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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Rollenspieltheorien => Thema gestartet von: rettet den wald am 14.03.2013 | 20:27

Titel: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 20:27
Wie in diesem (http://tanelorn.net/index.php/topic,82617.0.html) Thread schon erwähnt wurde, wäre eine Diskussion über die genaue Definition und die Notwendigkeit von "Balance" durchaus interessant. In diesem Thread will ich versuchen, "Balance" etwas genauer zu definieren, wobei ich den Begriff in mehrere Teilbereiche zerhäckseln will, bei denen dann jeweils beurteilt werden soll, ob sie Sinn machen und wenn ja unter welchen Umständen.



Ich würde 4 Arten von Balance unterscheiden:
-> Balance von Herausforderungen
-> Balance von Charaktereffektivität
-> Balance von Strategien
-> Balance von Screentime



1.: Balance von Herausforderungen
Das ist ein ziemlich einfaches Konzept: Wenn die Charaktere (und Spieler) sich einer Herausforderung stellen, dann ist diese Herausforderung "balanciert", wenn die Schwierigkeit der Herausforderung den Fähigkeiten der Charaktere (und Spieler) entspricht. Eine zu leichte oder zu schwere Herausforderung kann Langeweile oder Frust auslösen, und ist daher "unbalanciert". Die Schwierigkeit von Herausforderungen wird dabei meistens vom SL festgelegt, aber auch das System kann sowas machen (bekanntestes Beispiel sind die Challenge ratings in D&D).


2.: Balance von Charaktereffektivität
Diese Art von Balance ist die, die der Threadersteller im Ursprungsthread vermutlich gemeint hat. Charaktere (oder zumindest Startcharaktere) sollen alle etwa die selbe spielmechanische Effektivität haben. Wenn ein Spieler das Gefühl hat, dass der Charakter eines anderen Spielers wesentlich mehr bewirken kann als der eigene Charakter, einfach nur deswegen weil der andere Spieler das Generierungssystem besser ausgereizt hat oder bei der Charaktererschaffung besser gewürfelt hat, dann führt das zu Unzufriedenheit. Für diese Art von Unbalanciertheit ist fast ausschließlich das System verantwortlich, beispielsweise durch zufallsbasierte Charaktereffektivität oder Währungslücken in einem Punktekaufsystem. Anmerkung: "Charaktereffektivität" heißt hier, dass du als Spieler Einfluss auf die Spielwelt nehmen kannst, indem du deinen Charakter seine Fähigkeiten benutzen lässt. Eine Fähigkeit, die für eine bestimmte Kampagne absolut irrelevant ist, zählt auch nicht zur Charaktereffektivität.


3.: Balance von Strategien
Wenn du im Nahkampf den Kopf des Gegners attackierst, hast du einen vernachlässigbaren Abzug und es macht dafür viel mehr Aua. Wenn du den Gegner im Fernkampf attackierst, machst du wesentlich mehr Schaden und hast weniger Risiko, selbst Schaden zu erleiden. Wenn du mit der Axt kämpfst, machst du deutlich mehr Schaden als mit dem Schwert, ohne wirkliche Nachteile. Bei diesen ganzen Beispielen ist eine bestimmte Strategie deutlich effektiver als eine andere: Kopftreffer sind besser als andere Treffer, Fernkampf ist besser als Nahkampf, Axt ist besser als Schwert. Solange die Entscheidung für diese Strategien nicht an den Charakter selbst gekoppelt ist (beispielsweise durch eigene Schwert- und Axt-Skills), ist dieses Problem in meinen Augen nicht so groß: Die Spieler haben einfach effektiv weniger Möglichkeiten, wie sie agieren können, und wenn sie die Überlegenheit einer bestimmten Strategie erkennen, können sie sich problemlos darauf umstellen. Ein bestimmtes Minimum an sinnvollen Möglichkeiten sollte allerdings natürlich gegeben sein, und allzu offensichtliche "sinnlose Strategien" sind meiner Ansicht nach Platzverschwendung im Regelwerk und Zeitverschwendung für die Spieler.


4.: Balance von Screentime
Hier geht es weniger um die spielmechanische Komponente eines Charakters, sondern darum, wie sehr der Charakter im tatsächlichen Spiel im Vordergrund steht. Diese beiden Aspekte sind natürlich nicht unabhängig voneinander, allerdings kann es durchaus Charaktere geben, die spieltechnisch wenig drauf haben, aber dennoch ständig im Rampenlicht stehen, beziehungsweise sehr mächtige Charaktere, die eher im Hintergrund sind. Hier tritt ein Problem dann auf, wenn ein Spieler im Spotlight stehen will, aber trotzdem nicht die Möglichkeit bekommt, weil er von anderen Spielern ständig überschattet wird. Frustrierend. Hier ist vor allem der SL gefragt, eine Screentime-Balance zwischen den einzelnen Spielern herzustellen.




Ok, das sind mal die 4 Arten von Balance, die mir eingefallen sind. Fallen jemandem von euch noch weitere ein? Welche dieser Balance-Arten ist für euch wichtig? In welchen Situationen?
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 14.03.2013 | 20:37
Was ist mit unmechanischer Stärke? Sprich sowas wie politische Macht, Kontakte etc. ?
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 20:44
Was ist mit unmechanischer Stärke? Sprich sowas wie politische Macht, Kontakte etc. ?

...

...Ok, das vergessen zu haben ist mir jetzt besonders peinlich, weil du mich ja am Ende des letzten Threads explizit darauf hingewiesen hast. ^^'

Es gibt also eine fünfte Art der Balance:
-> Balance des Charakterhintergrunds (im Gegensatz zur Charaktereffektivität)
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 14.03.2013 | 20:48
Ich glaube, eine ganz zentrale Frage ist, wo jeweils das Spiel anfängt. Beispiel: Elfen sind besser als Zwerge. Man kann sagen, das sei unbalanciert. Jedoch nur genau dann, wenn die Entscheidung über Elf oder Zwerg noch nicht Teil des Spiels ist. Genauso gut, könnte die erste Aufgabe des Spiels sein, zu erkennen, dass Zwerge Grind sind und daher Elfen zu nehmen. Man kann auch sagen: Wenn es nur ums gewinnen geht, ist jede Handlung rational. Wir haben es dagegen gern, dass Elfen und Zwerge balanciert sind, weil wir der Wahl Zwerg zu spielen, einen Wert abseits des Gewinnens beimessen.

Aus diesem Grund machst du die Unterscheidung zwischen Charaktereffektivität und Strategien. Das Spiel fängt nach dieser Einteilung genau zwischen diesen beiden Bereichen an. Die Auswahl des Charakters soll demnach keine strategische sein. Diese Einteilung ist jedoch in gewissem Maße arbiträr. Es kann z.B. durchaus vorkommen, dass es heißt: "Wir bräuchten noch nen Magier." In diesem Fall ist es egal, wenn einzelne Charakteroptionen nicht balanciert sind. Es muss dann nur Einigkeit herrschen, dass die entsprechenden Rollen besetzt sein müssen und das Spiel beginnt daher bereits mit dieser Verteilung.


Ansonsten kam auf der letzten Seite jenes anderen Themas noch eine genauere Unterteilung deines vierten Punktes auf: Einmal gleichsam die Eingebundenheit in das Szenario, wie bedeutsam als der Charakter für die Umgebung ist. Andererseits dagegen eine gewisse Aufladung, die ein Charaktertyp durch die Genre-Kenntnis und/oder Anteilnahme der Teilnehmer unabhängig vom Spielverlauf erfahren kann.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 21:11
Ich glaube, eine ganz zentrale Frage ist, wo jeweils das Spiel anfängt. Beispiel: Elfen sind besser als Zwerge. Man kann sagen, das sei unbalanciert. Jedoch nur genau dann, wenn die Entscheidung über Elf oder Zwerg noch nicht Teil des Spiels ist. Genauso gut, könnte die erste Aufgabe des Spiels sein, zu erkennen, dass Zwerge Grind sind und daher Elfen zu nehmen. Man kann auch sagen: Wenn es nur ums gewinnen geht, ist jede Handlung rational. Wir haben es dagegen gern, dass Elfen und Zwerge balanciert sind, weil wir der Wahl Zwerg zu spielen, einen Wert abseits des Gewinnens beimessen.

Aus diesem Grund machst du die Unterscheidung zwischen Charaktereffektivität und Strategien. Das Spiel fängt nach dieser Einteilung genau zwischen diesen beiden Bereichen an. Die Auswahl des Charakters soll demnach keine strategische sein. Diese Einteilung ist jedoch in gewissem Maße arbiträr. Es kann z.B. durchaus vorkommen, dass es heißt: "Wir bräuchten noch nen Magier." In diesem Fall ist es egal, wenn einzelne Charakteroptionen nicht balanciert sind. Es muss dann nur Einigkeit herrschen, dass die entsprechenden Rollen besetzt sein müssen und das Spiel beginnt daher bereits mit dieser Verteilung.

Mir persönlich ist es ziemlich egal, ob die Charaktererschaffung jetzt als "Teil des Spiels" zählt oder nicht. Mein wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist hier, dass eine "falsche" Entscheidung bei der Charaktereffektivität dich permanent benachteiligt (weil du beispielsweise das falsche Volk genommen oder deine Punkte in Schrott reingesteckt hast), während eine "falsche" Entscheidung bei der Strategie ein temporärer Rückschlag ist. Beim "Wir brauchen noch nen Magier"-Beispiel geht es beispielsweise um Charaktereffektivität, wenn sich die Entscheidung für die Magierklasse später nicht mehr zurücknehmen lässt und Magier hoffnungslos underpowered sind. Das kommt effektiv einem Charaktertod beim Spielstart gleich, weil du dir erst einen neuen Charakter bauen müsstest, um Spaß am Spiel zu haben.



Ansonsten kam auf der letzten Seite jenes anderen Themas noch eine genauere Unterteilung deines vierten Punktes auf: Einmal gleichsam die Eingebundenheit in das Szenario, wie bedeutsam als der Charakter für die Umgebung ist. Andererseits dagegen eine gewisse Aufladung, die ein Charaktertyp durch die Genre-Kenntnis und/oder Anteilnahme der Teilnehmer unabhängig vom Spielverlauf erfahren kann.

Die Eingebundenheit in das Szenario und die Kontakte des Charakters müssen auch nicht unbedingt was mit Screentime zu tun haben: Ich kann noch so viele noch so wichtige Leute kennen, in einem Abenteuer wo ich von diesen Leuten abgeschnitten bin oder sie mir aus sonst irgendeinem Grund nicht helfen können, bin ich trotzdem aufgeschmissen. Daher der nachgereichte fünfte Punkt.

...Was die "Aufladung" des Charakters in den Augen der Teilnehmer angeht bin ich immer noch skeptisch. Wie will man vor dem Spielstart wissen, welcher Charakter bei den Spielern besondere Anteilnahme finden wird?
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 21:17
Meine persönliche Meinung zu dem Thema ist sehr eindeutig:
Balancing ist schmu. Zumindest versagen genau die Systeme, die sich das verklausuliert immer auf die Fahne schreiben ganz gewaltig.
Bzgl. deiner ersten 3 Punkte ist es (quasi) unmöglich. Ich würde das übrigens einfach unter der Überschrift "mechanische Balance" zusammenfassen.

Für mich (ganz persönlich) geht es eher um eine faire Verteilung von Screentime und Spotlights. Und das kann glücklicherweise gänzlich unabhängig von der "mechanischen Balance" funktionieren.

Ein Beispiel aus der Populärkultur sei hier genannt: der Marvel-Film Avengers.
Obwohl die Charaktere "mechanisch" auf völlig unterschiedlichen Ebenen agieren, spielt jeder im Film seine Rolle und hat seine (relevanten) Momente. So stelle ich mir das für meine Runden vor.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 21:20
Meine persönliche Meinung zu dem Thema ist sehr eindeutig:
Balancing ist schmu. Zumindest versagen genau die Systeme, die sich das verklausuliert immer auf die Fahne schreiben ganz gewaltig.
Bzgl. deiner ersten 3 Punkte ist es (quasi) unmöglich. Ich würde das übrigens einfach unter der Überschrift "mechanische Balance" zusammenfassen.

Ok, für dich ist also nur Punkt 4 wichtig. Kannst du etwas näher erklären, warum die ersten drei Punkte unmöglich sein sollen? Ich bin nämlich der Meinung, dass sie definitiv möglich sind.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 14.03.2013 | 21:25
Beim "Wir brauchen noch nen Magier"-Beispiel geht es beispielsweise um Charaktereffektivität, wenn sich die Entscheidung für die Magierklasse später nicht mehr zurücknehmen lässt und Magier hoffnungslos underpowered sind. Das kommt effektiv einem Charaktertod beim Spielstart gleich, weil du dir erst einen neuen Charakter bauen müsstest, um Spaß am Spiel zu haben.

Ich mach dann einmal ein wirklich blödes Beispiel: Torhüter sind völlig underpowered. Die schießen nie Tore. Man sollte mit 11 Stürmern spielen.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 21:30
Gerne.
Ja, Punkt 4 entscheidet (für mich) über Spaß - oder eben nicht - am Spieltisch.

Ich kann es jetzt nicht durch irgendeine wissenschaftliche Betrachtung begründen, sondern nur von persönlicher Betrachtung und Erfahrungswerten ausgehen.

Die Systeme, die sich das Balancing auf die Fahne schreiben (oder so wahrgenommen werden), wie z.B. PF, DSA, SR scheitern sehr oft genau daran. Es gibt bzgl. der mechanischen Balance eben einfach immer ein bestes Konzept für den Charakter. Das kann sich natürlich unterschiedlich ausprägen. D.h. der eine Charakter ist "der beste" wenn es um Vielfältigkeit geht, der nächste, wenn es um die Lösung von sozialen Konflikten geht, der andere wieder, wenn es um den Damage-per-Round-Output geht.
Dennoch gibt es in jedem (vor allen in äußerst komplexen und verklausulierten) System immer für eine jeweilige Aufgabenstellung einen "besten" Charakter. So kann Balancing imho nicht funktionieren, bzw. darum kann es dann ja wohl nicht gehen, oder?

Daraus folgt für mich:
Es kann nur um das Balancing von Screentime gehen. Und auch da gilt es, für jeden Spieler die richtige Lösung zu finden, da hier ja auch unterschiedliche Typen vorhanden sind.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 21:32
Ich mach dann einmal ein wirklich blödes Beispiel: Torhüter sind völlig underpowered. Die schießen nie Tore. Man sollte mit 11 Stürmern spielen.

...ok, ich versteh nicht wirklich worauf du hier hinaus willst. Balancierte Charaktereffektivität heißt nicht, dass alle gleich viel Damage machen müssen. Balancierte Charaktereffektivität heißt, dass alle in etwa den selben spielmechanischen Einfluss auf die Spielwelt haben. Dieser Einfluss kann jetzt sowohl sein "Ich mach nen Haufen Damage!", "Ich halte ne Menge aus!", "Ich bin ein toller Heiler!", oder sonstwas.

Der Einfluss des Stürmers wäre, dass er Tore schießt. Der Einfluss des Torhüters wäre, dass er gegnerische Tore verhindert. Beides sind wichtige Aufgaben mit Einfluss auf den Ausgang des Spiels. Mangelnde Charaktereffektivität würde heißen, dass dieser Spieler keinen nennenswerten Einfluss auf den Ausgang des Spiels haben kann.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 21:34
...ok, ich versteh nicht wirklich worauf du hier hinaus willst. Balancierte Charaktereffektivität heißt nicht, dass alle gleich viel Damage machen müssen. Balancierte Charaktereffektivität heißt, dass alle in etwa den selben spielmechanischen Einfluss auf die Spielwelt haben. Dieser Einfluss kann jetzt sowohl sein "Ich mach nen Haufen Damage!", "Ich halte ne Menge aus!", "Ich bin ein toller Heiler!", oder sonstwas.

Der Einfluss des Stürmers wäre, dass er Tore schießt. Der Einfluss des Torhüters wäre, dass er gegnerische Tore verhindert. Beides sind wichtige Aufgaben mit Einfluss auf den Ausgang des Spiels. Mangelnde Charaktereffektivität würde heißen, dass dieser Spieler keinen nennenswerten Einfluss auf den Ausgang des Spiels haben kann.

Diesen Einfluss hat er bei unserem Beispiel aber nicht zwingend. Wenn der Gegner kein einziges Mal vor das eigene Tor kommt, fühlt sich der Spieler wahrscheinlich ziemlich gearscht, da er ja den "besten" Torhüter gebaut hat.
Und schon sind wir wieder beim Spotlight, wenn wir zufriedene Spieler haben wollen.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 21:39
Gerne.
Ja, Punkt 4 entscheidet (für mich) über Spaß - oder eben nicht - am Spieltisch.

Ich kann es jetzt nicht durch irgendeine wissenschaftliche Betrachtung begründen, sondern nur von persönlicher Betrachtung und Erfahrungswerten ausgehen.

Was ich auch gar nicht in Frage stellen will. Jedem das seine. Ich war nur skeptisch, weil du die anderen Arten von Balance als prinzipiell unerreichbar eingestuft hast, diese für mich aber einen wichtigen Teil vom Spielspaß (bzw. eher mangelndem Spielspaß wenn sie verletzt werden) ausmachen.



Die Systeme, die sich das Balancing auf die Fahne schreiben (oder so wahrgenommen werden), wie z.B. PF, DSA, SR scheitern sehr oft genau daran. Es gibt bzgl. der mechanischen Balance eben einfach immer ein bestes Konzept für den Charakter. Das kann sich natürlich unterschiedlich ausprägen. D.h. der eine Charakter ist "der beste" wenn es um Vielfältigkeit geht, der nächste, wenn es um die Lösung von sozialen Konflikten geht, der andere wieder, wenn es um den Damage-per-Round-Output geht.
Dennoch gibt es in jedem (vor allen in äußerst komplexen und verklausulierten) System immer für eine jeweilige Aufgabenstellung einen "besten" Charakter. So kann Balancing imho nicht funktionieren, bzw. darum kann es dann ja wohl nicht gehen, oder?

Ich stimme dir zu, dass die von dir genannten Systeme diese Zielsetzung nicht erreichen. Das ist allerdings noch lange kein Grund, es als prinzipiell unerreichbar abzuschreiben. Außerdem: In einem bestimmten Bereich "der beste" zu sein, muss nichts mit Unbalanciertheit zu tun haben, solange die Charakter insgesamt gesehen etwa gleich effektiv sind.




EDIT:

Diesen Einfluss hat er bei unserem Beispiel aber nicht zwingend. Wenn der Gegner kein einziges Mal vor das eigene Tor kommt, fühlt sich der Spieler wahrscheinlich ziemlich gearscht, da er ja den "besten" Torhüter gebaut hat.
Und schon sind wir wieder beim Spotlight, wenn wir zufriedene Spieler haben wollen.

...In dem Fall geht eine Unbalanciertheit der Herausforderung eben auf eine Unbalanciertheit des Spotlights über.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 14.03.2013 | 21:40
Zumindest versagen genau die Systeme, die sich das verklausuliert immer auf die Fahne schreiben ganz gewaltig.
Nur weil jemand behauptet, sich etwas auf die Fahne zu schreiben, schreibt er es sich noch lange nicht auf die Fahne.

DSA ist zum Beispiel ein schlechtes Beispiel für Balancing, da sie sich eher Pseudo-Realismus auf die Fahne geschrieben haben.
Wenn du an Balancing interessiert bist, dann empfehle ich Gurps, Savage Worlds oder Ars Magica.

Zitat
Bzgl. deiner ersten 3 Punkte ist es (quasi) unmöglich. Ich würde das übrigens einfach unter der Überschrift "mechanische Balance" zusammenfassen.
Teilweise ist der Weg das Ziel. Es geht nicht darum, etwas zu 100% zu schaffen. Wenn man es zu 99% schafft, ist es immernoch ein Erfolg.

Zitat
Ein Beispiel aus der Populärkultur sei hier genannt: der Marvel-Film Avengers.
Obwohl die Charaktere "mechanisch" auf völlig unterschiedlichen Ebenen agieren, spielt jeder im Film seine Rolle und hat seine (relevanten) Momente. So stelle ich mir das für meine Runden vor.
Naja, alle hatten Superfähigkeiten. Normalos kamen überhaupt nicht vor. Bzw. nur als Nebenfiguren.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 21:51
Wenn du an Balancing interessiert bist, dann empfehle ich Gurps, Savage Worlds oder Ars Magica.

...GURPS hat unter allen Punktekaufsystemen die ich kenne wohl die schlechteste Charaktereffektivitäts-Balance überhaupt (zumindest gefühlt). Savage Worlds und Ars Magica müsste ich noch ausprobieren.



Teilweise ist der Weg das Ziel. Es geht nicht darum, etwas zu 100% zu schaffen. Wenn man es zu 99% schafft, ist es immernoch ein Erfolg.

Exakt meine Meinung.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 14.03.2013 | 22:00
Also einen Film heranzuziehen ist denkbar schlecht. Bei diversen Superheldenspielen (Capes, WGP...) sind die Charaktere gleichwertig. Die Regeln sind so gestrickt, dass sie es sind. So ein Ansatz funktioniert nicht.

@rettet_den_wald: Ich versuchs noch mal anders: Alles was zufällig ermittelt wird, ist notwendig balanciert. Es ist absolut fair. Jeder hatte die gleichen Chancen. Und auch eine Punkt-Kaufverteilung ist balanciert. Jeder hätte die Punkte optimal verteilen können. Wir können jetzt streiten, ob das eine noch fairer ist als das andere.

Du sagst nun, Zufallsverteilung ist nicht balanciert. Kann ja schief gehen, dann sitzt man damit. Das ist aber nur ein Problem, wenn man gleichsam annimmt, dass das Spiel erst danach beginnt. Ansonsten ist einen schlechten Charakter zu würfeln, so wie einen schlechten Angriffswurf oder zehn schlechte Angriffswürfe würfeln: Pech.

Und genauso ist es auch mit der Punktverteilung: Nur wenn man annimmt, dass diese keinen Einfluss auf das Spiel haben soll, kann ein Ergebnis unbalanciert sein. Ansonsten war es einfach nur blöd vom Anwender. Genauso wie in deinem anderen Beispiel, es blöd wäre das Schwert statt die Axt zu nehmen.

Ich könnte, um das ganze noch mal anders aufzuziehen, auch wollen, dass es ein Charaker mit beliebigen Waffen ausgestattet werden kann. Dann darf die Axt nicht besser sein das Schwert. Das wäre unbalanciert.

Wenn ich also sage: Ich will das Spiel balancieren, dann muss ich ganz genau sagen, was das Spiel ist. Genauso bei der Teamverteilung: Solange sich alle im Klaren sind, dass eine gute Teamaufstellung zum Spiel gehört, ist es egal, wie effizient die einzelnen Charaktere sind. Sie müssen nur gut zusammen arbeiten. Es braucht eben Stürmer und Abwehrspieler. Oder vielleicht fällt morgen jemandem eine total geniale neue Strategie ein. Das wäre dann auch Teil des Spiels.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 22:27
Genau dieser Film ist ein nahezu grandioses Beispiel.
Superkräfte hatten "nur" 3 Charaktere, einer hatte noch n Anzug mit Superkräften und 2 waren "beinahe super" ;)

Ich bleibe auch weiterhin dabei: Unabhängig von dem Modell der Charaktererschaffung gibt es dazu kein Balancing "per se", dieses Balancing kann am Spieltisch dann nur aus den konkreten Ereignissen in der Spielrunde ausgehen.
Je nach Abstraktionsgrad kann ich u.U. auch so etwas wie "mechanisches Balancing" erkennen bzw. erahnen, z.B. bei FATE.
Aber auch das ist alles schmu, wenn am Spieltisch die Screentime nicht entsprechend verteilt wird.
Einflussmöglichkeiten am Spieltisch sind eben nur z.T. von den Zahlen auf einem Charakterbogen abhängig und genau daran scheitert imho jedes "mechanische Balancing".

GURPS fällt in der Betrachtung von Balancing übrigens genauso in die Kategorie DnD & Konsorten wie auchMidgard, WoD, FATE und andere "modernere" Systeme.

Versteht mich nicht falsch, ich bin für Fairness, aber ich mache diese Fairness einfach nicht von einer vorgegaukelten und völlig haltlosen Illusion eines mechanischen Balancing abhängig.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 22:30
@rettet_den_wald: Ich versuchs noch mal anders: Alles was zufällig ermittelt wird, ist notwendig balanciert. Es ist absolut fair. Jeder hatte die gleichen Chancen. Und auch eine Punkt-Kaufverteilung ist balanciert. Jeder hätte die Punkte optimal verteilen können. Wir können jetzt streiten, ob das eine noch fairer ist als das andere.

Du sagst nun, Zufallsverteilung ist nicht balanciert. Kann ja schief gehen, dann sitzt man damit. Das ist aber nur ein Problem, wenn man gleichsam annimmt, dass das Spiel erst danach beginnt. Ansonsten ist einen schlechten Charakter zu würfeln, so wie einen schlechten Angriffswurf oder zehn schlechte Angriffswürfe würfeln: Pech.

Und genauso ist es auch mit der Punktverteilung: Nur wenn man annimmt, dass diese keinen Einfluss auf das Spiel haben soll, kann ein Ergebnis unbalanciert sein. Ansonsten war es einfach nur blöd vom Anwender. Genauso wie in deinem anderen Beispiel, es blöd wäre das Schwert statt die Axt zu nehmen.

Schauen wir uns nochmal meine Definition der Balance von Charaktereffektivität an: Die Fähigkeit der Spieler, über ihre Charaktere Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen, muss ungefähr gleich sein (zumindest bei Startcharakteren). Wenn Punkte ineffizient verteilt werden, oder wenn du beim Zufallswurf Pech hattest, dann ist sie nicht ungefähr gleich. Daher sind sie nicht balanciert. "Jeder hätte können" oder "Pech" sind hier irrelevant, genauso wie eine Unterscheidung zwischen "vor dem Spiel" und "während dem Spiel".

Du kannst jetzt natürlich sagen, dass meine Definition Blödsinn ist, und das wäre eine valide Position... Aus der Sicht meiner Definition von "Balance der Charaktereffektivität" sind deine Aussagen allerdings soweit ich das sehe falsch.



Wenn ich also sage: Ich will das Spiel balancieren, dann muss ich ganz genau sagen, was das Spiel ist. Genauso bei der Teamverteilung: Solange sich alle im Klaren sind, dass eine gute Teamaufstellung zum Spiel gehört, ist es egal, wie effizient die einzelnen Charaktere sind. Sie müssen nur gut zusammen arbeiten. Es braucht eben Stürmer und Abwehrspieler. Oder vielleicht fällt morgen jemandem eine total geniale neue Strategie ein. Das wäre dann auch Teil des Spiels.

...Daher auch die Unterscheidung in die 4 (jetzt 5) Typen von Balance am Beginn des Threads. Diese Typen sollen ein Vokabular dafür sein, welche Sachen ich gegeneinander balancieren will und welche nicht, jetzt mal relativ unabhängig von einem konkreten System. Meiner Ansicht nach ist Balance der Charaktereffektivität auch bei Teams wichtig: Wenn ich eine deutlich unwichtigere Rolle spielst als jemand anderer, dann führt das bei mir zu Frust. Wegen mangelnder Balance.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Maarzan am 14.03.2013 | 22:34
Ich würde sagen, was Balancing ist, hängt von den Entscheidungen ab, also dem, wo die Spieler sich relevant ins Spiel einbringen. Welche Art Entscheidungen für einen interessant sind, hängt dann vom Geschmack ab.
Ein passend "balanciertes" Spiel sorgt dafür das solche Entscheidungen auch wirklich anstehen und die Optionen zur Entscheidung selbst nicht trivial oder irrelevant sind - jeweils auf den Spielgeschmack abgestimmt natürlich, so dass der Balancingeindruck für verschiedene Spielertypen völlig unterschiedlich sein kann.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 14.03.2013 | 22:35
Warum müssen Charaktere am Anfang gleich sein? Warum nicht erst nach 7,19 oder 77 Sessions?
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 22:38
Aber auch das ist alles schmu, wenn am Spieltisch die Screentime nicht entsprechend verteilt wird.
Einflussmöglichkeiten am Spieltisch sind eben nur z.T. von den Zahlen auf einem Charakterbogen abhängig und genau daran scheitert imho jedes "mechanische Balancing".

Ok, ich versuche mal zu formulieren, wie ich das verstehe was du hier sagst:
-> Mir ist Screentime-Balancing wichtig, und mechanisches Balancing ist mir unwichtig.
-> Mechanisches Balancing, egal wie ausgefeilt, ist nur dann gut, wenn es zu gutem Screentime-Balancing führt.
-> Mechanisches Balancing führt aber nicht zu gutem Screentime-Balancing.
-> Daher kann gutes mechanisches Balancing nicht existieren.

Stimmt das ungefähr? Wenn ja: Dein Fehler liegt bei Aussage 2. Es gibt auch Leute (wie mich), denen Screentime-Balancing relativ egal ist.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 14.03.2013 | 22:39
Zitat
Du kannst jetzt natürlich sagen, dass meine Definition Blödsinn ist, und das wäre eine valide Position... Aus der Sicht meiner Definition von "Balance der Charaktereffektivität" sind deine Aussagen allerdings soweit ich das sehe falsch.

Ich versuche zu zeigen, dass die Unterscheidung in #2 und #3 unnütz ist. Genau.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 22:46
Ich würde sagen, was Balancing ist, hängt von den Entscheidungen ab, also dem, wo die Spieler sich relevant ins Spiel einbringen. Welche Art Entscheidungen für einen interessant sind, hängt dann vom Geschmack ab.
Ein passend "balanciertes" Spiel sorgt dafür das solche Entscheidungen auch wirklich anstehen und die Optionen zur Entscheidung selbst nicht trivial oder irrelevant sind - jeweils auf den Spielgeschmack abgestimmt natürlich, so dass der Balancingeindruck für verschiedene Spielertypen völlig unterschiedlich sein kann.

Ok, schauen wir mal ob ich diese Position auf meine Definitionen abbilden kann: Damit Spieler sich relevant ins Spiel einbringen können, ist Charaktereffektivität oder Charakterhintergrund nützlich. Wenn diese beiden halbwegs balanciert sind, dann sollten sich die Charaktere ungefähr die gleiche Relevanz für die Spielwelt haben. Dass Entscheidungen nicht trivial oder irrelevant sind, würde in den Bereich der Strategiebalance fallen. Würde das soweit passen?



Warum müssen Charaktere am Anfang gleich sein? Warum nicht erst nach 7,19 oder 77 Sessions?

...Das war einfach eine willkürliche Festlegung von mir. Ich bin genervt davon, wenn ein anderer SC von Anfang an besser ist in allem. Von Konzepten wie "linear warriors, quadratic wizards" halte ich auch nur wenig: Ansatt dass sich alle immer ungefähr gleich stark einbringen können, sind am Anfang die wizards underpowered und später die warriors. Halte ich nicht für wünschenswert.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 22:53
Warum müssen Charaktere am Anfang gleich sein? Warum nicht erst nach 7,19 oder 77 Sessions?

Oder auch noch nach 7,19 oder 77 Sessions.

@rettet den wald:
Fast.
Meine Ansicht ist eher: mechanisches Balancing ist nicht (oder kaum) möglich.
Selbst Brettspiele tun sich da sehr oft sehr schwer - und die zielen i.d.R. genau darauf ab.

Das Balancing, um das sich einige Systeme bemühen ist in meinen Augen bestenfalls Augenwischerei.
Sehen wir uns doch mechanisches Balancing unabhängig von "Screentime" (das muss imho nicht zwangsläufig immmer zeitlich betrachtet werden - es geht ja auch um Einflussmöglichkeiten) einfach einmal an. Mechanisches Balancing würde bedeuten, dass jeder in jeder Situation die gleichen Chancen auf "Erfolg" (bei "taktischem" RP) hätte. Und das will man seltenst.
Dies Art Balancing können vielleicht noch völlige Freeform-Runden anbieten. Aber das ist i.d.R. nicht die Art Spiel, die von den Spielern, die viel Wert auf "mechanisches Balancing" legen, gefragt wird.

Nach meiner Erfahrung sind die Spieler, die immer laut nach Balancing schreien, beinahe immer darauf aus, dass sie schön taktisches "Rollenspiel" betreiben können und niemals (auch und vor allem vom SL) "beschissen" werden.
Das hat nur sehr bedingt mich "mechanischen" Balancing zu tun.

Vielleicht sollten wir nochmal einen Schritt zurück gehen und genauer definieren, worauf dieses "Balancing" den eigentlich abzielt und wozu es dienen soll.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Maarzan am 14.03.2013 | 23:02
Ok, schauen wir mal ob ich diese Position auf meine Definitionen abbilden kann: Damit Spieler sich relevant ins Spiel einbringen können, ist Charaktereffektivität oder Charakterhintergrund nützlich. Wenn diese beiden halbwegs balanciert sind, dann sollten sich die Charaktere ungefähr die gleiche Relevanz für die Spielwelt haben. Dass Entscheidungen nicht trivial oder irrelevant sind, würde in den Bereich der Strategiebalance fallen. Würde das soweit passen?
Falsche Richtung.

Je nach Präferenz des Spielers ist es nicht zwingend Ziel zu gewinnen. Eine gewisse Grundkompetenz ist meist notwendig, damit Konflikte und Krisen, welche meist ursächlich für wichtige Entscheidungen sind überhaupt angegangen werden können (wobei die Art des Konflikts wiederum nicht zwingend z.B. Kampf sein muss), aber darüber hinaus ist nichts gesichert. Relevant ist nicht primär auf das (erfolgreiche) Ergebnis bezogen, sondern dass es mehrere Optionen gibt, welche eine Abwägung erfordern, weil sie zu effektiv unterschiedlichen potentiellen Folgen führen können.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 23:13
Meine Ansicht ist eher: mechanisches Balancing ist nicht (oder kaum) möglich.
Selbst Brettspiele tun sich da sehr oft sehr schwer - und die zielen i.d.R. genau darauf ab.

Brettspiele können ganz ausgezeichnetes Balancing haben. Ja, es ist schwer, aber gute Spiele schaffen es. Was gibt es in Schach oder Go denn bitte für Balanceprobleme? Ok, eine Seite fängt an, aber das wars auch schon.



Das Balancing, um das sich einige Systeme bemühen ist in meinen Augen bestenfalls Augenwischerei.
Sehen wir uns doch mechanisches Balancing unabhängig von "Screentime" (das muss imho nicht zwangsläufig immmer zeitlich betrachtet werden - es geht ja auch um Einflussmöglichkeiten) einfach einmal an. Mechanisches Balancing würde bedeuten, dass jeder in jeder Situation die gleichen Chancen auf "Erfolg" (bei "taktischem" RP) hätte. Und das will man seltenst.
Dies Art Balancing können vielleicht noch völlige Freeform-Runden anbieten. Aber das ist i.d.R. nicht die Art Spiel, die von den Spielern, die viel Wert auf "mechanisches Balancing" legen, gefragt wird.

Beim Charaktereffektivitätsbalancing geht es darum, dass du relevanten Einfluss auf die Spielwelt hast... Allerdings habe ich das eher als "pro Session" oder "pro Abenteuer" gemeint, als "pro Szene". Hätte ich vielleicht dazuschreiben sollen, stimmt.



Nach meiner Erfahrung sind die Spieler, die immer laut nach Balancing schreien, beinahe immer darauf aus, dass sie schön taktisches "Rollenspiel" betreiben können und niemals (auch und vor allem vom SL) "beschissen" werden.
Das hat nur sehr bedingt mich "mechanischen" Balancing zu tun.

Ja, ich will taktisches Rollenspiel. Nein, ich will nicht beschissen werden.
...und du hast Recht, Balance hat mit diesen beiden Sachen nur relativ wenig zu tun. Ändert aber trotzdem nichts daran, dass mich der Mangel an Balance stört.



Vielleicht sollten wir nochmal einen Schritt zurück gehen und genauer definieren, worauf dieses "Balancing" den eigentlich abzielt und wozu es dienen soll.

Balancing dient dazu, dass sich niemand benachteiligt fühlt. (Ich glaub das hat ursprünglich 1of3 gesagt)



Je nach Präferenz des Spielers ist es nicht zwingend Ziel zu gewinnen. Eine gewisse Grundkompetenz ist meist notwendig, damit Konflikte und Krisen, welche meist ursächlich für wichtige Entscheidungen sind überhaupt angegangen werden können (wobei die Art des Konflikts wiederum nicht zwingend z.B. Kampf sein muss), aber darüber hinaus ist nichts gesichert. Relevant ist nicht primär auf das (erfolgreiche) Ergebnis bezogen, sondern dass es mehrere Optionen gibt, welche eine Abwägung erfordern, weil sie zu effektiv unterschiedlichen potentiellen Folgen führen können.

Stimmt, nicht alle Rollenspieler wollen gewinnen. Ich will gewinnen.

Damit Balancing überhaupt Sinn macht, muss es mehrere Optionen geben, die man gegeneinander ausbalancieren kann (im Fall von strategischem, effektivitäts- und Hintergrundbalancing). Damit hier eine Balance existiert, reicht nicht die bloße Existenz mehrerer Optionen: Sie müssen auch halbwegs gleichwertig sein, um eine echte Entscheidung treffen zu können.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Maarzan am 14.03.2013 | 23:19

Damit Balancing überhaupt Sinn macht, muss es mehrere Optionen geben, die man gegeneinander ausbalancieren kann (im Fall von strategischem, effektivitäts- und Hintergrundbalancing). Damit hier eine Balance existiert, reicht nicht die bloße Existenz mehrerer Optionen: Sie müssen auch halbwegs gleichwertig sein, um eine echte Entscheidung treffen zu können.

Eher umgekehrt: Sie müssen auf mehreren Ebenen unterschiedlich sein, so dass eine Entscheidung darin besteht, dass man die Situation so zu beeinflussen versucht, dass die Situation sich zum eigenen Vorteil neigt. Wenn z.B. alle Waffen dieselben Werte haben, dann ist in einem Standardkampf eben die Wahl der Waffe irrelevant.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 23:23
Eher umgekehrt: Sie müssen auf mehreren Ebenen unterschiedlich sein, so dass eine Entscheidung darin besteht, dass man die Situation so zu beeinflussen versucht, dass die Situation sich zum eigenen Vorteil neigt. Wenn z.B. alle Waffen dieselben Werte haben, dann ist in einem Standardkampf eben die Wahl der Waffe irrelevant.

Ok, wo genau liegt der Widerspruch zwischen "gleichwertig" und "auf mehreren Ebenen unterschiedlich"? Ich sehe keinen.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 14.03.2013 | 23:25
Die Frage zu Schach hast du ja auch gleich selbst beantwortet. Dankeschön ;)
Ich spiele auch etliche Brettspiele gern, die das "Balancing" ganz gut hinkriegen, aber das sind auch Brettspiele und keine Rollenspiele. Und selbst die schaffen's nicht 100%ig.

Einfluss auf die Spielwelt hat man beim (klassischen) RP immer in genau dem Maße, in dem der SL es zulässt. Völlig unabhängig von allen anderen Faktoren.
Da kann das System noch so "balanciert" sein (oder sich um den Anschein bemühen, dass es das wäre), wenn das Abenteuer/die Szene/die Session es nicht zulässt, kommen manche Charaktere einfach nicht zum Zug. Umgekehrt kann der SL jedem SC in einem noch so "unbalanciertem" System beinahe beliebig Einflussmöglichkeiten gewähren.
Und genau aus diesem Grund ist mechanische Balancing" beim RP völlig irrelevant.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Maarzan am 14.03.2013 | 23:29
OK, da hatte ich dann ggf. die Aussage "gleichwertig" überinterpretiert.
Mit gleichwertig habe ich da den gelegentlich geäußerten Wunsch assoziert, dass jemand für eine Wahl nicht "bestraft" werden darf, also jede Waffe letztlich gleich gut sein soll (d.h. identische Werte) und z.B. keine Klasse im Kampf schlechter sein soll als andere.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 14.03.2013 | 23:35
Die Frage zu Schach hast du ja auch gleich selbst beantwortet. Dankeschön ;)
Ich spiele auch etliche Brettspiele gern, die das "Balancing" ganz gut hinkriegen, aber das sind auch Brettspiele und keine Rollenspiele. Und selbst die schaffen's nicht 100%ig.

...Das Ziel ist auch nicht wirklich das "perfekte Balancing". Das Ziel ist "gutes Balancing". Schach hat "gutes Balancing".



Einfluss auf die Spielwelt hat man beim (klassischen) RP immer in genau dem Maße, in dem der SL es zulässt. Völlig unabhängig von allen anderen Faktoren.
Da kann das System noch so "balanciert" sein (oder sich um den Anschein bemühen, dass es das wäre), wenn das Abenteuer/die Szene/die Session es nicht zulässt, kommen manche Charaktere einfach nicht zum Zug. Umgekehrt kann der SL jedem SC in einem noch so "unbalanciertem" System beinahe beliebig Einflussmöglichkeiten gewähren.
Und genau aus diesem Grund ist mechanische Balancing" beim RP völlig irrelevant.

Ein SL der willkürlich Spielereinflussmöglichkeiten gewährt oder beschränkt, ist in meinen Augen kein besonders guter SL. Ich gehe hier von einem SL aus, der allen Spielern die gleichen Chancen geben möchte, sich einzubringen. Problem: Die meisten SLs haben schwierigkeiten, hier absolut neutral zu sein, selbst wenn sie es wollen. Hier hilft mechanisches Balancing.



OK, da hatte ich dann ggf. die Aussage "gleichwertig" überinterpretiert.
Mit gleichwertig habe ich da den gelegentlich geäußerten Wunsch assoziert, dass jemand für eine Wahl nicht "bestraft" werden darf, also jede Waffe letztlich gleich gut sein soll (d.h. identische Werte) und z.B. keine Klasse im Kampf schlechter sein soll als andere.

Stimmt, du sollst für deine Wahl nicht bestraft werden, zumindest nicht bei der Charaktereffektivität. Bei den Waffen sehe ich das deutlich weniger kritisch, da du Waffen ja prinzipiell im Laufe des Spiels austauschen kannst, wenn du damit nicht mehr zufrieden bist (im Gegensatz zu Charakterwerten). Es sollte verschiedene Waffen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen geben, von denen zumindest einige eine echte Daseinsberechtigung haben sollten.

Charakterklassen sollten tatsächlich alle gleich gut sein, wenn auch nicht notwendigerweise gleich gut im Kampf.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 14.03.2013 | 23:48
Ich versuche zu zeigen, dass die Unterscheidung in #2 und #3 unnütz ist. Genau.
Jemand spielt zum Beispiel nicht Zwerge, weil diese effektiv sind, sondern, weil er Zwerge cool findet. Die Entscheidung, einen Zwergen zu spielen, ist also keine Strategie sondern einfach ein Ausdruck dessen, was er sich gerne vorstellt. Der zweite spielt gerne einen Zuckerbäcker. Nicht, weil er das als tolle Strategie ansieht, sondern weil er sich schon immer für Bäckerei begeistert hat.

Die Entscheidung, welchen Charakter man spielt, hat nicht unbedingt etwas mit Strategie zu tun. (In Spielen wie D&D kann es Bestandteil der Strategie sein. - In vielen anderen Spielen ist es das nicht.)

Einfluss auf die Spielwelt hat man beim (klassischen) RP immer in genau dem Maße, in dem der SL es zulässt.
Ja, aber das System kann den SL dabei unterstützen, es kann nichts dazu beitragen oder es kann dem SL sogar Steine in den Weg legen.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 15.03.2013 | 00:01
Jemand spielt zum Beispiel nicht Zwerge, weil diese effektiv sind, sondern, weil er Zwerge cool findet. Die Entscheidung, einen Zwergen zu spielen, ist also keine Strategie sondern einfach ein Ausdruck dessen, was er sich gerne vorstellt. Der zweite spielt gerne einen Zuckerbäcker. Nicht, weil er das als tolle Strategie ansieht, sondern weil er sich schon immer für Bäckerei begeistert hat.

Ich stimme dir unbedingt zu. Aber die Opposition passt nicht. Vielleicht möchte der Spieler ja mit seinem Ritter nicht flankieren, weil das nicht ritterlich ist. Das fällt aber laut der Einteilung im Startbeitrag in Strategie, ist also keine Angelegenheit zum Balancen.

Das ist gerade der Witz: Zu sagen, dass etwas Strategie ist, bedeutet, dass man die Notwendigkeit von Balancing ausschließt. Balancing muss nur da stattfinden, wo keine Strategie herrschen soll. Man kann sich hier nur noch einigen, dass gewisse Optionen dann eventuell verschwendetes Papier waren.

Diese Trennlinie, was nun aber der Strategie anheim gestellt wird und was nicht, ist aber nicht von vornherein klar. Man kann eben sagen, dass z.B. die Rassenwahl schon kein Balancing nötig hat, sondern Strategie sein soll. Oder anders herum als im Starbeitrag kann man festlegen, dass die Waffenwahl gebalancet sein soll. Das ist alles in Ordnung, aber eben nicht klar.

Genau genommen, kann man das auch für #1 fahren. Da geht es um Herausforderungen und dass die angemessen sein sollen. In der Sandkiste wäre das keine Frage: Da soll man sich überlegen, ob man die Herausforderung will, das ist die eigentliche Herausforderung. Auch hier wird also ein möglicher Gegenstand des Balancings dem strategischen Bereich zugeschlagen.

Insofern macht es keinen Sinn, in diesem Zusammenhang überhaupt über Strategie zu reden. Balancing kann nur da sein, wo Strategie nicht ist.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 15.03.2013 | 00:10
OK, unter Balancing der Strategie habe ich etwas anderes verstanden:
Mal anhand dreier Beispiele:
1. Möglichkeit: Manöver X ist das beste Manöver überhaupt. Ein No-Brainer. Es ist klar, dass man immer Manöver X anwenden muss.

Das ist langweilig, da man hier nicht überlegen muss.

2. Möglichkeit: Manöver X und Manöver Y sind absolut gleichartig. Es ist vollkommen egal, ob ich Manöver X oder Manöver Y anwende, da beide Manöver immer gleich effektiv sind.

Auch das ist langweilig, da man hier nicht überlegen muss.

3. Möglichkeit: Manöver X und Manöver Y sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Das heißt, in manchen Situationen ist Manöver X besser und in anderen Situationen ist Manöver Y besser.

Das ist schon spannender, da man hier in jeder Situation neu überlegen muss, ob man nun Manöver X oder Manöver Y anwendet. (Am besten so, dass nicht gleich offensichtlich ist, welches Manöver in welcher Situation besser ist.)

Und das, was unter 3. Möglichkeit beschrieben ist, ist das, was ich unter "Balancing der Strategie" verstehe.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 15.03.2013 | 00:18
Gut. Dann sehe ich nun klarer, was mit "Strategie" gemeint sein könnte. Es geht um fest umrissene Handlungsoptionen, die jedem Spieler offen stehen. (Man beachte aber den Einwand zum Ritter und seinem ritterlichen Verhalten.)

Worin unterscheidet sich aber  jetzt Manöver X, das jeder nehmen kann, von Manöver A, das nur meinem Charakter offen steht? Doch wohl in nichts, wenn ich es bin, der Manöver X anwendet. Den Charakter gibt es ja sowieso nicht. Es gibt nur Spieler, die Einfluss auf das Spiel nehmen. Die Einflussmöglichkeiten eines Spielers zusammen sind dann einerseits A, B, C speziell für ihn oder sie und X, Y, Z und für alle. Das die einen zufällig an einem so genannten Charakter hängen, das ist Banane.

Auch dann gibt es keinen Unterschied zwischen #2 und #3.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 15.03.2013 | 00:36
Beim Ritter, der keine Flankenmanöver ausführen kann, sehe ich das so:
"Darf kein Flankenmanöver ausführen" ist ein Nachteil, der durch entsprechende Boni ausgeglichen werden muss, wenn man auf Balance wert legt.

Nehmen wir zum Beispiel mal an, das Flankenmanöver gibt +2 auf die Attacke und ist aber nur in 50% der Fälle anwendbar. Frontalangriff gibt +0, lässt sich aber immer durchführen.

Der Ritter bekommt nun den Nachteil, dass er kein Flankenmanöver ausführen darf. Dafür bekommt er den Vorteil, dass er +1 auf den Frontalangriff bekommt.
Damit hätten wir den Ritter auf Charakterebene ausbalanciert.

Disclaimer: Im Beispiel haben wir auf der Strategie-Ebene noch nicht Flankenmanöver gegenüber Frontalangriff ausbalanciert. Dies könnte man evtl. dadurch erreichen, dass man für den Flankenangriff 1 Runde lang den Kampf verlassen muss (um in die Flanke zu gelangen).

Manöver, die nur bestimmten Klassen offen stehen:
Für die Charakter-Balance ist es wichtig, dass entweder jede Klasse ein Spezialmanöver hat oder der Vorteil des Spezialmanövers durch einen Nachteil ausgeglichen wird.
Nehmen wir z.B. D&D 3:
Der Schurke hatte den Vorteil, dass er doppelten Schaden anrichten konnte, wenn er sich unter bestimmten Voraussetzungen den Gegner von hinten genähert hatte. (Ihn musste vorher ein Schleichenwurf gelingen oder ähnliches.)
Als Nachteil hat der Schurke aber keine schwere Rüstung tragen dürfen.

Dadurch ist das Spezialmanöver aus Charaktersicht ausbalanciert.

Kommen wir nun zur Ausbalanzierung aus der Strategiesicht:
Es wäre sehr langweilig, wenn der Schurke bei jedem Angriff einen Critical Strike ansetzen sollte. Daher hat der Critical Strike den Nachteil, dass er eine Runde Vorbereitung benötigt und eine höhere Chance hat zu misslingen. (Es muss ein Schleichenwurf und ein Angriffswurf gelingen.)

Daher lohnt sich der Critical Strike gegen einzelne starke Monster (Endbosse), aber gegen schwache Monster ist er sinnlos.

Bei mittelstarken Monstern gilt es sich also zu entscheiden, ob er den Critical Strike ansetzt oder doch lieber einen normalen Angriff.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 15.03.2013 | 00:47
Ich stimme dir unbedingt zu. Aber die Opposition passt nicht. Vielleicht möchte der Spieler ja mit seinem Ritter nicht flankieren, weil das nicht ritterlich ist. Das fällt aber laut der Einteilung im Startbeitrag in Strategie, ist also keine Angelegenheit zum Balancen.

Das ist gerade der Witz: Zu sagen, dass etwas Strategie ist, bedeutet, dass man die Notwendigkeit von Balancing ausschließt. Balancing muss nur da stattfinden, wo keine Strategie herrschen soll. Man kann sich hier nur noch einigen, dass gewisse Optionen dann eventuell verschwendetes Papier waren.

Ok, ich wollte nicht sagen, dass strategisches Balancing unwichtig ist. Ich bin nur der Meinung, dass strategisches Balancing wesentlich weniger kritisch ist als Charaktereffektivitätsbalancing.



Diese Trennlinie, was nun aber der Strategie anheim gestellt wird und was nicht, ist aber nicht von vornherein klar. Man kann eben sagen, dass z.B. die Rassenwahl schon kein Balancing nötig hat, sondern Strategie sein soll. Oder anders herum als im Starbeitrag kann man festlegen, dass die Waffenwahl gebalancet sein soll. Das ist alles in Ordnung, aber eben nicht klar.

...Ein Spiel bei dem es ein Merkmal eines guten Spielers ist, die richtige Rasse auswählen zu können, stelle ich mir als ziemlich dämlich vor. Ich bin immer noch der Meinung, dass der Unterschied relativ klar ist: Die Fähigkeit der Spieler, über ihre Charaktere Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen, wird über Charaktereffektivitätsbalancing geregelt. Die konkreten Entscheidungen, die ein Spieler trifft, um Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen, werden über das strategische Balancing geregelt. Ersteres sagt sozusagen "Gleiche Chancen für alle!", letzteres sagt "Es soll mehr als einen effektiven Weg zum Sieg geben!".

Natürlich kannst du sagen, dass auch der Charakterbau schon Teil deiner "Strategie" ist, aber hier bin ich skeptisch: Wenn du dir wirklich gut ausbalancierte RTS wie StarCraft ansiehst, ist die Wahl deines Volkes dort Teil deiner Strategie? Kann sein, aber meistens ist es persönliche Präferenz. Ob du ein guter Spieler bist, soll nicht davon abhängen, welche Präferenzen du hast, sondern wie gut du sie zum Tragen bringen kannst. Ähnliches gilt meiner Ansicht nach für (taktisches) Rollenspiel.



Genau genommen, kann man das auch für #1 fahren. Da geht es um Herausforderungen und dass die angemessen sein sollen. In der Sandkiste wäre das keine Frage: Da soll man sich überlegen, ob man die Herausforderung will, das ist die eigentliche Herausforderung. Auch hier wird also ein möglicher Gegenstand des Balancings dem strategischen Bereich zugeschlagen.

Die Auswahl der Herausforderung macht der SL (oder das System). Die entscheidung, ob diese Herausforderung angenommen oder abgelehnt wird, treffen die Spieler. Ersteres wäre Balancing von Herausforderungen (was in einer Sandbox durchaus ignoriert werden kann), letzteres wäre eine strategische Entscheidung der Spieler (die nicht gebalanced sein muss).



3. Möglichkeit: Manöver X und Manöver Y sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Das heißt, in manchen Situationen ist Manöver X besser und in anderen Situationen ist Manöver Y besser.

Das ist schon spannender, da man hier in jeder Situation neu überlegen muss, ob man nun Manöver X oder Manöver Y anwendet. (Am besten so, dass nicht gleich offensichtlich ist, welches Manöver in welcher Situation besser ist.)

Und das, was unter 3. Möglichkeit beschrieben ist, ist das, was ich unter "Balancing der Strategie" verstehe.

Genau das verstehe ich auch unter strategischem Balancing.









EDIT:


Worin unterscheidet sich aber  jetzt Manöver X, das jeder nehmen kann, von Manöver A, das nur meinem Charakter offen steht? Doch wohl in nichts, wenn ich es bin, der Manöver X anwendet. Den Charakter gibt es ja sowieso nicht. Es gibt nur Spieler, die Einfluss auf das Spiel nehmen. Die Einflussmöglichkeiten eines Spielers zusammen sind dann einerseits A, B, C speziell für ihn oder sie und X, Y, Z und für alle. Das die einen zufällig an einem so genannten Charakter hängen, das ist Banane.

Hier gibt es einige Dinge zu beachten:
-> Erstens sollten sowohl X, als auch Y, als auch Z eine echte Daseinsberechtigung haben, auch im Vergleich mit den Manövern A, B und C (es sei denn es handelt sich um explizite Upgrades von X, Y oder Z). Das ist strategisches Balancing.
-> Zweitens sollte der Zugang zu den Manövern A, B und C in etwa gleich viel Einfluss auf das Spielgeschehen ermöglichen. Das ist Charaktereffektivitätsbalancing.

Meine Aussage war also: Dass der Zugang zu A, B und C gleichwertig ist, ist mir wichtiger, als dass X, Y und Z gleichwertig sind (auch wenn das ebenfalls wichtig ist).
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 15.03.2013 | 00:57
OK. Wenn ich das also richtig verstehe, gibt es #1 die Möglichkeit die Einflussmöglichkeiten des Spielers gegen die Engine/die SL/etwas, das nicht Spieler ist zu balancieren, #2 die Möglichkeit gegen andere Startsituationen zu balancieren, #3 die Möglichkeit gleichsam gegen sich selbst zu balancieren: Man hat mehrere Dinge, die man tun kann, und soll unter diesen auswählen. Damits nicht zu langweilig wird, sollen diese Dinge balanciert sein.

Das kann ich zwar aus dem Eingangsbeitrag nicht so recht herauslesen, aber mit der Erklärung klingt das ganz vernünftig.


Was StarCraft angeht: Keine Ahnung. Ich spiel an Computer-Spielen z.b. League of Legends. Da spiel ich bevorzugt Support. Welchen Supporter ich nehme, hängt für gewöhnlich davon ab, was mein Carry nimmt und tun möchte (sofern sie mir das vorher sagt).
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 15.03.2013 | 01:00
OK. Wenn ich das also richtig verstehe, gibt es #1 die Möglichkeit die Einflussmöglichkeiten des Spielers gegen die Engine/die SL/etwas, das nicht Spieler ist zu balancieren, #2 die Möglichkeit gegen andere Startsituationen zu balancieren, #3 die Möglichkeit gleichsam gegen sich selbst zu balancieren: Man hat mehrere Dinge, die man tun kann, und soll unter diesen auswählen. Damits nicht zu langweilig wird, sollen diese Dinge balanciert sein.

Das kann ich zwar aus dem Eingangsbeitrag nicht so recht herauslesen, aber mit der Erklärung klingt das ganz vernünftig.

JA! Ganz genau! :)
Meine Ausdrucksweise war wohl etwas missverständlich... Du hast es gerade wesentlich schöner zusammengefasst als ich.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 15.03.2013 | 07:35
Also, mal ein paar Einwürfe von mir (weil das eins meiner Lieblingsthemen ist).

- Balancing in verschiedene Gruppen zu unterteilen ist kein schlechter Schritt, denn es macht klar, dass man einiges in der Mechanik ausbalancieren kann und anderes nicht oder nur eingeschränkt.

- Screentimebalancing ist bei klassischen Rollenspielen mMn tatsächlich unmöglich, denn es ist Spielleitersache. Es gibt Methoden, den Einfluss des Spielleiters zu minimieren (Zufallstabellen, stark ausformulierte Würfelsysteme), aber letztlich bleibt es Spielleitersache, wieviel Zeit er einem Spieler zum Reden und einem Charakter zum Handeln gewährt.

- In moderneren Rollenspielen versucht man, dieses Problem durch einen Screentime-Verteiler (Erzählrechte) zu lösen. Damit fängt man sich ein neues Problem ein: Mechanisch gleich verteilte Rechte passen nicht zu unterschiedlich aktiven Spielern.

- Mechanisches Balancing kann nur dann eine Rolle spielen, wenn man sich darauf geeinigt hat, WAS man mit dem Spiel (oder der Abenteuerserie/Kampagne/dem Spielabend) spielen will. Das heißt, VORHER muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Szenen gespielt werden sollen, welche Szenenergebnisse wie offen und bedeutsam sind, wann dafür zufallsbasierte Mechanismen angewendet werden und wann Vergleiche zwischen Werten oder Bauchgefühl entscheiden. DIES IST ZENTRAL!

- Strategie und Taktik sind tatsächlich die "Feinde" des Balancing. In den meisten Fällen nehmen wir das hin, weil wir Strategie/Taktik als die Eigenleistung des Spielers ansehen und hoch schätzen. In den Fällen, in denen wir das aus irgendeinem Grund nicht hinnehmen, schimpfen wir über "Powergaming".

- Spielsysteme, die mechanisch gut ausbalanciert sind, machen erstmal Strategie schwieriger. (Unter Strategie im Rollenspiel verstehe ich die regelmechanisch planvolle Ausgestaltung eines Charakters oder einer Gruppe zur Erledigung erwartbarer Herausforderungen, die spielmechanisch abgehandelt werden. Zu deutsch, guten = effektiven, effizienten Charakterbau.) In schlecht ausbalancierten Systemen springen dem strategischen Spieler die mechanischen Vorteile ins Gesicht, während sie in gut ausbalancierten mit der Lupe gesucht werden müssen. (D&D3.x hat einen anderen Trick gewählt, um trotz dürftigen Balancings Strategie zu erschweren: Es gibt eine Unmenge an Bastelmaterial, dass es eine Heidenarbeit ist, sich den besten Built zusammenzustellen, wenn man nicht in Foren spitzelt.)

Soweit erstmal dazu.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 15.03.2013 | 08:37
Zitat
- Screentimebalancing ist bei klassischen Rollenspielen mMn tatsächlich unmöglich, denn es ist Spielleitersache. Es gibt Methoden, den Einfluss des Spielleiters zu minimieren (Zufallstabellen, stark ausformulierte Würfelsysteme), aber letztlich bleibt es Spielleitersache, wieviel Zeit er einem Spieler zum Reden und einem Charakter zum Handeln gewährt

Da haben auch die anderen Teilnehmer ein Wörtchen mitzureden. Habe schon Runden gehabt, wo einzelne Spieler*innen einfach nciht zu Wort gekommen sind. Da kann man was machen, aber dazu müssen alle an einem Strang ziehen. Tatsächlich habe ich auch schon Spielleiter getroffen, die es gar nicht als ihre Aufgabe sehen, auf sowas zu achten. Da ist die Spielleitung dann dafür verantwortlich Orte zu entwerfen und SLCs zu spielen. Was die Spieler*innen damit machen, interessiert die Spielleitung nicht.

Und natürlich kann man regelseitig eine gleichmäßige Verteilung von Spotlight befördern. Entweder auf die ganz harte Tour, indem man es szenenweise approportioniert, oder auf indirekterem Wege, etwa in dem Mann Spielwelt oder Aufgabenstellungen in Bereiche einteilt. Wenn man letzteres Verfahren wählt, scheint es mir fatal zu sagen, dass es doch alles an der Spielleitung liege, diese Bereiche auch abzurufen. Wenn diese Bereiche vom Spiel vorgesehen sind, aber im Spiel nicht auftauchen, hat da jemand Mist gebaut. Das ist letztlich ein Regelbruch.

Kurz: Zu sagen, dies oder das sei Sache der Spielleitung ist nie zielführend. SLs gibt es nicht. Die unterscheiden sich selbst innerhalb von so genannten klassischen Rollenspielen wie Tag und Nacht.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Gorilla am 15.03.2013 | 11:08
Kurz: Zu sagen, dies oder das sei Sache der Spielleitung ist nie zielführend. SLs gibt es nicht. Die unterscheiden sich selbst innerhalb von so genannten klassischen Rollenspielen wie Tag und Nacht.

Ich denke doch, dass es (zumindest bei klassischen RPs) Sache der Spielleitung ist. Das mag sich theoretisch zwar anders lesen und selbst manche klassische RPs mögen sich tolle Sachen einfallen lassen, wie Spielanteile in jeglicher Form gerecht verteilt werden. Das ist und bleibt dann dennoch eine schlussendliche Aufgabe "des SL", diese Punkte dann auch zu erfüllen, indem er auf die jegliche Situation am Spieltisch eingeht. Die Vorlieben dabei unterscheiden sich von Gruppe zu Gruppe, von Spieler zu Spieler, selbst von Sitzung zu Sitzung.
Darüber hinaus bieten die allermeisten klassischen RPs keine Regeln für die Spielleitung, oft bestenfalls die "10 Gebote der Spielleitung" o.Ä. - das sind aber Gebote und eben keine Gesetze, sprichkeine Regeln. Zumindest keine Regeln, die auch mechanisch in das System eingebunden sind.

Auch wenn ich dir bei einer rein theoretischen Betrachtung beinahe vollumfänglich zustimmen kann, in der Praxis hilft das kaum weiter.


SLFs Post kann ich tatsächlich beinahe genau so unterschreiben.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 15.03.2013 | 12:07
Ich finde ja "Balancing von Strategie" irgendwie unverständlich, kann mir das jemand genauer erklären?


Balance von Screentime ist direkt von allen Spielern abhängig wenn es keine Regel gibt, die sowas angeht. Beispielsweise Szenen oder Rundenstruktur.
Man kann als Spieler daran arbeiten den anderen zu mehr Spotlight zu verhelfen aber wenn sich das System dazu ausschweigt ist das hinfällig bzw ignorierbar.

Wir haben wie gesagt noch fiktionale Balance, sprich manche Charaktere können einfach wesentlich mehr in der Fiktion verändern oder das Spiel in eine gewisse Richtung bewegen, einfach weil sie dort sind.

Beispiel:
Der Paladin in DW hat einen Quest Move mit dem er schwören kann etwas bestimmtes zu tun/zu töten/zu finden etc.
Sagt er jetzt in der ersten Session er will den großen Nekromantendrachen XYZ töten dann gibt es den einfach mal in der Welt und er wird wichtig sein.

Ein Hardholder in Apocalypse World ist quasi Bürgermeister Diktator einer kleinen Stadt/Festung. Er legt am Anfang fest wie diese Siedlung aussieht und die Probleme die diese Siedlung hat werden für das Spiel relevant sein. Spielt jeder nur einen Charakter der Primär mit sich selbst beschäftigt ist sind diese Big-Picture Sachen nicht so wichtig. Dafür ist ein Hardholder auch nicht so gut darin Leute umzulegen oder zu überreden wie andere Klassen.

In Trad. Spielen kommt sowas aber meistens nicht vor (weil Murderhobos) und das Nutzen der Elemente der Backstory sind von SL Gnade abhängig.
Ggf. kommt sowas dann auch nur kurz vor und wird dann verworfen weil man jetzt ein Modul am anderen Ende der Welt spielt. Da nützt einem sowas nichts. Wenn der Charakter jedoch auf sowas primär aufgebaut ist dann nimmt der SL einem Teile der "Charakterstärke" (subjektive Gesamtheit der Möglichkeit den eigenen Willen in der Geschichte zu haben (oder so)).

Deswegen finde ich sowas durchaus wichtig.

Okay, dann haben wir noch Mindshare-Effectivness.
Das ist etwas nebulös und seltsam.

Vielleicht ein Beispiel.
Wir haben 3 Klassen in einem Spiel. Alle machen genau gleich DPS, können gleich gut Leute bequatschen und Rätsel lösen.
Eines ist ein Krieger, einer ein Dieb und eines ein Bauernjunge der sich in einem 7 Meter Drachen verwandeln kann.

Wer davon ist am interessantesten? Wer führt am ehesten dazu, dass Leute Uhhhhh machen und sich genauer anschauen was der Charakter macht?

Mindshare-Effektivität ist so eine Mischung aus
inhärenter coolness, Protagonisten Faktor und Interessantheit und Erkennungswert. 

Ein Teil davon ist sicher Spieler können, sich das zu erarbeiten aber bestimmte Klassen/mechanische Konstrukte neigen einfach mehr dazu der Kern der Gruppe, der eigentliche Held, die wirklich coole und interessante Sau zu sein.

Die Frage, ob man sowas balancen muss, muss jeder für sich selber stellen, aber wenn es Regelelemente gibt - die einfach cooler und beliebter sind als andere (ohne besser zu sein) dann sollte man sich vielleicht Gedanken machen.

Vielleicht noch ein Beispiel.
DSA Magierakademien:

Niedrige MSE: Belhanka, Neersand, Nostria, Thorwall
Hohe MSE: Olport, Fasar (vor allem die Beherrscher, die anderen nicht so sehr), Punin, Kunchom, (Brabak)
(Meine Ansicht, sicher gibt es für jede Akademie Leute die da total für brennen)

Nun gut, ein paar davon sind auch mechanisch wirklich gut, beispielsweise Fasar. Aber würde man den Fluff von Fasar druch den von Neersand ersetzen, wären die auf einmal nicht so cool. Wenn Punin die Akademie von Licht und Dunkelheit wäre, dann wäre das nicht so cool.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 15.03.2013 | 13:03
Kurz: Zu sagen, dies oder das sei Sache der Spielleitung ist nie zielführend. SLs gibt es nicht. Die unterscheiden sich selbst innerhalb von so genannten klassischen Rollenspielen wie Tag und Nacht.

Beachte bitte die Einschränkung: Zugegebenermaßen ist der Begriff "klassisches Rollenspiel" etwas schwammig. Ich rede vom Rollenspiel zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem es Mode war, dem Spielleiter alle möglichen Aufgaben zuzuschieben. Das ist auch die Zeit, in der das Bild vom "genialen Spielleiter" und "Spielleiter als Künstler" populär wurde, weil es tatsächlich eine gewisse Kunstfertigkeit braucht, um unter bestimmten Bedingungen (ohne Regelhilfe) ein Screentimebalancing herzustellen und allen Spielern die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die sie individuell brauchen, um am Spiel Spaß zu haben.

Sowas über Gruppenabsprache oder Regelmechanik erreichen zu wollen (und ggf. auch zu können) ist ein eher neues Phänomen. Ich erlebe noch oft genug, dass es, wenn etwas nicht zu 100% flutscht, heißt: "Der Spielleiter hätte da XYZ tun müssen..."
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 15.03.2013 | 16:42
Ich finde ja "Balancing von Strategie" irgendwie unverständlich, kann mir das jemand genauer erklären?
Gerne.
Bei balancing von Strategie geht es darum, dass nicht immer die gleiche Handlungsoption sinnvoll ist. Es geht darum, dass man nicht zig Pseudo-Wahlmöglichkeiten hat, sich aber letztendlich doch immer wieder für das gleiche entscheidet, da dies die einzige sinnvolle Strategie ist. Bei Balancing der Strategie geht es also darum, dass je nach Situation eine andere Strategie die effektivere ist. Es gibt keine Stratege, die immer die beste ist.

Btw, eine kurze Metabetrachtung:
Bei den Strategien  #2 und bei #4 geht es darum, dass kein Spieler benachteiligt ist. Wir haben dort ein Balancing zwischen den Spielern.
Bei #1 haben wir ein balancing zwischen der Spielergruppe und der Umwelt.

Bei #3 (Balancing von Strategie) geht es um ein Balancing innerhalb der Entscheidungsoptionen des einzelnen Spielers. Das heißt, Spieler 1 kann wert auf ausbalancierte Strategien haben und daher einen SC mit ausbalancierten Strategien spielen und Spieler 2 kann ausbalancierte Strategien doof finden und deswegen einen SC ohne ausbalancierte Strategien spielen. Beie Spieler können wunderbar miteinander in der gleichen Gruppe spielen, da das Strategie-Balancing nicht die anderen Mitspieler betrifft.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 16.03.2013 | 02:19
- Mechanisches Balancing kann nur dann eine Rolle spielen, wenn man sich darauf geeinigt hat, WAS man mit dem Spiel (oder der Abenteuerserie/Kampagne/dem Spielabend) spielen will. Das heißt, VORHER muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Szenen gespielt werden sollen, welche Szenenergebnisse wie offen und bedeutsam sind, wann dafür zufallsbasierte Mechanismen angewendet werden und wann Vergleiche zwischen Werten oder Bauchgefühl entscheiden. DIES IST ZENTRAL!

Das Thema hat es auch schon im anderen Thread gegeben. Meine Meinung dazu: Grundsätzlich ja, es gibt allerdings Fähigkeiten, die relativ unabhängig vom konkreten Szenario effektiver sind als andere. Ein Kampfskill ist in nahezu allen Szenarien effektiver als ein Kochen-Skill. Mechanisches Balancing kann daher zwar nicht 100%ig stimmen, weil der Systemdesigner eben nur begrenzten Einfluss auf die gespielten Szenarien hat, aber derartige eher allgemeine Einschätzungen können schonmal einen ersten Annäherungsschritt darstellen.



- Strategie und Taktik sind tatsächlich die "Feinde" des Balancing. In den meisten Fällen nehmen wir das hin, weil wir Strategie/Taktik als die Eigenleistung des Spielers ansehen und hoch schätzen. In den Fällen, in denen wir das aus irgendeinem Grund nicht hinnehmen, schimpfen wir über "Powergaming".

Ich mag Strategie und Taktik, und ich mag Balancing. Persönliche Meinung von mir: Wenn die Spieler die Möglichkeit haben sollen mit ihrer Strategie zu glänzen, ist ein zumindest halbwegs gleichberechtigter Startpunkt Grundvoraussetzung. Einen Kampf zu gewinnen, bei dem du eh schon von vornherein alle Vorteile auf deiner Seite hast, sagt nicht viel über deine Fähigkeiten aus... Und einen Kampf zu verlieren, einfach nur deswegen weil du von vornherein schon massiv benachteiligt warst, ist unbefriedigend.



- Spielsysteme, die mechanisch gut ausbalanciert sind, machen erstmal Strategie schwieriger. (Unter Strategie im Rollenspiel verstehe ich die regelmechanisch planvolle Ausgestaltung eines Charakters oder einer Gruppe zur Erledigung erwartbarer Herausforderungen, die spielmechanisch abgehandelt werden. Zu deutsch, guten = effektiven, effizienten Charakterbau.) In schlecht ausbalancierten Systemen springen dem strategischen Spieler die mechanischen Vorteile ins Gesicht, während sie in gut ausbalancierten mit der Lupe gesucht werden müssen. (D&D3.x hat einen anderen Trick gewählt, um trotz dürftigen Balancings Strategie zu erschweren: Es gibt eine Unmenge an Bastelmaterial, dass es eine Heidenarbeit ist, sich den besten Built zusammenzustellen, wenn man nicht in Foren spitzelt.)

Die planvolle Ausgestaltung deines Charakters sollte meiner Ansicht nach eben nicht das Entscheidende für deinen Erfolg sein. Dein Erfolg sollte davon abhängen, wie du deine Vorteile effektiv einsetzt, und nicht davon, ob du diese Vorteile schon von vornherein hast oder eben nicht.




Ich finde ja "Balancing von Strategie" irgendwie unverständlich, kann mir das jemand genauer erklären?

Ich persönlich finde Eulenspiegels Erklärung sehr passend. Wenn es noch weiteren Erklärungsbedarf gibt kann ich dann ja immer noch was sagen.



---



Ok, ich fasse also nochmal kurz die bisherigen Erkenntnisse zusammen:
-> Herausforderungsbalance balanciert die Fähigkeiten der Spieler mit ihrer Umwelt.
-> Charaktereffektivitätsbalance und Charakterhintergrundsbalance balancieren die Einflussmöglichkeiten der Spieler gegeneinander.
-> Strategische Balance balanciert die möglichen Handlungsweisen eines einzelnen Spielers gegeneinander.
-> Screentime Balance balanciert die Aufmerksamkeit der Gruppe unter den einzelnen Spielern.

Können wir das hier mal als gemeinsamen Ansatzpunkt für weitere Diskussionen hernehmen?




EDIT:
Nochmal zur Mindshare-Effektiveness: Ich will gar nicht in Zweifel ziehen, dass so ein Effekt existiert, ich ziehe aber stark in Zweifel, dass das in Konkurrenz zu Effektivität und Hintergrund in die Balance mit einbezogen werden soll. Ok, der Bauernjunge ist interessanter... Und daher muss er unbedingt schwächer sein?

Ich persönlich würde eine Lösung, bei der das System dich dafür bestraft, einen interessanten Charakter zu spielen, für unbefriedigend halten.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 16.03.2013 | 07:16
Das Thema hat es auch schon im anderen Thread gegeben. Meine Meinung dazu: Grundsätzlich ja, es gibt allerdings Fähigkeiten, die relativ unabhängig vom konkreten Szenario effektiver sind als andere. Ein Kampfskill ist in nahezu allen Szenarien effektiver als ein Kochen-Skill. Mechanisches Balancing kann daher zwar nicht 100%ig stimmen, weil der Systemdesigner eben nur begrenzten Einfluss auf die gespielten Szenarien hat, aber derartige eher allgemeine Einschätzungen können schonmal einen ersten Annäherungsschritt darstellen.

Naja, das Phänomen, das du beschreibst, ist jedenfalls extrem abhängig vom Regelwerk. Der Witz ist, dass "Kampf" in vielen Spielen quasi ein Spiel im Spiel mit eigenen Regeln ist. Elemente, die im Kampf eine Rolle spielen lassen sich daher nur schlecht mit solchen für das Freie Spiel vergleichen.

Wenn man es doch tut, wirken Kampfwerte tatsächlich wichtiger. Das hat zwei Gründe:
- Sobald man sie einmal benutzt, benutzt man sie häufiger, denn der Kampf hat mehrere Runden. Im Freien Spiel werden Spielwerte jedoch isoliert angewendet.
- Die Wirkungen eines Kampfwertes sind häufig strenger definiert, als die von Werten im Freien Spiel. Man weiß daher, was man für sein "Geld" bekommt. Anders herum, kann ein Kampf auch strengere Konsequenzen haben.

Die Nützlichkeit von Kampf-Skills, die du hier erkennst, kann daher auf vielfältige Weise planiert werden. Ein hübsches Beispiel ist z.B. Freemarket. Dort gibt es erstens kein Kampfsubsystem, zweitens ist es ziemlich nutzlos Leute umzubringen (dann wird ihr letztes Beackup in einen neuen Klon geladen).

Wenn man dagegen ein Kampf-Spiel haben möchte und ein davon abgegrenztes Freies Spiel, ist die erste Regel beim Balancing: Die haben nichts mit einander zu tun bzw. die nötigen Werte zu erlangen, bringt die Bereiche niemals in Konkurrenz miteinander.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: ausstechform am 16.03.2013 | 09:02
Beie Spieler können wunderbar miteinander in der gleichen Gruppe spielen, da das Strategie-Balancing nicht die anderen Mitspieler betrifft.

Schön wärs! Denn das stumpfsinnige abspulen immer gleicher Routinen geht den meisten anderen irgendwann hart auf die Eier, inklusive dem Spielleiter.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 16.03.2013 | 14:16

Die planvolle Ausgestaltung deines Charakters sollte meiner Ansicht nach eben nicht das Entscheidende für deinen Erfolg sein. Dein Erfolg sollte davon abhängen, wie du deine Vorteile effektiv einsetzt, und nicht davon, ob du diese Vorteile schon von vornherein hast oder eben nicht.

Nur kurz zur begrifflichen Klarstellung: Ich habe hier "meine" Begriffe von Strategie und Taktik verwendet, nicht ganz die im Thread angegebenen. Strategie ist (bei mir) die langfristige Planung. Dabei spielt eben auch Charakter- und Gruppenbau eine Rolle. Taktik ist die unmittelbare Planung und Anwendung in der konkreten Szene, z.B. im Kampf. Das fällt unter Deinen Punkt 4 ("Strategisches Balancing"). Der Effekt ist aber nahezu identisch (und ich finde ehrlich gesagt nichts besser oder schlechter): Balancing macht Strategie und Taktik schwieriger, weil die regeltechnisch zur Verfügung stehenden Optionen nicht eindeutig besser oder schlechter sind.

Die mMn geeignete Lösung hat Eulenspiegel ja schon genannt: Man gestaltet Situationen (Kämpfe) so, dass situationsbezogen eine taktische Option einer anderen überlegen ist. Beispiel: Wenn gezielte Angriffe (Malus auf Angriff, Bonus auf Schaden) und rücksichtslose Angriffe (Malus auf eigene Abwehr, Bonus auf Schaden) ausbalanciert sind, sind beide etwa mechanisch gleichwertig - im normalen Kampf. Im Kampf gegen Untote sind aber gezielte Angriffe auf den Kopf wirkungsvoller, wenn es einen zusätzlichen Schadensbonus/Effekt gibt (Zombie: Kopftreffer tötet sofort; Vampir: Pfahl ins Herz tötet sofort usw.), während im Kampf gegen z.B. Schwärme oder Zauberer rücksichtslose Angriffe die bessere Taktik sind (ggf. verursachen Schwärme Schaden ohne Trefferwurf, Zauberer greifen nicht die normale Abwehr an usw.).

Es gibt auf der Taktik-Ebene allerdings noch ein zweites Problem, das auf der strategischen Ebene nicht in dem Maß vorkommt (bestenfalls unter Punkt 1.5 im OP): Es gibt Taktikerspieler, die nicht von den Regeln vorgesehene/abgehandelte Effekte für taktische Entscheidungen einfordern. Bei mir persönlich ist das im Kampf nicht mehr so häufig der Fall, aber bei Fertigkeitsanwendungen kommt es (bei mir) vor, dass der Spieler beschreibt, unter Anwendung welcher Hilfsmittel er sein Ziel erreichen will und dann Boni einfordert, die im Regelwerk nicht vorgesehen sind.

Was den Nutzen von Kampfskills angeht: Ich habe Runden erlebt, in denen es bei durchschnittlich 6 h Spielzeit pro Treffen nur alle 2 Treffen zu einem Kampf kam, der (teilweise aufgrund langsamer, detaillierter Kampfregeln) in 3/4 - 1 h ausgespielt wurde. Deswegen halte ich die meisten Kampfregeln und Kampffertigkeiten für völlig überbewertet.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 16.03.2013 | 14:20
EDIT:
Nochmal zur Mindshare-Effektiveness: Ich will gar nicht in Zweifel ziehen, dass so ein Effekt existiert, ich ziehe aber stark in Zweifel, dass das in Konkurrenz zu Effektivität und Hintergrund in die Balance mit einbezogen werden soll. Ok, der Bauernjunge ist interessanter... Und daher muss er unbedingt schwächer sein?

Ich persönlich würde eine Lösung, bei der das System dich dafür bestraft, einen interessanten Charakter zu spielen, für unbefriedigend halten.

Wer hat das den gefordert?
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 16.03.2013 | 14:54
Naja, das Phänomen, das du beschreibst, ist jedenfalls extrem abhängig vom Regelwerk. Der Witz ist, dass "Kampf" in vielen Spielen quasi ein Spiel im Spiel mit eigenen Regeln ist. Elemente, die im Kampf eine Rolle spielen lassen sich daher nur schlecht mit solchen für das Freie Spiel vergleichen.

Wenn man es doch tut, wirken Kampfwerte tatsächlich wichtiger. Das hat zwei Gründe:
- Sobald man sie einmal benutzt, benutzt man sie häufiger, denn der Kampf hat mehrere Runden. Im Freien Spiel werden Spielwerte jedoch isoliert angewendet.
- Die Wirkungen eines Kampfwertes sind häufig strenger definiert, als die von Werten im Freien Spiel. Man weiß daher, was man für sein "Geld" bekommt. Anders herum, kann ein Kampf auch strengere Konsequenzen haben.

Hmm... Den ersten Punkt kann ich so nicht unterschreiben. Nimm einen Heilkunde-Skill, zur Behandlung von tödlichen Verletzungen: Du wendest ihn zwar nur relativ selten an, weil nur relativ selten jemand tödlich verletzt ist, aber wenn du ihn anwendest, dann ist es extrem wichtig, ob du den Wurf schaffst oder nicht. Daher: Es stimmt zwar, dass ein Skill umso nützlicher ist, je häufiger er benutzt wird, aber das ist in meinen Augen nicht das entscheidende Kriterium. Das entscheidende Kriterium ist, wie wichtig es ist, eine Probe zu schaffen. Auch wenn du jede Ingame-Stunde auf Orientierung würfelst, um herauszufinden, ob du -10% Geschwindigkeit kriegst, ist Orientierung ein ziemlich nutzloser Skill, wenn du nicht unter Zeitdruck stehst.

Beim zweiten Punkt stimme ich dir zu: Werte sind umso nützlicher, je klarer ihre Wirkung definiert ist. Es hindert einen Systemdesigner allerdings nichts daran, auch den Werten fürs "Freie Spiel" möglichst klare Wirkungen zuzuweisen. Anhand dieser klar definierten Wirkungen kann man dann die Balance aufziehen.



Wenn man dagegen ein Kampf-Spiel haben möchte und ein davon abgegrenztes Freies Spiel, ist die erste Regel beim Balancing: Die haben nichts mit einander zu tun bzw. die nötigen Werte zu erlangen, bringt die Bereiche niemals in Konkurrenz miteinander.

Ich bin der Meinung, dass eine Unterteilung hier unnötig ist. Du kannst auf Effektivität beim freien Spiel verzichten um besser im Kampf zu werden und umgekehrt.



Schön wärs! Denn das stumpfsinnige abspulen immer gleicher Routinen geht den meisten anderen irgendwann hart auf die Eier, inklusive dem Spielleiter.

Ok, wenn jemand in früheren Editionen von D&D einen Kämpfer spielt, dann fühle ich persönlich mich nicht davon gestört, wenn er nix anderes macht als normale Angriffe... Wer mehr Auswahlmöglichkeiten haben will, spielt eben einen Spellcaster.



Nur kurz zur begrifflichen Klarstellung: Ich habe hier "meine" Begriffe von Strategie und Taktik verwendet, nicht ganz die im Thread angegebenen. Strategie ist (bei mir) die langfristige Planung. Dabei spielt eben auch Charakter- und Gruppenbau eine Rolle. Taktik ist die unmittelbare Planung und Anwendung in der konkreten Szene, z.B. im Kampf. Das fällt unter Deinen Punkt 4 ("Strategisches Balancing"). Der Effekt ist aber nahezu identisch (und ich finde ehrlich gesagt nichts besser oder schlechter): Balancing macht Strategie und Taktik schwieriger, weil die regeltechnisch zur Verfügung stehenden Optionen nicht eindeutig besser oder schlechter sind.

Man könnte "strategische Balance" auch in "taktische Balance" umbenennen, wenn das passender ist... Und "schwierigere" Strategie und Taktik halte ich durchaus für wünschenswert, da der taktische Anspruch vieler Rollenspielsysteme durch die extrem offensichtlichen optimalen Handlungsweisen quasi nicht vorhanden ist.



Es gibt auf der Taktik-Ebene allerdings noch ein zweites Problem, das auf der strategischen Ebene nicht in dem Maß vorkommt (bestenfalls unter Punkt 1.5 im OP): Es gibt Taktikerspieler, die nicht von den Regeln vorgesehene/abgehandelte Effekte für taktische Entscheidungen einfordern. Bei mir persönlich ist das im Kampf nicht mehr so häufig der Fall, aber bei Fertigkeitsanwendungen kommt es (bei mir) vor, dass der Spieler beschreibt, unter Anwendung welcher Hilfsmittel er sein Ziel erreichen will und dann Boni einfordert, die im Regelwerk nicht vorgesehen sind.

Sowas kannst du als Systemdesigner natürlich nicht ins Balancing einfließen lassen. Musst du allerdings auch gar nicht: Hier kann meiner Ansicht nach ruhig jede Gruppe für sich entscheiden, wie sie das handhaben möchte. Wichtig ist nur, dass das unmodifizierte System halbwegs ausbalanciert ist.



Was den Nutzen von Kampfskills angeht: Ich habe Runden erlebt, in denen es bei durchschnittlich 6 h Spielzeit pro Treffen nur alle 2 Treffen zu einem Kampf kam, der (teilweise aufgrund langsamer, detaillierter Kampfregeln) in 3/4 - 1 h ausgespielt wurde. Deswegen halte ich die meisten Kampfregeln und Kampffertigkeiten für völlig überbewertet.

...Und in anderen Runden gibt es jede Session mindestens einen Kampf. Dort sind Kampfskills nicht überbewertet.



Wer hat das den gefordert?

Ich hab den (im anderen Thread) von dir verlinkten Post so verstanden, dass Batte Babes nicht so gut sein dürfen wie die anderen Klassen, weil ihre Mindshare-effectiveness höher ist. Kann mich aber auch irren.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 16.03.2013 | 15:47
Zitat
Ich bin der Meinung, dass eine Unterteilung hier unnötig ist. Du kannst auf Effektivität beim freien Spiel verzichten um besser im Kampf zu werden und umgekehrt.

Ja, man kann sowas machen. Das gehört zu den Höllen, die man sich beim Spieldesign dann selber gräbt. Der Heilskill ist dabei tatsächlich interessant, weil er eine gewisse Zwitterstellung einnimmt: Er wird zwar nicht unbedingt im Kampf angesetzt, vermindert aber die Nebenwirkungen des Kampfsystems, ist also gewisser Maßen ein Zulieferer für das Kampfsystem.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: ausstechform am 16.03.2013 | 16:19
Ok, wenn jemand in früheren Editionen von D&D einen Kämpfer spielt, dann fühle ich persönlich mich nicht davon gestört, wenn er nix anderes macht als normale Angriffe... Wer mehr Auswahlmöglichkeiten haben will, spielt eben einen Spellcaster.

Zum Glück ist D&D nicht "Rollenspiel" im Allgemeinen  >;D. Aber wie sieht es bei Warhammer 40k aus? Da hat jeder Psioniker seine Hammerkraft, die er unentwegt raushaut, teils unter brutaler Verachtung des Hintergrunds mit Berufung auf das Regelsystem.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 16.03.2013 | 21:32
Zum Glück ist D&D nicht "Rollenspiel" im Allgemeinen  >;D. Aber wie sieht es bei Warhammer 40k aus? Da hat jeder Psioniker seine Hammerkraft, die er unentwegt raushaut, teils unter brutaler Verachtung des Hintergrunds mit Berufung auf das Regelsystem.
Was hier stört ist allerdings nicht das fehlende Strategie-Balancing des Psionikers sondern der Bruch zwischen Regelsystem und Hintergrund.

Außerdem vermute ich hier auch ein fehlendes Charakter-Balancing, da der Psioniker normalerweise wesentlich stärker als die anderen Charaktere sind.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: ausstechform am 16.03.2013 | 23:43
Nein ist er nicht. Ausgenommen vielleicht Deathwatch. Aber selbst wenn er das wäre, wäre das nicht zwangsläufig störend und hat mit dme Problem nichts zu tun.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 17.03.2013 | 10:31
Selbst, wenn mein zweiter Absatz falsch ist (was ich aufgrund meiner Erfahrung mit Psionikern bezweifle), stünde immer noch der erste Satz: Dich stört der Bruch zwischen Regelwerk und Hintergrund.

Desweiteren: Der Psioniker haut immer seinen Standardspruch raus und die restlichen Charaktere benutzen immer ihre Standardwaffe. Von daher sehe ich auf Seiten der Regel-Balance keinen großen Unterschied: Beide haben ihren Standard, der immer verwendet wird.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: ausstechform am 17.03.2013 | 10:45
Der Bruch zwischen Regelsystem und Hintergrund besteht nicht. Es besteht ein Bruch zwischen der Kenntnis der Mechanik des Psiwirkens bei Spieler und Charakter. Der Spieler hat nämlich gelesen, dass es definitiv nicht sonderlich gefährlich ist Psikräfte zu wirken, während dem Charakter Zeit seines Lebens das Gegenteil eingehämmert wurde. Außer bei Schwarzer Kreuzzug streuben sich da einem echt die Nackenhaare.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 17.03.2013 | 11:00
An mich wurde die Idee herangetan, dass Mind-Share-Effectivness letztendlich sowas wie Mary-Sue-Potential darstellt und somit quasi gar nicht so erstrebenswert ist. 
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 17.03.2013 | 11:07
@ausstechform
So oder so ist das keine Balancing-Sache.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 17.03.2013 | 11:07
Nochmal kurz zum Thema Balance von Strategien (Taktiken):

Ich sehe es nicht notwendigerweise so, dass im Spieledesign das Problem des Taktischen Spielers, der Schlupflöcher sucht, allein der Gruppe bzw. dem Spielleiter überlassen bleibt. Man kann mMn mit Regeln schon weit vorbauen, um Exzesse solcher Spielweisen zu begrenzen.

Beispielsweise kann man als Regel festlegen (und fett im GRW kennzeichnen!), dass jede (bedeutsame) Veränderung der Spielwelt nach Wunsch der Spieler durch die Charaktere einen Würfelwurf (oder einen Wertvergleich) erfordert, der über Erfolg, Ausmaß, Qualität und Nebenumstände der Veränderung entscheidet.

Damit wird erstens ausbalanciert, dass einige Fertigkeiten (Feats, Spells) nicht nur als hübsches Beiwerk behandelt werden, sondern auch tatsächlich zur Anwendung kommen. Zweitens werden damit die Ketten "eindeutiger" (= nicht würfelgeprüfter) Erfolge unterbrochen, die in einem "Abenteuerlösung  herbei erzählen" enden, ohne dass der Spielleiter irgendwann willkürlich Nein, geht nicht! sagen muss. Sowas muss nicht jedem Spieler gefallen, es ist nur eine Möglichkeit, innerhalb der Regeln sowas zu lösen.

Eine andere, damit kombinierbare Möglichkeit besteht darin, auf konkrete taktische Optionen zugunsten abstrakter taktischer Optionen zu verzichten. Dann muss es für die allgemein gültigen taktischen Optionen durchgängige, eventuell an Meta-Ressourcen gebundene Regelmechanismen geben. FATE und auch Cortex+ (und sicher auch eine ganze Reihe anderer Spiele, teilweise auch Warhammer 3) gehen in diese Richtung. Wenn der Taktiker sich z.B. einen bestimmten Vorteil für eine geplante Aktion herbeiwünscht, kann er dazu bei FATE über Manöver und Deklarationen Aspekte schaffen (mit der Chance auf Versagen und damit interessante Abenteuerentwicklungen), deren Nutzen er bei exzessivem Gebrauch mit der Ressource Fatepunkt bezahlen muss.

Im Grunde sind die meisten umfangreichen Kampfregeln nur Verhausregelungen, Vorwegnahme und Konkretisierungen solcher abstrakter Boni. Irgendwann kamen Spieler auf die Idee, dass es sinnvoll ist, einen Gegner zu umzingeln, also wurden Regeln für Flanking und Übermacht erfunden. Irgendwann kamen Spieler auf die Idee, dass man schlafende Gegner meucheln kann, also entwickelte man Meuchelregeln bzw. Regeln für Angriffe auf wehrlose Gegner. So geht es weiter mit Entwaffnen, Zurückdrängen, Blenden usw.

Teilweise setzte sich neben der Konkretisierung bestimmter Aktionen im Kampf bereits in der Rollenspielentwicklung das Einführen abstrakter taktischer Mechanismen ein. Savage Worlds kennt z.B. sowohl konkrete Modifikationen (z.B. Deckung, Beleuchtung, Übermacht), als auch abstrakte Mechanismen für Tricks und geistige Duelle. Auch FATE laviert in einigen Variationen zwischen beiden Optionen hin und her.

Interessant wird es mMn, wenn man das aus dem Kampf herausnimmt und in andere, vor allem nicht rundenbasierende Szenen des Rollenspiels überträgt.

Nochwas zur Wichtigkeit von Kampfskills:

...Und in anderen Runden gibt es jede Session mindestens einen Kampf. Dort sind Kampfskills nicht überbewertet.

 ;)
Genau das ist doch das Problem, wenn man sich nicht vorher darüber klar wird, was man spielen will bzw. für wen man das Spiel entwirft. Mal ein anderer Bereich als Kampf: GUMSHOE ist ein Detektivrollenspiel für Ermittlungsabenteuer. Unabhängig davon, was ich persönlich von Ermittlungsabenteuern halte, GUMSHOE macht insofern etwas richtig, als dass es klar angibt, welchen Fokus das Spiel hat, und in dieser Beziehung die Charaktere "ausbalanciert". Nights Black Agents z.B. (eine GUMSHOE-Variante) hat um die 40 Ermittlungsfertigkeiten, die auf die Charaktere in der Gruppe verteilt werden können und die sicherstellen sollen, dass jeder Charakter etwas zur Ermittlung beiträgt. Dagegen gibt es "nur" 20 allgemeine Fertigkeiten, von denen nicht mal die Hälfte im Kampf nützlich ist. Ermittlungsfähigkeiten und Allgemeine Fertigkeiten haben unterschiedliche Mechanismen und unterschiedliche Zuordnungspools.

Aber nicht nur die Ermittlungsfähigkeiten, sondern auch alle allgemeinen Fähigkeiten haben ihren Nutzen in dem Genre (Agentenfilm bzw. Agentenroman), das Nights Black Agents spielbar will: Neben Ermittlungen und Kämpfen sind das Verfolgungsjagden, Beschattung, Einbrüche, Diebstähle usw. Dafür gibt es Fertigkeiten und Regeln - so gut wie alles andere wird entweder nicht gewürfelt, oder als Ausprägung einer anderen Fertigkeit behandelt.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 17.03.2013 | 14:23
Ja, man kann sowas machen. Das gehört zu den Höllen, die man sich beim Spieldesign dann selber gräbt. Der Heilskill ist dabei tatsächlich interessant, weil er eine gewisse Zwitterstellung einnimmt: Er wird zwar nicht unbedingt im Kampf angesetzt, vermindert aber die Nebenwirkungen des Kampfsystems, ist also gewisser Maßen ein Zulieferer für das Kampfsystem.

Ok, nimm als anderes Beispiel einen Wahrnehmungs-Skill: Einen Wurf, der dich die Landmine entdecken lässt, bevor du sie auslöst, oder der dich den Hinterhalt sehen lässt, bevor du hineintappst, würde ich durchaus als "wichtig" einstufen. Oder ein Handwerks-Skill: Aufgrund der Tatsache, dass du ein toller Schmied bist, macht dein Schwert halt +1 Schaden. Natürlich haben diese ganzen Beispiele indirekt auch was mit dem Kampfsystem zu tun, aber wenn du eine fixe Trennung zwischen "Kampf" und "Nicht-Kampf" haben willst, wo ziehst du da die Grenze?



An mich wurde die Idee herangetan, dass Mind-Share-Effectivness letztendlich sowas wie Mary-Sue-Potential darstellt und somit quasi gar nicht so erstrebenswert ist.  

...Nicht erstebenswert aus wessen Perspektive? Ich bin bisher immer noch der Meinung, dass man MSE beim Balancing nicht berücksichtigen muss.



Ich sehe es nicht notwendigerweise so, dass im Spieledesign das Problem des Taktischen Spielers, der Schlupflöcher sucht, allein der Gruppe bzw. dem Spielleiter überlassen bleibt. Man kann mMn mit Regeln schon weit vorbauen, um Exzesse solcher Spielweisen zu begrenzen.

Beispielsweise kann man als Regel festlegen (und fett im GRW kennzeichnen!), dass jede (bedeutsame) Veränderung der Spielwelt nach Wunsch der Spieler durch die Charaktere einen Würfelwurf (oder einen Wertvergleich) erfordert, der über Erfolg, Ausmaß, Qualität und Nebenumstände der Veränderung entscheidet.

Damit wird erstens ausbalanciert, dass einige Fertigkeiten (Feats, Spells) nicht nur als hübsches Beiwerk behandelt werden, sondern auch tatsächlich zur Anwendung kommen. Zweitens werden damit die Ketten "eindeutiger" (= nicht würfelgeprüfter) Erfolge unterbrochen, die in einem "Abenteuerlösung  herbei erzählen" enden, ohne dass der Spielleiter irgendwann willkürlich Nein, geht nicht! sagen muss. Sowas muss nicht jedem Spieler gefallen, es ist nur eine Möglichkeit, innerhalb der Regeln sowas zu lösen.

Hmm... Ich habe kein Problem damit, wenn Spieler es schaffen, die Abenteuerlösung "herbeizuerzählen". Wenn das Abenteuer von vornherein ausreichend fordernd angelegt war (Herausforderungsbalance), dann ist das sogar eine sehr beachtliche Leistung auf Spielerseite, das zu schaffen. Hier würde ich den Leuten nicht künstlich Steine in den Weg legen wollen.



Eine andere, damit kombinierbare Möglichkeit besteht darin, auf konkrete taktische Optionen zugunsten abstrakter taktischer Optionen zu verzichten. Dann muss es für die allgemein gültigen taktischen Optionen durchgängige, eventuell an Meta-Ressourcen gebundene Regelmechanismen geben. FATE und auch Cortex+ (und sicher auch eine ganze Reihe anderer Spiele, teilweise auch Warhammer 3) gehen in diese Richtung. Wenn der Taktiker sich z.B. einen bestimmten Vorteil für eine geplante Aktion herbeiwünscht, kann er dazu bei FATE über Manöver und Deklarationen Aspekte schaffen (mit der Chance auf Versagen und damit interessante Abenteuerentwicklungen), deren Nutzen er bei exzessivem Gebrauch mit der Ressource Fatepunkt bezahlen muss.

Im Grunde sind die meisten umfangreichen Kampfregeln nur Verhausregelungen, Vorwegnahme und Konkretisierungen solcher abstrakter Boni. Irgendwann kamen Spieler auf die Idee, dass es sinnvoll ist, einen Gegner zu umzingeln, also wurden Regeln für Flanking und Übermacht erfunden. Irgendwann kamen Spieler auf die Idee, dass man schlafende Gegner meucheln kann, also entwickelte man Meuchelregeln bzw. Regeln für Angriffe auf wehrlose Gegner. So geht es weiter mit Entwaffnen, Zurückdrängen, Blenden usw.

Teilweise setzte sich neben der Konkretisierung bestimmter Aktionen im Kampf bereits in der Rollenspielentwicklung das Einführen abstrakter taktischer Mechanismen ein. Savage Worlds kennt z.B. sowohl konkrete Modifikationen (z.B. Deckung, Beleuchtung, Übermacht), als auch abstrakte Mechanismen für Tricks und geistige Duelle. Auch FATE laviert in einigen Variationen zwischen beiden Optionen hin und her.

Interessant wird es mMn, wenn man das aus dem Kampf herausnimmt und in andere, vor allem nicht rundenbasierende Szenen des Rollenspiels überträgt.

Sowas gefällt mir persönlich überhaupt nicht, denn dann du hast als Spieler keine Motivation mehr, dir innerhalb der Spielwelt einen taktischen Vorteil zu verschaffen: Wenn du einen taktischen Vorteil brauchst, erzählst du dir einfach einen her. Fad und anspruchslos. Beispiele:

Spieler: "Ich werfe einen Tisch um, um ihn als Deckung zu verwenden, und räume sämtliche Gegenstände, die der Gegner als Deckung verwenden könnte, beiseite."
SL: "Ok, hier musst du jetzt *Metaresource X" ausgeben, damit dir das was bringt. Geht ja überhaupt nicht, dass jemand sich einen taktischen Vorteil verschafft, ohne dafür bezahlen zu müssen."

Spieler: "Ich stürme ohne irgendwelche besonderen Vorbereitungen auf die feindliche Stellung zu. Ich gebe *Metaresource X* aus, damit ich dabei Sichtdeckung durch Bodennebel habe."

Besonders bei FATE hat mich sowas extrem genervt. Du musst als Spieler nicht darüber nachdenken, wie du deine Umgebung am besten zu deinem Vorteil nutzen kannst. Du musst dir als Spieler nur eine Umgebung hererzählen, die dir einen Vorteil gibt.



Genau das ist doch das Problem, wenn man sich nicht vorher darüber klar wird, was man spielen will bzw. für wen man das Spiel entwirft. Mal ein anderer Bereich als Kampf: GUMSHOE ist ein Detektivrollenspiel für Ermittlungsabenteuer. Unabhängig davon, was ich persönlich von Ermittlungsabenteuern halte, GUMSHOE macht insofern etwas richtig, als dass es klar angibt, welchen Fokus das Spiel hat, und in dieser Beziehung die Charaktere "ausbalanciert". Nights Black Agents z.B. (eine GUMSHOE-Variante) hat um die 40 Ermittlungsfertigkeiten, die auf die Charaktere in der Gruppe verteilt werden können und die sicherstellen sollen, dass jeder Charakter etwas zur Ermittlung beiträgt. Dagegen gibt es "nur" 20 allgemeine Fertigkeiten, von denen nicht mal die Hälfte im Kampf nützlich ist. Ermittlungsfähigkeiten und Allgemeine Fertigkeiten haben unterschiedliche Mechanismen und unterschiedliche Zuordnungspools.

Aber nicht nur die Ermittlungsfähigkeiten, sondern auch alle allgemeinen Fähigkeiten haben ihren Nutzen in dem Genre (Agentenfilm bzw. Agentenroman), das Nights Black Agents spielbar will: Neben Ermittlungen und Kämpfen sind das Verfolgungsjagden, Beschattung, Einbrüche, Diebstähle usw. Dafür gibt es Fertigkeiten und Regeln - so gut wie alles andere wird entweder nicht gewürfelt, oder als Ausprägung einer anderen Fertigkeit behandelt.

Stimmt, wenn man sich vorher auf "Detektivabenteuer" festlegt, dann sind Kampfskills wahrscheinlich eher nebensächlich (aber immer noch nicht komplett unbrauchbar). Hmm... Deine Aussage ist also, dass es Balance nur geben kann, wenn man das gespielte Genre vorher möglichst genau festlegt? Ein Rollenspielsystem, das ohne fix definiertes Genre auskommt kann daher nicht balanciert sein?

Möglicherweise kann folgendes Konzept helfen: Man versieht die zur Verfügung stehenden Skills mit Tags wie "Kampfskill", "sozialer Skill" oder "Ermittlungsskill". Anschließend addiert man die Punkte, die ein Charakter in den entsprechenden Kategorien hat auf, um auf die gesamte "Kampffähigkeit", "Sozialfähigkeit" oder "Ermittlungsfähigkeit" zu kommen. Jetzt sagt man: Für eine kampfbasierte Runde müssen die Charaktere in ihrer Kampffähigkeit balanciert sein, daher müssen sie genau x% ihrer Punkte in Kampffähigkeiten haben, und dürfen den Rest auf die anderen Kategorien verteilen. Für eine ermittlungsbasierte Runde müssen sie genau x% ihrer Punkte in Ermittlungsfähigkeiten haben, und dürfen den Rest frei verteilen, usw.

Auf diese Art und Weise kann man ein einzelnes System dazu verwenden, Charaktere für unterschiedliche Genres auszubalancieren.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: 1of3 am 17.03.2013 | 21:29
Ok, nimm als anderes Beispiel einen Wahrnehmungs-Skill: Einen Wurf, der dich die Landmine entdecken lässt, bevor du sie auslöst, oder der dich den Hinterhalt sehen lässt, bevor du hineintappst, würde ich durchaus als "wichtig" einstufen. Oder ein Handwerks-Skill: Aufgrund der Tatsache, dass du ein toller Schmied bist, macht dein Schwert halt +1 Schaden. Natürlich haben diese ganzen Beispiele indirekt auch was mit dem Kampfsystem zu tun, aber wenn du eine fixe Trennung zwischen "Kampf" und "Nicht-Kampf" haben willst, wo ziehst du da die Grenze?

Ich "will" eigentlich gar nichts. Ich sage: Wenn du das nicht sauber trennst, dann überleg dir bitte genau, was du tust. Tatsächlich beschreibst du mit deinen Beispielen ziemlich genau mein Spiel, B&B. Da gibts die Fähigkeitstypen: Angriff, Schutz (besonders gute Verteidigung), Wohltuend (Schaden heilen), Charisma (Viecher Beschwören), Vorbreitung (für den Kampf nützliche Sachen bauen), Scout ("Fallen", d.h. gegnerische Vorbereitung, ausschalten), Einsicht (besonders effizient Bonuswürfel machen), Fuch (Debuff).

Alle diese Fähigkeitstypen werden entweder während einer Kampfsituation verwendet (Angriff, Schutz, Fluch, Einsicht) oder füttern solche Situationen in gewisser Weise. Sie können aber zudem gleichzeitig benutzt werden, um im freien Spiel beliebige andere Dinge zu tun, sofern diese zur Beschreibung der Fähigkeit passen. Ein Meisterschmied könnte z.B. Aussagen über eine gefundene Mordwaffe treffen etc.

Das heißt ich habe die beiden Bereiche insofern voneinander getrennt, dass jede Fähigkeit eine spezifische mechanische Anwendung hat, die für Kämpfe nützlich ist, und dazu in allgemeiner Weise im freien Spiel verwendet werden kann.


Zitat
Sowas gefällt mir persönlich überhaupt nicht, denn dann du hast als Spieler keine Motivation mehr, dir innerhalb der Spielwelt einen taktischen Vorteil zu verschaffen: Wenn du einen taktischen Vorteil brauchst, erzählst du dir einfach einen her. Fad und anspruchslos.

Die Anforderung ist womöglich eine andere, nämlich wenn man beim Erzählen über gewisse Hürden springen muss. Beispiel: Du musst auf eine Halloween-Party kommen, hast aber nur (noch) Gärtnerei zur Verfügung. Liefer also z.B. die Kürbisse. Die Anforderung ist hier nicht Dinge zu tun, die "sinnvoll" sind, sondern gleichsam die vorgefertigten Schlagworte ansprechend zu verwerten. So macht Fate das z.B., wenn man temporäre Aspekte mit Fertigkeiten appliziert (und B&B übrigens auch). Das muss man natürlich nicht mögen.

Es gibt dann allerdings noch eine dritte Möglichkeit: Es gibt den Bonus nicht für Anwendung von Mechanismen und nicht für "sinnvolle" Ideen, sondern wenn jemandem die Beschreibung aus irgendeinem Grund zusagt, a.k.a. Fanpost oder Stunts. Das lässt sich natürlich mit mechanischen Effekten kombinieren.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Eulenspiegel am 17.03.2013 | 21:48
...Nicht erstebenswert aus wessen Perspektive? Ich bin bisher immer noch der Meinung, dass man MSE beim Balancing nicht berücksichtigen muss.
Man könnte es ja so sehen, dass das eine Form von Balancing ist, die für dich nicht interessant ist.

Es ist ja auch bei den oben angesprochenen Balancingsorten so, dass für manche Gruppen bestimmte Balancing-Arten wichtig sind, aber andere unwichtig. Und für dich wäre halt das MSE-Balancing unwichtig.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 17.03.2013 | 22:26
Hmm... Ich habe kein Problem damit, wenn Spieler es schaffen, die Abenteuerlösung "herbeizuerzählen". Wenn das Abenteuer von vornherein ausreichend fordernd angelegt war (Herausforderungsbalance), dann ist das sogar eine sehr beachtliche Leistung auf Spielerseite, das zu schaffen. Hier würde ich den Leuten nicht künstlich Steine in den Weg legen wollen.

Das ist eben einer der Gründe, warum ich es für wichtig halte, dass man sich vorher viel Gedanken über die Art des Spielens macht. Das geht weit über das zu bespielende Genre hinaus, sondern betrifft tatsächlich auch die Fragen, wer wie wann was entscheiden darf - vor allem, ob Charakterhandlungen der Spieler gelingen oder nicht. Sobald die expliziten regeln verlassen werden, die meinetwegen vorschreiben, dass im Kampf auf eine bestimmte Art gewürfelt wird, entscheidet traditionell der Spielleiter aus reinem Bauchgefühl, ob etwas klappt oder nicht oder ggf. ob gegen eine bestimmte Schwierigkeit gewürfelt wird. Manchmal entscheiden noch die informellen Machtverhältnisse am Tisch mit, und das Resultat kann ich persönlich beim Rollenspiel nicht leiden, weil es für mich wichtige Teile des Rollenspiels (Stichwort Unvorhersehbarkeit) untergräbt. 

Ein Regelwerk, dass diesen Effekt klar ansagt und als Feature aufführt, ist damit für mich uninteressant - aber für andere Spieler in Ordnung, weil es ihrer Vorstellung von funktionierendem Rollenspiel entspricht.

Das ganze würde ich verbuchen unter Ausbalancieren der Spielerinteressen.

Sowas gefällt mir persönlich überhaupt nicht, denn dann du hast als Spieler keine Motivation mehr, dir innerhalb der Spielwelt einen taktischen Vorteil zu verschaffen: Wenn du einen taktischen Vorteil brauchst, erzählst du dir einfach einen her. Fad und anspruchslos. Beispiele:
...
Besonders bei FATE hat mich sowas extrem genervt. Du musst als Spieler nicht darüber nachdenken, wie du deine Umgebung am besten zu deinem Vorteil nutzen kannst. Du musst dir als Spieler nur eine Umgebung hererzählen, die dir einen Vorteil gibt.


Deswegen ist das so eine der Vorentscheidungen, die man treffen muss, um das Spiel auszubalancieren - oder um überhaupt zu wissen, ob bestimmtes Ausbalancieren gewünscht ist. Ich empfinde es z.B. umgekehrt als Ressourcen herbeierzählen, wenn Spieler Spielweltfaktoren einfach so nach Gutdünken begünstigend auf ihre Proben angerechnet bekommen, und es stört auch stark mein Gefühl von Fairness. Aber das ist eben nicht bei jedem Spieler gleichermaßen der Fall.

Für mich stehen auch andere Motivationen im Vordergrund. Als Spieler dazu beitragen können, die Spielwelt lebendig, das heißt für mich: auch mit Spielwerten, zu beschreiben, eine Szene mitzugestalten - das ist mir wichtiger als das Suchen nach den bereits vom Spielleiter/Abenteuer vorgesehenen taktischen Möglichkeiten.


Stimmt, wenn man sich vorher auf "Detektivabenteuer" festlegt, dann sind Kampfskills wahrscheinlich eher nebensächlich (aber immer noch nicht komplett unbrauchbar). Hmm... Deine Aussage ist also, dass es Balance nur geben kann, wenn man das gespielte Genre vorher möglichst genau festlegt? Ein Rollenspielsystem, das ohne fix definiertes Genre auskommt kann daher nicht balanciert sein?

Generell würde ich annehmen, dass ein Rollenspielsystem immer nur bestimmte Genres spielbar machen kann, und selbst da Schwerpunkte setzt. Ich persönlich halte die Auswahl des zu bespielenden Genres für einen unter mehreren Gesichtspunkten, die man beim Entwerfen eines ausbalancierten Spiels vorher abklären muss. Das Genre verrät, welche Konflikte bespielt werden können, welche Lösungsmöglichkeiten zulässig sind, welche Szenen man mit welcher Häufigkeit erwarten kann usw. Man kann versuchen, das zu bündeln (Kampf, Soziales, Körperliches, Wissen, Handwerk usw.), aber damit kann man auch in Teufels Küche geraten.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 17.03.2013 | 22:54
Ich "will" eigentlich gar nichts. Ich sage: Wenn du das nicht sauber trennst, dann überleg dir bitte genau, was du tust. Tatsächlich beschreibst du mit deinen Beispielen ziemlich genau mein Spiel, B&B. Da gibts die Fähigkeitstypen: Angriff, Schutz (besonders gute Verteidigung), Wohltuend (Schaden heilen), Charisma (Viecher Beschwören), Vorbreitung (für den Kampf nützliche Sachen bauen), Scout ("Fallen", d.h. gegnerische Vorbereitung, ausschalten), Einsicht (besonders effizient Bonuswürfel machen), Fuch (Debuff).

Alle diese Fähigkeitstypen werden entweder während einer Kampfsituation verwendet (Angriff, Schutz, Fluch, Einsicht) oder füttern solche Situationen in gewisser Weise. Sie können aber zudem gleichzeitig benutzt werden, um im freien Spiel beliebige andere Dinge zu tun, sofern diese zur Beschreibung der Fähigkeit passen. Ein Meisterschmied könnte z.B. Aussagen über eine gefundene Mordwaffe treffen etc.

Das heißt ich habe die beiden Bereiche insofern voneinander getrennt, dass jede Fähigkeit eine spezifische mechanische Anwendung hat, die für Kämpfe nützlich ist, und dazu in allgemeiner Weise im freien Spiel verwendet werden kann.

Ok, so kann man es natürlich auch lösen. Wenn jede Fähigkeit sowohl im Kampf als auch außerhalb vom Kampf nützlich sein kann, dann existiert das Problem von im Kampf unterschiedlich effektiven Charakteren ganz einfach nicht (zumindest idealerweise). Diejenigen Fähigkeiten, die scheinbar nicht in den Kampf reinpassen, müssen dann ganz einfach in eine diese Kategorien eingeordnet werden, und bekommen daher implizit eine Bedeutung für den Kampf.



Die Anforderung ist womöglich eine andere, nämlich wenn man beim Erzählen über gewisse Hürden springen muss. Beispiel: Du musst auf eine Halloween-Party kommen, hast aber nur (noch) Gärtnerei zur Verfügung. Liefer also z.B. die Kürbisse. Die Anforderung ist hier nicht Dinge zu tun, die "sinnvoll" sind, sondern gleichsam die vorgefertigten Schlagworte ansprechend zu verwerten. So macht Fate das z.B., wenn man temporäre Aspekte mit Fertigkeiten appliziert (und B&B übrigens auch). Das muss man natürlich nicht mögen.

Es gibt dann allerdings noch eine dritte Möglichkeit: Es gibt den Bonus nicht für Anwendung von Mechanismen und nicht für "sinnvolle" Ideen, sondern wenn jemandem die Beschreibung aus irgendeinem Grund zusagt, a.k.a. Fanpost oder Stunts. Das lässt sich natürlich mit mechanischen Effekten kombinieren.

Ich habe FATE bisher nicht besonders häufig gespielt, und bisher hat es mir halt nicht besonders gut gefallen. Es ist schon richtig, dass das richtige Rüberbringen deiner Erzählung eine eigene Art von Herausforderung ist, es handelt sich dabei aber nicht um eine Herausforderung, die mir besonders viel Spaß macht.




Man könnte es ja so sehen, dass das eine Form von Balancing ist, die für dich nicht interessant ist.

Es ist ja auch bei den oben angesprochenen Balancingsorten so, dass für manche Gruppen bestimmte Balancing-Arten wichtig sind, aber andere unwichtig. Und für dich wäre halt das MSE-Balancing unwichtig.

Das ist natürlich möglich. In dem Fall hätten wir:
-> Herausforderungsbalance (balanciert die Fähigkeiten der Spieler mit ihrer Umwelt)
-> Charaktereffektivitätsbalance und Charakterhintergrundsbalance (balancieren die Einflussmöglichkeiten der Spieler gegeneinander)
-> Strategische Balance (balanciert die möglichen Handlungsweisen eines einzelnen Spielers gegeneinander)
-> Screentime Balance (balanciert die Aufmerksamkeit der Gruppe unter den einzelnen Spielern)
-> Mindshare Balance (balanciert das Interesse der Gruppe an den einzelnen Spielercharakteren)

...Mit der Anmerkung, dass eine klare Abgrenzung der unterschiedlichen Balancearten umso schwieriger wird, je mehr es davon gibt. Mir ist beispielsweise klar, dass Screentime Balance und Mindshare Balance zwei unterschiedliche Konzepte sind, aber komplett unabhängig voneinander sind sie auch nicht. Wenn du mehr Screentime hast, wirst du generell auch mehr Mindshare haben und umgekehrt.



Das ist eben einer der Gründe, warum ich es für wichtig halte, dass man sich vorher viel Gedanken über die Art des Spielens macht. Das geht weit über das zu bespielende Genre hinaus, sondern betrifft tatsächlich auch die Fragen, wer wie wann was entscheiden darf - vor allem, ob Charakterhandlungen der Spieler gelingen oder nicht. Sobald die expliziten regeln verlassen werden, die meinetwegen vorschreiben, dass im Kampf auf eine bestimmte Art gewürfelt wird, entscheidet traditionell der Spielleiter aus reinem Bauchgefühl, ob etwas klappt oder nicht oder ggf. ob gegen eine bestimmte Schwierigkeit gewürfelt wird. Manchmal entscheiden noch die informellen Machtverhältnisse am Tisch mit, und das Resultat kann ich persönlich beim Rollenspiel nicht leiden, weil es für mich wichtige Teile des Rollenspiels (Stichwort Unvorhersehbarkeit) untergräbt. 

Ein Regelwerk, dass diesen Effekt klar ansagt und als Feature aufführt, ist damit für mich uninteressant - aber für andere Spieler in Ordnung, weil es ihrer Vorstellung von funktionierendem Rollenspiel entspricht.

Das ganze würde ich verbuchen unter Ausbalancieren der Spielerinteressen.

Hmm... Dir geht es also darum, dass dein Erfolg außerhalb der Regeln von Willkür bestimmt ist, und du die Regeln daher möglichst nicht verlassen willst? In bestimmten Bereichen (vor allem der Ausgang von physische Aktionen) stimme ich dir hier zu. In anderen Bereichen (Verhalten von NSCs) eher nicht.

Persönliche Meinung von mir: Wenn die Spieler viel mit physischen Hindernissen zu tun haben, dann sollten die Regeln über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Wenn es ein eher soziales Abenteuer ist, dann ist eine Lösung des Abenteuers ohne Regelanwendung nichts negatives.



Deswegen ist das so eine der Vorentscheidungen, die man treffen muss, um das Spiel auszubalancieren - oder um überhaupt zu wissen, ob bestimmtes Ausbalancieren gewünscht ist. Ich empfinde es z.B. umgekehrt als Ressourcen herbeierzählen, wenn Spieler Spielweltfaktoren einfach so nach Gutdünken begünstigend auf ihre Proben angerechnet bekommen, und es stört auch stark mein Gefühl von Fairness. Aber das ist eben nicht bei jedem Spieler gleichermaßen der Fall.

Für mich stehen auch andere Motivationen im Vordergrund. Als Spieler dazu beitragen können, die Spielwelt lebendig, das heißt für mich: auch mit Spielwerten, zu beschreiben, eine Szene mitzugestalten - das ist mir wichtiger als das Suchen nach den bereits vom Spielleiter/Abenteuer vorgesehenen taktischen Möglichkeiten.

Ok, hier haben wir dann offensichtlich unterschiedliche Vorlieben.



Generell würde ich annehmen, dass ein Rollenspielsystem immer nur bestimmte Genres spielbar machen kann, und selbst da Schwerpunkte setzt. Ich persönlich halte die Auswahl des zu bespielenden Genres für einen unter mehreren Gesichtspunkten, die man beim Entwerfen eines ausbalancierten Spiels vorher abklären muss. Das Genre verrät, welche Konflikte bespielt werden können, welche Lösungsmöglichkeiten zulässig sind, welche Szenen man mit welcher Häufigkeit erwarten kann usw. Man kann versuchen, das zu bündeln (Kampf, Soziales, Körperliches, Wissen, Handwerk usw.), aber damit kann man auch in Teufels Küche geraten.

Dass es schwierig ist mag sein, aber es ist nicht unmöglich (zumindest nicht bevor ich es ausprobiert habe). Meiner Ansicht nach ist die Idealversion, dass (fast) alle Fähigkeiten irgendwie nützlich sind, und dass das Szenario daher nicht so klar einordenbar ist. Wenn alle Fähigkeiten irgendwie nützlich sein sollen, müssen alle Fähigkeiten auch irgendwie gefordert sein.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Oberkampf am 18.03.2013 | 07:29
Dass es schwierig ist mag sein, aber es ist nicht unmöglich (zumindest nicht bevor ich es ausprobiert habe). Meiner Ansicht nach ist die Idealversion, dass (fast) alle Fähigkeiten irgendwie nützlich sind, und dass das Szenario daher nicht so klar einordenbar ist. Wenn alle Fähigkeiten irgendwie nützlich sein sollen, müssen alle Fähigkeiten auch irgendwie gefordert sein.

Den Gedanken kann ich nachvollziehen. Habe ich trotz meiner Bedenken auch. Ich habe im Brainstorming-Unterforum mal nachgefragt (http://tanelorn.net/index.php/topic,79133.0.html), welches für andere Spieler die für "Standardfantasy" mindestens notwendigen Fähigkeiten/Attribute sind, die auf dem Charakterbogen stehen müssen, um exotische Skills auslagern zu können. Aus den Antworten ist mir aufgegangen, wie viele Vorannahmen ich treffe und wie sehr ein von mir präferierter Spielstil dabei das Ergebnis vorwegnimmt. Beispielsweise spiele/leite ich z.B. oft Abenteuer, wo fast jede zweite Szene soziale Interaktion (notfalls mit NSCs) enthält. Diese Szenen sind sogar oft (nicht immer) bedeutsam fürs weitere Abenteuer und zumindest halboffen im Ergebnis (also kein reines Infodroping). Entsprechend meiner Vorlieben spiele ich soetwas konsequenterweise nicht nur mit Schauspiel aus, sondern auch mit dramatischen Würfelproben.

Folglich schleichen sich 4 - 6 soziale Fähigkeiten in die Liste meiner "mindestens notwendigen Fertigkeiten". Was körperliche Fähigkeiten angeht, reicht mir dagegen oft "Sportlichkeit", bestenfalls vielleicht noch unterteilt in "Athletik" (Kraft), Ausdauer und "Akrobatik" (Beweglichkeit), während andere vielleicht da gerne Klettern, Balancieren, Turnen, Geländelauf, Schwimmen (+ extra Tauchen?), Weitsprung usw. einzeln aufgeführt hätten. So viele brauche ich nicht, weil in meinen Abenteuerentwürfen rein körperliche Konfliktszenen gegen die Umwelt ohne Kampfmomente (also Flussüberquerung, Kletterpartien usw.) eine untergeordnete Rolle spielen.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Praion am 18.03.2013 | 09:08
Zitat
Das ist natürlich möglich. In dem Fall hätten wir:
-> Herausforderungsbalance (balanciert die Fähigkeiten der Spieler mit ihrer Umwelt)
-> Charaktereffektivitätsbalance und Charakterhintergrundsbalance (balancieren die Einflussmöglichkeiten der Spieler gegeneinander)
-> Strategische Balance (balanciert die möglichen Handlungsweisen eines einzelnen Spielers gegeneinander)
-> Screentime Balance (balanciert die Aufmerksamkeit der Gruppe unter den einzelnen Spielern)
-> Mindshare Balance (balanciert das Interesse der Gruppe an den einzelnen Spielercharakteren)

Ich würde das nicht Hintergrundbalance nennen. Das hat nicht umbedingt was mit dem Hintergrund zu tun. Fiktions-Gewicht fände ich vielleicht passender.

Zum Zusammenhang von Screentime mit den anderen:

Hohe mechanische Effektivität führt auf jeden Fall zu Spotlight, je mehr man auf etwas spezialisiert ist desto fokusierter wird auch das Spotlight (Dieb ist immer im Licht wenn es um Fallen etc. geht aber fällt bei anderen Sachen hinten weg). Ist man im Kampf effektiv hat man sehr viel Spotlight da Kampf ja wie schon gesagt oft extra Ebene des Spiels ist und schon gerne mal 30-60min dauert.

Hohes fiktionales Gewicht kann zu weniger Screentime führen. Da man viel einfach über Anweisungen an andere oder kurze Erklärungen machen kann, ist man ggf. weniger im Spotlight. Die Dinge die man groß verändern kann brauchen auch meistens ein wenig länger Zeit so dass die Charaktere die spezialisirter auf einzelne Dinge sind mehr Zeit haben IHR Ding zu machen. Man muss also effektiv mit Zeit arbeiten damit diese Charaktere nicht hinten abfallen.

Hohe MSE führt zu mehr Screentime (zwar auch andersrum aber ich denke dieser Zusammenhang ist wichtig) da "alle" Spieler mehr Interesse an dem Charakter haben wird er einfach mehr angespielt.

Eine gute Herrausforderungsbalance hilft natürlich jedem Spieler seine "angemessene" Menge an Screentime zu geben.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Maarzan am 18.03.2013 | 10:11
Wenn du zuu gut bist, kann das auch wieder weniger werden, weil die Aufgabe schnellst abgehandelt ist oder Gegner sich gleich um Vermeidung bemühen.
(In so fern auch Vorsicht beim "lesen" von Charakterblättern um Spielerpräferenzen abzuchecken als SL)

Hohe MSE kann von zumindest Teilen der Betroffenen auch einfach als nervig empfunden werden und der Char/Spieler so geschnitten werden.

Herausforderungsbalance ist doch eher auf die Gruppe als Ganzes bezogen, oder? Damit können durchaus untereinander nicht balancte Charaktere rausfallen.

Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: rettet den wald am 18.03.2013 | 20:32
Den Gedanken kann ich nachvollziehen. Habe ich trotz meiner Bedenken auch. Ich habe im Brainstorming-Unterforum mal nachgefragt (http://tanelorn.net/index.php/topic,79133.0.html), welches für andere Spieler die für "Standardfantasy" mindestens notwendigen Fähigkeiten/Attribute sind, die auf dem Charakterbogen stehen müssen, um exotische Skills auslagern zu können. Aus den Antworten ist mir aufgegangen, wie viele Vorannahmen ich treffe und wie sehr ein von mir präferierter Spielstil dabei das Ergebnis vorwegnimmt. Beispielsweise spiele/leite ich z.B. oft Abenteuer, wo fast jede zweite Szene soziale Interaktion (notfalls mit NSCs) enthält. Diese Szenen sind sogar oft (nicht immer) bedeutsam fürs weitere Abenteuer und zumindest halboffen im Ergebnis (also kein reines Infodroping). Entsprechend meiner Vorlieben spiele ich soetwas konsequenterweise nicht nur mit Schauspiel aus, sondern auch mit dramatischen Würfelproben.

Folglich schleichen sich 4 - 6 soziale Fähigkeiten in die Liste meiner "mindestens notwendigen Fertigkeiten". Was körperliche Fähigkeiten angeht, reicht mir dagegen oft "Sportlichkeit", bestenfalls vielleicht noch unterteilt in "Athletik" (Kraft), Ausdauer und "Akrobatik" (Beweglichkeit), während andere vielleicht da gerne Klettern, Balancieren, Turnen, Geländelauf, Schwimmen (+ extra Tauchen?), Weitsprung usw. einzeln aufgeführt hätten. So viele brauche ich nicht, weil in meinen Abenteuerentwürfen rein körperliche Konfliktszenen gegen die Umwelt ohne Kampfmomente (also Flussüberquerung, Kletterpartien usw.) eine untergeordnete Rolle spielen.

Ich würde Werte gernerell mal so weit zusammenlegen wie logisch möglich, egal wie oft sie in der konkreten Spielrunde vorkommen. Beispielsweise ist in Nodix der Fokus relativ klar auf Kampf, trotzdem gibt es "nur" einen einzelnen Nahkampf-Skill für alle Nahkampf-Waffen und einen einzelnen Fernkampf-Skill für alle Fernkampf-Waffen. Der Zweck ist klar: Meiner Ansicht nach brauchst du auch in Fokusgebiet deines Systems nicht wirklich viele unterschiedliche Werte, um es interessant zu machen... Was einen Wechsel des Fokusgebiets durch die Gruppe leichter macht, weil sie dadurch weniger unnötigen Ballast mit sich rumschleppen muss.



Ich würde das nicht Hintergrundbalance nennen. Das hat nicht umbedingt was mit dem Hintergrund zu tun. Fiktions-Gewicht fände ich vielleicht passender.

Hmm... Der Name klickt bei mir nicht wirklich. Vielleicht findet sich noch irgendwas, auf was wir uns einigen können, bis dahin werde ich es halt weiterhin "Hintergrund" nennen.



Hohe mechanische Effektivität führt auf jeden Fall zu Spotlight, je mehr man auf etwas spezialisiert ist desto fokusierter wird auch das Spotlight (Dieb ist immer im Licht wenn es um Fallen etc. geht aber fällt bei anderen Sachen hinten weg). Ist man im Kampf effektiv hat man sehr viel Spotlight da Kampf ja wie schon gesagt oft extra Ebene des Spiels ist und schon gerne mal 30-60min dauert.

Hohes fiktionales Gewicht kann zu weniger Screentime führen. Da man viel einfach über Anweisungen an andere oder kurze Erklärungen machen kann, ist man ggf. weniger im Spotlight. Die Dinge die man groß verändern kann brauchen auch meistens ein wenig länger Zeit so dass die Charaktere die spezialisirter auf einzelne Dinge sind mehr Zeit haben IHR Ding zu machen. Man muss also effektiv mit Zeit arbeiten damit diese Charaktere nicht hinten abfallen.

Hohe MSE führt zu mehr Screentime (zwar auch andersrum aber ich denke dieser Zusammenhang ist wichtig) da "alle" Spieler mehr Interesse an dem Charakter haben wird er einfach mehr angespielt.

Eine gute Herrausforderungsbalance hilft natürlich jedem Spieler seine "angemessene" Menge an Screentime zu geben.

Hier kann ich dir weitgehend zustimmen... Mit Ausnahme des Einwands von Maarzan bezüglich hoher mechanischer Effektivität. Wenn du "zu" gut bist, dann wird der SL (oder die Gruppe als Ganzes) dir eventuell wieder weniger Screentime zukommen lassen, weils fad wird.



Herausforderungsbalance ist doch eher auf die Gruppe als Ganzes bezogen, oder? Damit können durchaus untereinander nicht balancte Charaktere rausfallen.

Ja, ich hab mich hier eher auf die Gruppe als Ganzes bezogen... Es kann aber durchaus auch Herausforderungen speziell für einzelne Spieler geben. In beiden Fällen wäre es Herausforderungsbalance.
Titel: Re: Balance: Begriffsdefinition und Diskussion über die Notwendigkeit
Beitrag von: Skiron am 31.03.2013 | 10:21
Ich glaube, eine ganz zentrale Frage ist, wo jeweils das Spiel anfängt. Beispiel: Elfen sind besser als Zwerge. Man kann sagen, das sei unbalanciert. Jedoch nur genau dann, wenn die Entscheidung über Elf oder Zwerg noch nicht Teil des Spiels ist. Genauso gut, könnte die erste Aufgabe des Spiels sein, zu erkennen, dass Zwerge Grind sind und daher Elfen zu nehmen. Man kann auch sagen: Wenn es nur ums gewinnen geht, ist jede Handlung rational. Wir haben es dagegen gern, dass Elfen und Zwerge balanciert sind, weil wir der Wahl Zwerg zu spielen, einen Wert abseits des Gewinnens beimessen.

Finde ich einen sehr sinnvollen Ansatz zur Balance.
Was gehört zum Spiel und aus welchen Gründen trifft man Entscheidungen innerhalb des Spiels.

Rollenspielregelwerke beziehen sich auf eine "theoretische" Spielgruppe und gehen von "Annahmen" über die Spieler
und die daraus folgende mögliche Spielweise aus.

Um für die eigene Gruppe eine Balance zu erreichen und zu erhalten sollte man berücksichtigen, in welcher Hinsicht sich die
eigene Gruppe von der "theoretischen" Spielgruppe auf die sich das Regelwerk bezieht unterscheidet.

Ich würde die Balance deshalb in Zeit, soziale Aufgaben, Spiel Aufgabenverteilungen, Informationsfluss und Zugang und Spielmöglichkeiten
unterteilen.

Diese stehen in direkter Abhängigkeit zu den Spielern und ihren Entscheidungen und sollten nicht isoliert
betrachtet werden, da sich hieraus Konsequenzen für das Spiel ergeben und in die Wahrnehmung "Balance"
innerhalb der Gruppe mit einfließen.

Diese Faktoren unterliegen Veränderungen und deshalb sollte man die Balance innerhalb eines Spiels als einen Prozess
ansehen, der Veränderungen der Aufgabenverteilung, Informationen und Spielmöglichkeiten nötig macht.

Als Beispiel,
entscheidet sich eine Runde von 6 Spieler dafür, dass man spielt sobald 4 Spieler Zeit haben,
hat diese Entscheidung eine Auswirkung auf das Spiel. Bei manchen Spielen gibt es "Schlüsselfähigkeiten"
die dann fehlen können. Man kann dies z.B. ausgleichen in dem man die Gruppe von NSCs begleiten läßt,
die dann die fehlenden Spieler ersetzen. Man steht vor dem Problem, wie integriert man das Fehlen
der Charaktere in die "Realität der Spielewelt"? Wie sorgt man dafür, dass die Spieler die gefehlt haben
erfahren, was in der Spielsitzung geschehen ist?

Meine Erfahrung ist, dass die Konsequenzen für das Spiel aus solchen Entscheidungen meist nicht bewußt,
wahrgenommen werden, weil sie nicht als zugehörig zum Spiel betrachtet werden.

Die Probleme die auftreten werden meist intuitiv und by the way gelöst, außer solche Entscheidungen
führen dazu, dass sie Konsequenzen haben (z.B. zu viele NSCs in der Gruppe, daraus folgend zu viele Kampfbeteiligte,
zu wenig Beteiligung der einzelnen Spieler im Kampf) die nicht erwünscht sind, was Korrekturen notwendig macht.