Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielleiterthemen

Narrativer Ansatz und Spielerschar

(1/4) > >>

JS:
Aus eigener Erfahrung, von Cons und aus zahlreichen Zuschauerstunden bei YT (Let´s Plays usw.) möchte ich mutmaßen, daß der größere Teil der Spielerschar zwar interessiert, aber am Tisch eher zurückhaltend, reaktiv oder gar recht passiv ist. Sicherlich kennen die meisten Spieler ihre Chars, die Regeln, auch die Welt, und sie machen auch einigermaßen gut mit, wenn der SL ihnen Optionen anbietet usw. Aber lebhafte Aktivitäten und Phantasiefeuerwerke innerhalb oder sogar am Rande der Geschichte habe ich in und bei den meisten Gruppen eher seltener erlebt. (Das ist aber keine Kritik an irgendeinem Spielstil oder Spielerverhalten, sondern nur eine Einführung.)

Das ist für mich sozusagen eine rollenspielerische Normalität, die immerhin ganz gut und im allgemeinen Konsens funktioniert. Nun gibt es aber Settings, die mMn erst richtig gut laufen, wenn auch die Spieler sie besser kennen und ihre Charaktere entsprechend spielen können, z.B. Tribe 8, Mechanical Dream, Judge Dredd. (Wenn man die mitreißenden Schauerberichte über die Z´bri bei Tribe 8 aus den Büchern kennt, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn diese Monstren kurz vom SL erklärt werden.)

Gleichsam lese ich hier immer wieder, daß die narrativen Systeme (oder wie man die genau nennen mag) in vielen Runden Schwierigkeiten bereiten und nicht so gut ankommen, weil "die Spieler dafür irgendwie nicht passen oder sich dafür umstellen wollen/können". Das berichtet z.B. auch der lustige Rezensent von Drunkens & Dragons, der von Dungeon World schwärmt, aber von seiner Gruppe zu D&D 5 gedrängt wird. Hier stellt er dann - zugegeben: etwas betrunken, aber lebhaft - einen Kampf nach seinem Gusto vor:
https://youtu.be/ESdNfWLwyvY?t=2568

Da ich diesen narrativen Ansatz in der Theorie ziemlich spannend bis aufregend finde, frage ich mich aktuell, ob gewisse Systeme, wie FATE, PbtA usw., nur dann rocken und gut laufen, wenn die Mehrheit der Beteiligten am Tisch aus sich herauskommt und permanent auch etwas Erzählerisches, Phantasievolles dazu beiträgt. Bei meinen Leuten z.B. spüre ich immer eine gewisse Zurückhaltung gegenüber diesem Ansatz und den ungewohnten Mechanismen; selbst beim Hybriden Shadowrun Anarchy werden die Plotpunkt eigentlich nie für Fluff genutzt, sondern immer nur für Crunch.

Momentan vermute ich, daß diese Art der lebhafteren und kreativeren Eigenbeteiligung vielen Spielern wenig liegt und sie sich mit dem vertrauten "Magisches Geschoß - Trifft - 4 Punkte Schaden" einfach schon kommunikativ wohler fühlen.
Fehlt es da letztlich allgemein an Hopfen und Malz, so daß diese Systeme immer in ihrer Nische bleiben werden, weil ihnen in der Breite die passenden Spieler fehlen?
Müssen und können die Spieler von sich aus viel Zeit in ein Umdenken und Neulernen stecken?
Oder ist der/die SL in der Pflicht, das Beste aus diesen Systemen herauszuholen und die Spieler mitzureißen? Ist es also nur eine Frage des richtigen Anstoßes, der aus Attacke-Parade-Leuten plötzlich kreative Feuerwerker macht?

schneeland:

--- Zitat von: JS am 29.04.2019 | 15:46 ---Momentan vermute ich, daß diese Art der lebhafteren und kreativeren Eigenbeteiligung vielen Spielern wenig liegt und sie sich mit dem vertrauten "Magisches Geschoß - Trifft - 4 Punkte Schaden" einfach wohler fühlen.

--- Ende Zitat ---

Mein (nicht-repräsentativer) Eindruck ist, dass

* die Eigenbeteiligung eher den Spielern liegt, die selber auch (zumindest gelegentlich) leiten
* das gemeinsame Konstruieren einer Geschichte einfach für ein anderes Spielgefühl sorgt, das gar nicht unbedingt gewünscht ist (vgl. auch Diskussion zu Play to Find Out nebenan)
Wobei ich bgzl. Letzterem den Eindruck habe, dass es weniger an einem fixen "das magische Geschoss macht x Punkte Schaden" liegt, sondern an der Frage:
Gibt es hier eine fantastische Welt, in die ich eintauchen kann und in der ich die Rolle von jemand anderem übernehme (der SL ist quasi der Weltsimulator)? Oder geht es darum, gemeinsam eine Geschichte in einer solchen zu konstruieren, von der man rückblickend sagen kann, dass es eine gute Geschichte war?
Meine Hypothese ist, dass die meisten Spieler (und vielleicht auch Spielleiter) eher ersteres wollen und die narrativen System eher deshalb gewählt werden, weil sie die Komplexität auf ein angenehmeres Maß herunterbrechen.

JS:

--- Zitat von: schneeland am 29.04.2019 | 15:59 ---
* das gemeinsame Konstruieren einer Geschichte einfach für ein anderes Spielgefühl sorgt, das gar nicht unbedingt gewünscht ist (vgl. auch Diskussion zu Play to Find Out[url] nebenan
--- Ende Zitat ---

Ja, die verfolge ich auch eifrig, denn aktuell gibt es hier einige spannende Allgemeindiskussionen zu diesem Thema. Das System Frontalmeistern (von Frontalunterricht) scheint viele Spieler stark vereinnahmt zu haben.

Crimson King:
FATE und PDQ lassen sich nach meiner Erfahrung sehr klassisch spielen. Bei PbtA sieht das anders aus, wobei es vermutlich Unterschiede zwischen den Implementierungen gibt. Da braucht es aber Spieler, die zumindest aktiv sind. Der kreative Aufwand für die Story kann allerdings beispielsweise bei Dungeon World weiterhin verstärkt auf die SL abgeladen werden. Wirklich problematisch wird es aber bei typischen Indie-Vertretern von Fiasco bis PTA. Da sind die Spieler notwendigerweise Co-Autoren.

Ich möchte Schneelands Anmerkungen unterstützen. Ich sehe auch einen Unterschied zwischen der aktiv/passiv-Achse und der Actor/Autor-Achse. Es gibt aktive und kreative Spieler, die sich nicht als Co-Autoren sehen und nicht als solche fungieren wollen.

Eismann:
Ich habe auch schon erlebt, dass Spieler mit dieser Erzähler-Autoren-Position schlicht überfordert sind oder sie gar nicht einnehmen wollten. Dazu kommt, dass man sich bei Spielen mit dieser Zielsetzung deutlich schlechter zurückziehen kann. Bei "traditionellen" Rollenspielen fällt es dagegen nicht großartig auf, wenn ein Spieler mal eine Stunde nicht viel macht, weil er beispielsweise müde oder an der Situation desinteressiert ist oder gerade keine Lust hat.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln