßgeblichen Teilnehmer am Gericht einen Weg haben, auf die Insel zu kommen. Aber hey, es sind Feen. Die werden schon einen Weg finden. Wenn sie dann da sind, müssen wir sie nur sehr genau im Auge behalten, vor allem Colin. Ich traue dem keinen Millimeter weit, und ich will nicht, dass der einen Weg findet, die Insel für seine Zwecke zu nutzen.

Roberto tigert übrigens mit zunehmend schlechter Laune hier am Strand entlang. Ich fragte ihn, was denn los sei – aber das hätte ich mal besser gelassen. Denn er meinte etwas von „Drei Tage... und Dee ist nicht hier. Und ich kann sie auch nicht erreichen und ihr sagen, was los ist!“
Au. Und ich hatte mir solche Mühe gegeben, nicht an Dee zu denken. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 10.10.2015 | 20:17
Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 3

Römer und Patrioten, das Nevernever ist ja noch seltsamer, als ich dachte. Aber hey, George ist involviert. Also sollte ich mich eigentlich nicht wundern, dass komische Dinge mit Träumen passieren. Und es hätte schlimmer sein können, wenn ich ehrlich bin. Auch wenn ich heute eine Seite an George gesehen habe, die mir gar nicht gefällt.

Wir haben ja versprochen, nichts von der Insel wegzunehmen, was bedeutet, auch keine Früchte zu pflücken oder aus Bächen zu trinken oder andere Stolperfallen dieser Art. Deswegen beschlossen wir, zu der anderen Insel hinüberzurudern, die wir ein Stück entfernt sehen konnten. Im Näherrudern erkannten wir, dass über dem Ufer der Insel, mit schweren Treibankern befestigt, ein Luftschiff schwebte. Und ich kannte dieses Schiff. Es war die Vaca des Nueves, die Wolkenkuh, die damals in meinem verrückten Traum ebenfalls vorgekommen war. Unwillkürlich entfuhr mir ein „Oh oh“, was natürlich die Jungs umgehend zu der Frage „Wem gehört das Schiff?“ veranlasste. Da rutschte mir doch glatt ein „Mir!“ heraus, ehe ich mit „Naja, indirekt jedenfalls“ gegenzusteuern versuchte. Das war natürlich der Moment, in dem ich von meinem damaligen Traum berichten musste, den ich ja aus der Egoperspektive dieses Joaquin erlebt hatte. Ich konnte die Handlung nur grob zusammenfassen, denn schon wurden wir von der Wolkenkuh mit einem fröhlichen „Ahoi da unten!“ begrüßt und an Bord eingeladen.

Die Gestalt, die uns an Bord holen ließ, erkannte ich aus meinem Traum als Francine, die Gnomin und Joaquins Liebste. Sie war ziemlich überrascht, dass ich nicht Joaquin war, denn aus der Ferne habe sie mich für ihren Gemahl gehalten. Aber bei aller Ähnlichkeit, Joaquin trage einen Bart, und ob wir Zwillingsbrüder seien? Wirklich heilfroh, dass das Verwechslungsspielchen nicht bis ins letzte Extrem ging, redete ich mich mit einem gemurmelten „so was in der Art“ heraus.

Joaquin sei nicht hier, klärte Francine mich auf: Er sei auf der Suche nach Esmeralda, die sich wegen dessen Erforschung seiner minotaurischen Wurzeln mit Maurice gestritten habe und danach beleidigt abgezogen sei.
Aber zum Essen lud die kleine Gnomin uns ein, wo wir schon einmal hier waren. Es gab Kaninchen in Biersauce, serviert von einer Köchin, an die ich mich vage erinnern konnte, ebenso wie an die seltsamen „Kuckuck“-Rufe, die gelegentlich durch das Schiff schallten.

Es waren aber nicht nur die „Kuckuck“-Rufe, die massiv seltsam waren, sondern die ganze Situation. Ich schlief doch nicht – George hatte uns zwar im Traum hierhergesegelt, dann aber aufgeweckt –, also warum begegnete ich den Gestalten aus meinem damaligen Traum jetzt hier in wachem Zustand? Selbst wenn das hier das Nevernever war?

George. George würde mir vielleicht mehr sagen können. Also zog ich mich in eine stille Ecke in einer Kammer der „Wolkenkuh“ zurück und rief nach meinem kleinen Traumfresser-Freund. George erschien prompt, begrüßte mich fröhlich und sah sich dann ganz begeistert – und gierig – nach dem ganzen Futter hier um. „Sooooo lecker!“ Wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte, dann hätte George vermutlich hier und jetzt angefangen, das Schiff aufzufressen. So aber einigten wir uns auf einen Besen samt zugehörigem Putzeimer, der vergessen in einer Ecke herumstand und den der kleine Oneirophage genüsslich aufschlabberte, während ich ihm Fragen stellte.

Ja, ich war definitiv wach, erklärte George. Und nein, er wisse nicht, wer diesen speziellen Traum gerade träume, es könnten eine Menge Leute sein. Mein eigener Traum war es jedenfalls auch schon deshalb nicht, weil ich gar nicht merkte, wie George den Eimer und den Besen fraß. Gut, bei etwas so Kleinem hätte es mit ziemlicher Sicherheit nicht wehgetan, anders als bei der Spieluhr damals (brrrr!), aber ich merkte es überhaupt nicht.

Wir waren gerade noch am Reden, als ein Schiffsjunge in die Kammer kam – bei meinem Glück sollte er das Deck schrubben und wollte den Eimer und den Besen holen –, George erblickte, große Augen machte, sich bekreuzigte, etwas von „Dämon“ murmelte und wieder hinausstürzte.

Ehe ich George dazu bringen konnte, sich sicherheitshalber besser rar zu machen, öffnete sich die Tür zu der Kammer erneut, und Mlle. Francine kam herein. Sie zeigte dieselbe Reaktion auf George wie der Schiffsjunge, und nichts, was ich tun oder sagen konnte, half: Wir wurden unverzüglich von der „Wolkenkuh“ komplimentiert.

Und es stimmt schon irgendwie. In dem Moment sah mein kleiner Freund auch für mich, ehrlich gesagt, ziemlich gruselig aus, mit seiner schattenhaften Form, den spitzen, gefletschten Zähnen und dem gierigen Blick. Ich gebe zu, einen Traumfresser auf ein nachgewiesener- oder zumindest vermutetermaßen aus Traumstoff bestehendes Schiff mit einer nachgewiesener- oder zumindest vermutetermaßen aus Traumstoff bestehenden Mannschaft zu holen, war nicht gerade die schlaueste Idee, die ich je hatte.

Unten auf der Insel sammelten wir dann, wie geplant, Nahrungsmittel. Eines davon war ein großes Chamäleon, das sprechen konnte, wie sich herausstellte, und dessen „ich schmecke ganz schlecht, ehrlich!“ tatsächlich eine wirksame Abschreckung für uns darstellte. Nach dieser Begegnung hielten wir uns dann doch lieber an Früchte.

Als wir von der Insel wegruderten, sahen wir, dass die „Vaca des Nueves“, die weiterhin an ihrem Ankerplatz schwebte, Gesellschaft bekam. Eine im Vergleich zu dem behäbigen Handelsluftschiff definitiv mitlitärische Galeone kam in Sicht, während uns von der „Wolkenkuh“ aus ein kleines Beiboot hinterherflog. Offensichtlich wollte Mlle. Francine sehen, wo wir herkamen, und uns vermutlich auch im Auge behalten. Mit uns reden wollten sie offensichtlich nicht, denn sie hielten schön ihren Abstand.

Beim Anlegen an der Insel der Jugend sahen wir ein drittes Schiff: das Piratenschiff, zu dem Esmeralda de Sangrado und ihre Leute sich zuvor zurückgezogen hatten. Jetzt nahm es Kurs auf die „Vaca des Nueves“ auf der anderen Insel drüben. Das Militärschiff war nicht mehr zu sehen; es hatte sich anscheinend versteckt, um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben, denn plötzlich kam es aus einer Bucht geflogen und feuerte auf den Piraten. Sangrados Schiff drehte sofort ab, woraufhin das Militärschiff die Verfolgung aufnahm und beide schon bald aus unserem Gesichtsfeld verschwunden waren.

Zurück auf der Insel ergingen wir uns in diversen Theorien über den Traum. Mich bewusstlos zu schlagen, würde wohl nicht sonderlich viel helfen – ganz abgesehen davon, dass ich mich ganz entschieden dagegen verwahrte. Aber wenn nicht ich derjenige war, der diesen Traum gerade träumte, wer konnte dann davon wissen? Naja, alle, die vielleicht mein Tagebuch gelesen haben könnten, grübelte ich. Also, auch wenn es natürlich eigentlich höchst privat ist und ich nicht hoffe, dass jemand darin herumschnüffelt, theoretisch Yolanda, Alejandra, die Putzfrau, meine Nachbarin Mrs Carver sowie deren Tochter, die auch gelegentlich auf Jandra aufpasst.

Dann bekamen wir wieder andere Besucher: Ein weiteres Wolkenschiff warf über der Insel der Jugend seinen Anker. Es handelte sich um eine Gruppe von Personen, die ich auch schon aus meinem Traum kannte: Dottore Carlotta Rapaccini und ihre Truppe von Forschern waren ganz begeistert von dem neu entdeckten Archipel. Im Schlepptau hatte die elfische Wissenschaftlerin auch einen Priester, Pater Antoninus. Der wiederum wollte nicht so dringend forschen, aber unbedingt Jugend zum Christentum bekehren, sobald er den ersten Blick auf das Baumkind geworfen hatte. Es war Totilas, dem es gelang, den guten Pater davon abzubringen, indem er dem Priester glaubhaft machte, dass wir auf einer geheimen Mission des Vatikans hier seien und dass es dieser Mission schade, wenn er jetzt hier missioniere.

Dottore Rapaccini wurden wir los, indem wir ihr wahrheitsgemäß von dem sprechenden Chamäleon auf der anderen Insel erzählten. Diese wissenschaftliche Sensation wollte die Dame sich nicht entgehen lassen, und so zog die Gruppe wieder ab.

Irgendwann tauchten auch die Militärgaleone und das Piratenschiff wieder auf, erstere noch immer unerbittlich an der Verfolgung. Ebenfalls am Horizont erschien ein Segelschiff, das sich sehr schnell als der Fliegende Holländer herausstellte. Mit einem Gatling-Gewehr aus dem Bürgerkrieg – weiß der Himmel, wie sie an die gekommen sind, aber immerhin ist der Holländer schon sehr lange auf diesen Meeren unterwegs – feuerte das Segelschiff auf die fliegende Galeone und traf deren Ballons, woraufhin das Militärschiff langsam an Höhe verlor und es so aussah, als werde es bald  auf der Insel niedergehen.

Wir ruderten indessen zum Fliegenden Holländer hinüber – es war höchste Zeit, dass wir mal mit diesem ersten Maat sprachen!
Nachdem wir uns versichert hatten, dass unser bloßes Anbordgehen nicht bedeuten würde, dass wir unter denselben Fluch fallen würden wie die Mannschaft – und nein, anheuern lassen wollte sich keiner von uns, herzlichen Dank – trafen wir an Bord Suki Sasamoto, die uns bestätigte, dass der ganze Gerichtstross morgen hier einfallen wird.

Fritz von Wille selbst stellte sich als durchaus umgänglicher junger Mann heraus. Joseph Adlene kenne er nicht, sagte er: Der Nekromant habe ihn bislang nicht kontaktiert. Bezüglich Miguel de Sangrado begann der erste Maat des Holländers erst durchaus freimütig zu erzählen: Die Fehde mit dem Piraten bestehe bereits, seit er wisse, was Sangrado sei. Was er denn sei, wollte ich wissen. Aber in diesem Moment warf von Wille einen Blick auf Roberto und schien in diesem Moment zu erkennen, wer – oder besser, was – dieser war, und im Beisein von Titanias Richter war kein weiteres Wort aus ihm herauszubekommen. Also ruderten wir wieder zurück zur Insel, ohne Suki Sasamoto allerdings. Die sagte, sie wolle zurück nach Miami und dem Chef bescheid geben, dass es uns gut geht.

Die Anklage hatte ja etwas von „Schwächunng der Insel“ gesagt. Aber wann hat diese Schwächung genau begonnen? Und gibt es sie wirklich, oder war die ganze Anklage nur ein sorgfältig eingefädeltes, aber falsches Spiel von Sir Kieran und Edelia Calderón?
Um das herauszufinden, wirkte Edward ein entsprechendes Ritual, während Alex seine eigenen Fähigkeiten einsetzte. Beide bekamen dasselbe heraus: Es gibt tatsächlich eine Schwächung, und die stärkste Spitze geschah vor ziemlich genau fünf Jahren, gefolgt von kleineren Ausschlägen zwischendrin.

Mierda. Das vor fünf Jahren war dann wohl Maries Trinken aus der Quelle der Jugend, und bei den kleineren Ausschlägen muss es sich dann wohl um die Gelegenheiten handeln, zu denen Antoine hier Kräuter gepflückt hat.
Aber die Idee zu einem Experiment kam uns – Roberto, um genau zu sein. Wenn Mrs Parsen eine Verbindung zu der Insel hat, besteht diese dann auch weiterhin, wenn Marie sich von der Insel entfernt? Um das zu testen, ruderten wir  hinaus und ein Stück von der Insel weg. Dabei stellten wir fest, dass die Verbindung auch dort draußen noch zu spüren ist – aber gut, das war ja auch keine sonderlich weite Entfernung.

Viel interessanter war, dass wir von dort draußen ein Beiboot des Militärschiffs entdeckten, das an einer anderen Stelle der Insel angelegt hatte. Natürlich ruderten wir schleunigst hin, um mit den Leuten zu reden.
Die Matrosen hatten gerade ein Feuer entzündet und waren dabei, Früchte zu pflücken.
Glücklicherweise war der Kapitän ein echter spanischer Edelmann, wie man ihn sich gemeinhin so vorstellt, und so gelang es uns, ihn zu überzeugen, dass die Insel hier eine Energie besitze, der er schade, wenn er hier Obst pflücken ließe, und so machten auch er und seine Leute sich auf zu der nächsten Insel.

Inzwischen ist es Abend geworden, und so haben wir – selbstverständlich unter Einhaltung unseres Versprechens – selbst ein Lager aufgeschlagen. Nach dem Abendessen (natürlich aus Mitgebrachtem) habe ich dann alles aufgeschrieben, was heute so passiert ist, und jetzt ist es ziemlich spät geworden. Schlafenszeit. Mal sehen, ob ich George nochmal erwischen kann. Im Traum ist es vielleicht etwas besser als auf der „Wolkenkuh“.

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Gähn. Guten Morgen. Einmal strecken, bitte.
Ich habe George heute Nacht nochmal getroffen und etwas eingehender befragt. Er konnte mir sagen, dass dieser Ort, diese Traumwelt, wo Spanien „Escamandrien“ heißt und Frankreich „Chartreuse“, nichts Vergängliches ist und nichts, was ich alleine erträumt habe, sondern eine permanente Welt namens „Faurelia“, die immer existiert und in die sich theoretisch jeder hineinträumen kann.

Wie genau man dorthin kommt, das wusste George nicht. Das hätten die Traumfresser noch nicht herausgefunden. Und da war es wieder, dieser bedrohliche Unterton mit den vielen scharfen Zähnen, denn unter dem Gesagten klang unmissverständlich heraus, dass die Traumfresser den Weg nach Faurelia nur allzu gerne finden würden. Denn eben weil diese Traumwelt permanent ist, schmeckt sie offensichtlich besonders lecker und ist besonders verlockend für die Oneirophagen. Natürlich... damals bei der Sache mit Ruiz waren die permanenten Welten, zu denen Antoines Drogen den Träumern Zugang verschafften, ja auch besonders nahrhaft für George und seine Genossen.

Na gut. Mal sehen, was der Tag heute bringt. Wir müssen auf jeden Fall nochmal mit Jugend reden, und später kommt ja auch das Hohe Gericht hier an.
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 14.10.2015 | 16:24
Aaah! Antoine, dieser verantwortungslose Fae, hat Jugend Poker beigebracht! Ich meine, wenn ich es recht betrachte, ist das keine so große Katastrophe, aber Jugend ist ein Kind, verdammt noch mal! Und dem würde ich ebenso wenig jetzt schon ein Glücksspiel beibringen wie Alejandra! Sie spielten zwar nicht um Geld oder sonst eine Wertsache, sondern nur um Kieselsteine, aber trotzdem. Seufz.

In Sachen Verfahrensplanung und einer möglichen Verteidigung für Antoine haben wir uns vorhin zwar lange und eingehend unterhalten, aber mit keinem echten Ergebnis. Oder zumindest mit keinen großartig neuen Erkenntnissen. Wir werden wohl tatsächlich einfach sehen müssen, wie es läuft. Von Colin als Verteidiger erwarten wir uns, wie schon das eine oder andere Mal erwähnt, nicht sonderlich viel. Andererseits werden wir uns, wenn das Verfahren einmal begonnen hat, schwerlich in den Beweisvortrag einmischen können. Und Roberto und Edward als Richter könnten natürlich theoretisch völlig willkürlich und nach Nasenfaktor urteilen, aber ein derart deutliches Missachten der vorgelegten Punkte hätte auch wieder ganz eigene Konsequenzen, die keiner von uns eingehen möchte.

Dass die Schwächung der Insel tatsächlich besteht und nicht einfach nur erfunden wurde, ist natürlich ein weiterer extrem ungünstiger Faktor. Denn das wiederum heißt, dass...

Da ruft wer.
Es sind Schiffe in Sicht!

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Nur ein paar schnelle Worte, während ich hier am Strand stehe und das Spektakel beobachte. Denn ein Spektakel ist es. Um die ganzen Teilnehmer herzubringen, brauchte es mehr als den Fliegenden Holländer. Der hatte noch weitere Schiffe im Schlepptau, und es kam wirklich jeder. Pan. Seine Ritter. Seine Satyre. Überhaupt fast sein ganzer Hofstaat, hatte ich den Eindruck. Lady Fire in einem eigenen kleinen Boot, das anscheinend entweder aus einem feuerfesten Material bestehen oder sonst irgendwie daran gehindert werden musste, in ihrer Gegenwart in Flammen aufzugehen. Sergeant Book. Eine ganze Schar von Wyldfae. Catalina Snow, auf ihre kühle Weise amüsiert, inmitten des Trubels. Jetzt sind sie gerade dabei, die Schiffe zu entladen und ein Lager einzurichten.

Dass wir so viele Leute hergerufen haben, kommt mir inzwischen vor wie Han-Solo-Klasse, Kategorie II. Mindestens.

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Oh Mann. Mir fallen die Augen zu. Aber ich bin noch viel zu aufgekratzt. War das eine Feier. Eine echte Pansfeier. Da drüben sind auch noch diverse Unverwüstliche am Tanzen, aber ich habe genug.

Die Vorbereitungen hatten Pans Leute ja schon den ganzen Nachmittag lang betrieben, Vorräte von den Schiffen geschleppt und was nicht alles. Mit Einbruch der Dunkelheit rief dann eine Flöte zum Tanz, unwiderstehlich, und das rauschende Fest begann.

Vorher allerdings gab es eine... unschöne Konfrontation mit Lady Fire. Natürlich mit Lady Fire. Wann lerne ich es endlich?!

Wir sahen, wie Pan etwas zu Colin sagte, der daraufhin zu Lady Fire stapfte und dieser augenscheinlich Pans Worte weitergab. Lady Fire explodierte förmlich, schrie etwas, stürmte davon – und zündete einen Baum an. Marie wollte ihr nach, aber die Sommerfae schien so aufgebracht, und ich hatte ja irgendwie immer noch die Hoffnung, doch noch vermitteln zu können. Diesen verdammten Streit endlich irgendwie aus der Welt räumen. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich mir dabei dachte. Im Nachhinein wirkt es so unglaublich dämlich. Aber ich hatte das Gefühl, ich muss selbst mit ihr reden.

Ich ging ihr also hinterher und sprach sie ganz vorsichtig an.

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Während er hinüberging, wuchs er, und so stand er in seiner wahren Gestalt, die des Satyrs, vor der Lady und herrschte diese an: „Jetzt reicht es. Das ist das zweite Mal, dass du das Gastrecht verletzt hast. Im Namen deiner Schuld bei mir: Verschwinde!
Bei diesen Worten schrie Lady Fire auf, wurde zu einem Kometen und schoss davon.

Pan wiederum zuckte die Schultern und klatschte in die Hände. Es war Zeit für die Feier!
Und wie oben schon gesagt: Es wurde ein rauschendes Fest. Aber schrieb ich oben „unwiderstehlich“? Für mich und die meisten war es das zwar, aber so ganz alle ließen sich dann doch nicht mitreißen. Hurricane und Catalina Snow waren als Vertreter des Winters von Natur aus immun gegen das Sommertreiben, und Alex zog los, um den Brunnen zu bewachen, sobald sich die ersten Anzeichen für eine Feier bemerkbar machten.

Und Totilas? Dessen Dämon wurde von Pan ruhiggestellt, und zwar mit einem einzigen Fingeschippen. „Du hältst dich heute abend mal zurück, ist das klar?“, sagte der Herzog des Sommerhofs in befehlendem Tonfall, und ab dem Moment war der Dämon mucksmäuschenstill und völlig zahm. Woraufhin Totilas zwar mitfeierte, ich aber dennoch bemerkte, wie er immer wieder zu Colin hinübersah und diesen im Auge behielt.

Edward hingegen legte sich mit Pan an, und das konnte nicht gutgehen. Der Satyrherrscher brachte nämlich Jugend das Weintrinken bei. Das brachte mich noch mehr auf die Palme als Antoines Pokerlektionen am Morgen, und auch Edward schien das ganz und gar nicht gut zu finden, also schritten wir ein. Auf meinen Protest jedoch wurde Pan sarkastisch. „Ach, du bist jetzt also Experte für Feenkinder? Fein! Ich werde sie dir alle schicken!“ Da ich mir lebhaft vorstellen konnte, dass der Sommerherzog diese Drohung tatsächlich ernst machen würde, lenkte ich seufzend ein. Feige, ich weiß. Aber ich wollte wirklich nicht riskieren, dass eine Armee von kleinen Feen vor meiner Tür steht, wenn ich nachhause komme. Auch wenn Jandra das vermutlich spaßig fände.

Jedenfalls, Edward. Der riskierte auch nach Pans angesäuerter Reaktion weiter eine große Klappe, konnte den Mund einfach nicht halten. Woraufhin Pan wieder den Befehlston annahm, den er auch schon Lady Fire gegenüber an den Tag gelegt hatte. „Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass du dich mir widersetzt – langsam reicht es!“
Mit seinen Hörnern gab er Edward daraufhin einen Kopfstoß, der diesen im wahrsten Sinne des Wortes panisch davonrennen ließ. Ich versuchte, ihm zu folgen, aber es gelang mir nicht, Edward einzuholen – und beruhigen hätte ich ihn in dem Moment sowieso garantiert auch nicht können. Unser Lykanthropenfreund stürzte sich ins Wasser und kraulte, völlig außer sich, auf die andere Insel zu.

Ab dem Moment gab es keine größeren Störungen mehr, sondern es wurde gefeiert. Ich selbst ließ mich zwar mitreißen, achtete aber darauf, unser Versprechen nicht zu brechen – und es wurden ja ohnehin die mitgebrachten Vorräte ausgeschenkt. Es gab auch keine weiteren Nymphen-Episoden. Nicht, dass Saltanda, die ebenfalls hier ist, es nicht kichernd angeboten hätte. Aber auch wenn es jetzt zu spät ist – diesen Fehler werde ich nicht nochmal begehen, herzlichen Dank.

Im Verlauf des Abends konnte ich dann nochmal ganz kurz mit Pan sprechen: Ich fragte ihn, ob ich wissen dürfe, was Colin zu ihr gesagt habe, dass Lady Fire so ausgerastet sei. Und was es mit der von Pan erwähnten zweiten Verletzung des Gastrechts auf sich habe.

Klar, erklärte der Sommerherzog: Er habe Colin geschickt, um Lady Fire daran zu erinnern, dass sie in seiner Schuld stehe. Die erste Verletzung des Gastrechts sei damals in seinem Palast geschehen, als Lady Fire uns aus dem Verlies befreit habe. Diese Verletzung habe er ihr damals ungestraft durchgehen lassen, weswegen sie in seiner Schuld stehe.

Mierda y colera! Nach allem, was ich gelernt habe, gibt es nichts, was Feen so sehr hassen, wie in jemandes Schuld zu stehen... und natürlich macht Lady Fire uns – mich! – dafür verantwortlich, dass diese Schuld jetzt auf ihr lastet. Oh, padre en el cielo, steh mir bei.

Die Feuer des Festes machen es hell genug, dass ich das alles schreiben konnte, aber über dem Meer ist es stockfinster. Stockfinster bis auf die Sterne am Himmel – und bis auf die andere Insel, die lichterloh brennt. Oh ciélo, jetzt wissen wir, wohin Lady Fire geschossen ist.

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Guten Morgen. Oder Mittag. Oder was auch immer. Ich fühle mich etwas zeitlos. Edward ist gerade zurückgekommen. Die Vaca des Nueves und die Militärgaleone hatten sich gestern abend noch von der brennenden Insel zurückgezogen und dabei Edward eingesammelt. Dessen Panik ist inzwischen abgeklungen, so dass er seine Richterfunktion nachher wird ausüben können.

Alex war auch da, um zu sagen, dass es am Brunnen die Nacht über ruhig geblieben ist. Allerdings hat er auch erzählt, dass der Wasserstrahl aus dem Brunnen weniger geworden ist. Die Anwesenheit der vielen Leute schwächt die Insel also weiter. Mierda.
Alex hat sich hier etwas ausgeruht, ehe er wieder losgezogen ist. Während der Verhandlung will er nämlich auch wieder Wache am Brunnen schieben – sicher ist sicher. Aber es geht gleich los – später mehr!

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Kurze Notizen, während ich hier sitze und der Verhandlung zuhöre; ich hoffe, ich komme später zum Ausformulieren, falls nötig.

Der erste Anklagepunkt, um den es gerade geht, betrifft Antoine und die Störung des Festfriedens durch die Drogen.
Antoine als Beschuldigter ist an Sir Anders gefesselt worden, der darüber ebenso unglücklich aussieht wie Antoine selbst.
Colin verteidigt eigentlich gar nicht so schlecht: Er bringt ziemlich gute Argumente für eine Intrige seitens des Red Court, basierend auf unserer Rückverfolgung der Substanz zu dieser Kneipe.
Antoine war gerade im Zeugenstand und hat erklärt, er habe nichts mit dem Red Court zu schaffen, habe er noch nie gehabt.
Jetzt hat Colin ruft diverse Zeugen aufgerufen, die Antoines Nicht-Verwicklung mit dem Red Court bestätigen.

Erstes Urteil: Antoine ist der Störung des Festfriedens für nicht schuldig befunden worden!

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Jetzt ist der zweite Anklagepunkt an der Reihe: gegen Sergeant Book wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht über die Insel.

Hurricane hat soeben als Ankläger dargelegt, dass die Lage eindeutig festliege.
Colin hat daraufhin dagegengehalten, dass den Richter exakt dasselbe Vorgehen an den Tag gelegt hätten, dass diese also nicht unvoreingenommen seien und dass folglich ein Verfahrensfehler vorliege.
Autsch. Aber wo er recht hat...
Und eigentlich ist das gar keine so schlechte Strategie.

Jetzt ruft Colin einen Zeugen nach dem anderen auf, die er alle befragt, ob sie eine Schwächung der Insel festgestellt hätten. Alle antworten sie mit „Nein“. „Dann kann es ja so schlimm nicht sein“, wiederholt Colin, „wenn sogar die Richter es für verantwortbar hielten, das ganze Gericht hierher zu beordern und eine eventuelle Schwächung der Insel in Kauf zu nehmen.“

Verdammt, wo ist Jugend? Ich kann den Kleinen nirgendwo sehen… Sollte der nicht hier sein? Immerhin geht es um ihn!

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Heh. Jetzt hat man mich auch in den Zeugenstand gerufen; mein suchendes Umsehen und murmelndes Fragen nach Jugend ist anscheinend nicht unbemerkt geblieben.
Colin fragte mich ebenfalls, ob mir eine Schwächung der Insel aufgefallen sein – was ich glücklicherweise wahrheitsgemäß mit „nein“ beantworten konnte... immerhin waren es Edward und Alex, die mit ihren Experimenten die Schwächung festgestellt haben, nicht ich. Außerdem gelang es mir, Jugend ebenso ins Spiel zu bringen wie die Tatsache, dass der Avatar der Insel nicht hier ist.
Alles sah sich um, aber der Kleine war nirgends zu entdecken, und niemand schien es zu wissen. Also wurde die Verhandlung vertagt, bis Jugend gefunden ist, damit dieser wichtige Zeuge auch befragt werden kann.

Wenn ich mich so umsehe, ist bis auf Sir Anders, der immer noch an Antoine gefesselt ist – wobei sie den jetzt nach dessen Freispruch gerade losmachen – nur Sir Kieran bei der Verhandlung. Wo sind denn Pans andere Ritter alle? Das scheint irgendwie auch niemand zu wissen.
Waren die gestern abend eigentlich bei der Feier? Ich glaube fast nicht, wenn ich mir das so überlege… Wie jetzt… Sommer richtet ein Fest aus, und die Ritter des Sommers nehmen nicht teil?

Ich habe Sir Kieran eben darauf angesprochen, aber er meinte, das Fest sei nicht für die Ritter gedacht gewesen, und sie hätten kein Interesse daran gehabt. Pan kam auch dazu und schickte Sir Kieran los, die anderen Ritter einzusammeln, die sollten auch an der Verhandlung teilnehmen.  Sir Kieran salutierte und zog los. Totilas ist ihm in einiger Entfernung unauffällig nach – gut so!

So, in der Nähe des Verhandlungsplatzes ist Jugend schon mal nicht. Dann muss ich jetzt wohl oder übel den Rest der Insel abs

Was ist das? Hornklänge!
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.10.2015 | 12:17
Es war das Kriegshorn des Sommers, das da geblasen worden war. So sagte jedenfalls Pan, völlig erstaunt, und wollte Colin losschicken, um nachzusehen, was da los war. Aber Colin war nirgends zu sehen. Sir Kieran ebensowenig, denn den hatte der Sommerherzog ja schon zuvor auf die Suche nach den anderen Rittern geschickt.

Was ich da noch nicht wusste, aber später erzählt bekam, war, dass Totilas, der Kieran gefolgt war, den Ritter dabei beobachtete, wie er im Wald mit Sir Anders sprach. Dieser hatte eine ziemlich unglückliche Miene aufgesetzt, und es fielen die Worte „noch nicht“. Totilas beobachtete die beiden weiter, und irgendwann stießen Edward und Roberto zu ihm.

Das war so ungefähr der Moment, in dem die beiden Fae mit den anderen Sommerrittern zusammentrafen und einer von ihnen das Kriegshorn des Sommers blies. Das war das Angriffssignal, mit dem ein heftiger Kampf zwischen den Sommerrittern und den Wyldfae ausbrach.

Ich selbst hatte mich ja gerade auf die Suche nach Jugend machen wollen, als das Horn ertönt war. Ich wusste zwar nicht genau, was das bedeutete, aber etwas Gutes konnte es nicht sein, also war es nur um so dringender, dass ich Jugend fand. Und das tat ich – auf einer kleinen Lichtung tief im Wald, die völlig offensichtlich als Ritualplatz diente. Inmitten eines Kreises aus hoch aufloderndem Feuer befanden sich das Baumkind, Marie Parsen, Sir Kierans Freundin Edelia Calderón... und Lady Fire. War ja klar. Außerhalb des Kreises hielten zwei Satyre Wache.

Edelia Calderón und Lady Fire waren dabei, irgendeine Santería- und Feen-Magie durchzuführen, soviel stand auf den ersten Blick fest. Weder Jugend noch Marie sahen so aus, als könnten oder dürften sie sich bewegen. Edelia wirkte hochkonzentriert. Schweißperlen standen ihr ebenso auf der Stirn wie Mrs. Parsen, und Flammen umzüngelten Lady Fire. Jugend sah irgendwie größer aus, älter, und an seiner Borke waren Blätter und Blüten gesprossen. Was auch immer sie da machten, sah ziemlich... rabiat aus, als würden der Natur mit Gewalt etwas entreißen, was so eigentlich nicht sein sollte.

Ich musste das Ritual irgendwie unterbinden. Aber durch den Flammenkreis würde ich nicht kommen, keine Chance, und die zwei Satyre sahen auch nicht so aus, als würden sie das zulassen. Die standen immerhin nicht umsonst da Wache.

Die beiden wurde ich aber wenigstens los, indem ich ihnen glaubhaft machen konnte, dass der Hornklang, den sie vorhin gehört hatten, das Kriegshorn des Sommers gewesen sei, und das Pan sie dringend brauche. Daraufhin zogen die Satyre ab, was an meinem eigentlichen Problem, dem Unterbrechen des Rituals nämlich, aber dummerweise nichts änderte. Ich versuchte es mit einem in den Ritualkreis geworfenen Stein, um Edelia abzulenken und hoffentlich zu unterbrechen, aber ich traf sie nicht, und sie wirkte auch so konzentriert, dass selbst ein Treffer sie vermutlich nicht aus der Fassung gebracht hätte.

Das brachte so nichts. Ich hatte keine Ahnung, ob sie in den nächsten Minuten damit fertig werden würde oder nicht, aber das Risiko musste ich eingehen. Alleine konnte ich hier nichts ausrichten, und irgendwie wirkte das Ganze auf mich so, als wären sie hier noch eine Weile beschäftigt, also rannte ich los, um die anderen zu suchen.

Meine drei Freunde hatten derweil dem Kampf zwischen Sommer und Wyld nicht lange zugesehen, sondern sehr bald selbst in die Auseinandersetzung eingegriffen. Totilas und Edward, indem sie kräftig auf Seiten des Wyld mitmischten, während Roberto, als Vertreter des Sommers und vor allem in seiner Funktion als Richter, Sir Anders zur Rede stellte, was um alles in der Welt hier los sei. Sir Anders wirkte noch immer mit der Gesamtsituation eher unzufrieden, gab aber seinem Richter bereitwillig (wenngleich etwas ungeduldig) Auskunft. Lady Fire führe mit Hilfe der Santería-Magierin ein Sommer-Ritual durch, um die Insel der Jugend ein für alle Mal an den Sommer zu binden. Die Verantwortung für etwas so Wichtiges gehöre in die Hände des Sommers, nicht des fahrlässigen Wyld. Das habe Books Versagen beim Schutz der Insel ja gezeigt. Die Idee dafür sei von Sir Kieran ausgegangen, der die übrigen Ritter von der Wichtigkeit des Plans überzeugt habe.

Auch wenn Sir Anders vielleicht mit dem Plan nicht hundertprozentig glücklich war, seinen Kampfgefährten beispringen wollte er doch allemal, und so stürzte er sich wieder in den Kampf, sobald Roberto ihn entließ. Es gab Verletzte - auch Tote, fürchte ich - auf beiden Seiten, aber letztendlich gingen die Wyld erfolgreich aus der Auseinandersetzung hervor.

Etwa zu dem Zeitpunkt stieß ich wieder zu den Jungs. Ich berichtete in aller Eile, was ich auf dem Ritualplatz gesehen hatte, die drei erzählten mir, was hier abgegangen war, und wir beschlossen, dass wir Alex brauchten. Also zogen wir gemeinsam zum Zentrum der Insel - wo wir unseren Freund reglos und in einer Art Trance gefangen vorfanden. Die beiden anderen Wächter des Brunnens, unser Trollfreund Bob sowie eine Seehexe, die Sergeant Book vor Beginn der Verhandlung hierher abkommandiert hatte, sahen genauso aus. Nur mühsam konnten wir Alex und die beiden Wyldfae aus ihrer Trance befreien. Colin sei es gewesen, berichtete Alex, sobald er wieder sprechen konnte. Der sei auf die Lichtung gekommen und habe kurz gestutzt. Dann habe er mit einem Achselzucken gesagt: "Schade, dich mochte ich irgendwie" und irgendwas gezaubert, woraufhin Alex sich nicht mehr bewegen konnte. Sehen und hören, was um ihn herum vorging, konnte er aber noch, und so bekam er mit, wie Colin zwei große Kanister mit dem Wasser des Lebens füllte und dann pfeifend wieder verschwand.

Das Ritual, Kierans Machenschaften und Colins Verrat, das war alles zu groß für uns, irgendwie. Davon die anderen Anwesenden erfahren, und zwar schleunigst!

Doch als wir am Strand ankamen, sahen wir, dass wir noch ganz, ganz andere Probleme hatten. Da kamen nämlich gerade drei Schiffe auf die Insel zugesegelt. Noch waren sie nicht sonderlich nah, aber nah genug, dass wir sehen konnten, dass Joseph Adlene im Bug des vordersten Schiffes stand... und dass er eine ganze Armee von Toten bei sich hatte...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 16.10.2015 | 18:09
Hm, ich gebe zu, es ist ziemlich viel passiert. Das war wohl ein Industrieventilator, in den die Scheiße da geflogen ist.  :fecht:
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 20.10.2015 | 19:59
Ich würd gern wissen, wie's weiter geht! *zappel*


Gut, eigentlich weiß ich, wie es weiter geht, aber ich will es verdammt noch mal aus Cardos Perspektive hören!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.10.2015 | 23:19
Ich bin ja schon dran. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 27.10.2015 | 19:16
*qui-qua-quengel*

Sorry, aber ich hab grad sooo Lust, das zu lesen.  ^-^
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 30.10.2015 | 16:04
Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 4

Oder genauer gesagt, Joseph Adlene stand im Heck des vordersten Schiffes. Die segelten nämlich rückwärts. Wie man es ja muss, um überhaupt zur Insel des Sommers gelangen zu können. Links von ihm stand der Dämon Jack (brrrrrr!), rechts von ihm... wie beschreibe ich das. Eine Gestalt. Soviel ist unbestritten. Weiblich, auch das war mir irgendwie klar, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das wusste. Ihr Äußeres war nämlich ständig im Wandel begriffen, ein wenig wie die Ober-Oneirophaga damals, aber doch wieder ganz anders. Waren da Arme? Und wieviele waren es? Ein Gesicht? Oder eine leere, schwarze Fläche?

Pan sah irritiert auf das Meer hinaus. „Was ist das jetzt schon wieder?“

Ich hatte eben den Mund geöffnet, um ihm zu erklären, was das jetzt schon wieder war, und vor allem, um die ganze Bande auf den Ernst der Situation aufmerksam zu machen, da brüllte Totilas los. „Wir brauchen Verstärkung! Attacke!“

Die Satyre, die auf dem Festplatz um uns herumstanden, brauchten keine zweite Aufforderung. Sofort rasten sie los – dummerweise völlig planlos und unkoordiniert. Ich pfiff gellend auf zwei Fingern und schrie „STOP!“, so laut ich konnte, während auch Pan bereits „Stop!“ rief.
Die Satyre hielten an, und Pan drehte sich wütend zu unserem White Court-Kumpel. Ob der vorhabe, ihn um das Amt als Sommerherzog herauszufordern? Nein? Was sollte das dann eben?!
Totilas machte einen Rückzieher, das sei bei weitem nicht seine Absicht gewesen, während ich nun doch noch dazu kam, Pan in Sachen Exkremente und Ventilator auf den neuesten Stand zu bringen. Dass der Typ auf dem Schiff nämlich an den Jungbrunnen wolle. Und außerdem, dass seine Sommerritter mit den Wyld einen Kampf begonnen hätten, dass Lady Fire gerade ein Ritual durchziehe, um die Insel der Jugend an sich zu binden und dass Colin die Insel massiv verletzt habe, indem er Wasser aus dem Brunnen stahl.

Catalina Snow schien von den Neuigkeiten tatsächlich so etwas wie amüsiert. „Die werden sich wundern“, sagte sie zu Edward und Roberto. „Wenn das Hohe Gericht gestört wird, dann bekommen wir Richter in dem Moment gewisse Fähigkeiten übertragen. Das wird spaßig.“ Sie grinste, und tatsächlich konnte man beinahe sehen, wie ein Ruck durch Edward und Roberto ging, als diese von neuer Macht des Sommers bzw. des Wyld durchflossen wurden.

Pan wiederum wirkte mehr genervt denn verärgert, Marke: 'was denn noch alles?' Wegen seines Verrats enthob er Colin seines Amtes als Ritter, und mit der Aussprache dieser Absetzung erschien mit einem Mal das Schwert des Sommerherzogs in dessen Hand. Es wirkte matt, die Klinge angelaufen. Da hatte Colins Verrat offensichtlich ganz physische Auswirkungen auf die Waffe gehabt. Ich frage mich nur, warum das Schwert nicht auch automatisch in Pans Hand materialisierte, als er damals den cabrón seines Amtes enthoben hatte. Vielleicht, weil Ruiz damals nicht per se offen gegen Pan gehandelt hatte, sondern zwar seine eigene Agenda verfolgte, ihm dies aber nach den Feengesetzen noch nicht als Verrat ausgelegt werden konnte. Oder warum auch immer. Versteh einer die Feen-Regeln.

Pan sah sich um. „Ohne Ersten Ritter wird das hier schwer.“ Sein Blick wanderte von Fee zu Fee, über die Richter, über Totilas, den White Court, über Alex, von Eleggua gezeichnet – und blieb auf mir hängen. Es war kein anderer unmagischer Mensch da, verdammt.
Es. War. Kein. Anderer. Unmagischer. Mensch. Da.
Und vor uns Adlene und Jack und diese komische schattenhafte Gestalt und Lady Fires Ritual und die rebellierenden Ritter und Colin. Das Wort „mierda“ trifft nicht einmal ansatzweise, was mir in dem Moment durch den Kopf ging. Aaaaaaaah!

„Nimmst du das Schwert an?“, fragte Pan, und, Padre en el cielo, perdoname, ich sagte ja. Der Sommerherzog überreichte mir die Klinge mit der Bemerkung "die Formalitäten machen wir später" – und wieder spürte ich, wie diese fremdartige Kraft, die Feenmagie des Sommers, in mich hineinströmte. Sobald ich es in der Hand hatte, veränderte das Schwert auch sein Aussehen: Nicht nur war es jetzt nicht mehr matt angelaufen und etwas schmaler in der Form als zuvor, sondern es hatte auch einen grünlich-goldenen Schimmer.

Ich wog die Waffe prüfend in der Hand. Ich habe zwar keinerlei Ahnung von Schwertern, aber sie fühlte sich leicht und perfekt ausgewogen an. Und in meiner neuen Funktion kam ich jetzt doch noch dazu, die – haha – anfeuernde Rede zu halten, die ich eigentlich vorher schon hatte halten wollen.

Wobei, Rede ist das falsche Wort. Ich fand einfach, es war in diesem Moment völlig egal, ob Sommer, Winter oder Wyld, gegen diesen Gegner mussten wir alle zusammenhalten – und das sagte ich auch so. Es schien als Kampfruf sogar einigermaßen zu funktionieren, denn Pan nickte zustimmend, rief etwas von „Los!“, und der ganze Haufen setzte sich Richtung Strand in Bewegung.

Die Schiffe waren indessen nahe genug herangekommen, dass Adlene, seine zwei dämonischen Begleiter und seine Armee von Geistern an Land hatten gehen können. Nun kam es zwischen dem Sommerherzog und dem Nekromanten zu einem höhnischen Schlagabtausch, in dem Adlene Pan aufforderte, ihn zum Brunnen durchzulassen, dann müsse hier niemand zu Schaden kommen. Natürlich lehnte Pan das ab, woraufhin Adlene beinahe milde den Kopf schüttelte. „Nein? Das habe ich mir gedacht. Auf sie!“
Und damit stürmten die Untoten in einem Sog auf die wartenden Kräfte des Sommers und des Wyld los.

Adlene und die Dämonin zogen sich hinter die Masse der Kämpfenden zurück und machten Anstalten, sich abzusetzen. Jack war erstaunlicherweise gar nicht mehr zu sehen, aber ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, wann der Dämon verschwunden war.

Die Frage war, ob wir Adlene durch das Gedränge folgen oder uns lieber in Richtung Brunnen auf die Lauer legen sollten, um den Nekromanten dort abzufangen. Roberto und Alex taten genau letzteres, aber Edward und Totilas stürzten sich ins Getümmel. Ich überlegte kurz, dass ich vermutlich bei Roberto und Alex besser aufgehoben wäre, aber ich konnte Edward doch nicht im Stich lassen – und außerdem überkam mich plötzlich das starke Gefühl, ich könne vor allem meinen Herzog nicht im Stich lassen. Hoboy.

Unten am Strand standen uns einige Untote im Weg, mit denen wir uns herumschlagen mussten, während Adlene sich absetzte. Totilas hatte seinen Gegner sehr schnell beseitigt und konnte so dicht hinter Adlene bleiben, während Edward und ich es mit unseren Gegnern deutlich schwerer hatten.

Oder genauer gesagt, Edward hatte es schwerer. Denn ich merkte sehr schnell, dass ich mit meinem schimmernden neuen Schwert so gar nicht umgehen konnte – oder jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Aber es war ja das Schwert des Sommers, und wofür steht Sommer? Genau.

Ich überließ meinen Gegner also erst einmal Edward, während ich mich auf dieses neue Gefühl in mir konzentrierte, versuchte, die Magie meines neuen Amtes hervorzurufen. Und erstaunlicherweise gelang es: Ich habe keinerlei Ahnung, wie, aber mit einem Mal erstrahlte die Klinge in gleißend hellem Licht, dem Licht der Sonne am wärmsten Tag des Jahres, und während das Edward und mich überhaupt nicht störte – hatte ich das so geplant? Offensichtlich... entweder das, oder die Magie hatte für mich erkannt, wer Freund und wer Feind war – lenkte es die beiden Zombies genug ab, dass wir schließlich doch mit ihnen fertig wurden.

Zu diesem Zeitpunkt waren Totilas und die beiden von ihm Verfolgten nicht mehr zu sehen. Seltsam – hatte unser Teil des Kampfes wirklich so lange gedauert? Oder hatte Adlene (oder die Dämonin?) irgendwelche Magie eingesetzt, um schneller wegzukommen? Irgendwas hatte ich mal über eine ähnliche Gestalt gelesen, fiel mir da wieder ein. Es war bei der Recherche gewesen, und ich war dabei auf einer dieser grellbunten und abstrusen Verschwörungswebseiten gelandet, bei denen man nie weiß, ob man nun lachen oder weinen soll. Ich hatte dieses Surferlebnis sehr schnell wieder  verdrängt... bis jetzt. Denn jetzt fiel mir ein, dass ich da etwas von einer „Lady of the Tangled Ways“ gelesen hatte – einem Geisterwesen oder einem Dämon oder etwas in der Art, das so ähnlich beschrieben worden war, wie ich das hier gerade gesehen hatte, und das Wege aller Art finden und öffnen kann. Ein bisschen wie Alex, wenn ich mir das so überlege, nur... böse.

Wir waren nicht so dicht an ihr dran wie Totilas, deswegen bekamen wir das volle Ausmaß davon nicht mit, aber wir konnten hören, wie die Dämonin in unserem Geist zu sprechen versuchte. Wir konnten nicht genau ausmachen, was sie sagte, aber es war beinahe verständlich... und wir wussten genau, wir wollten gar nicht verstehen, was sie da sagte. Irgendwie war uns klar, dass das für unsere geistige Gesundheit gar nicht gut wäre. Ich will auch gar nicht wissen, wie stark Totilas in der Nähe, in der sich zu der Gestalt befand, ihren geistigen Angriffen ausgesetzt war. Glücklicherweise hat der durch seinen eigenen Dämon ja ziemlich viel Erfahrung darin, solchen Einflüsterungen zu widerstehen.

Jedenfalls dauerte es eine Weile, bis Edward und ich Totilas eingeholt hatten. Adlene und die Herrin der Verschlungenen (oder Verschlingenden?) Wege hatten sich tatsächlich immer weiter auf den Brunnen zubewegt, und als wir sie eingeholt hatten, trafen wir dort auch auf Alex und Roberto. Die beiden hatten, während wir mit Kämpfen beschäftigt waren, den Zugang zum Brunnen mit Fallen vermint. Und die Taktik hatte gewirkt: Als wir angerannt kamen, hing Joseph Adlene kopfüber in einem Fallstrick an einem Baum. Dummerweise nur war er gerade dabei, sich schon wieder aufzurichten und sich an dem Seil nach oben auf den Ast zu ziehen, an dem das Seil befestigt war. Der alte Mann sah alles andere als gesund aus und seine Bewegungen alles andere als natürlich – augenscheinlich hatte er soeben einen jüngeren, sportlicheren Geist in sich hineingerufen, der die Turnübung für ihn ausführte. Ob diese unnatürlichen Anstrengungen so gut für den Nekromanten waren, wage ich zu bezweifeln, denn sein dunkles Gesicht hatte einen gräulichen Ton angenommen, und er wirkte ziemlich mitgenommen. Offensichtlich hatte unser White Court ihm bereits schwer zugesetzt, ehe er in die Falle geraten war.

Aber sagte ich eben, Alex und Roberto hätten die Fallen ausgelegt? Auf mich wirkte es so, als hätte Alex die Arbeit alleine vollbracht. Nicht, weil er der handwerklich Begabte von uns ist, sondern weil Roberto ziemlich abwesend wirkte. Er stand einfach da und blickte nach innen, schien in einem ernsthaften Konflikt mit sich selbst gefangen – oder vielleicht genauer: mit einem Konflikt, der in ihm tobte. Nichts so nach außen hin Drastisches und Sichtbares, aber vielleicht ein klein wenig wie diese Szenen in Peter Jacksons Herr der Ringe, wo die zwei Persönlichkeiten von Gollum miteinander streiten. Nur dass es hier nicht die zwei Persönlichkeiten von Roberto waren, sondern die beiden Mächte, die Anspruch auf ihn erhoben: seine Santería-Orisha, Oshun, und Königin Titania des Sommers.

Roberto war also fürs Erste nicht in der Lage, in die Situation einzugreifen. Ich selbst verschaffte mir auch erstmal einen raschen Überblick über die Lage. Aber Edward war schnell – und unberechenbar – wie immer. Er sprang auf die Lady der Verschlingenden Wege los, und mit seinem magisch aufgeladenen Handschuh gelang es ihm tatsächlich, die
Dämonin zu verletzen. Richtig schwer zu verletzen. Mit einem lauten Kampfschrei riss unser Freund ihr einfach einen Arm ab.

Das Problem war nur: Schwerwiegend, wie die Verletzung war, schien sie die Dämonin dennoch gar nicht groß zu beeinträchtigen. Und das viel größere Problem war: Jetzt hatte Edward sie ernsthaft, ernsthaft wütend gemacht.

Einen Moment lang schien die Lady gar nicht zu verstehen, was ihr da geschehen war. Sie stand still und schien die neuen Eindrücke zu verarbeiten, ehe sie sich niederbeugte und den Arm aufhob, ihn durch die wabernden Schatten irgendwie wieder an sich befestigte. Durch ihre wabernden Schatten, ihre sich ständig wandelnde Gestalt, konnten wir dennoch sehen, wie ihre Augen sich glühend in Edward bohrten und sie ihn sich ganz genau einprägte. Er hatte sie wütend gemacht, er hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt, und wo sie bislang nur in amüsierter Spielstimmung gewesen war, ging sie jetzt in den ungezügelten Hulk-Modus. Um sie herum begann sich Dunkelheit zu sammeln, schien die Realität zu verschwimmen – das konnte nicht gut gehen.

Ich brüllte „Weg hier!“ und schnappte Edward am Arm, während Totilas den noch immer in seinem inneren Zwiespalt befindlichen Roberto mit sich zog und Alex den alten Nekromanten beinahe trug. Der ließ das eine Weile mit sich machen, ehe er einen weiteren Geist in sich rief und nun wieder in der Lage war, selbständig zu rennen – zumindest kurzfristig. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass sich die Überanstrengung, die geistige ebenso wie die körperliche, später bemerkbar machen würde.

Am Strand rief Adlene laut nach seinem Kumpan Jack. „Wo bist du, verdammt? Komm' und hilf mir gefälligst!“
Wir hätten uns nicht beschwert, wenn der Dämon nicht aufgetaucht wäre, aber natürlich tat er es doch, langsam schlendernd und mit einem arroganten Grinsen im Gesicht. „Na, was sagt ihr? Lasst ihr uns in Ruhe? Dann nehme ich euch die Lady ab, und ihr könnt in Ruhe euren Kram erledigen.“

Und, santísima Madre, es ging nicht anders. Dieser Lady waren wir nicht gewachsen, keiner von uns. Und hinten im Wald war noch immer Lady Fire dabei, dieses Ritual durchzuführen... Mehr als nur wiederwillig ließen wir Adlene und seine beiden Dämonen ziehen, während wir selbst uns schleunigst auf den Weg machten.

Wir waren nicht zu spät: Auf der Lichtung war das Ritual immer noch im Gange. Aber es war knapp, verdammt knapp – sogar ich konnte erkennen, dass Lady Fire und Edelia Calderón kurz vor dessen Abschluss stehen mussten. Jugend, den Marie Parsen noch immer in den Armen hielt, sah inzwischen sehr, sehr schwach aus, als halte ihn kaum noch etwas am Leben. Er war wieder kleiner geworden und wirkte deutlich gealtert. Ganz offensichtlich zog Lady Fire mit dem Ritual die Lebenskraft des Insel-Avatars in sich selbst hinein.

Es war nicht genug Zeit, als dass Edward in Ruhe ein Gegenritual hätte vorbereiten können. Es musste schnell gehen, und ziemlich improvisiert, und alleine würde er es nicht schaffen. Roberto war noch immer mit sich selbst am Hadern, aber Alex stellte sich zur Verfügung, damit Edward die Kraft, die ihm wegen der Störung des Hohen Gerichts vom Wyld her zugeflossen war, durch ihn hindurch in Jugend weiterleiten konnte, um das Baumkind wieder zu stärken.

Und ich? Mit dieser neuen Rittermagie, die ich in mir hatte, konnte ich das Wirken von Lady Fires Teil des Rituals regelrecht spüren, wie ein Kribbeln in der Luft oder das beinahe unhörbare Summen einer Überlandleitung.
Ich wusste – nein, ich hatte eine instinktive Ahnung davon – was sie tat und wie sie es tat, auch wenn ich es in Worten niemals hätte erklären können, und ebenso instinktiv wusste ich, wie ich ihr Tun unterbrechen konnte. Wenn ich es denn konnte. Denn wie gesagt, Zeit hatten wir keine mehr, und ein vergleichsweise einfacher Zauber wie das Rufen des Sonnenlichts vorhin am Strand würde hier nicht ausreichen.

Ich richtete meinen Sinn also wieder nach innen, suchte die Magie in mir, rief sie nach oben und sammelte sie. Und sammelte sie. Ich sammelte so viel davon, wie ich nur irgendwie konnte, und dann, in exakt dem Moment, als Lady Fire ihr Ritual beendete und die Hand hob, um den letzten Rest von Jugends Essenz in einem letzten, großen Schwung in sich hineinzuziehen, im selben Moment wie Edward seine Wyld-Kraft durch Alex in Jugend hineinleitete, ließ ich die Magie auf einen Schlag aus mir hinaus und auf Lady Fire zufließen, wo die Macht des  Sommers einen Schild um sie bildete, eine Barriere, an der die von ihr gesogene Essenz abprallte – und mangels Erreichbarkeit des eigentlich vorgesehenen Ziels unkontrolliert explodierte.

Die Schockwelle warf uns nach hinten. Das Feuer, mit dem der Ritualkreis gezogen worden war, loderte wild hoch. Lady Fire schrie auf wie eine wütende Furie und verschwand. Marie Parson kam, Jugend noch immer eng an sich gedrückt, aus dem Kreis gestolpert. Beide waren ein wenig angesengt, schienen aber keine schlimmen Verbrennungen zu haben, dem Himmel sei Dank, und Jugend sah auch schon wieder etwas besser aus.

Und mir dröhnte der Kopf. Dios, hatte ich Kopfschmerzen. Vermutlich hätte ich für den zweiten von mir in meinem Leben jemals gewirkten Zauber nicht gleich den Leistungssport-Level auffahren sollen, und das war jetzt das magische Äquivalent von einem Muskelkater, der sich gewaschen hatte. Aua. Aber was hätte ich denn machen sollen. Anders hätten wir das Ritual nicht gestoppt bekommen. Aber trotzdem. Au. Au au au.

Wir schafften es alle irgendwie wieder zurück zum Strand. Von den drei Schiffen, mit denen Adlene hier angekommen war, war eines abgebrannt und lag als Wrack im flachen Wasser; von den anderen beiden war nichts mehr zu sehen. Auch vom ehemaligen Ersten Ritter war keine Spur mehr zu finden, aber man sagte uns, der Colin sei dabei gesehen worden, wie er mit dem Nekromanten und dessen zwei Dämonen eines der Schiffe bestiegen habe und weggesegelt sei.

Die Kämpfer aller Seiten – Sommer wie Winter wie Wyld – waren dabei, ihre Verwundeten zu versorgen und ihre Toten – denn auch davon hatte es einige gegeben, aber niemand, den wir näher kannten – zu bergen. Jetzt, wo wieder Ruhe eingekehrt war, schickte Pan seine Ritter, allen voran Sir Kieran als den treibenden Kopf hinter dem Putschversuch, allesamt in die Verbannung. Oder besser, er hätte sie allesamt verbannt, wenn ich nicht für Sir Anders ein gutes Wort eingelegt hätte. Der arme Kerl wirkte so beschämt – und er war ja wirklich nicht glücklich mit Kierans Plan gewesen – dass ich es einfach nicht über mich brachte, ihn ohne wenigstens den Versuch eines Eingreifens ziehen zu lassen.

Tatsächlich ließ Pan ziemlich problemlos mit sich reden, und die Dankbarkeit mir gegenüber stand dem armen Anders förmlich ins Gesicht geschrieben.
Was Lady Fire hingegen betraf, hatte der Sommerherzog die Faxen endgültig dicke. Jugend gegen dessen Willen zu dem Ritual zu zwingen, war nun ihr drittes Vergehen gewesen, und jetzt erklärte Pan sie hochoffiziell zur Brecherin des Gastrechts.

Roberto war inzwischen wieder beieinander – der Krieg in seinem Kopf war offensichtlich zu Gunsten Oshuns und zu Lasten Titanias ausgegangen. Er trat zu Pan und erklärte dem Herzog, er könne nicht länger der Richter des Sommers sein. Mit diesen Worten zog er auch die Kette vom Hals, die er zum Zeichen seines Amtes bis dahin getragen hatte – und tatsächlich sah deren Anhänger nun aus wie billiger Talmi, vollkommen unecht.

Damit gab es nur zwei amtierende Richter, also konnte auch die Verhandlung nicht fortgesetzt werden. Sie wurde vertagt, bis die Sommerkönigin einen neuen Richter ernannt hätte, und dann war es Zeit, endlich von der Insel zu verschwinden. Nur Marie und Antoine wollten fürs Erste hierbleiben, um sich um Jugend zu kümmern, bis der Avatar wieder genesen wäre.

Dummerweise war das mit der Heimkehr aber gar nicht so einfach. Die fliegenden Schiffe der Faurelier waren nämlich inzwischen alle verschwunden – und der Fliegende Holländer gleich mit. Von dem war weit und breit nichts mehr zu sehen, was den Rückweg für den ganzen Haufen etwas... sagen wir kuschelig gestaltete, weil sich alle Besucher für den Rückweg auf deutlich weniger Schiffen zusammendrängen mussten. Uns kümmerte das glücklicherweise relativ wenig, da in der Bucht auf der Rückseite der Insel ja noch immer George auf uns wartete, der uns über die Traumstraßen zurück zu unserem Raddampfer brachte.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 30.10.2015 | 16:18
Juhu, ein Sommerritter.  ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 30.10.2015 | 16:50
Jahaaa. *hmpfgrmpf*

Mal sehen, für wie lange diesmal. :P
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.11.2015 | 17:45
Eigentlich ist das ja keine Position für Temps. ;)

...außer in Miami. Wenn das mit dir nix wird, könnte sich Pan ja auch so ein kleines Rittergeschwader vorstellen... die Schönen Frauen oder so. ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.11.2015 | 17:54
Hehe. Das fände Pan bestimmt toll, ja.

Die von euch oben angemerkten Korrekturen habe ich übrigens eingearbeitet.

Und anbei der letzte Teil von "Proven Guilty"!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.11.2015 | 18:01
Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 5

Tja, und da bin ich jetzt also. Wieder zuhause. Einigermaßen ausgeschlafen und ein bisschen erholt. Der Kopf dröhnt mir noch immer, wenn auch nicht mehr ganz so schlimm wie direkt nach dem Kampf.

Und wenn ich mir das so betrachte, war die ganze Aktion ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Und zwar nicht nur ein Fehlschlag, sondern auch rundum unsere eigene Schuld.

Durch unsere Verlegung des Prozesses und die Anwesenheit so vieler Leute auf der Insel haben wir diese noch mehr geschwächt, und geschwächt wurde sie natürlich auch durch die ganzen Kämpfe und Zerstörungen dort. Wenn wir den Prozess nicht dorthin verlegt hätten, hätte Colin auch nicht gewusst, wie man hinkommt. Er hätte weder Adlene den Weg verraten können, noch wäre er selbst dorthin gelangt und hätte das Wasser des Lebens stehlen können. Was erstens die Insel noch viel, viel stärker geschwächt hat als alles andere – Maries einer Schluck damals hatte schon deutliche Auswirkungen; was machen da erst zwei. Verdammte. Kanister?! – und außerdem: Welchen Schaden kann Colin mit dem Inhalt von zwei Kanistern Lebenswasser anrichten? Das bedeutet Jugend und Leben für viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende entweder für sich selbst oder auch für zahllose Menschen! Und ich schätze Colin für skrupellos genug ein, dass er sich einen Dreck um die moralischen Bedenken schert. Solche Fragen wie die Kleinigkeit, welchen Bösewichten er das Wasser überlässt.

Joseph Adlene ist schon mal einer davon, wie sich heute gezeigt hat – als ob wir noch einen weiteren Beweis dafür gebraucht hätten, nachdem Colin ja bereits mit dem Nekromanten weggesegelt war. In der Zeitung fand sich ein Nachruf auf Joseph Morris Adlene, der betrauert werde von seinem einzigen lebenden Verwandten, seinem Neffen Jonathan Adlene. Das Foto dieses „Jonathan“ war eindeutig Adlene selbst, Mitte 20, fit und munter, aber dennoch nicht sonderlich glücklich aussehend. Schlauer Trick, sich selbst zu seinem eigenen Erben zu machen... und ein weiterer Fehlschlag unsererseits. Jetzt ist er wieder jung und gesund, und er weiß, dass wir uns offen gegen ihn gestellt haben.

Und Lady Fire ist zwar jetzt eine Ausgestoßene, aber dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten, wen sie für dieses Ausgestoßensein wohl verantwortlich machen wird. Und als ob eine einzelne, ausgestoßene, mächtige Sommerfee nicht genug wäre, werde ich irgendwie den Verdacht nicht los, dass die ihres Amtes enthobenen Ritter sich nun um sie scharen werden. Denn mit denen war die Lady ja schon während des Turniers ein Herz und eine Seele.

Immerhin haben wir Jugend gerettet. Wir mussten Adlene dafür gehen lassen, und Edward hat die Aufmerksamkeit dieser Dämonin auf sich gezogen, und jede Hoffnung, die ich jemals darauf hatte, Lady Fire doch noch zu versöhnen, kann ich mir jetzt wohl ein für alle Mal abschminken, aber wir haben Jugend gerettet. Der immerhin sowas wie Edwards Bruder ist, wenn man sich es recht überlegt. Und wir haben Antoine freigesprochen bekommen. Aber trotzdem.

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Eben hat Yolanda angerufen. Sie will sich im Dora's mit mir treffen. Sie klang, als sei es wichtig.

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Gut, dass das Dora's der Treffpunkt war. Auf Yolandas Neuigkeiten brauchte ich nämlich erstmal einen Kaffee. Einen starken Kaffee.

Dreimal dürft ihr raten, wen Titania zu ihrer neuen Richterin gemacht hat. Aaaaaaaah!

'Landa nimmt das Ganze erstaunlich gelassen, dem Himmel sei Dank. Aber gut, sie hat ja schon damals bei der Sache mit dem cabrón Kontakt mit dem Übernatürlichen gehabt, auch wenn sie die ganze Episode danach völlig verdrängt hatte. Aber heute Nacht hatte sie einen Traum, in dem Titania sie mit dem Richteramt betraute, und beim Aufwachen fand sie die Halskette des Sommerrichters auf ihrem Nachttisch.

Kein Wunder, dass sie verwirrt war. Aber glücklicherweise erinnerte sie sich nach etwas Anstubsen doch wieder an ihre erste Begegnung mit der Sommerkönigin und nahm das neue Amt dann sogar mit amüsierter Neugier an. Nicht dass sie es hätte ändern können, sie hat den Job jetzt, und so leicht rauskommen wie Roberto wird sie da vermutlich nicht. Mierda! Meine kleine Schwester ist die Letzte, von der ich gewollt hätte, dass sie in den ganzen Feenmist mit reingezogen wird! Nicht, weil ich es ihr nicht zutraue, im Gegenteil, aber an meinen eigenen Erfahrungen der letzten Jahre gemessen, hätte ich ihr das verdammt nochmal lieber erspart.

Aber es half ja alles nichts. Sie hat den Job jetzt, also erklärte ich ihr in groben Grundzügen, was es damit auf sich hat und was für eine mierda gerade am Dampfen ist.

Anschließend rief ich Edward und Ms. Snow an, weil ich fand, 'Landa müsse die beiden anderen Richter auch so bald wie möglich kennenlernen. Die kamen also auch noch ins Dora's, und wir hielten Kriegsrat.
Ich wollte mich gerade höflich zurückziehen, weil ich ja nicht zu den Richtern gehöre, da klingelte mein Handy. Es war die Nymphe, Saltanda, die mir fröhlich erklärte, Pan habe gesagt, sie solle mir ausrichten, ich solle jetzt der Verteidiger sein.

Wirklich überrascht war ich nicht, denn ich hätte ja damit rechnen können; Colin war es ja zuvor auch schon gewesen. Überrascht also nicht, aber etwas überrumpelt, also dachte ich nicht nach, und es geschah völlig aus Reflex, dass ich Saltanda für die Nachricht dankte.
Und dann, beim Auflegen, hörte, wie Saltanda fröhlich zwitscherte: „Yay! Er hat Danke gesagt! Dann war es also ein Gefallen!“

Mierda! Wann lernst du es endlich, Alcazár! Ich knirschte mit den Zähnen, gab einen frustrierten Aufschrei von mir und hieb mit der flachen Hand auf die Tischplatte, ehe ich aufsprang und mehrmals mit dem Kopf gegen die Wand hinter unserer Sitznische hämmerte. Nicht so fest, dass ich mir wehgetan hätte, ganz so neben mir war ich dann doch nicht. Aber es war Ausraster genug, dass meine drei Gesprächspartner mich ziemlich entgeistert anstarrten, als ich mich mit einem verlegenen Räusperer wieder hinsetzte. Und bemerkte, dass meine Handfläche auf dem Tisch einen leicht angesengten Umriss hinterlassen hatte, ungefähr so wie ein Bügeleisen, das zu lange mit der heißen Platte auf der Unterlage gestanden hat.

Ich murmelte eine Entschuldigung und versuchte den Ansatz einer Erklärung, gab es aber ziemlich bald auf, weil alles, was ich sagen konnte, einfach nur albern geklungen hätte. Vor allem gegenüber meiner Schwester und der mir ja beinahe völlig fremden Winterrichterin. Irgendwann in einer ruhigen Minute muss ich aber dringend nochmal mit Edward reden. Ich bin es nicht gewohnt, so... so wütend zu werden. Zumindest nicht, ohne beeinflusst worden zu sein, so wie letztes Jahr am Crater Lake. Wobei... oh mierda. Vielleicht war es ja auch diesmal eine Art Einfluss. Das Amt des Ersten Ritters macht irgendwas mit mir. Nicht mal unbedingt auf magischem Wege, auch wenn ich mir das durchaus vorstellen könnte. Aber allein die Tatsache, dass ich diesen Job jetzt habe und mit mir darüber ins Reine kommen muss. Denn in der Hitze des Gefechts auf der Insel habe ich diesmal völlig vergessen, mein Ritteramt zeitlich zu begrenzen. Ich habe Pan gegenüber zugesagt, das Schwert anzunehmen, und zwar ohne Wenn und ohne Aber und ohne Bedingung. AAAAH! Mierda! Doppelte und dreifache mierda!

Dort im Dora's jedenfalls muss ich wohl ziemlich bedröppelt dreingeschaut haben, als ich mich wieder hinsetzte, oder mein Ausbruch erschreckender gewesen sein, als ich dachte, denn mit einem Mal stellte Dora unaufgefordert und mit den Worten „hier, auf's Haus“ einen Cupcake vor mich hin.
Es war letzteres, musste ich dann feststellen, denn etwa zwanzig Minuten später kreuzte Roberto auf, den Dora – die uns inzwischen ja alle kennt und seit unserer Spende zum Wiederaufbau des Lokals auch unsere Nummern hat – angerufen hatte, weil einer seiner Freunde sich so komisch benehme und beruhigt werden müsse. Roberto dachte natürlich erst mal, Edward sei gemeint, und war etwas überrascht, dass der Ausraster auf meine Kappe ging. Mehr Peinlichkeit. Grrrr.

Zum Glück lenkte Edward uns mit der schlauen Idee ab, dass wir Hurricane doch auch noch zu dem Treffen dazu holen könnten, wenn wir schon mal alle hier wären. Zusammen mit dem Ankläger sprachen wir den Fall durch. Dummerweise lag die Beweislage ziemlich eindeutig gegen Sergeant Book, daran konnte ich als Verteidiger so ziemlich gar nichts ändern, auch wenn ich diverse mildernde Umstände anführen konnte. Hurricane machte deutlich, dass ihm vor allem wichtig sei, dass der Kobold nicht völlig unbehelligt davonkomme, und so kamen wir schließlich zu einer Einigung.

Die Verhandlung selbst soll – ein Vorschlag von Yolanda – morgen Abend in einem der Hörsäle an der Uni stattfinden.

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Eben heimgekommen. So richtig müde bin ich noch nicht, außerdem gibt es Dinge zu berichten.

Die Verhandlung ging exakt so aus, wie wir das bei unserem Treffen im Dora's bereits ausgemacht hatten: Der Fall wurde für die neue Richterin des Sommers noch einmal dargelegt. Hurricane führte die belastenden Fakten an, ich nannte die mildernden Umstände. Zeugen wurden keine groß aufgerufen. Die Richter gingen und berieten sich und befanden Sergeant Book in ihrem Urteil dann für schuldig. Daher verhängten sie das Strafmaß, dass der Wyldfae seine Kraft an die Insel der Jugend binden müsse, um diese zu stärken und die erlittene Schwächung wenigstens zum Teil wieder auzugleichen. Außerdem wurde er verpflichtet, von nun an höchstselbst und in Person auf der Insel über diese zu wachen.

Sergeant Book blickte ernst, aber gefasst drein und quittierte das Urteil mit den Worten „das ist fair.“ Dann nahm er, ehe er von je zwei Vertretern des Sommers, des Winters und des Wyld aus dem Saal geführt wurde, noch einmal Edward beiseite. Er erklärte unseren Freund zu seinem Nachfolger als Leiter des SID Miami und deutete auf eine Gruppe von Gnomen, die uns bereits aufgefallen war, weil wir die hier in der Stadt noch nie gesehen hatten und keine Ahnung hatten, wo die plötzlich herkamen und warum sie heute abend hier bei der Gerichtsverhandlung aufgetaucht waren.

Das seien Winterfeen, erklärte Sergeant Book, Frostgnome, und Edward solle bloß ein Auge auf die haben, die klauten wie die Raben. Warum die jetzt plötzlich hier seien? Naja, der Sommer habe in Miami durch die ganze Sache jetzt eine empfindliche Schwächung erlitten, da sei es eigentlich kein Wunder, dass Elemente des Winters sich jetzt hier einnisteten. „Na ganz toll“, knurrte Edward, aber so richtig von Herzen kam sein Gebrumm nicht. Ich glaube, er war etwas überwältigt von der Tatsache, dass Book ihn gerade zu seinem Nachfolger gemacht hatte.

Als die Verhandlung offiziell geschlossen war, klatschte Pan in die Hände: „Zeit für eine Party!“
Roberto kam nicht mit. Der hatte offensichtlich das Bedürfnis, sich nach seiner Entscheidung für Oshun etwas vom Sommerhof fernzuhalten. Was ich ihm absolut nicht verdenken kann. Ich wünschte, ich hätte mich auch absetzen können.

Aber das ging natürlich nicht. Denn da war ja noch die Formalität des Rittereides, den es abzulegen galt, was ich mit ziemlichen Bauchschmerzen hinter mich brachte. Aber immerhin gelang es mir, Pan in diesem Zusammenhang halbwegs ernsthaft und nüchtern zu erwischen und nochmal in Ruhe mit ihm zu reden.

Er freute sich sichtlich, nach all seinem Pech mit den letzten drei Rittern „endlich mal einen kompetenten“ gefunden zu haben, was mir die Sache natürlich nicht gerade leichter machte. Ich nannte ihm aber meine Bedenken, und wir einigten uns darauf, dass ich das Ritteramt so lange nach bestem Wissen und Gewissen ausführen werde, bis ich einen würdigen Ersatz gefunden habe, der dafür mindestens ebenso gut, wenn nicht besser, geeignet ist als ich. Denn so jemanden wie Colin will ich Pan keinesfalls nochmals aufdrücken – mir ist nur allzu bewusst, dass ich schuld daran bin, dass der Sommerherzog wegen meines Wunsches, bloß schnell wieder aus dem Job rauszukommen, einen derart ungeeigneten Ritter bekommen hat. Glaubt nur nicht, dass ich das nicht weiß, Römer und Patrioten!

Langer Rede kurzer Sinn: Bis auf Weiteres habe ich den verdammten Job. Ich will ihn eigentlich nicht haben, aber jetzt, wo ich ihn habe, werde ich auch mein Bestes tun, ihn gut auszufüllen. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf: Irgendwo muss einfach jemand existieren, der für die Aufgabe ideal geeignet ist.

In dem Gespräch mit Pan führte ich auch an, dass der Sommerhof von Miami ja nun außer Sir Anders über keinerlei Feenritter mehr verfüge, dass der Winter diese Schwächung als Chance für einen Versuch ansehen könnte, mehr Einfluss in der Stadt zu gewinnen, und dass es vielleicht angeraten wäre, sich mit neuen Rittern zu verstärken. Ausgezeichnete Idee, erwiderte Pan, kümmere dich darum! Haha. A-hahaha! Sagte ich bereits, dass ich diesen Job nicht haben will?

Meine Gefallensschulden bei Saltanda habe ich übrigens auch noch bezahlt. Indem ich mit ihr tanzte, wohlgemerkt, ehe hier falsche Ideen aufkommen! Das arme Mädchen war sichtlich enttäuscht und schien sich zu fragen, was mit ihr nicht stimmt, dass ich nicht noch ein paar unkomplizierte Stunden mit ihr verbringen wollte. Aber genau das ist es ja gerade. Ich weiß, für sie wäre es vollkommen unkompliziert und der absolute Inbegriff von „no strings attached“, aber für mich hängt zu viel daran. Zu viel Erinnerung an diesen einen Fehler. Von dem ich ja sogar weiß, dass er natürlich nur der direkte Auslöser, nicht die eigentliche Ursache war. Aber trotzdem. Es ging einfach nicht.

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Die Neuigkeit des Tages: Edwards Beförderung ist durch!

Sergeant Book hatte wohl offensichtlich schon damit gerechnet, dass das Verfahren nicht mit einem Freispruch für ihn enden würde, denn er hatte bei der Polizei ein Schreiben hinterlassen, mit dem er seinen Posten dort unter Angabe von Burnout als Grund für den Rücktritt offiziell niederlegte. In dem Schreiben empfahl er Edward als seinen Nachfolger, und angesichts von Books Verdiensten um das Department in den letzten Jahren konnte man sich weiter oben dieser Empfehlung wohl nicht widersetzen.

Also ist Edward seit heute offiziell Leiter des SID Miami, was mit einer kräftigen Gehaltserhöhung und einer Beförderung zum Lieutenant einhergeht. (Book hätte der Rang des Lieutenant wohl ebenfalls zugestanden, aber der alte Kobold hat sich anscheinend immer geweigert. Und die Stadt hat sich natürlich gehütet, ihn zu etwas zu zwingen, was höhere Ausgaben im städtischen Haushalt bedeutet hätte.)

Oh, und ich habe Eileen Fabray kontaktiert. Die ehemalige Erste Ritterin hatte ich ja damals bei der Sache mit dem cabrón schon kennengelernt, und gestern habe ich einfach mal bei ihr angerufen. Von ihr weiß ich immerhin, dass sie etliche Jahre lang eine gute Ritterin war, und ich habe sie unumwunden um Rat und Hilfe gebeten. Am Wochenende wollen wir uns treffen.

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Aaaaah! Sagte ich schon, dass ich diesen elenden Job nicht haben will?

Das Treffen mit Eileen war sehr nett und die alte Dame echt hilfreich. Wir haben uns lange unterhalten, über die Ritterpflichten und -aufgaben und wie man Pan im Zaum hält (Eileens guter Tip: ein für alle Mal klarstellen, dass man nicht mit ihm schlafen wird, sonst kommt er garantiert auf die Idee, das gehöre zum Stellenprofil. Nicht, dass das für mich ein großes Problem werden wird, ich fühle mich für gewöhnlich nur von Frauen angezogen, aber gut zu wissen.)

Eileen hat mich auch dahingehend beruhigt, dass man als Erster Ritter nicht ständig um Pan herumscharwenzeln und sich dauernd in seinem Palast aufhalten muss, sondern durchaus sein eigenes Leben führen kann. Natürlich gibt es bestimmte Tage und Zeiten – der Spring Break zum Beispiel –, an denen man als Ritter definitiv für den Sommer unterwegs sein wird und sich nicht um seine Familie kümmern kann... aber das war ja in den letzten vier Jahren ohne das Ritteramt auch nicht groß anders.

Außerdem hat Eileen sich bereiterklärt, mir ein wenig Unterricht im Schwertkampf zu geben. Ja, sie ist Mitte sechzig und nicht mehr so schnell auf den Füßen, wie sie es zu ihren Ritterzeiten war, aber um mir Kacknoob, um mal in Gamersprache zu reden, die Grundlagen beizubringen, wird es schon noch reichen. Die erste Stunde jedenfalls war schon mal sehr nützlich – wenn auch anstrengend. Ich halte mich ja eigentlich nicht für vollkommen unsportlich, aber das war doch nochmal was ganz anderes. Aber es hat auch Spaß gemacht, und ich freue mich schon auf die nächste Lektion.

Aber – und das ist der Grund für den frustrierten Aufschrei im ersten Satz – Eileen hat mich auch an etwas erinnert, an das ich eigentlich von selbst hätte denken müssen, das ich aber bislang erfolgreich verdrängt hatte.

Padre en el cielo, ayudame, zur Sommersonnenwende ist ja wieder das Ritual fällig, mit dem die jährlichen Opfer an das Coral Castle gebunden werden. Und natürlich ist der Erste Ritter dafür verantwortlich, die Opfer zu beschaffen. Nein, verdammt! Ich werde nicht, wiederhole nicht!, Teil eines solchen geplanten Mordes werden, auch wenn Eileen sagte, dass es ganz, ganz üble Konsequenzen habe, wenn das Ritual ausfalle. Sie habe sich nämlich anfangs auch geweigert, und das Ergebnis sei... sie wollte nicht aussprechen, was genau das Ergebnis war. Aber egal. Nein. Nein, nein, nein!

Ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht darin, dass Eileen erklärte, wenn man Freiwillige fände, die sich in vollem Wissen und Bewusstsein auf dieses Schicksal einließen, dann „halte“ das Ritual für die nächsten sieben Jahre, und nicht nur für ein Jahr, wie das bei unfreiwilligen Opfern der Fall ist. Bitte, bitte, bitte, santísima Madre, hilf mir dabei, Freiwillige zu finden. Sonst... sonst muss ich irgendwie aus diesem Amt raus, ehe ich es wirklich angetreten habe. Aaaaaaaaah!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 4.11.2015 | 20:46
Aaaaaaah!  >;D
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 5.11.2015 | 13:47
Jahaa. :D Ein gewöhnliches "Mierda" schien mir in diesem Falle einfach etwas unter-angemessen. :P
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 5.11.2015 | 15:30
Hier erstmal ein wenig "Zwischengeplänkel", ehe es mit dem eigentlichen "Side Job" losgeht.

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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 1

07. April. Das war ein grüblerisches Ostern diesmal.

Ich bin zu den Jungs mit dem Problem. Natürlich bin ich zu den Jungs mit dem Problem; alleine schaffe ich das nicht. Und, bless them, sie haben versprochen, dass sie darüber nachdenken werden, ob sie nicht vielleicht den einen oder anderen passenden Kandidaten kennen, den man mal vorsichtig ansprechen könnte.

Außerdem war ich beim Coral Castle – wohlweislich ohne Totilas – und sprach mit den Guardians. Die gepanzerten Geister versicherten mir, dass es durchaus über die Jahrhunderte etliche Freiwillige in ihren Reihen gegeben habe und dass ein solches freiwilliges Opfer die Wirksamkeit des Rituals tatsächlich auf 7 Jahre ausdehnte. Nicht, dass ich Eileen nicht geglaubt hätte, aber das von den Guardians selbst zu hören, war mir doch auch enorm wichtig.

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09. April

Mir ist jemand eingefallen, cielo perdoname.

Ich stehe seit einiger Zeit in lockerem Kontakt mit einem jungen Mann. Wobei der so jung eigentlich gar nicht mehr ist, wenn man es genau nimmt. Anfang, Mitte Dreißig vielleicht, so ungefähr mein eigenes Alter. Ein bisschen älter.
Kennengelernt habe ich ihn über ein Forum, wo er unter dem Nickname „Megafan37“ postete und sich tatsächlich als überaus interessiert an und sachkundig in bezug auf meine Bücher herausstellte. Irgendwann, nachdem er mitbekommen hatte, dass der Autor der Eric-Albarn-Romane selbst in dem Forum mitpostete, kamen wir ins Gespräch – erst in den Threads selbst, dann per privater Nachricht. Und so pflegen wir seit einer ganzen Weile eine lockere, freundliche Korrespondenz, inzwischen auch per echter Briefpost.

Duane heißt dieser Brieffreund, und der arme Kerl hat es im Leben ziemlich übel getroffen. Ich will jetzt nicht sagen, dass meine Bücher das einzige sind, das ihn aufrecht erhält, das wäre gar zu pathetisch, aber er ist schwer krank und Lesen ganz allgemein eine der wenigen Vergnügungen, die er hat. Dass die Eric-Albarn-Reihe zu seinen absoluten Lieblingsbüchern gehört, war mir anfangs beinahe ein wenig peinlich, freut mich aber natürlich sehr.

Jedenfalls. Duane. Ich traue mich kaum, den Gedanken zuende zu denken, denn auch wenn er schon öfter gesagt hat, dass er eigentlich nicht mehr leben möchte, dass er sogar schon erste Erkundigungen eingezogen hat, wie das in Belgien oder der Schweiz mit entsprechenden Programmen zum begleiteten Sterben aussieht, wäre es doch etwas ganz anderes, wenn so ein Vorschlag von mir kommt.

Ich meine, auch wenn Duane in unserer Korrespondenz trotz seines Forums-Nickname jetzt nicht gerade den Eindruck des durchgeknallten Fans à la Misery auf mich macht, kann ich doch nicht ganz ausschließen, dass er nicht in einem Anfall von für-meinen-Lieblingsautor-würde-ich-alles-tun eine Schnellschussentscheidung treffen würde.

Oh, Madre. Ich werde ihn ansprechen, natürlich werde ich das, er ist – cielo, wie das klingt – im Prinzip ein idealer Kandidat, aber... puh.

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10. April

Ich werde Duane treffen. Wir haben vorhin telefoniert. Er selbst kann nur schwer reisen, aber dann fahre ich eben zu ihm nach Virginia. Das ist nichts, was man einfach mal so schnell über das Internet – oder auch über einen geschriebenen Brief – klärt. Und auch nichts, was man einfach mal so über das Knie bricht. Bis Mittsommer ist, dem Himmel sei Dank, ja noch über zwei Monate Zeit.

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13. April

Puh. Ich weiß echt nicht, was ich ohne die Jungs machen würde. Die haben nämlich auch passende Kandidaten gefunden.

Alex kennt einen traumatisierten Veteranen des Irak-Kriegs, der nach eigener Aussage glaubt, nicht mehr lange durchhalten zu können, bis er austickt und Amok läuft oder „Suicide by Cop“ begeht, wie Steve McNeill es damals vorhatte. Alex hat den Mann angesprochen, und der klang geradezu dankbar dafür, seinem Land noch einen letzten Dienst erweisen zu können.

Eine alte Dame aus Robertos Bekanntschaft, die nie verheiratet war, keine Kinder hat und der im Leben nicht mehr viel geblieben ist, außer im Seniorenzentrum an den wöchentlichen Bingo-Abenden teilzunehmen, äußerte sich ganz ähnlich, wenn auch nicht in ganz so patriotischer Ausdrucksweise.

Und Totilas weiß um eine junge Frau, die dem White Court seit einigen Jahren als Futter dient. Sie ist noch im Besitz ihrer geistigen Kräfte, ist noch nicht so willenlos, dass ihr völlig egal ist, was mit ihr passiert, aber sie weiß, dass es irgendwann soweit kommen wird. Vor einiger Zeit hatte sie die Entourage der Raith‘ mal für eine Weile verlassen, sich selbst auf Entzug gesetzt, sozusagen, aber auch wenn Gerald Raith niemanden zwingt, kam sie doch von selbst zurück, weil sie es ohne die Zuwendungen des White Court nicht aushielt. Und hasst sich selbst dafür und für ihre Schwäche.

Mit dieser Jenny werde aber ich selbst sprechen, nicht Totilas. Es hätte zu sehr den Geschmack von White Court-Überredung, wenn der Anstoß von einem Raith käme.

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19. April

Ich bin aus Virginia zurück. Ich bin zu geschlaucht für einen langen Eintrag; nur so viel: Duane hat sich einverstanden erklärt. Er wird seine Angelegenheiten regeln und einige Tage vor Mittsommer nach Miami kommen. Vielleicht fahre ich auch nochmal hin und hole ihn ab, damit er Gesellschaft hat.

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22. Juni. 03:43 Uhr.

Es ist getan.
Und dass ich jetzt 30 Jahre alt bin, ist mir um Mitternacht zwar kurz durch den Kopf geflogen, war mir aber da – und ist es mir immer noch – gerade mal sowas von vollkommen egal.

Natürlich musste ich als Pans Erster Ritter beim Ritual der Elemente anwesend sein. Es gibt nicht viel, das ich weniger gern getan hätte, aber ich war es nicht nur meiner Ritterspflicht, sondern vor allem mir selbst schuldig. Wie hätte ich je wieder in den Spiegel schauen können, wenn ich diese vier Menschen, die sich auf meine Bitte hin freien Willens in den Tod begeben, nicht auf eben diesem Weg begleitet hätte?

Es war – vielleicht, weil es sich diesmal um Freiwillige handelte und nicht um Mordopfer – erstaunlich würdevoll. Das machte das Ganze nicht viel besser, aber ein klein wenig wohl doch, zumindest, wenn ich mir überlege, wie das die letzten Jahre ausgesehen haben muss. Was ich nach Kräften vermeide. Darüber nachdenken, wie es die letzten Jahre ausgesehen haben muss, meine ich.

Bin ich ein Weichei, wenn ich gestehe, dass ich einen Kloß im Hals hatte und die Sicht vor meinen Augen verdächtig verschwamm? Vermutlich. Aber auch das ist mir gerade ziemlich egal.

Das einzig Gute an der ganzen Sache ist, dass alle vier fest in ihrem Entschluss blieben und das Opfer tatsächlich vollkommen freiwillig erbrachten. Und das wiederum heißt, dass das Coral Castle jetzt tatsächlich für die nächsten sieben Jahre keine weiteren Guardians benötigen wird. Zumindest nicht vom Sommer. Was den Winter angeht…  Oh, Dios, perdoname. Auf Seiten des Winters wird die Praxis mit den Zwangsopfern vermutlich unverändert so weitergehen. Es sei denn… es sei denn, es gelingt mir, die Winterritterin zu kontaktieren und sie dazu zu bringen, dass sie für das Winterritual ebenfalls  Freiwillige sucht.

Ich habe das dringende Bedürfnis, zur Beichte zu gehen. Denn Freiwillige hin oder her, ich habe Menschen in den Tod geschickt, und das lastet auf mir. Aber ich weiß nicht so recht, zu wem. Vor dem Spring Break hätte ich sofort gesagt, Pater Donovan, aber seit wir den Verdacht haben, dass er vielleicht der Mittelsmann zwischen Colin und dem Red Court gewesen sein könnte, und seit Jeff sagte, dass er den Pater von irgendwoher kennt und er ihm unheimlich ist, bin ich dem Priester über nicht mehr so unvoreingenommen eingestellt, wie ich das vorher war.

Vielleicht tue ich ihm unrecht. Ich hoffe sehr, ich irre mich. Vielleicht sollte ich einfach wirklich die Gelegenheit ergreifen, mal mit ihm zu reden. Oder tatsächlich zu beichten. Dass das Sommerritual stattgefunden hat, dürfte er mit seinen Kontakten zum Paranormalen so oder so wissen, und selbst wenn er nicht zu den Guten gehören sollte, kann ich ihm damit eigentlich nichts Wesentliches verraten. Dieses Misstrauen tut mir in der Seele weh. Er ist ein Priester, ein Mann des HErrn; ihm gegenüber misstrauisch zu sein, fühlt sich einfach so falsch an.

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22. Juni, abends.

Die Jungs waren da, um mir zu gratulieren. Und sie haben mich schon vorgewarnt, dass ich zu meinem Dreißigsten nicht ohne Party davonkommen werde. Ich hingegen habe zurückgewarnt, dass ich zwar momentan gerade nicht in Feierstimmung bin, dass sich das bis nächsten Samstag aber hoffentlich geändert haben wird – solange sie nicht auf die Idee kommen, mich in irgendwelche Szeneclubs schleppen zu wollen, jedenfalls. Auf Paparazzi oder ähnliche Begegnungen dieser Art kann ich nämlich herzlich gerne verzichten.

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27. Juni

Keine Szeneclubs, keine Paparazzi. Stattdessen haben wir bei mir zuhause gefeiert. Und das war einfach rundum nett und harmonisch und vollkommen harmlos – vielleicht, weil Mittsommer jetzt doch schon wieder einige Tage her ist. Die Jungs waren da. Alejandra und Yolanda, Mamá und Papá. Jack White Eagle. Ximena. Ximena brachte Monica mit, weil die ja auch Alejandras beste Freundin ist, und da deren Mutter ihr Töchterchen verständlicherweise nicht unbegleitet auf eine Erwachsenenfeier  lassen wollte, war diese ebenfalls eingeladen. Was bitteschön kein Date mit Mrs Salcedo darstellte, wohlgemerkt. Selbst wenn ich ein derart gelagertes Interesse an Lidia hätte, was ich nicht tue: Es war schon seltsam genug, bei der Gelegenheit Dee wiederzutreffen, die Roberto als sein Date mitgebracht hatte. Das gab mir nämlich, bei aller Geburtstags- und Feierlaune, dann irgendwie doch einen gehörigen Stich.

Ansonsten zu erwähnen wäre da allerdings vielleicht noch der kleine Zwischenfall mit den Kerzen auf der Geburtstagstorte, ähem.  Mamá und Papá hatten sich schon verabschiedet, und alle anderen Anwesenden wollten uuunbedingt, dass ich die zuvor bereits ausgeblasenen Kerzen jetzt mit meinen neuen Sommerkräften nochmal entzündete. Seufz. Na gut. Die sind zwar eigentlich nicht zum Spaß da, und eigentlich setze ich sie auch so wenig wie möglich – sprich im Alltag gar nicht – ein, aber, naja, es war an dem Abend schon ein wenig Bier geflossen. Ähem, ja.  Ximena, Alejandra und Monica fanden es jedenfalls toll, wie die Flammen auf einmal emporschossen.

Ich selbst ja nun weniger, aber da die Wohnung nicht abbrannte und alles schnell gelöscht war, sehe ich das jetzt einfach als etwas Lehrgeld in Sachen „nicht mit der Sommer-Power herumspielen, Alcazár“.

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30. Juni

Heute ist mir bei unserem wöchentlichen Spielabend etwas Seltsames untergekommen. Cole aus unserer Runde hatte ein neues Regelwerk dabei, das er sich vor ein paar Tagen gekauft hat, und von dem er sehr angetan ist. Es ist eines von diesen „Indie-Spielen“ aus kleinen, unabhängigen Verlagen und mit wenig oder alternativen Regeln im Vergleich mit den Schwergewichten wie Arcanos, das wir sonst immer spielen.

Faurelia“ hieß das Buch, das Cole dabeihatte, in der zweiten und verbesserten Edition, wie er sagte: Erweiterte Hintergrundbeschreibung, neue Nichtspielercharaktere, neues und hübscheres Artwork.

Bei dem Namen „Faurelia“ klingelten bei mir schon mal gleich sämtliche Glocken, und ich bat darum, mir das Buch etwas genauer ansehen zu dürfen. Und tatsächlich: Es handelt sich um genau das „Faurelia“, von dem ich damals geträumt habe und dessen Bewohnern wir im März erst im Nevernever begegnet sind. Und was das Aller-Interessanteste war: Eines der Bilder zeigte ein uns nur allzu bekanntes Segelschiff, und ein NSC in dem Buch hörte auf den Namen „Fritz von Wille“.

Ich glaube, jetzt wissen wir, wohin Vandermeers erster Maat sich damals abgesetzt hat… Die „Titania“ ist mit den Luftschiffen der Faurelier zurück in deren Traumwelt, und jetzt scheint er permanent dort festzusitzen. Was das für unseren holländischen Freund jetzt genau heißt, vermag ich nicht zu sagen.  Vielleicht ist der ja sogar froh darum, wenn er es erfährt – denn bescheid sagen will und werde ich ihm.

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02. Juli

Ich kann es ja nicht lassen. Ich bin heute tatsächlich hingegangen und habe mir so ein „Faurelia“-Regelwerk gekauft. Einmal, um es Hans zu zeigen, und einmal, weil es irgendwie ein schräges Andenken an die ganze Jugend-Geschichte ist.

Und ich habe in dem Forum, das der Autor hinten bei den „Inspirationen“ erwähnt hat, mal Kontakt mit dem Autor aufgenommen. Ich bin doch neugierig.

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06. Juli

Habe in dem Forum ein paar IMs mit dem Autor von „Faurelia“ ausgetauscht. Natürlich wollte bzw. konnte er nicht mehr sagen, wo genau er die Idee für das Spiel herhatte, aber als ich dann ein wenig nachhakte, kam doch heraus, dass unterem auch ein Traum die Basis für seine Ideen war – vor der ersten Edition bereits, und jetzt, kurz vor der Herausgabe der zweiten Edition, wieder. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte, aber nochmal diese Bestätigung zu bekommen, ist schon nicht schlecht.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 18.11.2015 | 11:42
Anbei das Ende des Zwischengeplänkels und der Anfang des echten Side Jobs.

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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 2

9. Juli

Heh. Edward hat ein Aufklärungsgespräch mit mir geführt. Nicht über die Bienchen und die Blümchen, logischerweise, sondern über die Gesetze der Magie. Nicht dass ich nicht schon mitbekommen hätte, worum es dabei geht, nachdem Edward sich darüber informiert hatte, aber jetzt, wo ich selbst plötzlich mit Magie um mich werfen kann, fand er es doch wichtig, mir nochmal ganz genau und eindrücklich klar zu machen, was die Gesetze der Magie sind und was ich um Himmels willen keinesfalls tun darf. Nicht nur, weil die Todesstrafe darauf steht. Sondern auch weil, wie ich ja am Crater Lake schmerzlich lernen musste, das Brechen der Gesetze einen selbst verändert und langsam aber sicher zu einem Monstrum werden lässt.


Wie dem auch sei. Edward konnte es gar nicht ernst genug darstellen, und ich glaube ihm jedes einzelne Wort. Ich weiß, wie wichtig das ist, und der Himmel stehe mir bei, dass ich nie eines dieser Gesetze breche, solange ich diese Magie in mir habe.

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10. Juli

Ich war bei Hurricane, nach Tanits Erster Ritterin fragen. Der gab sich ziemlich einsilbig, wollte mir nicht mal sagen, wie die Dame heißt. Immerhin versprach er mir, er werde ihr ausrichten, dass ich nach ihr gefragt habe, wenn er sie mal wieder sehen sollte. Wann auch immer das ist. Mierda.

An Pans Hof wussten sie naturgemäß auch nicht viel über mein Pendant auf Winterseiten. Der Herzog selbst fand die Ritterin vollkommen uninteressant – sie hatte offensichtlich nicht mit ihm feiern wollen –, aber Sir Anders wusste immerhin mal ihren Namen. Yahaira Montero. Schon mal etwas.

Puh. Jetzt heißt es warten und hoffen, dass Ms. Montero Hurricane irgendwann in nächster Zeit über den Weg läuft.
Das, oder... Hm. Ich könnte ihr auch schreiben. Genau. Das mache ich.

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11. Juli

Ich habe Hurricane nochmal kontaktiert und ihm den Brief an Ms. Montero übergeben. Er sagte, er werde ihn ihr zukommen lassen. Mehr kann ich nicht verlangen. Mal sehen, wann sie sich meldet.

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28. Juli

Ich bin mit Totem Rise ein gutes Stück weitergekommen. Nicht nur habe ich mich endlich auf den Titel festgelegt, sondern ich habe in letzter Zeit etliche Kapitel geschafft. Wenn es in dem Tempo weitergeht, dann steht bald die erste Rohfassung, und ich kann ans Überarbeiten gehen.

Alejandra ist auch schon ganz aufgeregt. Ein Monat noch, dann kommt sie in die Schule! Da muss ich auch noch diverse Vorbereitungen tr--

Es klopft. Am Fenster? Ich wohne im dritten Stock!

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Es war unser missgelaunter Freund, der Sturmvogel von der Insel. Wenn ich Yahaira sprechen wolle, solle ich meinen müden Arsch, äh, meine müden Knochen bewegen und mitkommen. Bitte. Na das ließ ich mir doch nicht zweimal sagen.

Der Vogel führte mich zu einer Bushaltestelle in der Nähe, wo eine eher kleine, aber sehr kompakte, Latina von Anfang bis Mitte Vierzig auf mich wartete. Was denn so dringend sei. Ich schlug vor, das vielleicht irgendwo im Sitzen zu besprechen, aber das wollte sie nicht. Also gut. Dann halt direkt dort.

Zuerst stellte ich mich mal vor, auch wenn ich das in dem Brief schon getan hatte. Höflich ist höflich. Dann erklärte ich, dass es um das Ritual der Elemente gehe. Dass ich den Job ja erst seit ganz kurzer Zeit innehabe und erfahren hätte, dass Freiwillige das Ritual wirksamer machten. Dass ich wisse, dass es im Sommer zumindest unter meinen letzten beiden Vorgängern, vielleicht auch noch länger, nicht mit Freiwilligen durchgeführt worden sei. Und dass ich – hier drückte ich mich so vorsichtig und diplomatisch aus, wie ich nur überhaupt konnte – anregen wollte, dass der Winter eventuell vielleicht auch an Freiwillige denken könne... falls das im Winter nicht ohnehin schon längst gängige Praxis sei.

Dummerweise brachte die vorsichtige Ausdrucksweise nicht sonderlich viel. Ms. Montero bügelte mich sehr brüsk und sehr ungeduldig ab, dass der Winter sich schon um sein Ritual kümmere. Das „herzlichen Dank“ musste sie nicht dazusagen, das wurde auch so deutlich. Ebenso wie klar erkennbare Unterton: Halt dich da raus, Sommertrottel. Sommertrottel, der noch völlig grün hinter den Ohren ist, dazu.

Oha. Mit Skepsis hatte ich ja gerechnet, aber, wenn ich ehrlich bin, nicht mit ganz so viel offener Verachtung. Mierda.

Irgendwie gelang es mir dann aber doch, sie ein wenig milder zu stimmen. Das brachte sie dann dazu, dass sie mir etwas freundlicher erklärte, dass sie nicht aus dem Winter-Nähkästchen plaudern könne und wolle, was irgendwelche Rituale angehe, weil, naja. Sie Winter. Ich Sommer. Verfeindete Höfe und so.

Gegen diese Argumentation konnte ich natürlich nichts einwenden – außer eben, diesen ganzen Ritterblödsinn mal beiseite zu lassen. Dass mir nichts ferner liege, als dem Winter aufdrücken zu wollen, wie er seine Rituale durchzuführen habe. Aber dass mir, Ricardo, dem Menschen, nicht dem Sommerritter, die ganze Sache ziemlich am Herzen liege und ziemlich an mir nage.

Das brachte sie zum Nachdenken. Allerdings hatte ich das Gefühl, sie muss erst einmal überlegen, was ich überhaupt damit meine. Dann tätschelte sie mir aufmunternd den Oberarm und meinte, ich werde mich schon noch daran gewöhnen. Aber dass ich mir so als Mensch keine Sorgen machen müsse. Was auch immer sie genau damit meinte.

Als ich sie das fragte, zuckte Ms. Montero nur mit den Schultern und sagte nichts weiter. Ich konnte mich nur irgendwie des Gefühls nicht erwehren, dass sie in mir irgendwie etwas sah, das sie an sich selbst erinnerte, wie sie früher war. Dass sie mich – und sich selbst – vor etwas schützen wollte. Und mich in bezug auf meine Sorge beruhigen.

Es blieb mir in dem Moment nicht viel anderes übrig, als höflich zu nicken, ihr für das Gespräch zu danken und es ansonsten dabei zu belassen. Und ich fügte noch hinzu, dass es mich gefreut habe, sie kennenzulernen, Feinde oder nicht.

Ms. Montero nickte höflich zurück und erklärte kühl, dass sie hoffe, wir würden uns so schnell nicht wieder begegnen. Aber immerhin, setzte sie nach kurzem Zögern dann noch hinzu, besser ich als der andere. Woraufhin ich mir dann doch die Frage nicht verkneifen konnte, ob sie mit meinem Vorgänger, meinen Vorgängern, viel zu tun gehabt habe.

Das würdigte sie aber keiner expliziten Antwort. Sie schnaubte nur verächtlich, sprang auf den Rücken des Sturmvogels  (¿Como demonios? Der war doch bis zu dem Moment noch klein genug gewesen, um auf ihrer Schulter zu sitzen!) und flog mit ihm davon.

Und ich konnte ihr nur nachdenklich hinterhersehen, ehe ich schließlich wieder nach Hause ging, um das alles aufzuschreiben. Und nachzudenken.

Mierda. Elendes Fehlen von Klartext! Ich will ja gern glauben, dass Ms. Montero mir auf ihre Weise zu verstehen geben wollte, dass der Winter schon längst Freiwillige für das Ritual rekrutiert. Aber kann ich das? Oder ist das nur wieder Alcazár'sche Naivität?

Ich habe da ja noch diesen Gefallen bei Tanit offen, ist mir eingefallen. Den könnte ich einfordern.

Aber Tatsache ist, ich mochte Yahaira irgendwie, Winter hin oder her. Ich würde ungern... naja. Ungern hinten rum an Tanit gehen und Ms Montero über die Herzogin etwas aufzwingen. Zu weich, Alcazár? Vielleicht. Aber der Gedanke widerstrebt mir wirklich. Und Yahaira hat versucht, mich zu beruhigen, so gut sie konnte, ohne irgendwelche Interna auszuplaudern.

Ah, Mierda. Vielleicht werde ich einfach mal mit den Jungs über das Dilemma reden.

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20. August

Heute haben wir uns im Dora's zum Brunch getroffen, wie wir das gerne mal machen. Oder besser, wir hatten es vor.

Glücklicherweise waren wir schon so gut wie fertig mit dem Essen und saßen nur noch bei Kaffee zusammen, als Alex einen Anruf von Oliver Feinstein aus dem Behind the Cover bekam. Der Troll, der damals – hach ja. Damals. Damals, als alles überhaupt erst anfing, als Ricardo Esteban Alcazár noch fast überhaupt keine Verbindungen zum Paranormalen hatte, von irgendwelchen Ritterjobs ganz zu schweigen – der damals also mit dem Jungen das Buch gestohlen habe, dieser Troll jedenfalls sei eben wieder in den Laden gekommen, habe sich erneut ein Buch geschnappt, diesmal aber Oliver zugerufen, er müsse sich das mal ausleihen, ehe er, offensichtlich in Eile, wieder zur Tür hinausstürmte. Wir hätten den doch damals auch ausfindig gemacht. Ob wir uns da nicht mal drum kümmern könnten?

Heh. Na das würde diesmal leichter sein als bei unserem ersten Fall, da wir ja inzwischen näheren Kontakt zu Bob haben.

Ein Anruf in der Kommune brachte uns ein Telefonat mit einer ziemlich zerstreut klingenden jungen Dame ein, die uns sagte, Bob sei unterwegs, die Sachen für die Hochzeit besorgen. Die Hochzeit? Welche Hochzeit? Was für Sachen?

Na Bobs Hochzeit mit Joelle, war ihre fröhliche Antwort. Ob denn die Einladungen nicht angekommen seien? Sie hätte Umschläge mit unseren Namen darauf gesehen... Nein? Oh. Das war dann wohl das Nusseis.

Ach ja. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass wir das Mädchen tatsächlich flüchtig kennen. Sie ist das Wereichhörnchen, das wir bereits bei unserem allerersten Besuch in der Kommune damals trafen und das auf den Spitznamen 'Scarlet' hört. Genau. Scarlet wie das Eichhornmädchen in diesem genialen Webcomic von diesem britischen Zeichner. Denn sie ist ähnlich verpeilt wie die Scarlet aus den Comics.

Statt den kleinen Wirrkopf zu fragen, was sie damit genau meinte, ließen wir sie lieber Jack ans Telefon holen. Der bestätigte uns, dass Bob tatsächlich in vier Tagen heiraten will und losgezogen sei, um ein paar Dinge zu besorgen.

Autsch. Das erklärte den Anruf aus dem Buchladen. Und das erklärte die anderen drei Anrufe, die wir in kurzer Reihenfolge noch erhielten:

Hilary Elfenbein bei Totilas. Da sei so ein großer Kerl ins Fontainebleu gestürmt gekommen, habe sich eine Topfpflanze von der Deko geschnappt, dabei Vin Raith in den Pool geworfen, und sei wieder verschwunden.
Macaria Grijalva bei Roberto. Ein grobschlächtiger Typ habe einfach einen Tisch aus dem Coral Castle weggeschleppt.
Und schließlich ein sehr kleinlauter Bob bei Edward. „Die haben gesagt, ich hätte einen Anruf frei. Da hab' ich gedacht, ich rufe bei dir an.“

Na yay.

Mit einem Umweg über das Behind the Cover, um Oliver das Buch, das Bob „ausgeliehen“ hatte, regulär abzukaufen, holten wir, oder besser, holte Edward, also unseren Trollfreund gegen Kaution aus dem Gefängnis.
Er habe auf's Gericht gewollt, erzählte Bob dann, um die Heiratserlaubnis zu besorgen. Sein Pass – ein norwegischer übrigens – war aber abgelaufen, und dann hätten sie gesagt, er brauche eine „Green Card“. Na gut, wenn sie partout eine sehen wollten, hatte er eben eine grüne Uno-Karte besorgt. Worauf die Leute beim Gericht etwas ärgerlich geworden seien, ob er sie veräppeln wolle, worauf hin er etwas ärgerlich geworden sei, denn die hätten doch diese grüne Karte verlangt, und dann, ähm ja. Dann sei er auf der Polizeistation gelandet.

Was um Himmels willen das gesollt habe, wollten wir wissen. Na er habe diesem Menschenbrauch folgen wollen, weil Joelle ja ein Mensch sei. Also habe er sich etwas ausgeliehen und etwas Altes, etwas Neues und etwas Blaues besorgt.

Wir erklärten Bob also erstmal die Menschenregeln etwas genauer – dass man nämlich nicht einfach so in einen Laden marschieren kann und dann sagen, man leihe sich etwas aus, das sei nämlich genauso Diebstahl wie alles andere. Und überhaupt geht es bei diesem Hochzeitsbrauch darum, dass die Braut die Dinge anhat, wie ein Strumpfband oder einen BH oder was auch immer! Und wolle Bob etwa, dass Joelle am Altar einen tonnenschweren Tisch mit sich herumschleppe?

Nein, druckste Bob, aber vielleicht könne der Tisch ja der Altar sein? Und überhaupt, er habe doch nur Joelle glücklich machen wollen; es sei doch seine Pflicht, Joelle glücklich zu machen! Ja, verdammt, aber das könne er nun mal nicht, wenn er in einem Menschengefängnis hinter Gittern sitze, hinter Gittern aus ekelhaftem Eisen, wohlgemerkt!

Okay. Das sah der Troll dann widerstrebend ein.

Naja. Dass die Topfpflanze das Blaue und der Tisch aus dem Coral Castle das Alte sein sollten, das hatten wir uns ja schon denken können. Aber was denn das Neue sei, das er sich beschafft habe? Ein Ei, erklärte Bob. Aus dem Nevernever. Da würde ein Pferd rauskommen. Joelle möge Pferde.

Das ließ uns wieder stutzen. Ein Pferd aus einem Ei? Wer habe ihm das denn gesagt? Na der alte Wegelagerer, der im Nevernever immer am Weg lagere und den man alles fragen könne. Aaaah. Ja klar.

Indessen waren wir an dem alten Lieferwagen der Kommune angekommen, mit dem Bob auf seine Besorgungstour gegangen war. Der Van hing hinten ziemlich herunter, eben wegen des schweren Steintischs aus dem Coral Castle. Auf dem Beifahrersitz fanden wir dann auch das Buch, die Pflanze und das angesprochene Ei. Das war grün, mit beige- und erdfarbenen und bläulichen Sprenkeln, und etwa so groß wie eine Mango. Es fühlte sich nass an, wenn man es berührte, das war es aber gar nicht. Bob habe es aus einem Nest im Sumpf, sagte er. Da hätten insgesamt drei Eier dringelegen, aber er habe ja nur eines gebraucht.

Jetzt, wo wir den Tisch im Auto sahen, wurde nur umso deutlicher, dass der nicht als „das Alte“ herhalten konnte. Der musste dringend zurück ins Coral Castle. Bob war schwer enttäuscht, sah es dann aber ein. „Vielleicht bringt meine Mama ja was mit“, meinte er hoffnungsvoll.

Warte. Seine Mama?!

Ja, seine Mama aus Norwegen, freute sich Bob. Die komme morgen mit dem Flugzeug an. Joelle wolle sie abholen fahren, habe sie versprochen. Ob Joelle denn Norwegisch könne? Nein, aber das werde schon irgendwie gehen. Ja klar. Alex erklärte sich also bereit, Bobs Verlobte zum Flughafen zu begleiten. Der kann zwar auch kein Norwegisch, aber bei dem lässt sich das wenigstens kurzfristig ändern.

Während Alex also loszog, um irgendwo den Geist eines Norwegers aufzutreiben, den er morgen zwecks Sprachkenntnissen mitnehmen kann, gingen Edward, Bob und ich los, um den Tisch ins Coral Castle zurückzubringen. Das Ding war echt schwer zu schleppen, auch für einen Troll, und wir konnten Bob schließlich davon überzeugen, dass – nein! – das „Alte“ nichts vom Coral Castle sein könne. Dass man nicht einfach etwas wegnehmen könne, sondern dass man es schon kaufen müsse.

Na gut, Bob hatte $50, also gingen wir für die $50 einen „authentischen alten Stein aus Norwegen“ kaufen. Mit Echtheitszertifikat. Für das „aus Norwegen“ will ich meine Hand nicht ins Feuer legen, aber alt ist so ein Stein mal bestimmt; außerdem war Bob glücklich, der Ladenbesitzer war glücklich, und so waren das doch gut angelegte $50.

Totilas brachte indessen die blaue Blume ins Hotel Fontainebleu zurück und redete bei der Gelegenheit gleich mit seinem Cousin Vin wegen eines falschen Ausweises für Bob. (Was unter anderem auch der Grund war, warum Edward da nicht mitkommen wollte – je weniger er über Vins Aktivitäten in dieser Richtung weiß, um so besser.) Vin, der sich über die Herausforderung eines norwegischen Passes sogar freute, erklärte sich bereit, Bob einen neuen Ausweis und ein Visum zu basteln, meinte aber, es könne eine Weile dauern, und er werde sich melden.

Roberto recherchierte indessen nach Informationen über dieses Ei und fand heraus, dass es sich um ein Kelpie-Ei handeln könnte. Kelpies sind Wassergeister: fleischfressende Wyldfae, die meist in Pferdegestalt erscheinen und versuchen, unwissende Opfer auf ihren Rücken zu locken, um sie dann im nächstgelegenen See zu ertränken und aufzufressen.

Und sowas will Bob seiner Frau zur Hochzeit schenken? Na yay.

Als wir unseren Trollfreund zur Kommune zurückbrachten und uns bei der Gelegenheit alle dort wieder trafen, fanden wir Joelle in heller Aufregung vor. Sie hatte soeben herausgefunden, dass bislang keine ihrer Einladungen angekommen war, und Scarlet gab zu, dass es vielleicht sein konnte, dass sie in ihrer Begeisterung über den Eiswagen und das Nusseis nicht so richtig darauf geachtet hatte, in welchen Briefkasten sie die ganzen Umschläge geworfen habe. Es hätte vielleicht statt eines U.S. Mail-Briefkastens auch was anderes sein können...

Joelle raufte die Haare und schickte das Wereichhörnchen los, sie solle gefälligst nachsehen gehen, ehe sie uns alle dann erst einmal formlos mündlich zu der Hochzeit einlud. Wir sollten aber bitte niemanden verhaften oder anknabbern, setzte sie dann noch mit einem Grinsen in Richtung Edward und Totilas hinzu.

Ich bin mal gespannt, ob Scarlet die Hochzeitspost wiederfindet. Falls nicht, wird Joelle die zweite Ladung Briefe per Eilsendung rausschicken müssen, fürchte ich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 18.11.2015 | 19:00
Ja, das hätte ein total entspanntes Abenteuer sein können.  ;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.11.2015 | 17:00
Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 3

21. August

Heute ist nicht viel passiert. Alex hat tatsächlich einen norwegischen Geist gefunden, einen jungen Bergsteiger namens Ole, der sich bereiterklärte, Alex seine Sprachkenntnisse zu leihen und ihn an den Flughafen zu begleiten. Dort warteten Alex, Ole und Joelle auf Bobs Mutter, Mrs Trinsdatter, die als letzte aus dem Flugzeug ausstieg und beim Anblick von Joelles Schild heftig winkte. Ihr Menschen-Glamour war der einer sehr alten, aber noch immer sehr rüstigen und fidelen Dame, und glücklicherweise stellte sie sich als alles andere als so, hm, langsam heraus wie ihr Sprößling.

Wir trafen uns alle in der Kommune, wo Joelle eifrig am Kartenschreiben war und Mrs Trinsdatter erzählte, dass Bob damals seine Heimat aufgrund von „Problemen mit einem Schießgewehr“ verlassen habe. Als Alex den Troll darauf ansprach, wurde der verlegen. Das sei lange her, das sei gewesen, ehe seine Aura gereinigt wurde, und heute würde sowas ja nicht mehr vorkommen.

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21. 22. August, nachts.

Eben hat Edward angerufen. Irgendwas mit Bob und der Kommune. Joelle ist entführt worden? Muss hin.

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Joelle ist tatsächlich entführt worden. Bob war völlig außer sich, als er es entdeckte, aber seine Mutter blieb vergleichsweise ruhig. Das sei ein Menschending, und es gälten Menschenregeln, also solle er nach den Menschenregeln die Polizei rufen. Sprich Edward.

In der Kommune fanden wir ein Forderungsschreiben vor. Handschriftlich, in großen, kräftigen Blockbuchstaben: „Wir wollen einen fetten Wohnwagen voller Gold und mit einer mächtigen Klimaanlage. Yo, Bitches!“ In einer anderen Schrift die Ergänzung: „Sonst machen wir die Frau kalt Kühlschrank!“ Das Wort „Kühlschrank“ war in der ersten Handschrift über das durchgestrichene Wort „kalt“ gekritzelt worden. „Übergabe übermorgen am Eiswagen in der Aventura Mall!“

Hmmm. Die Schreibe und vor allem die ganzen Hinweise auf Kälte legen irgendwie den Gedanken nahe, bei den Entführern könnte es sich um die Frostgnome handeln, die wir bei der Verhandlung gesehen haben. Winter und so.

Der arme Bob ist jedenfalls ziemlich neben der Spur. „Meine arme Joelle! Ihr müsst sie wiederfinden!“
Aber ja. Wir werden tun, was wir können. Edward hat Bob jetzt erstmal gebeten, ihm ein Haar oder sowas von Joelle zu besorgen.

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22. August. Morgens.

Mit der Unterstützung von Roberto zog Edward ein Ritual durch, um sie zu finden. Die Spur führte zu einem alten, angeblich leerstehenden Kühlhaus am Hafen, das aber anscheinend doch nicht so unbenutzt war, wenn man nach dem blauen Licht ging, das daraus hervorschimmerte. Und an der Kälte, die aus dem Gebäude waberte – offensichtlich liefen die alten Kühlaggregate drinnen auf vollen Touren.

Mit einem Schweißbrenner dichtete Alex die Seitentüren ab, während Totilas auf das Dach hinaufkletterte. Unglücklicherweise merkte unser White Court-Freund nicht, dass das Dach entweder von sich aus instabil war oder es jemand zu genau diesem Zweck angesägt hatte – so oder so jedenfalls krachte er mit einem Mal in die Tiefe. Von drinnen hörten wir es poltern und dann Totilas' Stimme: „Einmal Stracciatella und einmal Malaga, bitte.“

Als Totilas sich aufrappelte, sah er sich – das erzählte er uns hinterher – einem ziemlich skurrilen Anblick gegenüber. Und zwar standen vor ihm tatsächlich ein paar Frostgnome, allerdings in Rapperaufmachung, Goldketten und alles. Einer davon hatte etwas blau Leuchtendes in der Hand, einen Zauberstab oder dergleichen. Ein anderer Gnom hielt eine Schleuder, zwei weitere waren mit Knüppeln bewaffnet.
Totilas, nicht auf den Mund gefallen, begrüßte die kleinen Kerle mit „Yo, Mann“, was der Wortführer mit „Yo, du bist unsere Geisel, Mann!“ quittierte.

Edward riss indessen die Schiebetür auf. Etwas machte „Klick“, und ehe er ausweichen konnte, wurde er von der Schrotflintenladung getroffen, die beim Öffnen der Tür auslöste.
Während Edward, der glücklicherweise nicht sonderlich schwer verletzt schien, wieder auf die Beine kam, warnte Alex die für uns in dem Moment noch unsichtbaren Gegner, dies sei ihre letzte Chance und sie sollten herauskommen.

Die Antwort von drinnen war höhnisches Gnomenlachen. Und dieses Gelächter löste irgendetwas in mir aus. Das waren Frostgnome, die uns auslachten, Frostgnome hier! Ich war mir selbst gar nicht bewusst, was ich rufen würde, bis ich den Mund aufmachte und die Worte herauskamen. „Ihr befindet euch auf Sommergebiet und habt die hier geltenden Regeln verletzt! Im Namen von Herzog Pan, kommt heraus oder erleidet die Konsequenzen!“

Mierda. Was für ein Geschwafel! Das hätte Sir Anders auch nicht pompöser hinbekommen. So oder so aber wurde als Reaktion darauf das Lachen von drinnen nur noch lauter. Grrr!

Roberto war es schließlich, der die richtigen Knöpfe bei den Gnomen drückte. „Weiß eigentlich Hurricane davon, was ihr hier treibt?“ Das saß. Schlagartig brach das Gelächter ab.

Während wir uns nun vorsichtig in das Lagerhaus hineinbewegten, warf Totilas drinnen den Anführer der Geiselnehmer durch die Gegend, woraufhin zwei der verbliebenen Gnome davonrannten, die beiden letzten ihn aber angriffen. Bei uns kam das in der leicht bläulichen Dunkelheit nur als Geräuschkulisse an, wirklich zu sehen war nichts. In dem schlechten Licht konnten wir es vergessen, uns in irgendeiner Form sinnvoll fortzubewegen – wir konnten nur Schemen sehen, aber es wurde deutlich, dass hier überall Kram herumstand, und zwar gefährlich wackelig aufgetürmt. Keine Chance.

Mir fiel der Feen-Zauber wieder ein, die ich auf der Insel der Jugend gegen die Untoten gewirkt hatte. Ich horchte nach innen und rief die Magie nach oben, und einen Moment später wurde die Lagerhalle von hellem Sonnenschein erfüllt. Damit hatten Totilas' Gegner offensichtlich nicht gerechnet, denn es ertönten Schmerzensrufe und eilige Schritte, als die Winterfeen sich in die Schatten zurückzogen.

Jetzt, wo der Raum hell erleuchtet war, konnten wir sehen, mit was wir es zu tun hatten: mit einem Labyrinth aus zu wackeligen Türmen aufgebautem Kram aller Art. Mit ziemlicher Sicherheit voller Fallen. In einiger Höhe lief oben um die gesamte Wand herum eine Galerie, auf der wir einzelne Gestalten herumhuschen sahen. Die Gnome. Außerdem befand sich oben auf der Galerie in einer Ecke ein Kabuff. Das könnte doch der Ort sein, an dem sie Joelle festhielten...

Totilas sahen wir im Moment nicht, aber wir hörten seine Stimme. Irgendwas von wegen Stracciatella und Malaga. Oh Mann.

Roberto begann, an einem der Kistentürme zu der Galerie hochzuklettern. Er bewegte sich erstaunlich sicher und geschickt – um einiges geschickter als ich jedenfalls. Denn ich erwischte genau den aufgetürmten Einkaufswagen, dem Roberto ausgewichen war, brachte ihn natürlich ins Rutschen, wie die Erbauer das geplant hatten, und landete prompt wieder auf dem Boden. Natürlich auf dem Steißbein. Au. Aber wenigstens war nichts geprellt oder gar gebrochen.

Totilas ließ indessen seine Augen silbern aufleuchten. „Du siehst aus wie Stracciatella!“, sagte er zu dem einen Gnom, der trotz des Sonnenlichts einigermaßen in seiner Nähe geblieben war und ihn weiterhin als Geisel zu bedrohen versuchte. Der Frostgnom bekam es mit der Angst zu tun und huschte davon.

Nun, wo Roberto oben angekommen war, warf Edward ihm ein Seil zu. Nachdem Roberto es – mit Hilfe von Alex, der ihm mit seiner Erfahrung genau sagen konnte, welche Stelle stabil aussah – befestigt hatte, kletterten wir dann auch endlich alle hinauf. Alle bis auf Totilas, versteht sich, der war ja noch immer irgendwo in dem Labyrinth aus Kisten verschwunden.

Unser White Court hatte zwar im Moment keine Gnome direkt bei sich, aber die befanden sich noch immer, wenn auch in einigermaßen sicherer Entfernung, in seiner Nähe. Einer davon – nicht der, der ihn eben noch bedroht hatte – ergriff jetzt das Wort. Friedlich sei doch immer besser, wenn einem die Chakren gereinigt worden seien, und vielleicht könne man ja verhandeln: Die Gnome wollten einen Wohnwagen mit viel Gold und mit einer Klimaanlage.

Aus den Schatten heraus ertönte Gemurmel. Warum denn verhandeln, wenn man die Galerie einstürzen lassen könne?

Auf besagter Galerie waren wir allerdings in dem Moment unterwegs zu dem Bretterschuppen. Alex war es, natürlich, der bemerkte, dass unten einer der Gnome einen Hebel umlegte, woraufhin die ganze Galerie abzustürzen begann. Da Alex rechtzeitig darauf aufmerksam geworden war, gelang es uns, unversehrt auf einem der Türme zu landen und sogar diese eine grüne Kiste zu vermeiden, die laut Alex garantiert eine Falle barg.

In Totilas' Nähe kletterten wir hinunter. Dabei löste Roberto dann allerdings doch noch die Falle in der grünen Kiste aus, was dazu führte, dass etliche Metallkugeln herausrollten, die immer größer und eisiger wurden und beim Auftreffen empfindliche Unterkühlungsspuren hinterließen, was aber eher unangenehm war als gefährlich. Vielleicht, wenn uns mehr von den Dingern getroffen hätten, aber glücklicherweise rollten die Kugeln zum größten Teil von uns weg.

Dann jedenfalls hatten wir unseren Vampirfreund erreicht und sahen uns nun alle den Frostgnomen gegenüber. Und wieder meinte der Wortführer von eben, man solle doch friedlich verhandeln. Die Gnome brauchten den Wohnwagen, um hier zu wohnen, sagte er. Warum sie denn überhaupt hier wohnen wollten, war unsere Gegenfrage. Na zuhause gebe es diese fiesen, hungrigen Wölfe, deswegen seien sie hergekommen, aber hier in Miami sei es viel zu warm. Daher der Bedarf an einer Klimaanlage.

„Friedlich“ schien aber dem Anführer der Gruppe überhaupt nicht zu passen. Das war der Gnom, der noch am allermeisten wie ein Rapper aussah, über und über mit Glitzer behängt. Der baute sich provozierend vor uns auf und begann, uns anzurappen. Die Jungs sahen einander verwirrt an; sichtlich aus dem Konzept gebracht. Aber hey, der wollte eine Rap-Battle? Konnte er haben!

Irgendwie fiel es mir überhaupt nicht schwer, auf jeden der etwas bemühten Reime des Frostgnoms eine passende Erwiderung zu finden, während mein Gegenüber sich zunehmend schwertat und es immer deutlicher wurde, dass er keinerlei Erfahrung mit so etwas hatte. Irgendwann gab er es dann auch auf.

Der friedfertige Gnom grinste seinen Boss an. „Du solltest mal deine Chakren reinigen lassen. Dann ginge das besser.“
Der Rappergnom warf die Arme in die Luft. „Ich kann das Wort ‚Chakren’ nicht mehr hören!“
Und das wiederum war natürlich für uns das perfekte Stichwort. „Dann nehmen wir die Dame mit, und ihr seid sie los!“

Joelle war ein wenig verfroren, aber ansonsten wohlauf und ganz gelassen. Sie hatte die Gnome ja offensichtlich schon die ganze Zeit über belabert, und auch jetzt erzählte sie ihnen von Kräutern und Kristallen für das seelische Wohlbefinden. Sie ließ sich sogar von Roberto eine der Geschäftskarten seiner Bótanica geben und steckte sie den Gnomen mit den Worten zu: „Hier, der hat, was ihr braucht.“

Alex unterhielt sich indessen mit dem Gnom, der die ganzen elektrischen Fallen hier aufgebaut hatte. MC Current nannte der Stromgnom sich, und offensichtlich hatte er in Alex eine verwandte Seele gefunden. Von MC Current erfuhr Alex auch, wie die Gnome überhaupt auf die Idee gekommen waren, Joelle zu entführen. Bei einerm ihrer Diebestouren Streifzüge hatten sie eine Menge weggeworfene goldglitzernde Briefumschläge gefunden und aus den Einladungen entnommen, das da wohl jemand sehr Reiches heiraten musste. Also dachten sie, für seine Braut würde der Bräutigam bestimmt ein lohnendes Lösegeld zahlen.

Super.

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23. August

Zurück von der Hochzeit. Mierda. Mierda y Cólera.

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Ich musste erstmal den Kopf freibekommen und bin laufen gegangen. Eigentlich wollte ich erst einige der Übungen machen, die Eileen mir gezeigt hat, aber... nein. Laufen war besser.

Ja, die Hochzeit hat stattgefunden. Ja, die meisten Gäste hatten trotz der kurzfristigen Einladung noch Zeit. Ja, Joelle ist jetzt Mrs. Bob. Und natürlich ging das mit dem Kelpie-Ei nicht gut. Natürlich hatten wir irgendwann eine wütende Kelpie-Stute auf der Matte stehen. Das ist aber alles nebensächlich.

Nicht nebensächlich ist, was hinterher passierte. Da habe ich mich alles andere als mit Ruhm bekleckert. Und ich muss sehr eingehend darüber nachdenken, was da genau passiert ist, und vor allem, warum.

Nach der Hochzeitsfeier und nachdem wir die Kelpie-Stute samt Ei glücklich wieder losgeworden waren, zeigte Bob uns nämlich den Wohnwagen, den unser Trollfreund und die Leute aus der Kommune bereits für die Frostgnome umzubauen begonnen hatten. Warum auch immer sie das taten; Joelle war doch längst wieder frei.

Edward jedenfalls war überhaupt nicht amüsiert. „Belohnen wir die Kerle jetzt etwa schon für eine Straftat?!“, wetterte er. „Das sind Entführer, und sie klauen wie die Raben!“
Und auch ich sah es überhaupt nicht ein, warum wir der diebischen Bande erlauben sollten, in der Stadt zu bleiben. Nichts als Ärger, jede Wette!

„Ach, lass sie doch“, hielt Roberto Edward entgegen, „die sind doch nicht so schlimm.“
„Das sind Entführer und Diebe!“
„Das sind die Santo Shango auch.“
Und nun kam es zu einem richtig, richtig heftigen Streit zwischen den beiden. Die schlimmsten Spannungen auf der Fahrt nach Oregon waren ein laues Lüftchen dagegen.
Edward tobte los, dass er die Schnauze voll habe. Dass er verdammt nochmal jetzt auch aufhören werde, sich zu kümmern, weil es ja offensichtlich jedem außer ihm völlig egal sei, ob diese Stadt den Bach runterging.
Roberto schrie zurück, dass Edward ja ein schöner Ritter sei, wenn er einfach so die Flinte ins Korn werfe. Die beiden schenkten sich nichts, minutenlang – und Totilas, Alex und ich waren so baff, dass keiner von uns eingriff. Nicht einmal – und dafür schäme ich mich zutiefst – als Edward schließlich ausholte, Roberto einen heftigen Fausthieb mitten ins Gesicht versetzte und dann wütend davonstürmte.

Und dann... dann bekamen auch Roberto und ich uns in die Haare.

Eigentlich wollte ich... nein. Keine Ausreden, Alcazár.

Ich war eben drauf und dran zu schreiben, dass ich eigentlich nur vermitteln wollte. Aber das ist völliger Quatsch, denn Edward war ja schon fort. Und wo bitteschön ist es vermittelnd, Roberto den Vorwurf zu machen, dass er doch wisse, wie Edward drauf sei, und dass er ihn nicht noch hätte provozieren müssen? Warum ich Roberto das an den Kopf warf, weiß ich selbst nicht recht. Aber jedenfalls ging Roberto nun mich an. Dass ich immer nur Edwards Partei ergreifen würde. Woraufhin ich zurückblaffte, mit dem würde ich schon reden, und ich würde dafür sorgen, dass er sich entschuldige. Das müsse er nicht, schnappte Roberto. Das werde er aber, verdammt noch mal, knurrte ich.

Dann gingen wir auseinander, verstimmt und aufgewühlt, alle vier.

Und ich sitze jetzt hier und habe keinerlei Ahnung, was zum Geier in mich gefahren ist. Mierda.

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24. August.

Ich habe mit Edward geredet. Auch wenn der sichtlich wenig Lust auf das Thema hatte.
Er sei mein bester Freund, und ich würde potentiell und grundsätzlich schon immer eher ihm beispringen, wie Roberto mir das ja auch vorgeworfen hat. Aber mit der Aktion gestern sei er deutlich zu weit gegangen. Woraufhin Edward nickte und versuchte zu erklären, dass da irgendetwas in ihm durchgebrannt sei, als Roberto das Verhalten der Gnome als „nicht so schlimm“ bezeichnete.
„Wir haben keine Handhabe gegen sie“, erwiderte ich. „Joelle erstattet keine Anzeige.“
Edward warf die Hände in die Luft und legte den Finger auf das eigentliche Problem.
„Ich kann einfach nicht mit Roberto. Es geht nicht. Er macht mich so unglaublich wütend. Ich muss mich von ihm fernhalten, sonst bringe ich ihn irgendwann um.“
Und dann: „Ich glaube, ich muss raus aus Miami. Mir anderswo einen Job suchen.“

Das erschreckte mich beinahe noch mehr als alles andere. So egoistisch das auch sein mag, der Gedanke, meinen besten Freund zu verlieren, machte mir Angst.
„Ich bin nicht mal sicher, ob das überhaupt geht“, wandte ich ein. „Wir hängen doch alle in diesem Kram mit drin. Wir haben unsere Wurzeln hier in der Stadt – und diese Stadt hat ihre Wurzeln in uns. Und ich könnte mir vorstellen, dass, wenn einer von uns weggeht, irgendwas passiert, das ihn wieder zurückbringt.“
Und außerdem... „Und außerdem brauche ich euch. Euch beide, dich ebenso wie Roberto. Diesen Ritterjob schaffe ich nicht alleine."

Wir redeten dann noch eine ganze Weile weiter, aber so richtig zufriedenstellend war das alles nicht. Seufz.

Vor allem, weil ich irgendwie im Hinterkopf auch mit der Frage beschäftigt war, warum ich so negativ auf Roberto reagiert habe. Und jetzt, wo ich wieder zuhause bin und weiterhin darüber nachgrübele - das Ganze will mir einfach nicht aus dem Kopf, was mich aber auch wenig wundert - stelle ich fest, dass da anscheinend ein ganzes Konglomerat an Dingen zusammenkam.

Irgendwo fuchst mich sicherlich noch immer die Sache mit Dee. Und ja, ich weiß, dass Roberto da nichts für kann. Mir ist bewusst, dass ich selbst zu zögerlich war, dass sich da so ein platonisches Bruder-Schwester-Schulter-zum-Ausheulen-Ding entwickelt hat, zumindest auf Dees Seite, auch wenn ich das nicht merkte oder nicht wahrhaben wollte. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass meine Einstellung Roberto gegenüber momentan etwas ... angespannt ist.
Vielleicht spielt unterbewusst auch die Geschichte vom Crater Lake noch weiter mit hinein. Von Elenas Fremdbeeinflussung bin ich zwar längst befreit, aber vielleicht ist von der Abscheu, die ich empfand, als Roberto Elena tötete, ja doch etwas hängen geblieben, auch wenn ich eigentlich ja inzwischen weiß, dass er es tun musste. Ich habe keine Ahnung.
Dass die Gnome tatsächlich eine Bande von Dieben und Entführern sind und wir in dieser Stadt wahrlich schon genug kriminelle Elemente haben, stimmt sicherlich auch. Im Vergleich zu den Santo Shango und den Latin Raiders und den Latin Kings - oder auch im Vergleich zu Gerald Raith' White Court-Operationen, wenn ich ehrlich bin - sind die Gnome aber wirklich eher kleine Fische.

Aber - und das ist der Unterschied, und das macht mir gerade so viel Sorgen - es sind Frostgnome. Bis zu dem Tag auf der Insel hätte ich die Kerlchen vermutlich eher amüsant gefunden. Und eigentlich, verdammt nochmal, sind mir bislang die Vertreter des Winters, denen ich so begegnet bin, teilweise echt sympathischer als die Sommerfeen, mit denen ich so zu tun hatte und habe. Ich mag Hurricane. Ich mag Tanit. Ich mag Catalina Snow. Ich mag sogar irgendwie, glaube ich, Yahaira Montero. Zugegeben, ich kenne keinen von denen wirklich gut, und ich habe keine Ahnung, wie die alle drauf sind, wenn sie mal nicht nett drauf sind, aber Tatsache ist, bisher hatte ich keine Probleme mit Winter, und ich hätte eigentlich auf die Gnomenbande nicht so heftig reagieren sollen. Wenn nicht, ja wenn nicht, mein Sommerrittermantel mir Dinge eingeflüstert hat. Dass Winter keinen Platz in der Stadt hat, als das eine. Und dass Roberto ein Verräter an ihrer Majestät, Königin Titania, ist und dass es ihm nur recht geschieht, wenn ihm jemand die Fresse poliert, als das andere.

Während des Streits gestern war mir nicht bewusst, dass ich den Gedanken hatte. Das ist mir erst jetzt beim Nachdenken so richtig klar geworden, und das erschreckt mich. Denn dieser Gedanke kommt nicht von mir. Dieser Gedanke kommt von dem Ritterjob. Und wenn der Ritterjob meine Gedanken derart beeinflusst, dann ist er nicht besser als Elena.

Ich muss dringend mit Roberto reden und mich entschuldigen. Wieder einmal.

Und ich muss auf der Hut sein vor dem, was der Rittermantel mit meinem Kopf anzustellen versucht. Und darf so etwas nicht wieder zulassen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 19.11.2015 | 19:25
Sehr schön. :)

/me wirft Timberwere einen Fatepunkt für den erfolgreich gereizten Ritteraspekt zu.  >;D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.11.2015 | 11:45
Hehe. Den schreibe ich mir auf und behalte ihn mir für die nächste Sitzung! :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 20.11.2015 | 18:55
So war das auch gedacht. Ich finde es sehr cool, wie du Cardos Aktionen interpretiert hast!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.01.2016 | 08:49
Ricardos Tagebuch: Something Borrowed (Nachklapp)

27. August

Roberto hat meine Entschuldigung angenommen, auch wenn er sich sichtlich kühl gab. Was ich ihm nicht mal verdenken kann. Ich versuchte jedenfalls, ihm zu erklären, was da alles in meinem Kopf vorgegangen war – naja, das meiste jedenfalls. Das mit Elena ließ ich wohlweislich weg; ich musste nicht noch mehr alte Wunden aufreißen. Das Zucken, das über Robertos Gesicht ging, als ich seine Aufgabe des Richteramtes erwähnte, war schon Hinweis genug, dass ihm das Ganze auch alles nicht in den Kleidern stecken bleibt. Aber dass ich befürchte, dass der Ritterjob mehr Einfluss auf mich hat, als gut ist, das sagte ich ihm sehr wohl.

Ich bat ihn, mir ein bisschen beim Aufpassen zu helfen. Und Roberto sagte dann noch etwas, das mich innehalten ließ. „Du musst so schnell wie möglich einen Nachfolger finden“, erklärte er überzeugt. „Denn momentan bist du ein Ritter, der kein Ritter sein will. Und ein Ritter, der keiner sein will, nützt niemandem was.“

Da hat er nicht ganz unrecht. Das Problem wird es nur sein, den besagten Nachfolger zu finden. Also einen, der a) geeignet und b) willens ist, das Amt zu übernehmen. Keinen zweiten Schnellschuss wie Colin, herzlichen Dank. Also werde ich den Job noch eine Weile weiter machen müssen, fürchte ich. Und ich muss dabei die richtige Balance finden: Akzeptieren einerseits, mich auf die Sache einlassen, mich nicht dagegen wehren, aber andererseits nicht zulassen, dass das Amt mich zu Dingen beeinflusst, hinter denen ich nicht stehe. Oh Freude.

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30. August

Alejandra ist endlich im Bett. Was war sie aufgekratzt. Kein Wunder; ich weiß noch ganz genau, wie ich mich auf meinen ersten Schultag gefreut habe. Um sie ein bisschen runterzubringen, haben wir uns gemeinsam Harry Potter and the Sorcerer's Stone angesehen, frei nach dem Motto: wenn Harry sich an einer Magierschule zurechtfinden muss und kann, dann wird die Grundschule für Jandra ja wohl ein Klacks.
 
Den Film mit ihr zu schauen, war vielleicht nicht so meine allerbeste Idee, weil Jandra danach natürlich gleich wissen wollte, ob Monica da hin käme, wo sie doch zaubern kann, und als ich das verneinte, wollte sie wissen, ob sie das dann hier in der Schule lernen würden, woraufhin ich auch wieder verneinen musste und erklärte, dass Monica das weiterhin von Ximena beigebracht bekäme. Und dass Alejandra in der Schule doch, wenn es geht, Monicas Fähigkeiten bitte nicht ganz so laut herausposaunen möge. Schauen wir mal, ob die Mahnung was hilft. Ansonsten, naja, Tochter eines Schriftstellers, blühende Fantasie und so.

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31. August

Alejandras erster Schultag! Sie und Monica waren stolz wie die Schneeköniginnen. Aber natürlich auch ein bisschen nervös. Und Alex hat vor ein paar Tagen seine Kontakte spielen lassen und sich um eine Sprinkleranlage in der Schule gekümmert. Monica lernt zwar schnell, aber sicher ist sicher.

Jedenfalls war es ein schöner, ein denkwürdiger Tag. Einige Fotos gab es natürlich auch; mal sehen, ob ich dazu komme, eines hier einzukleben.

Eigentlich hatte Edward Schneeball bei uns lassen wollen, weil er (also Edward, nicht Schneeball) nämlich einen Weiterbildungskurs besucht irgendwo. Eigentlich wäre das Sergeant Books Weiterbildungskurs gewesen, aber der ist ja nun im Ruhestand, und der Kurs stand an und war bereits bezahlt. Was lag also näher, als Books Nachfolger an dessen Stelle hinzuschicken? Wen kümmert's, dass die Fortbildung sich um das Thema „Diversity Awareness“ dreht und Edward daher vielleicht nicht ganz die richtige Zielgruppe dafür ist? Egal, der Kurs war gebucht. Und Schneeball musste irgendwo hin.

Im Endeffekt wurde aus „irgendwo“ dann „bei Ximena“, weil ich den ganzen Tag lang unterwegs war. Erst mit Alejandra in der Schule selbst zur Begrüßungsfeier und, sobald die Kinder in der Klasse waren, einem Kennenlern-Empfang für die Eltern, und hinterher gingen wir zur Feier des Tages mit der Familie essen, waren tatsächlich bis abends dort. Ohne Enrique, versteht sich. Dem müssen wir beim nächsten Besuch dann die Bilder zeigen. Mamá und Papá waren jedenfalls gehörig stolz auf ihre große Enkelin. Was sie allerdings mit einem betonten Seitenblick auf Yolanda und mich auch zum Ausdruck brachten, war die Enttäuschung darüber, erst ein Enkelkind zu haben. Und das ausgerechnet von dem einen Sprössling, der im Gefängnis sitzt. Naja. Es ist ja nun nicht so, als wäre das Absicht.

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2. September. Abends.

Edward war gestern schon wieder zurück von seinem Seminar. Es gab da wohl den einen oder anderen kleinen, ähm, Zwischenfall - kein Wunder, wenn die Zielgruppe für die Schulung lauter weiße Cops waren, bei denen es schon einen Grund gab, warum sie hingeschickt wurden, und wenn noch dazu auch noch gerade Vollmond ist. Verletzte gab es wohl nicht, aber anscheinend eine Prügelei, die sich gewaschen hatte, also haben sie Edward heimgeschickt. Um Disziplinarmaßnahmen wird er wohl herumkommen, was einzig und allein seiner Hautfarbe geschuldet sein dürfte.

Nach dem Streit bei der Hochzeit hat Alex ihm gehörig ins Gewissen geredet, hat Edward mir heute erzählt, und er – das vertraute er mir unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit an – hat beschlossen, tatsächlich zu Hilary Elfenbein in Therapie zu gehen. Zumindest fürs Erste. Auf lange Sicht, sagte er beinahe sehnsüchtig, würde er gern eine Lösung finden, um seinen Wutdämon ein für alle Mal loszuwerden. Wünschen würde ich es ihm ja; er wirkt oft so unglücklich in seiner eigenen Haut. Und wenn ich es irgendwie kann, werde ich ihm dabei helfen, gar keine Frage. Falls es denn überhaupt irgendwie geht.

5. September

Schneeball hat mit Ximena anscheinend ein richtiges Abenteuer erlebt, als Edward auf seinem Seminar war. Der Kleine war völlig aufgekratzt, als er zu Edward zurückkam, und erzählte was von bösen Leuten, einem Drachen und lauter Wesen, die sie gerettet hätten. Edward wusste selbst nicht so recht, was er davon halten sollte, nahm die Kapriolen seines Hundes aber gelassen hin. Vermutlich hat der Kleine fürchterlich übertrieben, aber irgendwas wird da schon gewesen sein. Das ist bei Ximena ja jetzt auch nicht so unwahrscheinlich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 11.02.2016 | 13:59
Ricardos Tagebuch: White Night 1

5. Oktober

Gerald Raith geht es nicht sonderlich gut. Okay, der ist ja seit einer ganzen Weile schon meist in unterschiedlichen Stadien der Trunkenheit anzutreffen, wie wir schon mitbekommen haben, aber seit er dieses – ich will gar nicht wissen, was für eins, legal ist es nicht – Geschäft an den Red Court verloren hat, scheint es schlimmer geworden zu sein.
Aus Loyalität seinem Großvater gegenüber redet Totilas nicht groß davon, aber zumindest hat er erwähnt, dass Marshall Raith versucht habe, Gerald zu motivieren; der habe sich nur nicht so recht motivieren lassen.

Apropos Marshall Raith. Erst höre ich den Namen ewig nicht (seit letztem Día de los Muertos, genauer gesagt, wo Totilas ihm begegnete, als er für das Binderitual Camerones Ehering besorgen musste), und auf einmal kommt er mir ständig unter.
Yolanda, die mit dem Erwerb ihrer Anwaltszulassung und dem Sommerrichterjob und all dem momentan so richtig beschäftigt ist, erzählte nämlich freudestrahlend, sie hätte über Mr Raith einen Praktikumsplatz bei Baker & McKenzie erhalten, einer renommierten Wirtschaftskanzlei. Eigentlich will sie ja Strafverteidigerin werden, wie sie immer erklärt, aber so ein Praktikum mache sich gut im Lebenslauf, meinte sie.

Meine Ohren hatten sich allerdings bei etwas anderem aufgestellt. Was für ein Mr Raith, wollte ich wissen. Na Marshall Raith, erwiderte Landa. Totilas' Cousin. Der sei sowas wie ihr Mentor. Oh. Oh-hoh.

Sagen konnte ich in dem Moment nichts groß, weil das beim monatlichen Familienessen bei den Eltern war, aber bei nächster Gelegenheit fragte ich Totilas nach diesem Marshall. So richtig viel über ihn wusste Totilas allerdings nicht. Er findet ihn langweilig, gar nicht wie einen Raith. Marshall hatte ja damals, als er vor einem Jahr in die Stadt kam, behauptet, er sei übergelaufen, habe den Hof des Weißen Königs verlassen, weil er keine Lust mehr gehabt habe, für Lord Raith immer den Deppen zu geben. Aber ob das auch stimme? Hmmm. Schwer zu sagen, fand Totilas. Er sei ein Langweiler, aber er sei immer noch ein Raith, also dürfe man ihn nicht unterschätzen.

Das war nicht so richtig das, was ich hatte hören wollen. Andererseits, was hätte ich den hören wollen? Am liebsten, dass Marshall zwar Raith heiße, aber kein White Court-Vampir sei, wenn ich ehrlich bin. Aber gut, das war nicht zu erwarten gewesen, also warnte ich als nächstes Yolanda vor Marshall und vor den Raiths im allgemeinen, inklusive wahrheitsgemäßer Begründung, wohlgemerkt.

Ob Yolanda die Warnung allerdings so hundertprozentig ernst nahm, weiß ich nicht. Sie reagierte nämlich mit einem zackigen Salut und der Erwiderung: „Ich werde mich nicht von einem Lustvampir aussaugen lassen, aye, aye!“ Hmpf. Aber gut, das wird wohl fürs erste reichen müssen. Und gnade dem Kerl, wenn er meiner Schwester etwas antut!

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22. Oktober

Totilas kennt Star Wars nicht. Totilas kennt Star Wars nicht!

Ich weiß gar nicht mehr, wie genau wir darauf kamen. Irgendein klassisches Zitat, logischerweise. Aber welches genau, und in welchem Zusammenhang, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass Totilas völlig verständnislos reagierte und dann seine Unkenntnis der Filme gestand. Also wirklich. Eine Bildungslücke vor dem Herrn!

Die Einladung zur Raith'schen Halloweenfeier haben wir übrigens inzwischen auch erhalten. Diesmal müssen noch nicht mal wir die Botenjungen spielen, hurra. Ich bin mal gespannt, was das gibt. Bei unserem Glück garantiert nichts Gutes, wenn man sich die Ereignisse der letzten paar Jahre mal zum Vergleich heranzieht. Diesmal wird die Party jedenfalls mit der feierlichen Einweihung von Raith Manor verknüpft. Denn ja, das neue Anwesen ist fertiggestellt, Römer und Patrioten, man mag es kaum glauben.

Organisiert wird die ganze Sache jedenfalls wieder von Adalind, der Partyplanerin der Raiths, allerdings diesmal in Zusammenarbeit mit – Überraschung – Cousin Marshall.

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25. Oktober

Okay. Irgendwas ist los. Irgendwas hat der Red Court vor.

Wir saßen gestern im Behind the Cover zusammen, als mit einem Mal Angel Ortega reingestürzt kam. Er bewegte sich steif und hatte eine blutige Wunde, und er hielt etwas im Arm, das sich bei näherem Hinsehen als kleine, ängstliche Fee mit verknautschten Flügeln herausstellte. Die Red Courts hatten Christabella die Flügel ausreißen wollen, berichtete Angel auf unsere Frage hin.

Kaum hatte er das gesagt, ging die Tür auf, und zwei Latinos in Anzügen kamen in den Buchladen. Sie bemerkten Angel, nickten einander zu und suchten sich einen Platz halbwegs in unserer Nähe, wo sie sich hinsetzten und anfingen zu telefonieren. Dabei machten sie wenig Anstalten, ihr Interesse an unserem Bekannten und seiner kleinen Begleiterin zu verbergen.

Die arme Blumenfee tat mir wirklich leid, also fragte ich sie, ob ich mir ihre Flügel einmal ansehen dürfe. Ich durfte. Die filigranen Gebilde hingen ihr ganz schief vom Rücken, und Christabella konnte sie sichtlich gar nicht mehr in Bewegung versetzen. Also strich ich mit den Fingerspitzen sachte darüber und leitete etwas von der Sommermagie hinein, die ja nie weit weg ist, deren Anwesenheit ich unterschwellig eigentlich immer spüren kann, es sei denn, ich bin gerade sehr abgelenkt. Ich frage mich, ob ich mich an dieses summende Kribbeln in mir jemals vollständig werde gewöhnen können oder es irgendwann nicht mehr bemerke. Oder ob ich vielleicht den Job loswerde, ehe das passiert.
Wie dem auch sei, die Sommermagie für diesen speziellen Zweck nach oben zu rufen, war einerseits leicht – es ging immerhin um eine Sommerfee in Nöten, und es fühlte sich beinahe so an, als wolle die Magie herauskommen, um ihr zu helfen – andererseits wiederum hatte ich bis dahin noch nie so etwas wie einen Heilzauber versucht, und so war die Sache eben doch gar nicht so ohne. Ich wollte Christabellas Flügel ja nur richten, sie nicht in meinem Überschwang gleich vergrößern oder bunt schillern lassen oder so. Die Anstrengung, genau die richtige Dosierung der Magie zu finden, brachte mir dann doch einen Anflug von Kopfschmerzen ein.

Aber es klappte. Es flogen ein paar harmlose, glitzernde Funken, dann glätteten sich die zarten Gebilde zusehends, bis sie schließlich zu vibrieren begannnen. Die kleine Fee lächelte mich an. „Was möchtest du zur Gegenleistung?“ „Hmm? Gar nichts“, entfuhr es mir erst, aber dann fiel mir ein, wie ungern Feen in der Schuld anderer stehen. „Ähm, ich meine, Euer Dank wäre mir Gegenleistung genug, werte Christabella.“ „Willst du wirklich nur meinen Dank?“ hakte sie nochmals nach, und das ließ mich kurz innehalten und überlegen. Ich könnte einen Gefallen von ihr verlangen, aber... nein. „Ich will wirklich nur deinen Dank“, bekräftigte ich, und sie strahlte förmlich auf. „Danke!!“ Dann begannen ihre Flügel kräftiger zu surren, und sie setzte sich durch ein offenes Oberlicht ab, während die Vampire – oder besser ihre Lakaien, es war ja noch heller Tag – der kleinen Gestalt wütend hinterherstarrten. Und wir uns anschließend aus einem Nebenraum heraus lieber durch das Nevernever absetzten, weil wir uns lebhaft vorstellen konnten, dass die Red Court-Leute nun auch auf uns nicht allzu gut zu sprechen sein würden. Angel Ortega schloss sich uns allerdings nicht an, sondern meinte, er käme schon zurecht.

Oliver Feinstein begleitete uns noch in den Nebenraum, von dem aus Alex sein Tor öffnete. Aber ehe er das tat, hatte Oliver noch ein paar Informationen für uns. „Der Red Court spinnt in letzter Zeit völlig“, erzählte er. Erst hätten sie nach magischer Essenz gesucht. Dann nach magischen Kreaturen. Und schließlich sei jemand aufgetaucht und habe sich subtil, haha, nach den Büchern und Gegenständen von Lafayette duMorne erkundigt.

Der Name sagte mir auf Anhieb nichts. Bei Totilas hingegen klingelte ein Glöckchen, und was das für ein Glöckchen war, erzählte er uns, als wir aus dem Nevernever zurück in der richtigen Welt waren. Und zwar war Lafayette duMorne ein Magier des White Council gewesen, der im Winter 1927 vom White Court ermordet wurde. Nach duMornes Tod griffen die  aufgebrachten Zauberer die Vampire an, und viele von Camerone Raiths Anhängern starben in jener Nacht, aber auch viele Magier. (Was übrigens auch der Grund ist, warum es nur noch so wenige Ratsmagier in der Stadt gibt, anscheinend.) Für seine herausragenden Leistungen in dieser Auseinandersetzung wurde Spencer Declan hinterher zum Warden ernannt, und Gerald Raith gelang es, seine Mutter Camerone als Herrin des White Court der Stadt abzulösen. Interessanterweise war Richard Raith, zu dem Zeitpunkt noch kein Vampir, Lafayette duMornes Lehrling gewesen.
Das ganze Ereignis bekam übrigens den klangvollen Namen „White Night“ verliehen. Wenig verwunderlich, war 1927 doch ein Winter, in dem in Miami Schnee lag. Dazu ein heftiger Konflikt zwischen White Court und White Council, und der Name ergab sich fast schon zwingend.

Hmmm. Spencer Declan wurde zum Warden ernannt. Gerald Raith übernahm den White Court von Miami. Sollten die beiden bei der Gelegenheit vielleicht irgendwie zusammengearbeitet haben?

Totilas zog jedenfalls erst mal los, um sich bei seinen Verwandten unauffällig nach deren Meinung über Marshall Raith zu erkundigen. Als er wiederkam, erzählte er uns, dass so ziemlich alle aus seiner Familie schon gemerkt hätten, dass es Gerald gerade nicht so gut geht, dass sie Marshall so gut wie alle nicht trauten und dass sie ihn hilfesuchend angesehen hätten.

Warum er eigentlich seine Leute nach Marshall ausgefragt habe, wollten wir wissen. Totilas antwortete bereitwillig, aber seine Antwort ließ mir die Kinnlade herunterklappen. Weil er habe herausfinden wollen, ob und inwieweit Marshall als Nachfolger für Gerald in Frage käme, lautete die nämlich. Äh, hallo?!  Hatte unser Freund seinen Großvater doch tatsächlich schon abgeschrieben!
Wir überredeten ihn dann allerdings, dass er doch vielleicht besser mal mit Gerald reden sollte und sehen, ob er ihm irgendwie helfen kann, statt einfach so an- und hinzunehmen, dass ihm nicht mehr zu helfen ist.

Echt jetzt.

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SMS von Totilas. Treffen im Dora's.

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Ooookay. Als ich im Dora's ankam, saßen Totilas und Alex schon da. Totilas sah ziemlich fertig aus. Unausgeschlafen, aber vor allem beinahe, wage ich es zu sagen, verheult? Totilas, der kalte Fisch? Hossa.

Er hat gestern abend noch mit seinem Großvater geredet. Und das lief nicht so übermäßig gut, wie es scheint. Im Gegenteil, es klingt fast so, als habe Gerald sich selbst bereits aufgegeben. Totilas fand Gerald leicht betrunken und in melancholischer Stimmung vor. Auf Totilas' Eröffnung, er habe ein Problem, erwiderte der ältere White Court lediglich: „Du wirst es erledigen.“ Und als unser Freund darauf mit: „Du bist mein Problem“ konterte, erhielt er prompt die Antwort: „Auch das wirst du erledigen.“
Marshall erwähnte Totilas auch. Dass er den Eindruck habe, der wolle Geralds Job. „Ja“, bestätigte Gerald, „das will er. Aber ich bin sicher, du wirst das erledigen.“ Und dass er, Gerald, alles unter Kontrolle habe.
Und dann habe Gerald etwas gesagt, dass sämtliche Alarmglocken bei Totilas klingeln ließ. Und bei uns auch, als er uns das erzählte. „Wenn du deinen Vater siehst, sag ihm, ich hätte ihn geliebt. Und dich auch. Und hör auf deine Freunde. Versprich mir, dass du auf die hörst.“

Das klingt verdammt danach, als habe Gerald vor, sich umzubringen. Oder als rechne er damit, dass er bald von jemand anderem umgebracht werden wird. Wie nannte Edward das so schön? Suicide by third party. Mierda.

Wir theoretisierten eine Weile herum, und Totilas erklärte, er habe beschlossen, Gerald besser zu unterstützen, sich mehr für dessen Geschäfte zu interessieren. Marshall Raith besser kennenzulernen und im Auge behalten zu wollen. Am liebsten würde er seinen Großvater rund um die Uhr überwachen, damit der keinen Blödsinn anstelle, aber da gebe es irgendwie niemanden, dem er diese Aufgabe anvertrauen würde. Cherie? Vin? Alle nicht so wirklich geeignet.

Nach Lafayette duMorne hat Totilas Gerald übrigens auch gefragt. Den habe Spencer Declan umgebracht, habe Gerald erklärt. Mit Magie. Aber Totilas' anschließende Frage, ob er bei der Aktion mit Declan zusammengearbeitet habe, um sich Camerones Posten anzueignen, habe sein Großvater strikt und vehement verneint. Mit diesem Mistkerl? Niemals! Lafayette sei ein guter Mann gewesen und die ganze Sache Camerones Schuld. Und es habe alles irgendwie mit Totilas' Vater zu tun gehabt.

Die Information, dass Declan du Morne mittels Magie getötet habe, ist natürlich eine Bombe. Mit der müssen wir extrem vorsichtig umgehen. Wenn Declan mitbekommt, dass diese Anschuldigung in der Gegend herumfliegt... nicht gut. Gar nicht gut. Ob das vielleicht Geralds Weg sein könnte, sich umzubringen, rätselte Totilas, also eben dafür zu sorgen, dass Declan von seiner Anschuldigung hört, damit der dann zu entsprechenden Maßnahmen greift? Nicht unmöglich, aber doch nicht sonderlich wahrscheinlich, befanden wir bei näherem Nachdenken darüber.

Roberto hatte auch Neuigkeiten. Seine Red Court-Bekannte Lucia sei gestern noch in der Botánica vorbeigekommen, erzählte er, und habe nach magischer Essenz für ein Ritual gefragt. Was für ein Ritual, wollte sie nicht sagen oder wusste es vielleicht selbst nicht so genau, aber die Essenz müsse hochkonzentriert sein, meinte sie. Außerdem habe sie sich dafür interessiert, wer damals die Schriften von Lafayette duMorne eingesammelt habe, und wenn Roberto irgendetwas darüber höre, solle er bescheid sagen.

Naja, dass der Red Court sich für duMorne interessiert, das wussten wir ja schon von Oliver. Und wie es aussieht, sollten wir uns auch für den guten Mann interessieren, und sei es nur, um herauszubekommen, was genau der Red Court da plant. Aus Gerald war vermutlich erstmal nicht sonderlich viel mehr herauszubekommen, als Totilas schon von ihm erfahren hatte. Aber was war mit Camerone? Die war ja damals auch ganz direkt beteiligt gewesen. Die könnten wir ja mal vorsichtig fragen gehen.

Diese Idee fand Totilas gar nicht gut. Wir sollten Camerone nicht unterschätzen, warnte er, sie werde uns nichts sagen, aber von uns alle Informationen aufsaugen, die sie kriegen könne, sogar Dinge, die wir ihr eigentlich gar nicht sagen wollten, aus unseren Fragen entnehmen. Aber das war ein Risiko, das wir wohl eingehen mussten.

Am Coral Castle wurde unser White Court-Freund natürlich erst einmal von den Coral Guardians angehalten, auch wenn sie sich nicht mehr ganz so feindselig verhielten, jetzt wo Natalya nicht mehr der neueste Neuzugang bei ihnen ist und deren gemeinsames Bewusstsein nicht mehr dominiert. Als ich den geisterhaften Wächtern erklärte, dass ich für Totilas bürgen würde – und ich ihm ein „Benimm dich!“ mitgegeben hatte –, ließen sie ihn passieren.

Camerone Raith gab sich entzückt. „Familienbesuch! Schön, dass du da bist, Totilas!“ Und in dieser schleimigen Tonart ging es eine ganze Weile weiter. Subtil. Haha. Schließlich brachten wir das Gespräch aber – unauffällig, wie wir hofften – auf Lafayette duMorne. Oh, der sei ein entzückender alter Herr gewesen, säuselte sie. Irgendsoein Zauberer. Der Red Court zeige gerade ein ziemliches Interesse an duMorne, informierten wir sie.
Camerones Antwort war nichts weniger als eine Meisterleistung im süffisanten Themawechsel. „Der Red Court? Wie niedlich. – Wusstest du, dass deine Mutter wieder in der Stadt ist, Totilas? Wenn dein Vater jetzt auch noch käme, dann könnten wir eine nette kleine Familienzusammenführung feiern!“
Mehr wollte sie nicht dazu sagen, auch nicht zur White Night. „Warum fragt ihr nicht Gerald? Der ist dafür doch die beste Quelle?“
„Der hat zu tun“, erwiderte Totilas knapp.
Camerones Lächeln war lieblich an der Oberfläche und boshaft-wissend darunter. „Ach.“

Wie Lafayette denn so gewesen sei, brachten wir das Gespräch wieder in die richtige Richtung. Die Antwort allerdings überraschte uns etwas, denn Camerone beschrieb den Magier nun nicht als Menschen, sondern erklärte, sie glaube, es sei ihm peinlich gewesen, dass er schwarz gewesen sei. Na gut, was hätten wir von Camerone auch anderes erwarten sollen als eine unerwartete Wendung. Oh, und Richard sei sein Lehrling gewesen, setzte sie noch hinzu, als sei das ebenfalls eine Aussage über Lafayettes Wesensart.
„Aber Richard hat ihn jetzt nicht umgebracht, oder?“, kam Totilas plötzlich die Idee.
Camerone lächelte süß.
„Ich weiß nicht, dein Vater ist ja nun nihct so der mörderische Typ. Aber irgendwen wird er schon umgebracht haben, um zum White Court zu werden.“
„Ach das war damals?“
Wieder dieses Lächeln von Camerone. „So ungefähr zu der Zeit, ja.“

Das war dann der Moment, wo wir uns verabschiedeten. Ganz ehrlich, die Frau ist aalglatt. Vor allem jetzt als Geist, wo ihr der Alkohol nicht mehr das Gehirn vernebelt.

Dann trennten wir uns, weil Roberto Macaria Grijalva besuchen wollte, Totilas sagte, er wolle sich mal mit Jack White Eagle in Verbindung setzen, und ich zu Pan in den Palast fuhr, um mal mit dem zu reden.

Pan wusste aber leider nicht sonderlich viel über Lafayette duMorne. Der sei kein Typ zum Feiern gewesen. Sein Sohn Justin schon eher, aber den habe Pan schon lange nicht mehr gesehen, sagte er. Sir Anders kannte Lafayette gar nicht, der war damals noch nicht hier am Hof. Cólera. Den Weg hätte ich mir auch sparen können.

Roberto und Totilas war es bei Macaria und Jack allerdings nicht viel besser gegangen, erfuhr ich, als wir uns allesamt in Olivers Laden wieder trafen. Macaria hatte Roberto auch nur sagen können, dass Lafayette ein mächtiger Magier gewesen sei, der ermordet wurde. White Eagle kannte sogar nur den Namen, wusste aber immerhin, dass Spencer Declan einen Lehrling namens Cleo duMorne hat. Ob „Cleo“ in diesem Fall ein Männer- oder Frauenname war, wusste keiner von uns so genau, auch wenn wir generell gegen weiblich tendierten. Oliver informierte uns dann, dass es sich bei dieser speziellen Cleo um eine Frau handelt. Cleo duMorne sei Lafayettes Enkelin, sagte er, und lebe äußerst zurückgezogen. Vor irgendwas habe sie anscheinend große Angst und wolle anonym bleiben. Aber Oliver habe vage Möglichkeiten, sie zu kontaktieren – oder ihr zumindest über diverse Umwege eine Nachricht zukommen zu lassen –, und so baten wir ihn, ihr auf diesem Wege mitzuteilen, dass wir gerne mal mit ihr reden würden.

Wohin nach dessen Tod Lafayettes gesammelte Unterlagen gekommen waren, konnte Oliver allerdings auch nicht sagen. Ein Teil habe vermutlich Richard Raith – der ungefähr zu der Zeit zum Vampir geworden sei – an sich genommen, denn ein Teil seiner Forschungen habe wohl auf Lafayettes Studien beruht. Huh. Was Oliver alles weiß.

Als nächstes kontaktierten wir Lila und Danny, weil Jeff ja in Kontakt mit Richard gewesen war. Wobei wir auf deren Antwort auch selbst hätten kommen können, wir Genies: Wir sollten doch Jeff einfach selbst fragen, der sei doch noch da. Ja klar!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.02.2016 | 22:17
Ricardos Tagebuch: White Night 2

Alex zog also los, um Jeff zu suchen. Und während wir warteten, hatte Totilas noch eine andere Theorie. Seine Mutter hatte ja nie ein Monster sein wollen; vielleicht will sie die Unterlagen für sich selbst? Wenn Richards Ritual, mit dem er damals seinen Dämon aus sich entfernt hatte, auf Lafayettes Studien beruhte, will Sancia vielleicht anhand der Dokumente für sich ein ähnliches Ritual wirken, um sich von ihrem Red Court-Sein zu befreien? Falls das denn möglich ist. Aber wer weiß, vielleicht ist es das ja wirklich? Bei Richard Raith hat es ja immerhin geklappt. Und einige der Red Courts hier in Miami, allen voran Orféa Baez, Sancia Canché und Robertos Freundin Lucia, sind noch erstaunlich sie selbst, als hätten sie irgendwelche Möglichkeiten, ihre Persönlichkeit zu bewahren.

Nach den Ereignissen an Halloween vor drei Jahren hatte Sancia Richard ja entführt, bis er irgendwann verschwunden war. Konnte er da fliehen, oder hat sie ihn freigelassen? Roberto äußerte die Vermutung, dass Sancia und Richard vielleicht zusammenarbeiteten, um Sancia wieder zum Menschen zu machen. Immerhin wollte sie ihren eigenen Sohn lieber tot denn als Monster sehen.

Edward rief indessen Vanessa Gruber an, unsere White Council-Bekannte vom Crater Lake. Der Name Lafayette duMorne sagte Ms Gruber zwar nichts, aber zu dem Nachnamen fiel ihr Justin duMorne ein. Der sei ein Ratsmagier gewesen, der sich mit einem Outsider eingelassen habe und von seinem Lehrling in Selbstverteidigung getötet worden sei, einem gewissen Harry Dresden, der nach dem Ausbruch des Kriegs gegen den Red Court – den er wohl anscheinend selbst ausgelöst hatte – zum Warden ernannt worden war.

Harry Dresden? Das war doch dieser Typ in Chicago, mit dem Edward dieses kurze und unerfreuliche Telefonat geführt hat. Und der ist Warden? Na super.

Irgendwann kam dann auch Alex mit Jeff im Schlepptau zurück. Über Alex erzählte der junge Geist uns folgendes: Er hatte Richard Raith in einem Internetforum kennengelernt, einer geschlossenen Community, wo man nur über Einladung reinkommt. Dort hatten Richard und er einige private Nachrichten ausgetauscht, über Magie und Rituale und Jeffs geistige Blockade. Richard hatte geantwortet, darin sei er nicht so der größte Experte, aber er werde sich einmal umhören und schlau machen.

Jeff gab Alex seine Login-Daten für das Forum, damit wir nachsehen konnten, ob Richard sich gemeldet hatte. Er hatte tatsächlich, unter dem Nickname „Widening Gyre“: eine alte PM, die Jeff seines Todes wegen nicht mehr gefunden hatte, in der Richard aber schrieb, dass es für ihn schwierig sei, sich mit Jeff zu treffen, dass Jeff sich aber mit schönen Grüßen von Richard an Totilas Raith wenden solle, einen Verwandten von ihm, der vielleicht Leute kennen würde.

Na gut, das hatte sich ja inzwischen erledigt. Aber immerhin lud Jeff, wo er schon mal eingeloggt war, uns alle auch gleich in dieses Forum ein, damit wir uns selbst einen Zugang erstellen konnten. Das Forum nennt sich „Beyond the Pale“ und hat einen gewissen Goth-Anstrich, aber die Tatsache, dass es auf dem Einladungsprinzip basiert, bedeutet, dass die ganz üblen Spinner größtenteils ausbleiben.

Roberto hatte seinen Forumsnickname schnell gefunden: Theoneandonlyroberto003. Haha. Für Totilas' Nickname witzelten wir ein bisschen herum, mit Vorschlägen wie „Pferdegeist“ und dergleichen, aber er entschied sich schließlich für „Troja“ mit dem Avatar eines Pferdes. Ich selbst grübelte eine Weile herum, ehe ich mich schließlich auf „Endymion“ einschoss. Was Richard Raith kann, kann ich auch. Wobei in meinem Fall die Namenswahl weniger daran lag, dass ich auf ein bekanntes europäisches Gedicht anspielen wollte, sondern eher daran, dass ich gerade Dan Simmons' Hyperion-Romane lese und mir der Name vermutlich deswegen in den Kopf sprang.

Was Edward und Alex für Namen wählten, weiß ich gerade gar nicht, aber Alex hat ja irgendwann extra einen wassergekühlten Rechner in einem Aquarium gebaut, damit auch Edward nicht ganz von den modernen Errungenschaften der IT abgeschnitten ist. Angemeldet hat er sich also.

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31. Oktober – nein, 01. November, früh morgens

Oh Mann. Das muss ich aufschreiben, ehe ich ins Bett gehe. Ich bin gerade von der Halloweenfeier zurück. Es ist nichts abgebrannt, und es gab keine Toten, aber es war, sagen wir mal ... spannend.

Weil es eine Halloween-Feier war, mussten wir uns natürlich verkleiden. Ich hatte mir ein „Horatio Hornblower“-Kostüm besorgt, sprich die Uniform eines englischen Marineoffiziers aus dem 18. Jahrhundert, Edward ging als mittelalterlicher Ritter, Alex als Mafioso aus der Prohibitionszeit und Totilas als Pantomime mit schwarzen Hosen, gestreiftem Hemd, Hosenträgern und weiß geschminktem Gesicht. Roberto hingegen hatte sich mit Dee in ein Partnerkostüm geworfen: er als Indianerin (in pinkfarbenem Lederkleid) und Dee als Cowboy. Oh Mann. Ich will es ihm ja gönnen, wirklich, aber... grrrr.

Yolanda als Sommerrichterin war ebenfalls anwesend; Ximena hatte auch eine Einladung erhalten, kam aber nicht auf die Party, genausowenig wie Joseph – entschuldigung, Jonathan, der „Neffe“ – Adlene. Wobei ich nicht glaube, dass der überhaupt eingeladen war. Spencer Declan hingegen war es: Wie schon die letzten Male, sollte er auch dieses Jahr wieder für magischen Schutz sorgen. Marshall Raith fand das zu teuer, konnten wir hören, aber wie Totilas sagte, findet der alles teuer. Er trug das Kostüm eines Gründervaters: Gehrock, Kniebundhosen, gepuderte Perücke. Cherie Raith hatte sich ausstaffiert wie Marvels Black Widow: rote Haare, hautenger schwarzer Lederanzug.

Raith Manor sieht nach dem Wiederaufbau richtig gut aus. Es war ja früher ein eher klassischer Bau, und Teile davon sind auch noch erhalten, aber größtenteils macht das Gebäude jetzt einen wesentlich modernen Eindruck. Viel Glas, ziemlich kühl, Sonnenpaneele auf dem Dach, aber immer noch ziemlich verwinkelt. Der Partysaal an prominenter Stelle, natürlich: groß und opulent, aber mit zahlreichen kleinen, intimen Nischen.

Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Die Band spielte, die Leute unterhielten sich, es wurde getanzt, und es sah nicht so aus, als würden die Nischen für raithsche Vampirspielchen benutzt. Aber irgendwann schob sich jemand neben Gerald Raith. Eine White Court offensichtlich, die Totilas uns als 'Anabel Raith' ausdeutete, in einem Kostüm der Herzkönigin aus Alice im Wunderland. Sie hatte die ganze Zeit schon nicht sonderlich begeistert dreingeschaut, sondern eher frostig, was für Raiths in einer sozialen Situation tatsächlich ja wohl eher ungewöhnlich ist. Jetzt nahm sie Gerald beim Arm, hakte sich bei ihm unter und begann zu sprechen. Sie brüllte nicht herum, aber sie flüsterte auch nicht, sondern war durchaus von den Umstehenden zu verstehen. Der Weiße König habe sie geschickt, denn der White Court sei alles andere als glücklich. Entweder Gerald hole sich bis Weihnachten die Marihuanafelder von den Santo-Shango zurück oder das Kokain-Geschäft vom Red Court, sonst müsste hier in der Stadt jemand anderes die Zügel in die Hand nehmen. Entweder es gebe ein Free-for-All, vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall müsse dann eine andere Lösung her.

Gerald klang sichtlich angetrunken, als er antwortete. Oder vielleicht auch nicht antwortete, denn eigentlich klang es wie ein klassisches Non Sequitur. Dass der Weiße König ihm mit Marshall ein Kuckucksei ins Nest gesetzt habe, dass Marshall nichts weiter sei als ein Spion für den König, und dass er genug habe. „Und weißt du was?“, fuhr er dann mit alkoholgeschwängerter Stimme fort, „Ich fordere dich zum Duell, Marshall, zum Duell auf Leben und Tod, unter den Unseelie Accords. Und weißt du was? Dich, Anabel, fordere ich gleich mit!“

In die Stille, die sich nach dieser Bombe im Saal ausbreitete, fiel kurz darauf Orféa Baez' Stimme. „Ich möchte nur zu Protokoll geben, dass der Rote Hof von Miami sein Geld mit Immobilien und Investmentgeschäften verdient, nicht mit Drogen.“
Anabel lachte hell auf. „Ach, das war natürlich nur ein Partyspiel, alles nur ein Scherz, haha“, säuselte sie und ging ab. Wie von einer Bühne, im wahrsten Sinne.
„Kein Scherz“, rief Gerald ihr hinterher. „Duell in zehn Tagen, hier im Garten am Duellkreis!“

Nachdem Totilas geistesgegenwärtig Adalind beiseite gezogen und die Partyplanerin beauftragt hatte, den ganzen Vorfall  wenn möglich tatsächlich irgendwie wie eine Show aussehen zu lassen, klärte unser White Court-Freund uns schnell über die Gebräuchlichkeit von Duellen in den Vampirhöfen auf. Ja, es gibt sie noch, und ja, auch Duelle auf Leben und Tod sind durchaus gebräuchlich. Aber auch ein Duell auf Leben und Tod muss nicht unbedingt mit dem Tod eines der Teilnehmer enden, denn der Sieger hat zwar das uneingeschränkte Recht, den Verlierer zu töten, aber der Verlierer darf dem Sieger etwas anbieten, um sein Leben doch noch zu retten. Etwa, sich dem Sieger auf alle Ewigkeit zu unterwerfen, oder so etwas. Außerdem müssen die Duellanten nicht selbst kämpfen, sondern haben beide das Recht, jeweils einen Champion für sich zu bestimmen.

Roberto zog dann los, um Lucia zu suchen. Eine Weile später sah ich sie miteinander tanzen, was ich schon irgendwie seltsam fand. Ich meine, Dee ist jetzt deine Freundin, Roberto, also benimm dich gefälligst auch so, verdammt!  Dee wiederum nahm indessen Edward beiseite. „Sag mal, ist der Frau klar, dass ich ein U.S. Marshal bin und du ein Polizist?“ „Das ist ihr völlig egal“, knurrte Edward. „Die wollte einfach nur Gerald in die Scheiße reiten.“

Yolanda stand mit Marshall da und unterhielt sich mit ihm. Oder besser, Marshall redete auf Yolanda ein. Er sah ziemlich gestresst aus, oder er tat zumindest so, und Yolandas Gesicht verfinsterte sich zusehends. Dann trennten die beiden sich, und Marshall Raith machte sich auf in Richtung Cousine Anabel, die von einem ziemlich auffälligen Leibwächter von ungefähr 2,10 m begleitet wurde. Totilas warf mir einen Blick zu und setzte sich ebenfalls in Bewegung – er hatte anscheinend vor, das Gespräch zu belauschen.

Alex ließ die Augen überall herumschweifen, sah ich, daher ging ich erstmal zu Yolanda hinüber. Die war ganz aufgebracht. "Der arme Marshall! Vorspiegelung falscher Tatsachen war das! 'Hier kannst du in Frieden leben, hier gibt es keine Intrigen' - und jetzt? Jetzt fordert der, der ihm das vorgespiegelt hat, ihn selbst zum Duell!" Sie war ernsthaft empört, und nichts, was ich sagte, konnte sie in irgendeiner Form beruhigen, nicht einmal, dass Duelle auf Leben und Tod nicht unbedingt im Tod enden müssen. Ob man Duelle zurücknehmen könne, wollte Landa wissen. Nicht ohne Gesichtsverlust, erwiderte ich, jedenfalls soweit ich wisse. Es müsse jedenfalls der Grundsatz 'in dubio pro reo' gelten, befand meine Schwester, auch für einen White Court-Vampir! "Und überhaupt - hat die Tante gerade wirklich von Drogen geredet? Mit einem Cop und einer U.S. Marshal im Raum? Wie korrupt ist das denn?!"
Da wiederum konnte ich ihr nur zustimmen.

Die erwähnte U.S. Marshal machte auch ein ziemlich unglückliches Gesicht, und ich kannte sie gut genug, um zu wissen, was in ihr vorging. Sie hätte eigentlich auf die Drogengeschichte reagieren müssen, und auch liebend gerne wollen, aber die von Anabel Raith aufgeworfenen Vorwürfe waren so schwammig und nichtssagend gewesen, dass Dee eigentlich gar nichts so wirklich tun konnte. Also biss sie die Zähne zusammen und schwieg - und ging stattdessen mit Roberto tanzen. Das hatte ich zwar gerade vorhin noch angemeckert, aber: grrrrr. Hat keiner behauptet, dass ich in dieser Angelegenheit rational denke. Das war dann jedenfalls der Moment, in dem ich mir lieber etwas zu trinken holen ging.

Später trafen wir uns alle wieder und tauschten Informationen aus.

Totilas hatte tatsächlich Marshall und Anabel Raith bei ihrem Gespräch belauscht. Anabel machte sich offensichtlich wegen der Duellforderung keine großen Sorgen. Es gebe wohl ein paar Kandidaten für Geralds Champion, wie den brutalen Cop zum Beispiel. Sie selbst habe einen Champion, ob Marshall auch schon einen hätte? Marshall hatte offensichtlich noch keinen, denn er erklärte, er könne Hilfe dabei brauchen, einen zu finden, aber das überhörte Anabel geflissentlich. Oder besser, sie weigerte sich rundheraus, ihm zu helfen, weil Marshall ihr nichts im Gegenzug anzubieten hatte.

Etwa in diesem Moment hätten die beiden Totilas dann bemerkt, sagte er. Marshall habe sich verzogen, aber Anabel habe sich schleimig-freundlich gegeben. Totilas habe sie gefragt, ob sie einen guten Champion habe, und sie habe das bestätigt – und ihn dann gefragt, ob er sich anbieten wolle, ehe sie ihn habe stehen lassen. Totilas machte ein etwas seltsames Gesicht, als er das erzählte. Irgendwas war offensichtlich zwischen den beiden noch vorgefallen, das er uns nicht weitergab.

Nach dem Gespräch mit Anabel hatte sich Totilas doch noch mit Marshall unterhalten. Der war erst wenig geneigt, mit seinem Cousin alleine zu sein, aber dann redete er doch. Er habe erklärt, er sei kein Spion. Er habe lediglich versucht, Gerald klarzumachen, dass die Dinge so nicht so laufen könnten, wie Gerald das gerade versuche, aber der habe ja nicht auf ihn hören wollen. Er habe hier in Miami wirklich nur seine Ruhe haben wollen, aber nun habe er das Gefühl, Gerald habe ihn verschaukelt. Und Marshall habe sogar ehrlich gewirkt, als er das sagte.

Alex sagte, angesichts der Neuigkeiten von dem Duell habe Orféa Baez sehr zufrieden dreingeschaut, Spencer Declan ebenso. Der größte Teil des White Court habe ziemlich aufgescheucht gewirkt, während Cherie Anabel beobachtete, als  sei diese der ganz klar definierte Feind.

Mit Cherie hatte Edward dann auch gesprochen: Sie werde Gerald Champion geben. Marshall halte sie nicht für eine Bedrohung. Die wahre Gefahr sei Anabel. Sie hätte dann noch versucht, sein Gewissen reinzuhalten, indem sie meinte, das ganze Gerede sei nur Code für „Kuchen“.

Anschließend hatte Edward eigentlich mit Gerald reden wollen, aber das ging gerade nicht. Der Gute war nämlich gerade dabei, sich zu ernähren. Ähm, ja.

Danach passierte jedenfalls nicht mehr so richtig viel. Ist ja auch nicht so, als wäre die eine Bombe nicht genug gewesen.

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01. November

Wir haben uns auf dem Schiff getroffen. Das kam uns bei den ganzen Neuigkeiten und Dingen, die es zu besprechen gibt, sicherer vor als das Dora's.

Schneeball sei noch nicht wieder zuhause, erzählte Edward. Den hatte er für die Party bei Ximena gelassen, aber bisher hat sie ihn noch nicht zurückgebracht.

Totilas hat heute morgen über das „Beyond the Pale“-Forum eine Nachricht an seinen Vater geschickt. Er habe keine Klarnamen verwendet und alle Informationen verschlüsselt, versicherte er uns. So habe er erwähnt, dass seine Mutter in der Stadt sei und nach den Unterlagen des alten Mathelehrers von Widening Gyre suche. Außerdem habe er um ein Treffen gebeten, es sei wichtig. Sich selbst identifiziert habe er sich mit einem alten Kinderspitznamen, damit Richard auch wisse, das die Nachricht wirklich von Totilas sei.

Dann erzählte Roberto uns, dass er gestern abend tatsächlich mit Lucia gesprochen habe. Ach. Gesprochen also auch, nicht nur getanzt. Von der erfuhr er, dass die ganze Sache mit dem Ritual Sancias Baby sei. Und soweit sie, Lucia, wisse, solle das Ritual auch keinen Angriff auf irgendwen darstellen, sondern Sancia wolle es für sich selbst.

Dann trugen wir nochmal all die Dinge, die wir gestern abend schon kurz besprochen haben, zusammen. Und fingen an zu theoretisieren.
Ob Gerald die ganze Sache mit dem Duell vielleicht geplant haben könnte, war ein Gedanke. Das sehe seiner Meinung nach tatsächlich so aus, fand Roberto. „Ich glaube, Gerald versucht, Totilas in seine Position zu hieven.“
Daraufhin fragte Alex, ob Totilas sich für den Job disqualifizieren wolle – mit Sancias Ritual müsste es ja möglich sein, ihn zu ent-vampirisieren. „Sancia will mich umbringen!“, erwiderte Totilas entgeistert. Ach, da könne er mal vorfühlen, hielt Roberto ihm entgegen.

„Ich kann Gerald nicht im Stich lassen“, sagte Totilas nachdenklich, „aber ich bin auch ein Ritter von Miami. Für Miami wäre es besser, wenn ich dieses Ritual durchzöge.“ „Warum?“ wollte Alex sofort wissen. „Ich weiß nicht...“, kam Totilas' Antwort. „Weil ich dann keine Drogengeschäfte machen müsste.“ „Das musst du ja nicht“, schoss Alex zurück. „Der Weiße König will nur sein Geld. Ob du das legal oder illegal verdienst, ist dem völlig egal.“

Er habe Gerald nie verstanden, fuhr Totilas fort. Der stelle Ansprüche an ihn, sage aber nicht, was für welche.
„Gerald ist eigentlich ziemlich simpel gestrickt“, warf Edward ein. „Geh einfach mit ihm reden.“
„Das habe ich ja versucht“, seufzte Totilas.
Das war natürlich das richtige Stichwort. „Nicht versuchen“, hielt Alex unserem White Court-Kumpel sofort entgegen. „Do or do not, there is no try.“
Da musste ich ihn aber leider enttäuschen. „Vergiss es, Alex, der kennt kein Star Wars!“

Ähm. Ja. Und deswegen machen wir jetzt einen Videoabend. Ich habe Totilas mehr oder weniger am Schlafittchen gepackt und zu mir nach Hause geschleppt; Roberto kam auch mit. Duell hin oder her, Red Court-Rituale hin oder her, den einen Abend kann das jetzt auch noch warten. Totilas' Bildungslücke schließen ist wichtiger, habe ich beschlossen. Alex ist heute abend, am Día de los Muertos, ohnehin damit beschäftigt, sich um die Geister zu kümmern, und Edward bekam auch einen Anruf aus dem Precinct, dass seine Anwesenheit vonnöten sei. Da können wir anderen auch Film schauen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.02.2016 | 20:15
Ricardos Tagebuch: White Night 3

02. November

Der Día de los Muertos ist wohl vergleichsweise ruhig verlaufen, sagte Alex. Außer dass bei diesem Zombie Walk beinahe Dinge schiefgegangen wären, als er gerade woanders nach dem Rechten sah. Es sei aber gerade nochmal alles gut gegangen. Aber wer zum Geier veranstaltet auch einen Zombie Walk am Día de los Muertos?

Aber immerhin hat Richard schon auf Totilas' PM geantwortet. Dummerweise bestand sie aus nicht viel mehr als einem Fluch und einem knappen „bin unterwegs, müssen reden“, aber immerhin, er hat geantwortet. Und immerhin, er ist unterwegs.

Roberto hatte deutlich beunruhigendere Neuigkeiten, die er sofort auf uns losließ, nachdem Alex und Totilas ihre Informationen abgeworfen hatten. Kurz vor Sonnenaufgang rief nämlich Lucia bei ihm an. Sie habe ihm nur sagen wollen, dass das Ritual ein bisschen schiefgegangen sei und nun ein Maya-Eiterdämon frei in der Stadt herumlaufe. Einer der Herren von Xibalba, der Unterwelt der Maya. Ääääh. ¿Como demonios? Im wahrsten Sinne.
Auf Robertos Nachfragen habe Lucia dann noch erzählt, dass der Dämon Ahalphu heiße, in den Everglades beschworen worden sei und Krankheiten verteile.
„Wir sollten uns umbenennen von 'Ritter' in 'Kammerjäger'“, knurrte Edward, als er das hörte. Gute Idee. Mierda.

Als erstes riefen wir in der Waystation an, um Selva Elder zu warnen, dass ein Krankheitsdämon in den Glades herumstreunt. Dann durchsuchten wir das Internet nach Informationen über das Pantheon der Maya. Wir fanden heraus, dass laut den Überlieferungen der Maya deren Götter die Dämonen in einem Ballspiel besiegt und daraufhin in deren Unterwelt verbannt hatten. Genauer gesagt, Roberto, Totilas und ich suchten. Edward hielt sich lieber fern, weil nicht sein wassergekühlter Spezialrechner, und Alex war in eine Art Trance verfallen. Wir beobachteten das erst mit ein wenig Sorge, aber er atmete ganz normal, also hofften wir mal, dass er schon irgendwann wieder zu sich kommen würde.

Das tat er dann nach ein paar Minuten auch. In seiner Trance war Eleggua ihm erschienen und hatte ungewöhnlich ernsthaft mit Alex geredet. Dieser Ahalphu sei eine Totengottheit der Maya, einer von der Sorte 'guckt dich an, und du fällst um', und wir seien völlig unvorbereitet auf eine Bedrohung von diesem Kaliber. Und der Dämon müsse wieder zurück in die Unterwelt gebracht werden, dringend, der gehöre keinesfalls in die Welt der Lebenden. Körperlich gegen ihn zu kämpfen wäre theoretisch möglich, dazu würde Eleggua aber nicht raten, dazu sei der Kerl zu mächtig.

Super. Einfach grandios. Und das, wo die Grenzen zum Nevernever wegen des Día de los Muertos ohnehin gerade schwach sind. Oder vielleicht eben deswegen.

Wie dem auch sei, wir überlegten natürlich des Langen und des Breiten, was wir nun tun konnten. Wir könnten ein Ritual durchführen, um den Kerl zu orten. Und wir könnten ein Ritual durchführen, das vor Krankheiten schützen würde. Aber wir brauchten Hilfe, soviel war klar.

Wir beschlossen, so ziemlich jeden unserer übernatürlichen Kontakte zu informieren, damit die wenigstens gewarnt wären und vielleicht im besten Falle schlaue Ideen hätten. Jack White Eagle. Pan. Das Coral Castle. Macaria Grijalva. Die Santo Shango. Sogar Spencer Declan. Immerhin ist der der Warden der Stadt und sollte zumindest informiert sein, wenn er es schon nicht für nötig halten würde, einzugreifen. Wobei, vielleicht würde er uns ja überraschen und doch etwas tun. Zeichen und Wunder soll es ja bekanntlich immer mal wieder geben.

Macaria Grijalva klang sehr beunruhigt bei der Nachricht, vor allem aufgrund der Tatsache, dass Eleggua höchstselbst es für nötig gehalten hatte, sich einzumischen.
Jack White Eagle sagte, er werde die übrigen Elders informieren und schauen, ob er irgendwelche Maya-Nachfahren in der Stadt finden könne.
Spencer Declan war nicht zu erreichen, dem hinterließ Roberto eine harmlos klingende Mitteilung über dessen Telefondienst.
Cicerón Linares wiederum erklärte, die Santo Shango hätten ja noch immer die Yansa-Maske, falls diese gebraucht werde. Stimmt. Gut zu wissen.

Ich rief dann bei Yolanda an, um sie zu warnen und auch, damit sie vielleicht Alejandra und die Eltern aus der Stadt bringen könnte, aber ich erreichte sie nicht in Miami, sondern mitten in einem Richterauftrag, irgendwo in Connecticut. Mierda!

Na gut. Ich rief also bei Lidia an, immerhin wollten Alejandra und Monica heute nachmittag zusammen spielen, aber die Mädels seien noch in der Schule, sagte sie. Und Lidia selbst sei noch bei der Arbeit und könne nicht einfach so frei nehmen oder die Mädchen aus der Schule holen, selbst dann nicht, wenn ein Terrorist unterwegs sei. Seufz. Wenigstens nahm ich ihr das Versprechen ab, vorsichtig zu sein und größere Menschenansammlungen zu vermeiden, wenn sie die Mädels nachher von der Schule abholen gehe.

Während ich telefonierte, hatte Roberto ein kleines Ritual begonnen, um den Eiterdämon zu lokalisieren. Für uns sah das vor allem so aus, als habe er eine Statue seiner Orisha vor sich hingestellt und Kräuter drumherum gestreut, aber als er zu sich kam, erklärte er, er habe von Erinle, der Orisha der Heilung, erfahren, wo dieser Ahalphu sei: An einem Ort voller Wasser und Palmen. Das Bild, das ihm vor Augen trat, erkannte Roberto als Coral Gables, einer edlen Luxusgegend, wo auch der Red Court residiert.

Lucia konnte Roberto nicht erreichen, weil es ja inzwischen Tag war, aber er rief nochmal bei Macaria an, um ihr die neue Lage in Sachen Coral Gables mitzuteilen und sie zu bitten, zum Anwesen des Red Court zu kommen. Aber die Santería-Älteste meinte, als Orunmila könnten sie nicht viel tun, und verwies an Eleggua.

Alex bat Edward, der solle Suki Sasamoto beauftragen, die Eleggua-Maske für ihn hochzutauchen (die hat Alex ja zur Sicherheit sehr, sehr tief unten im Meer versenkt).
Als Edward dann mit seiner Kollegin telefonierte, berichtete die, nahe Coral Gables sei ein Mann aus unerfindlichen Gründen zusammengebrochen und liege jetzt in kritischem Zustand im Krankenhaus. Mierda.

Kurz überlegten wir, ob Edward vielleicht in der Gegend eine Durchsage wie „es ist ein Gasleck aufgetreten, bitte halten Sie Türen und Fenster geschlossen“ veranlassen könnte, aber den Gedanken mussten wir leider ziemlich sofort wieder verwerfen. Es gab einfach keine Beweise in der Richtung; eine solche Warnung wäre einfach nicht plausibel und würde die guten Bewohner von Coral Gables (reich und von ihren Rechten überzeugt allesamt) nicht sonderlich lange in ihren vier Wänden halten, selbst wenn man das Umweltamt irgendwie davon überzeugen könnte, sie auszugeben.

Inzwischen traten immer weitere Krankheitsfälle auf, überall da, wo sich üblicherweise viele Leute aufhalten: South Beach, Lincoln Street, und so weiter. Unser Eiterdämon bewegte sich offensichtlich recht zügig in der Gegend herum.

Henry Smith, den Edward damit beauftragte, die Situation im Auge zu behalten, meldete sich irgendwann mit der Nachricht zurück, in der Nähe einer der Erkrankten sei ein auffälliger Typ gesehen und fotografiert worden. Das Bild schickte er uns. Es war ein wenig verwackelt, aber darauf war ein älterer Indio mit zerfurchtem Gesicht und mittellangem Haar zu sehen.

Wir sahen uns die Liste der bisherigen Krankheitsfälle an, um festzustellen, ob sich vielleicht ein erkennbares Muster ergab. Aber wenn dem so war, dann konnten wir es nicht finden. Aber es gab bisher auch noch gar nicht so viele Fälle, dass es irgendwie relevant gewesen wäre.

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Gegen Abend klingelte Totilas' Telefon. Richard war dran, gerade in der Stadt angekommen. Totilas wollte seinen Vater gleich vor dem Eiterdämon warnen, aber der meinte, Totilas – gerne auch mit seinen Freunden – solle vorbeikommen und es ihm von Angesicht zu Angesicht erzählen. Oh, und er solle sich nicht wundern: Richard sei der Typ im Zylinder.

Richard trug tatsächlich einen Zylinder, stellten wir im Dora's fest. Das, und ein Goth-Outfit. Begleitet wurde er von einer ganz ähnlich gekleideten Dame, ebenfalls im Zylinder, die er als Hayley vorstellte. Der ältere Raith umarmte seinen Sohn zwar, löste sich dann aber sehr schnell. Ich erinnerte mich daran, dass er ja von Sancia infiziert worden war. Vermutlich war das der Grund, warum er körperliche Nähe zu vermeiden suchte.

Wir erzählten den beiden, was wir von Lucia erfahren hatten. Dass durch das Ritual der Red Courts wohl anscheinend ein Tor in die Unterwelt geöffnet werden sollte, da aber etwas gründlich schiefgegangen sei. Und dass der Eiterdämon dringend zurück nach Xibalba müsse.

Richard hörte zu, nickte verstehend und meinte dann, er könne sich ungefähr vorstellen, was Sancia geplant habe. Mit den Red Courts sei das so, erklärte er: Man werde ja nicht als Red Court geboren, sondern infiziert. Und wenn ein Infizierter dann zum Vampir werde, übernehme dessen Dämon die ehemalige Person vollständig. Deren Seele müsse bei der Übernahme ja irgendwohin verschwinden, und zwar vermutlich eben ins Totenreich, in einen ganz bestimmten Teil des Totenreichs. Diese Seele könne man aber eben nicht so einfach zurückbeschwören. Ergo das komplizierte Ritual, das aber fehlgeschlagen war. Ja klar, das klang plausibel!

Bei der Linie der Canchés sei es jedenfalls schon immer so gewesen, dass deren Dämonen schwächer seien, dass auch nach der Übernahme ein wenig mehr Geist, mehr Seele, in der Person übrig bliebe.
Während seiner Gefangenschaft habe er mit einiger Mühe Sancia davon überzeugen können, dass es doch gut sei, ihre Seele oder wenigstens einen größere Teil ihrer Seele wiederzubekommen. Das würde sie zwar schwächen, aber diese Schwächung könnte sie mit anderen Vorteilen kompensieren.

Richards Langzeitplan sei es gewesen, Sancias Dämon ganz loszuwerden. Das habe er aber natürlich nicht laut gesagt. Jedenfalls hätten seine Frau und er lange geforscht und wüssten nun, in welcher Ecke des Totenreichs die Seelen genau zu finden seien. Nur sie zurückzuholen sei eben schwer.

Nach Lafayettes Unterlagen fragten wir Richard natürlich auch. Die seien bei ... in Sicherheit, erwiderte er. Er wisse, wo sie seien, aber er habe sie nicht.

Dann ließen wir die Bomben platzen. Nummer eins: Camerone Raith sei jetzt der Geist des Coral Castle. Der Lette sei verschwunden, vernichtet worden von Cicerón Linares. Diese Nachricht schockte Richard schon gehörig.
Als Totilas dann herumzudrucksen begann, fragte Alex: „Soll ich dir eine schöne Überleitung geben, oder schaffst du's alleine?“
Totilas sah zu Hayley. „Ist sie vertrauenswürdig?“
Richard erklärte, er vertraue ihr so halbwegs, während Hayley protestierte. „Hey, ich bin total vertrauenswürdig!“
„Es geht um Familienangelegenheiten“, zögerte Totilas weiter, und er wolle nicht, dass das allzuweite Kreise ziehe, und...
„Nun fang endlich an!“

Also erzählte Totilas von der Halloween-Feier, von Gerald und seiner Duellforderung, seiner Aussage, er „hätte Richard und Totilas geliebt“ und der daraus hergeleiteten Befürchtung, er könne Selbstmord begehen wollen.
„Was sagt er denn?“ fragte Richard.
„Er redet ja eben nicht mit mir“, seufzte Totilas.
„Er redet schon mit dir“, hielt Richard ihm prompt entgegen, „du verstehst ihn nur nicht.“

Und dann zog Richard los, um sich selbst mal mit seinem Vater zu unterhalten. Aber vorher theoretisierte er noch, dass Cherie zwar sein Champion sein möge, dass er aber bestimmt einen zweiten Champion als Ersatz in der Hinterhand habe. Oder dass, falls er sich wirklich umbringen wolle, selbst in das Duell gehen könnte, das sei sogar nicht mal so unwahrscheinlich. Der Sieger eines Duells auf Leben und Tod müsse dem Verlierer die Option lassen aufzugeben, aber wenn der Verlierer dies nicht tue, dann müsse der Sieger den Todesstoß setzen.
Und er gab Totilas seine Telefonnummer. Er hat so ein Einweg-Prepaid-Ding, weil Sancia ja noch immer nach ihm sucht. Die beiden sind ja auch tatsächlich noch immer verheiratet, haben sich nie scheiden lassen.

Nachdem Richard gegangen war, blieb Hayley noch im Dora's und gab uns einige weitere Informationen.
Xibalba sei eine der Domänen im Nevernever, die Unterwelt der Maya. Dort sei heute nicht mehr allzuviel los, weil es eben kaum noch Leute gibt, die der Maya-Religion angehören. Es gebe zwölf Herren von Xibalba, zwei oberste und zehn untere, zu denen Ahalphu gehöre, die eben irgendwann besiegt und in diese Unterwelt verbannt wurden.
Die Unterwelt der Maya bestehe aus neun Stufen, wo man sich in Kämpfen und Prüfungen beweisen müsse – mit der Ausnahme von Selbstmördern, Opfern und im Kindbett Gestorbenen, die würden sofort in den Maya-Pantheon aufgenommen. Aber auch alle anderen Seelen müssten sich nicht auf ewig in Xibalba aufhalten, sondern müssten eben die diversen Prüfungen bestehen, wonach sie auch in den Pantheon aufgenommen würden.

Die Eingänge nach Xibalba befänden sich traditionell in Höhlen, und ja, theoretisch könnte man dort auch als Lebender herumlaufen, wenn man den Weg finde. Man brauche aber Affinität zur Kultur der Maya, sonst käme man einfach anderswo hin, wenn man es versuche.

Ahalphu grundsätzlich loszuwerden, sei eigentlich ganz einfach, befand Hayley: „Tor auf, Ahalphu rein, Tor zu.“
Das Tor zu öffnen, sei nun nicht so das Problem. Das Problem sei eher, Ahalphu dahin zu bringen, wo das Tor sei, und eben, das Tor genau am richtigen Ort zu öffnen. Oh, und den Eiterdämon hindurchzubugsieren. Denn der werde sich vermutlich wehren.

Dann wandte Hayley sich direkt an Alex. „Dein Boss ist ein Scherzkeks. Sag' dem bloß, ich will ihn nicht bei mir haben!“
Was auch immer sie damit meinte. Aber Alex erklärte uns später, als sie weg war, er habe an ihr irgendwas gespürt, eine Art Verwandtschaft zu sich selbst, aber mit einem anderen Schirmherrn, und wir sollten ein bisschen vorsichtig sein. Sprich mit irgendeiner anderen Totengottheit als Patron? Oh Freude. So richtig wie ein Mensch ist sie Alex auch nicht vorgekommen. Doppelfreude.

Als wir uns dann trennten, stöberte ich zuhause noch ein bisschen in den Tiefen des Internets. Aber außer, dass es jetzt schon wieder halb drei Uhr morgens ist und mir die Augen brennen, habe ich nicht sonderlich viel herausgefunden. Zahllose Verweise auf Bücher, Artikel, Professoren, sonstigen Maya-Experten. Nichts, was sich nachts weiter verfolgen ließe. Oh, und die Idee, dass Eric es im nächsten oder übernächsten Band vielleicht irgendwie mit den Maya zu tun bekommen könnte, falls sich das einigermaßen gescheit einbauen lässt.

Viel Zeit für Schlaf ist heute nacht jedenfalls nicht mehr. Mierda.

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03. November

Über Nacht sind es mehr Opfer geworden. Es ist noch keine Epidemie, aber der Anstieg an Kranken macht sich inzwischen deutlich bemerkbar. Es gab auch bereits den ersten Todesfall. Das CDC ist auch schon in der Stadt, das war ja zu erwarten. Edward hat Kontakt mit denen und ist daher über deren Stand der Anstrengungen informiert. Dem CDC ist noch nicht so klar, was das überhaupt für eine Krankheit ist, die sich da gerade ausbreitet. Aber immerhin ist es wirklich nur eine Krankheit, nicht mehrere. Die Inkubationszeit muss relativ hoch sein, denken die Experten. Bezüglich des Übertragungsvektors sind sie sich unsicher, aber es könnte sich um Luftübertragung handeln. Die Betroffenen fallen mitten in Menschenansammlungen um – das heißt, entweder, viele Leute sind immun oder sie sind Überträger oder die Inkubationszeit ist tatsächlich richtig hoch, und alle sind schon angesteckt, aber die Krankheit ist einfach noch nicht ausgebrochen. Und das wäre natürlich der absolute GAU.
Aber eine Sache ließ uns aufhorchen. Alle bisherigen Opfer sind Leute, die hervorstechen, auffallen, irgendwie interessant wirken.

Roberto kam gar nicht zu dem Treffen am Vormittag; er hinterließ uns aber eine Nachricht, dass er den Orunmila helfe, die einen Schutzkreis gegen die Seuche um Little Havana ziehen wollten. Gut so. Das beruhigt mich, auch und gerade in bezug auf Mamá und Papá.

Suki Sasamoto schlug kurz bei uns auf und lieferte die Maske bei Alex ab, und kurze Zeit später stieß Richard Raith zu uns. Sein Gespräch mit Gerald gab er folgendermaßen wieder:

Zwischen den Zeilen gelesen, habe Gerald extrem urlaubsreif, wenn nicht gar lebensmüde auf ihn gewirkt. Er wirke, als sei er am Ende seiner Kräfte, und alle, die er liebt, stürben, litten, gerieten in Schwierigkeiten. Aber um Hilfe bitten könne er ja auch niemanden. Nichts davon habe Gerald, wie erwähnt, laut gesagt, aber das sei der Eindruck, den Richard von ihm gewonnen habe.
Seiner Meinung nach sei Gerald auch aufrichtig davon überzeugt, dass Marshall Raith ein Verräter sei.
Cherie werde Geralds erster Champion gegen Marshall sein; gegen Anabel habe er auch einen Champion, habe er erklärt, aber nicht sagen wollen, wer das sei. Das klinge beinahe, als wolle er es selbst machen, sage Richard, und ja, irgendwie tut es das. Richard war sich allerdings nicht ganz sicher, ob Gerald ihm nicht nur eine grandiose Show geliefert habe, um ihn zu täuschen.

Hmmm. Falls es wirklich ein Täuschungsmanöver sein sollte, überlegten wir gemeinsam, dann hätte Gerald Miami mit einem Sieg über Anabel eine Menge Luft verschafft, und wenn er dann wollte, könnte er die Leitung des White Court in der Stadt immer noch an Totilas abgeben.

Wir wüssten zu wenig über Marshall, befand ich. Wenn wir uns sicher sein könnten, dass er unschuldig sei, wäre es vielleicht einfacher, einen Weg zu finden, wie er unbeschadet aus der Duellsache rauskommt. Und wenn er wirklich unschuldig ist, dann verdient er auch einen guten Champion.
Totilas erwähnte nochmal das Gespräch zwischen Anabel und Marshall, das er belauscht hatte, wo Marshall seine Cousine förmlich um Hilfe angefleht, diese ihn aber am ausgestreckten Arm hatte verhungern lassen.
Es könnte ja auch sein, dass Marshall es tatsächlich ehrlich meint, dass er aber trotzdem benutzt wird, weil man – sprich  der Weiße König oder sonstige Raiths vom Weißen Hof – einfach weiß, welche Knöpfe man bei ihm drücken muss.

„Biete du dich ihm doch als Champion an“, schlug Alex Totilas trocken vor. „Damit würde zumindest mal niemand rechnen.“
Da schüttelte unser White Court-Kumpel aber sehr schnell. „Das kann ich Gerald nicht antun. Über die Kante schubse ich ihn nicht.“
Sein unglücklicher Gesichtsausdruck, während er das sagte, ließ aber durchscheinen, dass Totilas den Eindruck hatte, das habe er bereits getan.

Ich könnte Yolanda mal fragen, ob sie seit der Party nochmal mit Marshall über das Duell und seinen Champion gesprochen habe, fiel mir ein.
Als ich ihren Namen erwähnte, horchte Totilas auf. „Vielleicht wäre Yolanda als Richterin ja geeignet.“
Ich sah ihn entgeistert an. Als Champion? In einem Duell auf Leben und Tod? Meine Schwester? Keine Chance, Junge!

Dann rief ich auch nochmal bei meinen Eltern an, um sie vor der grassierenden Krankheit zu warnen. Dass sie für ein paar Tage vielleicht möglichst wenig aus dem Haus gehen sollten. Und dass ich Alejandra, die ja ohnehin gerade bei ihnen war, vermutlich über Nacht bei ihnen lassen würde. Lidia warnte ich dann ebenfalls.
Am liebsten hätte ich auch auch Dee angerufen, hatte sogar die ersten Ziffern ihrer Nummer schon gewählt, aber dann legte ich auf. Das wäre vermutlich nicht so gut gekommen. Stattdessen bat ich Alex, seine Schwester zu warnen. Das tat er auch, wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn Dee war mit Roberto in Little Havana und half bei dem Ritual. Hätte ich mir ja denken können, immerhin ist sie Spezialistin für Schutzzauber. Sie war da natürlich schwer eingespannt, aber sie versprach Alex noch, dass sie Edward Zugang zu dem Netzwerk der Task Force verschaffen werde.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 23.02.2016 | 22:21
Ricardos Tagebuch: White Night 4

Richard Raith saß ja auch noch bei uns. Dem sagte Edward rundheraus, er interessiere sich für seine Forschungsergebnisse und dafür, wie er damals seinen Dämon losgeworden sei. Und warum er meine, dass dieselbe Vorgehensweise auch auf einen Red Court-Dämon Wirkung zeigen könne. Und vor allem, warum er glaube, dass Sancia ebenfalls ein Interesse daran habe, ihren Dämon loszuwerden.

Als voller Red Court-Vampir könne Sancia nicht mehr lieben, erklärte Richard. Sie wisse aber, dass ihr etwas fehle, und sie vermisse es und wolle es gerne zurückhaben. Und ja, er glaube ihr schon, dass sie darunter leide. Sancia ihre Seele zurückzugeben, würde den Red Court-Dämon nicht sofort vollständig aus ihr vertreiben, fuhr Richard dann fort, sondern sie eher wieder mehr wie zu einer Infected werden lassen.

Ursprünglich hatte Sancia ihren Mann ja gefangengenommen und ihn tatsächlich auch gefoltert, wie Richard jetzt in knappen Worten erzählte. Er habe sie aber überreden, oder überzeugen, oder beides, können, dass es anders besser sei, und so habe sie ihn freigelassen. Die Idee, ihr die Seele wiederzugeben, habe er nach seinen eigenen Erfahrungen mehr oder weniger improvisiert. Und ja, er hätte Sancia tatsächlich gerne wieder, seine Frau, wie sie früher gewesen war.

Nun gab Richard auch zu, wo seine Aufzeichnungen versteckt seien. Die bewahre nämlich Cleo duMorne zusammen mit Lafayettes eigenen Unterlagen auf. Und Cleo sei gut im Verstecken - sei ihr ganzes Leben lang schon auf der Flucht, mehr oder weniger. Ihr Vater habe sie anscheinend nur gezeugt, weil er irgendwelche magischen Experimente mit ihr habe anstellen wollen oder so etwas in der Art, und ihre Mutter sei dann mit dem Mädchen geflohen.

Ob Richard Spencer Declan kenne, wollte Alex dann wissen. Da wurde sein Gesicht grimmig. "Oh ja."
"Was müssen wir über ihn wissen?"
"Er ist ein Arsch."
"Das wissen wir. Was noch?"
Ich wurde genauer. "Wir haben gehört, Declan könne die Gesetze der Magie ungestraft brechen."
Richard schüttelte den Kopf. "Das geht nicht. Es ist ein kosmisches Gesetz, dass das nicht geht."
"Man hat uns aber davor gewarnt", hakte ich nach.
Das brachte Richard zum Überlegen, und er erzählte uns, dass es im White Council Gerüchten zufolge jemanden gebe, der das könne. Zumindest habe der Magierrat vor einer Weile einen ganzen Satelliten auf eine Ansiedlung des Red Court niedergehen lassen, was garantiert mit Magie erfolgt sein müsse, und dabei ebenso garantiert auch Menschen getötet worden seien.

Beunruhigend, aber es brachte uns im Moment nicht weiter, vor allem nicht in bezug auf unser aktuell drängendstes Problem. Also stellten wir diese Frage fürs Erste hinten an und befassten uns mit dem Seuchendämon aus Xibalba. Die Eingänge in die Maya-Unterwelt befinden sich traditionell in Höhlen. Okay. Wo gibt es Höhlen in Miami?
Alex wusste da ein paar. Etliche unterseeisch - da würden wir Ahalphu vermutlich nur schwer hinlotsen können. Der Camp Owaissa Bauer-Campingplatz hat eine Höhle, aber ein Campingplatz klang uns zu belebt. Dann noch das Salt Cave Medical Spa - vermutlich auch zu belebt - und die Lost Lake Caverns, ein Felsloch in einem See. Alles nicht so wirklich vielversprechend. Zumal letztere vor einer Weile gesprengt wurden und man wohl gar nicht mehr reinkommt. Mierda.

Aber gut. Angenommen, wir nehmen eine der beiden belebten Höhlen für unser Tor zurück nach Xibalba. Wie können wir Ahalphu besiegen? Was ist seine Schwachstelle? Was will er? Er sucht Anhänger, will angebetet werden, waren wir uns alle einig.
"Wir könnten ihm Anhänger versprechen", schlug Totilas vor. "Eine Sekte für ihn gründen."
Ich bin mir nicht sicher, wie ernst er das wirklich meinte, aber ich fürchte fast, ziemlich. Aber auch wenn es ein Scherz gewesen sein sollte, konnte ich das nicht witzig finden. Dass irgendwelche alten Wesen, die früher als Gottheiten angebetet wurden, überhaupt existieren, fällt mir schwer genug zu akzeptieren. Aber die auch noch aktiv zu unterstützen? Da mache ich nicht mit, und das sagte ich den Jungs auch.
"Schön, keine Sekte", knurrte Edward. "Aber können wir bitte irgendwas tun?! Es sterben uns Menschen weg hier!"

Wir beschlossen also, Ahalphu erstmal zu finden und mit ihm zu reden. Vielleicht wollte er ja, E.T.-Style, einfach nur nach Hause und würde anstandslos durch das Tor gehen? Immerhin wurde er gegen seinen Willen hergerufen. Okay, nicht sonderlich wahrscheinlich, aber versuchen mussten wir es.

Die Spur, die sich für Edward nach seinem üblichen Finderitual auftat, führte nach South Beach. Dort saß auf einer Bank ein älterer Mann, Typ südamerikanischer Ureinwohner, einen Gehstock neben sich und eine Pfeife in der Hand, der sich völlig entspannt und zufrieden die Gegend und vor allem die vorübergehenden Menschen anschaute. Zum Baden war es etwas zu kühl, aber es herrschte doch reichlich Leben am Strand. Der Pfeifenrauch rieche seltsam, befand Edward, ziemlich ungesund, deswegen hielten er und ich uns sorgfältig abseits davon und in sicherer Entfernung, aber in Hörweite, während Alex und Totilas auf den Eiterdämon zugingen. Die beiden sind einfach seuchenresistenter als Edward und ich.

Als sie vor ihm anhielten, sah der alte Indio zu ihnen und betrachtete beide interessiert.
„Schönen Tag“, grüßte Alex.
„Es ist wirklich ein schöner Tag, das stimmt“, erwiderte Ahalphu. Er hatte einen undefinierbaren Akzent, sprach ansonsten aber einwandfreies Englisch.
„Sie sind nicht von hier“, sagte Alex ihm auf den Kopf zu.
„Ich bin ... gereist. Ein Tourist.“
„Und?“
„Es gefällt mir gut hier. Sehr gut sogar.“
„Was denn besonders?“, griff nun auch Totilas in das Gespräch ein.
„So viel Leben“, war Ahalphus Antwort. „So viele kleine Leben. So wirklich. Kleine Leben, jedes ein Funken. So viele Funken. Die kann man alle einfangen. Sie laden einen dazu ein, sie einzufangen, so hell sind sie. Na gut, dann sind sie weg, aber das macht ja nichts. Es sind noch andere da. So viele andere.“
Und mit diesen Worten breitete der alte Mann die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen.
„Was genau wollt Ihr denn hier?“, fragte Alex.
Der Seuchendämon winkte ab. „Ach, dass ich hier bin, war gar nicht geplant. Aber es ist schön hier. Und jetzt lasse ich mir die Sonne auf den Bauch scheinen und genieße die Funken. Es gibt so viele Menschen und andere Wesen hier, da falle ich gar nicht ins Gewicht. Ich glaube, ich bleibe eine Weile hier.“
„Ein Tourist reist aber weiter“, gab Totilas zu bedenken.
„Das stimmt“, lächelte der Dämon ihn überrascht an, als sei das ein völlig neuer Gedanke. „Die Welt ist ja eigentlich ziemlich groß, nicht wahr? Ich habe viel von New York gehört, da soll ziemlich viel Leben herrschen.“

Er sei doch eine Gottheit, warf Totilas ein, und Ahalphu nickte gemessen. Wie sei es denn dann mit Anhängern, fragte Totilas weiter. Das komme schon noch, winkte der Maya ab. Wenn die Leute die Wahl hätten, ihn anzubeten oder krank zu werden, dann würden sie ihn schon anbeten. Aber ganz ehrlich, immer dieses Anbeten, das sei doch auch anstrengend. Und rein optional.
„Du könntest mich anbeten!“, schlug er Totilas dann vor. Ahalphus Stimme klang dabei ganz beiläufig, plaudernd, aber Totilas stutzte und sah tatsächlich so aus, als denke er ernsthaft darüber nach.
„Was bietest du deinen Anhängern denn?“ wollte er wissen.
„Na dass sie nicht krank werden eben“, kam die Antwort.
„Das ist ganz schön schwach“, erwiderte Totilas.
Ahalphu lächelte. „Ach wirklich? Gib mir doch mal die Hand, Junge.“
Das wollte Totilas dann aber doch nicht. „Okay, vielleicht ist es doch nicht so schwach.“

Dort, in Xibalba, sei alles so anstrengend, klagte der Dämon. Immer diese Prüfungen. Das ewige Ballspiel. Hier scheine die Sonne. Und dann und wann... dann und wann sehe er jemanden an... nehme er jemandes Funken... und lasse ihn wieder los.
Bei diesen Worten blickte er zu einer jungen Frau, die am Strand Volleyball spielte. Hübsch, aktiv... vital. Sie schnaufte plötzlich durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mierda.

Ob es gebe, das ihn davon überzeugen könnte, wieder nach Hause zu gehen, fragte Alex. Ahalphu überlegte einen Moment, legte dann den Kopf schief. Neue Leute in Xibalba. Getränke mit Schirmchen drin. Wenn Xibalba generell mehr wie hier wäre. Neue Spiele.
Da hakte Totilas ein. Wenn Ahalphu ein neues Spiel mit nach Xibalba brächte, wäre er dort der Held, erklärte er überzeugt.
Das ließ den Dämon tatsächlich einen Moment lang stutzen, aber dann schüttelte er den Kopf. Es gebe so viele interessante Spiele hier, die müsse er erst mal alle kennenlernen.

Alex bot an, er könne ihm Material nach Xibalba bringen und helfen, dort ein Sportzentrum aufzubauen. Er würde gerne anschließend wieder nach Hause, aber er wäre bereit, so lange dort zu bleiben, wie der Bau des Sportzentrums eben dauern würde.

„Ich mache euch einen Vorschlag“, sagte Ahalphu gutgelaunt. „Ihr zeigt mir Spiele. Und wenn mich eines davon überzeugt, dann machen wir das so.“
„Und solange nimmst du keine Funken?“ fragte Totilas.
„Wenn du solange auch keine nimmst?“, schoss der Seuchendämon zurück. „Ich werde nicht hungern und darben.“
Darauf erwiderte unser White Court-Kumpel nichts, aber es war klar, dass Ahalphu bei ihm einen Nerv getroffen hatte. Hungern und darben würde Totilas seinen eigenen Dämon wohl auch nicht lassen.

Das war der Moment, in dem die Volleyballspielerin zusammenbrach. Aufregung, Krankenwagen, das CDC kam auch. Dann wurde die Frau abtransportiert, und am Strand wurde es wieder einigermaßen ruhig. Oder eben so ruhig, wie es vorher gewesen war.

Während all dem hatte Ahalphu ruhig auf seiner Bank gesessen und das Schauspiel interessiert beobachtet. Nun klopfte er seine Pfeife aus, griff nach seinem Spazierstock und lächelte uns alle vier an. Ihm sei nach einem kleinen Spaziergang. Ob wir mitkommen wollten?

Was blieb uns anderes übrig?

Alex suchte uns eine Sportbar, die so früh am Nachmittag noch geschlossen hatte, deren Besitzer er aber kannte (natürlich!), deutete Ahalphu einen der Sitzplätze in guter Sichtweite eines der Bildschirme an der Wand aus und fing dann an, für den Dämon durch die Kanäle zu zappen.

Ahalphu mochte Snooker. Und Baseball. Eishockey schien ihn auch ziemlich zu faszinieren – aber dann schaltete Alex zur Formel 1, und davon geriet der Seuchendämon völlig aus dem Häuschen. Wettrennen! Rasende, pferdelose Kuschen, die im Kreis fahren! Er klatschte in die Hände und starrte auf den Fernsehschirm wie ein Kind bei seiner Lieblings-Zeichentrickserie, ehe er erklärte, das müsse er in echt sehen.

Und dann war Ahalphu mit einem Mal verschwunden, und als die Kamera über die Zuschauertribünen an der Rennstrecke schwenkte, war dort die unverkennbare Gestalt des alten Dämons zu sehen.
Cólera. Aber tun konnten wir erst einmal nichts deswegen.

Kurz darauf rief mich Yolanda zurück. Die war immer noch nicht wieder in der Stadt; ihr Richterjob hatte sie aufgehalten. Aber Marshall habe mit ihr gesprochen wegen des Duells, und sie hätte ihm Sir Anders als Champion besorgt. Ähm. Ah. Ahja.
Ich warnte sie dann noch vor dem Eiterdämon, ehe ich nachdenklich auflegte. Sir Anders. Cólera.

Während ich mit Landa telefonierte, hatte Edward mit dem CDC gesprochen. Die eingelieferten Kranken seien mit Entzündungshemmern und Gabe von viel Flüssigkeit einigermaßen gut zu behandeln, hatte er erfahren. Die Lage der meisten Patienten sei kritisch, aber größtenteils stabil, und es sei durchaus möglich, dass sie überleben würden, der modernen Medizin sei Dank. Es ist wohl auch tatsächlich nur eine einzige Krankheit, die Ahalphu da verbreitet, nicht mehrere und unterschiedliche.
Das war doch immerhin schon mal ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Als nächstes ließ ich mir von Totilas Marshall Raiths Nummer geben und bat den um ein Treffen. Er stimmte zu, und wir trafen uns in einem Café in der Nähe seiner Kanzlei.

Anfangs war Marshall zwar ziemlich angespannt, dann aber taute er allmählich doch auf und sprach erstaunlich offen über seine Beweggründe – oder zumindest tat er so. Das weiß man bei den Raiths ja nie so genau.

Jedenfalls erzählte er, er habe früher für Lord Raith und seine älteste Tochter Lara gearbeitet, habe dann aber seine Stellung dort – sein ganzes Leben, eigentlich – aufgegeben und sei nach Miami übergesiedelt, weil er hier neu anfangen wollte. Vor einem Jahr, als er herkam, sei es Gerald auch schon nicht so gut gegangen, also habe Marshall nach besten Kräften versucht, ihn zu unterstützen. Vielleicht sei er dabei nicht immer so diplomatisch gewesen, aber Geralds ganzer Hof habe immer so formlos gewirkt, da habe Marshall gedacht, sein Input sei willkommen. Er habe gedacht, vielleicht könne er die Stadt ein wenig mitgestalten, und der Gedanke habe ihm gefallen. Aber nicht, um an Geralds Stuhl zu sägen, sondern weil er einfach die Möglichkeit, ein wenig gestaltend mitzuarbeiten, als eine interessante Herausforderung empfunden hätte.
Er könne aber verstehen, dass Gerald glaube, Marshall wolle ihn im Auftrag des Weißen Königs absetzen. Das sei ja nur zu erwarten, immerhin sei der Ruf der Raiths ja bekannt.

Bei diesem ganzen Sermon klang Marshall völlig aufrichtig. Das Problem ist nur, aufrichtig oder lügend würde er genau dasselbe erzählen. Und zwar in genau diesem Tonfall. Immerhin machte er einen durchaus freundlichen Eindruck, und als er Yolanda erwähnte, hatte ich das Gefühl, dass ihm ihr Wohlergehen ernsthaft am Herzen lag. Er klang ihr auch aufrichtig dankbar, dass sie sich bei Sir Anders für ihn verwendet hatte.

Apopos Duell. Sollte das nicht zugunsten Geralds ausgehen, sei Marshall bereit, alles mögliche von Gerald zu akzeptieren, auch eine reine Geldsumme zum Beispiel, irgendetwas, das den Anführer des White Court von Miami nicht das Gesicht verlieren lassen würde. Er habe wirklich keine Absichten, die Führung hier zu übernehmen, und das sollte Gerald möglichst erfahren. Das konnte ich ihm zwar nicht versprechen, aber ich sagte, ich werde sehen, was sich tun ließe.

Er habe auch gar keine Veranlassung, sich einen Machtwechsel zu wünschen, erklärte der Anwalt noch. Denn ein Machtwechsel würde bedeuten, dass Anabel Raith die Zügel in die Hand nähme, und das wiederum würde eine Rückkehr zu genau den Machenschaften bedeuten, denen Marshall habe entkommen wollen.

Wer Anabel Raith eigentlich genau sei, fragte ich daraufhin. Was sie seiner Meinung nach wolle. Das sei eine der Töchter von Lord Raith, antwortete Marshall, die der Weiße König bislang an der sehr kurzen Leine gehalten habe. Eine eigene Stadt habe sie bislang nicht geführt, weil das ja bedeutet hätte, unter der Fuchtel ihres Vaters wegzukommen, und das habe der nie zugelassen. Lord Raith sei – bedeutungsschwere Pause – beeindruckend. Sehr beeindruckend. Und er habe seine Töchter gerne in seiner Nähe. Zum Glück sei der Lord strikt auf Frauen geeicht, fuhr Marshall trocken fort, und ich muss gestehen, dass das eine Information war, auf die ich gerne hätte verzichten können. Denn wenn das stimmt, was Marshall da andeutete – brrrr.

Jedenfalls, beendete Marshall seinen vorigen Gedanken, scheine Anabel wohl zu glauben, dass Lord Raith ihr die Stadt lassen werde, wenn sie Gerald stürzen könne. Ob sie damit recht habe und sich nicht selbst nur etwas vormache, bezweifle er allerdings – vermutlich werde der Weiße König stattdessen Anabel zurückbeordern und jemand anderen in Miami als Anführer einsetzen: ihn selbst, Marshall, vielleicht, oder Lord Raiths Sohn. Aber, betonte Marshall noch einmal, er selbst habe keinerlei Interesse an dem Posten, und es wäre ihm wesentlich lieber, der Status Quo bleibe bestehen.

Nach dem Gespräch ging ich dann erstmal heim, denn ehrlich gesagt bin ich nach der kurzen Nacht gestern ziemlich fertig. So früh ist es inzwischen auch schon nicht mehr, und deswegen gehe ich jetzt auch schlafen. Alles andere hat bis morgen Zeit. Nacht.

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04. November

Während ich gestern mit Marshall geredet habe, war Totilas übrigens bei Gerald. Auf die Details ist er nicht eingegangen, aber er hat es wohl tatsächlich geschafft, ein paar nette Stunden mit seinem Großvater zu verbringen. Als er hinkam, saß Gerald anscheinend in einem komplett leeren Zimmer auf einer Kiste und starrte ins Leere: ein ziemlich klares Zeichen von Burnout. Totilas hatte ein Lego Architecture-Set mitgebracht, und während sie das aufbauten, konnten sie sich ein bisschen unterhalten. Irgendwann habe Gerald seinen Enkel dann einen Auftrag gegeben. Nur zur Sicherheit, falls es mit dem Deal schiefgehen solle, solle Totilas Orféa Baez an den Deal erinnern. Was für einen Deal, wollte Totilas daraufhin natürlich sofort wissen. Das werde Orféa - äh, das werde er, Gerald - ihm dann sagen. Aber falls etwas schiefgehen sollte, solle Totilas sich unbedingt vor Lord Raith hüten. Der habe sich lange genug nicht für Miami interessiert, aber das habe sich jetzt geändert.

Nachdem wir von unseren jeweiligen Gesprächen erzählt hatten, überlegten wir, dass sowohl Sir Anders als auch Cherie wissen sollten, gegen wen sie jeweils anzutreten haben. Und vor allem Sir Anders sollte erfahren, dass "Leben und Tod" eben doch Verhandlungssache ist. Ein Duell zu verlieren, ist als solches übrigens erst einmal kein Gesichtsverlust, sagte Totilas. Dem Duell komplett auszuweichen, wäre hingegen schon einer.

Wir waren übrigens nur zu zweit heute vormittag. Roberto war noch mit seinem Ritual beschäftigt - oder vermutlich eher am Ausschlafen nach den Anstrengungen -, Edward arbeitete, und Alex war, kaum dass wir uns getroffen hatten, von Hayley angerufen worden, die meinte, sie hätte einen Ort für das Tor nach Xibalba gefunden, und Alex und Eleggua sollten doch möglichst mal vorbeikommen. Das ließ unser Kumpel sich natürlich nicht zweimal sagen. Ich hoffe ja sehr, der Ort taugt was.

Nach unserem gegenseitigen auf-Stand-bringen trennten Totilas und ich uns, weil er mit Cherie reden gehen wollte und ich mit Sir Anders. Der versuchte sein Entsetzen zu verbergen, wurde aber dennoch bleich, als ihm klar wurde, dass seine Gegnerin im Kampf Eisen einsetzen kann. Aber er habe sein Versprechen gegeben, jetzt einen Rückzieher zu machen, stehe völlig außer Frage. Und das Konzept "aufgeben" kennt er überhaupt nicht. Mierda. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich Anders in meiner Funktion als Sommerritter befehlen sollte, nicht an dem Duell teilzunehmen, aber das schlug ich mir ganz schnell aus dem Kopf. Dann hätte er den Befehl zwar von mir und könnte sich nicht widersetzen, aber sein Gesicht hätte er trotzdem verloren, weil er ja dennoch sein Versprechen brechen müsste. Und damit wäre er dann doppelt gestraft. Memo an mich: Marshall muss Anders dringend dahingehend instruieren, dass der als sein Champion nicht bis zum Letzten kämpfen soll.

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Habe gerade wieder mit Totilas gesprochen. Cherie war die über die Info, gegen einen Fae antreten zu dürfen, ziemlich erfreut. Eisen und so.

Mit Gerald hat Totilas auch nochmal geredet. Der glaube immer noch nicht, dass Marshall hier wirklich nur seine Ruhe wolle. Immerhin sei er am Hof des Weißen Königs eine Art interner Cop gewesen, und das sei ja nun nicht so unwichtig. Der sei schon gut in seinem Job, und Lord Raith werde sicherlich nicht Anabel über Miami setzen, sondern Marshal. Der sei ja schon eine ganze Weile hier und kenne die internen Strukturen.

Totilas habe dann gefragt, wie er Gerald am besten unterstützen könne, woraufhin er zur Antwort bekam, er solle auf sich aufpassen und auf der Hut sein, vor allem vor den Verwandten. Trotz dieser Worte hatte Totilas aber dennoch das Gefühl, dass Gerald irgendeinen Plan habe. Immerhin passiere in Sachen White Court nichts in der Stadt, was Gerald nicht geplant hat. Na, es hilft ja alles nichts. Wir können wohl nur abwarten, fürchte ich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.05.2016 | 17:56
Ricardos Tagebuch: White Night 5

05. November. Soll ich wirklich anfangen, einen Countdown zu setzen bis zum Duell? Oder einen Count-Up? Dann wären wir bei Tag 4.

Mamá hat angerufen. Die hatten am Wochenende eine kleine spontane Fiesta im Viertel, nachdem die Orunmila einen Schutzkreis darum gezogen hatten. Schön, freut mich ja für sie. Aber Mamá wollte natürlich gleich wissen, was los sei, sie hätte bei der Feier meinen Freund Roberto mit meiner Freundin Dee gesehen? Ob er mir etwa die Freundin ausgespannt hätte? Aaaarg. Sie war nie meine Freundin. Jedenfalls nie richtig. Genau das war ja das Problem. Das mit dem Ausspannen habe ich schon ganz alleine geschafft, vielen herzlichen Dank. Danke auch für die Erinnerung, Mamá. Und ja, ich bin jetzt dreißig. Ja, du hättest gern einen weiteren Enkel. Ich weiß. Einen Schritt nach dem anderen, okay?

Wie dem auch sei. Es gibt auch ein paar gute Nachrichten, oder wenigstens für den Fall relevante. Haley hat sich gemeldet, sie habe einen Ort gefunden, von dem aus man Ahalphu gut nach Hause schicken könnte. Und Richard Raith hat sich gemeldet. Der würde sich gerne mit uns treffen. Alles klar, heute nachmittag im Behind the Cover.

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Kurz ein paar Notizen, während wir bei Oliver ein Sandwich essen. Richard hatte eine Idee für Gerald. Man könnte mit ihm dasselbe Ritual vollführen, das er, Richard, selbst damals an sich durchgeführt hat, um seinen Hungerdämon loszuwerden. Dann wäre Gerald wieder ein normaler Mensch und könnte neu anfangen, ohne die ganze White Court-Bürde.

Die Frage wäre nur, was mit dem herausgetrennten Dämon passieren würde – den müsste man sofort verbannen, damit der nicht frei herumstreift und ein Massaker anrichtet. Und natürlich können wir Gerald nicht dazu zwingen. Sowas müsste rein freiwillig passieren, und da ist dann die Frage, ob er das überhaupt will. Und falls er es will, wo man ein solches Ritual am besten abhält. Die White Court-Dämonen kamen ja ursprünglich aus Schottland, erzählte Richard, vielleicht müsste man das tatsächlich dort in Schottland machen. Und Gerald könnte dann gar nicht erst mehr mit zurückkommen, der müsste verschwunden bleiben, eben des kompletten Neuanfangs wegen.

Wir saßen noch mit Richard zusammen, da tauchte eine ziemlich unsicher wirkende junge Frau auf. Sehr nett und freundlich, aber scheu wie ein Reh. Und vor allem sehr auf Richard bezogen. Sie freute sich riesig, ihn zu sehen. Dass der ihr Mentor und Ratgeber war und sie sich in allen Dingen an seine Führung hielt, war unverkennbar. Wie ich mir schon fast gedacht hatte, war das Cleo duMorne. Wir hätten sie sprechen wollen, hier sei sie. Was es denn gebe?

Wir fragten sie nach Lafayettes Aufzeichnungen, erzählten, dass Sancía die suche und an sich bringen wolle. Sofort blickte Cleo fragend zu Richard, der den Kopf schüttelte: Nein, Sancía solle die Aufzeichnungen nicht in die Hände bekommen. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Wir sind sind diejenigen, die uns die Texte mal anschauen wollen, ob wir Informationen über dieses Dämonenentfernungsritual finden können. Und vor allem den Namen dieses Lochs in Schottland, wo das am besten stattfinden sollte.

Cleo fragte jedenfalls, ob sie die Bücher mal holen solle, und wir baten sie darum – wirklich los ging sie aber erst, als auch Richard zustimmend nickte. Ich dachte, sie müsse jetzt sonstwo hin, aber sie verschwand direkt hier im Laden hinter einem Regal und brachte gleich darauf aus einer verborgenen – sehr gut verborgenen, da muss ein magischer Schleier drauf liegen, denn ich wäre im Leben nicht darauf gekommen, dass hinter dem Regal überhaupt noch irgendwie Platz für irgendwas sein könnte – Ecke eine Kiste zurück.

Ehe wir uns dran machen, die Sachen durchzuschauen, essen wir aber erstmal unsere Sandwiches fertig. Nicht dass die Bücher noch Flecken bekommen.

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Okay. Das ist nicht gut. Wir haben die Bücher durchgesucht – das hat ziemlich gedauert (ich habe mich von Lafayette duMornes Tagebuchaufzeichnungen ablenken lassen, seine Beschreibungen des Lebens in den 1920ern sind unglaublich faszinierend; aber Edward war auch nicht besser, der hat ein Ritualbuch gefunden, das ihn fesselte, natürlich), wir haben dann aber doch gefunden, was wir suchten. Totilas brach auf, um mit Gerald reden zu gehen, kam aber keine Minute später wieder rein. Draußen steht ein Auto, dessen Insassen den Buchladen im Blick haben und ziemlich eindeutig auf etwas lauern. Im Zweifel auf uns. Raubtier-Aura, sagt Totilas. Eine schwarze Limousine. Klar. Es ist inzwischen dunkel draußen. Das ist der Red Court. Mierda.

Totilas ist gerade wieder raus, der wollte nur so tun, als habe er etwas vergessen. Cleo bringt eben noch die Bücher zurück in ihr Versteck – das mit den Ritualen hat Richard aber Edward mitgegeben – und dann raus hier. Cleo sagte, sie kann Richard unter einen Schleier packen, damit die beiden unbemerkt wegkommen.

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Später. Eben heimgekommen, nach kleinem Umweg über den Arzt. Wie heißt es so schön? Bloody and battered, but alive? Irgendwie so. Padre en el cielo, ich danke dir. Das hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Zum Glück ist Jandra nicht aufgewacht, als ich eben reingewankt bin. In einer Dreiviertelstunde ist Aufstehenszeit. Solange noch durchzuhalten, sollte ich hinbekommen.

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06. November

So. Wieder einigermaßen kohärent. Sobald Jandra Richtung Schule losgezogen war – meine ganzen Blessuren hat sie beim Frühstück zum Glück nicht bemerkt – habe ich mich endlich hingelegt und ein paar Stunden geschlafen. Jetzt fühle ich mich erst so richtig steif. Au. Mierda. Aber alles in allem bleibe ich bei dem, was ich sagte: Das hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Memo an mich, dringend: Nicht. Mit. Acht. Red. Courts. Gleichzeitig. Anlegen.

Cleo und Richard verschwanden unter Cleos Schleier. Wir rechneten damit, dass die schwarze Limousine weiter auf uns warten würde, aber die fuhren los, sobald sie den Laden verlassen hatten. Die mussten irgendeine Möglichkeit haben, den beiden zu folgen. Mierda!
Natürlich hängten wir uns an sie.
Nach ziemlich kurzer Zeit schon hielt die Limousine an, und vier Red Court-Vampire stiegen aus und rannten in eine Seitengasse. Edward sprang aus dem Auto und folgte ihnen, während Alex sein Auto eilig um die Ecke fuhr, wir dann von der anderen Seite in die Gasse liefen.
Die vier Vampire rannten geradewegs auf etwas zu – vermutlich Richard und Cleo, noch immer verschleiert. Es sah so aus, als würden weder Edward noch Alex rechtzeitig bei ihnen sein, und wenn die Roten ihre Opfer trotz Unsichtbarkeit so leicht finden konnten...
Ich war zwar ziemlich weit weg, aber vielleicht konnte ich trotzdem etwas tun. Ich rief die Rittermagie nach oben und formte sie zu dem einen Zauber, der erstens so einfach ist, dass ich ihn inzwischen beinahe instinktiv hinbekomme und sich zweitens nun schon mehrfach bewährt hat. Sonnenlicht durchflutete die Gasse, und die vier Red Courts kamen nicht schnell genug aus dem hellen Bereich weg. Ein vage angekokelter Geruch stieg von ihnen auf, und sie sahen zu, dass sie abhauten. Hossa. Das hatte ja besser geklappt, als ich mir zu träumen gewagt hätte!

Dummerweise half das nur nicht viel, denn von draußen war Reifenquietschen zu hören, dann kamen vier neue Vampire in die Seitengasse gerannt. Und vom anderen Ende der Gasse gleich nochmal vier. Acht?! Was zum?
Aber okay. Es hatte ja eben schon so gut funktioniert, also gleich nochmal. Und wenn mein Sonnenlicht vier Red Courts vertreiben konnte, warum nicht auch acht? Da war nur das klitzekleine Problem, dass die acht Angreifer aus zwei unterschiedlichen Richtungen auf uns zugerannt kamen. Hinter der zweiten Gruppe folgte Totilas, konnte ich sehen. Also konzentrierte ich mich auf die erste Gruppe, die uns schon näher war, und sammelte wieder die Magie in mir, ließ sie in dem patentierten Sonnenlichtzauber aus mir herausfließen. Aber woran es auch liegen mochte – an der Eile vielleicht, mit der ich die Magie versuchte, oder daran, dass es mein zweiter Zauber innerhalb weniger Sekunden war – diesmal kam der Effekt ein wenig anders, als ich ihn geplant hatte: kein langanhaltender Lichtkegel, sondern ein kurzer, greller Blitz, der sofort wieder verschwand. Und dem die Vampire mühelos ausweichen konnten. Mierda.
Schon horchte ich in mich hinein, um den Zauber ein drittes Mal zu rufen, da waren sie auch schon bei mir mit ihrer unmenschlichen Schnelligkeit. Alle vier auf einmal. Und die zweite Gruppe gleich mit. Denn ich befand mich zwar hinter den anderen, aber offensichtlich empfanden die Roten mich als die größte Bedrohung. Okay, ich war ja auch der Typ, der gerade tödliches Sonnenlicht gerufen hatte...

Jedenfalls.
Ehe ich irgendwas machen konnte, ehe die Jungs irgendwie eingreifen konnten, waren die Red Courts bei mir. Es waren wohl nur wenige Sekunden, in denen sie mit voller Wucht auf mich einprügelten, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Ich war beinahe dankbar, als die Lichter endlich ausgingen, auch wenn mein letzter Gedanke ein Stoßgebet war und die Gewissheit, dass ich nicht mehr aufwachen würde. Das, und im Moment des Untergehens ein ganz seltsamer, sinnlich-lüsterner Schauder, der irgendwie von meiner Kehle auszugehen und meinen ganzen Körper zu durchdringen schien. Wenn das der Tod war, dann war der Tod vielleicht nicht so schlecht.

Ich wachte natürlich doch wieder auf. Offensichtlich, duh. Es war noch nicht mal sonderlich viel Zeit vergangen. Ich befand mich noch immer in dieser Gasse, und alles tat mir weh. Der Geschmack von Blut in meinem Mund. Roberto gerade dabei, mich notdürftig zu verbinden. Und immer noch diese merkwürdige Erregung. Hatte ich mir die also nicht nur eingebildet. Über der ganzen Szenerie blitzten bunt-schillernde Farben auf: eine magische Ablenkung seitens Cleo. Totilas und Edward in einen heftigen Kampf mit den Vampiren verwickelt. Alex war nirgendwo zu sehen, aber eine Sekunde später dröhnte draußen vor der Gasse laut eine Hupe los, ehe wieder etwas später Alex' Van mit quietschenden Reifen und bereits offener Seitentür um die Ecke bog. Edward und Totilas deckten uns den Rücken, bis Richard und Cleo eingestiegen waren und Roberto mir ins Auto geholfen hatte, dann sprangen auch sie in den Innenraum. Nur weg hier!

Aber wohin? Zur Waystation draußen in den Glades, fiel uns ein, das ist neutraler Boden. Das eine ihrer Autos hatte Alex sabotiert, aber in dem anderen folgten uns die Vampire bis zu unserem Ziel. Dank der Fahrkünste unseres Freundes hatten wir gerade genug Vorsprung, dass wir unbehelligt in die Waystation hineinkamen, auch wenn die Jungs mich stützen mussten und ich sie ganz entschieden verlangsamte.

Wie gesagt, viel Vorsprung hatten wir nicht. Kaum hatten wir drinnen einen Tisch besetzt, hielt draußen auch die Limousine der Vampire. Die kamen ebenfalls herein, starrten uns herausfordernd an und ließen sich dann auch an einem Tisch nieder. Die würden uns natürlich jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. War ja klar. Aber das waren nur Handlanger. Einer von ihnen zückte sein Telefon und tätigte einen Anruf – der sagte garantiert Sancía Canché bescheid, wo sie hinkommen sollte. Also gut. Dann würden wir eben warten.

Während wir warteten, ging Roberto, frech wie Oskar, zu dem Tisch der Red Courts hinüber, spendierte ihnen ein Bier und flirtete etwas mit deren Anführer. Irgendwann tauchte dann tatsächlich Sancia auf, als Roberto noch drüben am Red Court-Tisch stand. Dem warf Selva Elder einen missmutigen Blick zu – sie erinnerte sich nur zu gut daran, was bei Sancías letztem Besuch hier passiert war – aber diesmal blieb Totilas' Mutter friedlich. Sie wolle Richard und sie wolle Lafayettes Unterlagen, erklärte sie. Roberto nickte und bat sie um einen Moment, kam dann wieder zu uns an den Tisch, damit wir beratschlagen konnten. Irgendeinen Kompromiss mussten wir finden, irgendwas mussten wir ihr geben, nur was? Irgendwas, das sie erstmal soweit zufriedenstellt, das ihr aber auch nicht zu viel weiterhilft. Denn, bekräftigte Richard, Sancía sei so ungeduldig (als ob wir das nicht gewusst hätten) und das Ritual noch nicht fertig. Wenn sie jetzt auf eigene Faust damit experimentierte, würde sie das mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit umbringen.

Mit Alex und Roberto ging ich hinüber an Sancías Tisch. Totilas war noch blasser um die Nase als sonst und schüttelte nur stumm den Kopf, als wir aufstanden, und auch Edward wollte den roten Vampiren lieber nicht zu nahe kommen. Ich hätte vielleicht auch besser nicht mitgehen sollen, denn der Anführer des Schlägertrupps – Pablo, wie Roberto ihn nannte – warf mir einen hungrigen Blick zu und leckte sich aufreizend langsam über die Lippen. Klar, fiel mir dummerweise erst in genau diesem Moment ein: angeschlagen und blutig geprügelt, wie ich war, musste ich ja für einen Vampir geradezu nach Festmahl riechen. Schlau, Alcazar. Echt schlau. Aber da war noch etwas anderes. Dieses seltsame, beinahe wollüstige Erschauern, das sich während der Autofahrt zum Glück wieder gelegt hatte, durchfuhr mich bei Pablos Blick von neuem, und ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn der Vampir seine Fänge in mich schlüge, und ich stellte mir vor, wie unglaublich gut es sich anfühlen würde, langsam und genüsslich von ihm ausgesaugt zu werden, mich ihm ganz und gar hinzuge --- waah! Einfach nur jetzt daran zu denken, bringt dieses verdammte Gefühl schon wieder hoch. Das ist doch nicht normal!

Okay. Tief durchatmen. Denk an was anderes, Alcazar. Kaffee, genau. Kaffee ist gut jetzt.

Jedenfalls ließ ich also größtenteils Roberto reden, warf nur hier und da einen Kommentar ein, um ihn ein bisschen zu unterstützen. Und am Ende hatten wir uns tatsächlich mit Sancía auf einen Kompromiss geeinigt. Richard hatte uns ja gesagt, welche Unterlagen seine Frau gefahrlos bekommen bzw. um welchen Teil des Rituals sie sich kümmern könnte.

Alex warf als Teil des Handels noch ein, Sancía solle den an ihre Leute ausgegebenen Dauerbefehl zur Jagd nach Richard aufheben oder zumindest aussetzen, aber dazu war sie nicht bereit. Zumindest nicht sofort. Wir sollen ihn heute abend mit in den Buchladen bringen, damit sie mit ihm reden und von uns die Bücher bekommen kann – und wenn wir nicht kämen, dann wisse sie ja auch, woran sie sei. Aber wir sollten uns keine falschen Hoffnungen machen, sie wisse schon, wo sie uns finde. Und sie sich keine Sorgen, schoss Roberto zurück, wir hätten nicht vor, die Stadt zu verlassen.

Dann war das Treffen vorüber, und nachdem die Vampire abgezogen waren, gingen Edward und ich erstmal zum Arzt. Edward hatte es bei dem Kampf in der Gasse nämlich auch etwas gebeutelt, während er und Totilas uns anderen den Rückzug deckten. Und dank der Anwesenheit von Lieutenant Parsen musste ich nicht mal irgendwelche unangenehmen Fragen zur Herkunft meiner Verwundungen beantworten. Hurra.

Und jetzt, wo ich wieder einigermaßen wach bin, muss ich dringend mit Marshall Raith reden, dass der Sir Anders die Anweisung gibt, sich im Duell nicht umbringen zu lassen.

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Seufz. Marshall und ich waren gemeinsam bei Sir Anders, und es wurde genauso schwierig, wie ich das befürchtet hatte. Der gute Anders ist nun mal ein Feenritter, und die kenne ich inzwischen einfach ein kleines bisschen. Der kapierte erst einfach nicht, was wir da von ihm wollten, denn in der Feenwelt gibt es klare Regeln, und ein Duell auf Leben und Tod ist ja nun wohl ganz eindeutig ein Duell auf Leben und Tod.
Erst mit einiger Mühe bekamen wir ihn dazu, einzugestehen, dass auch eine schwere Verletzung generell unter gewissen Umständen ein akzeptabler Ausgang für ein Duell auf Leben und Tod sein könne; dann nämlich, wenn der Verlierer in ein Koma falle und seine wahre Liebe ihn dann wachküsse. Also gut, gestand er uns dann zu, er werde zusehen, dass er die junge Dame nur in ein Koma schlage, der wahren Liebe wegen. Aber immerhin freute er sich, dass ich mir solche Sorgen um sein Wohlergehen machte. Wie gesagt: Seufz. Nicht so ganz das, was ich erhofft hatte, aber vermutlich das beste Ergebnis, das ich kriegen konnte.

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Im Buchladen. Bis zum Treffen mit Sancía ist noch ein bisschen Zeit. Genug, um kurz zusammenzufassen, was im Laufe des Nachmittags so passiert ist.

Totilas hat in der Zwischenzeit seinen Großvater besucht und war erfolgreicher, als er selbst gedacht hätte, wie er sagte. Er sieht auch tatsächlich deutlich gelöster aus als die ganze Zeit vorher.
Unser White Court-Freund hat es anscheinend wirklich geschafft, Gerald neuen Mut zu machen und ihn von Richards Idee zu überzeugen, zumal Gerald selbst wohl nie zum Vampir werden wollte. Nachdem Totilas Geralds Bedenken in Sachen Gefährlichkeit und Dämon-unter-Kontrolle-halten-sobald-er-freigesetzt-ist etwas zerstreuen konnte, erklärte der ältere White Court, Marshall solle beweisen, dass er es ernst meint, indem er für das Duell einen Aufschub verlange. Am besten zwei bis drei Monate gleich, aber das werde sich wohl kaum durchsetzen lassen, aber dann wenigstens so zwei Wochen vielleicht. Und er müsse unbedingt auf dem Recht des ersten Duells beharren, so dass auch Anabel von dem Aufschub betroffen wäre. Wenn er das tue, dann sei Gerald bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Marshall vielleicht doch nicht für den Weißen König arbeite.

Alles klar. Dazu sollten wir Marshall ja wohl problemlos kriegen können. Also ging ich gleich nochmal mit Marshall reden. Der klang dankbar und erleichtert und war sofort bereit, auf Geralds Bedingungen einzugehen. Eine plausible Ausrede, die er zur Begründung angeben könnt, fiel ihm auch gleich ein; diese ganze Aufregung um die Panama Papers bedeutet nämlich, dass er als Anwalt für Steuerrecht gerade alle Hände voll zu tun hat. Eine Gegenbedingung stellte er auch: Das Hansen-Konto, was auch immer das ist, müsse unbedingt geschlossen werden. Damit klinge es so, als sei Marshall nur für eine Gegenleistung bereit, auf Geralds Forderung einzugehen, aber in Wahrheit sei die Schließung des Kontos sogar ein Gefallen für Gerald, auch wenn der nichts davon wisse.

Marshalls Gegenforderung gab ich nach dem Gespräch an Totilas weiter, der wiederum sagte, er werde Gerald entsprechend informieren. Na dann hoffen wir mal.

Die anderen haben in der Zeit ihr Google-Fu bemüht und im Netz nach Auftritten oder Spuren von Ahalphu gesucht. Es gab einige Krankheitsfälle in Monaco, aber nichts Definitives. Alles in allem scheint der Eiterdämon von Autorennen zu Autorennen gehüpft zu sein.

Cleo und Richard sind inzwischen auch zu uns gestoßen, haben die Unterlagen für Sancía mitgebracht, und Totilas erzählte seinem Vater auch nochmal, was er bei Gerald erreicht hat. Richard brachte erstmal seinen Stolz auf seinen Sprössling zum Ausdruck („Ich wusste doch, dass du das hinbekommst!“, woraufhin Totilas prompt antwortete „Ich wusste das nicht, aber gut“), hat aber eben auch eine sehr interessante Frage in den Raum gestellt, nämlich ob wir schon wüssten, wer den White Court führen werde, wenn Gerald erstmal wieder ein normaler Mensch sei.

Oho. Red Court im Anmarsch. Nachher mehr.
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.06.2016 | 16:26
Na das lief doch ganz gut. Aber genau für sowas gibt es ja neutralen Boden. Sancía und Richard waren beide fürchterlich nervös und froh über die Anwesenheit einiger Unparteiischer, sprich uns. Sancía merkte nicht mal, dass es bei der Begrüßung beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen Roberto und einem der Red Courts gekommen wäre, so angespannt war sie. Roberto und der Anführer des Schlägertrupps, Pablo, lächelten einander nämlich an, worauf ein weiterer Vampir Roberto finster anstarrte. Dann schenkte unser Kumpel diesem Red Court ein besonders freundliches Lächeln, woraufhin dieser zischte und beinahe auf Roberto losgegangen wäre, wenn Pablo ihn nicht festgehalten hätte. Und mir ging prompt wieder dieser fiese Schauer durch Mark und Bein, nicht um einen Deut abgeschwächt. Irgendwas stimmt da ganz und gar nicht.
Aber wie gesagt: Sancía bekam von all dem gar nichts mit vor lauter Nervosität, und auch Totilas war zur Salzsäule erstarrt, sobald seine Mutter den Buchladen betreten hatte.

Es wurde ein steifes, sehr formelles Gespräch. Richard hätte es fast geschafft, dass seine Frau die Beherrschung verlor, weil er anfing, ihr zu erklären, was sie in Sachen Ritual alles nicht tun dürfe, aber Totilas stellte gerade noch rechtzeitig eine Frage, die Richard aus seinem Redefluss riss.
Es kristallisierte sich dann heraus, dass dieses eine Treffen nicht reichen würde, dass es irgendwann ein weiteres geben muss. Am besten wieder hier im Buchladen, immerhin ist der neutraler Boden. Kontaktieren kann Sancía Richard über uns, wenn nötig, und wir sie über Orféa Baez. Ach nein, besser über Pablo. War ja klar. Der redete übrigens gerade mit Oliver. Daraus, wie der Vampir immer mal zu uns rüber sah und vermeintlich unauffällig deutete, war klar ersichtlich, dass es um uns ging. Na super.

Jedenfalls ging sie dann, nachdem sie uns noch grummelnd zugestanden hatte, den Dauerbefehl gegen Richard erst einmal auszusetzen. Beim Gehen warfen sie und ihr Mann sich einen tiefen Blick zu, der von all den Komplikationen zwischen ihnen sprach.
„Gut, dass es hier keine unsichtbaren Geigenspieler gibt“, murmelte Edward, was ihm einen bösen Blick von Richard einbrachte. „Das wäre jetzt so ein Moment gewesen.“ Diesmal kam der strafende Blick von Roberto. „Edward!“ „Was denn?“

Das Sancía-Problem ist also mal für's Erste soweit gelöst, jedenfalls bis Richard etwas Konkretes vorweisen kann und es an das eigentliche Ritual geht. Vorausgesetzt, Ms. Canché hält sich an den Deal, versteht sich.

Ahalphu ist eine offene Baustelle – aber da konnten wir gerade noch nichts machen, oder besser, eine andere Baustelle schien uns drängender. Da stand nämlich ja immer noch die Frage im Raum, wer Geralds Nachfolge antreten solle. Marshall oder Totilas, eine andere Möglichkeit sahen wir nicht.
Totilas schaute zweifelnd drein. Er wisse nicht, ob er die Kompetenzen habe, den White Court einer Stadt zu führen, und Marshall müsste man auf den Zahn fühlen. Aber wie ich Marshall einschätzte, bleibe der ohnehin lieber der Ratgeber im Hintergrund, gab ich noch zu bedenken. Und Totilas würde ja nicht alleine dastehen, machten wir unserem Freund Mut.

Ideal wäre es, wenn wir Anabel Raith noch irgendwas anhängen könnten, damit sie die Stadt verlässt und Totilas sich nicht länger mit ihr herumschlagen muss. Nur wie, ist die Frage.
Okay... Was will Anabel Raith? Vor allem will sie unter der Fuchtel ihres Vaters weg, und hier in Miami sieht sie eine Chance dazu. Nur hilft uns dieses Wissen dabei, ihr etwas anzuhängen?
Gäbe es in den Panama Papers, mit denen Marshall sich gerade beschäftigt, vielleicht einen Hebel?
Ähm, nein. Da war sehr schnell klar, dass wir mit einem Hebel aus den Panama Papers nicht Anabel Raith, sondern dem Weißen König höchstselbst ans Bein pinkeln würden, und das wollte keiner von uns.

Totilas hatte dann die Idee, Miami für Anabel zu verderben, es ihr zu verleiden und unschmackhaft zu machen. Aber auch hier wieder die Frage: Wie? Denn Miami ist nun mal eine attraktive Stadt, da wird das mit dem Verleiden gar nicht so leicht. Ihr vielleicht die ganzen Probleme zeigen, die wir hier haben?, schlug Alex vor, aber die Idee gefiel Totilas gar nicht. Damit würden wir ihr Schwachstellen aufzeigen, an denen sie ansetzen könnte, und damit hatte unser White Court-Kumpel natürlich nicht unrecht. Ganz abgesehen davon, dass Totilas sich dazu erstmal bei Anabel einschmeicheln müsste, um überhaupt in der Lage zu sein, ihr Dinge zu erzählen.

Edward überlegte, ob es einen Grund gebe, Anabel zu verhaften, aber dummerweise fiel weder ihm noch uns so richtig einer ein. Das mit den Drogen an der Feier war ja nur im Scherz gesagt, haha.

Wir könnten Spencer Declan gegen sie aufbringen, warf Roberto in den Raum, und das war eine Idee, die bei uns allen Anklang fand. Auch und vor allem bei Richard, der meinte, Declan wolle ohnehin keinen anderen White Court, der hier in der Stadt das Sagen habe, denn Gerald kenne seine Geheimnisse, aber mit Gerald habe Declan seit der White Night damals einen Deal. Sie lassen einander in Frieden, und die weißen Vampire verraten dem Magierrat nicht, wie diplomatisch ihr hiesiger Warden mit dem Red Court umgeht.

Totilas überlegte, dass er zu Declan gehen könne und bei dem auf gut Wetter machen, andeuten, dass er an Geralds Stuhl säge, aber nicht vorhabe, es sich mit dem Ratsmagier zu verscherzen. Das wäre doch schon mal ein Ansatz.
Aber, hmmm... vielleicht hätte Gerald selbst ja noch eine Idee, wie man Anabel anschwärzen oder Declan gegen Anabel aufbringen könnte?

Also statteten wir Gerald einen Besuch ab. Richard ging nicht mit, der wollte nach Haley sehen bzw. sich um Cleo kümmern gehen. Als wir in Raith Manor ankamen, empörte dessen Herr sich am Telefon gerade künstlich, aber höchst überzeugend, über den Aufschub, den er Mashall Raith wegen des Duells gewähren müsse. Sobald er aufgelegt hatte, führte er uns in ein Privatzimmer, wo wir ungestört reden konnten.
„Ihr wollt also Anabel an den Karren fahren.“

Edward wurde von Gerald erst einmal aus dem Zimmer komplimentiert, eine rauchen gehen – Edward raucht gar nicht, aber trotzdem, eine rauchen gehen – oder sich die Beine vertreten oder so. Was Gerald zu erzählen hatte, war nämlich nicht für seine Polizistenohren bestimmt. Okay, ich hätte das jetzt auch nicht so dringend hören müssen – ja, ja, ja, ich weiß. Naiv, Alcazár. Es ist ja nun nicht so, als ob ich nicht gewusst hätte, dass Miamis Vampire in Drogen unterwegs sind – aber ich bin wenigstens nicht dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen. Denn Gerald erzählte uns, was es mit diesem Deal zwischen ihm selbst und Orféa Baez auf sich hat, der schon mal erwähnt wurde. Das war nichts weiter als ein Tausch, eigentlich, aber ein für beide Seiten profitabler.
Das Geschäft mit dem Ecstasy für die Touristen hatte Raith im Zuge dieses Deals jedenfalls an den Red Court abgegeben, während die Drogen in der Pornobranche an den White Court gingen.
Gerald habe gewusst, dass der White King kommen bzw. jemanden schicken würde, sagte er, und dann habe er in der Lage sein wollen, etwas vorzuweisen, das dem Weißen Hof einen Vorteil brächte. Was das genau für ein Vorteil sei, darauf ging er nicht näher ein.

Ob und inwieweit das Wissen um dieses Geschäft uns jetzt dabei hilft, Anabel Miami zu verleiden oder nicht, bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber es ist vielleicht schon mal gut, es zu haben. Als Edward aber dann wieder im Raum war, wandten wir uns weiteren Möglichkeiten zu, die junge Dame aus der Stadt zu ekeln.
Unsere Idee, Spencer Declan auf sie anzusetzen, fand der ältere Raith gar nicht übel. Der Warden sollte vielleicht von Geralds designiertem Nachfolger, sprich Totilas, erfahren, dass Anabel in dieser Stadt eine ganz schlechte Idee wäre.

Totilas' Großvater wusste außerdem, dass Anabel mit Cicerón Linares gesprochen hat. Ohooo. Und die Erwähnung von Linares brachte mich auf einen Gedanken. Dass es interessant wäre zu wissen, ob Anabel am Coral Castle mit Camerone gesprochen hat, nämlich.
Unwahrscheinlich, befand Gerald, oder wenn, dann vermutlich nicht sonderlich erfolgreich. Camerones Ziel im Leben wie im Geistertum sei es, ihm selbst das Leben schwer zu machen, aber für Totilas habe sie schon immer eine kleine Schwäche gehabt. Den würde sie vermutlich sogar gegen Anabel unterstützen, wenn er sie darum bäte, Geister schicken, um Anabel Steine in den Weg zu legen und dergleichen.
Ob es wirklich so schlau ist, bzw. wieviel es schaden kann, wenn Totilas sich bei seiner Urgroßmutter wirklich auf diese Weise in Schuld bringt, das ließen wir mal dahingestellt.

Wann sollte es eigentlich bekannt werden, dass es im White Court von Miami einen Führungswechsel gegeben hat, überlegten wir dann. Spätestens, wenn das Duell nicht stattfindet, weil Gerald verschwunden ist, passiert das ganz von selbst. Wobei das Duell vielleicht doch stattfindet, weil die Champions ja erscheinen werden und ihre Kämpfe auch in Abwesenheit des Hauptbeteiligten austragen können. Aber vielleicht können wir Cherie ja auch davon überzeugen, eben nicht anwesend zu sein. Das darf dann aber nur ganz kurz vorher passieren, sonst stellt die noch eine Dummheit an. Wie Anabel erschießen zu wollen, zum Beispiel.

Ich weiß gar nicht mehr, wie es genau kam, aber plötzlich waren wir beim Herrn der Ringe. Ich glaube, wir hatten es gerade nochmal von Spencer Declan und dem White Council, und mit einem Mal fing Gerald an, laut darüber nachzugrübeln, ob der Weiße Rat im Herrn der Ringe oder der Magierrat in Edinburgh zuerst da gewesen sei. Ach was, korrigierte er sich sofort, den Rat der Magier gebe es ja schon seit Jahrhunderten. Aber vielleicht hatte J.R.R. Tolkien Verbindungen zu einem Ratsmagier, warf ich ein, und kam auf diese Weise an die Inspiration für den Namen?

Vom Weißen Rat und Tolkien landeten wir bei Gandalf, der erst der Graue war, ehe er zum Weißen wurde. Ob White Court-Virgins dann erst als „grau“ zählen, ehe sie zu echten White Courts werden? Hey, warte, ging es von da aus weiter. Dann wäre ja unser Versuch, Gerald wieder zum Menschen zu machen, eine Art 'Operation Gandalf'? Nein, das passte nicht so recht. Gandalf wurde ja erst zum Weißen. Lieber 'Operation Saruman'. Der wurde vom Weißen zum Nichts.

Okay, dann wäre die Sache mit Anabel vielleicht 'Operation Gollum'?, schlug Totilas vor. Dem (zumindest innen) hässlichen Gegenspieler etwas abjagen/verweigern, das dieser haben möchte? Und Ahalphu zurück nach Xibalba zu schicken, könnte man 'Operation Valinor' nennen, fiel uns ziemlich schnell ein. Ein nicht-menschliches Wesen nachhause bringen und so. Nur was wäre dann die Aktion mit dem Ritual für Sancía? 'Operation Kankra', warf Totilas in den Raum, aber da war ich nicht so überzeugt von. Klar, man könnte sagen, Sancía hat ihre Finger im Red Court wie ein Spinne im Netz, aber... hmmm. Nein. Nicht so richtig.

Gerald hörte sich unser Gefrotzel eine Weile mit zunehmender Belustigung an, bis er schließlich in gespielter Verzweiflung den Kopf schüttelte. „Ihr seid so schlimme Nerds!“
Hey, ich bin Schriftsteller! Ich schreibe Fantasy-Romane! Was erwartet er? Ganz abgesehen davon, dass Gerald selbst lustig – und durchaus sachbewandert – mitmischte, so ist es ja nun nicht.
Das Nerd-Spielchen setzten wir dann noch ein bisschen fort, indem wir über Ringe der Macht philosophierten, bis Gerald genug davon hatte, seufzte und mit Anabel reden ging.

Während wir auf Gerald warteten, stellten wir auch fest, dass Roberto den Herrn der Ringe noch gar nicht kennt. Edward grinste und meinte, er hätte nie gedacht, dass er das mal sagen würde, aber vielleicht sollten wir Roberto zum Geburtstag das Buch schenken? Hmmm, brummelte Roberto, dann doch lieber eine lange Filmnacht. Aber erst, wenn unsere derzeitigen akuten Baustellen einigermaßen geklärt sind. Alles klar, kann er haben - Totilas' Bildungslücke in Sachen Star Wars haben wir ja auch gestopft!

Im Zusammenhang mit unseren diversen Baustellen brachte unser White Court-Kumpel dann noch eine andere Idee ins Spiel. Wir wollen doch im Red Court von Miami in nächster Zeit grundlegend etwas verändern - wäre das vielleicht ein Argument, um Anabel die Stadt zu verleiden? Hmmm. Mal ein ganz anderer Gedanke, aber keiner, mit dem wir anderen uns so recht anfreunden konnten, aus mehreren Gründen. Erstens: Das ist ein sehr langfristiger Plan; Richard wird bestimmt nicht morgen oder auch nächste Woche mit seinen Forschungen erfolgreich sein. Zweitens: Der Plan ist streng geheim. Wenn bekannt würde, dass man aus Vampiren einfach so ihre Dämonen herausholen - oder es zumindest versuchen - kann, dann könnte das Konsequenzen haben, die wir jetzt so noch gar nicht in ihrer vollen Tragweite absehen können. Machtkämpfe, die darüber ausgetragen werden, dass man dem Gegner gewaltsam den Dämon entfernt... aber, nein, das ginge schonmal nicht, denn den Dämonen herausholen kann man ja anscheinend nur, wenn das Versuchsobjekt auch willig mitmacht. Aber trotzdem. Das ist garantiert nichts, von dem ich wollte, dass Anabel Raith - und somit auch der Weiße König - es erfährt. Und der Weiße König würde das mit ziemlicher Sicherheit als Gefährdung ansehen und Schritte unternehmen. Ähm... nein.

Irgendwann kam Gerald wieder, erstaunlich guter Laune und ein Grinsen unterdrückend. "Sie hatte genug von mir", erzählte er amüsiert, ehe sich sein Grinsen doch Bahn brach. "Sie wird keinerlei Ahnung haben, was ihr von ihr wollt - und das wird sie wahnsinnig machen!"

Mehr konnten wir dann erstmal nicht tun, also trennten wir uns; es war ja auch schon ziemlich spät. Totilas kontaktierte noch Declans Telefondienst, dass er gerne mit ihm sprechen wolle. Wir haben keine Ahnung, wie lange der Warden brauchen wird, um sich zurückzumelden, also haben wir beschlossen, morgen erst einmal Operation Valinor anzugehen. Für mich ist es jetzt auch langsam Zeit ins Bett zu gehen, es war ja doch ein langer Tag.

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Ha! Hahaa! Wir wollen dafür sorgen, dass Sancía ihre Seele wiederbekommt - ist doch klar, wie die Sache heißen muss. Operation Théoden, ganz eindeutig!
So, jetzt aber. Gute Nacht!

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07. November

Römer und Patrioten, ich berichte voller Stolz: Operation Valinor ist geglückt!

Als wir uns heute vormittag trafen, gingen wir ernsthaft das Problem an, was wir mit Ahalphu denn nun genau tun sollten, welcher Sport ihn wohl dazu verleiten würde, nach Hause zurückzukehren. Alex schlug vor, eine mechanische Rennbahn zu bauen. Mechanisch deswegen, weil es in Xibalba ja keinerlei Technik gibt, sogar Dampftechnologie sollte schon zu modern sein. Aber Kettcars zum Beispiel werden ja nur von Muskelkraft angetrieben, und die zu besorgen, sollte kein Problem sein.

Irgendwer (Roberto?) hatte noch den Gedanken, ob man Ahalphu vielleicht diverse Kartenspiele beibringen sollte, aber der Gedanke an Skelette mit Karten in den Knochenhänden ließ uns von dieser Idee dann doch Abstand nehmen. Also Kettcar-Rennbahn, alles klar.

Ich stiftete ein bisschen Kapital, Alex ließ seine Kontakte spielen, und so dauerte es gar nicht lange, bis wir einen überaus ansehnlichen Haufen an Rennbahnmaterial zusammen hatten. Fehlten nur noch die Ritualzutaten, um Ahalphu auch zu uns zu rufen. Die waren ziemlich ekelhaft, wenn ich das mal so sagen darf, immerhin reden wir hier von einem Seuchendämon.
Irgendwelche garstigen Bilder, die ich mir gar nicht genau anschauen wollte, von rotten.com. Das Geräusch eines Otto-Motors. Verdorbenes Hundefutter für das Schmecken und medizinische Abfälle zum Riechen - und ja, beides ist so widerlich, wie es klingt. Roberto brachte noch etwas esoterisches Räucherwerk für die Seeele und die kleine Statue eines Maya-Dämons zum Berühren, und ein alter Maya-Text war für den Geist.

Mit all diesen Sachen fuhren wir hinaus zu der Grotte, die Haley entdeckt hatte. Sie war auch schon dort, zusammen mit Eleggua. Der sah gerade sehr jung und vital aus und erklärte, sie würden eigentlich bestimmt auch zu zweit mit so einem Eiterdämon fertig, aber besser, sie müssten es nicht. Nein, setzte Haley noch hinzu, das wäre nicht so gut. Denn lauter Totengötter, die sich da prügelten, das täte der Landschaft sicherlich nicht so gut.

Ääääähm. Das war dann wieder mal so ein Moment, wo dem imaginären Comic-Cardo die Kinnlade runtergeklappt wäre. Also eigentlich hätte ich es mir ja denken können. Dass Haley kein normaler Mensch ist, war mir ja klar. Aber ich hatte eben so in Richtung Emissary gedacht, so wie Alex etwa, nur halt... ich weiß nicht. Übernatürlicher. Aber irgendwie machte es da jetzt erst 'klick'. Haley, Hel, natürlich! Totengötter. Seufz.

Es war also besser, dass wir auch da waren, um mit Ahalphu fertig zu werden. Aber erst einmal mussten wir ihn überhaupt herbekommen.
Das Ritual war gar nicht so leicht. Beinahe wäre es Edward entglitten, hatte ich den Eindruck, aber mit Robertos Unterstützung bekam er es dann doch unter Kontrolle.
Irgendwann erschien der Eiterdämon, aber er ließ sich Zeit, damit es bloß nicht so aussähe, als springe er sofort, wenn man nach ihm pfeife, schaute vermutlich erst sein Autorennen zuende oder so. Sonderlich begeistert war er nicht, dass wir ihn gerufen hatten, aber doch einigermaßen höflich. Was wir denn von ihm wollten?

Alex erklärte ihm unsere Idee von den Rennen mit den mechanischen Kettcars. Ach nein, befand der alte Maya, das sei ja langweilig, wenn alles nur an den Kämpfern selbst hinge und die gar keine Hilfsmittel zur Verfügung hätten! Aber gerade das mache es doch gerade so spannend, erwiderte Alex: Es komme eben ganz allein auf die Wettkämpfer an, auf deren Muskelkraft und deren Ausdauer und deren Durchhaltewillen! Und Hilfsmittel hätten sie ja in den Tretautos, nur eben keine so schnellen wie in der Formel 1.

Tatsächlich ließ Ahalphu sich überzeugen. Er fing sogar leicht an zu grinsen, als Alex von ‚nicht so schnell‘ sprach. In Xibalba gebe es so viel Magie, da ließe sich schon was machen.
„Ihr habt mich beeindruckt“, sagte er schließlich. „Ihr habt mir einen Gefallen getan, und das passiert nicht allzu oft. Wenn ihr je mal einen alten Eiterdämon brauchen solltet…“ Und mit diesen Worten überreichte er Alex einen Ring. Dann steckte er die ganzen Materialien in die Jackentasche – und ja, ich weiß, dass ich das gerade geschrieben habe. Er steckte die ganzen Materialien, Kettcars, Holz, Nägel, Werkzeuge, das ganze Programm, in seine Jackentasche. Fragt mich einfach nicht, wie – und sah uns erwartungsvoll an.

Haley und Eleggua legten ihr menschliches Aussehen ab. Beide wurden größer, präsenter, beeindruckender, Eleggua tiefschwarz und Haley – Hel – knochenbleich, ehe sie ein vollkommen präzises Tor öffneten. Ahalphu ging hindurch, das Tor schloss sich, die beiden Totengötter nahmen ihre Menschengestalt wieder an, und damit war Operation Valinor beendet.

Bis auf die Frotzeleien, die unweigerlich folgten. Bei uns folgen immer Frotzeleien. Ich glaube, wir haben sogar in Ruiz‘ Kerker damals blöde Witze gemacht. Wobei, nein. Da vielleicht nicht.
Aber diesmal jedenfalls fingen wir an, zu sinnieren, dass, wenn die Tretautos in Xibalba ein Erfolg werden, vielleicht irgendwann alle Unterwelten welche haben wollen. „Martin's Kettcars – We take you (N)Everywhere!” Nur im Hades wäre das mit den Kettcars vermutlich etwas schwierig. Aber hey, Tretboote für den Styx!

Haley fragte dann sogar durchaus ernsthaft, ob Alex ihr sowas für Helheim bauen würde, und unser Kumpel versprach ihr, sich darum kümmern zu wollen. Aus Konkursmassen von Sportgeschäften und ähnlichem sollten sich ja wohl genug Tretautos auftreiben lassen, um das hinzubekommen!

Oh, und von meinen komischen Wallungen, wenn ich diesen Pablo sehe oder nur an ihn denke, habe ich den Jungs auch erzählt. Die wussten, dass es wohl irgendwas mit dem Speichel der Rotvampire auf sich hat. Brrrr. Gut zu wissen. Aber irgendwann habe ich das Zeug ja dann hoffentlich auch mal wieder aus mir raus.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.06.2016 | 20:14
Falls sich übrigens jemand fragt, wie dieser ominöse Comic-Cardo so aussehen könnte, der gelegentlich erwähnt wird: Ich konnte es nicht lassen. Nachdem mir der Gedanke jahrelang im Kopf rumging, habe ich eine sehr nette und sehr talentierte Zeichnerin gefunden (Vielen Dank an Nocturama für den Tip!). Das Ergebnis ihrer Anstrengungen findet sich im Anhang. :D

[gelöscht durch Administrator]
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.09.2016 | 00:39
Das Folgende ist ein Experiment. Im Juli konnte ich an einer Miami-Runde nicht teilnehmen, also haben Bad Horse und ich als Ersatz ein kleines Soloabenteuer für Cardo in Schriftform verfasst. Da wir das eben wie gesagt nicht am Tisch spielten, sondern abschnittweise in Schriftform festhielten, ist der Schreibstil ein klein wenig anders als das, was man in den Diaries hier normalerweise findet. (Den allerletzten Teil, der in der Sommerhalle selbst angesiedelt ist, haben wir dann bei unserer letzten Session doch wieder richtig ausgespielt, mit den anderen Gruppenmitgliedern als NSCs. Wenn also ab der Sommerhalle ein Bruch im Schreibstil festzustellen ist, liegt es daran.)

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Ricardos Tagebuch: Side Job - Heorot

Es war früher Morgen, als das Telefon klingelte. Sehr früher Morgen - die Sonne war gerade erst aufgegangen.
“Kannst du kommen?”, fragte Geralds Stimme aus dem Hörer, sobald ich abgenommen und mich gemeldet hatte. “Ich würde gern kurz mit dir - mit dem Sommerritter - sprechen.”

‘Sommerritter’. Mierda. Ich hätte eigentlich mit sowas rechnen können, wenn nicht vermutlich sogar müssen, aber irgendwie traf mich Geralds Formulierung trotzdem wie aus heiterem Himmel. Um die Uhrzeit denke ich einfach von mir noch nicht als Feenritter gleich welcher Couleur. Aber gut. Ich bin es nun mal, also sollte ich mich wohl besser auch daran gewöhnen, dass Hinweise darauf zu jeder möglichen und unmöglichen Tages- und Nachtzeit passieren können.
Ich hatte auch grundsätzlich kein Problem damit, dass Gerald so früh anrief - nur Jandra musste ich trotzdem erst wecken und in die Schule schicken. So lange musste der gute Mr Raith noch warten.

Raith Manor sah spektakulär aus im Morgenlicht: Der weiße Stein golden angehaucht, die Herbstblumen wie überzogen von einem Lichtschleier. Eine Gruppe aus drei Personen, die im Garten schweigend Tai Chi oder Yoga praktizierten, und noch ein Hauch nächtlicher Kühle in der warmen Luft. Obwohl es schon nach Halloween war, sah man an diesem Tag nicht, dass der Sommer starb - aber das tat er in Miami ohnehin nur sehr langsam, wenn überhaupt.

Gerald stand in einem weiten, weißen Gewand an dem großen Panoramafenster, ein Glas Whisky in der Hand. Als er sich zu mir umdrehte, waren seine sonst so dunklen Augen grau, fast silbrig. Offenbar hatte er länger gefastet.

Nach einer kurzen Begrüßung kam er sofort zur Sache. “Es geht um das Ritual”, fing er an. “In Schottland. Am Lochan Dubh nan Geodh, zwischen Altnabreac und Westerdale, mitten in den Highlands.” Gerald nahm einen Schluck aus seinem Glas. “Das ist der Ort, an dem wir das am besten durchführen sollten - das ist aber leider auch ein Ort, der vom Weißen Rat bewacht wird. Wir können da nicht einfach auftauchen und starke Magie wirken, ohne das vorher abzuklären. Nur - ich kann da nicht als Vertreter des Weißen Hofs um Erlaubnis bitten. Schon gar nicht für das, was wir beabsichtigen.” Er schüttelte den Kopf. “Richard hatte damals einen Kontakt, aber der - die - ist im Krieg gefallen.” Jetzt schaute er mich direkt an. “Ich brauche deine Hilfe, Sommerritter. Ein Abgesandter des Sommers, der dort ein Ritual machen möchte… ich könnte mir vorstellen, dass der Rat damit weniger Probleme hat.” Ohne eine Antwort abzuwarten, deutete er auf den Tisch. “Ich habe ein Flugticket für dich nach Edinburgh gebucht. Dort kannst du im Old Cauldron nach David Hawkins fragen. Das Old Cauldron ist neutraler Boden, eine Wegbeschreibung liegt bei. Auf einer Karte findest du das nicht.” Er zuckte die Schultern. “Neutraler Boden hin oder her, du findest im Pub hauptsächlich Ratsmagier. Aber als Sommerritter solltest du ja keine Probleme haben. Erzähl nur nicht zu viel über Miami und unsere… Angewohnheiten.”

Gerald atmete tief durch. “Falls du überhaupt bereit bist, das zu tun, solltest du besser allein gehen… Totilas wird hier gebraucht, und weder ein Santero noch ein Abgesandter eines Trickstergottes werden da sehr hilfreich sein. Ein Lykanthrop schon gar nicht - das sind alles Gruppierungen, mit denen die Ratsmagier eher weniger anfangen können.”

Cólera. Das kam plötzlich. Und in irgendwelchen magischen Angelegenheiten ohne die Jungs losziehen zu sollen, fühlte sich auch seltsam an, gelinde gesagt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, gab mir das ein nicht unbeträchtliches mulmiges Gefühl in der Magengrube. Aber trotzdem bestand kein Zweifel daran, dass ich Geralds Bitte erfüllen würde. Immerhin wollten wir ja alle dieses Ritual durchziehen. Und ja, ich bin der Sommerritter, verdammt nochmal, und mit dieser Autorität im Rücken würde ich ja wohl nach Europa fliegen und diesen Ratsmagiern die Erlaubnis für das Ritual aus den Rippen leiern können!

Also nickte ich Gerald zu. “Ich mache das. Solange der Flug nicht sofort in zwei Stunden geht - ich muss ein paar Sachen klären, ehe es losgeht. Meine Tochter bei meinen Eltern abliefern, zum Beispiel.” Und ein paar Sachen musste ich noch von Gerald in Erfahrung bringen. “Dieser David Hawkins ist Ratsmagier? Und das Old Cauldron liegt in Edinburgh selbst?” Hmmm. “Hast du Erfahrung mit dem Rat, Gerald? Wie genau werden die wissen wollen, was wir bei dem Ritual alles vorhaben? Und wie genau können sie verfolgen, was wir da tatsächlich abziehen? Ich würde sie ungern anlügen, aber falls sich das nicht umgehen lässt, wäre es unangenehm, wenn sie mit dem ersten Wort des Zauberspruchs durchschauen würden, das was nicht stimmt, und vor allem, was.”

“Okay, ‘Flugticket’ war vielleicht irreführend.” Gerald konnte ein Grinsen nicht verbergen. “Ich habe eine Maschine gechartert. Es geht los, sobald du bereit bist.”
Er schenkte sich aus einer halb leeren Flasche nach, ehe er mir auch einen Drink anbot - den ich allerdings höflich ablehnte. Keinen Whiskey um acht Uhr morgens, herzlichen Dank.
“David Hawkins ist ein ziemlich hohes Tier im Rat”, erklärte Gerald dann. “Warden, natürlich. Meinen Informationen nach ist er derjenige, der sich um die Sicherheit in Schottland kümmert, also muss er einigermaßen mächtig sein. Vermutlich auch einigermaßen beschäftigt, aber angeblich trifft man ihn trotzdem jeden Abend im Old Cauldron an. Der liegt in der Altstadt von Edinburgh, mitten drin. Wegbeschreibung hast du ja.”
Er nahm einen langsamen Schluck von seinem Drink. “Der Rat, hm? So viele Erfahrungen habe ich nicht mit denen, von Declan und DuMorne mal abgesehen… lustigerweise klingt das gälische ‘Dubh Mor’ - groß schwarz - ganz ähnlich wie DuMorne. Das fand Lafayette aber nicht so witzig.” Gerald schnaubte und verzog das Gesicht. So ganz nüchtern war er offensichtlich nicht mehr. Aber wenn er die ganze Nacht hindurch wach gewesen war und während dieser Zeit natürlich auch getrunken hatte, und so kam es mir beinahe vor, war das ja auch kein Wunder. “Ansonsten weiß ich so viel wie du - ‘Misch dich nicht in die Angelegenheiten von Zauberern ein, denn sie sind empfindlich und leicht zu verärgern.’” Er zwinkerte mir zu, und einen Moment lang konnte ich das silbrige Licht in seinen Augen aufblitzen sehen. “Ich kann dir nicht sagen, was die wissen wollen. Soviel wie möglich, schätze ich. Andererseits sind sie es wahrscheinlich gewöhnt, dass Feen ihnen nicht alles erzählen. Was die Magie angeht: Soweit ich weiß, basiert Edwards Magie ja auch ähnlichen Prinzipien wie ihre eigene, oder? Kann mir nicht vorstellen, dass sie Einwände haben. Ansonsten: Schick eine Sommerfee mit, die das Ritual mit einem Glamour belegt, damit es aussieht wie Sommermagie.” Er zuckte die Schultern. “Keine Ahnung, ob das funktioniert, aber das sollte doch möglich sein. Oder erzähl Hawkins eine hübsche Geschichte davon, wie du, der edle Sommerritter, eine verlorene Seele von ihrem Fluch erlösen willst. Ist ja auch fast wahr.” Sein Lächeln wurde breiter, die Augen noch heller, und er kam einen Schritt auf mich zu. Er war schon ein sehr attraktiver --
Nein, verdammt. Aus, Alcazár! Dieser komische Speichel von den Red Courts letztens war schon schlimm genug, da musste ich mich nicht auch noch von den Pheromonen eines White Court einfangen lassen.

Und auch Gerald schien zu merken, dass er seine White-Court-Pheromone da nicht mehr ganz unter Kontrolle gehabt hatte, denn er drehte sich abrupt um. “Ich glaube, ich habe einen dringenden Termin”, sagte er zu der Panoramascheibe, und die Anspannung in seinen Schultern war nicht zu übersehen. “Wenn du noch etwas brauchst - irgendetwas - sag Bescheid.”
Ich nickte. “Mach ich. Und ich melde mich, ehe ich losfahre, in Ordnung?”

So richtig viel war eigentlich gar nicht zu erledigen. Nach der Schule Jandra zu Máma und Pápa bringen, die sich riesig dafür interessierten, dass ich nach Europa musste. Den Grund hielt ich eher allgemein. Eine Lesereise. Ja klar würde ich ihnen etwas aus Schottland mitbringen. Echt schottischen Whisky vielleicht? Und Jandra natürlich auch. Die hätte am liebsten eine Nessie, meinte sie. Jahaa. Das konnte ich ihr gerade noch ausreden mit der Begründung, dass Nessie ein Wassertier sei und unsere Badewanne dann doch ein bisschen zu klein.

Den Jungs bescheid geben. Die waren nicht so richtig begeistert, dass ich alleine losziehen würde, hatte ich den Eindruck, aber Gerald hatte mit seiner Einschätzung schon recht gehabt. Das war eine Aufgabe, wo sie tatsächlich vermutlich eher hinderlich als hilfreich wären. Aber ich musste versprechen, regelmäßig in Kontakt zu bleiben, Zeitverschiebung hin oder her. Richtig, die Zeitverschiebung. Fünf Stunden weiter. Merken.

Für ein paar Tage packen. Das stellte kein Problem dar, und die Tatsache, dass ich mit einer Chartermaschine unterwegs sein würde, nicht mit einem Linienflug, hieß, dass ich auch Jade problemlos mitnehmen konnte, ohne allzu anstrengende Sicherheitsprozeduren über mich ergehen lassen zu müssen.
Mierda. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wann mein Ritterschwert anfing, einen eigenen Namen zu haben. Vor allem nicht, weil ich nie darüber nachdachte, ob ich ihm einen Namen geben wollte und wie der lauten sollte. Sondern weil ich einfach eines Tages wusste, und zwar völlig selbstverständlich wusste, als hätte ich es schon immer gewusst, die Klinge heißt ‘Jade’. Und sie ist eine ‘sie’.
Jedenfalls. Dank des Charterflugs konnte ich Jade leichter mitnehmen, als das sonst möglich gewesen wäre. Zwar genausowenig im Handgepäck, aber das hätte ich ohnehin nicht gewollt.

Abends gegen 20 Uhr saß ich dann endlich im Flieger. Schriftsteller oder nicht, Lesereisen oder nicht, einen Privatjet hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Das war schon ziemlich edel. Zehn Stunden Flug, genug Zeit, um ein bisschen an Totem Rise weiterzuarbeiten, einen Film zu schauen und ein paar Stunden zu schlafen, gerade genug, dass ich einigermaßen ausgeruht in Edinburgh ankam. Mittags nach Ortszeit. Perfekt.

Ein Zimmer im Sheraton Hotel hatte Gerald ebenfalls für mich reservieren lassen. Das lag schön zentral in der Nähe der Altstadt, und mein Zimmer hatte zwar keine Aussicht auf das Schloss, aber dafür ansonsten alle Annehmlichkeiten, die man sich in einem Hotel so vorstellen kann. Dort warf ich meine Sachen ab und machte einen kleinen Spaziergang durch die Stadt - wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch ein bisschen den Touristen geben, Souvenirs kaufen inklusive - ehe ich mich im Hotel noch ein, zwei Stunden auf’s Ohr legte, bis es an der Zeit war, diesen ‘Old Cauldron’ suchen zu gehen.

Ohne die Wegbeschreibung wäre ich tatsächlich völlig aufgeschmissen gewesen. Der Pub lag nämlich in einer eigentlich unbenamsten Gasse, in die man nur durch einen Durchgang kam, der auf den ersten Blick wie eine private Toreinfahrt wirkte. Und ja, ich habe Harry Potter gelesen. Natürlich habe ich <Em>Harry Potter gelesen. ‘Leaky Cauldron’, ‘Old Cauldron’ - es hätte mich gewundert, wenn die Ratsmagier auf ihren neutralen Boden nicht eine Art Schleier gelegt hätten, damit die Muggles den nicht so leicht finden.

Beim Eintreten in die dämmrige Kneipe hatte ich tatsächlich die erste Beschreibung des Leaky Cauldron aus dem Sorcerer’s Stone im Kopf und rechnete beinahe mit Dedalus Diggle, Doris Crockford und Professor Quirrell in seinem Turban. Die waren natürlich nicht da, und ob der Wirt Tom hieß oder nicht, das konnte ich so auf den ersten Blick nicht beurteilen.

Der Rest der Klientel sah auf den ersten Blick enttäuschend normal aus - aber es war eine sehr gemischte Truppe, die hier herumsaß: Eine Frau im Business-Kostüm am Tisch mit einem Punk und einem alten Mann, der aussah wie das Vorbild für Waldorf aus der Muppets Show, ein blasser Gruft vertieft im Gespräch mit einer unauffälligen Frau mittleren Alters und einem knallbunt gekleideten Schwarzen mit Rastas, eine Gruppe Inder, die sich unglaublich ähnlich sahen, aber ganz unterschiedlich gekleidet waren, und die sich anscheinend ein Getränk teilten.

Der Wirt hingegen entsprach weitgehend meinen Erwartungen: Beleibt, rot im Gesicht, abgehetzt, aber freundlich. Vielleicht war das eher Gerstenmann Butterblume als Tom? Immerhin kannte er David Hawkins, als ich nach dem fragte, und wies mir den Weg zu einem kleinen Tisch in der Ecke.
An dem Tisch saß ein Mann in den Fünfzigern, kräftig gebaut, mit buschigen Brauen und einem gewaltigen Schnurrbart. Im Näherkommen konnte ich sehen, dass sein dunkelbrauner Anzug gar nicht so gewöhnlich war, wie er mir zunächst geschienen hatte: Der Stoff war mit Runen und Glyphen durchwirkt, die schwach golden schimmerten. Die Manschettenknöpfe in Form von zwei Greifen wirkten auch nur auf den ersten Blick normal - bewegten sich die Tiere nicht schwach? Genauso wie der bronzene Raubvogel, der den Knauf eines altmodischen Spazierstocks zierte?
Genau wie Gandalf rauchte Hawkins eine Pfeife, und genau wie Gandalf hatte er einen stechenden, wachen Blick. Barsch nickte er Tom? Butterblume? dem Wirt zu und bedeutete mir, sich an den Tisch zu setzen.

“Hmm”, machte er. “Sie sehen aus wie ein Spanier. Kommen Sie aus Cordoba?”

Ich ließ mich auf der Bank dem Ratsmagier gegenüber nieder und neigte höflich den Kopf. “Nicht ganz Spanier, aber beinahe. Mein Name ist Ricardo Alcazár, und ich komme aus den Vereinigten Staaten. Ich bin der Erste Ritter des Herzogs vom Sommerhof der Fae aus Miami, Florida.”
Mit diesen Worten streckte ich Hawkins die Hand hin. Ich hatte wenig Ahnung, wie es Angehörige des Weißen Rates mit Handschlägen halten mochten, aber die Geste schien mir angebracht.
“Ich hatte gehofft, Sie hier zu finden, Mr. ... Warden Hawkins. Ich brauche Ihre Hilfe.”

Bei dem Wort ‘Sommerhof’ merkte Hawkins auf. Kurz sah ich fast so etwas wie Erleichterung in seinen Augen, und ich konnte beinahe mit ansehen, wie sich die Rädchen im Kopf des Magiers drehten.
Als ich erwähnte, dass ich Hilfe brauchte, lehnte sich Hawkins zurück und unterdrückte ein erfreutes Lächeln. Statt dessen klopfte er umständlich seine Pfeife aus.
“Pfff”, schnaubte der alte Mann bärbeißig. “Hier in Europa tragen die Ritter ja noch richtige Titel… Sir Ricardo. Nur nehme ich an, bei Ihnen heißt das dann ‘Abgeordneter’ oder so ein Unfug. Bah!” Er schüttelte seinen Kopf, um zu zeigen, was er von derlei Unfug hielt.
“Hilfe, hm? Na, dann mal raus mit der Sprache, junger… Sir Ricardo. Wie Sie sicher wissen, sind wir im Krieg! Aber für unsere Freunde vom Sommerhof… da lässt sich unter Umständen etwas machen.” Sein Gesichtsausdruck war allerdings skeptisch.

Bei der Amerika-kritischen Bärbeißigkeit des britischen Magiers musste ich schmunzeln, gab mir aber Mühe, ein höflich-verstehendes Lächeln daraus zu machen. “Oh, auch bei uns werden Ritter der Höfe mit Sir angesprochen, Warden. Ich denke, da dürften sich die Fae zu beiden Seiten des Atlantiks relativ ähnlich sein.”

Hawkins’ kalkulierender Gesichtsausdruck, als ich von ‘Hilfe’ sprach, war mir allerdings auch nicht entgangen. Ganz schlau hast du das gemacht, Alcazár. Bring Pan doch gleich in die Schuld des Weißen Rats. Okay. Mierda. Mal sehen, ob ich den Fuß wieder einigermaßen aus dem Fettnapf raus bekam.

“Ich muss meine Bitte ein wenig relativieren, Warden Hawkins. Ich bin nicht im Auftrag des Herzogs von Miami hier, auch wenn das eingangs vielleicht so geklungen haben mag. Sondern es geht um eine Aufgabe - eine Queste, wenn man so will - die ich mir selbst gestellt habe. Ein, nun, guter Freund unterliegt einem Fluch, und um diesen Fluch von ihm zu nehmen, wollen wir - genauer gesagt mein bester Freund, der auf derartige Magie spezialisiert ist - ein Ritual wirken. Ich komme deswegen damit zu Ihnen, weil der beste Ort für dieses Ritual offenbar der Lochan Dubh nan Geodh ist” - vermutlich sprach ich das ziemlich falsch aus, auch wenn ich natürlich gehört hatte, wie Gerald den Namen sagte, aber damit musste der Warden jetzt leben - “und wir selbstverständlich nicht einfach auf dem Gebiet des Weißen Rates ein Ritual abhalten können, wollen und werden, ohne die Erlaubnis dafür eingeholt zu haben.”
So gewinnend und vertrauenswürdig ich nur konnte, sah ich den Briten an.

Hawkins’ Gesicht verdüsterte sich bei der Erwähnung des Ortes. “Ein Ritual”, sagte er mit gerunzelter Stirn. “Am Lochan Dubh nan Geogh. Um einen Fluch zu lösen. Junger… Sir Ricardo, wenn ihr einen Fluch lösen wollt, dann ist das kein guter Ort dafür. Jemanden verfluchen? Das könnte ich mir eher vorstellen. Würde ich aber nicht zulassen.” Er kaute kurz auf seiner Pfeife herum. “Der Lochan Dubh nan Geogh ist einer der dunkelsten Orte Schottlands. Dort ein Ritual durchzuführen… dein Spezialist ist kein Ratsmagier, nehme ich an, sonst würde der mit mir reden.” Er wartete mein Nicken kaum ab, sondern fiel mir direkt ins Wort, als ich dazu noch etwas ergänzen wollte. “Also ein Dilettant. Gut, das könnte mir ziemlich egal sein - wahrscheinlich bringt er hauptsächlich sich und den Rest deiner Freunde in Gefahr. Er wird nicht wecken können, was da im See liegt. Falls das sein Plan sein sollte. Kannst du ihm gern bestellen.” In seinem Gesicht arbeitete es.

“Zu schade, dass du nicht als Vertreter des Sommerhofs hier bist”, fügte er schließlich hinzu. “Einem Sommerritter hätte ich vielleicht vertraut… ein Sommerritter hätte etwas für mich tun können. Aber irgendein Kerl aus Miami, dessen Freunde am Lochan Dubh herumhexen wollen? Ich denke zwar nicht, dass ihr da großen Schaden anrichten könntet, aber ich müsste den Dreck hinterher aufräumen. Warum sollte das die Mühe für mich wert sein?” Fast lauernd blickte er mich unter seinen buschigen Augenbrauen an.

Seufz. Dass die Ratsmagier auf die ‘Dilettanten’ herabsehen, das war uns ja schon vorher bewusst. Das war eine der Prämissen, unter denen ich hergekommen war. Aber das so unverblümt von dem Warden zu hören, versetzte mir dennoch einen Stich. Und dass er unvermittelt vom ‘Sie’ zum ‘Du’ übergegangen war, das war mir genausowenig entgangen.
Ganz ruhig. Lass ihn Edward unterschätzen. Und lass dich vor allem nicht von ihm provozieren. Du bist als Diplomat hier. Sei diplomatisch.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.09.2016 | 00:47
Ich schenkte ihm einen möglichst verbindlich-freundlichen Blick. “Wir haben nicht vor, irgendwelchen Dreck zu hinterlassen, den Sie aufräumen müssten”, erklärte ich milde. “Hatten Sie da etwas Spezielles im Sinn?”
Das war jetzt mit ziemlicher Sicherheit nicht das, was er hören wollte. Der wollte eindeutig ein Quid pro Quo. Und vermutlich würde eine signierte Ausgabe meiner Bücher in der Beziehung nicht reichen. Na gut. Mal sehen.
“Und was das andere angeht... Ich weiß nicht, ob Sie jemals in den Staaten zu tun haben, Warden Hawkins. Aber es wäre Ihnen zumindest meine persönliche Dankbarkeit sicher. Und ich würde mich selbstverständlich erkenntlich zeigen, wenn es etwas gäbe, dass ich in meiner Funktion als Privatperson für Sie oder für den Weißen Rat tun könnte - so es denn mit meinen Pflichten als Ritter des Sommerhofs und meinen privaten Überzeugungen in Einklang zu bringen wäre und dessen Erfüllung in meiner Macht stünde. Davon abgesehen kann ich in dieser Angelegenheit zwar weder für meinen Herzog sprechen noch Verpflichtungen für ihn eingehen, da ich rein privat hier bin, auch kann ich ihm selbstverständlich nicht meine Sicht der Dinge aufdrängen oder ihn zu bestimmten Handlungsweisen zwingen, aber er schätzt mich als Ratgeber.”

So. Das sollte hoffentlich Andeutung genug sein. Entweder das, oder...
“Gäbe es denn etwas, das ich in meiner Funktion als Privatperson für Sie oder den Weißen Rat tun könnte?”

Bei diesen Worten lachte Hawkins auf. “An Arroganz fehlt es dir schon mal nicht!”, sagte er amüsiert. Dann wurde er wieder ernst. “Du weisst nicht, was im Lochan schläft. Oder?” Ich zögerte - Gerald hatte etwas vom ‘Ursprung der Weißen Dämonen’ gesagt, wenn ich mich recht erinnerte. Irgendwas in der Art. Hawkins jedoch interpretierte mein Zögern falsch. “Natürlich weißt du das nicht. Wenn du es wüsstest, müsste ich dich umbringen.” War das ein Scherz? Nein, so sah Hawkins nicht aus. Der meinte das bitterernst.
Mit dem Daumen wies ich auf die Plakette, die über der Bar hing. “Ist das hier nicht neutraler Boden?”, fragte ich ruhig.

Hawkins grinste unfreundlich. “Neutraler Boden gilt zwischen einem Angehörigen des Sommerhofs und einem Angehörigen des Weißen Rats… du hast gerade sehr deutlich gesagt, dass du als ‘Privatperson’ hier bist.” Sein Grinsen wurde noch etwas breiter, und er spielte kurz mit der Greifenmanschette, die sich aufrichtete und mich drohend anzischte.
Aber dann wurde er wieder ernst. “Pass auf”, sagte er. “Ich habe den Eindruck, du hast nicht viel Erfahrung mit solchen Verhandlungen. Das erweckt nicht allzu viel Vertrauen in deine Freunde und ihr Ritual. Und ganz ehrlich: Ich habe keine Verwendung für eine Privatperson. Oder kannst du ohne die Kraft des Sommers ins Nimmernie gehen? Kannst du ohne die Kraft des Sommers den Respekt der Einwohner des Nimmernies gewinnen? Gelangst du ohne die Kraft des Sommers in die Sommerhalle der Einherjar? Kannst du ein Haar der Sonne anfassen, ohne dir die Hand wegzubrennen, wenn du die Kraft des Sommers nicht benutzt? Ich glaube nicht, Ricardo.” Er lehnte sich vor. “Ich will keinen Gefallen deines Herzogs, junger… ach, junger Mann. Ich - der Rat - will einen Gefallen von dir, dem Sommerritter, nicht von dir, dem…” Er sah mich abschätzend an. “...dem Playboy, oder dem Miami Vice Detective, oder was auch immer so eine Privatperson eben ist.”

Jetzt konnte ich mir die Spitze doch nicht verkneifen. “Schriftsteller”, sagte ich trocken. “Vielleicht haben Sie schon mal das eine oder andere Buch von mir im Laden stehen sehen. Ich könnte Ihnen eine signierte Erstausgabe meiner gesammelten Werke anbieten, falls das hilft.”
Ich grinste ihn an, um ihm zu zeigen, dass das ein Scherz gewesen war, dann wurde ich wieder ernst und suchte offen den Blick des Magiers.
“Aber Sie haben ganz recht. Ich weiß nicht, was im Lochan schläft. Und viel Erfahrung mit derlei Verhandlungen wie dieser hier habe ich bislang tatsächlich noch nicht. Aber das ist meiner Unerfahrenheit geschuldet, nicht der meiner Freunde. Vielleicht habe ich mich auch falsch ausgedrückt, als ich so auf das ‘privat’ pochte. Ich hätte besser ‘persönlich’ sagen sollen. Was ich damit klar machen wollte, war, dass ich meinen Herzog in diese Sache nicht hineinziehen werde. Aber einen Gefallen, den ich persönlich - Schriftsteller oder Sommerritter oder was auch immer - Ihnen und dem Rat tun kann... und der weder meiner eigenen Ehre noch der Ehre des Sommerhofs oder meinen eigenen Überzeugungen widerspricht... darüber können wir reden.”

Hawkins verdrehte die Augen, als ich von meinen Büchern sprach. “Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, keine Werke von Schriftstellern zu lesen, die nicht mindestens seit zehn Jahren tot sind”, erklärte er kategorisch. “Und ich bin damit immer sehr gut gefahren, dankeschön.”
Umständlich stopfte er seine Pfeife und zündete sie dann mit einem Fingerschnippen an. Einen Moment lang dachte ich, dass Hawkins mich mit der Geste vielleicht beeindrucken wollte, aber vermutlich war es tatsächlich nur ein Reflex, eine vollkommen gewohnte Handlung, derer er sich gar nicht mehr bewusst war.
“Na gut”, sagte der Ratsmagier schließlich. “Ich will mal nicht so sein. Hab ja ein Herz für seltsame Gestalten.” Das ließ mich schmunzeln, auch wenn ich gar nicht so genau sagen konnte, warum. Hawkins dachte vermutlich, es sei Dankbarkeit für sein Einlenken.
“Also gut”, fuhr er dann fort. “Vor einiger Zeit - Feenzeit, wann auch immer das nun war - hat Loki oder einer seiner Nachfahren der Sonne drei Haare gestohlen. Die hat er dann beim Kartenspiel mit einem Einherjar verloren. Heißt es.” Er räusperte sich. “Die Einherjar wohnen ja traditionell in Walhalla, wo sie den ganzen Tag saufen. Dann gehen sie kämpfen, torkeln nach dem Kampf wieder in die große Halle und saufen weiter. Ein bisschen wie Fussballfans in Manchester.” Er winkte den Wirt heran und bestellte zwei Bier. Dann runzelte er nachdenklich die Stirn. “Eigentlich genau wie Fussballfans in Manchester. Scheußliche Stadt. Fahren Sie lieber nicht dahin.” Ein paar Minuten schwieg er, und ich schwieg höflich mit ihm, ließ mir das Gesagte durch den Kopf gehen. Von europäischem Fußball habe ich nicht viel Ahnung, aber bei dem Vergleich konnte ich mir schon ungefähr vorstellen, was er meinte. Dann kam das Bier, zwei große Krüge. Beinahe schon Pitcher-Größe, wie ich sie von zuhause kannte. Hawkins nahm einen und erhob ihn, um mit mir anzustoßen. Ich nahm einen Schluck. Huh. Lecker. Aber starkes Zeug. Da würde ich aufpassen müssen, dass ich mir nicht das klare Denken vernebelte.

“Na gut, Walhalla ist ein Prügel-Pub”, fuhr Hawkins fort, als hätten nicht mehrere Minuten Pause zwischen seinem letzten und diesem neuen Satz gelegen. “Jetzt gibt es viele Einherjar, die das toll finden, aber nicht alle. Die haben sich schon vor langer Zeit nach Heorot zurückgezogen, in Beowulfs Halle, wo sie außer saufen und prügeln auch mal reden, ein Lied anhören oder philosophieren können. Ich war noch nicht da, aber ist wohl eher ein Gentleman’s Club. Mit Walküren, nehme ich an. Falls die Zutritt haben.” Sein Gesichtsausdruck zeigte Zweifel - entweder, weil er den Einherjar eine so fortschrittliche Einstellung nicht zutraute, oder weil er selbst kein großer Freund von weiblichen Gästen in einem Club war.
“Jedenfalls soll sich der Einherjar, der die Haare gewonnen hat - Sigthor Oddson - hauptsächlich in Heorot aufhalten. Sie nennen den Ort auch ‘Sommerhalle der Einherjar’; ich vermute, im Winter müssen auch die weniger rauflustigen Krieger gegen die Jötunn antreten. Wie dem auch sei, ich glaube nicht, dass sie die Haare der Sonne da dringend brauchen, die Halle stand ja auch schon lange vorher - wir vom Weißen Rat jedoch liegen im Krieg mit den Rotvampiren, und ich nehme an, dass du weißt, wie schlecht diese Mistviecher auf Sonnenlicht reagieren. Deswegen wäre es sehr hilfreich, wenn du uns diese Haare bringen könntest.” Er lächelte zufrieden und trank noch einen Schluck des starken Gebräus. Dann fiel ihm etwas ein.
“Hmpf”, machte er. “Kannst du die Zeit in den Reichen beeinflussen? Gah, vermutlich nicht, niemand kann das.” Hawkins schüttelte ungeduldig den Kopf. “Also gut, Bursche… Ritter, Schriftsteller, was auch immer, gib mir dein Wort, dass du wirklich versuchst, an die Haare der Sonne zu kommen, und ich lasse deine Freunde ihr Ritual versuchen. Einverstanden?”

Ich musste nicht lange überlegen. Was wollte ich auch tun? Genau das war der Grund, warum ich hier war, quid pro quo, und Hawkins sah mir nicht so aus, als würde er sich umstimmen lassen. Immerhin hatte er gesagt ‘wirklich versuchen’ und nicht ‘unter allen Umständen bringen’.
“Einverstanden”, erwiderte ich. “Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um diese Haare der Sonne zu beschaffen dafür, dass Sie uns die Erlaubnis für das Ritual am Lochan Dubh nan Geogh geben. Ich hoffe allerdings, ich bekomme noch ein paar Informationen von Ihnen.”

Heorot. Beowulfs Halle. Natürlich hatte ich davon gehört, ich hatte mich immerhin während meines Studiums ziemlich eingehend mit dem Epos beschäftigt. “Ich nehme nicht an, dass Sie die Ruinen des Langhauses in Lejre in Dänemark meinen, wenn Sie von ‘Heorot’ sprechen”, mutmaßte ich. “Vor allem, da Sie ‘die Reiche’ erwähnen. Ich vermute mal, das ist ein britisches Synonym für das Nimmernie?” Ich überlegte kurz. Ins Nevernever bringen sollte auch George mich können, siehe die diversen Gelegenheiten, wo er das schon früher getan hatte, da musste ich Hawkins nicht danach fragen und mich noch inkompententer aussehen lassen, als er mich ohnehin schon einschätzte. “Kann man ungefähr sagen, wo im Nevernever die Halle liegt? Und weiß man irgendetwas über diesen Sigthor Oddson, außer dass er kein Anhänger von Manchester ist?”

Hawkins lehnte sich zurück und betrachtete mich nachdenklich. “Du bist wirklich sehr neu als Ritter, was?”, sagte er langsam. “Es ist eine Sommerhalle. Sie liegt im Nimmernie. Ich nehme an, sie liegt irgendwo im Sommer - die Richtung sollte dir ja vertraut sein. Wenn ich ganz genau wüsste, wo sie ist und wie man hinkommt, bräuchte ich keinen Sommerritter, der sich in dieser Gegend hoffentlich frei bewegen kann, ohne alle fünf Minuten von irgendwelchen Viechern belästigt zu werden.” Er fing wieder an, mit seiner Pfeife zu spielen, aber bedächtiger als vorher. “Die Reiche - die Feenwelten - sind ein Teil des Nimmernies, aber nicht genau dasselbe. Ich würde dir raten, nicht über die Summerhall zu gehen, es sei denn, du willst die Grüne Herrin unbedingt treffen. Die ist zwar relativ freundlich, aber auch sehr neugierig und besitzergreifend, wenn jemand auch nur einen Hauch künstlerisches Talent besitzt. Geh über den Brighton Park in der Nähe vom Portobello Beach, da sollten noch ein paar Sonnenblumen stehen.”
Er runzelte die Stirn. “Über Sigthor Oddson kann ich dir wenig sagen. Scheint gern Karten zu spielen, und nicht einmal schlecht, wenn er Loki besiegen konnte. Falls die Geschichte überhaupt stimmt und Sigthor sie nicht nur erfunden hat. Keine Ahnung, ob die in Heorot Fußball spielen, das würde ich dir überlassen.” Hawkins lehnte sich zurück. “Bist du sicher, dass du der Sache gewachsen bist? Könnte gefährlich sein, und ich will ehrlich sein: Ich habe keine Ahnung, wie weit du mit Diplomatie kommst. Aber wenn du das wirklich machen willst, fein. Gib deinen Freunden die Adresse vom Old Cauldron. Ich würde sie gern treffen, bevor sie zum Lochan Dubh Nan Geogh gehen.”
Er legte seine Pfeife auf den Tisch und trank den letzten Schluck Bier. “Um das ganz klar zu sagen: Wenn ich das Gefühl habe, dass sie sich und andere mit ihrem Gezaubere nur in Gefahr bringen, dann werde ich nicht zulassen, dass sie an einem der dunkelsten und gefährlichsten Orte Schottlands ein Ritual durchführen. Um mal deine Worte zu verwenden: Ich setze meine Ehre für diese Sache genauso wenig aufs Spiel wie du deine.”

‘Summerhall’. ‘Grüne Herrin’. Mierda. Ich hatte tatsächlich keinerlei Ahnung, wovon er da redete, aber ich würde den Teufel tun und das zugeben. Stattdessen hob ich auf seine Worte hin die Schultern. “Ob ich der Sache gewachsen bin oder nicht, das werde ich dann wohl sehen, wenn es soweit ist. Aber ich habe zugesagt, dass ich es nach besten Kräften versuche, also werde ich genau das tun.” Ich nickte dem Ratsmagier zu. “Und ich werde meinen Freunden bescheid geben, dass Sie mit ihnen sprechen möchten. Edward Parsen, damit Sie den Namen schon mal gehört haben.”

Während wir unser Bier austranken, fingen die Rädchen in meinem Kopf schon an, sich zu drehen, und noch viel mehr, nachdem ich mich von dem alten Zauberer verabschiedet hatte und zurück im Hotel war. Ehe ich loszog, musste ich einige Vorbereitungen treffen.

Ich rief bei den Jungs an und gab die neuesten Entwicklungen weiter. Vor allem das mit dem ‘dunkelsten Ort in Schottland’ und dass im Lochan irgendwas Fieses schlief. Und die Wegbeschreibung zum ‘Old Cauldron’. Ich rief bei Eileen Fabray an zwecks Informationen über diese ‘Summerhall’ und die ‘Grüne Herrin’ - bei meiner Mentorin in Sachen Sommerritterei hatte ich, ganz anders als bei dem ach so von sich eingenommenen Warden, keinerlei Hemmungen bezüglich meiner Unwissenheit.

Eileen nahm nach kurzem Klingeln ab. Offenbar war sie noch wach - aber zuhause war es zum Glück ja auch erst früher Abend. “Puh”, machte sie nachdenklich, als sie meine Frage hörte. “Von europäischen Fae habe ich leider nicht so viel Ahnung… Summerhall, Summerhall, das sagt mir etwas... Ist das nicht ein Kunstmuseum oder so etwas in Edinburgh? Ich glaube, ich habe mal einen schottischen Ritter getroffen, der mir davon vorgeschwärmt hat. Wer die Grüne Herrin ist, kann ich dir nicht sagen. Klingt nach einer Feenherrscherin - die sind auf den britischen Inseln  etwas weniger freizügig mit Namen und verwenden eher Bezeichnungen wie ‘Friedliche Herrin’ oder ‘Ritter von der Roten Hand’ oder so. Könnte die Herrin des Sommerhofs in Edinburgh sein… Wenn du ein echter Feenritter wärst, müsstest du ihr deine Aufwartung machen, aber so - ich würde dir davon abraten. Die meisten Feenhöfe sind wesentlich intriganter als Pans, Pan ist kein Sidhe, sondern ein Faun, und dann auch noch aus Amerika? Du kannst dir auch eine Zielscheibe auf dein T-Shirt malen.” Sie lachte. “Gut, das ist alles Sommerhof, aber trotzdem. Würde ich an deiner Stelle vermeiden, wenn es geht.” Ich nickte, auch wenn Eileen das am Telefon gar nicht sehen konnte. “Davon hat Warden Hawkins mir auch abgeraten”, erklärte ich dann. “Er meinte etwas von wegen, die Grüne Herrin könne ziemlich besitzergreifend sein. Von daher muss ich das nicht so dringend haben, glaube ich.” Eileen lachte leise ins Telefon, ehe ihre Stimme wieder sachlich wurde. “Hab ich dir eigentlich schon gezeigt, wie du auch außerhalb eines Feenhofs ins Nimmernie kommst? Nein? Oh. Ist aber nicht weiter schwierig, zumindest nicht, wenn du in Richtung Sommer willst - geh einfach an einen Ort, der irgendwie nach Sommer aussieht, schließ die Augen, konzentriere dich auf den Sommer, geh los und lass deiner Macht freien Lauf. Das haben wir ja schon mal geübt.” Nach ein paar Tipps, wie man im herbstlichen Edinburgh einen Sommerbezug finden könnte - Treibhäuser, Blumenläden, Saunas - beendete Eileen das Gespräch mit den Worten: “Du wirst das schon schaffen. Denk daran, dass du Pans Ritter bist - was auch immer du tust, eine Fee kann dir das ansehen. Pan ist bei vielen Sidhe nicht sehr gut angesehen, aber das ist nicht immer nur ein Nachteil: Du kommst wahrscheinlich mit sehr viel mehr durch als andere.” Irgendwo im Hintergrund piepte ein technisches Gerät. “Meine Muffins! Ich muss los. Viel Glück, Cardo!”

Okay. Das war ja immerhin schon mal etwas. Zusammen mit Hawkins’ Hinweis auf die Sonnenblumen am Portobello Beach würde sich da ja wohl hoffentlich was machen lassen.

Als nächstes versuchte ich, Haley zu erreichen - wenn mir jemand etwas über Einherjaren sagen konnte, dann sie, hoffte ich. Aber dummerweise kam ich unter der Nummer, die wir letztens in Miami benutzt hatten, um mit ihr in Kontakt zu bleiben, nicht durch. Mierda. Naja, da konnte ich wohl nichts machen. Also tätigte ich einen Gute-Nacht-Anruf bei Jandra und vertrieb ich mir noch ein bisschen mit meinem Laptop und dem schottischen Fernsehen die Zeit, ehe ich schlafen ging. Und zwar mit dem festen Vorsatz, im Traum mit George zu reden - meinen kleinen Wyldfae-Kumpel würde ich drüben im Nevernever mit Sicherheit brauchen können.

Gerade, als ich mich hingelegt hatte, klingelte das Telefon. Aus dem Hörer kam zunächst ein schrilles Pfeifen, dann ein schwaches “Hallo? Hallo?”, viel elektronisches Gekrächze, schließlich “Halloooo?”, ganz laut und klar. Eine Frauenstimme. Haley.
“Geht das jetzt so?”, fragte sie genervt, wenn auch vermutlich - hoffentlich - nicht von mir. “Ich hab nicht viel Zeit, Sigbjörn kann nicht lange so stehen… was gibt es denn?”
Als ich sie nach den Einherjar fragte, lachte sie laut auf. “Schätzchen, dass sind die, die nicht zu mir kommen, weißt du? Die hocken in Walhalla und saufen und raufen - ‘bezwingen das bauchige Bierfass baldig’ und so weiter.”

Auf meine nächste Frage, die nach Heorot nämlich, reagierte sie mit einem unfreundlichen Schnauben. Kurz krächzte die Leitung wieder. “Mist”, sagte sie. “Das ist echt nicht so einfach hier… höher, Sigbjörn, höher! Okay, Heorot… Blödes Ding, früher - als es nur Walhalla gab - sind ab und zu Einherjar in Helheim aufgetaucht, weil ihnen das ständige Saufen, Kämpfen, Poppen auf die Nerven ging. Jetzt gehen sie nach Heorot, wo sie Stabreime aufsagen, Schach spielen und sich über Bücher unterhalten können. Gut, das könnten sie in Helheim auch, aber hier scheint halt nie die Sonne und das Dekor ist ein bisschen trist. Dafür haben wir demnächst Kabelfernsehen… vielleicht. Willst du dahin? Vermutlich nicht auf die gute alte Art und Weise, bei der du in der Schlacht stirbst, was?”

Jetzt war ich dran mit dem Schnauben. “Ich will nicht dahin, aber ich muss, fürchte ich. Ist eine Aufgabe im Zusammenhang mit der Sache von letztens noch. Und richtig, ich würde ganz gerne lebendig von dort zurückkommen. Ohne vorher gestorben zu sein, wenn es geht. Sagt dir ein Sigthor Oddson etwas? Den soll - muss - ich dort treffen.”

“Sigthor Oddson?” Hayley lachte. “Ja, der sagt mir was. Er hat meinen Vater im Kartenspiel besiegt, sagt er. Ich habe eine andere Geschichte gehört, was er da mit meinem Vater gemacht hat… sollte ich wohl nicht erzählen, so als getreue Tochter und so.” Man konnte ihr Grinsen förmlich durchs Telefon hören. “Aber ich kann dir versprechen: Bodenturnen war es nicht.” Die Leitung rauschte einen Moment ganz fürchterlich.
“Tut mir leid”, erklang ihre Stimme dann wieder, diesmal deutlich lauter. “Sigbjörn musste lachen. Dann mal viel Spaß in Heorot. Soll ganz lustig dort sein, und nicht sehr gefährlich, eigentlich. Die Einherjar da sind angeblich eher friedfertig, aber halt alles Veteranen. Mit denen legt sich vor Ragnarök so schnell keiner an. Eh, wenn du wissen willst, wie du dahin kommst: Folge den Stabreimen. Die sind ein untrügliches Zeichen für Einherjar. Sie nennen es auch ‘gebetteter Drachentraum’ oder ‘Klingenherd’, und die Straße nach Heorot heißt ‘Weg der Sonnendolde’. Keine Ahnung, was das heißt. Aber mach dir nichts draus, im Nimmernie laufen lauter Gestalten herum, die du fragen kannst. Lass dich nicht fressen, und wenn etwas kichert, dann trau ihm nicht.” Sie kicherte. “Wenn du willst, schicke ich dir eins meiner Geschwister vorbei, damit es dir hilft!”

Ich fing an, ihr etwas zu antworten, aber aus der Leitung kam nur ein Rauschen. Dann hörte ich doch wieder etwas.  “...klar. Sigbjörn… Reise… bald… meinem Vater.”
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.09.2016 | 00:48
Mierda. Dann musste ich wohl darauf verzichten, herauszufinden, welches ihrer Geschwister Haley mir hätte zur Seite stellen wollen - auch wenn es vermutlich besser so war. Fenriswolf oder Midgardschlange, wenn mich mein Wissen über die nordische Mythologie nicht im Stich ließ; da war keines von beiden eine sonderlich angenehme Alternative, was mich betraf.

Na gut. Mehr würde ich wohl nicht herausfinden können, ehe ich mich nicht selbst auf die Reise begab. Ich musste nur noch entscheiden, wo. Der Wetterbericht sagte für den nächsten Tag zwar einigermaßen trockenes Wetter voraus, aber wie Herbst oder gar wie Sommer wirkte das hier so gar nicht. Deswegen würde ich auch nicht über diesen komischen Brighton Park gehen, den Hawkins erwähnt hatte. Dass da im November noch Sonnenblumen stehen sollten, das glaubte ich dem Ratsmagier nicht so recht, und vor allem, was würden mir halb verfrorene Sonnenblumen an einem ansonsten winterlich trüben Strand helfen?

Nein. Das Tropenhaus der Royal Botanic Gardens war von 10:00 bis 15:00 Uhr geöffnet, wie mir das Internet verriet, und da musste es sich ja wohl zwischen den ganzen Palmen irgendwo eine versteckte Ecke finden lassen, wo ich unauffällig ins Nevernever hinüberwechseln konnte.

Mit diesem Vorsatz ging ich jetzt endgültig schlafen und bat George, mich am nächsten Tag zu treffen, sobald ich das Nimmernie betrat. Bis mir allerdings die Augen zufielen, grübelte ich über etwas nach, das Haley gesagt hatte. Was zum Geier meinte sie mit “folge den Stabreimen”? Sicher, was Stabreime waren, wusste ich; die waren fester Bestandteil des Kurses “Lyrik im Wandel der Zeiten” gewesen. Und außerdem gefiel mir bei Tolkien der Schlachtruf der Rohirrim immer besonders gut. Aber wie konnte man Reimen folgen? Doch eher den Leuten, die sie aussprächen? Oder meinte Haley damit, die Reime wären irgendwo aufgeschrieben? Naja, wenn ich dem ersten begegnete, würde ich hoffentlich merken, was sie gemeint hatte.

Ich weiß nicht mehr viel von dem, was ich träumte - vermutlich tat George sich in Vorbereitung auf eventuelle Strapazen gütlich daran. Oder ich erinnerte mich am nächsten Morgen einfach nicht, das kann ja auch mal sein. So oder so jedenfalls frühstückte ich ausgiebig, ehe ich mich auf dem Weg in den botanischen Garten machte. Ein Taxi brachte mich in einer Viertelstunde an mein Ziel, und dann stand ich im Zentrum des alterwürdigen Palmenhauses vor der ältesten Palme Schottlands. Schon 1834, als sie hierher verpflanzt wurde, war die Sabal Bermudana ausgewachsen, informierte mich eine Tafel neben dem Baum, auf der auch ein Bild aus eben jener Zeit zu sehen war. Schon beeindruckend - und irgendwie genau richtig für das, was ich vorhatte.

Ich trat also hinter die Palme, als wolle ich sie von allen Seiten bewundern, und so aus der Sicht eventueller anderer Besucher. Dann holte ich Jade aus der lederverstärkten Corduratasche, die ich vor einer Weile extra für diesen Zweck angeschafft hatte, und gürtete die Klinge um, ehe ich mich auf das besann, was Eileen am Telefon zu mir gesagt hatte. ‘Schließ die Augen, konzentriere dich auf den Sommer, geh los und lass deiner Macht freien Lauf.’ Na gut. Wenn ich dabei mit irgendeinem Besucher zusammenstieß, würde ich sehr albern aussehen, aber ich war sehr früh dran und außer mir kaum jemand hier. Das würde schon gehen.

Wie Eileen es mir erklärt hatte, schloss ich die Augen und rief die Magie des Sommers in mir nach oben. Als ich die ersten Schritte machte, legte ich zusätzlich noch die Hand an Jades Griff, und das Heft schien sich unter meinen Händen zu erwärmen, je weiter ich ging. Oder kam mir das nur so vor? Nein, denn die Wärme der Sommermagie breitete sich auch in mir selbst aus, verwob sich mit dem feuchtwarmen Klima des Tropenhauses -- und dann wurde die Luft mit jedem Schritt weniger feucht, und dann veränderte sich mit einem Mal die Qualität des Lichts, das durch meine geschlossenen Augen drang, und auch die Geräusche wandelten sich. Und als ich die Augen wieder öffnete, war ich an einem anderen Ort.

Ich stand auf einer Sommerwiese - einer europäischen Sommerwiese, soweit ich das beurteilen konnte. Neben mir stand ein hellgraues Pferd, gesattelt, aber ohne Zügel. George natürlich, der die Umgebung aufmerksam beäugte und dann anfing, skeptisch an einem Grashalm zu knabbern.

Sehenswert war die Umgebung allemal: Die Wiese lag unter strahlend blauem Himmel auf einem Hochplateau. Einige Schritte vor mir lag die Kante einer steilen Klippe, und darunter rauschten die hohen Wellen eines graublauen Ozeans. Ich glaubte sogar, in der Ferne den grünen Hügel einer Insel zu erkennen. Zu meiner Rechten stand ein wilder Sommerwald voll knorriger Bäume mit ausladenden Ästen, darunter beerenbehangene Büsche und malerisches Moos. Oben, in den Wipfeln, bewegte sich etwas, und ab und zu meinte ich, rotpüschelige Schwänze sehen zu können. Eichhörnchen? Falls ja, mussten die relativ groß sein.
Hinter mir lag ein spektakulärer Sonnenuntergang,  zu hell, um viel zu erkennen. Die Wiese schien sich noch lang zu strecken und in ein welliges Hügelland überzugehen, soweit ich das in der hitzeflirrenden Luft erkennen konnte. Ein warmer Wind wehte aus dieser Richtung, und in der Entfernung konnte ich einige Reiter in rostroten Roben sehen, die gemächlich auf die Sonne zuritten.
Auf der linken Seite schließlich lag ein kurioser Karneval: Zahlreiche Zelte zierten eine ausgedehnte Aue, abenteuerliche Artisten arbeiteten andauernd an allerlei Albernheiten, und mutige Maiden machten munteren Müßiggang.

...wie bitte? War das jetzt mein eigenes Hirn, das mich ständig mit Stabreimen stichelte? Oder gab mir die laue Luft gar gefährliche Gaukelreime… Was. Zum. Geier?

Warte. Wie hatte Haley gesagt? ‘Folge den Stabreimen’. Zu der Steilküste hin hatte ich nicht in Alliterationen gedacht, auch nicht in Richtung des Waldes - oder zumindest nur ansatzweise. Aber zu dem vielgestaltigen Varieté mit seinen protzigen Pavillons und seinen bewegtbunten Buden zogen mich die zahlreichen Zeilen mit alliterierenden Anfängen hin wie ein Seeman sein Schiff an einem soliden Seil.

Okay. Das war ein zweifelloses Zeichen, schien es mir sicher. Also machte ich mich wagemutig auf den Weg.
¡Mierda! ¡Esto tenía que parar!
Ich biss die Zähne zusammen, und mit Mühe machte ich mich - Cólera noch eins! - auf den Weg zu dem jauchzenden Jahrmarkt, Georges graue Gestalt an meiner Seite.

Schon von fern dünstete der Duft liebreizender Lammkeulen und deftiger Delikatessen. Gebratene Gänse gackerten… Moment, was? Gackerten? Doch, tatsächlich, die kopflosen Tiere über den Flammen gackerten laut und deutlich. “Labe dich, Liebling!” Huch.

Unschlüssig schritt ich über den begrasten Boden, sah eine taumelnde Tänzerin, einen jungen Jongleur, einen bierseligen Bären und einen quakenden Cowboy. Nein. Der quakte nicht, und er war auch kein Cowboy. Tatsächlich war er hauptsächlich beschwipst und beduselt, ein braungekleideter Barbar mit einem beidhändigen Beil. “O Walhalla Wanderhalla, wanderte ich wahnbefreit...”, krächzte er unmelodisch. Als er mich sah, kam er schwerfällig auf mich zugeschwankt. “Freundlicher Freund, ein fröhlicher… Freudengruß! Respektabel reist du, und spektabel, und vielleicht gar spendabel? Ein einsamer Einherjar eilt eilig ein… bei, um dich zum Gastgeber zu gießen. Zu kiesen. Zum Kastgeber… ach, was soll’s. Gibst du mir einen aus, Freund?” Er lächelte breit und atmete mir seinen alkoholgeschwängerten Atem ins Gesicht.
Weiter hinten kam eine gewappnete und gerüstete Kriegerin kraftvoll geschritten. Ihr Blick schweifte umher, und der bärtige Barbar bemühte sich um ein verstohlenes Versteck hinter mir. “Schweig, mein freundlicher, mein friedlicher Freund! Das wunderbare Weib dort zürnt zauberhaft… nee, die wilde Walküre säuert sonderbar… ich brauch ein Bier! Schnell!”

Oh. Aber ich schwieg doch schon sowieso stille, was wollte der Wicht? Ein Bier, bekanntermaßen. Na dann sollte er sein Bier bekommen. Ich winkte der Wirtin und bestellte gegorenen Gerstensaft für meinen struppigen Sozius.

“Prosit, Pontonier!” wünschte ich ihm wohlwollend - und fragte mich dann, wie bei allen grünen Geistern ich jetzt auf dieses Wort gekommen war. “Lasst es Euch laben. Und dann sagt, warum bangt Ihr vor der Blonden dort?”

“Bangt?!? Einem Oddson bangt vor keiner Blage… Plage… ach, was soll’s.. Prost!” Hastig hob er den bierigen Becher und schüttete den schäumenden Inhalt schnell in seinen Schlund. In der Zwischenzeit hatte die Blonde ihn allerdings entdeckt.
“Halfðan Oddson!”, rief sie rau. “Hier bist du nun und säufst, während in Heorot die Helden harren?” Irritiert runzelte sie die strenge Stirn. “Diese Reime sind echt reiz… ich meine, nervtötend. Weiche, Wicht der windigen Worte, von dieser… äh… biergeschwängerten Bank baldig!” Mit einem Fuss trat sie gegen ein Tischbein, und ein winziger Wichtel verzog sich zeternd. Natürlich in Stabreimen.

In dem Moment konnte ich spüren, wie ein gewaltiges Gewicht… eine unsichtbare Bürde von mir abfiel. Es fühlte sich an, als würden sich ein paar Gehirnwindungen entknoten, dann konnte ich wieder denken, ohne ständig in Alliterationen zu verfallen. Tío, war das eine Erleichterung.

“Astrid”, murrte Halfðan. “Was willst du denn schon wieder? Ich trinke hier mit meinem Freund … äh … na, mit meinem Freund Dingsda! Wir haben wichtige Männerdinge zu besprechen!”
Astrid sah uns beide skeptisch an.
“Sei gegrüßt, Dingsda”, sagte sie mit ironischem Unterton zu mir. “Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.”

Ich nickte der Kriegerin höflich zu. “Ricardo. Erster Ritter des Herzogs Pan. Aber ‘Dingsda’ tut es auch. Es freut mich, dich kennenzulernen, Astrid.” Interessiert betrachtete ich sie einen Moment lang - ob es das tatsächlich eine Walküre sein konnte? Eigentlich sah sie ganz normal aus - naja, so hochgewachsen und auf strenge Weise schön, wie sie war, konnte man das nicht wirklich als ‘normal’ bezeichnen, aber auf den ersten Blick jedenfalls nicht nichtmenschlich. Ehe ich sie zu lange anstarren konnte, wandte ich mich dann zu dem Krieger mit dem großen Durst. “Und Halfðan. Das freut mich ebenso.” Ich hob meinen eigenen Bierkrug und prostete ihm zu, nahm aber nur einen kleinen, vorsichtigen Schluck. Besser einen klaren Kopf bewahren. “Halfðan Oddson? Zufällig verwandt oder verschwägert mit Sigthor Oddson? Falls ja, hätte ich da eine Frage.”

Halfðan und Astrid wechselten einen Blick, den ich nicht recht deuten konnte. “Sigthor ist mein Bruder”, sagte der große Mann dann durch seinen Bierbart. “Ihr Vater.” Mit dem Daumen zeigte er auf die Walküre (wenn sie denn eine Walküre war), die die Augen verdrehte.
“Meiner, und der von ungefähr 300 anderen Leuten”, erklärte sie. “Sigthor lässt wenig anbrennen.”
“Noch weniger, seit Loki ihn verflucht hat, dass jeder, mit dem er schläft, ein Kind von ihm bekommt.” Halfðan lachte bei diesen Worten kräftig und spuckte etwas Bier durch die Gegend. Astrid schnaubte genervt.
“Mein Vater ist ziemlich speziell”, erklärte sie. “Und egal, wie viele Riesen ich erlege, wie viele Zwergenschätze ich erbeute und wie viele Maiden ich flachlege - das ist immer die allererste Geschichte, die jeder über mich erfährt.”
“Er hätte Loki die Sonnenhaare nicht abnehmen sollen”, sagte Halfðan mit einem Kopfschütteln.
“Hätte er nicht, nein”, stimmte Astrid zu. “Und dann diese Geschichte mit dem Kartenspiel… als wäre Papa in der Lage, irgendwen im Kartenspiel zu besiegen.”
“Ich hab immer gegen ihn verloren”, protestierte Halfðan empört.
“Du hast auch Bier im Gehirn.” Astrid drehte sich zu mir um. “Nun, Sir Dingsda… Ricardo, meinst du, du kannst meinen Onkel dazu überreden, mit mir nach Heorot zu reisen und seine Aufgabe zu erfüllen?”
“Meine Aufgabe?”, knurrte Halfðan. “Ich muss das Feuer hüten… das ist so langweilig, es ist ein magisches Feuer, es kann nicht ausgehen. Was soll ich denn da hüten?”
“Es ist auch nicht ausgegangen”, erwiderte Astrid spitz. “Im Gegenteil: Es ist gewachsen, kokelt alles an und wenn man ihm etwas sagt, gibt es Widerworte. Die anderen Einherjar finden, es ist deine Sache, es zu erziehen.”
“Ich… äh… also, Astrid, weißt du, ich würde ja gern, aber ich habe Sir Dings… Rikado versprochen, ihm bei seiner Queste zu helfen.” Verstohlen blinzelte Halfðan mir zu.
Astrid verschränkte die Arme und sah uns genervt an.
“Und hat das etwas mit Bier zu tun, Sir Ricardo?”

“Es hat nichts mit Bier zu tun, werte Astrid”, versicherte ich ihr. “Zumindest nicht, soweit es mich betrifft. Es hat allerdings zu tun mit diesen drei Haaren, die du erwähnt hast.”
Vielleicht war es unvernünftig, gleich so mit der Tür ins Haus zu fallen, aber wenn Hawkins List und Tücke gewollt hätte, hätte er einen White Court schicken sollen. Außerdem, wer sagte denn, dass dieser Ansatz nicht funktionieren würde?
Ich sah die beiden Nordländer fragend an. “Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sigthor wurde verflucht, weil er die Sonnenhaare an sich gebracht hat? Und seit diese Sonnenhaare in Heorot sind, lässt sich das magische Feuer nicht mehr kontrollieren? Irre ich mich, oder klingt das nach einem Zusammenhang?” Astrid nickte mir ernsthaft zu. “Und genau deswegen brauchen wir Halfðan. Es ist seine angestammte und hochheilige Aufgabe, sich um das Feuer zu kümmern.”
Das magische Feuer. So langsam wunderte es mich nicht mehr, dass Hawkins einen Vertreter des Sommers geschickt hatte. “Was machen diese Haare eigentlich genau?” entgegnete ich. “Sonnenlicht?”
Die blonde Kriegerin nickte wieder. “Unter anderem. Und die Wärme dazu. Das kann ganz praktisch sein für kühle Sommernächte. Oder gegen die Eisriesen.”

Oh. Oho. Cólera. Ja klar. Wäre ja auch zu einfach, wenn sie keinerlei Motivation hätten, die Dinger hier zu behalten.
“Ich will gar nicht lange drum herum reden. Ich bin wegen dieser Haare hier. So wie ich das sehe, könnten wir alle was davon haben, wenn ich die an mich nehme. Das Feuer käme wieder unter Kontrolle, und vielleicht würde Sigthor sogar seinen Fluch los?” Ich zögerte, als mir ein sehr hässlicher Gedanke kam. “Wie funktioniert dieser Fluch eigentlich genau? Ich hätte herzlich wenig Lust, mir selbst einen einzufangen, sobald ich diese Haare an mich nähme.”

Astrid lachte auf. “Nee, den Fluch wird Sigthor nicht los - das hat was damit zu tun, wie er an die Haare gekommen ist. Ich weiß nicht, wie dein Verhätlnis zu Loki ist, aber dafür, dass er Leute so gern übers Ohr hat, hat er bemerkenswert wenig Sinn für Humor, wenn ihm selbst das passiert.”
Halfðan kicherte mit. “Hab doch schon gesagt, was der Fluch ist - jeder, der mit Sigthor schläft, kriegt ein Kind von ihm. War unglaublich lustig, als er mit Knud... Au!” Empört hielt sich Halfdan den Fuss, auf den ihm Astrid gerade getreten war.
“Wofür brauchst du die denn?”, fragt die blonde Frau hastig. “Ich weiß nicht, ob das Feuer wegen den Haaren ausser Kontrolle ist oder weil dieser Blödbommel da” - sie deutet auf Halfðan - “seine Pflichten vernachlässigt. Aber wäre vielleicht gut, wenn die weg wären. Wenn das Feuer sich wieder benimmt, hätten wir ja alle Wärme, die wir brauchen.”
“Pfff”, macht Halfdan. “Das Feuer geht mir auf die Nerven. ‘Mir ist langweilig’ hier, ‘Ich hab Hunger’ da, ‘Meine Asche muss raus’, ‘Kann ich auch mal andere Feuer treffen’ und so weiter.” Er zieht die Nase hoch. “Früher war das einfacher.”
“Jaja”, sagte Astrid und verdrehte die Augen. “Was hältest du davon, Sir Ricardo: Du kommst mit uns nach Heorot, hilfst deinem netten Freund da mit dem Feuer und dann reden wir über die Haare? Sie sehen ja schon recht hübsch aus da in der Halle…”

Ich nickte der Kriegerin zu. “So ungefähr habe ich mir das gedacht, ja. Wenn ich irgendwas tun kann, um mit dem Feuer zu helfen, tue ich das gerne.”
Astrid lächelte. “Schön. Dann komm mal mit.” Sie warf ihrem Onkel einen strengen Blick zu. “Und du auch, Halfðan Oddson. Denk nicht mal daran, hierzubleiben, während wir gen Heorot ziehen.”
Der Einherjar warf seiner Nichte einen missmutigen Blick zu, trank aber sein Bier in einem letzten langen, geräuschvollen Zug aus und erhob sich dann von seiner Bank. Ich stand ebenfalls auf und winkte George, der zu mir getrottet kam, als wir aufbrachen.

Unser Weg führte uns an dem Jahrmarkt vorbei weiter weg von den Klippen, tiefer ins Land hinein, bis schließlich in einiger Entfernung eine Struktur auftauchte, ein langgezogenes Wikingergebäude mit einem Dach wie ein Drachenboot. Heorot, die Sommerhalle.
Je näher wir kamen, desto langsamer wurde Halfðan. “Komm schon”, versuchte ich ihn aufzumuntern. “Das Feuer bekommen wir schon irgendwie gebändigt.”
Halfðan brummelte etwas herum, aber er folgte Astrid und mir in die große Halle.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 13.11.2016 | 21:13
Von außen mochte die Halle aussehen wie ein Wikingerlanghaus, aber innen hatte sie mehr Ähnlichkeit mit einem britischen Gentleman’s Club: Ein breiter Eingangsbereich, wo ein großer Haufen Waffen säuberlich in Regalen geordnet war, dann führten ein paar Treppenstufe nach unten in einen großen Saal. Im Raum verteilt standen kleine Sitzgruppen, mehrere Ständer mit Magazinen und Dutzende von Bücherregalen. Etliche Leute saßen auf gemütlichen Sesseln oder eleganten Bistrostühlen, spielten Schach oder Kartenspiele, diskutierten über alles mögliche und aßen Flammkuchen. Auf den Tischen stand Bier, aber nicht in großen Krügen, sondern in künstlerisch geformten Flaschen mit merkwürdigen Etiketten.

Es war warm in Heorot. Sehr warm. Die Anwesenden trugen größtenteils dünne Bademäntel, manche auch Boxershorts oder überhaupt nichts. Das war nicht immer allzu schön anzusehen - ein Großteil der Leute war männlich, nicht allzu jung und behaart wie ein Yeti. Die wenigen Frauen unter ihnen schienen sich an dem Anblick aber nicht zu stören. Einen Bikini trug trotzdem nur eine, der Rest hatte etwas mehr an.

Schuld an der Hitze war das große, wild lodernde Feuer in dem weiten Kamin. Ein paar… was waren das für Wesen? Zwerge? Gnome? “Hauselfen”, schoß es mir durch den Kopf. Dem Harry-Potter-Thema hatte ich ja schon in Edinburgh nicht entgehen können, nur waren diese Wesen hier besser gekleidet als Ms. Rowlings Hauselfen. Sie huschten durch den Raum, füllten hier ein paar Getränke auf, brachten da ein paar Pastetchen, räumten Bücher zurück in die Regale… und schleppten gerade einen halben Baumstamm, der viel zu schwer für sie war, zum Kamin.
Selbst über das Murmeln der Einherjar hinweg konnte ich die Stimme des Feuers hören: “Kssss… issst dassss etwa Eichenholz? Dasss isssst gar nicht heisssss… ich wollte doch Buche! Buche!” Ein paar missmutige Flammen schlugen nach den ... Hauselfen, und die kleinen Wesen sprangen hektisch beiseite. Den Baumstamm ließen sie fallen und huschten davon.

“Holder Halfðan, willkommen zurück in Heorot”, sagte eine leise Stimme. Neben der Gruppe stand ein ...wasauchimmer... Hauself mit einem geschwungenen Schnurrbart, hinter dem das alte, faltige Gesicht fast verschwand. Aus irgendeinem Grund schien er einen britischen Akzent zu haben, wie ein Butler aus einem Upper-Class-Krimi. Einer von denen, wo der Detektiv es unglaublich schwer hat, weil er reich ist und gut aussieht und das Gefühl hat, die Leute würden ihn allein darauf reduzieren. Dieser Butler-Elf hier trug sogar eine Art Anzug, und er hatte definitiv Schuhe und Socken an. Und irgendwie schaffte er es, Halfðan gleichzeitig respektvoll und missbilligend anzusehen.
Der Einherjar hatte ihn gar nicht bemerkt und zuckte bei seinen Worten zusammen.
“Hallo, Ranulf”, sagte er lahm und lächelte unsicher. “Bringst du mir bitte mal ein Bier?”
“Gewiss, holder Halfðan”, erwiderte Ranulf mit einer leichten Verbeugung. “Das wird Euch nach der Erfüllung Eurer Pflichten gewiss munden.”
Dann wandte er sich von dem stämmigen blonden Krieger ab, begrüßte Astrid mit einem aufrichtigen Lächeln und verneigte sich schließlich vor mir. “Seid gegrüßt, Fremdling. Ein Ritter des Sommers, wie ich sehe? Darf ich euch etwas abnehmen? Etwas bringen?”
Es war ja nett gemeint, aber ich lehnte dankend ab. Erstens hatte ich gerade andere Dinge im Kopf, und zweitens war das hier immer noch das Nevernever. Was mich daran erinnerte, dass ich Eileen bei Gelegenheit mal fragen muss, wie das mit Essen und Trinken hier ganz grundsätzlich läuft.

Aber erstmal das Wichtigste. Das Feuer. Es wurde ziemlich schnell deutlich, dass das es nicht nur eine Persönlichkeit besaß, sondern die Persönlichkeit eines ziemlich verzogenen Teenagers. Es konnte Halfðan sichtlich nicht ausstehen, und Astrid noch viel weniger.
Den grünhäutigen Orc – Moment. Was? Orc? Tatsächlich. Der sah aus wie der sprichwörtliche Fantasy-Orc. Eindeutig mehr Arcanos oder World of Warcraft als die Herr der Ringe-Filme  – der beim Kamin saß, schien dessen flackernder Insasse hingegen tatsächlich zu mögen. Und mich erstaunlicherweise auch, denn mich blaffte es nicht an, sondern mit mir redete es ganz friedlich.

Dabei kam heraus, dass das Feuer tatsächlich ein Bewusstsein hatte und nicht einfach nur magisch animiert war. Auf mich wirkte es wie ein Kind, oder vielleicht besser wie ein Teenager; wie ein ziemlich verzogener Teenager dazu. Den blonden Krieger redete es mit „Onkel“ an und sprach von Astrid als seiner „Schwester“, was mich erst stutzen ließ und dann fieberhaft nachdenken. Wenn Sigthor Oddson jemanden geschwängert hatte – denn jeder, mit dem Sigthor Oddson schlief, wurde ja immerhin schwanger, wie ich gelernt hatte – wer zum Nether war dann die Mutter? Ich hatte da einen ganz, ganz, ganz schrecklichen Verdacht. Was, wenn es Lady Fire wäre? Oh, santísima madre.
Andererseits, das Feuer schien ja ganz nett. Wer weiß, vielleicht wäre das ein allererster Schritt zu einer möglichen Aussöhnung?

Jedenfalls stellte sich sehr schnell heraus, dass es weder in Heorot bleiben, noch die Einherjar es weiter dort sehen wollten. Astrid sprach den Gedanken aus, der mir flüchtig durch den Kopf gegangen war, den ich aber nicht zuende zu denken gewagt hatte: ob ich das Feuer vielleicht mitnehmen könne in meine eigene Welt.
Unser zickiger Halbwüchsiger war gleich – nein, ich sage jetzt nicht 'Feuer und Flamme', das wäre zu billig – ziemlich begeistert von der Idee. Hauptsache hier wegkommen, meinte es, und auch die diversen Umstehenden waren durchaus ebenfalls dieser Meinung.
Na gut, sagte ich, aber nicht in meine eigene Welt. Ein lebendes Feuer in mein Apartment zu holen, kam so überhaupt nicht in Frage. Nicht mit Jandra, die seit ihrem Erlebnis mit Lady Fire ohnehin auf Feuer fixiert ist, die ständig von ihrer besten Freundin Monica besucht wird, welche wiederum ganz am Anfang ihrer Magierausbildung steht – Spezialisierung Feuer, wohlgemerkt – und bei all dem Papier in der Wohnung? Lasst mich nachdenken... Ähm, nein.
Aber in Pans Palast ginge es vielleicht. Da ist dieser riesige Kamin in Pans Großer Halle, der ohnehin nie benutzt wird und wo sich ein Bewohner vielleicht ganz wohl fühlen würde.
Dieser Alternativvorschlag war für das Feuer auch in Ordnung – egal was, nur weg hier, nehme ich an. Lustigerweise wollten die anderen sich ebenfalls alle anschließen: Den Fantasy-Orc (der übrigens selbst nicht wusste, wie er hierher gekommen war, und der keinen anderen Namen kannte als Orc Nummer Vier) wollte das Feuer ja schon ganz gern dabeihaben, aber auf Halfðan und Astrid hätte es gerne verzichten können, wie es uns lautstark wissen ließ. Da war aber nichts zu machen, die beiden wollten auch mit, und wer war ich, um sie daran zu hindern? Außerdem konnte keiner der drei vermutlich ewig in Pans Palast bleiben, oder überhaupt wollen. Der Orc fragte mich schon, ob es dort viel zu kämpfen gebe. Naja, zwei Gelegenheiten zum Kämpfen im Jahr konnte ich ihm immerhin versprechen (wobei die Kämpfe zur Winter- und Sommersonnenwende bei uns ja meist auch nicht so blutig daher kommen, wie ein kriegerischer Orc das vermutlich gerne hätte), aber ich zweifelte doch immer noch ziemlich daran, dass unsere Begleiter es sonderlich lange in Pans Hofstaat aushalten würden.

Ehe wir gingen, erinnerte ich Astrid aber noch an ihr Versprechen mit den drei Sonnenhaaren. Die Kriegerin wollte sich erst etwas zieren, aber das Feuer loswerden wollte sie dann doch lieber, und den Einherjaren in der Halle war es auch lieber, die Haare und ihre wärmende Wirkung zu verlieren, als das Feuer behalten zu müssen, also bekam ich sie am Ende dann doch.
Eines meiner Bücher durfte ich dann zu dem Zweck sogar auch noch signieren. Wobei ich die Haare vermutlich auch ohne Autogramm bekommen hätte, aber der Einherjar, der es sich im warmen Licht der Haare in einem Lehnsessel gemütlich gemacht hatte, las lustigerweise gerade Cuban Ghosts, und die Tatsache, dass dessen Autor die Haare haben wollte und ihm eine ausführliche Widmung ins Buch schrieb, war der Sache sicherlich nicht ganz abträglich.

George, noch immer in Pferdegestalt, hatte die ganze Zeit über geduldig draußen vor der Halle gewartet. Jetzt bat ich ihn, uns zurück in Pans Reich zu bringen, und schwang mich in den Sattel. Warum, weiß ich gar nicht so genau; vielleicht, weil ich dachte, so könnte George uns den Weg leichter zeigen. Oder warum auch immer. Vielleicht wollte ich auch einfach nur eine vornehme Gestalt abgeben, so hoch zu Ross.

Jahaaa. Y una leche. Kaum saß ich im Sattel, galoppierte George los, und das war es dann mit meiner vornehmen Gestalt hoch zu Ross. Ich zog einige Male am Zügel, wollte meinem kleinen Wyldfae-Freund aber auch nicht zu fies im Maul herumzerren, ganz abgesehen davon, dass ich alle Mühe hatte, mich oben zu halten. Ich rief George zu, er solle anhalten, aber der dachte gar nicht daran, und sehr schnell waren die anderen hinter uns verschwunden. Und zwar nicht einfach nur hinter uns, weil George so schnell galoppierte. Sondern die Landschaft veränderte sich rapide, und dann waren wir schon wieder an einem ganz anderen Ort. Und ich fiel unsanft zu Boden, weil da nämlich plötzlich kein Pferd mehr unter mir war. Überhaupt kein George, egal in welcher Gestalt. Ich war wieder in meiner eigenen Welt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 13.11.2016 | 22:23
Der Orc Nummer Vier wurde übrigens aus einer dieser "Darf der SL die SCs an den Haare ziehen"-Debatten geboren. :D

(Schöne Zusammenfassung!)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 21.11.2016 | 16:26
*Kopfkratz* Zusammenfassung?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 22.11.2016 | 17:48
Vom letzten Teil, der ja nicht mehr geschrieben, sondern gespielt wurde. "Zusammenfassung" im Sinne von "konzise, gut lesbare Verschriftung des Geschehenen". ;)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.11.2016 | 21:26
Ja, nur es war ja ein Diary wie alle anderen, die nicht gerade ein SST waren, auch. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.11.2016 | 21:27
Ricardos Tagebuch: White Night 6

Ich befand mich also wieder in meiner eigenen Welt. Soviel zumindest war klar, denn sonst wäre George noch da gewesen. Aber wo war ich? Ich rieb mir das schmerzende Hinterteil und sah mich um. Ich befand mich auf einer kleinen Anhöhe, unter bleigrauem Novemberhimmel. Vor mir, unterhalb der Anhöhe, eine Wasserfläche von beachtlicher Größe, umgeben von Moor- und Heidelandschaft auf der einen Seite, einem Waldstück auf der anderen. Berge – oder waren das noch keine Berge, sondern nur Hügel? – in einiger Entfernung. Das sah mir aus wie Schottland. Ich war in den Highlands. Und dann musste das da unter mir der Lochan Dubh nan Geodh sein. Aber warum hatte George mich gerade jetzt hierher gebracht?

Stimmen machten mir klar warum. Denn als ich in die entsprechende Richtung sah, erkannte ich unten am Ufer sechs mir nur allzu wohlbekannte Gestalten. Das waren die Jungs mit Gerald und seinem Sohn, und offenbar wollten sie genau jetzt das Ritual abhalten. Okay, George, alter Kumpel, ich nehme alles zurück.

Dass ich so plötzlich aus dem Nichts auftauchte, wunderte die Jungs natürlich genauso wie mich, und da die Nerven etwas angespannt waren, konnte ich vermutlich ganz froh sein, dass ich nicht von einem Zauber empfangen wurde. Aber als sie mich dann mal erkannt hatten, waren sie doch ganz froh, mich zu sehen, glaube ich.
Ehe es losging, ließ ich mir aber erstmal erzählen, was ich alles verpasst hatte, und berichtete selbst von meinen Erlebnissen in der Sommerhalle. Als ich erzählte, dass ich es für grundsätzlich möglich hielt, dass das Feuer das Kind von Sigthor und Lady Fire sein könnte, sah Alex mich an, als sei ich völlig verrückt geworden. „Und dann hältst du es für eine gute Idee, Lady Fires Kind in den Thronsaal ihres Feindes zu bringen? Was, wenn es für seine Mutter spioniert?!“
Oh oh. So weit hatte ich in meinem Bemühen, an die Sonnenhaare zu kommen, natürlich wieder mal nicht gedacht. Ganz schlau, Alcazár, echt.

Ich selbst hatte auch ein paar Sachen verpasst. Seit meinem Aufbruch ins Nevernever waren hier in der echten Welt einige Tage vergangen. Den erfolgreichen Abschluss von Operation Valinor hatte ich ja noch mitbekommen, und als ich dann abgereist war, fingen die anderen an, die Ritualzutaten für die Aktion hier zu besorgen. Oh, und sie hetzten Camerone Raith gegen Anabel auf. Muahahahaha. Da wäre ich gern dabei gewesen. Aber es klang auch schon aus den Erzählungen der Jungs ziemlich cool, ein echtes Raith'sches Meisterstück seitens Totilas. Der überzeugte seine Tante nämlich, dass er Gerald absetzen wolle, dass er die Geschäfte übernehmen wolle und dass Gerald, wenn er mit ihm fertig sei, keinen Fuß mehr nach Miami werde setzen können – und Gerald werde keinerlei Zweifel daran haben können, dass es Totilas gewesen sei, der ihm das eingebrockt habe.
Ich wiederhole mich, aber: Muahahahahaha. Perfekt mit der reinen Wahrheit über den Tisch gezogen.

Spencer Declan hetzten sie auch Richtung Anabel, frei nach dem Motto, dass es für die Stadt nicht gut wäre, wenn da jetzt plötzlich so ein ganz neuer Mitspieler auftauchen würde. Anabel, die Declan um ein Treffen gebeten hat, hat wohl einen Termin in zwei Wochen genannt bekommen. Und noch ein kleines Muahahaha.

Jetzt, hier am See, hatten die Jungs schon so gut wie alles fertig. Richard und Roberto würden mit ihren eigenen Ritualen beginnen: Roberto würde die Umgebung vorbereiten, wenn ich das richtig verstanden hatte, Richard würde den Dämon aus Gerald herausziehen, und Edward den Dämon in den See treiben. Und das würde richtig schwierig werden, das konnte er jetzt schon sagen. Die Jungs hatten schon einige Dinge dafür eingesammelt, während ich im Nevernever war, aber ob das ausreichen würde? Ich bot eine Blutspende an, weil ich von Edward ja weiß, dass Blut ein Ritual tatsächlich erleichtert, aber so weit würde es nicht kommen müssen, meinte er. Soweit er sagen könne, hätten sie genug Sachen vorbereitet. Aber falls es hart auf hart kommen würde, wollte er nochmal darauf zurückkommen, meinte er. Si, claro, weil das in der Hektik auch gerade so gut gehen würde. Aber gut, mir in die Hand schneiden und etwas Blut wohin auch immer tropfen lassen, könnte ich vermutlich tatsächlich auch in einiger Eile.

Ehe es losging, warnte Richard uns, dass wir ihn auf jeden Fall im Auge behalten müssten. Immerhin würde das Ritual vermutlich ziemlich an den Kräften zehren, und das wiederum würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit Richards Red Court-Infektion hochkochen lassen. Erkennen könnten wir das daran, dass seine Tätowierungen die Farbe verändern würden: je greller rot, desto kürzer stünde er davor, die Kontrolle zu verlieren. „Alles klar“, sagte Alex, „darum kümmere ich mich“, und bastelte aus der Batterie des Mietautos einen Taser, um Richard falls nötig ausknocken zu können. Totilas und ich hingegen wollten Richtung Klippe und Richtung See die Umgebung sichern beziehungsweise Edward schützen, so gut wir konnten.

Richard und Roberto begannen zuerst mit ihren jeweiligen Teilen des Rituals, dann kam Edward dazu. Ich konnte gar nicht genau sehen, wann es soweit war, aber dann wurde mit einem Mal sein Dämon aus Gerald herausgezwungen. Es war ein ziemlich beunruhigender Anblick, weil der Dämon tatsächlich haargenau so aussah wie Gerald selbst, nur eben etwas blasser. Die Kreatur zögerte kaum einen Herzschlag lang, dann rannte sie davon, was das Zeug hielt. Totilas, der Richtung See die Stellung hielt, war dem Dämon sofort auf den Fersen, aber der kam gar nicht weg. Er prallte von der unsichtbaren Barriere ab, die Edward mit dem Ritualkreis vorher gezogen hatte, fauchte wütend auf und hatte sich im Nullkommanichts von dem Hindernis abgewandt, ehe er auf Edward zustürmte. Damit hatte ich nun wiederum so halbwegs gerechnet, und vor allem stand ich auch so, dass ich mich dem Dämon ziemlich gut in den Weg stellen konnte. Glücklicherweise, denn der war richtig schnell. Ich hatte auch ein wenig den Eindruck, dass er zurückprallte – weniger vor mir, aber vor der Sommerklinge in meiner Hand. Ob er an Jade vielleicht nicht vorbeikonnte?

Während der Dämon zurückzuckte und ich ihm, so drohend ich konnte, mein Schwert entgegenhielt, warf Totilas sich von hinten auf ihn. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass der See zu brodeln begann: Irgendetwas darin schien zu erwachen, oder vielleicht war es auch schon wach und kam jetzt einfach an die Oberfläche geschwommen.
Jetzt überwand der fahle Dämon seinen Schrecken, oder vielleicht besann er sich auch einfach auf seine unglaubliche Schnelligkeit. Jedenfalls tanzte er einfach um mich herum und auf Edward zu, und ich hatte keinerlei Chance, ihm hinterherzukommen.
Aber glücklicherweise waren Roberto und Alex ja auch noch da. Alex tat dasselbe, was ich auch getan hatte, und warf sich dem Gerald-Abbild in den Weg, während Roberto irgendwas rief. Ich weiß gar nicht, ob es ein Zauber war oder einfach nur Robertos Persönlichkeit, aber er... mierda, wie sage ich das, er machte sich wichtig. Plötzlich wirkte es so, als sei Robertos Anteil am Ritual der größte und wichtigste – sogar für mich, obwohl ich ja wusste, dass Robertos Part eigentlich schon getan war und nur Edward die Sache am Laufen hielt.
Jetzt packte der White Court-Dämon Alex und warf ihn nach Roberto, um ihn aus dem Tritt zu bringen – hatte dessen Ablenkungsmanöver also geklappt. Sehr gut. Also nicht gut für Alex und Roberto, die beide davon zu Boden gingen, aber gut für Edward, dessen Ritual nicht unterbrochen wurde. Dafür bekam Totilas plötzlich silbrige Augen, als dessen eigener Dämon die Kontrolle übernahm und ganz offensichtlich die Essenz von Geralds dämonischem Ebenbild in sich aufnehmen wollte, um sich selbst zu stärken. Derweil versuchte ich, die Aufmerksamkeit des wirtslosen Schemens auf mich zu ziehen, aber ich hätte genauso gut meilenweit weg stehen und leise flüstern können: Totilas' Dämon war einfach ungleich wichtiger und gefährlicher für Geralds Abbild als ein kleiner Cardo mit seinem Sommerschwert.

Das war der Moment, in dem Edward noch einmal alle Kraft zusammennahm und das Ritual mit einem Paukenschlag beendete. Der Dämon heulte auf und wurde unerbittlich in Richtung See gezogen, dessen Brodeln und Zischen in den letzten Minuten stark zugenommen hatte. Aber da die White Court-Dämonen ja angeblich alle aus genau hierher gekommen waren, hofften wir, dass der See, oder besser der Schutzmechanismus, der auf ihm lag, den Neuankömmling nicht abstoßen würde.
Totilas, dessen Augen noch immer silberfarben waren, dessen Dämon also noch immer zumindest zum Teil die Kontrolle hatte, wollte dem  Gerald-Schatten hinterher. Von uns allen stand ich ihm am nächsten, und ich konnte nicht zulassen, dass unser Freund ebenfalls in den See gezogen werden würde, also hielt ich ihn zurück. Der Dämon drehte sich um, und seine silbernen Augen bohrten sich in meine, und ich war mir sicher, dass er jetzt über mich herfallen würde, hungrig, wie er sein musste. Schon hatte er mich gepackt, aber dann fuhr er mit einem Mal herum. Von Roberto ging noch immer diese Aura der Wichtigkeit aus, und so ließ Totilas mich los, machte die paar Schritte hinüber und küsste Roberto, was unseren White Court-Freund nach ein paar Sekunden des Stärkens wieder genug zu sich kommen ließ, dass seine Augen ihre normale Färbung annahmen und er sich von seinem Opfer löste. Und ich bin mir nicht zu fein zu gestehen, dass ich massiv dankbar dafür war, so davongekommen zu sein.

Erst jetzt hatten wir wieder Augen für Gerald selbst. Der war zusammengebrochen, und sein Sohn kniete über ihm. Richards Schutztätowierungen waren hellrot, und seine Zähne traten bereits größer und spitzer hervor, als Zähne das eigentlich tun sollten. Alex schnappte seinen Autobatterie-Taser und verpasste dem Infizierten einen Stromstoß, während ich ihm mit dem Schwertknauf einen Schlag überbriet. Als Richard daraufhin verwirrt zu uns aufsah, begann ich, auf ihn einzureden, und es gelang mir tatsächlich, ihn wieder einigermaßen zur Vernunft zu bringen. Aber das kräftezehrende Ritual hatte seine Spuren hinterlassen: Totilas' Vater brauchte Nahrung, um nicht doch wieder auszuticken, und zwar schnell. Also kam ich doch noch zu meiner Blutspende, auch wenn wir natürlich nicht zulassen konnten, dass Richard mich biss. Stattdessen ließ ich Blut in die Schale tropfen, die Roberto für seinen Teil des Rituals benötigt hatte – genug, um den Infizierten zu sättigen, und genug, dass mir ziemlich schwummrig vor Augen wurde, aber es ging.
Gerald erholte sich auch ziemlich bald, zumindest so viel, dass wir ihm aufhelfen konnten. Er war zwar völlig erledigt, wirkte aber unsagbar glücklich. Kein Wunder, so sehr, wie er sich danach gesehnt haben musste, endlich kein Vampir mehr zu sein.

Im See war irgendetwas auf uns aufmerksam geworden, sagten Edward und Roberto, das hätten sie während des Rituals gespürt. Und oben an der Klippe waren drei Gestalten aufgetaucht, bemerkten wir jetzt. Schwarze Gestalten, irgendwie baumartig, aus einem Holz, das keiner von uns näher bestimmen konnte, wobei wir ja auch alle zu weit weg waren, um Näheres darüber sagen zu können. Gruselig jedenfalls, sehr gruselig. Wie Ents aus Mordor, wenn man so will. Um sie herum konnte Alex eine Art Verzerrung spüren, ließ er uns wissen: sowohl hier in der echten Welt als auch im Nevernever. Und irgendwie hatte Alex ein ähnliches Gefühl wie bei Jack, also dem bösen Jack von den Outer Gates, wohlgemerkt. Er würde sich nicht wundern, wenn diese Gestalten ebenfalls von den Outer Gates kämen, meinte er. Sie wirkten jedenfalls keineswegs freundlich, eher das Gegenteil, aber so, wie sie da oben standen und beobachteten, schien es uns, als wollten sie erst einmal abwarten und nur schauen, was hier unten passierte. Trotzdem sahen wir zu, dass wir uns schleunigst davonmachten. Im Auto erklärten Edward und Roberto dann, dass keiner von beiden je irgendwas von solchen oder auch nur ähnlichen Kreaturen gehört hatte, und das ist für sich genommen schon seltsam genug.

Im Wegfahren konnten wir sehen, dass die drei Figuren inzwischen den Abhang herunter gekommen waren. Sie bewegten sich auf den See zu, aber sie trauten sich nicht ganz bis an dessen Ufer. Es sah nicht so aus, als würden sie an eine unsichtbare Barriere stoßen, sondern eher so, als wüssten sie selbst nicht so recht, was sie tun sollten, also bewegten sie sich widerwillig und unentschlossen vor und zurück.

Am See selbst hatte es die ganze Zeit kein Handynetz gegeben. Irgendwann auf halbem Weg Richtung Wick, wo der Privatjet stand, den Gerald für die Aktion hatte springen lassen, gab Totilas' Telefon plötzlich Laut. Es war eine SMS seiner Cousine Cherie: „Anabel Katze Kanarienvogel, sagt Hilary. Komm schnell heim!“ Oh, mierda. Das klang dringend. Keine Zeit für die Sonnenhaare, keine Zeit für mein Gepäck in Edinburgh, wir mussten sehen, dass wir nach Hause kamen. Also rief ich im Hotel an und bat sie, mir meinen Koffer schicken zu lassen, und die Haare behielt ich auch erst einmal bei mir. Gerald ließen wir in Edinburgh zurück: Er will sich hier ein paar Tage ausruhen und dann weitersehen, meinte er. Aber wir sollten uns keine Sorgen um ihn machen, ihm gehe es prima. Und so sah er auch aus. Richtiggehend erlöst im Vergleich zu vorher.

Ehe wir abflogen, rief ich noch bei Yolanda an und bat sie, doch bitte Pan vorzuwarnen, dass da jemand käme: ein lebendes Feuer, ein Einherjar und ein Orc. Und ja, mir war völlig bewusst, wie das klang, da brauchte mein Schwesterchen nicht erst ungläubige Geräusche zu machen. Aber immerhin erklärte sie sich bereit, Pan bescheid zu sagen. Ich rief auch im „Old Cauldron“ an, um Warden Hawkins zu informieren, dass ich erfolgreich gewesen sei und ihm die Haare demnächst bringen werde, aber irgendwie war der Barkeeper etwas schwer von Begriff oder hatte keine Lust, dem Warden etwas auszurichten, und ich hatte nicht den Eindruck, dass ich zu ihm durchdrang. Also schickte ich von Wick aus kurzerhand ein Telegramm nach Edinburgh.

Und jetzt sitzen wir hier in unserem Privatjet, und ich habe die Zeit genutzt, um das alles aufzuschreiben. Und das Essen ist auch richtig gut. An dieser Art des Reisens könnte ich echt Gefallen finden.
Aus, Alcazár. Erfolgreicher Schriftsteller oder nicht, jedesmal Privatjet ist trotzdem nicht drin. Gewöhn' dich besser nicht daran.

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Oh oh. Eben bekam Totilas wieder eine SMS von Cherie. „Erdbeben. Nur hier. Nichts kaputt. Seltsam.“
Totilas schrieb sofort eine SMS zurück: „Wo ist 'hier'?“, und Cherie antwortete ebenfalls umgehend: „Raith Manor“.

Mierda. Wir haben noch zwei Stunden bis zur Ankunft, können rein gar nichts machen. Wir können ja schon froh sein, dass das Flugzeug überhaupt mit Netzverbindung ausgestattet ist und Nachrichten durchkommen.

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Wieder eine SMS gerade. „Noch ein Erdbeben. Wir evakuieren.“
Totilas hat uns erklärt, 'evakuieren' ist der Plan, um die menschliche 'Herde' – wie ich das Wort hasse, aber so nennen die Vampire es nun mal, cólera – in Sicherheit zu bringen. Es gibt keinen festen Treffpunkt, kein koordiniertes Sammeln an einem Punkt A oder B, sondern die menschlichen Bewohner des Hauses sollen einfach ein paar Stunden shoppen oder ins Kino gehen oder ihre Zeit sonstwie verbringen.

Eine Stunde noch. Wir sitzen wie auf Kohlen. Lenk dich irgendwie ab, Alcazár. Schreib was. Mach Übungen mit Jade. Haha.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 25.11.2016 | 23:26
Sehr schön. :)

...ich bin mir aber nicht sicher, ob Edwards Teil des Rituals wirklich als "Hauptarbeit" im Vergleich zu Richards und Robertos Ritualen zählt. Das klingt, als wäre der Teil, bei dem der Dämon aus seinem Wirt herausgelöst wurde, irgendwie simpel oder zweitrangig gewesen.  :P

Ich freu mich jetzt schon auf Cardos Gefluche, wenn er diesen Abschnitt nach McCoys Besuch noch mal liest. :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Barbara am 25.11.2016 | 23:49
Ich auch. Mal sehen, ob er das Nichtmehrwissen mit dem Besuch in Verbindung bringt, oder mit seiner blühenden Phantasie begründet. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.11.2016 | 11:09
das mit Vorbereitung und Hauptarbeit kam bei mir irgendwie so an, sorry. Mal sehen, ob sich das noch elegant ändern lässt.

Edit: So, jetzt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.11.2016 | 11:17
Okay. Das war... 'schräg' wäre untertrieben. Und viel zu harmlos ausgedrückt. Sagen wir: Das war übel. Es gab Verluste. Und Raith Manor liegt wieder mal in Trümmern.

Sofort nach unserer Landung fuhren wir zum Anwesen der White Courts. Vor dem Gelände hatte sich eine ziemliche Menschenmenge angesammelt, dazu mehrere Polizeiwagen, auch ein oder zwei Einsatzfahrzeuge des Katastrophenschutzes, die aber alle mit abgestelltem Motor einfach nur dastanden und nichts taten – die Fahrzeuge ebensowenig wie ihre Besatzungen. Oh, und die Presse war auch da. Fernsehübertragungswagen, gestylte Reporterinnen, wie man das so kennt. Und warum? Weil über Raith Manor ein Schneesturm wütete. Und zwar nur über Raith Manor. Eine einzige, örtlich begrenzte Wolke über dem Haus, die der Meteorologe, der von der gestylten Reporterin gerade interviewt wurde, der geneigten Zuschauerschaft gerade mit dem Begriff 'Mikroklima' zu erklären versuchte.

Bei dem ganzen Chaos war es ziemlich leicht, sich unbemerkt auf das Gelände zu schleichen. Dort, außer Sicht der Gaffer draußen, aber noch vor der Wolke, hielt Totilas an und überlegte laut, ob der Schneesturm vielleicht von der Anwesenheit des lebenden Feuers ausgelöst worden sein könnte, um das Gleichgewicht zu wahren gewissermaßen? Aber das hielt ich nicht für sonderlich wahrscheinlich. Denn das Feuer und seine Begleiter hatte ich ja zu Pans Palast geschickt, also warum sollte die Auswirkung, falls es denn eine Auswirkung gäbe, sich ausgerechnet hier zeigen? Na gut, es könnte natürlich auch sein, dass das Feuer eben nicht in Pans Palast herausgekommen war, sondern hier, aber das hielt ich ebenfalls für ziemlich weit hergeholt. Nicht völlig ausgeschlossen, aber doch ziemlich fragwürdig.

Mit dem ersten Schritt in den Schneesturm hinein befanden wir uns in einem eisigen Inferno. Der Wind – von dem wir außerhalb der Wolke keinen Ton gehört hatten – blies uns mit voller Wucht um die Ohren, und wir kamen dagegen kaum an, wurden unerbittlich zurückgedrängt, wenn wir nicht mit allen Kräften dagegenhielten. Schon bald hatte Totilas uns andere abgehängt – er ist nun mal einfach der Ausdauerndste und Stärkste von uns.

Im Gebäude ließ das Getöse des Sturms etwas nach – aber gut sah es da drinnen nicht aus. Die große Vorhalle war ein Trümmerfeld, und um uns herum knackste und knarzte es, als werde gleich alles einstürzen. Die Marmorstatuen in Lebensgröße, die sonst immer zu beiden Seiten des breiten Treppenaufgangs gestanden hatten, lagen zerborsten herum, von den Wänden und der Decke war Mörtel gebröselt, und der Boden war von Schutt übersät.
Mitten in der Halle stand Totilas. Er hielt eine Kreatur am Schlafittchen gepackt – ein Eisgoblin, wie mir später klar wurde – und zischte den gerade wütend an. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Du rufst deine Freunde, und ihr haut ab... oder es ergeht euch wie deinem Kumpel da.“
Der 'Kumpel da' war die reglose Gestalt eines weiteren Eisgoblins, der verkrümmt an einer Wand lag. Das sah schwer danach aus, als habe Totilas ihn einfach gepackt und gegen die Mauer geschleudert. In einem derartigen Badass-Modus habe ich unseren White Court-Freund selten gesehen.
„Ok, ok, ok“, winselte der Goblin. „Wir sind ja schon weg!“
Totilas brach ihm noch ein Stück Zahn ab und hielt es ihm vor das Gesicht. „Jetzt weiß ich immer, wo du bist. Also keine Tricks!“
„Ok, ok, ok“, jaulte der Goblin wieder. „Lass uns gehen, wir wollten doch nur Party machen! Sie haben gesagt, wir könnten hier Party machen!“
„Wer hat das gesagt?“ hakte Totilas nach.
„Die Menschenfrau und der Ritter! Und jetzt lass uns gehen!“
Tatsächlich ertönten in diesem Moment Schüsse von weiter hinten im Gebäude, die schnell näher kamen. Irgendwer lieferte sich da ein Rückzugsgefecht.
Wir gingen in Deckung und machten uns kampfbereit, aber es waren keine Gegner, die in die Halle gewankt kamen, sondern einige Raiths. Einer von ihnen trug Cherie über der Schulter, die schwer mitgenommen war, richtig schwer verletzt. Edward erklärte sich sofort bereit, ihr als Nahrung zu dienen, aber Roberto erklärte, Edward sei zu wichtig, zu schlagkräftig, um jetzt außer Gefecht gesetzt zu werden. Das ließ mich stutzen – Roberto, der so etwas über Edward sagte? Aber gut, er hatte ja recht, und Roberto ist nichts, wenn nicht pragmatisch. Also blieb Roberto zurück, und Totilas blieb bei ihm, um aufzupassen und Cherie rechtzeitig von Roberto wegzuziehen, weil sie ihn sonst vermutlich umbringen würde. Alex, Edward und ich hingegen machten uns auf den Weg tiefer in das Gebäude hinein.

Wir mussten gar nicht weit gehen, ehe wir den Grund für all die Zerstörung sahen: eine junge blonde Frau, offensichtlich Magierin, und ein Feenritter. Ein Winter Sidhe, eindeutig. Und beide hoben die Hände und machten Anstalten, irgendwelche fiesen Winterzauber auf uns loszulassen. Wir machten uns schon bereit, irgendwo in Deckung zu hechten, aber die Magierin fluchte deutlich hörbar „Scheiße, Menschen!“, als sie uns zu Gesicht bekam, und ließ ihren Stab sinken, ehe sie auch dem Sidhe ein Zeichen gab, innezuhalten. „Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?!“

Klar. Wir waren Menschen, sie als Magierin durfte uns also nicht einfach angreifen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, einen von uns umzubringen und das erste Gebot der Magie damit zu verletzen. Die ganzen White Courts indessen, gegen die sie bis eben vorgegangen waren, zählten alle nicht als Menschen... und mit einem Mal war ich sehr froh, dass Totilas zurückgeblieben war, um auf Roberto und Cherie aufzupassen.

„Was wir hier wollen?“ Ich glaube, der Blick, den ich der blonden Frau zuwarf, muss zu gleichen Teilen empört und verwirrt gewesen sein. „Genau das könnten wir auch fragen.“ Meine Stimme klang etwas scharf, als ich das sagte. Aber dieser Winter Sidhe ließ mir – ließ der Sommermagie in mir – sämtliche Nackenhaare hochstehen und weckte das Bedürfnis in mir, auch ja sicherzustellen, dass der Sommer hier, an seinem angestammten Ort, nicht untergebuttert wurde, cólera noch eins. Am liebsten wäre ich ja auf den Kerl los, aber das konnten wir uns nicht leisten. Und außerdem wäre das der Sommermantel gewesen, nicht ich. Ich hielt den Drang zurück und gab mich bewusst höflich. „Und wer wir sind? Gestatten, Alcazár. Ich bin der Sommerritter in dieser Stadt.“
Oh. Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass das tatsächlich das erste Mal war, dass ich mich aus freien Stücken selbst mit diesem Titel vorgestellt hatte.

Bei meinen Worten fuhr der Winter Sidhe auf. „Sommerritter! Ich fordere Euch zum Duell, mein Herr!“ Ich starrte den Fae an, während die Magierin auch schon abwehrend die Hand hochhob, um ihren Kämpfer zurückzuhalten. „Kein Duell“, beschied ich dem Feenritter, ehe ich mich wieder seiner menschlichen Begleiterin zuwandte. „Wer sind Sie eigentlich?“
„Wir wollen Warden Declan!“ spuckte die Magierin.
Ähm. Wie bitte? Sie musste mir meine Verwirrung angesehen haben, oder vielleicht hielt sie sie auch für vorgespielt, denn sie wiederholte lauter und heftiger: „Rückt Warden Declan raus!“
Ich atmete tief durch, hob in einer besänftigenden Geste die Hände und lächelte sie an. „Nochmal zurück, bitte. Ganz ehrlich, wir haben keinerlei Ahnung, wovon Sie reden. Würden Sie uns vielleicht erst einmal verraten, wer Sie sind?“

Es brauchte noch etwas Überzeugungskraft, aber ich bekam die Dame dann doch zum Reden. Sie hieß Kirsten Lassiter und war Warden für Kanada, wie ihr Akzent schon angedeutet hatte. Naja, entweder Kanada oder Kalifornien, aber irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine Kalifornierin sich einen Winter Sidhe zur Unterstützung mitgebracht hätte. Sie erklärte, sie habe Hinweise darauf bekommen, dass Warden Declan vom White Court entführt worden sei.
Das ließ mich wieder vor Überraschung blinzeln. Warden Declan, vom White Court entführt? Und was für Hinweise darauf hatte Kirsten bekommen, wie und wo und von wem?
Über das Paranet, meinte sie, und sie habe dem natürlich nachgehen müssen. Also habe sie Declans Adresse aufgesucht, aber dort hätten zwei Männer, die wirkten, als seien sie gehirngewaschen worden, sie erst nicht zu ihrem Kollegen vorgelassen, während später ein Mann, der sich für den Warden ausgab, ihr einen Termin in zwei Wochen angeboten hätte. „Das war eindeutig nicht Declan“, spie die Kanadierin, „also! Wo! Ist! Er!“
„Äh, doch“, schaltete Edward sich hier ein, „das klingt schon nach Warden Declan, wie wir ihn kennengelernt haben.“
Die Magierin stutzte. „Wie meinen Sie das?“
Also brachten wir ihr vorsichtig bei, dass der gute Warden Declan hier in der Stadt Steuern von den Nicht-Rats-Praktizierern erhebt und sich fürstlich dafür bezahlen lässt, Leute in die Magierlehre zu nehmen.
„Was?!?“ empörte sich Lassiter, „Warden Declan ist ein Held!“
Wir antworteten nichts darauf, was sollten wir auch antworten? Lassiter mochte vielleicht trotzdem etwas in unseren Gesichtern gelesen haben, denn sie erklärte, sie wolle sich das mal ansehen gehen.
„Aber seien Sie vorsichtig“, warnte Alex.
„Immer. Aber wer sind Sie überhaupt?“
Edward sah sie mit einem gemessenen Blick an. „Wir? Wir sind die Ritter von Miami.“
Das ließ die Kanadierin laut auflachen. „Ahahahaha. Ja klaaar!“
„Das ist unsere Stadt“, ergänzte Edward, ohne sich von ihrem Spott stören zu lassen. „Wir achten auf sie, und wer ihr schaden will, bekommt es mit uns zu tun.“
Lassiter seufzte. „Na gut. Ich werde mir das ansehen.“
„Also kein Duell?“ Ihr Winter Fae klang enttäuscht. „Nein“, sagte die Warden fest. „Los jetzt.“ Der Sidhe war gar nicht glücklich, aber er fügte sich. „Na guuuuut.“
Und sie gingen. Während sie sich abwandten, konnte ich den Feenritter noch grummeln hören, dass er trotzdem gerne gesehen, hätte, was der – also ich – drauf habe. Tja, Kumpel. Pech gehabt. War aber vermutlich ganz gut so; ich brauche dringend mehr Stunden bei Eileen, wenn mich öfter irgendwelche Wintertypen zum Duell fordern wollen.

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Zwei Tage später. Eigentlich hatte ich das vorgestern noch fertig aufschreiben wollen, aber dann musste Alejandra ins Bett, und Sheila rief an wegen der aktuellen Fassung von Totem Rise, und dann setzte ich mich daran und arbeitete noch einige Änderungen ein, die mir ohnehin schon die ganze Zeit durch den Kopf schwirrten, und... wie das halt so ist. Ich kam nicht weiter dazu. Aber jetzt sitze ich wieder mal im Flieger nach Schottland. Mir graust schon vor dem Jet Lag, den ich mit ziemlicher Sicherheit bekommen werde, nachdem ich zweimal in so kurzer Folge nach Europa und zurück fliege, aber ich muss ja immer noch die Sonnenhaare bei Warden Hawkins abliefern. Kein Privatjet diesmal, sondern ganz normale Business Class. Ist schon ein Unterschied, aber ich wie ich schon sagte: Nicht dran gewöhnen, Alcazár, der Privatjet war die Ausnahme.
Macht aber nichts, so unbequem ist die Business Class jetzt auch nicht, und so habe ich wenigstens Zeit, den ganzen Kram von vorgestern noch fertig aufzuschreiben. Ahí va.

War das mit der kanadischen Warden also soweit geklärt. Aber das Haus schien kurz vor dem Einsturz: Lassiter und ihr Feenritter hatten ganze Arbeit geleistet. Wir sahen zu, dass wir abhauten, ehe uns noch das Dach auf den Kopf fallen konnte. Verluste hatte es auch gegeben: Cherie war am Leben, aber zwei andere Raiths, die wir nicht näher kannten, hatten den Kampf mit der Warden und dem Sidhe nicht überstanden.
Da Raith Manor schon wieder hinüber war – die Baufirma, die ihre Arbeiten ja eigentlich gerade erst abgeschlossen hat, wird sich freuen, dass es gleich schon wieder so viel zu richten gibt –, besorgte Totilas seinem Clan wieder mal eine Unterkunft im Hotel. Nicht im Fountainebleu diesmal, sondern in dem etwas kleineren, aber ebenso luxuriösen Hotel Marbella. Außerdem plante unser White Court-Freund einen neuen Ort für das Duell, da Raith Manor für diesen Anlass ja ebenso ausfiel, und beauftragte die raithsche Eventplanerin Analind mit der Organisation.
Mit Cherie sprach Totilas auch und teilte ihr mit, dass das Duell nicht stattfinden werde, dass sie auch nicht in Geralds Abwesenheit als sein Champion antreten müsse, dass sie aber überrascht tun solle, wenn Gerald nicht auftauche.

Ich selbst stattete indessen endlich Pan einen Besuch ab. Ich war etwas beunruhigt, weil ich die Gruppe aus dem Nevernever ja nicht selbst angekündigt und begleitet hatte, aber der Herzog war ganz angetan von den neuen Gästen – vor allem von Astrid. Von ihrem Vater Sigthor hatte er sogar auch schon gehört und erklärte, den würde er zu gerne mal treffen: Er sei noch nie schwanger gewesen und würde das gerne mal ausprobieren. Ay una leche. Satyre. Echt jetzt.

Außerdem befand Pan, es wäre doch eine ganz tolle Idee, sich Einherjar als kämpfende Truppe zu besorgen statt Rittern: Einherjar lieben es zu kämpfen, zu saufen und Sex zu haben, also perfekt! Mit dieser Idee konnte Sir Anders sich nun so gar nicht anfreunden und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu, woraufhin ich versuchte, möglichst beruhigend dreinzusehen. Ich war – ich bin – mir nicht so ganz sicher, was ich von der dem Einfall halten soll, ob eine Meute von Einherjar nicht etwas arg söldnermäßig rüberkäme. Aber andererseits braucht Pan spätestens zur Wintersonnenwende wieder eine schlagkräftige Truppe, sonst wird es uns nicht gelingen, Winter zurückzudrängen, nicht mal in Miami. Na gut, die Satyre sind ja noch da, aber darüber muss ich mir langsam echt mal Gedanken machen.

Halfðan erklärte jedenfalls, er werde bleiben – immerhin ist er der Hüter des Feuers, und er meinte auch, es gefiele ihm hier ganz gut –, aber Astrid und der Orc werden sich wohl demnächst wieder verabschieden. Das war aber zu erwarten gewesen.
Mit dem Feuer sprach ich auch, das hatte sich in seinem neuen Kamin schon ganz gut eingerichtet. Wir unterhielten uns ein bisschen, und es erzählte mir, dass es Sigthors Kind von Loki sei. Also nicht Lady Fire. Puuuuh. Gracias a Dios! Alex' Bemerkung wegen des Spionierens hat mir doch mehr zugesetzt, als ich mir selbst eingestanden habe. Irgendwann braucht der Kleine auch mal einen Namen, wenn er jetzt für länger hier wohnt. Vielleicht sollte ich Roberto fragen, ob er eine Idee hat. Das ging bei George ja auch ganz gut.

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Zurück vom Treffen mit Warden Hawkins. Ich habe ihm die Sonnenhaare übergeben, aber die schienen ihm mit einem Mal gar nicht so wichtig. Er nickte einen knappen Dank und meinte, sie würden hoffentlich im Kampf gegen den Red Court ein bisschen helfen. Für Edwards Ritual am See hingegen hatte er fast so etwas wie Respekt. Zumindest zeigte er sich beeindruckt davon, von beiden Ritualen, auch von der guten Verzahnung zwischen Edward und Roberto. Ich nickte und erklärte, es sei alles gut gelaufen, soweit ich das habe beurteilen können. Die drei Gestalten, die uns gegen Ende beobachtet hatten, erwähnte ich auch. Dass sie uns zwar nur beobachtet hatten, aber nicht sonderlich freundlich wirkten, weswegen wir dann relativ schnell den Rückzugweg antraten. „Ja, das war sicherlich besser“, erwiderte Hawkins. Irgendetwas ging über sein Gesicht, aber was genau, war schwer zu deuten. Besorgt, irgendwie. Hmm, und ich hatte gedacht, die drei Gestalten wären Aufpasser des Magierrates gewesen, damit wir keinen Unfug anstellen an diesem 'schwärzesten Ort Schottlands'. Anscheinend waren sie das wohl doch nicht, wenn ihre Erwähnung den Warden derart beunruhigte. Er meinte jedenfalls, er wolle sich das einmal ansehen gehen. Gut; wenn er über die wirklich noch nicht bescheid wusste, ist das bestimmt besser.

Hawkins gratulierte uns nochmals zu dem erfolgreichen Ritual und erklärte, wenn der Wirker es wolle, dürfe er sich gerne einmal beim White Council melden. „Das Geld hat er nicht“, hielt ich dem Magier entgegen. Okay, ich hätte es; nicht in der Portokasse, aber zusammen bekäme ich es irgendwie, und wenn Edward es wirklich wollte, und wenn es ihm wirklich helfen würde, in diesem Magierrat zu sein, dann gäbe es sicherlich schlechtere Arten und Weisen, eine Million zu verprassen. Aber das sagte ich Hawkins nicht. Vielleicht haben die bei diesem Rat ja auch sowas wie Stipendien für die weniger begüterten Anwärter?
Aber der Warden sah mich nur verblüfft an. „Von welchem Geld sprechen Sie?“
Jetzt muss ich ihn ebenso verblüfft angesehen haben wie er mich eben. „Na von dem Lehrgeld. Den Steuern.“
„Junger Mann?“
„Ja, die Ausbildungsgebühr, die Warden Declan von seinen Lehrlingen nimmt.“
Hawkins Stimme war anzuhören, dass er wohl eher mich für verwirrt hielt als sich selbst, aber er sagte, er wolle dem nachgehen lassen. Oh, im Zusammenhang mit Declan erwähnte ich auch, dass Warden Lassiter bedauerlicherweise wohl einer Fehlinformation aufgesessen sei, als sie Declans Entführung vermutete. Meine Karte hinterließ ich auch mit der Bemerkung, dass er gerne auf mich zukommen dürfe, falls ich dem Rat auf irgendeine Weise helfen könne.

So, und da der Flieger zurück erst morgen nachmittag geht, habe ich morgen früh noch Zeit, ein paar Souvenirs zu besorgen. Die Plüsch-Nessie für Jandra, den Butterscotch für Mamá und den Whisky für Papá habe ich zwar schon beim letzten Mal gekauft, aber mal sehen, was ich noch so Schönes finde. Oder ich gehe mich einfach noch ein bisschen in Edinburgh umsehen.

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Na das war doch ganz erfolgreich. Jetzt sitze ich wieder im Flieger, und der Flug ist schon wieder halb vorüber. Ich wollte eigentlich was an meinem Manuskript machen, bin aber doch bei ein paar Filmen hängengeblieben und habe etwas gedöst. Im Flugzeug ticken die Uhren einfach anders. Gleich bringen sie auch schon wieder was zu essen, glaube ich. Na, vielleicht komme ich hinterher noch ein bisschen zum Arbeiten.

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Zuhause. Dieser Jetlag vom doppelten Reisen ist wirklich so heftig, wie ich das befürchtet hatte. Schlafen konnte ich kein Stück, und Kopfschmerzen habe ich auch. Und eben hat auch noch Warden Hawkins angerufen. Irgendwas von wegen, dass ein gewisser Wizard McCoy sich wegen der Sache in Schottland mit uns treffen wolle. Nachher in Stout's Bar and Grill. Ich hätte ja eher das John Martin's vorgeschlagen, aber gut. Das ist ja auch eher was für Einheimische. Ob er was rausgefunden hat wegen der drei Mordor-Ents? Hm. Unwahrscheinlich, dass ein Ratsmagier gleich zu kleinen Praktizierern wie uns kommen würde, um uns über deren Nachforschungen in Kenntnis zu setzen. Ich tippe eher auf Fragen zu unserem Ritual bzw. dem Zweck dahinter – denn ich glaube, davon, dass die Jungs dort einen White Court-Dämon austreiben wollten, ist bisher kein Wort gefallen. Zumindest habe ich in meinem Gespräch mit Hawkins kein Wort davon gesagt; keine Ahnung, ob die anderen so offen waren, als sie in Edinburgh mit Hawkins geredet haben. Irgendwie glaube ich nicht, dass der Weiße Rat so begeistert wäre, wenn er davon erführe.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.11.2016 | 22:36
Autsch. Au, war das böse. Und dabei ist kein einziges Wort über Geralds Entdämonisierung gefallen.
Wir waren pünktlich zu dem Treffen im Irish Pub, dieser McCoy – zumindest nehme ich an, dass er das war; er stellte sich nicht vor – kam ein paar Minuten später. Nicht viel später, aber gerade so viel, um zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Ein fitter alter Mann in den späten 70ern oder frühen 80ern vielleicht, mit schütteren grauweißen Haaren, Stoppelbart, Farmerkleidung und einem Akzent aus dem Mittleren Westen. Er hatte einen schwarzen Stab bei sich, aus Ebenholz oder sowas in der Art: ein Magierstab, wie Vanessa Gruber und Kirsten Lassiter ihn auch gehabt hatten, nur dass deren Stäbe aus hellerfarbigem Holz gemacht waren. Er machte einen ziemlich griesgrämigen und auch ziemlich zähen, knallharten Eindruck.
Wir sagten freundlich hallo; er würdigte uns keiner Begrüßung. Er setzte sich nicht einmal hin. Statt dessen starrte er uns nur böse an und verkündete mit eiskalter Stimme, wenn er noch einmal mitbekäme, dass wir schlecht über Warden Declan geredet hätten, dann werde der hören, was wir gesagt hätten, und dann werde der handeln. Habe er sich klar ausgedrückt?
Kristallklar, das konnte man nicht anders sagen.
Dann wandte McCoy sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen . Alex wollte ihm noch die Liste mit Declans Lehrlingen mitgeben, aber der Magier winkte nur ab. Die wolle er gar nicht haben. Nicht von so kleinen Praktizierern, die den Ruf der Wardens in den Schlamm zögen. Sprach's und verschwand. ¡Tío, que pelmazo!

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Der Tag des Duells.

Eigentlich dürfte nichts passieren. Gerald ist sicher in Schottland, und wenn der Herausforderer nicht auftaucht, müssen die Champions nicht ran. Aber ich habe ein mulmiges Gefühl im Magen. Anabel Raith hat es mit ihrem kleinen Spielchen schon geschafft, Raith Manor wieder in Trümmer legen zu lassen, und ich würde mich überhaupt nicht wundern, wenn sie noch irgendwelche Fiesheiten in Petto hätte. Aber wenigstens hat Totilas in der Zwischenzeit mit fast allen Raiths aus Miami reden können und sie überzeugt, dass die Dinge so weiterlaufen werden wie bisher, wenn sich demnächst an der Spitze eine Veränderung einstellen sollte.

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Sie hatte tatsächlich Fiesheiten in Petto. Erstaunlicherweise wurde es nur doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet, denn Totilas hatte ja gute Vorarbeit geleistet und reagierte, als es hart auf hart kam, einfach schneller als sie. Aber der Reihe nach.

Am neu organisierten Ort des Duells – eine alte, leere, entwidmete Kirche, damit auch der Red Court Abgesandte schicken konnte – wartete alles gespannt auf Gerald. Cherie ist leider keine sonderlich gute Schauspielerin, der konnte man ansehen, dass sie nicht überrascht war, aber vielleicht kam mir das auch nur so vor, weil ich selbst ja bescheid wusste und ein besonderes Auge darauf hatte. Der vereinbarte Zeitpunkt kam, aber kein Gerald tauchte auf. „Ha!“ triumphierte Anabel keine fünf Minuten nach Verstreichen des Termins, „ich habe gewonnen!“
„Ich habe das Recht des ersten Kampfes“, erklärte Marshall Raith erstaunlich souverän, „und ich sage, wir warten noch eine Stunde!“
Also warteten wir noch eine Stunde. Als Gerald dann immer noch nicht erschienen war, ergriff Anabel sofort wieder das Wort. „Aber jetzt habe ich gewonnen. Also: Alle Raiths ins Biltmore Hotel!“
„Ins Hotel Marbella“, entgegnete Totilas fest. „Ich spreche für Haus Raith in Miami, und ich sage: Hotel Marbella!“
Anabel schnaubte verächtlich. „Wer im White Court verbleiben möchte, der kommt ins Biltmore Hotel.“ Und mit diesen Worten rauschte sie aus dem Saal.
Die versammelten Raiths waren drauf und dran, ihr zu folgen, aber jetzt fuhr Totilas das schwere Geschütz auf. „Haaaalt!“ donnerte er und brachte mit einigen wohlgesetzten, aufmunternden Worten tatsächlich die meisten seiner Leute ins Marbella, auch wenn einige wenige tatsächlich dort dann durch Abwesenheit glänzten. Die waren wohl doch lieber ins Biltmore zu Anabel gegangen.

Von unterwegs, noch ehe wir ins Marbella kamen, rief Totilas bei Lara Raith, der Tochter des Weißen Königs, an.
„Ist der Weiße König abgesetzt?“ fragte er brüsk.
Eine Sekunde lang klang seine Cousine geschockt. „Was redest du da?“
„Anabel behauptet, sie entscheide, wer im White Court sein dürfe und wer nicht. Ist das so?“
„Ich bin sicher, das ist gedeckt“, kam Laras Stimme aus dem Lautsprecher, jetzt wieder ruhig und gefasst. „Hat sie gewonnen?“
„Durch Geralds Abwesenheit, ja.“ Und dann schuf Totilas kurzerhand Fakten. „Die Geschäfte hier in Miami habe ich übernommen.“
„Ach?“ machte Lara spitz, aber unser White Court-Kumpel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ja“, erwiderte er, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, und seine Cousine gab den spitzen Tonfall auf, gratulierte Totilas herzlich und warm zu seinem Erfolg. Sie ist eine Raith, die Wärme war nicht echt, soviel war klar, und sie wird ihren Cousin fallenlassen, sobald sie dafür den ersten Anlass sieht, aber zumindest für den Moment stand, steht, sie hinter Totilas als Anführer der Raiths von Miami.

Im Hotel Marbella dann hielt Totilas eine Rede. Eine flammende, aufmunternde Rede, in der er wiederholte, was er seinen Leuten in den ganzen Einzelgesprächen zuvor auch schon gesagt hatte. Dass Anabel die Dinge grundlegend umwälzen würde, wenn sie hier an die Macht käme. Dass er selbst die Dinge so fortführen würde, wie Gerald das immer getan hatte. Dass die Raiths von Miami so weitermachen könnten wie bisher. Dass alles unter Kontrolle sei. Und vor allem, dass er die Geschäfte in Geralds Sinne fortführen werde. Das wirkte.

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13. November

Ha. Anabel Raith ist aus Miami abberufen worden. Von den Leuten, die ihr ins Biltmore gefolgt sind, haben zwei Miami ebenfalls verlassen; vermutlich haben die Anabel begleitet. Zwei andere 'Abtrünnige', die bei Anabel im Biltmore waren, sind noch in der Stadt. Totilas meinte, er wolle sie im Auge behalten, aber ihnen ansonsten keinen Ärger machen, falls sie das auch nicht tun. Vernünftige Einstellung, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten. Falls sie doch noch zum Problem werden sollten, kann er sie immer noch zurechtstutzen.

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15. November

¿Que demonios? Ich habe eben gerade nochmal die Einträge der letzten Tage durchgelesen, und eines ist seltsam. Ich schreibe da ein paarmal von 'Mordor-Ents' und 'schwarzen Baumgestalten', die wir in Schottland an dem See gesehen haben wollen. Und hier ist das Seltsame: Ich habe keine, keinerlei, Erinnerung an diese Gestalten. Ich habe null Ahnung, was ich da beschrieben habe und warum. Wir waren in Schottland, klar, da war das Ritual, Geralds Dämon wurde aus ihm herausgezogen und in den See getrieben, der See brodelte, und Edward und Alex hatten das Gefühl, darin sei etwas aufgewacht, etwas Ungemütliches, Unfreundliches, Gefährliches, und deswegen haben wir zugesehen, dass wir möglichst schnell Land gewannen. Ich sehe die Szene noch ganz genau vor mir, und da sind keine schwarzen Gestalten!

Das ist nicht mal wie bei manchen Träumen, die ich vor Jahren, ach was, Jahrzehnten, mal hatte und die ich aufgeschrieben habe. Ich habe sie inzwischen komplett vergessen, aber wenn ich die entsprechenden Tagebucheinträge nochmal lese, dann kommen einzelne Bilder, manchmal auch zusammenhängende Szenen, aus diesen Träumen wieder zum Vorschein. Nicht so wie echte Erinnerungen, aber etwas. Und hier ist das eben komplett anders. Aber warum zum Geier sollte ich sowas aufschreiben, wenn es nicht da war? Und wenn es da war, warum zum Geier erinnere ich mich nicht daran? Also so gar nicht?

Ich wiederhole mich, aber: Was? Zum? Geier?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 7.12.2016 | 18:51
Ja, sehr schön. Danke. :)

Generell noch mal vielen Dank fürs Mitschreiben, Timber. Ich benutze die Diarys ziemlich intensiv bei der Vorbereitung! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 12.03.2017 | 16:18
Ricardos Tagebuch: Intermezzo

18. November

Ich habe den Jungs die Einträge zu den Mordor-Ents gezeigt. Sie waren ebenso verwirrt wie ich, weil sich auch keiner von den anderen an unheimliche schwarze Baumgestalten erinnern konnte, und natürlich kamen wir ins Diskutieren. Ob ich mir das Ganze nur eingebildet habe. Ob ich es vielleicht nur geträumt habe. Oder ob da jemand tatsächlich an unserem Gedächtnis herumgespielt hat. Totilas hatte die geniale Idee, mal Richard und Gerald zu kontaktieren, ob die irgendwas von Mordor-Ents wissen. Immerhin waren sie am See auch dabei.
George, den ich nachts mal dazu fragte, erklärte, dass ich durchaus von solchen schwarzen Gestalten geträumt hätte, ja, aber dass er die nicht angerührt habe, die hätten 'nicht lecker' ausgesehen. Und so, wie mein kleiner Traumfresser-Freund sich bei den Worten 'nicht lecker' schüttelte, glaube ich, er meinte mit dem Ausdruck nicht 'Junk Food statt Gourmetmenü', sondern eher 'Giftcocktail'.

Wir waren uns alle einig, dass wir in dieser Sache den Ball ganz, ganz flach halten müssen. Wenn wirklich jemand an unserem Gedächtnis herumgeschraubt hat, dann sind die Mordor-Ents, falls es sie gibt, ein richtig heißes Eisen. Der einzige, dem wir genug vertrauen, um es ihm gegenüber anzusprechen, ist Jack White Eagle. Den wollen wir mal zu dem Thema befragen.

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Zurück aus der Kommune. Jack hat unsere Bitte um Stillschweigen sehr ernst genommen und uns nicht nur einen ruhigen Ort zum Reden gesucht, sondern sogar einen Ritualkreis um uns herumgezogen, damit auch wirklich niemand lauschen kann. In dem Kreis las ich meine Aufzeichnungen noch einmal vor und beschrieb noch einmal, was es damit auf sich hatte, woraufhin Jack erklärte, er habe eine Vision von den Viechern gehabt: sie seien extrem gefährlich und überhaupt nichts Gutes. Wegen dieser Vision sei Jack überhaupt erst von South Dakota nach Miami gekommen, denn er habe das Gefühl, wegen dieser Viecher müsse er dringend hier sein. Oh. Ob er meine, dass sie aus Schottland herkommen würden? Sie seien schon hier, erklärte er daraufhin grimmig. Mehr wollte er uns darüber aber erst einmal nicht sagen, denn wir seien – ich zitiere – „zwar nett, aber ungestüm“. Aber wenn 'es' denn käme, wenn er etwas erfahre, das wichtig sei, dann würden wir es zuerst erfahren, versprach Jack, oder zumindest mit zuerst.
Alles klar. Und bis dahin halten wir uns in dieser Beziehung komplett bedeckt.

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27. November

Gerald und Richard haben sich gemeldet. Es hat ein paar Tage gedauert, aber jetzt haben wir von beiden die Bestätigung: Sie wissen beide noch von den Mordor-Ents am See. Demonios. Es hat wirklich jemand an unserem Gedächtnis herumgespielt. Ich meine, das hatten wir uns ja schon gedacht, aber diese Bestätigung ist schon nochmal... hossa. Sagte ich schon, dass ich es hasse, wenn jemand in meinem Kopf herumschraubt?

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01. Dezember

Mierda. Bei all dem Stress, der in letzter Zeit los war, habe ich es komplett vernachlässigt, aber irgendwann muss ich Pan Ersatz für seine desertierten Ritter gefunden haben, denn alleine werden Sir Anders, die Satyre und ich nicht gegen Winter bestehen können, wenn es das nächste Mal rund geht. Es stellt sich nur die Frage, werde ich überhaupt irgendwo Sidhe-Ritter finden, die a) frei sind für einen neuen Einsatzort und b) bereit sind, an Pans unkonventionellen Satyrshof zu kommen? Das könnte schwierig werden, befürchte ich. Aber Pan hatte ja nach der Sache mit den Sommerhaaren noch einen anderen Gedanken. Vielleicht lassen sich ja wirklich einige der Einherjaren aus Heorot dazu überreden, an den Sommerhof zu kommen? Immerhin sind es (okay, bis auf Asleif) ja kultivierte Einherjar, die nicht jede freie Minute mit Saufen und Köpfeeinschlagen verbringen. Vielleicht kann man die für Pans Palast interessieren? Einen Versuch wäre es wert. Ich muss nur bald los, damit noch genug Zeit für andere Optionen ist, falls diese fehlschlägt.

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06. Dezember

Ich vermelde: Einherjar in Miami! Okay, in Pans Palast, sprich im Nevernever, das an Miami angrenzt. Es erforderte gar nicht so viel Überredung, sie zur Unterstützung zu gewinnen. Dreizehn neue Streiter hat Pan jetzt insgesamt, Sigthor nicht gerechnet. Der kam zwar auch mit, aber ich habe das Gefühl, der wird nicht lange bleiben, sondern sich hier nur eine Weile umsehen und dann wieder weiterziehen. Asleif ist auch mitgekommen; dem war es in Heorot wohl zu kultiviert, und er hofft hier auf mehr Action. Na, für zwei Gelegenheiten im Jahr konnte ich ihm Action versprechen, aber da müssen wir sehen, ob und inwieweit ihn das hier hält.

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09. Dezember

Es war ja so klar. Pan war neugierig und ist im vollen Bewusstsein dessen, was passieren wird, mit Sigthor in seinen Privatgemächern verschwunden. Ich bin schwer begeistert, denn dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten, wer dann so in ca. einem Dreivierteljahr – wobei, wie lange dauern eigentlich Schwangerschaften bei Satyren bzw. Naturgottheiten? – das Kindermädchen wird spielen dürfen. Pan findet das Ganze fürchterlich lustig und macht schon Pläne.

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10. Dezember

Wie zu erwarten war, ist Sigthor wieder aufgebrochen. Oh, wo ich gerade Sigthor erwähne: Sein Feuerkind mit Loki hat jetzt auch einen Namen. Sindri sollen wir sie nennen. Das klingt ziemlich hübsch, wenn ihr mich fragt. Und sehr passend für ein Feuerwesen. Als eine Sarah oder Laurie hätte ich sie mir jedenfalls nicht vorstellen können. Sindri lernt langsam, ihre Feuerstelle zu verlassen und menschliche – oder zumindest humanoide – Gestalt anzunehmen, was auch eine sehr spannende Entwicklung ist. Ich bin mal gespannt, was für Unfug sie damit anstellt. Übernatürlicher Feuer-Teenager. Yay.


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22. Februar

Heute ist etwas ziemlich Schräges passiert. Edward, der sich ohnehin nicht auf dem Höhepunkt seiner Stimmungskurve befindet, weil gerade Vollmond ist, bekam Wind von einem Haus, in dem angeblich ein Poltergeist umging. Er fuhr hin und nahm uns mit – seine Kollegen haben sich inzwischen daran gewöhnt, und seit Edward Lieutenant ist, kann er sich die zivilen Berater noch viel problemloser leisten.

In dem Haus flogen im Wohnzimmer wie in einem Miniaturwirbelsturm jedenfalls jede Menge Dinge herum. Im Obergeschoss lag auf dem Bett in einem Teenagerzimmer dessen Bewohnerin, eben ein Mädchen im Teenageralter, in einer Trance. Totilas knockte sie aus, aber daraufhin wurde der Minitornado im Wohnzimmer nur noch schlimmer. Da gingen inzwischen wirklich Dinge zu Bruch. Das konnte so nicht weitergehen, also versuchte ich es einmal damit, dem Mädchen den Anblick einer friedlichen, sommerliche Blumenwiese vor ihr inneres Auge zu projizieren. Nicht ihren Geist zu manipulieren, wie das ja strengstens verboten ist und was mir angesichts meiner eigenen Erfahrungen auch im Leben nicht einfallen würde, sondern ihr einfach das Bild zu zeigen. Die friedliche Szene schien das Mädchen auch tatsächlich etwas zu beruhigen, denn die Gegenstände flogen jetzt langsamer im Wohnzimmer herum, trudelnder. Ich fühlte mich an tanzende Schmetterlinge erinnert, auch wenn die meisten Sachen natürlich viel zu groß und schwer für Schmetterlinge waren.

Mit Ammoniakreiniger als Riechsalzersatz bekamen wir das Mädchen schließlich aufgeweckt, was den Spuk ganz enden ließ, und kontaktierten Ximena, die versprach, sich um das junge Talent zu kümmern.

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7. Mai

Roberto erzählt ja gelegentlich mal Geschichten aus seiner Bótanica, und wir haben da ja selbst auch schon Dinge miterlebt. Es hat sich unter den Santerios im Viertel schon länger herumgesprochen, dass Roberto doch kein so oberflächlicher Scheinheiliger ist, wie die Leute das immer gedacht hatten, und gelegentlich kaufen sie nicht nur bei ihm ein, sondern fragen ihn als Vertrauten seiner Schutzheiligen Orisha (mierda, es fällt mir immer noch schwer, dieses Wort in den Mund Stift zu nehmen) um Rat und Hilfe.
Jedenfalls hatte er heute drei Kundinnen: eine junge Frau mit ihrer Mutter und Großmutter. Die Mutter hatte anscheinend die Tochter in die Botánica geschleift und die Großmutter hatte sich angeschlossen. Die drei Damen wollten einen Rat bzw. eine Vorhersage wegen eines Mannes für die Tochter. Die Mutter bevorzugte Juan, aber den hielt die Tochter für unglaublich langweilig. Sie selbst schwärmte für Ernaldo, aber der war wegen Handelns mit Marihuana und diversen Diebstählen gerade im Gefängnis. Die Großmutter hingegen fand beide Männer nicht geeignet, deswegen war sie wohl sehr glücklich mit Robertos Urteil, der riet, Maria solle sich nicht sofort entscheiden, sondern sich Zeit lassen. Sie werde es wissen, wenn der Moment gekommen sei.

Unser Roberto. Wird auf seine alten Tage noch zum Salomo.

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5. August

Pan wird immer unleidlicher. Die Schwangerschaft sagt ihm doch nicht so zu. All die Hormone, oh weh. Und wie entbindet man bei einem männlichen Feenwesen überhaupt ein Kind? Nicht auf natürlichem Wege, soviel ist schon mal klar. Pan hat Spencer Declan kontaktiert, der meinte, es gebe magische Möglichkeiten. Dann wird der Warden wohl die Hebamme spielen dürfen. Ich lasse den Arsch ja eigentlich nur ungern in die Nähe meines Herzogs. Aber besser er als ich. Sowas gehört nicht zur Jobbeschreibung des Ersten Ritters. Ich darf Declan eben nicht aus den Augen lassen.

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13. September

Das Kind ist da! Declan hat seinen Job ausnahmsweise mal einwandfrei gemacht (er wurde ja auch gut genug dafür bezahlt), und es gab keinerlei Schwierigkeiten. Pan wollte seine Tochter unbedingt nach Edward und mir benennen, also heißt die Kleine Edwina Ricarda. Tío, ist die niedlich. Und das sage ich, der, Babies grundsätzlich meistens eher hässlich findet. Klar liebt man sie, aber wirklich hübsch sind direkt nach der Geburt doch die wenigsten, wenn man ehrlich ist. Edwina Ricarda weist jedenfalls schon mal keine Spur von Hörnern und Bocksfüßen auf, zum Glück. Ob und inwieweit sie irgendwann Nymphenzüge entwickelt, werden wir dann wohl in einigen Jahren sehen.

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19. September

Aua. Das hat wehgetan. Also nicht mir, gracias a Dios, aber Totilas und Edward hat es ziemlich gebeutelt. Zum Glück heilen die beiden schnell.

Aber der Reihe nach.
Totilas hat da doch von Gerald diese, ähm, Geschäfte geerbt. (Das ist auch so was, an das ich mich nur schwer gewöhne.) Jedenfalls haben die Raiths auch gehörige Anteile an Miamis Filmbusiness. Und es sind Raiths. Was für ein Filmbusiness wird das wohl sein? Kleiner Hinweis: Der Hauptdarsteller firmiert unter 'Ricardo Longdong'.
(Ja hahaha. Cue jokes.)

Wie dem auch sei, Totilas wurde alarmiert, weil es auf dem Filmgelände einen heftigen Schusswechsel gab. Ein paar Ganger waren auf dem Gelände eingedrungen und hatten begonnen, wild um sich zu feuern. Cast und Crew waren in Sicherheit gesprungen und begonnen, aus der Deckung heraus das Feuer zu erwidern, und einer hatte den panischen Anruf an Totilas abgesetzt.

Als wir ankamen, war der Schusswechsel noch in vollem Gange. Totilas fackelte nicht lange, stürmte hinein und schaltete gleich zwei der Angreifer aus, wurde selbst aber dabei ziemlich angeknackst und ausgeknockt. Edward stürmte hinterher und schickte zwei weitere Gangmitglieder schlafen, wurde dabei aber ebenfalls außer Gefecht gesetzt.  Roberto und ich, die wir ja etwas langsamer auf den Beinen sind als unsere übernatürlichen Freunde, hatten so schnell gar nicht reagieren können. Jetzt ließ ich meinen patentierten Sonnenlichtzauber auf die restlichen beiden Typen los, der ihnen zwar nicht schadete, weil sie Menschen waren, keine Vampire, der sie aber immerhin blendete, was es Roberto und mir erlaubte, sie auch noch festzusetzen.

Als wir sie befragten, sagte der eine was davon, dass sie angeheuert worden seien, um auf diesem speziellen Filmset Ärger zu machen. Totilas meinte auch schon, er könne sich da ein paar Parteien denken, denen an sowas gelegen sein könnte. Unschön jedenfalls, dass, wer auch immer es ist, das an einer Filmcrew auslässt, auch wenn es eine Pornofilmcrew ist und mit den Raiths im Zusammenhang steht.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.03.2017 | 09:34
Ricardos Tagebuch: Small Favor 1

16. Oktober

Oho. Robertos Bruder Carlos ist frei. Aber klar, er hatte ja keine zehn Jahre bekommen wie Enrique, und von den sechs Jahren, zu denen er verurteilt war, haben sie ihm zwei wegen guter Führung erlassen. Roberto hat ihn abgeholt, und als er sich hinterher mit uns traf, hatte er beunruhigende Dinge zu berichten.

Mitte November soll doch dieser Supermond sein: der Vollmond, der so nah an die Erde herankommt wie seit 70 Jahren nicht. Und Carlos macht sich große Sorgen um Enrique und die drei anderen Koyanthropen, die noch im Gefängnis sind, weil sie dort natürlich auf engstem Raum zusammenhocken und sich bei einem Supermond vermutlich noch viel schlechter unter Kontrolle hätten als bei einem normalen Vollmond ohnehin schon. Carlos hat ernsthaft Angst, dass sie dort drin austicken und jemanden umbringen könnten, sagte Roberto.

Edward hat auch schon gemerkt, dass der Supermond seine Schatten vorauswirft. Er ist noch gereizter als sonst und hat eine noch kürzere Lunte. Er hat sich auch schon darüber informiert, was so ein Supermond in magischer Hinsicht bedeutet, und eines ist sicher: Das ist mal richtig gefährlich. Mierda.

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17. Oktober

Ich war bei Oliver im Laden und habe ein bisschen nachgeforscht. Beim letzten Supermond vor 70 Jahren sind die Verbrechensrate und die Anzahl der Gewaltdelikte massiv nach oben geschossen. Wobei ich für diese Info natürlich nicht zu Oliver in den Laden musste, die war im Internet frei verfügbar. Aber was ich im Behind the Cover fand, war die Information, dass dieser Kanal, diese Verbindung zu ihrem Wutdämon – oder was auch immer es genau ist, was die Lykanthropen bei Vollmond so ausrasten lässt – beim letzten Supermond einen ganzen Monat lang offen blieb, sich nach dem vorigen Vollmond gar nicht erst richtig schloss. Oh oh. Dios, ayudame! o, mejor dicho, ayuda Edward. Wenn das wirklich so ist, dann wird das kein Spaß. Aber Edward hat ja schon gesagt, er merkt einen Unterschied. Das wird wohl auch diesmal wirklich so sein. Mierda.

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Wieder zuhause. Wir haben überlegt, was wir machen können, um Enrique und den anderen im Gefängnis zu helfen, aber so eine richtig zündende Idee hatten wir noch nicht. Es wäre sicherlich nicht schlecht, wenn die vier während des Vollmonds nicht zu vielen Leuten zusammengepfercht wären, aber Einzelhaft für alle vier zu arrangieren, wäre so gut wie unmöglich. Dazu müssten sie so viel Ärger machen, dass sie in Einzelhaft gesperrt werden, und das entsprechend abzupassen, gerade genug für Einzelhaft, aber nicht so viel, dass sie austicken und wen umbringen, und das während des Supermonds? Das wäre viel zu riskant. Das würde nicht gutgehen. Beruhigungsmittel könnte man auch nicht mit der gebotenen Sicherheit einschleusen, oder besser: Für Beruhigungsmittel müsste man den Gefängnisarzt dazu bringen, dass er sie verschreibt, und dazu bräuchte es einen validen Grund. Und „Ihre Insassen sind Kojanthropen, Herr Doktor“ wäre mit ziemlicher Sicherheit keiner. In Quarantäne packen, weil sie eine ansteckende Krankheit haben? Auch kein guter Plan. Denn erstens müsste auch die vom Gefängnisarzt diagnostiziert werden, und selbst wenn es etwas zu diagnostizieren gäbe, weil man sie irgendwie damit infiziert bekäme, hieße das immer noch, dass sie dann krank wären: krank und geschwächt und mit potentiell noch weniger Kontrolle als ohnehin schon, und das auf der Quarantänestation mit eventuellen anderen Kranken und Geschwächten, also Beute? Keine gute Idee, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten. Die vier entführen, um sie über die Zeit des Vollmonds irgendwo sicher unterzubringen? Jahaaaa. Y una leche. Das wäre eine schwerwiegende Straftat, und was, wenn der Vollmond vorbei ist? Die vier einfach wieder im Gefängnis abliefern? Sie für den Rest ihres Lebens untertauchen lassen? Ich wiederhole mich, aber: Y una leche. Aber irgendwie beruhigt werden müssen sie da drin, da geht kein Weg daran vorbei.

Da wir uns bei der Diskussion irgendwann nur noch im Kreis drehten, beschlossen wir, mit James Vanguard zu reden. Immerhin ist er, von Edward mal abgesehen, unser Kontakt in Sachen Lykanthropie.

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Vanguard erklärte sich bereit, uns zu treffen, was angesichts der derzeitig herrschenden Nervosität gar nicht  so selbstverständlich war. Tatsächlich war die Stimmung zwischen Edward und ihm noch angespannter als sonst, aber beide konnten sich beherrschen. Vanguard erklärte, dass Enrique und die anderen Kojanthropen seien, keine Lykanthropen, mache es etwas schwierig für ihn, Vorhersagen abzugeben, weil er mit denen immer noch nicht so viel Erfahrung bzw. Berührungspunkte habe, auch wenn ihre Erschaffung (was für ein Wort, aber genau das war es ja nun mal) ja nun schon einige Jahre her ist. Aber was er uns sagen konnte, war folgendes:
Kojanthropen sind schneller als Lykanthropen, aber ihre Stärke trotzdem nicht zu unterschätzen. Und sie verhalten sich weniger wölfisch als Lykanthropen, bilden keine so stark miteinander verbundenen Rudel. Aber obwohl ihr Rudelverband nicht so fest sei, könnten vier Mitglieder einander vermutlich schon helfen, einander gegenseitig Stabilität geben. Und Ginseng-Tee. Ginseng-Tee helfe enorm.

Ich glaube, ich muss mal wieder meinen Bruder im Gefängnis besuchen gehen. Ich war ja auch tatsächlich schon eine ganze Weile nicht mehr dort, Schande über mich.

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18. Oktober

Ja. Jahaaaaa. Das hätte ich mir ja fast denken können. Enrique war ziemlich aggressiv drauf, Stichwort: Traust du mir etwa nicht zu, dass ich selbst auf mich aufpassen kann, hältst du mich etwa für eine Pussy, weißt du mal wieder alles besser, rah rah rah. Jahaaaaa, Enrique, du bist mein Bruder, und ich liebe dich, aber du bist auch echt anstrengend, weißt du das? Ich will doch nur nicht, dass du in noch größere Schwierigkeiten kommst, ¡carajo!.

Naja. Der Besuch war also etwas anstrengend, gelinde gesagt, aber nachdem wir den ganzen Spaß mit „ja, Enrique, ich weiß, was du bist, und ja, Enrique, ich glaube an den ganzen übernatürlichen Scheiß, wir können also offen reden“ hinter uns hatten, habe ich dann doch irgendwie in Enriques Schädel reinbekommen, dass seine Leute und er unbedingt auf Sandsäcke boxen müssen statt auf ihre Mitgefangenen und dass sie einander wieder runterziehen sollen, falls einer von ihnen auszurasten droht. Mehr konnte ich in dem Moment dann auch nicht tun, leider.

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19. Oktober

Ha, aber Edward hatte vorhin eine Idee! Eine richtig, richtig gute Idee. Hilary Elfenbein und ihr spezieller White Court-Hunger! Ein Aggressionsbewältigungsprogramm unter den Insassen, das wäre es doch! Totilas rief gleich bei Hilary an, und das Ende vom Lied war, dass es zwar nicht leicht wird, aber das sich hoffentlich etwas machen lässt. Ms. Elfenbein wird ein Projekt zur Aggressionsbewältigung unter Gefängnisinsassen planen und ich werde meine Kontakte ins Bürgemeisteramt spielen lassen, damit sie ihr Projekt dann auch in der Everglades Correctional Facility umsetzen kann.
Derzeit ist der Plan, dass erst irgendwann eine Vor-Sichtung der Kandidaten für die Studie stattfinden soll, bei der natürlich dann unter anderem Enrique und seine Leute dafür ausgewählt werden, und dass die eigentliche Behandlung dann während des Supermondes selbst passiert. Nicht ideal, aber besser bekommen wir das nicht hin, glaube ich. Drückt bloß die Daumen, dass das klappt, Römer und Patrioten.

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20. Oktober

Mit Selva Elder haben wir auch geredet. Sie war allerdings nicht sehr begeistert, uns in der Way Station zu sehen – irgendwie passieren zu oft unschöne Dinge, wenn wir dort sind – und hielt sich entsprechend bedeckt. Sie wollte nicht sagen, ob von ihren Leuten jemand als Wächter im Gefängnis Dienst tut, aber sie meinte immerhin, wenn sie etwas hört, sagt sie bescheid.

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24. Oktober

Oho? Jack White Eagle möchte uns treffen. Er hat uns eben alle kontaktiert und uns zu einem Treffen ins Dora's gebeten. Ob es irgendwas mit der Sache zu tun hat, über die er letztes Jahr nicht sprechen wollte?

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Hatte es nicht. Oder nur sehr, sehr indirekt. Indirekt insofern, als dass Jack uns bei der Gelegenheit – und bei vielen anderen Gelegenheiten vorher auch schon – geholfen hat und wir uns jetzt endlich mal revanchieren können. Also vielleicht. Hoffentlich. Zumindest werden wir es versuchen.

Die Sache ist folgende: Es geht um Feen, denen Jack selbst bereits zweimal einen Gefallen getan hat. Beim dritten Mal wären sie ihm verpflichtet, und jemand anderem etwas schulden, das ist etwas, das keine Fee so gut ertragen kann, also kann Jack ihnen kein weiteres Mal helfen.
Die Feen um die es geht, sind Heinzelmännchen, also Brownies deutscher Herkunft gewissermaßen. Wenn sie jemanden mögen, kommen sie nachts und räumen bei dem auf, weil sie einfach gerne putzen und saubermachen, aber man darf sie dabei nicht beobachten wollen, sonst sind sie weg und kommen nie wieder. Sie wohnen tatsächlich ganz offen im deutschen Viertel der Stadt, sagte Jack, und betreiben dort deutsche Restaurants und Bäckereien und dergleichen. Und einer von ihnen sei wegen seines Karpfenteichs von Winterfeen unter Druck gesetzt worden, sie wollten aber wie gesagt auf gar keinen Fall Hilfe von White Eagle annehmen, weil das sonst der dritte Gefallen wäre, den er ihnen täte. Johannes Bonifer heißt der Bürgermeister der kleinen Feengemeinschaft, sagte Jack noch.

Na gut. Jack White Eagle kann ihnen also nicht helfen, aber wir. Ich meine, sie sind zwar streng genommen Wyldfae und gehören nicht zum Sommer, aber es sind Feen, und Winter hatte seine Finger im Spiel. Das kann sich der Ritter des Sommerherzogs dieser Stadt ja mal ansehen gehen. Ich habe schon ewig keinen guten Karpfen mehr gegessen.

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Ich vermelde: Der Karpfen war ganz ausgezeichnet. Das Problem der Heinzelmännchen... nicht so. Aber mal sehen, ob wir nicht vielleicht trotzdem was tun können.

Das deutsche Viertel besteht aus ein paar Straßen, wo Tafeln mit deutschen Namen unter die amerikanischen Straßenschilder gehängt wurden. Das entspricht nicht gerade der städtischen Beschilderungsordnung, glaube ich, aber bisher scheint das niemanden gestört zu haben, oder die Schilder würden da nicht mehr hängen. Jedenfalls sah die ganze Gegend auch sehr danach aus, wie man sich einen deutschen Straßenzug in einem kleinen Städtchen so vorstellt: Die Häuser waren tatsächlich aus Stein gebaut, nicht aus Holz, und auch von der Form und Größe her eher deutsch als amerikanisch. Das Ganze wirkte auch nicht zuckrig-kitschig – okay, ein klein bisschen vielleicht, aber nicht sehr. Ziemlich viele Märchenmotive waren zu sehen, zum Beispiel eine 'König-Drosselbart-Straße' und ein Restaurant 'zur Krone'. Unser eigenes Ziel, dessen Namen Jack White Eagle uns genannt hatte, war das Restaurant 'zum Hirsch': klassisch deutsch anmutend, mit klassischen deutschen Gerichten auf der Speisekarte. Die Kellnerin eine hübsche junge Frau mit blonden Schneckenzöpfen und in einem Dirndl, das ihre kurvigen Formen ziemlich ideal zur Geltung brachte.

Wir würden gerne mit Bürgermeister Bonifer sprechen, erklärte ich. „Ah, Bonny“, meinte die Kellnerin, und „ja, ich habe schon von euch gehört. Ihr seid die schönen Männer, oder?“ Grrrrr. „Ihr seid nett, habe ich gehört“, fuhr sie dann fort. Na wenigstens etwas. „Um was geht es denn?“ „Stichwort Karpfen“, sagte Roberto, und das zeigte Wirkung. Das Mädchen verschwand sofort.

Es dauerte eine Weile, aber dann kam ein kleiner, rundlicher Mann hereingewuselt. Für seine Fortbewegungsweise kann ich kein anderes Wort verwenden. Er kam gleich zu uns an den Tisch, strahlte uns an und fühlte sich ganz furchtbar geehrt, dass wir ihn aufsuchten. Auch er hatte von uns schon gehört, oder besser von mir. Oder noch besser von Pans neuem ersten Ritter.

Als ich ihn darauf ansprach, dass ich gehört hätte, es gebe hier Probleme, wollte er erst abwiegeln, weil er unter keinen Umständen einen Gefallen annehmen wollte, aber ich erklärte, als Ritter sei es doch meine Pflicht, für Ordnung zu sorgen. Aber sie seien doch nur Wyldfae, nicht dem Sommer angeschlossen, erwiderte Bonifer. Egal, erklärte ich, es sei  mir zu Ohren gekommen, dass der Ärger mit dem Winterhof bestehe, also sähe ich es als meine Aufgabe an, da ausgleichend einzuschreiten. Von diesem Argument ließ Bonifer sich überzeugen, und außerdem habe er ja schon gehört, dass Pans derzeitiger Ritter sehr ehrenhaft sei und sich gegen Unrecht auf allen Seiten wende. Tío. Ich wäre fast rot geworden bei dem Gebauchpinsel. Aber okay, stimmt schon, ich versuche es zumindest.

Jedenfalls lenkte ich ihn dann vorsichtig darauf, dass er doch mal erzählen solle, was überhaupt los sei.
Mr Bonifer – Bonny – überschlug sich etwas bei seiner Darstellung, und wir mussten ein bisschen nachhaken, aber schließlich kam folgendes heraus:

Ein Teil des zum Restaurant gehörigen Karpfenteichs ist eingefroren. Als Gustav (wer auch immer Gustav sein mag) das Eis wegbrach, kroch ein Tier auf seine Hand, die daraufhin ganz blau wurde. Das Tier war ein Frostegel, und die Frostegel gehörten Mr. Dahl, einem Svartalf. Der habe erklärt, die Heinzelmännchen dürften seinetwegen ihre Karpfen weiterhin in seinem Egelteich halten, und als die Heinzelmännchen protestierten, das sei ihr Karpfenteich, nicht Dahls Egelteich, legte der Svartalf Dokumente hervor, aus denen hervorging, dass der Teich jetzt ihm gehörte. Und Liesel habe sich auch schon verkühlt, als sie einen Karpfen herausziehen wollte!

Dahl komme einmal im Monat, immer zur Mitte des Monats, vorbei und hole einige Frostegel aus dem Teich. Die Egel vermehrten sich ziemlich schnell, sagte Bonny, und die Kälte tue den Karpfen gar nicht gut!

Erst einmal tranken wir Kaffee aus hauchdünnem Meißner Porzellan, dann sahen wir uns diesen Karpfenteich einmal an. Der war auf den zweiten Blick größer als auf den ersten, weil er sich auch ins Nevernever erstreckte, und im Nevernever stand er in einer idyllischen Landschaft an einer ebenso idyllischen Windmühle. An einer Stelle allerdings war der See völlig zugefroren, und die Bäume, die auf dieser Seite des Gewässers standen, waren von Rauhreif bedeckt.

Ja, es ist November und für Miami-Verhältnisse relativ frisch in der Stadt, aber zufrierende Gewässer sind in Miami auch für November nicht unbedingt normal. Als es in Miami das letzte Mal geschneit hat, war ich noch nicht mal geboren.
Im Nevernever sei das Wetter zwar etwas „klassischer“ winterlich, aber auch hier im Nevernever friere der See normalerweise erst Ende Dezember oder im Januar zu, erfuhren wir. Die Windmühle gehöre den Heinzelmännchen, erfuhren wir ebenfalls, die bräuchten sie ja für ihr Mehl zum Brotbacken.

Wir erkundigten uns noch ein bisschen ausführlicher über die Umstände. Die Gruppe lebt schon seit mehreren Generationen hier, aber es gibt keinerlei Dokumente, die belegen können, dass sie eingewandert sind oder offiziell hier wohnen. Als sie ins Land kamen, siedelten sie einfach auf dem Gelände und rissen die unbewohnten Bruchbuden ab, die stattdessen bis dahin dort standen. Sie bauten ihre Häuser und fingen an zu leben, und niemand wollte je etwas von ihnen wissen. Steuern zahlten sie auch, sagte Bonny. Einen Gefallen wollte er noch immer auf gar keinen Fall akzeptieren, aber wenn wir ihnen helfen würden, das Problem zu lösen, dürften wir 300 Jahre lang hier umsonst Karpfen essen, so viel und so oft wir wollten. Das war doch ein Handel, auf den wir uns gerne einließen.

Totilas machte den Vorschlag, doch einfach einen zweiten Teich zu graben und die Karpfen umzusiedeln, aber davon wollte Bonny nichts wissen. „Aber das hier ist doch unser Teich“, stammelte er entgeistert, „und außerdem geht das doch gar nicht, da ist doch überall Wiese!“

Tío. Feen. Dann werden wir wohl keinen neuen Teich graben.
Totilas griff in das Wasser und holte einen dieser Frostegel heraus. Von der Berührung wurde seine Hand blau und eiskalt, und er spürte darin nichts mehr, sagte er. Der Egel zog ihm Blut ab und veränderte selbst auch die Farbe: Er wurde silbrig und auf einmal erstaunlich... das ist ein so völlig falsches Wort in Bezug auf einen Blutegel, aber ich kann es tatsächlich nicht anders beschreiben, attraktiv. Was nur wieder einmal zeigte, wie stark Raith-Blut ist, wenn es sich sogar auf einen hässlichen Wurm auswirkt.

Mr Dahl hatte Bürgermeister Bonifer seine Karte gegeben. Sie war in exklusivem, elegantem Design gehalten und trug die Aufschrift „Dahl. Antiquitäten und Kunsthandwerk“ neben einer Adresse nahe der Lincoln Street und einer Telefonnummer.

Ebenso exkusiv und vornehm war auch sein Antiquariat, das wir als nächstes aufsuchten, und sein Besitzer hager und mit markantem Gesicht in tadellosem Maßanzug. Er begrüßte uns, mich vor allem, mit kühler Höflichkeit, was mich nicht weiter wunderte, denn ich selbst hielt es ja bei meiner Begrüßung nicht anders. Immerhin gehören Svartalfar zu Winter. Entsprechend vorsichtig brachte ich das Thema auf den Karpfenteich.

Er habe das Gelände mit dem Teich im August von der Stadt erworben, sagte Dahl. „Interessant“, kommentierte ich. „Das fand ich auch“, erwiderte Dahl. Ach? Sieh an? Sagen, ob er den Kauf selbst angestoßen habe oder ob er von jemandem dazu angeregt worden sei, wollte er aber nicht. Überhaupt wollte er nicht mehr zu der Sache sagen, denn was gehe es uns an?
Der Fall sei mir zu Ohren gekommen, erwiderte ich, und ich wolle mich vergewissern, dass alles seine Richtigkeit damit habe. „Ah, ein nobles Unterfangen“, entgegnete Dahl mit nur dem geringsten Hauch von Spott und bot mir dann einen Schreibtisch an, der einmal einem Schriftsteller gehört habe und der angeblich die Kreativität beflügele. Ich sagte, ich werde es mir überlegen; auch wenn er keinerlei magische Eigenschaften haben sollte, ist der Tisch ziemlich hübsch, aber eigentlich bin ich versorgt, und eigentlich passt er vom Stil nicht so ganz in mein Arbeitszimmer. Roberto äußerte sich sich ähnlich höflich und ähnlich ausweichend bezüglich eines Original-Ikea-Schranks von 1977, von dem insgesamt nur fünf Exemplare existierten, und dann waren der Formalitäten Genüge getan, und wir zogen weiter ins Katasteramt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 30.03.2017 | 20:49
Das Katasteramt wiederum war ein Griff in das sprichwörtliche Waschbecken. Also, nein, wir fanden schon heraus, was wir suchten. Es war nur nicht das, was wir hören wollten. Das gesamte Viertel gehört der Stadt, bis auf ein kleines Stück, bei dem ein gewisser Egil Bafursson eingetragen ist. Das dürfte dann wohl Dahls echter Name sein, da er für einen notariellen Kaufvertrag vermutlich kein Alias angegeben hätte. Es war auch alles rechtmäßig, soweit wir feststellen konnten, keine Lücke weit und breit. Die Stadt war bereit, das Land zu verkaufen, Dahl erwarb es, bezahlte es, es gehört ihm, da gibt es nichts daran zu rütteln.

Wir mutmaßten, dass es den Svartalf vermutlich selbst überrascht haben könnte, dass das Gelände zum Verkauf stand, und dass er dann kurzerhand zuschlug. Aber auch das ändert nichts daran, dass ihm der Teich tatsächlich gehört und zusteht. Mierda.
Natürlich fingen wir an zu überlegen, was wir tun könnten. Den See austrocknen? Das würde den Karpfen darin ebensowenig gefallen wie den Frostegeln. Einen neuen Teich graben und die Karpfen umsiedeln? Das hatte Bürgermeister Bonifer ja schon vehement abgelehnt. Das Wasser künstlich erwärmen? Das ginge vielleicht, wäre aber sehr aufwendig. Und da der magische Teil des Sees sich im Nevernever befindet, wäre da mit technischen Lösungen nicht so viel geholfen. Ich könnte mir zwar vorstellen, tatsächlich genug Sommermagie zusammenzubekommen, um sie in den Teich zu leiten und ihn damit aufwärmen zu können, aber das wäre erstens ziemlich aufwendig und zweitens nur kurzfristig. Um sowas auf Dauer am Laufen zu halten, hätte ich im Leben nicht die Kraft, ganz abgesehen davon, dass ich auch noch ein paar andere Dinge zu tun habe, als für den Rest meines Lebens an einem Karpfenteich zu stehen und ihn auf Temperatur zu halten, herzlichen Dank.

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25. Oktober

Wir hatten noch eine andere Idee. Könnte man vielleicht etwas mit dem Niesbrauchsrecht der Heinzelmännchen erreichen, die ja immerhin schon seit Generationen hier leben? Zu diesem Thema befragten wir heute Marshall Raith, der ist immerhin Anwalt und muss es wissen. Aber leider hatte auch Marshall keine positive Auskunft für uns. Das wäre schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, denn sie sind ja noch nicht einmal legal hier im Land, wie sich herausstellte, als wir nachfragten. Als sie nach Amerika kamen, hatte keiner von ihnen die schlaue Idee, sich bei den mundanen Behörden anzumelden, also sind sie illegale Einwanderer und haben keine Geburtsurkunden und nichts.

Das einzige, was uns sonst noch einfiel, war, Dahl nahezulegen, einen anderen See für seine Egelzucht zu verwenden und ihm den Karpfenteich abzukaufen. Dazu müssen wir nur von ihm wissen, was er gerne dafür hätte. Das behagt mir zwar gar nicht, weil der Kerl ein Vertreter des Winters ist, aber egal. Das ist doch nur wieder der Sommermantel, der da aus mir spricht. Da muss ich drüberstehen, ¡demonios!

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So, wir haben einen Termin mit Senor Dahl vereinbart. Morgen, heute war der Herr nicht mehr verfügbar. Ein sehr geschäftiger Geschäftsmann eben. Haha. Hat es nicht nötig. Grrrr. Aus, Alcazar, das ist immer noch Sommer, der da spricht.

Eines ist aber wichtig, das dürfen wir auf gar keinen Fall vergessen: Die Heinzelmännchen müssen schnellstmöglich der Stadt den Rest des Landes abkaufen, damit sowas nicht demnächst gleich wieder passiert. Die Situation lädt ja geradezu dazu ein. Dazu brauchen sie aber Geburtsurkunden, damit sie sich legal im Land aufhalten und legal das Land kaufen können. Okay. George ist der Beauftragte des Wyld, seit Sergeant Book auf der Insel ist. Dann muss George, den die Wyld den „grauen Herrn“ nennen, als offizieller Wyld-Beauftragter zu mir kommen, dann kann ich zu Vin Raith gehen, der kann die Dokumente beschaffen, damit gehe ich wieder zu George, der gibt sie den Heinzelmännchen, damit die damit das Land kaufen gehen können, und niemand hat irgendwem einen Gefallen getan, weil alles ganz hochoffiziell war. Ha.

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Wir waren gerade auf dem Rückweg von unserem Termin bei Marshall Raith, da bekam Edward einen Anruf von seinem Partner – ehemaligen Partner, genauer gesagt, jetzt Untergebenen – Henry, der sagte, in einem Walmart in der Nähe gäbe es ein Problem: ein Kunde sei durchgedreht. Er habe an der Kasse gestanden, dann sei er plötzlich ausgerastet, habe seinen Einkaufswagen herumgeworfen wie ein verdammter Marvel-Superschurke (Henrys Worte, nicht meine) und sei dann abgehauen, renne noch da draußen rum, und Edward möge sich doch bitte darum kümmern!

Da keine Zeit war, um Autos zu wechseln und so weiter, fuhren wir mit zu dem Walmart. Ein paar uniformierte Polizisten nahmen gerade Aussagen auf, und zwischen zwei anderen war ein Nerdgespräch im Gange: Es fielen die Begriffe 'Hulk', 'Luke Cage' und 'Jessica Jones'.
Aber von diesen Scherzchen mal abgesehen, war die Stimmung unter den Zeugen und Passanten ziemlich gereizt: Auch bei den ganz normalen Bürgern warf der Supermond schon ganz schön seine Schatten voraus.

Der Einkaufswagen, mit dem der Täter um sich geworfen hatte, war noch da, und Edward nahm dort den Geruch des Mannes auf und wollte ihm folgen.
Sagte ich schon, dass die Stimmung gereizt war? Ein paar Umstehende machten blöde Sprüche wegen Edwards Schnüffelns, und er fuhr zu ihnen herum und wäre beinahe auf die Spottenden los. Ich schaffte es irgendwie, ihn davon zu überzeugen, dass die Sache wichtiger war, und zog ihn mit mir, während Totilas den Spott der Leute auf sich zog, damit wir ungestört wegkamen.

Edward folgte der Spur des Mannes bis in eine Gasse, wo der gerade auf eine Mülltonne einprügelte. Und wir kannten den Typen: Es war einer der Kojanthropen, die damals von Michael Fable betreut wurden, nachdem Ernesto Sanchez sie geschaffen hatte. Außerdem hockte in der Gasse auch noch ein Obdachloser, zusammengekauert und voller Angst.
Als Edward den Kojanthropen sah, knurrte er auf. „Lasst mich das machen.“
Er ging einige Schritte auf den Wütenden zu. „Unterlassen Sie das. Sir. Bitte.“
Der Mann fuhr mit glühenden Augen zu Edward herum. „Lass mich in Ruhe.“ Bäm – seine Faust fuhr wieder in die Mülltonne und hinterließ eine tiefe Delle. „Sonst“ – bäm – „geht's wem dreckig.“
„Das kann ich auch“, konterte Edward und verpasste der Tonne eine eigene Delle. „Und ich bin bei der Polizei.“

Der Typ knurrte wild auf und griff Edward an, und die beiden machten es unter sich aus. Glücklicherweise wurde niemand sonst in die Sache hineingezogen, und am Ende, nachdem sie einander die Mülltonne um die Ohren gehauen hatten, war der Kojanthrop ohnmächtig und hatte einen gebrochenen Arm, und Edward eine lange Schramme und diverse blaue Flecken. Aber immerhin waren beide noch am Leben.
Während ich Edward verarztete, leistete Totilas dem ohnmächtigen Kojanthropen erste Hilfe, ehe wir einen Krankenwagen für ihn riefen und er, inklusive Warnung bezüglich seiner Gewalttätigkeit und der Notwendigkeit eines Beruhigungsmittels, der Polizei übergeben wurde.

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26. Oktober

Hui. Heute nacht war die dünne Mondsichel schon um einiges größer zu sehen als üblicherweise. Ich glaube, da dürfen wir uns noch auf einiges gefasst machen.

Der Kojanthrop von gestern wurde heute dem Haftrichter vorgeführt, blieb aber nicht lange in Gewahrsam: Dr. Fable stellte Kaution für ihn. All die neuen Kojanthropen – also alle außer Enrique und seinen Kumpels im Gefängnis – sind ja bei ihm in Therapie.

Nachher steht auch der Termin bei Mr. Dahl an. Grrrrrr. Durchatmen, Alcazár. Professionell bleiben. Das ist der Mantel, der aus dir spricht. Bleib du selbst.

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Na, das ging doch erstaunlich gut.
Dahl empfing mich wieder mit kühler Höflichkeit, was mir aber gerade recht war, denn dasselbe Verhalten wollte ich auch an den Tag legen. Er bat mich in sein Büro, das in hellem und modernem skandinavischen Stil möbliert war. Und heute war Dahl tatsächlich bereit, ein paar mehr Worte über das Geschäft mit dem Teich zu verlieren.
Colin Mendoza habe ihm zu dem Teich geraten, und von ihm habe er überhaupt erfahren, dass das Land der Stadt gehöre und erworben werden könne. Ach. Colin. Sieh an. Hat der kleine cabrón von meinem Vorgänger seine Finger auch noch in anderen Töpfen als nur im Diebstahl von Lebenswasser.

Aus, Alcazár. Du hast den kleinen cabrón zu verantworten, das weißt du. Ja, weiß ich, ¡carajo!

Dahl musste mir meine Abneigung gegen Colin angesehen haben, denn er erklärte, er habe sich mit meinem Vorgänger immer gut verstanden. Für einen vom Sommer jedenfalls, war der unausgesprochene Zusatz.
Ich hätte bisher kein größeres Problem mit Winter gehabt, führte ich aus.
Oh, er hoffe, das werde in seinem Fall auch so sein, erwiderte Dahl. Aber ich sei nicht sonderlich gut auf Señor Mendoza zu sprechen, oder?
Er habe sich nicht ehrenhaft verhalten, knurrte ich. Oh, nickte Dahl, das sei natürlich nicht gut für einen Ritter.

Jedenfalls. der Svartalf sagte, er sei bereit, den Teich gegen einen anderen auszutauschen, seine Frostegel umzusiedeln, wenn wir dafür bereit wären, ihm bei einem Problem zu helfen. Vor einer Weile hätten sich Selkies auf Elliot Key angesiedelt, und die müssten weg da.
„Das kann ich Ihnen nicht versprechen, aber ich werde mit den Selkies reden“, erklärte ich.
„Also kommen wir nicht ins Geschäft?“ fragte Dahl. Ähm. Wie kam er denn jetzt darauf?
„Wenn die Selkies umziehen, dann kommen wir natürlich ins Geschäft“, stellte ich klar. „Wenn ich sie nicht davon überzeugen kann, umzuziehen, dann nicht.“
„Also ziehe ich meine Egel erst um, wenn die Selkies weg sind?“
Ich wiederhole mich, aber: ähm.
„Natürlich, nur so ist es doch fair.“
Jetzt schien Dahl überrascht. Jedenfalls sah er so aus, als er den Handel mit einem Handschlag besiegeln wollte. Er hatte kalte Hände, sehr kalte Hände, oder zumindest kam es mir in meiner Eigenschaft als Vertreter des Sommers so vor. Aber ich glaube, meine eigenen Hände müssen Dahl auch sehr warm vorgekommen sein.

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Okay. Edward hat mit Suki Sasamoto über Elliot Key und Dahls Anliegen gesprochen. Wie es scheint, braucht der Schwarzalb die Insel, damit seine Schiffe dort anlegen und er seine Schmuggelgeschäfte betreiben kann – ich will es gar nicht genau wissen, solange es 'nur' Schmuggelgeschäfte sind und er nicht den ewigen Winter nach Miami bringen will. Svartalfar seien tückisch, ergänzte Suki, und dieser spezielle Svartalf habe schon versucht, die Selkies von Elliot Key zu vertreiben. Sie könnten vielleicht in die Everglades ziehen, irgendwohin an deren Rand, wo es Salzwasser gebe und keine Fischernetze, ein Ort, wo sie nicht gesehen würden. Nicht gesehen zu werden, sei wichtig, da viele Selkies oftmals ohne ihre Häute unterwegs seien, und nicht alle kämen mit Menschenkleidung klar. Jedenfalls, die Glades gingen vielleicht, aber andererseits gebe es zu viele Krokodile dort, und Krokodile fressen Selkies.

Also gut. Dann müssen wir wohl nochmal mit Selva Elder reden, ob sich da etwas machen lässt.

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In der Way Station war wieder mal einiges los, als wir ankamen. Natürlich war Selva Elder selbst anwesend, aber auch Cherie Raith, dieser Sarkos, von dem wir immer noch nicht genau wissen, ob er jetzt ein Black Court-Vampir oder ein Ghul oder etwas ganz anderes ist, außerdem Angel Ortega, der so aussah, als habe er hier eine neue Anstellung als Aufpasser gefunden, und Hans Vandermeer. Der Fliegende Holländer war betrunken und redete auf Cherie ein, die ihm gerade entgegenschleuderte, er solle ihr nicht auf die Nerven gehen.

Als Vandermeer Edward zu Gesicht bekam, fing er an, über den herzuziehen und ihn bei Cherie schlechtzumachen. „Er ist aber besser im Bett“, konterte sie trocken, woraufhin Vandermeer zu Edward herumfuhr. „Lass die Finger von ihr!“
Edward blieb erstaunlich ruhig dafür, dass der Supermond bevorstand. Er klang fast milde. „Wer die Finger an sie legt, entscheidet immer noch sie selbst.“
Cherie grinste den blonden Holländer kurz an. „Siehst du, und genau deswegen ist er besser im Bett als du.“

Und so ging es weiter. Vandermeer und Edward feindeten sich noch ein bisschen länger an, bis Selva Elder schließlich einschritt, wenn sie sich prügeln wollten, sollten sie das draußen tun. Nicht in ihrem Laden, der sei immerhin neutraler Boden. „Lass ihn leben“, ermahnte ich Edward noch. Der wirkte inzwischen richtig auf Hundertachzig, und froh, sich abreagieren zu können, aber er nickte. Draußen vor der Way Station prügelten die beiden sich tatsächlich, was damit endete, dass Edward seinen Gegner ins brackige Wasser warf, dann aber doch darauf achtete, dass der andere ungefressen wieder herauskam.

Hinterher trugen wir Selva unser eigentliches Anliegen vor. Sie erklärte, sie wolle die Selkies nicht in den Glades haben, weil es hier zu gefährlich für sie sei. Es gebe aber eine Insel draußen beim Cayo Huracán, die ziemlich ideal für ihre Zwecke sein dürfte. Tanit sollte das wissen, die Insel liege in ihrem Bereich.
Alles in allem war Selva aber ziemlich genervt von uns. „Darf ich jetzt vielleicht weitermachen? Ich habe ein Gumbo zu kochen.“
Klar durfte sie. Auf immer verscherzen wollten wir es uns ja mit ihr auch nicht. Deswegen, und weil wir hungrig waren, bestellten wir uns jeder eine Portion. Falls ihr mal richtig leckeres Gumbo essen wollt, Römer und Patrioten, geht in die Way Station.

Während des Essens beratschlagten wir, wie wir am besten an Tanit rankämen. Direkt zu ihr zu gehen, wäre unhöflich, aber wozu habe ich Kontakt zu Yahaira Montero. Ritter zu Ritterin, das gäbe dem Ganzen gleich nochmal einen semiformellen Anstrich, der in diesem Fall vielleicht gar nicht schaden kann.

Dann aßen wir in Ruhe auf und tranken noch einen Kaffee hinterher, und ich hab den Kram hier aufgeschrieben. Aber jetzt geht’s zurück.

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27. Oktober

Au. AU. Au, verdammt. Kopfschmerzen. Kann mich immer noch kaum konzentrieren. Und ich dachte, eine Nacht Schlafen würde vielleicht helfen.

Okay, ich bin ja selbst schuld, aber in dem Moment ging es nicht anders, oder zumindest wusste ich mir in dem Moment keinen anderen Ausweg.

Auf dem Rückweg nach Miami klingelte Edwards Handy schon wieder. Diesmal war Salvador Herero in der Leitung, der seinem Chef mitteilte, dass schon wieder jemand ausgetickt sei, auf einer Straßenkreuzung diesmal. Natürlich fuhren wir hin.

Auf der besagten Straßenkreuzung stand ein Mann, oder zumindest eine Gestalt, denn sie wirkte nur noch entfernt menschlich. Der Mann war angeschwollen vor Muskeln und trug tierhafte Gesichtszüge, machte auch tierhafte Geräusche. Hier stimmte der blöde Witz vom Hulk, den die Cops gestern gemacht hatten, tatsächlich. Mit einem Ächzen, das nur wenig nach Anstrengung klang, viel mehr nach unbändiger Wut, stemmte er ein Auto hoch und zerriss es in der Luft. Ich wiederhole das nochmal. Ein Mann stemmte mit bloßen Händen ein Auto hoch und zerriss es.

Als er uns sah, kam der Kerl auf uns zugestampft. Trotz seiner Masse war er erschreckend schnell auf den Beinen, und wir hatten Glück, dass wir ein Stück von der Kreuzung entfernt waren und der Mann ein gewisses Stück zurücklegen musste. Roberto stellte sich breitbeinig hin und verspottete den Typen, der sich daraufhin in dessen Richtung drehte. Totilas wollte ihn auch ablenken, aber der Kerl war derart auf Roberto fixiert, dass Totilas' Rufe keinerlei Wirkung zeigten. Ich dachte, ich versuche es mal mit meinem patentierten Sonnenlichtzauber und blende ihn, aber ein Hulk ist nunmal kein Vampir, und so wurde es zwar hell um den Typen herum, aber das störte ihn nicht groß. Ich vermute mal, er orientierte sich ohnehin nicht sonderlich stark über die Augen in dem Moment.

Edward versetzte seinem Gegner einen kräftigen Hieb, aber das schien den Hulk auch nicht sonderlich zu beeindrucken; die Beule, die er von Totilas kassierte, genausowenig. Er war immer noch derart auf sein erstes Ziel konzentriert, dass er die beiden Treffer ignorierte und stattdessen nach Roberto schlug. Weil der allerdings geschickt auswich, wurde er nicht getroffen, hatte sich aber gegenüber dem Hulk in eine ungünstige Position gebracht. Der nächste Schlag würde ihn mit ziemlicher Sicherheit treffen, und zwar gewaltig.

Ich bin nun keine große Leuchte im Nahkampf, das ist kein Geheimnis, auch wenn ich dank des Unterrichts bei Eileen im Umgang mit Jade schon deutliche Fortschritte gemacht habe. Mich diesem Koloss also jetzt mit meiner Feenklinge in den Weg zu stellen, würde es auch nicht bringen. Der Kerl würde gleich Roberto zu Klump schlagen, und soweit durfte es nicht kommen. Es war mit Sicherheit keine meiner schlaueren Ideen, aber die einzige Möglichkeit, die ich in dem Moment sah, um ihn aufzuhalten, wo mein patentiertes Sonnenlicht schon nicht funktioniert hatte, waren Ranken. Schöne, feste, sommerliche Ranken, um den Kerl festzuhalten. Soweit so gut. Der Zauber klappte wie geplant, und die Ranken sprossen aus der Erde. Nur war der Hulk eben extrem stark, also mussten die Ranken auch richtig, richtig solide sein. Und um sie eben so richtig, richtig solide zu machen, steckte ich mehr Kraft hinein, als ich es mir leisten konnte.
Die Strafe folge auf dem Fuße: Ich konnte richtiggehend spüren, wie ich mich mit dem Wirken des Spruchs überanstrengte, und im selben Moment begann mein Kopf so heftig zu schmerzen, als würde er im nächsten Moment platzen, während mir ein Blutfaden aus der Nase lief. Ich wiederhole mich, aber: au. Au, verdammt.

Memo an mich: Du bist kein echter Magier, Alcazár. Du hast jetzt diese Sommerkräfte, ja, aber leichtsinnig solltest du deswegen nicht werden.

Der Hulk war aber jedenfalls von den Ranken gefesselt, oder zumindest so stark behindert, dass er nicht an Roberto herankam. Edward aber kam an ihn heran. Und jetzt hielt er sich nicht mehr zurück. So schwer es mir fällt, das zu schreiben: Diesen Gegner prügelte Edward tot. Richtig tot. Und sogar, als der Kerl schon tot war, stand Edward noch mit geballten Fäusten über ihm und sah aus, als wolle er ihn gleich in tausend Fetzen reißen.

Irgendwann kamen auch Suki Sasamoto und Salvador Herero dazu, um zu helfen. Beide hatten schon vorher im Kampf gegen den Hulk kräftig einstecken müssen: So war Sukis Arm gebrochen, und Herero blutete aus mehreren Wunden. Suki, ganz die Japanerin, entschuldigte sich verlegen, während Herero bei Henry Smith anrief, damit der den Vorfall hinerklären sollte. „Das wird aber schwer zu erklären“, unkte Totilas. Na mal sehen. Spin Doctoring ist immerhin Henrys Spezialität.

Ich tat ansonsten gestern abend jedenfalls nicht mehr viel, außer ein paar Kopfschmerztabletten einzuwerfen und mich ins Bett zu packen, sobald Alejandra auch schlief. Und ich hatte eigentlich gehofft, die würden über Nacht wirken. Aber Fehlanzeige. Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.06.2017 | 22:11
Beim Aufwachen dröhnte mein Kopf immer noch. Aber da konnte ich erstens nichts daran ändern, und zweitens gab es auch genug zu tun, was mich das ein bisschen vergessen, oder zumindest ignorieren, ließ. Wir hatten ja schon überlegt, wie wir Tanit am besten kontaktieren könnten. Über Hurricane war eine Idee, aber da hätte Totilas nicht mitkommen können, weil dem ja für Fae die Aura des Wortbrüchigen gegenüber der Herrin der Stürme anhaftet. Aber im Verlauf des Vormittags bekam ich die Nachricht, dass Yahaira Montero sich im Behind the Cover mit mir treffen würde. Da konnte dann auch Totilas mitkommen. Alex allerdings nicht – der schickte heute morgen eine kurze Nachricht, er habe was zu erledigen, und er würde dann später wieder zu uns stoßen. Was auch immer er zu tun hatte: Lichterketten aufhängen, witzelten wir herum, Weihnachtsbäume dekorieren? Jedenfalls irgendwem irgendwelche Gefallen tun vermutlich.

Die Unterhaltung mit der Winterritterin verlief sehr höflich und durchaus konstruktiv. Ich erzählte ihr von unserem Dilemma mit der Insel für die Selkies und dass wir natürlich nichts über Tanits Kopf hinweg unternehmen wollten. Oh, meinte Yahaira, fast ein wenig erstaunt, das sei aber sehr diplomatisch von mir. Und als ich mich daraufhin ebenfalls etwas überrascht zeigte, setzte sie noch hinzu, Pans frühere Ritter hätten es nicht so mit der Diplomatie gehabt. Oh. Oho. Aber ja, da könnte sie recht haben. Wenn ich mir das so überlege, könnte Eileen die letzte Sommerritterin gewesen sein, von der man so etwas wie Diplomatie erwarten durfte.

Wie dem auch sei, wir besprachen das Problem sehr ruhig und sachlich. Ich könnte natürlich meinen Gefallen bei Tanit einfordern, das wäre eine Möglichkeit. Oder vielleicht könnten wir der Winterherzogin von Miami einen anderen Dienst erweisen?
Die Fürstin sei besorgt wegen der Anwesenheit von Lord Frost, erklärte Yahaira. Er sei jetzt seit einer ganzen Weile hier in der Gegend, aber es sei eigentlich im Interesse aller, wenn er sich hier nicht fest ansiedeln würde. Ihn davon abzubringen bzw. sich um diese Angelegenheit zu kümmern, wäre aber kein Gefallen für Tanit.

Na gut. Dann musste ich wohl meinen Gefallen einfordern. Für genau eine solche Gelegenheit gab es ihn ja, auch wenn ich eigentlich ursprünglich gedacht hatte, dass ich ihn vielleicht für etwas... Persönlicheres würde verwenden können. Aber wenn schon nicht persönlich, war das doch immerhin für Miami, also auch die Sache wert.
Langer Rede kurzer Sinn: Als Gegenleistung für den Gefallen, den sie mir schuldet, gestattet Tanit den Selkies, auf die Insel umzuziehen. Dann kann Dahl mit seinen Egeln auf den Elliot Key, und die Heinzelmännchen bekommen ihren Teich wieder.

Als nächstes suchten wir die Heinzelmännchen auf, um ihnen die gute Nachricht zu überbringen und die weiteren Schritte mit ihnen abzusprechen. Da der Teich ja rechtmäßig Dahl gehört, müssen sie einen Kaufvertrag mit ihm aufsetzen, sobald sie ihre Geburtsurkunden haben, und die sind ja dank Vin Raith auch schon in der Mache. Wir boten ihnen ebenfalls an, dabeizusein, falls sie beim Verhandeln mit Dahl einen neutralen Vermittler bräuchten, was sie sich überlegen würden, wie Bürgermeister Bonifer erklärte. Und dann sangen die Heinzelkinder uns noch ein Ständchen. Auf Deutsch. Es war richtig rührend.

Mr. Dahl informierten wir dann auch noch über die neuesten Entwicklungen. Auch er zeigte sich höflich und einverstanden, den Tausch wie geplant durchzuziehen. Als wir ihn dann noch auf Lord Frost ansprachen und ebenfalls erwähnten, dass ja gerade der Supermond anstehe, und ob Lord Frosts derzeitige Aktivitäten damit irgendwie in Zusammenhang stehen könnten, glaubte er das aber eher nicht: Der Mond sei nicht Lord Frosts Domäne.

Sobald wir den Svartalf verlassen hatten, sprach Roberto einen interessanten Gedanken aus. Damals vor vier Jahren, als Catalina Valdez (oder vermutlich eigentlich Cicerón Linares als Drahtzieher im Hintergrund) mit den Latin Raiders zusammen während des Vollmonds das Biest beschwören wollte, kam die Bestie zwar nicht durch, aber die Wand zwischen unserer Welt und dem Nevernever wurde da ziemlich geschwächt. Vielleicht hat dieses Biest ja jetzt beim Supermond wieder eine Gelegenheit, herauszukommen – auch wenn es niemand direkt ruft?

Auf dem Heimweg bekam Edward einen Anruf von einem Streifenpolizisten, der irgendwo in der Stadt unterwegs war. Eigentlich war die Situation schon wieder unter Kontrolle, aber Ms. Wong habe gesagt, es sei besser, wenn Lieutenant Parsen vorbeikomme.

Ms. Wong? Ach ja, richtig, Cynthia Wong, James Vanguards Stellvertreterin bei Vanguard Security. Oha. Und wohin vorbei? Ins Museum für Moderne Kunst.

Im Museum fanden wir neben dem Streifenpolizisten, der Edward angerufen hatte, auch seinen Partner vor. Der Anrufer war ein ziemlicher Neuling, sein Partner schon ein altgedienter Veteran. Sie standen vor einem Raum, dessen Tür geschlossen war, davor ein Feuerlöscher, der anscheinend von der Wand gerissen und mit großer Gewalt herumgeworfen worden war, denn das Gerät war geplatzt und es waren Spritzer von Löschschaum überall. Cynthia Wong war im Moment nirgendwo zu sehen.

Ein schwarzer Teenager sei durchgedreht, informierten uns die beiden Cops. Jemand von der Museumssicherheit – gestellt von Vanguard Security – habe versucht, den Jungen zu beruhigen, sei dann aber selbst auch durchgedreht. Ms. Wong von Vanguard sei gerade dabei, die Sache einigermaßen zu regeln, denn das sei erst mal eine interne Vanguard-Angelegenheit. Alles weitere, wie der entstandene Sachschaden und so weiter, könne man später klären. Und mit diesen Worten zogen die beiden Cops erst einmal ab.

In dem Raum fanden wir Cynthia Wong und eine junge Frau in Vanguard Security-Uniform. Cynthia redete gerade beruhigend auf die jüngere Wachfrau, die offensichtlich ein Teil des Vanguard-Rudels war, ein: „Denk an das weite Feld. Denk an den Mond. Denk daran, wie du mit dem Mond läufst“, und allmählich gelang es ihr, die andere tatsächlich wieder einigermaßen auf den Teppich zu bringen.
Dann wandte sie sich uns zu und erklärte, sie bräuchte keine Hilfe hier, mit der Situation hier kämen sie schon irgendwie zurecht. Aber der Junge sollte aufgehalten werden. Der sei irgendwie durch das Fenster raus.
Da Cynthias Kollegin immer noch nicht so aussah, als habe sie sich völlig unter Kontrolle und auch Ms. Wong selbst sichtlich gereizter wirkte, als sie es zugab, sahen wir zu, dass wir ihren guten Vorschlag aufgriffen.

Als Edward draußen den Geruch des Flüchtigen aufnahm, machte er ein verwundertes Gesicht. Irgendwas daran sei vertraut, meinte er dann, auch wenn er sich sehr sicher sei, dass er diese Witterung noch nie in der Nase hatte.

Beim Verfolgen der Geruchsfährte merkten wir, dass der Flüchtende wohl aus vollem Leibe gerannt sein musste und alle Kraft in das Rennen gelegt hatte, so dass er eher wenig Verwüstung hinter sich zurückgelassen hatte, sondern mehr wie ein Parkour-Springer unterwegs war.
Wir holten den Jugendlichen ein, als er gerade von einer Brücke auf die darunterliegende Straße sprang. Er machte das sehr geschickt, rollte sich ab und rannte weiter, hatte sich offenbar kein bisschen verletzt. Wir hingegen nahmen lieber die Treppe, auch wenn das den Abstand wieder etwas vergrößerte.

Zum zweiten Mal holten wir dann an einer großen Kreuzung zu dem Jungen auf, der vielleicht so fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein mochte. Er stand in der Mitte der Kreuzung auf einer Verkehrsinsel und wurde wild angehupt. Ampeln blinkten, Telefone klingelten, und man konnte richtig sehen, wie der Lärmpegel den Teenager zum Kochen brachte. Meinen Kopfschmerzen tat das auch nicht so richtig gut, muss ich gestehen, und ich konnte spüren, wie ich auch schon ein bisschen aggressiv zu werden drohte. Dieser Supermond ist anstrengend, wenn ich das mal so sagen darf.

Jetzt hieb der Junge mit voller Wucht auf einen Hydranten ein. Ein Passant wollte ihn mit einem „das kannst du doch nicht machen, Kleiner!“ davon abhalten, aber Edward zückte seine Polizeimarke und blaffte den Mann an: „Gehen! Sie! Weiter! Sir!!“
Der Teenager drehte sich um. „Du bist Edward.“ Und während der ihn noch anstarrte, fuhr der Kleine fort: „Ich geh' nicht wieder zurück!“
„Zurück?“ machte Edward verblüfft, und der Junge antwortete: „Zu Dad!“

Oooookay. Das erklärte natürlich auch den vertrauten Geruch. Jedenfalls fasste Edward sich ziemlich schnell und bot seinem dem Kleinen an, er könne bis auf weiteres erst einmal bei ihm unterkommen. „Hast du 'nen Namen?“ fragte er dann? „Cassius.“ „Guter Name.“ Besser als Julius, stimmte der Teenager zu, das sei nämlich die Alternative gewesen.

Als wir Cassius von der Kreuzung weggeholt hatten und auf dem Weg zu Edward waren, erzählte der Junge erst einmal, was im Museum überhaupt passiert war. Da sei so ein blöder Arsch gewesen, der sich mit ihm habe anlegen wollen, da sei Cassius wütend geworden, und Imana und Cynthia wollten ihn aufhalten. Die beiden kenne er aus einem Internetforum, wo lauter Leute posteten, die mit Wutanfällen zu kämpfen hätten.

In dem Moment musste Edward, in dessen Auto wir saßen, scharf in die Eisen steigen, weil er von vorne ausgebremst wurde, und hieb mit einem ärgerlichen Knurren, das Cassius ihm in doppelter Lautstärke nachmachte, auf die Hupe. Der durchdringende Ton brachte meinen Schädel beinahe zum Platzen, und ich fuhr mir mit der Hand vor die Augen. „Au, mein Kopf!“
Cassius warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Ist der auch seltsam?“ „Anders seltsam“, erwiderte Edward. „Er schreibt Bücher.“
Wenn mein Kopf mir nicht so wehgetan hätte, dann hätte ich laut herausgelacht, glaube ich.
Cassius jedenfalls bekundete, dass Bücher toll seien, dass er von mir aber noch nie gehört hätte. Auf meine Erklärung, ich schriebe Urban Fantasy, schüttelte er nur altklug den Kopf und erklärte sehr ernsthaft, er lese solche Sachen wie The Catcher in the Rye und so. Hach ja. Teenager, die ernsthafte Literatur entdecken. Es sei ihm von Herzen gegönnt.

Zuhause unterhielten wir uns dann ausführlicher. Wie wir schon vermutet hatten, ist Cassius Edwards Halbbruder: gemeinsamer Vater, aber eine neue Frau – auch wenn Mr. Parsen sich vermutlich nie offiziell von Marie hat scheiden lassen. Nachdem Marie und Edward weg waren, verbrachte Parsen Senior einige Zeit im Gefängnis, erzählte Cassius. Dort lernte er dann Cassius' Onkel kennen, der ebenfalls mondsüchtig war (wie Cassius das formulierte), und nach seiner Entlassung traf er dann auf die Schwester seines Mitgefangenen und kam mit ihr zusammen. Cassius' Mutter sei auch mondsüchtig, erzählte der Junge, was ihr erlaube, ihrem Freund Paroli zu bieten, wenn der wütend werde, so einigermaßen zumindest.

Edward nickte und meinte, er müsse Cassius Schneeball vorstellen. „Dein Rudel?“ wollte der Junge wissen, woraufhin Edward ein Foto von Schneeball aus der Tasche fischte und es seinem Bruder zeigte. Der war verwirrt. „Das ist ein Schoßhund!“ „Lass ihn das nicht hören“, schmunzelte Edward, „in seinen eigenen Augen ist er ein Wolf.“ Das verwirrte Cassius aber nur noch mehr: „Du hast einen größenwahnsinnigen Spitz als Rudel?“
„Lach nicht, das hilft mir tatsächlich dabei, die Kontrolle zu behalten.“
Cassius ließ nicht locker. „Aber hast du denn kein Rudel?“
„Nicht im klassischen Sinne“, meinte Edward, und deutete im Kreis herum auf uns.
„Oh.“ Sein Onkel habe immer gesagt, es tue einem nicht gut, wenn man kein Rudel habe, führte Cassius weiter aus, und sein Dad habe auch immer erzählt, es habe ihm überhaupt nicht gut getan, alleine zu sein.

Als Edward seinen Bruder dann bat, ihm einen Gefallen zu tun und nicht ins Labor zu gehen, bekam der große Augen. Labor? Das sei ja wie bei Walter White, voll bad-ass!
Nein, erwiderte Edward, keine Drogenküche. Eher esoterisch.
Das war der Moment, in dem Roberto wieder mal Roberto sein musste und Cassius provozierte. Mit einer ganz klar absichtlich auf schwul gehaltenen Anmache legte er dem Jungen nahe, auf seinen Bruder zu hören, was Cassius wild aufknurren ließ und Edward dazu brachte, unseren Kumpel kurzerhand des Hauses zu verweisen. Seinen Halbbruder, der aussah, als wolle er gleich irgendwas zerreißen, schickte Edward erst mal an seinen Boxsack, wo der Kleine sich die Fäuste blutig schlug, aber tatsächlich etwas Dampf abzulassen schien.

Kurze Zeit später brachte Ximena, die auf den Hund aufgepasst hatte, Schneeball vorbei. Ich stand gerade am Fenster und konnte sehen, wie Roberto, der noch draußen war, sich kurz mit ihr unterhielt. So, wie er nach drinnen zeigte, war klar, dass er seine Cousine über Edwards plötzlichen Halbbruder aufklärte.
Dann kam sie samt Hund herein, aber Schneeball bellte so wild und aufgeregt herum, dass Cassius schon wieder die Nerven verlor. Ich kraulte den kleinen Spitz ein bisschen, da bellte er noch ein bisschen, gab dann aber endlich Ruhe.
„Na toll“, maulte Edward, „Familie! Fehlen nur noch Frau und Kind, haha!“
Ich grinste ihn an. „Naja, man soll nie nie sagen.“
„Ha, lass mal“, schnaubte Edward, „jetzt habe ich Cassius an der Backe, das reicht mir erstmal völlig.“
„Warum soll es dir besser gehen als mir?“ fragte ich ihn, auch wenn ich das eher scherzhaft meinte. Denn ich habe nicht das Gefühl, Jandra an der 'Backe' zu haben, im Gegenteil.
„Deine ist nicht so wild“, konterte Edward.

Und dann... ich weiß gar nicht wie ich es beschreiben soll. Es ging mir das sprichwörtliche Licht auf. Mit einem Mal fuhr mir ein Gedanke in den Kopf, und es war mir völlig schleierhaft, wie ich vorher nicht darauf gekommen sein konnte. Scheiße! ¡Mierda y cólera!

„Was ist los?“ wollte Totilas wissen, also fluchte ich noch ein bisschen weiter, erklärte dann aber. Jandra ist Enriques Tochter. Und Enrique ist ein Koyanthrop. Oder besser: Enrique wurde von Ernesto Sanchez zum Koyanthropen gemacht. Und wenn er das Gen hatte, das es bei ihm ermöglichte, den Koyanthropen zu wecken, dann hat seine Tochter das mit einiger Wahrscheinlichkeit auch. Und, cólera noch eins, dann habe ich es garantiert auch, denn ich bin sein Bruder, verdammt! Und was, wenn das verdammte Gen ausbricht, sobald der Supermond richtig losgeht?

Wir könnten Jandra testen, schlug Totilas vor. Ein Ritual durchführen, um herauszufinden, ob beim Supermond das Gen ausbrechen wird. Oder vielleicht ein Ritual, damit beim Supermond das Gen ausbricht?
„NEIN!!“

„Ginseng-Tee“, schlug Roberto vor. „Viel Ginseng-Tee.“
„Und du solltest Alejandra Disziplin beibringen“, fügte Totilas hinzu.
Grrrrrr. Was zum Geier?!
„Glaubst du etwa, dass ich meiner Tochter keine Disziplin beibringe?!“
Okay, verdammt. Ich bin tatsächlich auch ziemlich gereizt. Hoffen wir mal, das ist wirklich nur der Supermond, und nicht dieses blöde Gen, das herauskommen will. Totilas lenkte auch schnell ein und erklärte, natürlich glaube er, dass ich Jandra Disziplin beibrächte, aber eben nicht so systematisch, wie gerade Edward sie betreibt. Ach so hatte er das gemeint. Trotzdem. Grrrr.

Etwas später kamen Cynthia Wong und ihre Kollegin Imana vorbei, um Cassius abzuholen. Der Junge schien auch ganz erleichtert darüber: Zum einen ist er es gewohnt, ein Rudel um sich zu haben und zum anderen war es ihm anscheinend doch ein bisschen peinlich, bei seinem großen Bruder zu sein. Er wolle aber in Kontakt bleiben, sagte er.
Alex tauchte kurze Zeit später auch wieder auf. Er habe diverse Löcher stopfen und Türen schließen müssen, sagte er, denn spätestens seit der Schwächung der Insel der Jugend sind hier in Miami die Grenzen zum Nevernever unangenehm dünn. Drüben im Nevernever habe er Spuren gefunden, sagte Alex, von einer riesigen wolfsartigen Pfote.

Könnten das eventuell Spuren von dem Biest gewesen sein, das die Latin Raiders damals rufen wollten? An die Bestie hatten wir ja etwas früher am Tag schon gedacht, auch wenn wir eher einen Zufall vermuteten. Aber jetzt mit der Spur... Wird es eventuell auch diesmal wieder mit Absicht gerufen?
Hmmm. Wir könnten ein Ritual abhalten, sinnierte Edward, um herauszufinden, ob das Biest gerufen wird, und wenn ja, von wo aus.
Das hielten wir alle für einen ziemlich guten Plan, aber wenn, dann sollten wir das abends machen, wenn der Mond zu sehen ist. Aber nicht mehr heute. Wir hatten einen langen Tag, und ein paar Vorbereitungen müssen wir ja auch erst noch treffen. Deswegen verabredeten wir uns für morgen und trennten uns.

Und ich muss jetzt erstmal dringend schlafen. Ich habe das hier alles zwar noch aufgeschrieben, weil ich morgen sonst vielleicht nicht mehr dazu komme, aber ich bin völlig erledigt. Und Kopfschmerzen habe ich immer noch.

Oh, aber eines noch: Bei Schneeball stellen sich jedesmal die Ohren auf, wenn er das Wort 'Ritual' hört. Das war so, als es um das potentielle Ritual für 'Jandra ging, und dann, als wir über das Biestrufritual redeten, wieder. Der Hund ist eben doch ein Ritual-Pavlov. Fehlt nur noch Schrödingers Ritualkatze. Echt jetzt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 21.06.2017 | 13:32
Ricardos Tagebuch: Small Favor 2

28. Oktober

Eben haben wir uns getroffen und ein bisschen geplant. Ritualzutaten überlegt und so. Hören wird leicht, da hatte Roberto die Idee für zwei Konservendosen am Strick. Für das Sehen will Alex sämtliche Schwachstellen, die er so gefunden hat, in eine Karte von Miami einzeichnen. Als Komponente für Schmecken nehmen wir einfach rohes Fleisch, davon hat Edward ohnehin genug zuhause, weil er Schneeball gelegentlich damit füttert, und Totilas hat gesagt, er weiß um ein Männerparfum namens „Wolf“, das er besorgen will. Für den Geist besorge ich uns ein Exemplar von Jack Londons „Call of the Wild“, dann bleiben nur noch Fühlen und Seele. Für ersteres habe ich schon eine Idee, dafür muss ich aber mit Oliver Feinstein sprechen, und für die Seele fände ich ein Wolfsgedicht gut. Da weiß ich zwar keines auf Anhieb, aber sowas kann man ja recherchieren. Immerhin sind meine Kopfschmerzen über Nacht besser geworden. Noch nicht richtig weg, aber auch nicht mehr so Kopf-explodierend wie vorher.

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Ha. Oliver hat doch dieses Wolfsfell im Laden hängen. Das hat er mir leihweise für einen kleinen Obolus überlassen – und für das Versprechen, demnächst im Behind the Cover eine Lesung abzuhalten. Aber gerne doch, die kann er kriegen.

Und in Sachen Seele bin ich auch fündig geworden. Auf einer Poesie-Webseite habe ich ein kurzes Gedicht gefunden, zu dem die Autorin nach eigener Aussage inspiriert wurde, nachdem sie eines Morgens nahe ihres Hauses im Schnee Pfotenabdrücke gefunden hatte, die sich später als die eines Wolfs herausstellten. Und kurz und knackig und, naja, schön poetisch, ist es dazu. Perfekt für unsere Zwecke, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten.

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Verdammt. Eben bekommt Roberto eine Chatnachricht samt Foto von Dee, dass „dieser Typ“ gerade mit Paco weggegangen sei. Paco kennen wir: Das ist einer der Jungs aus dem Jugendzentrum. Ziemlich absturzgefährdet. Hat im Jugendzentrum eine kleine Gang gegründet. Und der Typ auf dem Foto? Kein anderer als Lord Frost. Verdammt! Roberto schreibt ihr gerade zurück. Und los. Später mehr.

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Okay. Was zum Geier?

Während wir im Auto saßen, kam von Dee nochmal eine Nachricht: „Sie sind zum Schwimmbad.“ Welches Schwimmbad sie meinte, wussten wir auch: ein altes Hallenbad in der Nähe des Jugendzentrums, das aber momentan geschlossen ist. Also nicht zum Jugendzentrum, sondern direkt dorthin.

Die Tür, das konnten wir auf den ersten Blick sehen, war zugefroren. So fest zugefroren, dass nicht mal Edward mit all seiner Kraft sie aufbekam. Also rief ich die Sommermagie nach oben und taute das Schloss auf. Das tat meinen Kopfschmerzen nicht unbedingt gut, aber es musste nun einmal sein.

Drinnen fanden wir uns an der kurzen Seite des Schwimmbeckens wieder. Auf der anderen Seite des Beckens sahen wir Lord Frost und Paco, der gerade in dem Moment aus einer relativ großkalibrigen Pistole einen Schuss abfeuerte, aber nicht auf Lord Frost, sondern auf Dee, und sie am Arm traf. Verdammt! Dee hechtete in Deckung, und Totilas rannte los, auf Paco zu.
Paco feuerte wieder, auf Edward diesmal, und eigentlich konnte er gar nicht treffen, weil er die Waffe völlig schief und in die falsche Richtung hielt. Aber ich konnte sehen, wie irgendwelche Runen darauf rötlich aufleuchteten – und zwar nicht sommerwarm, sondern eher höllisch-dämonisch – und das abgefeuerte Geschoss regelrecht einen Bogen beschrieb, ehe auch Edward am Arm getroffen wurde.

Lord Frost reagierte nicht auf Pacos Schüsse oder unsere Ankunft, sondern stand einfach nur da und sah zu, als wolle er abwarten, was noch so passieren würde.
Aber das Wasser im Becken war am Gefrieren, eine bläulich leuchtende Eissuppe, die schon ziemlich solide wirkte, und vielleicht wollte er diesen Zauber ja auch am Laufen halten.

Während Roberto in Deckung ging, Alex sich suchend umsah und Edward brüllte „Waffe weg! Miami P.D.!“, rief ich wieder den Sommer hoch und ließ meinen patentierten Sonnenlichtzauber auf Paco los. Der war zwar natürlich kein Rotvampir, aber auch Nichtvampire soll man mit hellem Licht ja blenden können.
Geblendet wurde der Jugendliche zwar, wie mir der Arm bewies, den er vor die Augen riss, aber dummerweise hinderte ihn das nicht daran, blind einen weiteren Schuss abzugeben. Und wieder konnte ich sehen, wie die Kugel eine Kurve flog, ehe sie Totilas an der Seite zu traf. Der war jetzt aber auch schon bei seinem Gegner angekommen und entriss Paco die Waffe. Während die beiden miteinander rangen, bemerkte ich, dass mindestens eine Gestalt in dem zufrierenden Wasser trieb. Vielleicht war denen noch zu helfen, aber dazu musste ich das Wasser auftauen. Okay, das mag vielleicht etwas größenwahnsinnig klingen, aber eigentlich war es auch nur Sommerwärme, oder zumindest redete ich mir das ein. Da, wo mein Zauber hinfiel, traf warmes goldenes Licht auf das kalte blaue, von dem das Wasser gefror, und ganz langsam fing das Eis im Becken an zu tauen.

Indessen ging auch Edward auf den jungen Paco los, zu dessen lautem Gezeter über die verdammten Scheiß-Cops, die sich überall einmischen mussten. Alex hingegen hatte inzwischen eine verlassene Dose Haarspray gefunden und aus der einen improvisierten Flammenwerfer gebastelt, mit dem er ebenfalls in Richtung Paco stürmte. Aber bevor er noch bei dem Jugendlichen ankam, pustete Lord Frost einmal kurz in dessen Richtung, und Paco fror einfach ein, wurde in Sekundenschnelle zu einer Eisstatue.

Eigentlich hätte ich mich ja fast gerne mit Lord Frost verbündet. Immerhin ist er der Gegenpol von Lady Fire, und der Feind meines Feindes und so. Aber der Typ hatte soeben einen, nun gut, nicht gerade unschuldigen, aber vielleicht nicht unrettbar verlorenen Jungen eingefroren. Und mein Sommerrittermantel hatte gesehen, wie die Verkörperung des Winters in meiner Sommerstadt den Inbegriff von Winter gezaubert hatte. Ich will nicht behaupten, dass ich fremdgesteuert handelte, das war schon ich selbst, aber einen gewissen Einfluss auf meine Reaktion hatte der Rittermantel schon. Oder zumindest auf meine Wortwahl. „Im Namen von Herzog Pan, dem Sommerherzog von Miami, unterlassen Sie das!!“

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Roberto mit den Augen rollte, während Lord Frost nur müde lächelte und sich zu mir umdrehte. „Pan ist nicht mein Herzog, Junge.“ „Aber meiner“, erwiderte ich. „Lassen Sie ihn frei!“ „Nein“, sagte Pan nur und wandte sich zum Gehen.
Das wollte Totilas nicht so auf sich sitzen lassen und griff den Winterfae an, aber Lord Frost stieß ihn von sich und in das Schwimmbecken mit dem langsam tauenden Eiswasser.
„Was tun Sie hier?“ fragte Alex. „Was ist das hier?" Lord Frost verzog keine Miene. „Aufräumen.“

Wenn Frost sich weigerte, Paco freizugeben, musste ich es eben tun. Ich hatte die Hände schon gehoben, war drauf und dran, die Magie nach oben zu rufen, da wurde mir bewusst, wie sehr mir gerade ohnehin schon der Kopf platzte. Diese Eisstatue jetzt schnell genug aufzutauen, um Paco noch zu retten, aber auch so kontrolliert, dass er keine bleibenden Schäden davontragen würde, das würde jede Menge magischen Wumms verlangen. Mehr, als ich im Moment aufbringen konnte. Autsch. Verdammt. Mein Kopf.
Und für Paco war es ohnehin zu spät, wenn ich mir das so ansah. Wenn er nicht schon längst tot war, wäre er es, bis ich ihn da rausgeholt hätte. Oder zumindest redete ich mir das ein.

WARUM?“ fragte ich Lord Frost bitter.
„Er gehört zu den anderen“, war die gelassene Antwort des Fae.
„Was... welchen anderen?“
Aber der Feenlord war schon fort.

Während wir auf den Krankenwagen und die Polizei warteten, taute das Wasser im Schwimmbecken immer weiter, und bald waren auch die letzten Reste von Eis völlig verschwunden. Insgesamt trieben vier Leichen im Wasser: drei Teenager und ein älterer Mann, ein Obdachloser, den wir flüchtig vom Sehen kannten, weil er sich häufig in der Nähe des Jugendzentrums aufhielt.
Während wir auf den Krankenwagen und die Polizei warteten, gab Totilas auch die Runenpistole, die er aufgehoben hatte, nachdem er aus dem Pool geklettert war, an Edward weiter, damit der sie in der Asservatenkammer des SID verwahren sollte. Unser White-Court-Freund sah richtig dankbar aus, die Waffe loszuwerden. Er sagte, die Pistole fühle sich richtig, richtig unangenehm an in seiner Hand, und auch die Kugel, die ihm noch in der Seite steckte, sei ein einfach nur unerträglich ekelhaftes Gefühl. Und zwar nicht, weil es eben eine Kugel war, die ihm in der Seite steckte, sondern mehr. Übernatürlich mehr. Auch für seinen Hungerdämon sei es ein schreckliches Gefühl, meinte Totilas. Für den fühle sich das an wie der böse Jack. Der mit den Luftballons. Ich kann mich nur allzu lebhaft erinnern. Brrrrr.

Dee hatte zum Glück nur einen leichten Streifschuss am Arm. Wir informierten sie in bezug auf Lord Frost, den Supermond und den bösen Jack, während Dee ihrerseits erzählte, dass sie gerade im Jugendzentrum war, als sie mitbekam, wie Paco mit diesem älteren Mann wegging. Es hatte so ausgesehen, als hätten sie sich gestritten, aber als seien sie trotzdem in gemeinsamem Einverständnis zusammen weggegangen. Dee folgte den beiden bis zum Schwimmbad, wo Paco dann plötzlich eine Waffe in der Hand hatte. Dee gab sich als Federal Marshal zu erkennen, woraufhin der Teenager auf sie schoss, und dann kamen wir auch schon dazu.

Auch Edwards Armverletzung war zum Glück nicht sehr ernsthaft, aber die Gleichheit ihrer Schusswunden brachte Roberto dazu, blöde Sprüche wegen eines flotten Dreiers zwischen ihm, Edward und Dee zum Besten zu geben. Grrrrrrr. Das wollte ich gar nicht hören, also zog ich mich etwas außer Reichweite zurück – zusammen mit Alex, dem es wohl auch ein bisschen zu viel Info bezüglich seiner Schwester war.

Ins Krankenhaus musste glücklicherweise keiner von uns, also gingen wir uns etwas genauer im Jugendzentrum umhören. Dort tat Dallas Hinkle gerade als Betreuerin Dienst, und sie erzählte uns, dass Paco in letzter Zeit vermehrt durch seine Aggressivität aufgefallen war. Die Gang, die er um sich herum aufgebaut hatte, bestand aus sieben Mitgliedern, von denen aber vier (die drei aus dem Becken und Paco) jetzt nicht mehr am Leben waren.
Den toten Obdachlosen kannte Dallas auch. Der sei manchmal im Zentrum gewesen, habe aber immer nur herumgestänkert, nicht so wie andere Penner, die vorbeikämen, einfach um nett zu sein und ein bisschen Zeit mit den Jugendlichen zu verbringen.
Paco war sehr stark am Abrutschen, erzählte Dallas weiter: eine große Klappe und keinerlei Respekt. Einmal habe er sogar Marshall Dee sein bestes Stück gezeigt. Die Marshall habe aber nur gelacht und gemeint, ihr Freund sei da besser bestückt. Grrrrr. Das war schon wieder so eine Information, die ich am liebsten gar nicht gehört hätte.

Paco hatte aber nicht nur eine Gang gehabt, sondern auch eine Freundin, erzählte Dallas, Lisa oder Linda. Lisa-oder-Linda war auch gerade im Jugendzentrum, also ging ich sie ansprechen. Zuerst lächelte sie mich auch an und sah aus, als wolle sie gerne mit mir reden, aber dann bekam sie Totilas zu Gesicht, und ab dem Moment war ich abgeschrieben und die Kleine völlig auf Totilas eingeschossen. Ihm erzählte Lisa-oder-Linda, dass Paco ein Arsch gewesen sei und total eklig. Warum total eklig? Weil er ihr mal einen Tampon geklaut habe, einen benutzten! Das sei etwa ein halbes Jahr her, und danach habe er laut herumgepost, das Lisa-oder-Linda doof sei und schon merken werde, was sie davon habe. Er habe auch längst eine neue Schnalle gehabt, eine gewisse Monica. Wo wir die finden könnten? Im Railroad Club, gab L-o-L widerwillig Auskunft. Oder vielleicht nicht widerwillig. Vielleicht eher mit einer Art faszinierter und schmollender Neugier. Denn der Railroad Club, soviel wussten wir, ist ein klassischer Treffpunkt für einsame Herzen: tanzen, trinken, sich auf ein kurzes Abenteuer einlassen. Und nein, ich war noch nicht dort, Römer und Patrioten. Nicht, dass da Missverständnisse aufkommen.

Waffen durften in den Railroad Club dummerweise nicht mitgenommen werden, also ließ ich Jade etwas zähneknirschend im Wagen, als wir vor dem Etablissement ankamen. Aber das war ja nicht das erste Mal – ich sollte mir wirklich überlegen, ob es nicht einen Zauber gäbe, eine Art Glamour oder Illusion, mit der sich mein Sommerschwert nicht etwas unauffälliger gestalten ließe. „Als Füllfederhalter“, schlug Alex vor, als ich den Gedanken laut aussprach, und das war eine wirklich geniale Idee. Die muss ich dringend im Hinterkopf behalten und mich bei Gelegenheit mal mit Edward besprechen, ob und wie sich das vielleicht machen ließe.

Im Club selbst tanzten zahlreiche leicht bekleidete Mädchen auf einer erhöhten Bühne herum, darunter auch Pacos neue „Schnalle“ Monica, die wir anhand von Lisa-oder-Lindas Beschreibung erkannten und die man uns auch bereitwillig ausdeutete, als wir nach ihr fragten. Totilas winkte sie mit einem Bündel Geldscheine zu sich, und wir zogen uns zurück, damit unser White-Court-Kumpel ungestört mit dem Mädchen reden konnte. Edward ging sogar gleich wieder ganz raus, dem war es hier drin zu laut und zu eng und zu viele Gerüche und überhaupt.

Aus der diskreten Entfernung konnten wir sehen, dass Totilas ein bisschen Mühe zu haben schien, mit Monica zu kommunizieren. Es sah so aus, als würde sie zwar sprechen, aber immer nur dann, wenn sie vorher angesprochen wurde, nie von sich aus. Und auch aus der Entfernung sah ihr Gesicht irgendwie leer aus, geistesabwesend. Als Alex sie daraufhin in der Geisterwelt betrachtete, stellte er fest, dass Monica an einer Art „Leine“ lag, ein bisschen so wie die Geister, die Adlene sich unterworfen hat, und die ja auch von einer Art „Kette“ gehalten werden. Außerdem, sagte Alex, 'wische' Monicas Geist mit etwas Verzögerung hinter ihr her, etwa so wie eine Maus mit Lag auf einem Computerbildschirm. Irgendetwas stimmte jedenfalls ganz und gar nicht mit ihr.
Daraufhin sah Alex sich mit seiner Geistersicht im ganzen Raum um und entdeckte noch einige weitere Leute, die ähnlich aussahen wie Monica: alles Frauen und alles Angestellte des Clubs.

Totilas unterhielt sich derweil ein bisschen mit Monica und fragte sie schließlich, wer Pacos Freunde seien. „Diego“, meinte sie daraufhin und zeigte auf einen jungen Mann von vielleicht Anfang Zwanzig, mit Kinnbart und Lederjacke, der gerade mit drei Mädchen im Schlepptau am Gehen war.
Totilas machte sich von Monica los und erzählte uns, was Sache war, und wir folgten diesem Diego nach draußen.
Dort trafen wir auf Edward, dem ganz unabhängig von uns Diego auch schon aufgefallen war, weil er für seine Nase nach Schwefel roch. Und außerdem hatte Edward gesehen, dass Diego eine Waffe im Hosenbund trug. Eine Runenpistole wie Pacos vielleicht?

Runenpistole hin, Schwefelgeruch her, hier konnten wir Diego nicht konfrontieren, hier gingen ständig Clubbesucher ein und aus. Stattdessen setzten wir uns auf seine Fährte, um zu sehen, wo er hinwollte und was er vorhatte.
Sein Ziel lag vor der Stadt, wo Diego irgendwo parkte und dann mit seinen drei Begleiterinnen zu Fuß weiterging. Mit dem Auto hatte Alex ihn problemlos eingeholt und sich dann unauffällig an seine Rücklichter gehängt, und auch jetzt, zu Fuß, war es relativ leicht, die vier zu verfolgen, weil sie ziemlich laut waren und abgelenkt und überhaupt nicht mit Verfolgern rechneten.
Einen gewissen Vorsprung mussten wir ihnen natürlich trotzdem lassen, und so dröhnte kurze Zeit später lauter, aber etwas blecherne Tanzmusik, die wohl aus einem Handy-Lautsprecher kommen musste, zu uns herüber. Die vier befanden sich auf einer Lichtung vor uns, an die wir aber nicht gut herankommen würden, ohne bemerkt zu werden.
Dann aber veränderte sich die Musik: Der Chicano-Rap wurde getragener, ritualistischer, und eine Art Singsang war zu hören. Wir mussten da hin, und zwar schnell!

Auf der Lichtung stand Diego über den drei Mädchen, die in völliger Trance vor ihm lagen. Er hielt eine Schale in der Hand, mit einer dunklen Flüssigkeit darin (Blut, war meine erste Schriftstellerassoziation), und er war es, von dem der rituelle Singsang kam. Alle vier waren splitternackt. Was er da auch gerade tat, er durfte es nicht zuende bringen!

Edward warf sich auf den Praktizierer. Er traf ihn zwar nicht so, wie er das wollte, aber um auszuweichen, machte Diego einen Satz nach hinten, und das unterbrach sein Ritual. Die drei Mädchen erwachten aus ihrer Trance, zumindest körperlich, wenn schon nicht geistig, denn sie sprangen auf und stellten sich schützend und in Kampfhaltung zwischen ihren Begleiter und uns. Und wie sich herausstellte, konnten sie tatsächlich richtig gut kämpfen. Damit Totilas überhaupt eine Chance hatte, an Diego heranzukommen, hielten Edward, Roberto und ich jeweils eines der Mädchen beschäftigt, während Alex zum Auto zurückrannte, um unseren Gegner falls nötig am Wegfahren zu hindern.

Das war echt anstrengend, Römer und Patrioten. Ich habe ja nun inzwischen von Eileen ein bisschen was an Schwertkampftraining gehabt, aber ich wollte das Mädchen ja nicht ernsthaft verletzen. Deswegen ließ ich Jade auch in ihrer Scheide, damit ich zwar die Waffe in der Hand, aber keine scharfe Klinge hatte.

Totilas machte Diego schwer zu schaffen, und irgendwann wusste der sich nicht weiter zu helfen, als die Schale nach dem White Court zu werfen. Aber das war ein Fehler, denn als die Flüssigkeit darin ausgegossen wurde (es war tatsächlich Blut, wie es schien – als ob mich das noch überrascht hätte), fielen die drei Mädchen um wie Marionetten, deren Schnüre gekappt wurden, und mit dem nächsten Schlag knockte Totilas Diego aus.

Wir zogen den Mädchen ein paar Kleidungsstücke über, so gut wir konnten und fesselten den Praktizierer. Dann überlegten wir, womit und wofür wir (bzw. die Behörden) ihn eigentlich belangen konnten, denn sein Ritual hatte er ja nicht beenden können. Aber er besaß auch so eine dämonische Runenwaffe, wie Paco sie gehabt hatte.

Als die Mädchen aufwachten, gaben sie sich misstrauisch und feindselig (kein Wunder: Sie wachten nur notdürftig bekleidet in der Gegenwart von fünf fremden Männern auf und hatten keine Erinnerungen mehr daran, wie sie hierher gekommen waren). Sie redeten nicht viel, ließen sich nur von Freunden abholen, so schnell es ging.

Diego wurde von Edward geweckt und verhaftet und bekam seine Rechte vorgelesen. Während der ganzen Prozedur sagte der junge Mann keinen einzigen Ton, genausowenig wie auf der Fahrt aufs Revier.
Dort hatte Henry Smith auf Edwards telefonische Anweisung hin eine Präsentationstafel aufgestellt, auf dem er die Bilder des eingefrorenen Paco und der anderen toten Teenager aufgehängt hatte. Und als Diego die Bilder sah, wurde er unter der Bräune ganz schön blass.
„Du hast recht“, sagte Edward zu ihm, „du wirst vermutlich freikommen. Aber da draußen läuft jemand rum, der das da gemacht hat. Viel Spaß.“
Bei Diego fing es sichtlich an zu rattern, und er wurde noch blasser. „Krasse Sache, Mann. Kann ich gehen?“
„Nein. Ich kann dich nicht gehen lassen. Du bist vorbestraft, damit kriege ich dich für unerlaubten Waffenbesitz bei Vorstrafe dran.“ „Bekomme ich wenigstens einen Anwalt?“
Aber sicher bekam er den. Einen Pflichtverteidiger, der aber frühestens morgen vormittag kommen wird.

Mir kam der Gedanke, dass wir besser mit den restlichen drei Teenagern aus Pacos Gang reden sollten, und wir sollten auch Diego fragen, ob der weitere Freunde hatte, die sich auf so seltsame Dämonengeschäfte eingelassen hatten und an solche Runenwaffen gekommen waren oder ähnliches. Aber Diego wollte ohne Anwalt nichts sagen, und wie gesagt, der kommt erst morgen.
Und an Pacos Gangfreunde werden wir heute nacht wohl auch nicht mehr kommen. Mit dem Clubbesuch und der Verfolgung und Verhaftung und allem ist es nämlich schon wieder ziemlich spät geworden. Alles weitere morgen dann.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.06.2017 | 19:20
29. Oktober

Heute morgen trafen wir uns zuerst ohne Edward, weil der auf dem Revier sein wollte, wenn der Pflichtverteidiger kam. Totilas sagte, er würde wirklich gerne mit Hurricane reden, aber, wie vorgestern schon angesprochen, da sei diese Sache mit dem Eidbruch, weswegen er ja bei Tanit und ihresgleichen nicht sonderlich gern gesehen sei. Ich selbst habe ja nun normalerweise mit Winter weniger ein Problem, aber ich habe immer noch Kopfschmerzen, und eingedenk der Begegnung mit Lord Frost gestern war ich mir nicht so sicher, ob ich diplomatisch genug reagieren würde, also fuhren Alex und Roberto alleine los.

Als sie weg waren, kam Totilas nochmal auf das Thema. Also dass er sich wegen der Eidbruchgeschichte nicht so gut bei den Feen sehen lassen könnte. Die würden das ja nicht nur wissen, sondern tatsächlich irgendwie als eine Art Aura an ihm bemerken. Ja, por demonios. Ich weiß. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es an den Kopfschmerzen liegt, die ich immer noch habe, oder ob ich mich immer mehr mit meinem Ritterjob identifiziere und deswegen mehr auf Feen-Wellenlänge bin, aber ich kann an Totilas inzwischen dessen Eidbruch auch ständig sehen. So sehr, wie ich mir wünschen würde, dass mir das egal wäre, der Sommerrittermantel ist da anderer Meinung. Mierda.
Deswegen war ich auch ziemlich dankbar, als mein White-Court-Kumpel erklärte, er wisse genau, dass er Mist gebaut habe, und er würde das wirklich gerne wieder gutmachen, und ob ich als Ritter irgendeine Ahnung habe, ob es da Möglichkeiten gebe. Hatte ich nicht, zumindest nicht auf Anhieb, aber ich versprach ihm, dass ich mich umhören würde, ob man da irgendetwas tun kann. Wofür habe ich eine Schwester, die Richterin des Sommerhofes ist.

Ungefähr zur selben Zeit wie Edward zu uns stieß, kamen auch Alex und Roberto von ihrem Gespräch mit Hurricane wieder. Das hatte nicht so überwältigend viel ergeben, aber immerhin einiges an Informationen zu Lord Frost. In Hurricanes eigenen Worten ist es „Lord Frosts Aufgabe, Dinge kalt zu machen, alles andere ist eher ein Hobby.“ Der Lord gehöre auch nicht zu den „Netten“, aber er habe kein Interesse daran, dass da Dinge „von noch weiter weg“ zu uns kämen. Lies: von ganz draußen, wo die Outsider herkommen.
Die Jungs fragen Hurricane auch, ob Lord Frost aus eigenen Stücken in Miami sei, oder ob er eher hierher gezogen wurde, und Hurricane glaubt wohl, dass er eher hergezogen wurde, immerhin habe Lady Fire ein Interesse an Miami. Als Alex das erzählt hatte, brach er ziemlich plötzlich ab, so als sei da noch irgendwas gefolgt, das er jetzt aber nicht aussprechen wollte. Und da es um Lady Fire ging, konnte ich mir auch fast denken, was ungefähr. Haha. Danke auch.

Ganz taktvoll wechselte Edward das Thema, indem er berichtete, wie es mit Diego und seinem Pflichtverteidiger gelaufen war. Und zwar nicht sonderlich gut, leider. Er bestand darauf, dass Diego sofort auf freien Fuß gesetzt werden müsse, weil man ihm keinerlei illegale Handlung nachweisen konnte. Die Pistole konnte man ihm untergeschoben haben, und er war rechtswidrig von jemandem bewusstlos geschlagen worden. Wenn Diego umgehend freigelassen würde, würde er auf eine Anklage wegen Körperverletzung verzichten. Edward konnte nichts anderes tun, als den jungen Mann tatsächlich laufen zu lassen, und der war überhaupt nicht mehr so kleinlaut wie gestern noch, sondern hatte schon wieder Oberwasser.

Wir überlegten gerade, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, sich an Diegos Fersen zu hängen (dummerweise eher nicht, der hatte den Precinct längst verlassen, und um ihn ganz problemlos aufzuspüren, wussten wir zu wenig über ihn, da hätten wir gehörig im Trüben fischen und erst einmal ausgiebig nachforschen müssen, wo er sich normalerweise überhaupt herumtrieb), da klingelte Totilas' Handy. Es war sein Cousin Vin, der berichtete, dass am Hotel Marbella, wo die Raiths ja jetzt residieren, die Polizei aufgetaucht sei und dass es vielleicht besser wäre, wenn Totilas vorbeikäme.

Großes Polizeiaufgebot? Natürlich rief Edward sofort in seiner Dienststelle an und erreichte Salvador Herero, der sagte, unter dem Hotel sei ein Tunnel gefunden worden. Tunnel? Was für ein Tunnel? Aber gut, wir fuhren hin, das konnte sicher nichts schaden, weder Totilas als Oberhaupt der Raiths, noch Edward als Leiter des SID.

Als wir beim Marbella ankamen, wurde dessen Besitzer gerade verhört. Über Rafael Solano konnte Totilas uns einiges sagen, immerhin wohnt er seit etwa einem Jahr in dessen Hotel. Der junge Mann hat den Betrieb von seinem Vater übernommen, der vor einer Weile, kurz vor dem Einzug der Raiths war das, spurlos verschwunden ist.

Im Innenhof stand ein Springbrunnen, der eigentlich noch ziemlich neu aussah, der aber bereits dünne Risse aufwies. Alex, der eben noch interessiert zu dem Brunnen hingesehen hatte, hielt die Hand ins Wasser und murmelte etwas, das ich nicht verstand, dann nahm sein Gesicht auf einmal richtig wütende Züge an, und er schnappte sich einen Sonnenschirm und fing an, wie wild auf dem Brunnen herumzuprügeln. Ich legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn aufzuhalten, aber er schüttelte mich einfach ab, viel heftiger, als ich erwartet hätte. Dazu fluchte er in perfektem Spanisch, und das klang völlig anders als bei Alex, der zwar auch Spanisch kann, aber einen Anglo-Akzent hat. Erst da wurde mir klar, was mir schon vorher hätte aufgehen müssen, immerhin kenne ich meinen Kumpel ja nun schon ein paar Jahre: Alex hatte irgendeinen Geist gesehen und ihn in sich hineingelassen, und jetzt hatte der Geist die Kontrolle übernommen.

Alex, oder besser der Geist in ihm, schlug immer heftiger auf den Brunnen ein, und irgendwann barst der falsche Marmor. Wasser floss, Stücke brachen in alle Richtungen weg, und aus den Trümmern des Fundamentes kullerte ein Schädel hervor. In der Mitte des zerstörten Brunnens stand, jetzt sichtbar geworden, der Geist eines älteren Mannes und fluchte in den wildesten Tönen weiter.

Gemeinsam mit Alex, der jetzt, wo der Geist in den Überresten des Brunnens manifestiert war, wieder die Kontrolle über seinen eigenen Körper besaß, redete ich auf ihn ein, aber der Geist nahm das gar nicht wahr oder wollte sich nicht beruhigen lassen. Wütend fuhr er zu mir herum und begann in bester Poltergeistmanier Trümmerteile nach mir zu schleudern. Während ich den Geschossen so gut wie möglich auszuweichen versuchte, es aber doch zu viele wahren und ich eine Beule am Kopf kassierte (als ob ich nicht schon genug Kopfschmerzen hätte), rief Edward uns etwas von „Ritual, haltet ihn beschäftigt!“ zu und verschwand mit Roberto außer Sicht. Totilas, nicht faul, hatte schon gleich, als Alex mit seinem seltsamen Benehmen begonnen hatte, den einen anwesenden Polizisten, der sich im Innenhof aufhielt, mit Beschlag genommen, um ihn abzulenken, und seine Ablenkung funktionierte auch weiterhin ausgezeichnet.

Das improvisierte Schnellritual unserer beiden Freunde musste auf Anhieb geklappt haben, denn es dauerte gar nicht lange, da verschwand der Geist aus dem Brunnen, und die herumwirbelnden Trümmerstücke fielen allesamt zu Boden. Der ganze Spuk hatte zwar nur ein paar Minuten gedauert, aber trotzdem waren die anwesenden Hotelgäste (und es waren genug da, die nicht zu den Raiths gehörten und keinerlei Ahnung hatten, dass es so etwas wie Geister gibt und was da gerade genau vorgefallen war) in heller Aufregung und kurz vor einer Panik. Totilas war noch mit dem Polizisten beschäftigt, der glücklicherweise so abgelenkt gewesen war, dass er kaum etwas mitbekommen hatte, also ging ich herum, redete mit den Leuten und versuchte, eine kopflose Massenflucht zu verhindern, was mir auch einigermaßen gelang. Der Detective, der sein Gespräch mit Totilas beendet hatte, rief jetzt einen Kollegen dazu und untersuchte gemeinsam mit diesem den Brunnen, und dabei kamen neben dem Schädel weitere Knochen zum Vorschein.

Gemeinsam redeten Totilas und ich kurz mit dem jungen Hotelbesitzer, aber der machte sich ehrliche Sorgen um seinen Vater, dessen Erscheinung er ja auch gesehen hatte, also zog er sich recht bald zurück, um herauszufinden, was da genau passiert war. Also suchten Totilas und ich die anderen, damit die uns einen Überblick eben genau darüber geben sollten.
Wie ich mir schon gedacht hatte, hatte Alex beim Hereinkommen in dem neugebauten Brunnen den Geist des alten Mannes gesehen und ihn eingeladen, mit ihm mitzukommen. Was der auch tat, und sobald er in Alex gefahren war, merkte unser Freund, dass der alte Herr richtig wütend war. Wütend und so stark, dass er die Kontrolle über Alex' Körper übernahm.

Edward und Roberto hatten mit ihrem improvisierten Schnellritual den Geist tatsächlich in seinen Schädel gebannt bekommen, und nachdem Edward ihn in dem Zusammenhang kräftig vermöbelt hatte, war er jetzt auch ruhiger und ließ mit sich reden. Der alte Herr war der vor einem Jahr verschwundene Emilio Solano, und er war zwar ruhiger, aber immer noch empört. Empört darüber, dass er seine zweite, viel jüngere Frau bei einer Affäre mit seiner Tochter ertappt hatte, weswegen sie ihn getötet hatte, aber noch viel empörter darüber, dass sie sich als 'Sin Rostro' herausgestellt habe. Für einen kurzen Moment hatte ich keine Ahnung, was es mit dieser Person 'ohne Gesicht' auf sich haben sollte, aber da sprach Solano schon weiter. Er habe immer gedacht, er sei kriminell, und dann sei sie ein Crime Lord!

Ja, gab der Geist zu, nachdem Alex ihm zugesichert hatte, dass wir dafür sorgen würden, seine mörderische Frau ihrer gerechten Strafe zuzuführen, ja, er habe zu Lebzeiten illegale Geschäfte gemacht. Sein Sohn wisse aber nichts davon, der sei immer ehrlich gewesen. Emilio sagte auch, es gebe noch Kunstschätze und geheime Konten und ein gesunkenes Schiff, von denen er bislang denken musste, sie seien mit seinem Tod unwiederbringlich verloren, und zeigte sich einigermaßen erleichtert darüber, dass diese Dinge nun doch irgendwie auf seinen Sohn würden übergehen können.

Eigentlich wollten wir Rafael Solano informieren gehen, aber der sprach gerade mit dem Detective (und die beiden mochten sich gar nicht, das wurde ziemlich deutlich), also führte der Geist seines Vaters nur uns in den geheimen Kunstschatzraum in dem geheimen Keller. Neben ganz regulär erworbenen Gemälden mit ordnungsgemäßer Besitz- und Herkunftsurkunde fanden sich hier auch etliche undokumentierte und illegal erworbene Kunstwerke, die möglichst hier verschwinden sollten, fand Totilas, sonst würden sie auf Rafael zurückfallen, sobald die Polizei diesen Raum fände. Hmmm. Vielleicht durch das Nevernever, schlug ich vor, aber Alex meinte, er sei sich nicht sicher, wie gut das für den Bildern täte. Andererseits aber war es Alex' Expertenmeinung nicht sehr wahrscheinlich, dass die Polizei diesen gutgetarnten Raum überhaupt finden würde. Eigentlich konnten wir die Kunstwerke auch einfach erst einmal hier lassen.

Alex ließ Solanos Geist noch einmal in sich hinein, damit der alte Mann einen Brief schreiben konnte, oder besser zwei: einen, dass er seine Frau verdächtige, eine Affäre mit seiner Tochter zu haben, dass er jetzt gehen und sie konfrontieren werde, und falls ihm etwas zustoßen solle, dann sei es dann wohl eine Möglichkeit, dass sie etwas damit zu tun habe, und einen zweiten an seinen Sohn, dass er ihn liebe. Nachdem Edward die beiden Briefe magisch gealtert hatte, versteckten wir sie an einem Ort, wo sie jetzt gefunden werden würden, bei dem es aber plausibel war, dass die Briefe dort ein Jahr lang unentdeckt gelegen hatten.

Jetzt, mit dem Knochenfund im Brunnen, wurde natürlich ein größeres Polizeiaufgebot ins Hotel Marbella geholt. Und dieses größere Polizeiaufgebot fand zwar tatsächlich den geheimen Kunstraum nicht, aber in dem zuvor schon entdeckten Tunnel einen Operationssaal, in dem offenbar Gesichtsoperationen durchgeführt worden waren. Und tatsächlich konnte Rafael Solano sagen, dass es im Hotel im Laufe der Zeit etliche Gäste gegeben hatte, die sich von Gesichtsoperationen erholten. Dass die entsprechenden Operationen allerdings direkt in seinem Haus stattgefunden hatten, davon hatte der junge Mann keine Ahnung gehabt, genausowenig wie davon, dass seine Stiefmutter hinter dem berüchtigten Gangster 'Sin Rostro' steckte. Mit diesen Erkenntnissen wurde auch der Rest des Hotels gründlich durchsucht, und dabei kamen dann auch Rafael Solanos Briefe zum Vorschein.

Der Tote im Brunnen und die Durchsuchung des Hotels waren allerdings schlechte Publicity. Während wir noch dort waren, sahen wir, wie zahlreiche Gäste abreisten. Totilas allerdings beschloss, dem Marbella mit den Raiths die Treue zu halten, wofür Rafael sicherlich nicht ganz undankbar war.

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Später. Ich habe eben mit Yolanda telefoniert. Sie ist gerade nicht in Miami, sondern für ein paar Tage in Vermont zum Skifahren. Sie meinte irgendwas von 'wir', korrigierte sich dann hastig auf 'ich'; ich habe sie aber nicht näher darauf angesprochen, wer dieses so verlegen vertuschte 'wir' genau sein sollte. Erstens wäre das unhöflich und zweitens habe ich so eine Ahnung.
Jedenfalls erzählte ich ihr von Totilas' Problem (ohne seinen Namen zu nennen, versteht sich) und fragte sie, was ihr dazu an Lösungen einfalle. Der Betroffene könne denjenigen, dem gegenüber er wortbrüchig geworden sei, um Vergebung bitten. Wenn derjenige die Tat vergebe, dann verschwinde die Aura des Eidbruchs. Es wäre gut, wenn man das Versprechen hinterher noch erfüllen könnte, aber das ist ja in diesem Fall nicht mehr möglich. Dann bliebe dem Eidbrecher wohl nichts anderes übrig, als zu Kreuze zu kriechen und Dreck zu fressen. Wie schön. Das wird Totilas sicher freuen. Aber immerhin gibt es eine Möglichkeit, dass die Aura verschwindet – falls Tanit ihm den Eidbruch vergibt, versteht sich.

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Noch später. Gleich ins Bett, aber erst will ich das hier noch aufschreiben. Wir haben uns bei Edward getroffen, wo Roberto und er zum einen die Runenpistole untersucht und zum anderen das Ritual durchgeführt haben, mit dem wir herausfinden wollten, ob jemand aktiv das Biest ruft, und wenn ja, von wo aus.

In Sachen Pistole gab es zumindest teilweise Grund zum Aufatmen: Die Dinger sind anscheinend von sich aus keine mächtigen arkanen Gegenstände von permanenter magischer Kraft, sondern sie müssen regelmäßig damit aufgeladen werden. Gerade ließ die Magie darauf schon wieder nach, es war also zu erwarten, dass sie nach einem oder zwei Sonnenaufgängen völlig verschwunden sein würde. Aber wenn man wollte, sagte Edward, könnte man sie wohl relativ leicht wieder aufladen. Nicht, dass wir das wollen würden – so ekelhaft, wie die Waffen selbst, aber vor allem die Wunden, die von ihren Kugeln gerissen worden waren, sich anfühlten, war das Aufladen wohl über Blutmagie passiert. Nichts, das wir wiederholen wollten, mit anderen Worten. Jetzt, wo Edward die Waffe etwas genauer untersuchte, stellte er auch fest, dass ihre „Falschheit“ sich nicht direkt nach Outsider-Einfluss anfühlte, sondern eher nach einem gewöhnlichen Dämon. „Gewöhnlicher“ Dämon, wie sich das anhört. Aber ihr wisst schon, was ich meine, Römer und Patrioten. Aber jedenfalls können die Waffen wohl nur diese eine Sache, was zwar nicht gut, aber doch zumindest ein klein bisschen beruhigend ist.

Über Monica – also die Clubtänzerin Monica, nicht Lidias Tochter – unterhielten wir uns auch, wo wir ohnehin gerade von Diego, seinem Ritual und den Runenwaffen redeten. Ob und wie wir ihr helfen könnten. Aber das wird schwierig, befürchtete Alex: Es wäre zwar möglich, ihre erzwungene Verbindung zu Adlene zu lösen, aber dann auch ihren Geist wieder richtig in ihren Körper zu bringen... eher nicht. Vielleicht wäre es tatsächlich besser für sie, erklärte Totilas, wenn sie sterben könnte und Alex ihren Geist weiterschicken würde. Grrrr. Das war so überhaupt nicht das, was ich hören wollte. Und aktiv unternehmen sollten wir in dieser Hinsicht sicherlich nichts, cólera noch eins.

Aber das Thema ließen wir dann ohnehin fallen, weil es endlich Zeit war für die Suche nach der Herkunft des Rufs nach dem Biest. Bei dem Ritual stellte sich heraus, dass es über die ganze Stadt verteilt viele kleine Rufe gibt, und einer davon ist tatsächlich Edward selbst. Das sind wohl alle Lykanthropen von Miami, die gerade einfach durch das, was sie sind, die Bestie anlocken. Aus dem Gefängnis kommt hingegen kein Ton, aber das sind ja auch Kojanthropen, keine Lykanthropen. Ein stärkeres Signal kommt aus dem Vorort, wo, wie wir wissen, James Vanguard und seine Leute wohnen. Von dort war der Ruf stärker als die Summe der Rufe des gesamten Vanguard-Rudels. Also entweder gibt es dafür einen anderen Grund, oder von dort aus ruft jemand ganz absichtlich das Biest.

Es war zwar schon Abend, aber Edward rief trotzdem bei Vanguard an. Dass er mit dem anderen Lykanthropen sprechen müsse, und wie der es bevorzuge: bei einem Treffen oder am Telefon? Das hänge davon ab, als wer Edward mit ihm sprechen wolle, konterte der Security-Mann. Nicht als Polizist, antwortete Edward, es gehe um die ganze Situation mit dem Supermond. Daraufhin befand Vanguard, wir sollten lieber von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, und die beiden verabredeten ein Treffen für morgen.

Aber morgen, wie gesagt, nicht mehr heute, denn der Tag heute war nun wirklich lang genug. Eine Begegnung mit einem supermondnervösen Lykanthropen müssen wir uns heute wirklich nicht mehr geben, da waren wir uns alle einig.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 13.07.2017 | 20:14
30. Oktober

Sehr seltsam. Als wir uns heute vormittag bei Edward wiedertrafen, fand der plötzlich einen Teller mit einem Stück Kuchen in seiner Küche. Niemand wusste, wo der Kuchen auf einmal herkam, Edward am Allerwenigsten. Von uns war es niemand, und eigentlich hat Edward immer ziemlich starke Wards um sein Haus, da hätte eigentlich nichts und niemand durch gekonnt, zumindest nicht, ohne Spuren zu hinterlassen. Er befragte sogar Schneeball, aber der kleine Hund hatte auch nichts gesehen. Erst war da nichts, dann stand der Kuchen da. Auf einem Teller, der aussah wie einer aus Edwards Küchenschrank, übrigens. Natürlich überlegten wir, was es damit auf sich haben könnte. War der das Stück Torte vielleicht vergiftet? Auf irgendeine Weise Teil einer Falle? Oder hatten es die Heinzemännchen aus Dank für Edwards Hilfe in sein Haus gezaubert? Na, das wohl kaum, das hätten sie ihm auch gestern persönlich übergeben können. Vergiftet schon eher. Edward war jedenfalls überaus misstrauisch, wie wir alle, und wollte das Gebäck analysieren.

Aber als er sich gerade daran machen wollte, klingelte Robertos Telefon. Es war Cicerón Linares, der sagte, er wolle sich mit uns treffen. So schnell wie möglich, weil dringend. Also stellte Edward den Teller samt Torte erst einmal in den Kühlschrank und zog einen Ward darum. Ergebnis: Kuchen gesichert, Kühlschrank kaputt. Aber dass das passieren könnte, war Edward schon vorher klar gewesen und ein kalkuliertes Risiko.

Bei dem Treffen mit Linares waren ein paar seiner Santo Shango anwesend, dazu Oswaldo, einer der drei Orunmila-Ältesten von der Sache mit den Orisha-Masken damals.
“Wie ihr wisst, ist übermorgen der Día de los Muertos” fing Linares nach der kurzen Begrüßung ohne weitere Umschweife an, “da gehen ja die Tore wieder auf.” Ja, ach. Wirklich jetzt?
Und weil das Biest sich ja auch in der Nähe der Grenzen herumtreibe, hätten sie Angst, dass es diese Öffnung der Tore nutzen und herauskommen könne, fuhr der Gangboss fort. Jemand sollte sich darum kümmern, aber die Orunmila seien in den Sümpfen beschäftigt und könnten niemanden entbehren, und die Santo Shango müssten ja ihr Ding am Coral Castle abziehen und seien deswegen ebenfalls nicht abkömmlich. Vanguard und seine Leute hätten auch anderes zu tun, das habe Vanguard jedenfalls behauptet. “Ja”, fiel Oswaldo an dieser Stelle ein, “die haben irgendetwas vor.” Sieh an. Gut zu wissen, dass die Santerios das glauben: Die haben ja meist einen ganz guten Riecher in der Hinsicht. Jedenfalls habe Linares gehofft, dass wir das machen könnten.

Als Cicerón mit seiner Aufzählung fertig war, konnte ich mir einen längeren, beißend sarkastischen Kommentar in bezug auf das Abstellgleis im Park letztes Jahr nicht verkneifen. Edward übersetzte das in Klartext (“Er will damit sagen, ihm gefällt nicht, wie du uns letztes Jahr verarscht hast” - als ob es das wirklich gebraucht hätte), und Roberto setzte noch hinzu: “Das war ein klares Zeichen von mangelndem Respekt.”
“Zugegeben, letztes Jahr wollte ich euch loswerden”, sagte Linares kühl. “Aber jetzt habe ich euch kontaktiert, weil ihr Erfahrung habt.” “Okay”, machte ich in bewusst neutralem Ton. “Wenn ich andere gehabt hätte, an die ich mich hätte wenden können, dann wäre ich anderswo hingegangen.” “Okay”, machte ich wieder, in demselben neutralen Ton. Wenigstens versuchte der Bandenchef nicht, sich herauszureden oder uns schönzutun.

Wir erklärten uns also bereit, uns während des Día de los Muertos um das Biest zu kümmern, dann fuhren wir weiter zu dem verabredeten Treffen mit Vanguard. Wie meistens ließen wir Edward machen, einfach damit der Vanguard gegenüber nicht als schwach rüberkam. Edward warnte den Security-Mann, dass von seiner Firmenzentrale ein Ruf ausgeht, der das Biest anlockt. Ob das jemand sei, von dem Vanguard wisse?
Bei der Bemerkung machte der andere Lykanthrop eine sehr sorgfältig neutrale Miene; das war schon so sehr Pokerface, dass sein Gesicht völlig eingefroren aussah. Da wollte sich jemand sehr deutlich nicht in die Karten schauen lassen.
Nachdenklich warf Alex ein, dass mit dem Ruf auch ein Marker gesetzt werde, was auch eine Zielscheibe auf Vanguards Rudel bedeuten könnte. Diese Überlegung schien Vanguard zu überraschen, denn er murmelte etwas von wegen 'Mist, das habe ich nicht bedacht'. Dann erklärte er, er werde sich darum kümmern, dass, wer auch immer dafür verantwortlich sei, damit aufhöre. Aber das stimmte nicht. Ich weiß nicht genau, woran ich das festmachte, aber er hätte auch mit einer Fahne wedeln können, auf der 'Ich lüge!' stand, so deutlich wurde es, dass er nicht die geringste Absicht hat, irgendwas auch nur im Geringsten aufzuhalten.

Von Vanguards HQ aus fuhren wir zurück zu Edward, wo Roberto das geheimnisvolle Stück Kuchen untersuchen wollte. Aber noch unterwegs bekam Edward einen Anruf: Internal Affairs wolle ihn sprechen. Also setzte der uns doch erst ab und fuhr dann zu seinem Termin, und wir trafen uns erst später wieder.
Das Verhör Die Vernehmung Befragung drehte sich vor allem um den Vorfall an der Kreuzung vor drei Tagen. Zu dem Thema führte Edward aus, dass er nur einen einzigen Schlag gegen den gewalttätigen Flüchtenden geführt habe und niemand damit habe rechnen können, dass er von diesem einen Schlag sterben würde. Der Mann müsse wohl eine Herzschwäche gehabt haben oder etwas in der Art. Damit gaben die Internal Affairs-Leute sich erst einmal zufrieden, brachten das Gespräch dann aber auch auf Edwards bekannte Beziehung zu Totilas. Zu diesem Teil der Befragung ließ Edward sich gar nicht groß aus – es geht uns ja auch tatsächlich nicht direkt etwas an –, aber er warf unserem White Court-Kumpel einen Blick zu, der schon irgendwie erahnen ließ, in welche Richtung das Gespräch gelaufen war. Zumindest habe ich in meinem Kopf eine Szene aus einem Kriminalroman, in der ein etwas in Verruf geratener Detective sich von Internal Affairs unangenehme Fragen zu seinen Loyalitäten anhören muss und dazu, auf welcher Seite er eigentlich stehe.

Und natürlich kamen wir auch wieder auf die Biester zu sprechen. Vanguard und seine Leute rufen den Wolf, aber es gibt ja auch Kojanthropen. Ruft von denen vielleicht jemand Coyote, und es treiben sich gleich zwei Zornkreaturen an den Grenzen des Nevernever herum?
Alex schlug vor, man könne doch vielleicht Lord Frost auf die Biester ansetzen. Das hielt aber keiner von uns anderen für eine so richtig gute Idee. Bei mir persönlich spielte wieder mal ganz klar die Tatsache mit hinein, dass Lord Frost für Winter steht, aber dem Rest war auch nicht so wohl bei dem Gedanken. Und außerdem ist Lord Frost eine Fee und hat mit Zorngeistern wohl eher wenig zu tun.

Aber wir beschlossen, Michael Fable auf den Zahn zu fühlen. Immerhin war er damals nicht ganz unwesentlich für die Kojanthropensache. Der gute Doktor hat seine Praxis auch immer noch am selben Ort und war zwar nicht sonderlich glücklich über unser Erscheinen, aber immerhin sofort bereit, mit uns zu reden.
Von der Sache damals habe er gar nicht so viel gewusst, beteuerte er, also über die Tatsache hinaus, dass er die neugeschaffenen Kojanthropen psychologisch betreute. Catalina Valdez sei diejenige gewesen, die das Ritual geplant habe. Aber Fable wusste ein bisschen was über die Biester selbst: Nicht nur Wolf und Kojote, sondern alle Raubtiere hätten einen entsprechenden Zorngeist im Nevernever. Es heiße, dass diese (alle oder einige, so ganz klang das nicht heraus) Zorngeister vor vielen Jahrhunderten schon einmal die Grenzen zu dieser Welt durchbrochen und dann hier mit einer großen Zahl an menschlichen Frauen Kinder gezeugt hätten. (Über die Art und Weise und die Brutalität dieser Verbindungen denke ich lieber nicht zu viel nach.) Diese direkten Nachkommen der Zorngeister pflanzten sich natürlich ebenfalls fort, und über die Zeit verwässerte das Blut des Biests immer mehr, bis nur noch ein genetischer Marker in den fernen Nachkommen davon zeugt. Der Kojotengeist sei dabei vor allem unter den Tainó in Erscheinung getreten, weswegen Kubaner anscheinend besonders häufig den Kojotenmarker aufweisen. Ob Alejandra und ich den Marker haben, müsste eine Blutanalyse nachweisen können. Fable wäre sogar bereit, die Analyse durchzuführen – oder Edward findet es auf magische Weise heraus. Das geht auch.

Auf dem Rückweg von Fable fiel Edward ein, dass die von Catalina Valdez damals beschlagnahmten Gegenstände ja noch in der Asservatenkammer liegen müssten, darunter auch das Buch, aus dem sie ihr Ritual gewirkt hat. Vielleicht finden sich darin noch zusätzliche Informationen über das Biest. Außerdem machten wir einen kleinen Schlenker zu mir nach Hause, damit ich Alejandra in den Finger pieksen und ihr ein klein bisschen Blut abnehmen konnte – mehr als zwei, drei Tropfen würde er nicht brauchen für seine Untersuchung, sagte Edward.

Wieder bei Edward wollte Roberto sich endlich das Stück Torte anschauen, das wir am Morgen gefunden hatten. Oder zumindest war das der Plan: Roberto wollte sich den Kuchen vornehmen, während Edward vorhatte, sich unser Blut anzusehen. Der Kuchen war allerdings nicht mehr da, als Roberto ihn aus dem defekten Kühlschrank holen wollte. Einfach weg. Der Schutzzauber, den Edward um den Kühlschrank gezogen hatte, war aber völlig unberührt, und der Teller sah so sauber und frisch gespült aus, als habe nie ein Stück Torte auf ihm gelegen. Den Teller untersuchte Roberto magisch, aber nicht mal darüber gab es irgendeinen Hinweis darauf, dass die Torte jemals existiert hatte. Es muy misterioso.

Wir mussten also erst einmal ausgiebig über dieses Rätsel diskutieren, dann noch ein bisschen über die Biester, während Edward mit Jandras und meinem Blut herumfuhrwerkte, blöde Witze über irgendwelche schwarze Magie inklusive. Vergiss es, Edward, dir sind die Gesetze der Magie genauso ernst wie mir, und wenn ich meinem besten Freund nicht ein paar Tropfen Blut anvertrauen kann, wem dann? Das Ende vom Lied: Wir haben den Marker, alle beide. Seufz.

Und weil das mit der Blutanalyse tatsächlich richtig einfach gewesen und schnell gegangen war, machten Edward und Roberto auch noch ein Ritual, um herauszufinden, ob Kojote oder Wolf gerade in der Nähe sind oder vielleicht sogar beide. Kojote ist tatsächlich ganz nach, auch jetzt schon, während Wolf weit weg ist. Der wird wohl nicht schon übermorgen zum Día de los Muertos, sondern vermutlich erst zum Supermond wirklich zur Grenze kommen. Wir werden uns also morgen nacht bzw. übermorgen bei Tag hoffentlich nur mit Kojote herumschlagen müssen, was wenigstens ein kleiner Trost ist. Kojoten sind zwar auch Raubtiere, aber Wolf wäre vielleicht doch nochmal eine andere Hausnummer. Wir schmiedeten und verwarfen diverse Pläne, was wir mit dem Zorngeist anstellen könnten, wenn er morgen um Mitternacht aus dem Nevernever kommt. Ob wir ihn im Nevernever bekämpfen könnten, ihm eine Falle stellen, nichts davon gefiel uns. Am Ende einigten wir uns darauf, ihn mit fließendem Wasser zu umgeben, sprich auf eine Insel zu locken. Und nach etwas Nachdenken wusste Alex auch genau die perfekte Insel zu dem Zweck. Gut. Dann muss das ja nur noch klappen.

Oh, und so viele Rituale direkt hintereinander blieben Roberto aber doch nicht in den Kleidern stecken. Der Arme hat sich völlig ausgepowert und klagte über Kopfschmerzen, eine Matschbirne und völligen Tunnelblick.

Das war dann ungefähr auch der Zeitpunkt, zu dem uns einfiel, dass morgen ja tatsächlich nicht nur um Mitternacht der Día de los Muertos beginnt, sondern vorher auch noch Halloween ist. Das hatten wir in den letzten Tagen vor lauter Supermond und Ausnahmezustand beinahe völlig vergessen. Und dabei muss die Raith'sche Halloweenparty dieses Jahr etwas ganz Besonderes werden, weil es Totilas' erste in seiner Funktion als Oberhaupt von Haus Raith in Miami ist. Adalind ist schon seit Wochen mit den Vorbereitungen beschäftigt. Das Thema soll Science Fiction sein, der Ort eine zu einem UFO ausstaffierte Plattform vor dem Hotel Marbella. Ein Kostüm habe ich auch schon (wäre auch ziemlich schlecht sonst, so einen Tag vor der Veranstaltung), und zwar nicht nur für mich, sondern auch für Jade. Ich habe vor, als Klingone aus Star Trek zu gehen, und Jade wird als Bat'leth kaschiert.

So, jetzt sollte ich aber schlafen gehen – morgen wird ein langer, langer Tag. Oder wahrscheinlich sogar zwei lange Tage. Ich hoffe morgen noch auf eine Chance für einen kleinen Mittagsschlaf, aber darauf wetten, dass ich diese Chance bekomme, würde ich nicht.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 23.07.2017 | 12:11
31. Oktober

Edward hat gerade angerufen. Wir wollten uns sowieso heute vormittag bei ihm treffen, aber es ist irgendwas los. Die „Kacke sei am Dampfen“. Irgendein Ärger in einer Mall. Wir treffen uns dort.

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Der erste Hinweis auf den Ärger waren die Autos mit Chicagoer Kennzeichen, die ohne Rücksicht auf jegliche Markierungen quer auf den Behindertenparkplätze direkt vor dem Eingang zur Mall standen. Beinahe wären die Kennzeichen gar nicht aufgefallen, aber dann stutzte ich: Edward kommt doch ursprünglich aus Chicago. Sollte das etwa Mr. Parsen Senior sein, der nach Cassius suchte?
Von Edward selbst war nichts zu sehen, aber von drinnen kamen Geräusche, und das waren keine sehr guten Geräusche. Eher so wie ein wütender Bienenstock. Das war dann auch gleich der nächste Hinweis auf den Ärger.

Der wütende Bienenstock entpuppte sich als Lynchmob, den zahlreiche aufgebrachte Bürger direkt hinter dem Eingang gerade bildeten. Jetzt sahen wir auch Edward: Er prügelte sich gerade gleichzeitig mit zwei Afroamerikanern: einer Frau mittleren Alters und einem jungen Mann, die so, wie sie kämpften, auch Lykanthropen sein mussten. Und gegen die beiden hatte unser Polizistenfreund einen ganz schön schweren Stand. Einen zu schweren, wie es schien.
Roberto und ich versuchten erst einmal, die aufgebrachte Menge zu beruhigen, während Alex zum nächstgelegenen Feuerwehrschlauch rannte. Totilas schnappte sich den jungen Mann und wandte seine White Court-Tricks auf ihn an, und kurz darauf waren die beiden in einer heißen Knutscherei versunken, die den Lykanthropen nicht nur ablenkte, sondern ihm auch Kraft entzog und ihn erschreckend schnell aus dem Spiel nahm.

Die Leute hörten einigermaßen auf Roberto und mich, aber vor allem auf Roberto, also ließ ich ihn machen und ließ lieber meinen patentierten Sonnenlichtzauber auf Edward und die Frau los. Ja, das blendete beide, aber dass es auch Edward traf, war mir in dieser Sekunde lieber, als dass die fremde Lykanthropin meinen Freund totschlug. Als nächstes beschwor ich die friedlich-träge Stimmung eines heißen Sommernachmittags über den ganzen Raum, um alle Anwesenden ein bisschen zu beruhigen.

Es half nur leider alles nichts. Oder zumindest nicht ganz. Bei der aufgebrachten Menge schon, die sich daraufhin langsam wieder zu zerstreuen begann, aber die Lykanthropin war derart in Rage, dass nichts sie aus der Fassung bringen konnte, und in dieser Rage verletzte sie Edward schwer – was bei Edward etwas heißen will. Mit zwei schnellen Schlägen und Tritten in Folge brach sie ihm erst das Schlüsselbein und schlug ihn dann bewusstlos. Wir alle machten schon Anstalten, uns dazwischenzuwerfen, weil die Frau so aussah, als wolle sie Edward jetzt zerreißen, wo er am Boden lag, aber in dem Moment erschienen von weiter hinten aus der Mall zwei Männer. Einer der beiden, sichtlich der Anführer, war ein Afroamerikaner etwa im selben Alter wie die Frau, und als er sah, wer da vor der Lykanthropin am Boden lag, rief er ihr ein scharfes „Alison! Nicht!“ zu, das sie augenblicklich innehalten ließ. „Wir müssen weg hier! Hilf mir mit Wash!“ kommandierte der Mann – Edwards Vater – und hievte den von Totilas bewusstlos geküssten Jungen hoch.

Edward wollten sie auch mitnehmen, aber das ließen wir wiederum nicht zu. „Das ist mein Sohn!“ wollte der Vater protestieren (als ob wir das nicht schon geahnt hätten, aber das konnte Parsen Senior nicht wissen), aber wir hielten ihm ein „Wir kümmern uns um ihn!“ entgegen, und der Lykanthrop ließ es nicht darauf ankommen, sondern zog mit seinen Leuten ab.

Natürlich wurde Edward ins Krankenhaus gebracht (irgendjemand hatte bereits vor unserer Ankunft die Polizei und den Rettungsdienst angefordert), aber schon im Krankenwagen kam Edward wieder zu sich und entließ sich hinterher sehr schnell selbst. Immerhin heilt er schnell, und es gibt heute noch Dinge zu tun.

Ich habe allerdings eben noch bei Lidia angerufen, um zu hören, wie es ihr mit Monica geht, jetzt wo der Supermond immer näher kommt. Die Kleine ist gerade tatsächlich etwas schwieriger als sonst, gerade die Kontrolle ihrer Magie fällt ihr derzeit sichtlich schwerer. Heute abend wird sie - also Lidia - wie abgesprochen auf Alejandra aufpassen und mit den beiden Mädchen später zum Trick or Treat-Klingeln um die Häuser ziehen. Sie klang ein bisschen enttäuscht bei dem Telefonat. Ich bin mir ziemlich sicher, das war, weil ich sie nicht auf die Party eingeladen habe, aber da können wir ja nicht lange bleiben. Keiner von uns geht mit irgendeinem Date. Nur kurz Präsenz zeigen, dann müssen wir weiter.

Aber bevor wir uns nachher für die Party wieder treffen, gönnen wir uns erst noch ein bisschen Ruhe. (Ja, anders als gestern befürchtet, habe ich die Chance tatsächlich bekommen). Gute Nacht und all das.

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So. Klingonen-Kostüm: angelegt. Jade: mit Bath'let-Illusionszauber versehen. Richtige Kleidung: in Tasche. Alejandra: sehr niedlich als WyldStyle aus dem Lego Movie (Eigentlich wäre es ja nicht schlimm gewesen, aber ich war doch ziemlich dankbar, dass sie weder Anna noch Elsa aus Frozen sein wollte.) Die werde ich jetzt gleich bei Lidia abliefern, dann geht es auf die Party … und danach geht der eigentliche Spaß los. Wünscht uns Glück, Römer und Patrioten.

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02. November

Haha. Sagte ich etwas von 'keiner von uns geht mit irgendeinem Date'? Ich wiederhole mich, aber: haha. Bei den anderen Jungs stimmte das, aber Roberto schlug natürlich gemeinsam mit Dee beim UFO auf. Und zwar beide als Frank N. Furter aus der Rocky Horror Show. Alex, immer für jeden blöden Scherz zu haben, begleitete sie als Riff Raff. Ich war ziemlich froh, dass Totilas einen ganz unspektakulären Star Fleet Captain abgab und Edward einen Stormtrooper. Das war für ihn die einfachste Methode, verkleidet auf der Party zu erscheinen und darunter ohne große Schmink- und Umziehaktionen schon auf den späteren Einsatz vorbereitet zu sein.

Die Party war durchaus ein Erfolg: Totilas konnte zufrieden sein mit der ersten Halloweenfeier unter seiner Ägide. Aber wie schon gesagt, machten wir uns gegen 22:30 Uhr schon wieder aus dem Staub, weil wir ja noch zu dieser Insel hinausfahren mussten, die Alex für uns gefunden hatte.

Der Plan war folgender: Edward wollte das Ritual durchführen, um auf der Insel den Geist von Kojote in Alex zu locken, statt dass er unkontrolliert anderswo Unheil anrichten würde. zu diesem Zweck hatte Roberto die Kräuter beigesteuert, Alex die Schwachstelle in der Grenze zum Nevernever ausgelotet, durch die Edward das Biest herbeilocken würde, Totilas all sein Wissen über Kojoten beigesteuert, und ich hatte aus all den Zorngeistlegenden eine kleine zusammenhängende Geschichte geschrieben, die Edward beim Ritual vorlesen wollte.
Wir setzten Edward und Alex auf der Insel ab, und Edward wollte ins Wasser springen, sobald er das Ritual beendet hatte und der Kojotengeist durchkam und Alex besetzte.

Soviel zum Plan. Er klappte auch fast. Edward zog das Ritual anstandslos durch, und der Kojotengeist kam genau durch die Sollbruchstelle, die Alex im Nevernever vorbereitet hatte, aber Edward hatte nicht bedacht, dass er am Ende sein arkanes Buch noch in eine wasserdichte Tüte packen musste, damit es im Meer keinen Schaden nehmen würde, und das kostete ihn wertvolle Zeit. Zeit, die Kojote-Alex genügte, um Edward zu packen und ihn von der Klippe zu werfen, aber zum Glück gelang es Totilas, ihn aufzufangen.
Mit Edward im Boot machten wir uns schleunigst außer Reichweite, damit Kojote-Alex nicht etwa noch zu uns herübersprang. Und dann beobachteten wir. Alex tobte die ganze Nacht lang pausenlos, und dann den ganzen Tag über immer weiter, bis er um Punkt Mitternacht völlig erledigt zusammenbrach. Als wir ihn aufsammeln gingen, nahm Robertos Gesicht für einen kurzen Moment erst einen abwesenden, dann einen ziemlich entsetzten Ausdruck an, als er Totilas ansah, und er blickte sehr, sehr schnell zu mir hinüber. Ich habe keine Ahnung, was er da gesehen hat, er wollte nicht darüber reden, aber ich vermute mal, es wird das Zweite Gesicht gewesen sein, was er da hochfuhr.

Jedenfalls sammelten wir den bewusstlosen Alex ein und brachten ihn nach Hause. – Einen Arzt wird er hoffentlich nicht brauchen, nur richtig viel Ruhe. Wir anderen sind zwar nicht über irgendwelche Inseln getobt, aber wir waren immerhin auch über 30 Stunden lang wach. Schlafen jetzt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.07.2017 | 19:19
09. November

Das war eine seltsame Woche. Eigentlich relativ ruhig, aber es sind doch immer mal hier Vorfälle und dort Vorfälle aufgeflammt. Glücklicherweise gingen alle Konfrontationen relativ glimpflich ab, keine ausgeflippten Hulks mehr, aber trotzdem. Die Stimmung in der Stadt wird zunehmend nervös.

Alex ist immer noch dabei, sich auszukurieren. Den haben die Anstrengungen an Halloween doch ziemlich fertig gemacht, also lässt er es langsam angehen.

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11. November

Mierda. ¡Mierda y cólera!
Wir hätten es echt wissen müssen, dass Lady Fire was plant, verdammt!

Jetzt sitze ich gerade hier und warte, dass sie Edward entlassen, und damit ich keine Furchen in den Krankenhausboden laufe, schreibe ich lieber auf, was passiert ist.

Also. Als wir uns heute bei Edward trafen, hatte der Besuch. Eigentlich sogar mehr als Besuch: Cassius nämlich, der bei Vanguard abgehauen war, weil sein Vater plötzlich dort aufgetaucht sei und seinen Sohn wieder habe einsammeln wollen. Vanguard habe sich geweigert, weil Cassius jetzt zu seinem Rudel gehöre, aber Louis habe gemeint, das gehe gar nicht, man könne sein Rudel nicht einfach so wechseln, und dann sei es hin und her gegangen, und dann sei Cassius abgehauen. Jetzt wollte er gerne bei Edward bleiben und zu dessen Rudel gehören. Als wir ankamen, waren die beiden offenbar gerade in ein längeres Gespräch darüber vertieft gewesen, was es heißt, als Lykanthrop ein Rudel zu haben beziehungsweise eben nicht, und das Gespräch ging noch ein bisschen weiter, als wir da waren, auch wenn wir nicht so richtig viel dazu beitragen konnten – außer vielleicht zu bestätigen, dass wir irgendwie Edwards Rudel darstellen, wenn das das richtige Wort ist.

Wir waren noch gar nicht so lange dort, da fuhren zur exakt selben Zeit von zwei Seiten einige Autos vor: Vanguard und sein Rudel von links und Louis Parsen und sein Rudel von rechts. Natürlich waren beide Gruppen auf der Suche nach Cassius. Sie trafen sich vor dem Haus, und auch Edward ging hinaus, wo er von seinem Vater angeherrscht wurde, er solle aus dem Weg gehen. Ich bin mir nicht sicher, aber aus seiner Wortwahl hatte ich fast den Eindruck, er wusste gar nicht, dass sein Sohn ebenfalls ein Lykanthrop ist. Edward hatte sich auch tatsächlich extrem gut unter Kontrolle, muss ich sagen, was Louis Parsen ihm allerdings sichtlich als Schwäche auslegte. „Geh einfach aus dem Weg und rück den Jungen raus!“ Das zu tun, weigerte Edward sich allerdings auch. „Hol ihn doch“, sagte er kühl, und machte Anstalten ins Haus zurückzugehen, während er sich seinen magischen Handschuh überzog, der seine Faustschläge verstärkt. Als Edward ihm den Rücken zugedreht hatte, warf Parsen Senior sich auf seinen Sohn, aber dem ersten Angriff konnte Edward ausweichen, bevor er selbst mit seinem Handschuh zuschlug und Louis damit völlig überraschte. Der Schlag traf Parsen Senior schwer, beinahe tödlich, aber ab dem Moment war es das mit der Überraschung. Während die beiden sich weiter prügelten, hielten wir anderen uns aus der Sache heraus – das war zu eindeutig ein Zweikampf. Aber wir machten uns bereit, einzugreifen, falls Rudelmitglieder von einer der beiden Seiten den Zweikampf stören wollen sollten. Ich bin nicht sicher, was Roberto und Totilas genau vorhatten, aber ich hörte ein: „Lasst euch nicht von dem Vampir anfassen!“ Ich selbst jedenfalls stand innen am offenen Fenster und  hielt einen Zauber bereit, aber zumindest auf Vanguard und seine Leute musste ich ihn nicht anwenden, denn die traten allesamt den Rückzug an, als die Prügelei zwischen Edward und seinem Vater begann. Parsens Rudel sah so aus, als würden sie sich nur mit Mühe zurückhalten, aber auch sie beherrschten sich.

Jetzt, wo Edward das Überraschungsmoment verloren hatte, wurde nur allzu deutlich, dass er trotz allem seinen Vater nicht wirklich lebensgefährlich verletzen wollte. Am Ende war es Edward, der zu Boden ging, gab aber nicht auf, auch wenn Parsen Senior ihn anschrie, er solle sich unterwerfen. Für einen Moment sah es so aus, als wolle Louis seinen Sohn zerreißen, so wie er über ihm stand, und ich war schon drauf und dran, meinen bereitgehaltenen Zauber auf ihn zu werfen. Aber mit einem wütenden Knurren riss Parsen Senior sich zusammen und knurrte statt dessen mich an. „Rück den Jungen raus.“
„Der ist schon weg“, antwortete ich, denn tatsächlich war Cassius durch die Hintertür abgehauen, als es vorne brenzlig wurde.
Wütend trat Louis die Tür ein und kam ins Haus gestürmt. Das war der Moment, in dem ich mich durch das Fenster nach draußen verschwand, denn mit Louis Parsen musste ich mich nicht unbedingt im selben Raum befinden. Von draußen konnte ich sehen, wie Louis und sein Rudel an der Hintertür Cassius' Geruch aufnahmen und abzogen.

Wir brachten Edward ins Krankenhaus, wo sie ihn erst einmal dabehielten, weil er eine üble Gehirnerschütterung hatte und ansonsten auch relativ mitgenommen aussah. Sein Handy hatte ich währenddessen an mich genommen, damit es im Krankenhaus nicht abhanden kam, und irgendwann, als wir gerade bei mir zuhause zusammen saßen und überlegten, ob es irgendwas gäbe, was wir wegen dieses blöden Supermondes im Moment noch tun konnten, klingelte es, also ging ich dran. Marie Parsen war am Apparat, und sie klang schwer besorgt. Mit der Insel der Jugend stimme etwas nicht, sagte sie. Lady Fire sei auf der Insel aufgetaucht, zusammen mit James Vanguard, Colin und einigen Sidhe, dazu einige Feuerwesen. Die Lady habe Sergeant Book festgesetzt und irgendetwas mit ihm gemacht, woraufhin er jetzt gelähmt dastehe und brenne, und sie hätte vor, beim Supermond dort irgendein Ritual durchzuführen.

Mierda.

Wir verabredeten uns im Behind the Cover, dann fuhren wir Edward bescheid geben, und jetzt ist Edward gerade dabei, sich selbst zu entlassen, Lykanthropen-Heilungskräften sei Dank. Was wie gesagt der Grund ist, warum ich mich gerade mit Schreiben ablenke. Aber jetzt müsste er langsam doch mal fertig sein. Wie lange kann so ein blöder Papierkram denn dauern?

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Marie Parsen wartete schon auf uns, als wir im Buchladen ankamen. Sie erzählte uns noch einmal genauer, was sie am Telefon nur angerissen hatte: Dass James Vanguard beim Supermond auf der Insel der Jugend wohl den Wolf rufen und dessen Kraft in sich aufnehmen will. Das Ritual ausgerechnet auf der Insel der Jugend abzuhalten, sei wohl Lady Fires Idee gewesen. Okay, Römer und Patrioten, woher zum Geier kennt Vanguard Lady Fire?!

Eines war klar: Was auch immer Lady Fire vorhat, sie wird es tun wollen, um sich an uns zu rächen. An mir. An ganz Miami. Ich gebe zu, ich reagierte nicht gerade gelassen auf diese Enthüllung, sondern fuhr ein bisschen aus der Haut, um es mal ganz offen zu sagen.
„Na jetzt nimm ihn schon in den Arm“, stubste Mrs. Parsen daraufhin ihren Sohn an, was bei Edward ein verständnisloses „Hä? Was? Warum?“ auslöste. „Seid ihr etwa nicht zusammen?“ soufflierte seine Mutter, woraufhin sowohl er als auch ich wie aus einem Mund mit einem ziemlich gereizten „Nein!“ reagierten. „Ach so“, machte Marie, noch immer nicht überzeugt, „ich dachte, weil er dein Telefon hat und alles.“ Grrrrrr. „NEIN!!!“

Mit etwas Mühe riss ich mich zusammen, immerhin bringt es niemandem was, wenn ich ganz ohne äußere Einwirkung dieses blöde Kojanthropen-Gen aktiviere, nur weil ich hier einen auf Dr. Bruce Banner mache. Und so richtig zielführend war das Geschimpfe auch nicht, selbst wenn es irgendwie gut tat. Nachdem ich ein paarmal durchgeatmet hatte, warf ich in den Raum, dass die Kombination aus Lady Fire und Vanguards Leuten zu viel für uns fünf sein dürfte. Aber wen könnten uns als Unterstützung dazuholen? Ximena vielleicht?

Wir waren gerade noch am Durchgehen unserer Verbündeten, da klingelte Edwards Handy schon wieder. Und diesmal konnte er selbst drangehen, weil ich es ihm natürlich wiedergegeben hatte, als er aus dem Krankenhaus kam. Nur damit hier keine falschen Vorstellungen aufkommen. Es war Henry Smith, der seinem Lieutenant mitteilte, dass es in den Everglades einen Gefängnisausbruch gegeben hätte, mit Feuer und Illusionen. Und, ja natürlich: Enrique und seine Leute seien ausgebrochen. Überraschung.

Habe ich gerade vorhin geschrieben, ich fuhr ein bisschen aus der Haut? Falsch. Jetzt fuhr ich ein bisschen aus der Haut. Das war doch garantiert Ximena, war mein erster Gedanke. Aber Totilas und Edward hatten noch einen viel beunruhigenderen: Was, wenn Lady Fire dahinter steckte, die Enrique entführt hatte, um Rache zu nehmen oder weil sie eine Geisel wollte? Oh, mierda. Mierda, mierda, ¡Mierda!

Mit noch etwas mehr Mühe als zuvor riss ich mich ein weiteres Mal zusammen. Spekulationen brachten uns nicht weiter, also rief ich kurzerhand bei Ximena an. Die war am Telefon zu keinerlei Aussage zu bewegen, nur dass sie natürlich nichts mit der Sache zu tun habe (natürlich!), aber gerade auch überhaupt nicht abkömmlich sei, wo sie gerade sei, und einen Kollegen zu uns schicken werde.

Grrrrrr. Ich fand das nicht lustig. Also so gar nicht. Denn aus Ximenas Tonfall war nur allzu deutlich zu entnehmen, dass sie eben doch ganz genau wusste, von was ich sprach.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Ximenas Kollege - dieser blonde isländische Slacker-Jüngling namens Bjarki irgendwas - im Buchladen auftauchte und uns im Vertrauen bestätigte: Ja, der Ausbruch ging tatsächlich auf seine und Ximenas Kappe. Carlos hatte seine Cousine darum gebeten. Sie hätten sich bemüht, die ganze Aktion so gewaltlos wie möglich über die Bühne zu bringen, nur mit Illusionen und ohne Verletzte. Jetzt halte Ximena sich mit den Flüchtigen an einem passenden Ort in den Glades versteckt - noch ohne Polizei auf den Fersen, nicht direkt jedenfalls. Aber vermutlich sei das nur eine Frage der Zeit, und auf Dauer sicher sei das Versteck nicht.

Verdammt. Aber wir hatten gerade zu viel um die Ohren, mit diesem Problem mussten Ximena und Bjarki erst einmal alleine klarkommen. Vielleicht könnten sie sich auf Linares’ Marijuana-Feldern verstecken, meinte Totilas. Die kann wegen ihres magischen Schutzes immerhin niemand finden. Wenn wir Linares darum bäten und ihm erklärten, dass ich meinem Bruder gerade nicht helfen könne, weil wir ja mit dem Biest beschäftigt seien, dann würde er den Flüchtigen ja vielleicht den Weg auf die Felder zeigen.

Und dann, wenn der Alarm ein bisschen abgeebbt war, könnten die Geflüchteten ja vielleicht nach Kuba weiter, schlug Roberto vor. Vielleicht, erwiderte Bjarki, aber Enrique wolle seine Tochter.
GRRRRRR. Falsche Antwort. Ganz falsche Antwort. Ich merkte gar nicht so richtig, wie ich mit den Zähnen knirschte und die Fäuste ballte, während mir immer groteskere Bilder von einem Kojanthropen-Enrique, der eine haltlos weinende ‘Jandra mit sich zerrte, vor den Augen herumtanzten. Es war Totilas, der mir die Hand auf den Arm legte und beruhigend auf mich einsprach. Das half. Ich atmete tief durch und tröstete mich wenigstens ein bisschen mit der guten Nachricht, dass Enrique immerhin nicht von Lady Fire als Geisel genommen worden war.

Also gut. Auch das brachte niemandem was, wenn ich jetzt hier herumtobte. Nach dem Supermond muss ich mit Enrique reden, aber erstmal müssen wir den Supermond einigermaßen unbeschadet hinter uns bringen.
Jetzt war erst einmal die Frage: Was machen wir wegen der Insel? Wie gehen wir gegen die kombinierten Kräfte aus Lady Fire, Vanguard und Lebenswasser-Colin vor? Wir überlegten eine Weile relativ fruchtlos hin und her, bis ich auf die Idee kam, dass ich am besten mal mit George reden sollte. Immerhin ist er der Vertreter des Wyld hier in der Gegend, und die Insel der Jugend gehört nun einmal zu Wyld.

Also versuchte ich kleines Nachmittagsschläfchen. Ja, mitten im Buchladen. Augen schließen, tief atmen, meditieren. Erledigt genug war ich nach den bisherigen Anstrengungen des Tages tatsächlich.

Der Traum setzte in einem Auto ein (meines? ein anderes? schwer zu sagen), mitten in einer rasanten Verfolgungsjagd. George saß am Steuer und lenkte das Gefährt hektisch durch den widerspenstigen Verkehr. Während wir fuhren, unterhielten wir uns. Ich fragte George, ob er die Auswirkungen des derzeitigen Mondes auch schon mitbekommen habe. Ja, sagte er, er fühle sich irgendwie aggressiv, und die Träume der Leute schmeckten alle so komisch.
Als George sagte, er fühle sich aggressiv, saßen wir plötzlich nicht mehr im Auto, sondern standen uns in einem Boxring gegenüber, und mein kleiner Wyldfae-Freund tänzelte mit schwingenden Fäusten um mich herum, griff mich aber nicht an. Ob er auch schon mitbekommen habe, was auf der Insel der Jugend los sei, wollte ich dann wissen. Da befanden wir uns mit einem Mal auf rauer See, aber nicht in einem Boot, sondern auf einer aufblasbaren Gummiinsel mit Palme. Ja, sagte George, und was da gerade geschehe, sei gar nicht gut. Zu viel Sommer da, gerade. Lady Fire und alles.

Von Lady Fire würde ich übrigens sehr oft träumen, warf George dann ein. „Hah“, machte ich nur. Das wollte ich eigentlich gar nicht wissen, und daran erinnern kann ich mich ja dank Georges kleiner Mitternachtshappen zum Glück meist auch nicht. Mein kleiner Oneirophagenkumpel wollte auch gleich wissen, ob er die Lady-Fire-Träume weiter fressen solle, das wollte ich ihm aber nicht vorschreiben, weder in die eine, noch in die andere Richtung.

Sei es denn dann in Ordnung, wenn ich Pans Einherjar mit auf die Insel nehme, fragte ich weiter. Ja, das sei schon okay: Wenn ich das okay fände, dann sei es bestimmt in Ordnung. Grrrrr. Nicht das, was ich gefragt hatte, und nicht das, was ich hören wollte. Was Georges eigene Meinung sei, hakte ich nach. Naja, es sei eben sehr viel Sommer gerade auf der Insel. Vielleicht wäre ein Ausgleich gut.

Hmmmm. Ausgleich. Also Winter. Hmmmmmmm. Ich dankte George aufrichtig für seinen Rat, und der Kleine freute sich sichtlich. Und dann wurde er creepy. Richtig gruselig, irgendwie. In schneller Abfolge zeigte er mir lauter Bilder von meinen Verwandten und Freunden. Die Jungs. Mamá und Papá, Yolanda und Alejandra, Lidia und Monica. Dee. „Soll ich die auch fressen?“ fragte er dann in einem ganz seltsamen Tonfall. Erm. „Nein!“ „Okay“, machte George, und ich hoffe schwer, das lässt er wirklich.
Hmmm. Vielleicht hätte ich ihn fragen sollen, was das macht, wenn er diese Träume frisst. Also außer, dass ich mich dann an diese Träume nicht mehr erinnern kann, versteht sich. Aber ob noch irgendwas anderes.

Dann kam ich wieder zu mir und erzählte den anderen, was George gesagt hatte. Also das mit dem Sommer-Überschuss auf der Insel und dass ein Ausgleich ganz gut wäre. Das mit dem Vorschlag, die Träume von meinen Freunden zu fressen, nicht.

Unser erster Gedanke bei „Winter“ war angesichts der Tatsache, dass Lady Fire sich auf der Insel aufhält, natürlich erst einmal Lord Frost. „Kannst du denn mit Lord Frost, Cardo?“ fragte mich Totilas, worüber ich erst einmal kurz nachdachte, dann aber mit einem „Geht schon“ antwortete. Immerhin ist Lord Frost der erklärte Gegenspieler von Lady Fire, und im Schwimmbad ging es ja auch einigermaßen. Aber bei Lord Frost wissen wir ja gar nicht, wie wir ihn erreichen können, also musste eine solche Aktion ohnehin über Hurricane laufen.

Wir fanden den Boxer am Hafen, in einer Bodega, die von lauter Winterfeen in menschlichem Glamour besucht wurde. Da mussten wir – musste vor allem ich – nicht unbedingt rein, also redeten wir draußen vor der Tür. Also... ich redete, weil von den anderen keiner Anstalten machte, das zu übernehmen. Wahrscheinlich ist in denen noch zu sehr die Rollenverteilung 'Cardo übernimmt das Reden' gespeichert. Was ja grundsätzlich auch stimmt. Nur dass ich Hurricane gegenüber fürchterlich herumdruckste. „Wir sind hier, weil, ähm...“
Allerdings muss man sagen, dass Hurricane es mir auch nicht gerade leichter machte. „Was?“ feixte er, „Ich verstehe dich nicht!“ „Weil... ähm...“ „Es fällt ihm als Vertreter des Sommers gerade etwas schwer, eine offizielle Bitte an Winter zu richten“, erklärte Edward, aber Hurricane schnaubte nur. „Warum macht er es dann?“
Weil... siehe oben.
Aber jetzt übernahmen die anderen dankenswerterweise dann doch und erzählten Hurricane von den Vorgängen auf der Insel der Jugend und dass wir Hilfe bräuchten. Dass die anderen dafür ihre bei Tanit noch offenen Gefallen einfordern wollten.

Während die Jungs erklärten, tigerte ich unruhig und noch immer ziemlich gereizt vor mich hingrummelnd auf und ab und ließ sie machen. Irgendwann merkte ich allerdings, dass Hurricane mich sehr ungehalten anstarrte. „Du zeigst keinen Respekt“, knurrte er.
Verdammt. Da hatte er nicht unrecht. Ich habe ja eigentlich nichts gegen Hurricane, und mein Ärger richtete sich ja noch nicht einmal gegen ihn. „Es tut mir leid“, gab ich hochformell zu. „Ich bin etwas... angespannt derzeit, und ich habe das an dir ausgelassen, was ich nicht wollte. Das zeugte wirklich nicht von Respekt. Bitte entschuldige.“
„Ich akzeptiere deine Entschuldigung“, erwiderte Hurricane, und damit war es dann zum Glück auch okay.

Hurricane erklärte, er werde Lord Frost über Lady Fires Aktionen informieren. Dies werde den Winterlord sicherlich dazu veranlassen, auf der Insel der Jugend für das Gleichgewicht sorgen zu wollen, dies bedeute also noch keinen Gefallen der Jungs bei Tanit. Für die drei offenen Gefallen hingegen versprach er seine eigene Unterstützung sowie die Hilfe von zwei Frostriesen und einer Kompanie Kelpies.

In dem Gespräch erwähnte ich schließlich auch Mr. Dahl und die Heinzelmännchen, und während ich Hurricane im Auge behielt, erklärte ich auch, dass es Colin Mendoza gewesen sei, der Dahl auf die Gesetzeslücke mit dem Teichgelände aufmerksam gemacht hatte. Und als hätte ich es nicht schon geahnt: Hurricane wirkte kein Stückchen überrascht.
Da ich ja weiß, dass die beiden gut befreundet sind, fragte ich daraufhin, ob diese Freundschaft nicht ein Problem für Hurricane darstellen werde, wenn er uns jetzt doch gegen Colin beistehen würde, aber der Winterfae verneinte. Er habe sein Wort gegeben, und es gelte, einen Gefallen einzulösen, den seine Mutter uns schulde. Er werde Colin nicht aktiv umbringen, aber es gehe um sein Wort. Okay, sagte ich, denn das nahm ich ihm auch ganz genau so ab.

„Ich brauche auch ein Versprechen“, ergänzte Hurricane noch. „Ich will euer Wort, dass der Vampir keine Hand an die Winterkrieger legt.“ „Nur, soweit uns das nicht in Gefahr bringt“, versuchte Totilas abzuwiegeln, aber der Boxer starrte ihn einigermaßen finster an und schoss zurück: „Das Versprechen will ich nicht von dir.“
Seufz. Es wird wirklich Zeit, das Totilas diese Eidbrecheraura endlich los wird.
„Ich verspreche es für ihn“, sagte ich stattdessen. „Totilas wird in diesem Kampf seine Vampirkräfte nicht gegen die Streiter des Winters einsetzen. Kein Einfluss, kein Ernähren.“ Das mochte unserem White Court-Freund zwar nicht gefallen, aber ich kann mir tatsächlich nicht vorstellen, dass die Winterfeen uns bei der Erfüllung eines Gefallens verraten werden und er in die Verlegenheit kommen könnte, mein Versprechen brechen zu wollen. Und wenn doch, muss ich ihn eben davon abhalten.

Nachdem das also geklärt war, trennten wir uns. Alles Weitere muss bis morgen warten, denn es war ein langer Tag, und wir sind alle ziemlich erledigt. Vielleicht hätte ich den ganzen Kram nicht auch noch aufschreiben und stattdessen gleich ins Bett gehen sollen, aber wer weiß, wie ich morgen dazu komme.

Nur mit Yolanda habe ich vorhin noch kurz telefoniert und ihr endlich mal erzählt, was mit Enrique los ist. Dass Jandra und ich den Kojanthropen-Marker mit Sicherheit in uns tragen, was bedeutet, dass Mom und Dad und sie selbst den Marker höchstvermutlich auch aufweisen. Sie war nicht sonderlich begeistert von der Vorstellung, trug es aber mit Fassung. Mehr Fassung als ich, wenn ich ehrlich bin.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 27.07.2017 | 14:39
Bloss dass du weisst, dass ich auch hier (sporadisch) mitlese.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 27.07.2017 | 16:08
Oh, das freut mich! Danke für die Rückmeldung, Sindar; es ist immer sehr cool zu hören, dass die Leute sich für die Abenteuer der Jungs interessieren. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 29.07.2017 | 00:01
So, jetzt hab ich auch alles noch mal gelesen (zeitnah vor der Runde morgen, weil ich so ein Siebgedächtnis habe): Sehr schön!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 21.08.2017 | 19:39
Ricardos Tagebuch: Small Favor 3

12. November

Heute nacht habe ich mit George gesprochen. Also nicht einfach nur gesprochen, sondern ich hatte ein Anliegen an ihn. Denn Hurricane sagte gestern bei dem Gespräch, er könne zwar ein Schiff besorgen, auf das alle Streiter passen, aber das sei nicht in der Lage, rückwärts gegen den Wind zu kreuzen, wie es das muss, um die Insel der Jugend zu erreichen. Dafür braucht es ein anderes Schiff. Dazu muss also wieder George ran, und darum habe ich ihn heute nacht im Traum eben gebeten. George erklärte, das könne er arrangieren, aber nur gegen einen Gefallen. Tssss. Aber gut. Schulde ich meinem Traumfresser-Freund eben einen Gefallen. Wenn ich das mal nicht bereuen werde.

Hurricane sagte gestern auch, er werde sich melden, sobald er alles organisiert habe. Er stellte aber auch schon in Aussicht, dass das heute mindestens den größten Teil des Tages dauern könnte.
Also hatte ich genug Zeit, um Alejandra über das Wochenende zu meinen Eltern zu bringen und Yolanda wegen Enrique einzuweihen. Also nicht nur, dass er ein Kojanthrop ist, sondern auch, dass er Jandra vielleicht holen kommen wollen könnte. Sie versprach, die Situation im Auge zu behalten und falls Enrique auftauchen sollte, die Dinge zumindest so weit zu verzögern, bis ich wiederkomme und das selbst mit ihm klären kann.

Ansonsten bereiteten Edward und ich einige Feuerschutztränke zu. Edward ist ja ohnehin ziemlich gut in Alchimie; ich selbst habe da ja nicht so viel Erfahrung, aber Eileen konnte mir ein bisschen unter die Arme greifen, wie ich die Sommermagie in mir auch für diesen Zweck nutzen kann. Ich glaube zwar trotzdem, dass Edwards Tränke wirkungsvoller sind, aber jedes bisschen hilft, wenn es gegen Lady Fire geht, wenn ihr mich fragt. Edward gab einen seiner beiden Tränke an Totilas weiter; ich selbst teilte meine Ausbeute mit Roberto. Der wiederum braute in der Zeit zwei Tränke, mit denen man Veils und sonstige Maskierungen durchschauen kann. Das kann sicherlich auch nichts schaden.

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Eben hat Hurricane angerufen und den Startschuss gegeben. Treffen in einer Stunde am Hafen. Und los geht’s.

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Irgendwann nachts.

Wir sind zurück. Wir sind am Leben.

In der Stadt hat eine Leuchtanzeige behauptet, es sei der 16. November. Das kann eigentlich nicht sein – wir waren doch keine vier Tage weg? Aber ich kann und mag darüber jetzt nicht nachdenken, sondern ich muss erstmal schlafen. Vier Tage waren es zwar nicht, aber trotzdem lang, und... puh. Mag jetzt nicht drüber nachdenken.

Muss schlafen.

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16. November

Es ist tatsächlich der 16. November. Irgendwie ist uns im Nevernever die Zeit durcheinander gekommen. So ungewöhnlich ist das ja nun tatsächlich nicht. Und wenigstens ist dadurch jetzt der Supermond vorüber. Jetzt nur noch die letzten Auswirkungen bis zum nächsten Vollmond aushalten, aber zumindest das Schlimmste dürfte vorbei sein.

Dann kann ich ja jetzt aufschreiben, was alles passiert ist. Für den Rest des Tages habe ich ja nichts groß vor.

Wir trafen uns am Hafen, an einem Pier, das es eigentlich gar nicht geben dürfte und zu dem man nur mit einer etwas verqueren Wegfindung kam. Dort wartete Hurricane mit einem alten Segelschiff, auf dem bereits Lord Frost und zwei Sturmriesen warteten. Die ebenfalls versprochenen Kelpies schwammen um das Schiff herum. Totilas machte ein erschreckend interessiertes Gesicht bei dem Anblick der pferdeartigen Fae – den musste ich erstmal an sein Versprechen erinnern. Oder besser: an mein Versprechen. Denn ein Sommerritter mit Eidbrecheraura wäre wirklich nicht gut. „Ich werde deinen Eid achten“, gestand mir Totilas beinahe huldvoll zu, als ich ihn daran einnerte, was mir ein etwas sarkastisches „Danke“ entlockte.

Die zwei Sturmriesen, die auf die völlig un-sturmriesischen Namen Juan (der mit den Haaren) und Pepe (der ohne) hörten, waren allergisch auf Sommer und mussten ständig niesen, wenn ich in ihre Nähe kam. Außerdem fanden sie, ich röche komisch. Also hielt ich mich lieber von den beiden fern, während Edward kurz mit ihnen redete. Die Quintessenz aus dem Gespräch war, dass Edward meinte, er wolle sich lieber nicht mit den beiden anlegen, woraufhin die ihn als „vernünftigen Mann“ betitelten.

Vom Pier aus fuhren wir ins Nevernever, wo wir George trafen. Er hatte ein passendes Schiff aufgetan, auf das wir jetzt alle umstiegen, auch die Kelpies (die den Laderaum besetzten).
Unterwegs erzählte Lord Frost uns auch ein bisschen was über das Verhältnis zwischen ihm und Lady Fire. Wie die meisten hohen Fae, oder besser, wie diejenigen, die eher einen Titel als einen eigenen Namen tragen, waren beide früher einmal Menschen, und beide sind auch nicht die ersten Träger ihres jeweiligen Amtes. Denn früher oder später kommt es zwischen diesen beiden Gegenpolen zum Kampf, und während die Konfrontationen zwar nicht immer tödlich ausgehen, ist das doch durchaus keine Seltenheit. Und wenn einer der beiden stirbt, dann geht das Amt auf denjenigen vom Temperament her passenden Menschen über, der sich am nächsten befindet. Das Paar ist immer ein Lord und eine Lady, aber nicht notwendigerweise immer Lady Fire und Lord Frost. Das Verhältnis kann sich aber nur umkehren, wenn sich in ihrem Kampf beide gegenseitig töten, was im Laufe der Zeit auch schon gelegentlich vorgekommen ist.

Auf dem Weg zur Insel der Jugend überlegten wir, wie wir mit Lady Fire und Vanguard umgehen würden, wenn wir sie dort trafen. Lady Fire müssten wir natürlich aufhalten, aber Vanguard auch? Wenn wir uns ihm aktiv in den Weg stellen würden, dann hieße das, uns aktiv und sehenden Auges James Vanguard als Gegner aufzuhalsen. Wollten wir das? War das, was er plante, so schlimm? Oder anders herum, was bedeutete es, ganz neutral betrachtet?
Eigentlich wäre es nicht so schlimm, befanden wir. Eigentlich steht Vanguard, wie wir auch, für Sicherheit und Stabilität in Miami. Und er und seine Leute sind keine Verbrecher. Eigentlich verfolgen wir dieselben Ziele, und wir hätten ihn eher ungern als Gegner. Deswegen beschlossen wir, ihm durchaus zu helfen – oder ihn zumindest nicht aktiv behindern.

Als wir uns langsam der Insel näherten, uns aber noch außer Reichweite befanden, erklärte Lord Frost, er könne Lady Fire spüren – sie befinde sich nicht direkt am Strand, wo wir einiges an Bewegung sahen, sondern weiter hinten auf der Insel, und als er den Ort beschrieb, erkannten wir ihn als den Ritualplatz, wo sie beim letzten Mal auch schon ihr Ritual hatte abhalten wollen.
Vielleicht wäre es also sinnvoll, wenn wir nicht am großen Strand anlegen würden, wo wir das letzte Mal geankert hatten, sondern gleich zu einer der Buchten auf der anderen Seite der Insel segeln würden? Dann wären wir näher an dem Ort, wo wir hinwollten, und müssten uns außerdem nicht durch die potentiellen Gegner am Hauptstrand kämpfen.

Wir waren noch dabei, das zu besprechen und zu überlegen, wie wir überhaupt vorgehen wollten, da schaltete Lord Frost sich ein.
„Seid ihr sicher, dass es eine gute Idee ist, wenn wir hier kämpfen? Das würde der Insel alles andere als guttun.“
Nein. Natürlich war es keine gute Idee, das war uns auch klar. Wenn diese beiden Urgewalten ihre Kräfte hier aufeinander losließen, dann würde das die Insel noch viel mehr belasten, als sie das ohnehin schon war. Am besten wäre es also, wenn Lord und Lady ihren Konflikt entweder anderswo austragen könnten – oder wenn es vielleicht gar nicht zum offenen Ausbruch von Feindseligkeiten käme. Vielleicht konnten wir die Sache ja tatsächlich doch irgendwie mit Reden beilegen; zumindest solange, bis wir von der Insel herunter waren.
Als wir das beschlossen hatten, war auch klar, dass wir eigentlich auch offen hinsegeln und am Hauptstrand anlegen konnten, statt irgendwie zu versuchen, uns unbemerkt anzuschleichen.

Dort am Strand lagen auch jetzt einige Schiffe vor Anker. Zwei Segler trugen das Emblem von Lady Fire, eine stilisierte Flamme, während das dritte ein Motorboot war, an dem man irgendwie ein Segel und einen Ventilator angebracht hatte. Sommerritter hin, Sommerritter her, mit konventioneller Magie kenne ich mich ja immer noch nicht so richtig aus, aber sogar ich konnte sehen, dass da richtig viel Magie hineingepumpt worden sein musste, weil dieses Konstrukt anderenfalls nie funktioniert hätte, um das Schiff rückwärts gegen den Wind kreuzen zu lassen, auch im Nevernever nicht. Normalerweise hätte das nie so funktioniert. Und tatsächlich erklärte Alex, für ihn fühle die Konstruktion sich richtig falsch und ungut an.

Da wir es ja erst einmal mit Diplomatie versuchen wollten, ließen wir die Kräfte des Winters vorläufig an Bord unseres Schiffes und beauftragten sie, nur dann einzugreifen, wenn es Ärger gäbe oder wir sie rufen würden. Hurricane wirkte fast ein bisschen enttäuscht und erklärte, die drei Gefallen der Jungs seien damit aber trotzdem eingelöst, auch wenn es nicht zu einer Auseinandersetzung kommen würde. Natürlich seien sie das, versicherte ich ihm – und überdies war es auch durchaus möglich, dass die Situation schneller eskalieren würde, als man sich umsehen konnte, und doch noch in einen Kampf münden würde.
Als wir von Bord gingen, wurden wir von Robertos altem Freund Sir Kieran, einem weiteren Sidhe-Ritter und drei Feuerwichteln empfangen. Auch Colin, mein Vorgänger, der Lebenswasserdieb, war anwesend, hielt sich allerdings auffällig im Hintergrund. Sir Kieran sah verbraucht aus, ausgemergelt und hager, mit stumpfen Haaren und den Augen tief in den Höhlen. Ich war mir nicht ganz sicher, woran das wohl liegen mochte – entweder, jemand hatte ihm die Lebenskraft abgezogen, oder vielleicht wurde auch sein Eidbrecherstatus auf diese Weise sichtbar.
„Was wollt ihr?“ herrschte Sir Kieran uns an, und irgendwie ergab es sich, dass ich doch wieder das Reden übernahm.
„Wir wollen mit Lady Fire und mit James Vanguard sprechen.“
„Wer seid ihr denn?“ wollte der fremde Sidhe wissen.
„Das sind die schönen Männer“, spottete Sir Kieran, was mich seufzen ließ. „Wir sind die Ritter von Miami.“
Sir Kieran starrte uns finster an. „Kommt ihr in Frieden oder was?“
„Sieh es mal so“, antwortete ich. „Wir haben Winter fürs Erste an Bord gelassen. Erst einmal sind wir hier, um zu reden. Ob und inwieweit sich das ändert, wird davon abhängen, mit welchen Reaktionen wir hier empfangen werden.“
„Also was wollt ihr?“
Ich seufzte wieder. „Wir wollen mit Lady Fire und mit James Vanguard sprechen.“

Sir Kieran schickte einen der Wichtel los, er solle 'der Herrin' die Nachricht überbringen. Ob sie daraufhin tatsächlich kommen werde, müsse sie selbst entscheiden.
Aber sie kamen, sowohl sie als auch Vanguard, in Begleitung einer ganzen Entourage von Sidhe-Rittern, und wieder war ich es, der für unsere Gruppe das Wort ergriff, sobald die beiden vor uns standen. Ich sprach vor allem zu Vanguard, erklärte ihm, dass wir ihn nicht hindern wollten, im Gegenteil, ihm sogar sogar helfen würden, er solle sein Ritual nur bitte, bitte nicht hier abhalten, weil das die Insel nur weiter schwächen würde und die Insel weitere Schwächung so gar nicht brauchen könne.
Als ich meinen kleinen Vortrag gehalten hatte, wandte Lady Fire sich zu Vanguard und sagte mit zuckersüßer Stimme: “Glaub ihm nicht, James, er lügt. Er will nur seine eigene Macht verstärken, will die Macht der Insel für sich selbst nutzen.”
“Das will ich nicht”, warf ich ein, und auch Edward wandte sich an Vanguard. “Von Lykanthrop zu Lykanthrop: Haben wir dich je über den Tisch gezogen?”
“Er lügt”, wiederholte Lady Fire, und ich schüttelte wieder den Kopf.
“Ich lüge nicht”, erklärte ich ihr eindringlich. “Wie kann ich dich nur davon überzeugen?”

Aber während ich es noch aussprach, erkannte ich, dass Lady Fire ganz genau wusste, dass ich die Wahrheit sagte. Mit ihrer Behauptung, ich wolle meine Macht vergrößern, log sie also wissentlich selbst. Und das war eine verdammt spannende Frage. ¿Por qué demonios konnte sie als Fee lügen? Sie trug auch das Eidbrecherzeichen nicht mehr, fiel mir auf, genausowenig wie zwei ihrer Ritter. Diese beiden sahen auch nicht so verlebt und angeschlagen aus wie Sir Kieran.

Sobald ich wusste, dass Lady Fire log, wusste ich auch, dass ich gar nicht versuchen musste, sie zu überzeugen. Also konzentrierte ich mich lieber auf James Vanguard und versuchte weiter, ihn dazu zu bringen, sein Ritual nicht auf der Insel durchzuführen, auch wenn Lady Fire zischte, wir seien ihr immer in die Quere gekommen, hätten immer ihre Pläne vereitelt, und auch wenn sie nochmals wiederholte, wir wollten doch nur mehr Macht für uns.
Ich legte mich mächtig ins Zeug, und tatsächlich sah Vanguard so aus, als sei ich zu ihm durchgedrugnen und als fange er an zu zweifeln, aber dann erklärte er, er habe mit Lady Fire eine Vereinbarung getroffen, den könne er nicht einfach brechen. Er habe jetzt schon angefangen, seinen Teil der Abmachung zu leisten, als Preis für Lady Fires Hilfe ihr ebenfalls zu helfen, und er könne da jetzt nicht mehr raus.
Was für eine Hilfe Vanguard leiste, wollte ich wissen, und der Security-Mann grinste. “Den schönen Männern Ärger machen.” “Oho?” Ja, führte Vanguard aus, oder ob uns etwa noch nicht aufgefallen sei, dass da plötzlich ein Bruder aufgetaucht sei? Ein Bruder plötzlich ausgebrochen?
“Ach, das waren Probleme?” sagte Edward leichthin, woraufhin Lady Fire ihn wütend anfunkelte. Das kümmerte Edward nur wenig. “Wobei eigentlich helfen?” fragte er Vanguard, und der grinste wieder knapp. “Na bei meinem Plan.” “Klar bei deinem Plan”, knurrte Edward, “aber was für ein Plan ist das genau?”
Sehr offen bestätigte der Security-Mann daraufhin genau das, was wir uns beinahe schon gedacht hatten: Dass er das Biest rufen und besiegen wolle, damit er es ab dem Moment kontrolliere statt anders herum. Dann werde er sich an Vollmond besser unter Kontrolle haben und seine Kräfte auch außerhalb des Vollmonds einsetzen können.

Wie gesagt, das hatten wir uns ja schon ungefähr so gedacht. Und grundsätzlich war es ja auch eigentlich gar keine schlechte Idee, das Ritual auf der Insel der Jugend abzuhalten, weil die Insel ja als Anker und der Stabilisierung dient und das, was Vanguard vorhatte, ja sein Biest stabilisieren oder besser: Vanguards Kontrolle über sein Biest stabilisieren sollte. Wenn nur dieses grobe Missverhältnis durch die Anwesenheit des Sommers nicht wäre. Diese fortwährende Schwächung der Insel.

“Okay”, lenkte ich ein, “dann brechen Sie Ihre Abmachung mit Lady Fire eben nicht, verdammt. Ich sehe ja ein, dass es ein Deal ist und gehalten werden muss. Aber machen Sie das Ritual bitte, bitte nicht hier!”
Tatsächlich sah es so aus, als überlege Vanguard noch einmal, und ich dachte schon, ich hätte es geschafft, aber das war der Moment, in dem Lady Fire “Das muss aufhören!!” schrie und ein flammendes Inferno auf uns herabrief.

Na gut. Das war übertrieben. Nennt es künstlerische Freiheit, Römer und Patrioten. Was Lady Fire auf uns losließ, war kein Inferno. Aber es war auch nicht einfach ein Feuerball, wie Feu Buca sie verschossen hatte. Es war eine Flammenwalze, und wenn wir nicht hätten ausweichen können, dann hätten uns vermutlich nur unsere Feuerschutztränke gerettet, wenn überhaupt. Aber wir konnten ausweichen, auch James Vanguard, der seiner Verbündeten offensichtlich in diesem Moment völlig gleichgültig war - nur Totilas, der am ungünstigsten stand, wurde ein bisschen angesengt, aber glücklicherweise ist er derjenige von uns, der so etwas am ehesten vertragen kann.

Lady Fires Angriff war das Zeichen für den Kampfbeginn ganz allgemein. Unsere Winterkräfte kamen vom Schiff - Lord Frost ganz stilsicher mit einer Eisbrücke, die er vom Deck zum Ufer formte, während die Sturmriesen einfach über die Reling stiegen und die Kelpies aus dem Laderaum strömten. Am Ufer ging Lord Frost natürlich sofort in den Zweikampf mit Lady Fire. Juan und Pepe nahmen es mit den Feuerwichteln auf, und die Kelpies stellten sich den Sidhe in den Weg, während die beiden Ritter ohne Eidbrecherzeichen sich auf Edward und mich stürzten.

Sir Kieran wollte sich auf Roberto werfen, aber Totilas ging dazwischen - und dann verfiel er für ein paar Sekunden in eine Art Starre, als horche er nach innen und sei komplett abgelenkt. Ich kannte das: So sieht Totilas aus, wenn er mit seinem Dämon redet. Ich war selbst zu beschäftigt, um es genau zu verfolgen, aber ich glaube, dieses kurze Zögern reichte aus, damit unser White Court-Freund ein paar Schnittwunden abbekam, die ihn dann allerdings auch wieder aus seiner Starre rissen.

Während sein Gegner noch auf ihn zustürmte, versuchte Edward, Lady Fire ins Wasser zu werfen, aber so einfach war das natürlich nicht. Für ein so zierliches Persönchen - aber ja, natürlich, übernatürliche Feenkräfte in der zarten Gestalt - konnte sie erstaunlich gut dagegenhalten und blieb am Strand.

Alex, der sich vermutlich dachte, er könne hier im Kampf ohnehin nichts ausrichteh, zog sich in Richtung Ritualplatz zurück, gefolgt von Colin, wie ich aus dem Augenwinkel sehen konnte. Colin hätte ich am liebsten aufgehalten, aber das musste warten. Denn vielleicht konnte ich die Chancen ein klein bisschen zu unseren Gunsten verbessern.

Ich war ja ohnehin schon dabei, Jade zu ziehen, weil dieser Ritter auf mich zugestürmt kam. Jetzt erhob ich die Sommerklinge, so dass alle sie gut sehen konnten, und rief: “Haltet ein!” Und, Wunder über Wunder, für einen Moment stoppten sie tatsächlich, zumindest die Ritter. “Haltet ein!” wiederholte ich. “Wenn ihr an Pans Hof zurückkehren wollt, dann legt die Waffen nieder!”
Den beiden Sidhe, die kein Eidbrecherzeichen mehr trugen und die gerade auf Edward und mich zustürmten, war das Angebot herzlich egal. Aber die anderen Ritter brachte es kurz zum Nachdenken, und immerhin streckten zwei von ihnen tatsächlich die Waffen. Sie zogen sich zurück und hielten sich aus dem Kampf heraus, während die anderen sich nach dem kurzen Moment des Innehaltens nun doch ins Getümmel stürzten. Und irgendwie gelang es mir sogar, den Kelpies klar zu machen, dass sie die beiden Zögerer bitte in Ruhe lassen sollten, bevor mein Gegner mich erreicht hatte und ich zum ersten Mal ernsthaft zeigen konnte, was die ganzen Schwertkampfübungen mit Elaine des letzten Jahres so gebracht haben.

Da ich noch am Leben bin, um das hier aufzuschreiben: gar nicht so wenig. Ich konnte mich meines Feenritterss tatsächlich einigermaßen erwehren und ihn sogar besiegen, auch wenn ich einen eher unschönen Schwerthieb quer über die Hüfte abbekam, als dazu einen vernachlässigbaren Kratzer am Arm. Edward ging es ganz ähnlich: Er wurde verwundet, konnte seinen Gegner aber ausschalten, während Totilas Sir Kieran niederschlug.

Und jetzt… brauche ich eine kleine Pause, glaube ich. Ich könnte mir etwas zu essen machen. Oder Kaffee kochen. Oh, und ‘Jandras Hausaufgaben mit ihr durchgehen. Genau. Guter Plan. Weiterschreiben… Nachher. Wenn ich ein bisschen Mut gesammelt habe.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.08.2017 | 22:23
Später. Gefüttert, getränkt, Hausaufgaben angeschaut. Kaffeebecher neben mir. Keine Ausreden mehr, Alcazár.

Während wir mit unseren jeweiligen Gegnern beschäftigt gewesen waren, hatten Lady Fire und Lord Frost allmählich aufgedreht, und als wir jetzt Zeit hatten, hinzusehen, fiel uns erst so richtig auf, wie sehr. Sie beharkten einander immer stärker, und das tat der Insel überhaupt nicht gut. Von der Hitze ihrer Feuerwalzen verglaste der Sand, und von der Kälte seiner Eiswellen knackte der Boden. Wenn das so weiterginge, bliebe von der Insel nichts, rein gar nichts, mehr übrig, das als Anker dienen könnte. Wir mussten die beiden von der Insel herunterholen, irgendwie. Nur wie?

Während des Kampfes hatte Lady Fire sich vom direkten Ufer weg und auf die Klippen ein Stückchen landeinwärts zubewegt. Jetzt machte sie Anstalten, dort hinaufzusteigen – und zwar nicht etwa kletternd die Felsen hoch, wie man das erwarten würde. Nein, wir reden von Lady Fire: Sie erhitzte einfach die Luft unter sich und schwebte auf diesem Polster nach oben.
Totilas warf seine übermenschliche Schnelligkeit an, um vor der Lady oben auf der Klippe zu sein, und dank Supermond war Edward nur knapp hinter ihm. So, wie sie sich oben positionierten, wollten sie Lady Fire von der Insel bugsieren, also rief ich von unten einen Sommerwind, der von der Insel weg in Richtung Meer wehte und den Totilas und Edward nutzen konnten, als die Lady oben ankam und die beiden sie mit einem kräftigen Tritt seitens Totilas und einem mächtigen Fausthieb seines Edwards gen Ufer trieben. Tatsächlich landete die Lady zwischen Lord Frost und dem Meer, und im weiteren Verlauf des Kampfes gewann Lord Frost immer mehr die Oberhand. Die Lady bewegte sich in einem Rückzugsmanöver seitwärts am Ufer entlang – denn vor sich der Winterfae, hinter sich das Meer, das konnte ihr beides nicht gefallen, und es wurde mehr als deutlich, dass sie nicht bereit war, das Wasser zu betreten.

Vanguard rief irgendwas von wegen, es sei keine Zeit mehr, und eilte mit Edward und Totilas los in Richtung Ritualplatz. Ich hingegen war immer noch der festen Überzeugung, dass die beiden Kämpfer von der Insel herunter mussten, also folgte ich stattdessen den beiden Fae. Sie mussten von der Insel runter, und... Und vielleicht gab es ja doch noch eine Chance. Einen allerletzten Versuch musste ich wagen. „Ich wollte doch das alles nie!“ rief ich ihr zu. „Können wir das nicht doch noch irgendwie klären?“ Kurz hielt Lady Fire inne und drehte sich zu mir. „Du hast mir das Herz gebrochen!“

Und dann...

Mierda. Ich brauche noch einen Kaffee, glaube ich. Oder einen Schnaps. Egal, dass es Nachmittag ist. Gleich wieder da.

Auf, Alcazár. Führt ja kein Weg daran vorbei.

„Du hast mir das Herz gebrochen“, rief Lady Fire und starrte mich dabei wutentbrannt an. Und dann...
„Technisch gesehen war ich das“, sagte Lord Frost ungerührt und…
...und durchbohrte sie mit einer Eislanze.

Lady Fire brach zusammen. Ich rannte zu ihr, fiel neben ihr auf die Knie. Unter der braunen Haut war sie bleich geworden, trüb die Flammen ihrer Augen. Die Eislanze in ihrer Brust war ein entsetzlicher, unendlich falscher Fremdkörper. „Es tut mir so leid“, stammelte ich, „das wollte ich alles nicht...“ „Ich hätte das alles nicht tun können, wenn du mir nichts bedeuten würdest“, wisperte Lady Fire. „Aber...“ - meine Stimme war auch nicht lauter als ihre - „warum?“ “Du hast mir das Herz gebrochen, und dann bin ich meinen Weg gegangen, und jetzt sind wir beide hier…” Ich bekam kein Wort heraus, fasste nur nach ihrer Hand. “Erzähl mir eine Geschichte…” Ich hielt ihre Hand fester, und meine Stimme war so erstickt, man sie kaum verstehen konnte. Aber doch laut genug. Laut genug für sie und für mich. “Es war einmal… eine wunderschöne Feenlady…”

Ich weiß nicht, wie lange ich dort neben ihr im Sand kniete, sie in den Armen hielt und mit Tränen in den Augen meine Geschichte für sie spann. Ich saß auch weiter da und hielt sie fest, als das Leben schon längst aus ihr entwichen war. Hielt sie fest, bis ihr Körper irgendwann in meinen Armen zu Asche zerfiel.
Auch nachdem Lady Fire nicht mehr war, saß ich noch lange reglos dort. Lord Frost hatte sich zurückgezogen, schon ganz am Anfang, gleich nach dem tödlichen Schlag. Aber das hatte ich kaum registriert.
Ich habe auch keinerlei Erinnerungen mehr daran, was ich ihr eigentlich erzählt habe. Das will ich auch gar nicht. Diese Geschichte war für Lady Fire, und für Lady Fire allein, und dass die Worte mit ihr vergangen sind, das fühlt sich seltsam passend an.

Irgendwann, ich weiß nicht, wieviel später, rappelte ich mich auf und stolperte los, um die anderen zu suchen. Am Landeplatz der Schiffe stieß ich auf Edward und seine Mutter, die gleichzeitig völlig erschöpft, verwirrt und aufgedreht wirkte. Und täuschte ich mich, oder zuckten Flammen in Marie Parsens Augen? Tatsächlich täuschte ich mich nicht. Mit Lady Fires Tod war das Amt der Lady auf den nächsten passenden weiblichen Menschen übergegangen, und das war Marie. Ihre so plötzlich erworbenen neuen Fähigkeiten überwältigten und überforderten Mrs. Parsen vollkommen, und sie musste sie herauslassen, und zwar gleich, aber eben nicht hier, nicht auf der Insel der Jugend. Also wollte Edward seine Mutter auf die nächstgelegene Insel bringen, auf die von Alex so treffend benannte “Kollateralschadeninsel”, wo Lady Fire - die vorige Lady Fire, meine Lady Fire - beim letzten Mal auch schon größere Teile des Bewuchses in Brand gesteckt hatte - damit sie dort in Ruhe ihren Ausbruch haben konnte.

Am Ufer sah Mrs. Parsen ganz erstaunt auf das Meer hinaus und zischte etwas davon, dass das Wasser ihr auf einmal so unsympathisch sei. Ein Schiff entfernte sich gerade; an Deck stand Lord Frost und winkte seiner neuen Konkurrentin ganz leger zu - offensichtlich gibt es eine gewisse Zeit der Ruhepause oder Waffenstillstand oder wie man es nennen will nach einem Wechsel des Lords oder der Lady. Aber er war Marie jedenfalls auch auf Anhieb unsympathisch, was sie wunderte, weil sie den Mann ja noch nie im Leben gesehen hatte. Also verbrachten wir die Überfahrt zur Kollateralschadeninsel damit, ihr so gut wie möglich ein bisschen was über ihre neuen Umstände zu erklären. Dank ihrer Beziehung zu Antoine und ihrem Wissen um das Übernatürliche war es weniger ein Problem, sie dazu zu bringen, dass sie es glaubte - aber überwältigend war das Wissen um die Tatsache, dass sie nun eine mächtige Sommerfee ist, die sich einen ewigen Kampf mit ihrem Gegenpart von Winter liefern muss und irgendwann von ihm umgebracht werden wird, wenn sie ihm nicht zuvorkommt, natürlich dennoch.

Während Mrs. Parsen im Inneren der Kollateralschadeninsel versuchte, mit ihren neuen Kräften klarzukommen, erzählte Edward mir, was am Ritualplatz geschehen war. Bei ihrer Ankunft hatten Alex und Roberto dort Sergeant Book brennend und in einer Feuersäule schwebend vorgefunden; Marie, Antoine und Jugend (der sehr kindlich und schwach aussah) lagen gefesselt am Boden. Zwei von Vanguards Leuten waren bei einem in die Erde gebrannten Bannkreis dabei, Dinge für das Ritual zurechtzulegen. Obgleich die Lykanthropen nicht bereit waren, ihre Gefangenen freizugeben, konnten die Jungs sich mit ihnen doch friedlich einigen, und gemeinsam bereiteten sie das Ritual weiter vor. Als Edward, Totilas und Vanguard dann dazukamen, untersuchte Edward erst einmal den Aufbau des Rituals, ob Lady Fire vielleicht eine geheime Agenda eingebaut hatte. Das hatte sie tatsächlich: Der Zauber würde zwar tun, was er tun sollte, und zwar das Biest unter Kontrolle bringen, aber diese Kontrolle sollte auf Lady Fire übergehen, nicht auf James Vanguard. Die Veränderungen am Ritualaufbau konnte Edward aber immerhin nutzen, um Vanguard bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Allerdings brauchte er Roberto dazu, der ihm, wie bei dem Ritual am Lochan Dubh nan Geodh für Gerald, seelisch-magischen Beistand leistete. Als das Biest im Kreis - und zwar durch Alex hindurch, der gewissermaßen als lebendes Portal diente - erschien, erhielt Vanguard denselben seelisch-magischen Beistand von Edward, wie der ihn von Roberto bekam, wodurch er trotz aller Lykanthropenwut seinen menschlichen Intellekt weiterhin nutzen konnte und das Biest somit besiegte. Totilas fing indessen Sergeant Book ab, der mit Lady Fires Tod aus seiner Feuersäule freikam und der ansonsten ohne weitere Umstände auf den gerade kämpfenden Vanguard losgegangen wäre.

Tatsächlich siegte Vanguard und konnte den Zorngeist des Wolfs unter seine Kontrolle zwingen. Sein Erfolg blieb nicht unbemerkt - das wilde Freudengeheul seines Rudels hatte ich sogar in meiner Betäubung unten am Strand undeutlich mitbekommen.

Totilas bekam auch heraus - Edward sagte nicht, wie, aber wenn Totilas auf diese Weise einfach so über eine Information verfügt, dann meistens, weil er sie von seinem Dämon bekommen hat, das weiß Edward ebenso gut wie ich -, dass ein Outsider-Dämon, und zwar die Lady der Verschlungenen Wege, die Begleiterin von Luftballon-Jack, die beim letzten Mal auch auf der Insel war, sich wieder dort aufhielt, und zwar am Jungbrunnen selbst. Das war der Moment, als die Jungs sich trennten und Edward seine Mutter zum Strand brachte, nachdem sie die Gefangenen befreit hatten, während die anderen zum Jungbrunnen gingen. Das heißt, das, was jetzt kommt, habe ich hinterher von den Jungs erzählt bekommen.

Am Brunnen stellte Alex fest, dass irgendwie falsch anmutendes Wasser aus einem, hm, ich nenne es mal Netherriss (ja, ich habe zu viel Arcanos gespielt, dass mir diese Assoziation kommt) floss, der so geschickt im herabbplätschernden normalen Wasser versteckt war, dass man ihn ohne Alex’ besonderes Talent in dieser Richtung wohl kaum hätte bemerken können. Auf der Ummauerung des Brunnens stand für jeden ein Teller mit Kuchen - den rührte aber natürlich niemand an. Während Totilas das falsche Wasser auffing und Alex den Netherriss verschloss, nutzte Roberto einen seiner beiden Schleiertränke, um sich damit einmal umzuschauen. Und tatsächlich konnte er auf diese Weise die Lady der Verschlungenen Wege sehen, die sich im Gebüsch versteckt hatte. Als sie erkannte, dass sie bemerkt worden war, grinste sie Roberto zu und machte eine fragende Geste in Richtung der Kuchenteller. Da niemand reagierte, nahm sie die Kuchenstücke und schob sie sich samt Tellern in den Mund, ließ ein Stück aber draußen, um es Roberto gesondert hinzuhalten. Der schlug ihre Hand weg, und der Kuchen klatschte auf die Erde - wobei er für die anderen mitten aus dem Nichts erschien, weil die ja von der Lady nichts sehen konnten. Nur für Roberto zu erkennen, grinste diese noch einmal und verschwand dann spurlos.
Sowohl das falsche Wasser als auch der zu Boden gefallene Kuchen gingen an Sergeant Book zum Entsorgen. Jugend und seine Insel waren - sind - sehr geschwächt. Book meinte, sie würden sich vielleicht regenerieren, wenn die nächsten 100 Jahre niemand, aber auch wirklich niemand außer ihrem Hüter, die Insel betrete. Aber falls die menschliche Magie irgendetwas hergebe, was beim Stärken der Insel helfen könne, nur zu.
Book war zunehmend gereizt wegen des Wutmondes. Um dessen Wirkung etwas abzuschwächen, wirkte er einen Zauber, der Wolken vor den Mond rief und ein lokal begrenztes Gewitter auslöste.

Diese Verdunkelung des Himmels und das Gewitter drüben über der Insel der Jugend sahen wir auf der Kollateralschadeninsel natürlich auch, während wir darauf warteten, dass Edwards Mutter sich austobte. “Irgendwie romantisch, diese Gewitterstimmung da drüben”, meinte Edward versonnen, aber ‘romantisch’ war das allerletzte Wort auf Erden, das ich in diesem Moment hören wollte. Ich antwortete nicht, sondern grübelte weiter, und so warteten wir schweigend, bis Marie zu uns zurückkehrte.

Wieder zurück auf der Insel der Jugend stellten wir fest, dass George in der Zwischenzeit die Kämpfer des Winters schon wieder nach Hause gebracht hatte. Der Ritter ohne das Eidbrecher-Zeichen, den ich besiegt hatte, war von Hurricane in Gewahrsam genommen und ebenfalls abtransportiert worden. Es lag auch nur noch eines der beiden Feuerschiffe vor Anker; das andere hatten wohl die überlebenden Eidbrecher-Sidhe genommen, Sir Kieran eingeschlossen. Colins Ventilator-Motorboot, das von dieser seltsamen, unguten Magie angetrieben wurde, war ebenfalls verschwunden – das hätten wir uns ja denken können, dass der sich absetzen würde.

Weil Marie Parsen und ihre Feuerwichtel den übriggebliebenen Sommersegler nahmen wollten, brachte George die Vanguard-Leute und uns zurück nach Miami, und auch die reuigen Ritter schlossen sich uns an.
Auf dem Rückweg bat ich George außerdem, er solle in Zukunft die Lady Fire-Träume nicht mehr komplett auffressen. Ja, es mögen Alpträume gewesen sein, und ja, eigentlich war und bin ich meinem kleinen Traumfresserkumpel ja auch dankbar, dass er sie mir die ganze Zeit über erspart hat, aber... Aber. Irgendwie bin ich es ihr und ihrem Andenken schuldig, die Träume ab jetzt zu nehmen, wie sie kommen, und nicht den billigen Ausweg über George zu wählen.

Unsere Wunden waren glücklicherweise alle nicht lebensbedrohlich. Zum Teil hatte es uns schon ziemlich gebeutelt, aber gracias a Dios ging es bei uns allen einigermaßen.

Wie gestern vor dem Schlafengehen schon kurz geschrieben, kamen wir irgendwann mitten in der Nacht wieder in Miami an. Es war tatsächlich der 16. November, hier draußen in unserer Welt waren also einige Tage vergangen, während es im Nevernever nur ungefähr einer gewesen war. Aber wie vorhin auch schon kurz geschrieben, ist damit wenigstens der Supermond vorbei.

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17. November

Heute haben wir hin- und herüberlegt, welche Buße Sir Aiden und Sir Fingal, die beiden reumütigen Ritter, wohl tun könnten, damit sie es verdienen, wieder an Pans Hof aufgenommen zu werden.
Wie ich es erwartet hatte, war Pan durchaus damit einverstanden, sie wieder in seine Gegenwart zu lassen, und wenn es nach Pan ginge, dann hätte er sie als Strafe einfach Bier holen geschickt. Der Herzog ist nunmal absolut kein nachtragender Typ. Aber nein. Es muss eine angemessene Sühne sein. Genau das war ja das Problem. Die Sidhe-Ritter hatten, haben, keinerlei Respekt für Pans Hof, genau deswegen ließen sie sich ja von Lady Fire verleiten, ihr zu folgen und Pan zu verraten. Sie haben keinen Respekt für Pans Hof, und genau den muss Pan sich verschaffen - oder besser, ich muss ihn ihm verschaffen, denn ich bin sein Erster Ritter, und der Erste Ritter trägt eine Verantwortung dafür, wie die anderen Ritter bei Hofe ihren Herzog sehen. Weder Colin, noch der cabrón, noch Sir Hortie sind dieser Verantwortung nachgekommen, und um so mehr liegt es jetzt an mir, diese Scharte wieder auszuwetzen.

Totilas schlug vor, den beiden Reumütigen etwas aufzuerlegen, das eine echte Strafe und eine echte Demütigung wäre, aber nein. Es soll eine Strafe sein, ja, aber nichts, das sie entwürdigt. Es sind immer noch Ritter, und Hohe Sidhe dazu. Und nein, ich werde sie auch garantiert nicht beauftragen, den Babysitter für Edwina Ricarda zu machen. Ihnen die Tochter ihres Herzogs anvertrauen, den sie verraten haben? Oh nein. Dieses Vertrauen müssen sie sich erst wieder verdienen. Eine Queste. Wir brauchten eine echte, anspruchsvolle und eines Ritters würdige, aber dennoch durchaus als Strafe zu sehende Queste.

Gemeinsam (ich sage deswegen gemeinsam, weil ich beim besten Willen nicht mehr weiß, von wem der Vorschlag tatsächlich stammte) kamen wir schließlich auf eine Idee, die all das beinhaltet, was ich erreichen will. Einer der Jungs machte den Vorschlag, und gemeinsam arbeiteten wir die Idee dann genauer aus. Turniere. Wir schicken sie auf die Turniere der anderen Sommerhöfe, wobei sie grau tragen müssen - sie dürfen weder in ihren eigenen noch in Pans Farben antreten. Auf diesen Turnieren müssen sie Pans Hof vertreten und jederzeit mit Respekt von ihm sprechen, ohne sich zu abfälligen Bemerkungen hinreißen zu lassen. Auch Pan selbst müssen sie natürlich jederzeit Respekt erweisen. Und wenn jeder von ihnen eine bestimmte Anzahl Turniere gewonnen hat (wieviele genau, das muss ich mir noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen), dann dürfen sie an Pans Hof zurückkehren.

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Eben hat Cicerón Linares angerufen. Enrique und die anderen Flüchtigen sind tatsächlich derzeit auf den Hanffeldern der Santo Shango, aber dort können sie ja nicht ewig bleiben. Linares wollte wissen, wie es jetzt weitergehen solle, also verabredeten wir ein Treffen. In drei Stunden an der Way Station. Selva Elder wird begeistert sein.

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Was soll ich sagen: Selva Elder war begeistert. „Ihr schon wieder“, begrüßte sie uns, und dann wurde ihre Miene noch ein wenig abweisender, weil sich in Cicerón Linares' Begleitung auch Ilyana Elder befand, und deren Überlaufen zu den Santo Shango nimmt ihr ihre Familie offenbar immer noch übel. Aber es blieb bei Blicken – anscheinend haben sie sich doch irgendwie arrangiert.

Das Gespräch mit Linares verlief soweit völlig zivilisiert. Wir waren uns darüber einig, dass ein Unterschlupf auf den Hanffeldern kein Dauerzustand für Enrique und seine Begleiter sein kann, und dass eine Flucht nach Kuba vielleicht eine Lösung wäre. Ich werde mit Enrique reden – das hatte ich ja ohnehin vor – und Linares dann bescheid geben.

Cicerón bot an, er könne meinem Bruder und seinen Leuten auch einen Job in seiner Organisation anbieten – er könne Enrique gut gebrauchen. Ich konnte nicht verhindern, dass mein Tonfall ziemlich misstrauisch herauskam, als ich fragte: „Als was?“ „Naja, gute Leute werden immer gebraucht“, wich der Gangsterboss der Frage aus. Es müsse ja auch nicht unbedingt in Miami sein, es gäbe ja auch andere Möglichkeiten, in Kuba zum Beispiel. „Ja“, antwortete ich in extrem vorsichtigem Tonfall, bevor Linares weitersprach: Enrique habe ja auch Erfahrung in dem Geschäft – eine Aussage, die ich mit einem genauso reservierten „Ja“ wie das erste quittierte. Das blieb Linares natürlich nicht verborgen. „Ricardo, ich spüre da gewisse... moralische Bedenken?“ Dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten: Er bekam noch ein „Ja“ von mir, wieder in genau demselben Ton. Linares' Antwort erfolgte nicht in Worten, sondern er warf lediglich mit hochgezogener Augenbraue einen Blick zu Totilas. Ja, por demonios, ich weiß, dass einer meiner Freunde nicht nur ein Vampir ist, sondern ein verdammter Crime Lord dazu. Also machte ich eine wiegende Handbewegung. „Moralische Bedenken... hindern einen unter gewissen Umständen nicht daran, sich zu... arrangieren.“

Diese Einstellung gefiel dem Santo Shango. War ja klar. Und er finde es ohnehin ziemlich gut, erklärte er dann, dass wir uns mal treffen würden, so ganz allgemein; immerhin läge das Wohl der Stadt ja uns allen am Herzen. Najaaaa. Was ein Cicerón Linares so „Wohl der Stadt“ nennt. Also bekam er noch ein sehr vorsichtiges, sehr verhaltenes „Ja“ von mir. „Und für das Wohl der Stadt kann man sich doch sicherlich...“ - er sah mich an, während er den von mir gewählten Begriff wieder aufgriff - „... arrangieren.“ Er hob sein Glas. „Salud.“ „Salud“, erwiderte ich und hob mein Glas ebenfalls leicht, während Totilas mit Linares anstieß. Und das erregte in der Waystation tatsächlich ein bisschen Aufmerksamkeit, Römer und Patrioten, denn immerhin sind die Santo Shango und der White Court ja eigentlich harte Konkurrenten.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 30.08.2017 | 20:22
Ach, ja, die Kollateralschadeninsel. Und der Cicerón. :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 31.08.2017 | 08:09
Kssssss. Der arme Cardo erlebt einen hoch tragischen Moment, ist völlig durch den Wind, und dir fällt nichts anderes ein zu sagen als "Ach ja, die Kollateralschadeninsel"? Kssssss. Echt jetzt. :P
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.09.2017 | 01:16
Nach meiner Rückkehr aus der Waystation rief ich Yolanda an, weil ich sie bei dem Treffen mit Enrique dabei haben möchte. Immerhin geht es um eine Familienangelegenheit, und unsere Schwester ist Juristin. Roberto wird auch dabei sein; er ist immerhin fast sowas wie Familie, vor allem, da sein Bruder Carlos und Enrique so dicke Freunde sind. Edward will lieber nicht mit, aber das ist ja klar: Er ist Polizist und müsste die Flüchtigen sofort festnehmen, wenn er sie sähe. Dass er das alles mitbekommt, ist eigentlich schon zu viel, aber so richtig davon abschirmen können wir ihn auch nicht. Aber weil er eben nicht mitkommen kann, bleibt er lieber in der Nähe des Hauses meiner Eltern und hält ein Auge auf ‘Jandra.

Auch mit Enrique wollen wir uns wieder in der Waystation treffen, das ist einfach einer der besten Orte für sowas. Linares haben wir entsprechend informiert, damit der der Gruppe auf den Hanffeldern bescheid geben kann. Morgen dann das Treffen.

Dazu haben wir heute noch besprochen, welche Optionen es überhaupt für Enrique gibt.
Ein ehrlicher Job wäre natürlich das Beste. Aber was? Für eine Karriere als Sportler ist er mit Mitte dreißig zu alt. Für den Posten als Rausschmeißer eines Clubs zu aggressiv. Körperliche Arbeit wäre ganz gut. Aber auch da wieder, wo? Auf einer Ölplattform, mit anderen harten Kerlen, die keinen Spaß verstehen, zusammengepfercht auf engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeit? Als Koyanthrop? Keine Chance. Bauarbeiter? Vielleicht. Aber das ist auch nicht ideal. Irgendwas in der Einsamkeit wäre gut, wo Enrique sich aber trotzdem körperlich betätigen kann. Waldarbeiter oder sowas. Glades-Ranger. Aber dafür ist mein Bruder nicht der Typ.
Er könnte sich freiwillig stellen und wieder ins Gefängnis gehen. Sich auf die chaotischen Umstände bei dem Feuer herausreden, alles auf eine Kurzschlussreaktion schieben, Reue zeigen und darauf hoffen, dass sie ihm die Strafe nicht allzusehr verlängern. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass er auf Nachsicht hoffen kann? Nicht sehr, wenn man ehrlich ist.
Linares hat ja angeboten, dass Enrique für ihn arbeiten kann. Aber nein. Das wäre ja doch nur wieder irgendwas Illegales, und dann käme er aus den Gangsterkreisen gar nicht mehr raus.
Vielleicht ist nach Kuba absetzen doch die beste Option. Ximena hat ja ohnehin schon angefangen, alles Notwendige dafür zu organisieren.

Eines ist ziemlich sicher: Er wird seine Tochter haben wollen. Als Roberto diesen Einwurf brachte, merkte ich, dass der Supermond doch noch nicht ganz vorüber ist, sondern wir uns bis zum nächsten Vollmond noch mit den Nachwehen davon herumschlagen müssen. Ich fuhr nämlich ein kleines bisschen aus der Haut. NICHT ALS VERBRECHER. Ich meine, natürlich ist sie nicht meine Tochter, sondern seine. Aber ich werde nicht zulassen, dass sie ein Leben auf der Flucht führen muss oder als Kind eines Gangsters aufwächst.

Als ich fertig geschimpft hatte, brachte Alex die Option 'unfreiwillig ins Gefängnis zurück' ins Spiel. Immerhin wissen wir, welchen Weg sie zu und von dem Treffen nehmen werden. Gaaaah. Ja, es wäre eine Option. Aber sie gefällt mir ganz und gar nicht.
Aber einen Plan B sollten wir haben, beharrte Alex. Stimmt. das sollten wir. Na gut, Plan B. Falls es sonst nicht anders geht.

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18. November

Mierda y cólera, das ist ja mal so richtig schön schiefgelaufen. Ich habe es versemmelt, Römer und Patrioten. Ach seufz.

Aber gut, es ist jetzt so gelaufen, jetzt kann ich es auch nicht ändern, sondern muss einfach versuchen, das Beste daraus zu machen.

Edward kam wie gesagt nicht mit zu dem Treffen mit Enrique, sondern blieb in Miami, um aus der Ferne auf Alejandra aufzupassen. Totilas kam zwar mit uns in die Waystation, setzte sich aber mit guter Sichtlinie an einen anderen Tisch, während Alex im Auto ebenfalls in Reichweite blieb. Das wusste ich natürlich in dem Moment noch nicht, aber er kundschaftete schon einmal die Gegend aus, wo sich die Highway Patrol heute stationiert hatte, um sie im Notfall aufscheuchen zu können.

Selva Elder war heute auch nicht glücklicher, uns zu sehen, als gestern. Ich weiß auch nicht, warum sie glaubt, jedesmal, wenn wir kämen, gebe es Ärger. Nicht jedes Mal. Wir waren auch schon hier, ohne dass irgendwas passiert ist. Siehe gestern. Aber okay, ich verstehe schon, dass die Male, wo die Situation eskaliert ist, die anderen Gelegenheiten ein bisschen überschatten. Aber jedenfalls servierte Selva uns Getränke und Gumbo: Geschäft ist immerhin Geschäft.

Enrique – muskelbepackt und fit, aber klar, er hatte im Gefängnis vermutlich nicht viel anderes zu tun als Sport zu machen – tauchte mit seinen drei Mitflüchtigen auf, dazu Carlos Alveira, der sich seinen Freunden partout hatte anschließen wollen.

Anfangs freute Enrique sich ehrlich, mich zu sehen. Ich freute mich ja auch, so war es ja nun nicht, aber ich wusste eben, was das Thema dieser Besprechung sein würde, und war entsprechend angespannt. Mit einem erfreuten „Hey, du hast trainiert!“ zog Enrique mich in eine Umarmung, was ich mit einem „Schon. Ein bisschen“ quittierte und dann erstmal zusammenzuckte, weil das natürlich voll auf den Verband über der Schwertwunde in meiner Seite drückte.
„Hey! Hat dir etwa einer was getan?!“ fragte Enrique empört, aber ich winkte ab. „Es geht schon.“ „Hey, keiner tut meinem kleinen Bruder was!“ „Es war halt Supermond“, beschwichtigte ich, „die Kacke war am Dampfen. Es geht schon, ehrlich.“

Nach diesem erfreulichen Anfang kippte das Gespräch aber relativ schnell in eine unangenehme Konfrontation, weil Enrique gar nicht lange brauchte, bis er das Thema auf Alejandra brachte. Er erklärte, er wolle sie jetzt natürlich haben, und ich argumentierte nach Kräften dagegen. Dass Enrique ein gesuchter Verbrecher sei, dass ihm, wenn er sich nicht freiwillig stellen würde (was er natürlich vehement ablehnte), ein Leben auf der Flucht bevorstände, und ob er seine Tochter da wirklich mit hineinziehen wolle. Dass Stabilität und ein geordnetes Leben doch besser für sie seien. Enrique allerdings war keinen Argumenten zugänglich. Ein ums andere Mal wiederholte er: „Aber sie ist meine Tochter!“, und er wurde dabei immer ärgerlicher. Mein daraufhin vorsichtig angebrachtes Argument, er habe sich vielleicht auch nicht immer so perfekt unter Kontrolle, war allerdings der völlig falsche Ansatz, denn darauf reagierte er überhaupt nicht gut. „Ich könnte Alejandra nie etwas tun!“ tobte Enrique los, und einerseits glaubte ich ihm ja, dass er das glaubte - ich weiß sehr wohl, wieviel ihm an ‘Jandra liegt -, aber andererseits bin ich mir eben nicht sicher, ob er sich in voller Vollmondrage nicht vielleicht doch mal vergessen könnte.

So ging es noch ein paarmal hin und her, wobei Enrique immer hitziger wurde und ich versuchte, ruhig zu bleiben, bis er mir irgendwann wütend entgegenschleuderte: “Sie ist meine Tochter, und du hast kein Recht, sie mir vorzuenthalten!”
Und dann reagierte ich… unklug, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich bemühte mich nämlich eigens um einen sachlichen Tonfall und entgegnete: „Naja, was das betrifft… Wenn man es ganz genau nimmt, schon. Ich habe nämlich das Sorgerecht.“

Das war zu viel. Übergangslos holte Enrique aus und jagte mir seine Faust ins Gesicht, ehe ich auch nur daran denken konnte, auszuweichen - und hinter seinem Schlag steckte eine solche Wucht, dass er mich mit diesem einen Hieb auf die Bretter schickte.

Von einem Schütteln an der Schulter und ein paar strategisch platzierten Ohrfeigen Klapsen auf die Wange kam ich wieder zu mir. Mit dröhnendem Kopf und ziemlich groggy sah ich auf: Wir befanden uns außerhalb der Waystation; offenbar hatte Selva die Jungs wütend aus ihrem Etablissement herauskomplimentiert. Totilas hatte mich geweckt, Roberto hingegen war gerade am Telefonieren, reichte mir dann das Handy. Am anderen Ende der Leitung war Alex, der ohne Vorrede fragte: „Soll ich eher dafür sorgen, dass sie einkassiert werden, oder lieber, dass sie wegkommen?“
Wie gesagt, ich war groggy. Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was Alex von mir wollte. „Enrique und seine Leute“, wiederholte er. „Ich kann dafür sorgen, dass sie verhaftet werden, oder ich kann ihnen zur Flucht verhelfen. Was soll es sein?“ Ehe ich antwortete, musste ich einfach die Gegenfrage stellen. „Alejandra?“ „Ist außen vor. Wenn sie abhauen, dann ohne sie. Also?“
Mir dröhnte höllisch der Kopf, und es war nicht viel Zeit, also konnte ich nicht groß nachdenken, sondern entschied aus dem Bauch heraus. „Ich weiß, ich werde das irgendwann bereuen, aber: hilf ihnen wegkommen.“

Das, was jetzt kommt, nämlich das, was während meines K.O.s alles geschehen war, bzw. das, was bei Alex im Auto passierte, habe ich erst hinterher erfahren. Aber es passt von der Chronologie her einfach besser, wenn ich es hier schon einfüge.

Nachdem Enrique mich niedergeschlagen hatte, zischte er seinen Leuten zu: „Los, wir gehen meine Tochter holen. Jetzt!“
Als sie fort waren, rief Roberto zuerst bei Edward an, um dem bescheid zu geben, dann Alex. Der ließ sich die Beschreibung und das Kennzeichen von Enriques Auto geben, dann fuhr er absichtlich in überhöhtem Tempo der Highway Patrol in den Weg, und sobald die ihm folgten, lenkte er sie auf die Strecke der Flüchtigen.
Der Plan ging auf: Als das Patrol Car mit Blaulicht und Sirene hinter ihnen auftauchte, wurden Enrique & Co. nervös und rasten los, obwohl ja eigentlich Alex derjenige war, der von den Gesetzeshütern verfolgt wurde. Aber das verdächtige Verhalten im Zusammenhang damit, dass deren Nummernschild schon als Fluchtfahrzeug bekannt war, führte dazu, dass die Patrolmen von Alex abließen – der würde sein Ticket schon bekommen – und sich mit der interessanteren Beute eine wilde Verfolgungsjagd in Richtung Stadt lieferten.

Das war der Moment, in dem Alex Roberto zurückrief und Bericht erstattete und mich dann fragte, wie er weiter vorgehen solle. Als ich sagte, er solle die Flucht der Kojanthropen unterstützen, legte Alex los. Auf die Schnelle organisierte er jede Menge Leute, die in der Stadt die Verfolgung behinderten. Flash Mob auf Speed, sozusagen. Hier ein defekter Laster, da ein fingierter Autounfall, sogar eine Herde Ziegen, wo auch immer die hergekommen sein mochte.

Während die Verfolgungsjagd lief, rief ich bei Ximena an, die ja ohnehin gerade schon die Flucht nach Kuba organisierte. Das Gespräch war der Hektik entsprechend kurz und knapp.
Dass die Exkremente im Ventilator seien und die Aktion sofort laufen müsse; das hatte Ximena aber schon gehört, und sie war schon an der Sache dran. Alex müsse wissen, wohin, sagte ich ihr noch, und bekam den Treffpunkt genannt – wieder ein Pier am Hafen, aber nicht dasselbe wie das, von dem aus wir ins Nevernever aufgebrochen waren. Im Auflegen hörte ich Ximena noch erfreut murmeln: „Wow. Ein ganzes Schiff unsichtbar machen!“, dann gab ich Alex die Nummer des Piers durch, und der organisierte seinen Flash Mob entsprechend und fuhr den Gangern dann nach.

Es klappte: Irgendwann mussten die Polizeikräfte aufgeben, und Enrique & Co kamen unbehelligt am Treffpunkt an. Dort gab Alex sich durch Vorbeifahren, Hupen (seit dem Dia de los Muertos und seiner Verbindung zum Kojotenzorngeist hat Alex als kleinen Insiderwitz seine Hupe zu dem „meep meep“ aus den Road Runner-Cartoons umgebaut) und Winken noch als Helfer zu erkennen, und während er vorbeifuhr, konnte er sehen, wie Enrique von Carlos beruhigt wurde. Alex konnte zwar nicht hören, um was es genau ging, aber ich vermute mal, das wird eine Aktion gewesen sein von wegen: „Wir können nicht weg, wir müssen meine Tochter holen!“ und von Carlos dann ein „lass erstmal verschwinden, deine Tochter holen wir später.“

Wir anderen waren indessen immer noch an der Waystation; ich fühlte mich immer noch nicht so richtig fit, und wütend auf mich selbst und bedrückt über die Entwicklung der Dinge war ich auch. „Hätte ich das irgendwie noch schlechter machen können? Ich glaube nicht.“
Aber Yolanda stärkte mir den Rücken: Alejandra sei bei mir definitiv besser aufgehoben als bei Enrique, und auch Roberto erklärte: „Ja. Du hättest derjenige sein können, der auf neutralem Boden zuerst zuschlägt.“

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19. November

Ich habe mich einigermaßen ausgeschlafen. Über Nacht habe ich ein astreines Veilchen entwickelt, aber dank Eispack geht es einigermaßen.

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Edward hat bei Cassius angerufen – bis heute hatten wir zu viel um die Ohren, aber bei der Konfrontation vor Edwards Haus war Cassius ja abgehauen, und seither hatte Edward nichts mehr von seinem Bruder gehört. Jetzt hat er erreicht, und zwar auf einem Transportschiff, das gerade nach Kuba unterwegs ist. Eigentlich wollte er sich nur für eine Weile auf dem Schiff verstecken, aber dann fuhr es los, und dann wurde Cassius als blinder Passagier entdeckt. Eigentlich wollen die Seeleute ihn in Kuba in Gewahrsam nehmen und dann in die USA zurückbringen lassen, aber Edward konnte sie davon überzeugen, dass er als nächster Angehöriger des Jungen dessen Kontaktperson sei und Cassius in seine Obhut gegeben werden solle. Da Ximena ja auch bald in Kuba ankommen durfte, wird sie den Jungen mit zurück nach Miami bringen, sobald sie Enrique und seine Leute abgesetzt hat. Edward hat seinem Bruder angeboten, dass er bei ihm wohnen könne – Edward hat zwar kein richtiges Rudel, aber er ist immerhin Cassius' Familie. Und vielleicht können die beiden ja zusammen eines bilden.

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20. November

Edwards Vater hat sich bei ihm gemeldet. Was sie genau beredet haben, weiß ich nicht im Detail; Edward hat nicht alles brühwarm erzählt, aber doch so die Grundzüge. Sie haben sich wohl über Cassius ebenso unterhalten wie darüber, dass Marie Parsen jetzt eine Fee ist – und Lewis Parsen hat sich anscheinend tatsächlich sowas ähnliches wie entschuldigt. Oder zumindest angedeutet, dass ihm klar ist, dass sein Verhalten früher nicht tragbar war. Und er scheint eingesehen zu haben, dass Cassius nicht bei ihm und seiner Mutter leben will, sondern bei Edward bleiben wird. Und Edward und sein Vater haben tatsächlich Telefonnummern ausgetauscht, man höre und staune.

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28. November

Heute habe ich den Nicht-mehr-Eidbrecher-Sidhe-Ritter verhört. Hurricane hatte ihn nach der Sache mit Enrique an den Sommerhof übergeben, aber ich hatte bis heute gewartet, weil ich nicht mit einem blauen Auge in Pans Kerker auftauchen wollte. Außerdem durfte der Sidhe – Sir Diarmuid heißt er – ruhig ein bisschen schmoren, dachte ich mir.
Bei dem Verhör kam nicht sonderlich viel heraus – aber das, was herauskam, war zutiefst beunruhigend.

Zuerst fragte ich Sir Diarmuid, warum er seinen Eid gegenüber Pan gebrochen habe. Das jedoch stritt der Ritter schlichtweg ab: Seinen Worten zufolge habe er Pan nie einen Eid geschworen, also habe er ihn auch nicht brechen können. Pan habe es einfach versäumt, ihm einen Eid abzuverlangen.
Na gut, das hätte ich ihm ja beinahe glauben können. Dass Pan einen Eidschwur völlig vergisst, das wäre nicht völlig abwegig. Aber auf meine nächste Frage log er ganz eindeutig, nämlich als ich wissen wollte, wie es komme, dass Lady Fire kein Eidbrecher-Zeichen mehr trage. Darauf erwiderte Sir Diarmuid nämlich, es sei ihm gar nicht aufgefallen, dass sie keines mehr habe, und das nahm ich ihm nicht ab.
Was Lady Fire und ihre Ritter so alles unternommen hätten, nachdem sie von Pan verbannt worden sei, das wollte er nicht sagen, da berief er sich darauf, dass ich Lady Fires Feind sei und er einem Feind seiner Herrin keine Auskunft geben werde. Dass ich nicht Lady Fires Feind sei, war von meiner Seite aus nicht gelogen, immerhin haben wir uns in ihren letzten Momenten versöhnt, aber das ließ der Sidhe nicht gelten. Als sie diese Aktivitäten unternommen hätten, sei ich noch ihr Feind gewesen, also werde er nichts sagen. Er habe seiner Herrin gedient, mehr werde er nicht sagen, und wenn ich ihn dafür umbringe.
„Ich finde eine Strafe für Euch, die schlimmer ist als der Tod“, spuckte ich, dann ließ ich ihn erst einmal wieder alleine im Kerker zurück.

Danach folgte natürlich die Diskussion mit den Jungs, was das alles zu bedeuten hatte. Sidhe können nicht lügen. Also warum konnte es  Lady Fire? Warum kann es Sir Diarmuid?
Sollte etwa ein dämonischer Einfluss dahinter stecken? Oder schlimmer, ein Einfluss von noch weiter draußen, von den Outsidern? Und mir kam ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn Sir Diarmuid mit dem 'ich diente der Herrin' gar nicht Lady Fire gemeint hatte, sondern die Herrin der Verschlungenen Wege?

Deren Namen sprechen wir übrigens schon seit der Insel tunlichst nicht mehr aus. Dabei kommen mir natürlich Harry-Potter-und-Voldemort-Assoziationen, „He Who Must Not Be Named“ und so, aber tatsächlich ruft es die Aufmerksamkeit des Benannten auf den Nennenden, wenn ein Name ausgesprochen wird. Also vermeiden wir es, die Aufmerksamkeit der Dame auf uns zu lenken, wenn wir nur irgend können. Da „Die Tante mit den Wegen“ auf Dauer etwas ermüdend wurde – und weil es bei uns zwangsläufig irgendwie immer zu sowas kommt –, fanden wir einen Codenamen für die Dame. Ich weiß gar nicht mehr genau, über welche Assoziationskette – natürlich war „Voldemort“ auch dabei und wurde verworfen –, aber am Ende landeten wir bei „Fräulein Rottenmeier“, nach der strengen Gouvernante aus dem schweizerischen Kinderbuch „Heidi“, das Alejandra gerade mit Begeisterung liest. Es klingt aber auch einfach so schön dämonisch.

Einen Codenamen für die Tante mit den Wegen zu haben, half uns aber auch nicht bei dem Problem mit plötzlich des Lügens mächtigen Feen. Also trafen wir uns heute nachmittag mit Jack White Eagle, um den um Rat zu fragen. Er wusste zwar auch nichts über Feen, die lügen können aber er war definitiv der Ansicht, irgendetwas Großes sei im Gange. Und ja, auch Jack denkt dabei als erstes an die Outsider.

Wo wir schon einmal bei White Eagle waren, sprachen wir mit dem auch über die Insel der Jugend und wie man ihr am besten helfen könne.
Am besten sollte so schnell niemand mehr hinkommen, aber den Weg auf die Insel ganz abzuschneiden, ist keine Option, weil sie ja ein wichtiger Anker für die Realität ist, und ein Anker muss eine Verbindung zu dem haben, was er verankern soll, anders geht es schlecht.
Den Weg dorthin komplizierter zu machen, taugt auch nichts, denn ein komplizierter Weg wäre ein verschlungener Weg, und für wen wäre ein verschlungener Weg besonders einfach zu finden Richtig.
Aber wie wäre es mit Türen? Immerhin ist Fräulen Rottenmeier ja die Herrin über Wege, nicht über Türen. Man könnte mehrere Türen aneinanderreihen und diese auf verschiedenen Inseln aufstellen und dann noch bestimmte Bedingungen an deren Öffnen knüpfen. So schwer, dass kaum jemand überhaupt herausfindet, was denn nun alles benötigt wird, aber trotzdem nicht unmöglich, damit die Verbindung zur Realität erhalten bleibt und hinkommen kann, wer muss.
Diese Idee fand Jack unterstützenswert, mahnte aber auch, ein solches Unterfangen sollten wir besser nicht ohne Tanits Einverständnis durchführen. Immerhin ist sie die Herrin über die Inseln draußen im Cayo Huracan, und soweit Jack wisse, gebe es außer der Insel der Jugend noch weitere Inseln, die einen Anker für die Realität darstellen.

Tío. Wenn die Kollateralschadeninsel eine davon wäre, dann würde ich einen hysterischen Lachkrampf bekommen, glaube ich.

Aber gut. Tanit hätten wir mit ziemlicher Sicherheit auch ohne Jacks mahnende Worte kontaktiert, aber es war schon nicht schlecht, diese Information von den weiteren Ankerinseln bekommen zu haben. Und Totilas will bei Tanit ja ohnehin noch um Verzeihung für seinen Eidbruch bitten.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 3.09.2017 | 18:58
Kssssss. Der arme Cardo erlebt einen hoch tragischen Moment, ist völlig durch den Wind, und dir fällt nichts anderes ein zu sagen als "Ach ja, die Kollateralschadeninsel"? Kssssss. Echt jetzt. :P

Na komm, ich war ja dabei. Das war ein sehr, sehr cooler Moment - aber mit der Kollateralschadeninsel und Cicerón kann ich in Zukunft noch spielen, und darauf freu ich mich halt schon.  :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.09.2017 | 14:48
Ach so meinst du das. Ohne die Erklärung las sich das für mich mehr so als rückblickende Reminiszenz.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.10.2017 | 21:56
02. Dezember

Wir haben um eine offizielle Audienz bei Tanit angehalten und sie auch gewährt bekommen. Hurricane fuhr uns auf ihre Insel, wo uns die beiden Sturmriesen Juan und Pepe sowie einige Stormsprites in Spiralen den felsigen Pfad hinaufführten. Oben auf den Klippen befindet sich der größte Teil von Tanits Palast vermutlich auch im Nevernever, aber dorthin lud die Herzogin des Winters uns nicht ein, sondern empfing uns draußen im Freien in einer Art Amphitheater, die eigens diesem Zweck zu dienen schien.

Tanit verhielt sich kühl und höflich, während ich selbst meinen Sommermantel strikt unter Kontrolle hielt und eisern diplomatisch blieb. Immerhin habe ich nichts gegen Tanit.
Unseren Vorschlag, einen neuen Zugang zur Insel der Jugend zu schaffen, und zwar mit mehreren Toren auf mehreren Inseln, fand die Herrin der Stürme grundsätzlich gut und schlug zusätzlich noch vor, dass jedes Tor von einem der Höfe gestellt werden solle. Das klingt tatsächlich sinnvoll, das werden wir im Hinterkopf behalten.

Wir fragten sie nach den übrigen Ankerinseln neben der Insel der Jugend, um sicherzustellen, dass die Kollateralschadeninsel keine davon ist. Das ist sie nicht, zum Glück, aber Tanit fand den Gedanken etwas beunruhigend, dass wir der Insel einen Namen gegeben haben, wie scherzhaft der auch gemeint gewesen sein mag. Denn wenn etwas einen Namen hat, dann verändert es sich, und wer weiß, wie diese Veränderungen bei einem Namen wie ‘Kollateralschadeninsel’ wohl aussehen?
Also will sie jemanden hinschicken, der sich das Ganze einmal ansieht; das kann ja sicherlich nichts schaden.

Die drei Ankerinseln gehören jeweils einem der Höfe: Die Insel der Jugend dem Wyld, die Insel der Trauer dem Winter und die Insel der Stürme dem Sommer. Wobei das noch nicht so ganz geklärt sei, ob die Insel der Stürme nun dem Sommer oder dem Winter gehöre, sagte Tanit, aber das sei eine andere Geschichte. Auf meine Nachfrage bestand sie aber darauf, dass ich diese Geschichte von Pan hören solle, es sei nicht an ihr, davon dem Ritter des Sommers zu erzählen.
Natürlich, erklärte ich sofort: Alles habe ja immer zwei Seiten, und ich würde gerne beide Seiten der Medaille hören, also irgendwann später dann vielleicht?
Eigentlich hatte ich es nur höflich-diplomatisch gemeint, aber Tanit starrte mich finster an. “Das hier ist meine Insel, Ritter des Sommers, also wäre es gut, du würdest mich das letzte Wort haben lassen.”
Seufz. Feen. In einer kapitulierenden Geste hob ich beide Hände und sagte nichts weiter.

Am Ende, als alles andere bereits besprochen war, trat Totilas vor. Er hielt den Kopf gesenkt, und sein Haar wirkte viel stumpfer als sonst – er hatte tatsächlich Asche auf seinem Haupt verteilt. Dazu die einfache, graue Kleidung, die er trug, und er gab wirklich ganz das Bild eines reuigen Büßers ab. Tanits Ritter zückten bereits ihre Schwerter und wollten Totilas entgegentreten, aber die Herzogin hielt sie zurück und bedeutete unserem White Court-Freund, näherzutreten.
Von dem, was sie besprachen, bekamen wir nichts mit, weil Tanit einen schützenden Schirm aus Wind um sie herum wirkte, der alle Geräusche drinnen hielt, aber es sah sehr bedeutsam aus und nicht so, als wolle die Winterherrin ihm gleich den Kopf abreißen. Dann nickte Totilas ernsthaft, verneigte sich und trat zurück, und wir wurden wieder den Felsen hinuntergeführt.

Zurück in Miami besprachen wir ausgiebig, wie der neue Zugang zur Insel der Jugend genau aussehen könnte. Dabei kamen alle möglichen Vorschläge auf und wurden wieder verworfen, aber nach längerem Hin und Her einigten wir uns schließlich auf folgende Lösung:
Das erste Tor wird das des Sommers. Wir platzieren es auf einer sommerlichen, palmenbewachsenen Insel mit Urlaubsflair; das Tor selbst wird ein Kreis aus Muscheln, die in einen flachen Felsen eingelassen sind. Um durch das Tor zum nächsten Ort zu kommen, muss man eine bestimmte Tonfolge in ein Muschelhorn blasen und ein Sommergedicht aufsagen. Nur zwei Zeilen davon sollen das Tor wirklich aktivieren, aber zur Tarnung will ich diese beiden Zeilen in einem etwas längeren Gedicht verstecken.

Das Wintertor wird sich im Überhang eines Felsens befinden, auf einer entsprechend kalten und sturmumtosten arktischen Insel. Sowas haben wir vor Miami zwar nicht, aber spätestens im Nevernever sollte sich so etwas auftun lassen. Um das Tor aufzuschließen, muss man einen aus Eis geformten Schlüssel aus einem Teich mit Eiswasser fischen. Wenn man weiß, was man tut, ist das zwar alles andere als angenehm, aber möglich. Nur wenn man nicht ganz genau weiß, wo in dem Becken man den Schlüssel zu suchen hat, dann friert man sich die Hand ab, weil das Wasser einfach so kalt ist. Wärmt man sich vorher die Hand auf, um das zu vermeiden, schmilzt der Schlüssel, trägt man Handschuhe, kann man den Schlüssel gar nicht erst ertasten, also muss man mit der bloßen Hand hinein. Auf diese Idee bin übrigens nicht ich gekommen, wie man sich vorstellen kann; das war Hurricane, der unserer kleinen Runde als Vertreter des Winters beiwohnte.

Für das Wyld war George bei der Besprechung dabei, und er dachte sich mit unserer Unterstützung folgendes aus: Nach Durchqueren des Wintertors landet man in einer sehr traumartigen Struktur aus grauen Gängen, einem richtiggehenden Labyrinth, an dessen Ende ein von einer Bürolampe beleuchteter Schreibtisch steht. Hier muss man ein Antragsformular ausfüllen und über eine altmodische Gegensprechstelle Sergeant Book kontaktieren – bzw. den jeweiligen Hüter der Insel der Jugend, nicht notwendigerweise Sergeant Book. Wenn der Hüter damit einverstanden ist, den Ankömmling zu treffen, dann öffnet sich eine Tür, und derjenige kann einfach hindurchgehen und landet auf der Insel der Jugend. Ist Book nicht bereit, den Besucher zu empfangen, dann geht die Tür gar nicht erst auf, aber dafür öffnet sich am rückwärtigen Ende des Ganges eine andere Tür, durch die man zurück zum Startpunkt auf der Sommerinsel gelangt.

Soweit die Planung. Jetzt müssen wir sie nur noch in die Tat umsetzen. Wir müssen zwar alles selbst machen, denn je weniger Leute von dem neuen Weg auf die Insel wissen, umso besser, aber das geht schon. Es muss ja nicht alles innerhalb eines Tages geschafft sein.

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03. Dezember

Ich muss dringend über Sir Diarmuid nachdenken, den Feenritter, der plötzlich kein Eidbrechermal mehr trägt. In den letzten Tagen war zu viel zu tun, aber jetzt kann ich das nicht mehr auf die lange Bank schieben. Ihm hatte ich ja eine Strafe angedroht, die „schlimmer als der Tod“ sei, aber bisher ist mir dazu noch nichts eingefallen. Es geht mir auch gar nicht so sehr um „schlimmer als der Tod“ - diese Drohung habe ich einfach im Affekt ausgesprochen - sondern eben darum, den Mann angemessen zu bestrafen. Aber was ist 'angemessen'? Und vor allem um eines mache ich mir Sorgen: Wenn er wirklich unter dem Einfluss der Outsider steht, kann er dann vielleicht von dort im Gefängnis wiederum auch andere beeinflussen? Es bringen ihm Leute sein Essen; es haben Leute dort Wachdienst... werde ich schon paranoid oder sind das alles potentielle Kontaktpunkte und Gefahrenherde?

Ich muss mit den Jungs darüber reden. Vielleicht haben wir gemeinsam eine Idee.

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04. Dezember

Oh Dios. Auf eine angemessene Strafe kam ich auch mit Hilfe der Jungs nicht. Aber dafür zu der Entscheidung, dass Sir Diarmuid hingerichtet werden muss. Die Gefahr, dass er unbemerkt irgendeinen Outsider-Einfluss ausweitet und so Pans Palast korrumpiert, ist einfach zu groß. Die anderen hielten diese Sorge nämlich für überhaupt nicht paranoid, sondern für durchaus angebracht.

Die Frage war nur, ob – auch wenn die Sorge darum berechtigt war – er auch wirklich einem dämonischen Einfluss unterlag. Aber wie das herausfinden? Roberto weigerte sich, den Ritter mit dem zweiten Gesicht zu betrachten, weil er sich nicht dem aussetzen wollte, was er dabei sehen – und dann nie wieder vergessen – könnte, und das waren völlig legitime Bedenken. Also nicht über die Sight. Aber ich fragte George, der inzwischen als offizieller Anführer des Wyld in Miami auch außerhalb des Nevernever materialisieren kann und den ich zu diesem Zweck kontaktierte, ob Sir Diarmuid träume. Das tut er nicht – das tut keine Fee, wie George mir erklärte – aber es schwebe irgendetwas um ihn herum, das derart unangenehm sei, dass George ihn nicht anrühren wollte, selbst wenn er träumen könnte. Das war mir Bestätigung genug für den befürchteten Outsider-Einfluss. Mierda.

Mich betrachtete Roberto übrigens auch in der Sight. Immerhin hatte ich bei den Verhören einige Zeit mit Sir Diarmuid verbracht, und wenn dieser Einfluss so perfide unauffällig ist, wer weiß, ob ich nicht auch schon was davon an mir hatte? Da war aber nichts, zum Glück, und ich gebe zu, ich war schwer erleichtert. Ja, paranoid, ich weiß, aber sicher ist sicher. Vielleicht war das ein bisschen so wie bei einem AIDS-Test: Nein, man rechnet nicht wirklich damit, dass der Test positiv ausfällt, aber wenn man dann die Bestätigung hat, dass nichts ist, fällt einem doch ein Stein vom Herzen.

Totilas war derjenige, der mir den entscheidenden Punkt wieder ins Gedächtnis brachte. „Was ist dir wichtiger? Dass er keine Gefahr mehr darstellt oder dass er bestraft wird?“
Und natürlich hatte er recht. Dieses ganze Suchen nach einer 'angemessenen Strafe' war im Endeffekt eigentlich nichts als egoistisch. Nach meiner Drohung von wegen 'schlimmer als der Tod' wollte ich mich einfach nur nicht lächerlich machen, nicht das Gesicht verlieren dadurch, dass mir keine Strafe einfiel, die wirklich schlimmer war als der Tod. Aber das ist albern. Hier geht es um Wichtigeres als darum, ob ich vor einem korrumpierten Feenritter das Gesicht verliere oder nicht. Die Gefahr, die Sir Diarmuid darstellt, ist viel zu groß für solche kleinlichen Bedenken. Ich werde ihn hinrichten müssen.

Erst überlegten wir eine ganze Weile hin und her, mit welcher Berechtigung: Ob es vielleicht eine Gerichtsverhandlung geben sollte, bei der wir Sir Diarmuids Veränderung vielleicht offenlegen könnten, beweisen könnten, dass er gelogen hat, oder ihn gar während der Tat bei einer Lüge ertappen? Aber das wird kaum möglich sein, fürchte ich. Feen können sich dieses Konzept einfach nicht vorstellen; es geht beim besten Willen nicht in ihren Kopf.
Als wir Sir Anders danach fragten, ob er sich an Sir Diarmuids Eid Pan gegenüber erinnern könne und daran, ob er den abgelegt habe, war er völlig verwirrt und misstraute eher seiner eigenen Erinnerung als in Betracht zu ziehen, dass Sir Diarmuid zu einer Lüge fähig gewesen sein könnte. Ihm die Lüge nachweisen wird also nicht gehen; bei einer Gerichtsverhandlung würde er sich einfach weiter darauf herausreden, dass er nie einen Eid abgelegt habe, und niemand könnte ihm das Gegenteil beweisen.

Aber dann fiel uns ein, dass es eine solche Gerichtsverhandlung ja gar nicht braucht. Eidbrecher ja oder nein, das Mal losgeworden hin oder her, Sir Diarmuid hat Pans Bann missachtet, und das ist bereits Legitimation genug für ein Todesurteil.
Aber bevor wir – bevor ich – das vollstrecke, habe ich noch eine andere Sorge. Und ja, auch das mag wieder paranoid sein, aber: Ist denn sichergestellt, dass der Outsider-Einfluss im Moment der Hinrichtung nicht durch die Gegend explodiert und sich schön gleichmäßig auf alle Anwesenden verteilt?
Wir wissen einfach zu wenig über diesen ganzen Outsider-Kram, und sich zu viel damit zu beschäftigen, stellt ja auch schon einen Bruch der magischen Gesetze dar. Nur: Wieviel ist zu viel? Woher ¿por demonios soll man solche Dinge wissen und beachten, wenn man sie nicht herausfinden darf?

Wir wissen zu wenig darüber. Und es gibt kaum jemanden, dem wir in einer solchen Angelegenheit vertrauen können. Aber vielleicht kann Jack White Eagle uns weiterhelfen.

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Zurück aus der Kommune. Jack war gerade dabei, mit einem Ritual den Threshold um das Gelände hochzuziehen, danach aber gerne bereit, mit uns zu reden. Und tatsächlich fand er, die Gefahr bestehe durchaus, dass der Einfluss sich mit Sir Diarmuids Tod ausbreiten könnte. Na gut, dann müssen wir eben Vorkehrungen treffen. Jack sagte auch noch, diese ganze Sache mit den Outsidern mache ihm Sorgen. Bis vor ein paar Jahren hätte kaum jemand gewusst, dass sie überhaupt existieren, und jetzt hätten sie keine Scheu, ganz offen zu operieren. Er bat uns, die Augen offenzuhalten, und versprach, sich ebenfalls zu melden, wenn er etwas herausfinden sollte.

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14. Dezember

Es ist getan, Dios perdoname. Nachdem Pan das Todesurteil noch einmal hochoffiziell verkündet hatte, vollstreckte ich es. Ich weiß nicht so richtig, was das über mich aussagt – dass ich dazu imstande war, meine ich. Und dass ich jetzt gar keine so starken Schuldgefühle habe, wie ich dachte, dass ich sie haben würde. Beim Ritual der Elemente letztes Jahr im Sommer anwesend zu sein, ging ja schon in diese Richtung, aber das waren Freiwillige. Und da war ich nicht selbst derjenige. Aber ich hätte mir auch nicht mehr in die Augen sehen können, wenn ich dieses Urteil jetzt nicht selbst vollstreckt hätte. Ich will mich auch nicht darauf hinausreden zu sagen, Sir Diarmuid war 'nur eine Fee, und Feen haben ja keine Seele'. Fee oder nicht, Seele oder nicht, er war ein denkendes, fühlendes Wesen, und ich wünschte von Herzen, es hätte eine andere Lösung gegeben. Vielleicht hätte es das sogar, aber ich habe beim besten Willen keine gesehen. Also habe ich getan, was ich glaubte, dass getan werden musste. Ob es mir leichter fiel, diese Entscheidung zu treffen, weil ich den Mantel des Sommerritters trage? Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber nein, ich glaube, das war tatsächlich einfach Ricardo Esteban Alcazár, der diese Entscheidung getroffen hat und – glaube ich – auch ohne Sommerrittermantel so getroffen hätte.

Jedenfalls, philosophische Selbstbetrachtungen beiseite: Sir Diarmuid wurde in einem Schutzkreis platziert, damit der Einfluss an dessen Wänden abprallen sollte, statt sich im Raum zu verteilen; ich selbst blieb außerhalb des Kreises und vollführte die Hinrichtung mittels Pfeilschuss. Auf die geringe Entfernung war das zielgenaue Setzen des Schusses  zum Glück kein großes Problem, aber ich habe in den letzten Tagen auch eigens geübt. Ich wollte den Ritter ja nicht unnötig leiden lassen.
Wie erwartet, höhnte Sir Diarmuid, dass es ja wohl nun nichts sei mit der Strafe „schlimmer als der Tod“, aber ich ließ ihn reden. Ich will nicht behaupten, dass der Hohn völlig an mir abprallte, aber das war etwas, das ich ertragen musste. Wie gesagt: Ich wünschte, es hätte eine andere Lösung gegeben – oder mir wäre eine andere Lösung eingefallen – , aber da dem nun einmal nicht der Fall war, musste es sein.

Anschließend untersuchten wir Pans Hof. Den gesamten Hof und alle Höflinge. Also Roberto, genauer gesagt: Er musste die Untersuchung durchführen, weil er ja derjenige mit dem Zweiten Gesicht ist. Dabei stellte sich heraus, dass tatsächlich jemand beeinflusst worden war, und zwar die Nymphe Saltanda. Zum Glück war sie die einzige von allen Leuten Pans – sie hatte wohl ziemlich viel Zeit mit Sir Diarmuid verbracht; sie meinte, und er sei so eine tragische Figur gewesen, der edle Ritter, den man zu Unrecht eingekerkert habe, und er habe ihr so leid getan.

Roberto sagte, in der Sight habe Saltanda ausgesehen wie eine Weizengarbe, die aber von Mutterkorn befallen sei. Die Nymphe musste also mittels eines Rituals gereinigt werden – und was für ein Ritual eignet sich am besten bei einer Nymphe? Richtig, Römer und Patrioten: ein tantrisches.
Edward sollte die eigentliche Magie wirken, Roberto ihn – wie ja inzwischen schon mehrfach erprobt – durch ihre immer noch bestehende magische Verbindung dabei unterstützen. Und Totilas sollte die Nymphe, die eigentlich gar keine Lust darauf hatte, gereinigt zu werden, weil sie fand, das habe sie gar nicht nötig, derweil entsprechend „ablenken“.

Da mussten Alex und ich aber nicht dabei sein, herzlichen Dank. Wir hielten lieber draußen vor der Tür Wache, um sicherzustellen, dass niemand kam, um die Ritualwirker zu stören. Und stellten auf taube Ohren, oder besser, das Ritual sollte in einem Kreis stattfinden, aus dem auch keine Geräusche dringen sollten, wofür zumindest ich nicht undankbar war. Ja, nennt mich prüde, Römer und Patrioten, aber ich erinnerte – erinnere – mich nur allzu gut an meinen Fehler mit Saltanda.

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15. Dezember

Lidia hat eben angerufen. Sie meinte, Monica hätte gesagt, ich hätte so bedrückt gewirkt, als sie heute bei 'Jandra zum Spielen war. Demonios, und ich hatte gedacht, ich hätte mir nichts anmerken lassen. Aber ich fand es sehr nett, dass Lidia angerufen hat, und wir haben uns fast eine Stunde lang unterhalten. Ich habe ihr natürlich nichts von Sir Diarmuid erzählt, aber trotzdem hat mich das Gespräch ziemlich aufgemuntert.

Vielleicht gehen wir am Wochenende ins Kino.

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16. Dezember

Totilas hatte die Idee, dass wir uns mit Cleo duMorne unterhalten könnten. Sie weiß immerhin auch einiges über die Outsider und kann uns vielleicht mit Informationen weiterhelfen. Wir haben ihr über Oliver Feinstein die Nachricht zukommen lassen, dass Richards Sohn sie gerne sprechen möchte. Treffen im Buchladen.

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Abends. Oh Mann. Das war... aufschlussreich. Und übel, irgendwie. Falls ich noch irgendwelche Zweifel daran gehabt haben sollte, dass Totilas in seiner neuen Aufgabe als Anführer des White Court von Miami gelernt hat, seine Karten sehr eng an der Brust zu spielen, dann wären sie spätestens jetzt ausgeräumt.

Wir trafen Cleo wie geplant im Buchladen. Sie war scheu wie immer, beantwortete unsere Fragen aber vergleichsweise bereitwillig. Ich sage 'vergleichsweise', weil sie über die Outsider eigentlich am liebsten überhaupt nicht sprechen wollte. Sie erklärte, sich auch nur mit dem Thema zu beschäftigen, könnte selbst schon einen Einfluss auf jemanden haben, was auch der Grund für das strikte Verbot durch die Gesetze der Magie sei. Ach seufz. Ich habe es ja vor ein paar Seiten schon mal geschrieben: Wie zum Nether soll man sich zu schützen wissen, wenn man nichts darüber herausfinden darf?

Als wir in den Laden kamen, las Cleo gerade in Faerie Storm. Von sich aus hätte sie sich natürlich niemals getraut, mich zu fragen, aber als ich ihr anbot, ob ich ihr das Buch vielleicht signieren solle, leuchteten ihre Augen richtiggehend auf.

Und dann waren wir mit unserem Gespräch fertig, und Cleo wollte aufbrechen. Aber ehe sie gehen konnte, sagte Totilas: „Cleo, warte“, und fuhr fort: „Ich muss dir von Tanit etwas ausrichten.“  Die junge Magierin hatte es plötzlich sehr eilig, sprang auf und wollte richtiggehend flüchten, aber Totilas sprach eilig weiter. „Ich muss dir von Tanit sagen: Die Zeit ist gekommen.“
Diese Worte ließen Cleo in sich zusammensacken wie eine zum Tode Verurteilte. Unter ihrer braunen Haut wurde sie kreidebleich, und ihre großen Rehaugen traten noch stärker hervor. Aus ihnen sah sie Totilas an, als habe der ihr höchstpersönlich ein Messer zwischen die Rippen gestochen. „Von allen hätte ich das erwartet... aber nicht von Richards Sohn...“

Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck der Entschlossenheit an, und sie straffte sich, als müsse sie jetzt sofort den Gang zum Henker antreten. „Ich habe so darauf geachtet, mich nicht rufen zu lassen... Aber jetzt muss ich gehen... Lady Tanit wartet...“
Ohne ein weiteres Wort stolperte sie aus dem Buchladen. Sogar das signierte Faerie Storm ließ sie liegen. Oh Mann. Mierda.
Alex, der Gute, reagierte als erster. „Ich bleibe bei ihr“, sagte er, griff sich das Buch und ging Cleo nach.

Und da stehen wir jetzt. Alex ist schon etliche Stunden fort, und ich hoffe, es geht ihm gut. Und Cleo natürlich auch. Oh, Mierda.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.10.2017 | 22:13
Yay! Sehr schönes Diary, ich bin schon sehr gespannt, wie es weiter geht!  :D
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 8.10.2017 | 23:06
17. Dezember, mittags

Alex hat sich eben erst wieder gemeldet, aber Cleo und ihm geht es gut. Also soweit es ihr bei der Herrin der Stürme gutgehen kann, aber ausführlicher konnte er am Telefon erst einmal nicht werden. Aber wir treffen uns gleich, dann wird er hoffentlich erzählen.

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Also. Cleo wollte eigentlich sofort los, aber Alex konnte die junge Magierin überzeugen, dass genug Zeit war, um einige Sachen zu packen und sich zu sammeln. Währenddessen erzählte sie ihm, was es mit Tanits Ruf eigentlich auf sich hatte, das schien ihr ein Anliegen zu sein. Tanit hatte ihr geholfen und ihr längere Zeit lang Zuflucht gewährt, als Lafayette duMornes Sohn Justin ihre Mutter und sie gejagt - oder besser einen Outsider hinter ihr hergejagt - hatte, und sich zur Gegenleistung bei Cleos magischer Kraft versprechen lassen, dass Cleo ihr dienen werde, wenn Tanit sie rufe. Cleo sei sich dessen bewusst gewesen, dass die Winterherzogin sie schon seit einer ganzen Weile rufen wolle, aber bisher sei es ihr immer gelungen, die Nachricht nicht entgegennehmen zu müssen. Bis gestern eben. Stimmt, das hatte Richard damals erzählt. Justin duMorne hatte sich mit einem Outsider eingelassen und seine Tochter nur gezeugt, damit er irgendwelche Experimente mit ihr machen konnte, deswegen war Cleos Mutter ja mit ihr geflohen und deswegen war Cleo ja auch so gut im Verstecken und Untertauchen.

Jetzt jedenfalls war es also an der Zeit für Cleo, ihr Versprechen einzuhalten, wenn sie ihre Magie nicht verlieren wollte. Alex begleitete sie nach Hause, damit sie einige Dinge zusammensuchen und zwei Briefe schreiben konnte, einen an Richard, einen an Spencer Declan, die sie Alex zu überbringen bat, dann brachte er sie auf den Cayo Huracán. Tanit empfing Cleo mehr als kühl, weil die ihr so lange ausgewichen war, und schickte sie ziemlich sofort in den Nevernever-Teil ihres Palastes, ohne ihr Zeit für lange Verabschiedungen zu lassen. Aber immerhin gelang es Alex noch, Cleo das vergessene Exemplar von Faerie Storm zurückzugeben, was ihr wohl ziemlich viel bedeutete.
Er versuchte auch, Tanit zu fragen, wie lange Cleo ihre Schuld würde abarbeiten müssen, aber darauf war Tanit nicht bereit zu antworten.

Mierda. Ich hoffe, der Kleinen wird es dort einigermaßen gehen. Ich denke – ich hoffe! – nicht, dass Tanit sie misshandeln wird, aber es ist eine Gefangenschaft, ganz gleich, wie gut man Cleo dort behandelt.

Ach ja, und sagte ich schon, dass das Eidbrechermal bei Totilas in dem Moment verschwand, als Cleo Tanits Botschaft überbrachte? Konnte man sich vermutlich schon denken, aber ja, die Übergabe der Nachricht war ganz klar das, was die Winterherzogin von unserem White Court-Freund verlangt hatte. Als wir ihn hinterher darauf ansprachen, erklärte er, er habe uns nichts sagen können, weil Tanit ja diesen Schweigeschirm um sie gezogen habe und er sich ja beim letzten Mal schon bei ihr in die Nesseln gesetzt habe, weil er etwas verriet, das sie im Vertrauen erzählt habe. Nun ja. Beim letzten Mal hatte er sein Wort gegeben, niemandem etwas zu sagen, und dieses Wort eben gebrochen. Da gibt es schon einen deutlichen Unterschied, es sei denn, Tanit hätte ihm auch diesmal ein ähnliches Versprechen abgenommen. Aber gut. Jetzt ist es so gelaufen, und Tatsache ist tatsächlich, um die Eidbrecheraura loszuwerden, musste Totilas Cleo diese Nachricht überbringen. Dass Totilas' Rehabilitation die arme Cleo in diese Zwangslage bringen würde, das war natürlich vorher nicht vorherzusehen. Oder vielleicht konnte Totilas sich auch etwas in der Art denken, zog seine Aufgabe aber trotzdem durch. Demonios. Ich kann der Kleinen nur von ganzem Herzen alles Gute und viel Kraft wünschen.

Eigentlich habe ich nach all dem nicht viel Lust, heute abend wie geplant mit Lidia ins Kino zu gehen. Aber ich kann sie jetzt nicht hängen lassen. Verabredet ist verabredet. Okay, Alcazár. Gute Miene machen. Du willst Lidia nicht auch herunterziehen.

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Abends.

Wir waren in La La Land, und es war tatsächlich richtig schön. Wir hatten noch überlegt, ob wir lieber La La Land oder den neuen Star Wars-Spinoff schauen sollten, aber ich glaube, das Musical war die richtige Entscheidung. Lidia sagte mir auf den Kopf zu, dass etwas nicht in Ordnung sei, und sie ist ja genug über die Magie und dergleichen im Bilde, dass ich ihr ungefähr erzählen konnte, um was es ging. Nicht in allen Details, aber genug über das grundlegende Dilemma.
Und der Film war tatsächlich sehr nett. Einfach rundum erfreulich, und das, obwohl ich mit Musicals normalerweise nicht so viel anfangen kann.

Und ich habe mit Lidia verabredet, dass Monica und sie an Weihnachten zu uns kommen. Jandra und Monica hätten sich ohnehin zum Spielen getroffen, da können wir auch gleich gemeinsam feiern.

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19. Dezember

Ich habe Pan nach den Ankerinseln gefragt. Wie er es erzählte, gehörten die Ankerinseln einst alle drei dem Sommer, aber die Insel der Tränen schenkte Pan dem Winter, weil er fand, Trauer und Sommer passten nicht zusammen, und die Insel der Jugend habe er vor einigen Jahren bei einem Kartenspiel an Sergeant Book verloren. Was nun die Insel der Stürme angehe, so sei das ein strittiger Punkt mit Tanit. Die Winterherzogin habe behauptet, sie sei ja die Herrin der Stürme, also sollte die Insel viel eher ihr – und damit dem Winter – gehören. Und in diesem Streit habe er ihr versprochen, er werde ihr die Insel schenken, wenn sie sie so gerne haben wolle – als Hochzeitsgeschenk. Aber da Tanit sich ja weigere, ihn zu heiraten, war es das eben bisher mit der Inselübergabe. Wenn sie denn doch mal irgendwann heiraten würden, dann gerne. Tanit allerdings behaupte, er habe ihr die Insel ohne Heiratsbedingung, sondern einfach so zum Geschenk gemacht, und damit gehöre sie schon dem Winter.

Ooookay. Das ist, glaube ich, ein Thema, bei dem ich mich heraushalte. Sollen das die beiden mal schön untereinander klären, dazu brauchen sie ihre Ritter nicht. Wobei ich persönlich ja der Ansicht bin, eine Insel pro Feenfraktion ist nur fair. Der Gedanke, die Insel der Stürme an den Winter abzugeben, gefällt mir also nicht so recht. Aber das ist ziemlich sicher der Sommermantel, der da spricht, glaube ich.

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24. Dezember, morgens

Heute werde ich nicht viel zum Schreiben kommen – Baum schmücken, kochen, Alejandra beschäftigen... Aber ich freue mich auf die Feiertage, muss ich sagen.

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25. Dezember, morgens

¡Feliz Navidad, allerseits! Das war schön gestern. Gut zu Abend gegessen, Alejandra und Monica durften mit in die Christmette – das ist für sie immer wieder etwas Besonderes, um kurz vor Mitternacht noch raus zu dürfen – und haben dann Pyjamaparty halten dürfen. Lidia hat im Gästezimmer übernachtet, bevor hier Ideen aufkommen, Römer und Patrioten. Aber ja. Es gab einen Kuss. Jetzt zufrieden?

Außer mir schläft alles noch. ich habe gerade  aufgeräumt und klar Schiff gemacht, und vielleicht habe ich gleich noch ein bisschen Zeit, bevor es hier wieder rund geht. Ich muss – möchte, vor allem, aber muss auch, wenn ich ehrlich bin – endlich mal anfangen, meine Outline-Gedanken in erste Romanseiten zu gießen. Und, wenn ich noch einmal ehrlich bin, mich auch ein bisschen ablenken. Da ist dieser Kuss, der mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrt.

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25. Dezember, abends

Natürlich hatte ich keine Zeit. Nicht viel später wachten alle auf, und dann begann die übliche Weihnachtshektik. Die Mädchen, die am liebsten den ganzen Tag miteinander verbracht hätten, waren ein bisschen traurig, dass sie sich mittags trennen mussten, weil wir zu unseren jeweiligen Familien fuhren, aber das gemeinsame Spielen läuft ja nicht weg.
Und Lidia und ich haben beschlossen, auch Silvester gemeinsam zu feiern.

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28. Dezember

Irgendwer hat gepetzt. Entweder war es Alejandra, oder Yolanda hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich reinzureiten. Mamá wollte heute wissen, wann ich ihnen denn meine neue Freundin vorstellen würde. Ach seufz. Da ist doch noch gar nichts spruchreif. Wir waren auf einigen Dates, zugegeben. Wir haben uns geküsst, auch zugegeben. Aber ich würde die weitere Entwicklung gerne ohne die neugierigen Augen meiner Eltern geschehen lassen, wenn das irgendwie möglich ist, herzlichen Dank.

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01. Januar, abends

¡Feliz Año Nuevo, Römer und Patrioten!

Das Eltern-Vorstell-Problem haben wir gelöst, weil Mamá und Papá so nett waren, nicht nur auf Alejandra, sondern auch auf Monica aufzupassen, damit Lidia und ich ausgehen konnten. Yolanda war für Silvester ohnehin nicht verfügbar – ich tippe auf Marshall Raith, so sehr, wie mein Schwesterchen herumgedruckst hat und nicht mit der Sprache herausrücken wollte, wo ich doch eigentlich überhaupt nicht in sie gedrungen war. Oder zumindest finde ich, mein „Viel Spaß an Silvester; was machst du eigentlich?“ war eine ganz gewöhnliche Frage, wie man sie auch einem Arbeitskollegen hätte stellen können. Das ich darauf ein „Also, ähhm, also, weißt du, ja...“ bekommen würde, was eigentlich sonst überhaupt nicht Yolandas Art ist, lässt mich zwei Dinge vermuten. Entweder ich habe sie wirklich auf dem falschen Fuß erwischt, oder das war reine Absicht, um mich aus dem Konzept zu bringen. Also wirklich.

Jedenfalls brachten wir die Mädchen bei meinen Eltern vorbei, und ich möchte schwören, die stubsten einander in die Seiten wie Teenager, als sie Lidia erklärten, es sei eine große Freude, sie kennenzulernen, und uns dann einen schönen Abend und eine schöne Party wünschten. Und nein, nein, es sei gar kein Problem, auf die Kinder aufzupassen, sie hätten ohnehin nicht groß etwas geplant, vielleicht mit den Nachbarn anstoßen, alles gar kein Ding, und natürlich würden die Mädchen bei ihnen übernachten, es sei uns und ihnen doch nicht zuzumuten, sie nachts wieder abzuholen... Aha. Verstehe schon. Es war mir gelinde peinlich, aber Lidia nahm es mit Humor.

Und ja, nach der Party blieb sie tatsächlich über Nacht. Und zwar nicht im Gästezimmer. Und dann auch noch den Rest des Tages. Wir haben die Mädchen erst am frühen Nachmittag abgeholt und waren dann noch eislaufen mit ihnen. Seltsam, wie ich das hier so aufschreibe, klingt es ganz fürchterlich bieder und langweilig, aber es hat sehr viel Spaß gemacht. Bis auf die kleine Tatsache, dass es das erste Mal war, dass ich mich im Schlittschuhlaufen versucht habe, seit ich Pans Ritter bin – und dass mir diese große Eisfläche diesmal deutlich unsympathischer war als früher immer. Aber da musste der Sommerrittermantel jetzt durch – hier ging es um Spaß mit der, traue ich mich, es zu sagen? Familie.

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[es folgen diverse weitere Einträge privater Natur]

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18. März

Heute hat mich Saltanda, die Nymphe, angesprochen, als ich bei Pan im Palast war. Sie war ganz aufgeregt, denn sie ist schwanger. Das ist bei ihr nun nichts Neues; sie erklärte, von Satyren sei sie schon sehr oft schwanger gewesen, aber diesmal fühle es sich anders an, und es gehe auch viel langsamer und alles.
Langer Rede kurzer Sinn: Das dürfte wohl das Ergebnis von Totilas' 'Ablenkung' bei dem Reinigungsritual im Dezember gewesen sein. Sieh an, unser White Court-Kumpel wird Vater.

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18. März, später.

Jahaaa. Denkste. Als ich Totilas die Mitteilung machen wollte, stellte sich heraus, dass er tatsächlich nicht der einzige ist, der als Vater in Frage kommt. Es war ein tantrisches Reinigungsritual, Römer und Patrioten, und wie es sich herausstellte, haben weder Edward und Roberto sich mit Ritualwirken begnügt. Oder besser gesagt, das Ritualwirken nahm eben entsprechende Formen an.

Natürlich wollten die drei nun Gewissheit haben, wer von ihnen denn nun der Vater sei, also führte Edward ein Ritual zur Bestimmung heraus. Natürlich – Edward nutzt ja jede Gelegenheit, die er nur bekommen kann, um irgendwelche Rituale zu ziehen. Aber zugegeben: Es ist ja auch die Frage, ob und inwieweit ein schnöder Gentest bei einer Nymphe überhaupt von Erfolg gekrönt wäre.

Ein Ergebnis jedenfalls hatten sie relativ schnell: Roberto ist der Vater des Kindes. Oh-hah. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dee das gefallen wird. Falls sie es erfährt, versteht sich. Von mir aber jedenfalls nicht. Das würde, auch wenn ich dank Lidia über Dee endlich hinweg bin, viel zu sehr wie billiges Rachenehmen an Roberto wirken, auch und gerade, weil wieder Saltanda involviert ist.

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22. März

Von mir hat Dee es zwar nicht erfahren, aber erfahren hat sie es. Roberto selbst hat es ihr erzählt – und so dreckig, wie es ihm jetzt geht, hat es ihr genausowenig gefallen, wie ich dachte, dass es das würde.

Ich habe nicht so ganz in jedem letzten Detail mitbekommen, wie das genau ablief, aber aus dem, was Alex, der seine Schwester besänftigen musste, angedeutet hat, reime ich mir folgendes zusammen:
Roberto war tatsächlich sehr glücklich darüber, dass er Vater werden würde, und er muss in dieser Stimmung und völlig aufgeräumt wohl Dee diese Eröffnung gemacht haben. Bei einem romantischen Abendessen zur Feier des Anlasses, wohlgemerkt. Das hat Dee wohl gar nicht gut aufgenommen, und entweder, sie hat gleich mit ihm Schluss gemacht, oder sie hat ihm das Ultimatum gestellt, falls er wirklich bisher nicht verstanden habe, dass sie monogam veranlagt sei, dann solle er es bitte jetzt verstehen und sich jetzt darauf einlassen. Das konnte oder wollte Roberto aber nicht, also war es das.
Mit Edward hat Roberto sich deswegen auch auf's Heftigste gestritten, nachdem er sich betrunken hatte und dann mit Edward reden wollte. Edward wurde so wütend, dass er Roberto aus seinem Haus warf, aber er sagte wenigstens noch Totilas bescheid, dass der ihn einsammeln und auf ihn aufpassen sollte.

Tío.

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23. März

Ich hatte ein langes Gespräch mit Edward. Der sagte, die ganze Sache sei ihm wegen Cherie so nahe gegangen. Bei ihr habe er gewusst, dass sie mit anderen Männern schlafen muss, um am Leben zu bleiben, und das habe Edward ja auch gewusst und akzeptiert, aber trotzdem habe es ihm verdammt wehgetan, und Cherie habe verstanden, dass ihm das verdammt wehgetan habe.
Dass Roberto jetzt so überhaupt nicht verstehen wollte oder konnte, dass es sehr wohl einen Zusammenhang dazwischen gibt, ob man einerseits fest mit jemandem zusammen ist und andererseits mit anderen Leuten ins Bett geht, das machte Edward schlicht fuchsig. Aber tatsächlich hatte er sich deutlich besser unter Kontrolle als noch vor einem Jahr. Da hätte er sich vielleicht nicht beherrschen können und Roberto eine runtergehauen statt ihn nur rauszuwerfen.

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24. März

Heute habe ich auch mit Roberto geredet; das war mir wichtig. Nicht, um schadenfroh zu sein, sondern weil ich ihm einfach etwas sagen wollte. Und zwar, dass es mir wirklich leid täte und dass ich es ihm wirklich gewünscht hätte, dass das mit ihm und Dee hält. Ich gab auch zu, dass das vor einem Jahr noch anders gewesen wäre, aber jetzt eben nicht mehr.
Und das war die reine Wahrheit. Vor einem Jahr war ich über Dee noch nicht hinweg. Nein, vielleicht war ich sogar vor einem halben Jahr noch nicht komplett über Dee hinweg. Vor einem Jahr oder einem halben Jahr hätte ich vermutlich versucht, Dee zurückzugewinnen, nachdem sie mit Roberto Schluss gemacht hätte. Aber inzwischen sind die Dinge tatsächlich anders, und deswegen hätte ich mir tatsächlich gewünscht, dass das zwischen Dee und Roberto geklappt hätte, denn Roberto ist mein Freund, und Dee hat mir nie etwas vorgemacht, und beiden wünsche ich, dass sie glücklich werden.

Roberto dankte mir mit ernster Miene, und ich konnte ihm ansehen, dass er erkennen konnte, dass ich es ehrlich meinte. Aber ich glaube, Roberto ist tatsächlich nicht der Typ für eine monogame Beziehung, oder zumindest jetzt nicht. Wenn er sich binden soll, dann muss das jemand sein, der oder die ähnlich offen denkt wie er. Ich weiß nicht, ob er jemals so jemanden finden wird. Aber wünschen würde ich es ihm.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.10.2017 | 21:15
Ricardos Tagebuch: Turn Coat 1

21. Juli

Ich bin es endlich angegangen. Oder besser, Edward, Roberto und ich sind es endlich angegangen. Dank der Ritualkünste der beiden ist Jade ist jetzt als Füllfederhalter getarnt. Nicht so ein hässliches, klobiges, protziges Ding, wie man sie zu oft sieht, sondern ein richtig hübsches, stilvolles, klassisches Schreibgerät zum Aufziehen aus dem Tintenfass statt mit Patronen: relativ schlank, oder zumindest nicht so bauchig, wie Füllfederhalter sonst gerne mal sind, tief-dunkelgrün mit leichtem Marmoreffekt und ein paar wenigen goldenen Applikationen. Ausprobiert, ob man damit richtig schreiben kann, habe ich noch nicht.*
Meine eigene Aufgabe bei der Aktion war es, die Klinge festzuhalten und etwas von meiner Sommermagie in das Ritual zu gießen – und es ist seltsam, aber ich glaube, dass die Prozedur tatsächlich eine Verbindung zwischen Jade und mir geschaffen hat, oder besser gesagt: die Verbindung, die seit meinem Amtsantritt ohnehin schon da war, hat sich nochmal vertieft. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es kommt mir so vor, als könnte ich Jades Anwesenheit jetzt tatsächlich spüren, als hätte ich sowas wie ein unbewusstes Wissen darum, wo sie sich gerade befindet. So, wie ich zum Beispiel meine Uhr am Handgelenk spüre, aber eben auch dann, wenn Jade gerade ganz woanders ist. Eigenartig. Aber egal, jedenfalls kann ich sie jetzt auf Wunsch, bzw. unter Einsatz eines kleinen bisschens Magie vom Schwert zum Füllfederhalter befördern und umgekehrt.

* Später: Man kann tatsächlich! Haha. Sehr cool.

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13. August

Jack White Eagle hat uns zu einer Feier in die Kommune eingeladen. Eine ‘Namensparty’, wie er sagte. Haben Joelle und Bob ein Baby bekommen? Eigentlich nicht; nicht, dass ich wüsste, zumindest. Hm. Na, wir werden ja sehen, wessen Nachwuchs es ist.

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Haha. Gar kein Nachwuchs. Jack selbst wollte einen neuen Namen. Er befand, das sei sonst zu verwirrend mit ihm und dem Bösen Jack, oder Luftballon-Jack, oder Jaaaaaaack, oder wie auch immer wir den nennen wollen, und überhaupt laufe er (also White Eagle) schon wieder viel zu lange als Jack herum, und es sei mal wieder an der Zeit für etwas Neues.



Das ging über dem, was danach kam, dann fast ein bisschen unter, aber erst einmal war die Party sehr lustig. Jack war für alle Vorschläge offen, behielt sich aber die letztendliche Entscheidung vor, ebenso wie das Recht, am Ende einen ganz anderen Namen zu wählen, der nicht von einem Partyteilnehmer käme.

Einige Vorschläge schmetterte Jack schon gleich von vorneherein ab, Jacky McJackface zum Beispiel (verständlich - ich glaube aber auch nicht, dass der Vorschlagende ganz nüchtern war, als er den Vorschlag machte.). Auch heißen wie ein US-Präsident wollte Jack nicht, womit schon einmal eine ganze Menge Optionen wegfielen (wobei ich zugegebenermaßen nicht glaube, dass Millard, Woodrow oder Rutherford in die engere Wahl gekommen wären, selbst wenn sie nicht vom Präsidentenmakel befleckt gewesen wären. Bei Ulysses und Herbert habe ich auch Zweifel, und über Donald decken wir besser gleich den Mantel des Schweigens). John Doe kam nicht in Frage, weil Jack früher schon mal so geheißen habe (ganz abgesehen davon, dass es auch schon Präsidenten namens John gab), ebensowenig Timmy oder Kenny, einfach wegen der zu erwartenden blöden Sprüche. Dick fiel aus demselben Grund flach, dazu alle Namen mit echter oder vermeintlicher indianischer Etymologie.

Bob schlug “Bob” vor, aber das wollte Jack nicht, weil das ja dieselbe Verwirrung geben würde wie mit dem bösen Jack - oder sogar noch mehr, weil Bob ja auch in der Kommune wohnt und viel mehr Berührungspunkte mit White Eagle hat. Das sah Bob ein und verlegte sich stattdessen auf “Tom”, was auch auf Jacks Liste kam. Von Scarlets Ideen - alles Baumnamen wie Hickory, Filbert, Chestnut und Acorn, aber sie ist ein Wer-Eichhörnchen, da war das eigentlich klar - blieb Hazel übrig.
Irgendjemand aus der Kommune warf (vermutlich unter dem Einfluss des selbigen) den Namen Cannabis Jones in den Ring, und der schaffte es tatsächlich auf Jacks Liste. Sage nochmal einer, der Mann habe keinen Humor.
Von Totilas kamen Alan und Trent, Edward warf Anthony ins Rennen, und Alex sprach sich für einen vornehmen britischen Namen wie Kenneth, Leonard oder Wilbur aus. Roberto blieb mit Steve und Alexander namenstechnisch zunächst eher auf dem Teppich, bevor er die Dreifachkeule Alvin Simon Theodore - also alle drei zusammen, wohlgemerkt, nicht etwa jeden der Namen als einzelnen Vorschlag - auspackte. Ich selbst hatte erst an Jeremy gedacht, dann aber später, als das Fest schon eine ganze Weile lief und schon unzählige Namen gerufen worden waren, noch Byron hinterhergeschickt.

Wie gesagt, es war eine lustige Party. Die Vorschläge flossen ebenso frei wie das Bier; es wurde geredet und gelacht und über die Namen diskutiert. Es waren jede Menge Gäste da, darunter auch unsere alten Bekannten Lila und Danny, die sich in Begleitung einer etwa gleichaltrigen blonden Frau befanden. Wir hatten ihnen kurz hallo gesagt, aber ansonsten an dem Abend noch nicht viel mit ihnen zu tun gehabt.

Irgendwann fiel uns auf, dass sich drei Gestalten durch die Partygesellschaft bewegten, die nicht so richtig dorthin zu gehören schienen. Lange, schwarze Staubmäntel, geschnitzte Stäbe mit deutlichen Gebrauchsspuren, harte Gesichter und zahlreiche Narben, zwei Männer und eine Frau, die Männer beide weiß, die Frau schwarz. Sie waren ziemlich eindeutig Soldatentypen, die schon eine Menge gesehen hatten, und sie waren sehr eindeutig Magier. Ratsmagier, wie es aussah.
Die drei Magier bewegten sich zielstrebig durch die Party und befragten die Gäste. Sie mussten irgendjemanden suchen, denn sie zeigten ein Foto herum. Zuerst landeten sie bei Edward, der sich in diesem Moment gerade nicht bei uns befand - wir müssen ja nicht immer aufeinander hängen. Tatsächlich hatten wir uns aufgeteilt, und nur Roberto und ich standen gerade zusammen. Er antwortete knapp und offenbar mit einer Verneinung, aber als die drei weitergingen, machte Edward sich zwar unauffällig, aber sehr zielstrebig, auf in Richtung Danny, Lila und ihrer Begleiterin, und dann konnten wir sehen, wie Edward mit der jungen Blonden sprach und sie unauffällig vom Gelände lotste. Roberto und ich hatten beide denselben Gedanken: Edward Zeit verschaffen. WIr teilten uns auf, und als die Ratstypen jeweils zu uns kamen, versuchten wir, sie möglichst lange mit Gegenfragen aufzuhalten. Wer das auf dem Foto überhaupt sei, den sie da suchten? Enid Campbell, sagten sie. Sie sei eine Warlock, und sie habe etwas gestohlen. Und wer sie selbst, also die Fragesteller, überhaupt seien? Vom weißen Rat, war die Antwort. (Das wussten wir in dem Moment noch nicht, aber Edward stellte ihnen so ziemlich dieselben Fragen wie wir, und er trieb es noch weiter. Ich wäre so gern dabei gewesen; allein Edwards Erzählung hinterher ließ mich schon laut loslachen. Auf die Antwort, dass sie Mitglieder des White Council seien, fragte Edward nämlich als nächstes: “Also Wardens?” “Quasi”, bekam er zu hören. “Wie, quasi?” bohrte Edward nach. “Ich zahle meine Steuern an den weißen Rat, also bin ich quasi im weißen Rat, also bin ich quasi ein Warden?” Das machte die Quasi-Wardens erst einmal sprachlos, und ich muss auch schon wieder fast lachen, wo ich es aufschreibe.)

Wie gesagt, um Zeit zu gewinnen, stellte ich ihnen noch einige weitere Fragen: was die Warlock denn gestohlen habe (wollten sie nicht sagen), warum sie ausgerechnet hier nach ihr suchten (aufgrund von Hinweisen. Was? Naain! Ohoo!), seit wann Diebstahl denn auch zu den Gesetzen der Magie gehöre (gar nicht, aber Campbell sei eben auch eine Warlock). Roberto hingegen trieb das Spiel sogar noch weiter und nutzte seinen wandelbaren Liberace-Mantel, um sich gleich mehrmals von den Quasi-Wardens befragen zu lassen. Irgendwann fiel es einem auf, aber diese Kurve bekam Roberto mit einem geschickten Einsatz von ‘Willst du jetzt etwa behaupten, alle Kubaner sehen gleich aus?!’ umschifft. Da er laut genug sprach, dass ich es auch von dort hören konnte, wo ich gerade stand, schlug ich in dieselbe Kerbe. Schnell stellte ich mich neben ihn, deutete erst auf Roberto, dann auf mich selbst, und fragte empört: “Er und ich sehen also gleich aus, ja?”

In der Zwischenzeit hatte auch Jack die ungeladenen Partygäste bemerkt und Warden Declan angerufen. Der mag ein Arsch sein, aber es dauerte gar nicht lange, bis er auf dem Plan erschien. Dem Warden gegenüber verhielten die drei jungen Magier sich höflich und respektvoll, und Declan fuhr dann gemeinsam mit ihnen weg, vermutlich, um sich mit ihnen anderenorts zu besprechen.

Alex rief Edward an, um ihm bescheid zu geben, dass Declan aufgetaucht sei und die drei Quasi-Wardens irgendwohin mitgenommen habe. Anschließend verabschiedeten wir uns noch kurz von Jack, der sich erfreut darüber zeigte, dass seine Steuern sich endlich einmal bezahlt gemacht hatten, und fuhren dann los, um uns mit Edward und dem blonden Mädchen zu treffen.
Bisher war Edward erst einmal mit ihr herumgefahren, um in Bewegung zu bleiben, aber wir wollten uns ja in Ruhe unterhalten, das war während des Fahrens vielleicht nicht so ideal. Aber auf unseren Dampfer konnten wir sie nicht bringen, der soll immerhin so geheim bleiben, wie es geht. In der Stadt selbst, z.B. im Dora’s oder im Buchladen, wollten wir uns allerdings auch nicht sehen lassen, weil ja die Quasi-Wardens immer noch nach der jungen Frau suchten. Und vor allem, gestand Enid, kennten ihre Verfolger ihren Wahren Namen, was auch der Grund war, warum sie ihr so dicht auf der Spur bleiben und sie überall aufspüren konnten. Aber Alex konnte von einem seiner zahllosen Bekannten ein Boot ausleihen, das taugte gut für unseren Zweck. Gerade, weil fließendes Wasser ja Magie abhält und demzufolge auch Suchzauber behindern oder gar ins Leere laufen lassen dürfte.

Die junge Magierin - Enid Campbell - erzählte uns erstaunlich bereitwillig, was denn eigentlich los war. Einiges oder das meiste davon musste sie Edward gegenüber vorher wohl auch schon angesprochen haben, so wissend, wie er zu ihrer Erzählung nickte, aber sie schien keinerlei Probleme damit zu haben, das alles noch einmal zu berichten. Vielleicht tat es ihr einfach gut, es sich von der Seele zu reden.
Enid sei Ratsmagierin, erzählte sie, aber keine Warden - oder zumindest keine offizielle, sondern eher eine Soldatin. Zusammen mit den drei anderen habe sie eine Einheit gebildet, die im Krieg des White Council gegen die Rotvampire gekämpft habe, gegen Warlocks vorgegangen sei und auch sonst grundsätzlich die Aufgaben und Funktionen eines Warden übernommen habe, ohne wirklich zu Wardens ernannt worden zu sein.

Enids Bericht zufolge war sie anfangs noch jung und idealistisch, aber sah sie im Laufe der Zeit eine Menge gesehen und eine Menge erlebt, was sie völlig desillusionierte und ihr eine posttraumatische Belastungsstörung einbrachte. Der Begriff ‘PTSD’ fiel dabei nicht, wohlgemerkt, aber es wurde aus Enids Beschreibung doch relativ deutlich, dass sie darunter zu leiden schien. Ihr wurde alles zu viel, und sie sehnte sich einfach nur nach einem bisschen Ruhe und Frieden. Dann hatte die Gruppe vor kurzem einen Einsatz, bei dem es darum ging, einen Warlock auszuschalten. In dessen Residenz fand Enid die Notenblätter eines Musikstücks, das mit ‘Sinfonia de la Tranquilidad’ überschrieben war und den Namen einer gewissen Carmen Sosiego trug. Trotz des Namens war es aber keine Symphonie, sondern lediglich für Orgel komponiert.
Da Gelassenheit und Ruhe für Enid in diesem Moment einfach himmlisch klangen und da in dem Raum, wo sie die Noten fanden, eine Orgel stand, setzte sie sich hin, um das Stück zu spielen, wurde aber von ihren Gefährten unterbrochen. Wie alle Besitztümer des Warlocks sollte auch die Partitur der Sinfonia vernichtet werden, aber das kam Enid falsch vor. Also setzte sie sich mit dem Musikstück von ihrer Truppe ab, weswegen ihre Exkameraden ihr seither als Verräter und Warlock hinterherjagen.

Natürlich wollten wir sofort wissen, ob sie denn wirklich ein Warlock sei. Das ließe sich nicht mit Sicherheit sagen, gab Enid zu - aktiv ausschließen könne sie es nicht, weder für sich selbst, noch für ihre drei Kameraden. Als Soldaten hätten sie viel erlebt… und viel getan. Er sei durchaus möglich, dass sie im Kampf als Kollateralschaden auch das eine oder andere Gesetz der Magie überschritten hätten, aber das sei schwer zu sagen. Bei dem Kampf gegen den Warlock in seinem Schloss zum Beispiel hätten sie das Bewusstsein der Leute beeinflusst, die dort von ihm mittels geistiger Kontrolle unterjocht und in Sklaverei gehalten worden seien. Das sei ja ein Bruch der Gesetze, aber in dem Moment das geringere Übel gewesen, denn hätten sie die Leute erschießen sollen?

Die Musiknoten hätten sie jedenfalls angesprochen, und als sie das Stück spielte, habe sie eine so herrliche Ruhe im Kopf gehabt. Hätten die grausigen Bilder vor ihren Augen endlich einmal aufgehört, aber vor allem die Geräusche. Die Explosionen, die Schüsse, die Schreie - aber gar keine Musik mehr, und dabei sei sie früher sehr musikalisch gewesen, habe sogar Berufsmusikerin werden wollen, ehe sie zum weißen Rat kam.

Das alles klang uns ganz entschieden danach, dass hier Magie im Spiel sein musste - entweder auf den Noten selbst oder auf der Musik, die auf ihnen basiert.
Enid gab die Partitur nur sehr ungern aus der Hand, ließ sich dann aber doch überzeugen, damit Roberto sie in der Sight untersuchen konnte.

Weder die aufgezeichneten Noten noch das Papier wiesen jegliche Anzeichen von Magie auf - die Musik selbst, die Melodie, hingegen schon. Denn als Enid kurz einen Ausschnitt daraus summte, kam es mir so vor, als würden alle anderen Geräusche daneben verstummen oder zumindest verblassen.

Dann wollte Enid gerne ihre Noten zurückhaben und vor allem weiterziehen. Die Idee eines Bootes gefiel ihr, und sie meinte, sie wolle versuchen, möglichst oft auf dem Wasser zu bleiben. Aufhalten konnten wir sie natürlich nicht, wie sie weiter vorgehen wollte, war allein ihre Sache, und auch die Noten bekam sie selbstverständlich zurück. Diese allerdings fotografierten wir erst noch ab, damit wir das Stück noch weiter analysieren können.

Sobald wir wieder an Land waren und uns von Enid getrennt hatten, versuchten wir, etwas über die Komponistin der Sinfonia de la Tranquilidad herauszufinden. Sonderlich viel war es nicht: Im Netz gab es lediglich einige Erwähnungen des Namens Carmen Sosiego in Verbindung mit Konzertprogrammen aus den 1920ern, wo die Dame als Pianistin genannt wurde. Oliver Feinstein konnte uns sagen, dass Carmen Sosiego wohl eine Ratsmagierin war oder ist, wusste viel mehr als das aber auch nicht. Immerhin allerdings kam Edward bei der Bestätigung, dass Sosiego dem Weißen Rat angehört oder angehörte, auf die Idee, unsere österreichische Bekannte Vanessa Gruber zu fragen. Die war zwar in dem Moment nicht zu erreichen, aber Edward hinterließ ihr eine Nachricht, sie möge sich doch bitte melden.

Und das war es auch schon. Über dem Gespräch mit Enid und den Nachforschereien war es so spät, dass wir nicht mehr auf die Party zurückfuhren. Ich glaube, ich muss Jack morgen mal anrufen, für welchen Namen er sich denn nun eigentlich entschieden hat.

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14. August

Ms. Gruber hat sich gemeldet, und tatsächlich konnte sie uns einige Informationen zu Carmen Sosiego geben. Sie war eine Ratsmagierin, ja, und als ziemlich exzentrisch bekannt, aber keine Warlock, auch wenn sie sich in durchaus offenem Widerspruch zum Weißen Rat befand und wohl auch durchaus die eine oder andere Grauzone streifte. Genauer gesagt, habe sie wohl versucht, die Grenzen der Magie auszuloten und auszuweiten - was sie eben auch an besagte Grenzen brachte. Wie die Konzertprogramme schon vermuten ließen, lebte sie in den 1920ern, sei aber irgendwann um diese Zeit gestorben oder verschwunden, so genau wusste Vanessa das nicht.

Ein Warlock sei Sosiego also nicht gewesen - aber dennoch gebe es die Order, all ihre Schriften - also auch ihre Musikstücke - unverzüglich zu verbrennen, wenn man auf sie stoße. Ähnliche Befehle hätten die Wardens auch in Bezug auf die Werke anderer Personen - Warlocks und Schwarzmagier zumeist, so zum Beispiel ein Nekromant namens Kemmler, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Nazis gestanden hatte.
Natürlich wollte Vanessa wissen, ob wir etwa in den Besitz einer von Sosiegos Schriften gekommen seien, was wir aber ehrlich verneinen konnten. Ebenso ehrlich gestand Edward aber, dass wir zwar einen Blick auf eines ihrer Werke geworfen hätten, es allerdings nicht in unseren Besitz gebracht hätten. Denn die Fotografien auf Robertos Handy… sind Fotografien, keine Schriften. Nichts, das man verbrennen könnte. Also nicht gelogen.

Mit der Aussage gab Vanessa sich zufrieden, warnte uns aber noch vor einem gewissen Donald Morgan, einem verräterischen Warden, mit dem der Rat wohl gerade große Probleme hat und den sie mit höchster Priorität jagen. Falls wir etwas über ihn und seinen Aufenthaltsort erfahren, sollen wir Vanessa und Spencer Declan warnen, Morgan selbst aber auf gar keinen Fall in die Quere kommen. Der Mann sei extrem gefährlich.
Alles klar, das sollte sich machen lassen. Wer auch immer dieser Morgan sein mag, dass er dem Rat so großen Respekt einjagt.


Ach ja. Es wurde Byron.
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 30.11.2017 | 19:02
Ricardos Tagebuch: Turn Coat 2

19. August

Edward ist in eine Task Force einberufen worden, hat er heute erzählt. Eigentlich ist es eine Sache von Internal Affairs, aber sie wollten Edward explizit im Team haben, sagte er. Gebildet wurde die Gruppe wegen des Ex-Internal Affairs-Cops, der letztes Jahr während des Supermonds in Edwards Fall ermittelt hatte, weil der nämlich ausgerastet ist und jemanden erschossen hat. Normalerweise wäre das auch eine reine Internal Affairs-Angelegenheit geblieben, aber es gab da Aspekte an dem Fall, wegen derer sie Edward in seiner Funktion als Leiter des SID in der Task Force haben wollten. Als da wäre die Videoaufzeichnung, in der dieser Ex-Cop – Daniel Hartley mit Namen – einen anderen Cop erst angriff, dann erschoss und sich dann aus dem Staub machte. Was alles noch nicht so wirklich SID-würdig wäre, wenn Hartley auf dem Video nicht tiefschwarze Augen gehabt und sich hinterher mit übermenschlich weiten Sprüngen abgesetzt hätte.

Als wir abends zusammensaßen und Edward uns von der Sache erzählte, kamen wir natürlich ins Überlegen. Komplett schwarz durchgefärbte Augen klingt nach dem Red Court. Aber warum sollte ein ehemaliger Internal Affairs-Cop die Augen eines Rotvampirs – oder eines Red Court Infected – haben?
Weil er von einem Rotvampir gebissen wurde, logischerweise. Aber warum?
Was natürlich die nächste Frage nahelegte. Was war mit dem Mann überhaupt passiert, nachdem seine Kollegin und er letzten November Edward auf die Pelle gerückt waren?
(Nicht nur letzten November, übrigens. In dem Zusammenhang erzählte Edward, dass die beiden IA-Cops ihm vor Jahren schon einmal einige unangenehme Fragen gestellt hatten, und zwar damals, als Antoine mit den Feendrogen handelte. Über die Verbindung mit Mrs. Parsen gelangte auch Edward in deren Visier, und dass er damals nicht anständig erklären konnte, warum seine angebliche Mutter so aussah wie seine jüngere Schwester, machte die Sache nicht besser, auch wenn die Beamten gegen Edward selbst natürlich nichts vorbringen konnten und dementsprechend wieder abzogen. Aber Edwards Name war nun einmal gefallen, und dass er mit Totilas befreundet ist und auch zu Gerald Raith Kontakt hatte, ist nun auch kein größeres Geheimnis.)

Bevor diese Frage jetzt in unserem Gespräch aufkam, hatte Edward sie sich tagsüber im Büro natürlich auch schon gestellt. Er forschte also ein wenig nach und stellte fest, dass die Polizistin, Elena Cruz mit Namen, Anfang Dezember bei einem Einsatz ums Leben gekommen war. Tieferes Graben nach den genaueren Umständen von Cruz' Tod jedoch brachte zum Vorschein, dass es sich gar nicht um einen Polizeieinsatz gehandelt hatte. Stattdessen war Cruz durch Schüsse aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug getötet worden. Das Motiv blieb offen, und der oder die Täter wurden nie gefasst. Ihr Internal Affairs-Kollege Daniel Hartley hingegen bekam nahegelegt, in den Ruhestand zu gehen, nachdem es da irgendein Problem mit Korruption gab. Er verließ die Polizei und erregte in den Monaten seither keinerlei Aufsehen – bis zu diesem Angriff jetzt eben. Ein Angriff, bei dem Hartley schwarze Augen hatte und sich körperlich auf seinen Gegner stürzte, sich dann aber doch von ihm losriss und ihn stattdessen mit der Pistole erschoss. Sollte man ihn etwa gegen seinen Willen mit dem Vampirvirus infiziert haben?

Jetzt kam Edward wieder ins Bewusstsein, dass Henry damals beim Supermond angeboten hatte, sich der Angelegenheit anzunehmen, und Edward – vor lauter Supermondgereiztheit und all den anderen Dingen, mit denen wir uns in dem Moment herumschlagen mussten – einfach zu ihm gesagt hatte „ja, mach mal“, ohne sich groß um die Einzelheiten des Vorschlags zu kümmern oder die Sache dann weiter zu verfolgen. Aber mit all diesen Informationen wäre es natürlich sehr interessant – um nicht zu sagen, wird es plötzlich überaus wichtig – zu wissen, wie Henry sich damals genau gekümmert hat. Also hat Edward beschlossen, gleich morgen im Büro Henry abzupassen, während Totilas mit Vin und Cherie reden will, ob die vielleicht etwas über Elena Cruz wissen (ein Euphemismus für: ob der White Court vielleicht etwas mit dem Drive-By zu tun hat), und Roberto sich wegen Hartleys schwarzen Augen bei seiner Red Court-Bekannten Lucia erkundigen will. Alex und ich können leider erstmal nichts groß weiter tun außer abwarten. Aber so, wie sich das gerade darstellt, klingt mir das nach einer ganz verdammten mierda.

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20. August

Das Ergebnis der gesammelten Umhöraktionen und Befragungen:
Vin soll versuchen, sich Zugang zu Edwards Akte bei Internal Affairs zu verschaffen, um herauszufinden, ob und inwieweit das IA bereits einen Fall gegen Edward zusammengestellt hat. Sich in das Netz des IA hacken, mit anderen Worten. Was Vin vielleicht tatsächlich vermag, aber seine Kernkompetenz ist es nicht, also wird es eine ganze Weile dauern.
Cherie weiß nichts von dem Drive-By auf Elena Cruz, und auch sonst niemand von den Raiths. Zumindest war das die Aussage gegenüber Totilas, und er hat keinerlei Veranlassung zu glauben, dass seine Leute ihren Chef anlügen würden.
Lucia erklärte Roberto gegenüber, sie wisse nichts von einem Daniel Hartley; es gebe viele Red Court-Vampire in der Stadt, und sie kenne längst nicht alle Namen. Aber wenn sie etwas erfahre, werde sie ihm bescheid geben.
Von Henry bekam Edward die Auskunft, ja, er habe sich damals um die Internal Affairs-Störung gekümmert. Wie genau dieses 'Kümmern' ausgesehen habe, das wolle Edward gar nicht wissen. Henry deutete an, in der Sache Aktenfälschung betrieben zu haben, aber den Drive-By auf Elena Cruz habe er nicht beauftragt.

Das hilft uns alles nicht so richtig weiter. Wir müssen Daniel Hartley finden und mit ihm selbst sprechen. Die Beweisaufnahme in Hartleys Wohnung sollte inzwischen auch hoffentlich abgeschlossen und es Edward also hoffentlich möglich sein, Zutritt dazu zu erlangen.

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Abends. Das wird jetzt ein mühsamer Eintrag, glaube ich. Mit Links schreiben kann ich nicht so wirklich, und mein rechter Arm ist gerade etwas eingeschränkt. Also diktiere ich wieder einmal meinem Laptop ins Texterkennungsprogramm, ich merke aber jetzt schon, dass das gelegentliche Korrekturen und Buchstabierpausen erfordern wird. Aber wie dem auch sei. Edward bekam Zutritt zu Hartleys Wohnung. Und dessen Haarbürste ergab die nötigen Zutaten, um den Ex-Cop mittels Ritual aufzuspüren. Aber Tío, war das eine verfahrene mierda!

Der Reihe nach. In Hartleys Wohnung fanden wir zunächst einmal lauter einschlägige Literatur: diverse Bücher über das Übernatürliche, Vampires Through the Ages, The Werewolf's Guide to Life, solche Dinge. Man konnte aber auch sehr deutlich sehen, wo in den Regalen Lücken klafften, wo Hartley Bücher und Unterlagen mitgenommen hatte. Außerdem fand sich in der Wohnung ein großes Murder Board, eine Pinwand mit Fotos und Verbindungslinien und stichpunktartigen Informationen darauf. Ganz oben prangte Edwards Gesicht, verbunden mit Totilas, Henry Smith und Edwards anderen Untergebenen aus dem SID. Auch Edwards Mutter und Antoine waren da zu sehen, ebenso wie Gerald Raith, der allerdings irgendwo an der Seite und mit dem Vermerk 'nicht mehr aktiv. Tot?'
Oha. Hartley hatte offenbar deutlich intensiver an einem Fall gegen Edward gearbeitet, als er das in den Interviews hatte anklingen lassen.

Durch das Ritual fanden wir Hartley in einem billigen Hotel in Wynwood. Nicht eben die beste Gegend, aber das war ja vermutlich gerade die Absicht des Flüchtigen gewesen.
Der junge Rezeptionist im Hotel pochte erst auf Verschwiegenheit, als Edward ihm ein Foto von Daniel Hartley zeigte, aber dem Angestellten daraufhin seine Polizeimarke zu zeigen, hatte genau den gegenteiligen Effekt als den gewünschten, denn nun klappte der Junge zu wie eine Muschel. Also übernahm ich kurzerhand das Reden, und es gelang mir tatsächlich, den Rezeptionisten zu überzeugen. Dass er ein begeisterter Fan meiner Bücher war, half da deutlich: Am Ende verriet er mir nicht nur die Nummer von Hartleys Zimmer im dritten Stock, sondern überließ er mir sogar den Ersatzschlüssel dazu, als ich ihm die Wichtigkeit der Angelegenheit verdeutlichte. Während er den Schlüssel herauskramte, warnte er mich, der Typ sei komisch. Er würde immer so hungrig aussehen, aber als er – der Rezeptionist – Pizza vorgeschlagen habe, hätte Hartley das abgelehnt und irgendwas von wegen des Pizzaboten gemurmelt. Und er – Hartley – sehe aus, als sei er völlig durch den Wind.

Völlig unvorbereitet sollten wir auf keinen Fall bei Hartley ins Zimmer stürmen. Bevor wir hinaufgingen, besprachen wir noch kurz, was wir eben erfahren hatten: Mit diesen neuen Informationen sah es wirklich so aus, als sei Hartley bisher nur mit dem Vampirvirus infiziert und noch kein echter Red Court, als wisse er aber, was er sei, und versuche, sich zu beherrschen. Vermutlich hatte er den Polizisten genau deswegen lieber erschossen, statt die Kontrolle zu verlieren und ihn zu reißen.

Dann gingen wir nach oben, aber nicht alle. Totilas bewachte den Hinterausgang, während Alex sich im Auto auf die Lauer legte. Weil das erste Gesicht, das Hartley sehen würde, wenn er öffnete, vielleicht nicht gerade Edwards sein sollte, blieb er mit Roberto etwas an der Seite, und ich klopfte. „Wer ist da?“ kam es von drinnen, aber auf mein „Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten, Mr. Hartley“, kam keine Antwort, nur leise Geräusche von drinnen. Und obwohl wir den Ersatzschlüssel hatten, die Tür also schnell offen war, sahen wir den Ex-Cop nur noch über die Feuertreppe verschwinden, als wir ins Zimmer kamen. Vom offenen Fenster aus rief ich ihm hinterher, dass wir wirklich nur reden wollten, das interessierte den Mann aber nicht.

Hartleys Instinkte waren ausgezeichnet: Er bemerkte Totilas noch von der Feuertreppe aus und konnte ihm daher problemlos ausweichen, und von oben aus dem Zimmer sahen wir, wie er in ein Auto stieg und eilig davonfuhr. Gut, dass Alex in Erwartung genau einer solchen Situation im Auto wartete und ihm nachfahren konnte! Aber gleich darauf rief unser Freund durch und informierte uns, dass der Ex-Cop gar nicht weit gefahren war, nur um eine oder zwei Ecken. Jetzt sitze er auf der Rückseite des Blocks in seinem Auto und sei offenbar am Überlegen.

Während Roberto direkt in Hartleys Hotelzimmer einen Zettel mit seiner Telefonnummer und dem Hinweis, dass wir uns gerne unterhalten würden, hinterließ, schrieb ich eine ganz ähnliche Nachricht, nur in deutlich größeren Buchstaben, auf ein großes Blatt, das ich mit einem Blockmarker zusammen von meinem Fan, dem Rezeptionisten, erschnorrte. Damit ging ich in Richtung Hartleys Auto, aber, weil ich ihn nicht verschrecken wollte, nicht ganz bis zu ihm heran, sondern hielt es aus einiger Entfernung so hoch, dass er die Botschaft lesen konnte.
Wenn ich allerdings gehofft hatte, dass Hartley zur Vernunft kommen, aussteigen und sich mit mir unterhalten würde, hatte ich mich geschnitten. Stattdessen ließ der Ex-Cop den Motor aufheulen und kam mit dem eindeutigen Plan in meine Richtung, mich über den Haufen zu fahren. Dem Überfahrenwerden konnte ich mit einem Sprung zwischen die Autos am Straßenrand zwar locker ausweichen, dem was dann folgte, aber dummerweise nicht mehr. Als er nämlich merkte, dass er mich zwischen den Autos nicht rammen konnte, fuhr Hartley weg... aber nicht, bevor er nicht das Fenster heruntergelassen und im Vorbeifahren einen Schuss auf mich abgegeben hatte. Und dieser Schuss saß. Es war ein absoluter Glückstreffer: aus voller Fahrt mit einer Hand am Lenkrad und ohne jedes Zielen einfach blind in meine Richtung abgegeben, aber die Kugel fand meine Schulter wie mit dem Lineal gezogen. Zum Glück aber eben nur die Schulter, und zum Glück war es ein glatter Durchschuss.

Ein junger Fußgänger machte Foto um Foto mit seinem Handy, rief aber wenigstens auch gleich einen Krankenwagen. Während Edward bei mir erste Hilfe leistete, lief Totilas dem Jungen nach. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um groß mitzubekommen, was genau er ihm sagte, aber ich glaube, es war ein Geldschein im Spiel, mit dem unser White Court-Kumpel den Teenager dazu brachte, die Fotos zu löschen, damit sie nicht noch am selben Tag im Internet landeten. Dann kam der Krankenwagen, und ich verlor die anderen aus den Augen.
Im Krankenhaus wurde ich kunstgerecht verarztet, entließ mich aber entgegen den Rat der Ärzte, die mich gerne über Nacht dabehalten hätten, relativ bald wieder, den Arm in der Schlinge und mit ernsten Verhaltensmaßregeln zu dessen Ruhighalten. Was auch der Grund ist, warum ich brav bin und das hier nicht schreibe, sondern diktiere.

Alex hatte in der Zwischenzeit den weggefahrenen Hartley bis zu einem Einkaufszentrum verfolgt. Während der Ex-Cop dort drin untertauchte, machte Alex sich an dessen Auto zu schaffen, damit der Mann nicht einfach so wegfahren konnte, und sagte dann den anderen bescheid. Da Hartley tatsächlich einige Stunden lang in der Mall blieb, konnte ich sogar auch noch hinfahren, als ich aus dem Krankenhaus kam.
Irgendwann nicht lange, nachdem ich zu den anderen gestoßen war, kehrte Hartley zu seinem Auto zurück. Er sah ohnehin ziemlich mitgenommen aus, und als der Wagen jetzt nicht ansprang, wirkte er völlig am Ende.
Eine Frau ging vorbei, als der Ex-Cop gerade auf- und sich verzweifelt umschaute. Für einen winzigen Moment trafen sich ihre Blicke – dann wurden Hartleys Augen tiefschwarz, und er sprang aus dem Auto und fiel die Passantin an. Totilas und Edward rannten hin, um ihn von der Frau wegzuziehen. Während ich einen Zauber träger, sommerlicher Siesta-Stimmung auf die Szenerie legte, um eine Panik unter den Menschen auf dem Parkplatz zu verhindern, gelang es den beiden, Hartley niederzuringen. Totilas ließ sich sogar von ihm beißen, um dem Red Court Infected wenigstens etwas Blut zukommen zu lassen und ihn so zu stabilsieren und aus seinem blinden Blutdurst zu holen. Anschließend legte Edward ihm Handschellen an und verhaftete den Mann, aber natürlich hatten umstehende Passanten auch schon die reguläre Polizei und einen Krankenwagen gerufen. Natürlich klickten auch hier die Handykameras, aber Edward setzte sein magisches Talent zur Zerstörung von technischem Gerät ausnahmsweise mal absichtlich ein, und schon war es das mit den ganzen Fotos und Videos.
Roberto und ich kümmerten uns um die Verletzte, bis der Krankenwagen kam. Lustigerweise (oder nicht so lustigerweise; Alex kennt ja jeden in dieser Stadt) kannte Alex einen der Sanitäter und erbat sich von diesem einen Beutel mit Infusionsblut.

Indessen kam auch die Polizei und transportierte den Ex-Cop ab; wir fuhren jeweils in unseren eigenen Autos hinterher und trafen vor dem Polizeirevier wieder zusammen. Gerade wollten wir hinein, um Hartley den Blutbeutel zukommen zu lassen, da ertönten von drinnen Schüsse und laute Rufe. Totilas blieb lieber draußen, aber wir anderen eilten uns jetzt um so mehr.
Drinnen herrschte ziemliches Chaos. Ein Polizist wies Bisswunden auf, Daniel Hartley, seine Augen noch immer tiefschwarz, lag am Boden, von zahlreichen Kugeln getroffen. Sofort eilte Edward zu ihm hin, um ihm das Blut einzuflößen, aber Hartley weigerte sich. Er schleuderte Edward ein „Verräter!“ entgegen und spuckte das Blut aus. Dann starb er.

Sein Geist allerdings blieb, was bedeutete, dass Alex versuchen konnte, mit ihm zu reden. Aber Hartley sagte Alex nichts, wusste auch nicht, wer ihn zum Vampir gemacht hatte. Er traute unserem Eleggua-Gesandten nicht und wollte ihm nichts verraten, spuckte nur, dass Edward korrupt und ein Verbrecher sei und in Totilas' Tasche stecke; immerhin habe er mit Cherie Raith, der Killerin der Familie, ein Verhältnis gehabt.

Hinterher, wieder unter uns, diskutierten wir das Geschehene natürlich ausgiebig. Unsere Erkenntnis aus der Ermordung von Elena Cruz und der Vampirisierung von Daniel Hartley: Irgendjemand will, dass Edward seinen Posten als Leiter des SID behält, weil er diesem Jemand auf diesem Posten gut in den Kram passt. Die Raiths waren es nicht, ansonsten gibt es sonst eigentlich auch keine offensichtlichen Kandidaten, also, schlussfolgerte Roberto, kann das Ganze eigentlich nur aus Henrys Ecke kommen. Mierda.
Ob der Red Court vielleicht will, dass Edward bei ihnen in der Kreide steht, um ihm bei Gelegenheit die Rechnung zu präsentieren und diesen 'Gefallen irgendwann, wenn es gerade am allerwenigsten passt, mit Zinsen und Zinseszinsen wieder einzufordern? Brrr. Was für ein erschreckender Gedanke.
Erschreckend, ja, aber nicht unwahrscheinlich - Es gibt immerhin eine ganze Menge Material, das sich gegen Edward verwenden ließe: All die Informationen, die Hartley zusammengtragen hat. Das habe ich noch gar nicht erwähnt – ich bin wohl doch noch etwas durch den Wind, nehme ich an –, aber einen Großteil der Akten hatte Hartley in dem Hotelzimmer bei sich, und Edward und Roberto steckten sie ein, bevor sie das Zimmer verließen. Aber das waren nur teilweise Originale – bei einem anderen Teil handelte es sich um Kopien, und diese Kopien sind garantiert noch irgendwo in einem Rechner gespeichert oder in einem Aktenschrank des Miami P.D. abgelegt: ein Damoklesschwert, das über Edwards Kopf schwebt, bis die unbekannten 'Gönner' irgendwann beschließen, dass er ihnen auf dem Posten des SID-Chefs nicht mehr taugt.

Edward erklärte sogar, es wäre aufgrund dieser ganzen Entwicklungen besser, wenn er das SID verlassen würde, aber was wäre die Alternative? Henry? Brrrrrr. Aber Smith hat die Aufgabe, das SID zu leiten, ja ohnehin schon einmal abgelehnt, bevor Edward den Posten bekam; dessen Ansichten dazu haben sich sicherlich nicht geändert. Was er auch tut und für wen er es auch tut, er tut es offenbar viel lieber aus der zweiten Reihe. Alison Townsend dann vielleicht? Ein normaler Mensch wäre eigentlich grundsätzlich gar nicht schlecht, aber Alison hat ja die ganzen Zusammenhänge der übernatürlichen Gemeinschaft in dieser Stadt noch gar nicht so richtig durchschaut, und Edward befürchtete, nicht ganz zu unrecht, dass sie schreiend davonlaufen würde, wenn sie die alle plötzlich präsentiert bekäme. Er selbst ist zwar damals auch nicht schreiend davongelaufen, aber Edward hat die Zusammenhänge ja auch nur scheibchenweise, schön langsam einen nach dem anderen, präsentiert bekommen. Was uns irgendwie erst jetzt, wo wir darüber nachdachten, so richtig auffiel. Ja, Lieutenant Book wusste schon sehr genau, was er tat, als er Edward zu seinem Nachfolger heranzog.

Kurz überlegten wir noch, ob man nicht etwas gegen die Akten tun könnte, die noch in bezug auf Edward im Umlauf sind, weil Hartley von denen eben nicht die Originale bei sich hatte. Aber den Gedanken verwarfen wir sehr schnell. An die alle heranzukommen, wäre extrem aufwendig, extrem kompliziert, extrem riskant und extrem teuer, und ein echtes Verbrechen (dessen Edward sich ja bisher, trotz aller Verdächtigungen seitens Hartley, eben nicht schuldig gemacht hat) wäre es auch. Also wird dieses Damoklesschwert wohl weiter über Edwards Kopf schweben. Mierda.
Titel: Shiny, happy people....
Beitrag von: Tante Petunia am 30.11.2017 | 19:57
Großartig zu lesen wieder einmal!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.12.2017 | 09:42
Danke für die Blumen! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.12.2017 | 21:07
Sehr schön.  :D

Nur als Ergänzung am Rande: Bei dem Kämpfchen mit Hartley auf dem Mall-Parkplatz hat Edward oder Roberto die Handys und Smartphones der ganzen Schaulustigen gehext; es gibt also keine Videos davon. Oder war das sogar Cardo?
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 4.12.2017 | 12:23
Ach, stimmt ja, die Handy-Hexes hatte ich ganz vergessen! Hmmm... ich glaube nicht, dass das Cardo war; dann wäre mir das vermutlich mehr im Gedächtnis geblieben.
Ich kann es ja oben noch ergänzen - ob es Edward oder Roberto war, muss Cardo in seinem angeschossenen Zustand ja vielleicht gar nicht so genau mitbekommen haben. Oder ich schreibe es einfach ganz frech einem der Jungs zu, auch wenn es der andere war.

Dankesehr auch dir für die Blumen jedenfalls! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 18.12.2017 | 19:20
Ich glaube auch, dass es einer der beiden war - wir hatten ja noch die Diskussion, ob auch ein Minor Practitioner, der nur Rituale macht, einen Hex verwenden kann.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.12.2017 | 22:18
25. August

Römer und Patrioten, der Ärger nimmt Fahrt auf. Dämonistenkult gefällig, irgendwer? Ach, seufz. Aber ich ich glaube, ich sollte besser vorne anfangen, sonst weiß ich in ein paar Jahren vielleicht gar nicht mehr, um was es eigentlich ging, wenn ich alles hier nochmal lese.

Also. Alex hatte heute einen 'Job' von seinem Schutzpatron. Unser Kumpel kennt ja viele, ach was, so gut wie alle, Praktizierer in dieser Stadt, und eine davon, eine Hellseherin namens Doris Chen, ist tot. Normalerweise wäre das ja nun nichts, um das Alex in seiner Funktion als Gesandter Elegguas sich kümmern müsste, aber die Dame wurde ermordet. Und obwohl Chinesin, nutzte sie für ihre Weissagungen skandinavische Runenmagie, weswegen Alex ihr beim Einsortieren und Finden der richtigen Tür für ihren Weitergang helfen sollte. Alex wusste auch, dass Doris bei ihren Kunden oft das typische nichtssagende Wahrsager-Blabla von sich gab, dass sie manchmal aber auch ganz echte Dinge sah, die während des Sehens aber verwirrend und unklar blieben und sich erst im Moment ihres Eintreffens im Nachhinein als zutreffende Prophezeiungen interpretieren ließen.

Das SID wurde ebenfalls hinzugezogen, weil das Opfer seltsam aussah. Die Augen wurden ihm entfernt, und der Leichnam wies zahllose Schnittwunden von einer geriffelten Klinge auf: kein Schwert, keine Tierklauen – eine ganz feine Säge vielleicht?
So oder so war es kein leichter Tod, derart zerschnitten zu werden. Doris' Geist war tatsächlich noch am Tatort anwesend, konnte Alex aber nicht viel sagen. Wovon sie umgebracht wurde, wusste sie nicht – nur, dass es groß war, was auch immer es war; dann konnte Doris nichts mehr sehen, und dann war sie tot. Sie hatte ihren Tod auch tatsächlich kommen sehen, aber wie so oft war es eine seltsame, unklare Weissagung gewesen: wirre Bilder von Ästen, Krokodilen, Sumpfgeruch, von Monstern mit schwarzen Bäuchen und Mäulern voller Zähne. Alex bot Doris an, dass sie ihn begleiten könne, wenn sie die Nachforschungen ihren Tod betreffend verfolgen wolle, und sie nahm an, also hatte Alex den Geist der toten Chinesin in sich, als er sich mit uns traf. Sie werde auch nach vorne kommen und das Ruder übernehmen können, wenn es notwendig werden sollte oder sie mit jemandem reden wolle, erklärte er.

Als erstes recherchierten wir natürlich die Umstände. Innerhalb der letzten 10 Jahre gab es einige solcher Fälle, bei denen die Opfer alle dieselben dünnen und gezackten Schnittwunden aufwiesen. Mehrere Opfer waren im weitesten Sinne Kirchenvertreter oder gläubig: ein Priester, dem die Stimmbänder herausgeschnitten worden waren, und eine Nonne, von der es hieß, sie habe die Engel gehört, und deren Ohren verstümmelt wurden; außerdem ein Mann, den man nicht hatte identifizieren können und dem die Hände fehlten. Alle außer der Nonne hatten Verteidigungswunden an den Armen, die sie wohl hochgerissen hatten, um sich zu schützen, und alle waren an ihren zahlreichen kleinen, flachen Wunden verblutet oder am Schock gestorben – ein direkter Todesstoß war jedenfalls in keinem der Fälle gesetzt worden. Morde dieser Art sind lediglich für Miami verzeichnet, nirgendwo anders aufgetreten (oder zumindest gibt es keinerlei Querverweise darauf in anderen Städten).
Eines fiel uns sofort auf. Die Verstümmelungen der Opfer hatten alle etwas mit dem zu tun, was die Opfer mit der übernatürlichen Welt verband. Doris Chen war Hellseherin, und ihr wurden die Augen entfernt. Die Nonne hörte die Engel, und es traf ihre Ohren. Ein Priester ohne Stimmbänder und ein Fremder ohne Hände – ob der eine vielleicht mit Silberzunge predigen und der andere mit Handauflegen heilen konnte? Gewundert hätte es jedenfalls keinen von uns.

Wir waren noch am Überlegen und Diskutieren, da kam von Alex mit einem Mal ein „Die Pflicht ruft“. Sein Patron schickt ihm manchmal diese Hinweise, wenn es etwas zu tun gibt, das Alex' Abgesandtenjob betrifft, und da diesmal das Bedürfnis mit einem Gefühl des 'besser nicht alleine' einherging, begleiteten wir ihn natürlich. Es war ein Ort in den Everglades, wo man mit dem Auto nicht gut hinkam, aber unser Alex hat ja überall und für alle Gelegenheiten Transportmittel bereitstehen.

An der Stelle in den Everglades, zu der Alex hin musste, sahen wir tatsächlich etwas, oder jemanden, genauer gesagt: einen der jungen Quasi-Wardens, der gerade vor einer unheimlichen und unmenschlichen Gestalt davonrannte. Die Gestalt sah aus wie ein Rabe auf zwei Beinen und besaß zwei Augenpaare: eines schwarz, eines glühend orangefarben: eindeutig ein Monster. Schnell entschlossen brüllte Roberto: „Haltet ein!“, um die Aufmerksamkeit des Rabenwesens von seinem Opfer ab- und auf uns zu lenken. Der Rabe fuhr herum und fixierte uns mit diesen glühenden Augen. Dann gab er einen markerschütternden Schrei von sich, der uns mit Ausnahme von Edward, der dem akustischen Angriff problemlos standhielt, bis tief in die Knochen fuhr und uns gehörig durchschüttelte, ja teilweise sogar die Ohren bluten ließ. Der Quasi-Warden brach von dem gellenden Kreischen sogar ohnmächtig zusammen.

Während Roberto mit dem Klingeln in seinen Ohren kämpfte, Edward mit seinem magisch verstärkten Handschuh und Totilas mit seinen White Court-Kräften auf das Rabenwesen einschlugen, beide den Vogel aber mit ihren Angriffen verfehlten und ich selbst versuchte, den Raben mit einem gleißenden Strahl Sonnenlichts zu blenden, was dem Biest aber leider überhaupt nichts ausmachte, zog Alex kurz entschlossen den bewusstlosen Warden in Richtung Boot. Eigentlich bewegte sich die Rabengestalt gar nicht so schnell, aber trotzdem war sie mit einem Mal ganz woanders als eben noch, nämlich in einem Sprung auf den Quasi-Warden hin begriffen. Alex warf sich dazwischen und entging nur um ein Haar ihren Federn, während Totilas zu der Rabenfrau – es war tatsächlich eine 'sie', konnte ich jetzt erkennen; unter den ganzen Federn verbarg sich ein Hauch von Brüsten und eine weibliche Figur – rannte und ihr die Hand auf die Schultern legte. Ich kenne unseren Vampirkumpel inzwischen gut genug, um zu wissen, dass das eine Ablenkung auf White Court-Art war: Totilas versuchte schlicht, die Rabin anzumachen. Ein bisschen Wirkung schien das auf sie auch tatsächlich zu haben; genug jedenfalls, dass Roberto ihr eine Feder abschneiden konnte (und sich dabei fast selbst in die Hand schnitt, weil die Dinger richtig fies scharf waren).
Ich selbst hätte gern aktiver in den Kampf eingegriffen, aber die Schusswunde in der Schulter behinderte mich doch ziemlich, und so brachte ich nur Jade in ihre eigentliche Gestalt zurück und positionierte ich mich, nachdem Alex den Quasi-Warden ins Boot gezogen hatte, deckend vor den jungen Magier.
Edward schlug wieder zu, mit aller Kraft, die er nur irgend aufbieten konnte, aber wieder verfehlte er die Rabin, und diesmal nur um Haaresbreite. Es war sinnlos, die Gestalt war zu schnell, zu beweglich, und so ließ Alex den Motor aufheulen und raste los, nachdem die anderen eiligst wieder ins Boot gesprungen waren. Das Boot machte einen Satz, und allein den ganzen Fechtduellen mit Elaine auf unterschiedlichstem Gelände habe ich es zu verdanken, dass ich nicht über Bord ging, sondern mich gerade noch festhalten konnte. Mit ein paar schnellen Schritten blieb die Rabengestalt auf unserer Höhe, sprang dann an Bord schoss einen Teil ihrer Federn auf uns. Die Jungs konnten gerade noch ausweichen, aber ich selbst stand ja vor dem Quasi-Warden, um ihn zu decken, weil er selbst, bewusstlos, wie er war, sonst voll getroffen worden wäre. Stattdessen wirbelte ich mit Jade herum (ein bisschen wie ein Jedi-Ritter, der mit seinem Lichtsäbel Lasergeschosse abwehrt, wenn auch sicherlich längst nicht so elegant), und es gelang mir tatsächlich, einige, wenn auch längst nicht alle, Federn von dem Ratsmagier abzuhalten. Mich selbst traf dank des Herumgewedeles mit meiner Sommerklinge aber immerhin keine.
Wieder führte Totilas einen Schlag gegen die Rabengestalt, und diesmal traf er sie, was bei der Kreatur aber keinen sichtbaren Eindruck hinterließ. Ganz deutlich hatte die Rabin es nur auf den Quasi-Warden abgesehen: Uns ließ sie auffällig in Ruhe. Roberto versuchte, sie vom Boot zu stoßen oder sie zumindest aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber das Wesen war einfach zu stark und rührte sich keinen Millimeter.

Eigentlich hatte ich Roberto mit einem Sommerwind unterstützen wollen – aber wenn nicht einmal Totilas als der Stärkste dem Wesen etwas anhaben konnte, dann waren körperliche Angriffe völlig aussichtslos. Stattdessen versuchte ich doch noch einmal, die Gestalt zu blenden. Diesmal gelang es mir, den Sonnenstrahl tatsächlich in beide Augenpaare zu lenken, was die Rabenfrau zumindest für einen Moment aus dem Konzept brachte und Alex die Chance gab, sie jetzt durch geschicktes Manövrieren des Bootes von Bord zu bugsieren, indem er sie an einem Baum am Ufer abstreifte. Die Kreatur schlug wild mit den Flügeln und hätte es tatsächlich geschafft, mit einem Motorboot in voller Fahrt mitzuhalten, wenn sie nicht von dem Sonnenlicht noch immer geblendet gewesen wäre und deswegen nicht so ganz sicher sein konnte, wo wir uns befanden. Also hielt sie irgendwann inne, als sie merkte, dass sie uns nicht mehr erreichen würde, und ließ einen weiteren ihrer durchdringenden Schreie los, aber mir klingelten vom ersten Schrei dieser Art die Ohren noch genug, dass mich dieser zweite, weiter entfernte relativ kalt ließ.

Als wir weit genug weggekommen waren, um sicher sein zu können, dass uns das Rabenwesen wirklich nicht folgte, hielten wir an, um nach dem Quasi-Warden zu schauen. Dem ging es ganz und gar nicht gut, aber Alex bekam ihn immerhin soweit stabilisiert, dass er uns hoffentlich nicht unter den Händen wegsterben würde, bis wir ihn zum Arzt schaffen konnten. Und wir mussten Spencer Declan kontaktieren, damit der bescheid wusste, falls das Biest den jungen Ratsmagier weiter verfolgen sollte, wovon wir beinahe ausgingen. Aber Declan selbst war ja auf normalem Weg nicht zu erreichen – er hatte zwar diesen Telefonantwortdienst, aber wie regelmäßig er den abfragte, stand in den Sternen. Die Hippiekommune allerdings hatte Möglichkeiten, Declan zu erreichen, wie wir bei der Namensparty festgestellt hatten, also brachten wir den Quasi-Warden in die Kommune. Immerhin haben sie auch einen Arzt dort.

Während der Fahrt theoretisierten wir natürlich wild herum. Niemand von uns hatte so etwas wie das Rabenwesen schon einmal gesehen, aber Roberto hatte immerhin schon einmal etwas von Kreaturen mit zwei Augenpaaren gehört: irgendetwas von einem Kult, ja einem regelrechten Orden, von Dämonisten, die angeblich sehr, sehr mächtig seien. Irgendetwas sei da wegen Denaren gewesen, Denaren wie der alten römischen Währung, aber wirklich Genaues wusste er nicht.

Als wir im Sunny Places ankamen, war Declan sogar bereits dort. Er bedankte sich herzlich dafür, dass wir ihm den jungen Mann zurückgebracht hatten (tatsächlich wirkte er sogar sehr glücklich und erleichtert darüber) und nahm ihn in seine Obhut, nachdem wir erklärt hatten, dass wir gerne mit dem Jungen reden würden, sobald er wieder bei Bewusstsein sei, und Declan zugesagt hatte, ihm das ausrichten zu wollen.

Sobald die beiden Ratsmagier fort waren, befragten wir Jack Byron White Eagle zu diesem Dämonistenkult mit den Doppelaugen. Er hörte sich unsere Geschichte ruhig an, inklusive der Erklärung darüber, dass der Quasi-Warden genau dieselben Wunden aufgewiesen hatte wie Doris Chen und die anderen Opfer, dass diese Wunden wohl also auch bei den anderen von diesen unnatürlich scharfen Rabenfedern hergerührt hatten, und betrachtete die von uns mitgebrachten Federn eingehend. Die wirkten übrigens nicht vollkommen real, sondern mehr so, als würden sie sich demnächst einfach in Luft auflösen, wie hergezauberte Materie das gerne mal tut. Byron wurde im Verlauf unserer Erzählung vielleicht nicht gerade blass, aber er wirkte doch sehr besorgt und teilte dann die folgenden Informationen mit uns:
Es gibt den so genannten “Orden des Schwarzen Denarius”, einen Kult, dessen Anhänger alle einen Handel mit einem Dämonen eingegangen sind. Wenn der Dämon in ihnen das Steuer übernimmt, dann verändern diese Leute sich körperlich zu jeweils ganz unterschiedlichen Gestalten, aber ein Merkmal ist immer das doppelte Augenpaar. Es soll genau 30 Dämonisten geben, wegen der 30 Silberlinge, für die Judas Jesus verraten hat - jeder dieser 30 Silberlinge ist ein solcher dämonenbehafteter “schwarzer Denarius”. Die Mitglieder des Kultes seien extrem mächtig und extrem gefährlich, sagte Byron, und er warnte uns vor allem eindringlichst, keine altrömischen Münzen anzufassen, zumindest nicht mit bloßer Hand, weil in den Münzen eben ein Dämon hinge und die bloße Berührung einen für dessen Einflüsterungen empfänglich mache. Outsider seien diese Dämonen aber nicht, sondern teuflische Wesen aus unserer eigenen Realität, gewissermaßen ‘unsere’ Bösen. (Was es nicht direkt besser macht, aber immerhin ein Unterschied ist, dessen wir uns bewusst sein sollten.)
Einen Orden aus Rittern, die diese Denarier jagten, gebe es angeblich auch - diese Ritter trügen heilige Schwerter, in denen je ein Nagel vom Kreuze Christi verarbeitet sei.

Bei diesem Bericht über einen derart mächtigen Dämonistenkult verdrehte Edward die Augen und fragte sich laut, ob es vielleicht an uns liegen könnte, dass ständig dieser ganze Müll passiert, und zwar ausgerechnet uns, und er kam mit Roberto ins Grübeln, ob uns auch in einer anderen Stadt ständig so viel Mist um die Ohren fliegen würde. Aber es blieb natürlich alles beim reinen hypothetischen Herumgeflachse, denn eigentlich stellt die Frage sich gar nicht. Miami ist unsere Stadt, und wir sind ihre Ritter, und wir werden sicherlich nirgendwo anders hingehen.

Wir saßen gerade noch mit Byron zusammen, da kam Angel Ortega völlig betrunken in die Kommune gestolpert. Wirr und durcheinander erzählte er etwas von Krokodilen, die Leute fressen wollten. Er sprach davon, dass sie ihn angegriffen und ihn ins Bein gebissen hätten, aber an seinem Bein war keine Wunde zu sehen. Es schien eher so, als sei dieser Krokodilsangriff eine Illusion gewesen - überhaupt wirkte Angel derart verwirrt, als habe jemand seinen Geist manipuliert. Da es aber ein Verstoß gegen die Gesetze der Magie gewesen wäre zu versuchen, die Verwirrung wieder zu richten, ließen wir Angel erst einmal bei den Hippies: Vielleicht konnte Byron etwas ausrichten, ohne dem armen Kerl im Kopf herumzupfuschen.

‘Krokodile’ klang nach den Elders, also wollten wir zur Waystation fahren und uns dort einmal umsehen. Als wir die Waystation betraten, wurde vor allem Roberto von den Anwesenden misstrauisch beäugt. Selva Elder war nicht nur genauso missmutig wie immer, sondern tatsächlich noch um einiges feindseliger als üblich, die Stimmung im Lokal um einiges gereizter als sonst. Als Selva unsere Bestellungen aufnahm, erwähnte ich, dass wir Angel getroffen hatten und fragte, was los gewesen sei. Selva brauste auf, Angel brauche sich hier gar nicht mehr blicken lassen, er habe einen der Elders, Octavian, angegriffen, und es habe eine Schlägerei gegeben. Genaueres wollte sie aber nicht sagen – weil sie es nicht wollte oder weil sie einfach selbst nichts Näheres wusste, war mir nicht so recht klar. Es kam mir aber tatsächlich eher vor wie Zweiteres.
Aber in letzter Zeit würden die Orunmila durch die Glades stolzieren, als gehörte ihnen hier alles, fuhr Selva erbost fort. Was denen einfiele!
Roberto erzählte von dem Rabenwesen und dass es sehr heftig gewesen war – ich fügte noch hinzu, dass wir gerade nur so mit Mühe weggekommen waren – und fragte dann, ob dieses Rabenviech jemandem etwas sagte. Selva erklärte, sie habe von so etwas noch nichts gehört, sie könne auch nicht einschätzen, ob ein solches Wesen echt sein könne oder nicht. Robertos Bitte, doch mal bei den anderen Anwesenden nachzufragen, schmetterte sie brüsk ab, indem sie sich auf Diskretion für ihre Gäste zurückzog.
Alex gab zu bedenken, dass der Rabe sich noch in den Glades aufhalten könne und dass sie vorsichtig sein sollten. Aber auf die freundliche Warnung reagierte Selva völlig überspitzt und aggressiv: „Wir können schon auf uns selbst aufpassen, wir tun das schon seit Generationen. Und wir brauchen sicherlich keinen Eleggua-Hansel, der uns sagt, was wir zu tun haben!“ Und mit diesen Worten zog Selva grummelnd ab.
Irgendwas stimmte da ganz und gar nicht. Was hatte die Stimmung bloß so aufgeheizt?

Da Selva so über die Orunmila hergezogen hatte und da die ja zu Halloween in den Sümpfen immer ein Ritual abhalten und in den Glades auch irgendetwas bewachen, wie wir wissen, war der logische nächste Schritt, sich mit den Orunmila zu unterhalten und Macaria Grijalva zu ihrer Sicht der Dinge zu befragen.
Auch ihr erzählte Roberto von dem Rabenmonster, das einen jungen Ratsmagier verfolgt habe – diese Information quittierte Macaria mit einem Brummen, einem Achselzucken und der kühlen Bemerkung, das klinge nach einer ratsinternen Angelegenheit – und dem Kult des Denarius, außerdem von dem seltsamen Verhalten der Elders. Als er erwähnte, dass die Orunmila ja in den Sümpfen etwas bewachten, bestätigte Macaria, dass das auf keinen Fall gefunden werden dürfe. Eigentlich sollten die Elders auf diese Sache aufpassen, aber die Elders hätten seit kurzem ja alle eine derart kurze Lunte. Aber sie wolle die Aussprache mit Thutmoses Elder suchen. Aber ja, sie bestätigte auch, dass Declan genau dieses Etwas suche. Wenn jetzt noch ein Denarier sich einmische, dann sei das sehr beunruhigend. Aber auch die Tatsache, dass Declan so nah dran sei, sei schon sehr beunruhigend, vor allem, wenn er sich jetzt drei... – Macaria zögerte kurz, und ich konnte mir ein „Padawane?“ nicht verkneifen – Lehrlinge gesucht hätte. Das sei ungewöhnlich; normalerweise wolle Declan alle anderen Ratsmagier immer so schnell wie möglich aus der Stadt haben.

Jetzt erzählte Alex, dass Eleggua ihn an den Ort geschickt habe, wo der Rabe den Quasi-Warden jagte, was Macaria aufhochen ließ. „Hättest du das mal gleich gesagt. Dann ist es wohl doch keine reine Ratsangelegenheit.“
Edward versuchte es mit dem subtilen Hinweis, dass Macaria uns doch verraten könne, was das Geheimnis in den Sümpfen sei, wenn Eleggua uns doch sogar geschickt habe, aber das schmetterte die alte Santería-Priesterin mit der Bemerkung ab, wenn Eleggua wolle, dass Alex das Geheimnis kenne, dann werde er es ihm schon sagen. „Ihr wollt das gar nicht wissen“, fuhr sie dann mit ernstem Gesicht fort. „Auch von den Orunmila weiß kaum jemand, um was es genau geht.“ „Es hat etwas mit den Outsidern zu tun, oder?“ fragte Edward, hob dann aber sofort die Hand. „Du hast recht. Ich will es gar nicht wissen.“
Oh, Mierda. Ich wollte es auch nicht wissen, aber wie sie sich so darüber unterhielten, musste ich ganz unweigerlich an die Mordor-Ents denken.

Wo wir schon mal da waren, fragten wir Macaria auch noch nach Carmen Sosiego. Sie erzählte uns, dass Sosiego eine Ratsmagierin war, die viel mit Feen zu tun hatte und angeblich den „Tanz der Nereide“, ein Feenmusikstück, in einem ihrer eigenen Stücke verarbeitet habe.
Genaueres dazu wusste sie nicht, aber wenn Sosiego so eine Feenfreundin war, dann haben wir da ja eine Anlaufstelle. Allerdings nicht mehr heute. Um mit Pan zu reden, muss ich ausgeschlafen sein. Gute Nacht und all das.
Titel: Shiny, happy People.....
Beitrag von: Tante Petunia am 27.12.2017 | 15:27
Wieder mal sehr schön!  >;D ~;D :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 9.01.2018 | 22:40
26. August

Bevor wir heute zu Pan fuhren, erzählte ich den anderen von meinem Gedanken mit den Mordor-Ents. Die habe er schon die ganze Zeit im Kopf, sagte Edward, aber Totilas wiegelte ab, das wolle er gar nicht wissen, denn zu viel darüber zu wissen, könne einen schon verändern, und es sei gefährlich. Ja, das mag sein, aber verdrängen sollten wir es trotzdem nicht.

Pan wusste mit dem Namen ‘Carmen Sosiego’ nichts anzufangen, weil Menschen ihn üblicherweise nicht sonderlich interessieren, wenn er sie nicht ins Bett bekommt, aber der ‘Tanz der Nereide’ sagte ihm etwas: Das Stück sei vor langer Zeit in Irland von der Lady im See geschrieben worden und zerstöre menschliche Magie. Interessant…
Sir Anders wiederum interessiert sich für Menschen, und Sir Anders konnte uns tatsächlich einige Informationen zu Carmen Sosiego geben. Sie war eine Musikerin, die Melodien sammelte und dabei zwischen normaler und magischer Musik unterschied. Sie suchte die Unsterblichkeit, weil sie sich in ein Musikstück verwandeln wollte (oder etwas in der Art; ganz sicher war Sir Anders sich da nicht.) Einmal habe sie in Pans Palast ein Stück für Orgel aufführen wollen, aber da es im Palast keine Orgel gab, wich Sosiego stattdessen auf Klarinette aus. Bei dem Begriff ‘Orgel’ dachten wir natürlich sofort alle an die ‘Sinfonia de la Tranquilidad’, aber an den Namen der Komposition konnte Sir Anders sich nicht mehr erinnern. Er konnte uns nur noch sagen, dass das irgendwann zwischen den beiden Weltkriegen gewesen war und dass Sosiego aus dem Nevernever im Palast erschien und nach Beendigung ihres Besuchs im Palast wieder über das Nevernever abreiste.

Roberto machte übrigens während des Gesprächs mit Pan und bei der Erwähnung von Irland, der Herrin vom See und all dem die ganze Zeit über derart penetrant unqualifizierte Sprüche zum Herrn der Ringe, dass wir ihn schließlich zu Saltanda schickten, damit er nachschauen sollte, wie es der werdenden Mutter mit seinem Kind so ging. Ich mag Roberto ja gern, aber manchmal ist er wirklich unmöglich.

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04. September

Eben hat Roberto einen Anruf von Dallas Hinkle bekommen. Ärger beim Jugendzentrum. Irgendein Verrückter mit einer Knarre, der seine 'Ische' verlangt. Muss los. Nachher mehr.

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Wieder zuhause. Wir sind alle am Leben, aber so richtig zufriedenstellend war das nicht, Römer und Patrioten.

Als wir beim Jugendzentrum ankamen, bemerkten wir sofort, dass an dem Gebäude etwas komisch war. Was wir auch taten, wir kamen nicht hinein. Irgendwie war die Geometrie verzerrt: Wir gingen auf das Haus zu, machten auch keinen sichtbaren Sprung, sondern machten einfach nur Schritt um Schritt, endeten aber trotzdem immer an genau dem Punkt, an dem wir losgegangen waren.
Irgendwann, nachdem wir festgestellt hatten, dass das in der ganzen Anlage und bei allen Türen so war, hatte Totilas genug. Er pflanzte sich auf die Straße vor den Haupteingang und rief laut: „Ich habe deine Ische!“
Als Sesam-öffne-dich funktionierte der Bluff einwandfrei. Die Tür schwang auf, und wir gingen hinein.

Drinnen sahen wir uns einer Geiselnahme gegenüber. Niemand anderes als unser alter Bekannter Diego (er mit der Dämonenrunenpistole letzten Herbst) hielt mit einer Pistole die übrigen Anwesenden in Schach. Als wir hereinkamen, wirbelte er zu uns herum und schrie, dass er die blonde Ische wolle.
Diego hatte eine neue Pistole anstelle von der, die wir ihm abgenommen hatten, und diesmal war es wirklich eine Outsider-Waffe. Für meine mundanen Augen sah sie schon unangenehm aus, und für die Sommermagie in mir fühlte die Pistole sich richtig ekelhaft an. (Totilas' Dämon mochte den Revolver auch überhaupt nicht, erzählte unser White Court-Kumpel später).

Um sein Argument zu unterstreichen, schoss Diego auf eine der Geiseln – hat dem Jungen eigentlich niemand gesagt, dass das eine ganz schlechte Verhandlungstaktik ist, eventuelle Verhandlungspartner gleich gegen sich aufzubringen? - aber Edward warf sich dazwischen und bekam eine Kugel ins Bein.
Mehr Geschrei: dass er aufhören solle, dass wir hier seien um zu reden, dass er es nicht schlimmer machen solle, und wer die 'blonde Ische' denn überhaupt sei, von der er da redete?

Wir hätten es uns eigentlich denken können. Im Nachhinein wirkt es fast unausweichlich, dass er Enid Campbell gemeint hatte. Woher er sie bzw. ihren Namen kenne, wollten wir wissen. Einen Hauch ruhiger erklärte Diego, sie sei von dem 'alten Sack' auf dem Dachboden beschworen worden. Der habe wohl ihren Wahren Namen erkannt, sonst hätte er sie ja nicht beschwören können. Die Beschwörung habe Declan zusammen mit Pater Donovan durchgezogen (sieh an!), und Diego habe ihnen beim Beschwören geholfen. Warum, wollten wir wissen, und Diego sah uns an, als seien wir völlig schwer von Begriff. Na weil Pater Donovan dabei war. Jedenfalls habe er bei diesem Ritual gemerkt, dass die 'blonde Ische' voll magisch sei, und deswegen wolle er sie jetzt haben, um sie seinen Freunden zu geben, denn er habe jetzt neue Freunde, und die seien viel mächtiger als Donovan. Von denen hätte er auch diese geile Pistole – sprach's und schwenkte das ekelhafte Ding bedrohlich herum. „Sie haben dir auch Kuchen gegeben, oder?“ wollte Edward wissen, und Diego nickte. „Ja, die sind nett. Ein bisschen seltsam, aber ganz nett. Aber Jack ist ziemlich gruselig, oder?“

Bingo. Als ob wir daran gezweifelt hätten, dass es Outsider waren. Aber jetzt wussten wir mit Sicherheit, dass sich Diego absichtlich – oder zumindest wissentlich, wenn auch vielleicht beeinflusst, siehe Kuchen – mit ihnen eingelassen hatte.
Der kleine Gangster jetzt aber genug vom Reden. Wütend schrie er: „Also wo ist sie? Ich will sie!“ und wollte wieder ziellos auf eine Geisel feuern. Während Roberto ihn ablenkte und Totilas ihn festhielt, wollte Edward ihm die Pistole abnehmen, aber deren Griff war tatsächlich mit Diegos Hand, die eine metallisch-schwarze Struktur angenommen hatte, verwachsen. Also zwang Edward ihm die Pistole an den Kopf, damit er nicht schießen könnte, ohne sich selbst zu treffen. Daraufhin wollte der kleine culo anfangen zu zaubern, aber Totilas stopfte ihm reaktionsschnell ein Tuch in den Mund, bevor er die Beschwörung beenden konnte.

Alex und ich hatten indessen angefangen, die Kinder und Jugendlichen in Sicherheit zu bringen. Bis das geschafft war und wir zurück zu den anderen kamen, hatte Edward dem kleinen Dämonenpaktierer Handschellen angelegt, erzählte uns aber, dass ihn plötzlich der Drang überkommen habe, die Pistole selbst an sich zu nehmen, und er einiges an geistigem Widerstand habe aufbringen müssen, um sich dagegen zu wehren. Er hatte den Eindruck, dass, wenn er die Waffe hätte nehmen wollen, sie sich von Diego gelöst hätte und zu ihm gekommen wäre, aber dann genauso mit seiner Hand verschmolzen wäre, aber vor allem, dass das geistige Duell tatsächlich nur ganz knapp zu Edwards Gunsten ausging.
Edward hatte auch immer noch diese Outsider-Kugel im Bein, die er während des Kampfes zwar heldenhaft ignoriert hatte, die sich inzwischen aber nicht mehr ignorieren ließ, zu ekelhaft, zu fremd, fühlte sie sich an. Alex, der von uns allen die meiste Erfahrung mit sowas hat, wollte, unterstützt von Totilas und mir, die Kugel entfernen, aber die wehrte sich, und das meinte ich nicht im übertragenen Sinne. Das maldito artilugio setzte sich aktiv gegen unsere Bemühungen zur Wehr und wollte sich tiefer in Edwards Bein bohren, und nur mit vereinten Kräften und sehr viel Anstrengung bekamen wir es zu fassen.

Als das geschafft war, blieb noch immer die Gefahr der Dämonenpistole und ihrer magischen Beeinflussungsversuche. Für's Erste rief ich die Sommermagie hoch und verschmolz das Ende des Pistolenlaufs, so dass niemand damit würde schießen können. Edward rief währenddessen Salvador Herero an, dass der Diego abholen kommen solle, damit kein normaler Cop aus Versehen die Waffe an sich binden würde.
Draußen vor dem Jugendzentrum hatte sich auch schon ein ziemliches Aufgebot an Polizeikräften eingefunden, die aber genausowenig ins Gebäude konnten wie wir vorhin. Sicherheitshalber warteten wir, bis Herero angekommen war, und sobald ich ihm die Tür öffnete, konnten er und die anderen Cops hereinkommen. Edward gab seinem Untergebenen die nötigen Instruktionen, dann schaffte Herero Diego weg.

Edward wurde ins Krankenhaus gebracht, während wir anderen uns den Ritualort unter dem Dach ansehen gingen. Spuren waren keine mehr zu sehen, weil die Ritualwirker natürlich ordentlich hinter sich aufgeräumt hatten; für das bloße Auge war das also einfach ein leerer Raum, aber Alex fand einen Geist. Jung, männlich, einer der Padawane, und man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Mierda y cólera, die hatten vor einem Menschenopfer nicht zurückgeschreckt, um Enid wirklich körperlich in das Jugendzentrum zu beschwören!
Alex versuchte, mit dem Geist zu sprechen, aber dessen Essenz war voller Löcher, von dem Jungen kaum mehr etwas vorhanden. Alles, was er von sich gab, war: „Mach, dass es aufhört... die Vampire... der Werwolf... das Mädchen... die Vampire... so viele...“ Als Alex nach Enid fragte, veränderte sich das Gestammel: „Warlock... Enid... John... Nandy... Enid... Warlock... Verräter... Verräter... Verräter...“ „Weißt du ihren Namen?“ wollte Alex wissen, und der Geist des Padawans antwortete: „Enid Moira Campbell.“

Als wir wieder ins Erdgeschoss kamen, war Pater Donovan gerade dabei, die Kinder und Jugendlichen seelsorgerisch zu betreuen. Auf den ersten Blick wirkte auch überhaupt nicht suspekt, was er machte, soweit ich das beurteilen konnte, aber misstrauisch war ich trotzdem. Trotzdem musste der Priester nicht unbedingt wissen, dass wir ihn in Verdacht hatten – um Donovan in Sicherheit zu wiegen, unterstützte Roberto ihn bei der Seelsorge. Ich tat auch mein Bestes, um die Kids ein bisschen zu beruhigen, aber, soweit das unauffällig ging, möglichst nicht auf Tuchfühlung mit dem Pater. Sonst würde der vielleicht am Ende noch was merken.

Wir waren gerade im Auto auf dem Weg, um Edward aus dem Krankenhaus abzuholen, da kam im Radio die Nachricht: Governor Scott hat den Notstand für den ganzen Bundesstaat ausgerufen – der Hurricane, der sich nähert, ist zu einem Sturm der Kategorie 4 angewachsen und damit einer der schwersten Stürme, die Florida jemals heimgesucht haben.
Titel: Shiny, happy People....
Beitrag von: Tante Petunia am 10.01.2018 | 09:32
Wieder sehr spannend zu lesen, danke Timberwere!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 13.03.2018 | 08:24
Ricardos Tagebuch: Turn Coat 3

Mit Edward im Schlepptau fuhren wir vom Krankenhaus aus direkt zum Revier, um Diego zu verhören. Alex kam nicht mit – der bekam einen Anruf und setzte sich erst einmal ab.
Der junge Straßenpunk wollte erst den starken Mann geben, aber Totilas schüchterte ihn derart ein, dass er dann doch auspackte. Folgende Informationen – die wir uns zum Teil schon gedacht hatten, aber von denen es gut war, noch einmal eine Bestätigung dafür zu erhalten – bekamen wir aus dem Jungen heraus:
Für das Ritual wurde Diego von Father Donovan rekrutiert; federführend durchgeführt wurde es von Spencer Declan. Die beiden – also Declan und Donovan – schienen einander auch schon etwas länger zu kennen. Der Padawan lag gefesselt und geknebelt und unter Drogen gesetzt im Ritualkreis – er hatte sich also ziemlich eindeutig nicht freiwillig dazu bereit erklärt, sich selbst zu opfern, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Diego schnitt ihm die Kehle durch, dann erschien die Blonde körperlich im Ritualkreis, landete auf dem Padawan, schrie entsetzt auf und wurde ohnmächtig, woraufhin Declan sie mitnahm. Diego wollte die blonde „Ische“ haben, um sie seinem neuen Freund Jack - ich werde ab jetzt Jak schreiben, um ihn kenntlich zu machen, auch wenn Byron ja inzwischen nicht mehr Jack heißt – um sie also seinem neuen Freund Jak zu übergeben. Mit dem ist Diego übrigens über Paco und den Railroad Club und diesen jungen Schwarzen Jonathan Irgendwas (lies: der verjüngte Joseph Adlene) in Kontakt gekommen. Jak bot ihm den Deal mit der Waffe an, den Diego nur allzu gerne annahm.
Bei dieser Gelegenheit fragten wir, wie Diego seinen 'Freund' eigentlich kontaktieren könne. Seinen Namen einfach nur zu denken, reiche nicht aus, aber er müsse ihn einfach nur rufen – ob er es uns mal zeigen solle? Ääähm, nein, vielen Dank. Zur Sicherheit knebelten wir den jungen Gangster lieber wieder.

Die ersten Pistolen, die wir damals bei Paco und ihm gesehen hatten und die ja 'normal' dämonisch waren und keinen Ruch von Outsider an sich hatten, seien von Pater Donovoan gekommen. Und diese Auskunft war a) neu und b) extrem interessant, Römer und Patrioten, denn die sagt uns, dass Donovan irgendwie mit Dämonen im Bunde steht.
Spencer Declan übrigens ebenso, oder zumindest ist er sich nicht zu schade, für schwarze Magie Menschen zu töten. Und in dessen liebende Hände haben wir den zweiten Padawan gegeben, nachdem wir ihn im Sumpf vor dem Rabenwesen gerettet hatten. Mierda y Cólera!

Und Enid Campbell ist ebenfalls in Declans Gewalt, wenn er sie nicht schon umgebracht hat. Falls sie noch am Leben ist, dann deswegen, weil der Warden sie noch für irgendetwas braucht.
Wenn, dann wohl wegen der Sinfonia, in die ja der 'Tanz der Nereide' eingearbeitet sein soll, und dieser Tanz soll ja Magie zerstören. Oder war es unterdrücken, schlafen legen? Aber irgendwie so jedenfalls.

Um Enid zu helfen, müssten wir Declan konfrontieren. Zu diesem Zweck wäre der 'Tanz der Nereide' gar nicht schlecht, eben weil der ja Magie unterdrücken kann. Und tatsächlich haben wir den ja in unserem Besitz, weil wir ja eine Kopie der Sinfonia angefertigt haben, ehe wir das Original an Enid zurückgaben. Darin gibt es einen Abschnitt namens 'Calma', der sogar mit 'der Tanz der Nereide' untertitelt ist – falls wir uns also mit Declan anlegen wollten, wüssten wir genau, welchen Teil des Stücks wir nutzen müssten, um den Warden lahmzulegen oder zumindest zu behindern.
Aber wir waren uns einig, dass wir dazu wir mehr über das Musikstück herausfinden müssten und darüber, was es genau macht. Es einfach zu spielen, wäre aber zu riskant, egal, wie spannend das wäre: Wir wissen einfach zu wenig darüber, wie genau es wirkt. Und außerdem ist das Ding für Orgel geschrieben, und das ist ein Instrument, das keiner von uns beherrscht.

Andere Baustellen, denen wir uns widmen könnten, wären Pater Donovan oder Jak, warfen Totilas und Edward noch in den Raum. Aber zunächst beschlossen wir, lieber erst einmal alles an Informationen zusammenzutragen, was sich noch an Informationen zusammentragen ließe, bevor wir irgendwen oder irgendwas konfrontieren würden.

Ich überlegte, ob ich jemanden kannte, den man dafür ansprechen könnte, einen Musikprofessor an der Uni zum Beispiel, aber mir fiel niemand ein, dem ich so etwas anvertrauen würde. Aber Roberto hatte eine Idee: Eine alte Bekannte von ihm hat die Musikwissenschaft und Psychologie studiert und bestreitet ihren Lebensunterhalt mit Werbejingles, während sie die ernste Musik als Hobby betreibt, bis sie mit ihrem Hauptberuf genug Geld verdient hat. Mit dieser Bekannten – 'Vera Cruz' nennt sie sich, auch wenn das vermutlich nicht unbedingt ihr richtiger Name ist – verabredete Roberto sich, während wir anderen zu Byron White Eagle fuhren.

Als wir dort ankamen, verließ gerade Angel Ortega die Kommune, und wir wechselten ein paar Worte mit ihm. Wie es ihm gehe, wollten wir wissen, und er sagte, irgendetwas stimme mit seinem Kopf nicht: Er habe keinen Tropfen getrunken, sich aber trotzdem betrunken gefühlt; jetzt wolle er aber erst einmal in die Kirche gehen, in die Hermitá de la Caridad. (Die nicht Pater Donovans Kirche ist, nur damit da keine Zweifel aufkommen.)
Drinnen hatten wir mit Byron gerade den Smalltalk beendet, da kam Roberto auch schon dazu. Er hatte Angel im Schlepptau, der sich jetzt nur noch torkelnd bewegen konnte und wirr lallte. Seltsam – gerade vor einigen Minuten war er doch noch völlig nüchtern gewesen. Und hatte er nicht in die Kirche gehen wollen?
Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht, also steckten wir ihn kurzerhand in einen Schutzkreis. Und tatsächlich: Sobald der magische Kreis sich um ihn geschlossen hatte, fiel die Betrunkenheit schlagartig von Angel ab. Er betrachtete sich selbst mit dem zweiten Gesicht und stellte fest, dass tatsächlich ein Fluch auf ihm lag. Die Magie war nicht sehr stark und machte den Eindruck, als sei sie völlig ohne Leidenschaft gewirkt worden, ohne persönliche Befindlichkeit dahinter, aber hoch-professionell: eher das Ergebnis bezahlter Arbeit denn von wildem Hass.

Natürlich fingen wir an zu überlegen und landeten schließlich bei folgender Theorie: Angel war ja vor einigen Jahren wegen vermeintlicher Trunkenheit von den Orunmila ausgeschlossen worden. In Wahrheit aber hatte Ximena sich damals als Angel maskiert und den Betrunkenen gespielt, und weil Ximena wegen der Aktion ein schlechtes Gewissen hatte und die Orunmila über die wahren Umstände aufklärte, hatte sich das Verhältnis zwischen Angel und der Santería-Gruppierung gerade wieder zu bessern begonnen. Vielleicht wollte oder will, wer auch immer Angel jetzt diesen Fluch auf den Hals gehetzt hat, ihn bei den Orunmila wieder diskreditieren, damit die ihn nicht wieder aufnehmen? Außerdem wurde Angel auch an der Way Station herausgeworfen, wo er ja als Türsteher und Rausschmeißer gearbeitet hatte. Ohne ihn stehen die Elders sicherlich nicht wehrlos da, aber vielleicht ist es ein Schutzmechanismus weniger. Und drittens: Was, wenn jemand die Orunmila und die Elders gegeneinander aufbringen will, damit die abgelenkt sind und das, was auch immer sie da im Sumpf beschützen, nicht mehr – oder nicht mehr so gut – geschützt ist?

Byron sagte, er könne natürlich versuchen, den Fluch mittels eines Rituals von Angel herunterzureinigen. Aber nicht sofort: Erst einmal müsse Angel sich ausschlafen.
Jetzt erzählte Roberto uns auch, was seine Bekannte Vera gesagt hatte: Das Musikstück habe sie sehr interessiert, und sie wolle es sehr gerne ganz genau analysieren – das werde nur vermutlich eine Weile dauern, und sie wolle sich wieder melden.

Inzwischen hatte auch Alex angerufen und herausgefunden, dass wir in der Kommune waren; jetzt stieß er wieder zu uns und berichtete. Es sind noch weitere kleinere Praktizierer von diesem Denarier-Raben mit den scharfen Federn getötet worden, weswegen Alex von seinen Kontakten um Hilfe gebeten wurde. Wirklich tun konnte er nichts, außer natürlich dafür zu sorgen, dass die Verstorbenen dorthin weitergingen, wo sie hingehörten.

Außerdem erzählten wir Byron von den neuesten Entwicklungen in Sachen Diego, und Edward machte erneut den Vorschlag, sich vielleicht die Kraft des Sturmes zunutze zu machen, um so verstärkt Jak zu konfrontieren. Diese Idee fand Byron gelinde gesagt ziemlich größenwahnsinnig. „Wie kannst du mit den cojones überhaupt noch laufen, sag mal?“ war seine Formulierung, „Die müssen doch schon am Boden schleifen!“
Spencer Declan hingegen mit der Energie des Sturms anzugehen, würde vermutlich die Gesetze der Magie brechen. Mierda.

Aber wir hatten da ja noch ein anderes Problem, und zwar Diego, der zwar momentan geknebelt im Gefängnis sitzt, der aber spätestens übermorgen dem Haftrichter vorgeführt werden muss. Und spätestens dann müsste man irgendwie die mit seiner Hand verwachsene Pistole erklären; von dem ganzen Unheil, das der kleine Cabrón in Gegenwart von lauter Uneingeweihten anrichten könnte, ganz zu schweigen. Aber wie die Waffe entfernen, wo sie doch in jedem, der sie oder auch nur Diego berührt, das Verlangen auslöst, sie selbst besitzen zu wollen?
Vielleicht würde es gehen, wenn er gerade von Oshun besessen wäre, warf Roberto ein. Mit diesem Vorschlag zog er sich allerdings Edwards Unmut zu – nicht, weil die Idee unserem Lykanthropen-Kumpel nicht gefallen hätte, sondern weil Roberto nicht schon vorher damit rausgerückt war, dass das ginge.
Aber egal, es ging ja jetzt. Oder sollten es vielleicht nicht Roberto mit Oshun machen, sondern Alex mit Eleggua? Aber nein, das hielten wir bei näherem Hinsehen für keine so gute Idee. Eleggua ist, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, Alex' Boss, der ihn herumkommandieren kann und sich auch nicht scheut, das zu tun. Roberto und Oshun haben ein etwas ausgewogeneres Verhältnis und könnten sich vielleicht auf einer eher gemeinschaftlichen Ebene einig werden.

Ich fragte in die Runde, was wir eigentlich machen wollten, wenn wir die Waffe hätten, was Totilas zu der Gegenfrage „Reicht das nicht später?“ veranlasste. Aber ähm, nein, das sollten wir schon vorher klären, fand ich, und die anderen stimmten mir da zu.
Denn wie oben schon erwähnt: Diego kann ja nicht ewig geknebelt bleiben, er soll aber auch seinen Kumpel Jak nicht rufen können, selbst wenn es uns gelingt, ihn von der Dämonenwaffe zu trennen. Am besten wäre es, waren wir uns alle einig, ihn gar nicht erst in die Mühlen des Gesetzes kommen zu lassen: Es wäre zwar nicht sonderlich ethisch, aber man könnte ihn noch vor der Verhaftung in eine pyschiatrische Anstalt einweisen lassen und mit Beruhigungsmitteln sedieren. Hillary Anger Elfenbein  hätte da sicherlich Wege und Möglichkeiten, und ehrlich gesagt, habe ich mit Diego nicht sonderlich viel Mitleid.

Alex und Edward schlugen vor, die Pistole, sobald wir sie entfernt hätten, in einer Bannkiste zu sichern. Das war eine ganz ausgezeichnete Idee, und zu diesem Zweck besorgte ich in einer Bótanica eine solide und taugliche Kiste aus Chechenholz, die Edward dann mit den entsprechenden Zaubern zur Sicherung belegte,   während Alex derweil eine Kopie der Dämonenpistole anfertigte. Roberto rief indessen Oshun an und traf mit ihr eine Abmachung: Die Orisha würde Diego die Waffe abnehmen, wenn Roberto den kleinen Gangster wieder zur Liebe bringen würde – was auch immer das heißen mpchte.

Dann fuhren wir zum Revier – es war zwar inzwischen ziemlich spät abends, um nicht zu sagen, ziemlich früh am Morgen, aber das war uns gerade recht, weil uns auf diese Weise niemand in die Quere kam.
Bei Diegos Zelle übernahm Oshun Robertos Körper und nahm dem Jungen die Waffe ab – Roberto beschrieb das Erlebnis hinterher so, dass er in diesem Moment in Versuchung geriet, vom Beifahrersitz aus die Herrschaft über seinen Körper wieder an sich zu reißen und die Waffe für sich zu beanspruchen, der Verlockung aber widerstehen konnte. Dann legte Oshun die Pistole in die Bannkiste und verschloss sie sorgfältig, bevor sie sich wieder zurückzog. Diego schrie vor Schmerzen, als die Waffe von ihm getrennt wurde, und seine Hand blutete – es war ein bisschen so, als sei seine Hand an einem eisigen Rohr oder einer eisigen Laterne festgefroren gewesen. Der junge Ganger wurde verarztet, dann ruhiggestellt und abtransportiert, und die Kopie der Pistole, die Alex gebaut hatte, kam in die Asservatenkammer.

Edward nahm die Bannkiste fürs Erste an sich, aber eines ist klar: Wir brauchen einen Giftschrank für solche Artefakte wie die Pistole. Alex sagte, er wolle sich einmal schlau machen, was als Giftschrank in Frage käme, denn weder Totilas' („so etwas wie der See in Schottland?“) noch Edwards („ein schwarzes Loch?“) Vorschläge klangen auf Anhieb so richtig zielführend.

Aber erst einmal müssen wir – muss ich zumindest – schlafen. Es war ein langer, langer Tag, und es hat auch nochmal ganz schön viel Zeit gefressen, das alles aufzuschreiben.
Titel: Shiny, happy People
Beitrag von: Tante Petunia am 13.03.2018 | 21:49
Shiny!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.03.2018 | 19:18
05. September

Nachdem wir erst heute früh ins Bett gekommen waren, haben wir – habe ich zumindest, ich weiß nicht genau, wie es den anderen ging, vermute aber ähnlich – erst einmal bis mittags geschlafen, dann trafen wir uns zu einem späten Brunch im Dora's.
Dort saßen wir noch beisammen, als Robertos Telefon klingelte: Es war seine Bekannte Vera Cruz, die Neuigkeiten hatte und sich mit ihm treffen wollte, also kam sie einfach gleich ins Dora's dazu.
Als Vera im Restaurant ankam, schob Roberto ihr erst einmal einen Kaffee zu, denn sie sah ziemlich unausgeschlafen aus – aber auch interessiert-fasziniert. Und tatsächlich berichtete Vera, dass sie die ganze Nacht an der Partitur gesessen habe, weil das Stück einfach super-interessant sei, vor allem der Mittelteil, der „Tanz der Nereide“. Von der Notenfolge her sei dieses Mittelstück eigentlich eine Kakophonie, oder müsste eine Kakophonie ergeben, aber die Computeranalyse der Noten habe eine logische mathematische Formel ergeben, was eigentlich nicht sein dürfte.
Als wir sie dahingehend befragten, erzählte Vera, sie habe das Stück auf dem Klavier ein bisschen geübt, es sei aber sehr schwierig – einfach so vom Blatt könne sie das nicht auf Anhieb spielen. Um es einigermaßen zu beherrschen, müsse sie vielleicht zwei Wochen lang üben. Und es sei für Orgel geschrieben, nicht für Klavier: Nur am Klavier zu üben sei also nicht ausreichend, sondern es würde auch die eine oder andere Übungssitzung an einer Orgel erfordern.

Nach dem Gespräch mit Vera Cruz rief ich bei Lidia an. Nur kurz, viel zu besprechen gab es eigentlich nicht; ich wollte nur hören, wie es Monica und ihr wegen des Sturms ging. Es war alles soweit gut, und den Sturm selbst wollen die beiden ja ohnehin bei mir in der Wohnung verbringen und Lidias Auto währenddessen bei mir unten in der Tiefgarage des Hauses abstellen. Lidias Haus selbst war auch schon soweit gesichert, also wollte ich beruhigt auflegen, da fragte sie, ob ich in letzter Zeit irgendetwas mitbekommen hätte, dass Magie nicht funktionieren würde. Das ließ mich natürlich sofort aufhorchen und nachfragen, woraufhin Lidia folgendes erzählte:
Sie sei gestern abend mit Monica in der Hermitá gewesen, um wegen des Sturms zu beten und eine Kerze zu entzünden. Oha. Als Lidia das sagte, ahnte ich schon, was kommen würde, denn Monica liebt es, Kerzen mit ihrer Magie anzuzünden. Und tatsächlich bestätigte Lidia mir auf meine Nachfrage, dass es genau so gewesen war: Monicas Magie hatte einfach nicht – perdonen el juego de palabras – gezündet.
Mir entfuhr ein „Oh“, bevor ich natürlich sofort fragte, ob in dem Moment vielleicht gerade auf der Orgel gespielt worden sei. Ja, bestätigte Lidia, und zwar ein sehr schönes Stück – sie sei wegen des kommenden Sturms so besorgt gewesen, aber bei der wunderschönen Melodie habe sie sich gleich viel ruhiger gefühlt.
Sehen, wer da spielte, konnte Lidia aber leider nicht.

Sobald ich aufgelegt hatte, gab ich die Information an die Jungs weiter, und sie teilten meine Einschätzung bzw. meine Vermutung: Da hatte vermutlich Enid die Sinfonia geübt, und zwar vermutlich gezwungenermaßen – aber damit war sie hoffentlich zumindest gestern noch am Leben.
Tun konnten wir damit aber leider erstmal immer noch nichts für das arme Mädchen – außer die Hermitá zu überwachen, ob sie zum Üben wiederkäme. Das war auch tatsächlich eine ernsthafte Überlegung – aber erst einmal mussten wir uns um den kommenden Sturm kümmern, und zwar jeder für sich. Wie ich eben ja schon mit Lidia besprochen hatte, gab es weder bei mir noch bei ihr sonderlich viel zu tun, deswegen konnte ich Byrons Bitte um Hilfe in der Kommune nachkommen, während Edward natürlich auf der Polizei dienstliche Vorbereitungen zu treffen hatte, Roberto seine Bótanica sturmfest machte, Totilas sich um die Raiths kümmerte – am Hotel natürlich, aber auch irgendwas von einem Tanklastwagen mit Benzin – und Alex sein Hausboot in Sicherheit brachte.

Ich bin eben von der Kommune zurück – es ist erstmal alles so sicher, wie es nur sein kann – und habe noch ein bisschen Zeit, bevor wir uns wieder treffen wollen, daher habe ich die Gelegenheit genutzt und erst einmal alles aufgeschrieben, was heute so passiert ist.

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Alex hatte Neuigkeiten, Römer und Patrioten. Er war gerade dabei, sein Hausboot sturmfest zu machen, als ein Angehöriger der Santo Shango auf seinem Motorrad vorbeikam. Ob Alex das 'reparieren' könne, zwinker zwinker - natürlich war der Mann ein Abgesandter von Cicerón Linares, der uns nicht offen kontaktieren wollte, uns aber Dinge zu sagen hatte. Er erzählte, dass Spencer Declan auf Cicerón zugekommen sei und ihm bezüglich der Sümpfe eine Zusammenarbeit angeboten habe. Dafür würde er auch ein Stück vom Kuchen abbekommen. Als Declan gefragt habe, was denn mit den Orunmila sei, habe Declan erwidert, da sei schon etwas in Arbeit, um die Orunmila zu neutralisieren.

Das Wort 'Kuchen' hatte uns natürlich aufhorchen lassen, und prompt flogen die Vermutungen hin und her: primär natürlich, dass auch Declan sich mit Jak eingelassen hat – und dass er mit der Sinfonia den Schutz um das Was-auch-immer im Sumpf negieren will.
Wenn wir damit recht hatten, dann bedeutete das natürlich, dass Macaria Grijalva und die Orunmila gewarnt werden mussten: vor Declan und auch vor Jaks Kuchen und wegen des Fluchs, der auf Angel gelegt worden war – und dass es sinnvoll sein könnte, die anderen Mitglieder der Orunmila auch einmal auf eventuelle Flüche zu überprüfen.

Als wir in Little Havana vor dem Gemeindezentrum ankamen, fanden wir die Orunmila in heller Aufregung vor. Unterwegs zu dem vereinbarten Treffen mit Thutmoses Elder seien sie und ihre Leute von Krokodilen in Begleitung des Raben-Denariers angegriffen worden und hätten es gerade so geschafft, wegzukommen.
„Thutmoses, verdammt, was macht der?!“

Kurz entschlossen rief ich bei Selva Elder an. Ja, sie ist nicht sonderlich gut auf uns zu sprechen, aber was hatte ich schon zu verlieren?
Tatsächlich war Selva sehr kurz angebunden, sagte aber, Macaria sei zu dem vereinbarten Treffen mit Thutmoses nicht erschienen. Ich sagte ihr, dass Macaria nicht zu dem Treffen habe kommen können, weil sie unterwegs von Krokodilen angegriffen worden sei, und gab Selva die Warnung mit, dass es uns so vorkäme, als wolle jemand die Elders und die Orunmila gegeneinander ausspielen.
Dieselbe Vermutung teilten wir auch mit Macaria, zusammen mit der Warnung, die Orunmila sollten sich nicht beeinflussen lassen – und keinen unbekannten Kuchen essen.
Im Privaten, als nicht mehr die ganze Gemeinschaft um uns herumstand, erzählten wir Macaria dann noch, dass Spencer Declan und Pater Donovan gemeinsame Sache machen, dass Donovan auf irgendeine Art und Weise mit Dämonen im Bunde steht und sogar, dass irgendwie Outsider in die Sache verwickelt sind.

Und natürlich gaben wir ihr die Information, wegen der wir eigentlich gekommen waren: dass wir nämlich vermuten, Declan und Donovan (sollte ich sie vielleicht mit D&D abkürzen?) planen, die Magie im Sumpf auszuschalten, um den Schutz um das Was-auch-immer-es-ist loszuwerden.
Dazu bräuchte es allerdings entweder eine fahrbare Orgel, um das Instrument in die Glades zu bringen, oder die Magie der Sinfonia ist so mächtig, dass ihr Effekt bis hinaus in die Sümpfe reicht, wo auch immer sie gespielt wird. Aber wenn das der Fall sein sollte – hui.

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06. September

Eigentlich wollte ich gestern noch ein bisschen mehr schreiben, aber es war schon spät und ich auch einfach zu müde nach der langen Nacht davor. Aber andererseits gab es auch gar nicht mehr so viel zu schreiben. Nur etwas Besorgnis darüber, dass der Sturm näherrückt.

Das merkten wir dann auch heute: Die Menschen verlassen in Scharen die Stadt. Auch die Raiths sind betroffen – Totilas hat Adalind damit beauftragt, die Keys zu evakuieren. Gutes Geld verdient unser White Court-Kumpel auch gerade, denn das gestern gekaufte Benzin wird er gerade zu überaus guten Preisen wieder los.

Ich telefonierte indessen wegen Miet-Orgeln herum, kam aber nicht sonderlich weit. Direkt vor einem Jahrhundert-Hurrikan ist vielleicht auch nicht die beste aller Gelegenheiten, um bei den Vermietern von Musikinstrumenten anzurufen, aber immerhin bekam ich einige Adressen, bei denen ich es gegebenenfalls demnächst nochmal versuchen kann: Eine Firma, die Musikinstrumente für Filmproduktionen vermietet, hat eine Orgelatrappe, die gerne genommen wird; die Orgeln in Kirchen kann man auch mieten, und ja, es gibt tatsächlich eine Firma, die eine fahrbare und funktionstüchtige Orgel im Angebot hat, die aber gerade für längere Zeit an die Produzenten einer TV-Serie vermietet ist. Wenn Spencer Declan sich also nicht als Serienproduzent getarnt hat, dann dürfte die zumindest für's Erste aus dem Verkehr sein.

Zu Alex kam nochmal Jorge, der von Cicerón geschickte Santo Shango, weil er weitere Neuigkeiten hatte: Cicerón habe mitbekommen, dass Spencer Declan und Thutmoses Elder zusammenarbeiteten und dass Thutmoses dem Weißen Rat angehöre; das habe Cicerón uns wissen lassen wollen. Hui. Thutmoses Elder ein Ratsmagier? Wow. Das waren in der Tat wichtige Neuigkeiten.

Dann fuhren wir zu Byron, um wie geplant Angel Ortega von seinem Fluch zu befreien. Byron hatte bereits alle Vorbereitungen getroffen, war jetzt aber auch völlig erledigt und verabschiedete sich, um ins Bett zu fallen.
Wie so oft in letzter Zeit, taten sich für das eigentliche Entfluchungsritual Edward und Roberto zusammen – oder besser, Edward wirkte es, während Roberto ihn mit seinem umfangreichen Wissen über Rituale unterstützte und generell die ausgezeichnete Zusammenarbeit, die den beiden inzwischen zumindest auf diesem Gebiet zu eigen ist, wieder einmal voll zum Tragen kam. Totilas betätigte sich als Türsteher, um sicherzustellen, dass wir nicht gestört werden würden, und ich selbst legte eine sommerliche Morgenstimmung auf den Raum, die den beiden bei der Konzentration helfen sollte.

Das Entfluchen klappte, aber es war eine ganz schön knappe Angelegenheit, Römer und Patrioten: Beinahe wäre die Sache gekippt. Angel, der die ganze Zeit brav in seinem Kreis gesessen und ordentlich mitgemacht hatte, sah plötzlich Roberto mit panischem Blick an und rief: „Nehmt das Krokodil da weg!“
Für einen Moment lang sah es so aus, als würde das alles durcheinander bringen, aber zum Glück ist ja gerade Edward inzwischen sehr erfahren mit Ritualen und konnte das Ruder noch einmal herumreißen, und zum Glück beruhigte sich auch Angel gleich wieder.

Aber auch da wieder: Zum Glück war es Edward, der mit seiner hermetischen Magie den Fluch löste. Denn die Magie, die auf Angel lag, und zwar sehr geschickt gemacht und mit einer zweiten, nicht auf Anhieb zu entdeckenden Ebene gewissermaßen 'abgesichert': Wenn man versucht hätte, mit Santería-Magie den Fluch aufzuheben, sprich wenn ein Orisha den ehemaligen Orunmila besetzt hätte, dann wäre es schlimmer geworden. Mierda. Dass da jemand hoch professionell vorgegangen war, das hatten wir ja schon gewusst. Aber derart verschachtelt und hinterlistig? Hossa.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 22.03.2018 | 19:33
Yay. sehr schön!

...mir fällt auf, dass "der Sturm macht Musikinstrumentverleihrecherche schwierig" ja eigentlich ein Compel auf den drohenden Sturm-Aspekt ist. Gib dir ruhig mal einen Fatepunkt dafür. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 23.03.2018 | 18:12
Hehe, alles klar, das mache ich doch glatt :)
Titel: Shiny, happy People
Beitrag von: Tante Petunia am 25.03.2018 | 22:39
Extra Shiny!  :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Barbara am 22.04.2018 | 14:13
Ablenkung

Es ist der 7.11.2017. Die Keys werden wegen dem Sturmtief Irma evakuiert. Die Bewohner der Südspitze reisen freiwillig ab. Das Benzin der Raiths verkauft sich sehr gut.
Die Ritter treffen sich in der Botanica.

Alex bekommt dauernd Anrufe. Er soll bei technischen Problemen helfen, etwa wenn ein seit Jahren nicht mehr genutzter Track nicht anspringt. Dann bricht er auf, um den durch die Morde in ihren Reihen verängstigten Practitionern in der Stadt zu helfen.

Cardo macht sich auf den Weg zu Pan. Er soll dafür sorgen, dass dieser Sturm, der nicht von Pan kommt, woanders weht. Pan wirkt sehr beunruhigt.

Roberto sucht Enid mit Hilfe ihres wahren Namens mit einem Ritual. Dabei nutzt er ein Pendel und eine Touristenkarte von Miami. Totilas steuert die Hörfassung einer Stadtführung "Mythische und magische Orte in Miami" bei. Edward will Roberto unterstützen, stört ihn aber mehr als das er ihm hilft. Das Ritual klappt trotzdem. Er macht Enid in einem Haus in der reichen Gegend Coral Gables aus. Dabei pendelt das Pendel immer um das Haus herum, als gäbe es einen Widerstand dort. Wir vermuten, das ist Declans Haus. Der Widerstand kann von Wards herkommen. Wahrscheinlich ist Declan darüber informiert, das ein Suchritual sein Haus getroffen hat.


Anruf bei Totilas von Vin Raith:
Vor dem Hotel steht ein Großaufgebot an Polizei mit Drogensuchhunden für eine Razzia. Die Vorwürfe sind sexuelle Übergriffe und Drogen. Vin bietet an, noch schnell verschwinden zu lassen. Totilas bittet ihn darum.
Totilas ruft Marschal an. Der ist auf einer Polizeistation, weil ..., ein Schläger der Raith, wegen sexueller Nötigung festgenommen wurde. Totilas erzählt ihm von mehreren "Bündeln Schnittlauch vor dem Hotel". Marschal sagt, er komme zum Hotel. Dann macht sich Totilas auf den Weg zum Hotel ...

Anruf bei Edward von Henry:
Die Evakurierung im Hafen wird von Windgeistern oder sowas angegriffen. Alle SIDler sind im Einsatz. Edward soll hin, aber vorsichtig sein.
Edward bricht zum Hafen auf ...

Roberto will Declan überwachen. Dazu will er sein auffälliges Cabriolet ersetzen und sich einen keinen Prius mieten. Er wird von der Botanika aus von mehreren Motorädern verfolgt. An einer Kreutzung holen die auf und schießen auf ihn. Er gibt Gas...

Edward kommt am Hafen an. Dort will er auf ein Dach klettern, um sich einen ersten Eindruck zu machen. Vorher erhält er einen Anruf von einem aufgebrachten Henry. Der sagt "Ich kann das nicht! Hau ab! Verschwinde! Ich kann das nicht." und legt auf. Aus den umliegenden Gebäuden nähern sich Rotvampire...

Totilas erreicht das Hotel. Dort versucht der Hotelbesitzer die Situatin in den Griff zu bekommen. Er spricht mit dem leitenden Polizisten. Totilas kommt dazu und unterstützt ihn. Dann stößt auch Marshal dazu. Vin wird festgenommen, weil er dabei erwischt wurde, wie er Zeug in Klo spülte, Papiere schredderte und eine Festplatte zerstörte. Marshal begleitet und vertritt Vin. Dann wird Totilas aufgefordert auf der Polizeistation Fragen zu beantworten. Er geht mit, sagt aber ohne Anwalt nichts aus...

Roberto merkt, dass er den Motoradfahrern (Santo Shango) nicht wegfahren kann und beschließt, sie abzudrängen...

Edward sieht einen Mann mit überlangen Armen, Händen und hals aus den Schatten treten. Über seinen Augen sitzen zwei rot glühende Augen: ein Denarian! Später wird Edward auffallen, das er vage Ähnlichkeit mit Pater Donnovan hatte.
Während Edward versucht, wegzulaufen, greift ihn der Denarian mit einem schrillen Schrei an. Das verletzt Edward, aber er kann sein Auto erreichen. Dort wird er von zwei Rotvampiren eingeholt, die auf seine Kühlerhaube springen; vier weitere folgen. Edward gibt Vollgas um dort wegzukommen. Dann macht er vergeblich eine Vollbremsung, um die beiden Rotvampire vom Auto zu schleudern. Die Rotvampire greifen ihn an. Daraus folgt eine wilde Prügelei während der Fahrt...

Totilas wird im Verhörzimmer alleine gelassen, bis Marshal eintrifft. Der berichtet, dass er Vin viel zu einfach frei bekommen hat. Dann beginnt ein langes Verhör, das wohl auf Zeit geführt wird. Immer wieder werden dieselben Fragenfolgen wiederholt. Als der Polizist und seine aufgestylte Beraterin kurz raus gehen, beschließen Marshal und Totilas beide zu verführen und so das Verhör zu beenden...

Roberto übersieht beim Versuch, einen Motorradfahrer abzudrängen ein Auto. Es kommt zum Unfall, bei dem sich sein Cabriolet mehrfach überschöägt und auf dem Dach zum stehen kommt. als Roberto aus dem Auto kletter, kommt der Fahrer des anderen Wagens auf ihn zu und spricht ihn an. Als Roberto ihm erzählt, dass Motoradfahrer auf ihn geschossen haben, läuft er weg. Dann nähert sich ein Santo Shango. Roberto flieht und entkommt. Sein Cabriolet läßt er zurück. Später leiht er sich einen dunkelvioletten Prius und macht sich auf den Weg nach Coral Gable...

Edward zieht sich während der Fahrt seine Handschuhe an, um wehrhafter gegen die Rotvampire zu sein. Dabei kollidiert er mit einem Hydranten. Dabei wird ein Rotvampir von seinem Auto geschleudert. Im Kampf kann Edward den verbleibenden Rotvampir wegschleudern und dann entkommen...

Totilas und Marshal setzen ihren Plan erfolgreich um. Sie lassen es so aussehen, als ob die Polizeikräfte sie verführt hätten. Nach kurzer Zeit kommen entsetzte Polizisten von außen in den Verhörraum. Marshal droht ihnen mit einer Klage wegen sexueller Nötigung und seinen Anwälten. Dann verlassen beide zielstrebig die Polizeistation...

Edward versucht vergeblich Henry beim SID zu erreichen. Dann sucht er ihn zu Hause auf und trifft ihn beim hektischen Beladen seines Wagens an. Er stellt ihn zur Rede: Henry hat schon vor langer Zeit einen Deal mit den Rotvampiren gemacht. Er hat ihnen immer wieder Informationen gegeben, dafür haben sie ihm geholfen. U.a. haben Sie Beweise bzw. die Polizisten bei dem Verfahren der Internal Affairs gegen Edward verschwinden lassen. Diesmal wollten die Rotvampire Edwars endgültig verschwinden lassen. Deshalb hat Henry ihn gewarnt. Edward verprügelt Henry, läßt ihn dann aber gehen...

Roberto hat große Schwierigkeiten, die Straße zu finden. Sie scheint sich dagegen zu wehren, gesehen zu werden. Wenn er ganz langsam daran vorbei fährt, sieht er sie, sonst nicht. Da es eine Sackgasse ist, parkt er den Prius und beobachtet die Mündung. Er erhält einen Anruf von einem seiner Kontaktleute. Die Orumilas werden jetzt die Elders aufsuchen und dann mit bewaffneten Einheiten in den Sumpf ziehen.

Ein wenig später ruft Bob der Troll Roberto an und sagt:"Etwas explodiert! Es brennt bei Byron!" Die Ritter beschließen, hinzufahren. Totilas kauft unterwegs noch drei Feuerlöscher und erhält ein Jagdgewehr mit Munition als Zugabe dazu. Dort angekommen finden sie einen Kampf vor. Auf der einen Seite wirft Bob mit Steinen, die Jemand an seiner Seite magisch verstärkt, auf der anderen Seite stehen mehrere Rotvampiere und schießen. Sie sind durch eine Windwand vor den Steinen geschützt, können Bob aber mit den Schüssen nicht wirklich verletzen. Byrons Wohnwagen brennt lichterloh.
Roberto lenkt am Eingang hinter einem Wohnwagen ab. Edward und Totilas schleichen sich hinter die Rotvampirfront. Dort sehen sie hinter Byrons Wohnwagenturm eine Gruppe von vier Rotvampiren und eine Pryso-Warden, die mit Feuer wirft. Zwei der Rotvampire schießen auf Bob und seine Unterstützer - die beiden anderen sollen nach Hinten absichern. Das tun sie aber nur halbherzlig. Alle vier Rotvampire scheinen frisch gemacht zu sein.
Robertos Ablenkung funktioniert sehr gut. Aber er wird dabei verletzt, weil die Rotvampire Waffen haben, die den Wohnwagen durchschlagen können.
Hinter dem Wohnwagenturm kommt es zum Kampf. Edward tötet die beiden hinteren Rotvampire. Totilas verletzt währenddessen die Pseudo-Warden im Kampf schwer. Dann exlpodiert diese in einem Feuerschwall. Später wird Totilas sich fragen, ob sie einen Todesfluch auf ihn gelegt hat. Die übrig gebliebenen Rotvampire haben keine Chance.
Nach dem Kampf koordiniert Roberto das Löschen der Feuer. Wir suchen Byron und erfahren, dass er nach einem Anruf aufbrach, um Scarlet von einem Baum in dem Industriegebiet zu retten, in dem die toten Briefkästen der Winterfeen waren.

Wir fahren worthin und finden Byron erschöpft unter einem Baum sitzend vor. Um ihn herum liegen einige tote Rotvampire. Er hat Schnittwunden eines Denarians. Als er uns erkennt, entspannt er sich. Dann kommt auch Scarlet vom Baum geklettert. Sie blutet aus den Ohren und wirkt verstört. Wir bringen Byron dort weg. Er berichtet, dass der Denarian wegflog.

Edward wird von einem Polizisten angerufen, weil dieser im SID Niemanden erreichen konnte. Der berichtet, dass in der [Kirche] eine Orgel gestohlen wurde.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami
Beitrag von: Timberwere am 3.09.2018 | 10:13
Ricardos Tagebuch: Turn Coat 4

07. September

Mierda. Was für ein einziges, langes Ablenkungsmanöver. Jemand plant etwas und will uns nicht dabei haben. Nur hat die Tatsache, dass wir das Ablenkungsmanöver als solches erkannt haben, uns leider kein Stück dabei geholfen, es zu vermeiden.

Bei mir fing es heute früh damit an, dass Pan mich zu sich rief. Wir hatten uns eigentlich gerade getroffen, um die nächsten Schritte zu planen, aber einem Ruf meines Herzogs konnte ich mich natürlich nicht widersetzen. Pan war sehr besorgt wegen dieses Sturms, weil es ein Hurrikan ist, der nicht von ihm und Tanit ausgelöst wurde. Natürlich stehe es ihr frei zu tun, was sie wolle, aber wenn von einer Seite wirklich Tanit involviert war, dann musste auf der anderen Seite eine Sommerfee von ähnlicher Macht wie, oder noch größerer Macht als Pan stehen.
All meine Versuche, ihm zu erklären, dass solche Stürme ja nicht immer von einem Stelldichein zwischen Sommer und Winter ausgelöst werden müssten, wollte er nicht so recht glauben.
Mit anderen Worten, ich hatte alle Hände voll zu tun, Pan zu beruhigen, und es dauerte den ganzen Tag, bevor ich wegkam.

Den anderen war es aber auch nicht viel besser ergangen: Alex hatte den Tag über ebenfalls Beruhigungsarbeit geleistet, und zwar bei den kleineren Machtnutzern der Stadt, die durch die Morde in ihren Reihen zutiefst verängstigt sind.

Roberto wollte ein Ritual abhalten, um nach Enid zu suchen, wurde aber in seinen Anstrengungen davon behindert, dass sein Pendel um einen bestimmten Bereich herumschwenkte, als werde es von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt. Spencer Declans Haus, vermuteten die Jungs, und vermutlich wusste Declan auch, dass da ein Suchzauber gewirkt worden war.

Und natürlich gingen die Ablenkungsmanöver lustig weiter: Auf dem Weg zu Declan, wo Roberto das Haus des Wardens überwachen wollte, wurde er von Angehörigen der Santo Shango auf Motorrädern verfolgt, was zu jeder Menge Zeitverzögerung und einem Autounfall führte. Und als er seine Verfolger dann doch endlich los war, hatte er große Schwierigkeiten, in Declans Straße zu kommen – ganz so, als sei diese verschleiert worden.

Totilas hatte indessen seine eigenen Probleme: Vor dem Hotel Marbella war die Polizei mit einem Großaufgebot angerückt, um die Räumlichkeiten der Raiths zu durchsuchen. Vin Raith wurde verhaftet, Totilas zur Vernehmung auf das Revier geladen, wollte aber ohne seinen Anwalt Marshal nichts aussagen. Auf dem Revier war es für Marshal viel zu einfach, Vin freizubekommen, aber das Verhör gegen Totilas wurde überdeutlich einzig und allein auf Zeit geführt. Sobald die beiden Raiths das erkannten beschlossen sie in einer kurzen Pause, in der sie für einen Moment alleine gelassen wurden, die beiden Beamten zu verführen und das Verhör auf diese Weise zu beenden – ließen es aber so aussehen, als seien sie umgekehrt von den Polizisten verführt worden. Sobald Marshal mit einer Klage wegen sexueller Nötigung drohte, wurden die beiden sehr schnell entlassen.

Das Ablenkungsmanöver, das auf Edward wartete, war das bösartigste. Er bekam einen Anruf von Henry Smith, dass die Evakuierungsmaßnahmen im Hafen von Windgeistern oder etwas in der Art angegriffen würden. Natürlich fuhr Edward hin, aber als er gerade am Hafen eintraf, rief Henry wieder an und warnte ihn mit einem "Ich kann das nicht. Hau ab! Verschwinde! Ich kann das nicht!", während aus den umliegenden Gebäuden bereits eine ganze Meute an Rotvampiren strömte. Auch eine Gestalt mit überlangen Armen, Händen und Hals war dabei, und vor allem hatte die Gestalt zwei Augenpaare, war also auch einer von diesen Denariern! In diesem Moment hatte Edward keine Zeit, darüber nachzudenken, aber als er uns erzählte, was passiert war, fiel ihm auf, dass der Denarier ein bisschen Ähnlichkeit mit Pater Donovan gehabt hatte.
Das war zugegebenermaßen ein gewisser Schock für mich – nicht, weil wir nicht vorher schon misstrauisch gegenüber dem Pater gewesen waren, denn das waren wir ja. Aber die Verbindung eines Kirchenmannes zu einem Dämon, auch und gerade im Zusammenhang mit den 30 Silbermünzen, mit denen Jesus verraten worden war, erschien mir irgendwie besonders perfide.
Edward erkannte, dass er gegen die Vampire und den Denarier in der Unterzahl war, und trat den Rückzug an, musste sich aber während der Fahrt eine wilde Prügelei mit zweien der Vampire liefern, die ihm auf die Kühlerhaube gesprungen waren. Sobald er die beiden Red Courts losgeworden war, versuchte er, Henry anzurufen, konnte ihn aber nicht erreichen. Also fuhr er zu seinem Untergebenen nach Hause und fand den beim hektischen Beladen seines Autos. Von Edward zur Rede gestellt, gestand Henry, dass er schon vor langer Zeit ein Abkommen mit den Rotvampiren geschlossen hatte: Er belieferte sie mit Informationen, dafür halfen sie ihm, zum Beispiel auch, indem sie die Beweise gegen Edward verschwinden ließen, als Internal Affairs gegen ihn ermittelte. Diesmal allerdings hätte der Rote Hof Edward endgültig loswerden wollen und ihn deswegen durch Henry in eine Falle locken lassen. Nachdem er ihn wütend verprügelt hatte, ließ Edward Henry daraufhin laufen.

Die Jungs hatten sich gerade wieder getroffen – ich selbst hing immer noch bei Pan fest – da bekamen sie einen Anruf von Bob dem Troll, der aufgeregt erzählte, dass in der Kommune etwas explodiert sei und es bei Byron brenne.
Als sie bei der Kommune ankamen, war der Kampf zwischen einigen Angehörigen der Kommune, allen voran Bob, und den Rotvampiren mitten im Gange. Byrons Wohnwagen brannte lichterloh. Natürlich griffen die Jungs ein, und gemeinsam gelang es ihnen, die Rotvampire und die letzte Warden-Padawan, die mit Feuermagie um sich warf, auszuschalten. Die Feuer-Magierin explodierte in einem Feuerschwall, als Totilas sie schwer verletzte, und er sagte zu uns, er frage sich jetzt, ob sie ihn vielleicht mit ihrem Todesfluch belegt hat. Puuuh. Hoffen wir es mal nicht.
Byrons Wohnwagen war abgebrannt, aber er selbst war zum Glück gar nicht da. Er war wohl vor Ausbruch des Kampfes losgefahren, um Scarlet von einem Baum in dem Industriegebiet zu retten, wo damals die Frostgnome Joelles Hochzeitspost gefunden und ihr Hauptquartier in dem alten Kühlhaus aufgeschlagen hatten.

Als die Jungs dort ankamen, fanden sie Scarlet verängstigt auf dem Baum sitzend, Byron erschöpft und verletzt darunter, um ihn herum eine ganze Reihe von toten Rotvampiren. Byrons Wunden waren ihm von dem Raben-Denarier beigebracht worden; das Wesen sei aber weggeflogen, als Byron alle Vampire erledigt hatte.

Indessen kam ich auch wieder zu den Jungs, und wir brachten uns gegenseitig auf Stand.

Aber als ob das noch nicht genug Ärger gewesen wäre, bekam Edward einen Anruf, in dem man ihm mitteilte, dass in der Ermita de la Caridad deren Kirchenorgel gestohlen worden sei – spurlos, ohne jedes Anzeichen von Schleif- oder Tragespuren oder dergleichen. Magie, mit anderen Worten, auch wenn das Wort in dem Telefonat natürlich nicht fiel. Mierda. Aber jetzt wissen wir wenigstens, was die ganzen Ablenkungen sollten.

Nachdem Edward diesen Anruf bekommen hatte, fuhren wir zu den Orunmila, um mit Macaria Grijalva über die Situation zu reden. Wir erzählten ihr davon, dass zwei Denarier in die Situation verwickelt sind und dass Spencer Declan jede Sekunde losschlagen kann, jetzt wo es ihm gelungen ist, die Orgel aus der Ermita zu entwenden.
Macaria erklärte, sie – also die Orunmila – müssten trotzdem zuerst mit Thutmoses Elder sprechen, bevor sie sich um irgendetwas anderes kümmern könnten. Nun gut, wir haben auch keinerlei Ahnung, wo Declan und die Orgel gerade sind, und bei diesem Gespräch zwischen Orunmila und Elders sollten wir vielleicht besser anwesend sein.

Mit den Orunmila vor Ort war die Stimmung in der Waystation entsprechend angespannt. Wir setzten uns in die Mitte des Raumes auf einen neutralen Platz, um dort genau wie die Orunmila auf Thutmoses zu warten.
Und da sitzen wir jetzt, denn Thutmoses Elder lässt sich Zeit. Aber das ist gar nicht so schlecht, so hatte ich Zeit, das alles aufzuschreiben.

Unterwegs bekam Alex übrigens per SMS einen Hinweis von seinem Kontakt bei den Santo Shango, dass die ebenfalls etwas planen und bald losschlagen wollen. Natürlich planen sie auch etwas und schlagen bald los. Es muss ja immer gleich alles auf einmal passieren.

Apropos alles auf einmal passieren. Da fahren Autos vor. Das sieht mir endlich nach Thutmoses Elder aus.

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08. September

Gestern kam ich beim besten Willen nicht mehr zum Schreiben. Ich war einfach zu erledigt, als ich endlich nach Hause kam. Die wichtigste Neuigkeit: Wir sind alle noch am Leben und alle größtenteils unverletzt. Aber der Reihe nach.

Es war tatsächlich Thutmoses Elder, der seinen Auftritt mit einem größeren Gefolge aus Elders garnierte. Wie nicht anders zu erwarten, ging es zwischen den beiden Parteien unter gehörigen Spannungen eine ganze Weile hin und her. Thutmoses Elder beharrte darauf, nichts von einem Angriff auf die vorige Abordnung der Orunmila in den Sümpfen zu wissen; die Orunmila machten den Elders Vorwürfe und umgekehrt, und die Stimmung wurde immer gereizter – bis Oswaldo urplötzlich einen der Elders angriff. Er wollte es so aussehen lassen, als sei er provoziert worden, aber irgendwie war uns – vielleicht weil wir das Ganze aus neutralem Abstand beobachteten – klar, dass er nur auf die Gelegenheit gelauert hatte.

Die Atmosphäre in der Waystation war aufgeheizt genug, dass sofort ein heftiger Kampf ausbrach. Die Elders verwandelten sich in Krokodile, und die Orunmila packten ihre Magie aus, aber die Santerios waren deutlich in der Minderheit und traten die Flucht an. Wir hatten keinerlei Interesse daran, uns in diesen Konflikt einzumischen, und zogen uns ebenfalls zurück. Weil die Eingangstür einen viel zu engen Flaschenhals darstellte, schlug Totilas einfach die Rückwand ein, in deren Nähe wir saßen – dünn genug waren die Bretter, die als Sturmschutz dienten, allemal dafür. Sobald sie sahen, dass da ein breiterer Ausgang geöffnet worden war, folgten die meisten Orunmila uns durch diese größere Öffnung ins Freie.

Draußen war die Situation aber auch nicht viel besser, denn plötzlich tauchte da auch eine ganze Rotte Rotvampire auf, und es entbrannte jetzt ein wilder Kampf zwischen den drei Fraktionen.
Aber dieser Angriff sollte doch bestimmt auch eine Ablenkung sein, weil Declan und seine Leute jetzt das Tranquilidad-Ritual beginnen wollten. Ganz abgesehen davon, dass wir in dieser Auseinandersetzung ohnehin nicht groß etwas hätten ausrichten können, war das der viel wichtigere Grund, warum wir uns unauffällig in einem Boot absetzten, um nach dem Ort des Rituals zu suchen. Ein paar Rotvampire folgten uns, aber wir konnten sie abhängen.

Wir wussten ja noch immer Enids wahren Namen, also führte Edward sein eigenes kleines Ritual durch, um sie darüber zu finden. Das klappte auch tatsächlich, und Edward wurde in eine bestimmte Richtung gezogen. Zur Sicherheit legte ich Jade ab, die ich ja meistens in Füllerform bei mir trage – denn wenn wir in den Bereich kämen, wo die Sinfonia de la Tranquilidad alle Magie unterdrückte, würde auch der Verwandlungszauber auf Jade enden, und ich wollte sie nur ungern in der Hemdtasche tragen, wenn sie wieder zu einem Schwert würde. Aber wenn sie wieder zu einem Schwert würde, wäre das auch auf der Hinweis darauf, dass wir in den Einflussbereich der Sinfonia kommen würden.

Als Edwards Verbindung zu Enid mit einem Mal abbrach, wussten wir, dass das Ritual begonnen hatte. Aber sie hatte sich längere Zeit nicht bewegt, und das würde sie auch nicht, solange Enid spielte, also wussten wir immer noch ungefähr, wo unser Ziel lag. Irgendwann hörten wir dann auch die Musik selbst und konnten der folgen. Das war auch der Moment, in dem wir dem magieunterdrückenden Feld ausgesetzt waren und Jade sich von einem Füllfederhalter zurück in ein Schwert verwandelte – allerdings nicht in die grünlich-goldene Klinge, als die ich sie normalerweise kenne, sondern als ein gewöhnliches, sehr deutlich unmagisches Katana. Und ich konnte spüren, wie mit einem Mal die Sommermagie fort war – mir war gar nicht so recht bewusst gewesen, wie stark sie mich üblicherweise durchdringt. Ich bilde mir ja ein, ich habe inzwischen meinen Frieden mit ihr gemacht: Ich versuche, ein stetiges Auge darauf zu halten, ob sie nicht vielleicht meine Entscheidungen und Gefühle beeinflusst, bzw. in welchem Umfang, und eigentlich dachte ich, ich spüre gar nicht, dass sie da ist, solange ich sie nicht in mir nach oben rufe... aber ein winzigkleiner, eigentlich unmerklicher, warmer Funke davon liegt tatsächlich in jeder Zelle, jedem Blutkörperchen, jeder Faser meines Seins. Oder so fühlte es sich jedenfalls an, als diese Myriaden winzigkleiner, eigentlich unmerklicher, warmer Funken plötzlich nicht mehr da waren. Keine große Veränderung, nichts, das mich lähmte oder wie aus einem Traum erwachen oder plötzlich wieder klar sehen ließ oder wie dergleichen Beschreibungen ähnlicher Phänomene häufig lauten, aber trotzdem eben spürbar und für mich in diesem Ausmaß überraschend.

Unsere Fahrt endete an einer ziemlich großen Landmasse mitten in den Sümpfen, die von hohem, düster und irgendwie unheimlich aussehendem Schilf umgeben war. An einer Stelle befand sich vor dieser Landmasse und vor dieser Schilfmauer wie angeflanscht ein deutlich kleineres, halbkreisförmiges Anhängsel, und auf dieser Halbinsel konnten wir die Kirchenorgel sehen, an der Enid saß und spielte. Neben ihr stand jemand, den wir kannten – und zwar Stefania Steinbach, Kirchenfunktionärin und Lehrling von Spencer Declan, die da stand und Enid beim Spielen bewachte. Am Rand des Halbinsel-Anhängsels patrouillierten drei zäh aussehende Söldnertypen entlang, zwei Männer und eine Frau, während Spencer Declan und eine Person, die von hinten verdächtig nach Pater Donovan aussah – gerade in das Schilf eindrangen.

Noch hatten sie uns nicht bemerkt. Alex blieb im Boot und hielt es in der Dunkelheit, während Totilas und Edward sich durch das Wasser frontal an die Leute auf der Halbinsel anschleichen wollten. Roberto und ich folgten in größerem Bogen von der Seite. Während Edward untertauchte und unentdeckt blieb, hatte Totilas nicht so viel Glück. Einer der Söldner sah seinen Kopf im Wasser und fing an, auf ihn zu feuern, traf aber zum Glück nicht. Totilas stürzte sich auf ihn, während ich den Aufruhr nutzte, um unbemerkt an Land zu kommen und unerwartet vor einem der beiden anderen Söldner aufzutauchen. Der wirkte tatsächlich einen Moment lang perplex, als ich ihn anzischte. Jade mochte zwar gerade nicht magisch sein, aber eine kunstvoll gefertigte Klinge aus japanischer Schmiedekunst war sie dennoch, und gerade die Anwesenheit des Schwerts, wo sie selbst doch alle mit Schusswaffen ausgerüstet waren, schien den Mann ziemlich aus dem Konzept zu bringen. Roberto wandte indessen seine eigenen bewährten Verwirrungstaktiken bei der Söldnerin an, auch wenn sie nicht ganz so funktionierten wie sonst, sondern die Frau vor allem verblüfft auf seinen Liberace-Mantel starrte, der in dieser Aura der Magielosigkeit ja ebenfalls alle besonderen Eigenschaften verloren hatte und einfach nur ein leicht schäbiger Überzieher aus den 1970ern war.

Von seinem Versteck am Ufer aus schoss Edward eine Leuchtfackel auf die Orgel ab – zum Glück hatten die Dinger wasserdicht verpackt im Boot gelegen und seinen Tauchgang somit unbeschadet überstanden. Die Leuchtkugel traf ihr Ziel perfekt, und schon im nächsten Moment endete die Musik, als das Instrument zu brennen begann, und Enid sackte ohnmächtig in sich zusammen. Dass Jade mit der Rückkehr der Magie ihr gewöhnliches Aussehen wieder annahm, war für den Söldner, dem ich gegenüberstand, schon erschreckend genug. Dass Stefania Steinbach sich mit einem wütenden Ruf in die Raben-Denarierin verwandelte, gab ihm und seinen beiden Kollegen den Rest. Anscheinend hatten sie keine Ahnung gehabt, mit was sie es hier genau zu tun hatten, und für Übernatürliches und Monster wurden sie offenbar nicht bezahlt, denn jetzt traten alle drei den Rückzug an.
Während Alex jetzt an die Insel heranfuhr, packte Edward die bewusstlose Enid und bugsierte sie ins Boot, und wir anderen sahen zu, dass wir folgten.
Stefania Steinbach sandte uns noch einen Rabenschrei hinterher, der uns die Ohren bluten ließ, aber abgesehen davon kamen wir einigermaßen ungehindert weg.

Zurück auf dem Festland kümmerten wir uns um die inzwischen aufgewachte, aber noch immer sehr mitgenommene Enid und kehrten dann in die Waystation zurück, wo das Kämpfen langsam aufhörte - die Santo Shango waren inzwischen auch angekommen und hatten sich gegen die Vampire gewandt - um endlich selbst mit Thutmoses zu reden. Erst wollte auch er uns nicht sagen, um was es eigentlich da draußen wirklich ging, aber Alex wandte ganz richtig ein, dass wir vielleicht mehr Schaden anrichten als helfen würden, wenn wir weiter so halbwissend im Dunkeln herumtappten. Daraufhin nahm Thutmoses uns den feierlichen Schwur ab, das Thema zu niemandem, wirklich niemandem zu erwähnen, und auch untereinander bzw. mit anderen Eingeweihten nur darüber zu sprechen, wenn wir uns in einem gesicherten Schutzkreis befänden. Einen solchen zog er auch und nahm uns mit hinein, um uns den Sachverhalt zu erklären. Ich werde jetzt auch nichts davon schreiben – ich weiß im übrigen gar nicht, ob ich es überhaupt könnte, oder ob der Schwur mich daran hindern würde, wenn ich es versuchte, und stattdessen nur irgendwelcher Nonsens herauskäme. Es fühlte sich nämlich an wie ein Schwur, den man nicht einfach nur abgibt, sondern der aktiv reagiert, wenn man ihm zuwider handelt. Aber jedenfalls kann ich jetzt zumindest einigermaßen nachvollziehen, wenn schon nicht gutheißen, warum dieser schottische Warden uns die Erinnerung an die Mordor-Ents gelöscht hat.

Am Ende waren wir uns einig, dass wir mit Cicerón Linares sprechen mussten. Wir mussten zumindest versuchen herauszufinden, warum er mit Spencer Declan gemeinsame Sache gemacht hatte. Aber apropos Spencer Declan. Als Thutmoses hörte, dass Declan und Donovan während der kurzen magiefreien Phase in dem Schilfgebiet gewesen waren, wurde er etwas ungehalten, dass wir ihm das nicht sofort erzählt hatten, aber noch viel ungehaltener, dass sie das überhaupt hatten schaffen können, und dass ihr Eindringen sowie das Ende der Magie die Schutzzone um das Gebiet vielleicht empfindlich geschwächt hatte.
Mit diesem Wissen war es Thutmoses sogar noch wichtiger, Cicerón auch ins Boot zu holen, denn immerhin sind seine Santo Shango und er ja schon seit einer Weile in den Schutz der Zone mit eingebunden.

Cicerón sagte, er habe vor allem deswegen mit Declan gemeinsame Sache gemacht, um ihn im Auge zu behalten, und er habe uns ja immerhin über seinen Kontaktmann auf Schritt und Tritt informiert gehalten, eben nach der Prämisse, wenn er nah an Declan dran ist, kann er herausfinden, was er plant, und, sobald es akut wird, entsprechend eingreifen. Ich bin nicht ganz sicher, wie ehrlich er dabei war, aber er wirkte doch ziemlich glaubhaft.
Nach dieser Aussage weihte Thutmoses auch Cicerón ein; anschließend fuhren wir zu dem Gebiet hinaus. Der rituelle Schutz war tatsächlich durch das Ende der Magie geschwächt worden, aber nicht so, dass sofort etwas herauskommen könnte – sehr lange warten sollten wir mit dem Stärken allerdings auch nicht. Wie genau sich das anstellen lässt, wollen unsere Ritualwirker in den nächsten Tagen überlegen. Außerdem müssen wir zu Macaria Grijalva und sie wegen Oswaldo warnen. Mit Enid besprechen, wie es mit ihr weitergehen kann. Überlegen, ob wir gegen Declan genug in der Hand haben, um offiziell gegen ihn vorzugehen. (Vermutlich eher nicht. Aber mal brainstormen.) Oh, und Alex will dafür sorgen, dass die Orgel zurück in die Ermita kommt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 3.09.2018 | 22:18
Sehr schön, vor allem die Beschreibung davon, wie es ist, kein Sommerritter zu sein.  :d

Ein paar Anmerkungen: Offenbar hat Cardo in der Hitze des Gefechts übersehen, dass die Santo Shango nicht die Orunmila oder die Elders, sondern die Rotvampire angegriffen hat. Die waren nämlich von Spencer bezahlt worden, um nach dem Motto Divide et Impera die geschwächten Überreste der Orunmila und / oder der Elders aufzuwischen. Vielleicht hat's Cardo in der Hitze des Gefachts nicht gesehen (war ja einiges los), aber Alex müsste das wissen, der war ja mit den Santo Shango in Kontakt.

Das Ritual zur Stärkung des Schutzes wurde direkt gewirkt, und gleich danach auch noch mal ein Ritual, um den Hurricane vom direkten Kurs auf Miami abzubringen. (Hier erinnere ich an die Aussage: "Für das Ritual, um den Hurricane abzulenken, als Geräusch: Möhrengekreisch.")

Auf der Halbinsel waren es fünf Söldner: "Juan ist ein Latino, Ben ist ein Schwarzer, Harry ist ein Weißer, Olson ist Skandinavier und Jane ist eine Frau ..."
"Aha, ein Skandinavier ist kein Weißer?!?"

Und zur Ergänzung, damit es nicht verloren geht - Cardo kann das nicht aufschreiben, aber es sollte ja doch mal irgendwo stehen: Thutmoses hat euch erzählt, dass vor laaanger Zeit ein paar Samen aus dem Reich der Outsider auf die Erde gefallen sind. Und die Saat ging auf, und Schwarze Bäume aus Schwarzem Holz wuchsen empor und verbreiteten Übel, bis Merlin (ja, DER Merlin) kam und sie mit Schutzzaubern umgeben hat, damit ihr Einfluss auf kleine Gebiete beschränkt bleibt. Ja, das Ding, was Cherie Hans Vandermeer geklaut hat, bestand aus dem Holz eines solchen Baumes. Ich glaube, ihr hattet auch schon rausbekommen, dass jemand, der so ein Stück Holz herumschleppt, die Gesetze der Magie brechen kann. Der Mordor-Ents sind bewegliche Diener der Bäume.
Ggf. baue ich das bezeiten mal in eine Art Märchen um und stelle es zu den Aufzeichnungen ins Obsi. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 4.09.2018 | 13:08
Und zur Ergänzung, damit es nicht verloren geht - Cardo kann das nicht aufschreiben, aber es sollte ja doch mal irgendwo stehen: Thutmoses hat euch erzählt, dass vor laaanger Zeit ein paar Samen aus dem Reich der Outsider auf die Erde gefallen sind. Und die Saat ging auf, und Schwarze Bäume aus Schwarzem Holz wuchsen empor und verbreiteten Übel, bis Merlin (ja, DER Merlin) kam und sie mit Schutzzaubern umgeben hat, damit ihr Einfluss auf kleine Gebiete beschränkt bleibt. Ja, das Ding, was Cherie Hans Vandermeer geklaut hat, bestand aus dem Holz eines solchen Baumes. Ich glaube, ihr hattet auch schon rausbekommen, dass jemand, der so ein Stück Holz herumschleppt, die Gesetze der Magie brechen kann. Der Mordor-Ents sind bewegliche Diener der Bäume.
Und schon eine Frage von mir gespart. Danke schoen! An euch beide. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami
Beitrag von: Timberwere am 4.09.2018 | 16:45
Sehr gerne doch! :) Es freut mich sehr, dass du hier gerne mitliest!

Das Ritual zum Schutz-Wiederhochziehen und zum Hurricane-Ablenken wird übrigens zumindest als Kurzeintrag auch noch Eingang in Cardos Tagebuch finden. Da war nur beim letzten Post das Zeichenlimit von 20.000 Anschlägen voll. :)

PS: Ich habe das mit den Santo Shango und den Rotvampiren noch mal ein bisschen korrigiert.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.12.2018 | 17:58
Ricardos Tagebuch: Turn Coat, Nachtrag

11. September

Hurricane Irma ist vorübergezogen, und wir leben alle noch. Es gab Schäden, und es gab Probleme, ziemliche Probleme sogar, aber alles in allem können wir nur dankbar sein, dass es nicht schlimmer gekommen ist.

Noch bevor der Hurrikan eintraf, zogen wir den Schutz um den Ort in den Sümpfen wieder hoch. Ich selbst konnte wieder einmal nicht übermäßig viel zu der Ritualmagie beitragen, aber der Schutzeffekt wurde wohl anscheinend umso stärker, je mehr ganz unterschiedliche Magiearten in ihn hineingewoben wurden, sagte Edward, also war es immerhin nicht komplett nutzlos.
Aber wir stellten fest, dass während der paar wenigen magielosen Minuten doch etwas aus dem Gebiet entkommen war. Darum wollten wir uns natürlich kümmern - aber genauso wollten wir etwas gegen den Hurrikan tun, der ansonsten ungebremst und ungefiltert genau auf Miami prallen würde. Also teilten wir uns auf: Totilas und Alex gingen gemeinsam mit Ilyana Elder auf Mordor-Ent-Jagd, während Edward, Roberto und ich schauen wollten, ob wir den Sturm nicht ein bisschen besänftigen konnten.
So richtig besänftigen ließ sich ein Hurrikan dieses Ausmaßes natürlich nicht, dazu war er viel zu mächtig, aber mit vereinten magischen Kräften gelang es uns, ihn doch ein ganz klein wenig abzumildern, aber vor allem seine Bahn wenigstens soweit abzulenken, dass er Miami nicht mehr direkt erwischen würde. Das Ritual dauerte ziemlich lange, denn wir mussten es aufrecht erhalten, bis der Sturm, zumindest der größte Teil davon, über Miami hinweggezogen war. Er traf die Stadt, wie gesagt, nicht mit voller Wucht, sondern zog eher an der Westküste Floridas entlang, aber trotzdem war es heftig genug. In unserer Ritualblase waren wir geschützt, obwohl wir uns im Freien befanden, aber wir sahen, wie es um uns herum tobte, und auf dem Rückweg wurde uns dann das ganze Ausmaß der Schäden bewusst.
Leider nicht nur unterwegs. Während ich mit dem Ritual beschäftigt war, gab es zuhause eine gewisse Krise. Wir hatten geplant, den Hurrikan alle gemeinsam bei mir in der Wohnung auszusitzen: nicht nur Lidia, die Mädchen und ich, sondern auch meine Eltern. Das hatten wir geplant, bevor ich wusste, dass das Ritual den ganzen Sturm über dauern und ich erst nach Hause kommen würde, als das Schlimmste vorüber war. Weil ich nicht da war und meine Eltern vor lauter Sorge auch keine so richtig große Hilfe, hatte Lidia mit Monica und Alejandra mehr als beide Hände voll zu tun. Die Unruhe der Erwachsenen hatte sich auf die Kinder übertragen, die Nerven lagen blank, und dann brannte plötzlich ein Stofftier, um das die Mädchen sich gestritten hatten. Lidia war ziemlich verärgert mit mir, und es kostete mich etwas Mühe, sie zu besänftigen, aber schlimmer: Auch Mamá und Papá entging es nicht, dass das Feuer quasi aus dem Nichts ausbrach.

Ich war aber nicht der einzige, bei dem die Teilnahme am Ritual anderenorts für Probleme sorgte. Weil Edward nicht zu erreichen war, verteilten seine Leute sich während des Sturms auf eigene Initiative, um mit den unzähligen Baustellen irgendwie fertig zu werden. Dadurch war der Precinct für etliche Stunden komplett unbesetzt, und während dieser Zeit wurden aus der Asservatenkammer des SID mehrere Gegenstände entwendet.
Robertos Botánica wurde durch den Hurrikan völlig überflutet, und weil er keine Zeit gehabt hatte, zumindest einen Teil des Inventars in Sicherheit zu bringen, ist so gut wie nichts mehr davon nutzbar. Mit anderen Worten, Roberto wird einiges an Schulden machen müssen, um sein Geschäft am Laufen zu halten. Ob und wieviel ich ihm dabei helfen kann - oder ob er überhaupt irgendwelche finanzielle Hilfe von mir annimmt - werden wir sehen, wenn sich alles ein bisschen beruhigt hat.
Alex hat ja diese Gemeinschaft, das ‘Village’, wo jeder jeden kennt, jeder jedem hilft und alles mehr über gegenseitige Gefälligkeiten läuft denn über Bezahlung. Tatsächlich war Alex aber wohl, ohne es selbst so recht gemerkt zu haben, in den letzten Jahren zu einer Art Anker und Angelpunkt für die Mitglieder des Village geworden, und ohne seine Koordination und seine Anweisungen, wer während des Sturms was genau machen sollte, brach die Gemeinschaft in dieser Krise auseinander.
Und Cherie setzte sich in den Kopf, gerade jetzt dem Red Court auf die Füße treten zu wollen. Wenn Totilas da gewesen wäre, hätte er als Kopf von Haus Raith in Miami sie vermutlich davon abhalten können, aber er war eben nicht da, also zog sie los, geriet aber in einen Hinterhalt und wurde gefangen genommen.
Anhand der Halskette, die er noch von ihr hatte - ich hatte völlig vergessen, bzw. bis zu diesem Moment überhaupt nicht realisiert, dass die ja aus Mordor-Ent-Holz gema   bist du wahnsinnig, Alcazár? Streich das! Und zwar so, dass man es nicht mehr lesen kann!
Anhand der Halskette, die er noch von ihr hatte, konnte Edward ihre Spur aufnehmen. Wir fanden sie in den Everglades und konnten sie befreien, aber man hatte Cherie gehörig durch die Mangel genommen, um es freundlich auszudrücken. Sie war ziemlich fertig und sehr, sehr hungrig, que Dios la ayude. Außerdem war sie nur einen Hauch davon entfernt, entweder in die White Court-Berserkerei zu verfallen oder an ihren Verletzungen zu sterben, und um das zu verhindern, gab Totilas ihr gleich da und dort die notwendige Nahrung - White Court-Style, versteht sich. Also nein, nicht das volle Programm, logischerweise, nicht direkt da vor aller Augen. Aber genug heißes Geknutsche und Gefummel, dass Cherie nicht sofort der Raserei nachgab. Und seine Cousine zu nähren, zehrte Totilas wiederum ziemlich aus. Madre mia. So richtig habe ich mich auch nach - wieviele Jahre sind es jetzt? Sieben? - sieben Jahren immer noch nicht an diese White Courterei gewöhnt.

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12. September

Heute waren wir bei Macaria Grijalva, um sie vor ihrem Stellvertreter Oswaldo zu warnen. Das lief auch alles andere als gut, wenn ich das mal so sagen darf. Als wir beim Gemeindezentrum der Orunmila ankamen, war Oswaldo gerade munter dabei, seine Glaubensgenossen gegen die Elders aufzuhetzen. Da ließen wir ihn erst einmal noch machen, sondern gingen erst hinein, um mit Macaria zu reden. Aber der alten Santera ging es nicht gut: In dem Kampf an der Waystation war sie verletzt worden - und nicht einfach nur verletzt, sondern von einem Red Court gebissen, und damit war sie jetzt mit dem Vampirvirus infiziert. Als Roberto ihr von unserem Verdacht gegen Oswaldo berichtete, lächelte sie nur müde und sagte etwas von wegen: “Das liegt jetzt in deiner Hand, mein Junge.”
Santisíma madre, ich hoffe wirklich, dass es der alten Dame gelingt, sich gegen den Blutdurst zu wehren und nicht zum Vampir zu mutieren. Vielleicht kann ihr ja diese Bruderschaft der Infizierten helfen, zu der wir vor ein paar Jahren auch den jungen Cielo Canché geschickt haben. Aber trotzdem. Es ist eine Schande.

Als wir wieder draußen waren, versuchte Roberto, bei den versammelten Orunmila gegen Oswaldos Hetze vorzugehen, indem er argumentierte, dass der Rote Hof der wahre Feind sei und die Orunmila und die Elders alte Verbündete, die ein Zwist wie der momentane doch nicht auseinander bringen könne. Aber so richtig erfolgreich war er dabei nicht, sondern das verbale Duell zwischen den beiden blieb ohne klaren Sieger. Angesichts dessen gingen wir erst einmal nicht aktiv gegen Oswaldo vor, sondern verließen das Gemeindezentrum, um uns in Ruhe zu überlegen, was wir langfristig wegen des alten Santero unternehmen können.

Auch mit Enid wollten wir ja sprechen, um zu sehen, ob und wie wir ihr vielleicht helfen können. Das taten wir im Anschluss an den Besuch bei den Orunmila, und auch das war nicht schön. Die arme Enid ist schwerst traumatisiert hat so gut wie alles vergessen. Nicht nur, was die Ereignisse aus dem Sumpf betrifft, sondern ganz generell in bezug auf ihr Leben. Sie kann sich nur noch an ‘die Musik’ erinnern, hat schwammige Eindrücke an einen oder zwei Männer vor Augen, aber ansonsten weiß sie rein gar nichts mehr. Sogar, als wir sie mit ihrem Namen ansprachen, war sie erst verwundert und konnte ihn gar nicht so richtig auf sich beziehen. Uns war allen sofort klar, dass wir einen Therapieplatz für sie finden müssen, und zwar schnell. ¡Jodida mierda! Nicht nur haben sie dem armen Mädchen im Kopf herumgeschraubt, sondern offenbar auch noch so sehr, dass nur schwer oder vielleicht sogar überhaupt nicht mehr rückgängig zu machen ist. Was für verdammte, kaltherzige cabrónes tun so etwas? Ja, ja, ich weiß. Korrumpierte Magier und Dämonenkultisten, von denen muss man sowas erwarten, haha. Aber das macht es nicht besser. Ich glaube, in diesem Moment hätte ich Spencer Declan und Donovan Reilly kaltlächelnd erwürgt, wenn ich sie in die Finger bekommen hätte.

Aber ich bekam Declan und Donovan nicht in die Finger. Tatsächlich sind beide seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen worden - an die beiden hatten wir gar nicht mehr gedacht, aber sie hatten ja das Gebiet betreten, kurz nachdem der magieunterdrückende Effekt der Sinfonia begann. Es ist möglich, sogar ziemlich wahrscheinlich, dass sie darin eingeschlossen wurden, als die Magie zurückkehrte, und jetzt immer noch in dem Schutzkreis gefangen sind. Das ist ein beunruhigender Gedanke, denn obwohl sie es verdient hätten, wäre es ein ziemlich schreckliches Ende für sie, wenn sie dort drin verhungern würden, weil es in dem Gebiet nichts zu essen gibt. Aber noch viel bedenklicher finde ich die Möglichkeit, dass die beiden sich das, was dort drin ist, irgendwie zunutze machen und dann dank ihrer Magie und ihrer Dämonenkontakte die Barriere doch irgendwie überwinden - und wer weiß, was sie damit dann alles an Unheil anrichten können. Aber das ist leider nichts, das wir momentan irgendwie beeinflussen können, also muss ich mit dem leisen beunruhigten Nagen im Hinterkopf wohl einfach leben.

Stefania Steinbach hingegen wurde seither durchaus wieder gesehen. Sie versieht ganz normal ihre Aufgaben als Kirchenfunktionärin, hat sich zum Beispiel im Nachgang zu Hurricane Irma groß mit Hilfsangeboten und Barmherzigkeit aufgespielt.
Mierda. Dass Steinbach eine Dämonenkultistin ist, die mit einem von Judas’ dreißig Silberlingen geködert wurde, ist schlimm genug. Aber dass sie eine Kirchenvertreterin ist und im Geheimen gegen alles arbeitet, wofür das Christentum steht, das macht die Sache irgendwie noch hundertmal schlimmer. Und wir haben keine Ahnung, hatten bisher nicht mal den Hauch einer Idee, wie wir gegen diese puta vorgehen sollen. ¡Me pone malo, de verdad!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.01.2019 | 15:31
Verspätet, aber: Danke fürs Diary! :cheer:
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.01.2019 | 18:31
Ricardos Tagebuch: Day Off

18. September

Eben hatte ich einen Anruf: Nächstes Wochenende soll es einen “Miami Hurrican Irma Relief Carnival” geben, einen Indoor-Jahrmarkt für den guten Zweck, bei dem alle Einnahmen an die Opfer des Sturms gehen. Man hat mich um eine Spende gebeten, aber vor allem darum, selbst auch anwesend zu sein und eine Lesung zu halten, mit der noch weitere Spenden eingefahren werden sollen. Natürlich habe ich zugesagt, und ich habe auch die Jungs auf die Aktion angesetzt. Totilas beteiligt sich im Namen der Familie Raith ebenfalls mit einer Spende - und es sind die Raiths, also fällt der Betrag erstens nochmal um eine ganze Kategorie höher aus als mein eigener, und zweitens hat er die Spende und den Namen Raith sehr werbewirksam in Szene gesetzt. Aber wer will es ihm verdenken - die Familie braucht alle gute PR, derer sie habhaft werden kann. Edward will für den Jahrmarkt einige Schaukämpfe seines Boxclubs organisieren, und Roberto hat vor, einen Wahrsagerstand anzubieten - allerdings für eigene Rechnung, weil er ja selbst zu den Sturmopfern gehört und Geld braucht. Nur Alex hat keine Zeit, sagte er - ich glaube, er ist damit beschäftigt, seine Village-Gemeinschaft wieder zu kitten.
Ich bin mal gespannt, was das gibt; es sind ja nur ein paar Tage Zeit, um die ganze Veranstaltung auf die Beine zu stellen.

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21. September

Der Jahrmarkt findet tatsächlich statt wie geplant; ich habe eben die letzte Bestätigung erhalten und meine Teilnahme selbst auch noch einmal bestätigt. Ein Kapitel für die Lesung habe ich auch ausgewählt. Lidia und die Mädchen kommen nachmittags auch für ein Stündchen oder zwei mit: Lidia hat sich netterweise bereiterklärt, sie dann heimzubringen und den Rest des Tages alleine auf die beiden aufzupassen.

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24. September

Tío. Ich hätte mir denken können, dass etwas passieren würde. Vielleicht nicht gerade, was genau, aber etwas. Madre mia, das war keiner meiner glorreicheren Momente. Ich bin nur froh, dass Lidia nicht mehr da war, als ich… nun. Es hilft ja nichts, mich um den heißen Brei zu winden. Als ich mich derart zum Affen gemacht habe. Alejandra auch, aber die hätte ihren albernen Ziehvater-Onkel vielleicht sogar lustig gefunden.

Aber der Reihe nach.

Alejandra und Monica hatten viel Spaß auf dem Jahrmarkt, und weil Yolanda so nett war und eine Weile mit ihnen herumzog, kamen auch Lidia und ich in den Genuss eines Spaziergangs zu zweit durch die Räumlichkeiten. Meine Lesung, als die drei gegangen waren, verlief auch ohne jegliche Probleme, und die Zuhörer schienen beim Hinausgehen auch recht großzügig die Spendenbox zu füllen. Soweit war also alles gut. Aber etwas später kam unvermittelt Yolanda auf mich zu und erzählte mir besorgt, dass Marshall sich seltsam benehmen würde. Er habe sie gar nicht erkannt und sei so angespannt. Auf mein Nachfragen ergänzte Yolanda noch, dass sie sich mit Marshall habe treffen wollen, er aber nicht gekommen sei, also habe sie ihn auf dem Gelände gesucht und gefunden, und da habe er sie dann eben nicht erkannt.
Auf den ganzen Komplex ‘Yolanda trifft einen White Court Vampir’ ging ich erst einmal gar nicht ein, sondern machte mich auf die Suche. Ich fand Marshall bei einem Stand, halb im Schatten verborgen und auf der Lauer, angespannt wie ein Raubtier.
“Marshall?” sprach ich ihn vorsichtig an, “Mr. Raith?”
Der White Court fuhr herum und starrte mich mit verengten Augen an. “Wer sind Sie und woher kennen Sie meinen Namen?”
“Yolanda macht sich Sorgen um Sie.”
Seine Miene wurde noch finsterer. “Schon wieder diese Yolanda. Die war vorhin schon bei mir. Für wen arbeiten Sie?” Dabei ging seine Hand an die Seite, als erwarte er, eine Waffe dort zu finden, die aber nicht da war.
So, wie er sich benahm, fiel mir ein, dass der Mann nicht immer als Fachanwalt für Steuerrecht tätig gewesen war. Als er vor ein paar Jahren in die Stadt kam, tat er das ja im Auftrag des Weißen Königs als dessen Cleaner, sprich Auftragskiller, bevor er den Job an den Nagel hängte und in der Stadt blieb, weil er unter Geralds, und später Totilas’, Ägide eben kein Killer sein musste, sondern seinem Hobby Steuerrecht frönen konnte. Davon war aber gerade im Moment nicht das Geringste zu spüren, sondern der Mann war vollkommen im Cleaner-Modus.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Es war an der Zeit, die anderen hinzuzuziehen.

Lustigerweise versuchten die fast genau zum selben Zeitpunkt auch, mich zu erreichen, weil ihnen allen etwas ganz Ähnliches widerfahren war. Also trafen wir uns und tauschten Informationen aus.
Roberto war hier auf dem Jahrmarkt Angel Ortega über den Weg gelaufen, der von seinen Stunden in der Sonntagsschule und Jesus und Sünde erzählte und der Roberto von seiner Diktion und seinem ganzen Verhalten mehr wie ein Zehn- oder Elfjähriger vorkam als wie der erwachsene Santero, der er ist. Außerdem war Totilas Felipe Gomez begegnet, einem Rotvampir und Besitzer einer Red Court-Bar ein Stückchen abseits der Washington Avenue, den unser White Court-Kumpel kennt. Gomez hatte sich wie ein kleines Kind benommen und, als dieser fragte, Totilas gegenüber auch gesagt, er sei fünf. Als Totilas gefragt hatte, wo er auf dem Jahrmarkt schon alles gewesen sei, hatte Felipe etwas von einer Ausstellung erzählt, wo er ein ganz tolles Foto von einer Schiffschaukel gesehen habe.
Edward wiederum war auf Kirsten Lassiter getroffen, die kanadische Warden, die vorletztes Jahr Spencer Declan befreien wollte, weil irgendjemand ihr und dem Magierrat weisgemacht hatte, der White Court habe den Mann entführt. Was sie ausgerechnet in Miami machte? Edward hatte keine Ahnung. Aber sie habe sich nicht wie die kühle Warden benommen, die wir kennengelernt hatten, sondern wie ein schmollender Teenager, der ausnahmslos alles doof fand. Sie sagte auch, sie sei fünfzehn, als Edward sie danach fragte. Auch sie war in dieser Fotoausstellung gewesen und dort auf ein Foto aufmerksam geworden, das sie an ihr Sommercamp diesen Sommer erinnert habe.

Da wir alle Leuten begegnet waren, die sich nicht wie gewöhnlich verhalten hatten, die sich alle jünger benahmen, als sie waren, und von denen zwei in einer Fotoausstellung gewesen waren, suchten wir gemeinsam noch einmal Angel Ortega und fragten den etwas genauer aus. Er sagte, er sei neun, und ja, auch er hatte in dieser Ausstellung ein besonders beeindruckendes Foto gesehen, eines von einem Boot wie bei seinem Bootsausflug mit der Sonntagsschule.

Dass unsere vier Bekannten alle von irgendetwas in dieser Fotoausstellung beeinflusst worden waren, schien uns relativ gesichert. Allerdings hatten sie alle von unterschiedlichen Bildern gesprochen; es konnte also nicht ein- und dasselbe Foto der Auslöser sein.
Bevor wir uns allerdings die Ausstellung vornahmen, rief Roberto bei Ximena an. Immerhin arbeitet Angel seit einer Weile in ihrer Privatdetektei. Ja, bestätigte Robertos Cousine, Angel sei dienstlich auf dem Jahrmarkt: Die Detektei sei von einer Klientin engagiert worden, deren Mann sich seltsam benehme, seit das Paar den Relief Carnival besucht habe. Er habe sie nicht mehr erkannt und nur noch von seiner Waffensammlung gesprochen, und es habe bis zum nächsten Morgen gedauert, bis er wieder normal geworden sei. Deswegen habe Angel den Auftrag erhalten, sich die Sache einmal anzusehen.

Ob dieser Ehemann wohl auch in dieser Ausstellung gewesen war? Vermutlich. Wir hatten ohnehin keine andere Spur, also gingen wir das Zelt ausspähen. An einem Tisch davor saß ein Mann, der die Eintrittskarten verkaufte - und dabei so breit grinste wie die sprichwörtliche Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat. Wir beobachteten das Kommen und Gehen eine ganze Weile lang - von den Besuchern, die hineingingen, kamen einige wenige mit sichtlich verändertem Verhalten heraus, aber längst nicht alle.
Ohne selbst die Ausstellung zu besuchen, würden wir nicht viel mehr herausfinden. Einer von uns musste also in den sauren Apfel beißen, aber wer? Wir überlegten eine Weile hin und her, aber am Ende kristallisierte sich heraus, dass ich der geeignetste Kandidat dafür war. Nicht, dass ich auch nur die geringste Lust darauf hatte, schon wieder einmal unter einen geistigen Einfluss zu geraten, aber ich musste zähneknirschend zustimmen, dass ich von uns vieren die harmloseste und am wenigsten krisenbehaftete Vergangenheit hatte. Bei mir war einfach die Wahrscheinlichkeit am geringsten, dass ich in einem Moment feststecken würde, in dem ich etwas Unschönes wie ein jähzorniger Boxer, ein gerade neu zum Vampir gewordener White Court oder ein junger Santero mit frisch entdeckten, unkontrollierten magischen Fähigkeiten wäre. Mierda.
Aber vielleicht würde mir ja auch gar nichts passieren - immerhin war der größte Teil der Besucher vollkommen unbeeinflusst wieder aus der Ausstellung gekommen. Und falls doch, bei dem Mann von Ximenas Klientin war die Veränderung nicht permanent gewesen, es klang also nach einem magischen Effekt, der wie so viele Magie nur bis zum nächsten Sonnenauf- oder Untergang andauern würde. Also gut, dann musste ich eben die Kröte schlucken, cólera noch eins.

Während ich die Eintrittskarte kaufte, unterhielt ich mich kurz mit dem Verkäufer über die Ausstellung. Die Fotos seien alle entweder hier in der Stadt oder von ortsansässigen Künstlern aufgenommen worden, aber nicht alle Bilder stammten von professionellen Fotografen, sondern ein durchaus beträchtlicher Teil von Laien. Bei dem Gespräch erwähnte der Mann auch, dass er einen Sohn hier in der Stadt habe. Die Bemerkung kam mir ein bisschen seltsam und kontextlos vor, aber es war ein natürlicher Teil des Smalltalks, in bezug auf diesen Sohn nachzuhaken, wo er ihn schon erwähnt hatte. Bei der Frage grinste der Verkäufer sehr verschmitzt und sagte nur: “That’s for me to know and for you to find out, Sir.”

Drinnen im Zelt sah ich mich aufmerksam um, ob mir irgendetwas darin auffiel, aber da war nichts, nur die Bilder. Natürlich sah ich mir die Fotos an, von denen Angel und die anderen Beeinflussten gesprochen hatten, aber auch an denen konnte ich nichts Ungewöhnliches feststellen. Aber ein Foto war da, das meine Aufmerksamkeit fesselte. Eigentlich war es gar nichts so Besonderes, eine künstlerisch ziemlich ansprechende Schwarzweiß-Aufnahme von einem Konzert oder einer Stand-Up-Comedy-Show oder etwas in der Art, aber es erinnerte mich an meine erste öffentliche Lesung. Und das wiederum erinnerte mich an den Tag, als ich die Mitteilung bekam, dass Indian Summer offiziell ein Bestseller war. Und mit einem Mal, wie ich mir das Bild so besah, war ich der zweiundzwanzigjährige Cardo, der gerade an diesem Tag die Nachricht bekommen hatte. Hier war ich, der Kubanoamerikaner aus einfachen Mittelklasse-Verhältnissen, der aus dem Nichts und mit Anfang zwanzig auf den Bestseller-Listen gelandet war, und mit einem Genre-Roman noch dazu. Das Euphorie, das Gefühl des Triumphes, war unbeschreiblich, und ich wollte einfach nur feiern.

Draußen vor dem Ausstellungszelt kam Yolanda auf mich zu. Ich hatte keine Ahnung, warum sie auch auf diesem Volksfest war, und ich wusste auch nicht, warum meine kleine Schwester auf einmal so erwachsen aussah. Älter als ich, tatsächlich. Und sie wollte wissen, ob ich 'schon etwas herausgefunden’ hätte, was auch immer sie damit meinte. Ach egal, ich wollte feiern, also schlang ich den Arm um mein Schwesterchen und wollte sie mit mir ziehen. Aber Yolanda sah mich ganz seltsam an, machte sich los und murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte, bevor sie wieder in der Menge verschwand. Sehr seltsam - freute sie sich denn nicht über meinen Erfolg?

Gleich darauf wurde ich von drei fremden Typen angesprochen, die irgendwoher meinen Namen kannten und komischerweise auch wissen wollten, ob ich ‘da drinnen etwas herausgefunden’ hätte. Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, aber immerhin fiel mir dann ein, dass ich den einen der drei Clowns schon mal flüchtig gesehen hatte - das war der jüngere Bruder von Carlos Alveira, einem Kumpel von Enrique aus dessen Gang. Auch gut. Ich wollte immer noch meinen Triumph feiern, und wenn gerade nur diese Typen da waren, dann auch mit denen, klar doch!

Die beiden Fremden - Edward und Totilas nannten sie sich - waren aber nicht zum Partymachen aufgelegt, diese Langweiler. Sie sprachen davon, dass sie einen gewissen Marshall beruhigen gehen wollten, und schickten mich und diesen Roberto alleine los, während sie in die andere Richtung abzogen.
In der Mall, wo ich mich gerade befand, gab es auch eine Bar, wo Roberto und ich uns ein paar Drinks gönnten und ich von einer jungen Frau erkannt wurde, die gerne ein Autogramm haben wollte. Außerdem löcherte sie mich wegen Eric Albarn - und ob das mit ihm und Catherine Sebastian gut ausgehen würde? Ich war so guter Laune, dass ich sie angrinste und ihr nach einem “ja klar!” versicherte, dass noch viele gemeinsame Abenteuer auf Eric und Catherine warteten, weil ich schon jede Menge weitere Ideen hätte.

Nach einer Weile bekam Roberto eine SMS und sah, nachdem er sie gelesen hatte, zu mir herüber. “Wir müssen los”, sagte er und ließ meinen Protest gar nicht gelten. Ich war zwar verwirrt, aber das konnte meine Hochstimmung nicht dämpfen, also folgte ich ihm lachend mit den Worten, dass eine einzige Bar an einem Abend ja auch keinesfalls ausreichen würde, um diesen Triumph auszukosten, und wir uns am besten tatsächlich einen neuen passenden Ort suchen sollten.
Aber Roberto führte mich in einen Bereich der Mall, wo diese beiden anderen Typen warteten. Hier war lustigerweise überall Wasser - die Sprinkleranlage musste ausgelöst haben, wie es aussah.
“Wir dachten, der Effekt endet vielleicht unter fließendem Wasser”, sagte der jüngere von beiden, was eine Bemerkung war, die ich auch überhaupt nicht verstand, “aber es hat leider nicht funktioniert. Jetzt ist er nur noch misstrauischer.”

Ich versuchte wieder vergeblich, alle drei dazu zu bringen, ihr langweiliges was-auch-immer-es-war sein zu lassen und lieber mit mir feiern zu gehen, aber die Kerle hatten einfach keinen Sinn dafür, dass man so einen unglaublichen Erfolg einfach auskosten musste. Stattdessen zeigte dieser Edward mit einem Mal ein Stück weit von uns weg: “Da sind Marshall und Yolanda.”
Und tatsächlich. Da standen meine Schwester und ein gutaussehender Typ und unterhielten sich - es war kein Streit, aber es sah schon um einiges intensiver aus als ein ganz normales Gespräch. Als wir näher herangingen, konnten wir auch hören, was sie besprachen. Dieser Kerl - Marshall - legte seine Hand auf ‘Landas Arm und fragte in beinahe lauerndem Ton: “Du willst doch nicht weg, oder?”
‘Landas angespannte Körperhaltung sagte etwas anderes, aber aus ihrem Mund kam ein: “Äh, nein?”
Dieser Marshall grinste wölfisch, fasste Yolandas Hand und ging mit ihr weg. Ich wollte ihnen hinterher - wenn der Typ irgendwelche Frauen verführen wollte, sollte er doch, aber nicht meine Schwester, nicht mit diesem Grinsen! -, aber bevor ich auch nur ein paar Schritte getan hatte, strahlte plötzlich ein gleißend helles Licht auf, und Marshall entfuhr ein Schmerzensschrei. Während der Typ verdutzt seine offensichtlich verbrannte Hand hochhielt, hastete Yolanda schleunigst davon und war gleich darauf in der Menge verschwunden, zu schnell, als dass ich ihr hätte folgen können. Aber gleich darauf war mein Bedürfnis, ihr zu folgen, auch schon wieder verschwunden - ich hatte da noch einen Triumph zu feiern!
“Geht ihr schon mal vor”, sagte Totilas, “ich komme nach.”

Roberto, Edward und ich fanden einen Club, wo sich gut Party machen ließ, und eine Weile später stieß tatsächlich auch Totilas wieder zu uns.
“Ich habe ihn davon überzeugt, dass er das Ziel, das er sucht, nicht finden wird - und falls doch, dass er bis zum Morgen wartet, bevor er handelt; dass er so viel Zeit auch noch hat. Und morgen früh” - hier sah er die anderen bedeutungsvoll an, nachdem er kurz in meine Richtung geschielt hatte - “ist er dann hoffentlich wieder der Alte.”
Die Bemerkung verstand ich nicht, aber sie war auch völlig unwichtig. Hier war ein Club, hier waren fetzige Musik und hübsche Mädchen, und jetzt wollte ich vor allem auf die Tanzfläche.

Wir feierten bis in die frühen Morgenstunden. Als wir den Club verließen, fing es draußen schon an zu dämmern, aber ich war immer noch zu gut drauf, um nach Hause zu gehen. Meine neuen Freunde begleiteten mich an den Strand, weil ich es mir partout in den Kopf gesetzt hatte, zur Feier des Tages und zur Krönung der Nacht im Club ein frühmorgendliches Bad im Meer zu nehmen, und wo, wenn nicht am South Beach? Als wir an unserem Ziel ankamen, ging gerade die Sonne in einem glutroten Ball auf - und ebenso plötzlich, wie er gekommen war, fiel der Zauber des Fotos aus der Ausstellung wieder von mir ab.

Tío, war mir das peinlich, als ich wieder ich selbst - oder besser: wieder mein derzeitiges Ich - war. Nüchtern war ich natürlich deswegen trotzdem nicht, aber wenigstens wieder bei mir.
Zuallererst mussten wir etwas schlafen, aber am frühen Nachmittag trafen wir uns wieder, um das Vorgefallene zu besprechen.

Wir waren uns alle einig, dass der magische Einfluss eindeutig von den Bildern kam, und es war auch inzwischen sicher, dass der Kartenverkäufer eindeutig etwas damit zu tun hatte. Während ich in der Ausstellung war, hatte Roberto den Mann nämlich mit seiner Sight betrachtet und festgestellt, dass er kein Mensch war, sondern eine Trickstergestalt. “Vielleicht Loki”, sagte Edward jetzt, und der Gedanke war gar nicht so abwegig. Zumindest war es eine Arbeitshypothese, bis wir Beweise für oder gegen sie hätten.

Und jetzt, wo ich wieder klar im Kopf war, interessierte mich natürlich enorm, was da in der Mall zwischen Yolanda und Marshall passiert war, was es mit diesem gleißenden Lichtblitz auf sich hatte. Es wird sowieso Zeit, dass ich mit Yolanda rede; sie sollte endlich wissen, dass ich darüber im Bilde bin, dass sie Marshall datet.
Aber Totilas mahnte zur Zurückhaltung, als ich das erwähnte. Er glaubte, oder befürchtete zumindest, dass da in der Mall ein seltenes und nicht sehr bekanntes Phänomen aufgetreten sein könnte, sagte er - eines, von dem er mich bat, es unbedingt für mich zu behalten. Wenn nämlich jemand wahre Liebe empfindet, dann ist der- oder diejenige vor den Kräften der White Court-Vampire geschützt, und nicht nur geschützt, sondern eine solche Person zu berühren, fügt dem Weißvampir beträchtlichen körperlichen Schaden zu. Wenn Yolanda wahre Liebe empfände, dann könnte dieser Effekt zutage getreten sein, als der in seinem früheren Ich befindliche Marshall, der Yolanda in dieser Zeit natürlich noch nicht kannte, sie einfach wie jedes andere White Court-Futter behandeln wollte.

Nach meinem ungläubigen “Was, echt?” und nach Totilas’ Bestätigung entfuhr mir ein langgezogenes “Fuuuuck”. Und dann war ich erst einmal sprachlos, als mir die ganze Bedeutung des soeben Gehörten aufging. Denn wenn die beiden wirklich in wahrer Liebe zueinander hingezogen sind, dann können sie ihr niemals körperlich nachgeben, weil ein White Court-Vampir beim Sex ganz unausweichlich seine Kräfte einsetzt. Niemals. Puh. Das mag ich mir überhaupt nicht vorstellen. Mierda.
“Ja”, bekräftigte Totilas wieder, “und deswegen warte lieber noch, bis du mit deiner Schwester redest. Lass sie erst einmal mit Marshall klären, ob die beiden nach der Geschichte gestern überhaupt noch daten.”

Das klang vernünftig, also fuhr ich erst einmal in Pans Palast, um zu sehen, wie stark der Sturm sich dort ausgewirkt hatte.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.01.2019 | 18:56
Ach ja, der jugendliche Cardo ... der war so schön unbeschwert und harmlos und glücklich! :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.01.2019 | 22:07
Die Lage am Sommerhof war tatsächlich gar nicht so schlimm, weil sich der Palast ja zum größeren Teil im Nevernever befindet. Außerdem war der Hurrikan noch vor der Tag- und Nachtgleiche über Miami hereingebrochen, so dass die Macht des Sommers zu dem Zeitpunkt einen stärkeren Schutz für Pans Residenz darstellte, als es nach Herbstanfang der Fall gewesen wäre, auch wenn es natürlich trotzdem einiges an Überschwemmungen und Schäden gegeben hatte.
Dass bei meinem Herzog und seinem Hofstaat soweit alles in Ordnung war, davon hatte ich mich natürlich direkt nach dem Sturm auch schon überzeugt, aber da hatte ich wenig Zeit gehabt und war außerdem ziemlich übermüdet gewesen. Jetzt hatte ich etwas mehr Ruhe - und außerdem wollte ich mit Sindri reden. Immerhin ist sie ja die Tochter von Loki, also eine gute Quelle, um sie nach dem Trickster auszufragen.
Sie erzählte mir das eine oder andere über Loki, bevor ihr herausrutschte, dass sie einen Halbbruder in der Stadt habe. Als ich nachhakte, bemerkte sie ihren Fehler und wollte erst ausweichen, aber aus der Sache kam sie jetzt nicht mehr heraus, also erzählte sie mir widerstrebend, dass Ximenas Partner in ihrer Detektei, dieser blonde Isländer namens Bjarki, den wir nach Enriques Ausbruch aus dem Gefängnis kennengelernt hatten, in Wahrheit ebenfalls ein Sohn von Loki sei.
Ahaaa. Also das hatte der Kartenverkäufer mit seiner Bemerkung von 'Familie in der Stadt' gemeint. Noch ein Hinweis darauf, dass er wirklich die nordische Gottheit war.

Jetzt wollte Sindri natürlich wissen, warum ich mich so für Loki interessierte, und weil ich sie nicht anlügen wollte, erzählte ich ihr, dass wir vermuteten, dass der Kartenverkäufer auf dem Jahrmarkt Loki sein könne. Sindri wollte ihn natürlich treffen, falls er es denn wäre, denn sie ist ihrem Vater ja noch nie begegnet. Und weil ich ihr davon erzählt hatte, konnte ich ihr den Wunsch natürlich schlecht abschlagen, also brachte ich sie zum Carnaval.

Der Kartenverkäufer stellte sich tatsächlich als Loki heraus, der sich sehr freute, seine Tochter zu treffen, und sehr gerne Zeit mit ihr verbringen wollte. (Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Sindri sich in ein Feuer verwandeln kann, und dass Loki diese Fähigkeit vielleicht irgendwann einmal ausnutzen könnte. Auch hier habe ich wieder ein ganz leises, ungutes Prickeln im Nacken, aber alles in allem finde ich es eigentlich ziemlich schön, dass Sindri ihren Vater endlich kennengelernt hat.)
Jedenfalls überließ Loki mir das Zelt und die Kasse und zog fröhlich mit seiner Tochter davon.

Während ich hier die Ausstellung hüte, habe ich die Zeit genutzt, alles aufzuschreiben, was gestern und heute so passiert ist. Sonderlich viel Betrieb war hier nicht, so dass ich in Ruhe schreiben konnte. Ein paar Eintrittskarten habe ich aber tatsächlich noch verkauft - zum Glück kam kein Besucher mehr verändert heraus, sonst hätte ich die Aktion sofort abgebrochen. Interessanterweise liegen in der Geldkassette neben den eingenommenen Scheinen auch drei Blätter: Eichenblätter sind es, glaube ich.
Am Zelt hängt ein Schild mit den Öffnungszeiten, nach denen die Ausstellung um Mitternacht schließen soll; genau das werde ich dann wohl auch tun. Knapp eine halbe Stunde noch. Und dann ab ins Bett - ich habe noch Schlaf nachzuholen.

Aber ach ja, eines wollte ich noch nachgetragen haben: Gestern abend in der Bar führte Roberto ein Telefonat. Zu dem Zeitpunkt sagte es mir nichts, aber das war ein Anruf bei Lucia Valdez, seiner Bekannten aus dem Red Court, um ihr bescheid zu geben, dass Felipe Gomez auf dem Jahrmarkt war und sich für einen normalen fünfjährigen Jungen hielt. Wenn sie ihn nicht abgeholt hätte, dann wäre Felipe bis zum Morgen in diesem Irrglauben geblieben - und dann, bei Tageslicht, hätte er ein echtes Problem bekommen.
Eigentlich könnte es uns ja egal sein, ob ein Rotvampir zu Asche zerfällt oder nicht, aber ich vermute mal, Roberto dachte, es kann nichts schaden, wenn der Red Court uns etwas schuldet… und so ganz Unrecht hat er damit nicht, wenn ich ehrlich bin.

So, Zeit zum Schließen. Den Schlüssel und alles hat Loki mir ja netterweise dagelassen.

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25. September

¿Qué demonios? Eben habe ich einen Anruf bekommen: “Mr. Alcazár, der Jahrmarkt wird abgebaut, Ihr Zelt muss weg.”
Ähm. Mein Zelt?

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Tatsächlich mein Zelt. Als ich in der Mall ankam, waren fast alle Stände schon demontiert, und an der Ausstellung war von deren eigentlichem Eigentümer weit und breit nichts zu sehen. Die Kassette samt Geld war noch da, aber die Eichenblätter daraus verschwunden, und stattdessen lag ein Zettel darin: “Viel Spaß mit den Fotos.”

Haha. Habe ich also tatsächlich das Zelt und die Fotos geerbt. Mal sehen, was ich damit anstelle. Erst einmal einfach lagern, schätze ich, denn zum Wegwerfen wären sie viel zu schade, und jetzt haben sie ja auch keinen magischen Effekt mehr.

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27. September

Totilas hat mit Marshall über den Vorfall beim Jahrmarkt gesprochen. Marshall beharre felsenfest darauf, dass bei dem Lichtblitz der Sommer aus Yolanda herausgebrochen sein muss, sagte Totilas - dass es sich um wahre Liebe handeln könne, sei völlig unmöglich. Vielleicht war es wirklich nur eine Auswirkung von Yolandas Magie als Richterin des Sommers, aber wenn ich Marshall wäre, würde ich die andere Möglichkeit nicht so völlig außer Acht lassen. Naja, wobei - vermutlich ist es einfach zu schmerzhaft, sich einzugestehen, dass die andere Möglichkeit zutreffen könnte. Mierda.

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Mit Yolanda habe ich jetzt auch geredet. Ich wollte ihr klar machen, dass es für mich okay ist, wenn sie Marshall datet, und dass sie zumindest mir gegenüber nicht ständig irgendwelche Ausreden suchen muss. Klar, so richtig toll finde ich die Sache nicht, auch wenn ich das ‘Landa gegenüber nicht ausgesprochen habe, denn Marshall ist ja immerhin ein White Court-Vampir, und das Risiko, dass er meine Schwester leersaugt oder sie süchtig wird, ist immer noch gegeben. Aber ich habe ja Edward und Cherie zusammen erlebt, und außerdem ist Yolanda erwachsen und weiß, was sie tut, und wenn sie mit Marshall zusammensein will, dann will sie mit Marshall zusammensein, und dann werde ich sie mit Sicherheit nicht davon abbringen können. Und vielleicht macht er sie ja wirklich glücklich.
Aber Yolanda machte ein bedrücktes Gesicht und sagte: “Wenn das nur mal so einfach wäre mit dem Daten.”
Ach seufz. Ich wünschte, ich könnte ihr irgendwie helfen. Aber so, wie die Dinge stehen, konnte ich ihr nur ein offenes Ohr und jegliche Unterstützung anbieten, wenn sie reden will oder sonst irgendwas braucht. Ich weiß nicht, ob sie darauf zurückkommen wird. Ich kann es nur hoffen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 1.01.2019 | 23:05
Hach, ist Liebe nicht schön?  :-*

Danke für den Mitschrieb, Timber! :cheer:
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 14.07.2019 | 00:54
Ricardos Tagebuch: Changes 1

18. Oktober

Cicerón Linares hat uns kontaktiert und um ein Treffen gebeten. Natürlich gehen wir hin, wir haben keinen Grund abzulehnen oder eine Falle zu vermuten – wir haben mit dem Mann und seiner Gang ja bisher keinen Zwist.

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Später. Okay, das war ... interessant. Linares hatte einen Vorschlag. Einen Vorschlag von ziemlich gewaltiger Reichweite, um genau zu sein. Er erzählte uns von einem Ritual, von dem er gelesen habe, das  so genannte 'Sanctuary-Ritual'. Hierbei wird ein bestimmter Ort zu einem Zufluchtsort gemacht, 'geheiligt' oder zumindest gestärkt, indem man den 'Genius Loci', den Geist dieses Ortes, zum Leben erweckt, ihm mehr oder weniger körperliche Gestalt verleiht und eine Bindung mit ihm eingeht. Und Linares schlug vor, eben dieses Ritual durchzuführen, um sich mit dem Genius Loci von Miami zu verbünden.

Im ersten Moment dachte ich, er ist nichts als ein bocachancia. Ich meine, größer und ambitionierter geht es wohl nicht? Den Genius Loci des Staates Florida vielleicht? Der Vereinigten Staaten gar gleich? Welche Dimensionen muss ein Ritual wohl annehmen, wenn man damit den Geist Miamis beschwören will?

Aber der Gangster meinte es völlig ernst. Das könne kein einzelner Praktizierer durchziehen, egal wie stark dieser in der Magie sein möge, sondern das sei ein Fall für eine gemeinsame Anstrengung. Zwölf Personen idealerweise. An wen er dabei gedacht habe? Uns fünf, sich selbst und noch ein, zwei andere Santo Shango, Ximena O'Toole, und ansonsten würde uns vielleicht ja auch noch jemand einfallen.

Hmmm. Kein uninteressanter Gedanke, aber eindeutig auch keiner, auf den wir sofort eine Antwort hatten.
Denn neben der Größe des Rituals kommen ja auch noch ein paar andere Punkte dazu, die sehr genau überlegt werden müssen. Nicht zuletzt dieser: Linares hat ja vor ein paar Jahren schon Edward Leedskalnin vom Coral Castle vertrieben, um nicht zu sagen, den alten Geist vernichtet, da will er sich jetzt auch noch den Geist von Miami untertan machen?
Gut, er wäre nicht alleine, da wären noch elf andere mit von der Partie, und 'untertan' ist auch nicht das richtige Wort für einen Genius Loci, der mit Sicherheit so mächtig ist wie der unserer Stadt. Aber dennoch dürfen wir diese Entscheidung nicht auf die leichte Schulter nehmen.

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31. Oktober

Das wird heute abend wieder mal ein Halloween der Gegensätze. Erst Jandra und Monica zum Trick 'n Treating begleiten, danach kurz auf der Party der Raiths Präsenz zeigen und dann für den Rest der Nacht Día de los Muertos-Dienst schieben und um Mitternacht Geister zurückschicken. Aber erst muss ich den Mädchen noch ein bisschen mit ihren Kostümen helfen. Nachher oder morgen mehr.

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1. November

Gestern wurde es, wie fast schon erwartet, doch nichts mehr. Und heute wäre ich fast auch nicht dazu gekommen, weil ich völlig erledigt war und mich nachmittags ein bisschen hingelegt habe. Die gestrige Nacht war nämlich extrem anstrengend, noch anstrengender als in den letzten Jahren. Irgendwie werden es gefühlt jedes Jahr mehr Geister, die am Ende des Tages nicht zurückkehren wollen. Wir mussten uns aufteilen, um unseren Teil der Aufgabe wenigstens einigermaßen bewältigen zu können. Edward bekam es unter anderem mit dem Geist eines Serienmörders zu tun, der von einem Jungen zum Día de los Muertos gerufen wurde, weil der ihn bewunderte. Alex hatte auch etliche 'Kunden', darunter den Geist eines mordenden Elektrikers, der in einem Museum neue tödliche Fallen aufstellen wollte und von Alex ins Nevernever geschickt wurde. Totilas wurde zum Beispiel mit einer verstorbenen, rachsüchtigen Mafia-Ehefrau konfrontiert, die ihre Familie ins Jenseits befördern wollte, während Roberto im Laufe der Nacht den Geist eines alten, viel zu jung an einer Überdosis verstorbenen Bekannten aus einem Club vertreiben musste, wo der die Stimmung zu einer tremenda pachanga aufheizte. Ich selbst hatte auch einiges zu tun, darunter mit einer alten, freundlichen Großmutter, die nach dem Día de los Muertos nicht heimkehren wollte, weil ihre alleinerziehende Tochter und ihre beiden Enkel sie brauchten. Sie zu überzeugen, doch wieder zurückzugehen, war zum Glück nicht körperlich gefährlich, aber trotzdem ganz schön anstrengend.

Alles in allem waren es dieses Jahr nicht nur deutlich mehr Geister, die am Ende des Tags der Toten nicht freiwillig zurückkehren wollten, sondern auch das Ritual, das früher den Orunmila oblag und das jetzt die Santo Shango immer im Coral Castle durchführen, war diesmal deutlich schwieriger. Cicerón Linares beispielsweise hatte sich magisch derart überanstrengt, dass er aus den Augen geblutet hatte und eine Augenbinde trug, als wir uns heute nachmittag trafen. Schon seit einigen Jahren werde es immer schwerer, gab Linares zu – das liege wohl daran, dass die Grenzen hier in Miami so dünn sind und immer dünner werden.

Umso mehr Grund, uns ernsthaft mit Ciceróns Idee von letztens auseinanderzusetzen. Der Genius Loci von Miami würde uns sicherlich helfen, mit solchen Umständen wie letzte Nacht fertigzuwerden – aber wollen wir eine solche Bindung wirklich eingehen?
Nach einigen Überlegungen kamen wir zu dem Schluss: Wir wollen. Oder wir wollen es zumindest versuchen. Denn erstens könnte uns eine solche Aktion hoffentlich wirklich dabei helfen, Miami zu beschützen, und außerdem würde Linares, wenn wir es nicht machen, sich vermutlich fünf andere Helfer suchen. Dann lieber wir, damit können wir auch ein Auge auf ihn halten.

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2. November

Ximena O'Toole wäre grundsätzlich mit im Boot. Als weitere Namen hat sie ihre Kollegen Angel Ortega und den Isländer Bjarki vorgeschlagen. Damit wären wir zu elft – noch ein Platz zu besetzen. Mal überlegen. Byron wäre zwar von seinen Grundprofil her geeignet, aber Byron hat selbst gesagt, dass er nur solange hier in der Gegend bleiben will, bis das Problem, das hier seine Wurzeln hat, gelöst ist; um sich derart fest an die Stadt zu binden, wie wir das vorhaben, ist er wohl eher kein Kandidat.

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3. November

Ximena hatte einen Vorschlag für Nummer zwölf: Dee. Sie sei ein Spezialist für Wards, und das Gesetz sei in der Gruppe mit einem Polizisten und drei Santo Shango bislang noch etwas unterrepräsentiert – und den Frauenanteil in der Gruppe zu erhöhen, sei ja sicherlich auch nicht verkehrt. Da hatte sie natürlich recht, auch wenn ich merkte, wie mir bei der Erwähnung von Dees Namen für einen Moment die Gesichtszüge einfroren. Ich weiß nicht mal genau, warum, wenn ich ehrlich bin – vielleicht doch irgendwie der Gedanke, über diese Ritualgemeinschaft, oder wie man es nennen will, so eng mit ihr verbunden zu sein, auch wenn das bei näherer Betrachtung eigentlich Quatsch ist. Mein Gesichtsausdruck blieb den anderen jedenfalls nicht verborgen, und sie fragten, ob ich ein Problem mit Dee hätte, aber nein, kein Problem. Nur ein kurzer Schluckauf.

Abends. Alex hat seine Schwester gleich heute noch angesprochen, und die ist dabei, will aber verständlicherweise keine Verbrechen in der Vorbereitung der Aktion oder bei der Aktion selbst. Na das sollten wir ja hoffentlich hinbekommen.

Über einen passenden Ort und einen passenden Zeitpunkt haben wir uns heute auch schon mal die Köpfe zerbrochen. Wir schossen uns auf das Calle Ocho Festival nächsten März ein, und als Ort kamen wir auf den Domino Park, der ja eine Art Herz der Calle Ocho darstellt.

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5. November

Heute hatte ich ein Treffen mit dem Bürgermeister, um bei einem zwanglosen Kaffee einmal vorzufühlen, wie es wegen einer Sperrung des Domino Parks während des Calle Ocho Festivals aussieht. (Und ja, ich bin mir bewusst, wie das klingt – einfach mal den Bürgermeister zu einem Kaffee einladen. Aber das ist tatsächlich einer der Vorteile, wenn besagter Bürgermeister bekennender Fan deiner Bücher ist.)
Als Begründung gab ich natürlich nicht an, dass wir ein Ritual zur Beschwörung des Genius Loci von Miami durchführen wollen, sondern ich sprach von einem Feuerwerk zu Ehren des Anlasses. Der Bürgermeister war ziemlich angetan von der Idee und sagte zu – jetzt muss ich demnächst nur noch die offizielle Veranstaltungsanfrage an das entsprechende Büro der Stadt richten.

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10. November

Nur kurz – ich bin auf dem Sprung. Wir haben gleich das erste Treffen / Kriegsrat / die konstituierende Sitzung unserer Genius Loci-Gruppe, und vorher will ich noch ein paar Sachen erledigen. Ich bin ja wirklich mal gespannt, wie das wird.

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Das war richtig gut und konstruktiv, Römer und Patrioten. Dora hatte ihr 'Hinterzimmer' für uns reserviert, einen Raum für geschlossene Gesellschaften, den es seit dem Umbau des Dora's nach dem Brand gibt. Da sich noch nicht alle untereinander kannten, machten wir erst einmal eine kleine Vorstellungsrunde – auch, um einander noch einmal zu vergegenwärtigen, was unsere Fähigkeiten und Spezialisierungen im übernatürlichen Bereich sind. Ciceron Linares und Robertos Exfreundin Febe sind 'normale' Santeros des Shango, während Ilyana Elder eine Priesterin des Shango der Yansa und über die Familientradition der Elders auch in ägyptischer Magie bewandert ist. Ein Werkrokodil ist sie allerdings nicht.
Ximena O'Toole ist hermetische Magierin mit der Spezialisierung auf Feuer und Illusionen, Dee versteht sich vor allem auf Wards. Angel ist ebenfalls auf Wards spezialisiert und außerdem Santoro. Ximenas Kompagnon, der Isländer Bjarki, ist tatsächlich ein Sohn von Loki und kann nach Belieben die Gestalt wandeln.

Nachdem wir uns alle vorgestellt hatten, ging es an die Planung. Nicht nur wird das Ritual richtig groß, es wird auch richtig schwierig; wir waren uns also alle einig, dass wir externe Einflüsse so weit wie möglich vermeiden sollten – nur zum Wie müssen wir noch ein paar Gedanken anstellen. Der bei weitem längste Teil der Sitzung befasste sich mit den Komponenten, die wir verwenden könnten – auch die müssen angemessen gewichtig für ein Ritual dieser Größe sein. Am Ende standen wir mit folgenden Ideen da:
Das Hören will ich übernehmen und eine Ode an Miami schreiben. Das wäre nur der Text, nicht die Melodie, also brauchen wir noch eine Melodie dazu und jemanden, der oder die das Lied an dem Abend auftritt. Spontan dachte ich an Gloria Estefan, aber ob die sich für so etwas begeistern lässt? Vor allem, ob sie dazu bereit ist, einen Song für einen fremden Text zu schreiben? Zumindest versuchen will ich vielleicht, sie für die Sache zu gewinnen.
Für das Sehen wollen Angel und Ximena eine magische Drohne besorgen bzw. herstellen, mit der ein Bild auf den Platz an der Calle Ocho projiziert werden kann.
Zum Riechen will Edward 12 Phiolen mit den Düften Miamis besorgen: alles vom Duft des Meeres über Damenparfum und Sonnencreme bis hin zum Geruch von Abgasen.
Roberto will sich des Fühlens annehmen und aus stadteigenen Materialien eine Miniatur der Stadt bauen.
Für das Schmecken gibt es die Florida Rainbow Snake und den Florida Fairy Shrimp, die sich für unsere Zwecke geradezu aufdrängen, weil sie selten und schwer zu bekommen sind. Ilyana und Bjarki wollen welche besorgen.
Für die Seele will Totilas Gegenstände beschaffen, die für die Bewohner Miamis die Stadt verkörpern. Ich bin gespannt, was er finden wird.
Und für den Bereich Geist will Alex einen Schlüssel zur Stadt entweder besorgen oder selbst herstellen, und zwar aus einer der Metallplatten, aus denen auch die offiziellen Schlüssel zur Stadt bestehen, die zu feierlichen Anlässen an ganz besondere Ehrenbürger ausgegeben werden.

Dann ist da noch das Feuerwerk, das ich beim Bürgermeister als mundane Begründung für unsere Anfrage wegen der Sperrung des Platzes angegeben habe und das natürlich ebenfalls stattfinden muss, sonst fällt es auf. Die Organisation des Feuerwerks wollen Ximena und ich übernehmen, und vielleicht holen wir auch den Rat von Christine Wick ein – immerhin stehen sie und ich inzwischen nicht mehr auf Kriegsfuß.
Und wenn all diese Magie durch die Stadt fließt, dann müssen wir darauf achten, dass sie das in geordneten Bahnen tut und möglichst nicht an empfindlichen Orten wie Krankenhäusern oder der Verkehrsleitwarte, wo Leben an den Systemen hängt, die Technik zum Versagen bringt. Deswegen sollte während des Rituals die Magie durch festgelegte Kanäle geleitet wird, wo sie vielleicht nicht nur nicht schädlich, sondern sogar besonders wirksam und/oder hilfreich ist. Um diesen Teil der Operation wollen Dee und Cicerón sich kümmern.

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11. November

Mehrere Treffen heute. Zuerst mit Byron, weil wir den fragen wollten, wie es mit dem Abschotten vor unliebsamen magischen Einflüssen während des Rituals aussieht (also nur wir fünf, wohlgemerkt, nicht die ganze Genius Loci-Gruppe). Denn wir wollen ja die Verkörperung von Miami ins Leben rufen; da haben weder Feenmagie, noch Santería-Orishas, noch Zorn- oder Hungerdämonen etwas zu suchen.
Byron hörte sich unser Anliegen an und befand dann, bei Roberto, Alex und mir sei relativ leicht, uns kurzfristig von unseren übernatürlichen Störelementen zu lösen. Allerdings waren wir uns alle einig, dass wir das bei unseren jeweiligen Sponsoren vorher ankündigen bzw. einen sehr guten Grund und/oder eine sehr gute Ausrede dafür finden müssen, denn gerade bei Feen käme das vermutlich überhaupt nicht gut an, es unangekündigt zu machen, und dann auch noch, um eine potentiell konkurrierende Macht zu beschwören.
Totilas und Edward werden es schwerer haben, ihren jeweiligen Dämon zu unterdrücken – aber andererseits müssen die auch nicht auf Diplomatie achten oder irgendwem gegenüber Rechenschaft ablegen.

Grundsätzlich gibt es vier Arten und Weisen, wie wir unsere jeweiligen Einflüsse vorübergehend ausschalten können: mit Zen-Meditation, mit einer Queste im Nevernever, durch Magie oder mittels Psychopharmaka. Edward hat zusätzlich noch die Möglichkeit, dass er mit James Vanguard sprechen kann, der ja den Wolf kontrolliert und ihn schlafen schicken kann, aber das ist eben nur etwas für Edward. Psychopharmaka hätten den Vorteil, dass unsere jeweiligen Schutzpatrone nichts davon merken, aber sie müssen in genau der richtigen Dosis angewandt werden, damit wir trotz der Drogen handlungsfähig bleiben, und ungesund sind sie in so gut wie jeder Dosierung. Magie hingegen würde von unseren Patronen vermutlich sofort bemerkt, und Magie könnte auch dem großen Hauptritual in die Quere kommen, weswegen Byron sich klar für Psychopharmaka aussprach.

Für mich kommen wohl auch tatsächlich am ehesten Psychopharmaka in Frage, weil Pan, als der notorische Partygänger, der er ist, Drogen am ehesten verstehen und verzeihen wird. Für mich würde auch eine mildere Variante von Chemie ausreichen, ebenso wie für Alex und für Roberto, weil wir nicht so eng mit unseren Auftraggebern verbunden sind wie Totilas und Edward mit ihren Dämonen. Für Alex und Roberto käme eventuell auch ein magischer Trank in Frage, der denselben Effekt hat wie ein chemischer Wirkstoff, wobei ein magischer Effekt nur eben Sperrfeuer für das eigentliche Ritual bedeuten könnte, also will das wohl bedacht sein. Bei Totilas muss wohl am besten sein Dämon kurzfristig exorziert werden – die Frage ist, wer das machen könnte. Natürlich dachten wir zuerst an Roberto, aber der ist kein echter Priester, das wird wohl leider nicht klappen.
Byron machte den Vorschlag, vorher ein gemeinsames Reinigungsritual durchzuführen, damit wir uns aufeinander einstimmen und eventuelle Brüche rechtzeitig aufdecken können. Allerdings nicht in seiner Schwitzhütte, sondern – die Idee hatte Alex – in einem Spa: Spa-Besuche sind einfach so typisch für Miami.

Nach dem Gespräch mit Byron suchten wir Christine auf. Mit der hatten wir nach dem Tod „meiner“ Lady Fire bis auf das Begraben des Kriegsbeils zwischen uns wenig Kontakt, aber am Rande bekamen wir doch mit, dass sie nach den Ereignissen auf der Insel der Jugend erst einmal eine Weile Urlaub machte und sich dann mit der neuen Lady Fire arrangierte. Apropos die neue Lady Fire: Marie Parsen hat sich mit ihrer neuen Identität und Aufgabe auch soweit arrangiert, glaube ich – zumindest schickt sie Edward über ihre kleinen Feuergeister häufig diese Novelty-Postkarten aus hauchdünnem Stein von den unterschiedlichsten Orten.
Bei Christine im Laden warteten wir, bis die Feuerkünstlerin ihre Kunden – ziemlich nervige Touristen, aber sie bringen immerhin Geld – bedient hatte und wir alleine im Geschäft waren, dann trugen wir unser Anliegen vor und engagierten Christine schließlich für das Feuerwerk. Sie soll ein normales, mundanes Feuerwerk vorbereiten, es aber, wenn der Moment gekommen ist, auf magische Weise zünden. Den genauen Tag müssen wir noch mit ihr abstimmen, aber das Calle Ocho Festival ist ja schon gesetzt.

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12. November

Als wir uns heute trafen, erzählte Alex, dass er letzte Nacht im Schlaf Besuch von Eleggua hatte. Sein Patron bestätigte Alex, dass die zunehmende Anzahl und Aggressivität der Geister am Día de los Muertos ein Symptom für die schwächer werdende Grenze zwischen den Welten ist und dass die Barriere in spätestens zwei bis drei Jahren vollständig brechen wird. Möglichkeiten, die Wunde zu heilen, gebe es, aber das sei sehr schwer. Eleggua beschrieb es wie eine Kugel unter Wasser, auf die ständig steigender Druck ausgeübt wird, bis sie irgendwann bricht. Eine Möglichkeit zu verhindern, dass die Kugel bricht, ist es, ein Loch hineinzubohren. Dann fließt zwar etwas Wasser hinein, aber insgesamt wird der Druck reduziert.

Es gefiel uns zwar allen nicht so recht, aber vielleicht ist so ein Loch in der Barriere wirklich eine Möglichkeit. Also fingen wir an zu überlegen, wie sich das umsetzen ließe und was das bedeuten würde. Wir könnten in unser Ritual gewissermaßen eine Art Ventil einbauen. Miami trägt immerhin den Beinamen „Magic City“. Wenn wir während des Rituals ein Loch in die Barriere machen und kontrolliert eine gewisse Menge Magie aus dem Nevernever in diese Welt lassen, dann würde das weniger Ärger durch Geister und den anderen unerwünschten Druck bedeuten, und für alles andere außer der hereingelassenen Magie wäre die Barriere wieder fest. Das könnte dann zwar zur Folge haben, dass in Miami mehr Menschen als bisher über Magie verfügen, aber das ist ein nachgelagertes Problem und vermutlich das deutlich kleinere Übel im Vergleich zu einer unkontrollierbaren Schwemme böser Geister, die dann eben nicht mehr nur am Día de los Muertos in die Stadt kämen.
Die nächste Frage war, was genau „Magie“ in diesem Fall bedeutet, was also genau wir beim Ritual in die Welt lassen wollen. Nur die klassische hermetische Magie, waren wir uns sehr schnell einig. Keine Feenmagie, keine dämonischen Einflüsse, und auch nichts, was das Koyanthropen-Gen in 'Jandra aktivieren könnte. Okay, auch nicht in Yolanda und mir, aber wir beide haben dank unserer Jobs als Pans Ritter und Titanias Richterin einen gewissen Schutz dagegen.

Wie das genau aussehen soll und wie wir das Loch in unser Ritual einarbeiten, das müssen wir  die Tage mit den anderen besprechen. Aber erst einmal hat Edward für heute nachmittag einen Termin mit James Vanguard ausgemacht, um mit dem über die Unterdrückung seines Zorndämons während des Rituals zu reden.
Titel: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.07.2019 | 20:32
13. November

Heute Treffen mit dem Rest der Ritualgruppe. Auf dem Weg dorthin erzählte Edward uns, wie die Begegnung mit Vanguard gestern gelaufen ist: Der Lykanthrop habe sich erst gesträubt, Marke: „Warum sollte ich?“, aber als Edward ihn daran erinnerte, dass sein, Edwards, Ritual ihm dabei geholfen habe, das Biest zu kontrollieren, erklärte Vanguard sich dazu bereit, Edward bei der Sache zu unterstützen, wenn auch nur gegen einen Blanko-Gefallen. Blankoschecks sind zwar eigentlich ein Rezept für jede Menge Katastrophen, aber die Gefahr schien Edward in dem Moment akzeptabel, sagte er.

Den anderen sagte Edward nur, dass er in bezug auf die Unterdrückung seines Zorndämons schon eine Vereinbarung getroffen habe, ging aber nicht näher ins Detail. Damit war Edward 'versorgt', und für die kurzzeitige Exorzierung von Totilas' Dämon kann Ilyana Elder sorgen.

Als nächstes brachten wir die Frage nach dem Magie-Ventil auf. Wie nicht anders zu erwarten, fand Ximena die Idee, mehr Magie nach Miami zu holen, bedingungslos super. Dee hingegen war etwas skeptisch, aber nicht ganz so sehr, wie sie es vielleicht gewesen wäre, wenn der Vorschlag nicht von ihrem Bruder gekommen wäre. Am Ende wurde der Vorschlag angenommen - wenn unsere magisch begabten Gruppenmitglieder sich an die Detailplanung für das Ritual machen, dann werden sie die Sache mit dem Ventil in ihre Planung mit einbeziehen.

Im Zuge der Diskussion über das 'Loch' und seine Auswirkungen kam dann die Idee auf, eine Organisation zu gründen. Also keine offizielle, versteht sich, aber eine Anlaufstelle für Leute, die sich nach dem Ritual plötzlich mit magischen Fähigkeiten wiederfinden. Das wäre ein klassischer Fall für Alex, der die Practitioner der Stadt in einer solchen Gruppe sammeln könnte.

Während des Gesprächs hatte Edward den richtig brillanten Einfall, Miamis wahren Namen herauszufinden und ihn im Ritual zu nutzen. Wir alle waren Feuer und Flamme für die Idee, aber wie sollten wir das anstellen? Nach noch etwas mehr Brainstorming richtete Roberto eine Bitte um Inspiration an seine Orisha, woraufhin ihm Julia Tuttle einfiel, die Stadtgründerin. Alex gelang es, ihren Geist zu beschwören und von Mrs. Tuttle tatsächlich den Namen Miamis zu hören, wie sie ihn ausgesprochen hatte – wenn das nicht der wahre Name unserer Stadt ist, was dann?

Ach ja. Und ich habe angefangen, an der Ode für Miami zu schreiben.

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26. Dezember

Ich hatte ja fast Angst, dass an Weihnachten irgendwas passieren würde. Aber alles blieb ruhig, und die Feiertage waren einfach schön und harmonisch. Und gebrannt hat auch nichts. Puh.

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1. Januar

Ein gutes neues Jahr allerseits, Römer und Patrioten. Ich bin etwas erledigt, aber nur, weil die Silvesterfeier lang und ausgelassen war, nicht weil irgendwas passiert wäre. Aber zum Glück ist heute ja nicht viel zu tun. Etwas aufräumen und ansonsten in Ruhe faulenzen.

Ich habe auch ein bisschen nach aus Miami stammenden bzw. in Miami ansässigen Musikern und Musikerinnen recherchiert. Darunter fallen einige bekannte Namen wie z.B. Jon Secada, Jason Derulo oder Iggy Pop (das wär's noch. Ein zur Musik Iggy Pops manifestierter Genius Loci von Miami), aber ich hatte ja irgendwie für die Ode an Miami von Anfang an eine Sängerin im Kopf, und so bin ich auf Rita Mercado gestoßen, eine kubanisch-stämmige Singer-Songwriterin. Ich muss die Tage mal versuchen, ihren Agenten oder ihre Agentin zu erreichen. Sheila kann da bestimmt Kontakte knüpfen.

Die Ritualvorbereitungen kommen übrigens auch ganz gut voran. Unsere Magieexperten Edward, Ximena, Cicéron und Febe sitzen noch an der Theorie, aber sie sind immerhin schon am Feilen und nicht mehr nur an der Grobplanung.

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6. Januar

Sheila hat uns ein Treffen mit Ms. Mercados Agenten vermittelt. Sie hat ihm bei dem Gespräch noch nichts weiter davon gesagt, um was es geht; das machen wir dann vor Ort. Von Angesicht zu Angesicht lässt sich unser Anliegen besser vermitteln als über eine Drittpartei am Telefon.

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10. Januar

Tío. Que tremendo arroz con mango. Wir können froh sein, dass wir es lebend da rausgeschafft haben. Ganz ohne Blessuren ging es trotzdem nicht ab. Aber von vorne.

Wir hatten heute den Termin im Büro von Mr. Jimanez, dem Agenten von Ms. Mercado. Er war nicht begeistert von der Idee, dass seine Mandantin eine Melodie ohne Text komponieren und das Lied dann singen solle – sie sei Singer-Songwriterin, und der Text sei nun mal Teil des Songwritings. Ich versuchte, ihn zu überzeugen, dass das Ganze trotzdem eine gute Gelegenheit für seine Mandantin sei, und war so auf das Gespräch konzentriert, dass ich überhaupt nicht merkte, wie Alex sich zu Edward beugte und ihm warnend etwas zuflüsterte – das haben die Jungs mir später erzählt. Ich bekam erst das plötzliche laute 'Pock' mit, als kleine Statue gegen die Glaswand flog, die Mr. Jimanez' Büro vom Großraum-Layout der übrigen Agentur abtrennte, und als ich erschrocken aufsah, bemerkte ich neben den Rissen im Glas, dass jemand vor der Tür zum Büro stand. Jimanez stand auf und öffnete mit fragendem Blick die Tür. „Sebastián?“

Dieser Sebastián hatte ein Messer in der Hand und ging ohne ein Wort auf Jimanez los. Aber zum Glück war Edward ihm gefolgt und konnte den Angriff abfangen, auch wenn er dabei selbst einen Messerstich in die Hand abbekam und bei dem Gerangel draußen im Großraumbüro landete. Mit seiner übernatürlichen Kraft und Geschwindigkeit zog Totilas den Agenten zurück in sein Büro und warf die Tür wieder zu. Jetzt sah ich auch, dass draußen etwa zwölf Personen standen, die reglos durch die Glaswand starrten. „Besessene!“ rief Alex uns zu, „Geister!“
Und Edward stand noch draußen und war drauf und dran, von den Besessenen angegriffen zu werden. Ich rannte zur Tür und riss sie nochmal auf, damit Edward wieder hereinkommen konnte, während Totilas den panischen Jimanez beruhigte.

Wieder flog etwas – ein Drehstuhl diesmal – gegen die gläserne Trennwand. Die Scheibe zerbarst in tausend Scherben, und einer der Besessenen kam in das Büro gestiegen. Den schrie ich an, er solle sich gefälligst gegen die Besessenheit wehren, und tatsächlich hielt der Mann verwirrt inne.

Alex hatte indessen schnell entschlossen den Feueralarm aktiviert, und jetzt öffnete er das Fenster nach draußen. Warum, wurde uns im nächsten Moment klar, als wir den Fensterputzwagen sahen, der draußen an der Fassade baumelte und den Alex hektisch heranwinkte – der allerdings aber auch erstmal zu uns hinkommen musste. Währenddessen versuchten die Geister, zu uns hereinzukommen – ein Teil von ihnen behinderte sich dabei gegenseitig, aber sechs Besessenen gelang es, das Büro zu betreten. Drei davon zog Totilas auf sich, Edward bekam es mit zwei Gegnern zu tun, und einer davon blieb an mir hängen. Und von draußen drängten schon die restlichen Geister nach.

Der Fensterputzerkorb kam näher. Totilas wollte uns den Rückzug decken, was ihm aber nur mittelprächtig gelang. Mir selbst ging es aber auch nicht besser; ganz im Gegenteil: Ich hatte Jade zwar gezogen und mit einer kleinen geistigen Anstrengung wieder zum Schwert werden lassen und wollte meine Gegnerin – eine Frau in den Vierzigern im Business-Kostüm – jetzt mit dem Schwertgriff bewusstlos schlagen, aber mit einem Mal hielt ich plötzlich wieder nur den dunkelgrünen Füllfederhalter in der Hand. Keine Ahnung, was da los war, aber die unerwartete Panne brachte mich für einen Moment derart aus dem Tritt, dass meine Gegnerin mir eine Topfpflanze über den Schädel hämmern konnte. Glücklicherweise verletzte der Schlag mich nicht ernsthaft, aber für einen Moment sah ich Sterne, während Roberto Jimanez und den wieder zur Besinnung gekommenen Sebastián in die Gondel bugsierte. Bevor er selbst hinterherkletterte, tat Roberto irgendwas – ein Hilferuf an seine Orisha mit ziemlicher Sicherheit –, was das Büro, glaube ich, zum heiligen Boden werden ließ oder etwas in der Art. Denn von den jetzt hereindrängenden neuen Gegnern gerieten manche – leider nicht alle – in eine Art Besessenheits-/Unbesessenheitsschleife: Wenn sie hereinkamen, kamen sie mit einem Stutzen wieder zu sich und stolperten wieder aus dem Büro, nur um dort wieder in die Geisteraura zu geraten und so beeinflusst wieder ins Büro zu kommen, wo sie wieder sie selbst wurden... You get the drift.
Einer von ihnen allerdings ging ganz unbesessen auf mich los, um seiner noch unter Einfluss stehenden Kollegin zu Hilfe zu kommen, so dass ich mich beim Aus-dem-Fenster-Klettern mit zweier Gegner erwehren musste und gehörig in die Bredouille kam. Alex, der sich in den letzten Sekunden an der Klimaanlage zu schaffen gemacht hatte, kam mir zur Hilfe, indem er einen Schwall kalter Luft auf die beiden Besessenen lenkte, und das lenkte sie tatsächlich soweit ab, dass ich unbeschadet in den Fensterputzerkorb klettern konnte, bevor Alex mir folgte. Dummerweise gingen meine beiden Gegner dann aber direkt auf Edward los, so dass der jetzt sechs Geister um sich hatte. Er musste sich mit Gewalt losmachen und ließ sich im Vertrauen darauf, dass wir ihn auffangen würden, kurzerhand nach hinten aus dem Fenster kippen. Das gelang uns zum Glück auch tatsächlich, denn irgendwie glaube ich nicht, dass selbst ein Lykanthrop wie Edward einen Sturz aus dieser Höhe ohne richtig schwere Verletzungen oder Schlimmeres überstanden hätte.

Totilas, der bis zuletzt die Stellung und den Weg zum Fenster freigehalten hatte, konnte sich ebenfalls nur mit einigen Schwierigkeiten von seinen drei Gegnern lösen und in die Gondel steigen. Mit Jimanez, Sebastián und dem Fensterputzer waren wir zu acht in dem wackeligen Gerät, und zu allem Überfluss kamen zwei der Besessenen uns auch noch hinterher. Einer schaffte es und wollte auf Jimanez losgehen; der andere Besessene stolperte beim Herausklettern und fiel, wurde aber von Edward aufgefangen, der sich dazu gefährlich weit aus dem Korb lehnen musste. Ich packte Edward, um ihn zu stabilisieren, während Totilas die schwankende Plattform am anderen Ende ausbalancierte. Edward zog den Besessenen ebenfalls in den Korb – inzwischen waren wir zu zehnt in dem Ding, und es wurde ganz schön eng da drin –, musste ihn aber, weil der Mann ja weiterhin besessen war, aktiv unter Kontrolle halten.
Währenddessen trat Roberto Jimanez' Angreifer kräftig auf den Fuß, was diesen aber nicht weiter störte.
Inzwischen hatte unser Fensterputzkorb bereits ein Stück des Wegs zum Boden zurückgelegt, so dass die Besessenen oben nicht mehr an uns herankommen konnten. Aber sie fingen an, die Kabel durchzusägen, an denen der Korb befestigt war. Wir mussten uns beeilen!

Jimanez' Gegner ging jetzt auf Roberto los und wollte nach ihm treten, aber die Verhältnisse in dem Korb waren zu beengt, als dass der Mann großen Schaden anrichten konnte. Totilas wollte ihn in den Schwitzkasten nehmen und festhalten, aber das klappte in der Enge dummerweise genausowenig. Stattdessen machte Roberto Anstalten, sich mitsamt dem Besessenen durch das Fenster zu hieven, aber dafür reichte seine Kraft nicht aus, denn er blieb samt seinem Gegner halb drinnen, halb draußen hängen. Ich war am nächsten an den beiden dran, also half ich nach und schob Roberto und den Besessenen mit einiger Kraftanstrengung zurück ins Gebäude. Während Edward seinen Gegner weiterhin unter Kontrolle zu halten versuchte, kletterten erst Jimanez und dann Alex in das Büro. Drinnen wand Robertos Gegner sich aus dessen Haltegriff und kugelte ihm dabei den Finger aus, und auch Edward bekam in dem Gerangel mit seinem Geist eine leichte Verletzung ab.
Nachdem auch Jimanez' Angestellter Sebastián und der Fensterputzer im Gebäude waren, kletterte ich als nächster hinein. Ich sah, wie Robertos Gegner ihm gerade in einem weiteren Angriff die Schulter auskugelte, war aber zu weit weg, um groß eingreifen zu können. Auch Totilas wurde von seinem Besessenen angegriffen, aber der Schlag schien unserem White Court-Kumpel zum Glück wenig auszumachen. Es gelang ihm, seinen Gegner auszuknocken und ihn dann mit in das Büro zu ziehen, während hinter ihm der Fensterputzkorb krachend in die Tiefe stürzte, als das letzte angesägte Kabel riss.

Aber es war keine Zeit für mehr als ein kurzes Stoßgebet des Dankes. Edward steckte in Schwierigkeiten. Ich rief die Feenmagie nach oben und beschwor eine sommerliche Fata Morgana, um die Geister zu verwirren. Das gelang auch einigermaßen, oder zumindest so gut, dass Edward seinen Gegner mit Robertos Hilfe fesseln konnte. Auch dem Besessenen, den Totilas gerade betäubt hatte, banden wir die Hände. Sicher war sicher.

Aus dem Stockwerk über uns hörten wir aber schon die restlichen Geister die Treppe herunterkommen, es war also höchste Zeit, abzuhauen. Tatsächlich schafften wir es vor den Besessenen hinunter und vor das Gebäude, einen völlig verstörten Mr. Jimanez im Schlepptau. Er murmelte die ganze Zeit: „Ich hätte Automechaniker werden sollen. Ich hätte Auomechaniker werden sollen...“, und mir war in dem Moment schon klar, dass wir uns mit ziemlicher Sicherheit eine andere Künstlerin für die Ode an Miami werden suchen müssen.

Die Besessenen folgten uns nach draußen, und für einen Moment sah es so aus, als würden sie zögern, aber dann kamen die Angestellten in völliger Verwirrung wieder zu sich.
Der ganze Tumult war natürlich nicht unentdeckt geblieben. Vor dem Bürogebäude hatte sich eine Menschentraube versammelt; es wurden Fotos gemacht und Videos aufgenommen, und jemand hatte auch schon die Polizei gerufen. Zeugen wurden befragt, und die zwölf ehemals besessenen Büroangestellten wurden allesamt verhaftet. Wir wurden auch befragt, durften aber relativ bald gehen.

Als wir wieder unter uns waren, erzählte Alex, die Geister hätten alle das Halsband von Adlene getragen. Und er habe gesehen, wie der Anführer-Geist draußen vor dem Bürogebäude tatsächlich aktiv überlegt habe, dann aber offenbar zu einem Entschluss gekommen und verschwunden sei.
Unschön, Römer und Patrioten. Von Adlene haben wir lange nichts mehr gehört. Que demonios hatten dessen Geister gerade in diesem Moment in diesem Bürogebäude zu tun? Eigentlich kann Adlene noch nicht wissen, was wir am Calle Ocho Festival vorhaben. Aber vielleicht sollten wir trotzdem bei unseren nächsten Besprechungen irgendwie für magischen Abhörschutz sorgen.

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12. Januar

Edward wurde von seinen Kollegen heute noch einmal länger befragt, auch und gerade wegen seiner Rettungsaktion mit dem besessenen Angestellten an der Fensterputzgondel. Und seine Aktion hat auch die Medien erreicht: Es gab schon ein paar Anfragen wegen Interviews.
Die Besessenheit der Angestellten wurde offiziell als Massenpsychose durch Burnout deklariert. Und Jimanez wird wohl wirklich nicht länger als Künstleragent arbeiten – gerade weil es jetzt so dargestellt wird, als habe er zwölf seiner Mitarbeiter in den Burnout getrieben. Der Mann tut mir ein bisschen leid, aber ich glaube, er hat nach diesem Erlebnis von dem Job tatsächlich genug. Ich kann ihm nur wünschen, dass er bald eine andere erfüllende Aufgabe findet.

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16. Januar

Edward ist von Internal Affairs kontaktiert worden, sagte er heute. Die wollen sich demnächst mit ihm unterhalten. Allerdings ist bei ihnen viel zu tun, also machten sie jetzt schon einen Termin für März. Dreimal dürft ihr raten, für wann im März. Ahahahahaha.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 18.07.2019 | 11:05
Bloss dass du weisst, dass ich hier nach wie vor mitlese.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 18.07.2019 | 18:24
Das freut mich sehr, sindar! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 18.07.2019 | 18:27
Bloss dass du weisst, dass ich hier nach wie vor mitlese.

Und wir spielen am Samstag wieder - es geht also weiter! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 19.07.2019 | 15:48
Und wir spielen am Samstag wieder - es geht also weiter! :)

Ja, deswegen hatte ich mich ja so bemüht, das Diary der letzten Runde bis zur Session am Samstag noch fertig zu kriegen. Gar nicht so einfach bei den vielen anderen Dingen, die ich momentan so um die Ohren habe. :D Aber ich bin schon ganz gespannt, wie es weitergeht!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Selganor [n/a] am 19.07.2019 | 17:49
Wie das genau aussehen soll und wie wir das Loch in unser Ritual einarbeiten, das müssen wir  die Tage mit den anderen besprechen.
Ach, ich hab' da schon eine Idee... wobei ich da jemanden kenne dem das (mal wieder) nicht gefallen wird.
Titel: Re: Shiny, happy People
Beitrag von: Tante Petunia am 22.07.2019 | 13:08
Extra Shiny!  :d
Bin auch immer noch begeisterter Mitleser!  :d :headbang:
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 7.11.2019 | 09:04
Ricardos Tagebuch: Changes 2

20. Januar

Ich bin ein paar Tage nicht zum Schreiben gekommen. Ich habe auch immer noch viel um die Ohren, aber Zeit für einen Tagebucheintrag muss jetzt sein.
Bevor ich ins Detail gehe: Die Störung unserer Verhandlungen mit Mr. Jimanez war kein Zufall. Adlene lässt uns von seinen Geistern beobachten und stört systematisch unsere Anstrengungen. Aber davon gleich mehr.

Inzwischen haben alle angefangen, sich um ihren Teil des Rituals zu kümmern, und gerade passend (irgendwie mag ich nicht so recht glauben, dass das ein Zufall war) ist Edward ein Flyer in die Hände gefallen: von einer Parfümerie namens „Bottled Lost Dreams“, die wir wegen der Gerüche für das Ritual aufsuchen wollten.
Schon beim Lesen der Anschrift, einer Straße in einem reinen Wohnviertel, wurde uns klar, dass das „Bottled Lost Dreams“ keine normale Parfümerie sein würde. Und tatsächlich fanden wir an der Adresse ein ganz normales Wohnhaus, auch wenn es mit seinem etwas wild aussehenden Garten und seinem etwas abgewohnten Eindruck etwas aus der ansonsten spießigen Umgebung herausstach und tatsächlich einen leicht hexenartigen Eindruck machte. Tatsächlich kannten Edward und Alex die Namen der Besitzerinnen flüchtig: drei afroamerikanische Schwestern, vielleicht in den späten Sechzigern oder frühen bis mittleren Siebzigern, die zu den minor practitionern Miamis gehören.
Schon beim Betreten des Grundstücks bemerkte Alex auf der Straße einen Geist, den er anhand seines Halsbandes als einen von Adlenes Sklaven erkannte. Davon sagte er aber zu dem Zeitpunkt noch nichts, weil wir da gerade ins Haus gebeten wurden. Auch der Garten hatte bereits einen kleinen Threshold, den übernatürliche Gestalten ohne Einladung nicht überqueren konnten; der Threshold des Hauses selbst hingegen war richtig stark: Offenbar wohnten die Frauen schon lange hier und hatten eine starke Bindung zu ihrem Heim.

Nicht nur kannten Alex und Edward die Namen der drei Schwestern, die Damen kannten auch unsere. „Welche Ehre, von den schönen Männern besucht zu werden!“ verkündete eine von ihnen, was mir ehrlich gesagt ein bisschen peinlich war. Aber gut, wir sind ja tatsächlich seit einigen Jahren in Miami zugange, und es wäre albern zu glauben, dass unsere Aktivitäten völlig unbemerkt an den örtlichen Praktizierern vorbeigegangen sind.
Jedenfalls bekamen wir Kekse und Tee angeboten – oder Kaffee, was wir gerne annahmen, vor allem, weil es schon so verführerisch nach Kaffee duftete. Als ich diesen Gedanken aussprach, lächelten die alten Damen, aber von Roberto fing ich mir einen seltsamen Blick ein, den ich nicht so richtig deuten konnte. Überhaupt roch es jenseits des Kaffees ganz genau so, wie ich es mir in einem solchen Haus vorgestellt hatte: nach alten Büchern, nach leicht verstaubten Möbeln und einem Hauch von Potpourri.
(Später erfuhr ich allerdings, dass in diesem Moment tatsächlich jeder von uns etwas anderes gerochen hatte, und zwar offenbar genau das, was unseren Erwartungen entsprach.)

Als im Wohnzimmer der Kaffee vor uns stand, begann Edward, unser Anliegen zu schildern. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als es draußen am Gartentor klingelte. Alex sah aus dem Fenster, nickte grimmig  und fragte die Schwestern dann, ob ihnen der Name Joseph bzw. Jonathan Adlene bekannt wäre. Als sie das bejahten, gab er zu, dass wir ein gewisses Problem mit Adlene hätten und dass dieses Problem offenbar gerade vor ihrem Gartentor angekommen sei. Die Damen waren alles andere als begeistert und erklärten, wir sollten das Problem gefälligst loswerden.
Während Edward also weiter mit den Schwestern verhandelte, gingen wir anderen in den Garten. Dort standen vier Personen vor der Tür – keine Geister, denn wir konnten sie auch sehen. Aber die Leute waren besessen, wie Alex uns wissen ließ und wie wir anhand ihrer starren Blicke und reglosen Haltung auch selbst erkennen konnten. Und Alex sah auch noch weitere Geister, die sich in der Umgebung aufhielten und offenbar auf Leute warteten, von denen sie Besitz ergreifen konnten. Ein Mann hatte einen Hund dabei, der sein Herrchen misstrauisch anschaute und bellte. Dieser Mann musste es auch sein, der geklingelt hatte, denn gerade streckte er wieder die Hand aus und drückte jetzt anhaltend auf den Klingelknopf.
Ich ging hin und zog den Arm des Besessenen von der Klingel, was etwas schwierig war, weil ich dem Mann ja nicht wehtun wollte, und es half auch nicht viel, weil er daraufhin einfach mit der anderen Hand weiterklingelte.
Roberto packte den Mann und zog ihn in den Garten, und weil der Geist den Threshold nicht überwinden konnte, kam dessen Wirt drinnen einigermaßen desorientiert wieder zu sich. Wir erklärten das mit 'kurzzeitiger Verwirrtheit', und der Mann, der seine Nachbarn draußen stehen sah, vermutete selbst ein Gasleck oder etwas in der Art.
Uns war klar, dass er einfach wieder besessen werden würde, wenn er den Garten verließe, und schon klingelte eine andere Nachbarin Sturm. Es waren zu viele, um sie alle einzeln davon abzuhalten, also ging Alex hinein und schaltete kurzerhand die Klingel ab. Die Stille war himmlisch.

Im Flur besprachen wir uns kurz unter acht Augen (Edward sprach ja noch immer mit den Damen): Dass die Geister jetzt hier waren, bewies, dass Adlene uns gezielt beobachtet. Den Agenten Jimanez hatte er mit seiner Aktion bereits für uns verbrannt, das durfte bei den drei Schwestern möglichst nicht passieren.
Vielleicht wäre es am besten, wir würden die Geister glauben lassen, unser Vorhaben hier wäre fehlgeschlagen, dann würden sie hoffentlich auch verschwinden, wenn wir gingen.

Indessen hatte Edward verhandelt. Kurz gesagt: Die Damen langweilten sich. Und sie hatten ihre Träume verloren. Sie hatten ihre Träume nicht gelebt, als sie jung waren, aber sie würden gerne wieder wissen, wie es war. Deswegen wünschten sie sich Gesellschaft, oder genauer gesagt einen Gesellschafter oder eine Gesellschafterin. Da sie früher alle Künstlerinnen waren – eine Tänzerin, eine Malerin, eine Bildhauerin – wollten sie auch gerne ein Publikum bzw. ein Modell. Mindestens jemand, der sie besuchen würde, aber idealerweise jemanden, der bereit war, bei ihnen zu wohnen.
Der Gedanke wollte mir nicht so richtig gefallen, Römer und Patrioten. Irgendwie kamen mir dabei all die Geschichten in den Sinn, bei denen Menschen ein vermeintlich harmloses Abkommen mit Feen oder Hexen schließen und dann für hundert Jahre und einen Tag gebunden sind oder etwas in der Art. Wir würden sehr vorsichtig sein müssen, wen wir den Damen zur Gesellschaft fanden und wie wir den Handel formulierten. Aber wir versprachen, uns nach einer geeigneten Person umzusehen, und sobald wir jemanden gefunden hätten, wollten die Schwestern anfangen, uns die gewünschten Düfte zu brauen. Alles, was irgendwie zu Miami passt: vom Duft des Meeres über Damenparfum und Sonnencreme bis hin zum Geruch von Abgasen und dergleichen.

Um Adlenes Geister von den Schwestern abzulenken, ließen wir uns beim Gehen wie geplant mit erhobenem Gehstock und lautem Gezeter der Marke '… und kommt ja nie wieder!!“ von deren Gelände vertreiben. Beim Wegfahren drehten wir eine Schleife, um die Geister zu beobachten, und tatsächlich trieben die Besessenen sich noch etwas vor dem Haus der Schwestern herum und spielten noch eine Weile ihr Klingelspielchen, aber dann verzogen sie sich. ¡Que suerte!

Die Ereignisse bei den alten Damen brachten uns natürlich zum Nachdenken. Das Auftauchen der Geister dort bewies, dass Adlene zumindest irgendetwas weiß und uns deswegen beobachten lässt. Also riefen wir bei den anderen an, um zu fragen, ob die ebenfalls Probleme gehabt hatten.
Angel und Ximena waren für die magische Drohne ins Nevernever aufgebrochen und noch nicht wieder zurück, die erreichten wir also nicht. Dee und Cicerón Linares klangen am Telefon so, als hätten sie weniger Probleme mit Adlenes Geistern als miteinander. Aber eine beunruhigende Sache hatten sie tatsächlich zu berichten: Sie haben ja die Aufgabe, die Magie des Rituals in geordnete Bahnen zu kanalisieren und haben deswegen damit begonnen, an strategisch wichtigen Punkten Wards und Zeichen anzubringen. Ein wichtiger Teil dieses Netzes sind die Gullydeckel, bei denen sie die magischen Symbole einfach auf der Unterseite anbringen, wo sie keiner sieht, wo sie aber trotzdem genau den gewählten Straßen entlang den Weg bereiten. Und zahlreiche dieser markierten Gullydeckel waren einfach verschwunden, gestohlen worden. Da sind die beiden offenbar beobachtet worden, und dieser Jemand hat Gegenmaßnahmen ergriffen. Wieder Adlene? Eigentlich ist das nicht sein Stil, der bedient sich ja vor allem seiner Geister. Warden Declan? Der ist ja eigentlich in den Sümpfen verschollen... Stefania Steinbach vielleicht? Wir haben erst einmal keine Möglichkeit, dem auf den Grund zu gehen, aber wir dürfen das nicht aus den Augen verlieren. Und Dee und Linares müssen die Wards alle neu anbringen.

Und auch Ilyana Elder und Ximenas Partner Bjarki hatten in den Sümpfen tatsächlich eine unangenehme Begegnung: Sie hatten nach längerer Suche gerade ein Exemplar der Florida Rainbow Snake ausfindig gemacht und wollten ihren Fund soeben einsammeln, als einige seltsame Gestalten auftauchten und die Schlange einfroren. Das Tier starb, und Bjarki, der sich gerade in Schlangengestalt befand, wäre beinahe ebenfalls erfroren, wie Ilyana erzählte. Auf unser Nachhaken führte Ilyana noch aus, dass die 'komischen Gestalten' kleine Kerle mit Eismagie gewesen seien. Frostgnome? Ja, so könnte man sie wohl nennen.

Mierda. Ich wusste doch, dass die uns noch Ärger machen würden. Der Vorteil daran, dass wir die kleinen Mistkerle kennen, ist, dass wir wissen, wo wir sie finden, und dass wir relativ problemlos mit ihnen reden können, weil wir eigentlich bisher kein Problem mit ihnen haben. Also die anderen, genauer gesagt. Ich habe zwar in der Theorie eigentlich auch kein Problem mit ihnen, aber ich bin eben doch sehr vom Sommer geprägt, und auch wenn ich, anders als beim letzten Mal, meine Gefühle ihnen gegenüber inzwischen analysiert habe und daher einigermaßen weiß, was von meinem Sommermantel kommt und was von mir selbst, war es dennoch besser, wenn ich nicht mitging. Edward lehnte ebenfalls ab, der mag die Frostgnome genausowenig.

Nachdem die anderen aufgebrochen waren, googelten Edward und ich noch ein bisschen nach weiteren Möglichkeiten für die Geruchskomponente – oder besser ich googelte, weil das mit Edward und Technik ja inzwischen so eine Sache ist. Die Suche förderte nicht nur eine Marke von Lufterfrischern und Duftkerzen zutage (vielleicht eine Alternative, falls wir keine passende Gesellschaft für die alten Damen finden?), sondern auch einen Human Interest-Bericht von vor wenigen Tagen über ein junges Mädchen, das regelmäßig an Schönheitswettbewerben für Kinder teilnimmt und auch selbst ein Kinderparfüm namens „Miami“ kreiert hat. Der Bericht war aus Anlass eines Schönheitswettbewerbs veröffentlicht worden, der gerade heute stattfand, also fuhren wir kurzerhand hin.

Karten waren schnell gekauft, und ins Gespräch mit dem jungen Mädchen – Maureen heißt sie – kamen wir auch... oder besser mit deren Mutter, denn es wäre mehr als seltsam gewesen, wenn zwei erwachsene Männer eine Neunjährige angesprochen hätten. Der Anfang war ein bisschen holprig, denn zunächst hielt die Mutter uns für den Stylisten und den Garderobier. Dann, nachdem ich mich vorgestellt und sie mich als 'ah, der Schriftsteller' identifiziert hatte, schlug sie ihrer Tochter vor, ich könne doch Werbeträger für das Parfüm werden. Die Kleine, die überhaupt sehr erwachsen und fähig wirkte, rollte mit den Augen und schickte ihre Mutter ein Stückchen weg, weil sie selbst mit uns verhandeln wollte.
Ich erklärte also, warum wir gekommen waren – als Grund dafür, dass ich eine Flasche von ihrem Parfüm haben wollte, erzählte ich, dass meine eigene Tochter ungefähr im selben Alter sei wie sie und dass ich das Parfüm als Geburtstagsgeschenk für sie wolle. Wenig verwunderlich war das Mädchen etwas misstrauisch, also zog ich mein Portemonnaie heraus und zeigte ihr das Foto von Alejandra, das ich darin trage.
Das stimmte die Kleine etwas milder. „Okay, wenn Sie ein Betrüger sind, dann sind Sie wenigstens ein gut vorbereiteter Betrüger.“
„Wenn ich ein Betrüger wäre, würde ich mich hoffentlich gut vorbereiten“, erwiderte ich, „aber ich verspreche, ich bin keiner.“
Als das aus dem Weg war, fingen wir an zu verhandeln. Neben dem Versprechen, ihr das Parfüm nicht zu stehlen und zu vermarkten, wollte Maureen gerne eine geführte Tour bei einem renommierten Pharma- oder Chemieunternehmen, weil sie eben großes Interesse an und auch ein sehr früh ausgebildetes Talent für Chemie hat. Ich sagte, ich sehe zu, was ich machen kann, und wenn es mir gelingt, eine solche Führung zu arrangieren, dann will sie eine Flasche von dem Parfüm zu dem Treffen mitbringen.

Als wir zurückkamen, waren auch die anderen wieder da. Sie hatten die Frostgnome in der bekannten Lagerhalle angetroffen und nach einigem Verhandeln und Bezahlen mit Eiscreme herausgefunden, dass Fürstin Tanit ihnen den Auftrag gegeben hatte, die Suche zu sabotieren. Eine kurze Anfrage bei Ilyana und Bjarki ergab allerdings, dass die beiden ihres Wissens nach eigentlich kein Problem mit Winter im Allgemeinen oder Tanit im Speziellen haben. Die Jungs beschlossen also, direkt nachzufragen, und zwar bei Hurricane, weil an Lady Tanit selbst ja nur so schlecht heranzukommen ist.
Hurricane war extrem reserviert. Er bestätigte, dass die Gnome auf Tanits Befehl gehandelt hätten, wollte aber über ein „Wir vertreten unsere Interessen. Es gibt Sommer, es gibt Winter“ nicht sagen, warum, und auch Robertos Nachfragen ergab lediglich ein pikiertes „Tu nicht so, als ob du das nicht weißt“, bevor Hurricane davonstolzierte.

Erst bei unserer Nachbesprechung wurde uns mit einem Mal klar, warum Hurricane so gekränkt reagiert hatte: Bei unserer Ritualgruppe ist kein einziger Vertreter des Winters, oder auch nur jemand mit Affinität zum Winter, dabei!
Oh. Das haben wir schlicht nicht bedacht. Mierda.
Ich selbst bin zwar nicht in meiner Funktion als Sommerritter in der Gruppe, sondern als Privatperson und normaler Mensch, und ganz im Gegenteil sollen während des Rituals ja sämtliche Feen-Einflüsse so gut wie möglich unterdrückt und aus dem Ritual herausgehalten werden, aber ich gehöre halt nun einmal trotzdem zu Sommer. Für Lady Tanit und Hurricane muss das so aussehen, als grenzten wir Winter aus, während wir Sommer mit einbeziehen.
Wir überlegten lange herum, ob es jemanden gibt, den wir von Winterseite noch ins Boot holen könnten, aber es fiel uns schlicht niemand ein. Hurricane selbst ist ein Fae, und wir wollen nur Menschen dabei haben, eben wegen der Unterdrückung der feeischen Einflüsse. Mein Gegenpart für Winter, Yahaira Montero, ist vor allem im Nevernever unterwegs und kaum in Miami zu finden. Kirsten Lassiter vom Magierrat ist auf Eismagie spezialisiert und versteht sich gut mit den Winter-Sidhe, aber ihre Aussage, sie würde jetzt in Miami wohnen, bezog sich nicht auf heute, sondern die hatte sie, von dem Foto in der Ausstellung beeinflusst, als ihr 15-jähriges Ich gemacht. Catalina Snow, die Richterin des Winters, lebt auch nicht hier.
Tanit die Sache zu erklären und um ihr Verständnis zu bitten, geht aber auch nicht, denn dann würde es Pan erfahren, und den wollen wir möglichst vor vollendete Tatsachen stellen. Es más fácil pedir perdón que permiso, oder so. Also beschlossen wir schweren Herzens, dass es niemanden gibt, den wir von Winterseite hinzuziehen können, es sei denn, wir schaffen es doch noch irgendwie, Yahaira rechtzeitig zu erreichen. Versuchen wollen wir es jedenfalls. Wenn sie schon nicht mitmachen will, kann sie uns vielleicht wenigstens einen Ratschlag geben.

Im Gegenzug erzählte ich von meiner jungen chemiebegabten Bekannten und deren Parfüm und musste – natürlich – erst einmal ein paar blöde Sprüche von wegen Praktikum in einer Meth-Küche oder Führung durch Edwards magisches Alchimie-Labor ertragen. Aber auch den durchaus ernstgemeinten Vorschlag, die Kleine könne doch die Gesellschafterin der drei „Lost Dreams“-Schwestern werden („die machen auch Chemie und auch Düfte!“), wehrte ich ab. Die Kleine ist neun Jahre alt, por decirlo en voz alta, die hat Besseres zu tun, als in regelmäßigen, aufgezwungenen Abständen mit drei alten Damen herumzuhängen. Nein, für ihren Schnuppertag wird mir schon etwas einfallen.

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22. Januar

Mir ist etwas eingefallen. Meine frühere Kommilitonin Letitia arbeitet doch bei einem hier angesiedelten Pharmakonzern. Ich habe sie angerufen und ihr die Sache geschildert, und sie stimmte mir zu, dass eine solche Aktion gute Öffentlichkeitsarbeit für den Konzern wäre. Sie will versuchen, etwas zu arrangieren.

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Nachmittags. Letitia hat eben angerufen. Die Sache läuft. Freitag nachmittag nach Maureens Schulschluss.

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26. Januar

Heute war der Termin. Medienwirksames Treffen samt Pressepräsenz, bei dem die volle Human Interest- und Wunderkind-Story hautnah eingefangen wurde – natürlich lag der überwiegende Großteil des Fokus auf Maureen, aber Sheila hat es sich nicht nehmen lassen, nebenbei auch die 'arrangiert wurde dieses Treffen von Bestseller-Autor Ricardo Alcazár, dessen neues Buch kurz vor der Fertigstellung steht'-Karte zu spielen. Seufz. Aber das gehört halt dazu, und sie wäre keine gute Agentin, wenn sie an sowas nicht denken würde. Zum Glück beschränkte der Trubel sich größtenteils auf den Anfang und das Ende, während bei der eigentlichen Tour die Presse zwar dabei war und filmte, Maureen aber größtenteils in Ruhe ließ. Natürlich wurde sie interviewt, aber durch die Schönheitswettbewerbe hat sie ja schon Erfahrung und schlug sich tapfer. An mich hatten die Reporter auch ein, zwei Fragen, aber das war Routine.
Maureen hat auch tatsächlich angeboten bekommen, dass sie in ein paar Jahren ihr Praktikum bei dem Konzern machen und mindestens am 'Girls' Day', wenn nicht öfter, auch gerne immer schnuppern kommen darf. Der Kontakt ist also hergestellt, was mich freut – und nicht nur deswegen, weil Maureen mir am Ende des Besuchs wie versprochen eine Flasche ihres „Miami“-Parfums überreichte.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.11.2019 | 18:14
28. Januar

Habe ich eigentlich schon festgehalten, wie Totilas für das Ritual die Gegenstände beschaffen will, die Miamis Seele verkörpern? Er hat einen stadtweiten Aufruf gestartet, Römer und Patrioten, und zwar natürlich mit jeder Menge pro-Raith PR. Seit er Geralds Platz eingenommen hat, kann Totilas ja nichts mehr ohne pro-Raith-PR tun, kommt es mir manchmal vor.
Die Leute springen reihenweise darauf an - Totilas bekommt schon seit Tagen, ach was, Wochen, zahlreiche und begeisterte Reaktionen auf seine Kampagne, und Dutzende, wenn nicht Hunderte, spenden diejenigen Dinge, die für sie Miami verkörpern. Da ist es eher eine Frage des Aussortierens, welche von den Gegenständen für unser Vorhaben geeignet sind und welche nicht.

Und ein ganz anderes Thema: Edward wird verfolgt. Er hatte schon seit einer Weile den Verdacht, aber inzwischen ist er sich sicher. Er hatte erst an Internal Affairs gedacht, aber es ist immer dieselbe Frau, die er in seiner Umgebung sieht, und das spricht dagegen. Denn wenn es eine offizielle Operation von Internal Affairs bzw. eine professionelle Beschattungsaktion wäre, dann würden die Beamten sich abwechseln. Entweder sie wollen gesehen werden, oder die Frau beobachtet Edward alleine.

29. Januar

Edward hat bei der Arbeit ein bisschen recherchiert und herausgefunden, wer die Frau ist: tatsächlich eine junge Kollegin aus Internal Affairs namens Sarah Princeton, erzählte er. Nachdem er sie heute also wieder bemerkte, wartete er einen passenden Moment ab und sprach sie kurzerhand an.
Ms. Princeton war erst misstrauisch, dann aber doch bereit, mit ihm zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass sie Edward auf eigene Faust beschattete, nicht im Auftrag von Internal Affairs, weil sie sich selbst ein Bild von ihm machen wollte. Sie sagte ihm, dass bei Internal Affairs aktiv gegen ihn ermittelt werde – nicht, dass Edward das nicht schon gewusst oder zumindest vermutet hätte – und dass etliche Leute nur einen Vorwand suchten, um das Miami SID komplett schließen zu können. Aber Sergeant Book habe vor Jahren einmal ihrem Vater das Leben gerettet, und irgendetwas sei bei der Sache seltsam gewesen, also könne das SID eigentlich nicht völlig schlecht und unnütz sein. Aber für sie stelle sich die Frage, ob Edward korrupt sei – immerhin sei der Verbrecherboss Totilas Raith ein ständiger Kontakt.
Edward antwortete offen, dass er sich selbst nicht mehr ganz sicher sei, inwieweit er noch zu den Guten gehöre – manchmal müsse er, um die Stadt zu beschützen, Dinge tun, die eindeutig nicht in die Kategorie „gut“ fallen. Ms. Princeton hörte sich das aufmerksam an und erwiderte dann, aber immerhin habe er ihr nicht gedroht, wie er das ohne Weiteres hätte tun können, und dann trennten die beiden sich gütlich. Eigentlich ist das für Edward gar nicht so schlecht gelaufen, wenn ich mir das so überlege.

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1. Februar

Dallas Hinkle hat eben angerufen. Bei Alex ist irgendwas los. Später mehr.

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Abends. Tio. Leute gibt’s. Alex will ja einen Schlüssel für die Stadt anfertigen und sammelt zu diesem Zweck Unterschriften von Miamis Bürgern auf einer großen Metallplatte, die er dann zu dem besagten Schlüssel umarbeiten will, wenn ich das richtig verstanden habe. Dazu hat er sich an unterschiedlichen Tagen an unterschiedlichen Orten aufgestellt und eben Bürger unterschreiben lassen.

Als wir – Roberto, Edward und ich; Totilas war wieder mal mit Sortieren beschäftigt - ankamen, war Alex gerade in eine hitzige Diskussion mit einem Mann mittleren Alters verwickelt. Ich beteilige mich ja nur ungern an der Perpetuierung von billigen Klischees, aber der Mann war tatsächlich ein fleischgewordenes Beispiel für den herablassenden, männlich-chauvinistischen MAGA-Typus der klischeeträchtigsten Sorte. Späte Fünfziger oder frühe Sechziger, weiß mit rötlicher Gesichtshaut, kräftige Gestalt mit 'hallo hier komme ich'-Gebaren und entsprechend dröhnender Stimme. Ein echter Jefe de la Manada, wie Máma sagen würde, und das meint sie nicht im Guten.

Dieser unangenehme Typ jedenfalls hatte sich gerade ohne Aufforderung oder Erlaubnis auf Alex' Metallplatte verewigt, und zwar mit einem Schweißbrenner, wohlgemerkt, damit die Unterschrift auch ja permanent wäre. Weder Dallas noch Alex hatten ihn daran hindern können, und jetzt stand er da noch herum und war offenbar immer noch auf Ärger aus.

Statt uns – zumindest nach außen hin – aufzuregen, zuckten wir mit den Schultern und sagten, na gut, wenn er gerne ein Bürger Miamis sein wolle, bittesehr. Das sei er nicht, fuhr der Mann auf, er sei ein stolzer Bürger Chicagos! Warum er dann unterschrieben habe? Ein John T. Galway (es wunderte mich fast, dass da kein Zusatz mehr kam; ich hätte so fest mit einem 'der Dritte' gerechnet, aber okay, das war vermutlich der Schriftsteller in mir) könne doch wohl unterschreiben, worauf er wolle, das sei sein gutes Recht! Immerhin sei er Millionär und Geschäftsmann!
Okay, konterten wir, dann habe er sich jetzt wohl gerade zum Bürger Miamis erklärt. Auf ein gutes Leben hier. Waaaaas? Nein! Und damit zog der Typ empört ab.

Es war ja vergleichsweise harmlos, weil Alex gesagt hat, er kann die Unterschrift vermutlich wieder von der Platte entfernen, aber nervig war es doch. Und ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob das Zufall war, oder ob den Kerl jemand aufgestachelt hat. Ich meine, Schweißbrenner? Ernsthaft jetzt? Wer geht mit einem Schweißbrenner in der Stadt spazieren in der Hoffnung, dass er seine Unterschrift irgendwo verewigen kann? Nein. Honi soit qui mal y pense.

Aber diese Sache war nicht mal alles, was heute passiert ist. Es ging gerade so verrückt weiter.

Nachdem dieser Galway verschwunden war, fuhren wir zum Marbella, wo wir uns wie geplant mit Totilas treffen wollten. Schon mit etwas Abstand konnten wir sehen, dass da irgendeine Aufregung herrschte, und als wir näherkamen, erkannten wir auch, was da los war: Ein großer Alligator – ein Weibchen, wenn ich nach der schmalen Schnauze und der vergleichsweise kurzen Länge von unter drei Metern gehen durfte – bewegte sich zielstrebig und erschreckend schnell auf den Eingang des Hotels zu. Dort kam gerade Totilas heraus, gefolgt von einem aufgeregt gestikulierenden und auf Totilas einredenden jungen Mann der Marke Hinterwäldler aus den Everglades, und jetzt wurde auch sehr schnell klar, was es mit dem Alligator Run auf sich hatte, denn unser White Court-Kumpel hatte ein Alligatorbaby im Arm, das ihm ganz augenscheinlich der junge Glades-Billy für seine Sammlung hatte bringen wollen.
Die wütende Alligatormutter musste schleunigst hier weg, bevor sie irgendwelche Umstehenden anfiel – und dank Totilas' übermenschlicher Geschwindigkeit und Alex' Auto gelang das glücklicherweise auch ohne größere Zwischenfälle. Oder zumindest wurde niemand verletzt – offene Münder, aus dem Weg springende Passanten, entsetzt-erstaunte Ausrufe und t klickende Handykameras gab es zuhauf. Es muss aber auch ein Bild für die Götter gewesen sein, wie ein ausgewachsenes Alligatorweibchen da einem Van mit offener Tür hinterher stürmte, aus dem ein Jungtier gehalten wurde, so dass seine Mutter es sehen konnte.

Auch dieser Vorfall ging also soweit glimpflich ab, auch wenn ich mich wirklich frage, was den jungen Mann geritten hat, ein lebendiges Alligatorbaby spenden zu wollen. Okay, vielleicht verkörpert es Miami, aber trotzdem. Ein bisschen gesunden Menschenverstand müsste der Junge doch eigentlich gehabt haben...

Wie dem auch sei. Es wurde niemand verletzt, auf den Fotos ist hoffentlich niemand von uns konkret zu sehen, also alles grün. Aber, Tio, was für ein Tag.

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2. Februar

Und gleich noch so ein Tag für ein von Herzen kommendes „¿Que Demonios?“ Das heute hat die Seltsamkeitsskala gerade nochmal ein Stück nach oben erweitert. Andererseits... es war eine Fotoausstellung. Ich hätte es wissen können. Na immerhin stehe ich diesmal nicht mit einem geerbten Zelt da. Aber der Reihe nach.

Ich habe ja im November schon erwähnt, dass Roberto für das Ritual ein Miniaturmodell von Miami bauen will, in das er vielleicht auch die Leylinien der Stadt einzeichnen will. Um sich für diese Aufgabe inspirieren zu lassen bzw. darauf einzustimmen und Anregungen zu sammeln, hatte er schon vor einer Weile vorgeschlagen, dass wir die Fotoausstellung über Miami und seine Architektur ansehen sollten, die heute im Frost Art Museum eröffnet wurde.
Karten für die Eröffnung zu bekommen, war glücklicherweise kein großes Problem, auch wenn ich offen gestanden beim Gedanken an noch eine Fotoausstellung ein gewisses Unbehagen verspürte: So lange ist der Irma Relief Carnival noch nicht her. Wie bei uns so oft üblich, machten wir uns mit blöden Sprüchen Luft, und natürlich gingen wir hin. Anfangs war auch alles ganz normal – keinerlei Hinweise auf irgendwelche Beeinflussung durch Betrachten irgendwelcher Bilder, herzlichen Dank. Aber an einem Foto stimmte trotzdem etwas nicht. Es zeigte erkennbar den Strand von Miami, aber auf dem Bild waren Deiche zu sehen, außerdem Gebäude von ungewöhnlicher Bauweise. Ganz unbekannt waren sie mir aber nicht, auch wenn ich die palmgedeckten länglichen Häuser mit den offenen Seiten eigentlich in den Everglades-Kontext verortet hätte und nicht an den Strand von Miami: das waren Chickee-Hütten der Seminolen.

Wenn ja jemand Photoshop eingesetzt hatte, hatte er es sehr geschickt eingesetzt – aber die anderen Bilder der Ausstellung waren alle realistische Darstellungen Miamis, und das hier war das einzige mit erfundenem Motiv, auch wenn auf Anhieb keine Hinweise auf ein Bildbearbeitungsprogramm darauf zu sehen waren. Auf dem Schild unter der Fotografie war ein Name angegeben, also kauften wir uns einen Katalog der Ausstellung und schlugen dort die Informationen über die Künstlerin nach. Marijke Achthoven, hieß es da, sei in Miami geboren und ansässig und seit 20 Jahren als Fotografin mit Spezialisierung auf lokale Motive tätig. Ihr Ausstellungsfoto war im Katalog auch gezeigt – es war nur nicht das, was wirklich in der Ausstellung hing. Auch im Katalog zeigte das Bild den Strand von Miami, aber hier war nichts von Deichen und Chickee-Hütten zu sehen, sondern die ganz normale Skyline der Stadt, wie man sie erwarten würde.

Auf Nachfrage erfuhren wir, dass Ms. Achthoven bei der Vernissage anwesend sei, also ging Roberto sie suchen. Eine Weile später kam er mit der Künstlerin im Schlepptau zu uns zurück, und schon auf den ersten Blick war ersichtlich, dass sie verwundert und verwirrt wirkte. Sie fragte sich, warum alles so anders sei, warum hier auf einmal alle Englisch sprächen, und ob das Absicht sei und sie von irgendwoher mit einer versteckten Kamera gefilmt werde.

Okay, ich bin Schriftsteller. Eine blühende Fantasie gehört zum Berufsbild. Aber die Jungs dachten gleich genau dasselbe wie ich: Die Fotografin musste aus einem Parallel-Universum stammen.
Einige vorsichtige Fragen und Disclaimer im Stil von 'ja, ich weiß, es klingt verrückt, aber bitte schließen Sie den Gedanken nicht gleich komplett aus“ später hatten wir Folgendes herausgefunden: In Ms. Achthovens Version der Erde hatten die Holländer Miami kolonisiert, nicht die Spanier, und die Holländer hatten das Gebiet nie mit den Engländern getauscht. Holländisch und Seminolisch waren die Amtssprachen in Ms. Achthovens Florida, und es gab auch keine USA, sondern lediglich miteinander verbündete Einzelstaaten, vielleicht so wie die Europäische Union in unserer Welt – und keiner dieser amerikanischen Einzelstaaten war in irgendeiner Weise angelsächsisch geprägt.
Überhaupt gab es in ihrer Realität kein britisches Empire, nicht einmal in der Vergangenheit, sondern England war genau das: ein Teil der britischen Inseln, wo Schottland, Irland und Wales sich alle ihre Unabhängigkeit bewahrt hatten. Deswegen hatte sie in der Schule zwar Englisch gelernt, weil es einfach wie Französisch, Spanisch oder Deutsch eine Sprache war, die nützlich sein konnte, aber die alles überschattende Weltsprache war es nicht.

Es dauerte natürlich eine Weile, bis die Künstlerin bereit war, zumindest vorsichtig anzunehmen, dass das Ganze vielleicht doch kein ausgeklügelter Scherz war, aber spätestens, als als wir vor das Gebäude gingen, wo sie prompt wegen der schlechten Luft zu husten anfing (ich: „Lassen Sie mich raten. In Ihrer Welt gibt es seit 1915 keine Verbrennungsmotoren mehr?“ Ms. Achthoven: „Seit 1929, aber ja, genau!“), fing sie dann doch langsam an, uns zu glauben. Von uns fahren lassen wollte sie sich nicht, aber sie wollte gerne zum Strand und sich selbst ein Bild von der Stadt machen, wie sie hier aussah. Also kamen wir auf die Idee, Telefonnummern auszutauschen - was aber umgehend die Frage aufwarf, ob der anderen Realität überhaupt Handys existierten oder die mobile Kommunikation dort irgendwie anders (oder gar nicht?) funktionierte. Ergebnis: Ja, Handys existieren dort, grundsätzlich jedenfalls. Aber Ms. Achthovens war ein 'deVries', und von Samsung und Apple hatte sie noch nie gehört (von Nokia und Ericsson interessanterweise schon). Also gab Roberto ihr sein Handy, damit sie uns erreichen konnte, denn ihr deVries hatte, wen wundert's, keinen Empfang.

Irgendwann kam die Fotografin wieder zurück, jetzt restlos überzeugt von unserer Parallelwelt-Theorie, und jetzt konnten wir sie auch fragen, wie genau sie hierher gekommen war, bzw. ob sie sich an irgendetwas erinnern konnte, das der Auslöser für den Wechsel gewesen sein könnte. Sie hatte in dem Moment nicht ihr eigenes Bild betrachtet, erzählte sie, sondern eines mit Raumfahrt-Thema. Denn auch in ihrer Realität befindet sich in Florida eines der Tore zum Weltraum, wenn auch natürlich nicht unter dem Namen "Kennedy Space Center" oder auch nur "Cape Canaveral", sondern "<span class="tlid-translation translation" lang="nl"><span title="">Kaap van de Stromingen". Sie war allerdings verwundert, dass das Foto ein ihr völlig unbekanntes Motiv zeigte - laut Beschreibung hätte es eigentlich ein Bild von dem Raumfahrtzentrum sein sollen, aber stattdessen zeigte es ein Portrait von drei Männern in Raumanzügen mit einer ihr völlig unbekannten Flagge und einem Aufnäher mit den Buchstaben "NASA", was ihr gar nichts sagte. Als sie das Foto genauer betrachten wollte, verspürte sie auf einmal eine Art Drehen im Kopf, als würde ihr schwindelig, also schloss sie die Augen, um durchzuatmen, und als sie sie wieder öffnete, war sie bei uns gelandet. Das fiel ihr im ersten Moment gar nicht auf, aber dann hörte sie auf einmal nur noch Englisch um sich her, und auch die Kleidung der Museumsbesucher wirkte vom generellen Schnitt her irgendwie anders. Und als sie dann versuchte herauszufinden, was los war, wurde sie auch schon von Roberto angesprochen. </span></span>

Das eröffnete die interessante Frage, ob 'unsere' Marijke Achthoven jetzt gleichzeitig mit der anderen hier in unserer Welt existierte, oder ob es im Moment des Transfers einen Austausch gegeben hatte und sich 'unsere' Marijke Achthoven jetzt in einer Realität wiederfand, in der Niederländisch und Seminolisch die Landessprachen waren und es die Vereinigten Staaten nie gegeben hatte. Ein kurzer Anruf bei der hiesigen Ms. Achthoven und ein "Oh, Entschuldigung, falsch verbunden", als die Künstlerin sich mit Namen meldete, beantwortete die Frage zwar, aber so wirklich hilfreich war das leider trotzdem nicht. Es half uns zumindest nicht dabei, Marijke wieder zurück nach Hause zu bringen. Aber vielleicht, wenn wir uns dieses Weltraum-Bild auch einmal ansehen würden? Tatsächlich, wo laut Beschreibung eigentlich ein Foto von Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins auf dem Cape Canaveral-Gelände hätte hängen sollen, war statt dessen eine Luftaufnahme des Gebäudekomplexes zu sehen.

Totilas fing an, das Bild genauer zu untersuchen - und als er seinen Blick länger auf eine Stelle des Bildes richtete, sah es für einen Moment so aus, als würde er einfrieren, und dann war tatsächlich auch er mit einem Mal verschwunden.  Entsprechend waren wir anderen extrem vorsichtig und achteten darauf, unsere Augen beim Begutachten des Bildes ständig in Bewegung zu halten.
Zu unserem Erschrecken sah es so aus, als würde 'unser' Motiv des Fotos langsam durch das fremde Bild hindurch erscheinen, wie zwei übereinander gelegte Ebenen bei einem Bildbearbeitungsprogramm oder wie ein altes Negativ, das zweimal belichtet wurde. Und die drei Astronauten wurden immer deutlicher und die Luftaufnahme immer schwächer, wir hatten also nicht mehr viel Zeit!
Eiligst schickten wir also auch Marijke hindurch und beauftragten sie, sie solle unbedingt Totilas finden und ausrichten, er müsse schnellstmöglich zurückkommen, wenn er nicht für immer drüben festhängen wollte.
Es folgten einige Minuten bangen Wartens, während derer wir versuchten, das 'doppelt belichtete' Bild so gut wie möglich von den anderen Besuchern abzuschirmen, dann tauchte Totilas zu unserer großen Erleichterung wieder auf.

Jetzt, wo ich das Ganze niedergeschrieben habe, kommt es mir irgendwie unwirklich vor. Eigentlich sollte es mich nicht wundern; ich war in den paar Jahren an den unterschiedlichsten Orten des Nevernever, ich war in einer Welt aus gestaltgewordenen Träumen, und ich war in der Nachwelt des nordischen Götterglaubens - aber trotzdem. Parallelwelten. Echt jetzt?

Vielleicht würde ich ja sogar anfangen, an meinen Sinnen zu zweifeln (wobei ich das nicht glaube, dazu war das Erlebnis zu überzeugend), aber es gibt einen Beweis, dass wir uns das alles nicht nur eingebildet haben: Robertos Handy ist weg, und dafür hat er immer noch Marijkes deVries.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 29.03.2020 | 15:48
Ricardos Tagebuch: Changes 3

13. Februar

Totilas hat von seinem Vater gehört. Richards Pläne wegen Sancías Heilung haben Formen angenommen. Sie wollen ein Ritual durchführen, um Sancía ihre Seele wiederzugeben. Richard hat ein Treffen mit uns allen vorgeschlagen, weil sie unsere Hilfe bräuchten, wie sie sagten. Übermorgen im Dora's.

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15. Februar

Okay, das wird spannend. Einmal Xibalbá und zurück, Römer und Patrioten. Jedenfalls bete ich dafür, dass es keine Reise ohne Wiederkehr wird.

Aber der Reihe nach. Bei dem Treffen heute gab Richard uns erst noch einmal einen kleinen Grundkurs darin, wie das bei Rotvampiren mit der Seele funktioniert: In dem Moment, wo ein Red Court Infected einen Menschen tötet, übernimmt der Dämon, der seit seiner Infizierung in dem Gebissenen lauert, den Körper des Infizierten, und dessen Seele wird aus seinem Körper gezogen und gelangt nach Xibalbá. Auch Sancías Seele muss noch dort sein, und wir sollen sie herausholen, damit Richard sie in seinem Ritual wieder mit Sancías jetzigem Ich verschmelzen kann. Dann hätte sie den Blutdämon zwar immer noch in sich, aber er wäre von ihrer Seele temperiert und unter Kontrolle und sie wäre kein Monster mehr.

Der Rote König plane irgendwas, das wohl in knapp einer Woche steigen soll, sagte Richard, irgendein großes Ritual, das den Vampiren im Krieg gegen den Rat der Magier helfen soll. Sie wollen wohl offenbar deren Scharfrichter der Magier ausschalten, den Magier mit dem schwarzen Stab.
Uns fror allen das Gesicht ein, als Richard den Magier mit dem schwarzen Stab erwähnte. Ach. Sieh an. Der Arsch. Aber Arsch oder nicht, von den Rotvampiren umgebracht zu werden hat er nicht verdient. Jedenfalls aber, erklärte Richard weiter, solle dieses Ritual in Mexico stattfinden, und zwar in Chichén Itzá. Richard und Sancía können uns ein Tor ins Nevernever öffnen, und zwar wollen sie das ebenfalls in Mexiko machen, in Chichén Viejo, direkt unter der Nase des Roten Königs.

Das wird riskant, Römer und Patrioten. Aber um die Mutter unseres Kumpels zu retten, ist es das Risiko wert.

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18. Februar

Römer und Patrioten, wir haben die Musik für unser eigenes Ritual!
Und das kam so: Mamá hatte von diesem Konzert gestern abend gehört, das sie verlockend fand, aber Papá war mit seinen Freunden zu einem Spring Training-Spiel der Miami Marlins verabredet und wollte das nicht sausen lassen. Mamá war schon ganz enttäuscht und wollte ihr Konzert abschreiben, aber ich sagte ihr, ich begleite sie. Das war für sie etwas ganz Neues – eine abendliche Freizeitaktivität getrennt von ihrem Mann unternehmen! – aber ich konnte sie überreden, es doch mal in meiner Begleitung zu versuchen. Und weil ich erzählt hatte, dass ich nach Mexiko müsse – für eine Promotion-Aktion, versteht sich; jeglichen Hinweis auf Rituale und Vampire und dergleichen habe ich natürlich schön unterlassen – freute Mamá sich doppelt, vor meiner Reise noch etwas mit mir unternehmen zu können.

Langer Rede kurzer Sinn: Es spielte Band namens „Los Flamencos“, die Musik im Stil des Buena Vista Social Club machen. Das Konzert machte viel Spaß und die Flamencos waren richtig gut, also suchte ich hinterher kurzerhand den Kontakt und brachte mein Anliegen vor. Die jungen Leute waren sehr angetan von der Idee, beim Calle Ocho-Festival zu Feuerwerk aufzutreten, und versprachen, den Text meiner Ode an Miami mit einer Melodie zu versehen.

Ich war ganz erstaunt, dass das Gespräch mit den Flamencos völlig ungestört verlief – ich hatte schon befürchtet, dass Adlenes Geister uns wie bei unserem vorigen Versuch auf die Nerven fallen würden. Aber vielleicht hatten die mich in dem Moment gar nicht so sehr auf dem Schirm, weil ich nicht mit den Jungs, sondern mit meiner Mutter unterwegs war.

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20. Februar

Morgen vormittag soll es losgehen. Wir rechnen etwa 36 Stunden mit dem Boot bis Cancún, und von dort aus mit dem Auto weiter.
Den Rest der Genius Loci-Gruppe haben wir natürlich informiert, dass wir ein paar Tage weg sein werden. Die Reaktion: „Alles klar, aber macht nicht so lange.“ Ja, das versteht sich natürlich von selbst, dass wir uns eilen werden, so gut wir können. Aber noch haben wir ja Zeit.

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21. Februar

An Bord. Wenn wir alle nicht so angespannt wären, würde ich vielleicht in Versuchung kommen, das hier als kleine Urlaubstour zu genießen. Aber naja, wir haben ja noch ein bisschen Zeit. Und einfach auf's Meer zu schauen, ist schon irgendwie beruhigend.

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22. Februar

Wir sind in Cancún. Das Navigationsgerät sagt 2 1/2 Stunden bis Chichén Itzá. Ich glaube nicht, dass ich im Auto zum Schreiben kommen werde. Auf dem Rückweg vielleicht. Ansonsten, sobald wir wieder auf dem Meer sind. ¡Que Dios nos proteja en nuestro camino!

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23. Februar

Zurück auf dem Boot. Wir sind alle wohlauf, und wir haben Sancía und Canché. Also ihre Seelen, meine ich; ihre Körper hatten wir ja schon vorher.

In Cancún wurden wir von Richard, Sancía und zwei weiteren Rotvampiren in Empfang genommen: Sancías Vorfahrin Canché und einem hiesigen Vampir namens Pedro. Einige Red Court Infected waren auch dabei, allesamt Angehörige des Ordens von St. Giles – das ist dieser Orden der Infizierten, zu dem wir vor ein paar Jahren auch Ciélo und Ocean geschickt haben.
Mit einem Van und zwei Jeeps machten wir uns auf den Weg. Wegen des Tageslichts waren die Vampire im Van; wir anderen teilten uns auf die drei Fahrzeuge auf. Dabei stieg mindestens ein St. Giles-Infizierter in jeden Wagen, und sehr bald wurde auch deutlich, warum das so wichtig war: Man merkte ganz genau, dass die Gegend unter der Kontrolle des Roten Königs stand, und irgendwie war die Stimmung nicht nur in unserem Auto sehr angespannt, sondern auch denen Menschen draußen vor dem Fenster war die Nervosität ganz klar anzusehen.
Trotz der Anspannung, und obwohl wir mehr als einmal angehalten wurden, gelang es unseren Infected, uns mit der Erklärung, wir seien unterwegs zum großen Ritual des Roten Königs, durch die Kontrollen zu bringen.

Wir parkten auf dem großen Touristenparkplatz von Chichén Itzá, wo ein ganzer Bereich mit Schildern in mehreren Sprachen abgesperrt war, die vor „Bauarbeiten“ warnten. Ja klar. Y una leche. Da sollten natürlich die Touristen, die ja weiterhin den Ort besichtigten, von dem Red Court-Ritual ferngehalten werden. Dort ließen wir die beiden Jeeps stehen und fuhren nur mit dem Kastenwagen tiefer in den Wald hinein.

Die angespannte Stimmung, in der wir uns alle befanden, habe ich ja schon erwähnt. Das lag nicht zuletzt an den Patrouillen, die wir beobachten konnten, wie sie ihre Kreise um Chichén Itzá drehten und denen wir tunlichst aus dem Weg gingen. Sie lag daran, dass das Wetter seltsam war, irgendwie elektrisierend. Oder vielleicht war das auch nur Einbildung.
Aber der Trupp teilnahmsloser Gefangener, die gerade in Richtung Chichén Itzá getrieben wurden, war keine Einbildung. Die Menschen waren ebenso wie ihre Bewacher in Maya-Gewänder gekleidet, und es brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was sie am Ende ihres Marsches erwarten würde. Aber so sehr wir es hassten und so sehr wir an uns halten mussten, nicht aus den Autos zu springen und einzugreifen – wir hätten nichts tun können, und wir hatten eine andere Aufgabe, von der wir uns nicht abbringen lassen durften.

In Chichén Viejo stellten wir unseren Van an einer unauffälligen Stelle ab und warteten, bis es dunkel wurde. Dann trennte sich Canché von uns und machte sich auf den Weg zurück nach Chichén Itzá, zum Ritual des Roten Königs. Wir hingegen betraten mit Richard und Sancía den Ziggurat, während unsere verbündeten Red Court-Infected draußen und der Rotvampir Pedro drinenn bei den beiden älteren Raiths Wache hielten.
Bevor Totilas' Eltern uns das Tor ins Nevernever öffneten, machten sie uns noch klar, dass sie es bis Morgengrauen würden offenhalten könnten. Falls wir bis dahin nicht zurück wären, müssten sie es schließen und Sancía, die Vampirin, den Tag über schlafen. Wenn das passieren sollte, dann müssten wir eben den Tag über in Xibalbá durchhalten, bis sie das Tor wieder für uns öffnen würden.

Wie so oft, war der Schritt ins Nevernever hinein keine große Sache. Aber als wir einmal in Xibalbá waren, ließ sich diese Tatsache nicht übersehen. Da war der sternenlose, auch nicht schwarze, sondern irgendwie einförmig anthrazitgraue Himmel, da waren die Bäume, die so auf unserer Erde nicht existieren. Und da waren die Wege, die zu uns redeten und uns in die Irre führen wollten. Alex aber, der den Weg zum Glück kannte, ließ sich nicht beirren, und so kam irgendwann die Stadt Xibalbá in Sicht und dann auch immer näher.

Am Stadttor (ja, das war vom Aussehen her tatsächlich eine ganz normale Stadt mit Mauer) hielten zwei Männer Wache, die auf mich beinahe wie Abziehbilder wirkten – oder sagen wir vielleicht lieber wie zwei Comic Relief-Charaktere aus einem Animationsfilm. Sie wunderten sich etwas, dass wir als Lebende den Weg nach Xibalbá gefunden hatten, aber als wir ankamen, waren sie gerade dabei, die Vor- und Nachteile von Ballspielen und Autorennen zu diskutieren, und zu dieser Diskussion kehrten sie ziemlich schnell zurück und ließen sich davon noch eine Weile ablenken, bevor sie uns schließlich den Weg in die Stadt freigaben.

In der Stadt selbst war Ähnliches zu hören – kein Aufruhr, aber eben eine gewisse Aufregung und durchaus hitzige Diskussionen pro und kontra Ballspiele vs. Autorennen. Es war wie bei den Wachen am Tor: Manche standen auf dem Standpunkt, Autorennen seien neu und cool und interessant, andere hingegen vertraten die Ansicht, in Xibalbá müsse es Ballspiele geben, das gehöre so, während Autorennen, dieser neumodische Kram, sich nicht gehörten.
Architektonisch war Xibalbá übrigens sehr interessant. Da gab es viele Residenzen, die zwar aus einem einzigen Haus, aber aus zwei klar voneinander abgegrenzten Hälften bestanden – ein Zeichen dafür, dass Xibalbá von zahlreichen Zwillingsgottheiten beherrscht wird, darunter unser – ich will jetzt nicht sagen 'Freund', das trifft es überhaupt nicht, also lieber 'Bekannter' – Bekannter Ahalphu und sein Zwillingsbruder Ahalcana, zwei andere Maya-Götter namens Eintod und Siebentod und etliche andere.

Wir mussten uns etwas durch die Demonstranten drängen, die sich vor Ahalphus Residenzhälfte versammelt hatten, aber als wir erst einmal drin waren, freute die Pestgottheit durchaus, uns zu sehen. Natürlich fragten wir ihn nach der Menschenmenge draußen, und er erzählte, dass das Bewohner Xibalbás seien, die sich nicht mit den Autorennen abfinden, sondern zu den traditionellen Ballspielen zurückkehren wollten. Aber Ahalphu fand, die Diskussionen täten der Stadt gar nicht schlecht, dann sei wenigstens etwas los, und es werde nicht langweilig. Stimmt, Ahalphu war ja auch schon bei unserer ersten Begegnung ein großer Freund der Abwechslung.

Dann erzählten wir Ahalphu, weswegen wir nach Xibalbá gekommen waren: dass wir auf der Suche nach mehreren Seelen waren, die eigentlich nicht hier sein sollten, weil ihre Körper noch auf der Erde waren. Diese Information interessierte Ahalphu sehr – wenn dem so wäre, dann dürfte das eindeutig nicht so sein.
Er sagte uns, dass die Seelen der Verstorbenen, wenn sie nach Xibalbá kommen, zunächst in eines von sechs Häusern kämen und sich selbst daraus befreien müssten als Prüfung, ob sie Xibalbás würdig seien.
Wenn sie nicht schon ihren Weg hinaus gefunden hätten, dann wären die Seelen derer, die wir suchten, also vermutlich in einem dieser Häuser. Alex erklärte sich noch bereit, Ahalphu später noch seine Rennbahn aufzurüsten und zu verbessern, aber erst einmal mussten wir die Seelen suchen gehen.

Seine Verbindung zu Sancía führte Totilas tatsächlich zu einem der sechs... wie nenne ich sie? Seelenhäuser?... Seelengefängnisse, die Ahalphu erwähnt hatte.
Drinnen war es kalt. Eiskalt. Übernatürlich kalt. Niemand war zu sehen, aber es war etwas wie die Gegenwart von … etwas zu spüren, auch für uns, die wir hier niemanden suchen wollten.
Tatsächlich fand Totilas sowohl seine Mutter als auch deren Vorfahrin, dazu auch Pedro, der ebenfalls aus der Linie der Canché stammte. Vorher war jeder von ihnen alleine in seiner eigenen Phase gewesen, aber jetzt, wo sie alle beisammen und bei ihrem Nachfahren waren, konnten sie auch einander sehen und miteinander interagieren. Alle drei Seelen waren auf dem Stand ihrer Vampirwerdung, was bedeutete, dass die Sancía hier gar nicht wusste, dass Totilas inzwischen selbst zum Vampir geworden war – und genausowenig wusste sie, dass sie, bzw. der Dämon in ihrem Körper, ihrem Sohn einmal das Herz herausgerissen hat. Entsprechend schockiert war sie, aber vielleicht, weil sie sich das nicht so recht mit sich selbst in Verbindung bringen konnte, oder vielleicht auch, weil es gerade Dringenderes gab, nahm sie die Nachricht für den Moment vergleichsweise gelassen auf, und wir sahen zu, dass wir hier verschwanden.

Draußen vor dem Haus hatten die Demonstrationen und der Menschenauflauf zugenommen. Direkt als wir herauskamen, wurden wir von einer Gruppe militärisch aussehender Personen aufgehalten, die sich als Soldaten der beiden Blutgötter Chirikimat und Kuchumatkik – 'vergrindete Wunde' und 'Bluterguss', wer es unbedingt wissen will – zu erkennen gaben. Die Soldaten herrschten uns an, weil wir die Herausforderung nicht alleine angegangen wären, hätten wir die Prüfung nicht bestanden, und wollten uns zurück in das Haus drängen.
Wir erwiderten, wir seien ja nicht tot und unterlägen somit nicht den Auflagen Xibalbás, und wir könnten das Ganze ja vor die obersten Götter bringen, wenn die Krieger sich nicht sicher seien, was sie tun sollten.
Die Auseinandersetzung erregte einiges an Aufsehen unter den Umstehenden, die immer näher kamen und die Szene mehr als interessiert beobachtete, und so wagten die Soldaten es nicht, so recht, die Sache weiter zu verfolgen, und ließen uns ziehen.

Aber auch dann kamen wir nicht gänzlich ungehindert zurück zu unserem Ziel, denn auf halbem Weg stellte sich uns eine junge Frau, kaum mehr als ein Mädchen, in den Weg. Sie stellte sich als Maiskorn vor, Tochter des Zwillingsgottes Siebentod, und sie war extrem neugierig. Sie stellte uns eine Menge Fragen: Wer wir seien, was wir hier machten, warum wir gekommen seien. Sie grillte uns regelrecht, auch wenn sie dabei höflich und freundlich blieb. Sie sagte, sie habe das Gefühl, etwas stimme hier nicht, und sie wolle dem auf den Grund gehen.
Wir gaben ihr offen Auskunft, dann kehrten wir endlich zurück zu Ahalphus Residenz. Dort stellten wir dem Seuchengott die drei Seelen vor, die wir aus dem Haus der Prüfungen gerettet hatten, und Ahalphu stellte auf einen Blick fest, dass sie tatsächlich nicht hierher gehörten. Er fragte sich, wie das kommen könne, und wir erzählten ihm von den Rotvampiren und dem Roten König, der nach allem, was wir wussten, schon Jahrhunderte alt war und aus Mesoamerika stammte.
Aus unserer Beschreibung und nach einigen Nachfragen seitens stellte sich heraus, dass der Rote König offenbar Camasotz war, einer der niederen Götter Xibalbás. Der habe auf der Erde nichts zu suchen, erklärte Ahalphu ungehalten; er werde das untersuchen und sich der Sache annehmen.

Was jetzt allerdings unseren Rückweg beträfe, so könne der schwierig werden, weil uns vielleicht die Anti-Autorennen-Protestierer angreifen könnten. Am besten wäre es, so Ahalphu, wenn wir unter so viel Aufsehen wie möglich und in Begleitung einer großen Eskorte die Stadt verlassen würden.
Genauso machten wir es auch: Eine Gruppe von Rennfahrern führte uns bis vor das Tor, wo es sicher war, dann kehrten sie um, und wir setzten unseren Weg alleine fort.
Der Rückweg war auch nicht mehr so verwirrend wie die Gegenrichtung, einfach weil wir die Gegend jetzt schon kannten – aber vor allem, weil die Wege nicht mehr versuchten, uns in die Irre zu leiten. Sie waren nur etwas verwirrt, weil wir uns von der Stadt entfernten und nicht dorthin reisen wollten, aber sobald Alex ihnen klar machte, dass das Absicht war, gaben sie Ruhe.

Das Tor zurück in unsere Welt war noch da – offenbar waren wir entweder nicht so lange fort gewesen, oder es war schon die nächste Nacht. Aber das fühlte sich irgendwie nicht so an.
Auf der anderen Seite war alles ruhig und wie erwartet. Während Canchés Seele losflog, um ihren Körper zu suchen (was natürlich nur Alex sehen, wir anderen uns aber denken konnten), ließ die Wiedervereinigung mit ihren Seelen Sancía und Pedro unter dem emotionalen Ansturm taumeln und ziemlich die Orientierung verlieren, so dass Richard seine Frau stützen musste und Roberto Pedro half.
Eigentlich hatten wir vorgehabt, in der Nähe des Autos in Deckung auf Canché zu warten, deren Vampir-Ich ja das Ritual des Roten Königs hatte ausspionieren gehen wollen und die versprochen hatte, so bald wie möglich zu uns zurückzukommen. Aber vermutlich würde Canché durch die Wiederbeseelung ähnlich desorientiert werden wie die anderen beiden Vampire, also würde sie höchstwahrscheinlich Hilfe benötigen.
Wir hatten gerade beschlossen, nach Chichén Itzá zu schleichen und zu sehen, ob und was wir für sie tun konnten, da ging etwas durch den Wald. Ein metaphysischer Ruck, eine magische Druckwelle, besser kann ich es nicht beschreiben, und Sancía und Pedro kippten davon um wie gefällte Bäume. Aber – und das war seltsam für Rotvampire – sie waren am Leben, und damit meine ich wirklich Leben: Beide hatten einen langsamen und schwachen, aber gleichmäßigen Puls.

Jetzt mussten wir erst recht nach Chichén Itzá. Wir, damit meine ich uns fünf: Richard Raith wollte natürlich seine Frau nicht alleinlassen, und unsere Red Court Infected, die ebenfalls von der übernatürlichen Erschütterung erfasst worden waren und sich erst langsam wieder zu erholen begannen, blieben auch lieber am Auto zurück.

Uns bot sich ein seltsames Bild. Als wir uns der Kultstätte näherten, sahen wir zahlreiche Personen, die völlig verwirrt wirkten und sich kein Stück um uns kümmerten – vermutlich ebensolche Infizierte wie unsere eigenen Verbündeten –, aber keinen  echten Rotvampir. Wir fanden Canché auf den Stufen der Pyramide, genauso reglos wie Sancía und Pedro, aber genauso am Leben.
Mit vereinten Kräften schafften wir Canché zurück zum Auto, und dann sahen wir zu, dass wir von dort verschwanden.

Die Fahrt verging erstaunlich ereignislos und ohne Probleme – es gab keinerlei Patrouillen mehr, keinerlei Straßensperren, aber dafür sahen wir erstaunlich viele Menschen, die entweder verwirrt umherstreiften oder beinahe verwundert aus ihren Häusern schauten, als hätten auch sie gemerkt, dass etwas anders war.
Und es war tatsächlich etwas anders: Als sie sich soweit wieder erholt hatten, wurde sehr schnell klar, dass unsere Verbündeten nicht mehr infiziert waren. Sie konnten es spüren, sagten sie - sie hatten keinerlei Verlangen mehr nach menschlichem Blut, und sie hatten auch keine der übernatürlichen Fähigkeiten mehr, die sie als Infizierte schneller und stärker gemacht hatten. Was auch immer da geschehen war, es hatte den Vampir-Anteil in ihnen ausgelöscht.
Wir kamen ungehindert zurück nach Cancún, wo wir uns von den St. Giles-Leuten trennten, die hier etwas Ordnung in das entstehende Chaos bringen wollten. Sie behielten auch Pedro bei sich, der ja ebenfalls hier lebte, der aber wie Sancía und Canché noch immer ohne Bewusstsein war. Wir kamen auch ungehindert zurück auf unser Boot, ungehindert aus dem Hafen... und da sind wir jetzt, unterwegs zurück nach Hause. Richard weicht nicht von Sancias Seite, und auch Totilas ist häufig bei seiner Mutter in der Kabine. Hoffentlich wachen Canché und sie bald auf!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.05.2020 | 17:14
Ricardos Tagebuch: Changes 4

26. Februar

Zurück in Miami. Zeit zum Nachdenken.

Sancía und Canché kamen noch auf dem Boot wieder zu sich, und beide haben, wie sage ich das, ihre Menschlichkeit zurück, sind keine Vampire mehr. Das muss daran liegen, dass ihre Seelen schon wieder in ihrem Körper waren, als das was-auch-immer-es-war dem Rest des Red Court passierte. Denn alle anderen Rotvampire sind verschwunden. Robertos Bekannte Lucia. Orféa Baez, die Anführerin des Red Court. Felipe Gomez, dieser Barbesitzer, dem wir zuletzt im September bei dem Wohltätigkeitsjahrmarkt wegen Hurricane Irma begegnet waren. Überhaupt ist das Whispers komplett verlassen, und es sieht wirklich so aus, als gebe es zumindest in Miami, wenn nicht auf der ganzen Welt, keinen einzigen roten Vampir mehr. Huh. Ob das Ahalphu zu verdanken ist? Hat er vielleicht eingegriffen und Camasotz zurück nach Xibalba geholt, und alle Rotvampire gleich mit?

Sobald uns das klar wurde, haben wir natürlich den Rest unserer Ritualgruppe darüber informiert, dass sich offenbar gerade ein ziemliches Machtvakuum aufgetan hat. Das ist etwas, in das niemand unvorbereitet reinlaufen sollte, auch wenn wir nicht alle von denen unsere Freunde nennen. Pan berichtete ich natürlich ebenfalls darüber, wobei dem das relativ egal war, solange noch genug andere Quellen bleiben, um seinen Hof mit Partydrogen zu versorgen. Ach, seufz.

Ach ja, aber eine rundherum gute Nachricht gibt es: Macaria Grijalva, die ja letzten September bei dem Kampf an der Waystation von einem Rotvampir gebissen worden war, ist auch nicht mehr infiziert.

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28. Februar

Hm. Unser Freund Adlene gibt keine Ruhe. Seit wir zurück sind, gab es weiterhin jeden Tag mindestens einen, aber häufig auch mal mehr als einen, Angriff von zufälligen Leuten, die von irgendwelchen Geistern übernommen werden und dann versuchen, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen – ganz egal, ob wir gerade in Sachen Ritual unterwegs waren oder nicht. Das nervt. Wobei... vielleicht waren die Geister auch gar nicht von Adlene geschickt. Alex hatte den Verdacht, dass da vielleicht eher Adlenes Kumpan Jak seine Finger im Spiel haben könnte.
Aber apropos Jak: Kuchen ist in letzter Zeit keiner mehr aufgetaucht, zumindest nicht so, dass wir davon wüssten. Von Spencer Declan und Pater Donovan fehlt auch weiterhin jede Spur – die stecken vermutlich immer noch in den Sümpfen fest. Nicht zu wissen, was mit den beiden los ist, beunruhigt mich immer noch, aber wir können nun mal nichts daran ändern, falls sie da drinnen wirklich irgendwelche Fiesheiten anstellen, und können nur hoffen, dass sie da nicht mehr rauskommen.

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2. März

Sagte ich vorgestern, die Geisterangriffe nerven? Die Winterfeen nerven auch. Da kommen seit ein paar Tagen auch ständig welche an und wollen sich mit mir anlegen. Warum? Na, weil ich Sommer bin und sie Winter, natürlich. Blöde Frage. Brauchen sie etwa einen anderen Grund? Haha. Es ist ihnen zwar nicht bisher nicht gelungen, mir 'die Fresse zu polieren', wie sie das wollen, aber trotzdem. De madre, ernsthaft.

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3. März

Mehr beunruhigende Nachrichten. Das Machtvakuum zeigt Auswirkungen: Es ist ein regelrechter Bandenkrieg ausgebrochen, komplett mit Gewalt und Straßenkämpfen, mit Verletzten und Toten. Wir hatten ja erwartet, dass so etwas passieren könnte, und haben uns und unsere Freunde und Verbündeten darauf vorbereitet, aber trotzdem hat Edward, hat das gesamte Miami PD, in gewissen Bereichen der Stadt alle Hände voll zu tun, und auch für uns bedeuten die Auseinandersetzungen Stress und Sorgen.

Für mich persönlich jetzt gar nicht so direkt, auch wenn ich mir natürlich Sorgen um die Familie mache.
Aber alles in allem ist die Lage gerade einfach ziemlich unsicher, und vor allem Totilas und Cicerón Linares haben im Moment einiges damit zu tun, ihr jeweiliges Revier zu verteidigen und beisammenzuhalten.
(Also nicht, dass es mir nicht deutlich lieber wäre, wenn die Geschäfte unseres White Court-Kumpel nicht ganz so illegal daherkämen, aber naja. Daran kann ich wohl auch nicht so wirklich etwas ändern.)

Von anderswo kommen die Informationen in bezug auf den verschwundenen Red Court und die daraus folgende Lage auch nur tröpfchenweise, nur ist inzwischen das Gerücht aufgekommen, dass der Magierrat irgendwie das Verschwinden des Red Courts zu verantworten habe. Aber es sieht anderswo wohl ganz ähnlich aus wie hier, und in Mittel- und Südamerika scheint unter den Drogenkartellen völliges Chaos zu herrschen. Aus Kuba ist nichts Spezielles zu hören, aber ich muss immer wieder an Enrique denken und frage mich, wie es dem wohl geht. Und ob Ciélo Canché durch das Ereignis jetzt ebenfalls kein Red Court-Infected mehr ist. Wenn dem so wäre, und wenn es bei Ocean Raith wirklich wahre Liebe zu Ciélo war und sie deswegen ihren White Court-Dämon losgeworden ist, dann haben die beiden vielleicht jetzt endlich die Chance auf ein ganz normales Leben. Ich hoffe und wünsche es ihnen. Falls nicht Ocean schon vor Jahren wegen der wahren Liebe zu einem normalen Menschen wurde und Ciélo dann seinem Blutdurst nachgegeben und sie umgebracht hat. Oh Ciélo – in beiden Bedeutungen des Wortes – ich hoffe nicht! 

Aber apropos Canché: Ciélos Vorfahrin hat auch ganz schön zu knabbern. Da ist sie jetzt, die Seele eines 17-jährigen Maya-Mädchens, in einer völlig unbekannten neuen Welt, in der sie sich erst einmal zurechtfinden muss. Wenigstens hat ihr Körper die Erinnerung an die englische Sprache beibehalten, sonst wäre sie völlig aufgeschmissen. Momentan sucht sie vor allem viel Halt bei Sancía, die aber ebenfalls mit der neuen Situation zurechtkommen muss, wenn auch der Schnitt für Totilas' Mutter nicht so extrem ist wie für Canché. Sie und Richard müssen jetzt beide erst einmal wieder richtig zueinanderfinden, wirken aber beide sehr glücklich und sehr verliebt. Es tut gut, das zu sehen.

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4. März

Ich habe es ja schon im Januar geschrieben: Internal Affairs hat Edward genau für den Tag des Calle Ocho-Festivals zu diesem Verhör Termin geladen.
Einfach ignorieren will Edward die Vorladung natürlich nicht, aber hingehen geht halt eben auch nicht, wenn wir das Ritual nicht riskieren wollen. Wir brauchen Edward dabei; der ist ein unabdingbarer Teil derjenigen von uns, die die Magie wirken müssen. Und selbst wenn er keine direkte Magie dabei wirken würde – so wie ich beispielsweise – wäre er immer noch Teil der Genius Loci-Gruppe und des großen Ganzen.

Also hat Edward Marshal Raith um Rat gefragt. Der ist selbst zwar Fachmann für Steuerrecht, aber er hat Kontakte und kannte da wen. Dieser andere Anwalt hat Edward gestern folgende rechtlichen Empfehlungen gegeben:
Am besten soll er den Termin wahrnehmen. Falls das partout nicht ginge, hätte er mehrere Optionen.
Er könnte den Dienst bei der Polizei quittieren, das ginge natürlich immer. Dann könne es allerdings sein, dass Internal Affairs den Fall an die normale Polizei abgebe. Aber die normale Polizei wolle den Raiths ja schon lange ans Bein pinkeln, und das sei auch noch nicht passiert.
Seine Empfehlung sei, dass Edward sich im Zuge seiner Arbeitsverrichtung anschießen lasse und dann deswegen aus dem Polizeidienst ausscheide. Oder sonst einen triftigen Grund zu finden, den er angeben könne, warum er das Miami PD verlasse, und eben nicht nur, weil er das Gespräch mit Internal Affairs vermeiden wolle.

Edward will jetzt versuchen, den Termin auf nach dem Ritual zu verschieben.

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5. März

Wir haben beschlossen, das wir Adlenes Geister ablenken müssen. Nicht nur bringen sie Unschuldige in Gefahr und stören uns bei den Vorbeitungen; das Ritual selbst könnte auf dem Spiel stehen, wenn sie uns dabei unterbrechen.
Also hatte Alex die brilliante Idee, dass wir es so aussehen lassen könnten, als sei das, was wir da vorgehabt hatten, schon gelaufen, dass unsere großen Vorbereitungen eben darauf abzielten, bei der Entstehung des Machtvakuums zu helfen. Der Weiße Rat darf gerne den ganzen Ruhm einheimsen, den die Gerüchte ihm zugestehen, aber wir wollen diese Gerüchte noch dadurch ergänzen, dass wir den Ratsmagiern mit unseren Anstrengungen ein bisschen unter die Arme gegriffen haben, dass diese Anstrengungen jetzt aber vorüber sind. Kein Grund also, uns länger anzugreifen. Wir sind ganz unschuldig *pfeif* *träller*.
Alex will das Gerücht unter seinen Geisterkontakten verbreiten – mal sehen, ob es hilft.

Ach ja, und Edward hat es geschafft, die Vorladung auf in drei Wochen zu verlegen. Offenbar hat er dafür auch 'nur' die persönliche Assistentin des Commissioners bestechen müssen, die den entsprechenden Kalender pflegt. Mit Geld? Mit einem Date? Mierda. Ich will es gar nicht wissen.

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7. März

Halfðan hat eben angerufen – sie hätten einen Winterriesen getötet, sagte er, direkt außerhalb von Pans Domäne.
Auf mein Nachfragen erzählte er, am Strand hätten in der echte-Welt-Nevernever-Grauzone ein paar Studenten um Hilfe gerufen, weil ein Ungeheuer einen ihrer Freunde weggeschleppt hätte. Als die Einherjer dem Ruf gefolgt seien, hätten sie einen hässlichen Riesen besiegt, der dann zu Matsch und Knochen zerfallen sei. Ja, die Knochen seien noch da, Halfðan und seine Einherjer hätten nur ein paar davon weggenommen, um sich Trophäen daraus zu schnitzen. ¡Ay, comemierdas!
Man nimmt doch nicht einfach irgendwelche unbekannten Knochen, ohne dass man weiß, was die für magische Eigenschaften haben!

Ich fahre dann mal los.

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Abends. Wieder zuhause.

Das Skelett der Kreatur war tatsächlich noch da, als wir ankamen. Sowohl die Knochen als auch der Schädel waren grob humanoid, wenn auch größer als bei einem Menschen und etwas verkrümmt. Aber wenigstens trugen sie keine offensichtlichen Anzeichen von Outsidern oder dergleichen, so dass sich meine Sorgen angesichts der Trophäen, die Halfðan und Co. sich weggenommen hatten, etwas schwanden.

Trotzdem wollten wir gerne wissen, um was genau es sich bei diesem Ding handelte – mit Halfðans Beschreibung konnten wir nämlich nicht so richtig viel anfangen, und Wesen, die mit ihrem Tod zerfielen, fielen uns auf Anhieb auch keine ein.

Edward schlug vor, dass wir ein Ritual durchführen könnten, um die Gebeine zu analysieren. Natürlich tat er das. Aber es war ja keine schlechte Idee, vor allem, da wir uns ja gerade in Pans Palast befanden und eine Verbindung zum Nevernever hatten, was ja höchstvermutlich die Heimat des Riesen war.
Während von Roberto Räucherkerzen abbrannte, die eine eine hypnotische Stimmung erzeugen sollten, und ich mit zwei der Knochen einen passenden Rhythmus trommelte, versenkte Edward sich in eine meditative Trance und beschwor ein Bild davon herauf, wo die Ungeheuer herkamen. Er hatte eine Vision von einer kargen, öden Gegend voller Krater, als hätte dort gerade ein heftiger Krieg getobt. In diesem wüsten Land streiften Riesen wie der, den Halfðan beschrieben hatte, und bekämpften sich, wann immer sie einander begegneten, indem sie einander mit Dingen bewarfen: mit riesigen Felsbrocken, mit Bäumen, die sie aus dem Erdboden rissen, und so weiter; deswegen war es dort auch so wüst und leer. Wenn sie anderen Wesen begegneten als Angehörigen ihrer eigenen Art, dann fraßen sie die auf. Charmante Zeitgenossen, ¡de verdad!

Es steht zu befürchten, dass wir von den Gestalten nicht zum letzten Mal etwas gesehen haben, aber wenigstens ist dieser hier erledigt, und der Winterhof war heute auch erstaunlich friedfertig. Mal sehen, wie lange das so bleibt.

Ach ja, und wo wir ohnhin in Pans Palast waren, ging ich natürlich meinem Herzog meine Aufwartung machen, und meine Patenkinder besuchte ich auch gleich mit. Sindri geht es gut, und Edwina Ricarda ist gerade in einem richtig goldigen Alter.

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11. März

Es ist soweit. Das Calle Ocho-Festival! Das Ritual ist zwar erst heute Abend – das Feuerwerk soll um 20:00 stattfinden –, aber bis dahin gibt es noch viel zu tun. Lidia und die Mädchen wollen natürlich zum Festival kommen, und das Feuerwerk können sie auch gerne noch mit ansehen, aber ich bin ziemlich froh, dass Lidia sie gleich anschließend nach Hause und ins Bett bringen wird. Ich habe Lidia in groben Zügen erzählt, was wir vorhaben, damit sie sich nicht wundert, dass ich nicht mit ihr und den hijas nach Hause komme, und damit sie sich keine allzu großen Sorgen macht, aber auf die genauen Details unseres Plans bin ich nicht eingegangen. Wir treffen uns heute nachmittag auf dem Festival; nach dem Frühstück muss ich erstmal los alleine los.

Erst treffe ich mich mit den Jungs wegen der Unterdrückung unserer Einflüsse. Oder besser, ich treffe mich mit Totilas, Roberto und Alex. Totilas hat seine Kontakte zu Hillary Elfenbein genutzt und von ihr einen Blister Risperdal für uns besorgt. Mir ist zwar nicht ganz wohl bei dem Gedanken, unsere übernatürlichen Einflüsse mit einem Neuroleptikum zu unterdrücken, aber die einmalige Einnahme wird uns hoffentlich nicht schaden. Edward lässt sich derweil von Vanguard dabei helfen, seine Wutbestie vorübergehend auszuschalten, und kommt dann zum Spa. Da treffen wir uns dann auch mit dem Rest der Gruppe, und Ilyana Elder kümmert sich um Totilas' Dämon.

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Am Spa. Ich habe Zeit für ein paar Sätze, bis Ilyana und Totilas fertig sind. Aber so richtig viel gibt es eigentlich gar nicht zu schreiben gerade. Nur dies: Alex, Roberto und ich haben das Risperdal genommen. Ich fühle mich... hm, wie fühle ich mich? Schwer zu sagen. Ich komme gerade nicht an meine Sommermagie, und das fühlt sich ein bisschen so an wie letzten September in dem magieunterdrückenden Feld der Sinfonia de la Tranquilidad, aber doch auch ganz anders. Damals verschwanden all diese kleinen, warmen Funken in mir auf einen Schlag komplett, diesmal ist es mehr so, als ob sie … hm, als ob jeder einzelne dieser kleinen Funken in mir von Watte umgeben ist. Ein ziemlich seltsames Gefühl, tatsächlich, aber ich gewöhne mich gerade daran, und ich denke, es wird mich nachher nicht behindern. Andere Nebenwirkungen des Risperdons fühle ich bisher keine, und ich hoffe, das bleibt so. Keine Müdigkeit, kein Schwindel, keine Störungen des Bewegungsapparats oder Sehstörungen, gracias a Dios. Den anderen beiden anderen geht es zum Glück auch damit. Und wie heute früh schon mal geschrieben: Es ist ja nur die eine einzige Dosis. Das geht hoffentlich.

Ah, da kommen Ilyana und Totilas wieder. Nachher mehr.

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Das Reinigungs- und Aufeinandereinstimmungsritual war ein voller Erfolg. Wir fühlen uns noch mehr als vorher als Gruppe, als Team, trotz unserer unterschiedlichen Ausrichtungen und Herkünfte, und sogar Dee und Cicerón Linares scheinen ihr Kriegsbeil für den Moment begraben zu haben. Sehr schön. Dann können wir ja jetzt zum Domino Park. Es wird eine Weile dauern, dort alles fertig vorzubereiten.

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Puh. Wir sind gerade am Domino Park angekommen, und es liegt eine enorme Anspannung in der Luft. Klar, es ist das Calle Ocho-Festival, das ist immer eine tremenda pachanga, aber irgendwie kommt es mir dieses Jahr mehr vor als üblich. Ja, es sind dieselben Buden, Bühnen und Grillstände aufgebaut wie sonst immer, es sind dieselben Massen an Leuten unterwegs, dieselbe bunte Kleidung, die chongas, die Fahnen aus allen Teilen Lateinamerikas, die Musik. Und trotzdem wirkt es... greller. Die Menschen sind aufgekratzter, das Lachen lauter, die Stimmung aufgeheizter. Nicht gewalttätig aufgeheizt, aber... überdreht irgendwie, so wie übermüdete Kinder überdreht werden.

Man kann die Energie, die in der Luft hängt, regelrecht spüren. Da liegt ein leichter Geschmack nach Eisen auf der Zunge, und es hängt eine salzige Brise vom Meer in der Luft, obwohl wir ja doch gut zwei Meilen vom Meer entfernt sind. Ich habe das Gefühl, als hätten die Büsche und Bäume am Rand des Platzes einen Schimmer um sich, und irgendwie ist fast alles um uns her leicht elektrostatisch aufgeladen. Und Alex sagte auch gerade, die Geisterwelt wirke für ihn bunter als sonst.
Er sagte auch, er spüre einen Druck auf die Realität – den bemerken gerade all unsere Magiebegabten in der Gruppe. Dieser Druck muss in die richtigen Wege geleitet werden, sagen sie, sonst wird das richtig, richtig unschön.

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Der Ritualkreis ist fertig. Oder besser: die Ritualkreise. Im ersten Kreis wird derjenige stehen, der gerade den aktiven Teil übernimmt – und das muss jeder von uns einmal sein, auch die unmagischen Personen unter uns, um uns mit dem Ritual und dem Genius Loci zu verbinden. In einem zweiten Kreis außen herum stehen alle anderen, nachdem sie dran waren bzw. bevor sie dran sind, und in einem dritten Kreis noch weiter außen haben unsere Spezialisten die stärksten Wards gezogen, die sie zustande bringen konnten.

Wir haben alle etwas zur direkten Vorbereitung des Rituals beigetragen. So hat zum Beispiel Roberto die Erde für die Grundstruktur der Kreise aus den Everglades geholt und mit Kräutern aus seiner Botanica durchsetzt. Außerdem haben wir unterschiedliche Materialien für die Symbole der Kreise beigesteuert – ich selbst habe zum Beispiel Kieselsteine aus dem Coral Castle und Sand vom South Beach mitgebracht. Und Totilas hat eines der Zeichen mit einem feinen weißen Pulver gezogen, das mir verdächtig nach Kokain aussah. Aber das will ich gar nicht genauer wissen, glaube ich. Alex und Dee haben die Abflusskanäle und Leylinien vorbereitet, damit die Energie, die bei dem Ritual freigesetzt werden wird, gut aufnehmen können. Und Edward hat bei sich im Labor ein Mittel zusammengebraut, das er gerade im innersten Kreis verteilt hat, damit die Magie besser darin fließen kann, wie er sagte.

Ich werde anfangen, weil das Ritual gleich nach dem Feuerwerk mit der Ode an Miami beginnen soll. Als wir das letztens besprachen, konnte ich Linares deutlich ansehen, dass ihm das gar nicht passte, dass er eigentlich fest davon ausgegangen war, dass er den Anfang machen würde, weil das seinem Selbstverständnis als Alphamännchen und Bandenboss entsprochen hätte. Aber er ist nun mal ein Bandenboss und hat einen entsprechenden Ruf, und wenn ich anfange, dann ist weder das Recht noch das Verbrechen in unseren Reihen bevorzugt. Außerdem bin ich, auch wenn das jetzt vielleicht arrogant klingt, in Miami und darüber hinaus auch einigermaßen bekannt, und es ist dramaturgisch einfach sinnvoll, die Ode an den Beginn zu setzen.

Muss aufhören. Lidia und die hijas sind gleich da.

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Es wird ernst!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 21.05.2020 | 16:46
Hat Edward es dann also geschafft, dabeizusein? Ohne ihn schien es ja nicht zu gehen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.05.2020 | 10:11
Ja, der war dabei - der musste sich ja nur von James Vanguard kurzzeitig seinen Wutdämon sedieren lassen. Der nächste Teil kommt auch bald, an dem schreibe ich gerade noch. :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.06.2020 | 21:26
15. März

Tío. Gut, dass das hier außer mir selbst niemand zu sehen bekommt, sonst hätten sich eventuelle Leser möglicherweise schon gewundert, warum ich heute erst aufschreibe, was bei dem Ritual passiert ist. Aber direkt danach war ich zu fertig, dann musste ich ausschlafen, und dann sind gleich schon wieder Dinge passiert. Aber jetzt habe ich etwas Ruhe, also wird das jetzt alles nachgetragen.

Wie ich letztens schon schrieb: Nachdem das Feuerwerk abgebrannt war, Lidia und die Mädchen sich verabschiedet hatten und wir uns auf dem Ritualplatz versammelt hatten, war ich derjenige, der die ganze Sache mit der Ode an Miami anstieß. Wie mit der Stadt abgesprochen, durften wir das Tor zum Park abschließen, um darin ungestört zu bleiben (damit ich die Schlüssel anvertraut bekam, hatte ich meine Beziehungen zum Bürgermeister spielen lassen – etwas, das ich normalerweise lieber vermeide, aber in diesem Fall ging es nicht anders), und nachdem wir alle unsere Positionen eingenommen hatten, ging es los. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man den Trubel des Festivals in der ganzen Calle Ocho gehört – das Lachen der Menschen, das Kreischen der Kinder, bellende Hunde, zwitschernde Vögel, aber in dem Moment, wo die Musik begann, verstummten diese Außengeräusche. Oder vielleicht traten sie auch nur in den Hintergrund, und ich hörte sie nicht mehr, weil ich mich so auf das Ritual konzentrierte. Die Melodie, die los Flamencos geschrieben hatten, passte ganz ausgezeichnet zu meinem Text – und sie war auch machbar für meinen zugegebenermaßen nicht ganz regelmäßigen Bariton. Hey, ich bin Schriftsteller, kein Opernsänger! Aber es klappte alles ziemlich gut, ich versang mich auch nicht (hatte ich vorher auch lange genug geübt – fragt nur mal meine Ladies), und wenn ich doch irgendwo wackelte, dann ging es in der Musik der Flamencos unter. Es war vielleicht nicht perfekt, aber so gut, wie ich es eben konnte.

Als ich fertig war, trat Ilyana Elder in den Kreis. Ich weiß gar nicht so recht, was ihre Aufgabe bei dem Ganzen ganz genau sein sollte – ich glaube, die wilden, naturverbundenen Teile Miamis und der Everglades für das Ritual betonen –, aber was es auch war, es klappte nicht richtig. Sogar ich konnte erkennen, dass Ilyana Schwierigkeiten hatte, und für einen Moment sah es sogar so aus, als würde sie die Kontrolle verlieren und sich in ein Krokodil verwandeln. Ich glaube, sie ist es einfach nicht gewohnt, andere Magie als ihre Wer-Verwandlung ohne die Yansa-Maske zu wirken – und ihre Masken hatten sie und Cicerón ja ebenso zuhause gelassen, wie Totilas, Edward, Roberto, Alex und ich die Einflüsse unserer externen patrones unterdrückt hatten.
Zum Glück gelang es Ilyana dann aber doch gerade so, sie selbst zu bleiben und ihren Teil des Rituals angemessen zu beenden, bevor sie in den Kreis der Wartenden zurückstolperte und Bjarki Lokison ihren Platz einnahm. Sein Teil des Rituals verlief, soweit ich das beurteilen konnte, völlig unspektakulär, und nach ein paar Minuten machte er Alex den Platz frei.
Der begann seinen Ritualabschnitt damit, die Unterschriften und Widmungen auf dem von ihm hergestellten Schlüssel zur Stadt vorzulesen, und ich konnte richtiggehend spüren, wie die Namen all dieser Bürger Miamis etwas bewirkten, auch wenn ich es nicht hinreichend beschreiben kann. Aber mit jedem Namen zog sich etwas zusammen, wurde die Atmosphäre, die sich mit den Worten der Ode zu bilden begonnen hatte, irgendwie... dichter. Einzig die Aussprache von 'John T. Galway' wirkte in diesem Moment wie ein Missklang, änderte aber inmitten all der vielen echten Bürger, deren Namen verlesen wurden, nichts am großen Ganzen.

Ich wusste, dass Alex' Aufgabe war, nach dem Verlesen der Namen das Ventil zu öffnen, das wir ja in unser Ritual einbauen wollten: ein kleines Loch in die Grenzen zum Nevernever, um ein bisschen Magie hereinzulassen, ansonsten aber dem immer größer werdenden Druck, dem die Grenzen hier unterliegen, besser standhalten zu können. Das klappte auch – aber dass es so aussehen würde, davon war in unseren Vorbesprechungen nicht die Rede gewesen. Als Alex nämlich an den Punkt kam, wo er das Ventil öffnete, verdrehte er für einen Moment die Augen und sah so aus, als habe er einen starken elektrischen Schlag erhalten. Wir konnten regelrecht sehen, wie die Magie sich in das bzw. durch das Nevernever entlud: Für einen Moment wurde die Grenze zum Nevernever durchsichtig, konnten wir in das Nevernever hineinsehen; ja, ich hatte sogar das Gefühl, in diesem Moment sehe ich das gesamte Nevernever auf einmal. Man konnte die Magie sehen, die sich an der Grenze zu unserer Welt gesammelt hatte und die auf diese viel zu dünne Membran einpresste, und, als sich ein Weg öffnete, durch dieses Loch hineinströmte.
Und noch etwas kam hindurch. Nichts so Diffuses wie gesammelte Magie, sondern eine Wesenheit, eine Existenz, mit dem überwältigenden Eindruck von schwarz und rot, die hier auf unserer Seite zu einem älteren, in einen eleganten, aber etwas altmodischen Anzug gekleideten schwarzen Herrn wurde, der uns schelmisch angrinste, bevor er sich neugierig neben den Ritualkreis stellte. Und ich kannte diese Gestalt. Alex hatte ihn schon oft genug beschrieben, und ich hatte auch schon Bilder gesehen: Das war Eleggua.

Unterdessen hatten unsere Aktivitäten außerhalb des Parks Aufmerksamkeit erregt. Leute rüttelten am verschlossenen Tor, und etliche fingen an, über die Mauer in den Park zu klettern. Zum Teil waren das einfach ganz normale, betrunkene Feiernde, aber ein paar von ihnen bewegten sich mit den typischen, etwas abgehackten Bewegungen, die wir inzwischen nur allzu gut von Adlenes Geistern kannten. Diese beiden bewegten sich, sobald sie die Mauer überwunden hatten, zielstrebig auf Cicerón Linares zu, der nun, da Alex fertig war, den Ritualkreis betreten hatte.

Totilas wandte sich in Richtung der Besessenen und versuchte sie einzuschüchtern; das kaufte uns auch tatächlich etwas Zeit, weil sie zögerten und sich in seine Richtung drehten. Ich selbst redete auf die normalen, unbesessenen Menschen ein und versuchte sie zu überzeugen, dass das hier völlig langweilig sei und die Festivitäten draußen viel spannender. Sie waren entweder auch betrunken genug oder gerade noch nüchtern genug, dass sie anstandlos auf mich hörten und den Rückzug antraten – und einen der Besessenen zogen sie erstaunlicherweise sogar mit sich. Der andere Besessene allerdings schien sich jetzt wieder auf seine Programmierung zu besinnen und wandte sich zurück in Richtung des Ritualkreises, woraufhin Roberto ihn ungeniert anflirtete und mit einem heißen Kuss bedachte, der den Geist auch tatsächlich erst einmal aufhielt.

Cicerón hatte inzwischen mit seinem Teil des Rituals begonnen, aber er wirkte nicht so souverän dabei wie sonst: Es war ihm anzusehen, dass Elegguas Anwesenheit ihn ablenkte, dass er sich Gedanken darüber machte, dass der Orisha einfach so in die echte Welt getreten war, und vielleicht ging es ihm doch immer noch nach, dass er nicht den Anfang gemacht hatte, oder er drohte, von der vielen Magie überwältigt zu werden. So oder so brachte er seinen Teil irgendwie zuende und trat aus dem Kreis heraus, um den Platz für den nächsten Teilnehmer freizugeben.
Das Problem war nur: Der nächste Teilnehmer war Roberto. Und da der jetzt den Kreis betreten musste, musste er wohl oder übel den Besessenen freigeben, und dieser folgte ihm wie an der Schnur gezogen. Sofort darauf prallte er an unserem Schutzkreis ab, aber das hinderte ihn nicht daran, mit viel zu großer Kraft einen Pflasterstein aus dem bunten Mosaikboden zu reißen. Bevor er ihn allerdings auf Roberto werfen konnte, ging Totilas auf den Besessenen los und schlug ihn – auch ganz ohne White Court-Kräfte – bewusstlos.

Im Kreis hatte Roberto indessen mit seinem Teil des Rituals begonnen. Ich habe ihn ja in all den Jahren schon häufiger Magie wirken sehen, und mir war klar, dass er diesmal besonders viel magische Energie in seinen Zauber kanalisierte. Über dem Kreis schienen wie bei einer Fata Morgana Bilder und Geräusche aus der Stadt zu entstehen, und mit einem Mal wurden die Leylinien sichtbar, leuchteten in den buntesten Farben, wie man sie sonst vor allem aus alten Wiederholungen von Miami Vice kennt. Draußen vor dem Park hatten sie ein Kinderkarussell aufgebaut, und durch die Gitter des Tors konnte ich erkennen, dass einer der Plastikflamingos darauf plötzlich den Eindruck machte, sich unabhängig vom Auf und Ab seiner Karussellstange zu bewegen.
Dee war die nächste im Kreis, wobei ihr Teil des Rituals deutlich weniger spektakulär verlief. Ihre Aufgabe, das wusste ich aus den Vorbesprechungen, war es, die durch das Ventil einströmende Magie sicher zu machen, oder jedenfalls so sicher wie möglich, und wie sie das auch anstellte, es schien genau nach Plan zu klappen. Ximena, die als Nächste drankam, war richtiggehend aufgeblüht, als die Magie durch das Ventil in die Stadt zu strömen begann. Auch sie ging ihre Aufgabe mit der ihr eigenen Professionalität an, aber bei ihr schlug die Begeisterung durch, und so gab sie vielleicht ein bisschen zu viel. Die Leylinien, deren Farbenspiel sich während Dees Abschnitt zu einem leichten Glimmen abgeschwächt hatte, begannen wieder zu leuchten, und jetzt leuchteten auch Menschen in einem beinahe Times Square-mäßigen Neonglanz auf. Und nicht nur Menschen: Haley – Hel Lokisdatter – hatte offenbar auch Wind von unserer Aktion bekommen und war jetzt im Park aufgetaucht, und auch sie hatte dieses neonartige Leuchten.

Die ersten Geisterbesessenen waren wir losgeworden, aber es wäre naiv gewesen zu glauben, das Adlene und/oder Jak so schnell aufgeben würden. Und tatsächlich kam jetzt eine weitere Welle an Besessenen auf den Park zu, von denen es drei über die Mauer schafften. Zwei von ihnen – ein Mann und eine Frau – hoben Steine auf, um sie nach uns zu werfen, weil sie nicht durch unseren Schutzkreis hindurch konnten, aber der dritte Geist hatte eine Pistole. Geistesgegenwärtig riss Roberto die Hände hoch und wirkte einen Schutzzauber, und tatsächlich prallte im nächsten Moment die Kugel von dem magischen Schild, den Roberto damit errichtet hatte, ab.
Edward schlug nach dem zweiten Besessenen, konnte ihn aber nicht richtig treffen. Immerhin gelang es ihm damit aber, den Geist an sich zu binden, der nun nicht mehr auf Ximena im Kreis losging, sondern auf Edward. Und der musste ganz schön einstecken – nicht nur verfügte er gerade nicht über seine Lykanthropen-Kräfte, sondern der Geist war auch noch ungewöhnlich stark.
Während Ximena aus dem Kreis trat und Ángel Ortega ihren Platz einnahm, griff ich die dritte Besessene mit meinem Schwert an, allerdings ohne Jade aus ihrer Scheide herauszuziehen. Es gelang mir zwar, die Frau zu treffen, aber ich konnte sie nicht ausschalten, und so gab sie mir in ihrem Gegenangriff einen Schlag mit, der mich zwar nicht schwer verletzte, aber für eine unangenehme Prellung sorgte. Mit meinem zweiten Treffer dann konnte ich die Besessene dann aber bewusstlos schlagen. Totilas war indessen Edward mit dessen Gegner zu Hilfe gekommen und knockte ihn aus, so dass Edward wieder etwas Freiraum bekam. Diesen Freiraum nutzte er, um mit einem schnellen Zauber einen Teil der in der Luft liegenden Magie durch sich hindurch und in den Geist zu kanalisieren, und von der daraus resultierenden magischen Überladung fiel der Besessene tatsächlich um, auch wenn das Manöver Edward selbst auch sichtlich mitnahm.

Ángels Teil des Rituals hatte anstandslos, wenn auch nicht sonderlich spektakulär geklappt, und irgendwie war durch unser aller Verbindung zu spüren, dass er nicht zufrieden mit seiner Leistung war. Es war ganz deutlich, dass das Ritual noch alles andere als beendet war, dass wir mit unseren Anstrengungen deutlich weniger weit gekommen waren, als wir zu diesem Zeitpunkt eigentlich hatten sein wollen und sollen, dass wir aber nur noch drei Personen hatten, die das Fehlende auffangen konnten.
Edward war der Nächste. Schon als er in den Kreis trat, war zu erkennen, dass er sich seiner Verantwortung mehr als bewusst war, und die Art und Weise, mit der er seinen Abschnitt des Rituals begann, zeigte mir, dass er alles, aber auch alles, hineinlegte, was er hatte. Die Anstrengung war ihm deutlich anzumerken, aber es war auch zu spüren, dass diese Anstrengung sensationelle Ergebnisse zeigte. Ich hatte zwar keinerlei Zugang zu meiner Sommermagie, und Edwards hermetische Magie kann ich ohnehin nur von außen betrachten, aber es war nicht zu verkennen, dass Edward gerade einen guten Teil des noch fehlenden Ritualvolumens abgedeckt hatte.
Bevor er den Kreis betrat, holte Totilas, an den Edward nun übergab, aus einem Koffer eine Kette, an der er mehrere Gegenstände befestigt hatte: offenbar alles Dinge, die bei seiner Sammelaktion abgegeben worden waren und die ihm wohl als am besten geeignet erschienen, um Miami zu verkörpern. Darunter befanden sich ein Plüschalligator, ein paar große Goldcreolen und ein Paar teure Markenturnschuhe, die er nun zusammen mit den anderen Dingen an der Kette in seinem Teil des Rituals verwendete. Verbunden, wie wir alle miteinander waren, konnten wir spüren, dass sein Vorhaben gelang und dass er das große Ganze ein weiteres gutes Stück voranbrachte, aber wir merkten auch, dass in dem Moment, als er die magische Energie durch sich leitete, irgendwas in Totilas passierte. Es war keine vollständige geistige Verbindung, keine Telepathie oder dergleichen, aber irgendwas, eine andere Verbindung als diejenige zum Rest der Genius Loci-Gruppe wurde in dem Moment beschädigt. Oder blockiert? Verschoben? Ich kann es schwer beschreiben.

Robertos Exfreundin Febe Gutiérrez von den Santo Shango trat als Letzte in den Kreis. Draußen vor dem Park tauchten weitere Besessene auf, aber keiner von ihnen schaffte es über die Mauer, weil Eleggua und Haley sie vorher aufhielten und die Geister in den Menschen ohne sichtbare Mühen zu bannen schienen, und so konnte Febe ihre Aufgabe mit Bravour und ohne jegliche Störung absolvieren. Als sie das letzte Wort sprach und die letzte Geste vollführte, ging von unserem Ritualkreis aus ein Puls über die gesamte Stadt. In diesem Moment konnten wir mit einem einzigen Blick die gesamte Stadt sehen, mit Fokuslichtern auf unseren Lieben – Lidia, Alejandra und Monica, Mamá und Papá und Yolanda für mich, Cassius und Schneeball für Edward, ihre eigenen Familien für Totilas und Roberto –, bevor der Puls sich wieder zurückzog. In der Mitte unseres Ritualkreises stand, wortwörtlich aus dem Nichts erschienen, die Gestalt einer jungen Latina. Ich wunderte mich ein wenig, dass sie haargenau so aussah, wie ich mir Catherine Sebastian immer vorgestellt hatte – erst später wurde uns klar, dass sie für jeden von uns ein leicht anderes Aussehen hatte. So ähnelte sie beispielsweise für Roberto stark dessen Orisha Oshun, nur etwas europäischer, für Totilas sah sie aus wie eine richtig teure Edelprostituierte, für Edward trug sie gewisse wölfische Züge, und für Alex wandelte sich ihr Aussehen ständig. Aber eines war unbestritten: Das war Miami.

Vor allem Cicerón Linares machte ein Gesicht, als sei er völlig hin und weg, aber als Miami sich uns zuwandte, gab sie uns allen das Gefühl, dass ihre Aufmerksamkeit jedem und jeder einzelnen von uns ganz besonders galt. Dann sprach sie. Sie hatte eine wohlklingende und gebildete Stimme mit einem leichten, aber erkennbaren örtlichen Akzent.
„Jetzt bin ich hier“, sagte sie, „und jetzt?“
Ich schreibe es nur ungern auf, weil das definitiv keine meiner brillanteren Erwiderungen war, aber hey, außer mir liest es ja keiner. Meine Literatur-Nobelpreis-verdächtige Reaktion war es, ihr ihre Frage ungefiltert zurückzugeben: „Jetzt bist du hier.“
„Ich war schon immer hier“, antwortete Miami, was mich ein weiteres Mal den Mund aufmachen ließ: „Jetzt bist du in Persona hier.“
Totilas rettete den potentiell hochnotpeinlichen Moment. „Es ist mir eine Freude, dich persönlich kennenzulernen.“
„Es freut mich auch, euch alle persönlich kennenzulernen“, erwiderte Miami, „Hallo, Ritter.“ Und dann: „Sollen wir feiern gehen?“
Unser „Ja“ kam einstimmig aus aller Munde.

Eigentlich waren wir alle ziemlich fertig, und vor allem Edward, Totilas und Alex hatten einiges abbekommen,  aber davon spürten wir in dem Moment nicht einen Kratzer. Im Gegenteil, wir fühlten uns alle blendend. Miami wollte Party machen, also machten wir Party. Wir feierten die ganze Nacht hindurch – Miami tanzte mit allen von uns, und sie flirtete mit allen, die mit sich flirten lassen wollten – bis in den Morgen. Dann verabschiedete Lady Miami sich mit einem „Okay, wenn irgendwas ist: Ich bin immer für euch da. Und ihr für mich.“... und kaum war sie verschwunden, holten unsere Blessuren uns ein. Das Durchtanzen hatte uns nicht gerade gut getan, und vor allem Totilas, aber auch Edward, klappte beinahe zusammen.
Eigentlich wäre jetzt der Moment gewesen, nach Hause zu gehen und für den Rest des Tages ins Bett zu fallen – aber dummerweise war es auch der Moment, in dem wir alle spürten, dass etwas nicht stimmte. Dass da eine Bedrohung war. Dass Miami sich in Gefahr befand.

Das Gefühl, das wir alle in dem Moment hatten – und das wir seither auch immer noch haben – lässt sich schwer in Worte fassen, aber ich versuche es dennoch. Die Ritter von Miami waren wir fünf ja zuvor auch schon gewesen, in dem Sinne, dass wir uns für unsere Stadt verantwortlich fühlten und sie beschützen wollten, aber jetzt... jetzt, hm, jetzt sind wir es wirklich. Jetzt ist es nicht mehr nur ein Name. Jetzt sind wir wirklich mit Miami verbunden. Ich (und die anderen Mitglieder unserer Genius Loci-Gruppe genauso) bin mir sicher, dass ich mich in dieser Stadt nie wieder verlaufen werde, ich habe immer ein instinktives, aber umfassendes Wissen darum, wo ich mich gerade befinde, und ich kann spüren, dass das auch der Fall wäre, wenn man mir die Augen verbinden, mich minutenlang im Kreis herumwirbeln und in einem geschlossenen Auto irgendwohin fahren würde. Wenn wir uns darauf konzentrieren, können wir auch die Leylinien Miamis spüren und wo in der Stadt die anderen sich jeweils befinden. Und wenn eine Bedrohung hochkocht, dann merken wir das – so wie in diesem Moment. Aber wir merkten auch, dass die Gefahr sich zwar näherte, aber noch nicht angekommen war. Zum Glück - denn wir waren alle viel zu fertig, um uns einer weiteren Bedrohung unausgeschlafen anzunehmen. Deswegen fuhren wir alle doch erst einmal heim und kippten ins Bett. Zumindest für ein paar Stunden.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 2.06.2020 | 12:35
Glueckwunsch zur erfolgreichen Durchfuehrung! :d
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.06.2020 | 13:29
Haha, vielen Dank! :)

Teil 3 und Teil 4 des Berichts folgen die Tage - bis zum Wochenende müssen sie fertig sein, dann spielen wir weiter! :)
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 4.06.2020 | 23:14
Als mein Wecker gegen Mittag klingelte, wusste ich, die Gefahr war konkret geworden. Die Bedrohung für Miami, die wir da spüren konnten, kam vom Strand, aus der Nähe von Pans Palast. Als wir dort ankamen (alle außer Roberto und Ilyana Elder – Roberto hatte einen dringenden Notfall, a.k.a. seine patrona Oshun besänftigen, die es gar nicht lustig fand, dass er sich nach dem kleinen Intermezzo als Titanias Richter schon wieder mit einer anderen übernatürlichen – weiblichen und wunderschönen wohlgemerkt – Wesenheit eingelassen hatte, und Ilyana hatte sich noch nicht richtig von dem Ritual erholt; Cicerón erzählte, dass sie sich ständig in ein Krokodil verwandeln wolle), sahen wir auch, was es war: wieder solche Riesen wie der, den die Einherjar besiegt hatten, aber diesmal deutlich mehr als einer. Wir konnten auch spüren, dass die Kreaturen aus der Richtung des Winterhofs kamen – so zielstrebig, wie sie unterwegs waren, ließ das überhaupt nichts Gutes für den Winterhof erahnen. Sie durften Pans Residenz nicht erreichen – nicht, wenn ich das verhindern konnte!
Es waren auch nicht nur Riesen am Strand. In der Masse der Angreifer befanden sich auch seltsame Kreaturen, die mir so überhaupt nichts sagten. Sie hatten einen humanoiden Körperbau – Kopf, Rumpf, zwei Arme, zwei Beine, mittelgroß –, aber mit einem Menschen verwechseln konnte man sie trotzdem nicht. Dafür war ihre Haut zu blass, ihr Mund viel zu breit, die Hände viel zu groß, und auch ihre hervorquellenden Augen und die extrem flachen Nasen waren nichts, was man je an einem Menschen sehen würde. Wie aufrecht gehende Frösche, fuhr es mir durch den Kopf, nur dass sie Haare hatten.

Während die Riesen vor allem auf Zerstörung aus waren, sah es so aus, als wollten diese Froschartigen auf ihrem Weg zum Sommerpalast so viele Menschen entführen, wie sie konnten. Das wunderte mich, denn was für einen Zweck sollte das haben? Lösegeldforderungen? Wohl kaum.
Die Einherjar und restlichen Sidhe-Ritter waren bereits dabei, gegen die Angreifer zu kämpfen - Unterstützung hatten sie dabei erstaunlicherweise von einem Eistroll. Dass dieser Winterfae mit den Kriegern des Sommers gemeinsame Sache machte, ließ mich noch Schlimmeres für den Winterhof befürchten. Aber jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt warfen wir uns in die Schlacht.

Es war die Domäne meines Herzogs, die in Gefahr war, also durfte ich nicht zögern. Ich jagte den Froschmenschen meinen patentierten Sonnenlichtzauber entgegen, um sie zu blenden und zu verwirren, bevor ich Jade zog und losstürmte. Die anderen waren direkt hinter mir, und nicht nur die Jungs. Hm. Ich brauche echt einen griffigeren Namen als „Mitglieder der Genius Loci-Gruppe“, wenn ich von uns allen schreibe. „Ritter“ ist natürlich besetzt, aber hm, wie wäre es stattdessen mit „Hüter“? Aber jedenfalls waren auch die anderen da und griffen ein, alle nach ihren jeweiligen Spezialitäten. Febe Gutiérrez warf mit Blitzen um sich, Cicerón Linares kanalisierte Shango, Ángel Ortega stürzte sich in den Nahkampf, und so weiter.
Ein Riese schlug nach mir, aber ich konnte ihm einigermaßen ausweichen, so dass sein Schlag mich nur streifte – den fiesen Bluterguss, den mir dieser nicht-ganz-Treffer bescherte, bemerkte ich erst hinterher. Überhaupt waren nur Riesen im Getümmel - die Froschmenschen hielten sich im Hintergrund. Und es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, warum: Die pendejos hatten Magie! Ihre Angriffszauber nahmen die Form von Feuerfischstacheln an, oder sie verschossen echte Feuerfischstacheln mittels Magie. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es machte im Endeffekt auch keinen Unterschied, was es nun genau war, denn so oder so sahen die Dinger verdammt spitz und schmerzhaft aus. Ich hatte auch gar keine Zeit, bewusst darüber nachzudenken, denn viel zu viele von diesen Stacheln flogen direkt auf mich zu. Vielleicht hätte ich ihnen ausweichen können, indem ich zur Seite gesprungen wäre oder mich in den Sand geworfen hätte, aber ich reagierte instinktiv. Erst hinterher, als alles vorüber war, wurde mir bewusst, dass das eigentlich ziemlich albern gewesen war, aber wie gesagt: Ich reagierte instinktiv. Zu Kampfbeginn hatte ich ja Jade gezogen, und jetzt gelang mir tatsächlich, das Bombardement komplett abzuwehren. Edward meinte hinterher, das hätte fast jedi-mäßig ausgesehen, wie ich diese Stacheln mit dem Schwert ablenkte – aber naja, da war bestimmt auch ein gutes Stück Sommermagie dabei, dass es so aussah, als sei die Macht mit mir.

Alex zog währenddessen auf seine ganz eigene Art und Weise in den Kampf. Er schnappte sich ein Quad-Bike, das da verlassen am Strand stand, um möglichst viele Riesen in eine für uns andere günstige Position zu treiben – und wenn dabei ein Riese einen der Froschartigen umtrampelte, dann um so besser.
Anfangs klappte sein Plan auch wie am Schnürchen, aber dann verlor Alex über seinem Manöver den Verlauf der Schlacht aus dem Auge und landete selbst mitten in einem Pulk aus Gegnern, wo einer der Froschmenschen einen arkanen Schlag auf ihn abschoss, der Alex gut und gern 60 Fuß wegschleuderte.
Edward nutzte die durch Alex' Manöver entstandene Verwirrung aus und ging in den Nahkampf gegen die Riesen. Mit seinem magischen Handschuh prügelte er auf sie ein, und tatsächlich erschlug er gleich zwei der Kreaturen, die – genau wie der Riese, den die Einherjar vor ein paar Tagen erledigt haben – zu Matsch zerfielen und nur Knochen übrig ließen. Aber mit dieser Aktion hatte Edward sich bei den Froschmenschen als Gefahr zu erkennen gegeben. Gleich mehrere von ihnen feuerten ihre magischen Stacheln auf ihn ab – und Edward hatte kein Sommerschwert, das ihm dabei helfen konnte, sie abzuwehren. Mindestens eines der nadelspitzen Geschosse traf ihn da, wo seine Haut nicht geschützt war.
Die Riesen waren zwar groß und furchteinflößend, aber die Froschmenschen mit ihrer Magie waren die größere Bedrohung. Mit seiner übernatürlichen Geschwindigkeit fegte Totilas an den Kolossen vorbei und ging in den Nahkampf gegen die breitmäuligen Humanoiden. Das war die perfekte Strategie, denn auf diesem Gebiet waren die Froschlinge nicht gut, und anfangs ging Totilas durch sie hindurch wie das sprichwörtliche Messer durch weiche Butter. Dann aber taten sich drei von ihnen gegen unseren White Court-Kumpel zusammen, und als Totilas diesem koordinierten magischen Angriff ausweichen wollte, stockte er plötzlich auf eine Weise, wie wir das sonst nicht von ihm kennen. Der arkane Schlag traf ihn mit voller Wucht, und er ging zu Boden.

Einer der Froschlinge begann großspurig zu deklamieren, dass unser Ende gekommen sei und dass wir keine Chance hätten, aber die Wahrheit sah anders aus. Das helle Sonnenlicht meines Zaubers, das noch immer über dem Platz lag, schmeckte ihnen ganz und gar nicht, das konnte ich sehen; Edward hatte zwei Riesen erwischt, Totilas einen Froschmenschen, und auch die anderen waren alles andere als untätig gewesen und noch immer kräftig dabei, den Angreifern einzuheizen.
Während Edward vorstürmte, um Totilas aus der Kampfzone zu ziehen, und ich zu Alex rannte, machten die Froschmenschen Anstalten, das Feld zu räumen – aber nicht, bevor nicht der eine, der eben schon das große Wort geführt hatte, einen weiteren Spruch losließ. „Ihr mögt die Schlacht gewonnen haben“, höhnte er, „aber das war nicht das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben!“
„Raus aus unserer Stadt!“ schoss Edward ihm entgegen, aber das ließ den Kerl nur klischeeschurkenmäßig auflachen. „Hahaha, wir sind zurück, jetzt bleiben wir!“
Und damit zog sich die ganze Horde – Froschlinge wie Riesen - in Richtung Meer zurück.
Alex, der – Himmel sei Dank – bei Bewusstsein war, auch wenn er stark mitgenommen aussah und nur ein Bein belastete, weil das andere in einem unnatürlichen Winkel abstand, machte sich mit ein paar schnellen Handgriffen an dem arg demolierten Quad-Bike zu schaffen und schickte es den Gegnern fahrerlos hinterher. Es krachte in einen der Riesen und explodierte in einem geradezu filmtauglichen Feuerball, was das Monstrum nicht überlebte.

Dann waren die Gegner fort. Zurück blieben die Gebeine zahlreicher zu Matsch zerfallener Riesen und ein toter Froschmensch. Aus der Ferne waren Polizeisirenen zu hören, aber bis die da waren, kümmerten wir uns umeinander. Ich war zwar von keinem dieser Stacheln getroffen worden, aber jetzt machte sich der Streifschlag des Riesen bemerkbar. Trotzdem hatte ich noch Glück gehabt – die anderen hatte es teils deutlich schwerer getroffen, und wir waren alle mehr oder weniger mitgenommen. Alex musste mit seinem gebrochenen Bein dringend ins Krankenhaus, und bei allen, die Stacheln abbekommen hatten – Edward war einer davon, Dee eine weitere, auch Febe und Ángel und mehr als ein Einherjer – wurde sehr schnell klar, dass die Dinger vergiftet gewesen waren. Edward hatte einen alchimistischen Trank dabei, der die Ausbreitung des Gifts bei ihm und den anderen aufhielt, aber ein echtes Gegenmittel war das nicht.
Mit Totilas stimmte auch etwas ganz und gar nicht. Als Edward ihn aus der Gefahrenzone trug, merkte er, dass unser White Court-Freund in Wellen schwerer und leichter wurde, ganz so, als habe er phasenweise nicht seine volle Masse – eindeutig ein magischer Effekt.

Sobald Alex im Krankenhaus war, brachten Edward und ich Totilas ins Hotel Fountainebleu zurück – gut, dass das direkt in der Nähe liegt. (Raith Manor ist zwar eigentlich schon fast wieder fertiggestellt, aber noch hat Totilas den Familiensitz nicht wieder aus dem Hotel dorthin verlegt. Denn momentan haben Richard, Sancía und Canché dort Zuflucht gefunden, und das soll ja möglichst geheim bleiben, ganz abgesehen davon, dass die drei keine White Court-Vampire sind). Wir gaben unseren Freund, der gar nicht so recht zu wissen schien, wo er gerade war, in die Obhut seiner Familie – so schwer es uns fiel, ihn alleine zu lassen, er ist nun mal ein Weißvampir, und als solcher können seine Verwandten sich besser um ihn kümmern. Und so silbrig, wie seine Augen immer wieder aufgeglänzt hatten, würde er sich auch ernähren müssen, und das war nun nichts, bei dem wir dabei sein sollten.

Außerdem musste, wollte, ich zu Pan, Bericht erstatten und dafür sorgen, dass die Leiche des Froschwesens im Sommerpalast zwischengelagert werden kann, bis wir dazu kommen, sie zu analysieren. Und die Einherjar und verbleibenden Sidhe-Ritter hatten tapfer gekämpft, hatten teilweise auch gar nicht so triviale Verletzungen davongetragen, also wollte mich um sie kümmern, Präsenz zeigen, sie aufbauen. Was man als Erster Ritter seines Herzogs eben so macht nach einer Schlacht, um die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten. Oder jedenfalls, bis einem das Adrenalin ausgeht. Irgendwann wankte ich in das Zimmer, das mir dort zur Verfügung steht, auch wenn ich es bisher noch so gut wie nie in Anspruch genommen habe, fiel auf das Bett und war für den Rest des Tages und die folgende Nacht für die Welt gestorben. Immerhin hatte ich ja auch noch von der Nacht zuvor einiges an Schlaf nachzuholen!

Vorgestern musste ich dann erst einmal Lidia beruhigen und ihr alles erzählen, und nachmittags trafen wir uns mit Roberto, um den auf den neuesten Stand zu bringen und danach gemeinsam nach Alex und Totilas zu sehen. Ersterer hatte sein Bein geschient bekommen und sagte, sie wollten ihn einige Tage im Krankenhaus behalten*; letzterem ging es noch nicht so richtig viel besser. Wenn Totilas bei sich war, wirkte er beinahe ganz wie der Alte, aber er hatte immer wieder diese, hm, wie nenne ich das, Anfälle von Phasenverschiebung. Roberto und Edward sahen sich das an und befanden, dass Totilas bei dem Ritual offenbar zuviel Magie kanalisiert und damit zum einen die Verbindung zu seinem Hungerdämon beschädigt hatte, so dass der sich weder artikulieren noch mit Totilas interagieren oder dem seine übermenschlichen Kräfte geben konnte. Das war aber nicht das größte Problem – die Verbindung war schon wieder hergestellt worden, zumal Totilas sich in der Nacht tatsächlich ernährt hatte. (Ohne jemanden umzubringen, wie er sich beeilte zu erwähnen.) Die eigentliche Krux war eben wirklich die Sache mit der Phasenverschiebung. Totilas hatte bei dem Ritual auch einen Teil seines Halts verloren, war in der übermäßig kanalisierten Magie verloren gegangen, also musste er wieder neu in Miami verankert, seine Verbindung zu unserer Stadt wieder gestärkt werden.

Aber wie das am besten anstellen? Blöde Frage. Edward war mit von der Partie, Römer und Patrioten, also natürlich mit einem weiteren Ritual. Aber das war nichts, das man einfach mal so aus dem Ärmel schüttelt, also machten wir das nicht sofort. Es war aber zum Glück um Welten weniger komplex als das Genius Loci-Ritual, also konnten wir gestern alles vorbereiten und es heute dann durchziehen, nachdem ich vormittags erst wieder eine Weile bei Pans Rittern gewesen war.
Zur Verankerung verwendeten wir ein Foto von Raith Manor für das Sehen und eine Broschüre des Hotels Fountainebleu für den Geist. Wir führten das Ganze in dem Spa durch, in dem wir uns als Hüter Miamis aufeinander eingestimmt hatten – so konnten wir die Atmosphäre dort gleich als Komponente für die Seele verwenden. Die Massage, die Totilas in einem schaumbadgefüllten Whirlpool von einer leicht bekleideten jungen Dame erhielt, diente dem Fühlen, und der Duft des Schaumbads dem Riechen. Dazu gab es ein 'Lido Elixir' – ein eigens für das Spa kreierter Cocktail aus Gin, Aperol, Zitronensaft, Zuckersirup, Gurkenwasser, ein paar Gurkenscheiben, Minzeblättern und Ginger Ale – für das Schmecken, und zum Hören trug ich noch einmal die Ode an Miami vor. Zusätzlich war auch noch Blei eine Komponente, um Totilas' Körper, der immer noch in Wellen abzuheben drohte, symbolisch wieder zu beschweren. Während sich unser Freund in dem Bad bei seiner Massage entspannte, führten wir – besser gesagt, führten Edward und Roberto; mein eigener Anteil war nur die Ode - am Beckenrand das Ritual durch. Es hatte auch den gewünschten Erfolg, allerdings – wie so oft – nicht sofort, oder besser: nicht vollständig sofort. Der Anfang ist gemacht, ab jetzt wird es besser, aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Totilas' Anfälle von Phasenverschiebung völlig verschwunden sein werden. (Bei mir war es vor ein paar Jahren am Crater Lake mit meinem von Elena eingepflanzten Hass auf die Jungs ja ganz ähnlich.)

Brrrr. Jetzt habe ich allein von der Erinnerung doch tatsächlich eine Gänsehaut bekommen. Tío. Ich höre mal auf für jetzt. Ich sitze sowieso schon den ganzen Abend an diesem Eintrag – nicht, dass Lidia noch vergisst, wie ich aussehe. 



*Achtung, Wortspiel-Alarm – aber nicht meiner; der Spruch kam wohl von einer Ärztin oder Krankenschwester, die Alex schon die letzten paar Male behandelt hat (oder ist er sogar auf Alex' Mist selbst gewachsen?): Unser Kumpel hat im Mount Sinai Medical Center schon einen Viellieger-Bonus**, so oft war er in letzter Zeit dort.

**ich sage doch, der Witz war flach.

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18. März

Vorhin wurde Alex schon entlassen. Sein Bein ist natürlich noch geschient, und er geht auf Krücken, wenn er nicht in einem Rollstuhl sitzt, um das Bein zu schonen, aber eigentlich hätte er noch länger im Krankenhaus bleiben sollen. Die Ärzte seien erstaunt gewesen, dass der Bruch so gut aussehe, erzählte Alex, aber das liegt wohl auch und vor allem an Elegguas Schirmherrschaft, dass er schneller heilt als normale Menschen. Diese Schirmherrschaft erweist sich aber gerade auch in einer anderen Hinsicht als sehr nützlich: Wir haben in den letzten Tagen viel Zeit mit Totilas verbracht, und Alex zieht ihn wortwörtlich zurück, wenn er wieder einmal außer Phase gerät. Auch Lady Miami ist häufig bei uns aufgetaucht, und wenn sie da ist, hilft sie ebenfalls dabei, Totilas wieder ins Hier und Jetzt zu holen.

Totilas sagte gestern übrigens, er wolle besser verstehen lernen, wie diese Grenze zwischen der echten Welt und dem Nevernever funktioniert. Edward, Alex und Roberto haben alle angeboten, ihm dabei zu helfen, jeder mit seiner jeweiligen Spezialisierung und aus seinem jeweiligen Blickpunkt – ich würde auch, wenn ich könnte, aber zu dem Thema habe ich leider nicht so richtig viel beizutragen.

Aber jetzt, wo wir alle wieder so einigermaßen – ja, Krücken, ja, gelegentliche Phasenausfälle, aber trotzdem – wieder auf dem Damm sind, müssen wir dringend die Leiche des Froschmenschen untersuchen. Denn nicht nur müssen wir versuchen, so viel wie möglich über diese Wesen herauszufinden, sondern Edward, Dee und die anderen von den Feuerfischstacheln Getroffenen sind immer noch vergiftet, und Edward hat das Gift mit seinen alchimistischen Fähigkeiten mangels Zeit zur Analyse bisher nur unterdrückt und zurückgedrängt, aber noch nicht richtig heilen können. Das müssen wir dringend ändern!

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Später. Fertig mit der Untersuchung. Die Leiche des Froschwesens war, magische Aufbewahrung sei Dank, auch noch im selben Zustand wie vor einer Woche, so dass die Analyse nicht zusätzlich erschwert wurde. Durchgeführt wurde sie von Alex, unterstützt von Totilas und mir, auf der rein wissenschaftlichen Ebene, während Edward und Roberto sich um die magischen Aspekte kümmerten. Es stellte sich heraus, dass die Kreaturen tatsächlich Geschöpfe der echten Welt sind und nicht aus dem Nevernever kamen. Sie sind auch wirklich menschenartig, haben keinen Schildkrötenpanzer oder Fischschuppen oder dergleichen. Aber sie haben Kiemen, was darauf hindeutet, dass sie wirklich unter Wasser leben; an der Luft atmen können sie aber auch. Aus der Anatomie der Kreatur wurde auch deutlich, dass die Froschmenschen große Druckunterschiede aushalten können: Sie scheinen also nicht nur unter Wasser, sondern tatsächlich in großer Tiefe zu leben. Und auf kaltes Eisen reagierte der Leichnam – nicht so extrem wie eine Fee, aber eine Reaktion zeigte sich doch. Eine Art Feenerbe vielleicht? Und die Zellen des toten Wesens wirkten sehr wandelbar – Hinweise darauf, dass es sich bei den Froschartigen um Gestaltwandler handelt?

Als Rückschlüsse für eventuelle zukünftige Konfrontationen zogen wir aus unseren Untersuchungen, dass man sie vermutlich recht gut austrocknen kann und dass sie große Hitze mit einiger Sicherheit nicht mögen dürften. Hmmm. Austrocknen und Hitze? Ja hallo auch, Sommermagie!

Dass die Froschlinge Magienutzer sind, hatten wir am ja eigenen Leib erlebt. Kein Wunder also, dass, wie sich herausstellte, die von ihnen verschossenen Stacheln magisch heraufbeschworen worden waren und nichts Natürliches an sich hatten.
In seinem Labor analysierte Edward den Stachel, der ihn getroffen hatte, sowie eine Probe seines eigenen Blutes – immerhin trägt er ja das Gift ja selbst auch in sich – und fand heraus, dass es sich dabei um eine lähmende Substanz handelte, die unbehandelt früher oder später tödlich gewesen wäre. Glücklicherweise hat der bisherige Trank die Wirkweise des Toxins sehr stark verlangsamt, und jetzt kennt Edward die genaue Zusammensetzung des Giftes und kann sich daran machen, ein echtes Gegenmittel zu entwickeln.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 7.06.2020 | 17:10
21. März

Die Formel für das Gegenmittel ist gestern fertig geworden. Gemeinsam mit den anderen Magiebegabten unter den Hütern haben wir heute genug davon hergestellt, um alle Vergifteten zu heilen. Ich sage 'wir', weil ich mich diesmal ebenfalls beteiligen konnte. Erneuerung und Wiederherstellung und Heilung sind alles Aspekte, die von Sommer abgedeckt werden, also konnte ich mit der Sommermagie dabei helfen, das Mittel zu brauen.
Wir haben es schon allen Vergifteten verabreicht, und es ist sogar etwas übrig geblieben, um das für einen zukünftigen Angriff der Froschartigen schonmal in petto zu haben.

Totilas hat inzwischen auch mit den Jungs geredet, um mehr über die Grenzen zwischen hier und dort zu erfahren und ich glaube, neben all dem theoretischen Wissen, dass er erfahren hat, hat war Robertos Hilfe die praktischste. Der hat ihm nämlich die Sight beigebracht hat: die Technik, wie man sein Drittes Auge öffnet.

Ach ja. Und den Winterhof hat es bei dem Angriff tatsächlich schwer gebeutelt, glaube ich. Tanits Anwesenheit können wir spüren, aber von Hurricane fehlt, zumindest in unserem jetzt erweiterten Bewusstsein von Miami, jede Spur. Winter oder nicht, ich hoffe sehr, er ist nur gerade nicht in der Stadt – im Nevernever vielleicht? –  und nichts Schlimmeres.

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23. März

Wir haben etwas nachgeforscht und versucht, ein paar Infos über diese Froschlinge zusammenzutragen. So aus dem Kopf heraus sagten sie keinem von uns etwas, aber in ein paar uralten Unterlagen, die Roberto auftat, und aus dem, was ich aus Pan herausbekam, als ich mich mit ihm und den Einherjar nochmal über die Sache unterhielt, kristallisierte sich Folgendes heraus:
Die froschartigen Wesen heißen Fomor oder Fomori – was nun tatsächlich der Plural ist, oder ob beides zutrifft, ist mir noch ein wenig unklar. Vor Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, als die Fae noch in der normalen Welt lebten und nicht im Nevernever, kam es zum Krieg gegen die Fomori, hässliche, froschähnliche Gestaltwandler, die das Aussehen von Menschen annehmen konnten, wenn sie wollten. Sie hatten sich zum Teil mit den Feen vermischt (was wohl zu der leichten Eisenallergie führte, die wir bei der Leiche festgestellt haben). Unter Beteiligung des Vorläufers des Weißen Rates drängten die damaligen Sidhe die Fomori ins Meer – das war notwendig, weil die Fomori die Angewohnheit hatten, Menschen und Fae, auch und gerade magisch begabte Menschen und Fae, zu entführen und zu versklaven, und nicht nur das, sondern ihre Sklaven auch körperlich zu verwandeln. Sie genossen es geradezu, andere unter ihre psychische Dominanz zu bringen. Damals wurden die Fomor also ins Meer getrieben und wurden nicht wieder gesehen – aber jetzt, wo mit dem Verschwinden des Roten Hofs ein derartiges Machtvakuum entstanden ist, scheinen sie das wohl irgendwie mitbekommen und für ihr Wiedererscheinen genutzt zu haben.

Die Riesen, die sie bei sich hatten, stammten übrigens aus dem Nevernever, bekamen wir ebenfalls heraus. Sie leben in einem völligen Ödland, oder besser: Alles Land, wo sie sich aufhalten, wird früher oder später zu Ödland, weil sie alles, aber auch alles verschlingen. Bevorzugt ernähren sie sich von intelligenten Lebewesen, aber wenn sie die nicht bekommen können, dann fressen sie auch Schafe, Insekten, Bäume –sogar Steine, wenn sonst nichts anderes da ist.

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25. März

Gestern vormittag, als es in Österreich Nachmittag war, hat Edward seine österreichische Magier-Bekannte Vanessa Gruber angerufen und von dem Angriff erzählt. Dabei erfuhr er, dass die Fomori auch überall in Europa aufgetaucht sind – ihr Wiedererscheinen scheint ein weltweites Phänomen zu sein.
In Österreich kamen die Fomori aus zwei großen Binnenseen im Westen und Osten des Landes, hatten dort aber keine Riesen dabei, sondern versklavte Menschen. Das veranlasste Totilas hinterher zu der Theorie, dass die Froschlinge ihre Gegner kennen und geplant diejenigen Diener mitnehmen, die sie für die jeweilige Situation als am Effizientesten erachten. Aber das war eben genau das: eine Theorie, die wir zwar im Hinterkopf behalten, aber nicht beweisen können.

Edward fragte Vanessa auch nach dem Verschwinden des Red Court. Wie wir ja schon von Richard gehört hatten, wollte der Rote König ein Ritual durchführen, um über einen seiner Nachfahren den Blackstaff zu töten, den Magier, der dem White Council als Scharfrichter dient. Es gelang den Ratsmagiern, das Ritual umzudrehen, so dass der jüngste Angehörige des Roten Hofs davon getroffen wurde und sich in einer rückwärtsgerichteten Kettenreaktion alle Rotvampire auflösten.
Daraufhin wollte Edward wissen, wie wichtig dieser Blackstaff denn sei und wieviele Nachfahren er habe, dass ein solches Ritual greifen könne. Die Zahl seiner Nachfahren kannte Ms. Gruber nicht, aber was die Wichtigkeit des Blackstaff beträfe: Er habe einen Satelliten auf eine vom Roten Hof betriebene Farm herabstürzen lassen – der Rote König müsse einen abgrundtiefen Hass auf den Mann verspürt haben.
Edward versprach Vanessa noch, ihr alles zuzusenden, was wir über die Fomori herausgefunden hatten, und sie versprach im Gegenzug, ebenfalls Nachforschungen anzustellen und die Informationen zu teilen, falls dabei etwas herauskäme. Außerdem fragte die Österreicherin nach Warden Declan. Als Edward wahrheitsgemäß antwortete, dass der verschollen sei, fragte sie, ob wir jemand Neuen bräuchten und schlug vor, dass wir uns an den in Chicago ansässigen Warden wenden sollten, falls ja. Angesichts der Tatsache, dass der in Chicago ansässige Warden dieser unsympathische Typ ist, mit dem Edward vor ein paar Jahren dieses unerfreuliche Gespräch hatte, war er nicht gerade begeistert von dieser Idee, brummte aber ein unverbindliches „Vielleicht“.

Abends dann, nachdem ich mich vorher (wie alle paar Tage in letzter Zeit) um die Einherjar und verbliebenen Sidhe-Ritter gekümmert hatte, trafen wir uns dann mit den anderen Hütern. Cicerón war noch etwas angeschlagen, weil er sich gegen die Fomori eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, aber es ging schon wieder. Bjarki Lokison, der ja selbst Gestaltwandler ist und den ich nach dem Kampf am Strand tatsächlich völlig aus den verloren hatte, sagte, er sei den Froschlingen in Fischgestalt gefolgt. Nach ihrem Rückzug seien sie weit hinaus aufs Meer geschwommen und dann ganz tief abgetaucht. Dort hätten sie eine richtige Stadt, sagte Bjarki – es handele sich also nicht nur ein paar Gestalten, sondern tatsächlich um ein ganzes Volk. In die Stadt hinein folgte er ihnen lieber nicht, weil er nicht das Risiko eingehen wollte, entdeckt zu werden.
An diesem Punkt warf Totilas die Frage auf, ob die Fomori einfach so wegen des Machtvakuums wieder aufgetaucht seien, oder ob Jak sie gerufen haben könne. Edward hielt allerdings dagegen, dass wir keine unnötige Paranoia entwickeln sollten: Nicht alles Schlechte, das uns widerfährt, kommt von Jak. In diesem Zusammenhang konnte Alex jetzt eindeutig bestätigen, dass die Geister, die uns ständig gestört hatten, von Adlene gekommen waren und nicht Jak dahintersteckte.
Die Geister sind ein echtes Problem, waren wir uns alle einig, und zwar eines, das wir demnächst irgendwann einmal angehen müssen, ebenso wie wir uns um Adlene kümmern müssen.
Totilas war anderer Ansicht: „Jak ist das Problem“, erklärte er voller Überzeugung, was aber Cicerón zum Widerspruch anregte: „An Jak kommen wir aber nicht heran“.
Ich versuchte, zwischen den beiden Ansichten zu vermitteln. „Der Weg zu Jak führt über Adlene“, sagte ich – denn immerhin sind die beiden ja nach allem, was wir wissen, Verbündete, und ich denke schon, dass es uns gegen Jak helfen kann, wenn wir Adlene unschädlich machen oder von seinem Outsider-Partner lösen.

Der nächste Punkt, den wir diskutierten, auch wenn ich gar nicht mehr genau weiß, wer die Frage in den Raum warf, war es, ob wir uns beim Rest der übernatürlichen Gemeinschaft als die Hüter Miamis zu erkennen geben sollten. Totilas bekannte sich sofort für die Idee, aber sowohl Cicerón Linares als auch ich sprachen uns, wenn nicht direkt gegen die Idee aus, so doch dafür, das sehr genau abzuwägen. Linares war der Auffassung, es sei zumindest riskant, wenn das alle wüssten, und ich fand auch, wir sollten den Ball vorläufig lieber erst einmal ein bisschen flach halten. Aber irgendwer - Mierda, ich weiß gar nicht mehr, wer genau, ist aber vielleicht auch nicht so wichtig – brachte die Unseelie Accords ins Spiel. Dass es vielleicht gar nicht schlecht sei, wenn wir Accords als Fraktion beiträten, und das wiederum war eine Idee, die unerwartet kam, die wir aber alle ziemlich interessant fanden. Allerdings waren wir uns auch einig, dass es -falls das möglich ist- vermutlich besser wäre, den Vertrag erst zu unterzeichnen und uns dann als Hüter zu outen, weil wir dann nämlich schon von den Bestimmungen des Vertrags geschützt wären. Aber das sind alles noch ungelegte Eier.
Eines war uns aber allen klar: Wir müssen mit unseren neu erhaltenen Fähigkeiten üben, damit wir, wenn es ernst wird, genau wissen, wie wir sie am besten einsetzen und wo ihre Grenzen liegen.
Also lag es vielleicht nahe, dass Edward beim Thema neu erhaltene Fähigkeiten einfiel, dass wir dank unserer besonderen Verbindung zu Miami jetzt vielleicht auch ein Bewusstsein für unsere Feinde haben. „Es wäre interessant, ob wir spüren können, falls Declan und Donovan wieder auftauchen“, sagte er nachdenklich, bevor er die anderen Hüter informierte: „Die haben aber Dämonenkräfte.“
„Stefania Steinbach auch“, ergänzte ich – und weil ich in dem Moment an die korrumpierte Kirchenvertreterin dachte und mich somit aktiv auf sie konzentrierte, fiel mir auf, dass ich ihre Gegenwart eben tatsächlich nicht spüren konnte, und mir entfuhr ein heftiges: „Puta madre!
„Anstand!“ tadelte Ángel mich sofort, was mich gar nicht wunderte. Irgendwie muss ich bei ihm immer an den klassischen Fantasy-Paladin denken.
Ich verzog etwas das Gesicht – normalerweise bin ich ja (außerhalb der Privatsphäre dieser Seiten jedenfalls) selbst niemand, der sich zu allzu kruden Flüchen hinreißen lässt. „Ja, tut mir leid“, erwiderte ich deswegen leicht zerknirscht, bevor ich dann aber doch fortfuhr: „Aber extreme Situationen erfordern eben manchmal extreme Sprachwahl.“
Unser Paladin lenkte auch ein. „Stimmt. Sorry.“
Das war der Punkt, an dem Ximena aufsprang und laut in die Runde pfiff, bevor sie eine leise klirrende Kühltasche auf den Tisch hievte. „Meine Güte, jetzt lasst uns erstmal feiern! Wir haben immerhin ein verdammt großes Ritual hinter uns gebracht!“

Die Kühltasche enthielt Sekt und Gläser, also taten wir genau das. Ich gebe zu, es wurde wieder ein bisschen spät.

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26. März

Heute hatte Edward das um zwei Wochen verschobene Gespräch mit der Abteilung für innere Angelegenheiten. Keine Ahnung, warum die ursprüngliche Vorladung partout an einem Sonntag hatte stattfinden sollen – vielleicht hatten sie sonst keine anderen Termine frei, oder es sollte Teil einer Zermürbungsstrategie für Edward sein oder was weiß ich. Wie dem auch sei, er hat sich mit Internal Affairs auf einen Handel geeinigt: Edward quittiert den Dienst beim Miami PD. Er erhält keine Pension, wird aber ehrenhaft entlassen, und es wird keine weiteren Untersuchungen in seine Person und seine Beziehungen zu Totilas Raith bzw. den Geschäften der Familie Raith in Miami mehr geben. Internal Affairs war nicht begeistert, aber das war ein Kompromiss, auf den sich beide Seiten einlassen konnten.
Edward will sich als Privatdetektiv selbständig machen, sagte er. Darüber hatte er in letzter Zeit ja schon häufiger nachgedacht.

Ich habe in letzter Zeit auch häufiger über etwas nachgedacht. Schon lange eigentlich, auch wenn ich es auf diesen Seiten noch nie explizit ausgeschrieben habe. Ich liebe Lidia, und ich würde unsere Beziehung gern auf die nächste Ebene heben, falls sie zustimmt. Oh Dios, wie trocken das klingt. De verdad, Alcazár, dafür, dass du Schriftsteller bist, kannst du dich manchmal echt ganz schön hölzern ausdrücken.

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27. März

Totilas hat in den letzten Tagen viel Zeit in Raith Manor verbracht. Er wollte sich ganz aktiv mit seiner Mutter versöhnen und das Verhältnis zu seinen Eltern wieder herstellen, jetzt wo die beiden ein bisschen Zeit hatten, um erst einmal zueinander zu finden. Totilas hat angedeutet, dass es seiner Mutter gar nicht gefällt, dass er ein Verbrecher ist, der in durchaus größerem Stil mit Drogen und in gewissem Maße auch mit Menschen handelt, aber er ist ihr Sohn, und moralische Diskussionen können und werden später kommen, jetzt wollen sie erst einmal wieder ein gutes Verhältnis zueinander herstellen. (Das geht mir ja ganz ähnlich – ich kann diese Machenschaften ja auch nicht gutheißen, und eigentlich müsste ich mich längst von Totilas distanziert haben... aber er ist nun mal mein Freund, und ich toleriere seine Machenschaften, was auch immer das nun über mich aussagt. Dass ich kein so netter Kerl bin, wie ich das eigentlich gerne von mir glauben würde, vermutlich. Mierda.)

Wie dem auch sei, als wir uns letztens mal mit Richard und Sancía getroffen haben, war sehr deutlich zu merken, dass die beiden nicht nur neu verliebt sind, sondern dass sie in wahrer Liebe verbunden sind. Tatsächlich sah Totilas so aus, als würde es ihm Schmerzen bereiten, wenn sein Vater oder seine Mutter seine Hand griffen oder ihm über die Wange strichen – nicht so stark, dass es ihm eine Brandblase zufügen würde, aber er versucht ja auch nicht, sich von den beiden zu ernähren. Und es ist ein Zeichen dafür, wie sehr er seinen Eltern zugeneigt ist, dass er die Berührungen trotzdem über sich ergehen lässt, ohne mit der Wimper zu zucken, und sich sogar darüber zu freuen scheint. Gerade Sancía, emotional, wie sie ist, scheint Totilas ihre mütterliche Zuneigung durch liebevolle kleine Berührungen zeigen zu wollen. Jetzt, wo ihre Seele wieder mit ihrem Körper vereint ist, erinnert sie sich wieder, sagte Totilas letztens, und sie ist sehr betroffen darüber, was sie ihm damals angetan hat. Jetzt will sie ihn neu kennenlernen, und Totilas ist mehr als einverstanden – das ist ja genau auch sein Ziel.

Richard Raith wirkte nicht nur überglücklich, sondern auch sehr erleichtert, tatsächlich so, als sei eine riesige Last von seiner Seele genommen. Er erwähnte etwas davon, dass er sich jetzt wieder ganz der Magie widmen könne und wolle und vielleicht sogar versuchen wolle, einen Platz im Weißen Rat zu erlangen. Hmmm – er war ja der Lehrling von Lafayette duMorne, dem Warden vor Spencer Declan... Vielleicht stehen seine Chancen dafür, in den Magierrat aufgenommen zu werden, gar nicht so schlecht. Und vielleicht wäre er irgendwann ein Kandidat für das unbesetzte Warden-Amt hier? Hmmm. Hmmmm!
Unter Lafayette duMorne gab es übrigens nie 'Steuern', bestätigte Richard uns, und auch sonst war ihm das Konzept völlig unbekannt – damit haben wir jetzt ein für alle Mal den Beweis, dass Spencer Declan sich da lediglich in Schutzgelderpressung betätigt hat.

Sancía sagte noch, jetzt, wo sie wieder ein Mensch sei, wolle sie ihre Tochter suchen. Momentan ist Cherise ja spurlos verschwunden, nachdem wir damals vor sechs Jahren zu ihrer eigenen Sicherheit den Tod des Mädchens fingiert hatten und sie von Castor Elfenbein so weggebracht wurde, dass niemand, vor allem nicht Totilas, Richard oder sonst einer der Raiths, wussten, wohin.

Richard und Sancía wollen übrigens einen neuen Nachnamen annehmen – weder 'Raith' noch 'Canché' wären sonderlich geeignet dafür, um unauffällig als normale Menschen weiterleben zu können.

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3. April

Edwards Visitenkarten sind angekommen. Ich hatte die Ehre, die erste von ihm überreicht zu bekommen: „Parsen Investigations. Rituale & Recherchen“. Sehr schön. Das gefällt mir.

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5. April

Eben habe ich die hijas beiseite genommen und ihnen gesagt, dass ich Lidia gerne fragen möchte, ob sie meine Frau werden will, und was sie davon halten würden. Sie kicherten und nickten eifrig und freuten sich beide riesig. Ich nahm ihnen dann noch das Versprechen ab, dass sie Lidia nichts davon erzählen sollen, weil ich schon gerne möchte, dass sie die Frage direkt von mir hört. Sie müssen auch nur bis morgen Abend stillhalten, denn morgen Abend will ich fragen.

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6. April

Alles soweit fertig. Oh Mann, bin ich aufgeregt.

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Sie hat ja gesagt!!

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7. April

So, nachdem ich gestern kaum einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn ein klares Wort zu Papier bringen konnte, jetzt nochmal in Ruhe.

Ich hatte kurz überlegt, ob ich Lidia vielleicht zum Essen ausführen sollte, aber irgendwie fand ich den Gedanken schöner, die Frage zuhause zu stellen. Ich koche ja auch sonst gelegentlich für uns, deswegen war das nichts so Besonderes, aber diesmal lag, zumindest für mich deutlich spürbar, ein gewisses Etwas in der Luft. Schon den ganzen Tag lang hüpften die Mädchen beide aufgekratzt herum wie die Gummibälle und waren ständig am Tuscheln, und sie gingen ohne jegliche Verzögerungstaktik brav früh ins Bett.

Ich hatte costillitas gebraten und Salat gemacht, dazu eine gute Flasche Wein geöffnet und den Tisch schön gedeckt, und als Nachtisch gab es flan de leche.
Nach dem Essen standen wir am Fenster und sahen auf die Lichter von Miami Beach und das nachtdunkle Meer hinaus, und das war der Moment, in dem ich Abuelitas Ring herausholte. Ich weiß gar nicht genau, warum Enrique den nie bekommen hat – er ist immerhin der Ältere von uns beiden –, aber vielleicht weil es bei ihm und Evelia nie so aussah, als würde es ernst werden. Jedenfalls hatte Mamá mir den Ring vor einer Weile mit der Erklärung zugesteckt, dass das der Ring sei, mit dem sowohl Abuelo um die Hand meiner Großmutter und Papá um Mamás Hand angehalten habe, und ich könnte ihr keine größere Freude machen, als wenn ich ihn auch irgendwann einmal zu diesem Zweck einsetzen würde.
Ich ging nicht vor Lidia auf die Knie, auch wenn ich kurz mit dem Gedanken spielte, aber dazu hätte ich mich aus unserer Umarmung lösen müssen, und irgendwie kam mir das in diesem Moment unpassend vor. Stattdessen hielt ich sie mit einem Arm weiter an mich gezogen und präsentierte ihr dabei den Ring auf der Handfläche der freien Hand, während ich – mit ein bisschen zittriger Stimme, ich muss es zugeben – die Frage stellte. Lidia drehte sich zu mir und strahlte mich an und sagte: „Ja, Cardo, das will ich!“, und ich steckte ihr den Ring an den Finger und war in dem Moment der glücklichste Mensch auf diesem Planeten. Bin ich auch immer noch. Ich kann es tatsächlich kaum fassen.

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12. April

Irgendwie tauchen in letzter Zeit immer häufiger Gottheiten und Halbgötter und dergleichen in Miami auf. Es waren ja schon immer welche in der Stadt – siehe Bjarki und Haley oder Ahalphu – aber entweder es sind mehr geworden, oder sie waren die ganze Zeit über getarnt, und jetzt lassen sie die Tarnung fallen. Oder noch besser: für die meisten Leute sind sie immer noch getarnt, aber jetzt können wir sie erkennen.

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13. April

Es sind tatsächlich mehr geworden. Bei dem Ritual haben wir ja ein Ventil geöffnet, um zum Druckablass magische Energie in die Stadt zu lassen. Das war offenbar nicht nur einfache magische Energie, sondern auch ein Gutteil göttliche Energie. Und Alex sagte, dass gerade Eleggua extrem zufrieden ist. Das war wohl wirklich haargenau das, was Alex' patron wollte. Tío.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.11.2020 | 22:13
Ricardos Tagebuch: Changes, Fallout

17. Juni

Ich habe doch vor einer Weile geschrieben, dass wir mit unserem Genius Loci-Ritual göttliche Energie in die Stadt gelassen haben und dass immer mehr Gottheiten und Halbgötter in Miami auftauchen. Was das konkret bedeutet, das macht sich inzwischen immer stärker bemerkbar. Seufz.

Alex erzählt, dass auf seinem Hausboot jetzt immer häufiger Geschenke und Opfergaben für Eleggua abgeben und dass Eleggua in regelmäßigen Abständen bei ihm vorbeikommt, um die Sachen abzuholen. Und sein patron hat Alex dazu aufgefordert, dass er die ganzen anderen Trickster, die hier in der Stadt unterwegs sind, also Loki, Coyote und dergleichen, doch bitte mal in ihre Schranken weisen solle. Moment... dass Loki sich gelegentlich hier in der Stadt herumtreibt, das wussten wir ja schon, aber Coyote? Und vielleicht noch andere Trickster-Gestalten? Und Alex soll denen jetzt klar machen, wer der Ober-Trickster am Ort ist? Santisíma madre.

Mir selbst ist auch etwas aufgefallen. Herzog Pan sieht nicht mehr so menschlich aus wie früher immer. Oder besser, er bekümmert sich nicht mehr so viel um den menschlichen Glamour wie früher. Er trägt seine Hörner und Bocksbeine jetzt offen und ist so auch schon draußen außerhalb seines Hofs unterwegs gewesen.
Als ich ihn direkt darauf ansprach, bestätigte Pan mir gutgelaunt auch noch einmal, dass wir mit unserem Ritual ein Tor für die alten heidnischen Gottheiten geöffnet haben und er sich jetzt seines früheren Selbst bewusster ist als zuvor. Er war auch sehr zufrieden mit der neuen Situation – eigentlich hätte ich unser Vorhaben natürlich vorher mit ihm als meinem Herzog absprechen sollen, sagte er aufgeräumt, aber vielleicht sei es ganz gut, dass ich es nicht getan habe.
Dann bot er mir Wein an und beschwerte sich, als ich höflich ablehnte, ich sei viel zu zugeknöpft. "Aber hey, die große Party kommt ja noch", zwinkerte Pan mir dann zu, "da hat sich das mit dem zugeknöpft ganz schnell erledigt!" Er habe auch schon etliche Dinge bestellt und die Vorbereitungen in Auftrag gegeben, seit ich ihm von der Hochzeit erzählt hätte. Denn ich habe meinem Herzog von der Hochzeit erzählt. Das musste ich ja – das hätte sich auf Dauer nicht geheim halten lassen. Pan war sofort Feuer und Flamme gewesen, als er davon gehört hatte: katholisch heiraten sei schön und gut, aber ich müsse die Hochzeit definitiv auch am Feenhof feiern. Und den Junggesellenabschied sowieso. Und jetzt also die Ankündigung einer großen Party.
"Oha", witzelte ich, "muss ich mir Sorgen machen?"
Pan verzog keine Miene. "Ja!"
"Oha", wiederholte ich, und jetzt war das nur noch ganz andeutungsweise ein Witzeln, "alles klar!"
Heilige Mutter, steh mir bei.

Aber nicht nur Pan habe ich von der Hochzeit erzählt, logischerweise: der Familie (Mamá und Papá waren völlig aus dem Häuschen) und den Jungs und sonstigen Freunden natürlich auch. Und Edward habe ich gefragt, ob er mein Trauzeuge sein will. Er hat zugesagt, was mich riesig freut.

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19. August

Totilas hat, auch wenn sie schon deutlich seltener geworden sind, immer noch gelegentliche Anfälle von Phasenverschiebung. Und als wir uns heute im Dora's trafen, erzählte er, dass er in diesen Episoden immer wieder eine weiße, dunkelhaarige Frau sieht, die mit einem Schwert bewaffnet ist und meist (oder sogar immer?) auf einem Stein sitzt. Anfangs habe Totilas die Frau nur bemerkt, aber nicht weiter darauf reagiert, weil in diesen Phasenverschiebungen ohnehin alles so seltsam sei, aber als er sie immer und immer wieder sah, habe er sie irgendwann einfach angesprochen. Zuerst habe sie sich gewundert, dass Totilas sie überhaupt sehen könne, dann erfuhr er – über mehrere Male verteilt, weil die Episoden immer wieder abrupt endeten – folgendes von der Frau: Sie heiße Eoife und sei 'die Erste'.
Die Erste? Und mit dem gälischen Namen für Eva?
"Sie ist nicht zufällig nackt bis auf ein Feigenblatt?" fragte ich, aber Totilas schüttelte den Kopf. "Nein, sie ist nicht der erste Mensch. Sie ist die erste Tote, die von einem seiner Art getötet worden sei.
Das erste Opfer eines White Court also? Oha.
Hm. Hmm hmm hmm. Ob sie dann etwas mit dem See in Schottland zu tun hat, dem Lochan Dubh nan Geodh? Immerhin sind dort ja die Weißvampire entstanden.

Alex schlug vor, doch ins Nevernever hinüberzuwechseln und nach dieser Eoife zu suchen, aber vielleicht nicht gerade vom Donut-Laden aus. Und außerdem: "Roberto, hattest du da nicht eine Frage, die du stellen wolltest?"
Überrascht sahen wir erst zu Alex und dann zu Roberto, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich herumdruckste. Normalerweise ist er doch von rein gar nichts in Verlegenheit zu bringen.
Aber diesmal schien unser Kumpel tatsächlich einen Moment lang nach Worten zu suchen, bevor er damit herausrückte, dass er seit dem Ritual auch ständig Besuch von seiner patrona hat. Oshun taucht so oft in seiner Botanica auf, dass man fast denken könnte, sie wohne da jetzt. Und weil Roberto ihr Priester ist und Oshun die Orisha der Liebe, habe sie gefordert, dass er diese Liebe nicht nur ihr gegenüber zeigen solle, sondern die Liebe auch weitertragen. Also nicht, indem er mit möglichst vielen Leuten ins Bett gehen soll, diesen Aspekt überlässt sie Roberto ganz allein, aber indem er möglichst vielen Leuten, mindestens aber seinen Freunden, dabei helfen solle, ihr Glück zu finden. Ich bin ja zum Glück schön raus, ich habe mein Glück ja schon gefunden, aber Totilas und Edward schauten ein bisschen sauertöpfisch aus der Wäsche, als Roberto sie rundheraus darauf ansprach, wie es denn bei ihnen beziehungstechnisch so aussehe. Er sei nicht so der Typ für Beziehungen, erklärte Totilas, aber er esse regelmäßig.
"Das ist nicht dasselbe", warf ich ein."Und dein Vater hatte auch eine Beziehung", fügte Edward hinzu.
"Hat ja super geklappt", brummelte Totilas.
"Ach wieso" – das war jetzt Alex – "es hat zwar gedauert, aber jetzt sind sie doch glücklich!"
Aber Totilas war nicht zu überzeugen. "Glücklich vielleicht – aber beide keine Vampire mehr!"
Dann lenkte unser White Court-Kumpel schnell den Fokus von sich weg, indem er Alex fragte, wie es denn bei ihm aussehe. Der hielt sich zwar bedeckt, deutete aber an, dass er zwar vielleicht keine feste Freundin habe, aber doch zumindest etwas in der Art. Dallas Hinkle, könnte ich mir vorstellen. Gut für ihn!
Edward… naja. Edward ist schwieriger. Der hat zwar ja vor einer ganzen Weile ein kleines Ritual abgehalten, um seelisch von Cherie loszukommen (was eine ganz eigene Büchse der Pandora ist, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten), aber eine neue Beziehung ist er, soweit ich weiß, bisher trotzdem nicht eingegangen. Und ich glaube, ich wüsste es, wenn er das wäre, immerhin ist der Junge mein bester Freund. Kein Wunder also, dass Edward bei Robertos Frage etwas das Gesicht verzog.

Wir saßen noch im Donut-Laden, da ging die Tür auf, und Cicerón Linares kam herein. Er sah ganz schön angeschlagen aus (wer es sich noch nicht gedacht hat: Das war ein Euphemismus für 'er sah richtig scheiße aus') und ließ sich mit einer Grimasse auf die Sitzbank fallen.
Natürlich wollten wir wissen, was los sei.
"Shango ist los", knurrte Linares. "Der tocapelotas hängt im Clubhaus rum, krault sich die Eier, säuft, raucht mit seinem brasilianischen Kumpel Eltunchi*, nervt alle, will verehrt werden und greift alle Frauen an den Arsch, ob sie das nun wollen oder nicht."
Während mir ein "Uff, de madre" entfuhr, schüttelte Edward mit einem leisen 'tssss'-Laut den Kopf: "Ich glaub, ich hab das schon mal gesagt – Augen auf bei der Orisha-Wahl."
"Ist ja eigentlich ein guter Orisha", erwiderte Cicerón, "jedenfalls wenn er nicht immer da ist!"
Jedenfalls sei er hergekommen, weil er ja wisse, dass wir öfter hier abhängen, und weil er gehofft hatte, dass er bei Edward etwas Dampf ablassen könne. Bei den Jungs aus seiner Gang geht das ja nicht, weil er da das Anführer-Gesicht wahren muss.
"Bist du hier genau richtig", versicherte ihm Edward.
Das Thema Shango brachte mich auf einen anderen Gedanken. "Wie geht es eigentlich Ilyana mit Yansa?"
"Ilyana und Yansa sind okay", antwortete Cicerón, "aber Ilyana hat da ein anderes Problem. Krokodile."

Krokodile? Klar, die Elders sind Werkrokodile, aber sind sie doch schon lange?
Aber ganz so einfach ist es nicht, erklärte der Bandenboss uns. Ja, die Elders sind Werkrokodile, und wie wir ebenfalls alle wissen, leben in den Glades normalerweise einheimisch eigentlich Alligatoren. Und in letzter Zeit tauchen eben immer mehr Krokodile in den Glades und auch in Miami auf, was seltsam ist, weil hier eben, wie gesagt, eigentlich vor allem Alligatoren hergehören.
Hmm. Wir wissen, dass die Elders irgendwann einmal aus Ägypten eingewandert sind. Und wie man weiß, wurden Krokodile im alten Ägypten als Götter verehrt. Ist jetzt vielleicht einer diese alten Krokodilsgottheiten im Zuge der ganzen Götzenwanderung hier in Miami aufgetaucht? Vorstellen könnte ich es mir.

Aber jedenfalls brachte Linares' Shango-Problem uns natürlich zum Überlegen, was man dagegen tun könne.
"Sind Oshun und Shango nicht verheiratet?" fragte Alex mit einem vielsagenden Blick zu Roberto, was diesen breit grinsen und erklären ließ, es sei an der Zeit, dass die beiden sich wieder einmal miteinander beschäftigten statt mit ihren sterblichen Erwählten. Er will auf jeden Fall versuchen, Oshun sanft in diese Richtung zu schubsen.

Sobald Cicerón gegangen war, brachen wir ebenfalls auf, um uns auf die Suche nach dieser Eoife zu machen.
Bei Edward wurde mir bewusst, dass ich Schneeball eine ganze Weile nicht gesehen hatte. Denn erst jetzt, als ich den Hund wieder zu Gesicht bekam, fiel mir auf, dass auch er sich verändert hatte. Der weiße Spitz…  war kein Spitz mehr. Schneeball war größer geworden und wolfsartiger, deutlich ruhiger, nicht mehr so hektisch wie früher. Edward erklärte das so, dass Schneeball seit dem Ritual offenbar Wolf kanalisiert. Das stört ihn aber nicht weiter, sagte er.

Jedenfalls schlug Alex vor, Eoifes Geistgestalt zu suchen und ihr anzubieten, von Alex Besitz zu ergreifen, damit wir alle mit ihr würden sprechen können. Ein Blick auf die Geisterebene sagte ihm, dass Eoife kein gewöhnlicher Geist war, sondern irgendwie nur halb anwesend. Sie hielt sich in Totilas' Nähe auf, aber nicht vollständig, und sie hatte ihre Aufmerksamkeit zwar auf Totilas gerichtet, aber nicht nur auf ihn. Alex sagte, es sehe so aus, als habe sie gewissermaßen Aufmerksamkeitspunkte verteilt, und einer dieser Punkte lag bei Totilas.

"Ich spreche sie jetzt an", sagte Alex, und dann hatte er plötzlich ein Schwert in der Hand. Die Waffe, das erkannte ich sofort, war Feenarbeit, aber anders als Jade, die ja ihren Aspekt verändert, je nachdem, wer sie führt (und ja nur bei mir überhaupt 'Jade' heißt), war sehr deutlich, dass dieses Schwert unveränderlich war und unveränderlich Eoife gehörte und niemandem sonst. Und ja, Eoife war bereit, mit uns zu reden.
Nachdem wir uns alle kurz vorgestellt hatten, bestätigte Eoife das, was sie Totilas auch schon gesagt hatte, dass sie nämlich das erste Opfer eines White Court-Hungerdämonen gewesen war. Jetzt erfuhren wir außerdem, dass sie sehr genau weiß, wer sie getötet hat, sprich welcher Mensch es gewesen war, der diesen ersten Dämonen aus dem See geholt hatte. Rory McCormac war dessen Name, oder genauer gesagt Ruairidh MacCormac im gälischen Ursprung. Sie will Rache, sagte sie, und die Feen haben zugesagt, ihr bei dieser Rache zu helfen. Nachdem sie ihnen einen Gefallen getan hatte, erhielt sie das Schwert von den Feen, und mit dieser Waffe wird es möglich sein, diesen ersten Dämon zu töten. Da ist nur dieses kleine Problem, dass sie nicht weiß, wo sie ihn finden kann. Das und die Tatsache, dass ihr das "Dritte" fehlt, das sie braucht, um ihre Rache vollenden zu können, sie aber nicht weiß, was dieses Dritte sein könnte.

Hier mussten wir natürlich einhaken. Wenn ihr das Dritte fehlt, was sind dann das Erste und das Zweite?
Die Fähigkeit, auch als Geist sie selbst zu bleiben und nicht zu einem reinen Abbild zu werden, habe sie von der Morrigan bekommen, das Schwert hingegen vom König unter dem Hügel, dem Herrn der Steinkreise.
Als sie das sagte, rührte sich die Sommermagie in mir. Ich kann nicht einmal sagen, warum, denn eigentlich konnte ich mit dieser Anrede nichts anfangen, aber obwohl die Bezeichnung mir nichts sagte, fühlte sie sich an wie ein Schlag in die Magengrube und wie Winter.
Aber das versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, sondern ich lenkte mich damit ab, dass ich Eoife fragte, wann sie eigentlich gelebt habe. Zu der Zeit seien gerade die ersten Christen in Schottland entstanden. Also gibt es die Weißvampire etwa seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts. Kein unmittelbar nützliches Wissen, aber trotzdem interessant.

Als Eoife mit ihrem Bericht fertig war, boten wir ihr an, ihr zu helfen. Edward vor allem machte den Vorschlag: Vielleicht ist das Dritte ja ein Gerät, das er ihr bauen kann und mit dem sie diesen McCormac – bzw. seinen Dämon – finden kann? Immerhin hat sie mit Gottheiten und Feen gesprochen, warum nicht jetzt mit einem Zauberer?
"Was willst du dafür?" fragte Eoife. "Lass uns erst einmal diesen McCormac finden", erwiderte Edward, "Am Ende kannst du mir zahlen, was es dir wert war und was du geben kannst. Das kannst du vermutlich sowieso erst am Ende sagen."
"Oha, das ist ganz schön viel" brummte Eoife, "blöde Zaubererantwort wieder. Aber was frage ich auch einen Zauberer."
Am Ende ließ sie sich dann aber doch auf den Handel ein, und Edward überlegte noch ein bisschen laut vor sich hin, dass Eoife selbst der 'Gegenstand' sein könnte, den er bei seinem Ritual einsetzen kann, um den Dämon zu finden, denn schließlich kennt sie ihn mit am besten. Huh. Ich bin zwar kein hermetischer Magier, sondern pfusche nur ein bisschen mit Feenmagie herum, aber das klingt, als könnte es noch interessant werden, einen Halbgeist wie Eoife als Fokus für so ein Ritual einzubinden.

Bevor wir Eoife gehen ließen, lud Alex sie noch ein, jederzeit wiederzukommen, wenn noch etwas wäre. Und als wir anderen dann auseinandergegangen waren, ging ich mit den Informationen, die wir von Eoife bekommen hatten, recherchieren, ob ich noch etwas mehr über diesen Rory McCormac herausfinden konnte.
Einen Clan MacCormac gab es früher einmal in der Nähe des Lochan Dubh nan Geodh, aber der Clan wurde ausgelöscht, und zwar so früh, dass er nicht dazu kam, einen eigenen Tartan zu entwickeln.
Aber eine Legende aus dem verschwundenen Clan fand ich auch, die ziemlich genau nach dem klang, was ich suchte: Ein MacCormac, je nach Version Ronald oder Robert oder Rodrick genannt, verliebte sich in eine schöne Maid, doch diese wies ihn ab. Er sei nicht stark genug, um ihrer würdig zu sein, beschied sie ihm, also schloss er einen Handel mit den Feen, damit diese ihm Stärke verliehen. Erstarkt kehrte er zu der Maid zurück, doch nun stieß sie sich an seiner mangelnden Bildung, also ging er zu den Christen und lernte dort das Lesen und Schreiben. Nun jedoch war er nicht charmant genug für die hartherzige Maid, und so schloss er einen Handel mit einem Dämonen, der ihm Liebreiz und Anziehungskraft verlieh. Weil Ronald oder Robert oder Rodrick jetzt so unwiderstehlich war, gab die Maid sich ihm hin, aber in der Hochzeitsnacht erwürgte er sie.

Oder zumindest sprachen die Legenden von 'Erwürgen' – das dürften eher Ruairidh MacCormacs neu erwachte White Court-Kräfte gewesen sein, schätze ich.


*ich gebe zu, ich musste hinterher nachschlagen, wer oder was dieser Eltunchi genau ist. Eine brasilianische Wald-Schutzgottheit, ergab die Recherche. Ey, der soll lieber in Brasilien den Regenwald beschützen, statt hier in Miami mit Shango auf un par de tremendos comemierdas zu machen. Echt jetzt!

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30. September

Ángel Ortega hat sich heute bei Roberto gemeldet (was einem schon sagen dürfte, dass die Sache ernst für ihn ist): Er macht sich Sorgen um Ximena. Ángel arbeitet ja schon seit einer Weile in Ximenas Privatdetektei und ist deswegen näher an ihr dran als Roberto als ihr Cousin das ist. Jedenfalls erzählte Ángel, seit das magische Machtniveau hier in der Stadt angestiegen sei, habe sie sich mit ein paar der Gottheiten angelegt, die sich seit dem Ritual in Miami aufhalten. Und sie habe in letzter Zeit des Öfteren laut überlegt, dass diese Gottheiten ihre Macht ja irgendwo herbekommen müssten und dass es doch interessant wäre, diese Macht anzuzapfen.

Daraufhin rief Roberto bei Ximena an, erreichte aber nur ihren Anrufdienst, also hinterließ er eine Nachricht und trommelte uns zusammen. Wir beschlossen, Ximena in der Detektei aufzusuchen, trafen dort aber nur Bjarki an, der uns erzählte, Ximena sei mit Febe shoppen gegangen. Während wir warteten, erzählte Bjarki, dass seine Familie jetzt bei ihm wohne, weil das Tor jetzt ja offen sei und alle sich die Erde anschauen kommen wollten.
'Seine Familie' - coño, wir reden von Bjarki Lokison, die Familie ist potentiell groß. Und schräg.

Als Ximena zurück war, gab sie auf Robertos Nachfrage bereitwillig zu, dass sie gerne die Machtquelle der Götter finden würde. Erstens seien Menschen wissbegierig und entwickelten sich immer weiter, zweitens sei das auch nichts anderes als das, was wir (also wir Ritter) ständig machten, und außerdem seien Outsider in der Stadt, gegen die wir momentan noch nicht ankommen. Gerade gegen die bräuchten wir neue Ideen.
Ob sie denn schon etwas herausgefunden habe wegen der Quelle, wollte Edward wissen, worauf Ximena den Kopf wiegte und antwortete, sie habe erst einmal mit Büchern angefangen, mit der Grundlagenrecherche. "Aber Cicerón hat Shango in die Fresse gehauen", fuhr sie fort, "sie sind also schlagbar."
Da musste ich einhaken. "Natürlich, sie sind ja auch nicht allmächtig", entgegnete ich. "Es gibt nur Einen, der das ist."
Ximena nickte heftig. "Genau – ich bin ja selbst eine gute Katholikin: Es geht mir nur um diese anderen."
Mmhmhm. Wenn sie es so sagte… "Okay, dein Plan ist doch nicht so schrecklich, wie er anfangs aussah, aber pass auf dich auf, Ximena."
Ihre Antwort überraschte mich nicht. "Klar. Ich hab das im Griff."
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 6.12.2020 | 00:11
Wir wollten gerade aufbrechen, da klingelte mein Handy einmal und brach sofort wieder ab. Gleich darauf nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Und… naja. Obwohl ich das Telefon in der Hand behielt und aktiv darauf lauerte, den 'Annehmen'-Knopf zu drücken, dauerte es eine ganze Weile, bis es mir gelang, den Anrufer abzupassen, bevor er wieder auflegte. Es war Halfðan, und er klang einigermaßen gehetzt. "Hallo? Hallo? Ah, jetzt… Tut mir leid, Cardo, irgendwann lerne ich das noch mit diesen Telefonen… Es gibt einen Notfall… Wir haben Ulfr Sverrisson gesehen, der Gunnar getötet hat, ihn, und noch ein paar andere! Wir sind ihnen gefolgt, sie sind in einer, wie heißt das… Mall, glaube ich? Du musst unbedingt kommen, die sind gefährlich!"
Oh, santisíma madre. ¿Que demonios?
"Wo, welche Mall? Rührt euch nicht von der Stelle und unternehmt nichts alleine, ich bin auf dem Weg!"

Weil Alex fuhr, konnte ich von unterwegs bei Haley anrufen. Das hat in der Vergangenheit, je nachdem, wo sie gerade war, ja nicht immer so gut geklappt, aber diesmal war die Verbindung anständig. "Ja", antwortete sie fröhlich auf meine Frage, ob sie Leute aus Helheim rausgelassen hätte, "die wollten auch mal shoppen gehen." Oh Dios. Sie sei aber nicht völlig verantwortungslos, Bjarki würde auf sie aufpassen. Oha. Das war also der Anruf gewesen, den Bjarki bekommen hatte.

In der Mall dauerte es nicht lange, die Einherjar zu finden. Halfðan, Gunnar und zwei andere – Svein und Kjetil – wurden nämlich gerade von zwei Mall-Cops umringt (naja, so gut zwei Sicherheitskräfte eben vier nicht ganz kleine Nordleute umringen können), die höflich auf sie einschrieen. Also ja, laut, und ja, eindringlich, aber eben nicht bedrohlich, sondern noch mit vielen "Sirs" und ohne gezogene Waffen. Mierda. Ich will gar nicht wissen, wie die Situation ausgesehen hätte, wenn das keine weißen Skandinavier gewesen wären.
Da die vier Einherjar keinerlei Anstalten machten, auf die Sicherheitsleute zu hören, sondern immer weiter aufgeregt auf sie einredeten und auch mich gar nicht zu bemerken schienen, pfiff ich einmal schrill durch die Finger, das wirkte. Die Krieger verstummten abrupt und kamen zu mir herüber, als ich sie heranwinkte. Außerdem erkannte mich einer der Mall-Cops und fragte, ob diese Leute zu mir gehörten? Ja, antwortete ich, und ob es Ärger gegeben habe? Ob die vier verhaftet werden sollten? Nein, nein, nicht verhaftet, beeilte der eine Cop sich, mir zu versichern, sie sollten nur bitte einfach die Mall verlassen. Oder wenigstens Ruhe geben. Ob ich dafür garantieren könne? Ich würde dafür sorgen, bestätigte ich, dann zogen die Sicherheitsleute ab.

Ein Stück abseits der kleinen Menschentraube, die sich für das Spektakel gebildet hatte und sich jetzt wieder zu zerstreuen begann, fragte ich, was denn eigentlich los gewesen sei. Nicht viel, tatsächlich, stellte sich heraus: Es war alles ziemlich harmlos und glimpflich geblieben. Die Einherjar waren durch die Mall geschlendert, als Gunnar plötzlich ein bekanntes Gesicht sah, und zwar eines aus seinem früheren Leben damals: Ulfr Sverrison, der ihn damals in der Schlacht getötet hatte. Daraufhin hatte er erst mich angerufen, dann aber doch Ulfr direkt konfrontieren wollen, und dann war es laut geworden und die Mall-Cops hatten eingegriffen.

Ich erklärte, ich würde mich der Sache annehmen, und schickte die Krieger nach Hause, bevor wir Bjarki und seine Schützlinge suchen gingen. Die waren tatsächlich noch da, wo Gunnar sie zuletzt gesehen hatte: in der Eisdiele des Food Court nämlich. Bjarki winkte mir fröhlich zu, als er mich sah, und auch seine Begleiter wirkten eigentlich ziemlich friedlich und umgänglich. Der Isländer bestätigte uns noch einmal das, was Haley auch schon am Telefon gesagt hatte: dass sie nämlich Besucher aus Helheim nach Miami lasse. Das Tor in die nordische Unterwelt befinde sich in Haleys Zimmer in seinem Haus. Und ja, das sei ein bisschen nervig, dass sein Haus jetzt so eine Durchgangsstation für Helheim-Touristen geworden sei, aber das gehe schon irgendwie.
Wir philosophierten ein bisschen darüber, dass es eigentlich ziemlich unfair ist, dass man laut nordischer Mythologie nur zum Einherje wird, wenn man in der Schlacht fällt, dass aber ein Krieger, der selbst alle Schlachten überlebt und später auf andere Weise stirbt – also im Prinzip der bessere Kämpfer ist – das Recht auf Walhalla verwirkt hat. So war es jedenfalls Ulfr Sverrison ergangen, sagte er – aber halb so wild, er habe ein ein langes, gutes Leben gehabt, und in Helheim sei es eigentlich auch ganz nett.
Wir waren mit dem Gespräch eigentlich soweit fertig, da hatte Bjarki noch eine Warnung für mich. Ich habe die Einherjar ja damals ohne offizielle Erlaubnis aus Heorot nach Miami geholt, und Bjarki war sich nicht sicher, wie amüsiert Odin darüber sei – oder sein werde, sobald er davon erführe. Huh. Ja. Das war nichts, was ich damals  - oder überhaupt bis zu diesem Moment - bedacht hatte. Mierda.
Ob er seinen Vater bitten solle, Thor oder Odin mal zu mir zu schicken, fragte Bjarki, aber das wiegelte ich für's Erste ab. Vielleicht komme ich auf das Angebot nochmal zurück, aber darüber will ich erst einmal in Ruhe nachdenken. Dass es eine metaphysische Entität namens Odin gibt, daran zweifele ich jedenfalls nicht – das wäre auch schön doof, nachdem ich anderen metaphysischen Entitäten aus demselben Kulturkreis (und anderen Kulturkreisen) bereits begegnet bin.

"Wir sollten echt sowas wie einen Einreise-Checkpoint für Übernatürliche einrichten", brummte Alex, als wir wieder unter uns waren.
"Sowas wie bei Men in Black für die Aliens, meinst du?" fragte ich. Keine schlechte Idee, tatsächlich, aber wie sowas umsetzen?
"Wir müssen in die Unseelie Accords", sagte Edward unvermittelt. Der Gedanke war ja letztens schon mal aufgekommen, aber da hatten wir irgendwie gerade zu viele andere Sachen um die Ohren, um uns näher damit zu beschäftigen. Jetzt aber fingen wir an, ein paar Ideen zu dem Thema hin- und herzuschieben.
Ich zumindest hatte keine Ahnung, wie man das überhaupt anstellen müsste, aber die anderen wussten zum Glück mehr. Man benötigt drei Sponsoren: drei Parteien, die bereits den Accords angehören und die sich dafür aussprechen, die neue Partei aufzunehmen.
Hm. Da war natürlich die Frage, wer bei uns diese drei Sponsoren sein könnten. Der Sommerhof wäre vermutlich eine Option, eventuell sogar der Winterhof, wenn nicht ich derjenige bin, der den Vorstoß in diese Richtung macht. Der Rat der Magier? Ähm. Nein. Wohl eher nicht. Was für Fraktionen sind denn noch in den Accords? Die Vampirhöfe… hm, vielleicht könnte Totilas als Raith beim White Court in die Richtung wirken. Wobei mir der Gedanke, dem White Court für das Sponsoring etwas zu schulden, ganz und gar nicht gefällt.

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10. Oktober

Alex' Familie hat sich ganz kurzfristig für einen Besuch angesagt. Übermorgen schon wollen sie hier sein. Zumindest hat Dee heute bei Alex angerufen und ihm das erzählt. Ihr Vater hat sich wohl nur bei Dee angekündigt, will aber offenbar mit beiden reden, also wird Alex seine Schwester natürlich an den Flughafen begleiten, um den Rest der Familie abzuholen.

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12. Oktober

Eben hat Alex angerufen. Seine Familie ist hier, und irgendwas Komisches ist los. Alex ist nicht ins Detail gegangen, dafür war keine Zeit, aber er hat erzählt, dass sein Vater von Geistern verfolgt wird. Er hat uns alle zu Dee gerufen. Nachher mehr.

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Später. Wir haben Alex' Eltern (Alex' Vater ist ein hohes Tier in der U.S. Army), Alex' Bruder (der ebenfalls beim Militär ist) und dessen Frau kennengelernt, ebenso deren Tochter. Sowohl General als auch Captain Martin sind auf derselben Base in Arizona stationiert, und diese Base wurde kürzlich von den Froschlingen angegriffen. Bei diesem Angriff kamen einige Soldaten ums Leben, und eben diese Soldaten folgten dem General jetzt als Geister. Alex' Bruder konnte die Geister nicht sehen, dessen Tochter Elaine sah sie aber tatsächlich auch.
Alex lud einen der Soldaten in sich ein, um mit ihm zu reden, erfuhr aber nichts weiter, als dass der Trupp den General, die Zivilisten und das Land beschützen wollten und jetzt dem General folgten, weil er halt der General sei. Daraufhin hatte General Martin die Soldaten explizit aus ihrem Dienst entlassen und Alex sie weitergeschickt, aber einer von ihnen fehlte. Oder genauer gesagt, er verschwand direkt vor Alex' Augen, mit einem überraschten Gesichtsausdruck, als habe er nicht damit gerechnet, dass das jetzt passieren würde.
Alex warf einen Blick ins Nevernever, wo der Boden aufgewühlt aussah, als habe dort ein Kampf stattgefunden oder als habe sich jemand gewehrt. Als Alex danach dem Verschwundenen hinterherspürte, stellte er fest, dass der Soldat weg war, komplett fehlte, als sei er von etwas aufgefressen worden.

Als ich das hörte, rief ich kurz bei Bjarki an, um mich nach den Helheim-Touristen zu erkundigen, aber in der Hinsicht konnte Bjarki mich beruhigen. Von dem kleinen Touristentrüppchen ist niemand verschwunden, sondern er hat sie alle wieder wohlbehalten in Helheim abgeliefert, sagte er.
Okay. Das war immerhin schon mal beruhigend.

Alex öffnete uns ein Tor ins Nevernever, weil uns dort ein bisschen genauer umsehen wollten. Aber als wir auf der anderen Seite ankamen, war Totilas nicht mehr bei uns. ¿Que demonios?
Während Alex unseren White Court-Kumpel suchen ging, versuchten Edward, Roberto und ich, den Spuren des Geisterfressers zu folgen.
Es war spannend zu sehen, wie im Nevernever die Schutzzauber um Dees Haus einen leuchtenden Wall ergaben und wie auch die magischen Schwellen der anderen Häuser zu sehen waren.
Spuren, denen wir so richtig folgen konnten, gab es keine, aber an der Grenze zu Dees Haus, dort, wo der Schutz begann, lag, halb verborgen im Gras, eine Rabenfeder.

Ay, mierda. Stefania Steinbach. Was um alles in der Welt haben die Denarier-Dämonen mit dieser ganzen Sache zu tun?

Etwas später tauchte Alex mit Totilas im Schlepptau wieder auf, der bei seinem Übergang von einer weiteren Phasenverschiebung erwischt und ein ganz schönes Stück weit weggeschleudert worden war. Alex öffnete uns den Weg zurück, und bei Dee im Haus hielten wir erst einmal Kriegsrat.

Dass es aussieht, als seien die Denarier in die Sache verwickelt, ist mehr als unschön, da waren wir uns alle einig.
Außerdem ist Alex aufgefallen, dass er in letzter Zeit sehr wenige von Adlenes bzw. Jaks Halsbandgeistern in der Stadt gesehen hat. Entweder die haben etwas anderes vor und hängen uns deswegen nicht mehr ständig auf der Pelle, oder sie sind auch irgendwie aus der Stadt verschwunden.

Oh, und Alex hat einen neuen Namen für Adlenes Geister geprägt: „Halsbandsittiche“. Vielleicht nicht unbedingt passend, aber lustig.

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20. Oktober

Totilas war zu einem kleinen interfamiliären Therapietermin bei Hilary Anger Elfenbein. Eigentlich sind beide Probleme, die er zuletzt hatte, die Phasenverschiebung und die gekappte Verbindung zu seinem Dämon, ja zumindest im Ansatz erledigt: In Sachen Phasenverschiebung hat ja unser Ritual die Heilung eingeleitet, und es wird jetzt einfach noch eine Weile dauern, bis die letzten Reste davon verschwunden sind, und zu seinem Dämon hat unser Kumpel inzwischen ja auch wieder Kontakt. Aber trotzdem wollte er die beiden Themen bei der White Court-Therapeutin einmal ansprechen, um ihre Meinung darüber zu hören. Und vielleicht hat sie ja noch Ideen, wie man Totilas' Heilung beschleunigen kann.

Wie man die Heilung beschleunigen könnte, wusste sie nicht, aber sie warnte Totilas, dass sein Dämon, oder besser, die mangelnde Kommunikation mit ihm, der ständige Zweikampf zwischen den beiden Persönlichkeiten, Totilas dem Dämon und Totilas dem Nicht-Dämon, ein Problem werden könnte. Also ein noch größeres Problem, als es das ohnehin schon ist.

Totilas sagte, auf diese Bemerkung hätte er Hilary überrascht gefragt, ob das denn auch anders ginge, und sie habe erklärt, in ihrem Bekanntenkreis sei er der einzige White Court, bei dem das so sei. Bei ihr selbst zum Beispiel äußere sich ihr Hunger nicht als eigene Persönlichkeit, sondern als Instinkte, denen sie eben nicht nachgebe. Der Hunger sei einfach eine weitere Seite ihres Selbst – sie habe ihn nicht so verpersönlicht, wie Totilas das tue, und er Hilarys Hunger spreche nicht mit ihr.
Warum das bei Totilas so sei, könne sie nicht sagen, aber als Therapeutin könne sie ihm sagen, dass dieser innere Konflikt ihm irgendwann noch ganz gehörig um die Ohren fliegen könne.

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Indessen hatte Edward auch ein Treffen, und zwar mit seiner Nachfolgerin beim SID, der neu zum Lieutenant beförderten Allison Townsend. Was sie genau besprochen haben, erzählte Edward nicht im Detail, aber er hat ihr reinen Wein eingeschenkt. Denn das Ende vom Lied war, dass Allison bei ihm zumindest die Grundzüge der Magie lernen will – und Edward will ihr Miami vorstellen.

Wobei. Den Austausch hat Edward tatsächlich detailliert wiedergegben. Es ging wohl darum, dass er irgendwann zu Allison sagte, er beschütze Miami, und das könne er außerhalb der Polizei besser als darin. Darauf fragte Allison, ob er ein Mandat von der Stadt habe, und Edward antwortete: „Ja, das habe ich tatsächlich.“
Darauf Allison, ironisch: „Die Stadt ist zu dir gekommen und hat gesagt 'beschütz mich'?“
Und Edwards Antwort: „Andersrum. Wir haben gesagt, wir wollen das, und sie hat gesagt: 'Macht mal.'“
Und deswegen will Allison jetzt Miami kennenlernen. Ich bin gespannt, wie sie für sie aussehen wird.

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Und noch ein Gespräch, von dem ich allerdings auch nur die groben Grundzüge weiß: Alex hat mit seiner Nichte über Magie und das Sehen von Geistern und all das gesprochen. Offenbar hat Elaine das Zweite Gesicht, sagte Alex, und hat schon einige Erinnerungen unauslöschlich eingebrannt bekommen. Er hat ihr erzählt, dass man dagegen angehen kann, indem man versucht, auch und gerade schöne Eindrücke mit der Sight zu betrachten, um ein gewisses Gegengewicht zu den schlimmen Bildern zu erreichen, und er hat Roberto gebeten, dem Mädchen beizubringen, wie man das Zweite Gesicht kontrolliert und verhindert, dass es ungewollt anspringt.

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23. Oktober

Ich habe wegen der Aktion letztens in der Mall nochmal mit Halfðan geredet. Das ist soweit erstmal alles geklärt, und Halfðan hat versprochen, dass seine Leute und er ruhig bleiben werden, wenn weitere Touristen aus Helheim auftauchen (und das werden sie mit ziemlicher Sicherheit, glaube ich), aber da ist ja noch das, was Bjarki sagte und was Halfðan mir jetzt bestätigte. Die Einherjar aus Heorot sind wirklich desertiert, wenn man es sich so überlegt: Eigentlich sollten sie ja in Walhalla auf Ragnarök warten, also das Ende der Welt gemäß der nordischen Mythologie, wenn es gemäß dieser Mythologie zum Krieg gegen die Frostriesen kommen soll. Nun haben sie alle den Marvel-Film „Thor: Ragnarök“ gesehen, aber das zählt ja wohl nicht. Und überhaupt kommen in dem Film viel zu wenige Einherjar für ihren Geschmack vor.
Aber das nur nebenbei. Aus dem Gespräch wurde jedenfalls eines für mich klar. Ich sollte definitiv Odin finden und den Zustand offiziell machen, bevor Odin uns von sich aus findet.

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26. Oktober

Kriegsrat heute.

Roberto hat erzählt, dass Oshun inzwischen mehr mehr mit Shango zusammen ist, was einen Vorteil und einen Nachteil hat. Der Vorteil: Die Orisha rückt Roberto jetzt nicht mehr so auf die Pelle und geht ihm etwas weniger auf die Nerven; der Nachteil: Dafür bringt sie Shango jetzt gelegentlich mit zu Roberto, und dann hat er sie beide am Hals.

Totilas hatte mit Marshal, Cherie und Vin eine Unterredung über Rory McCormac und die Familienhistorie der Raiths bzw. über den ersten White Court-Vampir. Dabei fragte er, ob seine drei Verwandten wüssten, was passiere, wenn ein White Court den Dämon eines anderen in sich aufnehme. Ob das überhaupt ginge und wie sich das äußere. Marshal habe gesagt, das sei möglich, das habe er schon getan, und das mache einen stärker. Totilas fragte Marshal ganz direkt, ob es möglich sei, dass er den Dämon von Ruairidh MacCormac in sich trage, was der nicht wusste, es aber nicht glaube. In dem Gespräch kristallisierte sich heraus, dass  Ruairidh MacCormac eigentlich vermutlich der erste Weiße König gewesen sein dürfte, und wer dessen Essenz in sich aufgenommen habe, müsste eigentlich ziemlich stark sein.

Nachdem Totilas uns von dem Gespräch berichtet hatte, erzählte ich von meinem Einherjar-Problem. Ich erzählte auch, dass Bjarki angeboten habe, Loki auf die Sache anzusetzen und ihn zu bitten, Odin zu mir zu schicken, dass ich das aber lieber vermeiden würde, weil mir das nicht ganz geheuer sei.
„Ich würde Loki nicht mal trauen, wenn er sagen würde, der Tisch ist blau“, stimmte Totilas mir zu. „Aber wir könnten Odin ein Geschenk oder eine Gabe darbringen, um ihn milde zu stimmen.“
„NEIN.“ Anzuerkennen, dass eine metaphysische Entität existiert, ist eine Sache. Sie anzubeten – und ein Geschenk oder eine Gabe wäre genau das – ist eine ganz andere, und das kommt nicht in Frage.
„Dann eine Audienz vielleicht? Eine Audienz hat mit Religion nichts zu tun.“
Hmmm. Na okay. Eine Audienz würde gehen, schätze ich.

Es gibt da ja in der nordischen Mythologie diesen Heimdall, der angeblich alles hört und sieht, was so passiert. Also blickte ich irgendwo in die Luft hinter den Jungs, räusperte mich und sagte: „Ähm, Heimdall? Hier ist Ricardo Alcazár aus Miami, Florida. Seid gegrüßt. Ich, ähm, würde gerne mit Odin sprechen, wenn sich das irgendwie machen lässt.“

Ja, ich weiß. Super-wortgewandter Schriftsteller und all das. Haha. Keine blöden Sprüche bitte, Römer und Patrioten. Eine direkte Antwort kam natürlich keine. Aber die hatte ich auch nicht erwartet. Ich bin nur mal gespannt, ob überhaupt irgendwann eine Reaktion kommen wird.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 7.12.2020 | 13:35
Bloss dass du weisst: Ich lese hier immer noch mit!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.12.2020 | 20:56
Bevor ich den nächsten Eintrag schreibe: Nicht wundern, ich habe am Text zwar nichts geändert, aber die Kalender-Daten der Tagebucheinträge zur letzten Session etwas geretconnt, so dass die Ereignisse nicht innerhalb von zwei Monaten stattfinden, sondern sich über ein Dreivierteljahr hinziehen. Beim Spielen am Wochenende haben wir nämlich im Februar des Folgejahres wieder angesetzt und sind außerdem beim Rekapitulieren überein gekommen, dass es unlogisch wäre, wenn die ganzen Dinge die im "Fallout" passiert sind, direkt aufeinander gefolgt wären.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Der Läuterer am 24.12.2020 | 21:04
Bloss dass du weisst: Ich lese hier immer noch mit!
Me too.
Nur nicht missverstehen...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.12.2020 | 21:11
Bloss dass du weisst: Ich lese hier immer noch mit!
Me too.
Nur nicht missverstehen...

@sindar, @Läuterer: Das freut mich! :)

Aber, @Läuterer: inwiefern denn missverstehen?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Der Läuterer am 24.12.2020 | 21:17
Aber, @Läuterer: inwiefern denn missverstehen?
#MeToo
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.12.2020 | 21:18
Ach so, jetzt. Duh. Einmal aufstehen und vom Schlauch runter. :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Der Läuterer am 24.12.2020 | 21:19
Und ein grosses Fleiss Sternchen * gibt es obendrein. Weiter so...
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.04.2021 | 18:43
Ricardos Tagebuch: Ghost Story 1

28. Oktober

Eine Sache habe ich ja bisher noch gar nicht aufgeschrieben – keine Ahnung, warum eigentlich, denn sie ist ja nun ziemlich wichtig.
Lidia war ja schon einmal verheiratet, und nein, sie ist nicht verwitwet. Sie hatte ziemlich jung geheiratet, und als Monica geboren wurde, ließ ihr Mann sie und das Baby kurzerhand sitzen, daher die Scheidung.

Theoretisch könnten wir also gar nicht heiraten. Aber ich habe heute mit Pater Alvaro gesprochen, und er sagte, dass es auch bei uns im Katholizismus zunehmend möglich ist, vorige Ehen annullieren zu lassen, so dass eine zweite kirchliche Hochzeit stattfinden kann. Pater Alvaro sagte, er sei kein Befürworter davon, diese Praxis ausarten zu lassen und mit der Gießkanne auf jede Beziehung anzuwenden, wo die Ehepartner das Interesse aneinander verloren haben, aber er sagte auch, in bestimmten Fällen könne er die Notwendigkeit nachvollziehen und sei offen dafür. Glücklicherweise ist unser Fall so einer: Lidia wurde verlassen, und wenn wir heiraten, ist das besser für die Kinder, wir leben nicht länger in Sünde zusammen und so weiter. Dass ich außerdem der Gemeinde kürzlich einen nicht ganz unbeträchtlichen Betrag für wohltätige Zwecke gespendet habe, hat sicherlich auch nicht geschadet. Ein bisschen unwohl war mir dabei schon, weil es sich irgendwie doch etwas nach Ablass und Annullierung kaufen anfühlte, aber andererseits habe ich die Spende vorher und unabhängig, und ich hätte sie auch getätigt, wenn Pater Alvaro die Annullierung nicht zugesagt hätte, das hat mein Gewissen zumindest ein kleines bisschen beruhigt.

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03. November

Ich habe gerade einen extrem seltsamen Brief aus dem Briefkasten gezogen. Hochwertiger Briefumschlag mit aufgedrucktem Absender: 'Monoc Securities'. Adresse: Oslo, Norwegen. Im Umschlag: ein Brief auf 120g/m-Papier, unaufdringlich-elegante Schriftart, die ich nicht auf Anhieb identifizieren konnte, Vista Sans vielleicht – keine von den üblichen Standard-Schriften jedenfalls. Ein Logo aus einem dicken Kreis mit einem senkrechten, oben und unten überstehenden Strich hindurch. Dazu wieder der Firmenname. Unterschrieben von einem gewissen 'Donar Vadderung, CEO, Monoc Securities' eine Mitteilung, dass er sich für die Einladung bedanke und gerne zur Hochzeit kommen werde.

¿Qué demonios? Wer ist dieser Typ, und woher weiß er von der Hochzeit und fühlt sich eingeladen? Die Einladungen sind doch noch gar nicht verschickt – tatsächlich wissen außer den Jungs und der Familie noch gar nicht so viele Leute, dass ich Lidia einen Antrag gemacht habe.

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Ich habe den Jungs den Brief gezeigt. Es hat ein bisschen Hirnschmalz und Brainstorming und vor allem Alex', Edwards und Robertos Wissen um die magische Welt gebraucht, aber jetzt ist einigermaßen klar, was es damit auf sich hat: Dieser 'Donar Vadderung' ist niemand anderes als Odin. Klar. 'Monoc Securities'. 'Monoc', Mono Oc, ein Auge. Clever.
Damit habe ich jetzt wohl meine Antwort auf die Frage, ob überhaupt irgendwann eine Reaktion kommen wird. Aber zur Hochzeit, cólera. Eigentlich will ich da kein mythologisches Wesen haben, mit dem sich potentiell ein Konflikt wegen der Einherjer-Geschichte ergeben könnte. Aber absagen kann ich ihm nun auch nicht, wo ich ihn doch mit der Ansprache letztens tatsächlich wohl irgendwie eingeladen habe. Ay, mierda. Okay. Durchatmen und hoffen, dass der Typ keinen Ärger macht.

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10. Januar

Nicht viel Neues zu berichten im Moment. Wir kümmern uns weiter um die ganzen neuen Gottheiten in der Stadt, und in unregelmäßigen Abständen schlagen wir neue Angriffe der Fomori zurück. Offenbar stellt der White Court auch immer wieder Anfragen wegen Spencer Declan, bekommt aber natürlich keine Antwort, weil der Warden ja in den Sümpfen verschwunden ist. Und anscheinend glaubt der Magierrat jetzt, eben weil keine Antwort von Declan kommt, dass Miami von den Fomori überrant worden sei. Das Gerücht passt uns aber tatsächlich ziemlich gut in den Kram, weil dann nämlich auch niemand kommt, um sich näher mit der Sache zu befassen oder uns gar einen neuen Warden aufzudrücken.

Richard, Sancía und Canché haben sich auf die Suche nach ihrer Tochter Cherise gemacht. Totilas bekommt gelegentlich Postkarten von ihnen – wirklich altmodische Postkarten: vor allem wohl wegen der mangelnden Nachverfolgbarkeit, aber so, wie ich Richard einschätze, durchaus auch zu einem gewissen Teil wegen des künstlerischen Aspekts. Das sind nämlich allesamt sehr hübsche Motive, zumindest die, die ich zu Gesicht bekommen habe.

Ximena ist tief mit ihren Forschungen zur Machtquelle der Gottheiten beschäftigt, und Edward hat auch angefangen, das Suchritual für Eoife zu entwickeln und vorzubereiten.
An das 'Hintergrundrauschen' aus unserer Verbindung mit Miami haben wir uns inzwischen alle gewöhnt. Es ist beinahe zur Routine geworden, und manchmal überhören wir es inzwischen sogar komplett, wenn wir uns nicht explizit darauf konzentrieren.
Außerdem haben wir unsere Aufgabengebiete als Hüter von Miami ein bisschen untereinander aufgeteilt. Das war gar nicht groß Absicht und Absprache, hat sich aber so ergeben.
Wobei, 'gar nicht groß Absprache' stimmt nicht so ganz. Eine Sache hat Cicerón von Anfang an betont: Er, in Zusammenarbeit mit Ilyana und Fébe, ist zuständig für den Hafen und ein paar andere nicht sonderlich angenehme Gegenden. Klar, da in der Nähe haben die Santo Shango ja ihr Hauptquartier und beanspruchen das als ihr Ganggebiet. Der Hafen ist auch Fomori-Brennpunkt, aber wenn sie Hilfe brauchen, werden sie sich melden, sagte Cicerón.
Totilas und Roberto befassen sich vor allem mit der Glitzerseite von Miami, mit deren Modewelt und Nachtleben; des weiteren betätigen die beiden und ich uns gewissermaßen als unsere 'Diplomaten'. Bei mir kommt neben der Diplomatie dann auch und vor allem noch der Bereich 'Kultur' dazu, außerdem natürlich das Themenfeld 'Feen', jedenfalls was den Sommer und die Wyldfae betriff; in Sachen Winter ist es besser, Roberto und Totilas machen das, und zwar zusammen mit Ximena. Geographisch habe ich, aufgrund der Nähe zu Pans Domäne, auch noch den Strand übernommen, während Ángel sich um Little Havana kümmert. Bjarkis Baustelle sind natürlich vor allem die Gottheiten in der Stadt, wobei wir die Verantwortung für die tatsächlich untereinander aufteilen, weil das für einen von uns alleine doch etwas viel wäre.
Dee ist natürlich unsere Vertreterin in Sachen Recht und Ordnung, Edward und Alex haben die Praktizierer der Stadt als ihr Portfolio, und Alex' hat zusätzlich noch das Thema 'Geister', ob jetzt die von Toten oder sonstige, auf der Liste.

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24. Februar

Ximena hat angefangen, Fébe Magie beizubringen, was Cicerón nicht so richtig in den Kram passt, glaube ich. Jedenfalls hat er sich des öfteren mal mit Ximena in den Haaren, oder zumindest sind gewisse Spannungen zwischen den beiden zu bemerken. Bjarki ist ziemlich viel mit seiner Familie beschäftigt, deswegen sehen wir ihn in letzter Zeit nicht sonderlich oft. Auch Ángel ist in letzter Zeit ziemlich abgetaucht, weil er offenbar viel um die Ohren hat.
Und Ángel sieht auch alles andere als gut aus – wenn wir ihn doch mal zu Gesicht bekommen, sieht er immer schrecklich übernächtigt aus. Auch hat er abgenommen und wirkt generell irgendwie nicht ganz gesund. Alle möglichen Leute haben beobachtet, dass er in letzter Zeit viel in die Kirche geht und sich lange dort aufhält, auch außerhalb der Gottesdienste. Wenn man ihn darauf anspricht, behauptet er, alles sei in Ordnung, aber Ángel ist einfach kein guter Lügner. Irgendwas stimmt da nicht, und das ist kein Zustand so. Roberto hat gesagt, er will sich mal mit ihm unterhalten.

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26. Februar

Eben hat Roberto angerufen. Er hat wie geplant Ángel gesucht und ihn tatsächlich in der Kirche gefunden. Treffen gleich.

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Bah. Coléra. Ich hasse das. Ich hätte lieber falsch gelegen. Aber der Reihe nach.

Roberto erzählte uns Folgendes:
In der Kirche kniete Ángel in einer der Reihen und war in ein inniges, ja verzweifeltes Gebet vertieft – auf die Entfernung und weil Ángel Latein sprach, verstand Roberto nur etwas von 'schützen' und 'Dämonen'.
Als Ángel fertig war, passte Roberto ihn draußen ab und sprach ihn an, fragte, ob er Probleme habe.
Ángel behauptete, es sei alles in Ordnung, und die Hilfe, die Roberto ihm trotzdem anbot, lehnte er ab, er komme zurecht.

Als er ging, folgte Roberto ihm. Bei sich zuhause überprüfte Ángel alle Wards, seufzte tief – Marke 'jetzt muss ich da wieder rein' – und betrat das Haus. Soviel Roberto von den Wards erkennen konnte, beschützten sie nicht das Haus vor Dingen, die hereinkommen könnten, sondern das Draußen vor dem, was darin war. Und er konnte auch irgendwie spüren, dass da etwas nicht stimmte. Irgendetwas war da ungut.

Das war dann der Moment, in dem Roberto uns andere – also nur uns Ritter, nicht alle Hüter – zusammenrief. Alex wollte auch noch Dee hinzuziehen, aber die war gerade anderweitig beschäftigt.

Nachdem Roberto uns alles erzählt hatte, brachte Totilas die Frage auf, ob vielleicht Orunmila ein Problem sein könne, immerhin ist das Ángels Santería-Patron, aber das glaubte Roberto nicht. Das ist ja auch genau Robertos Spezialgebiet, und für ihn fühlte sich das nicht an wie Santería. Mir kam daraufhin aber auch eine Idee: Was, wenn das Ungute, das Ángel in seinem Haus zu verbarrikadieren versuchte, eine von diesen schwarzen Denarii war?

Aber das Theoretisieren half ja alles nichts. Wir klopften also bei Ángel und bestanden, als der uns nicht einlassen wollte, wenigstens darauf, dass er sich draußen mit uns unterhalten solle. 'Draußen' wurde dann eine nahegelegene Bodega, in der wir uns eine ruhige Ecke suchten. Erst wollte Ángel nicht mit der Sprache herausrücken, aber irgendwie fand ich dann doch die richtigen Worte: dass er alleine doch nicht ewig durchhalten könne, dass er irgendwann umkippen würde, und dann wäre das, vor dem er Miami schützen wolle, immer noch da, aber er wäre eben nicht mehr da, um es aufzuhalten. Und das war nicht nur gespielt oder aufgesetzt: Es tat mir echt leid, den armen Kerl so mitgenommen zu sehen.

Wie gesagt, irgendwie muss ich einen Nerv getroffen haben, oder Ángel war doch insgeheim doch froh, sich die Sache von der Seele reden zu können. So oder so jedenfalls berichtete er, alles habe mit einer Stimme angefangen, die ihm ständig Dinge zugeflüstert hätte: Er sei nicht stark genug, er hätte beim Ritual mehr machen müssen, er sei uns anderen Hütern nur eine Last, und so weiter und so weiter. Daraufhin habe er angefangen, mehr zu tun, Magie zu wirken, alleine Missionen zu übernehmen und so weiter, aber die Stimme sei davon nicht leiser geworden. Und dann habe er irgendwann etwas gefunden.
“Eine antike Münze?” fragte Totilas sofort.
Ángel nickte. “Genau.”
Alex drehte sich halb zu mir: “Weißt du eigentlich, dass es ganz schön arschig sein kann, wenn du recht hast?”
Ja, coño, das ist mir bewusst. Es wäre mir deutlich lieber gewesen, ich hätte falsch gelegen!
“Hast du die Münze angefasst?” wollte ich wissen, aber das verneinte Ángel zum Glück mit Nachdruck. Er habe eine Kiste geholt und die Münze mit dem Messer da hineinbugsiert und sehr darauf geachtet, sie nicht zu berühren.

Gut. Dann ist diese Stimme, die Ángel hört, also nicht die des Münz-Dämons, aber das hätte auch vom Timing her keinen Sinn gemacht, weil er die ja schon hörte, bevor er die Münze fand.
Weil es nicht so aussah, als habe es ihm geholfen, sich uns anzuvertrauen, sondern er weiterhin genauso niedergeschlagen aussah wie vorher, oder sogar noch niedergeschlagener, versuchte ich, Ángel ein bisschen aufzubauen. Dass die Stimme lüge und er gar nicht schwach sei, er solle doch nur mal an all die Dinge denken, die er in den letzten Jahren erreicht hat, angefangen bei dem Ritual um das Koyanthropen-Geisterbiest ganz am Anfang, als wir ihn kennenlernten, über seinen Schutz der kleinen Blumenfee Christabella – ja überhaupt seinen Schutz für alle, die diesen benötigen – bis hin zu seiner erfolgreichen Arbeit in der Privatdetektei. Ich habe auch das Gefühl, nach anfänglichem Zweifel kam ich sogar halbwegs zu ihm durch.

Dass Ángel diesen Dämon, oder was es jetzt genau ist, loswerden muss, steht außer Frage. Aber dringender und zuerst einmal musste er sich ausschlafen. Aber nicht bei sich, wo er sich zusätzliche Sorgen um diesen verdammten Denarius machen muss, sondern Roberto hat ihn zu sich eingeladen, während wir anderen jetzt in Alex' Auto sitzen und abwechselnd Ángels Haus bewachen bzw. auf der Rückbank schlafen. Natürlich mussten wir auch noch etwas theoretisieren, was es mit dieser Stimme auf sich haben könnte. Ob sie von einem Fluch komme? Einem Geist? Einem Dämon? Oder ob Ángel an einem großen Oberfluch leidet, weil er einfach jede mierda anzieht wie ein riesiger Magnet? Nicht, dass wir auf ein Ergebnis gekommen wären, versteht sich. Alex soll ihn sich morgen mal auf Geister anschauen, haben wir beschlossen. Oh, und ich für meinen Teil habe auch noch Aufschreiben der Geschehnisse mit in die Rotation genommen. Aber jetzt bin ich damit durch, und ein bisschen aufs Ohr legen sollte ich mich auch, wenn ich nicht morgen völlig nutzlos sein will.

Mir geht nur dieser Denarius nicht aus dem Kopf. Ich frage mich, ob das eine für uns neue Münze ist oder ob sie jemandem vom Denarier-Club hier in der Stadt gehört, den wir schon kennen. Vermutlich eher ersteres, denn warum sollten die uns bekannten Denarier ihre Münzen aufgeben. Aber eigentlich tut es gerade nichts zur Sache. Mach endlich die Augen zu, Alcazár.

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27. Februar

Sorry für die krakelige Schrift. Wir sitzen gerade im Auto, sind unterwegs zu Byron.

Bei Ángels Haus war über Nacht alles ruhig; bei Roberto und Ángel... so halb. Roberto gab seinem Besucher das Bett und nahm selbst die Couch im Wohnzimmer, achtete aber darauf, nicht einzuschlafen. Und so hörte er irgendwann tatsächlich ein Flüstern aus der Richtung des Schlafzimmers: “Ich hätte nicht gedacht, dass du so schwach bist. Dass du gleich fünf Leute dazuholen musst... Ich sage es doch. Schwach.” Natürlich ging Roberto nachsehen und sah einen dunklen Schatten von Ángels Bett weghuschen. Also holte Roberto sich einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und wachte direkt dort über Ángels Schlaf. Kurz hörte er auch das Flüstern, aber das verstummte recht bald. Ángel schlief bis zum Mittag und war hinterher, auch als wir uns dann zu einer Lagebesprechung im Dora's trafen, schrecklich verlegen und besorgt um Roberto, aber der war zwar ein bisschen übernächtigt, aber ansonsten okay.

Wie gestern abend im Auto geplant, sah Alex sich Ángel jetzt einmal genauer an. Geister konnte er an ihm keine feststellen, aber seine Aura konnte er sehen. Während Totilas' Aura zum Teil aus verführerischem Silber besteht, hatte Ángels Aura etwas von einem wütenden Lila-Rot, ungefähr wie ein Bluterguss. Und diese Stelle sah für Alex schon ziemlich verankert im Rest von Ángels Aura aus – nicht ganz so fest verankert wie bei Totilas, dessen Dämon ja ein (so gut wie) untrennbarer Teil von ihm ist, aber schon recht tief eingewachsen. Aber natürlich, er schleppt dieses Ding, was auch immer es ist, jetzt ja nun schon seit Monaten mit sich herum.

Eines ist klar: Wir müssen etwas unternehmen, damit Ángel diesen Dämon, oder was es ist, loswird. Alex dachte ja erst kurz darüber nach, ob es vielleicht dessen manifestierte Selbstzweifel wären, aber den Gedanken verwarf er schnell wieder. Dafür war es doch zu deutlich, dass das Ding von außen kam und sich von außen an unseren Santero-Bekannten herangezeckt hat.
Das bestätigte dann auch Totilas, als er sich Ángel mit dem zweiten Gesicht  ansah. An dem edlen Paladin, der aber eine abgewetzte Rüstung trug und in der Sight kraftloser wirkte, als er es eigentlich ist, hing eine mehrköpfige, lila-rotfarbene Schlange, die ihn fast komplett umringte und sich an etlichen Stellen mit spitzen Zähnen in Ángel verbissen hatte. Manche dieser Wunden waren neu und bluteten frisch, andere hingegen waren bereits vernarbt. Der Paladin wehrte sich tapfer gegen den Lindwurm, aber Totilas hatte den Eindruck, dass der Widerstand das Untier eher stärker werden ließ.

Wir konnten es zwar nicht wirklich sehen, aber wir merkten es, als Totilas mit einer kleinen Anstrengung sein drittes Auge wieder schloss. Bevor er uns erzählte, was er gesehen hatte, schickte er Ángel weg, damit wir uns untereinander beraten konnten, und das traf den Santero sichtlich. Ich konnte es aber auch nachvollziehen. Cólera, das war doch förmlich die Bestätigung dessen, was der Lindwurm ihm schon die ganze Zeit eingeredet hatte! Zu schwach, nicht vertrauenswürdig! Ich fand, Ángel hätte ruhig hören können, was wir besprechen würden, und sagte das auch, aber Totilas gab zu bedenken, dass es vielleicht besser sei, wenn der Lindwurm das nicht hörte. Okay, da hatte er vielleicht auch nicht ganz Unrecht, zugegeben.
“Aber ich bin wirklich beeindruckt, wie gut er durchhält”, sagte Totilas dann, woraufhin Alex und ich wie aus einem Mund denselben Kommentar abgaben: “Das solltest du ihm sagen, das wird ihm guttun.”

“Hast du dir Roberto auch angeschaut?” wollte ich dann wissen, aber das verneinte unser White Court-Freund. “Absichtlich nicht. Das muss ich noch.”
“Bevor du die Sight aufmachst, lass mich erstmal seine Aura ansehen”, schaltete Alex sich ein, und tatsächlich hatte die einen ersten blauen Flecken, der aber bereits wieder am Abklingen zu sein schien.

Coño.. Damit war eindeutig klar, dass diese Sache ansteckend ist und sich potentiell wie ein Virus verbreiten könnte – auch wenn Roberto zugegebenermaßen die ganze Nacht lang mit dem Ding in einem Raum war und es förmlich herausgefordert hat, sich mit ihm anzulegen, wie er nun zugab. Also ist die Ansteckungsgefahr hoffentlich nicht riesig groß, aber trotzdem müssen wir vorsichtig sein.

Als Ángel wiederkam, fragte unser Vampir-Kumpel ihn zunächst, ob er wissen wolle, was Totilas gesehen habe, und als Ángel das bejahte, bekam er es auch noch einmal erzählt. und zwar tatsächlich zusammen mit dem Kompliment. Der Santero war nicht nur gerührt, sondern auch völlig erleichtert, dass er sich die Sache nicht nur eingebildet hatte, sondern da wirklich etwas war.

Bei unseren Überlegungen, wie wir den Lindwurm loswerden könnten, landeten wir ziemlich schnell bei Byron. Vielleicht hat der ja eine Idee für eine Queste oder eine Suche nach sich selbst oder etwas in der Art.
Und deswegen sind wir jetzt eben unterwegs zur Kommune.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 30.05.2021 | 15:39
Abends.

Ich sollte bald ins Bett. Aber vorher will ich noch aufschreiben, was p--
Nee. Keine Chance. Alles noch bunt. Dreht sich. Und Hand tut weh. Morgen. Nacht.

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28. Februar, morgens

Besser. Viel besser. Mein Kopf ist wieder klar, die hijas sind zur Schule, Lidia zur Arbeit (nach einem prüfend-sorgenvollen Blick samt Gespräch und meiner Versicherung, dass alles in Ordnung ist und das gestern die absolute Ausnahme war – als hätte ich etwas anderes erwartet), und ich habe etwas Zeit zum Schreiben, bevor nachher das Treffen mit den Guardians ansteht.

Beim Sunny Places empfingen uns wie immer alle sehr freundlich; vor allem Joelle freute sich, uns (oder vielleicht mich, seufz?) zu sehen. Bob war gerade dabei, Holz zu hacken, was er mit großer Begeisterung tat – und mit einer Traube von interessierten Damen, und auch dem einen oder anderen Herrn, um ihn herum, die ihn, weil hemdlos, sehr gerne dabei anschauten. Joelle war auch darunter, und sie schien sogar ziemlich angetan von der Tatsache, dass ihr Angetrauter allgemein so großen Anklang fand. Außerdem kam es mir eben (siehe oben) so vor, als schaute sie vergleichend-prüfend-interessiert von Bob zu mir, und so war es mir ganz recht, dass wir nur kurz 'hallo' winkten und gleich zu Byron weitergingen.

Byron hörte sich unser Anliegen an, betrachtete Ángel eingehend und riet dann gegen eine Selbstsuche, weil dieser Parasit einfach schon so lange an Ángel hänge und sich schon so tief in ihn hineingefressen habe. Aber es gäbe die Möglichkeit, dass er gegen das Ding kämpfen könne.
“Muss er das alleine?” wollte Totilas wissen, und Byron wiegte den Kopf.
“Nicht unbedingt”, erwiderte er, “das kann er, muss er aber nicht. Manche Dinge muss man alleine machen, für andere braucht man Freunde und Familie. Kategorie Eins hast du es jetzt ein Jahr lang probiert, Ángel... Kategorie Zwei ist einen Versuch wert.”
Ángel sah immer noch etwas zweifelnd drein, also warf ich auch noch ein Centstück in den Hut. “Ángel, der Parasit will, dass du denkst, es sei Kategorie Eins.”
“Ja... aber ich verdiene das nicht”, murmelte Ángel. “Im Ritual habe ich mich minderwertig gefühlt und schuldig, weil ich so wenig gemacht habe – aber auch irgendwie echt neidisch auf Edward, weil er so viel gemacht hat und die Leitung innehatte und alles. Und wenn wir das jetzt zusammen machen, dann wird es doch wieder dasselbe!”
“Nein”, erwiderte ich, “das ist diese Stimme, die dir das einredet. Du musst das nicht alleine tragen.”
“Du kennst uns doch”, sagte Alex. “Du weißt, wie wir ticken. Wir werden dich nicht im Stich lassen.”
“Und dass ich beim Ritual so viel gemacht habe, das stimmt vielleicht”, fügte Edward noch an, “aber das war in der Vergangenheit auch schon genau andersrum. Denk an das Ritual mit dem Biest. Hey, wir sind doch alle verbunden. Wir gehören zusammen. Lass uns dir helfen. Für Miami.”

Ich glaube, dieses Letzte war es am Allermeisten, das Ángel überzeugte, denn endlich nickte er. “Ja, wir sind verbunden. Für Miami. Helft mir. Bitte.”
Byron nickte ebenfalls. “Okay, dann nehmen wir dafür am besten...” Er unterbrach sich und sah Edward an. “Du bist nicht mehr bei der Polizei, oder?”
“Nein.”
“Gut, dann nehmen wir...” Als Byron wieder zögerte, übernahm Totilas: “Kräuter?”
Byron lächelte kurz. “'Kräuter' ist ein schönes Wort. Wir gehen ins Nevernever, dort können wir, oder besser: könnt ihr, das Ding besser sehen und erfassen, dann erweitern wir unseren Geist, und dann rufst du, Ángel, das Ding. Du hast ja bestimmt einen Namen dafür, oder?” – Ángel nickte bestätigend, auch wenn Byron gar nicht groß eine Antwort abwartete, sondern gleich weitersprach – “Bei dem rufst du es entschlossen, und ihr anderen ruft mit, und wenn es dann kommt, dann könnt ihr es entweder auf einen Tee einladen und lieb fragen, ob es nicht freundlicherweise gehen würde, oder ihr macht es auf die Edward-Parsen-Art.”
“Edward-Parsen-Art finde ich gut”, warf ich ein, “... in diesem Fall.”
Das brachte mir einen mehr als schrägen Seitenblick meines besten Kumpels ein. “Cardo, du machst mir Angst.”
“Ich sagte: In diesem Fall!”

Byron unterbrach uns. “Dann sollten wir es jetzt angehen.”
Auf subtile Weise gelang es ihm, Ángel etws vor uns aus dem Haus und zur Schwitzhütte zu schicken, wo wir uns reinigen wollten, oder genauer: Als wir das Haus verlassen wollten, hielt er uns kurz zurück, ohne das unser Mit-Guardian das groß mitbekam. “Ángel muss derjenige sein, der das Ding umbringt. Nicht ihr.”
Eigentlich war das selbstverständlich, aber zur Sicherheit war es trotzdem ganz gut, dass er es nochmal eigens erwähnte.
“Das ist klar”, bestätigte ich für uns alle. “Sein Monster: Er killt es. Wir sind nur die zweite Geige.”

Nach der Reinigung brachte Alex uns – diesmal vollständig angezogen, wofür ich sehr dankbar war, aber diesmal ging es ja auch nicht um eine Traumreise – ins Nevernever, wo Byron einen Schutzkreis zog, der das, was darin wäre, darin einsperren sollte. Er selbst würde sich bei dem Kampf nicht beteiligen, sondern den Kampfplatz nach hinten absichern. Dann aßen wir die psychedelischen Pilze und warteten darauf, dass deren Wirkung einsetzte.
Hier im Nevernever konnte man jetzt dünne, leuchtende Fäden sehen, die von uns aus in den Boden gingen (oder andersherum) – ein sichtbarer Beweis unserer Verbindung zu Miami. Seit dem Genius Loci-Ritual waren wir – oder war zumindest ich – nicht mehr so tief im Nevernever gewesen, also schaute ich die Jungs fasziniert an.
Edward trug eine Ritterrüstung, verbeult und blutig und aus dunklem Eisen – aber nicht mehr ganz so düster wie früher immer, und jetzt zuckten magische Blitze über deren Oberfläche.
Totilas sah größer aus als in der normalen Welt und strahlte förmlich. Er war nicht völlig silbern, aber das Silbrige durchzog ihn, und er war wie, hm, wie beschreibe ich das, wie eine doppelt belichtete Fotografie: Ein zweiter Totilas war ganz leicht verschoben über ihn gelegt, und dieser zweite Totilas – sein Hungerdämon – warf Alex ein anzügliches Grinsen zu.
Der wiederum wirkte irgendwie zerfasert, beinahe leicht durchsichtig als sei er nicht ganz hier.
Roberto wiederum sah aus wie ein Varieté-Entertainer, in einem pinkfarbenen Zylinderhut, Frack und Gehstock, und sein Liberace-Mantel hatte sich hier in das ebenfalls pinkfarbene Cape des Entertainers verwandelt.

Auch an mir selbst sah ich herunter: Wie ich das in der Vergangenheit auch schon bemerkt hatte, flatterten ein paar gestaltgewordene Ideen wie kleine, transparent-bunte Kolibris um mich herum, aber ich trug jetzt ebenfalls eine Ritterrüstung, was früher nie der Fall gewesen war. Meine Rüstung war allerdings keine mittelalterlich-realistische wie Edwards, sondern sie wirkte filigran, feeisch, ähnlich wie die, die ich an den Sidhe-Rittern des Sommerhofs gesehen hatte, und sie war von einem tiefen Jadegrün. Eine Art Sommerlicht-Filter lag über mir, die Farben alle etwas weicher, goldener, und Jade, die ich in der echten Welt als Füllfederhalter in der Tasche gehabt hatte, war hier natürlich wieder Schwert und nur Schwert.
Byron wirkte nicht groß anders als sonst. Seine Kleidung war etwas natürlicher als draußen, weiches Wildleder statt Jeans, er trug zahlreiche Tätowierungen und Narben am Körper, die in der echten Welt nicht zu sehen sind, und seine Augen waren tiefschwarz und voller Sterne.

Ángel schließlich sah unendlich erschöpft aus und deutlich älter, als er eigentlich ist, und auch die Wunden und Narben, von denen Totilas gesprochen hatte, waren ansatzweise an ihm zu sehen. Auch er trug eine Ritterrüstung, aber sie war verrostet und wirkte gleichzeitig so, als sei sie bleischwer und mache ihm jeden Schritt zur Hölle, und auch sein Schwert war verrostet und wirkte stumpf. Die Schlange bildete seinen Schatten – einen eigenen hatte er hier im Nevernever gar nicht mehr.
“Dämon, zeige dich!”, rief Ángel, aber er musste es wiederholen, denn anfangs tat sich noch nichts. Beim dritten Ruf fielen wir ein, und schließlich löste sich der Schatten von Ángel und baute sich vor ihm auf. Die Schlange war etwa menschengroß, mit vielen Köpfen und vielen Zähnen, und sie zischte höhnisch: “Du bist schwach, so schwach, nicht mal rufen kannst du mich alleine!”

Der Parasit war Ángels Monster: An ihm war es, sie zuerst anzugreifen. Aber wir anderen konnten ihm die Sache nach Kräften erleichtern. Und der Parasit war ein Schatten, also mochte er keine Sonne... hoffte ich. Ich rief die Sommermagie nach oben und legte meinen patentierten Sonnenlichtzauber über den Bannkreis, was das Biest auch tatsächlich wütend aufzischen ließ. Dann zog ich Jade und machte mich zum Eingreifen bereit, während Roberto gleichzeitig seine Orisha anrief und einen magischen Schutzschild für Ángel erflehte.
Alex, der indessen die Kreatur aus zusammengekniffenen Augen beobachtet hatte, rief laut: “Die Köpfe sind nur Ablenkung! Ziel auf den Unterbauch, Ángel!”
Edward stürzte sich auf den Parasiten. Ganz offensichtlich wollte er ihn festhalten, damit Ángel es leichter haben sollte, sie zu erschlagen – aber irgendwie hatte die Schlange zu viele Köpfe und war zu beweglich, denn Edward bekam sie nicht so richtig gepackt und wurde im Gegenzug stattdessen selbst gebissen.
Totilas baute sich vor dem Biest auf, um es dazu zu bringen, dass es sich aufrichtete und Ángel seine Schwachstelle darbot, indem er es so wirken ließ, als wolle er jetzt das Monster angreifen, aber Ángel zögerte, sah auf sein stumpfes, rostiges Schwert, und die Schlange peitschte mit einem Kopf und riss ihm die Waffe aus der Hand.

Die Köpfe waren nur Ablenkung, hatte Alex gesagt, also bestand hoffentlich keine Gefahr, dass ich mit dem, was ich jetzt vorhatte, Ángel das Rampenlicht stahl. Und tatsächlich: Als ich der Schlange einen ihrer Köpfe abschlug, beeindruckte sie das nicht sonderlich, aber das war auch gar nicht mein Hauptanliegen gewesen. Mein Hauptanliegen war eine Ermutigung für Ángel: “Sieh, sie ist verwundbar!”
Alex schnappte sich Ángels rostiges Schwert und murmelte etwas, und wie im Zeitraffer fiel der Rost davon ab und erschien das Blinken einer besonders scharfen Schneide auf der Klinge, bevor Alex Ángel die Waffe wieder zuwarf.
Kurz hatte Roberto so ausgesehen, als habe er auch das Schwert greifen wollen, aber da Alex sich damit befasste, rief er laut ein aufmunterndes “Du schaffst es!” und verstärkte seinen Schutzschild um unseren Mit-Guardian, während Totilas sich in Position brachte, um einen eventuellen Gegenangriff abzuwehren und es Edward gelang, die Schlange jetzt doch anständig festzuhalten.

Ángel hatte seine Waffe aufgefangen, aber noch zögerte er. Die Schlange zischte höhnisch: “Du wirst es nie schaffen, du bist zu schwach!”, aber mit einem wütenden Aufschrei sprang Ángel nach vorne, hob das Schwert und rammte es der Schlange bis zum Heft in den Unterleib. Das Untier begann zu schrumpfen, und seine Köpfe zuckten wild herum und bissen heftig nach Ángel. Mehrere Bisse blieben in Robertos Schutzschild hängen, und in einen der Angriffe warf Totilas sich, aber dennoch wurde Ángel selbst auch getroffen. Und vermutlich, weil es sein Monster war, oder vielleicht, weil Totilas und Edward, die ebenfalls Bisse abbekommen hatten, ja beide eine übermenschlich starke Konstitution besitzen – was es auch war, er reagierte deutlich heftiger darauf als die Jungs: Von der Bisswunde aus zogen sich sofort hässliche schwarze Fäden durch Ángels Arm und begannen mit erschreckender Geschwindigkeit, sich zu verästeln. Das war Gift, und das sah übel aus!

Ich eilte zu Ángel, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammengekrümmt hatte, hin, legte ihm die Hand auf den Arm und ließ die Sommermagie hervorkommen. Vor ein paar Jahren habe ich ja die Flügel der kleinen Blumenfee Christabella geheilt, das war ein bisschen ähnlich, aber doch anders. Denn das hier war das erste Mal, dass ich versuchte, einen Menschen zu heilen, und zwar von einer Vergiftung, die tödlich sein konnte! Diesmal war keine Zeit für langsames Herantasten an die richtige Dosierung, also ließ ich die Magie ungehemmt heraus. Ein warmes, heilendes Licht floss in Ángels Arm, folgte dem sich verteilenden Gift und löschte die schwarzgrauen Verästelungen aus, bis nichts mehr davon übrig war. Aber ich hatte zu viel nach oben gerufen, und so hatte ich mich nicht nur ziemlich überanstrengt, sondern der Rest floss in einem goldenen Leuchten denselben Weg zurück – und versengte mir heftig die Hand, als die Magie in mich zurückkehrte. Ay, cólera, es war wohl mal wieder Zeit für eine zünftige Verbrennung oder wie? Mierda.

Während ich zurücktaumelte und Alex Ángel stützte, hielt Edward die schrumpfende Schlange weiter für den Santero fest. Roberto baute den Schutzschild neu auf, und Totilas stellte sich weiter als lebender Block in den Weg des Monsters. Ángel schlug erneut zu, trat dann auf die Schlange und rammte ihr ein letztes Mal sein Schwert in den Bauch. Mit jedem Treffer wurde das Untier kleiner und kleiner, bis es mit einem letzten wütenden Zischen schließlich verdampfte und nur eine stinkende Pfütze magischen Glibber (a.k.a. Ektoplasma) zurückließ.

Sobald wir aus dem Nevernever zurückkamen, gab es erst einmal erste Hilfe für Ángels Arm (das Gift war zwar neutralisiert, aber bluten tat die Wunde natürlich dennoch) und meine Hand – Totilas' und Edwards Bisswunden waren dank ihrer übermenschlichen Kräfte tatsächlich schon am Verheilen – und eine Runde Proteinriegel für alle, aber vor allem für den völlig erschöpften, aber auch unendlich erleichterten Ángel.
In das einträchtige Kauen hinein sagte Totilas zu ihm: “Das war ein guter Kampf.”
Unser Paladin ließ ein wenig den Kopf hängen. “Ohne euch hätte ich es nicht geschafft.”
“Andere hätten es mit uns nicht geschafft”, erwiderte Totilas. “Es war ein guter Kampf.”
“Es liegt keinerlei Schwäche darin, sich Unterstützung zu holen”, hakte ich nach.
“Ich weiß ja, dass du recht hast”, gab Ángel zu”, es fällt mir nur schwer, das zu glauben. Aber ich weiß, dass du recht hast.”
Totilas lächelte. “Das ist doch schon mal ein Anfang.”

Währenddessen nahm Byron Alex beiseite, und die beiden redeten kurz miteinander. Was sie besprachen, erzählte Alex uns hinterher, aber ich schreibe es an dieser Stelle schon mal auf, damit ich es nicht vergesse. Byron wollte wissen, ob Alex es schon einmal erlebt habe, dass Geister einfach verschwänden, und Alex bejahte und erzählte von seinen Beobachtungen in letzter Zeit. Byron berichtete von ähnlichen Beobachtungen und davon, dass er an einer solchen Stelle auch eine Rabenfeder gefunden habe.
Mierda. Rabenfeder klingt ein bisschen wie Stefania Steinbach, die Raben-Denarierin.

Irgendwann kamen auch Ximena und Bjarki dazu, die irgendwie von der Aktion Wind bekommen hatten. Sie waren ein bisschen erstaunt, um nicht zu sagen angesäuert, weil Ángel sich uns anvertraut hatte, aber ihnen nicht, denn obgleich sie in letzter Zeit viel zu tun hatten, hatten sie ja doch mitbekommen, dass bei ihrem Freund und Kollegen etwas nicht in Ordnung war.
Ángel war ein bisschen verlegen, er habe eigentlich gar niemandem davon erzählen wollen, aber dann habe es sich so ergeben, dass wir bei der Sache involviert worden seien, und es tue ihm leid.
Dieser Austausch brachte Edward allerdings auf die Frage, ob Ángel auch den anderen Guardians von der Schlange und von der Denarier-Münze erzählen wolle, das sei seine Entscheidung.
Nach einigem Austausch befand Ángel, dass es besser sei, die anderen einzuweihen, denn zum einen wüssten Ximena und Bjarki ja nun auch schon davon, da könne man es auch den anderen erzählen, und zum anderen – und vor allem – wolle er keine Geheimnisse vor den anderen haben.

Wir werden uns nachher also mit den anderen treffen – wir haben im Zuge unserer 'Übungen' mit unserer Guardian-Verbindung herausgefunden, wie wir uns im Kopf der anderen jeweils auf Wunsch 'präsenter' machen können, um ein Treffen zu vereinbaren bzw. um die jeweils anderen wissen zu lassen, dass wir sie kontaktieren wollen.
Außerdem haben wir alle eine magische Münze für Notfälle – da hat jemand seinen Harry Potter gelesen! – und eine Chat-Gruppe für diejenigen unter uns, deren Magie nicht sämtliche technischen Geräte tötet.
Alex ist noch am Tüfteln, wie er eine solche Chat-Gruppe für alle von uns magiertauglich machen kann – wir haben schon gelästert, dass wir, sobald er eine magische Messenger-App entwickelt hat, wir diese an den Magierrat verkaufen und viel Geld machen können, dass wir uns aber eine Hintertür offenlassen sollten, um sie auszuspionieren. Wie gesagt, das war das für uns typische Herumgealber, aber grundsätzlich wäre eine magiertaugliche Chat-App echt nützlich.

Und oh, das habe ich ja noch gar nicht erzählt – wir haben uns vor einer Weile als gemeinsamen Stützpunkt ein kleines Haus in Miami Beach gekauft*, das wir als Ferienhaus deklariert haben. Es gibt etliche Ferienhäuser in der Gegend, und so fällt es nicht auf, dass niemand permanent darin wohnt und dass da immer mal unterschiedliche Leute aus und eingehen. Die Tür ist per elektronischem Zahlenschloss gesichert, so müssen wir auch kein knappes Dutzend Nachschlüssel anfertigen lassen. Die Thetys kam aus mehreren Gründen nicht in Frage: Erstens ist sie unser Hauptquartier im Sinne von 'uns fünf', also uns Rittern im Gegensatz zu allen Guardians, zweitens ins der Weg hinaus in die Glades relativ weit und drittens dürften zwölf Leute da draußen mehr auffallen als fünf – immerhin liegt das Schiff in einem Versteck und soll auch versteckt bleiben.

Wie dem auch sei, ich bin froh, dass wir uns nicht gestern abend schon getreffon haben, denn gestern hat meine Hand trotz Kühlpack ganz schön wehgetan, und ich war auch noch echt fertig – wie muss es da erst Roberto und Ángel gegangen sein. Und vor allem musste die Wirkung der Pilze auch erstmal nachlassen. Wie vorhin schon erwähnt: Lidia war gar nicht amüsiert, als ich gestern a) angeschlagen und b) ziemlich high nach Hause gekommen bin.


*lies: Ich habe gekauft, unter mehr oder weniger großer finanzieller Beteiligung der anderen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 3.06.2021 | 14:43
28. Februar, abends

Also, das Treffen.
Zunächst übernahm Ángel die Wortführung und berichtete von der Schlange einerseits und von dem Denarius, den er sichergestellt hat, andererseits, dann ergänzten wir noch ein bisschen, was es mit den Denarii und ihren Trägern auf sich hat, warum sie gefährlich sind und so weiter.
Dee war die erste, die daraufhin eine Frage stellte, nämlich dass es doch 30 Stück davon gäbe und was denn normalerweise mit ihnen passiere.
Und natürlich – hat irgendwer daran gezweifelt? – folgten darauf erst einmal launige Sprüche von wegen 'in einen Vulkan werfen' und 'das ist aber ein weiter und beschwerlicher Weg, einen aktiven Vulkan zu finden' und 'nein, da können doch Adler hinfliegen' und 'wieso Adler, Bjarki kann sich doch einfach verwandeln'.
Dann wurden wir aber ernst und begannen, wirklich darüber zu reden. Offenbar gibt es ja diese Ritter des Kreuzes, die aktiv gegen die Denarier arbeiten, und da es sich um eine biblische Begebenheit und den Verrat von Judas an Jesus handelt, ist sicherlich auch der Vatikan am Kampf gegen die Dämonisten beteiligt. Könnten wir den irgendwie kontaktieren, um uns Ángels Münze abzunehmen? Aber dem Vatikan trauten einige unter uns nicht so recht, und – padre en el cielo, perdóname – so ganz wohl war mir bei dem Gedanken auch nicht.

Da diese Überlegungen in diesem Moment nirgendwo hinzuführen schienen, fragte ich Ángel noch einmal nach den genauen Umständen seines Fundes. Es war vor ca. drei bis vier Wochen, sagte er, dass er die Münze in seinem Garten liegen sah. Vor drei bis vier Wochen lässt vermuten, dass es nicht Stefania Steinbachs Denarius gewesen sein dürfte, da Byrons Fall eines verschwundenen Geistes samt Rabenfeder erst hinterher passierte, als Ángel die Münze schon in Verwahrung hatte. Und direkt in seinem Garten, das deutet darauf hin, dass jemand den Silberling absichtlich dorthin gelegt hat, um Ángel eine Falle zu stellen. Aber wer könnte das Ding dort platziert haben? Ein anderer Münzträger, vermuteten wir. Aber wer? Und hat dieser vermutete andere Träger seinen Denarius dafür aufgegeben oder einen unbenutzten verwendet?
“Wie ist das eigentlich”, überlegte Edward laut. “gehört die Münze jemandem oder gehört jemand der Münze? Hat der Denarius vielleicht seinen Träger dazu gebracht, ihn abzuwerfen? Donovan Reilly zum Beispiel?”
Donovan Reilly kann es eigentlich nicht gewesen sein, der ist ja im Sumpf verschwunden. Außer natürlich, er hat es inzwischen rausgeschafft, ohne dass wir es mitbekommen hätten – was ein zutiefst beunruhigender Gedanke wäre. Aber abgesehen davon war das ein interessanter Gedanke.
“Die Münze verlässt ihren Träger, meinst du?” fragte ich. “So ein bisschen wie der Eine Ring, der Gollum verlässt?”
Edward runzelte die Stirn. “Hm, das hab ich jetzt nicht so direkt gedacht, aber doch, ich sehe da gewisse Parallelen.”
“Ihr redet von Lucas, oder?” warf Roberto ein, was mich mit den Augen rollen ließ. “Roberto trollt wieder.”
“Wir reden von einem guten Buch.” Edward stutzte. “Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe.”
“Welches Buch?”
“Tolkien. Der Hobbit. Der Herr der Ringe.”
Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. “Ich hab' ein Déjà Vu, Leute. Vor ein paar Jahren haben wir doch genau dasselbe Gespräch geführt.”

Nach diesem kleinen Abschweifer einigten wir uns schließlich darauf, dass die Münze bei Ángel am besten aufgehoben wäre, dass wir aber den Schutz um Ángels Haus noch weiter verstärken wollen, und zwar mit einer Mischung aus allen magischen Strömungen, die wir in unseren Reihen aufbringen können, nicht nur mit der Orunmila-Magie, die Ángel bisher angewandt hat. Das würde Ángels Haus zwar magisch strahlen lassen wie einen Weihnachtsbaum, prophezeite Alex, aber das wäre es wert.
Dee, unsere Spezialistin für Schutzmagie, schüttelte den Kopf. “Es geht auch ohne Weihnachtsbeleuchtung.” Man nehme nur Spencer Declans Haus: Es hat Wards bis an die Zähne, und man kann es nicht einmal finden.

Bei den Überlegungen zu dem Schutz für Ángels Haus fiel mir noch etwas ein. “Wenn dein Garten eine Falle war und sie die Münze absichtlich dort hingelegt haben, dann wissen sie, dass die Münze bei dir ist.”
Ángel warf mir einen unsicheren, leicht verwundeten Blick zu. “Du denkst also, bei mir sei sie nicht sicher?”
“Nein, ich habe doch gesagt, sie ist bei dir gut aufgehoben”, – und das meinte ich auch ehrlich – “aber  gestern habe ich noch gedacht: 'Bevor sie durch die ganzen Wards kommen, müssen sie erstmal rauskriegen, wo die Münze überhaupt ist', und das wissen sie jetzt.”
“Dann haben sie den ersten Schritt halt schon geschafft”, sagte Alex, “na und?”
“Ich sag's ja nur”, bekräftigte ich. “Die Münze ist trotzdem bei dir sicher und gut aufgehoben, wir müssen dein Haus nur aktiver im Bewusstsein behalten.”
Alex nickte langsam. “Und 'die' wissen auch, dass du die Münze noch nicht angefasst hast. Sonst wäre deren Dämon schon freigekommen, und seine Präsenz wäre für die anderen Denarier spürbar, vermute ich.”

Totilas kam noch einmal auf diese Ritter des Kreuzes zurück, und ob man die nicht um Hilfe bitten könne. Aber die sind wohl offenbar nur maximal zu dritt, und wie man sie kontaktiert, wusste auch niemand von uns. Offenbar werden sie durch himmlische Vorsehung an den richtigen Ort geschickt, wenn sie irgendwo sein sollen, aber offenbar war unsere Situation hier noch nicht brisant genug, dass sie hierher geschickt worden wären. Nun gut, wenn sie auftauchen sollten, fein, aber wir werden unsere Pläne sicherlich nicht von ihnen abhängig machen.

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4. März

Die Schutzmaßnahmen für Ángels Haus sind soweit abgeschlossen. Ich selbst kann es ja nicht so hundertprozentig beurteilen, aber das, was wir da an Wards hochgezogen haben, ist ein hochkomplexes Gespinst aus miteinander verwobener Magie ganz unterschiedlicher Art. Ich sage 'wir', weil ich auch ein bisschen Sommermagie mit hineingegossen habe, aber auch wenn ich inzwischen ein gewisses Verständnis für diese Dinge erlangt habe, bin ich doch bei weitem kein Experte. Also habe ich mich bei der Planung nicht größer beteiligt, sondern meinen Teil nach Anweisung ausgeführt. Aber unsere Spezialisten sagen, diese Mischung aus unterschiedlichen Magieschulen mache die Wards stärker, als wenn sie einzeln um das Haus gelegt worden wären, und das klingt doch schon mal ganz ausgezeichnet in meinen Ohren.

Aber die Jungs planen irgendwas. Sie sind jetzt schon ein paarmal so verdächtig still geworden und haben ihre Gespräche unterbrochen, wenn ich irgendwo dazugekommen bin, und Pan hat letztens auch schon so wissend gegrinst und Andeutungen gemacht. Ich glaube, die sind wegen des Junggesellenabschieds zugange. ¡Santisíma madre, ayúdame!

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6. März

Gerade hat Alex sich gemeldet. Ein Notfall. Irgendwas mit wandelnden Toten? Muss los.

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Es waren tatsächlich wandelnde Tote. ¿Que demonios? Und mein Arm tut weh. Seufz.

Alex hatte ein Interview mit einem Lokalsender, weil denen auch irgendwann aufgefallen ist, dass das Hausboot unseres Kumpels seit knapp einem Jahr zu einem regelrechten Wallfahrtsort für einen außerhalb der entsprechenden Kreise doch eigentlich relativ unbekannten Santería-Heiligen geworden ist. Während eben dieses Interviews kam Dallas Hinkle mit beunruhigenden Nachrichten vorbei, die Alex dazu führten, den Termin abzukürzen oder um eine Verschiebung zu bitten oder irgendwie so; genau hat er es nicht gesagt. Jedenfalls berichtete Dallas, sie habe Mr. Andreotti gesehen, den Metzger aus ihrer Straße, der herumlaufe und an Häusern schnüffele. Das Problem: Mr. Andreotti sei vor drei Jahren verstorben. Geistesgegenwärtig hatte Dallas auch ein Foto gemacht, und das zeigte sie Alex: Er sah tatsächlich aus wie eine Leiche, die drei Jahre lang in einem Sarg gelegen hatte.

Sobald wir uns getroffen hatten, fuhren wir gemeinsam, einschließlich Dallas, zu dem Ort. Unterwegs grübelten wir herum, was los sein könnte, und ob vielleicht die Gottheiten der Unterwelt ein Problem hätten. Ich habe ja Haleys Nummer gespeichert – ich weiß gar nicht mehr so genau, seit wann, aber mal mindestens, seit ich damals in Schottland war – und rief bei ihr an, in der Hoffnung, dass sie gerade nicht in Helheim wäre, sondern mein Anruf durchkäme. Tatsächlich ging sie ans Telefon und versicherte mir, was sie beträfe, sei im Moment alles in Ordnung. Aber mit den anderen – Kali, Morrigan, Hades, Orcus, Eleggua und wie sie alle heißen – hätte sie relativ wenig zu tun, die seien alle so humorlos. Okay, nein, Eleggua nicht, der sei nicht humorlos. Aber die meisten anderen schon, deswegen hänge sie nur wenig mit denen herum.

Als wir ausstiegen, versuchte ein Junge – Dallas hatte noch im Auto auf ihn gezeigt und gesagt, das sei Javier, den habe sie beauftragt, die Situation im Auge zu behalten, während sie Alex warnen ging* – gerade vergeblich, einen anderen Teenager davon abzuhalten, ein Handy-Video von dem lebenden Leichnam zu drehen und ihm einen kräftigen Stups zu versetzen. Dummerweise war der Zombie alles andere als amüsiert über den Stupser, drehte sich zu dem Jungen um und wollte sich auf ihn stürzen. Ich war bereits nahe genug dran, dass ich den Jungen beiseite schubsen konnte, aber dafür gruben sich die fauligen Zähne der Leiche in meinen eigenen Oberarm. ¡Culo!
Während der Teenager schreiend davonrannte, sprach Alex den wandelnden Toten mit seinem Namen an und fragte, warum er hier sei und was er suche, aber Mr. Andreotti war zu sehr mit mir beschäftigt und achtete überhaupt nicht auf Alex.

Edward versuchte, den Zombie festzuhalten, damit er mich nicht länger erreichen und Alex ihn befragen konnte, aber das klappte auch nicht so richtig. Immerhin, Andreotti ließ mich in Ruhe und schlug mit seinen erdigen Fingern nach Edward, ohne ihn aber zu treffen.

Inzwischen blieben immer mehr Menschen stehen und gafften, und deren Aufmerksamkeit lenkte Roberto ab, indem er so tat, als sei das hier das Set eines mit billigsten Mitteln gedrehten Films, und anfing, uns Regieanweisungen zuzurufen. Javier unterstützte das geistesgegenwärtig, indem er das Handy, das der flüchtende Teenager hatte fallen lassen, auf die Szene richtete. Die List war leider ein bisschen zu überzeugend, denn sie weckte erst recht das Interesse der Leute: „Was dreht ihr denn da? Kommt das auch ins Kino?“
Roberto, nicht auf den Mund gefallen, hatte sofort eine Antwort parat („Zombies in Miami, nächstes Jahr!“), aber nun sah die Menge eher noch genauer auf das, was wir da machten, und irgendwann musste jemandem auffallen, dass da etwas nicht stimmte.

Totilas stürmte zu Roberto hin, baute sich mit in die Seiten gestützten Händen vor ihm auf und zog eine filmreife Telenovela-Nummer ab: „Das ist meine Show! Wie kannst du es wagen, mir meine Show kaputtzumachen!“
Das reichte für die Menge. Die Leute lauschten begeistert, achteten nur noch auf Totilas und Roberto, der geistesgegenwärtig einstieg, und kümmerten sich nicht mehr groß um unsere 'Filmaufnahmen'.

Aber sicher war sicher, vor allem für das, was ich jetzt vorhatte. Also rief ich einem imaginären Kameramann „Das Speziallicht jetzt!“ zu, bevor ich mich auf das Sommerkribbeln in mir konzentrierte und die ganze Szenerie in das beruhigende Licht eines sonnendurchfluteten, trägen Sommertages auf einer blühenden Wiese tauchte, wie ich das ja in den letzten Jahren schon einige Male getan habe. Die friedfertige Stimmung trug tatsächlich dazu bei, dass der Zombie sich beruhigte und aufhörte zu zappeln und zu kämpfen, und Alex sprach ihn noch einmal direkt an, aber der Leichnam antwortete nicht.

Während wir Mr. Andreotti vorsichtig zur Seite führten, 'stritten' Roberto und Totilas heftig weiter, und ein paar Neugierige wollten wieder wissen, was denn hier gedreht werde. Edward redete sich heraus, er sei nur Security, aber der Teenager Javier erzählte schnell etwas von einer Telenovela mit Zombies. Ganz im Geiste einer Telenovela ließen Totilas und Roberto ihren 'Streit' in einem leidenschaftlichen und von den Umstehenden bejubelten Kuss enden, bevor die Menge sich langsam zerstreute. Puh.

Nachdem Alex die Bisswunde in meinem Arm desinfiziert und mit Verbandszeug aus seinem Auto versorgt hatte, versuchte er noch einmal, mit Mr. Andreotti in Kontakt zu treten. Der wandelnde Tote konnte nicht sprechen, aber er hatte vermutlich einen Geist in sich, mit dem Alex reden könnte. Also betrachtete unser Kumpel ihn auf der Geisterebene genauer, wozu vorher keine Ruhe gewesen war, und stellte jetzt fest, dass der Geist keiner von Adlenes Halsbandsittichen war, aber offenbar doch von irgendetwas kontrolliert wurde und offenbar nicht genug eigenes Bewusstsein hatte, um kommunizieren zu können. Jetzt, wo das träge Sommerlicht geendet hatte, fing er auch wieder an, herumzuwandern und offenbar irgendetwas suchen zu wollen.

Was nun, war die Frage – sollten wir die lebende Leiche einfach laufen lassen?
Das sicherlich nicht, aber bevor, bzw. während, wir Andreotti folgten, erweiterte ich mein Bewusstsein und suchte in meiner Wahrnehmung von Miami nach Untoten bzw. nach Flecken erhöhter Aufmerksamkeit unter der Bevölkerung. Ich fand sechs solcher Punkte in der ganzen Stadt verteilt, aber nicht alle geistigen Blips gingen mit erhöhter Aufmerksamkeit einher – sprich dort waren die wandelnden Toten offenbar noch von niemandem gesehen worden.

Bevor wir überlegen konnten, ob wir uns aufteilen und diese Hotspots getrennt aufsuchen sollten, blieb Andreotti unvermittelt an einem Laden („Ye Olde British Shoppe“ stand in mittelalterlich angehauchten Lettern auf dem Schild) stehen und schlug übergangslos dessen Scheibe ein, bevor er hineinzuklettern begann. Unsere Versuche, ihn aufzuhalten und ruhigzustellen, klappten dabei nur begrenzt, und so konnten wir ihn nur festhalten, nachdem er schon zur Hälfte hineingekrochen war. Drinnen waren ein Kunde, der entsetzt aufschrie, und eine Verkäuferin, die beherzt eines der zum Verkauf stehenden Zierschwerter packte und sich in Verteidigungsposition brachte, aber glücklicherweise nicht eingreifen musste, weil es Alex nun, wo wir anderen ihn festhileten, gelang, den lebenden Leichnam mit Kabelbindern so zu fixieren, dass der sich nicht mehr rühren konnte.

Die Verkäuferin kam zu uns heraus und wollte wissen, was los sei, und auch der Kunde aus dem Laden war fest davon überzeugt, dass mit Andreotti etwas nicht stimmte. Tatsächlich begann der Zombie sich jetzt kräftig gegen seine Fesseln zu wehren und in Richtung der jungen Frau zu drängen – offenbar hatte er in ihr das gefunden, was er in dem Laden gesucht hatte.
Während Edward den wandelnden Toten zum Auto bugsierte, zückte Totilas eine Visitenkarte und erklärte so unverfroren und vor allem überzeugend, wie nur er das kann, das sei ein aus dem Sanatorium ausgebrochener Patient, und der Schaden würde selbstverständlich ersetzt werden.
Weil die junge Frau einen schottischen Akzent hatte, kam mir der plötzliche Verdacht, sie könne vielleicht von Ruairidh MacCormac abstammen. Darauf wollte ich sie aber nicht direkt ansprechen, also versuchte ich es mit: „Es tut uns alles sehr leid, Ms. ...“, wobei ich das letzte Wort als Frage in der Luft hängen ließ.
„Wallace“, antwortete sie, was meine Theorie von Clan McCormac schön zerplatzen ließ, „Claire Wallace.“

Aber Ms. Wallace achtete kaum auf mich. Nach seiner charmanten Überzeugungsaktion eben hatte sie nur Augen für Totilas. Ihm erzählte sie auf seine Frage hin, sie sei Studentin und studiere europäische Geschichte, und als er sich interessiert zeigte, ging sie auch etwas ins Detail. So berichtete sie beispielsweise von dem Freiheitskämpfer William Wallace, der ihr Vorfahr sei. Edward erkundigte sich nach Rory McCormac, aber über den wusste sie auch nichts anderes als wir. Die Geschichte, die sie uns über ihn erzählte, war genau die, die wir schon kannten.

Während des Gesprächs hatte Alex bereits das eingeschlagene Fenster ausgemessen und ein paar Telefonate geführt – und tatsächlich fuhr kurze Zeit später ein Wagen vor und lieferte eine neue Scheibe an. Die baute Alex ein, während Roberto einen Rundruf an die anderen startete und ich mein Bewusstsein noch einmal über die Stadt wandern ließ, um nach den anderen Hotspots zu schauen. Tatsächlich waren die Aufmerksamkeitsflecken größer geworden, einer davon sogar deutlich – es gab offenbar Verletzte.

Dort war die Polizei schon vor Ort, als wir ankamen. Sie lösten die Menschenmenge mit der Erklärung auf, ein wildes Tier habe randaliert. Ein Krankenwagen war auch bereits gekommen, der gerade die Verletzten versorgte. Eine ältere Dame sagte aus, der 'Mann' hätte ununterbrochen von „Schotten“ geredet – nicht hasserfüllt, aber entschlossen, aber er habe offenbar dringend Schotten gesucht und gewollt. Die beiden Cops hatten den Zombie getasert und fixiert, waren aber nun von der Situation etwas überfordert und ratlos – auf die Idee, das SID zu rufen, waren sie bisher nicht gekommen, deswegen erledigte Edward das jetzt.

Lt. Townsend schickte Suki Sasamoto und Salvador Herero**, denen Edward berichtete, dass wir einen weiteren dieser Zombies für sie im Auto hätten und dass noch einige weitere anderswo in der Stadt unterwegs seien.
Wir teilten uns in drei Teams auf – ich begleitete Suki und Salvador – und fuhren die Hotspots ab, und so gelang es uns, alle Zombies einzusammeln und in einer entsprechend gesicherten Zelle im SID unterzubringen. Dort standen sie nicht still, sondern suchten weiter herum. Nicht alle waren so lange tot wie Mr. Andreotti; einige Leichen waren frischer, manche auch noch etwas älter – aber alle sahen sie eher nach mediterraner Herkunft aus und nicht nach Schotten.

Dabei beließen wir es dann für heute – der Tag war doch ganz schön anstrengend, ganz zu schweigen von schmerzhaft, und alles Weitere kann eine Nacht lang warten. Für morgen früh haben wir uns wieder im SID mit Lt. Townsend verabredet.



* Eigentlich hätte Dallas auch bei Alex anrufen können, fällt mir dabei auf. Ich bin ja immer noch der Meinung, sie interessiert sich für ihn und ist für jede Ausrede Gelegenheit dankbar, ihn persönlich treffen zu können.

** Suki: „Lange nicht gesehen.“
    Edward: „Wir haben da von einem Zombieproblem gehört.“
    Suki: „Erschießen?“
    Edward: „Desinfizieren und Beobachten.“
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 4.06.2021 | 13:12
7. März

Mierda, es ist nur etwas über eine Stunde Zeit, bis wir wieder in Miami sind. Egal, muss reichen, oder wie weit ich eben komme. Sorry wieder mal für das Gekrakel – Alex tritt ganz schön auf die Tube.

Also los. Ablenkung ist gut gerade.

Als wir ins SID kamen, hatten wir erst eine kurze Unterredung mit Lt. Townsend, die sich bereiterklärte, uns, obwohl Edward ja nicht mehr bei der Polizei ist, die Sache mit den Zombies zu überlassen.

Die Zombies mussten ja von irgendetwas aufgeweckt worden sein, und Alex hatte ja gesagt, dass sie unter irgendeiner Kontrolle stünden, also war der nächste logische Schritt, herauszufinden, wer oder was dieser Einfluss war, der sie aus den Gräbern kriechen und nach Schotten suchen ließ. Und wie ließ sich dieser Einfluss am besten identifizieren? Blöde Frage. Edward war involviert. Mit einem Ritual natürlich, Römer und Patrioten.

Edward hat da dieses Buch, das er manchmal bei seinen Ritualen benutzt, wenn es um eher theoretische Fragen geht. Das Buch an sich ist leer, aber in ihm erscheinen dann auf magische Weise die Antworten auf Edwards Fragen. In diesem speziellen Fall entstand langsam das Bild eines mediterran aussehenden, irgendwie düster wirkenden Mannes auf dem Papier, darunter das Wort „Orcus“. Orcus, die römische Gottheit der Unterwelt – das würde zu den wandelnden Toten und deren ebenfalls durchgehend mediterranem Aussehen passen. Also der römische Totengott. Yay. Dann sollten wir den wohl kontaktieren. Nur wie?

Um einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen, rief ich wieder bei Haley an. Die klang nach einer Mischung aus amüsiert und ungehalten und erklärte, einmal sei ein Freebie, zweimal koste, wenn ich also eine Auskunft wolle, brauche sie eine Gegenleistung. Zum Glück wurde es wenigstens nicht das sonst so gern genutzte 'Gefallen schulden' (hätte ich der nordischen Totengöttin wirklich einen Gefallen schulden wollen?), sondern ich sollte mich dazu verpflichten, irgendwann ein- oder zweimal den Babysitter für eine Gruppe Helheim-Touristen zu spielen, weil Bjarki sich immer so darüber beschwere, dass er ständig dazu abkommandiert werde. Nach kurzem Überlegen sagte ich zu – die Gruppe, der wir begegnet sind, war ja ganz umgänglich. Ein bisschen mulmig ist mir bei dem Gedanken allerdings dennoch. Wenn du das mal nicht irgendwann bereuen wirst, Alcazár.

Nachdem das geklärt war, erzählte ich, wie ich auf den Namen kam und fragte Haley nach Orcus. „Ach, der Orcus“, antwortete sie. „Das hat bestimmt einen tiefen, tragischen Grund. Der Gute ist schrecklich tiefsinnig. Habt ihr es schon in seinem Heiligtum versucht?“
„In Rom?“
Nein, wie sich herausstellte, hat Orcus wohl inzwischen auch hier in Miami eine heilige Stätte. Das haben offenbar inzwischen die meisten oder alle der Gottheiten, die sich regelmäßig hier aufhalten.
Orcus' Heiligtum befindet sich offenbar in der Nähe einer Pizzeria auf einem kleinen Friedhof in einer Krypta.
Memo an uns: Wir sollten eine Liste erstellen.*

An der Krpyta – übrigens ganz nahe dessen, wo gestern einer der lebenden Toten herausgekommen war – hingen einige Goths herum und verbrannten Weihrauch. Totilas und ich gingen hin, um mit ihnen zu reden – als sie fragten, wie wir auf Orcus kämen, erklärte Totilas, er interessiere sich für Untote und okkulte Phänomene, während ich sagte, ich hätte ein akademisches Interesse an der altrömischen Religion. (Was ja nicht mal gelogen ist.)
Wenn wir mit Orcus reden wollten, sagten die Goths, könnten wir das in der Krypta tun, aber wir sollten Kerzen mitnehmen, keine Taschenlampen. Die möge Orcus nicht so.
Totilas fragte dann noch, ob es besondere Verhaltensweisen gebe, die wir beachten sollten.
„Höflich sein“, erwiderte eine der Goths, eine junge Frau, die offenbar deren Anführerin zu sein schien. „Nennt ihn nicht 'Orci-Dude' oder so.“
„Es gibt doch bestimmt Rituale“, hakte Totilas nach.
„Ja, aber die sind den Eingeweihten vorbehalten. Oder wollt ihr dem Kult des Orcus beitreten?“
„Reden reicht“, fiel ich schnell ein. Reden schön und gut, aber ich habe es ja schon mal gesagt: Ich werde nicht mal zur Tarnung so tun, als wolle ich eine fremde Gottheit anbeten.
Die Goth warf mir einen abschätzenden Blick zu. „Ja, das habe ich mir schon gedacht, irgendwie.“

Gegen einen kleinen, der Höflichkeit geschuldeten Obulus, über den die Goths sich durchaus freuten, nahmen wir je ein Grablicht mit hinunter in die Krypta. Unten angekommen war die Gruft größer, als sie es eigentlich hätte sein dürfen. Etliche Säulen stützten die Decke, und ein Altar stand in der Mitte, aber ansonsten war der Raum leer.
Als wir höflich nach ihm fragten („Werter Orcus, wir würden gerne mit Euch reden“ - ungefähr derselbe Tonfall, indem ich in die Luft gesprochen hatte, als ich um ein Gespräch mit Odin bat), erschien der römische Totengott in der Nähe des Altars. Er sah genauso aus wie auf der Zeichnung in Edwards Buch, ganz der Typ interessant-tragisch-melancholisch-gutaussehend, und er war ziemlich kurz angebunden und wenn nicht barsch, dann doch herrisch-kühl.
Ja, er habe seine Abgesandten losgeschickt. Die Morrígan sei verschwunden, und er wolle sie wiederhaben. Dass seine 'Abgesandten' Schrecken verbreitet, Menschen verletzt und Schäden angerichtet hatten, war ihm herzlich egal. Was kümmerten ihn die Befindlichkeiten von Sterblichen? Die Morrígan sei verschwunden, sie sei nicht zu ihrem vereinbarten Treffen gekommen, er wolle sie wiederhaben. „Also findet sie, bevor die Stadt brennt.“
Ganz waren wir aber noch nicht bereit zu gehen, und fragten noch etwas weiter. So erfuhren wir, dass Orcus vor den wandelnden Leichen er seine Priester ausgesandt habe, aber die seien ineffizient gewesen, deswegen die Abgesandten.
„Die waren aber doch auch ineffizient“, warf ich ein.
„Immerhin haben sie dazu geführt, dass ihr jetzt hier seid.“
„Trotzdem waren sie ineffizient.“
„Nun, jetzt wissen meine Priester ja, wo sie euch Wächter von Miami finden, wenn sie euch brauchen. Und wenn euch die Stadt so sehr am Herzen liegt, wie ihr sagt, dann findet die Morrígan.“
Sprach's und verschwand.

Draußen tauschten wir Nummern mit der jungen Goth, die sich nun als 'Lucretia' vorstellte, sich als Hohepriesterin des Orcus hier in Miami zu erkennen gab und von ihrem Angebeteten (hier im wahrsten Sinne des Wortes) völlig hin und weg war: „Ist er nicht ein Traum?“ Von Edward bekam sie dessen Visitenkarte („Rituale & Recherchen“).
Bevor wir gingen, fragte ich Lucretia noch, wie die Priester des Orcus eigentlich genau nach der Morrígan gesucht hätten. Sie hätten ein Ritual durchgeführt, um sie zu finden, erwiderte die junge Goth, und auf Edwards Nachfrage beschrieb sie die Vorgehensweise dabei. So hätten sie zum Beispiel eine Rabenfeder dabei benutzt, weil Morrígan ja eine Rabengöttin sei. Edward nickte verstehend und durchaus anerkennend -  hinterher dann, als wir unter uns waren, sagte er, die Methode der jungen Leute sei etwas laienhaft gewesen, aber durchaus erfolgversprechend – wenn es denn etwas zu finden gegeben hätte.

Aber die Erwähnung der Rabenfeder und von Morrígan als der Rabengöttin brachte uns auf ganz einen anderen Gedanken. Könnten die Federn, die an den Orten der verschwundenen Geistern gefunden wurden, eventuell von der Morrígan gewesen sein und nicht von Stefania Steinbach in ihrer Dämonengestalt?
Das passte allerdings nicht, da die Federn an den Geisterorten scharfkantig gewesen waren, wie Steinbachs Dämonenfedern es eben sind, Morrígans Rabenfedern aber vermutlich – hoffentlich! - ganz normale Federn sein dürften. Dennoch gab Totilas die Theorie nicht ganz auf: „Was, wenn Steinbach als Rabendämon ein Interesse an der Morrígan als Rabengöttin hat?“

Wie wir herausfanden, liegt Morrígans Heiligtum liegt im Veteranenfriedhof South Florida National Cemetery ein Stück nördlich von Boca Raton, also etwa eine Autostunde von Miami Beach entfernt.
Bei der Recherche danach stellten wir übrigens fest, dass wir die unterschiedlichen heiligen Stätten im Geist spüren können, wenn wir uns auf die jeweilige Gottheit konzentrieren. Lake Worth, wo Morrígans Heiligtum liegt, liegt zwar technisch gesehen schon außerhalb Miamis, aber können wir dennoch dessen Präsenz in unserem Bewusstsein greifen, weil Morrígan eine Verbindung zu Miami und damit zu uns hat? Oder weil sie von Miami aus kam? Oder weil sie selbst es für einen Teil von Miami hält? Oder weil Miami es für einen Teil von sich selbst hält? Vielleicht erzählt sie es uns mal, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Solange aber: Fragt mich nicht, Römer und Patrioten. Es funktionert, das reicht mir.

In einer abgelegenen Ecke des Veteranenfriedhofs floss ein Bach, der mit einiger Sicherheit früher dort nicht geflossen war und der vor allem keinen Abfluss und keinen Ursprung hatte. Priester der Morrígan waren keine zu sehen, und Totilas' Ruf brachte keine Reaktion.
Auf einem der Grabsteine in der Nähe saß ein Rabe, der uns neugierig anschaute. Wir überlegten, ob es vielleicht etwas Besonderes mit ihm auf sich hatte**, und sprachen ihn an, aber der Vogel putzte sich nur mit dem Schnabel das Gefieder, pickte etwas auf und verlor das Interesse, also war es wohl doch nur ein ganz normaler Rabe. Da gab es tatsächlich auch noch einige mehr in der Umgebung.

Irgendwie wurden wir den Gedanken an Stefania Steinbach nicht los. Was, wenn sie die Morrígan in ihrer Gewalt hat? Was könnten wir dann tun? Ich meine, wo wir Steinbach finden können, wissen wir, aber wir können ja schlecht in die Ermita de la Caridad marschieren von wegen: „Du hast die Morrígan entführt, rück sie raus!“

Totilas hatte die Idee, Eoife zu kontaktieren. Der schottische Halbgeist konnte uns zwar nicht direkt dabei helfen, die Morrígan ausfindig zu machen, aber immerhin konnte sie uns einige Informationen über die keltische Mythenfigur geben. Sie habe gelegentlich Kontakt zu ihr, und sie verstünden sich recht gut, trotz ihrer drei Inkarnationen. Natürlich wollten wir wissen, was das für drei Inkarnationen seien, und erfuhren:
Als Morrígan ist sie die Rabengöttin, als Badb die Göttin der Schlacht und als Sweet Annie für die Toten. Zuletzt begegnet sind die beiden sich vor zwanzig oder vierzig Jahren oder etwas in der Art – kein großer Unterschied und kaum ein paar Tage für einen Jahrhunderte alten Geist, aber zu lange für unsere Zwecke. Sie versprach aber, die Augen aufzuhalten, bevor sie aus Alex verschwand.
Oh, und vorher fragte sie auch noch, wie weit wir bei unserer Suche nach ihrem Dämon schon gekommen seien. Da sich aber ziemlich gut versteckt hält und offenbar nicht gefunden werden will, hatten wir in dieser Hinsicht bisher noch keinen großen Erfolg. Das brachte uns aber, als Eoife dann fort war, auf den Gedanken, was eigentlich mit all den Weißvampirdämonen passieren würde, wenn der Erste stürbe. Wäre das, so ähnlich wie bei den Rotvampiren, eine Kettenreaktion auslösen? Und was für eine Auswirkung hätte das auf Totilas?

Über diese Frage sannen wir gerade noch nach, da drängte sich mit einem Mal etwas in unser aller Bewusstsein: eine Auseinandersetzung am Hafen! Okay, Auseinandersetzungen am Hafen hatten wir in den letzten Monaten schon öfter gespürt, aber der Hafen ist Ciceróns Gebiet, da mischen wir uns üblicherweise nicht ein.
Aber das hier ist was anderes. Das ist viel größer, viel heftiger, und vor allem: Unsere Leute sind am Verlieren!
Mierda, mierda, mierda. Noch halten sie durch, aber mierda!

Wir sind gleich da. Fahr schneller, Alex!


* Beim Reden über die Präsenz der ganzen Gottheiten in der Stadt und über die Probleme, sie im Zaum zu halten, kam es übrigens auch zur Frotzelei des Tages.
Edward: "Es heißt 'Miami, Magic City'. Nicht 'Miami, Divine City' oder 'Miami, Deity City' oder 'Miami, Divinity City'."
Ich: "Hmmm. 'Divinity' klingt nach einem Kaff in Arkansas, wie 'Temperance' oder 'Redemption'."
Roberto: "Das ist doch die Drohung: 'Benimm dich, oder du kommst nach Divinity, Arkansas!'"


** Totilas: „Ist das ein normaler Rabe, oder kann der was?“
    Edward: „Er kann fliegen, oder was meinst du?“
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.07.2021 | 01:16
Abends. Alle noch am Leben. Gerade so jedenfalls, in einigen Fällen. Aber offenbar nichts, dass – schnelle Heilkräfte von Magiekundigen sei Dank – nicht wieder in Ordnung kommen würde. Gracias a Dios.

Als wir am Hafen ankamen, sahen wir Cicerón ziemlich übel zugerichtet außen an einer Lagerhalle direkt neben einem Pier lehnen – er konnte sich zwar noch irgendwie auf den Beinen halten, aber er blutete aus zahllosen kleinen Wunden und war sichtlich am Ende. Es sah aus, als sei er gerade aus der Lagerhalle herausgekommen, als er über die Wächter-Verbindung merkte, dass wir uns näherten.
„Die anderen sind da drin“, keuchte er. „Das war zu viel.“
„Wer?“ - das war Totilas - „Fomori?
Cicerón schüttelte den Kopf. „Outsider. Und die Rabenfrau.“

Outsider. ¡Arroz con mango!

„Die anderen“, das waren Febe und Ilyana, das konnten wir spüren. Am Pier lag übrigens auch ein Frachtschiff – ein kleineres Containerschiff – an, aber das beachteten wir in dem Moment noch nicht. Stattdessen konzentrierten wir uns auf das Lagerhaus. Auch draußen schon waren Kampfspuren zu sehen: Wir konnten durch verschleuderte Rabenfedern verursachte Löcher dort sehen, wo das Material eigentlich viel zu hart dafür war, und die Fenster oben im Lagerhaus waren von irgendetwas verschmiert – vielleicht Blut?

„Wieviele sind es?“, fragte Edward. Dass es Outsider waren, konnten wir spüren, denn in dem Lagerhaus fühlte es sich an wie ein punktueller Kopfschmerz. Und weil es fast unmöglich war, sich auf diesen punktuellen Kopfschmerz zu konzentrieren, war auch die Anzahl dieser Kopfschmerzpunkte nicht so richtig festzustellen. „Schwer zu sagen“, antwortete Cicerón, „die lassen sich nicht richtig zählen. Die verschwinden immer wieder im Nevernever. Und dieser Jak ist auch da.“

Jak? Oh, ¡mierda! Es war aber auch egal – wir mussten da rein, und zwar jetzt! Aber vorher gab Edward Cicerón, der  noch einen von seinen selbstgebrauten Heiltränken, von denen er so gut wie immer ein, zwei Fläschchen dabei hat und die uns – mir vor allem – ja schon mehr als einmal den Hintern gerettet haben. Da fällt mir ein, in Pans Palast habe ich nach einem etwas... schmerzhaften Trainingskampf mit Sir Anders und den Einherjer von dem Sidhe-Ritter auch das Rezept für einen Heiltrank der Sommer-Fae gelernt. Ich sollte mir mal angewöhnen, davon auch das eine oder andere Fläschchen mitzunehmen.

Jedenfalls: Das Lagerhaus war recht groß, voller Frachtkisten und überhaupt nicht gut ausgeleuchtet: Wenn es irgendwo einen Hauptschalter für die Lampen gab, dann fanden wir ihn in der Hektik nicht. Aber gerade, als wir die Halle betraten, erhellte ein Blitz die Szenerie. Überall Kisten und Container, Schienen und ein Kran an der Decke. Kaum waren wir drin, verschwand Totilas – wir kannten unseren White Court-Freund gut genug, um zu wissen, dass er gerade seine übernatürlichen Muskeln angeworfen hatte und losgerannt war.
Den Blitz hatte Febe geschossen, die auf einer der Frachtkisten stand, unter ihr zwei dieser Outsider, die wir nur anhand unserer Kopfschmerzen spüren konnten. Sie sahen grob aus wie Hunde, aber auch nur im allergröbsten Sinne. Ihr Kopf bestand aus Tentakeln, und auch auf jeder Seite kamen jeweils drei Tentakel wie Beine heraus, auf denen sie sich auch fortbewegten. Ilyana, die die Yansa-Maske trug, kämpfte ebenfalls gegen zwei dieser Kreaturen, aber sie war – natürlich, sie channelte Yansa – direkt auf Tuchfühlung mit ihnen. Auf einer anderen Kiste stand Stefania Steinbach in ihrer Dämonengestalt. In dieser war sie größer als ein Mensch, von schwarzer Farbe und mit Federn bewachsen, mit einem langgezogenen Gesicht, Armen, die wie Flügel wirkten, und beinahe so etwas wie einem Schnabel, so dass sie tatsächlich ein bisschen wie ein Rabe aussah. Sie warf immer wieder mit Federn um sich, schien aber vor allem die Situation im Auge zu behalten. Ihre beiden Gegnerinnen hatte die Denarierin auch schon gehörig verletzt mit ihren Federn, auch wenn vor allem Ilyana das im Moment gar nicht zu groß zu bemerken schien.

Auch Jak befand sich im Raum. Er hielt einen kleinen Kasten in der Hand, der ungefähr die Größe eines mittelgroßen Paperbacks hatte und aus schwarzem Holz gefertigt war. Er bemerkte uns, als wir die Halle betraten, warf uns einen 'Ach, naja, na gut, dann halt nicht, dann ist das halt jetzt so'-Blick zu und verschwand mit einem leisen 'Plop' im Nevernever. Zurück blieb ein Luftballon, der an der Stelle schwebte, wo Jak eben noch gewesen war, und der trotz der schlechten Lichtverhältnisse so perfekt zu sehen war, als befinde er sich im hellsten Tageslicht.

Mit seiner übermenschlichen Geschwindigkeit stürmte Totilas auf Steinbachs Kiste dazu und warf sich dagegen, ganz offenbar in der Absicht, die Kirchenfunktionärin zu Fall zu bringen. Ganz gelang ihm das nicht, aber immerhin brachte er die Kisten ins Wanken und Steinbach damit für einen Moment aus dem Gleichgewicht, während ich die Krähenfrau mit meinem patentierten Sonnenlichtzauber blendete, um den Effekt noch zu verstärken.
Edward nahm Anlauf und sprang an dem Kistenstapel hoch – es sah aus, als wollte er im Sprung zuschlagen, um nicht in den Nahkampf mit Steinbach gehen zu müssen. Allein durch die Tatsache, dass er die Denarierin bei seinem Schlag berührte, brachte ihm mehrere kleine Schnitte ihrer scharfen Federn ein, aber dafür versetzte er ihr eine richtig schwere Wunde. Er kam mit seinem weiten Satz auch aus Steinbachs Reichweite, aber sie schoss eine Wolke aus Federn nach ihm ab, die ihm den Rücken aufrissen, und beim Aufkommen verstauchte er sich zu allem Überfluss den Knöchel.
Der Hund, den Febes Blitz getroffen hatte, verschwand im Nevernever und tauchte direkt neben Roberto wieder auf. Er biss nach Roberto und traf ihn auch, aber zum Glück nicht sehr schwer.
Alex rannte indessen zur Steuerkanzel des Deckenkrans und schwang sich hinein, während einer der Hunde mit seinen Tentakeln nach ihm griff, ihn aber nicht erwischte.
Auch Febe konnte dem Hund ausweichen, der an ihrer Kiste hochsprang. Ilyana jedoch wurde von einem Biss ihres Gegners voll getroffen und schrie schmerzerfüllt auf, woraufhin Totilas zu ihr hinstürmte und ihrem Hund einen Hieb mit der Faust überbriet. Das tat der Outsider-Bestie nicht wirklich weh, aber immerhin ließ sie daraufhin von Ilyana ab.

Stefania Steinbach bemerkte offenbar erst jetzt, dass Jak verschwunden war und nahm das zum Anlass, sich auch abzusetzen: Sie schwang sich in die Luft und flog durchs Dach davon. Gut so, das machte uns das Leben ein klein wenig leichter, dass wir nur noch die Outsider-Hunde gegen uns hatten - nicht, dass die Viecher nicht auch alleine noch verdammt gefährlich waren und uns schwer zu schaffen machten.
Ich sprang Roberto zur Seite, und dank Jades scharfer Klinge gelang es mir, seinem Hund ein Tentakel abzuschlagen. Roberto selbst hatte sich gerade ein herumliegendes Stück Eisenrohr geschnappt, mit dem er nun ebenfalls nach dem Hund schlug und diesen auch empfindlich am Schädel traf. Daraufhin biss das Monstrum wieder nach Roberto, brachte ihn damit aber zum Glück nur etwas aus dem Tritt, statt ihn zu verletzen. Und kam es mir nur so vor, oder spürte ich einen beleidigten Impuls von Jade, weil der Hund sie ignorierte?

Währenddessen wollte Edward mit einem Schlag seiner behandschuhten Faust Febes Hund von ihr ablenken, aber die Outsider-Bestie ließ nicht locker – und letzter Biss traf eine Arterie in Febes Bein. Blutüberströmt ging die Santa Shanga zu Boden.
Ein lautes Krachen und das Geräusch berstender Knochen ließ uns kurz zu Totilas hinüberschauen, auf dessen und Ilyanas Gegner gerade eine schwere Kiste herabgestürzt war. Alex hatte sie mit dem Deckenkran über das Monster manövriert – aber jetzt flog aus der Richtung des Krans die Tür der Steuerkanzel in unsere Richtung. Sie traf keinen von uns, aber das zeigte uns, dass Alex' Hund, der offenbar die Tür gerade mit seinen Tentakeln einfach abgerissen und nach uns geschleudert hatte, drauf und dran war, zu unserem Freund in die Kabine einzudringen.

Der Hund bei Roberto und mir verschwand mit einem leisen Plopp im Nevernever, während Totilas seinem und Ilyanas Hund, der von der Kiste schwer verletzt und sichtlich desorientiert war, mit einem letzten Schlag den Rest gab.
Für den Moment war ich frei, und Febe und Edward – vor allem Febe! – brauchten Hilfe. Um mit Jade zuzuschlagen, war ich zu weit weg, und hinzulaufen würde zu viel Zeit kosten, also rief ich die Magie nach oben und stellte mir mit aller Macht ein auf den Hund gerichtetes Brennglas vor, durch das ein Sonnenstrahl fiel – ein Laserstrahl aus konzentriertem Sonnenlicht, gewissermaßen. Der gleißende Strahl, der aus meiner Hand kam, traf den Hund auch tatsächlich schwer, aber das war nicht der vertraute Zauber, mit dem ich sonst immer die Szenerie erhelle oder meine Gegner blende, und es war etwas, das ich so direkt noch nicht probiert hatte, und ja, ich verschätzte mich. Für einen Moment sah ich vor meinen Augen Funken sprühen, und der Laserstrahl, der den Hund getroffen hatte, schlug zurück und versengte auch mir selbst die Hand.
¡Ai, cólera! Das hatte ich ja schon so lange nicht mehr! Aber, gracias a Dios, das habe ich auch schonmal schlimmer erlebt.
Der Hund jedenfalls wollte verschwinden, aber es gelang ihm nicht. Mit sichtlich unkontrollierten Bewegungen und von Brandgeruch umgeben fiel er von dem Kistenstapel herunter, und dann rührte er sich nicht mehr.

Edward war anzusehen, dass er eigentlich zu Febe wollte, um erste Hilfe zu leisten, jetzt wo ihr Gegner ausgeschaltet war. Aber dann konnte man richtiggehend sehen, wie seine Vollmond-Instinkte ihn übermannten und er sich stattdessen auf den Hund bei Alex stürzte. Sein Treffer ließ das Monster aufheulen, und es blinkte weg.
Stattdessen rannte Totilas zu Febe hin und band ihr das Bein ab – vielleicht war es in dem Moment ganz gut, dass sie bereits ohnmächtig war.

Die Bestie, die bei Roberto und mir gewesen war, tauchte hinter Cicerón auf und erwischte ihn aus diesem Hinterhalt. Der Bandenchef sah bereits schwer mitgenommen aus, aber noch stand er, und jetzt begannen seine Augen zu leuchten und Feuer um seine Hände zu spielen.
Alex packte das Outsider-Biest mit dem Kran, um es zu behindern und Cicerón das Leben etwas leichter zu machen, aber dessen Schlag traf nur den Kran statt seinen Gegner. Da Febes Hund tot war, Febe selbst bereits von Totilas erste Hilfe erhielt und Alex' Hund sich gerade nicht in unserer Realität befand, rannte ich zu Cicerón und konnte dem Biest noch einmal ein Tentakel abschneiden. Von Jade verletzt und vom Kran behindert – das reichte, damit der Hund von Cicerón genug hatte und wieder zu Roberto hinteleportierte. Der aber hatte sich offenbar genau auf diese Wahrscheinlichkeit vorbereitet, denn er war nicht im Geringsten überrascht, als das Biest hinter ihm auftauchte. Im Gegenteil, er wirbelte herum und hieb dem Outsider-Hund das Eisenrohr, das er ja immer noch in der Hand hatte, über den Schädel. Die Bestie jaulte noch einmal auf und lag dann still – und das war der letzte unserer Gegner, denn Alex' Hund blieb verschwunden. Ob er dort – wo auch immer 'dort' war – verendete oder schlicht keine Lust mehr hatte, sich weiter mit uns anzulegen, kann ich nicht sagen, ist im Endeffekt aber auch nicht von Bedeutung.

Als erste Aktion, nachdem Ruhe eingekehrt war, riefen wir natürlich einen Krankenwagen. Wobei wir eigentlich gleich mehrere gebraucht hätten, denn die meisten von uns waren mehr oder weniger übel dran. Ich selbst kam mit meinen Brandwunden des Grads 2b (ja, inzwischen kann ich die unterschiedlichen Grade auf Anhieb unterscheiden, seufz) dabei noch vergleichsweise glimpflich davon; Edward war mit seinem aufgerissenen Rücken war deutlich schlimmer dran, und auch Cicerón und Ilyana ging es richtig dreckig, vor allem, als sie ihre Orisha-Masken abnahmen und all ihre bislang unbemerkten Verletzungen mit Macht über sie hereinbrachen.

Totilas sah auch nicht gut aus. Man konnte ihm ansehen, wie er sich zwar unter Kontrolle hatte, aber das eine knappe Kiste war. Seine Augen nahmen den silbernen Glanz an, den sie bekommen, wenn sein Dämon die Oberhand gewinnt, und er machte ziemlich schnell einen Abgang, weil er ziemlich sicher Febe und uns andere nicht verletzen wollte.

Jetzt kamen auch Ximena und Ángel bei der Lagerhalle an, die ebenfalls über unser gemeinsames Band den Notfall mitbekommen hatten und gleich losgefahren waren, aber schlicht im Stau festgesteckt hatten. Bjarki sei allerdings schon in Falkengestalt vorausgeflogen – ob wir den nicht gesehen hätten?
Nein, das hatten wir nicht, aber wir waren auch anderweitig beschäftigt gewesen.
Alex war noch gar nicht bei uns, bemerkten wir jetzt. Aber nun kam er heran und berichtete: Der Ballon, den Jak hinterlassen hatte, war ihm gefolgt, als er zu uns stoßen wollte, also hatte Alex sich eine Nagelpistole geschnappt, die er in der Lagerhalle fand, und auf den Ballon geschossen, wobei er sorgfältig darauf achtete, dem Explosionsradius des platzenden Ballons fernzubleiben. Dort, wo der Ballon geplatzt war, riss die Barriere zwischen unserer Welt und dem Nevernever wieder kurz, und von der Stelle ging ein richtig unangenehmes Gefühl von falsch aus. Alex gelang es, nicht in den Riss zu schauen, und dieser schloss sich dann auch wieder, aber eine Art Narbe in der Grenze blieb dort bestehen. Da will Alex sich nochmal drum kümmern, sagte er.

Jetzt hatten wir auch Gelegenheit, einen Blick auf das Schiff zu werfen, das da am Pier lag. Dem ersten Anschein nach sah das Containerschiff so aus, als habe es schon bessere Tage gesehen, aber bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass alles State-of-the-Art war: Vor allem die super-moderne Funk- und Satellitenanlage. Näher konnten wir jetzt allerdings nicht darüber nachdenken, denn nun näherten sich Blaulicht und Sirenen.

Bevor der Krankenwagen – und mit ihm die Polizei – aber ankamen, zogen sich Cicerón, Ilyana und Edward zurück, während wir anderen da blieben, um Fragen zu beantworten. Febe wurde – in Alex' Begleitung, der dort wegen des Problems, das Magier mit Technik haben, den Ansprechpartner geben wollte – ins Krankenhaus abtransportiert, und es blieb an mir hängen, die Geschehnisse zu erklären. Die Leichen der Tentakel-Hunde hatten sich inzwischen aufgelöst, und das war nur gut so, das hätte ohnehin niemand geglaubt. Stattdessen verkaufte ich die Bissverletzungen als Ergebnis einer kleinen Meute herrenloser Hunde und meine Verbrennungen als den fehlgeschlagenen Versuch, mich einer dieser Hunde mit einem Stromkabel zu erwehren, und zum Glück kam ich damit auch anstandslos durch.

Hinterher fuhren wir in unser Ferienhaus, wohin Cicerón auch den Arzt bestellte, den er kennt und der uns dort behandelte. Und nach und nach tauchten auch die anderen wieder auf, und noch eine Weile später waren wir alle außer Febe in unserem Hauptquartier versammelt.
„Wir brauchen ein Krankenhaus nur für Magier“, sagte Edward, als wir alle verarztet und wieder unter uns waren. „Dann müssten wir nicht immer auf Geheimhaltung achten und aufpassen, dass wir nichts kaputtmachen.“
Gute Idee, das fanden wir alle, also werden wir demnächst wohl mal anfangen, das ein bisschen eingehender zu planen.
Vorher kam aber erst einmal auch Bjarki von seiner Verfolgung Stefania Steinbachs zurück. Die Krähenfrau war in ihr Haus in der Nähe der Ermitá zurückgekehrt, sagte er. Die Wunden, die sie in dem Kampf davongetragen hatte, schienen sich bereits in der Luft wieder zu schließen. Aber wenigstens heilten die Wunden nicht sofort, sondern nur langsam. Und die Dämonenfrau verlor unterwegs ziemlich viele Federn, das schien auch darauf hinzudeuten, dass sie die Verwundungen nicht völlig problemlos wegsteckte.

Nachdem wir die Ereignisse für die anderen grob zusammengefasst hatten, befand Totilas: „Ich habe ein ungutes Gefühl, dass Steinbach jetzt mit Jak zusammenarbeitet“, und damit hatte er natürlich völlig recht. Den Verdacht hatten wir ja schon eine Weile gehabt, aber jetzt wissen wir es mit Sicherheit.
„Was ist überhaupt genau passiert, bevor wir da angekommen sind?“
„Die Krähenfrau ist aufgetaucht“, antwortete Cicerón, „was so erstmal nichts Außergewöhnliches war. Die treibt sich öfter am Hafen rum. Normalerweise haut sie ab, wenn man ihr zu nahe kommt, aber diesmal eben nicht. Jak war ebenfalls da und hatte diese Monster dabei, die ihr ja gesehen habt. Oh, und Adlene war auch vor Ort, aber der ist gleich abgehauen, als wir kamen.“

Totilas beschrieb den kleinen schwarzen Kasten, den er bei Jak gesehen hatte, bevor der Outsider verschwand. „Ja, der kam von dem Schiff“, antwortete Cicerón, „das war eine Übergabe von dem Schiff.“
Der Mann, der Jak den Kasten übergeben habe, sei ein Latino gewesen. Ganz genau habe Cicerón ihn nicht ausmachen können, aber soviel dann doch. Latino oder Südeuropäer, irgendwie so, in einem Anzug mit Krawatte. Als Bezahlung habe er einen Koffer erhalten. Cicerón wollte den schwarzen Kasten haben und dachte, nur mit Jak und Steinbach könnten sie sich anlegen, weil sie ja zu dritt waren, aber dann habe Jak diese Hunde beschworen, und die Sache sei den Bach heruntergegangen.
„Er sagte zu Steinbach: 'Wäre doch toll, wenn die jetzt sterben würden', aber Steinbach hat sich zurückgehalten. Die hat ihre Kräfte nicht voll eingesetzt, sonst hätten wir nicht durchgehalten, bis ihr gekommen wärt.“
„Der Gedanke gefällt mir nicht“, brummte Totilas.
„Mir auch nicht“, erwiderte Edward, „aber vielleicht braucht sie uns noch.“
Alex, der auch wieder bei uns war, nickte. „Jetzt ist sie mit Jak verbündet, aber irgendwann wird das Bündnis brechen, und dann will sie vielleicht – vermutlich – dass wir Jak für sie umbringen.“
„Der Gedanke gefällt mir nicht“, wiederholte Totilas, und auch da waren wir alle einig mit ihm, aber so richtig etwas tun deswegen können wir im Moment nicht.

Aber wir können vielleicht herausfinden, was es mit diesem Schiff auf sich hat. Summerwind hieß es. Mierda. So ein schöner Name für so ein zwielichtiges Gefährt.
Totilas will Cousin Vin darauf ansetzen, sagte er.

Aber erstmal schlafen gehen. Das hier aufzuschreiben, hat schon wieder viel zu lange gedauert, und ich bin völlig erledigt.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 1.08.2021 | 13:45
8. März

Totilas hat mit seinem Cousin geredet. Auch ohne seine IT-Künste größer zu bemühen, konnte der junge Hacker mit einer ersten Suche bereits Folgendes feststellen: Die Summerwind ist ein mittelgroßes Containerschiff unter britischer Flagge, mit einer Besatzung von 16 Personen. Fracht laut öffentlichem Manifest: Ikea-Möbel, Autoteile und dergleichen. Vin war aber bereits jetzt misstrauisch, weil das alles zu normal war, zu glatt, zu sauber. Das Schiff selbst sei schon etwas älter, die Funkanlage zuletzt 1997 erneuert. Und das kann schon mal nicht stimmen, denn wir haben mit eigenen Augen gesehen, dass die Satellitenanlage der Summerwind brandneu ist. Vin will sich die Sache näher ansehen und sich wieder melden, kann aber nicht sagen, wie lange das dauern wird.

Wir anderen hielten indessen Kriegsrat und beschlossen, uns das Schiff schon einmal ansehen zu gehen, auch ohne die tiefergehenden Informationen von Vin zu haben. Wir wissen nicht genau, ob das nicht sonst vorher ausläuft, deswegen wollen wir nicht zu lange warten.

Cicerón und Ilyana sagten übrigens, ihrer Meinung nach hätten Steinbach, Jak und Adlene dort am Hafen nicht damit gerechnet, dass sie von den drei Guardians gestört werden würden. Es sieht so aus, als wäre ihnen – und auch sonst niemandem – bewusst, was wir mit unserem Genius Loci-Ritual genau erreicht haben, sondern dass sie denken, wir hätten mit unserer Aktion einen Ward hochgezogen oder etwas in der Art. Mit etwas Glück haben sie auch nicht die Verbindung zwischen ihren Machenschaften und dem prompten Auftauchen der Santo Shango gezogen, sondern halten das für Zufall. Also, was uns betrifft, darf das auch sehr gerne noch möglichst lange so bleiben.

Aber jetzt muss ich erstmal los – wir treffen uns am Hafen.

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Wieder zurück. Die Summerwind lag tatsächlich noch am Pier, die Polizei war aber natürlich längst abgezogen. Im Lagerhaus waren Hafenarbeiter zugange, die dort aufräumten.
Aus unauffälliger Entfernung beobachteten wir das Schiff. Wenn es dort etwas Nützliches zu holen gab, dann am ehesten auf der Brücke, überlegten wir uns. Die Black Box wäre für Cousin Vin bestimmt Gold wert.
Nur wie sollten wir dort hinauf kommen? Mit offener Waffengewalt schon mal nicht – es war definitiv Heimlichkeit angesagt.
Kurz überlegten wir, ob ich mir vielleicht eine glaubwürdige Geschichte einfallen lassen könnte bzw. was für eine Geschichte am besten ziehen würde, aber ziemlich gleich warf Roberto ein: „Carmen kann sie ablenken“, und das klang nach einem ausgezeichneten Plan. Carmen, die mir eine laute, emotionale Szene macht? Perfekt.
„Alles klar“, sagte Roberto, „ich komme gleich wieder. Oder nein, Carmen kommt gleich wieder.“

Und tatsächlich: Nur eine Minute später schlenderte Carmen um die Ecke, gekleidet in den Rock, die Stola und die Pumps, die Roberto irgendwie immer in der Tasche hat, nur für den Fall.
Gemeinsam bewegten wir uns in Sichtweite des Containerschiffs, und los ging das Schauspiel.
Da lag noch eine Yacht in der Nähe, die dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hingehörte – irgendein Schlaumeier musste in die falsche Rinne gefahren und dann steckengeblieben sein. Aber das konnte uns in dem Moment nur recht sein, denn das nutzte Ro Carmen eiskalt aus:
„Was soll das, das ist keine Yacht! Soll das etwa eine Yacht sein? Du hast mir eine Yacht versprochen!“
Sie ging in den hundertprozentigen Telenovela-Modus, ich reagierte entsprechend, und das klappte super.
Wir taten natürlich so, als würden wir uns nur füreinander und für unseren 'Streit' interessieren, aber aus dem Augenwinkel konnten wir sehen, dass ein paar Arbeiter aus der Lagerhalle kamen, um uns zu beobachten und auf der Summerwind etliche Besatzungsmitglieder über die Reling gafften. Beflügelt von unserem Publikum, und um dessen Aufmerksamkeit fest auf uns zu halten, wurden wir laut. Es funktionierte bestens: Ein paar Arbeiter mischten sich in unsere Diskussion ein, und dann fingen sie an, sich untereinander zu streiten, und von oben vom Schiff kam sogar so etwas wie Anfeuerungsrufe.

Wie ausgemacht, beobachtete Totilas währenddessen die Gegend, hielt Edward sich für Ärger bereit und nutzte Alex die Ablenkung, um auf das Schiff zu gelangen.
Was nun passierte, erzählten Alex und Edward erst später bei der Nachbesprechung, aber es passt zeitlich einfach besser hierher, deswegen schon jetzt.

Mit einem Boot und von der dem Pier abgewandten Seite kam Alex unbemerkt an Bord und auf die Brücke. Zuerst versuchte er, sich selbst in die Black Box zu hacken, aber die war besser gesichert, als er erwartet hatte. Und es begann ein Warnlicht zu blinken, das Alex sagte, dass er vermutlich Alarm ausgelöst hatte, also baute er den Kasten aus und verließ schleunigst die Brücke. Die Black Box kam in einen wasserdichten Beutel, und gerade wollte Alex mitsamt seiner Beute über die Reling und ab ins Wasser, als der Kapitän des Schiffes angerannt kam und unserem Kumpel hinterherfeuerte – und zwar nicht aus einer Pistole, wie man das vielleicht erwartet hätte, sondern mit einer schallgedämpften Kalaschnikow. Nicht nur hörten wir vorne auf dem Pier deswegen nichts von dem Schuss, sondern das war auch ein weiterer Hinweis darauf, dass mit der Summerwind etwas nicht stimmte.
Alex sprang ins Wasser, zog sich in das Boot, und es gelang ihm, wegzukommen, ohne von einer der weiteren abgefeuerten Kugeln getroffen zu werden.

Wegen des Schalldämpfers konnten wir die Schüsse nicht hören, aber Alex rief bei uns an, als er in Sicherheit war. Und das wiederum war für Carmen und mich das Stichwort, unsere Vorstellung so ganz allmählich zu beenden und uns zurückzuziehen. Das ging natürlich nicht von jetzt auf sofort, aber irgendwann hatten wir es geschafft.

Währenddessen war Edward, der ja so tat, als würde er nicht zu uns gehören, sondern sich zufällig und separat dort am Hafen aufhalten, mit einem der Arbeiter aus der Lagerhalle ins Gespräch gekommen. Der Mann erzählte ihm völlig schockiert, dass irgendetwas einfach die Tür eines Krans in der Halle herausgerissen hätte: Irgendetwas würde ganz gewaltig nicht stimmen, aber die Regierung würde alles vertuschen, wie so oft! Knochentrocken antwortete Edward: „Wahrscheinlich war es ein Monster“, was genau die erwartete Reaktion zur Folge hatte: „Verarschen kann ich mich selber!!“
Nein, für den Arbeiter waren das irgendwelche Aliens oder genmanipulierte Super-Soldaten der Regierung oder etwas in der Art – genau wie die seltsamen Froschleute, die vor einer Weile am Strand aufgetaucht waren. Und er gab Edward die Adresse eines Internetforums, dem Treffpunkt der entsprechenden Klientel, und nannte ihm auch seinen Benutzernamen dort: WiseBro66 oder so, wenn ich mich nicht irre.
Und wie man sich aus dem Obigen schon denken kann, dauerte es auch bei Edward eine ganze Weile, bis er sich aus dem Gespräch lösen konnte und wegkam.

Zurück in unserem Ferienhaus – wir sollten uns mal einen Namen dafür überlegen. Inoffiziell werde ich es, glaube ich, ab jetzt einfach Casa Guardián nennen – beriefen wir einen Kriegsrat von uns allen ein und besprachen das Gesehene.

Erste Schlussfolgerung: Der Kapitän der Summerwind war zu gut bewaffnet, eine schallgedämpfte AK47 ist auch nicht so völlig normal, und das Schiff war zu gut bewacht. Die dürften mit einiger Sicherheit wissen, was sie da transportiert haben bzw. vielleicht sogar regelmäßig transportieren.

Ob das Schiff vielleicht dem Weißen Rat gehöre bzw. seine besondere Fracht im Auftrag des Weißen Rates befördere? Und ob die Lieferung der schwarzen Kiste auf eine Kooperation des Magierrates mit den Outsidern hindeute?
„Naja, was heißt Kooperation?“, gab Alex zu bedenken, „vielleicht wissen sie gar nicht, dass Outsider involviert sind. Vielleicht haben sie ‚nur‘ etwas an Stefania Steinbach geliefert, den Lehrling des örtlichen Wardens?“
Das passte aber auch nicht so richtig, weil der Rat ja nach Declan gesucht hat und überdies zu glauben scheint, dass Miami von den Fomori überrant worden sei; dann würden sie wohl kaum etwas hierher schicken, ohne vorher doch nochmal näher nachzuforschen.
Ob wir Vanessa Gruber kontaktieren sollten? Hm, nein, lieber nicht, weil es uns ja gerade ganz recht ist, dass die Ratsmagier denken, Miami habe ein Fomor-Problem. Oder uns im Paranet erkundigen? Hmmm, lieber auch nicht, weil die Paranetter ja ganz grundsätzlich dem Rat nicht sehr freundschaftlich gegenüberstehen und Ratsangelegenheiten normalerweise so weit wie möglich aus dem Weg gehen, das wäre also höchstvermutlich eher schädlich als hilfreich. Außer natürlich, es hat nichts mit dem Rat zu tun, und jemand im Paranet hätte einen Hinweis. Aber allein wegen der Möglichkeit das Risiko eingehen?


Wir waren noch am Diskutieren und Überlegen, da meldete sich Vin Raith bei Totilas, und der stellte nach kurzer Begrüßung sein Handy auf laut.
„Erinnerst du dich an Alexi Radis?“
Cólera. Natürlich erinnerten wir uns alle an Alexi Radis. Also nicht alle alle, aber wir Ritter. Von den Guardians waren meiner Erinnerung nach nur Ángel und Cicerón anwesend. Aber jedenfalls ist das Totilas‘ russische Cousine, die damals bei unserer ersten gemeinsamen Halloweenparty (damals noch von Gerald Raith organisiert) auftauchte und versuchte, die Geschäfte der Raith‘ in Miami zu übernehmen.
Langer Rede kurzer Sinn: Die Summerwind gehört einer Schiffsfondsgesellschaft, wobei die überwiegende Mehrheit der Fondsanteile von einer Firma gehalten wird, und wenn man die Konzernstrukturen dieser Firma sehr tief nachverfolgt, dann steht am Ende Sergei Radis, das Oberhaupt des russischen Zweigs der Weißvampire, seines Zeichens entweder Bruder oder Vater von Alexi.
Mierda. Das Schiff gehört dem White Court.

Was der Frachter transportierte, konnte er bislang noch nicht herausfinden – falls die illegale Fracht sich aber als Drogen herausstellen sollte, soll er, ganz im Sinne der friedlichen Kooperation zwischen den beiden Fraktionen, Cicerón informieren.

Damit trennten wir uns aber erst einmal, weil es doch wieder ein langer Tag war und ich immer noch etwas angeschlagen bin, auch wenn meine Hand nicht mehr ganz so fies wehtut.
Edward ist über Nacht in der Casa Guardián geblieben, weil gerade Vollmond ist und er gerade nicht so viel Lust darauf hatte, mit seinem Halbbruder, dem Teenager, aneinanderzurasseln; Ilyana hat sich auch eines der Gästezimmer gesichert. Cicerón und Dee wollten noch ins Krankenhaus, um Febe einen Besuch abzustatten. Weil die beiden ununterbrochen miteinander stritten, war es vielleicht ganz gut, dass Ángel sich ihnen noch anschloss. Alex und Totilas hingegen wollten Vin noch die Black Box des Schiffes bringen in der Hoffnung, dass der Raith-Hacker daraus noch weitere nützliche Informationen ziehen kann.

Als ich heimkam, war Lidia noch auf. Sie hatte einen etwas seltsamen Ausdruck – ein bisschen amüsiert, ein bisschen genervt, ein bisschen ergeben – im Gesicht, als sie sagte: „Da ist ein Brief für dich gekommen.“
Ich schaute also auf die Kommode im Flur, auf meinen Schreibtisch, wo man eben erwarten würde, dass die Verlobte einem einen Umschlag hinlegt, aber nichts.
Nein, der Brief war im Wohnzimmer. Der Brief hing im Wohnzimmer, mitten in der Luft. Es habe geklingelt, und als sie aufgemacht habe, sei der Brief hereingeschwebt. Lidia habe ihn nicht angefasst, und sie habe auch Monica und Jandra, vor allem Monica, von ihm ferngehalten.

Es war ein grauer Briefumschlag mit Trauerrand, nur mit meinem Namen darauf und ohne Marke, und die Karte darin hatte dieselbe Farbe und denselben Rand. Es war ein sehr höflicher Dank für die Einladung zu meiner Hochzeit, gezeichnet „Hel – Haley – [eine Reihe von nordischen Runen, die bestimmt ebenfalls ihren Namen darstellten]“.
Heilige Mutter Maria, steh mir bei. Wer will bzw. wird denn noch alles zu dieser Hochzeit kommen?!?
Odin hat sich ja auch schon angemeldet… Und ich kann Haley nicht ausladen, auch wenn ich sie streng genommen nicht eingeladen habe, denn das würde ein viel zu großes Licht darauf lenken, dass ich sie nicht eingeladen habe. Ach, gah.
Aber gut, es steht ja ohnehin schon halb Miami auf der Liste: unser beider Familien, alle Guardians, Shango und Oshun, Dallas Hinkle, Marshall Raith… es würde mich nicht wundern, wenn Enrique eigens aus Cuba auftauchen würde. Nicht, dass es mich nicht freuen würde, meinen Bruder wiederzusehen, aber was, wenn er versucht, Ärger zu machen und Jandra zu entführen? Ich wiederhole mich, aber: Heilige Mutter Maria, steh mir bei.

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9. März

Heute haben wir (nur wir Ritter diesmal) uns im Hotel mit Vin Raith getroffen, der offenbar eine Nachtschicht eingelegt und die Black Box ausgewertet hat.

Aber vorher erzählte Totilas uns noch, dass er gestern abend noch mit Marshall geredet hat, um den über das Schiff in Kenntnis zu setzen. Marshall wusste bereits, dass die Russen regelmäßig in die U.S.A liefern – er sagte, sie hätten ihre Finger in allem Möglichen: Kokain, Menschenhandel… Er meinte auch, es würde nicht viel helfen, den Weißen König um Intervention zu bitten: Der würde einen Brief schreiben, die Radis‘ würden freundlich nicken und nichts ändern. Also müssen wir wohl selbst tätig werden: Der erste Schritt wäre normalerweise, die Schiffsbesatzung auszuschalten – entweder über die Polizei oder durch Vigilanten, sprich uns.

Das, was Vin uns dann bei dem Treffen erzählte, zielte genau in dieselbe Kerbe. „Die Infos passen zu den Russen“, meinte er. Jetzt, wo der Red Court verschwunden ist, hat sich in Südamerika ein Machtvakuum aufgetan, und da wollen die Radis wohl hineinstoßen. Das Schiff fährt offiziell nur zwischen Großbritannien und den USA hin und her, aber in Wahrheit ist es schneller als seine Papiere und kann daher unbemerkt und ohne Verdacht zu erregen auch zusätzliche Ziele in Süd- und Mittelamerika anlaufen.
Die Summerwind hat in Kuba und Mexiko Ladung aufgenommen: Kisten (vermutlich Kokain) und Container (vermutlich Menschen) – das schreit ‚Radis‘. Die Ladung wurde allerdings bereits gelöscht und ist von Bord.
Außerdem hatte das Schiff einen inoffiziellen, sonst nirgendwo vermerkten, Passagier an Bord: einen gewissen Emilio Lopez, der in England an Bord gekommen ist. Das war dann wohl derjenige, der das schwarze Kästchen übergeben hat. Das Schiff hat ein paar Passagierkabinen und nimmt durchaus auch mal offiziell Leute mit, aber dieser Lopez stand definitiv nicht auf dem normalen Manifest.
Lopez arbeitet offenbar für ein hochexklusives Schweizer Auktionshaus: Das sieht so aus, als habe da jemand etwas ersteigert und es nicht per Post oder Paketversand verschickt, sondern es sei persönlich überbracht worden. Und da die Kiste nicht riesig groß war, vielleicht 8x12 Inch: War die vielleicht dazu da, um Münzen zu verpacken? Ganz besondere Münzen?

Natürlich haben wir uns die Webseite des Auktionshauses angesehen: „Mütli und Schwarzmann, est. 1973“ – sehr gediegener Webauftritt mit ein paar geschmackvollen, zurückgenommenen Bildern, dazu ein Impressum und eine Telefonnummer, das war’s. Kein Auktionskatalog, weder online noch in Papierform zu bestellen.

Angeblich soll das Schiff noch einige Tage hier liegen. Ob wir ihm – und damit den Radis – die Steuerfahndung auf den Hals jagen sollten?
Gemeinsam kamen wir schließlich auf folgende Idee: Da ist dieser Fahrtenschreiber aufgetaucht, urplötzlich und wer weiß, woher, huch, was da wohl drauf sein mag?
Das ist zwar natürlich überhaupt nicht vor Gericht nutzbar, aber könnte den Behörden immerhin einen ersten Ansatzpunkt liefern. Marshall Raith kann da hoffentlich etwas in die Wege leiten.

Wieder unter uns informierte Totilas, wieder ganz im Sinne der guten Zusammenarbeit, Cicerón über das Schiff und was wir herausgefunden haben. Der war natürlich schwer begeistert (nicht) und sagte, er werde mal mit dem Kapitän der Summerwind reden gehen. ‚Reden‘. Ähem.

Außerdem trugen wir noch einmal zusammen, was wir momentan eigentlich alles an ‚Baustellen‘ offen haben.
Da wären natürlich zunächst die Radis und ihr neu erwachtes Interesse am Geschäft hier.
Dann Jak und die Kiste, von der wir nicht wollen, dass er sie hat.
Bei der Gelegenheit rekapitulierten wir auch nochmal, dass Jak vermutlich nicht nach Outside weggebeamt ist, sondern ‚nur‘ ins Nevernever, weil es gar nicht so einfach sein dürfte, mal einfach zwischen hier und Outside hin- und herzuwechseln. Auch die Tentakelhunde dürften aus den hinteren Regionen des Nevernever geholt haben, nicht von Draußen. Nach Outside wird Jak vermutlich erst dann wieder gehen wollen bzw. können, wenn er hier das erreicht hat, was er erreichen will. Und was will er erreichen? Vermutlich alles zerstören, sprich auch das Hier dem Outside gleich machen. Brrrr. Fiese Vorstellung.
Dann Emilio Lopez, der hier in Miami von Bord gegangen ist und sich höchstvermutlich noch immer hier aufhält. Außerdem ist da Eoife, der wir versprochen haben zu helfen, und die Sache mit der Morrigan, die wir für Orcus finden sollen, or else.

Totilas hatte die Idee, dass wir Miami fragen könnten, ob Morrigan hier ist. Und da wäre es doch nur höflich, ein Ritual für Miami abzuhalten – gar nicht mal unbedingt magisch, sondern eine kleine Fiesta mit gutem Essen, Musik und Tanz in der Casa Guardián.
Das haben wir also entsprechend vorbereitet und haben uns dann getrennt, um uns umzuziehen und vielleicht ein paar Stunden auf’s Ohr zu hauen - das könnte ja doch ziemlich lange gehen. Und ich habe natürlich Lidia abgeholt, nachdem wir die Mädchen zu meinen Eltern gebracht haben. Ich rechne nicht mit einer Orgie von Pan’schen Ausmaßen, und wenn es eine Fiesta, gibt, sollte sie dabei sein. Nicht, weil ich ihr keinen Anlass zur Eifersucht geben möchte, sondern einfach, weil ich sie gerne dabei haben möchte.

Gleich fahren wir los – nachher mehr… oder morgen, je nachdem.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 17.10.2021 | 02:29
Ricardos Tagebuch: Ghost Story 2

10. März

Gääähn. Guten Morgen. Das war gestern echt nett... aber auch echt lang. Miami freute sich über die Feier und tanzte mindestens einmal mit uns allen – am meisten aber mit Roberto, und der war es dann auch, der sie nach der Morrigan fragte.
Sie sei noch hier, sagte Miami: Jemand habe sie verborgen, aber sie sei noch da. Es habe eine Beerdigung gegeben, und dort auf dem Friedhof sei die Morrigan noch anwesend gewesen, aber dann war sie fort. Morrigan habe öfters mal Beerdigungen besucht, die sie ansprachen: Kelten und irgendwie kriegerische Umstände. In diesem Fall war es ein alter, alleinstehender Schotte namens Jamie Macmillan, der in der Royal Air Force gedient hatte und der bei einer Kneipenschlägerei ums Leben gekommen war.

Morrigan sei auch des öfteren am Coral Castle gegeben, erfuhr Roberto noch. Aber was sie dort gemacht hatte, wusste Miami nicht – es gebe Orte, an die sie nicht so richtig hindenke, weil die nicht richtig zu ihr gehörten. Sie konnte und wollte auch nicht näher darauf eingehen, wo diese Orte überall sind, das war ihr unangenehm, und darauf hatte sie keine Lust. Aber was sie Roberto sagen konnte, war, von welchem Friedhof die Morrigan verschwunden ist. Danach war dann Schluss mit Fragen und Feiern angesagt.

Aber diesen Friedhof müssen wir uns natürlich ansehen. Nachher. Erstmal in Ruhe frühstücken. Uns war ja klar gewesen, dass wir lange schlafen würden, also haben wir uns erst für nachmittags verabredet.

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Wieder zurück. Oookay, das war einigermaßen schräg, sogar für unsere Verhältnisse.

Am Friedhof fanden wir zuerst einmal den Totengräber und redeten mit dem. Wie sich herausstellte, war das Grab von Macmillan leer und der Sarg fort. Eine kleine Bestechung seitens Edward sorgte dafür, dass der Mann nach dem langen Tag sein Kreuz schonen und einen Kaffee trinken ging und wir uns den Ort in Ruhe noch einmal auf unsere Weise anschauen konnten. Edward war der erste von uns, der es bemerkte, aber nachdem er uns darauf aufmerksam gemacht hatte, konnten wir es alle spüren: eine Art magische Reststrahlung, die sich aber irgendwie anfühlte wie Kopfschmerzen. Und zwar Outsider-Kopfschmerzen. ¡Ay, cólera!

Die Outsider-Kopfschmerzen brachten uns auf den Gedanken, ob die Beerdigung dieses Schotten vielleicht eine Falle gewesen war, in die man die Morrigan gelockt hatte? Dass irgendwer sie in seine Gewalt gebracht und im Nevernever festgesetzt hatte?

Wir passten auf, dass wir nicht beobachtet wurden, dann brachte Alex uns hinüber. Auf der anderen Seite war der Ort ein endloses Feld von Gräbern mit einer Atmosphäre der Trauer, der Hoffnungslosigkeit und der Isolation. Tatsächlich war alles in schwarz-weiß gehalten, auch wir selbst. Ein tiefer Graben oder Schlund tat sich vor uns auf. Wir fanden Spuren davon, dass jemand hier ein Ritual gewirkt hatte, und zwar kein nettes. Überall saßen Raben, und es lagen Rabenfedern auf der Erde – und zwar eher wie die der Morrigan, nicht wie die von Stefania Steinbach (die in ihrer Dämonengestalt ja ohnehin eher einer Krähe ähnelt.)

Totilas wollte schon losstapfen, aber ich hielt ihn zurück. „Wir sollten uns irgendwie absichern. Nicht, dass wir auch in eine Falle tappen und nicht zurückkommen.“
„Das können wir nicht“, erwiderte Totilas. „Oder zumindest wüsste ich nicht, wie.“
Edward sah sich mit seinen magischen Sinnen um und stellte fest, dass sich hier offenbar der Eingang in eine Unterwelt befindet (vermutlich in Morrigans eigene), der aber so versiegelt worden ist, dass nichts hinein- oder herauskommen konnte: Entweder ist die Morrigan dort eingesperrt, oder jemand will verhindern, dass sie sich dorthin zurückziehen kann.
Das Siegel sollten wir aufbrechen. Nur wie?
Währenddessen war Totilas immer noch ungeduldig. Er hatte in der Ferne eine Gestalt gesehen und wollte wieder losgehen, aber diesmal war es Alex, der ihn zurückhielt. und Alex war es auch, der die Gestalt als Geist erkannte. Totilas hatte erst so ausgesehen, als wolle er trotzdem weiter, aber dann hielt er plötzlich inne und sagte: „Ähm, besser weg hier.“ (Wie sich draußen herausstellte, hatte Totilas' Dämon den Geist als jemanden identifiziert, den Totilas' in White Court-Manier getötet hatte, was natürlich erklärt, warum er ihm jetzt lieber nicht begegnen wollte.)

Zurück aus dem Nevernever waren wir uns einig, dass wir dieses magische Siegel aber dennoch brechen sollten, ob da jetzt Totilas' Opfer in der Nähe war oder nicht. Dazu wird es aber mit einiger Sicherheit wieder ein Ritual benötigen. Irgendwas mit Rabenfedern und blutbefleckten Gewändern und dem Begräbnis eines Schotten vielleicht. Aber das waren nur erste Gedanken, denn dazu sollten wir am besten auch die anderen Guardians involvieren und das nicht alleine auf die Beine stellen. Also gibt es heute abend ein Treffen in der Casa Guardián . Da können wir dann Genaueres besprechen.

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Zurück vom Treffen.
Wie erwartet, muss das ein einigermaßen mächtiges Ritual werden – nicht so extrem wie Miami aufzuwecken, aber auch nichts, was Edward mal einfach so aus dem Ärmel schüttelt.
Also wollen wir die Komponentensammlung mal wieder aufteilen.
Es fängt auf jeden Fall damit an, dass ich über die örtliche Veteranenvereinigung versuchen werde, ob ich nicht das Begräbnis eines schottischstämmigen Veteranen finanzieren kann – als Wohltätigkeit deklariert, müsste das doch eigentlich gehen. Wenn das irgendwie klappt, fein. Wenn nicht, müssen wir umdisponieren. Wir haben also noch ein bisschen gebrainstormt, aber nicht zu detailliert, falls das mit dem Begräbnis doch nicht klappen sollte.

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12. März

Es klappt aber doch, und zwar sogar ziemlich kurzfristig. Da ist vor einigen Tagen ein gewisser Ian McGowan verstorben – in Schottland geboren, aber als Kind mit seinen Eltern eingewandert und eingebürgert. Einfacher Soldat im Vietnamkrieg, nie größer Karriere gemacht, verarmt, keine Familie. Ich habe eine Ausrede gesponnen, dass ich für meinen nächsten Roman recherchieren will und mich in diesem Zusammenhang erkenntlich zeigen möchte, und das hat man mir anstandslos abgekauft und wird mir ermöglichen, die Beerdigung dieses Ian McGowan nicht nur zu finanzieren, sondern auch deren Ablauf zu beeinflussen. (Das mit der Recherche war sogar nicht mal gelogen – jetzt, wo Firebrand* fertig ist und der Veröffentlichungstermin steht, habe ich angefangen, mir über den nächsten Band genauere Gedanken zu machen. Erste Ideen habe ich schon: Es soll um Totenkulte und Wiedergänger und so Sachen gehen; mal sehen, wie der Titel wird.)
Aber jedenfalls können wir jetzt nochmal genauer planen, wer was zum Ritual beitragen kann.

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16. März

Heute ist Ians Begräbnis. Bevor ich losfahre, noch ein paar Worte dazu, wer jetzt genau was macht.
Ilyana und Febe sind ja nach dem Kampf am Kai (Alliteration for the win) noch nicht wieder weit genug auf dem Damm, um bei dem Ritual aktiv mitwirken zu können, aber sie waren fit genug, um an den Besprechungen teilzunehmen und ihre Ideen einzubringen.

Jedenfalls: Alex hat in den letzten paar Tagen einen zu Ians Leben passenden Grabstein gestaltet, inklusive eines Hinweises auf die Morrigan. Edward hat indessen Begräbnisrituale nach dem Kult der Morrigan recherchiert und wird dafür sorgen, dass sie bei der Beerdigung auch entsprechend angewandt werden.
Roberto hat herausgefunden, dass es einen Tequila namens „José Cuervo“ gibt, und Cuervo heißt ja Rabe, also wird er davon einige Flaschen besorgen und die für einen Umtrunk zu Ehren des Verstorbenen mitbringen. Makaber? Vielleicht, aber gibt es nicht gerade in der gälischen Kultur die Tradition der Totenwache bzw. des Leichenschmauses? Also warum nicht ein Umtrunk? Und ja, statt eines Tequila hätte es auch einen schottischen Whisky namens „Old Raven“ gegeben, aber immerhin sind wir im spanischsprachigen Miami, also passt das mit dem Tequila gar nicht so schlecht. Ein Umtrunk braucht natürlich auch Gäste, deswegen hat Roberto seine Kontakte spielen lassen und einige seiner Bekannten eingeladen, während ich dafür gesorgt habe, dass Ians Veteranenfreunde nicht nur von der Beerdigung erfuhren, sondern explizit eingeladen wurden. Familie hatte Ian ja keine, aber ein paar Freunde aus seiner Vergangenheit können sicherlich nicht schaden – dass es bei einer der Morrigan gewidmeten Trauerfeier auch noch Soldaten sind, kann sicherlich nichts schaden.
Angel hat ebenfalls recherchiert und einen Nachruf auf Ians Leben geschrieben, während Ximena von ihrer irischen Großtante ein Trauergedicht auf Gälisch besorgt hat. Cicerón wiederum sagte, er habe einen schottischen Armeerevolver auftreiben können. Das ist zwar etwas moderner als das Schwert, das man aus den Mythen so von der Morrigan kennt, aber immerhin ist es auch eine passende Waffe zur Erinnerung an eine keltische Kriegsgottheit. (Cicerón ist übrigens auch noch immer ziemlich angeschlagen, und eigentlich hätte ich gedacht, er sollte sich beim Ritual vielleicht noch schonen, aber nachdem Febe beim Brainstorming ziemlich spitz fallen ließ, dass irgendwer von den Santo Shango ja doch wohl irgendwann wieder fit sein würde, knurrte Cicerón und war natürlich fit genug, um mitzumachen, auch wenn er sich mit Totengottheiten nicht größer auskennt. Das macht aber nichts, einen Experten für Totengottheiten haben wir ja in Bjarki.
Der wird übrigens kurz vor Beginn der Zeremonie in Rabengestalt losfliegen und einige Raben als 'Gäste' zusammentrommeln, und Dee hat zum einen die Barriere, die wir aufheben wollen, in den letzten Tagen eingehend studiert, wird zum anderen selbst mit gewissen Schutzzaubern dafür sorgen, dass hoffentlich alles störungsfrei abläuft und vor allem, da sie unsere Ward-Spezialistin ist, die Leitung des Rituals übernehmen.

In knapp einer Stunde muss ich los – drückt die Daumen, dass alles kappt, Römer und Patrioten!


*ich weiß, der Name passt nicht in das Zweiwortmuster der bisherigen Titel, aber das stört mich nicht – im Gegenteil zum Verlag. Der wollte mir Fire Brand als Titel aufschwatzen, um im Muster zu bleiben, aber das hat mich gestört, da habe ich mich geweigert. Das ist nicht nur albern, sondern das wäre einfach nur falsch gewesen!)

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Mierda, mierda, mierda. Das war... mierda. So ziemlich alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte. Das muss ich erst noch etwas verarbeiten. Nachher mehr.

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So. Jetzt. Hoffe ich jedenfalls.

Anfangs lief eigentlich alles soweit so gut. Eigentlich. Anfangs. Während der Beerdigungszeremonie führten unsere Magie-Spezialisten unter der Leitung von Dee parallel das Ritual durch. Das fiel auch gar nicht groß auf – nur dann fing plötzlich der Tequila, den Roberto an die Gäste der Trauerfeier ausgegeben hatte, an zu brennen... und dann zogen auch schon erste dünne Rauchfäden aus dem Grabkranz auf. Vermutlich irgendeine Interferenz zwischen der Magie des Rituals und dem leicht entzündlichen Material – ich hoffe jedenfalls, dass es das war, und nicht irgendwas an mir und meiner immer mal wieder auftretenden 'Affinität' zu Feuer, haha.
Jedenfalls eilte ich zu einem der nahegelegenen Brunnen, schnappte mir eine der Gießkannen und versuchte, dass Feuer zu löschen, aber irgendwie half das nichts. Nicht nur richtete ich nichts aus, sondern der dünne Rauchfaden aus dem Grabkranz wurde zu offenem Feuer, und gleich darauf stand auch das Gras in Flammen.
Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als die Magie in mir anzuzapfen und einen Regenguss herbeizuzaubern: einen plötzlichen Platzregen, wie er im Sommer immer mal wieder auftritt, wenn der Himmel eigentlich noch blau ist und die Wolken eigentlich größtenteils hell, und ein Regenbogen zu sehen ist. Das wirkte, auch wenn das Feuer und der plötzliche Regen natürlich nicht unbemerkt geblieben waren.

Aber andererseits waren die Anwesenden … beschäftigt*. Einerseits achteten sie natürlich auf die  Beerdigung selbst, aber zum anderen kam es zu gewissen Spannungen zwischen Ian McGowans Mit-Veteranen, die ihrem Waffenbruder die letzte Ehre erweisen wollten, und der Gruppe Latinos, die Roberto eingeladen hatte. Die waren nämlich vor allem wegen des Tequilas da, und als einer der Veteranen einen von ihnen sagen hörte „Wer ist nochmal dieser Ian? Ach der Tote?“, da wäre es beinahe zu einer Prügelei gekommen, die Roberto aber zum Glück mit einigen wohlgesetzten Worten an beide Gruppen („Wir sind doch alle hier, um Ian zu betrauern, und wir sind doch alles echte Patrioten hier“) verhindern konnte.

Zu einer Prügelei kam es dann aber doch, wenn auch ein Stückchen abseits, weil Edward von einem der Veteranen erkannt wurde, den er wohl in der Vergangenheit mal verhaftet hatte, weil er eine Waffe bei sich getragen hatte. Der Typ hatte auch diesmal eine Waffe dabei und fing an herumzupöbeln, ob Edward ihn etwa wieder verhaften wolle. Edward erkannte in dem Mann eine Art verwandte Seele, oder zumindest war ihm bewusst, dass die Streitlust dessen Art und Weise war, seinem Schmerz über den Verlust seines Kameraden Ian Ausdruck zu verleihen. Edward wollte ihm die Möglichkeit geben, sich abzureagieren, aber ohne dass die ganze Beerdigung eskalierte, weswegen er ihn mit einem „Ich habe damals meinen Dienst verrichtet – du weißt, wie das ist, du warst Soldat. Jetzt bin ich hier privat, aber wir können das gerne da drüben klären, damit wir hier nicht stören“ ein Stück weg lotste. Dort prügelten die beiden sich tatsächlich, bis Edward den Mann immobilisierte und entwaffnete und der sich mit einem „Lass mich los, ist ja gut, Blödmann“ geschlagen gab.

Totilas indessen wurde als Raith erkannt, und plötzlich wollten ziemlich viele Leute was von ihm, egal wie oft er sagte: „Sie müssen mich da mit wem verwechseln“. Und Alex zu guter Letzt spürte eine Stelle, an der die Grenze dünner wurde und eine Präsenz dahinter, die dort hindurchkommen wollte. Er stellte sich zwischen Dee und diese dünne Stelle, um seine Schwester beschützen zu können, aber bei der Präsenz handelte es sich nur um den Geist von Ian McGowan selbst, der von der anderen Seite neugierig-sehnsüchtig zuschaute. Und Alex wäre nicht Alex, wenn er da nicht reagiert hätte: „Komm her, feiere deine letzte Feier mit“, sagte er und ließ Ian in sich ein. Er kannte zwar kaum jemanden von den Anwesenden, aber seine Enkelin war gekommen, und das freute den alten Mann. Er hatte zu Lebzeiten nicht sehr viel Kontakt zu seiner Familie gehabt: Jetzt konnte er wenigstens mit seiner Enkelin einen versöhnlichen Abschluss finden, und anschließend half Alex dann, ihn weiterzuschicken.

All diese Dinge schufen eine gute Ablenkung für Dee, um in Ruhe das Ritual zu beenden. Und sie ließ sich auch ausreichend Zeit, weil es ja keinen Grund gab, die Sache zu überhasten und ein Risiko einzugehen. Wieder war Alex derjenige von uns fünf, der spürte, wie etwas zu knirschen begann und dann schließlich etwas brach. Damit war das Ritual beendet, und Dee setzte sich erst einmal hin – sie war zum Glück nicht verletzt oder dergleichen, aber etwas ausgepumpt eben doch.

Im selben Moment, wie die Barriere gebrochen war, flogen die Raben auf den Bäumen mit einem Kreischen auf, und zwei oder drei von ihnen flogen auch genau in den Durchgang hinein. Von den Trauergästen merkte glücklicherweise kaum jemand etwas – die Latinos und die Veteranen hatten allesamt dem Tequila kräftig zugesprochen, und Ians Enkelin war gerade noch mit ihrem Großvater-in-Alex'-Körper im Gespräch.

Nachdem sich die Trauergesellschaft zerstreut hatte und wir alleine vor Ort waren, brachte Alex uns wieder ins Nevernever. Wie zuvor landeten wir in einer weiten, hügeligen, mit Ginster bewachsenen und von Nebel durchzogenen Landschaft mit knorrigen Bäumen, auf deren kahlen Ästen Raben saßen – eben wieder in dieser Art Totenweltversion der schottischen Highlands.
Edward spürte, dass Vollmond war und dass seine Wutbestie sich in ihm regte – aber etwas an diesem Vollmond hier gefiel ihm nicht, widerstrebte ihm. Für uns Außenstehende, die wir das in dem Moment ja noch nicht wussten, stellte sich das so das, dass er sichtlich nervös wurde und seinen magischen Handschuh anzog. Totilas hingegen merkte, dass die Raben in den Bäumen ihn anstarrten, ganz gezielt, und sie hassten ihn.
Aber auch Roberto und ich spürten etwas, nämlich dass unsere Verbindung zu Oshun bzw. Sommer mit einem Mal abrupt verschwunden war. Was mich betraf, so merkte ich das unter anderem daran, dass Jade – die ich ja die ganze Zeit als Füllfederhalter bei mir getragen hatte – jetzt als magieloses graues Katana zu Boden fiel, mich aber glücklicherweise dabei nicht verletzte.

Bei Alex waren die Dinge nicht groß anders, als wir sie normalerweise von ihm auch kennen, wenn wir ihn im Nevernever zu Gesicht bekommen – dort äußert sich die Tatsache, dass er von Eleggua gezeichnet ist, ja üblicherweise darin, dass um ihn herum eine gewisse Aura spürbar ist, etwas wie ein dünner Schleier, gewissermaßen die Essenz von Eleggua, die sich über Alex legt. Nicht, dass sich Alex' Gesicht direkt verändern würde, aber seine Hautfarbe ist im Nevernever dunkler als sonst, und seine Kleidung scheint Elegguas typische rot-schwarze Färbung anzunehmen. Das war hier jetzt auch so – offenbar trägt der Mantel Elegguas – anders als mein Sommermantel oder der von Robertos Oshun – genug Merkmale, die auch genau hierher passten und deswegen nicht verwschwanden. Oder so ähnlich jedenfalls haben wir es uns hinterher zusammengereimt.

Die Raben auf den Bäumen sammelten sich, flogen zu Boden und verwandelten sich dort in menschliche Gestalten. Alex identifizierte sie als Tote, während Totilas erkannte, dass die meisten von ihnen so aussahen, als seien sie durch den Kuss eines White Court gestorben. Sie starrten Alex und Totilas wütend an, während einige, die eher so aussahen, als seien sie zerrissen worden, dasselbe mit Edward taten. Die Toten trugen Waffen, griffen aber nicht direkt an.

Aus der Menge löste sich Eoife. Auch sie sah alles andere als glücklich aus, während sie Alex direkt ansprach: „Willkommen, Abgesandter von Eleggua. Was führt dich hierher, und warum bringst du diesen“ - sie zeigte auf Totilas - „mit dir?“
„Weil wir als Gruppe unterwegs sind“, erwiderte Alex: „Wir sind auf der Suche nach der Morrigan.“
„Die Morrigan ist nicht hier, aber das habe ich euch schon einmal gesagt.“
„Wir wussten nicht, ob sie hier drinnen eingesperrt wurde oder ob ihr jemand den Weg hier hinein versperrt hat“, warf ich ein, nachdem Alex nicht so aussah, als ob er auf Eoifes Aussage etwas antworten wollte, „deswegen haben wir den Weg wieder geöffnet. Wenn sie nicht hier ist, dann ist ihr wohl der Weg versperrt worden.“
„Verhandeln wir jetzt mit denen?“, fragte einer der Toten und machte schon Anstalten, seine Waffe zu ziehen, aber Eoife hielt ihn zurück: „Sie sind Gäste hier.“ „Hast du sie etwa eingeladen?“ „Ja.“
Bei dieser Antwort ließ der Mann seine Waffe tatsächlich wieder los, aber so richtig glücklich sah Eoife nicht aus... es stimmte ja auch nicht so richtig hundertprozentig, dass wir auf ihre Einladung hier waren.
„Wenn ihr den Weg geöffnet habt, warum ist die Morrigan dann nicht hier?“, fragte Eoife mit einem misstrauischen Blick auf Totilas.
„Das weiß ich nicht“, erwiderte ich, „ich weiß nur, dass der Weg wieder offen ist.“
„Dann kommt mit“, sagte Eoife, „Wenn der Weg offen ist, dann können wir sie vielleicht zum Thron rufen.“


* auch wenn ich das alles, was ich jetzt wiedergebe, im vollen Detail erst hinterher mitbekam, als die anderen es erzählten. Aber jetzt nur anzudeuten und auf der nächsten oder übernächsten Seite chronologisch korrekt nochmal aufzugreifen, wäre auch albern, also jetzt schon hier in ausführlich.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 18.01.2022 | 22:59
Auf dem Weg zu diesem 'Thron', von dem Eoife gesprochen hatte, sagte sie leise: „Du, Alex, schuldest mir einen Gefallen. Ihr alle schuldet mir einen Gefallen.“
Wie es wohl auch ihre Absicht gewesen war, hatten ihre Begleiter die Bemerkung nicht gehört, und auch Alex' zustimmendes Nicken beachtete niemand. Den Rest des Weges gingen wir schweigend.

Etwas später näherten wir uns einem Stonehenge-artigen Steinkreis – das musste wohl dieser Thron sein. Dunkle Wolken zogen auf, und als wir beinahe am Ziel waren, zuckte ein Blitz über den Himmel. Für einen kurzen Moment riss die Grenze zwischen dem Nevernever und unserer eigenen Welt auf, und wir erlangten einen ebenso kurzen, aber in diesem Augenblick wie eingefroren wirkenden Blick auf das Coral Castle.
Wir sahen eine dunkelhaarige Frau mit einem Halsband wie denen von Adlene, nur viel aufwendiger gestaltet als die, die Alex uns sonst immer beschrieben hatte, dahinter war Stefania Steinbach mit Jak in einen heftigen Kampf verwickelt und schien zu verlieren. Vor der Dunkelhaarigen stand Adlene, der ihr gerade eine Klinge in die Brust rammte. In dieser Sekunde stieß die Frau – Morrigan – den lauten Schrei eines Raben aus, und etwas wie eine Druckwelle strahlte von ihr ab, die unser aller Herzen für einige Schläge aussetzen ließ.

Durch den Riss fielen zwei Dinge und prallten in der Mitte des Steinkreises auf den Boden: ein Schwert und eine Person – Stefania Steinbach, die Krähendämonin. Später reimten wir uns zusammen, dass Morrigan vielleicht von dort fliehen wollte und deswegen die Grenze mit Gewalt zerriss, dass es ihr aber nicht mehr gelang, sich selbst in Sicherheit zu bringen, sondern ihre Kraft oder die Zeit nur für das Schwert und Steinbach ausreichte. Aber in dem Moment waren das wenn, nur unkoordinierte Gedankenfetzen.

Die Raben um uns her krächzten auf, und die Bäume und der Ginster um uns her wirkten noch toter und verdorrter als zuvor, und vor allem Alex konnte spüren, dass mit dem Tod der Morrigan hier im Nevernever etwas richtig gravierend aus den Fugen geraten war.

Nach einer Schrecksekunde, in der wir alle zu Salzsäulen erstarrt waren, rannte Edward los, gefolgt von Totilas. Und der White Court war schneller, überholte Edward und war als erster im Steinkreis. Er sprang zu Steinbach hin, die reglos dalag, beugte sich in einer schnellen Bewegung zu ihr hinunter und brach ihr das Genick. Steinbachs Krähengestalt verschwamm, dann lag die Kirchenfunktionärin in ihrer menschlichen Gestalt da, und eine silberne Münze kullerte aus ihrer Tasche über den Boden.

Edward kam jetzt ebenfalls heran. Fast mehr wie zu sich selbst (oder zumindest klang seine Stimme dabei überraschend versonnen) sagte er: „Irgendwie hätte ich gedacht, es wäre gut, mit ihr zu reden.“
Dann griff er das Schwert, das dort lag, ein Eineinhalbhänder, und spürte, dass in dem Schwert irgendeine Kraft war und dass es sich richtig gut anfühlte, es in der Hand zu halten. Seine Wutbestie allerdings war nicht  begeistert davon, sagte ihm sein Bauchgefühl – das Biest wollte lieber alle Gegner im direkten Nahkampf zerreißen, da wäre ein Schwert nur im Weg.

Aber das alles erzählte Edward erst später. Jetzt zog Eoife ihr bedrohlich ihr Schwert, während sie Totilas anschrie: „Du hast gesagt, du wärst anders! Mörder!!“
Totilas schüttelte den Kopf. „Wenn sie aufgestanden wäre, hätte sie uns getötet!“
„Sie war verletzt! Sie war eine Verbündete!!“
Hier meldete sich Alex zu Wort, der währenddessen gedankenschnell eine Rolle Panzerband herausgeholt und in zwei improvisierten Halbkugeln die Münze eingeschlossen hatte: „Verbündete würde ich es nun nicht gerade nennen, aber sie hat immerhin gegen Jak gekämpft.“
„Vielleicht nicht von euch“, spuckte Eoife.
„Ach, von euch?“, hielt Alex dagegen und bekam zur Antwort: „Sie war eine Freundin der Morrigan.“

In dem Moment tauchten an den sieben Menhiren des Steinkreises sieben gedrungene Gestalten auf. Sie hatten ungefähr menschliche Formen, aber ihre Gesichter wirkten klumpig, unfertig. Dennoch machten sie einen sehr mächtigen Eindruck, und sie alle trugen solche aufwendigen Adlene-Halsbänder. Auch waren sie alle ganz eindeutig unterschiedlicher Natur: einer davon hatte Hörner, einer sah aus, als sei er aus Torf, ein weiterer wirkte irgendwie wässrig und der vierte metallisch und unverhältnismäßig schwer; während dem fünften Blumen aus dem Kopf und den Armen wuchsen, der sechste gurgelte wie ein Ertrinkender und der siebte in seine eigenen Nebelschwaden gehüllt war.

„Das muss jetzt warten!“, rief ich Eoife zu, die weiterhin ihr Schwert angriffsbereit erhoben hielt, „Das sind gemeinsame Gegner! Die gehören hier nicht her!“
Tatsächlich wandte Eoife sich von Totilas ab und den Gestalten zu. „Was wollt ihr hier? Dies ist nicht euer Ort!“
Die Gestalten antworteten wie aus einem Mund und mit seltsam gleichförmiger Stimme: „Das hier gehört jetzt uns, und ihr gehört jetzt auch uns.“, dann stapften sie los.

Irgendwie hatte das für mich so geklungen, als seien sie nicht Herr ihrer selbst, und außerdem wissen wir ja, wie Adlene operiert. „Versucht, ihre Halsbänder zu entfernen!“, rief ich also vor allem Eoife und ihren Leuten zu, „Die versklaven sie!“

Während Alex den konzentrierten Blick aufsetzte, den er immer dann bekommt, wenn er das Nevernever oder die Geisterwelt oder die Grenze manipuliert, nahmen wir anderen uns jeder einen Gegner vor. Totilas ging auf den Gehörnten los, Edward auf den Schweren, Roberto auf den Ertrunkenen, Eoife auf den Wässrigen, und ich selbst stellte mich dem Torfigen in den Weg, während die Raben den Nebligen umflatterten.
Was jetzt geschah, das sah teilweise nur aus dem Augenwinkel oder gar nicht – alles, was ich nicht selbst mitbekam, das haben mir die Jungs hinterher erzählt.

Anfangs – und das registrierte ich noch selbst – sah es nicht so aus, als würden die Jungs auf meinen Rat mit den Halsbändern hören. Totilas' Schlag tat dem Ochsenartigen so gut wie gar nichts, und Edward, der dem 'Amboss' mit seinem magischen Handschuh so ziemlich den schwersten Treffer versetzte, den er überhaupt setzen konnte, brachte er dem Metallkörper seines Gegners gerade mal eine Delle bei, die diesen nicht im Geringsten störte. Dessen Gegenschlag wiederum riss Edward von den Füßen und verursachte ihm mindestens eine gebrochene Rippe.

Um so dringender war es, die Halsbänder zu entfernen. Ich versuchte das bei meinem Gegner, aber das war schwierig. Die Dinger bestanden aus Metall und bewegten sich erstmal keinen Millimeter. Und weil ich mich völlig auf das Halsband konzentrierte, hatte mein Gegner keinerlei Problem damit, mich derart schmerzhaft mit seinen torfigen Auswüchsen zu schlagen, dass ich für einen Moment Sterne sah und danach alles in meinem Kopf dröhnte.
Aber wenigstens gelang es Alex jetzt, ein kleines Tor zurück nach Miami zu öffnen. Ich hatte ja nicht gewusst, was genau er da machte, aber ich spürte es, als meine Verbindung zu Sommer mit einem Mal zurückkehrte.

Ich habe es bisher, glaube ich, noch nicht erwähnt, aber Roberto hat diese Eisenstange, die ihm beim Kampf am Hafen gegen die Tentakelhunde so gute Dienste geleistet hatte, hinterher behalten, und auch diesmal hatte er sie bei sich. Jetzt rannte er an seiner ertrunkenen Moorleiche vorbei und manövrierte das Eisen irgendwie unter das Halsband. Aber zu mehr kam er nicht, weil sein Gegner sich umdrehte, ihm die Stange aus der Hand riss und sich bedrohlich vor ihm aufbaute.

Während der Wässrige ja mit Eoife beschäftigt war und der Neblige sich den Schnabelhieben der Raben erwehrte, gelang es Totilas, einem Anstürmen seines gehörnten Gegners auszuweichen und den Ochsen durch ein geschicktes Spottmanöver zu einem Felsen und schnell genug dahinterzuspringen, so dass die Kreatur sich daran selbst einen Brummschädel holte, statt unseren White Court-Kumpel auf die Hörner zu nehmen. Gleichzeitig griff die Gestalt, die aussah wie ein Ginsterbusch, Alex an, konnte dem aber zum Glück nur ein paar Kratzer beibringen.

Ich selbst hatte ja jetzt die Verbindung zu Sommer wieder, und kurz überlegte ich, ob ich das verdammte Halsband nicht einfach wegzaubern könnte – aber diese Idee verfolgte ich höchstens einen Herzschlag lang, bevor mir aufging, dass alles, was ich an Magie in einen solchen Zauber stecken könnte, auch wenn ich mich völlig verausgabte, ziemlich sicher nicht ausreichen würde, um einen versklavten Geist zu befreien, also verwarf ich den Gedanken sehr schnell wieder. Lieber doch mit guter alter physikalischer Hebelwirkung... aber damit das auch nur den Hauch einer Chance hatte, würde ich mehr brauchen als meine eigene Stärke. Also konzentrierte ich mich und rief die Kraft des Sommers in mich hinein, auch wenn mir klar war, dass ich diese Kraft ein paar Sekunden lang würde sammeln müssen.

Jetzt schlug Edward ein weiteres Mal mit seinem magischen Handschuh nach dem 'Amboss' und traf ihn auch empfindlich. Aber im Gegenzug schleuderte die Gestalt ihn wieder heftig zurück und traf ihn so heftig an der Hand, dass Edward sie kaum mehr bewegen konnte.
Überhaupt sah es schlecht für uns aus: Der Ochse, dem Totilas eben noch einen Brummschädel beigebracht hatte, schleuderte unseren White Court-Kumpel gegen eine ähnliche Säule wie die, an der er selbst sich den Kopf angeschlagen hatte, aber White Court oder nicht, Totilas war nicht so zäh wie die riesige Gestalt. Das hässliche Knacken von Knochen war zu hören, als Totilas' Becken brach.
Ich selbst hatte da noch Glück: Die torfartige Gestalt schlug nach mir, aber ich konnte mich unter dem Hieb wegducken.

Roberto versuchte jetzt noch einmal, seinem Gegner den Halsreif abzureißen, und irgendwie gelang es ihm – oder genauer gesagt: Es gelang ihm, das Metall genug zu weiten, dass der wässrige Riese offenbar dessen Einfluss abschütteln konnte und nun selbst mithalf, sich den Reif über den Kopf zu ziehen.
Er stellte seine Angriffe ein und sah Roberto verwirrt an: „Du bist nicht ertrunken.“
„Und du gehörst nicht hierher!“, schoss Roberto zurück, „Du solltest da rüber gehen“ - er zeigte zu Alex - „er wird dich dahin schicken, wo du sein sollst.“
Der Wässrige aber rührte sich nicht von der Stelle: „Ich lasse mir doch nicht von einem Sterblichen Befehle geben!“

Die Gestalt mit dem ginsterbuschartigen Gepräge, die zuvor auf Alex losgegangen war, griff jetzt Edward an, aber der konnte zum Glück ausweichen.
Totilas indessen tat so, als renne er weg, um damit seinen Gegner auf Edwards 'Amboss' zu hetzen. Dummerweise aber hatte das nicht den gewünschten Erfolg, weil der 'Ochse' sich nicht ablenken ließ, sondern weiter auf Totilas fixiert blieb.

Edward hatte ja noch immer das Schwert der Morrigan in der Hand, die nicht seinen magischen Handschuh trug und die nicht von dem Schlag des eisernen Riesen gelähmt war. Jetzt rammte er die Waffe in die Erde öffnete sich der Kraft des Landes und ließ sie durch sich fließen. In dem Moment konnte er spüren, dass die Morrigan tatsächlich nicht mehr war und dass die sieben Gestalten begonnen hatten, dieses Land für sich zu beanspruchen und an sich zu binden. Und jetzt, wo Edward eine Verbindung zu dem Land hatte, konnte er auch spüren, dass das Schwert wollte, dass er es benutzte. Gleichzeitig erkannte er, dass er sich durch die Verwendung der Waffe zum Hauptziel für die Gegner gemacht hatte.

„Ich werde euch allen die Halsbänder entfernen!“, rief Roberto laut in Richtung der Riesen. „Bei dem Ertrunkenen hat es schon geklappt!“ Alle konnte er damit nicht verwirren, aber immerhin der Ginsterartige reagierte auf den Spruch – dummerweise allerdings damit, dass er sich nun auf Roberto konzentrierte und diesen ziemlich übel verletzte. „So redet man nicht mit Göttern!“, setzte die wässrige Gestalt noch hinterher, aber der griff glücklicherweise tatsächlich niemanden mehr an.

Unter großer Anstrengung gelang es mir nun, mit Jade das Halsband meines torfigen Gegners soweit zu lockern, dass auch er begann, aktiv mitzuhelfen, sich das Band abriss und dann ebenfalls erst einmal stillstand.
Das half den anderen nur nicht – der Ochse schlug wieder nach Totilas, und der Amboss hämmerte Edward mit voller Kraft auf den Boden. Der war eben noch schlammig-weich gewesen, aber mit einem Mal war er hart wie Stein, und das tat Edward alles andere als gut.
Alex hatte indessen versucht, die Raben auf unsere Seite zu ziehen – irgendwas von wegen 'gemeinsamer Feind' –, aber auch er hatte keinen Erfolg damit: „Wir werden dieses Land genauso wenig einem Biest [damit meinten sie wohl Edward] überlassen.“

Langer Rede kurzer Sinn: Es sah gar nicht gut aus für uns. Zwei unserer Gegner hatten wir zwar von ihren Halsbändern befreien können, aber es waren immer noch fünf, die wir kaum hatten ankratzen können, während sie uns schwer zu schaffen gemacht hatten … zu schwer. Das würden wir nicht mehr lange durchhalten.

Totilas hatte schon ganz blass silbrige Augen bekommen, wie immer, wenn er stark auf seine übernatürlichen Fähigkeiten zugreift. Jetzt machte er Anstalten, sich zu dem Tor zurückzuziehen, das Alex vorhin geöffnet und inzwischen groß genug gezogen hatte, dass wir hindurchpassen würden.

Einen allerletzten Versuch startete ich aber. „Wir wollen euch helfen!“, rief ich der Torfgestalt zu, der ohne sein Kontrollhalsband, kurzzeitig verwirrt schien. „Wie können wir euch helfen?“
„Du kannst mir huldigen, Sterblicher!“, donnerte die Gestalt. Aber irgendwelche keltischen Naturgottheiten werde ich ganz sicher nicht anbeten, also trat ich lieber auch den Rückzug dorthin an, wo Alex das Tor offenhielt.

Bevor wir verschwanden, wollte Edward eigentlich das Schwert der Morrigan an Eoife abgeben. Aber auch die war gerade dabei, sich aus dem Kampf zurückzuziehen und befand sich außerhalb seiner Reichweite, also nahm er das Schwert mit sich, als er, gefolgt von Roberto, zum Portal rannte.

Weil ich noch versucht hatte, mit dem Torfigen zu reden, war ich der Letzte in der Reihe, und die verbleibenden Gegner hätten mich um ein Haar erwischt, wenn Alex mir nicht zu Hilfe gekommen wäre und mich mit einem waschechten Football-Tackle durch das Tor bugsiert hätte.

Wir landeten in Miami, in einem Club in South Beach, wo gerade eine wilde Party abging. Darauf hatten wir so gar keinen Nerv, also sahen wir zu, dass wir Land gewannnen... auch wenn Totilas für einen Moment so aussah, als wolle er sich hier und jetzt auf die Clubgänger stürzen, um seinen Hunger zu stillen, und ich schon überlegte, ob ich fit genug wäre, ihn aufzuhalten. Aber er konnte sich zügeln, und wir kamen problemlos weg, ohne dass uns jemand aufzuhalten versuchte.

Unser erster Stop war Totilas' Arzt, der ja gut darin ist, keine Fragen zu stellen, und der uns erst einmal versorgte.
Und wir waren tatsächlich ganz schön kaputt, oder zumindest Edward, Roberto und Totilas waren das. Noch auf dem Weg zum Arzt hatte Edward mir einen Heiltrank in die Hand gedrückt, und Alex hatte zur Abwechslung nicht mal einen Kratzer abbekommen. Interessanterweise stellten die Verletzungen der drei anderen sich aber dann doch nicht als ganz so schlimm heraus, wie wie ursprünglich gewirkt hatten – sowohl Robertos durchstoßene Lunge als auch Totilas' Beckenbruch und Edwards gebrochene Rippen machten bei der Untersuchung beim Arzt den Eindruck, als seien sie schon länger am Verheilen und nicht gerade erst frisch zugefügt worden. Der Doc verschrieb den dreien ein Schmerzmittel, aber alles in allem waren wir glimpflich davongekommen...

… dachte ich jedenfalls.

Also doch, alles in allem schon.

Aber coño, als wir dann auseinandergegangen waren und ich zuhause war und mich umziehen wollte, hatte ich plötzlich etwas Klebriges an den Fingern. Alex' Ball aus Panzerband, um genau zu sein, in den er Steinbachs Denarius eingeschlossen hatte, und der bei seiner durchs-Tor-Tackle-Aktion wohl irgendwie an mir hängen geblieben sein musste. Die beiden Duct Tape-Hälften hatten sich beinahe vollständig voneinander gelöst, und um ein Haar wäre ich beim Umziehen an die Münze gekommen.
Santísima madre, das war knapp!

Genau dieser Ausruf - “¡Santísima madre, ayudame!“ - entfuhr mir auch, und die Münze, der ganze Klebebandknäuel, wurde warm. Ich rief Alex an, dann betete ich weiter, bis er da war und das Gebilde aus Duct Tape fluchend und beunruhigt wieder an sich nahm.
(Das war auch die Gelegenheit, bei der Alex erzählte, es habe einiges an Mühe gekostet, die Münze einzufangen und in das Klebeband einzuschließen, weil sie sich nach Kräften gewehrt habe.)

Anschließend trafen wir uns mit den anderen dreien auf der Thetys und beratschlagten, was mit dem Denarius passieren soll.
Die Münze Ángel zu geben, ist keine Option, weil er dann zwei hätte, das wäre vielleicht schon die kritische Masse. Dem Vatikan trauen wir immer noch nicht – immerhin sind von den dreißig existierenden Denarii mindestens die Hälfte im Umlauf, und irgendwie müssen die ja aus der sicheren Verwahrung wieder unter die Leute gekommen sein. Entweder es gibt da Verräter, oder aber die Münzen nützen die Schwäche ihrer Bewacher aus – auch Kirchenleute sind Menschen. Oder die Dinger machen es wie der Eine Ring und suchen sich ihren Weg selbst. So oder so wäre der Vatikan nichts.

Alex machte den Vorschlag, das Ding in mehrere Kisten zu packen und die dann in Beton, und das Ganze dann an einem Ort verwahren, den wir mit einem Ward versehen können, so ähnlich wie wir das mit Ángels Exemplar ja auch gemacht haben.
Aber das sollten wir mit allen Guardians besprechen, nicht nur unter uns – die anderen müssen ohnehin nicht nur erfahren, dass Steinbach tot ist und wir ihren Denarius haben, sondern auch, dass die Morrigan tot ist, dass Adlene sie getötet hat, und dass Adlene Gottheiten versklaven kann. Und dass Jak beteiligt war, das sollten wir auch auf gar keinen Fall vergessen.
Wer waren diese Gestalten überhaupt? Diese Frage stellten wir uns natürlich auch, konnten sie aber nicht beantworten, weil wir die Typen nicht erkannt haben. Aber die Vermutung liegt nah, dass es irgendwelche keltischen Gottheiten gewesen sein könnten, aus demselben Pantheon wie die Morrigan. Und Adlene versklavt ja vor allem Geister – waren das eventuell Ex-Gottheiten, die bereits tot sind? Möglich wär's, auch wenn wir es nicht mit Sicherheit sagen können, aber es ist eigentlich auch nicht so wichtig.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 2.08.2022 | 01:14
Ricardos Tagebuch: Ghost Story 3

Das Schwert der Morrigan hat sich übrigens verändert. In der Totenwelt trug es noch keltische Schriftzeichen und hatte einen Knauf in Form eines Rabenschnabels, sah generell irgendwie keltischer aus. Jetzt ist der Rabenschnabel verschwunden, die Zeichen auf der Klinge sind zu alchimistischen Symbolen geworden, und Edward sagt, die Waffe fühle sich ein klein wenig vertrauter an als zuvor. Nicht dass ihm das gefallen würde... oder wie Edward es ausdrückte: „Nein, verdammt, ich will nicht von dem Ding adoptiert werden!“

Also mussten Optionen her, und die diskutierten wir ausführlich erst einmal unter uns, auch wenn wir zu keinem echten Ergebnis kamen:
Option 1: Edward übernimmt den Job doch, so ungern er das würde.
Option 2: Jemand anderes bekommt das Schwert – nur wer?
Option 3: Edward gibt die Waffe zurück in rechtmäßigen Hände... aber auch hier wieder: wessen Hände wäre das? Oder ob vielleicht jemand kommen wird, um die Waffe abzuholen? Aber unaufgefordert ist das eher unwahrscheinlich.
Option 4: Die Waffe mit einem Ward versehen und vergraben, wie wir uns das für den Denarius überlegen – aber das wäre vermutlich eine schlechte Idee.

Langer Rede kurzer Sinn: Edward wird das Ding erst einmal behalten, bis uns eine zufriedenstellende Lösung einfällt.

Und nein. Das ist im Moment keine zufriedenstellende Lösung. Mierda.

Den anderen Guardians mussten und wollten wir aber auch darüber informieren, was geschehen war. Dabei überließen wir Totilas die letztliche Entscheidung darüber, was er in Sachen Steinbachs Tod genau erzählen wollte. Zum Glück stand er auf demselben Standpunkt wie wir anderen: „Nicht damit brüsten, aber auch nicht anlügen.“

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17. März

Jetzt haben wir uns auch mit den anderen kurzgeschlossen.
Nachdem wir alle auf Stand gebracht hatten, kam die Frage auf, wie Adlene überhaupt in der Lage gewesen war, eine übernatürliche Gottheit wie die Morrigan zu töten. Das Messer, das er dazu benutzte, muss ganz besondere Eigenschaften gehabt haben.

Außerdem überlegten wir, was wir mit Stefania Steinbachs Dämonenmünze tun sollten. Ilyana schlug vor, sie Thutmoses Elder anzuvertrauen, aber das hielten wir alle für keine sonderlich gute Idee, oder besser: maximal für etwas, auf das wir vielleicht zurückkommen können, wenn uns gar nichts besseres einfällt.
Totilas hatte den Gedanken, Spencer Declans Haus zu verwenden, aber das war noch viel weniger eine gute Idee als Thutmoses Elder. Denn es ist immerhin Spencer Declan, von dem wir hier reden: Auch wenn er verschwunden ist, war uns die Vorstellung, etwas in seinem Haus zu deponieren, zutiefst unangenehm – ganz abgesehen davon, dass wir dazu das bis an die Zähne gewardete Haus erst einmal finden müssten... und hineinkommen, wenn wir es gefunden hätten.
Aber das wiederum führte zu zwei Ideen: erstens, dass wir Declans Haus suchen könnten, und wenn wir es finden, die Wards zu entschärfen und unsere eigenen Fallen einzubauen, damit die losgehen, wenn bzw. falls Declan wiederkommt. Und zweitens, dass ein bis an die Zähne gewardetes Haus, das nicht Declans ist, tatsächlich eine gute Lösung sein könnte, um die Münze sicher zu verwahren. Und dass die Orunmila sich mit gewardeten Häusern auskennen, wir also am besten mal mit Macaria Grijalva reden sollten.

Aber der Gedanke daran, was das Messer, mit dem die Morrigan getötet worden war, für eine besondere Waffe gewesen sein könnte, ließ mich nicht los, und das sagte ich auch. Es war Cicerón, der daraufhin vorschlug, ich könnte doch vielleicht eine Illusion davon erschaffen, das sei doch auch sommertauglich. Und tatäschlich: Als ich mich an die Szene erinnerte und die Magie nach oben rief, konnte ich in einer Art sommerlichem Fata Morgana-Flimmern ein Abbild von dem Messer erstellen. Es war ein gewellter Dolch, der altertümlich und irgendwie antik wirkte, aus dem Nahen Osten vielleicht, der Levante oder so. Darauf waren Schriftzeichen zu sehen, die sich bei näherer Recherche als phönizische Buchstaben herausstellten. Noch weitere Recherche förderte einge Legende zutage: Im antiken Tyros besaß ein Zauberer einen Dolch, mit dem er eine Gottheit erstach, dadurch deren Kräfte in sich aufnahm und selbst zu einer Gottheit wurde. Laut der Legende gebe es fünf solcher Waffen, mit denen man die Kräfte eines magischen Wesens übernehmen kann, wenn man das Wesen mit einer solchen tötet.

Mit anderen Worten: Adlene hat jetzt wohl Morrigans Kräfte. Oh Freude. Aber das führte natürlich zu der Frage: Wenn Adlene Morrigans Kräfte hat, will er auch ihr Schwert? Nicht, dass wir bereit sind, es ihm zu überlassen, wohlgemerkt (oder, im es mit Edward zu sagen: „Das kriegt er nicht, da kann er sich auf den Kopf stellen und it den Beinen zappeln.“)

Alex schlug vor, ein Gruppentreffen mit den Totengottheiten einiger anderer Pantheone zu organisieren und die dann auf Adlene zu hetzen. Weil das aber vielleicht nicht ganz so praktikabel wäre, blieb von dem Vorschlag wenigstens noch die Idee übrig, dass Orcus ein Ziel brauche, auf das er wütend sein könne, und dass man wenigstens den in Richtung Adlene schubsen könne. Allerdings nicht ohne die Warnung, dass Adlene diesen Dolch hat, mit dem er Gottheiten töten kann. Und das wiederum ist ein Umstand, vor dem wir tatsächlich alle Gottheiten in der Stadt warnen müssen, nicht nur die Totengötter, damit alle informiert sind und nicht unerwartet aus dem Hinterhalt erdolcht werden.

Bjarki sagte, er könne versuchen, seine Geschwister zu informieren und Haley dazu zu bringen, mit Hermes zu reden, damit der die Warnung an alle Pantheone weitergibt.
Ich selbst muss als nächstes zu Pan und Bericht erstatten, während Roberto und Alex mit Macaria reden wollen und Edward und Totilas ins Coral Castle fahren wollen, um sich mit Camerone zu unterhalten. Und hinterher gehen wir dann gemeinsam zu Orcus.

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Später.

Bei Pan planen sie irgendwas. Also nicht, dass ich mir nicht denken könnte, was... oder besser, für was. Pan hatte mir ja schon angedrohtkündigt, dass er meinen Junggesellenabschied veranstalten wird. Also wunderte ich mich nicht weiter darüber, dass die Einherjer tuschelten und flunkerten und geheimnisvoll taten. Aber wenigstens eine Torte mit Tänzerin drin konnte ich ihnen hoffentlich ausreden.

Bevor ich Pan aber von den Geschehnissen erzählen konnte, kam auch bei ihm das Thema Hochzeit auf. Genauer gesagt wollte er wissen, ob ich schon jemanden für meinen Anzug engagiert hätte. Habe ich nicht – ich habe zwar schon mal ein bisschen recherchiert, aber bis jetzt noch nichts Konkretes in Auftrag gegeben. Das gefiel meinem Herzog gar nicht. Sein Ritter müsse angemessen gekleidet sein, wenn er einen so wichtigen Schritt tue. Natürlich, erwiderte ich: Wenn Pan einen Schneider empfehlen könne, dann würde ich gerne den aufsuchen.
Er nannte mir einen, der bei meiner Recherche auch auf der Liste gestanden hatte. Sündhaft teuer, aber das wäre bei dem Anlass nicht einmal das Problem. Das Problem ist vor allem, dass das Atelier auf ein Jahr im voraus vollkommen ausgebucht ist.
Aber das war eben doch kein Problem. „Sag einfach, dass du von mir kommst.“

Als ich Pan von dem Dolch erzählte, mit dem die Morrigan getötet worden war, sah er nicht so aus, als würde ihm das übermäßig viele Sorgen machen – aber es ist Pan, der macht sich nie groß Sorgen um irgendetwas. Er sagt dann immer, er hat ja einen guten Ritter, ich würde das schon richten. Aber immerhin konnte er mir ein paar Informationen zu dem Ding – nein, zu den Dingern, Plural – geben.
Er bestätigte die Lebenden von dem tyrenischen Zauberer, der in der Antike mit diesem Dolch eine Gottheit tötete und deren Kräfte übernahm. Das ging aber nur eine kurze Zeit lang gut, weil nach einer Weile die Gottheit wiederkam und den Menschen verdrängte. „Da gab es dann nur noch eine kleine schreiende Ecke des Sterblichen im Kopf dieses Körpers“, erzählte Pan trocken. Ganz interessant zu wissen, erwiderte ich, aber ob Pan auch wisse, wie das sei, wenn ein Mensch mehrere Gottheiten ermorde?
Das wisse er nicht, sagte Pan, aber er mache sich da keine Sorgen. „Du bist ja ein guter Ritter, du wirst das schon alles regeln.“
Cielo. Na danke auch.

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Nochmal später.

Als wir uns wieder getroffen hatten, erzählten Totilas und Edward von ihrem Besuch beim Coral Castle und Alex und Roberto von ihrem Gespräch mit Macaria.

Am Coral Castle fanden Totilas und Edward ein Schild vor, dass der Ort gesperrt sei. Sie ignorierten das Schild geflissentlich und betraten das Gelände natürlich trotzdem. Die Aura des Coral Castle war anders, spürten sie, der Boden irgendwie tot und verdorrt, und die Coral Guardians waren nicht anwesend.
Der Geist von Camerone Raith aber schon, und nach dem, was Totilas und Edward erzählten, war Camerone so zickig, berechnend und lügnerisch wie eh und je. Sie trug keines von Adlenes Halsbändern, war also offenbar noch sie selbst. Sie behauptete, sie habe die Coral Guardians in den Urlaub geschickt, das war aber offensichtlicher Blödsinn, auch wenn Camerone wohl extrem überzeugend wirkte, wie sie das ja gerne mal tut.

Mit Adlene hat sie wohl einen Handel abgeschlossen, nach dem sie einander in Ruhe lassen, und wenn er etwas auf dem Gelände des Coral Castle machen wolle, könnten sie darüber reden. Dieses 'Etwas' war natürlich das Ritual mit dem Dolch, bei dem die Morrigan getötet wurde. Und mehr als das: die Essenz der Morrigan ist mit dem Tötungsritual in Adlene übergegangen – in Adlene oder in den Dolch, so ganz klar ist das wohl nicht. Die Rabenfrau habe versucht einzugreifen, als es ans Opfern der Morrigan gegangen sei, aber das habe nicht so gut geklappt.

Dass Adlene nicht mehr er selbst ist, das war auch Camerone klar, aber auf die Frage, wie viel von Jak wohl inzwischen in ihm stecke, antwortete sie nur: „zu viel“.
Da sie außerdem unverhohlen mit Edward flirtete und nichts größer aus ihr herauszubekommen war, traten die beiden dann lieber den Rückzug an.

Alex und Roberto wurden indessen von Macaria Grijalva wohlwollend empfangen. In der Bodega sei mehr los gewesen als früher, sagten sie, mehr Santeros anwesend als vor dem Genius Loci-Ritual. Offenbar ist die Bodega inzwischen auch ein Wallfahrtsort geworden, ganz ähnlich wie Alex' Boot.
Als die beiden der alten Priesterin erzählten, dass die Morrigan getötet worden sei, hatte sie nicht nur bislang nichts davon gehört, sondern wusste auch erst einmal gar nicht, wer das gewesen war. Als sie erfuhr, dass es sich um eine Gottheit gehandelt habe, schüttelte sie nur den Kopf und grübelte, ob das so eine gute Idee gewesen sei, Elegguas Plan zu verfolgen, all diese Gottheiten nach Miami zu holen. Aber das sei jetzt nun mal so, also auch nicht zu ändern.

Adlene stelle jedenfalls ein echtes Problem dar, vor allem, weil er mit diesem Ding (sprich Jak) zusammenarbeite. Deswegen schlug Macaria vor, Orunmila anzurufen und ihn um Rat zu fragen.
Vorher aber berichteten Roberto und Alex noch, dass bei Stefania Steinbachs Tod eine Münze aus ihr herausgefallen sei, die sicher gelagert werden müsse, weil sie einen Dämon enthalte.
Macaria stieß einen Fluch auf Spanisch aus, bekreuzigte sich und betete, bevor sie sagte, nun gut, das sei auch eine Frage, die man Orunmila stellen könne. Das werde aber eine Weile dauern, und die beiden sollten morgen wiederkommen. Oder ob sie vielleicht dabei sein wollten?

Ja, das wollen die beiden tatsächlich sehr gerne, aber die Vorbereitungen werden trotzdem eine Weile dauern, weswegen sie erstmal wieder zurückgekommen sind und Bericht erstattet haben.
Wir werden jetzt alle gemeinsam Orcus aufsuchen, und danach dann will Roberto zurück zu Macaria und dem Gespräch mit Orunmila.

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18. März. Morgens.

Nein, wir waren doch nicht alle bei Orcus. Edward wollte aus weiser Voraussicht nicht mit und sich in der Zeit lieber mit dem Schwert der Morrigan beschäftigen, und Alex und Roberto sind doch schon los zu Macaria, weil es sonst vermutlich zu knapp würde. Also waren nur Totilas und ich auf dem Friedhof.

Bei Orcus' Krypta schienen seine Anhänger gerade mit den Vorbereitungen für irgendein Ritual beschäftigt – ein großer Kessel wurde herumgetragen, und irgendwer rief etwas von wegen, das Wasser sei zu hart, und der Kalk müsse entfernt werden. Ein junger Mann wollte uns abwimmeln, aber wir konnten ihn überzeugen, uns zu Lucretia vorzulassen.

Orcus' Priesterin schien recht dankbar, dass wir mit Orcus sprechen wollten, weil das bedeutete, dass sie das Ritual, das da gerade vorbereitet wurde, nicht durchführen musste. Offenbar hatte Orcus angeordnet, jemanden zu rufen, der sich des Problems annehmen sollte, weil er ungeduldig wurde, und das war jemand, den Lucretia lieber nicht rufen wollte. Wenn wir die Sache übernehmen könnten, um so besser.

Aber Orcus war nicht in der Laune, sich von uns überzeugen zu lassen. Wir versuchten, ihn vor Adlene und den Dolchen zu warnen, aber er sagte lediglich: „Von diesem Adlene habe ich gehört“, aber stapfte dann nach draußen und rief Lucretia zu sich, die etwas zu ihrem Meister trat und mit ihm das Ritual begann.

Natürlich wollten wir wissen, um was für ein Ritual es sich da genau handelte, also fragten wir den jungen Mann, der uns anfangs nicht hatte vorlassen wollen. Es gebe Anhänger, die nicht nur einfache Gläubige des Orcus seien, sondern die sich richtiggehend an ihn gebunden hätten, und einen solchen Anhänger wollten Orcus und Lucretia herbeirufen, aber das sei gefährlich.
„Ist ein Name gefallen?“, wollte ich wissen, und ja, das war es, aber die Antwort gefiel uns gar nicht. „Ja, Sarkos. Komischer Name, klingt wie Sarkophag, wenn du mich fragst.“
Mierda. Sarkos, der Schwarzvampir (falls er denn einer ist)? Das kann nichts Gutes bedeuten.

Etwas später waren die beiden fertig mit dem Ritual. Orcus verschwand direkt, während Lucretia erschöpft und mit Nasenbluten zusammensackte. Ihr Kumpel hatte etwas in der Art offenbar schon erwartet, denn er brachte ihr Cola und Schokolade und ein aufmunterndes Lächeln.
Als sie sich ein wenig erholt hatte, erzählte Lucretia, sie seien erfolgreich gewesen; jetzt wolle Orcus Adlene finden, und nein, Sorgen mache er sich keine. Ich wiederhole mich, aber: mierda.

Nun gut, tun konnten wir hier nichts mehr groß, und ziemlich spät war es inzwischen auch, fast Zeit zum Abendessen. Also trennten wir uns, und ich fuhr nach Hause...

… wo Edward vor der Tür stand. Und er hatte das Schwert der Morrigan dabei.

¿Qué demonios?

Natürlich bat ich ihn herein, und natürlich lud ich ihn zum Abendessen ein. Edward begrüßte Lidia und 'Jandra so freundlich wie immer, wollte aber vor dem Essen unbedingt unter vier Augen reden. Und sobald er anfing zu erzählen, wurde mir auch sofort klar, warum.

Als Edward sich gestern eingehend mit dem Schwert befasste, bekam er das Gefühl, dass es sich zwar verändert hat, seit die Morrigan sie führte, dass die Waffe aber nichts mit Edward vorhat – und dass seine Wutbestie auch nicht sonderlich begeistert davon wäre, wenn Edward mit etwas so Indirektem wie einem Schwert kämpfen würde statt mit den bloßen (oder behandschuhten) Fäusten.
Also überlegte er, wem er das Schwert am ehesten anvertrauen könnte – Eoife hat schon eines, und sein Bruder Cassius ist ja selbst ein Lykanthrop mit einer Wutbestie.
„Deswegen hab ich dann ein kleines Ritual gemacht“, sagte Edward dann, „Herausfinden, wer würdig für das Schwert ist, zu wem es gehört und von wem es geführt werden sollte – und dann bin ich losgegangen und habe geschaut, wo das Ritual mich hinführt. Und, naja...“ - hier wurde Edward ganz uncharakteristisch verlegen - „es hat mich hierher geführt.“

Mierda.

Beim Abendessen war 'Jandra ganz fasziniert von dem Schwert, das Edward in eine Ecke gelehnt hatte. Und auf dem Fensterbrett saß ein Rabe, der aufmerksam ins Zimmer schaute.
Santísima Madre, ich fürchte fast, an Edwards Ritual könnte was dran gewesen sein. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte. Aber... cólera.

Als die Mädchen im Bett waren und wir alleine waren, erzählte ich Lidia alles. Im allerersten Moment war sie ein bisschen überfahren, aber sie fasste sich sofort. „Das müssen wir nicht sofort bestimmen“, war ihr Urteil, und natürlich hatte sie recht – wie immer. „Lass uns erst einmal die Hochzeit hinter uns bringen. Und jetzt ist sie ja ohnehin noch zu klein dafür – vielleicht, wenn sie älter ist. Und wenn sie selbst es möchte.“

Apropos Hochzeit – während wir gerade zu Abend aßen, schickte Totilas eine Chatnachricht mit der Frage, ob wir vielleicht Interesse daran hätten, wenn Adalind, die Planerin der Raiths, sich in die Hochzeitsvorbereitungen einschalten würde. Auch von diesem Angebot erzählte ich Lidia natürlich, und unsere einhellige und entschiedene Antwort war: JA!

So, und jetzt muss ich los – ich bin extra ein bisschen früher aufgestanden, um das alles noch aufschreiben zu können. Wir wollen uns zum gemeinsamen Brunch treffen, und ich bin gespannt, was die anderen alles zu erzählen haben.

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Die schlechte Nachricht mal gleich zuerst: Orcus ist verschwunden. Wir haben ja so eine Art instinktives Wissen um Miami und seine Bewohner – Intellectus nennen unsere Magie-Spezialisten das –, und wenn wir uns darauf konzentrieren, dann wissen wir, dass Orcus bei Adlene in der Gegend verschwunden ist. Das ist dummerweise aber auch genau die Gegend, wo der Outsider-Kopfschmerz sitzt, wo es sich nicht gut hindenken lässt. Ah, verdammt.
Wir müssen unbedingt Lucretia bitten, sich zu melden, wenn Orcus wiederkommt. Aber ganz ehrlich: Große Hoffnung, dass das passieren wird, habe ich nicht.

Als nächstes erzählte Edward, wie ihn Morrigans Schwert zu Alejandra geführt habe, und ich gab Lidias und meine Überlegungen zu dem Thema weiter, dass das höchstens etwas für Jandra sein wird, wenn sie alt genug dafür ist. Ob man das Schwert wohl in einen Amboss stecken könnte, solange, bis Jandra es herausziehen kann? Vermutlich nicht, aber einen Schmunzler war der Gedanke uns wert.

Dann: Robertos zweiter Besuch bei Macaria und das Gespräch mit Orunmila. Der Orisha schien sehr gut informiert über die Tatsache, dass wir da das eine oder andere Problem haben und Fragen stellen wollten.
Die Morrigan kannte er nicht persönlich, auch wenn er den Namen schon gehört hatte, und auch von Adlene hatte er schon gehört: „Er hat viele gefesselt und sich selbst dabei verstrickt“, sei die Aussage zu Adlene gewesen, so Roberto. Er sei auch nicht mehr Adlene, was eine Chance für uns sein könne – eben weil er nicht mehr Adlene sei, der so viel aufgegeben und so viel erhalten habe und der jetzt mehrere Personen in einem Körper sei.

Als zweites Problem berichtete Roberto von dem Denarius und dass wir sie gerne aus der Welt schaffen würden. Hier gab Orunmila allerdings zu bedenken, dass die Münze in diesem Fall nicht aus der Welt geschafft bleiben, sondern wieder auftauchen würde. Aber zumindest für lange Zeit sicher verwahren, das könnte gehen, wenn der Ort ein Gegengewicht zu dem Denarius wäre: rein, heilig und weitab von Menschen. Und da es in der Hölle heiß sei, vielleicht ein kalter Ort. Wir sollten den fragen, der die Wege kenne – sprich Eleggua.

Und nachdem Roberto den Orisha noch einmal explizit vor Adlene und dem Dolch gewarnt hatte, hatte Orunmila auch noch eine kryptische Mitteilung für unseren Kumpel, bevor er verschwand und Macaria ihren Körper wieder überließ: Auf der Hochzeit sollen wir dafür sorgen, dass Shango und Oshun miteinander tanzen. Was auch immer das heißen soll.

Was den kalten, reinen, menschenleeren Ort für den Denarius betrifft, so wäre da wohl am ehesten eine Insel passend - welche, das muss vermutlich wirklich Eleggua sagen. Aber auch das muss bis nach der Hochzeit warten.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 11.08.2022 | 19:21
Ricardos Tagebuch: Ghost Story 4

26. März

Oh Mann. Heute abend ist der Junggesellenabschied. Ich hatte ja damit überhaupt nichts zu tun, sondern Pan hat sich in den Kopf gesetzt, dass für seinen Ritter alles wie im klassischen Lehrbuch ablaufen und die Feier daher eine komplette Überraschung für mich sein muss. Ich bin nur froh, dass er den Großteil der tatsächlichen Planung an Alex delegiert hat, dann konnte der wenigstens sicherstellen, dass nichts dabei sein wird, das ich einfach nur hassen würde.

Lidia ist schon los – sie hat natürlich ihren eigenen Junggesellinnenabschied mit ihren Freundinnen, auch Yolanda ist dabei. Sie weiß auch nicht alles, was die Mädels für sie geplant haben, aber sie meinte, etwas von Wellness und einem Tag im Spa und dann einem Abend in der Stadt gehört zu haben. Klingt gut, und ich hoffe, sie hat ein unvergessliches Erlebnis.

Die Mädchen sind bei Mamá und Papá, die auch schon ganz aufgeregt sind, aber gut, ich verstehe es ja – Eltern sind immer aufgeregt, wenn eines ihrer Kinder heiratet, das geht Lidias Eltern ja nicht anders.

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So, ich muss gleich los. Alex sagte was von lockerer Kleidung, dann fahre ich hoffentlich mit heller Hose, Hemd ohne Krawatte und Sneakern einigermaßen richtig.

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27. März. 05:30 Uhr. Gerade zurück. Schlafen. Nachher mehr.

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So. Einigermaßen ausgeschlafen, gegessen, von Lidia erzählt bekommen, wie es bei ihr gestern lief, und ihr von meinem Abend erzählt. Jetzt habe ich Zeit, um aufzuschreiben, was los war.

Kurz gesagt: Es war eine echte South Beach Party am Strand. Eingeladen (bzw. als Auftraggeber mit von der Partie) war natürlich Pan selbst, seine Satyre und Einherjer, und die Jungs, claro. Von den männlichen Guardians war sonst keiner da – mit Cicerón, Ángel und Bjarki bin ich einfach nicht so eng befreundet, und sie sind ja dann zur Hochzeit eingeladen.

Alex, der ja von Pan die Leitung der Party übertragen bekommen hatte, stellte die Einherjer als Security ab.
Sir Anders, als Pans einer verbliebener Sidhe-Ritter, war natürlich ebenfalls anwesend, und Pan sagte zu mir: „Wenn du ihn nicht dabei haben willst, dann musst du ihn auf eine Queste schicken.“
Ich selbst hätte jetzt gar nicht groß etwas dagegen gehabt, wenn Anders auf der Feier geblieben wäre, aber bevor ich das sagen konnte, sprang Alex begeistert auf den Vorschlag an: „Ach, ich darf ihn auf eine Queste schicken?“
Da Pan „Klar!“ antwortete, beauftragte Alex den Sidhe-Ritter, dafür zu sorgen, dass nichts die Party stören würde, und Sir Anders schwor einen heiligen Eid, dass Sir Ricardo seine Feier ungehindert würde genießen können. Wie so oft war sein Ernst ein wenig anstrengend, aber irgendwie auch rührend.

Gleichzeitig zu unserer fand am South Beach auch eine Spring Break-Party von Studenten statt, und natürlich fingen die beiden Feiern an, sich zu vermischen. Und genauso natürlich ging es hoch her. Da war zum Beispiel ein völlig betrunkener Student, der unbedingt ins Wasser wollte, weil er meinte, dort ein Licht gesehen zu haben, und weil jemand gesagt hätte, dort sei eine Meerjungfrau gewesen.
Roberto tanzte und flirtete und schleppte jemanden ab, während Totilas die aufkommenden Streitereien und Konflikte schlichtete, die aufzukommen drohten, weil die Satyre natürlich über die Stränge schlugen. Alex wiederum überließ das Sichern nicht nur den Einherjer, sondern hielt selbst auch Ausschau, ob irgendein Ärger anstand.

Während Alex das vor allem in Richtung Land tat, stand Sir Anders mit dem Schwert in der Hand an der Wasserlinie und sicherte zum Meer hin. Ich konnte sehen, wie Edward hinging und mit ihm redete, oder besser, Sir Anders sagte sehr ernsthaft etwas zu ihm, woraufhin Edward etwas erwiderte, Sir Anders noch einmal etwas sagte und Edward wieder abzog; wohin, das entging mir. Ich selbst stand bei Pan und fühlte mich ein bisschen verloren, weil ich nicht so recht etwas mit mir anzufangen wusste. Pan stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, und das war auch völlig in Ordnung, das wollte ich ihm gar nicht abnehmen, und ich fand die Party auch nicht völlig ätzend, aber so richtig ausgelassen amüsieren konnte ich mich irgendwie nicht. Es war okay, aber … naja. Schon so ein bisschen una comemierderia.

Deswegen war ich auch sehr froh, dass Edward irgendwann an meiner Seite auftauchte und ohne Umschweife sagte: „Komm mit.“ Er führte mich ein kleines Stück weg vom Kern der Party, wo er nahe am Ufer einen Grill aufgestellt hatte. Steaks und einen Kasten Bier hatte er auch besorgt, und die Kohlen brannten auch schon. Und so saßen wir da am Strand, grillten, tranken Bier und redeten, und da wurde der Abend dann doch noch sehr fein.

Etwas später sahen wir draußen auf dem Meer tatsächlich ein Licht. Und wir sahen Sir Anders, der auf seinem Surfboard mit seinem Schwert in der Hand in Richtung des Lichtes hinauspaddelte. Ein wenig später ließ er sich ins Wasser herab, tauchte unter – und kam nicht wieder.
Nun gut, Sir Anders ist ein High Sidhe, für die gelten etwas andere Regeln, aber besorgt um ihn waren wir doch.
Also schwammen Edward und ich zu der Stelle, wo Sir Anders verschwunden war. Zu sehen war weit und breit nichts, aber kurz darauf tauchte eine Selkie auf.
„Du bist doch der Junggeselle, oder?“, fragte sie mich.
„Ähm, ja?“, antwortete ich, nicht sonderlich geistreich, weil zugegebenermaßen etwas verwirrt. Aber auch ihre Reaktion war eher eine Frage denn eine Aussage: „Glückwunsch?“

Sir Anders gehe es gut, sagte die Selkie auf unsere Frage. „Es ist alles unter Kontrolle, wir schaffen das.“
„Was ist denn los?“
Aber das wollte sie uns nicht sagen. Sir Anders habe einen heiligen Eid geschworen, dass an diesem Abend und in dieser Nacht nichts an Sir Ricardo herankommen und nichts Sir Ricardos Feier verderben dürfe. Sie war sehr bedacht darauf, dass Edward und ich uns auf gar keinen Fall einmischten, also vergewisserten wir uns ein letztes Mal, dass es Sir Anders gut ging, er unter Wasser atmen konnte und dort unten nicht in tödlicher Gefahr war, dann schwammen wir zurück und widmeten uns wieder unseren Steaks.

Irgendwann, nochmal einige Stunden später, tauchte Sir Anders wieder auf, sah allerdings etwas erledigt aus. Er hatte sein Schwert in der Hand, und seine Kleidung war etwas zerrissen. Nicht, dass das die Feiernden gestört hätte, denn auch, oder gerade, mit zerrissener Kleidung ist der Sidhe-Ritter ja durchaus ansehnlich.
Natürlich gingen wir zu ihm, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, aber auch er bestand darauf, dass er alles unter Kontrolle habe, und zeigte sich überaus besorgt, ob ich auch eine schöne und vor allem ungestörte Feier hätte. Ich beeilte mich, ihm zu versichern, dass dem so war.
Inzwischen war es aber auch schon 5 Uhr morgens, und es wurde allmählich hell, also war es langsam an der Zeit, nach Hause zu fahren. Als ich auf mein Handy schaute, sah ich, dass auch Lidia vor ungefähr 10 Minuten eine Textnachricht geschrieben hatte: „Ich fahre jetzt heim.“

Wie oben schon kurz geschrieben: Ich kam so etwa gegen 05:30 Uhr nach Hause – es war ja nicht weit –,  dann fiel ich ins Bett. Nicht lange darauf kam auch Lidia heim, und heute schliefen wir bis in die Puppen. Aber das hätte, glaube ich, auch niemand anders erwartet.

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11. April

Heute werde ich sicherlich nicht viel zum Schreiben kommen. Nur so viel: Gleich geht es los!

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15. April

Tío. Wo fange ich an.

Also. Die Hochzeit selbst war, naja, wie man katholische Hochzeiten eben erwartet. Lang und sehr katholisch, mit einer sehr persönlichen und ergreifenden Predigt von Pater Alvaro. Wir hatten für den Anlass einen professionellen Fotografen engagiert, der aus allen möglichen Blickwinkeln Fotos machte. Natürlich waren unsere Familien alle da. Edward und Ines sprachen Fürbitten. Roberto rief die Jungfrau Maria an (also eigentlich Oshun, aber irgendwie ist das ja im Synkretismus der Santería doch auch dasselbe). Außer den Jungs waren die Guardians ebenfalls mit bei der Trauung, außerdem Cherie als Edwards +1; vom übernatürlichen Kontingent noch niemand, die kamen später zur Feier außerhalb der Kirche. Aber mit einem Mal sah ich Enrique in einer der hinteren Reihen sitzen – ich hatte keinerlei Ahnung gehabt, dass Mamá und Papá eine Kontaktmöglichkeit zu ihm haben und ihm bescheid gesagt hatten; ich selbst habe ja keinerlei Adresse von ihm, nicht mal seine E-Mail, aber es freute mich sehr, dass er gekommen war.

Es war eine wunderschöne Zeremonie – Lidia strahlte über das ganze Gesicht, und ich konnte mich zwar nicht im Spiegel sehen, aber mir ging es nicht anders.
Und dennoch war irgendetwas – ich selbst spürte es vor lauter Freude und Aufregung nur am Rande, aber die anderen erzählten mir hinterher, dass es für sie viel deutlicher gewesen war: ein Gefühl der Spannung in der Luft, wie vor einem Sturm. Und es war auch sehr windig, in der Kirche konnten wir hören, wie es um das Dach pfiff.

Nach dem Ende der Trauung, als wir alle aus der Kirche defilierten, ging ich erst einmal Enrique begrüßen, samt Umarmung – und Enrique umarmte mich zurück und wünschte uns alles Gute und hielt, zumindest in dem Moment, den Frieden, was mich noch mehr freute.
Zur Feier ging es dann in einer Kutsche, die Alex organisiert hatte. Auf den Bäumen um die Kirche herum saßen ziemlich viele Raben, was Alex zu der Bemerkung verursachte: „Tauben waren aus.“

Die Location, ein weitläufiger Partysaal, war hübsch mit Blumen und Girlanden geschmückt, ähnlich wie die Kirche, und als wir und die Gäste hineingingen, teilten Lidias Freundinnen Luftballons aus. Das ließ mich kurz zusammenzucken (Jaks Ballons lassen grüßen), aber es waren wirklich nur harmlose Luftballons.. Es gab eine Band und eine große Tanzfläche, ein Eisfahrrad, eine Hüpfburg für die Kinder, ein großes Buffet, den Gabentisch; der Fotograf war auch hier mit dabei, und an hübsch dekorierten Stehtischen wurde erst ein Sektempfang gehalten, bevor sich alle hinsetzen gingen. Kurz gesagt: Adalind, die Hochzeitsplanerin, hatte in der vergleichsweise kurzen Zeit einen unfassbar tollen Job bei der Vorbereitung geleistet. Und sie hatte vor allem Lidias Wunsch nach einem Cake de Nata als Hochzeitstorte erfüllt – wunderschön dekoriert und Hochzeitstorten-tauglich, natürlich.   
Es gab die üblichen Reden. Es gab einige typische, zum Glück geschmackvolle, Hochzeitsspielchen (zum Beispiel die Postkarten an den Luftballons ausfüllen, bevor diese unter großem Hallo in den Frühlingshimmel von Miami entlassen wurden – gespielte Witze und dergleichen hatte Adalind zum Glück schon im Vorfeld abgebogen). Es gab eine Fotowand, auf der sich ältere Fotos von uns chronologisch von außen nach innen zu einem gemeinsamen, aktuellen Bild in der Mitte hinzogen.
Lidia und ihr Vater eröffneten die Tanzfläche, dann Lidia und ich, dann kamen alle dazu, und das Buffet wurde eröffnet. Lidias Cake de Nata kam prima an, und natürlich mussten wir ein Stück vom selben Teller mit derselben Gabel essen, aber es ist ja nicht so, als würden wir das nicht privat ohnehin manchmal machen, der Verlegenheitsfaktor hielt sich also in Grenzen.

Anfangs machten wir noch gemeinsam die Runde bei den Gästen, aber irgendwann ergab es sich, dass wir getrennt wurden: Lidia und Jandra waren eher mit unseren 'normalen' Gästen beschäftigt, während Monica und ich uns eher bei den übernatürlichen Gästen aufhielten.

Dann kam ein Mann auf mich zu, Mitte Fünzig, schlank und fit, lange, eisengraue Haare, eine Augenklappe mit einer Narbe darunter, von dem ich eben wegen der Augenklappe auch vermutet hätte, dass es sich um Donar Vadderung handelte, wenn er sich nicht beim Hereinkommen schon als dieser vorgestellt hätte, wir dann aber keine Zeit gehabt hatten, näher miteinander zu reden. Jetzt sah es so aus, als wolle er gezielt das Gespräch mit mir suchen – aber in genau dem Moment riss das Nevernever auf. Jak kam hindurch, mit zwei von diesen Dolchen in der Hand. Zwei Menschen folgten ihm, eine junge Latina und ein älterer Schwarzer, die ebenfalls jeweils einen solchen Dolch bei sich hatten, und außerdem die fünf keltischen Gestalten mit dem Halsband, gegen die wir in Morrigans Reich schon einmal gekämpft hatten.

Als sich der Riss ins Nevernever öffnete, waren Edward und Roberto gerade mit Cherie und Oshun am Tanzen. Totilas sah ich nicht (ich erfuhr später, dass er gerade sein Geschenk zum Gabentisch brachte), und Alex kam gerade mit Sir Anders in den Raum.

Ich sah, dass Jak mit erhobenen Dolchen auf Vadderung zusprang, und stieß einen Warnschrei aus, der Vadderung zur Seite springen ließ, so dass der Stoß des Outsiders ihn nur streifte.
Im selben Moment stellte Roberto sich schützend vor Oshun und bewegte die Hände in dem Muster, das er immer macht, wenn er seinen Blockadezauber wirkt. Aber die junge Latina griff Oshun gar nicht an. Stattdessen rammte sie ihren Dolch in Shango, der gerade ebenfalls auf Oshun zustürmte. Der Schrei, der aus Shangos Kehle drang, war markerschütternd. Roberto versuchte, die Frau von Shango wegzudrängen, aber es gelang ihm nicht. Nun rannte Oshun auf Shango zu, aber als sie ihn berührte, wurden Shangos Schreie lauter, und er begann zu brennen, und auch seine Angreiferin schrie auf und fing Feuer, während sich auf Oshuns Haut Brandblasen bildeten.

Während Alex schnell entschlossen den Feueralarm auslöste, drängte Edward sich zu dem älteren Mann mit dem Dolch durch, und Totilas stellte sich der Ambossgestalt in den Weg.
Ich musste Lidia und die Mädchen hier rausbringen, war mein einziger und drängendster Gedanke. Ich packte Monica an der Hand, die zu leuchten begonnen hatte, und rannte los, Lidia und Jandra finden, aber da kam Jandra schon auf mich zu. Sie hielt ein Kuchenmesser in der Hand und hatte einige Raben hinter sich – sah aber selbst überrascht darüber aus, was sie da eigentlich machte. Als sie bei mir angekommen war, hielt ich sie auf, nahm sie ebenfalls an die Hand und rief: „Raus hier, raus!“
Gemeinsam fanden wir Lidia, die in dem ausbrechenden Chaos auch schon auf der Suche nach uns gewesen war. „Was soll ich tun?“, fragte sie knapp. „Bring' die hijas und die Eltern in Sicherheit, ich komme nach!“ Lidia nickte. „Pass auf dich auf. Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“ Dann scheuchte sie die Mädchen vor sich her, und ich stürzte mich wieder zurück ins Getümmel, während um mich herum die Gäste in wilder Panik zu flüchten begannen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Alex beim Evakuieren half, indem er die Fluchtwege möglichst gut sichtbar und zugänglich für alle machte.
Edward und Totilas waren immer noch im Kampf, und Edwards Gegner pustete ihm gerade irgendetwas ins Gesicht, das Edward zurücktaumeln, husten und sich die Augen reiben ließ. Beinahe blind schlug Edward mit seinem magischen Handschuh zu und zertrümmerte dem Mann förmlich den Arm.

Vadderung hatte indessen einen Speer in der Hand – das musste Gungnir sein, der Speer, der eigentlich niemals sein Ziel verfehlte. Aber Jak ist ein Outsider, und er hatte einen von Odins Raben erstochen, so dass Vadderung verwirrt blinzelte und gerade nicht ganz bei sich schien. Triumphierend stach Jak zu, aber das Bild von Vadderung zerfaserte (eine von Loki geschaffene Illusion?), und der Ase befand sich ganz wo anders.

Auch die Guardians hatten inzwischen natürlich ins Geschehen eingegriffen. Dee brachte den Bürgermeister in Sicherheit, während Cicerón auf den brennenden Shango zurannte und förmlich mit ihm zu verschmelzen begann. Auch Cicerón fing Feuer, aber das schien ihn in dem Moment nicht zu stören. Derweil redete Roberto auf Oshun ein und versuchte, diese aus der Gefahrenzone zu bringen. 

Totilas gelang es, seinem Gegner das Halsband zu entfernen. Es dauerte einen Moment, dann rief die Ambossgestalt plötzlich etwas in einer fremden Sprache und schleuderte Totilas von sich. Der hatte sich gerade aufgerappelt und wollte sich wohl wieder in den Kampf stürzen, da tauchte Marshal an seiner Seite auf und sagte etwas zu ihm. Totilas erwiderte etwas, sah nicht glücklich aus, aber dann folgte er Marshal humpelnd nach draußen.

Alex, der irgendwo einen Feuerlöscher gefunden hatte - natürlich wusste Alex, wo hier die Feuerlöscher zu finden waren, selbst wenn wir anderen keine Ahnung hatten – eilte zu der flammenden Konfrontation zwischen Shango/Cicerón und der Latina und hielt drauf. Unter dem weißen Schaum erstarb das Feuer, und man konnte sehen, dass Cicéron und die junge Frau sich gegenüberstanden und einander anstarrten. Von Shango war nichts mehr zu sehen. Oshun, die offenbar zurückgeschaut hatte, was bei ihrem Liebsten passierte, stieß einen gellenden Schrei der Trauer aus, dann brachte Roberto sie hinaus.
Die junge Latina hingegen war überhaupt nicht amüsiert davon, dass Alex sie soeben gelöscht hatte. Sie spuckte einen Flammenstrahl nach ihm, der unseren Kumpel empfindlich verbrannte.

Edward hatte sich offenbar die Augen freigeblinzelt, denn jetzt schlug er wieder mit seinem magischen Handschuh zu und brach seinem Gegner auch noch den zweiten Arm – aber im Gegenzug blies der alte Mann Edward wieder irgendwas ins Gesicht, das diesen offenbar die Orientierung verlieren ließ, denn er taumelte etwas und hatte plötzlich sichtlich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu bewahren. Und zu allem Überfluss tauchte jetzt auch noch die Nebelgestalt neben ihm auf.
Ich eilte hin und zog dem Jak-Kultisten Jades Knauf über den Schädel, was diesem offensichtlich spürbar wehtat, ihn nur leider nicht ausknockte. Doch das gab das Edward die Gelegenheit, ihm den Dolch zu entwinden – und er hätte sich auch damit zurückgezogen, wenn ihm nicht die Nebelgestalt in diesem Moment einen üblen Tritt verpasst hätte.

Das war selbst für Edward zu viel. Der Dolch glitt ihm aus den Händen, und Edward ging zu Boden, fiel dabei genau auf die Waffe, zum Glück auf die flache Seite.
Für den Moment schien die Nebelgestalt mich zu ignorieren, also versuchte ich, vor allem Edward, aber auch den Dolch, in Sicherheit zu bringen.

Ich hatte Edward schon einige Meter weit gezogen, da kam – ganz ohne Panik – einer der Gäste auf mich zu. Vorhin zu Beginn der Feier hatte er sich als Hermes vorgestellt. „Ich weiß, du bist hier der Bräutigam, und ich bin hier Gast“, sagte er, „und ich will eigentlich nicht mit dir kämpfen, aber ich will diesen Dolch.“
„Ich will eigentlich auch nicht mit dir kämpfen“, sagte ich.
„Gut, dann gib ihn her.“
„Ich will nicht, dass du ihn einsetzt“, erwiderte ich. „Bei uns ist er besser aufgehoben.“
Aber darauf ließ Hermes sich – natürlich – nicht ein. Nach noch etwas Hin und Her einigten wir uns schließlich darauf, dass der Dolch nicht gegen Miami, nicht gegen Pan und nicht auf dem Stadtgebiet von Miami eingesetzt werden würde. Das schwor Hermes mir, woraufhin ich ihm die Waffe gab und er verschwand. Sprichwörtlich im Nichts, wohlgemerkt. Der Deal gefiel mir gar nicht, aber ich sah in dem Moment keine andere Lösung. Mierda..

Odin war derweil immer noch dabei, mittels Lokis Illusionen mal hier, mal dort aufzutauchen, während Jak ihn jagte. Dann stach der Outsider mit einem Mal ins Nichts. Dort erschien ein rothaariger Mann mit dunklen Augen – derselbe Mann vom Hurricane Relief Carnival. Loki. Und ihm steckte ein Dolch in der Brust. Odin schrie auf: „Bruder!!“ Bjarki und Haley erstarrten, völlig entsetzt.

Jaks Gestalt wurde hagerer, seine Haare röter, sein irres Grinsen verschmitzter. „Herzlichen Glückwunsch“, ließ er gutgelaunt in meine Richtung fallen, dann verschwand er. Wo er gerade noch gewesen war, schwebte einen Moment lang ein Luftballon und platzte dann.

Auch Cicerón und die junge Latina verschwanden, aber ihr Dolch blieb zurück.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.08.2022 | 15:03
Während Alex schnell den Dolch einsammelte, den die Outsider-Kultistin hatte fallenlassen und Bjarki und Haley ihren älteren Kumpan aufsammelten und abtransportieren (Memo an mich: Wir sollten die beiden wegen Outsider-Korruption untersuchen – keine Ahnung, ob die auch auf Gottheiten oder Halbgottheiten übergreifen kann), galt meine erste Sorge Lidia, den Mädchen und unseren Familien. Es ging allen gut, gracias a Dios, also konnte ich mich nach den anderen umsehen und mich um die Gäste kümmern.

Ilyana Elder saß draußen vor der Halle, von zahlreichen blauen Flecken gezeichnet, und drehte die Yansa-Maske in der Hand – ganz offentlich am Überlegen, ob sie sie aufziehen solle oder nicht.
Dee war mit einem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck dabei, die Wards zu überprüfen, die für die Feier über die Location gelegt worden waren. Eigentlich sahen sie unversehrt aus und nicht so, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht, aber als Dee die Kreidestriche nachfahren wollte, zerfielen diese zu einem geradezu abartig ekelhaft stinkenden Staub.

Ximena hockte auf den Fersen an der Stelle, wo Loki erstochen worden war, malte dort Runen auf den Boden und starrte fasziniert darauf. Ángel hingegen stand etwas verloren in einer Ecke und betete inständig, während Alex herumwanderte und Dinge richtete und zu reparieren begann – wie er das immer macht, wenn er aufgewühlt ist und runterkommen muss. Totilas wanderte ebenfalls herum, aber unterhielt sich mit unterschiedlichen Leuten, um zu rekapitulieren, was eigentlich passiert war. Und Bjarki sagte etwas von wegen 'sehen, ob ich sie finden kann', und verließ die Halle. Kurze Zeit später konnten wir Guardians spüren, wie er sich als Falke in die Lüfte erhob und davonflog.

Roberto kümmerte sich um Oshun, versuchte seine patrona irgendwie zu trösten. Ich konnte sehen, wie deren Trauer allmählich einer verzehrenden Wut wich und sie schließlich sagte: „Das nehmen wir so nicht hin, Roberto.“ Febe hörte das und gesellte sich zu den beiden. „Wir müssen Cicerón finden.“ Sie hatte ihr Smartphone in der Hand und drückte immer wieder auf Wahlwiederholung – Ciceróns Nummer, wie es schien. Offenbar mag Febé den Anführer der Santo Shango mehr, als ich gedacht hatte.
„Wir werden Shango retten“, sagte Oshun indessen, „ihn retten oder ihn rächen. Ich werde die Welt auf den Kopf stellen. Ich werde Verbündete suchen. Ich weiß, auf dich kann ich zählen, Roberto. Halte dich bereit, es wird nicht lange dauern.“ Und damit verschwand sie.

Edward fand Cherie, die er während des Kampfes aus den Augen verloren hatte. Es ging ihr soweit gut, aber sie war etwas angeschlagen, weil sie mit einer der Halsbandkreaturen gekämpft hatte. Sie sah hungrig aus, und ihre Augen glitzerten silbrig. Ich konnte sehen, wie sie einige Worte mit Edward wechselte – später erzählte er mir, dass sie sagte, sie müsse etwas 'essen', aber das wolle sie nicht an Edward. „Wir sollten das irgendwann wieder machen, aber ohne das ganze Drama“, schlug er vor. „Das würde mir gefallen“, erwiderte Cherie, dann ging sie.

Donar Vadderung – Odin – sah völlig erledigt aus. Er ging zu Eleggua, und ich stand gerade nah genug bei den beiden, dass ich hören konnte, was gesagt wurde, auch wenn Odin leise sprach. „Trickster, was war dein Plan? Du warst derjenige, der uns alle hier zusammengerufen hat, also was war dein Plan?“ Eleggua machte ein erstauntes Gesicht: „Ähm, nichts?“ „Ich weiß es genau!“, hielt ihm Odin finster entgegen, „Dir war Loki schon immer ein Dorn im Auge. Du wolltest ihn loswerden, weil er Trickster-Konkurrenz für dich war. Das wird ein Nachspiel haben!“ Und mit diesen Worten rauschte er davon.
Ich wollte ihm nach, aber ich war gerade mit Tante Rosalia im Gespräch, die sich begeistert darüber ausließ, wie schön die Feier war, wie lecker der Kuchen war, wie nett Lidia war und wie sehr sie uns von Herzen alles Gute wünschte, und so war Totilas schneller. Was gesagt wurde, erfuhr ich erst später, aber das war der Dialog:
„Es wäre im Sinne des Gegners, wenn Sie sich mit Ihresgleichen bekämpfen, werter Odin“, fing unser Kumpel an, als er den Asen erreicht hatte.
„In deinem Sinne auch, oder?“
„Nein“, erwiderte Totilas ruhig.
„Ich kenne doch deinesgleichen“, knurrte Odin. „Ich habe keine Geduld mit deinen White Court-Spielchen!“
Mit diesen Worten stieg er in sein Auto und war weg, und ich konnte dem davonfahrenden Wagen nur noch hinterherschauen. Mierda.

Währenddessen trat Edward, der Odins Ansprache ebenfalls gehört hatte, zu Eleggua (auch das erfuhr ich natürlich erst hinterher) und fragte unumwunden: „Was war denn der Plan?“
Eleggua sah Edward mit undurchdringlicher Miene an. „Ich dachte, der Plan war, eine Hochzeit zu feiern.“
„Das dachte ich auch“, hielt Edward entgegen, „aber...“
„Ich hätte gedacht, es wäre ein gutes Bollwerk gegen genau so etwas, aber ein Plan war es nicht.“
Edward schnaubte. „Das ist ja mächtig nach hinten losgegangen.“
„Ich habe die Nordischen absichtlich nicht eingeladen“, setzte Eleggua hinzu, „die sind von selbst hier aufgetaucht.“
„Ich habe gehört, wenn man mit den Dolchen eine Gottheit umbringt tötet, dann nimmt man deren Kraft in sich auf, aber man kann sie nicht für sich behalten, sondern wird davon überwältigt, und die Gottheit kommt irgendwann wieder“, wechselte Edward nun das Thema.
„Wenn keine Outsider beteiligt sind, ist das der normale Weg, ja.“
„Kann man das vielleicht fördern? Loki in Jak stärken?“
„Nicht, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das ist, als wolltest du etwas aus dem Feuer holen – dazu musst du selbst hineingreifen. Edward, du bist ein Sterblicher, du würdest Schaden nehmen. Aber wenn du das willst...“
Jetzt kam Alex dazu, der die letzten Worte Elegguas mitbekommen hatte. „Roberto sollte dringend mit Oshun reden, denn die will in dieses Feuer hineinspringen, und das ist eine schlechte Idee.“
„Wer ist eigentlich bei den Nordischen für Magie zuständig?“, wollte Edward jetzt wissen.
„Das könntet ihr Haley fragen“, schlug Eleggua vor.
Und das war der Moment, in dem auch ich zu dem Grüppchen trat: frustriert, weil ich nicht mit Odin hatte reden können. Eleggua verabschiedete sich, weil er die Wege überprüfen wollte, die Jak entlanggekommen sein musste, die ihm aber eigentlich verwehrt hätten sein müssen. Aber bevor er ging, wandte er sich an mich: „Du kennst dich doch mit Feen aus. Die Winterfeen sind dafür zuständig, dass keine Outsider hereinkommen. Du könntest ihnen bescheid sagen, dass sie ihren Job nicht machen.“ Ähm. Na danke auch...

Ungefähr in diesem Moment fiel uns allen auf, dass Bjarki nicht da war. Oder besser, dass sich da irgendwo in der Stadt, ziemlich genau bei Adlenes Haus, ein blinder Fleck befand, der schmerzte. Und dass Bjarki dort in der Nähe war und dass es ihm überhaupt nicht gut ging. Cicerón hingegen war überhaupt nicht zu spüren, jetzt wo wir uns darauf konzentrierten.

Alex, Edward und Totilas brachen auf dorthin, wo wir Bjarki fühlen konnten – Roberto ging nicht mit, und ich begleitete sie auch nicht, weil es komisch ausgesehen hätte, wenn ich als Gastgeber mitgegangen wäre. Deswegen blieb ich da und kümmerte mich weiter um unsere Gäste – und geriet jetzt doch mit Enrique aneinander, weil der es gelinde gesagt scheiße fand, dass Jandra mit einem Messer herumhantiert hatte und bereit gewesen war, damit zu kämpfen, und jetzt begeistert fragte, ob sie das lernen und trainieren dürfe. Ich konnte Enrique sogar verstehen, aber trotzdem konnte ich das gerade so gar nicht brauchen.
Immerhin aber sorgten die noch anwesenden Gottheiten irgendwie dafür, dass die unmagischen Gäste sich nicht an die Sache erinnerten – wenn ein Mensch diesen Zauber gewirkt hätte, wäre es ein eklatanter Bruch der magischen Gesetze gewesen, aber das waren ja keine Menschen. Jedenfalls hatten die unmagischen Gäste nur eine vage Erinnerung daran, dass irgendjemand betrunken kurz Ärger gemacht hätte, bevor die Feier erfreulich und schön weiterging.

Wieder erfuhr ich das, was jetzt kommt, erst später, aber in der Nähe von Adlenes Haus fanden die anderen eine steinerne Statue, die wie Bjarki aussah. Eine sichtlich verblüffte Passantin erzählte, dass ein Vogel in einen Luftballon geflogen sei, und dann sei plötzlich dieser Stein vom Himmel gefallen. Außerdem sagte sie verwirrt, sie könne ihre Straße nicht mehr finden. Totilas versuchte, ihr weiszumachen, das habe mit einem Bühnenmagier und dessen neuer Show zu sein, aber das war keine so gute Idee, weil die Anwohnerin das zwar glaubte, nun aber ungehalten wurde und forderte, den Manager des Magiers zu sprechen, weil sie ihre Straße zurückhaben wollte. Er sei der Manager, erklärte Totilas, allein die Dame ließ sich nicht beruhigen und rief die Polizei.
Schnell entschlossen rief Edward parallel dazu ebenfalls bei der Polizei an, genauer gesagt beim SID, und warnte Alison Townsend, dass magische Schwergewichte eine ganze Straße verschleiert hätten und das SID sich nicht mit denen anlegen solle.

Die Frau landete nach einigen Weiterleitungen ebenfalls bei Lieutenant Townsend und wurde von dieser vertröstet. Daraufhin stritt sie sich weiter mit Totilas und begann schließlich, die Szene mit dem Handy zu filmen.
Alex konnte die verlorene Straße in seinem Geist noch finden – sie war genau dort, wo es wehtat hinzudenken, und dort war auch ein gewisses Flimmern in der Luft. Alex wollte es ausprobieren und, mit einem Seil gesichert, schauen, was an dem Ort los war, aber mit dem Hinweis darauf, dass Bjarki dringend Hilfe brauchte, konnte Edward ihn davon abhalten.
Totilas lieferte sich indessen ein Duell im Anstarren und mit-Anwälten-drohen mit der Passantin, aber am Ende war es Totilas, der die Frau so sehr einschüchterte, dass sie das Video schließlich löschte, nach einem Taxi telefonierte und abzog. Alex wollte sie noch aufhalten, um herauszufinden, ob sie eine Adresse für die nächsten Tage hätte, aber sie war offenbar gut situiert – und 'Karen' – genug, um ihn keines Blickes zu würdigen, bis ihr Taxi kam.

Mit vereinten Kräften und Einsatz ihrer übernatürlichen Stärke luden die Jungs die Bjarki-Statue ins Auto, und während Alex fuhr, machte sich Edward schon einmal erste Gedanken für ein Ritual, um ihn wieder zu entsteinern. Totilas indessen betrachtete Bjarki in der Sight, um herauszufinden, ob der Isländer überhaupt noch lebte. Er sah Lokis Sohn in einer engen Höhle, tatsächlich noch am Leben, aber umgeben von zahllosen roten Luftballons. Es fiel Totilas etwas schwer, sein drittes Auge wieder zu schließen, aber schließlich gelang es ihm doch.

Währenddessen stand ich im Hotel gerade kurz mit Roberto zusammen; wir unterhielten uns über die Feier unterhalten und darüber, dass ich mir diese Hochzeit ganz anders vorgestellt hatte – auch wenn es immerhin in diesem Fall gut war, dass der Vorfall für die 'normalen' Gäste etwas unter den Teppich gekehrt worden war. Allmählich dauerte es aber ganz schön lange, bis die anderen zurückkamen, also rief Roberto bei Alex an, um sich zu erkundigen, was los war. Der erzählte von Bjarkis Situation (hier hörte ich jetzt einen Teil dessen, was ich oben schon aufgeschrieben habe) und bat Roberto, alle Guardians, die noch auf der Feier seien, zusammenzutrommeln, damit wir Bjarki entsteinern könnten.

Da ich noch Hochzeitsfeierverpflichtungen hatte, ging Roberto los, um zu schauen, wen er alles finden konnte. Wie es aussah, waren nur noch Ximena und Ángel da, die er über die Lage informierte und darüber, dass Bjarki zu einer Steinstatue geworden sei. Das verwunderte seine beiden Geschäftspartner aber nicht im Geringsten, und Ximena erklärte, das sei gar nicht ungewöhnlich, weil Bjarki sich in alles verwandeln könne, nicht nur in Lebewesen, und: „Hat ihm jemand gesagt, er soll aufhören?“

Das bekam ich aber natürlich auch erst später mit. Ich selbst wurde wieder involviert, als Cousin Raúl – einer von Lidias Cousins, nicht von meinen – ziemlich angetrunken bei mir auftauchte, dass da noch ein Geschenk angekommen sei.

Das „Geschenk“ war natürlich die Bjarki-Statue, die die Jungs in einen ruhigen Raum gebracht hatten, und hier bekam ich jetzt die restlichen Lücken in der Geschichte gefüllt, die mir bislang noch gefehlt hatten.
Auch Roberto schaute sich unseren Guardian-Freund jetzt in der Sight an, und er konnte das bestätigen, was Totilas auch schon festgestellt hatte: Die Höhle, in die Bjarki sich zurückgezogen hatte, war Schutzmechanismus gegen die Ballons und ein Sinnbild für seine Verwandlung in einen Stein, und er war am Leben, wenn auch schwer angeschlagen. Als Mensch würde er schwerste Verletzungen aufweisen, die als Stein nicht so eklatant waren. Das Problem nur: In Steingestalt heilte er nicht, das heißt, egal, ob er jetzt oder in drei Monaten aufwachte, die Verletzungen wären dann immer noch genauso schwer.

Daher kam mir der Gedanke, ob es nicht vielleicht möglich wäre, vor der Rückverwandlung die Statue zu reparieren. Das wäre dann auch keinesfalls ein Bruch der magischen Gesetze, weil wir ja nur an einer Statue herumdoktorn würden, nicht an einem Menschen. Wobei das nicht unbedingt eilig ist, das können wir in Ruhe planen, denn der Zustand des Steins verschlechtert sich ja nicht.
Jetzt waren erst einmal alle mehr oder weniger unfit – bis auf mich selbst, tatsächlich, erstaunlicherweise – und von den Guardians ohnehin nur noch Ximena und Ángel anwesend. Und Edward hatte völlig recht, als er sagte, Lidia und ich hätten uns genug getrennt um die jeweiligen Gäste gekümmert, jetzt wäre es endlich an der Zeit für uns beide und für Zweisamkeit.
Und so ging die Feier zwar noch etwas weiter, aber begann langsam auszuklingen, und alle hatten Verständnis dafür, dass Lidia und ich uns irgendwann zurückzogen.

Aber ach ja. Geschenke. Also es gab natürlich eine ganze Menge, aber die von den Jungs will ich besonders erwähnen.
Alex' Geschenk war... nichts Physisches. Er hatte uns eine Karte gebastelt, in der er uns zu verstehen gab, dass die Tatsache, dass Saltanda nicht aus der Junggesellenabschiedstorte gehüpft war, ihm zu verdanken und gar kein so leichtes Unterfangen gewesen war.
Von Totilas gab es ein edles Silbertablett, das mit Rosenblüten, einem Sektglas und einem gedeckten Puppenhaustisch dekoriert war, dazu eine auf alt gemachte Schriftrolle mit schöner Kalligraphie und einer Einladung zu einem romantischen Dinner für zwei bei Klaviermusik und Blumen in einem vornehmen Restaurant.
Edward schenkte uns eine Rose von Swarowski, aber nicht einfach irgendeine. Sie ist so verzaubert, dass sie sich nach und nach mit magischer Energie auflädt. Und sollten wir es wirklich einmal brauchen, gibt es ein Kommandowort, mit dem diese Aufladung freigesetzt und damit der Threshold unseres Heims verstärkt wird.
Und Roberto kam mit einem Korb an, aus dem heraus uns ein herzallerliebster Bernhardinerwelpe anschaute. Mit einem Zwinkern sagte er, das Geschenk sei für die hijas vielleicht ebenso wie für uns. Ich finde die Idee schön, einen Hund zu haben, aber irgendwie auch ein bisschen... beängstigend ist das falsche Wort, aber eine gewisse Herausforderung wird es vermutlich schon werden, zumal gerade Bernhardiner ja nicht so klein bleiben. Und wir haben noch keine Ahnung, was einen Namen betrifft. Aber da wird uns schon etwas einfallen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 7.11.2022 | 19:26
Ricardos Tagebuch: Ghost Story 5

Am Tag nach der Hochzeit schliefen Lidia und ich, wie man sich vielleicht vorstellen kann, ziemlich lange. Wir waren gerade mit einem sehr späten Frühstück Brunch fertig, da klingelte mein Telefon. Es war Roberto, und es war ein Notfall. Treffen zum Kriegsrat in der Casa Guardián (mit allen außer natürlich Bjarki und Cicerón), und ich war nur heilfroh, dass Lidia Verständnis zeigte.

Bei dem Treffen erzählte Roberto, dass Oshun vorhin bei ihm aufgeschlagen war. Ohne Anzuklopfen, versteht sich. Sie hatte einen großen, sonnengebräunten, südländisch aussehenden, wütenden Kerl im Schlepptau, und auch wenn Roberto das Gespräch natürlich nicht in allen Details zitierte, lief es in meinem Kopfkino ungefähr so ab:

Oshun, täuschend ruhig: „Das ist Ares, der griechische Gott des Krieges. Es geht los. Sag Yansa bescheid, wir brauchen sie. Thor haben wir leider nicht finden können, kennt den einer? Wir warten bis heute Abend, dann gehen wir.“
Ares, förmlich aus den Nüstern schnaubend: „Das ist ein guter Plan, bis zum Abend zu warten und dann in der Dunkelheit anzugreifen.“
Roberto, ziemlich überfahren von dem Überfall: „Ähm, wo wollt ihr denn warten? Hier?“
Oshun: „Am Schandfleck. Dort warten wir.“
Roberto: „Okay... wenn ihr dort warten wollt?“
Oshun: „Oder sollen wir gleich losschlagen?“
Roberto: „Nein.“
Oshun: „Nun gut. Dann am Abend. Die Zeit des Wartens ist vorüber. Die Zeit der Rache ist gekommen.“
Oshun und Ares: exeunt. Roberto: greift nach seinem Telefon.

Wir waren uns alle einig, dass das Oshuns Plan eine ganz schlechte Idee war und nicht gut gehen konnte.
Dann erzählte Alex, weil es ja am Abend zuvor nicht alle mitbekommen hatten, dass Eleggua zu ihm gesagt hätte, man könne Loki in Jak stärken, und ich erwähnte Elegguas Bemerkung von den Winterfeen, die ihren Job nicht machten, was das Abhalten der Outsider beträfe. Auch da waren wir uns einig, dass da wohl ein Gespräch mit Tanit angezeigt sei.

Und wir riefen bei Haley an, fragten, wie es ihr gehe und was mit dem Jak-Kultisten sei, den sie am Abend zuvor einkassiert hatte. Geistig nicht stabil, erwiderte Haley. Er sei kein normaler Sterblicher mehr, sondern habe einen Luftballon im Hirn, den er freiwillig hineingelassen habe – es scheine, als hätte er sein drittes Auge geöffnet, als die Outsider auftauchten, und es dann nicht wieder geschlossen, und das sei eine absolute Katastrophe für ein menschliches Gehirn. Falls wir das wollten, könnten wir mit ihm – Zeke nenne er sich – reden, aber das werde dauern, bis er einigermaßen ansprechbar sei. Aber gut, das läuft ja auch nicht weg, das muss nicht gleich jetzt sein.

Haley erzählte auch, dass der Allvater alle Asen nach Asgard gerufen habe, und ob wir wüssten, was los sei. Totilas erzählte ihr, dass einer von Odins Raben erstochen worden sei, und ich berichtete von Vadderungs Verdacht gegen Eleggua.
„War das Elegguas Plan, Alex?“, fragte Haley sofort, aber das verneinte der umgehend.
„Meinst du, Odin wird Miami jetzt mit Krieg überziehen?“, wollte Totilas im Gegenzug wissen, aber das wiederum glaubte Haley nicht. Sie könne allerdings nicht mit ihm reden – oder besser gesagt, er würde nicht auf sie hören, wenn sie es versuchte, denn sie sei ja 'nur Hel'.
„Und ich habe mit ihm nicht über Pans Einherjer reden können, als er auf der Feier war“, brummte ich missmutig. „Die Sache hatte ich eigentlich mit ihm klären wollen...“
„Pans Einherjer könnten ein Problem werden, weil die immer noch vor allem Odin verpflichtet sind“, sagte Haley vorsichtig, aber dann legte sie recht schnell auf, weil die ganze Sache nicht ihre Baustelle war.

Für das Treffen mit Tanit suchten wir wie immer zuerst Hurricane auf und fanden ihn in der Wrestlingschule am Hafen, die er seit einer Weile hat.
Als wir den Laden betraten, kam Hurricane zu uns herüber. „Hi, wollt ihr auch Wrestling lernen?“, fragte er gut gelaunt.
„Nein, wir wollen mit Tanit reden“, erwiderte Roberto.
„Dann müsst ihr zum Cayo Huracán“, schlug Hurricane kurz angebunden vor, aber Alex lächelte ihn entwaffnend an: „Vielleicht kannst du uns auch weiterhelfen.“
„Ich bin nicht die Wohlfahrt“ brummte Hurricane, „aber sag halt mal, was du willst.“
„Es geht um unsere gemeinsamen Leute, die, die wir alle nicht mögen.“
„Ich kann die Republikaner auch nicht leiden. Kannst du vielleicht noch ungenauer werden?“

Edward wurde konkreter und erzählte von den Outsidern und dass sie offenbar einen Brückenkopf in unsere Welt geschlagen haben. Das habe Hurricane auch schon gemerkt, sagte er, aber er könne dazu nichts sagen, das sei nicht seine Aufgabe, und dazu müssten wir mit Tanit reden.
Oh, ¿de verdad?
„Können wir über dich einen Termin bei ihr ausmachen?“, fragte ich, aber Hurricane grinste nur.
„Sie wird euch schon nicht kentern lassen. Immerhin werden ja wohl neben dir noch zwei weitere Gesandte im Boot sein.“

Das war allerdings keine sonderlich sichere Aussage, also verhandelten wir. Am Ende kamen wir überein, dass er uns etwas geben würde, mit dem wir schadlos zum Cayo Huracán kämen, und im Gegenzug dürften seine Schule und er in drei Tagen den ganzen Nachmittag lang an Pans Strand trainieren. Daraufhin gab er Alex einen grauen Handschuh, der die Überfahrt für ihn sehr angenehm werden ließ, für uns andere eher … nicht so. Aber wir kamen an.

Wir wurden von Yahaira Montero in Empfang genommen, die uns zu einer der Klippen führte, wo Tanit stand und sich den Wind durch das Haar wehen ließ.
„Ihr tragt das Unterpfand meines Sohnes bei euch, also muss es wichtig sein“, begrüßte sie uns.
Winter oder nicht, sie war eine Fee und somit am ehesten meine Baustelle.
„Es ist in der Tat wichtig“, erwiderte ich höflich, „wir wollten Euch darüber informieren, dass die Outsider einen Brückenkopf in unserer Welt etabliert haben.
„Das ist zu früh“, entgegnete Tanit, sichtlich bestürzt, „das hatte ich in diesem Ausmaß noch nicht erwartet.“
Ich nickte. „Und das sind Feinde, gegen die alle Animositäten zwischen Sommer und Winter zurücktreten müssen.“
Tanit nickte ebenfalls. „Berichtet.“
Ich berichtete.

Als ich fertig war, sah Tanit Alex direkt an. „Eleggua ist zu schlau, als dass es gut für ihn wäre.“ Dann wandte sie sich an uns alle: „Die Outsider sind wie ein Krebsgeschwür, schwer für immer zu entfernen. Man kann sie auch nicht einfach ins Meer werfen, ohne das Gefüge der Welt zu zerstören. Ich habe meine Gesandte losgeschickt, um herauszufinden, was man tun kann, doch sie ist noch nicht zurückgekehrt. Deswegen sagte ich, es sei zu früh.“
„Und was tun wir jetzt?“
„Ihr müsst vor allem die Götter davon abhalten, sich von den Dolchen treffen zu lassen. Das können weder Pan noch ich – wir sind beide keine guten Diplomaten, und die anderen Gottheiten mögen uns nicht, weil wir uns von ihnen abgewandt und uns den Feenköniginnen angeschlossen haben, obwohl wir selbst Götter sind – und schlimmer noch, wir haben den Königinnen unsere Gefolgschaft geschworen. Die Götter wollen das nicht hören, aber die Feenköniginnen sind mächtiger als sie.“

Edward wollte wissen, ob die Outsider Schwächen hätten.
„Sie verstehen die Menschen ebensowenig, wie ihr sie versteht“, erwiderte Tanit. „Sie verstehen Liebe nicht, verstehen Glauben nicht. Ihr solltet wissen, dass Dinge angestoßen worden sind“ setzte sie noch hinzu, „aber es wird dauern, bis diese Dinge wirklich in Gang kommen. Und bis das geschieht...“ - sie sah uns ernst an - „spielt auf Zeit und hindert Oshun daran, sich ins Messer zu stürzen. Ich melde mich, sobald Chloe zurück ist.

Als Yahaira uns zurück zum Boot brachte, gratulierte sie mir noch zur Hochzeit, auch wenn sie nicht so schön gewesen sei.
„Die Einladung war ernst gemeint“, sagte ich, „ich hätte mich gefreut, wenn du gekommen wärst.“
„Das kam auch an“, erwiderte sie, „aber ich dachte, das wäre nicht so diplomatisch gewesen.“
Ich nickte. „Vielleicht hast du recht, aber die Einladung war trotzdem ernst gemeint.“
Das brachte mir von Yahaira ebenfalls ein Nicken ein. „Das weiß ich. Ich kenne dich ja inzwischen ein bisschen, und gut genug, dass ich das weiß.“
Damit pustete sie in Richtung unseres Bootes, und für die Heimfahrt hatten wir vollkommen ruhiges Fahrwasser.

Wieder an Land, überlegten wir natürlich, wie wir Oshun von einem direkten Angriff auf Jak abhalten sollten, ohne es uns mit ihr zu verscherzen. Womöglich wusste sie noch gar nicht, dass eine Chance bestand, dass Shango und Loki zurückkehren könnten?

„Verdammter Mist, dass Oshun sich Ares zur Unterstützung geholt hat und nicht Athena oder so“, brummte Edward.
Totilas zuckte mit den Schultern. „Ares ist halt genau das, was Oshun will: einfach draufprügeln.“
„Das ist genau das, was ich früher gemacht hätte“, gab Edward zu, „aber das ist der falsche Ansatz.“ Er unterbrach sich. „Habe ich das gerade gesagt? Mist.“
Ich musste grinsen. „Wir färben aufeinander ab, Kumpel.“
Edward schnaubte. „Lern nur nicht zu viel von mir.“
Der nächste Satz kam von uns beiden genau gleichzeitig: „Mist... zu spät.“

Aber ernsthaft. Als wir fertig waren mit Schmunzeln, fragte Edward Roberto und Alex, was sie alles über Oshun wussten. Es war uns ja nicht völlig neu, aber sie bestätigten noch einmal, dass Oshun die Orisha der Liebe, der Schönheit, des Reichtums, der Fruchtbarkeit, des Wassers und der Flüsse sei. Normalerweise sei sie niemand, die ihren Gegnern einfach direkt aufs Maul haue, sondern eigentlich gehe sie lieber subtil vor.

Hmm. Dann war das ja vielleicht jetzt auch eine Möglichkeit, bei ihr anzusetzen: ihr beizubringen, dass sie wesentlich erfolgreicher sein könne, wenn sie Shango stärken würde, statt Jak frontal anzugreifen – diese Strategie wäre erstens erfolgversprechender und zweitens schmerzhafter für die Outsider.
Davon mussten wir sie nur überzeugen – und wenn Oshun überzeugt wäre, würde Ares hoffentlich auf Oshun hören und ebenfalls Ruhe geben.

Wir trafen die Orisha in einer kleinen Bodega (oder besser Faux-dega, die eher für das Anglo-Publikum gemacht war), wo sie mit Ares saß und gerade der Kellnerin ins Gewissen redete, dass sie sich von ihrem Freund nicht alles gefallen lassen solle.
Nachdem die Kellnerin abgezogen war, eröffnete Roberto seiner patrona, dass Shango hoffentlich noch nicht verloren war, dann ging ich ein wenig mehr ins Detail und berichtete davon, dass die Leute, die die Dolche benutzten, über kurz oder lang selbst wieder von den Gottheiten übernommen wurden, die sie ermordet hatten, und Edward skizzierte ein Ritual, mit dem dieser Vorgang unterstützt werden könnte. Alex wirkte auf seine zurückhaltende Art ebenfalls beruhigend auf Oshun ein, während Totilas Ares in ein Gespräch zog.
Wir merkten, dass wir Fortschritte bei Oshung machten, aber es dauerte eine Weile. Die Orisha war schon fast überzeugt, aber wir konnten spüren, dass sie es einigermaßen genoss, gebeten zu werden, und außerdem musste sie ihr Gesicht wahren und durfte es nicht so aussehen lassen, als würde sie zu schnell einknicken.

Ares merkte von all dem tatsächlich nichts, aber er wurde langsam ungeduldig und wollte endlich losziehen, diesem Jak auf die Fresse hauen, Totilas' Anstrengungen, ihn abzulenken, hin oder her. Am Ende wusste unser White Court-Kumpel sich nicht länger zu helfen, als das zu tun, was White Court-Vampire eben tun... er fing an, heftig mit Ares zu flirten, und dann zogen die beiden tatsächlich gemeinsam ab.

Oshun schien gar nicht so undankbar darüber, dass Ares nicht mehr da war, und unterhielt sich jetzt angeregt mit Edward über seine Idee zu dem Ritual. Sie hatte grundsätzlich eine etwas andere Herangehensweise – Rituale waren für sie etwas, das Sterbliche ihr darbrachten oder in ihrem Namen ausführten, nichts, bei dem sie selbst aktiv war –, aber sie hörte Edward interessiert zu.
Schließlich gestand er: „Ich habe das Wissen, aber nicht die Kraft dazu.“
„Du willst, dass ich deinen Geist beschütze“, stellte Oshun nüchtern fest.
„Genau.“
Oshun überlegte. „Wir sollten lieber erst einmal Cicerón und Shango in Cicerón stärken.“
„Ja, stimmt“, nickte Edward, „Cicerón verstehe ich besser, der ist ein Mensch, und er und ich sind uns ehrlich gesagt ziemlich ähnlich. Jak verstehe ich so gar nicht.“

Das Ritual musste natürlich vorbereitet werden, aber das war Oshun zu langweilig, denn das würde ein paar Stunden dauern. Roberto solle sie rufen, wenn es soweit sei.
„Wir werden Shango wiederfinden“, sagte Roberto zum Abschied.
„Ich verlasse mich darauf“, erwiderte sie, und ging.

Bei dem Ritual hätten wir eigentlich Totilas gerne dabei gehabt, aber der ging nicht an sein Telefon, und über unser gemeinsames Bewusstsein bekamen wir nur mit, dass er … nun ja, sagen wir: ungezügelt der Kampfeslust frönte. Offenbar hatte er, nachdem die beiden abgezogen waren, mehr getan als nur mit Ares zu flirten, und offenbar hatte er dabei der griechischen Gottheit mehr abgesaugt als nur körperliche Lust, sondern eben auch die Lust am Töten, Zerreißen und Knochenbrechen. Ich – und ich glaube, den anderen ging es genauso – wollte gar nicht so genau zu diesem Teil unseres Guardian-Bandes hindenken.

Wie dem auch sei, wir wollten Shango und Cicerón stärken, aber sie waren ja nicht hier, und trotz unseres Bewusstseins für Miami wussten wir nicht, wo sie waren. Aber wir hatten einige Gegenstände von Cicerón und unsere generelle Guardian-Verbindung zu ihm, das musste reichen. Und außerdem würde das Ritual natürlich sehr Santeria-lastig und Shango-bezogen werden, was bedeutete, dass Roberto ein großer Teil dabei zukam. Einen Orisha in einem Sterblichen zu stärken, war nicht weiter schwer; die Gefahr war nur, dass wir eventuell Shango so sehr stärken würden, dass Cicerón darin völlig untergehen könnte. Dieser Balanceakt musste uns irgendwie gelingen: Shango zurückbringen, aber Cicerón darüber nicht verlieren.
Deswegen… ich wusste, ich würde das möglicherweise bereuen, aber ich bot an, beim Ritual mit der Magie des Sommers den Blitzableiter zu spielen. Alex wiederum schützte den Weg, der geöffnet werden sollte, damit nichts mit zurückkäme, das nicht mit zurückkommen sollte.
Oshun hatte von Roberto auch Bescheid bekommen, dass es losging, und stand bereit, um Roberto und Edward mit ihrer Kraft zu unterstützen.

Anfangs ging alles glatt. Edward leitete wie immer das Ritual, und wir konnten spüren, dass er seine Magie genau im richtigen Maß einsetzte, die Balance genau hielt. Aber gerade dieses Maßhalten wurde mit zunehmender Dauer zum Problem, und kurz vor dem Ende drohte Edward die Kraft auzugehen. Wir konnten fühlen, wie Oshun schon einen großen Schub ihrer Orisha-Macht in Edward leiten wollte, aber im letzten Moment zapfte Edward seine letzten Reserven an und schob sie in das Ritual. Es war ein klein wenig zu viel, aber das, was da zu viel war, konnte ich problemlos abziehen und harmlos verpuffen lassen.
Das Problem war nur: Oshun schickte ihre Macht dennoch – was wir von ihr mitbekamen, war ein Gefühl von Shango gehört ihr, und sie ist eine Orisha, und sie will nicht nur daneben stehen, während die Sterblichen ihren Liebsten zu retten versuchen. Sie legte Edward die Hand auf die Schulter, und einen Moment lang konnten wir einen Schwall Wasser und unbändige Liebe zu Shango spüren, während sie ihre Kraft in Edward leitete.
Das würde Cicerón vernichten und nur Shango übrig lassen, und so lenkte ich mit allem, was ich hatte, die gebündelte Stärke der Guardians dagegen. Es gelang mir, einen Großteil des Stroms aufzufangen und auf mich abzuleiten, aber das hatte zur Folge, dass ich mich für den Moment völlig überwältigt fühlte von Oshuns Macht. Aber dann war das Ritual beendet, und wir alle sackten ein bisschen in uns zusammen.

„Wo ist Shango?“, fragte Oshun. „Roberto, ist Shango wiedergekommen?“
„Ich kann Cicerón wieder spüren...“, murmelte Roberto, und ja, das konnten wir tatsächlich alle, auch wenn die Verbindung schwach war und auf- und abebbte wie schlechter Handyempfang.
Und genau das war der Moment, in dem Totilas anrief.

Unser White Court-Kumpel sah extrem zufrieden und gesättigt aus, als wir uns mit ihm trafen, wenn auch etwas blutverschmiert, und er hatte Ares nicht mehr im Schlepptau. Was genau er mit der griechischen Kriegsgottheit angestellt hatte, sagte er nicht, das wollten wir aber auch gar nicht so genau wissen.
Jedenfalls machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach Cicerón. Unsere schwankende Verbindung führte uns zu einem Mann, der wie betrunken die Straße entlangwankte. Er sah ein wenig aus wie Cicerón, aber nicht komplett. Brandwunden, die aber bereits langsam verschwanden, bedeckten seine Haut, und er murmelte vor sich hin: „Shango, Feuer, Kampf, ich bin...“

Seine Augen waren völlig ausgebrannt, nur noch leere Höhlen, aber als wir neben ihm ausstiegen und auf ihn zugingen, Totilas voran, wandte er ihm den Kopf zu.
„Ich kenne dich“, sagte der Mann zögernd, „du bist Totilas.“
„Und du bist Cicerón“, erwiderte unser Kumpel.
„Ich bin Cicerón... Ich bin Shango... Ich bin...“ - seine leeren Augenhöhlen begannen zu flackern, als sich Flammen darin bildeten.
„Shango, du musst zurück in deinen eigenen Körper“, sagte Totilas ernst.
„Das ist jetzt mein Körper“, kam es sofort von der Gestalt zurück.
„Dann willst du also den Outsidern den Sieg überlassen?“
Bei der Frage fauchte Shango und blies flammenden Atem in Richtung Totilas, aber der blieb einfach stehen, und offenbar war der Orisha zu schwach, um dem Weißvampir irgendwelchen Schaden zuzufügen, und gleich darauf brach Shango leise murmelnd in sich zusammen.

Wir sammelten ihn ein und fuhren zurück zu Edward, wo Oshun wartete und dem Bewusstlosen sanft über die Wange strich. „Das ist nur ein Teil von Shango“, sagte sie dann.
„Das ist ein Anfang“, erwiderte Totilas, und die Orisha nickte.
„Ich nehme ihn mit“, erklärte sie, „dann wird der Körper sterben, und der Teil von Shango, der in Menschen fährt, ist dann wieder frei.“

Ähm.

Wir konnten sie dann zum Glück doch überzeugen, dass es eine dumme Idee wäre, Cicerón sterben zu lassen – immerhin gehört er zu Shangos wichtigsten Anhängern, hat ihn gerettet und ist ein wichtiger Teil dessen, was Miami schützt.
Daher akzeptierte sie schließlich den Gedanken, Shangos Selbst in einem anderen Körper wachsen zu lassen, bis er wieder voll bei sich sei. Genug Anhänger, die sich dafür anbieten würden, hat er ja.
„Und da kommt auch schon jemand!“ Der Jemand war Febe, und sie zeigte sich ehrlich entsetzt über das, was Cicerón zugestoßen war. Wir erklärten ihr die Situation, und ich fragte sie, ob sie jemanden kenne, der bereit wäre, Shango in sich aufzunehmen, aber Febe bestand darauf, das selbst zu tun. Es sei auch nicht das erste Mal, sagte sie.
Und so tat sie irgendetwas, wodurch Flammen aus Cicerón in Febe hinüberzogen und Oshun dann Febe innig umarmte. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Febe/Shango lächelte. „Das bekommen wir schon hin“, sagte er/sie, und dann verschwanden die beiden.

Wir hatten indessen auch schon Totilas' Arzt verständigt, der uns ja kennt und keine Fragen stellt, und nun wurde Cicerón von einem Krankenwagen abgeholt. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Cicerón irgendwie wieder der Alte wird – Byron White Eagle hat sich ja von den schweren Verletzungen, die Stefania Steinbach und die Vampire ihm damals beigebracht hatten, auch schneller und besser erholt, alsdie Ärzte das erwartet hätten, und bei Vanessa Gruber war es nach der Sache am Crater Lake genauso. Vielleicht hat ja auch Cicerón Magie genug, dass er wieder wird... Er mag zwar ein Gangster und ein Verbrecher sein, aber er ist auch ein Verbündeter und ein Guardian.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 24.11.2022 | 23:46
Ricardos Tagebuch: Ghost Story - Coda

16. April

Inzwischen war ich auch bei Pan, um mit ihm über Hurricane und unsere Übereinkunft zu sprechen.
Das mit der Wrestling-Schule am Strand geht klar soweit, aber dann erzählte mir Pan, dass er Besuch von Donar Vaderung erhalten habe. Dessen Aussage sei gewesen, die Voraussetzung dafür, dass die Einherjer in Miami bleiben dürften, wäre es, dass sie für einen Angriff auf Eleggua bereitständen. Mierda.

Bjarki ist übrigens wieder entsteinert, grundsätzlich jedenfalls. Ximena erzählt, und wir haben es auch schon bemerkt, dass er immer mal wieder kurzfristig in die Steinform zurückfällt, wenn er unter Stress steht.
Aber es wird langsam schon besser, also besteht Hoffnung, dass er sich mit der Zeit komplett erholen wird.

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18. April

Enrique ist noch in der Stadt, wird wohl auch noch ein paar Tage bleiben, bevor er nach Kuba zurückfährt, wo er jetzt mit Robertos Bruder Carlos eine kleine Bar und eine Bootswerkstatt betreibt. (Und falls die beiden für Cicerón Linares unter der Hand auch irgendwelche illegalen Geschäfte betreiben, will ich das gar nicht wissen.) Jedenfalls haben wir uns gestern abend getroffen, und Jandra freut sich sichtlich, dass Papá Enrique mal wieder da ist. Aber zum Glück war – bisher zumindest – noch nicht wieder die Rede davon, dass Enrique sie mit nach Kuba nehmen will.

Ansonsten... sagte ich schon, dass es sich unfassbar toll anfühlt, mit Lidia verheiratet zu sein?

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20. April

Nachdem ich die letzten paar Tage die Guardians Guardians hatte sein lassen – wir fahren zwar noch ganz offiziell auf Hochzeitsreise, aber dass die nicht sofort stattfindet, sollte nicht heißen, dass ich nicht wenigstens ein paar Tage lang eine Auszeit nehmen und mich voll und ganz meiner Frau und meiner Familie widmen durfte – haben wir uns heute alle getroffen (also ohne Febe und Cicerón, versteht sich).

Ximena erzählte, dass ihre Forschungen bezüglich dessen, wie die Magie der heidnischen Gottheiten funktioniert, recht gut voranschreiten. Was genau dabei bereits herausgekommen ist, das sagte sie allerdings nicht, das sei noch zu früh. Stattdessen kam unvermittelt die folgende Frage von ihr: „Hat eigentlich schon mal wer versucht, mit den Outsidern zu verhandeln?“
„Verhandeln könnte schwierig werden“, gab ich zu bedenken, „immerhin wird man ja korrumpiert, wenn man sich zu viel mit denen abgibt.“
Kaum hatte ich das gesagt, fiel mir noch etwas ein. „Wann bekommt man diese Korruption eigentlich? Wieviel Kontakt braucht es dafür, dass man korrumpiert wird?“
Und diese Frage wiederum brachte mich auf noch einen Gedanken, den ich allerdings wohlweislich nicht aussprach: Ist Ximena eventuell selbst bereits korrumpiert? Hat sie sich schon mit Outsidern abgegeben, und wenn ja, wieviel? Wissen wir da etwas darüber? Eigentlich glaube ich es nicht, ich will es aber auch nicht völlig ausschließen. Eventuell etwas, das wir im Auge behalten sollten.
„Naja“, machte Ximena indessen nachdenklich, „vielleicht könnten wir einen Schutzschirm entwickeln, der die Korruption daran hindert, im Gehirn anzudocken?“

Hm. Auch etwas, das wir vielleicht im Auge behalten sollten. Aber für den Moment fassten wir noch einmal zusammen, welche Baustellen und Probleme wir gerade haben: die Outsider natürlich auf der einen Seite und die Fomori im Meer auf der anderen. Bjarkis Versteinerung ist wie gesagt aufgehoben, wenn es auch noch nicht völlig wieder gut ist.
Nun erzählte Bjarki uns auch, was da eigentlich passiert war. Er hatte bei den Outsidern spionieren wollen und hatte gespürt, dass da ein ziemlich mächtiges Ritual am Laufen war, aber dann war da plötzlich diese Zone, die ihn einfangen wollte und der er nicht entkommen konnte, und dann war seine nächste Erinnerung, dass er zuhause wieder zu sich kam und Tage vergangen waren. Er denke aber nicht so gerne daran zurück, sagte er, weil er sonst wieder versteinere.

Außerdem berichtete ich von meinem Einherjer-Problem und der Forderung Odins, dass sie gegen Eleggua antreten müssten, um in Miami bleiben zu dürfen. Die Einherjer selbst dürften schon nicht sonderlich begeistert von der Idee sein – immerhin waren sie ja absichtlich nicht in Walhalla, sondern eben in Heorot, weil sie nicht die klassischen Kriegertypen sind. Und außerdem: zuzulassen, dass Pan gegen Eleggua ausgespielt und damit ziemlich sicher Alex und ich aufeinander gehetzt werden, das kam für uns alle überhaupt nicht in Frage. Aber was tun?
So richtig eine Lösung fanden wir nicht, aber es kamen einige Ideen zusammen. Odin wieder einen Raben beschaffen, um den zu ersetzen, der ihm genommen wurde – und dessen Verlust vielleicht auch dazu beigetragen hat, ihn zu destabilisieren? Oder, wenn Eleggua einen Abgesandten hat und Pan einen Ritter hat, sollte Odin dann vielleicht auch einen Abgesandten bekommen? Und vielleicht ein Turnier zwischen den Fraktionen, um die Angelegenheit auf diese Weise zu klären?

Wie gesagt, das waren alles noch keine wirklichen Lösungen, aber es sind Ideen, über die es sich weiter nachzudenken lohnt.

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22. April

Ach ja. Sagte ich schon, dass unsere Hochzeitsreise nach Südamerika geht? Es soll so eine Mischung werden aus Kultur- und Abenteuerreise und am Ende auch ein paar Tage Entspannung am Strand. Nicht mehr so lange, dann geht es los!

Oh, und unser kleiner Bernhardiner-Welpe hat jetzt auch einen Namen. Caturra heißt sie, wie die kubanische Kaffeesorte. Und Tío, ist dieser Hund niedlich.

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16. Mai

Zur Einstimmung auf die Hochzeitsreise haben wir gestern Abend Totilas' Geschenk eingelöst. Hach. Das war ein richtig schönes Dinner.

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[über mehrere Wochen folgen etliche Einträge zu den Reisevorbereitungen und schließlich über die Hochzeitsreise selbst]

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23. Juli

Wieder zuhause! Ich fühle mich einerseits, als wären wir monatelang unterwegs gewesen, so viele unterschiedliche Eindrücke haben wir gesammelt und so viel haben wir gesehen und erlebt, und gleichzeitig sind die vier Wochen wie im Flug vergangen.

Mal sehen, ob wir dazu kommen, aus den besten Bildern ein Fotobuch zusammenzustellen. Ich werde auf jeden Fall einige ausdrucken und sie im Nachhinein noch ins Tagebuch kleben.

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26. Juli

Die anderen waren auch schwer beschäftigt, während wir auf unserer Reise waren.
Edward hatte mit seinem Detektivbüro zu tun und Zeit mit seinem Bruder verbracht, und er hat Caturra gehütet, weil sich weder Mamá und Papá noch Lidias Eltern mit Hunden so wohl fühlen. Schneeball hat Caturra gleich unter seine Fittiche genommen – Edward hat erzählt, dass Schneeball sich wie der große Leitwolf benommen hat, aber Caturra ist noch ein Welpe, so dass ihr das wohl herzlich egal war.
Roberto und Alex haben ihre Zeit Oshun und Eleggua gewidmet, Alex außerdem seine Village-Kontakte mal wieder etwas mehr gepflegt, und Totilas war mit White Court-Dingen beschäftigt, von denen ich lieber nicht so genau wissen will, was das alles war. Aber offenbar gab es da mindestens einen Zwischenfall mit den Latin Kings... weil wohl anscheinend Totilas damals in der Nacht, als er mit Ares unterwegs war, eine Gruppe Latin Kings aufgemischt hat und das wohl extrem unschön und blutig war. Ay, Dios, ayudame.

Cicerón und Bjarki geht es deutlich besser, Ilyana auch – die hat sich wohl zu einem Großteil in die Everglades zurückgezogen, um ihren Heilprozess zu beschleunigen.
Febe hat sich mit ihrem 'Mitbewohner' Shango auseinandergesetzt, Ximena weiter die Magie der Gottheiten studiert, und Ángel und Dee haben sich gewissermaßen um die 'Alltagsprobleme' Miamis gekümmert. Außerdem hat Dee am Meer ziemlich ausgeklügelte Wards gegen die Fomori hochgezogen, was einerseits super ist, weil es Miami schützt... aber andererseits war Pan zum Teil gar nicht so begeistert darüber. Da musste ich ein bisschen die Wogen glätten, als ich gestern bei ihm war.
Aber grundsätzlich ist bei Pan alles gut gelaufen – unterbewusst hatte ich ja irgendwie schon ein bisschen befürchtet, dass das große Chaos ausbrechen würde, während ich weg bin, aber dem war zum Glück nicht so. Puh.

Mann, Alcazár. Das klingt ja fast so, als würdest du dich bei Pan für unentbehrlich halten. Nimm dich nicht so ernst, bobo.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 7.12.2022 | 01:18
[Anmerkung: Diese 'Side Story' schoben wir ein, weil von 5 Leuten nur 3 Zeit hatten, und am zweiten Tag der Wochenendsession sogar nur 2. Der Titel ist ausnahmsweise mal keiner von Jim Butcher.]

Ricardos Tagebuch: La Isla Soñada

4. August

Heute Nacht hatte ich im Traum mal wieder Besuch von George. Aber diesmal kam er nicht nur, um zu plaudern, sondern er hatte ein Anliegen.
Im Traum saßen wir am Meer, mit gutem Blick auf ein Spielzeugboot, das vor der Küste auf dem Wasser lag, und George erzählte, dass Johannes Bonifer verschwunden sei, der Bürgermeister der Heinzelfeen, die wir damals während des Supermondes kennengelernt haben. George interessiere sich für die Trauminsel, die irgendwo vor der Küste liege, aber es sei nicht so leicht für ihn, dort hinzukommen, deswegen habe Bonny angeboten, sich das einmal aus der wachen Welt heraus anzuschauen. Er sei losgefahren, aber nicht wiedergekommen, und jetzt sei das doch schon eine ganze Weile her. Ob ich mich nicht der Sache annehmen könne?

Mierda. Was ist da jetzt schon wieder los? Gleich mal die Jungs anrufen, wann wir uns treffen können.

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Totilas und Roberto sind bis unter die Nasenspitze eingespannt und können nicht, aber Edward und Alex haben Zeit. Treffen nachher.

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Haha. Als hätte ich es mir nicht denken können. Alex und Edward sind auch schon auf genau diese Trauminsel gestoßen (worden) – oder zumindest sieht uns das schwer danach aus.

Bei Edward war es erst ein Anruf von und dann das Treffen mit einer gewissen Detective Sophie Bonnechance, die wohl – zusammen mit einem Detective Murgatroyd - jetzt neu im SID ist. (Klar, die brauchten ja Verstärkung; irgendwann konnten Lt. Townsend, Suki Sasamoto und Salvador Herero die übernatürliche Polizeiarbeit nicht mehr alleine stemmen.)
Jedenfalls sagte Det. Bonnechance wohl, sie habe als Teil ihrer Einarbeitung alte Akten gewälzt, und dabei sei sie auf einen Fall gestoßen, wo seit 50 Jahren immer mal wieder Schiffe verschwinden, und in letzter Zeit eben auch wieder neue. Das Muster der Koordinaten, auf denen die Schiffe verschwinden, gleiche einem ∞  – es gebe einige Abweichungen von dem Muster, aber nicht so viele, und die seien alle jüngeren Datums. Lt. Book habe einen Vermerk an die Akte gemacht, der nichts weiter besage als „Bloß nicht!!“, aber was solle das heißen? Ob Edward etwas darüber wisse? Wusste er nicht, aber er hat den Auftrag angenommen, sich das als externer Polizeiberater einmal anzusehen.

Ach ja, gerade vor ein paar Tagen habe ich Edwards Detektivbüro ja schon einmal erwähnt – aber habe ich eigentlich auch schon erwähnt, wie er sich dieses Büro letztendlich eingerichtet hat? Ich glaube nicht.
Ich weiß nicht genau, wie ich mir die Arbeitsstätte von „Parsen Investigations. Rituale & Recherchen“ vorgestellt hätte, aber das, was dabei herausgekommen ist, passt tatsächlich zu Edward wie die Faust aufs Auge. Er hat im Garten neben seinem Haus einen dieser Bürocontainer aufgestellt, wie man sie auch öfter mal auf Baustellen findet. Darin ein Schreibtisch mit einem alten schnurgebundenen Telefon, einem Hängeregister für seine Akten, natürlich ein Schreibtisch mit Bürosessel und Besucherstuhl, aber kein PC, nicht mal eine Schreibmaschine. Seine Berichte und dergleichen schreibt er per Hand, und Dallas Hinkle, die vor einer Weile ein freiberufliches Schreibbüro eröffnet hat, tippt sie ihm ins Reine und erledigt auch seine gesamte Buchhaltung.

Alex wiederum hat gestern am späten Nachmittag einen Mann aus dem Wasser gezogen, der in einer Rettungsweste völlig entkräftet in die Nähe von Alex' Hausboot getrieben war. Es war jemand, den Alex kannte (Überraschung – Alex kennt immerhin alle in dieser Stadt), und zwar ein gewisser Noah, der zu James Vanguards Lykanthropenrudel gehört und der erzählte, dass er bei einem von Vanguards Jobs über Bord gegangen sei. Vanguard habe den Auftrag angenommen, den Personenschutz für einen Milliardär namens Caspian Porter zu stellen, während der irgendwo vor der Küste das Schiff des legendären Piratenkapitäns de la Vega heben wollte, weil dieses Schiff, El Corazón Quemado, einen riesigen Goldschatz beherbergen soll. Die Corazón Quemado solle nahe einer gewissen Trauminsel liegen, habe Porter recherchiert, und die wiederum sei „im Auge des Sturms“ zu finden.

Klar. Der Name Caspian Porter sagt uns natürlich was. Wer kennt den Mann nicht? Einer der reichsten Männer der Welt, auch so ein self-made Tech-Guru wie Musk und Bezos und wie sie alle heißen.
Jedenfalls, erzählte Noah Alex weiter, seien Vanguard und ein paar seiner Leute mit Porter auf dessen Yacht hinausgefahren (offenbar heißt der Kahn Slave Two, weil Porter wohl ein riesengroßer Fan von Star Wars ist. Originell.) und in den bösesten Sturm aller Zeiten geraten. Noah sei über Bord gegangen, weil er sich nicht angeseilt hatte, weil er sich von James Vanguard nichts hatte befehlen lassen wollen, und er habe nur überlebt, weil er eine Rettungsweste getragen habe und Vollmond war.

Alex kümmerte sich um den entkräfteten Lykanthropen und verständigte Xynthia Wong, Vanguards Stellvertreterin, bevor er Noah nach Hause brachte.

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Das Erste, was wir machten, nachdem wir uns gegenseitig unsere Geschichten erzählt und festgestellt hatten, dass wir offenbar gerade aus drei unterschiedlichen Richtungen alle auf dieselbe Sache angesetzt worden sind, war, dass wir im Restaurant 'zum Hirsch' mit Liesel redeten, der Heinzel-Fee, die wir ja von damals auch schon kennen. Sie begrüßte uns sehr herzlich und setzte uns gleich wieder ihren berühmten Karpfen vor, ehe sie erzählte, dass Johannes Bonifer seit dem letzten Vollmond fort sei, also jetzt seit ziemlich genau vier Wochen. Sie wusste von Georges Anliegen und erzählte, Bonny habe mit ein paar Leuten ein Boot umgebaut, damit es mit heinzelmännischer Technomagie (Magotechnik? Es klang jedenfalls alles ziemlich nach Steampunk, was sie da so erzählte) diese Trauminsel würde finden können.
Als Edward nach einer magischen Verbindung fragte, wollte Liesel uns zur Sicherheit nichts von Bonny persönlich geben. Dann etwas vom Umbau des Bootes vielleicht? Ja, da sei eine Gardine übrig geblieben, fiel der jungen Frau schließlich ein, die würde gehen. Außerdem hatte sie noch eine Sternenkarte, auf der sie uns die Richtung weisen konnte, in die Bonifer und seine Leute losgedampft seien, und von der Alex ein Foto machte.

Wieder zurück bei Edward studierten wir die Akten, die Det. Bonnechance ihm überlassen hatte.
Wie die Polizistin schon gesagt hatte, verschwinden seit ca. 50 Jahren Schiffe in einem ungefähren ∞-Muster, fast so, als hätten wir hier unser eigenes Bermuda-Dreieck. Aber offenbar wurde die Sache all die Jahre nicht an die große Glocke gehängt und vom SID nicht weiter verfolgt, vermutlich eben wegen Lt. Books „Bloß nicht!!“-Vermerk. Aber jedenfalls waren es immer so ein bis zwei Schiffe pro Jahr - in jüngster Zeit auch außerhalb des Musters, aber das waren dann wohl eher Fälle, in denen die Fomori Schiffe aufgebracht und versenkt haben.
Das ∞ wirkt jedenfalls, als würde sich die Insel vielleicht bewegen – und wenn dem so ist, dann befindet sie sich vermutlich im Nevernever.

So oder so, von Land aus kommen wir nicht weiter, wir müssen da raus.

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Alex hat uns ein Boot besorgt. Ein Kumpel von ihm hat einen kleinen Kutter, den er uns für die Fahrt zur Verfügung gestellt hat. Das Boot heißt Shakti, und neben dem Namen gibt es darauf noch jede Menge weiterer Hinweise, dass sein Besitzer oder zumindest dessen Vorfahren aus Indien stammen: eine kleine Ganesha-Statue, Girlanden aus Ringelblumen – offenbar Glücksbringer oder etwas in der Art – und ein signiertes Shah Rukh Khan-Filmplakat an prominenter Stelle im Führerhaus.
Alex' Kumpel – Sunil heißt er – gab ihm noch einige Tips zum Umgang mit der Shakti und wiederholte mehrmals, wie wichtig ihm das Filmposter sei, bevor er uns auf dem Kutter alleine ließ und abzog und wir ablegen konnten.

Jetzt sind wir schon etwa eine ganze Weile gefahren, aber bisher ist von einer Insel noch nichts zu sehen. Von einem Sturm, wie Noah ihn erwähnt hat, auch noch nicht.

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Oha. Aber jetzt vielleicht. Vor ein paar Minuten sind kleine Wölkchen am Horizont aufgetaucht, und jetzt zieht sich erschreckend schnell der Himmel vor uns zusammen und wird tiefschwarz. Tagebuch weg... das könnte unschön werden.

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Später. Keine Ahnung, wie spät genau, meine Uhr tut hier nicht.
Hier, das ist diese Trauminsel – wir haben sie gefunden. Aber der Reihe nach.

Ich hatte kaum mein Tagebuch weggepackt und war zu den anderen gekommen, um zu helfen, da brach der Sturm los. In Minutenschnelle wurde die Shakti heftig hin- und hergeschleudert, und Alex hatte alle Mühe, sie durch die turmhohen Wellen zu steuern. Es gelang ihm, aber mehr als einmal krachte die Tür ins Führerhaus auf, so dass Wasser hereinbrach und das Shah Rukh Khan-Poster an der Wand durchnässte. Aber das war uns in dem Moment herzlich egal.

Während der Sturm tobte, bemerkte ich mit einem Mal draußen an Deck eine Gestalt, die sich krampfhaft an der Ankerwinde festklammerte. Ich machte die anderen darauf aufmerksam, band mir ein Seil um (Rettungswesten hatten wir alle schon zu Anfang des Sturms angezogen) und wagte mich hinaus an Deck, während Edward mich sicherte. Kaum war ich aus der Tür, war ich auch schon bis auf die Haut durchnässt, und beinahe wäre ich über Bord gegangen, wenn Edward nicht mein Seil festgehalten hätte.

Die Gestalt war kein Mensch. Oben herum menschlich, aber mit einem Fischschwanz – ein klassischer Meermann also, dem ich jetzt zurief und gestikulierte, er solle ins Führerhaus und in Sicherheit kommen. Hektisch flappte er an mir vorbei und ins Innere, und ich hatte das Gefühl, dass er sich drinnen auffällig fern von mir hielt. Deswegen war es auch Edward, der mit ihm redete:
„Ich bin Edward“, fing er an, „und wie heißt du?“
„Sag ich nich!“
„Okay, Sagichnich, was machst du hier?“
„Das Schiff gehört mir!“

Ja, nein. Alex machte ihm klar, dass die Shakti seinem Kumpel gehört, oder wenn überhaupt, dass der Meermann höchstens den Teil unter Wasser für sich beanspruchen könne, und Sunil der Teil über Wasser zusteht.

Der Sturm gefiel unserem neuen Bekannten nicht. Der sei ganz unnatürlich, kssss. Aber hier drin sei es so trocken. Ich holte ihm einen Eimer, damit er wenigstens seinen Fischschwanz feucht halten konnte, und das nahm er dann auch dankbar, wenn auch weiterhin etwas misstrauisch, an.

Irgendwann hatten wir es durch die wilden Wellen geschafft und erreichten das Auge des Sturms. Hier schien die Sonne, der Himmel war leuchtend blau, und in einiger Entfernung war eine Insel zu sehen. Als wir näher kamen, konnten wir sehen, dass die Insel von Bäumen bewachsen war und dass Vögel darüber hinweg flogen, und am Strand lagen zwei Schiffe: eine Yacht, auf der wir den Namen Slave Two lesen konnten, und ein Boot, das wohl das von Johannes Bonifer und seinen Leuten gewesen sein musste. Dieses Boot war auch tatsächlich bereits ein Stück weit im Ufersand versunken, während die Slave Two noch ganz normal im flachen Wasser ankerte.

Wir ließen den Anker unseres Kutters neben Caspian Porters Yacht ins Wasser und verließen die Shakti – Sagichnich allerdings blieb im Wasser, weil er erstens dem Land nicht traute und zweitens auf das Schiff aufpassen wollte (es – oder wenigstens dessen untere Hälfte – gehöre ja ihm, betonte er).
Während wir an den Strand wateten, drang wir vom Land her leise Musik an unsere Ohren: Es war leise und nicht hundertprozentig zu hören, aber es klang wie die Melodie von Seaside von Diane Warren, Rita Ora, Sofia Reyes & Reik. (Oder zumindest hört es sich für mich so an. Edward sagt, für ihn sei es der Bacardi-Song, und Alex meint, es sei so undefinierbare, in einiger Entfernung spielende Strandmusik.)

Obwohl es hellichter Tag war und die Sonne schien, stand ein Vollmond am Himmel, und uns durchzog ein Gefühl herrlicher Entspannung – relaxter Strandurlaub in Reinkultur. Und der Strand sah so einladend aus, dass ich die Schuhe auszog und dem Gefühl des Sandes zwischen meinen Zehen nachspürte.

Vom Ufer aus konnten wir etliche Leute sehen: James Vanguard und sein Rudel, Johannes Bonifer und seine Heinzelfeen, außerdem zahlreiche andere Personen, in Kleidung ganz unterschiedlicher Epochen, darunter auch Piratenkleidung des 18. Jahrhunderts.

Es kam jemand auf uns zu: eine schöne junge Frau mit bleicher, wirklich kalkweißer Haut und Haaren, dazu ebenso weiße Kleider und volle rote Lippen.
Sie begrüßte uns herzlich als neue Gäste auf der Insel und stellte sich als Legea vor, woraufhin wir ihr natürlich ebenfalls unsere Namen nannten. Dann erklärte sie, sie freue sich sehr, neue Freunde kennenzulernen, und hielt uns auch gleich Begrüßungsgetränke hin. Alex hatte ein Mischgetränk mit Bier, Edward einen süßen Cocktail mit Schirmchen darin, und meiner war säuerlich-fruchtig, aber nicht zu süß, und mir war, als könne ich die Zitrone, mit der die Süße abgemildert wurde, regelrecht riechen. Außerdem war der Drink flambiert: Kleine gebliche Flämmchen tanzten auf seiner Oberfläche, aber als ich davon trank, war das nicht heiß und verbrennend, sondern sehr angenehm und ein bisschen kitzelnd am Gaumen.

Legea plauderte eine Weile mit uns und lud uns ein, uns umzusehen und uns zu entspannen. Und tatsächlich fühlte sich alles hier wunderbar entschleunigt an. Am Abend würden immer Geschichten am Lagerfeuer erzählt, erzählte unsere Gastgeberin dann noch, und sie würde sich freuen, wenn die neuen Freunde heute abend vielleicht auch eine erzählen würden. Na klar, da brauchte sie bei mir sicherlich nicht zweimal anzuklopfen. „Sehr gerne!“

Während ich mit Johannes Bonifer reden ging, der sich freute, mich zu sehen, sich aber auch ziemlich zurückhaltend-respektvoll benahm (vermutlich wegen meiner Position als Ritter des Sommerhofes und weil er denkt, er sei 'nur' ein Wyldfae), sprach Edward mit einem von Vanguards Leuten, einem gewissen Roddy, der offenbar so ein bisschen der 'Clown' des Rudels ist. Er erzählte Edward von der Fahrt der Slave Two durch den Sturm und davon, wie Noah über Bord ging, und dass Vanguard sich sicherlich freuen werde zu hören, dass es Noah gut geht. Außerdem deutete er an, dass Vanguard Edward wohl durchaus mit Respekt bedenkt. Und Roddy erzählte, dass seine Bestie hier auf der Insel trotz Vollmond erstaunlich – und erfreulich – friedlich sei und vielleicht höchstens einmal eine Kokosnuss zerreißen wolle.

Friedlich war das richtige Wort. Die Leute ließen es sich gut gehen: spielten Volleyball, kochten, aßen, unterhielten sich. Caspian Porter, der Milliardär, war der einzige Mensch weit und breit, der aus dem Muster fiel – er saß unter einer Palme, zog ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und brummelte immer wieder Dinge wie: „Langweilig! Laaaaangweilig! Was machen wir hier eigentlich?“
Alex ging zu ihm und zog ihn kurzerhand mit sich, frei nach dem Motto, ob es nicht an Bord seines Schiffes irgendetwas gebe, das sich hier auf der Insel verwenden ließe. Porter sah erst etwas genervt aus wegen der Störung, aber dann sprang er auf den Vorschlag an und erklärte, das sei eine ausgezeichnete Idee, er habe Waffen an Bord. (Das hörte ich natürlich nicht mit eigenen Ohren, das erzählte Alex vorhin).

Zurück von der Yacht kam Porter jedenfalls mit einem mandalorianischen Boba Fett-Helm auf dem Kopf und einem AK-12 und einer Star Wars-Blasterpistole in der Hand. Laut rief er: „Kniet nieder vor mir, ich bin der König der Insel!“ und gab einen Blasterschuss in die Luft ab. Oha – dann funktionierte hier auf der Trauminsel die Attrappe also tatsächlich.
Da sich niemand so recht um das Gehabe des Milliardärs kümmerte, marschierte der zu Vanguard und machte den an, aber der, erstaunlich tiefenentspannt, schaute Porter mit einem „Häh?“ nur verständnislos an. Jedenfalls kniete Vanguard nicht vor Porter nieder, und der Milliardär hatte nichts Besseres zu tun, als mit dem verdammten Star Wars-Blaster auf ihn zu schießen, und der Security-Berater kippte um wie ein Stein.

Während Edward zu dem anderen Lykanthropen eilte (der von dem geträumten Blasterschuss nicht verletzt, sondern nur umgeworfen worden war und sich schon wieder aufrichtete), konfrontierte ich Porter mit einem „Hey, mach mal langsam!“, aber der dachte gar nicht daran, sondern kam auch mir mit seinem „Knie nieder, ich bin der König!“ Daran dachte ich nun allerdings auch nicht im Geringsten, sondern konterte mit „Nein, warum sollte ich?“
Diesmal feuerte Porter auf mich, und ja, der imaginäre Laserstrahl tat tatsächlich ganz schön weh. Verletzt wurde auch ich nicht davon, wie ich einen Moment später sehr erleichtert feststellte, aber auch mich riss der Schuss mit einem schmerzhaften Schlag an der Schulter von den Füßen.

Ich war gerade dabei, mich wieder aufzurappeln und Porter zur Rede zu stellen, da sah ich, wie eine Frau, die klassische Piratenkleidung trug und einen Säbel in der Hand hielt, auf den Milliardär zumarschierte. „He! Was lässt dich glauben, dass du hier irgendwas zu sagen hättest und einfach so die Ruhe stören kannst?“
Porter schoss auf sie, aber sie hielt geistesgegenwärtig den Säbel hin, und der Blasterstrahl wurde harmlos ins Nichts gelenkt. „Scheiß-Jedi!“, knurrte Porter, packte sein Sturmgewehr und feuerte. Aber auch die Kugeln konnte die Piratin mit ihrem Säbel parieren, bis Porter frustriert aufgab – oder besser, bis sein Gewehr leergeschossen war und er grummelnd abzog.

Inzwischen war ich wieder auf den Beinen und ging zu der Piratin hinüber, um sie zu ihren Fechtkünsten zu beglückwünschen. Das Kompliment nahm sie mit einem bescheidenen „Ja, das ging ganz gut“ entgegen und stellte sich dann als Capitán Estrella de la Vega vor Kapitänin der El Corazón Quemado.

Währenddessen unterhielt Edward sich mit Vanguard – Edward sagte danach, Vanguard habe sich gefreut zu hören, dass es Noah gut geht, und er habe auch nochmal bestätigt, dass die Lykanthropen einen Auftrag für Porter angenommen haben und seit ein paar Tagen hier sind. Außerdem habe Vanguard dasselbe gesagt wie dieser Roddy, dass es nämlich so schön entspannt hier sei, dass er höchstens mal seinen Nachtisch zerreißen wolle, sonst nichts.

Ansonsten verging der Rest des Tages tatsächlich sehr friedlich und entspannt. Bonny und seine Leute hatten – aus welchen Materialien auch immer – einen Ofen gebaut, wo sie Pizza backen wollten, und Edward ging ihnen erstaunlich interessiert und engagiert zur Hand. Aber spannenderweise hatte Bonny ihn auch mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Ich half ebenfalls ein bisschen mit, und dann war es auch schon Abend, und alles traf sich zu Pizza, Drinks und Geschichten am Lagerfeuer.
Da mir schon die ganze Zeit die Idee im Kopf herumspukt, auch mal etwas zu schreiben, das nichts mit der Eric Albarn-Reihe zu tun hat, und ich mit dem Gedanken an eine Kurzgeschichtensammlung spiele, wobei das Gerüst für die eine oder andere Kurzgeschichte schon steht, erzählte ich eben genau eine davon. Das klappte auch richtig gut: Alles* hing an meinen Lippen, und die Geschichte hatte einen richtig schönen runden Bogen, und beim Erzählen selbst konnte ich schon das eine oder andere ausfeilen, das in meinem Kopf noch nicht so definiert gewesen war. Ein voller Erfolg also.

Auch unsere Gastgeberin Legea zeigte sich begeistert, und mit einem Mal war sie nicht mehr so kalkweiß, sondern hatte an Farbe gewonnen. Sie wollte gerne noch weitere Geschichten hören, aber nicht mehr heute, denn es wurde ja langsam spät – ein andermal vielleicht? Darauf ließ ich mich gerne ein, denn ein paar Tage werden wir ja wohl hier sein.


*Na gut, fast alles. Caspian Porter hatte ununterbrochen und derart nervtötend genörgelt, dass er irgendwann von Vanguard an einem Baum festgebunden wurde wie der misstönende Barde in den Asterix-Comics. Kommentar Porter: „Sie sind entlassen!“
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.12.2022 | 13:33
Morgens.

Gestern abend saß ich noch eine ganze Weile am Feuer und schrieb das alles auf, aber auch als ich damit fertig war, wurde ich gar nicht richtig müde. Also überlegte ich, ob mir der Name „Legea“ etwas sagte, oder besser, woher ich den Namen kannte. Er klingt irgendwie griechisch, ist aber meines Wissens nach nicht Teil des olympischen Pantheons. Dann fiel es mir ein: Pantheon zwar nicht, aber ich meine, der Name sei mir mal als der einer Sirene untergekommen. Sieh einer an. Spannend.

Irgendwann legte ich mich einfach auf den Rücken ins weiche Gras, die Hände hinter dem Kopf, und schaute in den klaren Himmel mit den Myriaden von Sternen und dem leuchtenden Vollmond, und merkte erst da so richtig, wie der ganze Stress fehlte, der sich in der letzten Zeit so aufgebaut hatte. Keine Sorgen um das Wohlergehen Miamis. Keine Kopfschmerzen am Rande des Bewusstseins an diesem einen Punkt, wo es wehtut, hinzudenken. Keine Bauchschmerzen wegen Jak und den Outsidern oder den dämonischen Denarii. Nichts von dem Stress, den das Sommerrittertum doch immer mal mit sich bringt: keine Sorgen um Pan, um die Einherjer. Und auch, so schön und erfreulich er auch sein kann, nichts von dem Stress, der mit dem Elternsein einhergeht – als Eltern rein mundaner Kinder ohnehin schon, aber um so mehr noch als Eltern magisch begabten Nachwuchses. Monicas Feuermagie, Jandras neue Affinität zum Schwert der Morrigan und den Raben, meine Spannungen mit Enrique deswegen...

Nichts davon, und deswegen konnte ich regelrecht spüren, wie die kreativen Funken, die in letzter Zeit doch etwas abgeebbt waren, ohne dass ich das so richtig gemerkt hatte – oder besser, um die ich mich in letzter Zeit vor lauter anderen Dingen aktiv hatte bemühen müssen – hier regelrecht zu sprühen begannen. Während ich so da lag und in den Himmel schaute, kamen mir tausend Ideen für einen neuen Eric Albarn-Roman, und ehe ich es mir versah, hatte ich den Plot zumindest in groben Zügen im Kopf. Siren's Call wird er heißen. (Aber das Projekt 'non-Eric-Albarn' gebe ich trotzdem nicht auf. Da kamen mir auch schon Ideen.)

Vielleicht bin ich dann doch irgendwann eingeschlafen, oder vielleicht döste ich nur, aber irgendwann wurde ich dann wieder voll wach, und weil es ansonsten noch überall ruhig war, habe ich das hier aufgeschrieben. Aber jetzt fangen die Leute langsam an sich zu regen, bestimmt macht bald irgendwer irgendwas zum Frühstück. Nachher mehr, Römer und Patrioten.

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8. August

Haha. Aus dem 'nachher' wurden zwei Tage. Aber ich komme erst jetzt wieder in Ruhe zum Schreiben. Sorry.

Nach dem Frühstück – Obst und Süßigkeiten, von denen ich mir genausowenig wie bei den Drinks und dem Essen gestern abend größer überlegte, wo sie wohl herkamen – tauchte irgendwann Edward bei mir auf, den ich kurz zuvor noch mit Vanguard hatte reden sehen. „Hier ist irgendein Einfluss“, sagte er ohne größere Umschweife, „diese Musik die ganze Zeit, und ich bin zu entspannt. Es ist Vollmond, aber ich bin viel zu relaxt, um irgendwas zerreißen zu wollen, und Vanguard geht es genauso, hat er eben gesagt. Ich sag dir, hier ist irgendwas los.“

Alex hatten die Heinzelfeen mit Beschlag belegt, und er war vertieft darin, eine Hütte mit ihnen zu bauen. Deswegen machten Edward und ich uns alleine auf zur Mitte der Insel, um einen passenden Ort zu suchen, wo wir herausfinden konnten – naja, wo Edward herausfinden konnte – was genau hier passierte.
Wir fanden eine etwas abgelegene Lichtung, wo Edward einen Kreis ziehen wollte, um sich ganz auf sein Ritual konzentrieren zu können und alle anderen Einflüsse draußen zu halten. Aber er spürte sofort, dass hier eine extrem starke Macht wirkte, die er nicht würde verdrängen können, nicht einmal für kurze Zeit. Deswegen änderte er seinen Ansatz und wirkte das Ritual stattdessen dahingehend, dass es den Einfluss, der hier auf allem lag, lieber visualisierte – das war ganz einfach. Gleich darauf wogte eine türkisfarbene Welle über die Insel, in demselben Takt wie die Musik, die hier unterschwellig überall zu hören ist.

Wobei ich ehrlich bin und sagen muss, dass ich währenddessen gar nicht viel davon mitbekam, was Edward da machte. Eigentlich wollte ich aufpassen, dass niemand kam und uns störte, aber ich hatte schon wieder so viele Ideen, dass ich mich komplett ablenken ließ und vor mich hin träumte.
Wieder in die Gegenwart kam ich zurück, als plötzlich Legea neben mir auftauchte. Sie war mitten durch Edwards Kreis gegangen und hatte den Visualisierungseffekt damit unterbrochen, aber das machte nichts, weil er ja schon gesehen hatte, was er hatte sehen wollen.

Aber wie gesagt, das hatte ich gar nicht so richtig mitbekommen, sondern erst Legeas Stimme direkt neben mir ließ mich aufschrecken. „Ricardo“, sagte sie freundlich, „wie geht es dir? Ich wollte nur noch einmal sagen, wie sehr mir die Geschichte gefallen hat, die du gestern abend erzählt hast.“
Ich bedankte mich, dann unterhielten wir uns sehr angeregt und freundschaftlich, und schließlich fragte ich sie, ob sie tatsächlich eine Sirene sei. Sie erstarrte, und einen Moment lang war ich sicher, jetzt würde sie wütend werden, weil ich es ihr auf den Kopf zugesagt hatte, aber dann war der Moment vorüber, und sie lächelte mich an und gab es zu. Das war ja auch wirklich faszinierend, und ich hatte tausend Fragen an sie, auch und gerade, weil ich ja gestern abend schon beschlossen habe, dass mein nächstes Buch Sirenen zum Thema haben wird, und durch das Gespräch kamen mir noch zig weitere Ideen und nahm die Geschichte festere Formen an. Das erzählte ich auch Legea, und sie freute sich sehr darüber, dass sie quasi meine Muse für den neuen Roman sei.

Dann fragte sie mich, ob ich nicht ihr Ritter werden wolle, aber das lehnte ich ab. Ich bin schon Pans Ritter, und das werde ich sicherlich nicht einfach so aufgeben, und zwei Ritterämter gleichzeitig, das geht nicht.
„Magst du mich?“, wollte Legea dann wissen, woraufhin ich antwortete: „Ja, ich mag dich, aber nicht so.“ Ich hielt meine Hand mit dem Ehering hoch, so dass sie ihn sehen konnte: „Ich bin verheiratet.“ „Wie verheiratet?“ „Sehr verheiratet“, erwiderte ich, „frisch verheiratet nämlich, und ich liebe meine Frau. Und deswegen muss und will ich auch wieder nach Hause.“
Legea machte ein enttäuschtes Gesicht. „Aber doch nicht sofort?“
„Nein, nicht sofort.“
„Ein paar Tage kannst du doch noch bleiben, oder?“
„Naja, ein paar Tage geht sicherlich noch.“
„Ach, das ist schön. Erzählst du dann heute abend wieder eine Geschichte?“
Das sagte ich ihr gerne zu, und daraufhin kam es mir vor, als habe ihr blasses Gesicht noch etwas mehr Farbe angenommen, ehe sie sich fürs Erste verabschiedete.

Natürlich musste ich sofort hinüber zum Ritualkreis und Edward berichten, was ich da gerade in Erfahrung gebracht hatte.
„Ich hab raus, was mit ihr los ist“, informierte ich ihn enthusiastisch, „sie ist eine Sirene. Das ist total spannend! Wir haben uns unterhalten und sie hat mir so viel erzählt und mich so sehr inspiriert, mein nächster Roman ist schon halb fertig im Kopf. Siren's Call wird er heißen!“
„Nur dumm, dass er nie erscheinen wird!“, knurrte Edward, und jetzt fiel mir endlich auf, wie missmutig er dreinschaute und was für giftige Blicke er Legea hinterherschoss. Verstehen tat ich es trotzdem nicht.*
„Hä? Wieso? Wir bleiben noch ein paar Tage hier, aber wenn wir dann wieder zuhause sind, schreibe ich ihn fertig, und dann erscheint er!“
„Mach dir nichts vor“, antwortete Edward grimmig, „wir kommen hier nicht weg!“
„Was? Quatsch! Natürlich kommen wir hier weg. In ein paar Tagen halt...“
Edward schüttelte heftig den Kopf. „Schau dich doch um, guck's dir doch an! Hier ist noch keiner weg, der je hier angekommen ist!“
Ich runzelte die Stirn und überlegte, und ja, jetzt, wo er es sagte... da war etwas dran.
Mierda. Hatte ich mich doch tatsächlich von dieser verdammten Musik hier auf der Insel einlullen lassen!

Wir mussten herausfinden, wo die Musik herkam, und vor allem, wie wir von der Insel wegkommen konnten. Aber nicht nur Alex, Edward und ich, sondern Bonny und Vanguard und alle anderen, die hier gestrandet waren und mitkommen wollten, mussten diese Möglichkeit auch bekommen.
Als der beste Weg, das zu erreichen, erschien es uns, direkt mit Legea selbst zu sprechen.
Ich versuchte, auf unser gutes Verhältnis zueinander aufzubauen, als ich unsere Theorie vor ihr ausbreitete, dass sie die Leute nicht von der Insel weglasse, weil sie sich nach neuen Geschichten sehne und einsam sei.
Edward ergänzte noch, dass hier im Auge des Sturms keine Chance bestehe, andere Sirenen zu treffen, und damit traf er tatsächlich einen Nerv bei Legea. Sie wurde nachdenklich und erzählte uns dann traurig, dass die anderen Sirenen ihre Melodie im Chor zu laut gefunden hätten und sie nicht mehr hätten bei sich haben wollen. Deswegen habe sie sich letztendlich hierher zurückgezogen.
„Wie hat das eigentlich alles angefangen?“
„Mit der Corazón“, erwiderte Legea.
„Und die ging hier an der Insel vor Anker? Wo ist sie denn jetzt? Untergegangen?“
Legea seufzte. „Ich glaube, das sollte ich euch besser zeigen. Das ist leichter, als es zu erklären.“
Sie machte eine Geste, und mitten auf der Insel erschien plötzlich das Wrack eines Segelschiffs aus dem 18. Jahrhundert. Die anderen schauten erstaunt, ließen sich von dem klar übernatürlichen Phänomen aber nicht weiter stören.
„Wo sind denn die anderen Schiffe?“
Ein Zögern von Legea, dann: „Das zeige ich lieber nur euch, nicht den anderen, das könnte sie etwas verstören.“

Wieder wedelte die Sirene mit der Hand, dann befanden wir uns auf einmal auf einer Plattform aus lauter ineinander verkeilten Schiffen unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Bauart. Puta madre, die ganze Insel war nur eine Illusion gewesen! Ich meine, wir hatten ja schon gewusst, dass hier ein übernatürlicher Einfluss wirkte, aber dass wirklich alles eine Illusion war? Mierda.
Alex baute seine Hütte mit nicht vorhandenen Materialien; die jungen Leute spielten Volleyball über einem Netz und mit einem Ball, die beide nicht existierten, und Bonny war dabei, imaginäres Brot zu backen.

Imaginäres Brot. Oh oh. Auf der ganzen „Insel“ gab es nichts zu essen. Und tatsächlich sahen Bonny und seine Heinzelfeen, ebenso wie Vanguard und seine Lykanthropen, schon ziemlich ausgezehrt aus. Alle anderen – das sagte uns Alex, als wir ihn zu uns holten und Legea ihn ebenfalls eingeweiht hatte – waren Geister.
Ja, gab Legea zu, die Leute gingen hier sehr schnell kaputt, deswegen brauche sie ja immer neue.
Verdammt.

Sobald sie die Illusion auch für uns wiederhergestellt hatte, argumentierten wir Legea gegenüber eindringlich, dass sie die Leute gehen lassen müsse: Wenn wir zum Beispiel aus der Insel einen Urlaubsort machen würden, wo die Menschen für eine Woche oder zwei ihre Sorgen vergessen könnten – mit echtem Essen, versteht sich –, dann bekäme sie immer neue Geschichten. Oder, noch besser, vielleicht ließe sich ja eine echte Insel finden, um dieses Urlaubsresort einzurichten?
Dieser Gedanke gefiel Legea aber nicht so gut – sie möge es lieber, wenn die „Insel“ in Bewegung sei.

Jemand anderes aber sprang völlig begeistert auf die Idee an. Irgendwie hatte Caspian Porter uns gehört und fing davon an, das sei seine Idee, und er werde eine Insel finden und das Resort gründen und vermarkten und ein weiteres Vermögen verdienen.

Der Typ nervte. Während er sich in seinen Fantasien erging, zogen Alex, Edward und ich uns zurück, um ungestört und außerhalb von Porters Hörweite nachzudenken.
Bei unserem Brainstorming kamen wir ziemlich schnell auf die Idee, dass ein Kreuzfahrtschiff doch die Lösung wäre: Ständig in Bewegung, und die Gäste wären nur für eine begrenzte Zeit an Bord, aber so lange sie da wären, könnten sie die Entspannung von Legeas Sirenenaura genießen und echte Erholung erfahren. Immer neue Gäste würden immer neue Geschichten für Legea bedeuten – und vielleicht würden manche Leute ja gerne öfter ihren Urlaub an Bord verbringen?

Also zurück zu Legea und der die Idee schmackhaft machen. Nach einigem Überreden und anfänglicher Skepsis erklärte unsere 'Gastgeberin' sich auch tatsächlich dazu bereit – nicht zuletzt, weil Edward sein Argument von zuvor noch einmal aufgriff und anmerkte, dass sie vielleicht endlich wieder andere Sirenen treffen könne, wenn ihr Aufenthaltsort nicht länger getarnt und von einem schweren Sturm unzugänglich gemacht würde. Da zog wieder dieser etwas sehnsüchtige Ausdruck über ihr Gesicht – offenbar machte es ihr doch mehr zu schaffen, aus ihrem Chor ausgeschlossen worden zu sein, als sie das zugeben wollte.
Der Gedanke eines Schiffes gefiel ihr auch deswegen, weil sie möglichst wenig mit George zu tun haben wollte – sie sei eine unabhängige Wyldfae, die sich von George als oberstem Wyldfae von Miami nichts sagen lassen wolle.

Soweit so gut; Legea war also überzeugt. Das Problem war nur: Ich mag zwar durchaus wohlhabend sein, um nicht zu sagen, sogar einigermaßen reich, aber ein Kreuzfahrtschiff kaufe ich nicht einfach mal so.
Aber Caspian Porter! Der zahlt sowas doch aus der Portokasse. Naja, okay, nicht aus der Portokasse, aber leisten kann er es sich problemlos, vor allem, wenn es nicht neu gebaut werden muss, sondern er ein bereits bestehendes kauft und das kein riesiges, hypermodernes Megaschiff ist.

Wenn wir allerdings offen zu ihm gegangen wären und ihm das vorgeschlagen hätten, dann hätte er – so wie wir diesen capullo einschätzen – rundheraus abgelehnt oder untragbare Konditionen gefordert.
Also planten wir, ihn so zu manipulieren, dass er nicht nur mitmachen, sondern auch noch denken würde, es sei seine Idee gewesen, uns dazu zu überreden, dass wir ihn bei dem Plan mitmachen lassen.
Nachdem wir uns gründlich abgesprochen hatten, suchten wir uns einen Ort in Porters Nähe, ließen es aber so aussehen, als seien wir uns gar nicht bewusst, dass er in der Nähe war und hören konnte, was wir sagten. Dann unterhielten wir uns darüber, dass wir ja gehört hätten, dass Porter eine Urlaubsinsel kaufen wolle. Wir müssten ihm zuvorkommen und Legea als Animateurin auf ein Kreuzfahrtschiff holen, dann würde Porter mit seinen Plänen in die Röhre schauen - HA!

Ich hatte schon Angst, wir hätten es übertrieben und Porter hätte uns durchschaut, aber etwas später kam der Milliardär tatsächlich zu uns. Er hätte uns belauscht, und wir könnten das nicht alleine durchziehen, soviel Geld hätten wir gar nicht, wir bräuchten ihn unbedingt als Investor, und im Prinzip sei das ja alles seine Idee gewesen.

Bei den Verhandlungen spielten wir die Scharade weiter. Am Ende hatte er finanziell gesehen den deutlich besseren Deal für sich – Verhandeln ist nicht so wirklich meine Stärke, das übernimmt ja sonst meistens Sheila für mich –, aber die finanzielle Seite war uns (anders, als Porter glauben musste) ja ohnehin nicht so wichtig. Etwas Gewinn wird auch für uns abfallen, und wir müssen nichts draufzahlen, das ist schon mal gut, und die Hauptsache waren für uns ja ohnehin die grundsätzlichen Rahmenbedingungen: ein Kreuzfahrtschiff, auf dem Legea sich wohlfühlt, und auf dem die Gäste nur so lange bleiben, wie sie das möchten, und Legeas Glamour endet, sobald sie von Bord gehen, und natürlich gibt es dort echtes Essen und alle sonstigen Annehmlichkeiten eines Kreuzfahrtschiffs. Und außerdem erreichten wir noch, dass das Schiff unter einer renommierten Flagge fahren und gute Arbeitsbedingungen haben wird – keine Ausbeutung der Angestellten! Zudem war uns wichtig, dass das Schiff zumindest mit Diesel betrieben wird, falls es nicht möglich ist, eines mit Elektroantrieb zu bekommen, aber kein Schweröl-Treibstoff!
Wenn all das passt, dann darf das auch gerne bedeuten, dass wir nicht den großen Reibach daran machen.

Sobald das Geschäft mit Porter in trockenen Tüchern war – gut möglich, dass er versuchen wird, uns über's Ohr zu hauen, aber an Bord seiner Yacht gab es genug Möglichkeiten, die Vereinbarung schriftlich festzuhalten, so dass das, falls er es versuchen sollte, hoffentlich nicht von Erfolg gekrönt sein dürfte –, ging es an die Klärung des genauen Ablaufs.
Legea bleibt auf der Insel, bis alles geregelt und das Schiff zur Abfahrt bereit ist. Das wird nicht über Nacht gehen, sondern sicherlich einige Wochen, oder besser Monate, in Anspruch nehmen, so lange hätten wir nicht überlebt, wenn wir so lange hätten dort bleiben müssen. Deswegen ließ Legea uns Lebende (sprich Vanguard und seine Leute**, Bonifer und seine Heinzelfeen, Caspian Porter und uns) bereits jetzt gehen, und wir versprachen ihr im Gegenzug, im regelmäßigen Turnus freiwillige Besucher samt Proviant auf die Isla Soñada zu schicken, bis das Schiff fertiggestellt ist.

Danach verlief die Rückfahrt beinahe ereignislos. Es hätte zu viel Mühe bedeutet, Bonifers Boot aus der Verkeilung mit all den anderen Schiffen zu lösen, aber Porters Slave Two war noch segeltauglich, und der Kutter, mit dem wir gekommen waren, sowieso.

Porter weigerte sich, Vanguard auf seine Yacht zu lassen, also fuhr der mit uns. 'Sagichnich', der Meermann, hatte indessen tatsächlich keinen Unsinn auf der Shakti angerichtet, sondern mit einiger Ungeduld auf uns gewartet. Und nicht nur er zeigte sich heilfroh, als wir aus dem Sturm und damit aus dem Einflussbereich der Insel wieder herauskamen und Miamis Küste sich wieder näherte. Wobei – ich weiß auch nicht, ob Legea irgendetwas tat, damit wir leichter durch den Sturm kamen, oder ob es an etwas anderem lag, aber auf dem Rückweg wurden wir nicht ganz so arg durchgeschüttelt wie auf dem Weg zur Insel. Genug zu tun für Alex am Steuer und für uns andere, die ihm helfend zur Hand gingen, gab es trotzdem immer noch.

Im Sturm hatten was es uns wegen der ganzen Arbeit nicht so aufgefallen, aber sobald wir die Schlechtwetterzone hinter uns gelassen hatten, merkten wir, dass Legeas Entspannungsaura von uns gefallen war und die Alltagssorgen uns wieder voll im Griff hatten. Aber ich mag es nicht, wenn man mir im Kopf rumpfuscht, deswegen war ich eigentlich sogar dankbar dafür, als sich alles wieder normal anfühlte.


*erst später gestand mir Edward in Andeutungen, dass er tatsächlich sowas wie eifersüchtig geworden war, weil sein bester Freund sich so viel mit Legea abgegeben hatte statt mit ihm, dass es dieser Stich der Eifersucht ihm aber möglich gemacht hatte, den Einfluss der Insel abzuschütteln.

**mit einer Ausnahme. Vanguards einer Mitarbeiter, dieser Roddy, wollte nicht wieder aus Legeas Einflussbereich weg, weil seine innere Bestie in ihrer Gegenwart so wunderbar entspannt sei und er nie wieder die Lykanthropenwut spüren wollte. Also blieb er dort: Wir ließen ihm den Proviant von der Slave Two da, und wenn die ersten Freiwilligen auf die Insel fahren, nehmen die ja auch wieder Vorräte mit.

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Ach ja. Ganz vergessen. Porter hat auch schon einen Namen für das Kreuzfahrtschiff.
Oder genauer gesagt, die Idee hatte ich, Himmel steh mir bei, aber ich hatte sie eigentlich nur als abstruse Schnapsidee in den Raum geworfen und sofort wieder abgetan. Dass Porter so darauf abfahren würde, das konnte ich ja nicht ahnen. Oder vielleicht hätte ich es ahnen können, ich Idiot?
Jedenfalls: Choruscent.
Denn Porter ist ja Star Wars-Fan, aber für den Original-Namen 'Coruscant' wären garantiert die Rechte viel zu teuer, und außerdem: Chorus wie Chor wie Musik wie Sirene. Haha.
Ich finde es herzlich albern, aber wenn er meint.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 26.12.2022 | 10:39
Bloß daß du weißt, daß ich immer noch mitlese. :)

Allerdings verliere ich mal wieder etwas den Überblick. Sehe ich das richtig, daß sich der Hauptplot gerade auf diese "Outsider" konzentriert?
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 26.12.2022 | 12:22
Bloß daß du weißt, daß ich immer noch mitlese. :)

Das freut mich! :)

Zitat
Allerdings verliere ich mal wieder etwas den Überblick. Sehe ich das richtig, daß sich der Hauptplot gerade auf diese "Outsider" konzentriert?

Ja, das ganz lange Langzeitziel wird es wohl sein, die Outsider loszuwerden. Allerdings haben die Jungs, wie sich in "Cold Days" zeigen wird (ich bin schon am Schreiben, aber bis ich den ersten Eintrag dazu fertig habe, wird es wohl noch ein bisschen dauern) auch gerade mit den Auswirkungen von Jaks Mord an Loki und einem extrem wütenden Odin zu schaffen. (Ragnarök, anyone?) Plus Schwarzvampire. Hach. Spaß.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 10.09.2023 | 00:10
Ricardos Tagebuch: Cold Days 1

10. September

Ich habe mit Siren's Call angefangen. Zu meiner Freude stelle ich fest: Es läuft richtig gut!
Ansonsten ist es gerade angenehm ruhig in der Stadt, fast schon verdächtig ruhig. Herrlich viel Zeit, die wir als Familie verbringen können – und damit, Caturra zu erziehen. Die Kleine ist unfassbar niedlich und eine Seele von Hund, aber sie ist ein Bernhardiner. Man kann förmlich dabei zusehen, wie sie wächst.

Aber da ist etwas, das wir bei aller momentanen Ruhe durch unsere Verbindung zu Miami spüren können: Bei Spencer Declans Villa ist wieder mehr Betrieb. So richtig können wir da ja nicht hindenken, aber dass da jetzt mehr Leute ein- und ausgehen, das merken wir trotzdem. Wir haben außerdem gehört, dass Pater Donovan wieder in der Stadt ist. Aktiv in einer Gemeinde arbeitet er wohl noch nicht wieder, aber er ist weiterhin Priester. Die offizielle Lesart ist wohl, dass er eine längere Auszeit in einem Kloster verbracht hat und sich erst wieder akklimatisieren muss.

Mierda. Irgendwie müssen Declan und er aus ihrem Gefängnis rausgekommen sein. Ich hätte nicht gedacht, dass das geht. Aber möglicherweise hatte Fräulein Rottenmeier da ihre Finger im Spiel... Das ist zumindest die einzige Erklärung, die uns einfällt. Wer, wenn nicht die Herrin der verschlungenen Wege, findet sonst einen Ausgang aus eigentlich sicheren Gefängnissen.

Während bei Declans Villa wieder mehr Betrieb ist, halten Jak und Adlene gerade erstaunlich still. Ich will nicht wissen, was die planen – oder wie groß der Klumpen Exkremente sein wird, der den Ventilator trifft, wenn sie wieder auftauchen –, aber es gibt nicht so wirklich etwas, was wir tun können, um in diese Richtung vorauszuplanen. In Sachen Declan und Donovan können wir ja auch nicht wirklich vorausplanen. Nur abwarten und die Augen sehr weit offenhalten.

Cicerón und Febe sind immer noch vor allem damit beschäftigt, sich um Shango zu kümmern und darum, wie man dem Orisha wieder einen eigenen Körper beschaffen kann. Und Cicerón ist auch immer noch nicht wieder völlig auf dem Damm – er hat zwar übernatürliche Heilungskräfte, aber die Verletzungen, die er erlitten hat, heilen auch bei ihm nicht so schnell.

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28. Oktober

Pan hat neue Einherjer, hat Halfðan erzählt. Selbst begegnet bin ich ihnen noch nicht, weil sie sich bisher noch nicht unter Halfðans Truppe gemischt haben. Halfðan sagte, er habe den Eindruck, dass Pan gar nicht so genau weiß, warum die Neuen jetzt eigentlich bei ihm sind, aber dass Odin sie wohl zur Verstärkujng geschickt habe und dass sie sich bereithalten sollen. Für was genau sie sich bereithalten sollen, konnte Halfðan nicht sagen; momentan haben sie (also die Einherjer aus Heorot genau wie die Neuen) keine direkte Order von Odin erhalten, jemanden anzugreifen. Aber die Neuen halten sich offenbar von den Helheim-Touristen fern – und das sei auch gut so, denn, so warnte mich Halfðan, einige von den Neuen seien Berserker, verfügten also im Kampf über die Wut eines Bären.

Halfðan gab mir auch den Rat, die Neuen möglichst weiter von den Helheim-Touristen getrennt zu halten... und falls es mir möglich wäre, solle ich am besten Hel davon überzeugen, doch eine andere Stadt als Miami für die Ausflüge zu wählen. Es gebe da doch bestimmt auch andere hübsche Orte, die sich als Ausflugsziel lohnen.

Ich sagte, ich würde es versuchen, sobald ich mal wieder mit Haley spreche... wann auch immer das sein wird. Ich könnte mir vorstellen, das wird vielleicht ein bisschen schwierig, aber versuchen will ich es.

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2. November

Das war doch mal eine angenehme Überraschung. Halloween und der Dia de los Muertos waren erstaunlich ruhig; kein Vergleich mit den letzten Jahren. Die Barriere zwischen den Welten blieb stabil, und wir hatte nur die ganz normalen Toten zu Besuch. Dass es keinen Ärger gab, so wie in den letzten Jahren immer, war eine große Erleichterung. Trotzdem... auch normale Totenbesuche machen Arbeit, und wir waren jetzt fast 24 Stunden lang auf den Beinen. Gute Nacht.

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3. November

Alex hat uns angerufen. Der hat wohl Neuigkeiten – was für Neuigkeiten genau, wollte er am Telefon nicht sagen. Nachher mehr.

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Später.

Es war Eleggua. Heute Morgen saß der Orisha an Alex' Bett, als unser Kumpel aufwachte, und hatte eine mit nordischen Runen beschriebene Pergamentrolle in der Hand, über die Alex sich schlau machen sollte. Also ging Alex mit Bjarki reden (der übrigens nach seiner Begegnung mit den Denariern immer noch unter einer Art posttraumatischen Belastungsstörung leidet – in fliegende Wesen verwandeln beispielsweise wäre gerade ein übler Trigger für ihn und keine gute Idee) und erfuhr von dem Isländer, dass der zwar eigentlich recht gut Runen lesen kann, dass der Text auf diesem Pergament aber hochgradig verschlüsselt war. Also nicht verschlüsselt mit Zahlen oder Symbolen oder einem verschobenen Alphabet, aber mit Umschreibungen. Verblümt und in Andeutungen – solche Dinge wie zum Beispiel 'dann wirst du mir wohl noch Erbsen mit Salz zu essen geben' als Umschreibung für 'dann werde ich auf deiner Beerdigung sein' und dergleichen – forderte Odin von Eleggua so ziemlich die ganze Stadt als Tribut für Lokis Tod.

Magische Artefakte, Gold, Frauen, Krieger – eben, wie gesagt, quasi die ganze Stadt, und zwar auch Dinge, die Eleggua gar nicht geben kann, und von denen Odin garantiert auch weiß, dass Eleggua sie gar nicht geben kann. Der hauchdünn verschleierte Vorwand eines Ultimatums, mit anderen Worten. Ein konkreter Termin für die Erfüllung von Odins Forderungen, eine Deadline, steht allerdings nicht darin.
Alex weiß schon, dass, wenn er das an seinen Patron weitergibt, der nicht zustimmen wird – es sei denn, er kann Odin bei der Sache irgendwie verarschen, aber wahrscheinlich sagt er einfach kalt lächelnd nein.

Edward wiederum hat sich in letzter Zeit viel um Cassius gekümmert, damit der nicht auf die schiefe Bahn gerät. Also nicht, dass diese Gefahr so übermäßig groß gewesen wäre, aber passieren kann es immer, siehe Enrique, und Edward wollte einfach Zeit mit seinem Bruder verbringen, für ihn da sein. Außerdem studiert er viel seine Ritualmagie und hat Sophie Beaumont seine Dienste als Berater bei den alten Fällen angeboten, mit denen sie sich beschäftigt.
In dem Zusammenhang lernte Edward auch den neuesten Neuzugang beim SID kennen, einen jungen Mann namens Detective Murgatroyd. Das war auch schräg, erzählte er: Detective Murgatroyd starrte ihn die ganze Zeit lang durchdringend an, aber erst löste das lange gar keinen Soulgaze aus. Dann jedoch schauten sich die beiden doch in die Seele, und Edward sah den Cop, der haargenau so aussah wie in der echten Welt und ganz ruhig dastand, während um ihn herum ein unfassbares Chaos herrschte und zahllose Dinge auf ihn einstürmten. Auch eine Art Feuerwesen war da neben Murgatroyd zu sehen und winkte Edward freundlich zu. Edward allerdings war ziemlich überwältigt von der schieren Masse, die er da sah, bevor er aktiv mit einem kräftigen Stoß weggeschoben und der Soulgaze endete. Draußen sah Detective Murgatroyd betreten zu Boden. „‘Tschuldigung, das war jetzt blöd. Das passiert manchmal.“
Von dem, was er in dem Soulgaze bei Edward gesehen haben mochte, schien er jedenfalls nicht im Geringsten erschrocken oder auch nur überrascht.
Auf die Frage „Ist das normal bei dir?“ bekam Edward ein „Ja“ zur Antwort.
„Kann ich mir nicht als praktisch vorstellen“, kommentierte er.
„Ist es nicht, aber so ist es halt, ich kann es nicht ändern.“
„Einfach den Leuten nicht so viel in die Augen schauen?“
„Ja…“, gab Detective Murgatroyd zu, „normalerweise ist das für mich leichter, ich muss nur ein bisschen aufpassen. Aber gerade war ich nervös, weil ich dich getroffen habe, ich habe viel von dir gehört.“
 „Was hast du denn bei mir gesehen?“
„Die Bestie?“ antwortete Murgatroyd in einem verwunderten Tonfall, frei nach dem Motto, wie Edward nur so dumm fragen könne.
„Und das erschreckt dich nicht?“, schoss Edward zurück, aber der junge Cop schüttelte nur den Kopf. „Nee. Da habe ich schon weit Schlimmeres gesehen.“
Ooookay. Das erklärt vielleicht, warum er so abgebrüht ist, aber nicht, was da die näheren Umstände sind, dass ihm das so häufig – und was das für schreckliche Soulgaze-Partner sind, die er da immer sehen muss.

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14. November, nachmittags

Eben ist etwas Schräges passiert. Oder besser, etwas ziemlich Beunruhigendes. Gestern abend schrieb ich gerade noch etwas an Siren's Call, da bin ich über meinem Schreibtisch eingenickt. Im Halbschlaf hatte ich erst eine ziemlich coole Idee mit im Zeitraffer aufblühenden und verwelkenden Magnolien, die ich dringend in das Buch einbauen möchte, ich muss nur noch überlegen, wie, dann tauchte plötzlich George neben dem Magnolienbaum auf. „Ich schulde dir zwei Gefallen“, begann er unvermittelt, „und einen davon will ich einlösen, indem ich dir etwas erzähle.“
„Erzähl“, forderte ich ihn auf, also sprach er weiter: „Manche Leute sind empfindlich für die Schwingungen der Zeit und das, was noch kommt. Und viele von diesen Leuten träumen gerade von einem Winter, wie er nicht nach Miami gehört: von Eis und Schnee und von klirrendem Frost.
„Weißt du, wann dieser Winter kommen soll?“, fragte ich besorgt, denn George würde mich nicht belügen, und um sich von einem der beiden Gefallen zu befreien, würde er auch nichts Triviales auswählen. Aber leider konnte er nicht sagen, wie lange es noch bis zu diesem Winter dauern würde, eben nur, dass die Wahrsagebegabten der Stadt häufig davon träumten. Mierda.

Und, doppel-Mierda., als ich gerade mit Caturra draußen war – es ist meine Aufgabe, sie zu trainieren und mit ihr Gassi zu gehen und all diese Dinge, zumindest die meiste Zeit über, wenn ich nicht gerade verhindert bin –, bildeten sich da tatsächlich Atemwolken in der kühlen Morgenluft. Sie waren bald verschwunden, als die Sonne höher stieg, aber dennoch: Dass es kalt genug ist, damit Kondenswolken entstehen können, ist tagsüber – ich habe es gerade eben nachrecherchiert – zuletzt am 19. Februar 1900 passiert, und auch da lag die Temperatur gerade an der Grenze für Kondenswolken, nicht darunter. Morgens hat es so niedrige Temperaturen schon gegeben, aber nur sehr, sehr selten.

Ich habe eben auch schon mit den Jungs telefoniert – das klingt eilig, also wollen wir uns nicht morgen erst, sondern gleich nachher noch treffen. Abendessen und Kriegsrat, die perfekte Kombination oder so. Totilas kann allerdings so kurzfristig nicht, der ist mit White Court-Dingen beschäftigt. Den wollen wir dann morgen briefen.

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im Auto, in Eile.

Die Jungs haben tatsächlich auch schon bemerkt, dass Kälte in der Luft liegt.

Zwei Fragen. Erstens, wie können wir die Einwohner Miamis vor dem kommenden Winter warnen, und zweitens, wo kommt dieser Winter auf einmal her? Wer schickt ihn? Hat das etwas mit Odins völlig unrealistischen Forderungen an Eleggua zu tun?

„Wisst ihr, was der Unterschied zu sonst ist?“, sinnierte Edward, „Wir werden gewarnt. Normalerweise fällt uns sowas ohne jede Warnung auf die Füße.“
In dem Moment, die Dunkelheit war gerade hereingebrochen, spürten wir, wie am South Beach etwas erwachte. Etwas sehr Altes, Totes, das sehr lange geschlafen hat, aber jetzt aufgewacht ist und Hunger hat.

Natürlich sind wir sofort los, Alex wie immer am Steuer, und ich habe das hier hingekritzelt. Die anderen Guardians wissen auch schon bescheid.

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Gleich da. Sirenengeheul, Leute in Panik. ¡Dios en el cielo, protégenos!
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 10.09.2023 | 21:00
15. November

Uns geht es größtenteils gut. Nur Edward ist etwas angeschlagen, aber nichts allzu Schlimmes, zum Glück.

Als wir ausgestiegen waren, mussten wir uns erst ein Stück gegen den Strom der flüchtenden Menschen kämpfen. Von vor uns kamen Schreie, was uns noch schneller werden ließ.

Am Strand stank es für Edwards feine Lykanthropensinne nach Blut und Angst. Die meisten Leute waren bereits weggerannt, aber da lagen zahlreiche Tote und Verletzte: Ein junger Mann, förmlich zerfetzt, mehrere junge Frauen, die leblos auf dem Bauch lagen, eine andere junge Frau, die vor Schmerzen schrie, Verletzungen ganz unterschiedlichen Grades. Und auch etliche Leute, die überhaupt nicht verletzt schienen – körperlich jedenfalls nicht, aber das seelische Trauma, das sie erlitten hatten, war an ihrer Apathie und ihrem leeren Blick deutlich zu erkennen.

Die Präsenz des Wesens entfernte sich sehr schnell von uns, nach Süden, zum Südende von South Beach an der Landseite – es musste wohl fliegen, anders konnten wir uns das nicht erklären.
Wir eilten zum Auto zurück und fuhren dem Etwas hinterher.
Alex schaltete das Radio ein, und auf dem Lokalsender, den er gerne einstellt, lief gerade schon ein Bericht über einen schrecklichen Angriff: offenbar ein Einzeltäter, ein Weißer, und es seien keine Schusswaffen im Spiel, sondern möglicherweise Hiebwaffen? Aber so klar sei das nicht, die ganze Situation noch sehr undurchsichtig, und selbstverständlich werde man die Hörerschaft weiter auf dem Laufenden halten.

An diesem zweiten Punkt, der Gesu Catholic Church, der ältesten Kirche Miamis, hielt das Etwas sich eine Weile auf und bewegte sich dann weiter in Richtung der Keys – und dann verschwand es, als es die Grenze unseres Bewusstseins für Miami erreicht hatte.
Als wir an der Gesu-Kirche ankamen, fanden wir auch hier wieder zahlreiche Tote vor, auch hier wieder vor allem junge Frauen, auch hier wieder mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und zwar mit voller Absicht so hingelegt, nicht etwa auf den Bauch gefallen, denn die Angriffe waren alle von vorne geschehen.

Entsetzt-aufgeregte Stimmen kamen aus der Kirche, in der etliche Menschen Zuflucht gefunden hatten. Natürlich gingen wir hin, um zu erfahren, was geschehen war, und eine ältere Dame erzählte uns, dass sie gerade von der Andacht gekommen sei und draußen vor der Kirche vier junge Touristinnen gesehen habe, die bester Laune waren und Fotos schossen, und dann sei dieser tot aussehende Mann aufgetaucht, der die Mädchen angegriffen und drei von ihnen aufgeschlitzt und auf den Bauch gedreht habe. Die alte Dame und die vierte Touristin seien in die Kirche geflohen, und dorthin habe der Mann ihnen nicht folgen können, denn seine Füße hätten angefangen zu rauchen. Der Mann habe Spanisch gesprochen, aber ein altertümliches Spanisch, das sie nicht richtig verstehen konnte, irgendwas von ‚Sünde‘ wohl.

Andere Zeugen hatten mehr von dem verstanden, was der tot aussehende Mann von sich gegeben habe: „Die Sünde ist in die Stadt gekommen, die Stadt ist dem Tod geweiht – ich bin ihre letzte Rettung.“
Auch konnten Zeugen beschreiben, was sie zwar gesehen hatten, aber kaum glauben mochten: Der Mann sei aus der Luft gefallen, auf dem Boden aufgekommen und habe unter ständigem Brabbeln eben von ‚Sünde‘ und ‚Rettung‘ seine Angriffe begonnen – so gut wie ausschließlich auf leicht bekleidete junge Leute.

Ein Mann, mit dem Roberto sich unterhielt, hatte eine riesengroße Fledermaus gesehen, die sich aber ungewöhnlich verhielt – er beschäftigte sich offenbar hobbymäßig viel mit Fledermäusen, und diese war nicht nur viel zu groß gewesen, sondern habe auch komische Muster geflogen und sei nicht auf dem Turm gelandet, wie Fledermäuse das üblicherweise täten. Auf dem Turm waren auch tatsächlich keinerlei Spuren von Fledermäusen, geschweige denn von Riesenfledermäusen, zu finden.

Währenddessen rief Edward bei Alison Townsend an, um sie und den SID über die Ereignisse zu informieren. Lt. Townsend war schon im Bilde – die Telefone klingelten unaufhörlich, und sie hatte auch eigentlich keine Zeit, aber direkt, nachdem sie aufgelegt hatte, schickte sie Edward ein Foto von einer Überwachungskamera gegenüber der Kirche. Darauf zu sehen war ein alter, in Fetzen gekleideter und tatsächlich irgendwie verfallen aussehender Mann mit glühenden Augen – ein Black Court Vampir vielleicht?
Sarkos konnte es allerdings nicht sein, der hatte, als wir ihm damals bei der Sache mit den Sturmkindern begegnet waren, nicht tot gewirkt, und außerdem hat Sarkos auch nicht ewig geschlafen.

„Wenn das ein Black Court war“, brummte Edward, „dann hat der sich gerade eben seine ersten Truppen erschaffen.“
Denn Menschen, die am Biss eines Schwarzvampirs sterben, stehen als Vampire wieder auf, wusste Edward – und am South Beach hatten wir ja tatsächlich ein Opfer gesehen, das sich noch bewegt hatte. Noch… oder schon wieder?

Das einzig Gute daran, fiel Edward auch noch ein: Baby-Schwarzvampire können noch nichts, außer unstillbaren Hunger auf Blut haben und Leute zerfetzen wollen. Auch ihren Vampirismus geben sie nicht weiter, wenn sie jemanden beißen – das tun nur die Meistervampire. Die allerdings können zaubern, sich in Tiere und Nebel verwandeln… das volle Dracula-Programm eben, wie Bram Stoker es in seinem Roman beschrieben hat.

Edward hatte gerade noch einmal bei Alison angerufen. Aber weiter als „wir haben ein Vampirproblem“ kam er nicht, da ertönten wie auf das Stichwort Schreie aus der Richtung des Krankenwagens, in dem die drei toten Touristinnen abtransportiert werden sollten. Eine der drei jungen Frauen hatte sich im Arm des Sanitäters verbissen, den dieser offenbar in letzter Sekunde hochgerissen hatte – von ihm kamen die Schreie.

Ich rannte zu dem Krankenwagen und legte meinen patentierten Sonnenlichtzauber über den Kirchenvorhof. Der ist mir inzwischen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich dafür nicht mal stehenbleiben musste. Und der Zauber hatte den erhofften Effekt: Die drei Neuvampirinnen zischten schmerzerfüllt auf und wollten nichts dringender als raus aus dem Licht. Eine von ihnen – eine Rothaarige – kroch unter den Krankenwagen (eigentlich ja inzwischen eher Leichenwagen, aber ich vermute, wer auch immer 911 angerufen hatte, hatte gedacht, sie wären vielleicht noch zu retten), die zweite sprang durch die offene Tür in das Auto hinein, und die dritte kroch eilig zur Kirche. Dort kam sie aber nicht hinein, also krabbelte sie panisch weg.
Roberto wollte auf sie einschlagen, traf aber nicht, weil sie sich schneller bewegte, als er gedacht hatte, und so griff sie nach ihm, anscheinend, um ihn als Schattenspender zu benutzen, aber diesem Angriff konnte Roberto wiederum ausweichen, und so kroch die Vampirin hektisch weiter, während erste Rauchschwaden von ihr aufstiegen. Und das alles wiederum reichte, damit die ersten Umstehenden in Panik gerieten.

Alex war indessen in der Kirche und baute aus einer Sprühflasche für Pflanzen eine improvisierte Weihwasser-Spritzpistole, während er sich der hektischen Fragen der Menschen erwehrte, die natürlich wissen wollten, was in aller Welt draußen los sei. Alex aber ignorierte die Leute und sprang auf den Fahrersitz des Krankenwagens.

Edward rammte sein Handy in die Hosentasche, rannte zu Roberto und griff dessen Gegnerin an. Die wollte nun Edward als Schattengeber packen, aber auch Edward konnte sich diesem Angriff widersetzen.

Ich wiederum richtete nun einen gezielten Sonnenstrahl auf die rothaarige Vampirin unter dem Krankenwagen, dem sie versuchte auszuweichen, indem sie sich davor wegrollte. Dabei allerdings kam sie unter dem Fahrzeug hervor und genau in das Sonnenlicht hinein, das auf dem Kirchenvorplatz lag, und so nahm sie davon einige unschöne Brandwunden.

Während Roberto seine Gegnerin mit dem Brecheisen, das er seit einer Weile immer zu unseren Einsätzen mitnimmt, von den Füßen fegte, begann die dritte Vampirin, die sich ja innerhalb des Krankenwagens befand, sich zu verwandeln. Aber als gerade neu erschaffene Black Court klappte das nicht auf Anhieb, und so rannte Alex zu dem Fahrzeug und spritzte Weihwasser hinein. Die Vampirin selbst traf er in der Hektik nicht dabei, aber immerhin war das Innere des Gefährts nun von Weihwasser benetzt.

Edward trat derweil auf die am Boden liegende Vampirin, aber er traf sie nicht richtig, und er merkte auch, dass ihr das Wenige, das er ihr mit diesem Tritt beifügte, rein gar nichts ausmachte – offenbar war sie nur von Magie so wirklich verwundbar.

Ich versuchte, einen Sonnenstrahl gleich auf beide Vamprinnen zu richten: diejenige, die eben unter dem Auto herausgekommen war, und diejenige, die sich bei Edward und Roberto befand. Das gelang mir auch, und beide Black Courts begannen nun, lichterloh zu brennen, aber in der Aufregung hatte ich einiges mehr an Sommermagie hochgerufen, als ich das normalerweise tue, und von der Anstrengung geriet ich ins Taumeln. Besser nicht mehr so viel Magie nutzen fürs Erste!

Deswegen wandte ich mich dem Sanitäter zu, der mich panisch ansah, am Arm packte und flehte: „Erschießen Sie mich, ich will kein Zombie werden!“ Aber da musste ich gar nicht lange überlegen, um zu wissen, dass es keine, wirklich keinerlei, Chance gab, dass der Mann zum Vampir werden würde, denn er war ja nicht von einem Meister gebissen worden, sondern von einer frisch erschaffenen Black Court. Es gelang mir auch, ihn dahingehend zu beruhigen, dass alles gut sei und er nicht zu einem Zombie mutieren würde.

Die dritte Neuvampirin befand sich ja noch im Krankenwagen. Roberto verkeilte die Tür schnell mit seinem Brecheisen, um sie am Herauskommen zu hindern. Aber sie hatte inzwischen die Gestalt gewechselt, und so sah der auf dem Fahrersitz befindliche Alex im Rückspiegel eine große Fledermaus, die heftig gegen die Trennscheibe zum Führerhaus donnerte. Der Aufprall war so heftig, dass die Scheibe splitterte und bald brechen würde.

Eilig wickelte Edward das Kreuz an einer Halskette, das er dabei hatte, um seinen Handschuh. Die provisorische heilige Waffe würde nicht lange halten, aber für einen Schlag würde es reichen.
Er rannte zu Alex und rief: „Zur Kirche!“
Dann räumte er mit Stentorstimme und seiner ganzen Autorität als Ex-Cop die Menschenmenge zur Seite, während Alex den Krankenwagen die Kirchentreppe hinauf und in das Gotteshaus lenkte.
Ein letztes Mal pockte die übergroße Fledermaus an die innere Scheibe, dann fuhr Alex über die Schwelle, und die konnte die Vampirin nicht übertreten. Also wurde sie im Wageninneren erst nach hinten und dann mit voller Wucht durch die Tür und ins Freie gerissen, wo sie zu rauchen anfing, weil die Szenerie noch immer von magischem Sonnenlicht erhellt war.

Draußen schmetterte Roberto die Vampirin zu Boden und wollte sie mit seinem Brecheisen niederhalten. Der Hobby-Fledermauskundler, mit dem Roberto sich vorher unterhalten hatte, kam neugierig näher und wollte sich das riesige Exemplar ansehen, aber unser Kumpel trieb ihn mit einem „Weg da, die ist gefährlich!“, in das er all seine Ritter-Autorität legte, zurück.

Derweil wurde Alex in der Kirche von dem völlig überforderten Pfarrer angeschrieen, der offenbar bei all den Toten und all dem Chaos in dem Fahrzeug, das da plötzlich in seiner Kirche stand, das einzige sah, das er einigermaßen kontrollieren konnte: „Sie können doch hier nicht einfach reinfahren!!“
Aber Alex hatte ohnehin das erreicht, das er hatte erreichen wollen, und setzte langsam und vorsichtig wieder zurück.

Edward schlug mit seinem magischen und mit dem Kreuz versehenen Handschuh auf die Fledermaus ein, aber so richtig beeindruckte er die Neu-Vampirin nicht damit. Auch Roberto schlug mit seinem Brecheisen noch einmal zu, doch sein Hieb zeigte noch weniger Wirkung. Ich schnappte mir die Flasche mit dem Weihwasser, die da noch lag, und besprühte die Black Court, die zischte und dem Strahl auswich und dann offenbar so hungrig und verzweifelt war, dass sie auf mich lossprang und die Verbrennungen in Kauf nahm, wenn sie nur fressen konnte. Beinahe hätte sie mich auch übel erwischt, aber in letzter Sekunde machten sich meine vielen Ritter-Übungen mit Elaine doch bemerkbar, und ich konnte gerade noch zur Seite springen.

Edward packte die Vampirin und wollte sie über die Schwelle der Kirche ziehen. Kurz sah es so aus, als würde auch dies nicht klappen, aber dann machte er sich gezielt angreifbar, unwiderstehlich für ihren unstillbaren Neugeschaffenen-Hunger. Edward bekam einen schmerzhaften Biss ab, aber den ignorierte er und rannte mit der Vampirin zum Kircheneingang.
Alex, der das vom Krankenwagen aus sah, griff sich eine Decke und sprang aus dem Auto, um die Fledermaus einfangen zu können, falls sie fliehen sollte.

Tatsächlich wollte die Vampirin an der Kirchenschwelle panisch weg – dort wollte, dort konnte sie nicht hinein –, aber Edward hielt sie mit aller Macht gepackt und schleifte sie gegen ihren heftigen Widerstand auf den heiligen Boden, wo sie zu brennen begann. Damit sie nicht doch noch floh, hielt Edward die Black Court weiter fest, auch wenn er dadurch selbst noch einmal einige Brandwunden abbekam.
Alex tauchte seine Decke in Weihwasser und warf sie über Edward und seine Gegnerin – die Flammen auf Edward wurden davon gelöscht, die Vampirin hingegen begann davon sogar noch stärker zu brennen und zerfiel endlich zu Staub.

Ich hatte währenddessen die umstehenden Menschen einigermaßen beruhigt bekommen, aber jetzt kamen die anderen angerannt. „Wir müssen schnell weiter“, sagte Edward drängend, „Alison braucht unsere Hilfe!“
Vorher aber wollten wir noch mehr Weihwasser holen. Ich fragte den Pater, ob er uns nicht noch mehr Wasser weihen könne, aber das musste er gar nicht – er hatte tatsächlich bereits mehrere Kanister voll vorbereitet und auf Lager, und die durften wir alle haben. Perfekt!

Im Auto koordinierten wir uns mit den anderen Guardians. Die Leichen vom South Beach waren bereits abtransportiert und, weil die Krankenwagen aus ganz unterschiedlichen Krankenhäusern gekommen waren, über die ganze Stadt verteilt. Wir teilten uns also auf, um an den unterschiedlichen Hot Spots, wo wir Panik und Aufregung spüren konnten, für Ordnung zu sorgen.

An dem Krankenhaus, zu dem wir fuhren, war oben im Eingangsbereich von Aufregung oder gar Panik nichts zu spüren. Aber unten an der Notaufnahme, wo die Krankenwagen einfahren, überkam uns ein ungutes Gefühl, auch wenn da der Betrieb noch normal wirkte. Und tatsächlich, in der Leichenhalle des Krankenhauses bot sich uns ein Bild des Grauens. Die Belegschaft dort war von den erwachenden Neuvampiren völlig überrascht worden, und es gab keine Überlebenden.

Die beiden Vampire waren derart ungestüm dabei, ihren ersten Hunger zu stillen, dass sie uns zunächst gar nicht bemerkten. Den Umstand machte ich mir zunutze und belegte Edwards magischen Handschuh mit einem Sonnenlicht-Zauber, bevor er losschlug. Dummerweise bemerkte der Vampir, auf den er losging, den Angriff, konnte ausweichen und Edward ein Stück von sich wegdrücken.

Während Alex hinter uns die Tür verrammelte, um den Bereich abzuschotten und eine eventuelle Flucht der Vampire zu verhindern, sprang Roberto Edward zur Seite. Dessen Vampir wandte sich jetzt Roberto zu, um den zu beißen, aber glücklicherweise gelang ihm das nicht.

Ich hatte indessen aus einem der Kanister Weihwasser in einen Glaskolben gefüllt und schleuderte das improvisierte Wurfgeschoss jetzt auf den Neu-Vampir. Das Weihwasser traf den Black Court voll und brachte ihm schwere Verätzungen bei, was die Kreatur fauchen und zischen und sich in meine Richtung wenden ließ.

Jetzt schlug auch Edward noch einmal zu, und diesmal rammte er den Vampir mit seinem sonnenlichtdurchtränkten Handschuh mit voller Wucht und ungespitzt in den Boden, und mit einem letzten Kreischen zerfiel der Black Court zu Staub.
Inzwischen hatte uns auch die andere Vampirin bemerkt und sprang auf Alex zu, der ihr am nächsten stand. Alex konnte ihr ausweichen, aber sie ließ nicht ab von ihm.
Roberto nahm einen der Weihwasser-Kanister und überschüttete sie damit. Auch diese Neu-Black Court zischte schmerzerfüllt und wollte auf Roberto losgehen, aber etwas an ihm – vermutlich seine Santero-Aura – stieß sie ab, so dass sie nur wütend fauchte und sich stattdessen in meine Richtung wandte.

Ich hatte ja auch noch einen Kanister in der Hand und versuchte ebenfalls, sie damit zu treffen. Das klappte zwar nicht, aber als sie auf mich zusprang und ich ihr auswich, schwappte etwas Weihwasser aus dem Kanister auf sie. Es reichte nicht, um sie ernsthaft zu verletzen, aber es war genug, um sie etwas zurückzutreiben. Damit kam sie in Edwards Richtung, achtete aber überhaupt nicht auf ihn, und Edward nutzte die Chance und verpasste ihr einen Schlag mit dem Sonnen-Handschuh, der auch sie zu Staub zerfallen ließ.

Ein kurzes Durchschnaufen, dann sagte uns unser Bewusstsein für Miami, dass die Panik-Hotspots größtenteils verschwunden waren. Ein wenig Unruhe herrschte noch in einem anderen Krankenhaus und am Strand, aber das hatten die anderen Guardians offenbar gut unter Kontrolle, und bald war nur noch 'normale' Unruhe übrig.
Edward rief bei Lieutenant Townsend an, aber die hatte keine Zeit für ihn: „Ich betreibe Schadensbegrenzung – später.“

Bevor wir das Krankenhaus verließen, schloss Alex die Tür zur Leichenhalle ab und hängte ein 'Caution – Area Closed'-Schild daran, das er in einer Abstellkammer mit Putzutensilien fand.

Normalerweise wäre das jetzt vermutlich eigentlich der Moment gewesen, um ins Bett zu gehen, aber wir waren uns alle einig, dass die Situation zu sehr drängte und es noch Dinge zu tun gab.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 11.09.2023 | 18:17
Wir mussten versuchen, herauszufinden, wer dieser Black Court war. Wir mussten mehr über Sarkos herausfinden. Und über die Beziehung zwischen den beiden. Der unbekannte Vampir war in Richtung Everglades aufgebrochen. Wollte er etwa zu Sarkos? Oder hat er einen eigenen Unterschlupf in den Glades? Oder war Sarkos' Unterschlupf vielleicht früher seiner, und Sarkos hatte den Ort übernommen, weil er leer stand? All das konnten wir natürlich nicht mit Sicherheit sagen – aber es ging um die Everglades. Vielleicht wüsste in der Waystation jemand Genaueres über Sarkos oder diesen fremden Black Court?

Jetzt, wo wir etwas Ruhe hatten, überlegten wir, wo genau in unserem Bewusstsein für Miami der Meistervampir aufgetaucht war. Und wo wir so darüber nachdachten, fühlte es sich an wie ein bestimmter Park in Miami Beach.

Während wir zum Muss Park unterwegs waren, klingelte Edwards Telefon. Da längst all unsere Handys mit dem Auto verbunden sind, schaltete Edward auf die Freisprechanlage, so dass wir alle hören konnten, um was es ging. Es war Lieutenant Townsend, und sie hatte keine gute Laune.
Nachdem die Panik-Hotspots aufgetreten waren und wir uns in der Stadt verteilt hatten, war Ximena ja mit Ángel und Bjarki am Strand gewesen, und offenbar war Ximena den Jungvampiren dort ganz unverhohlen mit Feuerbällen zu Leibe gerückt und hatte wohl generell so überhaupt gar nicht mit ihren magischen Fähigkeiten hinter dem Berg gehalten - sie hatte anscheinend derart mit Feuermagie um sich geworfen, dass die Leute die Feuerwehr und die Polizei gerufen hatten, und Lieutenant Townsend beschwerte sich jetzt, dass Ximenas auffälliges Vorgehen ein Problem mit den normalen Cops verursacht hätte.
„Erklär's doch als die Experimente von Chemiestudenten oder als Flammenwerfer“, versuchte Edward seine ehemalige Kollegin zu beruhigen, aber die wiegelte ab. „Geht nicht, die Cops wissen, dass Magie im Spiel war, weil Ximena ihre Visitenkarte verteilt hat! Und da steht drauf, dass sie Magierin sei! Bring sie doch bitte, bitte, bitte dazu, dass sie bitte den Ball flach hält!“
„Roberto ist ihr Cousin“, erwiderte Edward, „vielleicht kann der ihr Vernunft eintrichtern.“
„Besser, es macht jemand auf Augenhöhe, sprich ein Polizist“, antwortete Alison, „oder besser: ein Ex-Polizist. Also du. Und wo wir gerade dabei sind: Gibt es eigentlich noch andere Monster, die demnächst hier auftauchen könnten und auf die wir vorbereitet sein sollten?“
„Drachen hatten wir lange nicht“, sagte Edward in knochentrockenem Tonfall, und Alison schnaubte. „Ich geb's weiter.“
„Können wir uns treffen?“, fragte Edward dann, „Es gibt ein paar Sachen zu bereden.“
Da einigten sie sich aber auf den nächsten Tag – sprich heute –, weil es ja doch schon langsam auf den Morgen zuging und das Treffen jetzt nicht so dringend war.

Die ersten richtig frühen Frühaufsteher waren bereits unterwegs, aber am Muss Park hatten wir noch unsere Ruhe. Ein menschengroßes Loch im Zaun, wie wir das vermutet hatten, war nicht zu sehen, aber in Richtung South Beach war der Zaun an einer Stelle von innen mit großer Gewalt aufgerissen worden. Auf Anhieb konnten wir im Park aber keine Stelle sehen, wo ein Untoter sich aus dem Erdboden gegraben haben könnte oder etwas in der Art. Also war er vielleicht doch aus einem Flugzeug gesprungen oder abgeworfen? Oder vielleicht aus dem Nevernever gekommen?

Aber das konnte Alex verneinen – hier war die Grenze zum Nevernever unbeeinträchtigt und normal (was für Miami eben inzwischen 'normal' ist), und durchgekommen war hier definitiv niemand. Der Vampir musste woanders hergekommen sein.
Alex schaute sich um, ob sich vielleicht ein Geist in der Nähe aufhielt, den er befragen konnte, und tatsächlich: In einem Baum saß – wie immer nur für Alex sichtbar – eine fit wirkende, vielleicht achtzigjährige Dame in Aerobic-Kleidung.
„Alles in Ordnung?“, sprach Alex sie an.
„Nein“, erwiderte sie, „natürlich nicht! Ich bin tot, und die jungen Leute heutzutage machen alle kein Aerobic mehr!“
(Wie immer gebe ich nur wieder, was Alex hinterher erzählte, ich selbst habe den Geist ja nicht gehört.)

Die alte Dame berichtete dann, es seien Leute mit einem Sarg im Park aufgetaucht, hätten den Sarg dann geöffnet und sich sehr schnell davon entfernt. Eine tot aussehende Gestalt sei aus dem Sarg gestiegen – deswegen habe sie sich auch auf den Baum verkrochen, weil diese Gestalt gruselig und beunruhigend wirkte. Die Gestalt sei dann in Richtung South Beach durch den Zaun verschwunden, und daraufhin seien die Leute zurückgekommen und hätten den Sarg wieder mitgenommen.
Was das für Leute gewesen seien, wollte Alex wissen, und bekam zur Antwort, dass sie alle ein wenig heruntergekommen gewirkt hätten, wie Obdachlose, aber der Sarg sei sehr hübsch gewesen. Sie beschrieb den Sarg ebenso wie die Männer ausführlich und erwähnte auch, dass sie einen Geist mit einem gruseligen Halsband dabei gehabt hätten, weswegen sie sich von der Gruppe tunlichst ferngehalten habe. Die Obdachlosen hätten alle etwas – sie fand erst kein rechtes Wort dafür, blieb dann bei 'beschädigt' hängen – sie hätten also alle etwas beschädigt im Hirn gewirkt, seien sich des Geistes, der sie begleitete, aber bewusst gewesen, und einer von ihnen hätte sich sogar mit dem Geist unterhalten. Der Geist habe sie, die alte Dame, auch bemerkt und sie direkt angeschaut, und er habe einen ganz seltsamen Blick gehabt.

Am Ende bot Alex der alten Dame an, sie weiterzuschicken, aber sie lehnte ab, sondern wollte dort in dem Park bleiben, wo sie gestorben war und so viel Freude an der Aerobic gehabt hatte.

Aber das waren interessante und wichtige Informationen, die sie Alex da gegeben hatte. Und das war uns bei der Hochzeit ja auch schon aufgefallen, dass Jaks Anhänger völlig durchgeknallt waren und so wirkten, als hätten sie permanent die Sight offen und könnten sie nicht mehr schließen... es klang fast so, als sei das hier genau dasselbe gewesen.

Bevor wir jedoch weiter darüber nachgrübelten, gingen wir erst einmal auseinander und ins Bett: Es war spät – früh – genug!
Lidia war verständlicherweise etwas besorgt, als ich heimkam – ich hatte ihr zwar eine Nachricht geschrieben, dass sie nicht auf mich warten solle, aber dass es die ganze Nacht dauern würde, das hatte ja vorher niemand wissen können.

Jedenfalls schlief ich erst einmal aus, dann brachte ich Lidia auf Stand, und danach habe ich das hier aufgeschrieben. Aber später wollen wir uns treffen, denn wir wollen ja rausfahren zur Waystation. Immer noch ohne Totilas allerdings, weil der mit seinen White Court-Dingen noch nicht fertig ist. Aber jetzt erst mal was essen und etwas Zeit mit der Familie verbringen. Ich habe so die Befürchtung, dass das in den nächsten Tagen wieder einmal ein bisschen zu kurz kommen könnte...

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Später.

Bevor wir uns trafen, um zur Waystation zu fahren, telefonierte Alex seine Kontakte ab, um etwas über den auffällig gearbeiteten Sarg herauszufinden. Er landete schließlich bei einem Bestattungsunternehmen, das in langjähriger, ja generationen-übergreifender Tradition auschließlich individuelle Maßanfertigungen herstellt: Gegründet zur selben Zeit wie die Stadt Miami selbst, eine sehr pietätvolle, hochwertige Homepage, die guten Geschmack und deftige Preise nur so atmete. Das Adlene Funeral Home, gegründet von Harrison Adlene, einem der ersten sehr erfolgreichen Schwarzen Geschäftsleute Miamis, jetzt geführt von einer Direktorin namens Kayesha Adlene, direkte Nachfahrin von Harrison. Na sieh einer an. Ob dieses Bestattungsunternehmen in irgendeiner Form mit unserem Spezialfreund Adlene verwandtschaftlich verbunden ist, wissen wir nicht, das tut aber auch im Moment nicht unbedingt etwas zur Sache.

Roberto ging derweil mit Ximena reden. Auf die Vorfälle am Strand angesprochen, verstand seine Cousine, was Roberto sagen wollte, aber sie verstand nicht, warum. Es wäre doch langsam an der Zeit, dass es alle wüssten. Wir lebten immerhin im 21. Jahrhundert, sollten die Leute doch wissen, dass Magie existiert, dann könnten sie sich wenigstens vor Vampiren und anderen Monstern schützen. Und es gehe ihr auf die Nerven, dass irgendwelche Typen mit Abzeichen denken würden, sie wären's. Warum müsse sie ausgerechnet ihre Kräfte verstecken und dürfe nicht zeigen, was sie könne? Sie wolle sich nicht von Typen in Uniform herumschubsen lassen. Das verstehe er, erwiderte Roberto, aber...
„… es muss sich etwas ganz grundlegend ändern“, fiel Ximena ihm ins Wort.
„Da hast du nicht ganz unrecht, aber halt bitte trotzdem den Ball flach“, redete Roberto seiner Cousine gut zu und verabschiedete sich dann.

Als er uns bei unserem Treffen von der Begegnung erzählte, ging in meinem Hinterkopf eine klitzekleine Alarmglocke an. Denn ist da nicht was von wegen Outsider-Korruption, wenn man sich zu viel damit beschäftigt? Und hat Ximena nicht in letzter Zeit ziemlich viel recherchiert? Nicht, dass ich das von ihr glaube oder glauben will, dazu mag ich sie viel zu sehr, aber das kleine Stimmchen war eben da, und so sprach ich die Befürchtung – oder nein, eine Befürchtung ist es nicht, aber ein dünnes, warnende Gefühl – auch an.
„Ja“, sagte Roberto, „wenn diese Kacke hier rum ist.“
„Ja...“, erwiderte ich, „wir sollten nur nicht zu lange warten, damit nicht das am Ende die Kacke ist, die dampft.“
Und so verblieben wir, dass wir uns das bei nächster Gelegenheit einmal anschauen sollten.

Aber erst einmal war die Waystation an der Reihe. Selva Elder war nicht sonderlich begeistert, uns zu sehen, aber Totilas war ja diesmal nicht dabei, das beruhigte sie etwas, und so klang sie zumindest halbwegs diplomatisch, als sie fragte: „Trinken, Essen, Reden?“
„In der Reihenfolge“, antwortete ich.
Also gab es Drinks, Gumbo und Burger, und dann, als wir fertig waren, kam Selva wieder zu uns an den Tisch. „Ihr wolltet reden?“
„Setz dich zu uns, nimm dir auch was“, lud ich sie ein, und sie holte sich den teuersten Cocktail auf der Karte – wir zahlten ja.

Dann erzählte sie, dass sie von Sarkos selbst auch gar nicht so viel weiß, dass er aber für einen Schwarzvampir erstaunlich wenig Tote in den Sümpfen hinterlasse und dass er für einen Schwarzvampir auch erstaunlich wenig tot aussehe. Er sei eigentlich nie sonderlich aktiv gewesen, das scheine er aber wohl ändern zu wollen, weil er in letzter Zeit häufiger in der Waystation aufgetaucht sei und jetzt auch bessere Kleidung trage als früher: immer noch schwarz, aber jetzt hochwertiger und mit Silberschmuck. Thralls oder Kultanhänger habe er keine, was für einen Schwarzvampir wohl einigermaßen ungewöhnlich sei. Aber zu Sarkos sollten wir vielleicht besser Jack befragen, fuhr sie dann fort – und erst, als sie unsere entsetzten Gesichter sah, korrigierte sie sich zu „Byron. Ich meine natürlich Byron! Nicht diesen … anderen!“

Über das traditionsreiche Bestattunsunternehmen Adlene wusste Selva nichts Näheres, nur dass Joseph Adlene entfernt zu dieser Familie gehört habe, und sein Neffe Jonathan (hah!) damit dann auch.

Anschließend fragte Selva uns nach den Fomori – „diese Froschleute“ nannte sie sie – und berichtete, dass diese versuchten, sich in den Everglades breitzumachen. „Und die Glades sind groß und weit – wir können leider nicht alles überwachen.“
Wir erzählten ihr über die Fomori, was wir wussten, zum einen, damit die Elders wissen, worauf sie achten müssen, aber auch, damit der Informationsfluss nicht nur in eine Richtung ging.
Edward warnte unsere Wirtin außerdem vor dem kommenden Winter, der verlässlichen Quelle, aus der wir das hätten, und dass es nach Winter rieche und sich nach Winter anfühle, woraufhin Selva meinte, das erkläre so einiges, nämlich dass der Teil der Elder-Verwandtschaft, der sein Leben lieber in Krokodilsgestalt verbringe, in letzter Zeit so träge geworden sei – ganz so, als sei es kalt, und dabei sei es das doch gar nicht.

Und natürlich wollte am Ende einer von Selvas zweibeinigen Verwandten Ärger, obwohl wir eigentlich explizit keinen Ärger wollten und ziemlich lange zu deeskalieren versuchten, sogar Edward. Aber am Ende gab es natürlich doch eine Prügelei – irgendwann kam Edwards Temperament einfach doch durch –, und natürlich flogen wir am Ende hochkant raus. Wie ich das hasse, wenn das Narrativ Einfluss auf die Realität bekommt und sich dadurch nur immer weiter verfestigt!

Zurück in Miami trennten wir uns – Edward hat ja sein Treffen mit dem SID, bei dem er seinen Ex-Kollegen einen Kanister Weihwasser vorbeibringen und eine Einweisung in Schwarzvampire für Dummies geben will, und ich habe da ein paar blaue Flecken und eine blutige Nase, die ich Lidia erklären und vor dem Essen  noch soweit verpflastern muss, dass es den hijas nicht auffällt.

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Gerade hat Halfðan angerufen. Tanit sei im Palast, sagte er, und es klinge nicht gut. ¡Mierda!

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¡Ay, mierda! ¡Mierda y cólera!
Römer und Patrioten, ich fürchte, das könnte ein ziemlicher Fehler gewesen sein, den ich da vorhin begangen habe. Es wird sich zeigen müssen, was sich daraus jetzt ergibt...
Aber der Reihe nach.

Als ich im Palast ankam, war die Stimmung angespannt, und aus Pans Gemächern war ein lauter, ein richtig lauter, Streit zu hören.
Ich blieb vor der Tür stehen und wollte eigentlich warten, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, aber statt leiser wurde der Streit nur immer und immer heftiger, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und vorsichtig das Gemach betrat, weil ich dachte, vielleicht könnte ich eingreifen und deeskalieren helfen.

Kaum war ich im Raum, fuhr Pan zu mir herum und donnerte in einer Stimme, wie ich sie noch nie von ihm gehört hatte: „WAS???“
„Ach, dann bin ich ja offenbar nicht wichtig genug“, schnaubte Tanit spitz und rauschte beleidigt ab, bevor ich auch nur ein Wort herausbringen konnte, um sie vielleicht aufzuhalten.

Auch als Tanit fort war, verbesserte Pans Stimmung sich kein Stück, und mir war klar, dass er sich in dieser bockigen Laune garantiert nicht umstimmen lassen würde, was seinen Handel mit Odin betraf. Er schimpfte über Tanit und die Frauen ganz allgemein, und es klang deutlich durch, dass er diesen Handel mit Odin unter anderem, oder vielleicht sogar vor allem, eingegangen war, eben weil Tanit dagegen war.
„Sie wird mich nicht umstimmen, und du, lieber Ricardo, erst recht nicht.“

Also hielt ich den Ball ganz flach und versuchte in dem Moment tatsächlich nicht, Pan zu überreden, den Handel aufzugeben, sondern lediglich zu verstehen, was denn eigentlich genau Sache war.

Pan erklärte mir, Odin habe ihm die neuen Einherjer angeboten, weil wegen der Bedrohung durch die Fomori ja mehr Schutz benötigt werde, und da das ein vernünftiger Vorschlag gewesen sei, habe Pan gleich zugestimmt.
Okay, sagte ich so neutral, wie ich nur konnte, aber es wäre gut, wenn die neuen Einherjer sich von Haleys Helheim-Touristen fernhalten könnten und umgekehrt, und darauf konnten wir uns einigen. Die Helheim-Touristen werden nicht an den Strand gehen und die Einherjer nicht in die Einkaufszentren und zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, wenn Haleys Touristen gerade dort unterwegs sind.

Anschließend machte ich noch meine übliche Runde im Palast, besuchte Sindri und Edwina Ricarda und redete mit Sir Anders, bevor ich mich verabschiedete und dann auf dem Heimweg ins Grübeln kam. Ich glaube, dass ich Pan und Tanit unterbrochen habe, war überhaupt nicht gut. Vielleicht hätte sie ihn ja doch noch überzeugt bekommen – sie ist zwar Winter, aber sie ist Pans Geliebte und ihm ebenbürtig, während ich kleiner Mensch bei meinem Herzog in keinster Weise etwas reißen kann.

Aber geschehen ist geschehen, und jetzt muss ich sehen, wie ich mit der Situation umgehe. Und vor allem erst einmal den anderen davon berichten.

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Wir waren uns einig, dass wir mit Tanit reden müssten. Aber als Vorbereitung auf das Gespräch mit Tanit suchten wir vorher noch Hurricane auf. Von Edward, der bei Hurricane meistens das Wort führt, auf den kommenden Winter angesprochen, sagte dieser rundheraus, dass Tanits Hof nicht dafür verantwortlich sei. Er könne nicht sagen, was genau der Auslöser sei, aber es fühle sich gut an.
Nein. Tut es nicht. Okay. für eine Winterfee vielleicht. Aber trotzdem. Grrrr.
„Das kann Probleme geben“, entgegnete Edward jedenfalls.
Hurricane grinste. „Manchen schon“, mümmelte er mit einem vielsagenden Grinsen in meine Richtung, und ich musste an mich halten, damit mir keine scharfe Bemerkung herausrutschte, und Edward weiterreden konnte.
„Euch auch, oder?“, fragte der auch schon. „Ich meine, wenn hier jemand an Tanit vorbei den Winter in die Stadt bringt?“
Aber Hurricane zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Nö. Das ist kein Feenwinter, also auch kein Problem. Dann kommt der Winter eben, und wir können ihn genießen, das ist keine Konkurrenz für uns.“
„Wenn es kein Feenwinter ist, was für ein Winter ist es dann?“
„Wie gesagt, ich weiß es nicht genau. Könnte vielleicht was Nordisches sein.“

Das war der Moment, wo etwas in meinem Kopf 'klick' machte.
Nordisch? Der Fimbulwinter? Ragnarök? Weltuntergang? Nicht gegen die Frostriesen, sondern gegen die Orishas? Oder, weil Jak ja Loki getötet hat und jetzt Loki in sich trägt, vielleicht Jak-Loki für die Frostriesen gegen die Asen? Ganz egal wie: Oh, puñeta. Heilige Mutter, steh uns bei.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 20.09.2023 | 16:47
Ricardos Tagebuch: Cold Days 2

16. November

Ach ja. Ich habe gestern völlig vergessen aufzuschreiben, dass wir ja noch die Idee hatten, vielleicht einfach einmal mit Odin zu reden. Auf der Hochzeit hatten wir uns ja immerhin, wenn auch nur kurz, auch unterhalten, bevor der Ärger losging. Mein Anruf bei Monoc Securities allerdings kam nicht durch – ich erreichte nur einen Anrufbeantworter auf Dauerschleife, dass Monoc Securities derzeit keine neuen Aufträge annehme und stattdessen Firma XY empfehle, herzlichen Dank für den Anruf, klick.

Dann eben anders. Wie schon einmal schaute ich irgendwo in die Luft und sprach Heimdall direkt an: Dass wir gerne wieder mit Mr. Vadderung sprechen würden, und dass wir es zu schätzen wüssten, wenn das möglich wäre.

Auf Anhieb geschah nichts, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Heimdall – bzw. Odin selbst – wird sich schon melden, wenn es passt, hoffe ich.

Jetzt wollen wir uns gleich auf der Thethys treffen, Totilas auf Stand bringen und Kriegsrat halten.

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Okay. Dann mal zu dem, was heute passiert ist. Oder genauer, zu dem, was heute passiert ist und zu dem, von dem ich heute früh erfahren habe, obwohl es gestern schon passiert ist.

Als Edward nämlich nach unserem gestrigen Treffen nach Hause kam, fand er dort einen offiziell aussehenden Brief vor, genau wie die 'Steuerbescheide', die er früher immer von Spencer Declan erhalten hatte. Als Absender war auch immer noch 'Spencer Declan, Warden des White Council“ angegeben, und es handelte sich um eine Aufforderung zur Steuernachzahlung für die Zeit von Declans Abwesenheit, 'kulanterweise' ohne Strafzinsen, weil ja während der Zeit keine Zalhungsaufforderungen versandt worden waren.

Also rief Edward bei unserer österreichischen White Council-Bekannten Vanessa Gruber an – und riss sie prompt aus dem Schlaf, weil er die sechs Stunden Zeitverschiebung nicht bedacht hatte.
Vanessa habe sich erfreut darüber gezeigt, dass der Warden nicht von den Fomori erwischt worden sei, wie sie das gedacht habe, woraufhin Edward meinte, er habe sich ein Knurren nicht verkneifen können und geantwortet, die Stadt sei so oder so nicht verloren, das könne er ihr versichern.
Aber jedenfalls habe er den ‚Steuerbescheid‘ geschickt, damit sie sich den einmal anschauen kann.

Als nächstes besprachen wir, dass wir ja Ximena auf Outsider-Korruption überprüfen wollten – zu dem Zweck will Totilas sie mit dem dritten Auge anschauen. Und damit sie nicht merkt, was Sache ist, sollte sie dabei am besten abgelenkt sein, also am Allerbesten bei einer Generalversammlung der Wächter in der Casa Guardián. Zum Glück hatten alle gleich noch am Vormittag Zeit.
 
Die ‚Steuerbescheide‘ waren auch gleich das passende Thema für die Versammlung, denn alle unsere Praktizierer hatten ein solches Schreiben erhalten.
Ximena erklärte auch gleich, sie habe ‚maßvoll, sachlich und angemessen‘ geantwortet. Ähm, ja. Sie gab uns den genauen Wortlaut wieder, und angemessen war das sicherlich, weil diese Steuergeschichte hanebüchener Quatsch ist, aber ‚sachlich und maßvoll‘? Ähm, nein. Das war ein ausgestreckter Mittelfinger in Schriftform. Aber Ximena meinte hitzig, sie sehe so überhaupt nicht ein, was das alles solle.
 
Jedenfalls, während sie sich ereiferte, hatte Totilas Gelegenheit, sie in der Sight anzuschauen, aber er konnte in dem, was er da sah – ein Drache? Feuer? Alles leuchtete um Ximena herum – keinen rechten Sinn erkennen. Er startete einen zweiten Versuch, aber was er dabei sah, war eher noch verwirrender. Hinterher gab er uns gegenüber zu, dass er gedacht habe, wenn er ihr Energie entziehen würde, dann würde er das alles höchstvermutlich verstehen, aber er hielt sich zurück und schloss sein inneres Auge erst einmal wieder.
Dann schrieb er Roberto eine Textnachricht, und die beiden trafen sich im Flur. Dort bat Totilas Roberto, dass der es doch einmal bei seiner Cousine versuchen möge, aber bevor Roberto in den Raum zurückkehrte, ging er erst einmal auf die Toilette, damit es nicht auffallen sollte, dass die beiden gleichzeitig weggewesen waren.
 
Es fiel aber natürlich doch auf. War ja klar. Dee, aufmerksam wie immer, und alles andere als blöd, sprach Ximena an und ging aus dem Zimmer, als Roberto gerade wieder hereinkam, dann folgten Fébé und Ilyana.
Mit einem anklagenden Blick auf Roberto und Totilas und entsprechendem Tonfall sagte Ángel: „Soll ich mit Bjarki vielleicht auch rausgehen? Ich dachte, wir vertrauen uns hier?!?“
„Totilas hat seine Tage“, versuchte Roberto zu scherzen, aber das verfing bei Ángel nicht.
„Ich weiß nicht, was das hier soll, aber es wäre besser, wenn wir mit offenen Karten spielen.“
„Es geht um diese Korruptionsgeschichte“, gab Roberto zögernd zu. „Bestimmte Personen sollten darauf überprüft werden.“ Woraufhin ich ergänzte: „Wir alle, eigentlich.“
Dee funkelte Roberto an. „Und woher sollen wir wissen, dass nicht gerade du die Korruption an dir hast?“
„Deswegen sage ich ja: Wir sollten uns alle gegenseitig überprüfen“, wiederholte ich, und dieser Gedanke fand bei den anderen – inzwischen waren auch alle wieder im Raum – allgemeinen Anklang.
 
Das praktische Wissen darum, wie man das dritte Auge öffnet, haben neben Roberto und Totilas auch Dee, Ximena und Ángel. Auch Cicerón und Fébe könnten es eigentlich, aber da Cicerón noch nicht völlig wiederhergestellt ist und Fébe gerade Shango in sich trägt, fielen die beiden aus.
 
Als unsere Sight-Bewanderten also reihum die anderen und einander anschauten, stellte sich heraus, dass Ximena glücklicherweise keinerlei Hauch von Outsider-Verderbnis an sich trägt, und sie hat auch keine dieser Dämonenmünzen berührt. Was Roberto allerdings an ihr sah, wie er uns später erzählte, war ein sehr großer Stolz darauf, eine fähige Magierin zu sein – noch kein Größenwahn, aber sie ist offenbar im Begriff, mehr Macht anzusammeln. Das könnte vielleicht irgendwann mal ein Problem werden, aber von den Outsidern verursacht oder beeinflusst ist es auf keinen Fall. In Gegenwart der anderen Guardians sagte er, nachdem er sein drittes Auge offenbar mit einiger Mühe geschlossen hatte: „Ich weiß schon, warum ich das nicht mag. Aber keine Korruption.“
 
Tatsächlich hatten alle ein leichtes Problem, ihre Sight wieder zu schließen, vor allem Dee, die sich Totilas vorgenommen hatte. Auch als die Begutachtung eigentlich schon vorbei war, schielte sie immer wieder zu unserem White Court-Kumpel. Aber die gute Nachricht war: niemand von uns war wies Outsider-Korruption aus. Lediglich bei Bjarki fanden sich ganz leichte Spuren von dem Trauma, das er durchgemacht hat; er muss ein bisschen aufpassen, dass er nicht vielleicht doch unter einen Einfluss gerät, aber alles in allem ist es bei ihm schon viel besser geworden. Strukturierte Aktivitäten helfen, das Outsider-Chaos zurückzudrängen, sagte er: aufräumen zum Beispiel oder Logikrätsel machen.
 
Als wir alle für sauber befunden worden waren, konnten wir uns wieder dem eigentlichen Thema zuwenden: Was sollten wir wegen Spencer Declan und den ‚Steuern‘ unternehmen?
Aus Edwards Bericht davon, dass er die Sache offiziell beim White Council vorgebracht habe, ergab sich die Frage, ob wir uns dem Magierrat gegenüber vielleicht formell als Gruppierung zu erkennen geben sollten, aber da war der allgemeine Konsens, dass das vielleicht im Moment noch nicht so klug sei und wir auch Declan gegenüber in dieser Beziehung den Ball flachhalten sollten.
Ich erwähnte, dass ich über Heimdall versucht hatte, Odin wegen der Idee des Fimbulwinters zu kontaktieren, was Bjarki zu der Frage brachte, ob wir von Eleggua gehört hätten. Nein, erwiderte Alex, aber der werde Odins Forderungen ohnehin nicht akzeptieren, soviel stehe schon fest.
Odin habe auch gar kein Anrecht auf ein Wergeld, stellte Bjarki noch einmal ganz klar – aber die Forderung nach Wergeld war ja ohnehin ganz offensichtlich nur ein Vorwand, da werde also wohl ziemlich sicher noch eine förmliche Kriegserklärung folgen, weil Odin eben denke, Eleggua sei an allem schuld.
Cielo. Da können wir ja nur froh sein, dass Odin nicht denkt, ich sei an allem schuld, immerhin war es meine Hochzeit, auf der Loki umkam.
 
Es sei ein wirklich unglücklicher Umstand (okay, „ein bisschen doof“ waren die genauen Worte), dass Odin einen seiner Raben verloren habe, fuhr Bjarki dann fort.
Naja, den Gedanken, dem Asen wieder einen Raben zu beschaffen, hatten wir ja auch schon gehabt. Aber ist das überhaupt möglich? Wo kamen Hugin und Munin ursprünglich her? Waren das normale Raben, die magisch aufgewertet wurden, oder waren die von Anfang an etwas Besonderes?
Bjarki wusste es nicht, aber er meinte, Haley oder Ratatöskr könnten vielleicht mehr dazu sagen.
 
Ratatöskr? Ach so, claro, dieses Eichhörnchen aus der nordischen Mythologie, das auf der Weltenesche herumläuft und Gerüchte verbreitet. Ratatöskr weiß wohl viel, aber alles nur so halb, da ist Haley wahrscheinlich die bessere Informationsquelle.
 
Da ich in letzter Zeit aber ziemlich häufig mit Haley geredet habe und schon diesen Job mit den Helheim-Touristen von ihr habe, und sie außerdem beim letzten Mal ein bisschen genervt klang, als ich sie anrief, beschlossen wir, dass diesmal vielleicht besser jemand anderes (i.e. Totilas) mit ihr reden sollte.
 
Aber zunächst einmal fuhren wir Byron besuchen, nachdem die Guardians-Versammlung sich aufgelöst hatte, weil wir ja wegen des Schwarzvampirproblems und wegen Sarkos mit ihm reden wollten. Haley hinterher.
 
Als wir an der Kommune ankamen, war Bob gerade dabei, eine Kiste mit Rollsplit in den Schuppen zu tragen – den habe er gerade billig bekommen, sagte er, und davon könne man nie genug haben. Quer über der Kiste balancierte eine Schneeschaufel. „Es liegt Winter in der Luft“, sagte Bob auf unsere Frage, „ich bin aus Norwegen, ich spüre das.“ Und vor allem ist er ein magisches Wesen aus Norwegen, hat also vielleicht ein besonderes Gespür gerade für Geschehnisse, die mit der nordischen Mythologie zusammenhängen? Ai, mierda.
 
Byron begrüßte uns mit den Worten: „Ich weiß, warum ihr hier seid. Wegen der Barriere.“
Eigentlich nicht direkt, aber ja, die Barriere war tatsächlich auch ein echt guter Punkt.
„Seit Declan und Donovan da wieder rausgekommen sind, ist der Weg dort permanent geworden“, fuhr Byron mit ernster Miene fort. „Keine Highway, nicht mal eine Dirt Road, aber schon ein Trampelpfad, und es könnten Dinge herauskommen.“
Aber als wir, vermutlich unvermeidlich, bei diesen Worten zu der Stelle hinspürten, bekamen wir sie aber nicht richtig zu fassen. Ja, weit draußen und beinahe außerhalb unseres Miami-Sense-Radius, aber vor allem diese typische Outsider-Verzerrung, wie sie auch bei Spencer Declans Haus herrscht. Nicht ganz so fiese Kopfschmerzen wie bei Declans Haus, aber detailliert hindenken konnten wir trotzdem nicht.
 
„Eventuell muss jemand in den sauren Apfel beißen und sich das verbotene Wissen aneignen“, überlegte Roberto langsam. „Der würde dann korrumpiert, aber vielleicht ist ja eine Reinigung möglich?“
„Bei Saltanda ging es ja auch“, warf Alex trocken ein, was ihm einen schiefen Blick von Edward einbrachte – Totilas und Roberto hingegen juckte die Erinnerung an die Art und Weise, wie dieses Reinigungsritual vonstatten gegangen war, offenbar gar nicht.
„Bei dem Grad an Korrumpierung, den man sich durch das Lernen der verbotenen Inhalte aneignen würde, wäre aber ein sehr starkes Ritual notwendig“, warf Byron ein. „Habt ihr schon eine Idee, wie das aussehen könnte?“
 
Noch nicht, aber vorerst waren wir ja auch wegen etwas anderem hier. Dieser Schwarzvampir, der durch die Stadt marodiert war, war erst einmal das deutlich drängendere Problem.
 
Leider wusste Byron über dieses Thema auch nicht so viel, sondern konnte uns nur sagen, dass die Conquistadores einen Black Court bei sich gehabt hätten, der wohl auch Sarkos zum Vampir gemacht habe. Deswegen sei der auch auf die Conquistadores gar nicht gut zu sprechen.
Tío. Genau diese Geschichte hatten wir ja schon gehört, aber dann ist Sarkos ja wohl wirklich schon richtig alt, das geht mir gerade erst so wirklich auf.
Aber vielleicht gibt es bei dem White Court ja noch etwas mehr an Hintergrndinformationen zu finden, zum Beispiel bei Totilas‘ Urgroßmutter, Großvater, Vater oder in der Bibliothek in Raith Manor.
 
Aber eine andere Frage gab es noch. „Weißt du etwas über Raben als Gedächtnis?“, wollte Totilas wissen. Leider konnte Byron auch dazu nicht wirklich viel sagen – nur, dass es tatsächlich möglich ist, ein Seelentier zu haben, und ja, dass man Teile seines Gedächtnisses auf dieses Seelentier auslagern könne. „Warum fragt ihr?“
 
Also erzählte ich ihm von Odin und dem Rabenproblem.
Byron brummte, dann sagte er: „Irgendwie war klar, dass das genau jetzt passiert. Denn die Sache in den Sümpfen wächst hier seit tausend Jahren – irgendwann zerfallen die Dinge. Ich dachte eigentlich, das sei der Grund, warum ich hier sei…“ Nachdenklich brach er ab, um dann doch noch anzufügen: „All diese Probleme haben ein und dieselbe Ursache. Wegen der Barriere habe ich eine Idee – ich werde mich melden, sobald die spruchreif ist.“
 
„Warum würde jemand seine Seele mit einem Tier verbinden?“, brachte Edward das Gespräch noch einmal auf unser voriges Thema zurück, und wieder gab Byron ein versonnenes Brummen von sich, bevor er antwortete. „Ganz unterschiedliche Gründe“, führte er aus, „es kann dir helfen, drüben Sachen zu sehen. Es kann dir helfen, Traumata zu verarbeiten: Manche Dinge sind leichter zu ertragen, wenn du sie auslagerst. Vielleicht hast du bestimmte Aufgaben, für die du so etwas brauchst, oder du suchst Hilfe. Ein Seelentier kann ein echter Teil von dir werden und dein Leben besser machen, oder vielleicht willst du auch einfach nur mehr Macht. Oder alles gleichzeitig. So oder so verbindet es dich mit der Welt.“
 
Wir redeten noch ein bisschen länger mit Byron, dann verabschiedeten wir uns.
Vom Auto aus rief Totilas bei Marshal an und schickte den zur Recherche über Schwarzvampire in die Raith’sche Bibliothek. Dabei ließ Marshal fallen, dass es in Raith Manor gerade schon wieder einen Sabotageakt gegeben habe, der die Renovierung des Herrenhauses wieder um Monate zurückwerfen wird. Marshal äußerte die Vermutung, dass mit Sicherheit ein anderer Zweig der Familie Raith bzw. eine andere White Court-Familie hinter den Anschlägen stünde, und Totilas stimmte ihm mit grimmiger Miene zu. Dann kam ihm der Gedanke, dass sich vielleicht ein zweites Gebäude, von dem niemand etwas wisse, heimlich aufpolieren ließe – dann könnten die Angriffe auf Raith Manor weitergehen und am Ende, wenn die Renovierung an dem zweiten Haus fertig wäre, könnte man das als neuen Herrensitz präsentieren und das alte Raith Manor aufgeben. Marshal sagte jedenfalls, er wolle sich einmal unaufällig nach geeigneten Objekten umhören.
Als nächstes kontaktierte Totilas Haley, wie abgemacht, und sie vereinbarten ein Treffen für abends an der Oper – weil das neutraler Boden sei, sagte sie. Seltsam… Bisher hat Haley nie auf neutralem Boden bestanden, um sich mit uns zu treffen.
 
Aber jedenfalls war noch den ganzen Nachmittag Zeit, um zu Tanit hinauszufahren. Dummerweise hatte Alex einen dringenden, unaufschiebbaren Termin, sodass wir irgendwie zusehen mussten, wie wir ohne ihn zum Cayo Huracán kamen.
Ein Boot war schnell gemietet, aber die Überfahrt gestaltete sich für Totilas, der am Steuer stand, deutlich schwieriger als gedacht. Nicht nur hatte er in der zunehmend rauhen See Schwierigkeiten, die Richtung zu halten, sondern am Ende rammten wir sogar einen Felsen auf und hatten Glück, dass wir das leckgeschlagene Boot irgendwie wieder in den Hafen bugsiert bekamen.
Statt dass Totilas dem Vermieter den Zusammenstoß mit dem Felsen einfach gestand – seine Versicherung würde die Instandsetzung ja ohnehin übernehmen –, log er dem Mann etwas vom Himmel herunter von wegen, dass wir von Piraten überfallen worden wären und das Boot bei diesem Angriff beschädigt worden sei. Der Bootsbesitzer nahm das sofort sehr ernst und bestand darauf, die Polizei zu verständigen, und wir waren eine ganze Zeit lang damit beschäftigt, uns da wieder herauszuwinden. Und alles dafür, dass am Ende trotzdem Totilas' Versicherung (oder, falls die Versicherung das wegen der Diskrepanzen bei Totilas' Aussage und der Nichtauffindbarkeit der 'Piraten' ablehnt, Haus Raith selbst) für den Schaden aufkommen wird. Seufz. Naja. Wenigstens hatte ich während des Wartens und auch hinterher noch etwas Zeit, um das alles aufzuschreiben, bevor wir uns später mit Haley treffen.

Aber jetzt erstmal Abendessen mit der Familie.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 15.11.2023 | 10:00
Ricardos Tagebuch: Cold Days 3

Abends.

Wir trafen Haley im Café der Oper. Sie trug ihren üblichen Goth Look – schwarzer Anzug und Zylinder, kreidebleiches Gesicht – und nippte gerade an einem Glas Rotwein, als wir ankamen. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Kellnerin uns einen erleichterten Blick zuwarf, als wir uns zu Haley gesellten und die nicht länger allein an ihrem Tisch saß.

Nach durchaus freundlicher Begrüßung fragten wir Haley nach Odin und seinem verlorenen Raben. Könnte man den vielleicht zurückbringen, oder wenigstens ersetzen?
„Nekromantie ist nie gut“, versetzte Haley trocken.
Mir kam ein plötzlicher Gedanke. „Aber ist der Rabe vielleicht ein Einherje geworden?“
Haley schüttelte den Kopf. „Selbst wenn, die Verbindung zu Odin wurde zerstört, als der Rabe starb, und ob Odin so viel kohärenter wäre, wenn er diesen Teil seines Gedächtnisses wiedererlangen würde, das ist auch noch die Frage.“
„Wie meinst du das?“, wollte Totilas wissen, also führte die Ase näher aus: „Loki ist zwar Odins Halbbruder, aber bei der Geschichte mit Baldur war die Tatsache, dass Loki sein Halbbruder ist, Odin auch herzlich egal. Ich glaube, der Zorn wegen Lokis Verlust war nur ein Vorwand – ich glaube, Odin ist einfach nur sauer auf Eleggua. Denn vergesst nicht: Es war ja eigentlich von Elegguas Seite aus noch gar nichts vorgefallen, und trotzdem war Odin sofort misstrauisch und gegen Eleggua eingestellt.“
Das gab uns einigen Stoff zum Nachdenken, auch, da Haley noch ergänzte: „Ich glaube, Odin hat einfach ganz generell die Schnauze voll.“ Was auch immer das heißen sollte.

So oder so aber sprachen wir Haley noch auf unseren Gedanken wegen des Fimbulwinters an. Mit dem Thema hatte unsere Asen-Bekannte sich bislang nicht konkret beschäftigt, aber sie klärte uns auf, dass der Fimbulwinter das erste Anzeichen für Ragnarök, den Weltuntergang, sei: drei Winter ohne Sommer, oder ‚Sommer‘, in denen die Sonne keinerlei Kraft habe, dann werde die Midgardschlange angespült, kann käme ein Schiff, das aus Fingernägeln gemacht sei, und dann würden sich alle umbringen.
„Also wer das erfunden hat, war ganz schön auf Pilzen“, knurrte Edward, woraufhin Haley ein schiefes, beinahe entschuldigendes Grinsen zeigte und zugab, dass die Asen von diesen Erzählungen in eine gewisse Rolle gedrängt wurden, aus der sie nun kaum – vielleicht sogar überhaupt nicht mehr – herauskommen könnten. „Das wurde alles so lange und so oft wiederholt, dass es wahr geworden ist und jetzt geschehen muss.“

Aber vielleicht nicht genau auf diese Weise, setzte Haley gleich darauf hinzu. „Dieser Outsider hat Loki getötet, damit ist Loki jetzt in ihm, also kann es passieren, dass der Outsider jetzt Lokis Rolle übernimmt. Aber wenn er die Prophezeiung soweit ändert, dass er selbst nicht dabei sterben muss, dann wäre das für einen Outsider natürlich perfekt: die Welt zerstört, alle Asen tot, aber der Loki-Outsider selbst noch am Leben und in der Lage, jede Menge Chaos zu stiften.

Autsch. Kein guter Gedanke. Aber mal gar nicht. Das mit dem Loki-Outsider auch, klar, aber vor allem natürlich, dass Odin ernsthaft dabei sein könnte, hier den Weltuntergang vorzubereiten.

Wann wäre denn der Point of no Return, wollten wir wissen; ab wann wäre das Ende der Welt nicht mehr abzuwenden? Sprich, wie lange haben wir, um das irgendwie zu verhindern?
Das wäre, sobald Fenrir die Sonne schluckt und nicht mehr ausspuckt, erwiderte Haley. Aber damit das passiert, müssen ja erst drei Winter am Stück auftreten, also bleibt noch etwas Zeit.

Dennoch. Ich wiederhole mich, aber: Autsch.

„Wo soll dieses Schiff denn landen?“, wollte Totilas wissen. „Ich fürchte, direkt hier“, antwortete Haley, was bei uns – vielleicht unvermeidlich – kurz zu etwas Rumgeblödel führte, ob man das Schiff nicht nach Chicago umleiten könne, das sei doch viel besser geeignet als Miami: Da sitzt doch dieser unsympathische Ratsmagier und Warden, mit dem Edward dieses unschöne Telefongespräch hatte und der zu allem Überfluss auch noch der Ritter der Winterkönigin Mab ist. Und darüber hinaus war Odin selbst ja auch schon einmal in Chicago gewesen, bevor diese ganze mierda losging. Wie gesagt, es war blödes Herumgeflaxe, aber Haley erwiderte relativ ernsthaft, dass eine sehr diplomatische Fraktion vielleicht versuchen könnte zu erreichen, dass Naglfar in Chicago erscheinen würde statt hier. Dabei schaute sie mich vielsagend an, hatte ich den Eindruck, aber… nein. Naglfar in Chicago wäre nicht besser als Naglfar in Miami. Bevor ich so etwas auch nur in Betracht ziehe, muss schon wirklich alles verloren sein.

Totilas hatte eine andere Idee. „Wie wäre es, wenn wir einen Film über Ragnarök drehen lassen und die Ereignisse darin ändern?“
Haley lachte auf. „Warst du in den letzten paar Jahren nicht im Kino? Den Film gab es schon! 855 Millionen Dollar Einspielergebnis! Millionen von Zuschauern! Und hat er was geändert? Hat er nicht, duh!“ Sie wurde wieder ernst und schüttelte den Kopf. „Diese Geschichte wurde vor 1000 Jahren geschrieben und hatte seitdem Zeit zu wirken. Da müsstest du schon das komplette Unterbewusstsein der Menschheit ändern.“
„Mit einem Ritual vielleicht?“, schlug Totilas vor, aber nun war es Edward, der den Kopf schüttelte. „Das würde gegen die Gesetze der Magie verstoßen. Du darfst Leuten nicht im Kopf herumspielen.“

Auch wenn so ein Ritual vielleicht eine Lösung wäre, dieser Aussage konnte ich nur aus vollstem Herzen zustimmen. Habe ich schon gesagt, wie sehr ich es hasse, hasse, hasse, wenn man mir im Kopf herumpfuscht?
Und überdies, waren wir uns auch sehr schnell einig, würde es auch mit neutralisiertem kollektivem Unterbewusstsein der Menschheit zu lange dauern, einen neuen Film mit der entsprechenden Botschaft vorzubereiten, zu produzieren und so zu verbreiten, dass er die gewünschte Wirkung zeigen würde. Also eine weitere Sackgasse. Mierda.

Bevor wir nach dem Gespräch mit Haley auseinander gingen, kamen wir aber noch überein, dass wir morgen nun aber wirklich zu Tanit müssen, auch wenn Alex immer noch damit beschäftigt ist, Eleggua davon abzuhalten, in den Krieg gegen Odin zu ziehen. Wir überlegten ein bisschen, ob vielleicht jemand von den Guardians in Frage käme, um das Boot zu steuern, und landeten bei Dee – die offensichtliche Wahl tatsächlich. Denn als Alex‘ Schwester hat sie zwar vielleicht nicht dessen instinktives und von seiner Tätigkeit für Eleggua verstärktes Talent für Fortbewegungsmittel aller Art, aber sie hat dieselbe Erziehung, dieselbe Kindheit und dieselben gut ausgebildeten mundanen Fähigkeiten. Als wir sie anriefen, war sie sofort voller Verständnis, dass Alex seinen Patron im Zaum halten muss, und erklärte sich bereit, uns morgen zum Cayo Huracán zu bringen.

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17. November

Nachdem wir – wieder bei demselben Bootsverleiher, der eigentlich wenig Lust hatte, uns noch einmal eines seiner Fahrzeuge anzuvertrauen, sich aber von einigen wohlgesetzten Worten, Dees großem Bootsführerschein und dem umfassenden Versicherungsschutz des Hauses Raith doch überzeugen ließ – eine Möglichkeit zur Überfahrt gefunden hatten, brachte Dee uns diesmal tatsächlich sicher zum Cayo Huracán.
 
Tanit empfing uns höflich, hörte uns an und bestätigte noch einmal, dass dieser Winter nicht von den Feenhöfen ausgehe. Ganz ähnlich wie Hurricane vorgestern erklärte auch sie in gleichmütigem und nicht sehr interessiertem Ton, sie sei nicht eifersüchtig, weil eine andere Macht den Winter beschwöre – wenn es ein konkurrierender Feenhof gewesen wäre, vielleicht, aber so empfinde sie das nicht als Bedrohung oder Herabsetzung ihrer eigenen Stellung.
Als Totilas aber erwähnte, dass bei diesem Winter höchstvermutlich die Outsider ihre Finger im Spiel hätten, wurde Tanit doch hellhörig. Dass sie selbst gesagt habe, es sei zu früh für die Outside, ihre, Tanits, Vorbereitungen seien noch nicht fertig, fügte ich noch hinzu.
„Ich fürchte, mein Gegenpart hat einen Einfallswinkel für diese… diese Wesen geöffnet, als er die Einherjer an seinen Hof ließ und den Schutz seines Hofes Odin unterstellte.“

Autsch. Ja, es war natürlich Pan gewesen, der die letztendliche Entscheidung darüber traf, aber die Idee mit den Einherjern war von mir gekommen. Also eigentlich genau genommen von Pan, der den Gedanken nach der Sache mit den Sonnenhaaren hatte, aber ich war es, der die Idee trotz meiner leichten Zweifel aufnahm, noch einmal nach Heorot reiste und die weiteren Einherjer holte. Und ja, die Situation war nach dem Verlust der Sidhe-Ritter dramatisch gewesen, und eine Lösung hatte keinen Aufschub geduldet, aber trotzdem. Autsch.

„Ich habe versucht, ihm das zu erklären“, fuhr Tanit trocken fort, „aber da funkte ja sein Ritter dazwischen.“

Doppel-Autsch. Ich habe mir seither schon mehr als einmal Vorwürfe deswegen gemacht, dass ich den Raum in dem Moment betreten habe, aber die Auseinandersetzung klang so … nun, so hitzig und unversöhnlich. Es ist mir schon mehrfach durch den Kopf gegangen, ob Pan und Tanit einfach so heftig streiten müssen, ob das bei Sommer und Winter nicht anders geht und bei ihnen immer so ist, und ob, wenn ich das Ganze hätte laufen lassen, der Streit nicht am Ende doch in ihrem üblichen Hasslieben-Streit-Versöhnungssex geendet hätte. Und Tanit schien ja jetzt tatsächlich davon auszugehen, dass sie, sobald der Sturm abgeebbt wäre, noch eine Chance gehabt hätte, zu Pan durchzudringen… Ai, mierda. ¡Mierda y cólera!

„Vermutlich hätte es aber ohnehin nicht geklappt“, lenkte die Sturmgottheit nun ein, „er war in letzter Zeit noch störrischer als sonst.“ – ob sie das wirklich glaubte, oder ob sie mich aus Höflichkeit beruhigen wollte, das sei einmal dahingestellt.

Groß weiterhelfen – außer unseren Verdacht des Fimbulwinters weiter zu erhärten – konnte uns die Winter-Herzogin jedenfalls nicht, und so kehrten wir, zum Glück wieder ohne irgendwelche Havarien, nach Miami zurück. Auch der Bootsverleiher zeigte sich extrem erleichtert, dass diesmal alles gutgegangen war und er nicht ein zweites Boot zur Reparatur aus dem Verkehr ziehen musste.

Auf dem Weg vom Hafen zurück ins Stadtzentrum rief Dora vom Donutladen bei Edward an: Eine junge Frau hätte nach uns gefragt. Sie hätte etwas von einem Orkus gesagt und sich Lucretia genannt. Ja, sie sei gerade noch da, sie würde auf uns warten.

Das tat sie auch wirklich. Als wir im Dora’s ankamen, sprang die junge Frau auf, setzte sich dann wieder, und wir gesellten uns zu ihr.

Lucretia sah etwas müde aus, sogar anämisch. Uns allen kam sofort die Idee, dass sich vermutlich ein Schwarzvampir an ihr genährt haben könnte.
„Ich bringe eine Nachricht von meinem Herrn Orkus.“
„Ach, der ist wieder da?“, konterte Edward in etwas sarkastisch-zweifelndem Tonfall.
„Ja“, erwiderte Lucretia, „es war immer nur eine Frage der Zeit, bis er zurückkehren würde. Sarkos wollte aufbegehren, doch dieser Versuch war selbstverständlich zum Scheitern verurteilt. Doch jetzt hat Sarkos‘ alter Feind ihn in seinem Visier.“

Lucretias Stimme klang eindeutig gestelzter und formaler als bei unseren letzten Treffen, beinahe monoton, und ihre Augen wirkten irgendwie glasig. Sie erschien mir deutlich weniger wie sie selbst und mehr wie die reine Inkarnation der Hohepriesterin einer römischen Gottheit.
Plötzlich jedoch wurde ihr rechtes Auge klar, und jemand anderes schaute heraus, schien Lucretia dabei zu beobachten, was sie sagte – oder ihr vielleicht gar die Worte in den Mund zu legen? Dieses Gefühl hatte ich ganz stark.

„Im Moment ist Orkus noch etwas zu geschwächt, um gegen Sarkos‘ Feind vorzugehen, und so bietet Orkus euch die Chance, dem Feind eine Falle zu stellen.“
„Was für eine Falle?“, fragte Roberto.
„Der Feind denkt, Orkus sei Sarkos.“
„Ach, und warum denkt er das?“ Wieder Edward, in demselben sarkastischen Tonfall wie zuvor.
„Sarkos war närrisch und wollte Orkus übernehmen, doch Orkus war natürlich zu mächtig.“
„Hatte Sarkos vielleicht einen von diesen Dolchen?“, wollte ich nun wissen, was Lucretia etwas aus der Rolle der Hohepriesterin fallen ließ und sie wieder mehr wirkte wie das junge Goth Girl, das sie eigentlich ist. „Jaaaaa? Vielleicht?“
„Was für eine Falle?“, wiederholte Roberto.
„Die genaue Beschaffenheit der Falle würde er in seiner Großzügigkeit euch überlassen.“
Hah. Ahahaha.

Wir könnten Orkus heute Abend treffen, sagte Lucretia, in einem kleinen Bistro im Theaterdistrikt. Das Bistro kenne ich sogar – vor einer Weile waren Lidia und ich im Theater und gingen hinterher in genau dort etwas essen. Für ein italienisches Restaurant verwenden sie dort erstaunlich wenig Knoblauch. Damals fiel uns das zwar auf, aber es ließ bei mir keine Alarmglocken klingeln. In diesem Zusammenhang jetzt allerdings regte sich bei mir – und Roberto, der den Laden ebenfalls kannte – das Misstrauen: Ob das vielleicht ein Treffpunkt für Schwarzvampire ist, wie es The Whispers für die Rotvampire war? Und wird das da heute Abend vielleicht eine Falle für uns?
Wir werden hingehen… aber wir werden auf jeden Fall Knoblauch und Weihwasser dabei haben. Und mein patentiertes Sonnenlicht.

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Wir sind von dem Treffen zurück. Unversehrt und ungebissen, wohlgemerkt. Es war tatsächlich keine Falle.

An einem Tisch in dem Bistro saß eine Person, die wir noch von der Auktion damals in Erinnerung hatten: in dunkler Kleidung, vergleichsweise jung und für einen Schwarzvampir verblüffend wenig tot und verfallen aussehend – und definitiv nicht die Gestalt von Orkus, wie wir den in der Gruft auf dem Friedhof kennengelernt hatten, sondern eben die von Sarkos.

Nach der höflichen, aber eher zurückhaltenden Begrüßung begann unser Gegenüber das Gespräch:
„Ich denke, wir haben alle ein gemeinsames Interesse daran, diesen Gegner auszuschalten.“
„Vermutlich schon“, brummelte Edward einigermaßen widerwillig.
Ich schaltete mich ein, bevor der zweifelnde Tonfall meines besten Freundes Anstoß erregen konnte. „Was gibt es über ihn zu wissen?“
„Er ist sehr alt, er ist sehr katholisch, er will die Sünder bestrafen und er glaubt, er tue Gottes Werk.“
Ich hob die Brauen. „Katholizismus und Vamprismus – das ist doch ein kolossaler Widerspruch in sich?“
„Warum?“, fragte Totilas und schien die Frage völlig ernst zu meinen.
Zugegeben, meine Antwort klang vielleicht ein bisschen ungläubig: „Ähm, weil Schwarzvampire keine Kreuze vertragen?“
„Er kasteit sich gerne damit“, erläuterte unser Gesprächspartner.
„Wie heißt er? Also, wie hieß er früher?“
Ein Schulterzucken. „Vielleicht hatte er einmal einen Namen. Aber jetzt nennt er sich nur noch Salvador Ultimo.“

Salvador Ultimo. Der letzte Retter. Hah.

„Und wie stellst du dir das jetzt vor?“
„Salvador sucht Sarkos – er will Rache.“
„Rache? Wofür?“
Das Lächeln unseres Gegenübers war dünn, maliziös und trug einen Hauch von Triumph in sich.
„Er hat nicht ohne Grund 300 Jahre lang geschlafen.“
Totilas schaltete sich ein: „Wer hat ihn denn aufgeweckt, und warum?“
„Das war wohl ein Fehler. Vor etwa dreißig Jahren hat Sarkos gegen einen Gefallen den Körper Joseph Adlene überlassen – der wollte wohl Experimente damit durchführen.“
„Aber warum wurde er dann gerade jetzt wieder aufgeweckt?“
Wieder ein Schulterzucken. „Vermutlich, weil Adlene mit diesen seltsamen Wesen zusammenarbeitet? Aber jedenfalls würde ich es gerne vermeiden, dass Salvador Sarkos und seine Zuflucht findet. Sarkos kann nicht gut gegen Salvador vorgehen, auch wenn er inzwischen stärker ist als Salvador, aber…“

„… er hat dich gemacht“, beendete ich den abgebrochenen Satz.
„Ja.“
„Also bist du gar nicht Orkus.“
Über das Gesicht unseres Gesprächspartners zog ein halb schuldbewusstes, halb schelmisches Lächeln. „Das ist eine zutiefst philosophische Frage. Niemand sonst außer mir ist Orkus. Aber ja, es stimmt schon, ich bin deutlich mehr Sarkos als Orkus.“
Ich nickte. „Und Lucretia wäre dir eine bessere Hohepriesterin, wenn du sie nicht weiter aussaugst.“
Wieder dieser etwas undefinierbare Gesichtsausdruck. „Ja, da hast du wohl recht.“

„Wie hast du dir diese Falle denn nun vorgestellt?“, nahm Edward den Faden wieder auf, und Sarkos führte aus, dass wir Salvador an einen noch näher zu bestimmenden Ort locken sollten. Er, Sarkos, würde sich Salvador zeigen, der würde ihn verfolgen, und Sarkos würde ihn eben zu diesem Ort ziehen, wo wir auf ihn warten würden.
Wie wir miteinander kommunizieren sollten, dazu hatte er auch bereits eine Idee. Nicht Lucretia, wie wir überlegten, sondern er holte eine Kröte aus der Tasche – Moment, der hatte eine lebende Kröte in der Tasche?? – und gab sie uns. „Redet mit der Kröte, ich kann euch über sie antworten. Aber seid vorsichtig – wenn ihr die Kröte mit in die Glades nehmt, bevor der Moment gekommen ist, dann könnte Salvador sie wittern.“

Es war zu spüren, dass Sarkos sich alle Mühe gab, höflich zu sein, aber er konnte nun einmal nicht aus seiner Haut. Er war nun einmal ein eiskalter Meistervampir und entsprechend herablassend, auch wenn er sich bemühte, das nicht zu zeigen.
Aber immerhin hatten wir ein gemeinsames Interesse, nämlich diesen Feind auszuschalten, den wir alle aus dem Weg räumen wollen.

Sobald wir auseinandergegangen waren, beschlossen wir, dass wir für die Detailplanungen der Salvador-Falle natürlich die anderen Guardians mit ins Boot holen müssen, oder zumindest diejenigen von ihnen, die Zeit haben. Und dann treffen in der Casa Guardián.

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Bevor wir uns in der Casa Guardián mit den anderen treffen konnten, bekam Totilas einen Anruf von Marshall Raith, der uns etwas über die Sozialstrukturen des Black Court erzählen konnte: Sie leben üblicherweise in einem Nest, das von einem Meistervampir angeführt wird und ansonsten einige intelligente Sprösslinge und etliche wilde Jungvampire beherbergt. Mit genügend Zeit werden die Jungvampire zu Sprösslingen und diese irgendwann selbst zu Meistervampiren – aber der Großteil kommt nicht so weit, sondern wird noch im ersten Stadium entweder von Menschen oder von den Sprösslingen getötet, wobei die Sprösslinge sich eigentlich recht gut unter Kontrolle hätten, sagte Marshall. Für den Meistervampir jedenfalls sei die Kontrolle umso schwerer, je mehr Unterlinge er unter sich habe – und im Umkehrschluss ist ein großes Nest ein Hinweis auf einen mächtigen Meistervampir.

Marshall hatte auch Informationen über Salvador Ultimo herausgefunden – zwar nicht den Namen des Mannes selbst, aber immerhin den Namen eines Schiffes, der Santa Clara.

Vor dem Treffen mit den anderen wollen wir erst noch dieses Schiff recherchieren – vielleicht kann das ja auch etwas zur späteren Planung beitragen.

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Nachdem Totilas einige Kontakte abtelefoniert hatte, Edward Zeitungen wälzte und ich das Internet durchforstete, landeten wir schließlich bei einem Museum, das alte Seefahrtsarchive beherbergte, darunter auch jahrhundertealte Schiffsmanifeste. Und im Manifest der Santa Clara fanden wir unter anderem den folgenden Eintrag:

Sarg des Caballero Juan Ramos de Alcazár

¿Que demonios?

Ich wiederhole mich, aber: ¿¡Que demonios!?

Okay, die Namensgleichheit muss nicht bedeuten, dass dieser Caballero wirklich ein Vorfahr oder entfernter Verwandter von mir ist, aber trotzdem. Das muss ich erst einmal verdauen.

Oh, und die Tatsache, dass der Leichnam in dem Sarg als Caballero bezeichnet wird und nicht als Mönch, dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Juan Ramos de Alcazár nicht der wahre Name von Salvador Ultimo ist, weil er als Mönch höchstvermutlich einen Glaubensnamen angenommen hat, der dann zu seinem wahren Namen wurde, aber immerhin, es ist ein Name, der zumindest einmal zu ihm gehört hat. Damit können wir – kann Edward – dann hoffentlich etwas anfangen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 6.12.2023 | 17:05
Nach dem Treffen

Fébé und Cicerón waren noch immer anderweitig beschäftigt, aber Ilyana wollte auf jeden Fall dabei sein, immerhin betraf die Sache die Everglades.
Ximena, Ángel und Bjarki waren in ihre Forschungen vertieft, wie man einem Outsider beikommen könnte, wenn man ihn erstmal zu fassen bekommt, und Dee sagte, sie würde überwachen, was sonst noch so alles in der Stadt auftaucht, und den Kontakt zu Alex halten, damit nicht plötzlich Eleggua auftaucht und Asgard plattmachen will.

Ilyana wiederum konnte einiges über Sarkos berichten, der sich ja üblicherweise in den Everglades aufhält. Er habe keinen Kult, sagte sie – oder zumindest bislang nicht gehabt: In letzter Zeit seien doch immer mal wieder einige, zumeist junge, Gruftis in den Glades aufgetaucht. Das mit den Gruftis konnten wir aufklären: dass das eben Anhänger des Orcus seien und die römische Totengottheit nun in Gestalt des Schwarzvampirs verehren wollten. „Hm, dann hat er vielleicht demnächst doch einen Kult“, sinnierte Ilyana trocken.

Kurz kamen wir auch auf Odin und den drohenden Fimbulwinter zu sprechen, aber gerade ist der Schwarzvampir und die Falle für ihn das deutlich drängendere Problem.

Zunächst: das Wo. Ilyana schlug ein verlassenes Haus in den Everglades vor, und tatsächlich kannte auch Roberto den Ort, weil er irgendwann einmal ein Fotoshooting dort gehabt hatte.
Dann: all die Dinge, die uns dabei helfen können, Salvador Ultimo anzulocken.
Wir haben seinen Namen, oder zumindest den, den er vor seiner Berufung in den Mönchsorden trug, und wir haben die Kröte, über die wir uns mit Sarkos verständigen können.
Der Sarg, mit dem er auf der Santa Clara über das Meer kam, wäre auch eine Möglichkeit – oder genauer gesagt, auf diese Idee kam Totilas, Salvadors Heimaterde aus dem Sarg wäre noch viel besser.
Außerdem könnte ein geweihtes Kreuz helfen – erst, so katholisch wie dieser Black Court ist, um ihn anzulocken und vor Ort zu halten, aber dann vielleicht – hoffentlich – auch, um ihn zu bekämpfen.
Roberto schlug noch vor, ihn dann, wenn er an Ort und Stelle wäre, mit ‚möglichst viel Sünde‘ zu provozieren, und Totilas will ihn mittels seiner Kräfte an Ort und Stelle festhalten, damit er nicht einfach abhauen kann.

Die benötigten Gegenstände wollen wir jetzt erst einmal beschaffen, frei nach dem Motto: „Okay, ich besorge ein Kreuz, Alex und Edward holen die Erde, Roberto dragqueent und Totilas whitecourtet“, dann geht es an die Detailplanung.

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Ich habe ein Kreuz bekommen, auch wenn es nicht ganz das war, was ich eigentlich wollte. Mir hatte ein stark verziertes, deutlich katholisches Kreuz vorgeschwebt, aber die einzigen Kreuze, die ich in der Kürze der Zeit finden konnte, waren schlichte, unverzierte. Also muss jetzt so eines herhalten, aber immerhin konnte ich es noch von Pater Antonio weihen lassen.

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Roberto und Totilas sind als Sexy Red Nun bzw. in goldenem Lackleder mit jeder Menge Bändern und Ketten hier aufgeschlagen. Wie war das gleich mit ‚Roberto dragqueent und Totilas whitecourtet‘? Volltreffer.

Edward und Alex haben Salvadors Sarg, aber das war gar nicht so einfach. Der befand sich nämlich nicht im Gewahrsam des SID, sondern im zuständigen Polizeirevier, und der Desk Sergent dort war wohl … schwierig. Aber Ende gut, alles gut, Formular hin, Fax her, am Ende waren sie doch erfolgreich.

Also der Sarg, das Kreuz, und jede Menge Weihwasser von der Kirche, an der Salvador Ultimos Angriff stattfand, haben wir ja auch noch.

Bleibt die Frage, wie wir gegen einen so alten Schwarzvampir vorgehen können, der immerhin so nette Fähigkeiten hat, wie sich in Nebel zu verwandeln. Vor allem mit Sonnenlicht, stellte sich heraus, denn nur im Sonnenlicht ist er überhaupt irgendwie verwundbar. Ohne das können wir es gleich vergessen, aber sobald das Sonnenlicht kommt, wird er natürlich versuchen, abzuhauen, und das müssen wir irgendwie verhindern.

Der Plan: Ich mache Sonnenlicht, dann sorgt Totilas mittels seiner White Court-Methoden dafür, dass Salvador nicht auf die Idee kommt, abzuhauen, dann weichen die Jungs ihn auf, und am Ende wird er geköpft. Und zwar von mir, da ich dank Jade und Eileen der einzige Schwertkämpfer unter uns bin.

„Bist du bereit dazu?“, fragte Totilas unvermittelt.
Nanu? Wo kam das jetzt her? Etwas verwirrt antwortete ich: „Ja.“
„Obwohl er vielleicht ein Verwandter von dir ist?“
Das ließ mich kurz innehalten, aber nicht lange. „Ja. Er ist ja kein direkter Verwandter, und selbst wenn er ein entfernter Vorfahr von mir ist, er ist ein Vampir, und er ist untot, also ja.“

Aber gut, wir fahren jetzt los. Himmel steh uns bei!

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Alle noch am Leben. Das war erstaunlich einfach, wenn man bedenkt, mit was für einem Wesen wir es da eigentlich zu tun hatten. Gute Vorbereitung zahlt sich eben doch aus. Aber der Reihe nach.

Wir waren bereits vor Ort an diesem Haus in den Glades, da hatten Totilas und Edward die geniale Idee, die Heimaterde aus dem Sarg, hinter der Salvador ja vermutlich her sein würde, mit Sonnenlicht zu durchfluten und quasi eine Landmine daraus zu machen, die ihm ins Gesicht explodieren sollte, sobald er sie anfassen würde. Das wären dann eben zwei getrennte Rituale: erst die Bombe bauen und dann den Black Court anlocken, aber für Edward können es ja ohnehin nie genug Rituale sein.
Für die Landmine packten wir neben der Heimaterde des Schwarzvampirs und dem von mir gewirkten Sonnenlicht noch etwas von unserem Weihwasser in den Beutel, und in die rituelle Verbindung wob Edward auch noch Salvadors wahren, na gut, nicht seinen wahren, aber seinen weltlichen Geburtsnamen. Bei all diesem explosiven Potenzial wäre Edward das Ritual beinahe um die Ohren geflogen, aber es gelang ihm, die Kontrolle zu behalten und das Säckchen wie gewünscht zu präparieren.

Währenddessen legte ich auch noch eine Aura aus Sonnenlicht auf Jade – natürlich kamen von den Jungs blöde Sprüche von wegen ‚Lichtschwert‘, aber damit hatte ich schon gerechnet. Bei uns geht es einfach nicht ohne blöde Sprüche, und normalerweise bin ich bei sowas ja auch immer gut mit dabei.

Dann jedenfalls war es soweit, und Edward begann sein Ritual, um den Vampir anzulocken. Während er zauberte, hielt Totilas den Beutel mit der präparierten Erde fest… und das war auch gut so, denn während das Ritual noch lief, flog plötzlich die Tür der Hütte auf, und der Vampir stand im Raum. Und er war verdammt schnell. Wenn Totilas nicht selbst auch über übernatürliche Reflexe besäße, dann hätte der Black Court sich einfach das Säckchen mit der Erde geschnappt und wäre weg gewesen. So aber konnte Totilas in letzter Sekunde ausweichen, und Salvador Ultimos Krallen rissen ihm ‚nur‘ die Seite auf. Totilas schlug zurück, traf seinen Gegner jedoch nicht – aber da noch kein Sonnenlicht herrschte, war der Vampir ohnehin noch nicht zu verwunden.

Kein Sonnenlicht? Das konnte ich ändern. Anders als das konzentrierte Sonnenlicht für den Bombenbeutel oder die Aura, die ich um Jade gelegt hatte, beherrsche ich meinen patentierten Zauber, mit dem ich einfach Tageslicht auf die Szenerie lege, inzwischen vollkommen im Schlaf. Mit einem kurzen Gedanken rief ich die Magie herauf, und es wurde taghell im Raum. Salvador Ultimo fauchte auf, entweder erbost oder vor Schmerz, und auch von der Eingangstür kamen wütende Zischlaute. Dort hatten ein ganz offensichtlich untoter Alligator und ein ebenso offensichtlich ganz frisch erschaffener Jungvampir des Typs Fastfood-Bauch und Baseballkappe wohl gerade hereinstürmen wollen, trauten sich jetzt aber nicht mehr ins Licht. Alex packte sein mit Weihwasser gefülltes Super Soaker-Gewehr fester und stellte sich den beiden Gegnern an der Tür in den Weg, während Roberto mit seinem eigenen Spritzgewehr den Meistervampir durchnässte und eine provokante Beleidigung nach der anderen auf ihn abfeuerte. Als Edward dann auf Salvador Ultimo losging und mit seinem magischen Handschuh nach ihm schlug, brachte er dem Schwarzvampir eine so hässliche Wunde bei, dass der eigentlich schon im Begriff war, umzudrehen und den Rückzug anzutreten, aber nun kam Totilas ins Spiel, der lockend den Beutel mit der präparierten Erde vor der Nase des Black Courts herumschwenkte. Dem Zwang, seine Heimaterde in die Hände zu bekommen, konnte der Schwarzvampir nicht widerstehen, und so schnappte er danach.
Der Beutel explodierte Salvador Ultimo ins Gesicht, und der Vampir wurde zurückgeschleudert – und es war ihm anzusehen, dass ihn die Bombe tatsächlich richtig schwer verletzt hatte.

Bevor er sich aufrappeln konnte, war ich bei ihm und köpfte ihn.

Okay, okay, okay. Vorher rief ich auch noch etwas. „Juan Ramos Alcazar, es ist mir egal, ob du mein Vorfahr bist oder nicht, in meiner Stadt wirst du kein Unheil mehr anrichten!“
Santisima madre, jetzt wo ich das aufschreibe, klingt es fürchterlich kitschig, kitschiger als alles, was ich Eric Albarn je sagen lassen würde. Aber vermutlich hatte mir die mögliche Verwandtschaft zu dem alten Monster unterbewusst doch mehr zugesetzt, als ich mir das selbst hatte eingestehen wollen, also möge man es mir nachsehen, Römer und Patrioten.

Jedenfalls wirkte der Black Court für einen Augenblick beinahe ungläubig-verwirrt, dann zerfiel er zu Staub, und im selben Moment brachen vor der Tür auch der untote Alligator und der Nachwuchvampir zusammen. Von dem Staub nahm Edward etwas mit – zu Analysezwecken, wie er sagte.

Totilas war ja als einziger von uns verwundet, und so wollten wir uns natürlich um ihn kümmern, aber als wir uns ihm näherten, winkte er heftig ab und scheuchte uns zurück. Seine Augen waren seltsam – sie flackerten zwischen seinem üblichen Grau und dem Silberton seiner White Court-Seite hin und her, ganz so, als führe er mit seinem Dämon einen Kampf um die Kontrolle über seinen Körper… oder zumindest, als führe er mit seinem Dämon eine hitzige Diskussion.
Ja, da war es wohl tatsächlich besser, dass wir uns fernhielten, auch wenn Totilas dann einige Mühe hatte, die Wunde in seiner Seite selbst irgendwie mehr schlecht als recht zu verbinden.

Als unser White Court-Kumpel sich dann endlich wieder soweit im Griff hatte, dass wir gefahrlos gemeinsam zurück in die Stadt fahren konnten, kamen wir natürlich ins Sinnieren. War diese ganze Sache mit Salvador Ultimo jetzt nur ein Ablenkungsmanöver von Adlene gewesen, oder war hatte das gesollt? Höchstvermutlich schon, waren wir uns einig, denn irgendetwas hatte Adlene mit der Erweckung des Schwarzvampirs ja bezweckt.
Aber wo wir schon über Adlene redeten, was ist eigentlich mit dem? Von dem haben wir schon verdächtig lange nichts mehr gehört.
Und apropos Adlene, und apropos Adlene und Jak, wo hatte Sarkos eigentlich den Dolch her, um Orkus zu töten?

Wir müssen dringend noch einmal mit Sarkos reden. Am besten gleich noch heute Abend. So spät ist es ja tatsächlich noch nicht.

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18. November

Wir trafen uns wieder in derselben Pizzeria wie beim letzten Mal. Als wir ankamen, las der Schwarzvampir gerade die Theaterseiten der New York Times, und so ergab sich zwischen ihm und mir ein kurzes und reserviertes, aber durchaus höfliches Geplänkel über Broadway-Stücke und die Theaterszene in New York und Miami sowie die besondere Stimmung am Broadway und dass Sarkos unbedingt Hamilton sehen wolle.

Dann kamen wir zum Thema und fragten nach dem Dolch, und Sarkos erzählte ganz offen, dass er den von Jak bekommen habe. Auf unsere nachfolgende Frage nach dem Warum gab Sarkos zur Antwort: „Er sucht wohl Verbündete.“
„Und bist du einer?“, fragte Roberto.
„Ich bin sicher, Jak denkt das."
„Aber bist du?“
„Er ist ein Outsider“, schoss Sarkos in angewidertem Tonfall zurück.

Hier schaltete Totilas sich ein. „Das sagt alles und nichts. Gib mir die konkrete Aussage, dass du kein Verbündeter Jaks bist.“
„Das werde ich nicht tun. Zu diesem Thema habe ich alles gesagt, was zu sagen ist.“
„Weil du es nicht kannst“, erwiderte Totilas anklagend, „weil du eben doch mit den Outsidern arbeitest, habe ich recht? Wenn du es nicht ausdrücklich verneinst, dann müssen wir davon ausgehen, dass du mit den Outsidern gemeinsame Sache machst. Also sag es uns explizit.“
Sarkos‘ Stimme blieb höflich, wurde aber mit einem Mal eiskalt. „Willst du mir etwa drohen, kleiner White Court?“

Ich versuchte, vermittelnd einzugreifen, dass Totilas das sicherlich nicht als Drohung gemeint hätte, aber Sarkos war schon aufgestanden.
„Ich unterhalte mich gerne wieder einmal über Kultur, aber grillen lasse ich mich nicht“, sagte er kühl und ging.

Seufz.

Als wir wieder unter uns waren, schlug Edward vor, dass wir aufhören sollten, Jak bei diesem Namen zu nennen, um ihm nicht unnötig Macht zu geben. Denn vielleicht könne er es ja doch spüren, wenn man von ihm rede, und vielleicht könne er uns ja dann sogar belauschen, Wenn wir einen anderen Namen wählen, meinte Edward, dann machen wir ihn vielleicht nicht jedesmal darauf aufmerksam, dass wir über ihn reden, oder sogar, was wir über ihn reden.

Dass er uns belauschen kann, ist vielleicht ein wenig arg paranoid, aber wie heißt es so schön: Dass du paranoid bist, heißt nicht, dass sie nicht hinter dir her sind, und außerdem haben Namen ja wirklich eine gewisse Macht, und er hat diese Bezeichnung vermutlich nicht völlig ohne Grund gewählt. Schaden kann eine neue Bezeichnung also auf keinen Fall.

Roberto schlug ‚Es‘ vor, „nach dem Film um den Clown mit den Ballons“ („Roman!“, korrigierte ich), aber Edward kannte weder Roman noch Film, also gab ich ihm erst einmal einen kurzen Abriss der Prämisse und schlug dann vor, statt ‚Es‘ doch vielleicht lieber ‚Pennywise‘ zu nehmen, wie sich der Clown im Buch ja nennt. Die Idee fanden die anderen gut, also nennen wir den Outsider mit den Ballons ab jetzt ‚Pennywise‘.

Bevor wir uns trennten, machten wir mit den übrigen Guardians wieder ein Treffen für den nächsten Tag – also heute – aus. Da muss ich auch gleich los, aber ich wollte das hier erst noch loswerden.

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Nach dem Treffen – wieder mal

Bei der Versammlung gaben wir natürlich ein Update in Sachen Salvador Ultimo, aber ansonsten ging es vor allem um das Problem mit Odin.

Ángel berichtete, dass die Orunmila sich voll hinter Eleggua stellen (was keine Überraschung ist) und für einen offenen Konflikt oder gar Krieg planen. Und das hätte es zwar vielleicht nicht sein sollen, aber das Ausmaß dieser Vorbereitungen war tatsächlich schon eine Überraschung für mich.
Cicerón hatte etwas Ähnliches zu sagen. Er schickte Dee kurz hinaus, sie solle sich doch mal bitte die Nase pudern, und meinte dann, er habe Waffen für den Konflikt besorgt. „Nichts für ungut, Cardo.“

So ganz konnte ich den Frust nicht aus meiner Stimme heraushalten, als ich antwortete: „Schon okay, ich will ja auch nicht auf Odins Seite gezwungen werden, nur weil der jetzt wegen der Einherjer Pan unter seiner Fuchtel hat.“

Am Allerbesten wäre es natürlich, überlegten wir, wenn Pan sich komplett von Odin lossagen und die Einherjer wegschicken würde. Dann wäre zwar der Palast ungeschützt, aber Sir Aidan und Sir Fingal haben ihre Sühnequesten ja inzwischen beendet (oder genauer gesagt, Sir Aidan ist bereits geläutert zurück, Sir Fingal ist noch unterwegs), und vielleicht haben sie ja an den anderen Sommerhöfen genügend gut Wetter für Pan gemacht, dass doch wieder Sidhe-Ritter von anderen Höfen zurück nach Miami kommen wollen und wir die Einherjer ersetzen können?

Daraufhin schlug jemand, ich weiß gar nicht mehr genau, wer eigentlich, vor, dass wir doch vielleicht Titania involvieren könnten. Immerhin sei sie die Königin des Sommers und damit Pans ‚Chefin‘ – vielleicht könne sie etwas bei ihm ausrichten?
Das war eine ganz ausgezeichnete Idee, aber Alex hatte völlig recht, als er meinte, dass ich zu dieser Audienz vermutlich besser nicht mitgehen sollte, weil Pan ja doch trotz allem mein Herzog ist und ich die Etikette wahren und nicht so offen an ihm vorbei agieren sollte. Also einigten wir uns darauf, dass Alex und Roberto den Besuch bei der Sommerkönigin antreten werden.

Totilas und ich werden in der Zeit seine Großmutter am Coral Castle aufsuchen. Vielleicht hat sie eine Ahnung, was Joseph Adlene gerade im Schilde führt und mit seinem Salvador Ultimo-Ablenkungsmanöver verschleiern wollte.

Und Edward will sich mal bei unserer Bekannten Vanessa Gruber aus dem Magierrat melden.

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Tío. Ich hatte völlig vergessen, was für eine schreckliche Nervensäge Camerone Raith sein kann! Ich meine, nein, natürlich hatte ich es nicht wirklich vergessen. Sie war schon zu Lebzeiten der Inbegriff einer intriganten Weißvampirin, und als Geist hat sich das in keinster Weise geändert. Aber trotzdem. Tío, ist die anstrengend!

Als wir ankamen, Totilas mit den Lieblingsblumen seiner Großmutter als Geschenk im Arm, und zwar im Topf, nicht als Schnittblumen, bemerkten wir gleich auf den ersten Blick, dass Camerone wirkte wie die sprichwörtliche Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat. Oder vielleicht auch den Sahnetopf ausgeschleckt hat, egal.

„Aaaah, Totilas, mein Lieblingsenkel!“, begrüßte sie uns in ihrem üblichen zuckersüß-boshaften Ton.
„Hallo Camerone“, erwiderte Totilas. „Geht es dir gut?“
„So gut es einem gehen kann, wenn man von einem Krokodil gefressen wurde.“
„Du siehst zufrieden aus“, sagte Totilas.
Camerone zeigte ein im selben Maße triumphierendes wie maliziöses Lächeln. „Ja. Willst du wissen, warum?“
„Willst du es mir erzählen?“
Camerones Lächeln wurde wenn möglich noch etwas boshafter. „Aaaah, Frage und Gegenfrage, wie habe ich das vermisst.“
Daraufhin erwiderte Totilas sehr höflich und formell: „Es würde mich sehr freuen, wenn du es mit uns teilen würdest.“
Seine Großmutter lachte hell auf. „Du bist zwar mein Lieblingsenkel, aber wenn es dir Freude macht, dann will ich es nicht. Und überhaupt, es wäre so schön, wenn ihr mich ein einziges Mal einfach mal nur besuchen kommen würdet, ohne dass ihr irgendwas wollt.

Mierda. Das lief überhaupt nicht gut. Totilas schien gerade schon protestieren zu wollen, aber das würde Camerone vermutlich nur noch sturer machen, deswegen schaltete ich mich ein:
„Okay, weißt du was? Jetzt sind wir hier und besuchen dich einfach mal nur und reden, und dann gehen wir wieder, ohne dass wir was gewollt haben, und dann kommen wir morgen mit unserem Anliegen wieder.“
Camerone blinzelte. „Das… ist akzeptabel“, sagte sie dann, und zu Totilas gewandt: „Nimm dir ein Beispiel an deinem Schriftsteller-Freund.“ Leise – aber nicht so leise, dass ich es nicht gehört hätte – fügte sie hinzu: „Den hast du schon gehabt, oder?“

Tío. Während Totilas überlegen lächelte, Marke: „der Gentleman genießt und schweigt“, versuchte ich, ein Pokerface beizubehalten und einfach gar nicht zu reagieren.

Den Rest des Besuchs verbrachten wir tatsächlich mit Smalltalk. Auf Camerones Aufforderung hin erzählte ich eine Geschichte, während Totilas von der Familie berichtete und die Fragen seiner Großmutter beantwortete. Auch der nicht enden wollende Bau an Raith Manor kam zur Sprache, woraufhin Camerone die Augen verengte und dann sagte: „Ich gebe dir einen ernsthaften Rat, weil du mir Blumen gebracht hast und mein Lieblingsenkel bist und Zeit mit mir verbringst: Finde heraus, wer die Baustelle sabotiert, denn wenn du den- oder diejenigen nicht findest, dann werden sie eskalieren.“
Und mit diesen Worten verabschiedete sie sich.

Bereits während des Gesprächs hatten wir immer wieder bemerkt, dass irgendetwas los sein musste. Mehrfach tauchten Geister bei Camerone auf und gestikulierten bzw. sprachen so, dass wir Lebenden sie nicht verstehen konnten, aber die tote White Court-Vampirin hatte sie immer fortgeschickt.
Nun, als wir gerade im Gehen begriffen waren, sahen wir noch, wie Camerone sich abrupt umdrehte und in herrischem Ton rief: „Jetzt mal Ruhe hier!!!“, bevor sie durchsichtig wurde und verschwand.

Sehr spannend. Was das wohl gewesen sein mochte? Vielleicht finden wir das ja morgen heraus. Aber jetzt erst mal wieder mit den anderen treffen.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 25.01.2024 | 17:49
Madre de Dios. Nein, ¡hijo de puta! ¡Puta mierda! Das schlimmste Schimpfwort, das mir nur einfällt!

Darauf reicht ein Schnaps nicht. Auch zwei nicht.

Aber der Reihe nach.

Als wir uns wieder trafen, berichtete Edward, dass er Vanessa Gruber in Dänemark erreicht habe. (Und nebenbei hat er ein neues Ritual gelernt, eine Kommunikation mit Spiegeln, die die für Magier ja extrem unzuverlässigen bis unbenutzbaren Handys ersetzt.)
Jedenfalls habe Edward bei unserer österreichischen Bekannten kurz erwähnt, dass Ragnarök komme („aber das haben wir unter Kontrolle“), sich dann aber vor allem auf die Frage nach dem Vorgehen gegen Outsider konzentriert. Vanessa schlug wohl kurz den Warden von Chicago vor, was Edward aber angesichts des unschönen Telefonkontaktes zwischen den beiden als „Uh, nicht so gut“ ablehnte, dann den Warden von Miami, bei dem Edward aber auch ausweichend mit einem „Uh, mit dem kann ich auch nicht so gut“ antwortete. Gefragt, woran das liege, rückte er nicht mit der ganzen mit-den-Outsidern-im-Bunde-Sache heraus, weil wir dafür nicht ausreichend Beweise haben, sondern zog sich auf die Geschichte mit dem Schutzgeld den Steuern zurück.
In diesem Zusammenhang empfahl Vanessa dringend, die Steuern zu zahlen, bis diese Sache grundsätzlich vor dem Rat geklärt sei. Eventuell würde Edward die gezahlten Beträge dann zurückerhalten, aber bis dahin solle er auf jeden Fall zahlen und keine eintreibbaren Schulden anhäufen, das könne unangenehm werden.
Was die Outsider angeht, will sie sich wohl umhören, ob sich jemand mit dem Thema besonders gut auskennt, und sich dann wieder melden.

Alex, Roberto und Yolanda in ihrer Rolle als Richterin des Sommerhofes waren indessen bei Königin Titania.
Als Ausgangspunkt für ihren Weg wählten sie Pans Palast, weil sich dort ein sehr guter Verbindungspunkt befindet, bei dem man sehr nah an Titanias Residenz herauskommt. Dabei fiel ihnen auf, dass in Pans Palast inzwischen richtig viele Einherjer aufgetaucht sind. Die zwölf aus Heorot, die ich damals geholt habe, natürlich, und von der Verstärkung durch die Berserker wussten wir ja auch schon, aber inzwischen sind da laut Roberto und Alex richtige Hundertschaften, die heftig exerzieren und sich offenbar auf einen echten Krieg vorbereiten. Außerdem hätten sie Alex, dem man seine Verbindung zu Eleggua ja auch an der Nasenspitze ansieht, wenn man weiß, wo und wie man schauen muss, richtig finster angestarrt und mehrfach feindselig angerempelt. Mierda.

In ihrer eigenen Domäne jedenfalls war Königin Titania höchst erbost über die Störung durch Roberto, den sie ja noch immer für einen Verräter hält (nicht ganz zu Unrecht, muss ich aus meiner sommermantelgefärbten Sicht sagen). Beinahe hätte sie einen Blitz auf ihn abgeschossen, aber Roberto konnte sie gerade noch rechtzeitig soweit beruhigen, dass sie ihm wenigstens zuhörte und sein Gastgeschenk in Form eines Obstkorbs annahm.

Roberto schilderte die Situation mit Pan und Odin, und Königin Titania war überhaupt nicht amüsiert. Von den Einherjer aus Heorot hatte sie natürlich gewusst, das ging gar nicht anders, aber das waren keine Einherjer im klassischen Sinne, und es waren nur zwölf, und es war eine Notsituation, um gegen Winter bestehen zu können, und sie hatten auch das Sommergefüge nicht durcheinander gebracht. Die direkte Verbrüderung mit Odin jedoch war mehr als problematisch, denn Odin als nordische Gottheit ist ja eher mit dem Winter verbunden und somit Anathema zu Sommer.

Sie beauftragte Roberto, Pan vor die Wahl zu stellen: Sommer oder Odin. Denn Pan ist ja selbst keine Fee, sondern eine Gottheit, auch wenn er sich mit dem Niedergang des hellenistischen Pantheons den Sommerfeen angeschlossen hat, und so könnte er sich vom Sommer lösen, wenn er das wollte. Und wenn er sich für Odin und gegen den Sommer entscheide, dann – und das zitierte Roberto wortwörtlich: „dann muss der Sommerritter als Regent die Geschäfte führen, bis ein neuer Herzog gefunden ist.“

Puta mierda. Auf diese Aussage brauchte ich erst einmal einen Schnaps, den ich in einem Schluck herunterkippte, und dann gleich noch einen zweiten, den ich langsamer trank. ¡Tío! Die Vorstellung, Sommerherzog zu werden, auch wenn es nur vorübergehend wäre, musste ich erst einmal verdauen. Ich bin keine Fee, verdammt! Ich wollte ja noch nicht mal Sommerritter werden, auch wenn ich mich mit dem Sommermantel inzwischen ja abgefunden und sogar angefreundet habe. Aber Herzog??? Was würde das mit meiner Menschlichkeit, mit meinem Menschsein anstellen, wenn nicht sofort, dann über kurz oder lang? Padre en el cielo, ayudame.

Aber es hilft ja alles nichts. Königin Titanias Botschaft muss überbracht werden, und zwar wie befohlen von Roberto. Ich als Pans Ritter hingegen sollte mich tunlichst heraushalten, wenn Roberto die Nachricht überbringt, sonst spannt Pan mich noch für seine Seite ein. Deswegen werde ich mit den anderen draußen warten, während Roberto und Yolanda reingehen.

Bitte, bitte, Herr im Himmel, lass Pan vernünftig sein und sich von Odin lossagen!

Aber ich muss aufhören, wir wollen los

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19. November

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das fühlt sich alles so… so unbegreiflich an, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich fange einfach mal an, vielleicht hilft mir das, meine Gedanken zu ordnen.

Als wir beim Palast ankamen, konnten wir den Aufmarsch von Odins Truppen und deren feindseliges Verhalten gegenüber Alex mit eigenen Augen beobachten. Wenn überhaupt, war das Treiben eher sogar noch martialischer, als die anderen es zuvor beschrieben hatten.

Es war mir sehr wichtig, mit Sir Anders zu sprechen, bevor Roberto und Yolanda Pan aufsuchten, damit ich ihn vorwarnen konnte, dass da vielleicht ein Konflikt kommen könnte. Eigentlich wollte ich auch gerne mit Halfðan reden, aber den konnte ich in dem Getümmel nicht ausmachen. Sir Anders hingegen fand ich am Strand, wo der Sidhe-Ritter mit abwesender Miene im Sand saß, auf das Meer hinausstarrte und dabei sein Schwert wetzte.
Mir war schon klar gewesen, dass Sir Anders nicht offen gegen Pan würde reden können, immerhin war das sein Herzog. Aber subtil und vorsichtig, in allgemein gehaltenen Formulierungen und durch die Blume gesprochen, wurde doch sehr schnell klar, dass ihm die neuen Einherjer und Pans Allianz mit Odin gar nicht passten und dass die Loyalität zum Sommerhof bei ihm über der zu der Person Pans stand. Genau dieselbe Formulierung, „Und auch ich diene Sommer“, gab ich ihm zurück und ließ ihn damit wissen, dass es bei mir ganz genauso bestellt war.

Als Roberto und Yolanda sich dann in das Palastinnere aufmachten, bereitete Alex ein Tor vor, durch das wir abhauen könnten, falls nötig, während Edward und Totilas mit ihnen gingen, um vor der Tür Wache zu stehen und dafür zu sorgen, dass sie nicht gestört werden würden.

Während wir da zusammen am Strand standen, erzählte Sir Anders noch, dass vor einigen Tagen eine Sidhe-Ritterin, Sir Liane, kurz hier gewesen sei, weil Sir Fingal auf seiner Bußequeste wohl Werbung für Pans Hof gemacht hatte, die Ritterin angesichts der vielen Einherjer aber sehr schnell wieder verschwunden sei.

Interessant, dachte ich noch bei mir, da muss ich doch gleich mal fragen, von welchem Hof diese Sir Liane kam; vielleicht lässt sie sich ja doch überzeugen, zurückzukommen, sobald die Einherjer weg sind.

Eben wollte ich den Mund auftun und die Frage stellen, da dröhnte plötzlich die Stimme des Herzogs unnatürlich laut über das ganze Gelände: „Ich bin Pan! Niemand stellt mich vor eine Wahl, und schon gar nicht so eine kleine Fee!“ Und dann, wenn das überhaupt möglich war, noch lauter und donnernder: „Ich! Wähle! ODIN!

Bei diesen Worten erzitterte der gesamte Palast in seinen Grundfesten wie unter einem heftigen Erdbeben, und ich wusste, dass dieser Ausbruch eigentlich im ursprünglichsten Sinne des Wortes heillose Panik in mir hervorrufen wollte. Doch in diesem Moment überkam mich ein völlig überwältigendes Gefühl, der jeglichen Gedanken an panische Flucht davonfegte.
Es war wie ein sonnengoldener Strom, der in mich hineinfloss, so dass ich beinahe davon weggerissen worden wäre. Das war die gesamte Sommermagie Pans, die da auf mich überging, was ich aber erst später so richtig begriff. Nur am Rande war mir bewusst, dass ich zu leuchten begonnen hatte und dass Blumen zu meinen Füßen sprossen, und dass es immer und immer und immer mehr wurde, weil Pan offenbar jetzt aktiv den Sommer aus seinem Palast vertrieb und alle, wirklich alle Sommermagie, die in Pan und im Palast gebunden gewesen war, nun in mir Zuflucht suchte.

Aber nicht nur alle Sommermagie floss aus dem Palast. Auch alle gestalterischen Elemente, die explizit für den Sommerhof der Feen gestanden hatten, verschwanden nun. Stattdessen nahm der Palast ein noch deutlich griechischeres Aussehen an, als er das zuvor immer schon gehabt hatte, und von drinnen waren das meckernde Gelächter der Satyre und die stramm-martialischen Rufe der Einherjer deutlich zu hören.

Über Sir Anders‘ Gesicht flog ein Ausdruck unendlicher Erleichterung. Ohne jegliches Zögern ging er auf ein Knie nieder und fragte in zackigem Tonfall: „Eure Befehle?“
Kurz überkam mich der Impuls, die griechische Gottheit gleich direkt hier und jetzt anzugehen und zu verhindern, dass er unsere Bastion des Sommers einfach so übernahm. Aber gleichzeitig spürte ich, dass ich schlicht nicht dagegenhalten konnte, nicht einmal mit all dieser neuen Macht des Sommers in mir. Zu neu, zu ungewohnt, zu überwältigend war sie – wenn ich das jetzt versuchte, dann würde Pan mir das Gehirn herausblasen, soviel stand fest.
Daher wandte ich mich an Sir Anders und kommandierte: „Sammelt alle, die dem Sommer treu sind! Treffpunkt bei Alex!“

Yolanda hatte dem Ausbruch des vormaligen Sommerherzogs nicht standhalten können und war bei dessen Geschrei wortwörtlich panisch aus dem Palast gerannt gekommen. Jetzt stellte ich mich meiner Schwester in den Weg und konnte sie tatsächlich einigermaßen beruhigen, während Edward und Totilas gerade Roberto aus dem Palast halfen.

Das wusste ich in dem Moment zwar noch nicht, aber später erzählten die beiden, dass Roberto das Panik-auslösende Gebrüll zwar eigentlich recht gut weggesteckt hatte und nicht weggerannt war, dann aber einen Spruch von sich gab von wegen: „Ich bin doch nur der Bote…“, und das wiederum war bei Pan gar nicht gut angekommen. Die bocksbeinige Gottheit schleuderte Roberto quer durch den Raum und mit vollem Karacho gegen eine Wand, wo unser Kumpel zu Boden ging und Edward und Totilas ihm erst einmal auf- und dann eben ins Freie halfen.

Auf dem Weg zu Alex kamen wir an einem Trupp Einherjer vorbei, darunter auch Halfðan. Sie ließen uns gehen, ohne sich uns in den Weg zu stellen, und ich konnte sehen, dass Halfðan eine bedauernde Miene zeigte und so wirkte, als wollte er etwas sagen, aber dann waren wir auch schon vorbei, und er seufzte nur und hob ganz leicht die Hand in meine Richtung.

Sir Anders brachte einige wenige treue Gefolgsleute mit zu dem Tor, das Alex inzwischen geöffnet hatte. Inmitten der wenigen Handvoll Personen war natürlich Sir Aidan, aber auch Saltanda – die Nymphe hatte offenbar mitbekommen, dass Roberto Pan verließ, und wollte selbst wiederum Roberto nicht verlassen. Oder so kam es mir jedenfalls vor. Saltandas und Robertos Tochter Lily war natürlich ebenfalls dabei, und ein wenig überraschend, aber sehr zu meiner Freude, schloss Sindri sich ebenfalls an. Edwina Ricarda hätten wir eigentlich auch gerne mitgenommen, aber die blieb als Pans Tochter verständlicherweise bei ihrem Vater.

Ein Schritt durch das Tor, und wir befanden uns anderswo im Nevernever, wo wir – oder zumindest ich – noch nie gewesen waren. Ich habe die leise Vermutung, dass die Wahl des Ortes nicht ganz unwesentlich von mir, bzw. dem Zusammenspiel aus der Sommermacht in mir und meiner Persönlichkeit mitbestimmt wurde, denn es war ebenfalls ein Strand, aber einer, der irgendwie sehr südamerikanisch wirkte… kubanisch vielleicht? Aber idealisiert kubanisch? Anders kann ich es nicht beschreiben.

Hier jedenfalls entlud sich die Sommermacht, die ich aus Pans Palast mitgebracht hatte, in die, und auch das kann ich wieder nicht anders beschreiben, Erschaffung einer neuen Domäne für den Sommerhof von Miami. Während die Magie in einem starken, stetigen Strom aus mir herausfloss, bildete sich vor unseren Augen ein Palast, der sehr stark an die Casita aus dem Disney-Film Encanto erinnerte, bunt und sommerlich, und ich hatte das Gefühl, dass es auch sehr lebendig war, sich bewegen konnte und zumindest teilweise über eine eigene Persönlichkeit verfügte. Wie im Film eben. Oder war das vielleicht nur der Überschuss an Magie, der aus mir herauskam und in diesem Moment ein Ventil suchte?

So oder so fühlte ich mich unendlich erleichtert, als ich diese überwältigende Macht nicht mehr in mir spürte und das Leuchten aufhörte, auch wenn ich merkte, dass mehr Magie zurückblieb, als ich zuvor in mir gehabt hatte. Als der Magiestrom endete, wurden mir die Knie schwach, und ich wäre im Sand zusammengesackt, wenn Casita mir nicht rechtzeitig einen Strandsessel untergeschoben hätte. Da saß ich erst einmal und kam allmählich wieder zu mir, während die anderen um mich herum neugierig ihre Umgebung begutachteten.

Ich hatte gerade einigermaßen realisiert, was da soeben eigentlich geschehen war, und wie ich so in meinem Sessel saß, allmählich wieder zu Atem kam und über das Meer schaute, bemerkte ich einen Regenbogen am Horizont.
Oder genauer, zuerst bemerkte ich den Regenbogen am Horizont, dann fiel mir auf, dass etwas seltsam daran war, und dann erkannte ich, dass dieser Regenbogen auf uns zukam. Und dann, dass es eigentlich eine Brücke war. Bifrøst, die Regenbogenbrücke. Und dann wiederum eine Gestalt, die auf dieser Brücke auf uns zukam. Heimdall. Er trat von dem regenbogenfarbigen Leuchten zu uns auf den Strand und sagte in drängendem Tonfall:
„Wir müssen reden!“
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 27.01.2024 | 21:16
Ach du grasgrüner Käse. Das liest sich ja nach richtig üblem Salat. Zumal ich durchaus davon ausgehe, daß Pan da die falsche Wahl getroffen hat - nach dem Wenigen, das ich über ihn (Pan) weiß, sollte der mit der eher kalten Art Odins langfristig seine Probleme bekommen. Oder versucht Heimdall gerade, das Kuddelmuddel irgendwie zu bereinigen?
Mit so einer Entwicklung hätte ich im Traum nicht gerechnet (Ricardo ja wohl auch nicht, oder?).
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Bad Horse am 27.01.2024 | 22:27
Also, wenn die Ragnarök verhindern, kriegen sie mindestens einen Minor Milestone (ist ja dann eigentlich nichts dramatisches passiert, oder)?

Und Selganors Charakter besorgt dann T-Shirts für alle!  :D
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 28.01.2024 | 15:17
Ach du grasgrüner Käse. Das liest sich ja nach richtig üblem Salat. Zumal ich durchaus davon ausgehe, daß Pan da die falsche Wahl getroffen hat - nach dem Wenigen, das ich über ihn (Pan) weiß, sollte der mit der eher kalten Art Odins langfristig seine Probleme bekommen. Oder versucht Heimdall gerade, das Kuddelmuddel irgendwie zu bereinigen?
Mit so einer Entwicklung hätte ich im Traum nicht gerechnet (Ricardo ja wohl auch nicht, oder?).


Wir haben gestern gespielt, und Heimdall kam tatsächlich, um zu deeskalieren und mit uns zu palavern.
Mehr dann demnächst an dieser Stelle...

Aber ja, allerdings, das ist ein wirklich übler Salat. Und nein, Ricardo hatte zwar ja schon die leise Vorwarnung erhalten, dass er die Geschäfte zeitweilig übernehmen müsse, falls Pan sich gegen den Sommer entscheiden würde, aber dass Pan tatsächlich so bockig sein würde und ... ähm ja. Pan. Bockig. Vermutlich hätte er es sich doch denken können müssen. Aber hinterher ist man ja immer schlauer und so... :D

Oh, ich habe übrigens oben noch ein paar Sachen ergänzt und leicht abgeändert, die mir entfallen waren.

Und Selganors Charakter besorgt dann T-Shirts für alle!  :D

"I prevented Ragnarök, and all I got was this lousy T-Shirt!"
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.03.2024 | 09:41
Heimdall – der tatsächlich ziemlich genauso aussah wie Idris Elba in dieser Rolle; vermutlich hat er die Filme auch gesehen – wirkte nicht feindselig, deswegen schälte ich mich in normalem Tempo aus meinem Sessel hoch und hieß den Asen ganz offiziell in der neuen Sommerdomäne von Miami willkommen.
„Du wolltest mich sprechen?“
„Das wollte, das will, ich“, antwortete ich, „auch wenn eine ganze Menge passiert ist seither.“
„Es war also deine Hochzeit, auf der Loki ermordet wurde.“
„Ja, das war meine Hochzeit. Aber ich hatte keine Hand in dem, was geschehen ist.“
„Das weiß ich.“ Ein scharfer Blick ging zu Alex. „Aber es war Elegguas Plan.“
„Loki zu töten? Nein“, erwiderte Alex sehr entschieden.
„Es war Elegguas Plan, die Götter nach Miami zu holen“, präzisierte Heimdall.
Alex wiegte den Kopf. „Ob Plan oder kein direkter Plan, dazu will ich mich lieber nicht äußern“, sagte er vorsichtig.
Bevor ihm diese Aussage negativ ausgelegt werden konnte, schaltete ich mich wieder in das Gespräch ein. „Plan? Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber Eleggua hat auf jeden Fall seinen Vorteil daraus gezogen, dass da dieser Druck auf die Barriere zwischen den Welten herrschte, dass dieser Druck ein Ventil brauchte und uns keine bessere Lösung einfiel, als Elegguas Vorschlag, ein Stückweit die Magie nach Miami hereinzulassen, in die Tat umzusetzen.“
Ein Nicken von Heimdall. „Ich schätze aber, Eleggua ist nicht von den Außenseitern unterwandert?“
Alex machte ein erschrockenes Gesicht. „Ich hoffe mal nicht!“
Der Ase machte eine beruhigende Handbewegung. „Das würde ich spüren. Und auch an dir würde ich es sehen, wenn du korrumpiert wärst.“
„Gut, dass du es an mir sehen kannst“, erwiderte Alex, „denn ich weiß nicht, ob ich das selbst merken würde.“
Heimdall lächelte dünn. „Eher nicht. Das ist ja das Problem.“

Dann runzelte er die Stirn. „Wir wissen alle, dass Eleggua nicht hinter dem Mord an Loki steckt. Also warum tut Odin das alles? Ich verstehe es nicht.“
Vielleicht war es ein Risiko, der nordischen Gottheit das anzuvertrauen, aber ich glaubte zu spüren, dass Heimdall in dieser Sache aufrichtig war und sogar zu einem gewissen Grad auf unserer Seite stand. Daher antwortete ich: „Wir glauben, dass die Trauer um Loki und um seinen Raben nur ein Vorwand sind, um Ragnarök auslösen zu können.“
Heimdall nickte. „Odin und Loki mögen zwar Brüder sein, aber einander so wirklich gewogen waren sie sich nie.“

Und dann kam mir urplötzlich ein sehr erschreckender Gedanke. „Aber mal eine ganz blöde Frage: Würdest du es an Odin merken, wenn er von den Outsidern unterwandert wäre?“
Heimdall stutzte und antwortete dann langsam und nachdenklich: „Vermutlich nicht, tatsächlich. Odin ist sehr gut darin, Dinge zu verbergen.“

Oh, mierda.

Denn als wir so darüber nachdachten, fiel uns ein, dass tatsächlich Pennywise höchstselbst Odins Raben getötet hat, mit einem dieser Dolche, und somit hat Pennywise nachgewiesenermaßen einen Weg in Odins Kopf, denn der hatte ja einen Teil seines Gedächtnisses in Munin ausgelagert, während der andere Teil noch bei ihm selbst ist, und somit ist da ganz eindeutig eine magische Verbindung.

Oh, mierda.

„Können wir Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist?“, fragte Totilas, wie immer sofort um praktische Lösungen bemüht.
Möglich wäre es, war Heimdall vorsichtig optimistisch – aber das müsse dann auf jeden Fall jemand sein, dem Odin vertraue, anderenfalls gebe es in seinem derzeitigen Zustand keinerlei Chance; das würde auch so schon schwer genug.

Okay, wir Jungs also schon mal nicht, auch nicht Bjarki als Lokis Sohn, aber wer sonst? Odins Gemahlin Freya vielleicht? Der würde er vertrauen, aber deren Aufenthalt ist in Walhalla; ob wir dort so einfach hinkämen? (Und warum habe ich jetzt Rene Russo und das Asgard aus den Marvel-Filmen vor dem Auge? Das ist schon wirklich beeindruckend, wie durchgängig deren Cinematic Universe sich in die Popkultur gebrannt hat.)
Heimdall brachte auch noch Bragi ins Spiel, aber da wüssten wir nicht einmal, wo wir ansetzen sollten, den zu finden. Ebenfalls in Walhalla?
„Baldur wäre gut“, sagte der Ase dann, „der war Odins Lieblingssohn. Aber der ist tot.“

Das ließ uns aufhorchen.
„Dann ist er also in Helheim? Oh, gut: Zu Haley – ähm, Hel – haben wir einen Draht. Und Ha – Hel – betreibt ja momentan ohnehin einen durchaus schwunghaften Tourismus.“
Auf die Anspielung mit dem Tourismus ging Heimdall nicht ein – entweder er wusste bereits davon, oder er überging sein Unwissen gekonnt.
„Oh? Ihr habt Kontakt zu Hel? Dann könnt ihr ja vielleicht mit ihr sprechen, damit sie auf ihren Bruder Fenris einwirkt, die Sonne nicht zu fressen. Aber das mit Baldur…“ – ein skeptisches Stirnrunzeln von Heimdall – „da müsste euer Draht zu Hel schon besser sein als der aller Asen zusammen.“

Auf unsere Nachfrage erklärte er uns die Zusammenhänge. Wie der gute, reine Baldur, der von allen geliebt wurde, durch eine List Lokis getötet wurde. Wie er nach Helheim kam, nicht nach Walhalla, weil er ja nicht im Kampf gestorben war. Wie Odin und Freya durch ihren Boten Hermodr Hel anflehten, Baldur aus dem Totenreich freizulassen und Hel sich grundsätzlich darauf einließ, aber zur Bedingung stellte, dass nicht nur jedes Lebewesen, nicht nur alle Toten, sondern auch jedes Ding, jeder Stein, um Baldur weinen solle. Wie das dann auch alle taten – mit der Ausnahme einer einzigen Riesin, von der es heißt, das sei auch wieder Loki in Verkleidung gewesen, und wie Hel sich deswegen weigerte, Baldur freizugeben.

Okay. Dann müssen wir tatsächlich schauen, ob wir Haley nicht doch irgendwie umstimmen können. Es muss ja auch nicht für ständig sein, aber zeitweiliger Besuch bei seinem Vater vielleicht? Puh. Dann werden wir Haley zwar wieder einen Gefallen schulden, aber was muss, das muss, oder so.

Bevor Heimdall sich verabschiedete, sprach ich ihn noch auf das Zelt von dem Benefizmarkt an, das Loki mir samt den Fotos aus der Ausstellung hinterlassen hatte. Ob das seiner Meinung nach reiner Zufall war, oder ob es etwas bedeuten könnte?
„Ob es etwas bedeutet, kann ich nicht sagen. Möglich. Nicht zwingend. Aber vielleicht kannst du es ja untersuchen? Mit einem Ritual beispielsweise?“
„Stimmt“, nickte ich. „Ich selbst kann das nicht, aber Edward.“
Heimdall schnaubte amüsiert. „Na wenn du das jetzt nicht kannst, hier, an diesem Ort, wer dann?“
Ich stutzte. „Oh. Stimmt.“

Und, betonte Heimdall, die Sache sei eilig - eiliger, als wir gedacht hatten. Denn bisher waren wir ja davon ausgegangen, dass erst drei Winter ohne Sommer kommen müssten, bevor Ragnarök über die Welt hereinbrechen könnte… aber erstens habe Odin gute Kontakte zum Winterhof, und zweitens sei ja nirgends festgelegt, wo die drei Winter stattfinden sollten. Und wie wir ja selbst gesehen hätten, stünden die Einherjer bereits kurz vor dem Aufbruch.

Oh, mierda.

Dann jedenfalls verabschiedete Heimdall sich, und wir dankten ihm für die Informationen und die Hilfe und verabredeten, in Kontakt zu bleiben.

Sobald von dem Asen nichts mehr zu sehen war, besprachen wir unsere Prioritäten.
Erstens: Mit Haley reden.
Zweitens: Lokis Zelt und die Fotus untersuchen.
Drittens: Neue Wards. Einmal komplett frische hier bei Casita in unserer neuen Sommerdomäne, aber tatsächlich auch bei Pans jetzt nur noch griechischer Residenz. Denn durch die Änderung der Verhältnisse haben die bestehenden Wards, die ja auf die alten Verhältnisse ausgerichtet waren, einen Großteil ihrer Kraft verloren, wenn sie nicht gar komplett zusammengebrochen sind. Darauf wollten wir Dee ansetzen, sobald wir uns wieder mit den anderen Guardians trafen.
Viertens: Einen neuen Sommerherzog finden. Denn dass ich das auf Dauer nicht bleiben kann und will, das steht mal fest.

Bevor wir aber die Domäne verließen, hielt ich für die kleine Gruppe an Sommer-Getreuen, die uns aus Pans Palast gefolgt waren, erst noch eine kleine Ansprache. Es war spontan, und den genauen Wortlaut bekomme ich nicht mehr zusammen, aber ich sagte etwas von wegen, dass ich dankbar für ihre Treue zu Sommer war und stolz darauf, wie sie sich den widrigen Umständen und den sich überstürzenden Ereignissen gestellt hätten, und dass ich sicher sei, dass wir es schaffen würden. Zu Beginn meiner Rede dachte ich kurz, ich dringe nicht zu ihnen durch, zu niedergeschlagen wirkten alle, aber dann gelang es mir, glaube ich, doch, sie zu motivieren und zu stärken.

Anwesend waren natürlich Sir Anders und Sir Aidan, die nach dem Debakel mit Lady Fire einzigen verbliebenen Sidhe-Ritter. Kurz machte ich mir Sorgen um Sir Fingal, der sich ja noch in den letzten Zügen seiner Bußqueste befindet, aber dann regte sich mein neues Wissen als geschäftsführender Herzog, und mir wurde bewusst, dass Sir Fingal bei seiner Rückkehr zur Residenz des Sommers gezogen wird, ganz egal, wo diese sich befindet, er also nicht unversehens bei Pans jetzt-nicht-mehr-Sommerpalast aufschlagen, sondern zu Casita finden wird. Ich muss ihn also nicht zwingend von den Änderungen benachrichtigen, auch wenn ich es vielleicht trotzdem tun werde. Ich muss sehen, wie schwer oder wie leicht es ist, ihn ausfindig zu machen, denn viel Energie kann ich nicht dafür aufwenden. Dafür gibt es wahrlich genug anderes und Drängenderes zu tun.

Aber jedenfalls hatten sich außer den beiden Rittern auch einige Brownies, kleine geflügelte Feen, Pixies und Blumenfeen eingefunden – darunter zu meiner freudigen Überraschung auch Christabella, der ich vor Jahren, ganz zu Beginn der Sache mit Richard Raiths herausgelöstem Geist, mal die Flügel gerichtet hatte. Außerdem war eine hochgeborene Sidhe dabei, Lady Rhodorea, die keine Ritterin, sondern, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, eine vornehme Blumenlady ist.
Dazu kamen Saltanda und ihre Tochter Lily, und eben Sindri, die meinte, sie könne ja dann die neutrale Botin zu Pans Hof machen, falls nötig.
Ich ernannte Sir Anders zu meinem Stellvertreter in meiner Abwesenheit – und schob, als ich merkte, dass Lady Rhodorea ein etwas angesäuertes Gesicht machte, schnell noch ein „in allen militärischen Dingen“ hinterher und ernannte Lady Rhodorea zu meiner Stellvertreterin in zivilen Dingen, was die Blumen-Sidhe besänftigte.

In dem Zusammenhang machte Totilas erst eine blöde Bemerkung, dass ich jetzt der neue Herzog sei, und als ich ihn verbesserte, das sei nur geschäftsführend, noch eine und dann noch eine.
Und das ist bei mir ein ganz wunder Punkt, verdammt. Wenn ich der Herzog bleiben würde, dann würde ich irgendwann meine Menschlichkeit verlieren und zu einem Feenwesen werden, und ¡padre en el cielo, ayudame!, das darf nicht passieren.
Jedenfalls wollte Totilas einfach nicht aufhören zu trollen, egal, wie oft ich ihn korrigierte und wie zunehmend scharf mein „NEIN!“ wurde – er machte mich wirklich ernsthaft wütend damit.

Dann spürte ich plötzlich eine Wärme im Kopfbereich, und mein Gesichtsfeld wurde leicht gelb-orangefarben, und mir wurde bewusst, dass da eben vor Wut Flammen in meinen Augen aufgeflackert waren. Ich blinzelte, und die Flammen erloschen wieder – und Totilas grinste triumphierend.
„Siehst du, genau das habe ich gemeint. Genau das musst du verstehen. Du bist jetzt der Herzog, du hast die Kräfte des Herzogs, und du musst üben, damit du weißt, was du genau kannst, damit es dich nicht unvermittelt überkommt.“

Sabihondo. Das hätte er auch erreichen können, ohne dass er mich so auf die Palme bringt. Vernünftig und berechtigt war der Rat natürlich trotzdem – auch wenn ich mir einbilden möchte, dass ich auch von selbst so schlau gewesen wäre, dass neue Kräfte ausgelotet werden müssen.

Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Lily zu mir. Sie ist zwar erst drei Jahre alt, aber wegen ihres Feenerbes wirkt sie bereits wie sechs, und sie ist nicht umsonst die Tochter einer Nymphe und eines ehemaligen Male Models – wenn sie in der Menschenwelt aufwachsen würde, wäre sie die perfekte Kandidatin für Kleinmädchen-Schönheitswettbewerbe.
Lily also kam zu mir, sah mich mit unschuldigem Aufschlag ihrer großen, wunderschönen Augen an und fragte: „Onkel Cardo, kannst du nochmal machen, dass deine Augen so leuchten?“
Ich lächelte sie an und antwortete: „Weißt du, das ist ganz neu, und das passiert gerade nur, wenn ich mich richtig doll ärgere. Und ich will mich nicht richtig doll ärgern. Aber ich werde es üben, und wenn ich es an- und abschalten kann, wie ich will, dann zeige ich es dir nochmal, okay?“
Mit einem enttäuschten „mmmhm“ zog die Kleine ab – und ging schnurstracks zu ihrem Vater.
„Papa, mach mal, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen wieder leuchten!“
Roberto schüttelte den Kopf. „Nein, das mache ich nicht, das Talent dafür hat Totilas.“

Es war klar, was passieren musste.
„Onkel Totilas, kannst du machen, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen leuchten?“
Aber auch von unserem White Court-Kumpel wurde die Kleine enttäuscht. „Ich kann schon, aber ich will nicht.“
Daraufhin ließ Lily den Kopf hängen und erklärte, sie sei voll lahm, weil alle das könnten, nur sie nicht. Totilas erwiderte, das stimme doch gar nicht, dass ‚alle‘ das könnten – er zum Beispiel könne das auch nicht.
„Dann sind wir beide lahm“, sagte Lily, noch immer niedergeschlagen.
„Ich weigere mich, das zu akzeptieren“, gab Totilas würdevoll zurück, „ich bin nicht lahm, und du bist es auch nicht. Jeder hat etwas, das er kann.“
Lily nickte. „Ich kann tanzen!“
„Na siehst du.“

Ich verfolgte diesen Austausch amüsiert und auch ein bisschen gerührt, und ich verkniff mir jegliche Bemerkung von wegen, dass Alejandra auch immer etwas neidisch darauf gewesen sei, dass Monica Feuer machen konnte, während sie selbst nichts dergleichen hatte. Einmal, weil ich Lily nicht wieder enttäuschen wollte, wo Totilas sie gerade so schön beruhigt hatte, aber vor allem, weil ich immer noch nicht ganz sicher bin, was das mit Alejandra und dem Schwert der Morrigan und den Raben jetzt genau ist.

Jedenfalls verließen wir dann die neue Sommerdomäne und kehrten zurück in die mundane Welt.
Ähnlich wie aus Pans Palast war auch vom hiesigen Strand aus die Skyline von Miami leicht verschwommen sichtbar, und als wir dann hinüberwechselten, waren wir auch immer noch am Strand, aber eben ein gutes Stück abseits vom früheren Eingang.
Aus der Entfernung konnten wir eine ganze Reihe von Einherjern sehen, die wie Rettungsschwimmer gekleidet waren und wohl weiterhin gegen die Fomori Wache hielten, aber auch den Zugang zu Pans Palast schützten.
Wir legten es nicht auf Konflikt an, sondern verließen den Strand in die andere Richtung.

Wir riefen die anderen zu einem Treffen in der Casa Guardián zusammen – es sagten auch alle zu, bis auf Fébé, Ilyana und Cicerón, die mit irgendetwas ganz schrecklich beschäftigt waren, denn von ihnen kam nur ein: „Geht gerade nicht, Stress! Nachher mehr!“, bevor der Kontakt wieder abbrach.
Als nächstes versuchten wir einen Anruf bei Haley. Der Empfang war etwas schwierig, weil sie sich gerade in Helheim befand, aber es gelang uns, für heute am späten Abend (Mitternacht, um genau zu sein), ein Treffen an Bjarkis Haus auszumachen. (Bei ihm im Gartenhäuschen befindet sich ja das Portal nach Helheim, das Haleys Touristen immer benutzen.)

Und jetzt warten wir. Aber wenigstens hat mir das die Zeit gegeben, bis hierher alles aufzuschreiben.

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Sobald die anderen da waren, erzählten wir ihnen ausführlich alles, was passiert war.
Dee sagte sofort, sie wolle sich um die Wards kümmern, sowohl bei Casita als auch bei Pan. Denn sie selbst hat mit dem obersten Satyr ja so direkt keinen Zwist – obwohl es vielleicht ein Problem geben könnte, weil sie Alex‘ Schwester ist und Alex ja Eleggua dient, den Odin als seinen Hauptfeind auserkoren hat. Aber Dee meinte, das würde sie schon hinbekommen: Im Zweifelsfall würde sie einfach ein wenig die Wahrheit beugen und Pan erzählen, was Alex damals mit ihrem Barbie-Haus gemacht habe.
Daraufhin holte Alex wortlos ein Notizbuch heraus und schrieb etwas auf. Ich war neugierig und schaute ihm über die Schulter. Da stand „Tage seit Erwähnung des Barbie-Hauses“, und Alex hatte soeben eine sehr große Zahl durchgestrichen und „0“ hingeschrieben.

Bezüglich Baldur meinte Bjarki, wegen der Sache mit den Tränen könne es vielleicht schwierig werden, Hel dazu zu bringen, ihn freizugeben; sie könne ziemlich nachtragend sein.
Verdammt, aber es hilft ja alles nichts, versuchen müssen wir es.
Bjarki will allerdings nicht mitkommen, sondern bot an, Dee bei den Wards zu helfen – es war ziemlich offensichtlich, dass er seiner Schwester lieber nicht begegnen wollte. Außerdem erwähnte er ausdrücklich, dass wir Hel nicht in sein Haus lassen sollten, Privatsphäre und all das.

Bevor die beiden sich aufmachen konnten, rief Cicerón bei Edward an: Der Stress waren falsche Einherjer gewesen, die die Santo Shango angegriffen hatten. Die drei hatten den Angriff abwehren und die falschen Einherjer besiegen können, in der Beziehung war also alles in Ordnung, aber sie wollten bescheid sagen, weil sie den Eindruck hatten, dass da jemand gezielt Zwietracht säen wollte.

Inwiefern waren die Einherjer denn falsch gewesen, wollten wir natürlich sofort wissen.
„Ungefähr so wie diese Typen auf der Hochzeit, diese freiwilligen Outsider-Fans“, erwiderte Ciceron, „irgendwie falsch eben.“

Oha. Also entweder waren das echte Einherjer, die sich den Outsidern geöffnet hatten, oder es waren von Outsidern beeinflusste Menschen, die so taten, als wären sie Einherjer. Vermutlich eher Ersteres. Im Moment machte es aber keinen echten Unterschied, außer vielleicht in der Kampfkraft, aber es war einfach noch ein Problem auf der Liste. Die drei hätten jedenfalls gut zu tun, die anderen Santerios zu beruhigen und von einem Gegenschlag abzuhalten, sagten sie. Sie sagten aber auch, dass sie das hinbekämen.
Gut, dann mussten wir uns um diese Baustelle im Moment nämlich nicht auch noch kümmern.
 
Bis zum Treffen mit Haley waren noch einige Stunden Zeit, also trennten wir uns erst einmal und gingen alle nach Hause. Natürlich bemerkte Lidia, dass etwas anders war bei mir, und natürlich erzählte ich ihr alles (nur fürs Protokoll, das hätte ich natürlich auch, wenn sie von sich aus nichts gemerkt hätte). Die Entwicklung beunruhigte Lidia ziemlich, was ebenfalls nur natürlich war, und obgleich ich sie zu beruhigen versuchte, dass das ja nur vorübergehend sei und ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um baldmöglichst den alten Zustand wiederherzustellen, blieb sie besorgt. Und auch das war, ist, nur allzu verständlich. Ich bin ja selbst auch besorgt deswegen.

Aber jetzt muss ich auch bald los, ich wollte nur das hier gerade noch niederschreiben. Und, wieder nur für’s Protokoll, ich habe mich nicht mit meinem Tagebuch zurückgezogen, solange Lidia noch wach war, die ist aber vorhin gerade ins Bett, und da blieb mir noch ein bisschen Zeit vor dem Aufbruch.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: Timberwere am 22.03.2024 | 16:36
20. November

Fast Mittag. Ich habe ganz schön lange geschlafen, aber ich kam ja auch erst in den frühen Morgenstunden ins Bett.

Pünktlich um Mitternacht kam Haley aus dem Portal in der Gartenhütte.
„Ich mache mir Sorgen wegen Ragnarök“, kam sie gleich zur Sache, „ich habe keinen Bock auf Ragnarök!“
„Das ist gut“, erwiderte ich, „das geht uns genauso, weil –“, aber dann unterbrach ich mich. „Sollen wir uns vielleicht irgendwo setzen?“
Daraufhin schlug Haley gleich Bjarkis Haus vor, aber das konnte ich zum Glück abbiegen, auch, weil Haley selbst auch noch einfiel, dass ihr Bruder ja auch zu ihr etwas von ‚Privatsphäre‘ gesagt hatte.

Also gingen wir ins Dora’s, da war um diese Zeit nichts mehr los – und als Miteigentümer könnten wir ohnehin um jede Uhrzeit dort aufkreuzen, selbst wenn schon geschlossen wäre.
Wie dem auch sei, wir berichteten Haley, was los sei, dass eben Odin unter den Einfluss von Outsidern gelangt sei und offenbar schon sehr bald Ragnarök lostreten wolle.
Haley runzelte die Stirn. „Aber Ragnarök soll doch eigentlich gegen die Riesen gehen? Hmmm… Naja, vielleicht könnte man Ragnarök auch gegen die Orishas austragen, die sind ja auch mächtig.“ Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. „Ein Einfluss durch die Outsider würde viel erklären – aber seid ihr sicher?“
„Wir können nichts beweisen“, sagte Totilas.
Aber das konnte ich so nicht unwidersprochen stehen lassen, oder zumindest nicht unergänzt.
„Naja… Es ist ein Fakt, dass Pennywise den Raben mit einem der Dolche getötet hat. Es ist ein Fakt, dass Pennywise jetzt also Odins halbes Gedächtnis in sich trägt und die andere Hälfte des Gedächtnisses sich noch in Odin befindet. Die Verbindung zwischen den beiden ist ein Fakt.“

Als Haley zustimmend nickte, fuhr ich fort: „Und deswegen sollte jemand Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist, damit er diesen Einfluss vielleicht abwerfen kann. Aber das muss von jemandem kommen, dem Odin vertraut, und deswegen dachten wir an Baldur. Und vielleicht kannst du Fenris überzeugen, nicht die Sonne zu fressen?“
Haley schnaubte mit einem Anflug von Belustigung. „Naja, das ist nicht so einfach: Fenris hat selbst nicht so viel Entscheidungsgewalt darüber, ob er die Sonne frisst oder nicht – die Macht der Mythologie ist so groß, die zwingt ihn möglichweise gegen seinen Willen.“
„Okay… aber Baldur? Wärst du bereit, Baldur freizugeben? Denn er ist ja nun einmal der, der von Odin am meisten gemocht wird.“
Diesmal war Haleys Schnauben zu gleichen Teilen genervt, von widerwillig aufrichtiger Zuneigung und genau aus diesem Grund über sich selbst belustigt: „<Em>Jeder mag Baldur, egal ob er will oder nicht. Der ist einfach nett!“
„Würdest du ihn denn dann freigeben? Und wäre es auch nur zeitweilig?“
„Das ist nicht so einfach“, erwiderte Haley. „Es ist ja nicht nur mein Wille, es geht ja auch um Baldurs Willen.“
„Öh, meinst du denn, er wird nicht mit seinem Vater reden wollen?“
„Jaaaa... also... weißt du...“

Was sie mit diesem uncharakteristischen Zögern sagen wollte, war, dass Baldur gar nicht mehr in Helheim ist.
„Der war so nett und so überzeugend und wollte so gerne die Welt sehen, und andere Unterwelten haben ihn auch interessiert – er sagte was von Nirwana und Xibalba –, da habe ich ihn gehen lassen.“
Und als dann die anderen Asen ankamen und Baldur zurückhaben wollten, habe sie nicht gewollt, dass alle davon erfuhren, also musste die Ausrede mit den Tränen her, und Loki habe ihr in Gestalt der Riesin geholfen, damit das Ganze als seine Bosheit abgetan werden konnte und die Sache nicht aufflog.
Aber sie habe schon sehr lange nichts mehr von Baldur gehört; das letzte Lebenszeichen sei eine Postkarte aus Paris gewesen, um 1920 herum.

„Nach Xibalba haben wir Kontakte“,  sagte ich nachdenklich, als sie geendet hatte, „falls er noch dort sein sollte, könnten wir ihn dort vielleicht finden.“
„Ich bezweifle, dass er noch in Xibalba ist“, gab Haley zurück, „aber warum lokalisiert ihr ihn nicht mit einem Ritual? So wie du gerade drauf bist, sollte das doch kein Problem sein!“
Sie schaute mich durchdringend an. „Was ist da eigentlich passiert? Dir kommt die Sommermagie ja zu den Ohren heraus!“
Also erzählte ich auch ihr alles, woraufhin Haley mir noch einen Blick zuwarf und meinte: „Aber ein Mensch bist du noch, das spüre ich.“
Puh. Und das dachte ich nicht nur, das entfuhr mir auch, und zwar sehr von Herzen.

Bevor Haley ging, sprach ich auch sie auf Lokis Fotos an. Sie hielt es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass ihr Vater diese Fotos als eine Art Rückversicherung oder Notfallplan für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen würde, hinterlassen haben könnte. Sie wusste nicht, welcher Art diese Rückversicherung genau sein könnte, und falls es eine sei, dann wohl kaum für genau diesen Fall speziell, aber ganz grundsätzlich ein Notfallplan für irgendwas vielleicht.

Gut. Also. Nächster Plan: Baldur finden und tatsächlich die Fotos mal genauer anschauen.
Ich übernahm die Rechnung, und Haley verabschiedete sich, nachdem auch wir die Abmachung getroffen hatten, in Kontakt zu bleiben.

Um Mitternacht hatten wir uns getroffen; das Gespräch hatte eine gute Stunde gedauert, dazu die Fahrt – bis ich nach Hause kam, war es nach 02:00 Uhr.
Eigentlich wollte ich ganz leise ins Bett, um Lidia nicht aufzuwecken, aber die wurde natürlich doch wach. Also redeten wir noch, und kuschelten, und, nun ja. Ob jetzt die neue, aufgestaute Sommerenergie einen Anteil daran hatte oder es schlicht und ergreifend an der Tatsache lag, dass ich eine wunderschöne, liebevolle, aufregende Ehefrau habe... Es blieb nicht beim Kuscheln. Was eben auch der Grund ist, warum es heute morgen so spät wurde.
Titel: Re: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")
Beitrag von: sindar am 23.03.2024 | 17:48
Uiii, schön! ^-^

Odin korrumpiert?!? Ach du Schreck. Viel Erfolg beim Überzeugen!